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Fortschritte der Medizin
Unter Mitwirkung hervorragender
Fachmänner herausgegeben von
Professor Dr. G. Köster
in Leipzig
Priv.sDoz. Dr. v. Criegern
in Leipzig
Redaktion: Dr. RiglersDarmstadt
1911
XXIX. Jahrgang
Leipzig 1911
Verlag von Georg Thieme
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I. Sachregister.
(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten Originalbeiträge.)
A.
Abdominal Adhesions, the treatment
with a new oil 303.
A b d o m i n a 1 d r u c k sy in p t o m der Ischias
766.
Aborte, Zunahme der künstlichen 91.
Abortiv-Behandlung der Syphilis 479.
Abschätzung von Gewichten 545.
Abstinenten tag, VII. deutscher, Augs¬
burg 405.
Abstinenz oder Temperenz? 385.
Abszesse, Eine schnelle Methode zur
Heilung mastitischer 1253.
Achy lia gastri ca, Wesen und Behandlung
479.
A dal in 408, 958.
— Sedatium- und Einschläferungsmittel
934.
— Anwendungsgebiet desselben 934.
— klinische Erfahrungen 190.
— sedative Wirkung derselben bei
sexueller Neurasthenie und anderen
Geschlechtskrankheiten 958.
Adalinwirkung bei Neurosen und
Psychosen 545.
Adams-Stockes’sche Krankheit 906.
Adenien, okkulte 1168.
Adenom, bösartiges, der Leber 448.
Ader lall, die Wirksamkeit desselben;
ein Vorschlag zu seinem häufigeren
Gebrauch 395.
Adipositas und Versicherung 42.
A d n e xerkrank u n gen, entzündliche
765.
Adrenalin 863.
— Anwendung bei postoperativem Er¬
brechen 43.
— und Osteomalazie 114.
— Wirkung und Dosierung bei subkutaner
Injektion 213.
Adrenalinglykosurie, Hemmung
durch Pankreaspräparate 596.
Adrenalintherapie, intravenöse 911.
Affektionen, blenorrhoische 691.
Affektkrämpfe, respiratorische, im
frühen Kindesalter 1124.
Aggressinimmunisierung gegen
Rauschbrand 423.
Akne und ihre Behandlung 337.
Aknepusteln, torpide und Furunkel
1051.
Albuminimeter, Beitrag über die Ver¬
wendbarkeit nach Dr. Aufrecht 427.
Albuminurie, lordotische, die schul-
hygienische Bedeutung derselben 429.
Albuminurie, klinische Bedeutung der¬
selben in der Schwangerschaft, bei
der Geburt und im Wochenbett 1071.
— und Nephritis, Mitteilungen über
mechanische Bedeutung derselben bei
Tieren 378.
— und Zylindrurie, über die bei Ob¬
stipation auftretende 472.
— — Verhalten während des Kurge¬
brauches 183.
Alkohol und Frauen 1126.
Alkoholbehandlung, antiparasitäre,
des Akzems 787.
Alkoholiker und Weintrinker 1055.
Alkoholismus, die Methoden der ambu¬
latorischen Behandlung 525.
Al man ach, therapeutischer 719.
Alopekie, periodische 787.
Ainidoazotoluol, eine neue An*
wendungsart desselben 742.
Amöbiasis, Ipecacuanha in der Be¬
handlung derselben 18.
Ammoniak-, Aminosäuren- und Peptid¬
stickstoff im Harn Gravider 597.
A m m on i u m c h 1 o r ü r 863.
Anämie, schwerste, über einen im Hoch¬
gebirge mit Blutinjektionen be¬
handelten Fall 358.
Anaphylaxie, über 480.
— und ihre Beziehung zur Dermatologie
374.
— zusammenfassende Übersicht über die
Lehre von derselben 1033.
Anästhesie durch Chinininjektion 379.
A nüsthesin - Coryfin und Cycloform-
Coryfin (neues Mittel bei .Schling¬
beschwerden der tuberkulösen Peri-
chondritis laryngis) 142.
— zerebrospinale 620.
Anästhesierungsverfahren, sogen.
ungefährliche 113.
Anatomie, pathologische, der Stimm¬
lippe 140.
Anfälle, affektepileptische, der Neuro-
patlien und Psychopathen 331.
Ankylostomiasis 711.
Angina, Behandlung derselben in ihrer
Bedeutung für den Gelenkrheumatis¬
mus 1097.
Angiome und Naevi, Behandlung mittels
Kohlensäureschnee 885.
Aniouenbehandluug 1198.
Anogon, ein neues Mittel der Ilg-
Therapie der Syphilis 670.
•3GLV31
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IV
Sachregister.
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Anomalien, praktisch wichtige, der
Arteria brachialis 498.
Anschauungen, humerale, im alten
und neuen Gewände 86.
Anstaltsküchen, alte und neue, in
den Kliniken der Universität Gießen
481.
Antimeristem, ein Beitrag zu den
Mißerfolgen desselben 1099.
Antimon präparate, Verhalten der¬
selben im Körper 862.
Antipyrinempfindlichkeit, Über¬
tragung auf Meerschweinchen 517.
Anti tuberkulöse Bestrebungen in den
Vereinigten Staaten, Licht- und
Schattenseiten derselben 1048.
Antityphusserum, Wirkungsweise des
660‘
Anwendung des Lichtes bei nervösen
und psychischen Erkrankungen 620.
Aorta, Veränderung derselben bei
Kaninchen bei Einführung von Queck¬
silber-, Blei- und Zinksalzen in die
Ohrvenen 709.
A orten an eu rismen im jugendlichen
Alter und nach akutem Gelenkrheuma¬
tismus 642.
Aortenruptur bei Pyämie 208.
Aortis abdominalis 232.
— luetica 448.
Aperi toi -Riedel, das neue Abführ¬
mittel 999.
Aperitoltabletten, mißbräuchlicher
Genuß von 778.
Aphasie, kortikale motorische und sen¬
sorische, und ideokinatischc Apraxie
501.
Appendizitis, Ätiologie der 302.
— chirurgische Behandlung 25, 59.
— chronische, kann Tuberkulose Vor¬
täuschen 618.
— und Tuberkulose 834.
Appendix-Studien 682.
Appetitlosigkeit bei Lungenkranken
und ihre Behandlung 449.
Apraxie 860.
Arsazeti nbeh and lung mit historischen
und kritischen Bemerkungen 334.
Arsen-Eisen - Brom - Therapie, kombi¬
nierte, bei Epilepsie 262, 305.
Arsenik als Medikament gegen Sepsis
infolge infizierter Wunden 208.
— bei der Behandlung der Chlorose 1104.
Arsenobenzol in Salbenform 527.
Arsen-Sanguinal 935.
Arsen-Triferrol 1053.
Arterienverkalkung 240.
Arterien wände, gesteigerte pulsatori-
9che Bewegungen derselben 1219.
Arteriosklerose, die Ursache der 447.
— medikamentöse und physikalische
Therapie 929.
— und Gefäßnerven-Veränderungen 40.
— neuereArbeitenaufdeniGebieteder082.
— des Zentralnervensystems, Behandlung
derselben mit Tiodine 1075.
Arthritis deformans 1147.
Arzt, der, als ätiologischer Faktor 1057.
Arzte als Philosophen 720.
Arzneikombinationen, über die
pharmakologische Bedeutung 141.
Arz neifälschung in Rußland 789.
Aschegehalt in den Gehirnen Spas-
mophiler 687.
Askariden, über die mangeliafte Giftig¬
keit 137. ,
Asphalt dämpfe bei Lungenerkrankun¬
gen und Bronchitiden *78.
Asthma, das 310, 313, 341, 305.
— operative Behandlung des 576.
— bronchiale, Beitrag zur medikamen¬
tösen Behandlung desselben 1052.
— — medikamentäre Behandlung des¬
selben 262.
— — und Emphysem, lauwarme Bäder
bei denselben 1006.
Asuro 1, praktische Bewertung desselben
959.
Aszitesflüssigkeit, Benutzung der¬
selben zu Ernährungs- und anderen
Zwecken mit therapeutischen Indika¬
tionen 1071.
Äther und Leber bzw. Nieren 119.
Äthernarkose mit offener Maske und
einige ihrer Modifikationen 43.
Athletik und Medizin 671.
Ätiologie des Febris puerperalis und
Febril) in puerperio 1196.
— der Psychoneu rosen 809.
— ovarielle, uteriner Blutungen 330.
— und operative Therapie der Prolapse
des weiblichen Genitales 604.
— und Therapie der Aortis 057.
Atlas der äußerlich sichtbaren Erkran¬
kungen des Auges 240.
Atmung von Insekten, Untersuchungen
unter Anwendung der graphischen
Methode 1080.
Atmungsgymnastik, praktische, für
jedermann 311.
Atonie der Speiseröhre 1246.
Atrioventrik n larbündel, neuere
Untersuchungen über die Pathologie
desselben 427.
Atropin, Nachweis neben Physostigmin
und Pilokarpin 214.
Aufgaben, psychiatrische, des prak¬
tischen Arztes 1176.
Augen eite rung der Neugeborenen 23.
Augenerkrankungen nach Salvarsan-
behandlung 1003.
Augen fl üssigkeiten, viskosi metrische
Untersuchungen von 926.
Augenheilkunde, Bedeutung der
Immunitätslehre für die 691.
Augen muskel lähmung 691.
— rezidivierende multiple, auf gichtischer
Grundlage 334.
Auskultation von Gelenken 595.
Auskultation» phänomen, post¬
mortales. beim Menschen 134.
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Sachregister.
V
Autotherapie mit serösen Exsudaten
1147.
A zeto nitry lreaktion bei Morbus
Basedowii 883.
Azidose, Beitrag zur Therapie der¬
selben 1220.
B.
Bac. Paratyphus B als Erreger der
Cholera nostras 1169.
Bäderbehandlung des Typhus 473.
Bädertag, schlesischer 1910 1199.
Bakterien, die krankheiterregenden 264.
— im Fleisch notgeschlachteteter und
kranker Tiere 326.
Bakteriologie und Histologie fieber¬
hafter Uterusmyome 1221.
Bakteriotropine und Bakteriolysine,
Beziehungen zwischen denselben 110.
Bakterium Coli und Milzbrandsporen,
deren Lebensdauer 806.
Balneologen-Kongreß, der 32. 438.
Band wurm mittel, über ein neues 47.
Basedowfälle, über den pleuritischen
Ursprung derselben 137.
Basedow-Symptome als Zeichen tuber¬
kulöser Infektion und ihre Bedeutung
für Diagnose und Therapie der Lungen¬
schwindsucht 448.
Basedow’sehe Krankheit, chirurgische
Behandlung derselben 162, 505.
B auch decken abszeß, Paratyphus-A-
Bazillen als Ursache desselben 110.
Bau und Tätigkeit des menschlichen
Körpers 287.
Bazillen, Koch’sche, Nachweis der¬
selben 953.
Bazil Ins facealis alealigenes, zur Identi¬
fizierung desselben 472.
Bedaf-Binden- und -Kompressen 192.
Beckendehnung der Kreißenden 237.
Beckenendlage, unkomplizierte,
zweckmäßigste Behandlung derselben
1101.
Becks Therapeutischer Almanach 600.
Bedeutung des Wassers für Landschaft
und Städtebau 405.
Beeinflussung, ärztliche des Kranken
239.
Beethovens Ohrenleiden 717.
Befunde, pathologische, aus der Früh¬
zeit 298.
Behandlung, chirurgische, der Naevi,
Warzen und Hautzysten 642.
Behandlungserfolge bei gynäko¬
logisch-nervösen Störungen 44.
Beiträge, experimentelle, zum Studium
des Mechanismus der Immunkörper
und Komplementwirkung 40.
— Beiträge zur praktischen Chirurgie 431.
Bericht über die wichtigsten gynäko¬
logischen Operationen im Trier’schen
Institut während der letzten 25 Jahre
256.
Berufskrankheiten der Telephonisten
932.
Bestrebungen, antituberkulöse, in den
Vereinigten Staaten 569.
Beziehungen des äußeren Anblickes
zu den in der Leiche zu erwartenden
Veränderungen 1200.
Bezold’sche Mastoiditis 717.
Bildungsfehler und Geschwülste 239.
Blasenhernien 663.
Blasenverletzungen, Entstehung und
operative Heilung 782.
Blase, Verhalten derselben bei renaler
Tuberkulose 780.
Bleisalz, im Gewebe hervorgerufene
Veränderungen 549.
Bleivergiftung 575.
— und Wassermann’sche Reaktion 1151.
Blenorrhoe, Behandlung der 768.
Blinddarm, Zusammenhang zwischen
Entzündungen desselben und gewissen
Erscheinungen der Lungentuberkulose
»37.
Blinddarmentzündung beim Kinde
861.
— welchen Fortschritt sollen wir in der
Behandlung derselben machen? 207.
Blindgeborene, Heilung eines solchen
1003.
Blut, Plasma und Serum auf Pneumo¬
kokken und ihre Bedeutung für die
Immunität 952.
— menschliches, Viskosität und Gas¬
gehalt 41.
— und Hämoglobinmenge und die
Sauerstoffkapazität des Blutes bei
gesund- und blaßaussehenden Kindern
186.
— Übertritt von Keimen ins 594.
Blutanalyse bei gynäkologischen Fällen
764.
Blutdruck, Einwirkung des ultra¬
violetten Quarzlampenlichtes auf den¬
selben 694.
— Verhalten desselben im Delirium
tremens 786.
— bei der Chloroform- und Äthernarkose
mit Berücksichtigung des Schocks 498.
Blutdrüsen, Über die Beziehungen
derselben zu den Lymphräumen mit
besonderer Berücksichtigung der
Hypophyse und der Gehirnventrikel
als Teile des Wärmeregulations¬
apparates 1243.
Blutfilarie des Pferdes 206.
Blutgerinnungszeitinder Schwanger¬
schaft 285.
Blutkörperchen, rote, in der Epi¬
dermis 354.
B1 u tp 1 as m a, Gehalt an Gesamteiweiß,
Fibrinogen und lieststickstoff bei
Schwangeren 542.
Blutung, puerperale, Behandlung mit
Secacornin Roche 836.
Blutungen, Behandlung unkomplizierter
521.
— in der Geburtshilfe und Gynäkologie
686 .
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VI Sachregister.
Blutungen, in den ersten Monaten der
Schwangerschaft 686.
— intra et post partum und allgemeine
Narkose, Wechselbeziehungen 237.
— uterine, über die medikamentöse Be¬
handlung derselben 92.
— uterine, syphilitischen Ursprungs 1118.
Blutveränderungen bei Fibromyoma
uteri 500.
Bolus alba als Träger der Infektion 284.
Bolusverband, ein neuer steriler W und-
verband 714.
Bronchialerkrankungen, chronische,
örtliche Behandlung derselben 111.
Bronchitis und verwandte Zustände,
Behandlung mit heißer Luft 357.
Bromglidine, über 391.
Bromural in der Kinderpraxis 619, 935.
— Vergiftungsversuch mit 1030.
Brüche der Mittelhandknochen 216.
— der vorderen Bauchwand, Pathologie
und Therapie 137.
Brunnen- und Bäderzusätze 1079.
Brust- und Rückenschmerzen 448.
Brustkrebs, Fernresultate bei Inter¬
ventionen desselben 1118.
Buttermilchernährung des Säuglings
453.
C.
Cammidge'sche Pankreasreaktion, die
klinische Bedeutung derselben 396.
— — in den Lungen des Menschen 90.
Chemotherapie der Spirillosen 594.
Chirurgie, die in derselben gebräuch¬
lichen Nähte und Knoten in histori¬
scher Darstellung 720.
— die modernen Methoden zur Bekämp¬
fung des Schmerzes in derselben 169,
200, 227.
— der Choledochus und Hepaticus 712.
— in China 1255.
— und Neurasthenie 8*0.
Cholera, Verursachung durch salpetrige
Säure 834.
Cholera- und El Torstämme, das hämo¬
lytische Verhalten derselben 953.
Choleradiagnose, bakteriologische.
Beobachtungen über das Dieudonnö-
sche Blutalkaliagar 953.
Choleravibrionen im Darmkanal des
Kranken 640.
— Methode zur Isolierung derselben aus
den Fäzes 762.
Cholestearin, Bedeutung derselben bei
der Arteriosklerose 1025.
Chorea minor, Behandlung derselben
durch Salvarsan 1075.
C h r o m atinfärbung, neue Methode 641.
Coecum mobile als Ursache mancher
Fälle sog. chronischer Appendizitis617.
Corpora amylaeea der Lungen mit
Riesenzellen 446.
— — in den Lungen des Menschen 90.
Crotalotoxin aus dem Gifte der nord-
amerikanischen Klapperschlange 668.
Cvcloform, ein lokales Anüsthetiku
262, 263, 404.
— als Salbe und Pulver 1054.
— Wirksamkeit desselben als Anästhe’
kum bei Affektionen des Magen-Darr
traktes 1029.
Cytorrhyctes luis, gelungene Kult
des 206.
D.
Dakryozystorkinostomie, Teclin
der 117.
Dämmerschlaf, der, oder die Skop
lamin-Morphinmisclinarkose in ihr
Anwendung bei Entbindungen ur
Operationen 407, 476, 576, 1171.
Dämmerzustand, hysterischer 526.
Darm, Kalkverlust bei Erkrankung«
desselben 17.
— wie lange verweilen Speisen in dei
selben/ — Darmträgheit, Therap
derselben 1070.
Darmepithel, Regeneration desselbi
von den Brunner’schen Drüsen in obe
tlächlichen Duodenalgeschwüren 1<
Darmfäulnis und Neuralgien 834.
Darmgeschwüre, Diagnose und B
handlung derselben 980.
Darmkatarrh, chronischer, Behandlui
desselben 682.
Darmkatarrhe im 2. und 3. Leben
jahr, zur Behandlung der akuten ui
chronischen 1256.
— im Kindesalter, zur Behandlung d
akuten und chronischen 1255.
Darmmotilität, Abhängigkeit dt
seihen von motorischen und sekret
rischen Verhalten des Magens 116
Darmplastik, partielle und zirkulä
713.
Darmresektion, ausgedehnte 684.
Darmsekretionsstörungen , prak
sehe Therapie derselben 402.
Darmwandbruch 138.
Darm wir kung des Schwefels 904.
Dauererfolge der abdominalen Tot*
extirpation bei Carcinoma uteri 2S
Dauerinhalationen hei chronisch
Bronchitis 8U8.
Dauerschwindel 786.
Decubitus, die Behandlung desselbi
1247.
De l’Utititö de la Position ventrale da
certains Cas d’Occlusion intestin h
post-part um 1172.
Defekt der Wirbelsäule bei einem Ne
geborenen 644.
Deformitäten der Wirbelsäule 217,26
Delirium tremens, Resultate der mec
zinischen Behandlung 766.
Demence precoce et la syphilis 112
Dementia praecox, Demenzprozesse ui
ihre Begleitpsychosen 21.
— — Entwicklungsstörungen desGehir
bei 354.
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Sachregister.
VII
Dementia praecox und Hysterie, Diffe¬
rentialdiagnose 1122.
-und Manisch-depressive Blutdruck¬
messungen 20.
— praecocissima 115.
Demenz, presbyophrene, deren anato¬
mische Grundlage und klinische Ab¬
grenzung 162.
Demonstrationen 17, 65.
Demonstration in der wissenschaft¬
lichen Gesellschaft deutscher Arzte
394, 444.
Denken, teleologisches, in der prakti¬
schen Medizin 887.
Dermatosen, Zusammenhang mit inne-
. ren und allgemeinen Erkrankungen 806.
Desinfektion, Grossichs, der Haut mit
Jodtinktur 499.
— prophylaktische, der Nase 70.
Desinfektionsverfahren für milz¬
brandinfizierte Häute und Felle 880.
Deutscher Verein für Öffentliche Ge¬
sundheitspflege 166.
— — für Psychiatrie 883, 1076.
Deutsche Gesellschaft für Volksbäder
1079.
Diabetes, Behandlung desselben 562.
— in Paris 808.
— mellitus 908.
-Behandlung mit Magnesium-Per-
hydrol und Kalkasein 618.
-neuere Ansichten und Anschau¬
ungen über dessen Wesen 475.
— — Therapie derselben 1058* 1087.
— und Glykosurie, Ende derselben 1220.
Diagnose chronischer Pankreaserkran¬
kungen 859.
— mikroskopische, der abgelaufenen
Schwangerschaft 1196.
Diarrhöe, nervöse 472.
Diarrhöen, chronische 1070.
Diathese, exsudative, und das hoch¬
alpine Gebirgsklima 1198.
Diät, Nutzen derselben bei Hautkrank¬
heiten 670.
— vegetarische, Psoriasis und patholo¬
gisches Nagel Wachstum 309.
Dickdarm, Experimentaluntersuchung
über Resorption in demselben 981.
— Krankheiten desselben 1176.
Dickdarmkrebs, verbesserte Diagnose
und Prognose 683.
Digipuratum, über 357, 403.
— bei Herzerkrankungen 788.
— Injektionen, intravenöse, Wirkung am
Tier 936.
Digitalis und Herzhypertrophie 473.
Digitalis Wirkung bei unregelmäßiger
Herztätigkeit 308.
— und Einstellung 669.
Differentialdiagnose zwischen ma¬
nisch-depressivem Irresein und De¬
mentia praecox 810.
Dilatation, acute, of the stomacli follo-
wing surgical Operation* 834.
Dilatatio ventriculi nach Peritonitis
chronica 397.
Dimethylamidobenzoldehydreak
tion, Ehrlich’sche, Bedeutung der¬
selben in der Klinik der psychischen
Krankheiten 1173.
Dioxydiamidoarsenobenzol (Ehr¬
lich -Hata), Herstellung gebrauchs¬
fertiger Lösungen 306.
Diphtherie, primäre, der Harnröhren¬
mündung 189.
Diphtheriebehandlung ohne Serum
862.
Diphtherien, verkannte, und ihre Folgen
1097.
Diphtherietoxin, Einfluß desselben
auf die Fettspaltung 382.
Diplosal 1005.
Drogen, wichtigste medizinische, ihre
pharmazeutische Verarbeitung und
Nutzanwendung für die menschliche
Gesundheit 1007.
Disposition, tuberkulöse, und ihre Be¬
kämpfung 1048.
Dungeren’sclie Methode, was leistet
dieselbe derSyphilisreaktion ? 118,306.
Dünndarmresektion, einige Bemer¬
kungen zur Frage der Prognose der
ausgedehnten 107.
Duodenalgeschwür, Pathologie und
Therapie 145.
Durchschneidung der Tawara’schen
Schenkel desReizleitungssystemsl243.
Dyspepsies, les, gastriques des tuber-
culeux 833.
Dystokie bei engem Becken 835.
E.
Ehe bei herzkranken Mädchen 738.
Eheschließungs- und Trennungsfrei-
heit in Ungarn 432.
Ehen und Nachkommenschaft tuberku¬
löser Frauen 371.
Ehrlich-Hata 606 47, 93, 94, 134, 140,
141, 255, 259, 429, 645, 692, 739, 814.
Ehrlich’sche Diazoreaktion bei Lungen¬
tuberkulose, ihr diagnostischer und
prognostischer Wert und ihr Verhal¬
ten hei Anwendung der spezifischen
Therapie 1027.
Einfluß der Erkrankungen der Koronar¬
arterien auf die Herzmuskulatur mit
besonderer Berücksichtigung der chro¬
nischen Aortitis 111.
— der Fette und Seifen auf die sekre¬
torische Tätigkeit des Pankreas 519.
— der Produkte des thyreoparathyreoi-
dealen Apparates auf die alexinischen
Eigenschaften des Blutes 424.
— des Stickstoffs auf die Haltbarkeit des
Fleisches, nebst. Beiträgen zur Bak¬
teriologie der Fleischfäulnis 282.
Ei s e n - Arsen• I )arreichung, kombinierte,
über den therapeutischen Wert der¬
selben 1053.
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VIII
Sachregister.
Eisenodda, praktische Versuche mit
demselben 1111.
Eisensajodin 191.
— in der Augenheilkunde 191, 307.
— bei skrofulösen Lymphdrüsenschwel-
lungen 936.
— in seiner rhino-laryngologischen Ver¬
wendung 214.
Eiweiß, tierisches, Wirkung desselben
auf die Aorta und die parenchyma¬
tösen Organe von Kaninchen 41.
Eiweißmilch, Erfahrungen mit 549.
Eiweißpräparate, abgebaute, über die
Ernährung mit denselben 1055.
Eklampsie, Behandlung derselben 721,
745.
— kritische Bemerkungen zur Frage der
subkutanen Infusionen 47.
Eklampsiebehandlung nach Stroga-
noff 598.
Ekzemkinder 688
Elektrizität, Anwendung derselben in
der Medizin 165.
Elektrokardiogramme 280.
— bei Dextrokardie und Aortenaneurys¬
men 324.
Elektrophysiologie , Elektrodiagno-
stik und Elektrotherapie; Bericht über
die Fortschritte und Leistungen auf
diesem Gebiet 311.
Elternbriefe 672.
Embolie mit parenchymatösen (Leber)-
Zellen 519.
E m p fi n d u n g s 1 ä h m u n g, dissozierte, bei
Ponstumoren 543.
)
i
Emphysem, chirurgische Behandlung
desselben 1099.
Empyem der Gallenblase 283.
Endokard, Beeinflussung durch kreb-
siges Material 90.
Endokardtumoren und ihre Entste¬
hung 66.
Endometritis, anatomische und klini¬
sche Untersuchungen 520.
— puerperale, über Saugbehandlung 45.
Entfettungskur, neue, mittels diäteti¬
scher Küche 1201.
Entfieberung, verlangsamte 616.
Entzündung, chronische, Versuch einer
Theorie auf Grund von Beobachtungen
am Pankreas des lebenden Kaninchens
und von histologischen Untersuchun¬
gen nach Unterbindung des Ausfüh¬
rungsganges 353.
Epidemie der Poliomyelitis acuta epi¬
demica in Wien und Niederösterreich
im Jahre 1908 186.
Epidemiologie der Genickstarre 661.
Epidermolysis bullosa der dystroph.
Form 733.
Epilepsie bei Tumoren des Schläfen¬
lappens 812.
— Bewertung kochsalzarmer und koch¬
salzreicher Nahrung für die Therapie
derselben 1103.
I
Epilepsie, spitzwinklige Knickung
Sigmoideum als Ursache derselben ‘
— und Gravidität 1197.
Epithel ent wicklung der Zervix i
Portio vaginalis Uteri und die P>
doerosio congenita 256.
Erbrechen der Schwangeren 597.
Erfahrungen, klinische und exp
mentelle, über den Einfluß des Was
stoffsuperoxyds aufHyperchlorhydi
und auf die Magensekretion 425.
— über einige Arzneimittel in der H
des Nervenarztes 1174.
j Erfolgkontrollen bei Behandlung
Lungentuberkulose mit Sonim-iV
morek 449.
Ergotinpsvchose, über die 811.
ErgotinWirkung, unerwünschte ]
Erkältungskrankheiten, Der Ein
des Berufs auf die Entstehung <
selben 1244.
Erkrankung, typhusartige 42.
Ernährung, chlorarme 214.
— des gesunden Säuglings 381.
— intravenöse und subkutane, mit Ti
benzucker 260.
unsere heutige falsche, als letzte
sache für die zunehmende Zahn'
derbnis und die im ganzen schlech'
Entwicklung unserer .lugend 4U6.
— extrabukkale 167.
Ei näh rungstherapie der Herzkran
769.
Erosion und die Pseudoerosion
Erwachsenen 330.
Ersatzpräparate im allgemeinen i
die des Taunalbius im besonderen
Erscheinungen, thyreotoxische, i
ihre Behandlung mit Antithvreoi
811.
Erweiterung des vesikalen Ureteren
784.
Erythrodermia desquamativa 715.
Erythrozyten. Verhalten derselben
chronischer Olsäurevergiftung 28
Erysipel, Behandlung derselben 1
Essays, medizinische 406.
Europa, das vorgeschichtliche, Kulte
und Völker 382.
Experimente, neue, zur Funktion
Corpus luteum 255.
Exsudate, tuberkulöse, beim Mensc
641.
F-
Fahnenfl uclit, Beitrag zur Psychoh
derselben 1121.
Farbenreaktion, Schürmann’sche,
Lues 1173.
Färbungsin et lioden der Tuber
bazillen 640.
Febris puerperalis, hakteriologis
Untersuchungen derselben und
Methoden 1116.
Fensterresektion des Ductus n
* lacrvmalis 117.
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Sachregister.
IX
Fermenttherapie des Karzinoms 1113.
Fett im Markinterstitium der Niere 446.
Fettpolsterdicke und Fettpolster-
messung 9Ö1.
Fettsucht, neueGesichtspunkte, dieselbe
betr. 763.
Feuerbestattung, ein Wort für die 768.
Fibrolvsin, über 451, 548, 618, 622,
623, 740.
Fistel Symptom und postoperative
Labyrinthes 162.
Flecktyph user reger, Untersuchungen
über den 660.
Fleisch Vergiftungserregern, Vor¬
kommen von sogenannten, in Pökel¬
fleischwaren 308.
— Einwirkung von Kochsalz auf die¬
selben 308.
Fliegen als Typhusvermittler 1114.
Fliegenkrankbeit 1027.
Fluoreszenz im Auge, klinische, physio¬
logische und pathologische Bedeutung
nach Darreichung von Uranin 24.
Fonction du sommeil 479.
F orderung des Tages 143.
Fortschritte in der Diätetik des ge¬
sunden und kranken Säuglings 1123.
Frage nach den Enthaltsamkeitsstörungen
auf der internationalen-Ausstellung
Dresden 1911 1187.
Frakturen, Gebrauch von Platten und
Schrauben bei der operativen Be¬
handlung 44.
• Frau, die junge 407.
Frauen, degenerierte, höherer Stände
399.
Frauenkrankheiten, Behandlung der¬
selben in Franzensbad mit heißen
Moorumschlägen 1074.
— nichtoperative Behandlung entzünd¬
licher 520.
Frauenmilch und ihre kriminelle Be¬
deutung 236.
Fremdkörper im Halse 1224.
— aus den Luftwegen mittels Tracheo-
bronchoskopie entfernte 668.
F remdkörperextrak tion, Zwei
bronchoskopische Fälle von 1254.
Frigidität, weibliche, und die Therapie
derselben 598.
Frühaufstehen der Wöchnerinnen 303.
Frühdiagnose des Karzinoms 736.
Frühgeburt, künstliche, und vaginaler
Kaiserschnitt bei habituellem Ab¬
sterben der Frucht 114.
Führer der Menschheit? 48.
Funktionsstörungen und Psychosen,
diätetische und medikamentöse Be¬
handlung 847.
Fürsorge Zöglinge, schwer erziehbare,
Behandlung vom psychischen Stand¬
punkte aus 23.
Furunkel, Behandlung desselben 284.
G.
Gal 1 e,mikroskopischeUntersuchungder-
selben zu diagnostischenZweckeu 1115.
Gallensteine 180.
Gal len stein leiden, Verhütung und
operationslo.se Behandlung derselben
1224.
Gasbazillus, Der E. Fränkel’sche, in
seiner Bedeutung für die puerperale
Infektion 1249.
Gasbläschenemphysem, chronisch
entstehendes 90.
Gastroptose, zur Therapie der 234.
Gastrospasmus 518.
Geburt, zur Frage der Beziehungen
zwischen asphyktischer und schwerer,
u. nachhaltigen psychischen Störungen
1073.
Geburten nach Ventrofixation 835.
— normale, Schmerzlinderung bei den¬
selben 1007.
Geburtshilfe des Praktikers 263.
— moderne 913, 942, 972.
Geburtenziffer, Rückgang derselben
956.
Gefahren des Leuchtgases 455.
Geflügeldiphtherie (Diphtheria
avium) und Geflügelpocken (Epi¬
thelioma contagiosum), neuere Unter¬
suchungen über die ätiologischen Be¬
ziehungen zwischen beiden 301.
Gehirn, Entwicklungsstörungen des¬
selben bei juveniler Paralyse und
ihre Bedeutung für die Genese dieser
Krankheit 428.
Gehörgangsfurunkel 911.
Gehörknöchelchen kette, Mechanis¬
mus der 717.
Geisteskranke, Behandlung derselben
1129.
Geisteskrankheit, akute, Nachteile der
Arbeitstherapie 545.
— als Scheidungsgrund 785.
— und Kultur 837.
Geisteskrankeiten, die medikamen¬
töse Behandlung derselben 73, 103.
— und Gehirnpatliologie 956.
— Vorlesungen über spezielle Therapie
derselben 1153, 1171, 1112.
Geisteszustand, Beachtung derselben
bei Einstellung lind Dienstleistung in
Heer und Marine 1120.
Gelbsucht, hämolytische 567.
Gelenke, versteifte,Beitrag zur blutigen
Mobilisierung derselben 1099.
Gelenk 1 eiden, Behandlung mit dem
Schwefelpräparat Thieostrin 908.
Gelenkrheumatismus 1114.
— gonorrhoische, und Meningokokken¬
serum 327.
— und Gicht, deren Behandlung 416.
Generationspsvchosen des Weibes
1120.
Genickstarre, epidemische, Einfluß der
Diagnose auf die Therapie derselben
983.
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!
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X Sachregister.
Genickstarrepidemie, Erfahrungen
bei einer 888.
Genialitätslehre Lombroso’s 688.
Genital tuberkulöse, aszendierende
weibliche; experimenteller Beitrag499.
— experimentelle Beiträge zu derMöglich-
keit einer aufsteigenden 522.
— geheilt durch Röntgenstrahlen 790
— weibliche, zur Klinik derselben 1221.
Genußmittel als Heilmittel bei Herz¬
krankheiten 287.
Gerät, neues, und neue Übungen der
schwedischen Heilgymnastik zur Be¬
handlung von Rückgratsverkrümmun¬
gen 264.
Geschlechtskrankheiten, Prophy¬
laxe derselben 259.
Geschlech t so rg an eund Erkrankungen
des Magens, über das wechselseitige
Verhältnis zu einander 114.
Geschmacksparästhesie auf arterio¬
sklerotischer Grundlage 1219.
Geschwülste der Hypophyse und der
Hypophysengegend 898.
— im vierten Gehirnventrikel, Diagnose
und Behandlung derselben 1222.
Geschwüre, syphilitische, Spontan¬
heilung derselben 1S9.
Gesundheitsamte, aus dem kaiser¬
lichen, und der Prof. Neumann’schen
Kinderpoliklinik 305.
Gesund hei tsl eh re 264, 599.
Gesundheitsschädlich keit offener
Koksfeuer bei Verwendung zum Aus¬
trocknen von Neubauten 309.
Gewichtskurve bei Tuberkulösen 518.
Gewöhnung an die Narkotika der
Fettreihe 526.
Gicht, BehandlungderselbenmitPhenyl-
cliinolincarbonsäure nebst Bemerkun¬
gen über die diätetische Therapie der
Krankheit 1220.
Givasan, ein neuesZahnpflegemittel 165.
Givas an-Zahnpasta 1054.
Glaukom, Entstehung, Wesen und Be¬
handlung 97.
Glüh licht b ad, praktisches modifi¬
ziertes 309.
Glykosurie, renale 928.
— und Adrenaliuglvkosurie, alimentäre
1115.
Glyzerolatnährböden 734.
Gonokokkenvakzine bei Gonorrhöe
646.
Gonorrhöe, Behandlung der 8, 30, 49,
740, 933.
— die Komplikationen derselben und
ihre Behandlung 49.
— der mänulichen Harnröhre mit den
häufigsten Komplikationen und ihre
Behandlung durch den praktischen
Arzt 1174.
— neues Mittel zur Behandlung der I
akuten 624.
— weibliche, lokale Therapie mittels
Pvozvanase 1174.
Graviditätstetanie, Behandlung r
Kalziumsalzen 910.
Grippe, Therapie derselben 1115.
Gruber-Widarsche Reaktion 762.
Guajakolderivate, Einfluß derselb
auf die Ausscheidung der Glukurc
säure 1004.
Gynäkologie, zur Anästhesierungsfn
in derselben 1252.
Gyn oval, ein neues Baldrian präpa
334.
H.
Haf tphy ch osen, statistische Unt
Buchungen über dieselben 305.
Halogenver hin düngen, organise
Verhalten im Organismus 623.
Ha 1 sabszesse otitisehen Ursprungs 1
Haematoma of the Ovary, with Repo
of 18 Gases 500
H ämatozela retrouterina, ein Kall v<
bedingt durch Follikelblutung i
einem kleinzystisch degeneriert
Ovarium 1249.
Hammerzehen, Behandlung derselt
982.
Hämoglobinurie, paroxysmale 908
Hämophilie und Blutgerinnung 570
— zur Therapie der 67.
Hämotomyelie mit kompletter L
tungsunterbrechung bei einem N«
geborenen mit viermonatlicher Lebe
(lauer 1197.
Handbuch der gesamten medizinisch
A n wen du n g d e r EI ek t ri z i t ät e i n sc h l i ■
lieh der Röntgenlehre 599.
Handwörterbuch, erklärendes, zi
Gebrauch für Diakonissen, Krank«
pfleger usw. 1224.
Harn, serologische-chemische Mitt
hingen über denselben 951.
Harnblase, weibliche, Ligaturstei
und dereu operative Entfernung 11
Harnblasen krebs, chorionepithelio
ähnlicher, mit gleichartigen Metastai
bei einem Manne 109.
Harnröhrendefekt, Überbrücku
durch freie Faszienplastik 929.
Harnsäure, zur Frage der Entstehn
derselben beim Menschen 231.
Hautaffektionen, parasitäre, und il
Behandlung 511.
H aut bl u tun gen durch Störungen h
vorgerufen als diagnostisches Hil
mittel beim Scharlach 524.
Hautfibrome, multiple, mit Neb
nierengeschwulst 325.
Hautkrankheiten, Behandlung i
Opsoninen 741.
— soll man alle behandeln? 478.
Hebosteotomie, Beitrag zur Fr:
der 256.
H edo nal - Chroroformnarkose, kom
nierte 663.
Hedonalnarkose, intravenöse 663.
Heidelbe eren in der Therapie 215.
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Sachregister.
XI
Heilgymnastik, Bedeutung derselben
für den Praktiker 260.
Heilhaus in Rakospalata bei Budapest
1076.
Heilsera, der therapeutische Wert der¬
selben 282.
Heil Wirkung, günstige, des Jodipins
bei schwerer Syphilis 622.
Heine-Medin’sche Erkrankung, neue
Symptome 21.
Heißluftdusche „Fön“ 552.
— in der Gynäkologie 765.
Heißluftbehandlung des akuten
Gichtanfalles 465.
Heißluft- und Lichtbehandlung und
Massage 886.
Herdreaktionen bei subkutaner Tuber¬
kulinprobe und ihre Bedeutung für
die Frühdiagnose der Lungenspitzen¬
tuberkulose 233.
Hermaphroditen, Psychologie der¬
selben 1122.
Hernia bursae omentalis mesocolica 445.
— uteri iuguinalis bilateralis 597.
Hernien, Vortrag über 135.
Herpes zoster nach Salvarsaninjektion
260.
— und Nierenkolik 496.
Herzbeutelverwachsung, Verhütung
derselben 807.
Iierzerkraukungen, Digipuratum bei
denselben 984.
Herz-Gefäßsystem, Verhalten desselben
in zwei Fällen von Bradykardie nebst
kurzer Besprechung der neueren Unter¬
suchungsmethodik 392.
Herzhypertrophie bei Nephritis 4L
Herzklappen, Untersuchungen über
chronische Veränderungen in den¬
selben 329.
Herzklappenfehler, Behandlung der¬
selben 798, 823.
Herzmuskelinsuffizienz bei chro¬
nischer Koprostase 779.
Herz ton, scheinbar doppelter zweiter807.
Heufieber, immunisatorische Behand¬
lung desselben 163.
— Ursache und spezifische Heilung 859.
— die klimatische Behandlung desselben
und des sogenannten nervösen Asthmas
1244.
Heufieberbehandlung, operative,
durch Resektion des N. ethmoidalis
anterior 209.
Hinken, intermittierendes 518.
Hirn Chirurgie, Beitrag zu derselben
< 208.
Hirnhautreizung bei Parotitis epide¬
mica 187.
Hirniues, Diagnostik derselben 666.
Hirnschwellung, letale, bei Syphilis 19.
— und ihre Beziehungen zur Katatonie 68.
Hirntumoren, psychische Störungen
bei denselben 258.
— über die Pathogenese psychischer
Störungen 20.
Hirn Zirkulation, Beeinflussung durch
Bäder 838.
Hochfrequenzströme, Wirkung der¬
selben 886.
Hodgin’sche Krankheit vom chirurg.
Standpunkt 735, 781.
Homosexualität und Psychose 1123.
Hormonal bei chronischer Obstipation
816.
Hormontherapie. 1. Das Peristaltik-
hormon „Hormonal“ 1222.
Hüftgelenkstuberkulose und Ileo-
kolostomie 1028.
Hüftgelenks verrenk ungen, Erfah¬
rungen und Resultate 841.
Husten der Tuberkulose mit Erbrechen
694.
Hyalin im Magen und Darm 539.
Hygiene des Schulzimmers 680.
Hyperazidität, medikamentöse, The¬
rapie derselben 927.
Hyperemesis gravidarum 955.
Hypernephrome, maligne, zur Klinik
und pathologischen Anatomie der¬
selben 1218.
Hypersekretion, funktionelle, der
Blasenschleimhautdrüsen 1149.
Hypertrophia cordis bei Nephritis 595.
Hypophysenleiden, operative , Be¬
handlung derselben 689.
Hypophysistumoren, endonasale,
operative Behandlung 116.
Hypnotikum Adalin 164.
Hysterie, über den Begriff derselben
* 1103.
— Wesen derselben 1148.
Hysterietypen 909.
I.
Idiotia thymica 502.
Idiotia, mongoloida 697.
Ileozökaltuberkulose und andere
Krankheiten des Dickdarms, Radio¬
graphie in der Diagnostik derselben.
Impotenz des Mannes 960.
Indications from a medical standpoint
for operatives procedures 712.
Indikation und Technik der Blut¬
stromfusion 395.
Indikationen für Arsenobenzol 787.
— vernachlässigte, erdiger Quellen 165.
Induratio lienis fibrosa circumscripta
109.
Infektion des Auges durch die Bacillus
pyocyaneus 762.
— experimentelle, der Ziege mit dem
Eberth’schen Bazillus 447.
Infektionsgefahr durch die Hand
Tuberkulöser, Untersuchungen 1049.
Infektionskrankheiten, akute chi¬
rurgische, 600.
— künstliche Eiterung bei denselben
1114.
— und Karzinom, Beziehungen 1170.
Infektionswege und natürliche Im¬
munität bei Spirochäten 447.
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XII
Sachregister.
Influenza bei Säuglingen 804.
— Pharvngodynie bei 211.
Influenzameningitis 714.
Infusum digitalis, seine Zersetzung
durch Mikroorganismen und seine
Konservierung 423.
Inhalationstherapie 548.
Inhalierapparat, ein neuer 358.
Inkarzeration bei Retroflexio Uteri
gravidi, Ursache derselben 1196.
Injektionen, intravaskuläre, frischen
defibrinierten Blutes und ihre Be¬
ziehungen zur Frage der Transfusion
159.
— perineale, bei Incontinentia urinae 811.
Internationaler Kongreß zur Fürsorge
für Geisteskranke 1172.
Intestinalkrisen bei Erkrankungen
der Aorta 327.
Intestinalpalpation, die methodische
288.
Intoxikationen, tardive 744.
Inversio uteri puerperalis 1172.
Immunkörper u. Komplementwirkung
805.
Immunisierung und Behandlung der
Tuberkulose 734.
ImmunitätsWissenschaft 624.
Irrigal 1175.
Irresein, epileptisches 331.
— induziertes 428.
J.
Jahreskurse für ärztliche Fortbildung
48.
Jod bei Arteriosklerose 935.
Jod, Ausscheidung desselben im Harn
unter normalen und pathologischen
Verhältnissen beim Menschen nach
Zufuhr anorganischer und organischer
Jodpräparate 71.
— (Jodglidine), Wirkung desselben auf
das Herz 72.
— Vorsicht bei Gebrauch 213.
— und Bromverbindungen im Tier- und
Menschenorganismus 71.
— — Verhalten im Tier- und Menschen¬
organismus 547.
Jodfettsäurederivate, interne, The¬
rapie derselben 719.
Jodipineinspritzungen bei Scharlach
619.
Jodipininj ektionen 1005.
Jodival, ein neues Jodpräparat mit
47°/ 0 Jodgehalt 334, 547, 693. 706.
— in der Luestherapie 1003.
Jodpräparate, Einfluß derselben auf
die Blutviskosität 142.
Jodtinkturdesinfektion 930.
Jodvergiftung, medizinale, mittels
Jodglidine 575.
Jothion 863, 933.
— in der Laryngologie 190.
— Resorption desselben bei rektaler
Applikation 47, 165.
Jothionbehandlung tuberkulöser Ge¬
lenkentzündungen 1245.
J ugen di rresein, Beitrag zur Geschichte
derselben 1122.
K.
Kaiserschnitt an der Toten 1100.
— zervikaler 737.
Kalkstoffwechsel bei Rachitis 453.
— in seiner Abhängigkeit von der Nah¬
rung 549.
Kalomel als Diuretikum 526.
Kaninchen, syphilitisches, Vakzina¬
tionsversuche bei demselben 1067.
Kaninchensyphilis, experimentelle,
mit besonderer Berücksichtigung der
Impfsyphilis des Hodens 301.
Kapselbakterien .Untersuchungen üb.
Kapsel- und Hüllenbildungen 136.
Kapselbildung beim Typhusbazillus
471.
Kardiolyse, Erfolge der 807.
Kardiospasm us im Säuglingsalter 687.
Karel Fache Milchkur, Stickstoff- und
Kochsalzstoffwechsel 16.
Karzinom, primäres; der Leber 66.
— des Uterus, inoperable, Behandlung
mit Radiumstrahlen 1078.
Kastration und Adrenalingelmlt der
Nebennieren 858.
Kasuistik des Paramyoclonus multi¬
plex 882.
Katarrh, eitriger, der Tube nach Ein¬
leitung des künstlichen Aborts 184.
Katheter, wasserlösliches Gleitmittel
für denselben 1005.
Katheterismusverletzung der weib¬
lichen Urethra, über die Behandlung
einer schweren 1253.
Keimdrüse, weibliche, hei Anomalie
der Konstitution 685.
Keim Zählapparat 446.
Keratitis parenchymatosa nach Trauma
767.
Keuchhusten, Behandlung mit Eulatin
813.
— Häufigkeit desselben 22.
— über Krampfanfälle und deren Be¬
handlung 238.
Killian’sche Methode der Behandlung
des peritonsillären Abszesses 139.
Kinder, nervenkranke, mit spinalen
und zerebralen Lähmungen 523.
Kinderekzeme 620.
Kinderkrankheiten, einige 573.
Kitzelgefühls, Physiologie des 673.
Knieellenbogenlage bei Ptosis ge¬
wisser Rauchorgane 710.
Knochentransplantation, Dauer-
folge derselben 982.
Knochen Veränderungen bei jüngeren
Tieren durch kalkarme Ernährung und
Oxalsäurefütterung entstehende 88.
Knochenzysten 643.
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Sachregister.
XIII
Kochsalzinfusion 738.
— rektale, kontinuierliche; der „Tröpf¬
cheneinlauf “ unter Kontrolle aes
Auges 954.
Kohlehydratku ren hei Diabetes 670,
790.
Kohlensäureschnee - Behandlung,
dermato-therapeutische Anzeigen 94.
Köhlerglaube u. Skeptizismus in der
Medizin 695.
Kokain, Beiträge zur Kenntnis der
Nachteile desselben 164.
Kokain Vergiftungen 816.
Kolibazillus, der pathogene, und seine
Beziehungen zum Zentralnervensystem
536.
Kolon, Beziehungen zwischen Entzün¬
dungen desselben und den inneren
Genitalien 1069.
Kometen u. Elektronen 720.
Komplementbindung bei Staphylo¬
kokken und Sarcinen 206.
Komplementbindungsreaktion bei
der Lyssa 111.
Kongreß, 28., für innere Medszin 457,
481.
Kontor-Hygiene 776.
Konzeption, Beziehung über die Men¬
struation und über die Eieinbettung
beim Menschen 236.
Köpfchenkreuzung bei gleichzeitiger
Einstellung von Zwillingen im Bek-
ken: die eine Frucht mit dem Kopf,
die andere mit dem Beckenende 285.
Körperpflege des Kulturmenschen in
gesunden und kranken Tagen 551.
Korsika als Kurort 694.
Köstritzer Schwarzbier, praktische Er¬
fahrungen mit demselben bei der
Darmatonie 70.
Krampfanfälle nach orthopädischen
Operationen 44.
Krankenkost, die 408.
Krankheiten der Pflanzen und ihre
rationelle und wirksame Behandlung
216.
Krankheitsfälle, eigenartige, des
späten Alters 546.
Kreatinin- und Kreatininausscheidung
unter pathologischen Verhältnissen
950.
Krebs und der praktische Arzt 768.
Krebs erkrank ung, die Ursache der424.
Krebsgeschwülste, zur Frage über
die 423.
Krebskranke, innere Behandlung und
Fürsorge 302.
Krebsproblem 700, 729, 758.
Kreislauf und Zwerchfell 641.
Kreislaufphysiologie des Menschen
600. '
Kretinismus, Übertragung vom Men¬
schen auf das Tier 159.
Kilbitald rüsen, fühlbare, bei Kindern,
über die diagnostische Bedeutung
derselben 1002.
Kufeke, Verwendung desselben 1006.
— in der diätetischen Therapie erwach¬
sener Tuberkulöser 742.
Kühlhaltung der Milch im Hause 789
Kuren, seeklimatische, im Kindesalter
625.
Kurpfuscher in Sachsen 310.
L.
La douleur-8ignal, proctfdö, chinique pour
d£limiter Testomac 954.
La lutte contre Epilepsie par la dds-
intoxication et par la reduction ali-
mentaire 1197.
Lähmung des linken Nervus laryn-
gealis recurrens 736.
Lähmungen, spastische, die operative
Behandlung mittels Resektion hinterer
Rückenmarkswurzeln 378.
Laktationsatrophie des Uterus, spe¬
ziell ihre Bedeutung für die Propa¬
ganda des Stillens 431.
L’appendicite et les erreurs de diag-
nostic 1070.
Larynx tuberkulöse, Behandlung
mittels des Cycloform-Anästhesin-
Coryfinsprays 1223.
Läsion des linken Gyrus angularis. 667.
Leber u. Galle in Tausend und eine
Nacht 671.
Leberlues, tertiär fieberhafte, klini¬
scher Verlauf und pathologisch ana¬
tomischer Befund bei zwei Fällen. 426.
Lehrbuch der Magen- und Darmkrank¬
heiten 358, 455.
Leib sch merz, über rechtsseitigen, beim
Weibe 1248.
Leitfaden der Röntgenphysik 216.
Leuchtgas, Gefahren desselben 1223.
Leukämie, Behandlung der 859.
— mit Schädeltumoren bei einem ein¬
jährigen Kinde 715.
Leukozytenstoffe, bakterizide, über
die Wirkungsweise desselben 952.
Lezithin, Beziehungen desselben zum
Tuberkelbazillus und dessen Pro¬
dukten 40.
Liegekuren am Gradierwerk 1150.
Liquor cerebrospinalis. Beiträge zur
Untersuchung mit Berücksichtigung
der /.eiligen Elemente 21.
Liquordruck messung von Epilep¬
tikern 116.
Lochien- und Blutuntersuchungen, bak¬
terielle, Bewertung für die Diagnose
u. Prognose puerperaler Infektionen
477.
Lokalanästhesie im Trigeminusge¬
biet 930.
Lösungsmittel, neues, für Jod 1005.
Lues cerebri und progressive Paralyse
822.
Luft, Verbesserung derselben in den
Wohn räumen 320.
Lumbalanästhesie in der Univer¬
sitäts-Frauenklinik in Leipzig 738.
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URBANA-CHAMPAIGN
XIV
Sachregister.
Lumbalpunktion, über die thera¬
peutische Bedeutung derselben 1248.
— und Serodiagnostik 837.
Lungenembolie, zur Frage der bak¬
teriellen 67.
Lungenentzündung, kruppöse, kli¬
nische Beobachtungen 649.
Lungenkarzinome, primäre 448.
Lungen röntg enogramme, ihre ana¬
tomische Bedeutung und Beziehungen
zur Röntgendiagnostik der Lungen¬
tuberkulose 1056.
Lun gen sch merzen nach Injektionen
von grauem Ol 879.
Lungenspitzenerkrankungen 807.
Lungentuberkulose, ambulante, spe¬
zifische Behandlung derselben 985.
1015.
— Bedeutung des Urochromozens für
die Prognose u. Therapie ders. 1026.
— Behandlung der 570.
— und Menstruation 1050.
— Studien über Komplikation ders. 159.
Lymphapparat der Gelenke 300.
Lymphgefäße des menschlichen Ure¬
ters 782.
Lysol Vergiftung mit Aspiration in die
Luftwege u. konsekutivem —Eiupvem-
Karbolverletzung der Luftwege mit
tödlichem Ausgang 1030.
Magen, Hypermotilität desselben 1047.
— motorische Tätigkeit desselben 710.
Magen-Darmrupturen, Pathogenese
der subkutanen 112.
Magendilatation, akute, und der Ver¬
schluß des Duodenum durch die
Mesenterialwurzel 433.
— zur akuten 1246.
Magengesch wür, chirurgische Behand¬
lung desselben 538.
— das runde 456.
— diätetische Behandlung des runden 928.
— und Lungentuberkulose 1050.
Mageninhalt, prozentualer und abso¬
luter Salzsäuregehalt desselben und
seine Bedeutung für die Funktions-
prüfung des Magens 954.
Magenkrebs 1071.
Magensaft im Hochgebirge 682.
— natürlicher, bei der Serodiagnose der
Syphilis 446.
— psychischer 377.
Magensaftanaphylaxie 472.
Magenschleimhaut, Veränderungen
derselben beim Ulcus ventriculi rotun-
dum 927.
Makrobiotik des Maimonidas 153.
Malariatherapie, moderne 541.
Maltyl, Therapeutisches über 81.
Mammin-Poehl bei llarnblasenblutung
infolge von Papillomen 430.
Mandelentzündung, Therapie der¬
selben 1097.
Manie simple et Psvchose periodiquc
1121.
Männer, große 143.
Marmorekserum bei der Behandlung
der chirurgischen Tuberkulose 450.
Märet in, Warnung vor 863.
Marx'sehe Ragitnährböden und Eudo
Tabletten 111.
Masern, BehandlungmitKalisal petcr 429
Massage und Gymnastik in Schwanger¬
schaft und Wochenbett 1100.
Ma std arm ein gieß un gen, vorläufig«
Notiz über die medizinischen Auwen-
Wendungen 17.
Mastitis acuta des Rindes, bakterio
logische Untersuchungen über derer
Erreger mit besonderer Berücksich
tigung der Beteiligung von sogn
Fleischvergiftungserregern an der Ent
Stellung der Krankheit 39.
— obliterierende 516.
Mechanik und Austritt des kindlichen
Schädels und Dammschutz 68.
Medizin, gerichtliche, und Feuerbestat
tung 576.
— innere 480.
M egal en ze p h u 1 i e 427.
Memoiren einer Besessenen 912.
Meningitis, aseptische 1247.
— cerebrospinalis epidemica 574.
— — und gesunde Keimträger 983.
— — prolongce 594.
— ohne Bazillen 879.
Meningokokken, einfaches Verfahren
zur Züchtung derselben 136.
Menopause, frühzeitige, infolge chirur¬
gischer Intervention 597.
Mensch, der, sein Ursprung und seine
Entwickelung 1152.
Menstruation, vikariierende, aus einen;
exulzerierten Karzinom 257.
Mentho lesther Con ti», überden neuer
309.
Meso tan, zweckmäßige Anwendungs¬
weise desselben 934.
Metalle, kolloidale, und deren pharma¬
kologische Wirkungen 857.
Metatarsalgie 497.
Methoden der Luesdiagnose 1125
— vaginale, in der Geburtshilfe und
Gynäkologie 576.
M ethylenbla ureaktion, Russische
bei Tuberkulose, über den diagnosti¬
schen und prognostischen Wert des¬
selben 1001.
Metrorrhagien nach Ehrlich 307.
Mdtrorrh agies virginales 68.
Mikrobiologie, allgemeine 647.
Milchfermente, Einfluß einiger aul
Vitalität und Virulenz verschiedene]
pathogener Mikroorganismen 660.
Milz, infarktartige Gebilde in derselber
des tuberkulösen Meerschweinchen#
109.
— Veränderungen derselben während dei
Gravidität 542.
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Sachregister.
XV
Mineralstoffe, therapeutische Anwen¬
dung derselben 95.
Mineralwässer, Einatmung der 95.
Miosis mit Pupillenstarre, Beitrag zur
pathologischen Anatomie 19.
Mitralstenose, Differeutialdiagnose
828.
Möller-Barlow’sche Krankheit 286.
Mongolismus 689.
Morbidität im Wochenbett bei vor¬
zeitigem Fruchttod und bei Syphilis
der Mutter 183.
Morbus Basedowii, Behandlung des
666, 838.
Mord aus Suggestion 1076.
Moro’sche Salbenprobe bei der chirur¬
gischen Tuberkulose 451.
M oser’sches Serum 360, damit behan¬
delte Scharlachfälle 666.
Mückenstiche, Verhütung und Be¬
handlung derselben 908.
Mundkrankheiten (Stomatologie) 432.
Muskelgewebe, glattes, Beziehungen
zu dem elastischen Gewebe 353.
Mutationen bei Typhus- und Ruhr¬
bakterien 660.
Mutationstheorie, ihre Bedeutung für
die Pathologie 1031.
Muttermilch, chemische Zusammen¬
setzung 524.
Myom und Glykosurie 184.
Myome, Zusammenhang mit internen
Erkrankungen 46.
Myositis ossificaus nach Traumen 572.
Myrmalyd als Harndesinfizienz, bakte¬
riologische Untersuchungen über die
Wirksamkeit desselben 1074.
N.
Nachgeburtsbehandlung und Kind¬
bettfieber 288.
Nachuntersuchungen bei Personen,
die Vorjahren Typhus durchgemacht
hatten 301.
NahrungsmittelkongreÜ, deutscher
401.
Naphthalinvergiftung, ein tödlich
verlaufener Fall 1151.
Narkolepsie, die 380.
Narkose, die Verursachung und Ver¬
schlimmerung organischer Krank¬
heiten durch dieselbe 1254.
Nase, was leistet die konservative, was
die operative Therapie der eitrigen
Erkrankung der Nebenhöhlen der¬
selben? 529, 533.
Nasenrachenpolypen, fibröse 163.
Nasen.stenose, chronische, Bezie¬
hungen derselben zur Lungentuber¬
kulose 1068.
Nasensteuosen 546.
Natrium hyposulfurosum als Jodab-
waschmittel 624.
Natriumglykocholat als Reagens auf
Syphilis 503.
Natron salicvl. als Munddesinfizienz
647.
— salizylsaures, einige Anwendungen
desselben 646.
Nebennieren - und Ilypopliysistherapie
bei Insuffizienz des Herzens 540.
Nephritis, akute luetische 735.
— hämorrhagische, als Eröffnungssymp¬
tom des Typhus 497.
Nephro- und Nephrektomien, über Ver¬
änderungen des Nebennierenmarkes
66 .
Nerv, degenerierter, Beitrag zum Stu¬
dium der Veränderungen der Reaktion
desselben auf den elektrischen Reiz
1218.
Nervosisme, comment on prövient 358.
Neuralgien, Behandlung derselben
mittels Einspritzungen von Alkohol
in den Nervenstamm 1123.
Neurasthenie 1176.
— der Landbevölkerung 957.
Neuropathologie und Psychiatrie,
klinische, über die Anwendung der
assoziativ-motorischen Reflexe als
objektives Untersuchungsverfahreu
in demselben 1222.
Netzhautal)hebuiigen,experimeutelle
Studien über 2N9.
Netzhautablösung, Ätiologie und
lind Behandlung 333.
Neubildungen, über die von patho¬
genen Hefen und ihren Toxinen er¬
zeugten 424.
Neurochemismus der Hypophyse 811
Neurosen und Blitzschlag 545.
Nierenbecken und Ureter, Darstel¬
lung derselben im Röntgenbilde nach
Sauerstoffüllung 1056.
Nierendekapsulation bei Eklampsie
910.
Nierenentkapselung, erfolglose, bei
puerperaler Eklampsie 766.
Nieren tuberkulöse 780, 783.
Nitritbildung durch Bakterien 206.
Nitroglyzerin 693.
Noma post Dysenteriam mit Ausgang
in Heilung 661.
Non occides 48.
Nova therapeutica 359.
Nystagmus als Wärmereflex vom Ohr
aus 188.
O.
Oberflächensterilisation ganzer Or¬
gane 734.
Obstipation, chronische, Behandlung
durch Paraffineinläufe 519.
Öd em, das, eine experimentelle und
theoretische Untersuchung der Physio¬
logie und Pathologie der Wasser¬
bindung im Organismus 335.
— hei gastrointestinalem Katarrh der
Säuglinge 812.
— renales, Beziehungen zur Arterio¬
sklerose 474.
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XVI
Sachregister.
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Ohr, physiologische Ruhe desselben 931.
Opiumalkaloide, Empfindlichkeit ver¬
schieden alter Tiere gegen dieselben
357.
Opiumalkaloide, Empfindlichkeit ver¬
schieden alterTiere gegen dieselben 693.
Organtherapie 1001.
Orthopädie, Stellung derselben in der
Medizin 982.
Osteomalacie, Wesen und Behandlung
derselben 1170.
Oso phagusstrik tu r, Heilung mit
Fibrolysin 519, 623.
Ösophagus- und Kardiakarzinom 927.
Otorrhöe, chronische und rezidivierende
667.
Otosklerose 816.
O varia 1 hör mo ne als Wachstunis¬
ursachen der Myome 1117.
OvarialSubstanz, klinische Versuche
mit demselben 955.
Ovarial zysten, Punktion derselben
nach den Grundzügen der modernen
Chirurgie 1117.
Ovarialtumore, Rückbildung nach
Blasenmole 161.
Ovarien, die Veränderungen in den¬
selben hei Traubenmole und chorion¬
epitheliomatosen Tumoren 1249.
Ovarienersatz, Wert desselben 1028.
P.
Pankreas, Bedeutung desselben für den
Purinstoffwechsel 711.
— Veränderungen bei Diabetes mel¬
litus 596.
Pankreatin zur Therapie der Tuber¬
kulose 329.
Pan op tose 1146.
Pantopon (Sahli) 527.
Pantopon-Skopolamiu in der Ge¬
burtshilfe 542.
— die Verwendung desselben in der
Geburtshilfe 1254.
Pantopon, Wirkung desselben auf das
Atemzentrum 190.
§ 250, der Ersatz des $ 175, in seinen
eventl. Folgen für das weibliche Ge¬
schlecht 405.
Papillom des Nierenbeckens 1173.
Paraldehydvergiftung 454.
Paralyse, allgemeine regressive 115.
— progressive, die Aussichten einer
therapeutischen Beeinflussung der¬
selben 351.
— progressive, Geschichte derselben 1122.
— progressive, und Tabes dorsalis, der
Infektionsort derselben 161.
— — therapeutische Beeinflussung 574.
— traumatische 418.
Paralysie g^ndrale conjugale 620.
— infantile et la Mlningite cerebrospi¬
nale 573.
Paralysis agitans im jugendlichen Alter
502.
— progr., Prognose und Therapie 501.
Parotitis, gonorrhoische 734.
Pathog^me et traitement de Pöpilepsie.
Eclampsie et urtSmie 1075.
Pathogenese der Hauttuberkulose 515.
— des septischen Abortes 285.
— und Therapie der Delirien beim
Abdominaltyphus 1248.
— — de l’hysterie 1075.
Pathologie des Zwergfells 624.
— und Therapie der Syphilis 781.
Pavor nocturnus, über die Natur des 185.
Pechblende, von der, zum reinen
Radium 215.
Pellagra, experimentelle Beiträge zur
Erkenntnis der Ätiologie derselben 235.
Pel lagraforsch ungeu, neue 283.
Pemphigus syphiliticus der Neuge¬
borenen 524.
— der Tropengegenden, ätiologische
Untersuchungen 447.
Perhydrol 934.
Pergenol-Mundpastillen, Erfahrungen
über die Verwendung derselben 64.
Perikarditis, exsudative und adhäsive
642.
Peritonitis, die pharmakologischen
Grundlagen für eine intravenöse
Adrenalintherapie hei derselben 1246.
Pest in Bombay, Kampf gegen die 475.
-- zur klinischen Kenntnis derselben 42.
Pestserum, der Glaube an das 735.
Pertussis und spasmophile Diathese716.
Pf an ne ns tiel’scher Faszienquerschnitt
737.
Phagozyten, Vorkommen derselben in
Lymphknötchen hei der Wurmfortsatz-
entzündung 445.
Phenolphthalein kann Diazoreaktion
Vortäuschen 1053.
Phlebitis, eine neue Therapie der 234.
Phosphorbehandlung der Migräne
930.
Phosphorvergiftung, chemische Ver¬
änderungen innerhalb der Leber 550.
Physiologie des neugeborenen Kindes
185, 452, 453.
Pigment, lipoides, der Nervenzellen;
Untersuchungen über dasselbe 305.
Pigmenterythrozytose der Zerebro¬
spinalflüssigkeit 399.
Pinzette, neue, für Objektträger und
Deckgläser 137.
Pirquet’sehe Reaktion 182.
— — Bedeutung derselben für die Diag¬
nose der Tuberkulose 248.
Pituitrin, therapeutische Anwendung
derselben mit besonderer Berück¬
sichtigung seiner blutsteigernden
Komponente 1104.
Placenta praevia in der Praxis 736.
— — kritische Beurteilung der gegen¬
wärtigen Ansichten über dieselbe 302.
-und Hysterotomia vaginalis anterior
237.
-Therapie, der gegenwärtige Stand
der 577.
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Sachregister.
XVII
Plasmazellen, Verhalten dieser und
der Gefäße in den Lymphdrüsen nach
Durchschneiden der Nerven 352.
Pleuritis, interlobäre, exsudative 264.
Pneumonie, akute, Behandlung der¬
selben 641.
— oderBronchopneumonie der Greise 570.
Pneumopesßar für Hämorrhoiden und
Analprolapse 519.
Pnigodin 816.
Pockendiagnose 1114.
Pockenepidemie im 20. Jahrhundert
474.
Podophyllotoxin bei chronischer Ob¬
stipation und bei Autointoxikation 527.
Poliomyelitis, akute, und Poly¬
neuritis 355.
Poivnukleose des Liquor cerebrospin.
526.
Polyzythämie, Wesen der Augenver¬
änderungen bei dereelbeu 1025.
Portiozange, eine, mit abnehmbaren
Handgriffen 737.
Portorose in Istrien 383.
Postoperative Leiden im Sommer 1255.
Post- partum - Blutungen, Behandlung
durch künstliche Blutleere der unteren
Körperhälfte nach Momburg 303.
Pott’sehe Krankheit an einer ägyptischen
Mumie 744.
Präparat, neues, zur Behandlung der
Skrophulose und chirurgischen Tuber¬
kulose 753.
Präzipitindiagnose beiMilzbrand 641.
P r i m a 1, ein neues unschädliches Präparat
zum Färben von Haaren 1054.
Primäraffekt, seltener Sitz desselben
1004.
Prinzipien der intranasalen Chirurgie
400.
Prodromalerscheinugen der puer¬
peralen und postoperativen Thrombose
und Embolie 713.
Prolapsoperetion, Bemerkungen zu
521.
Prophylaxe, antigonorrhoische 884.
Prostadadehnung, wirksame, bei
Hypertrophie 113.
Prostatahypertrophie 1149.
— rezidivierende, nach Prostatektomie
382.
Prozeduren, hydrotherapeutische, Ge¬
fahren derselben für den Säugling 548.
Pruritus vulvae und andere Sakral¬
neurosen, über die neue Behandlungs¬
methode derselben 1117.
Pseudoleukämie und Tuberkulose
1146.
Psychanalyse Freud’s 551.
Psychiater, Mitwirkung bei der Für¬
sorgeerziehung 665.
Psychologie des einzigen und Lieblings¬
kindes 601,
— Wiener 1101.
Psychoneurose und Diabetes insi-
pidus 305.
Puerperalerkrankungen 956.
Puerperalfieber, Entstehung und
Verhütung 114.
Puerperalpsychosen 62, 575, 1119.
— Beitrag zur Statistik und Klinik 1119.
Pulsationen in den peripherischen
Venen 736.
Papille in Gesundheit und Krankheit
786.
Pupillen, Verhalten derselben bei der
akuten Alkoholintoxikation 525.
Pupillenanomalien bei Alkoholisten
525.
Purgenintoxikation 743.
Purine, Entstehung beim Stoffwechsel
im aktiven Protoplasma 232.
Purpura hämorrhagica nach Fibro-
lysininjektionen 1247.
Pyelonephritis gravidarum 1073.
— zur Beurteilung derselben bei
Schwangeren 1249.
Pylorusstenose, angeborene, der
Säuglinge 573.
— narbige, über die nichtoperative Be¬
handlung derselben 426.
Pyrenol, Erfahrungen mit demselben.
Q.
Quecksilberbehandlung, ältere und
neuere Methoden 141.
Quecksilberinhalationen 1052.
Quelques Cas de Grossesse inter¬
stitielle 1250.
Querlage, verschleppte, Behandlung
mittels der Rhachiotomie 114.
R.
Rachianästhesie, allgemeine 685.
Rachitis, die Therapie der 193«
Rachistovainisation 781.
Radioaktivität 672.
Radioskopie und Frühdiagnose der
Lungentuberkulose 1198.
Radiotherapie der tuberkulösen Lym¬
phome 475.
Rad i u m in der Biologie und Medizin 432.
Radiumemanation, Aufnahme bei
verschiedenen A n wen dungsformen 215.
— biologische Wirkung derselben 695.
Radiumemanationskur, wesentlich
gebesserter Fall von Sklerodermie 790.
Radiumnormalraaße 744.
Radiugbruches, Behandlung des typi¬
schen 572.
Radiusreflex, normaler und anormaler
454.
Ranula, zur Behandlung derselben und
anderer zystischer Geschwülste 1245.
Rassenphysiologie und Rassenpatho¬
logie 696.
Rattensarkom, experimentelle Unter¬
suchungen 907.
Reagenzgläser, violette, zur Eiwei߬
reaktion 1007.
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Sachregister.
Reaktion des Harnes bei Paralyse mit
Liquor Bellostii 398.
— ungewöhnlich starke, bei einem alten
Epilepsiefall 621.
Reaktionen, mikrochemische, auf Blut
und Sperma 661.
Reinfectio syphilitica, ein sichern Fall
eines mit Salvarsan behandelten Pa¬
tienten 1126.
Resektion oder Exstirpation des
Kropfes 648.
Resistenz und Überempfindlichkeit des
Tierkörpers gegenüber chemischen
Agentien 518.
Retentio mensium 836.
Retroflexio Uteri, Behandlung der¬
selben 1105, 1139.
Rezidive nach Adenotomie 279.
Rheumatismus,chronischer,elek t rische
Licht- und Wärmestrahlen bei dem¬
selben 1006.
— moderne Behandlung desselben 234.
— und Gicht 1098.
Rhino - und Otologie, die moderne zahn¬
ärztliche Diagnostik im Dienste der¬
selben 210.
Rhinophym, Behandlung desselben 382.
ltiber, ein neues Eiweißpräparat 167.
Riesen zellen, Vorkommen in amyboi-
den Organen und die Beziehungen
zwischen dem ischämischen Infarkt
und der Amyloidose 326.
Ringer- und Kochsalzlösung, Wirkung
derselben auf den Kreislauf 537.
Rivaltaprobe, Bedeutung derselben für
die Unterscheidung der Exsudate und
der Transsudate 396.
Rizinusöl, über die Unbrauchbarkeit
desselben als Abführmittel bei Phos¬
phorvergiftungen 309.
Romanowsky- Färbung, A pparat zu r 806.
Iiöntgenbehandl ungder Hypophysen¬
tumoren 930.
Röntgenprimürerythein 885.
R ö n t g e n t e c h n i k, mode rne, V erk ü rzu ng
der Expositionszeiten 455.
Röntgentherapie bei Lidkarzinomen
621.
— der Uterusmyome 665.
Ro tax-Typ D 360.
Rotz beim Menschen 497.
Rückgratsverkrümmung, Beziehung
zur Schule 139.
Rückenmarkserkrankungen, die
chirurgische Therapie derselben 241.
Rückwärtslagerung der Gebärmutter I
in der Tätigkeit des Hausarztes 499.
Sackniere, über; perinephritische und
intranephritische, subkapsuläre Zysten
bei deii Haustieren 300.
Sakralanästhesie in der Geburtshilfe
und Gynäkologie 835.
Salipyrin „Riedel“ 7l<s. [
Salizyl, endermatischer Einfluß des¬
selben auf rheumatische ASektionen
unter besonderer Berücksichtigrung
des Spirosals 142.
Salvarsan bei Malaria 780.
— Heilwirkung bei der Lues des Kindes¬
alters 932.
— praktische Bedeutung für die Syphilis¬
therapie.
— Wirkung desselben auf das Auge 767.
Sal varsanbehandlung bei Nerven¬
krankheiten 644.
Sal varsan lös ungen, saure, deren
giftige Wirkung 739.
Sal varsan therapie 1125.
— der heutige Standpunkt in derselben
10S1.
— der Syphilis 692.
die, Rückblicke und Ausblicke 356.
Salz- und Zuckerfieber 280.
Sauerstoff injek t innen, subkutane
1006.
Saugbehandlung bei Erkrankungen
der Nebenhöhlen der Nase 69.
Säuglinge, gesunde und kranke, Er¬
folge der Anstaltspflege 93.
— Höhenkulturen für dieselben 1002.
Säuglingsekzeme, Höhenkultur hei
denselben 1002.
Säuglingsernährung 576, 912.
— Bedeutung der Konstitution für die¬
selbe 1224.
— neuere Methoden der künstlichen
149, 176.
Säuglingsfürsorge und Kinderechutz
in England und Schottland 912.
— und Wohnungsfrage 862.
Säuglingsorganismus, Einfluß der
der Hitze auf denselben 451.
Salierstoffheil verfahren und seine
Indikationen 887.
Sauerstoff i njek t ionen bei Asphyxie
784.
Scoliosis bysterica 544.
Seefahren als Kuren 252.
Seeklima und Kinderkrankheiten 1124.
— und das kranke Kind 240.
— und seine Kurmittel, Wirkung auf
Gesunde und Kranke 960.
Sehnen Operation 409.
Sehnervenatrophie, tahische 544, 931.
Selbstinfektion in der Geburtshilfe
1100.
— puerperale 258.
Selbstmorde in Deutschland.
Sensibilität im Rückenmark 21.
Sepsis, peritoneale, Ätiologie derselben
bei nicht den Darm perforierenden
Verletzungen 606.
S erg ent, la ligue blanche de 955.
Serotlierapie, ketzerische Gedanken
über dieselbe 1032.
Serum, normales, antichämolytische
Eigenschaften desselben 327, 540.
Sern tnbehandl ung des Scharlach« 714.
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Sachregister.
XIX
Serum dosen, größere, bei Diphtherie
715.
Serumtherapie, die, vor dem Congrös
fran^ais de Mödicine 254.
Sigmoideum, Volvulus desselben und
die Hirschsprung’sche Krankheit 1051.
Silberdrahtnetze zum Verschluß von
ßruchpforten 663.
Skapular-Knacken 877.
Sklerose, tuberöse, und gleichzeitige
multiple Nierengeschwülste 325.
Soda, kaustisches, als Ätzmittel in der
Dermatologie 1150.
Somatose, über 741.
Sonnenkuren bei chirurgischer Tuber¬
kulose 379.
Sophol gegen Ophthalmoblenorrböea
neonatorum 185.
Sotopan bei Lungenkrankheiten 1135.
Speichelzysten der Parotis 140.
Sphygmobolometrie oder energetisc h e
Pulsdiagnostik 570.
Spinalflüssigkeit bei Syphilis ohne
Nervensymptome 867.
Spinalinjektion 781.
— Todesfall nach einer 781.
Spinalmeningitis, zur Diskussion über
die 238.
Spirochaeta pallida, eine einfache
Methode zur Darstellung derselben 136
Spirochäten bei Lungengangrän und
ulzerierendem Karzinom 907.
in den oberen Luft- und Verdauungs¬
wegen 424.
Spienomegalia cum cirrhosi hepatis
atrophica 476.
Sputumbeseitigung in offenen Kur¬
orten 1244.
Substanzen, wirksame in Uterus und
Ovarium 836.
Superfoetatio, vorgetäuschte 46.
Sympathikus und Erkrankungen der
Luftwege 89.
Symptomatologie der Mitralstenose
301.
Symptomen komplex, katatoner 811.
— Vorkommen des paranoischen, bei
progressiver Paralyse 332.
Syndromes pluriglandulaires 1168.
Syphilis, Alter derselben 1125.
— als Erblindungsursache bei jugend¬
lichen Individuen 905.
— Behandlung mit Ehrlich - Hata 606
1, 381.
— des Herzens und der Aorta 1113.
— des Magens 377.
— hereditäre 739.
— interne Behandlung derselben, beson¬
ders mit Hg-Glidine 992.
— maligna 212.
— tertiäre, Behandlung mittels Jodipin
932.
— und antisyphilische Therapie, Be¬
ziehungen zum Gehörorgan 815.
— und Geisteskrankheit 785.
— und Tuberkulose 596.
Syphilis, viszerale, hei Kindern 715.
Syphiliserreger, Erkennung desselben
auf dem Wege der Züchtung der
Spirochaete pallida 788.
— Züchtung und Färbung 814.
Sch.
Schädel - Basisfrakturen, Behandlung
mit wiederholten Lumbalpunktionen
450.
— kindlicher, willkürliche Beeinflussung
der Form desselben 522.
Schanker, versteckter 503.
Scharlach, Beiträge zur Kennfnis des¬
selben 286.
— Diagnose 813.
Diagnose und häusliche Behandlung
209.
— ein neues Zeichen 93.
— und dessen Weiterverbreitung 429.
Scharlachfieber, Kontagiosität des¬
selben 93.
Scharl ach fragen N89.
Scharlachimmunität, zur Frage der
286.
Scharl ach tliv reo iditis 716.
Scheide, Eindringen von Badewasserin
dieselbe 258.
Scheide ngewölbe, mehrmalige Zer¬
reißung desselben während der Geburt
115.
Schenkelphlegmone im Wochenbett,
kasuistischer Beitrag 303.
Schief hals, angeborener, und seine Be¬
handlung 684.
Schielbehandlung, unblutige, gegen¬
wärtiger Stand derselben 1077.
Schilddrüse, experimentelle Studie
über die Funktion derselben und der
parathyreoidalen Epithelkörperchen
254.
— Physiologie und Pathologie 571.
Schilddrüsenpreßsaft, Einfluß des¬
selben auf die Blutgerinnung 1118.
Schiötz’ßche Tonometer, das, ein neues
Instrument zur Messung intraokularen
Druckes 361.
Schlafen 1127.
Schlafkrankheit in Togo 430.
Schlafmittel kombinationen 1103.
Schlafstörungen, motorische 354.
Schlangenbisse 743.
Schluchzen 719.
Schmerzen, appendikul&re u. renale 496.
Sch merz 1 indem ng hei normalen Ge¬
burten 551.
Schmerzphfinomene bei inneren
Krankheiten, ihre Pathogenese und
Diffcrentiadialgnose 144.
Schnupfen, gegen 719.
Schnupfenbehandlung mit Gorvfin
142
Schreck, Bedeutung desselben für die
Enstehung von Nerven- und Geistes¬
krankheiten 398.
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XX Sachregister.
Schulte rgelenksluxationcn, neues
einfaches, schonendes Verfahren der
Reposition 929.
Schutz gegen unerwünschte Wirkungen ,
des Sonnenlichtes auf die Haut 988.
Schwachsinnige, ihre öffentliche Stel¬
lung und ihr Einfluß auf die Zukunft
der Rasse 574.
Schwangerschaft, Diätetik derselben
1072.
— Geburt und Wochenbett, Einfluß der- 1
selben auf den Verlauf einer vorher
schon bestehenden chron. Psychose
355.
— unbewußte 235.
— und Tuberkulin 1100.
Schwangerschaftsdiabetes, Beitrag
zur Kenntnis derselben 1100.
Schwangerschaftstoxikosen 765.
Schwangerschaftsunterbrechung
bei perniziöser Anämie 0.
Schwefelreaktion im Harne Krebs¬
kranker 858.
Schwerhörigkeit, Prophylaxe bei
Schülern 211.
— undWa8sermann’scheSeroreaktion716.
St.
Staphylohämotoxin, Darstellung des¬
selben 952.
Staphylokokkenaepsis, eine mit
Antistreptokokkenserura erfolgreich
behandelte 206.
Sterben, das frühzeitige, zahlreicher
Kinder einer Familie 452.
— von Aquarienfischen durch Einwande¬
rung von Cercaria fissicanda La Val
HO.
Sterilisation und aseptische Aufbe¬
wahrung gewobener Katheter 815.
— des Weibes 960.
Sterilisierung der Frau durch Rönt¬
genstrahlen 183.
— — über dieselbe 1250.
— temporäre, der Frau 160.
— von Geisteskranken und Blödsinnigen
398.
Stickoxydulsauerstoffnarkose, ein
Verfahren zur 184.
Stillen der Wöchnerinnen 1072.
Stillfähigkeit der Frau während der
ersten Monate nach der Entbindung
1073.
Stimmbandpapillom und Tuberku¬
lose 1067.
Stimmlippenk nötchen, Behandlung
derselben 211.
Stoffw'echselstörungen bei nervösen
Erkrankungen 829.
Stoff wechselversuche mit Albulaktin
bei künstlich genährten Säuglingen
1124.
Stopf- und Abführmittel 404.
Störung, geistige, nach Influenza 115.
Störungen an den Augen bei Frauen
401.
Strafe und Verbrechen 216.
Stranghaken, ein neuer 1254.
Streptokokken, hämolytische, Art¬
unterscheidung mittels Lezithinbouil¬
lon 88.
Stridor laryngis et tracheae 546.
Striktur der Urethra 814.
Ströme, elektrische, die Ursache der
therapeutischen Wirkung derselben
166.
Strumitis auf luetischer Basis, zwei
Fälle 1098.
Strychnin bei Pneumonie und Broncho¬
pneumonie 878.
Studien, humanistische, vor dem fran¬
zösischen Senat 1128.
— mikroskopische und experimentelle,
über die Fundorte der v. Prowazek-
Hai berstädter’schen Körperchen 627.
— psychologische, über H. Poincarö 543.
— über die im Darm der Stubenfliege,
Musca domestica, vorkoinmenden pro-
tozoären Gebilde 447.
— über Genie und Entartung 240.
Stuhlproben, Untersuchung auf
Typhus- und Paratvphusbazillen 327.
T.
Tagesfragen gynäkologische. — Tuber¬
kulose uud Schwangerschaft 1220.
— Röntgentherapie 1198.
Talgdrüsen, über Rückbildung.
Tampon, medikamentöser, für die
Gynäkologie 738.
Taschenbuch der Krankenpflege für
Krankenpflegesehulen, für Arzte und
deren Familie 240.
— therapeutisches, der Harnkrankheiten,
einschl. der Erkrankungen beim Weibe
uud Kinde 263.
— therapeutisches, für die Kinderpraxis
551.
Technik, der intravenösen Injektion
größerer Flüssigkeitsmengen 499.
Temperatur zwischen Hautu. Kleidung
118.
Tetanusheilsera. Untersuchungen der¬
selben mit Hilfe von Immunität.s-
reaktionen und Tierversuchen 733
Tetrapolgemische, Desinfektions ver¬
suche mit demselben 1074.
Theophyllin, über leichtlösliche Ver¬
bindungen desselben 164.
Therapeutique usuelledupraticien9G0.
Therapie der Geisteskrankheiten für
praktische und Nervenärzte 406.
— der Hämophilie 497.
— der Leukämie 793, 817.
— der Orbitalentzündungen 865.
— psychische 380.
Thrombose der Koronararterien de»
Herzens 41.
— und Embolie, die puerperale und post-
operative 1252.
Thyresol 143.
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Sachregister.
XXI
Tod, plötzlicher, Ursache desselben bei
intravenöser Injektion artfremder
Blutkörper 110.
Todesfälle nach Salvarsaninjektionen
bei Herz- und Gefäßkrankheiten 1027.
Toxizität, sogenannte, derCestoden472.
Tracheobranchoskopie und Öso¬
phagoskopie 718.
Trachom, Therapie des 546.
— und Fillikularkatarrh, Behandlung
desselben mit Quarzlicht 1077.
Trachomkörperchen im trachomatösen
Augensack 308.
Traitement de la fifcvre typhoide 1169.
-tuberculose par l’iodementhol-radio-
active 1069.
— — Pinsomnie 644.
— de la tuberculose pulmonaire 878.
— le, des Cancers inoperables du Col de
V Uterus et du Vagin par TUtilisation
massive du Rayonnement ultra-penö-
trant du Radium 45.
— du tabes par l’ars^nobenzol 909.
— de la ltötroversion de l’Utörus gravide
par la Position ddclive prolong£e 1250.
Trepanationen, erfolgreiche, ohne Be¬
fund 684. .. -
Trichinen, Übertragung auf das Schwein
136.
Trommelfell, künstliches, Wirkung
desselben 400.
Trophon neu rose, seltene 883.
Trypanosoma gambiense, experimen¬
telle Beiträge zu deren Infektion und
zur Heilung der menschlichen Try-
panosomiasis 301.
Tubenschwangerschaft der frühen
Monate, Grundsätze und Erfahrungen
in der Behandlung derselben 236.
Tuberkelbazillen, latente, in den
intramuskulären Lymphdrüsen gene¬
ralisiert tuberkululöser Rinder 539.
Tuberkelbazillennachweis in den
Fäzes 878.
Tuberkelbazillus, Einwirkung von
Organen auf denselben 136, 302.
— Methoden der Färbung desselben 907.
Tuberkulinanaphylaxie bei Meer¬
schweinchen 734.
Tuberkulin bei Lungentuberkulose 780.
Tuberkulinbehandlung, ambulante,
durch den praktischen Arzt 515.
— Fortschritte der 569.
— in der Hand des praktischen Arztes
1067.
Tuberkulindiagnostik, -therapie und
-prophylaxe in der ambulanten Praxis
449.
Tuberkulinproben bei Tuberkulose
641.
Tuberkulinreaktion des Auges und
ihre Gefahren 1078.
Tuberkulose als ätiologischer Faktor
bei Psychosen 20.
— bei Greisen 397, 877.
Tuberkulose, Behandlung derselben
durch neuere Medikamente und Lehr¬
mittel 1049.
— Behandlung mit menschlichem Serum
207.
— Anaphylaxie bei derselben 207.
— und seröse Gelenkentzündung 208.
— Bekämpfung der Schwäche und
Kachexie bei derselben 1069.
— Beobachtungen derselben auf dem
Gebiete der medikamentösen Therapie
1049.
— experimentelle Übertragung derselben
vom Menschen auf das Rind 923.
— Immunisierung und ihre Serumbe¬
handlung 1001.
— die* Therapie derselben vor dem
französischen Internistenkongreß 67.
— Häufigkeit im Kindesalter 665.
— der Mesresfische 806.
— in der Sprechstunde 615.
— kongenitale Übertragung 46.
— orthotische Albuminurie bei derselben
1026.
— spezifische Diagnostik derselben 808.
— Stillstand und Fortschreiten der 877.
— und Tuberkulintherapie im Säuglings¬
und frühen Kindesalter 438.
— zellige Blutelemente in derselben 1000.
Tuberkuloseerreger der Kaltblüter
660.
Tuberkuloseprophylaxe 1001.
Tumoren, maligne, neuere serologische
Methoden zur Diagnose derselben 1152.
Typhlatonie und verwaudte Zustände
1051.
Typhus abdominalis, Behandlung des¬
selben mit Heilserum 1114.
— -Coli-Dysenteriebakterien 805.
— Einläufe von Olivenöl u. Terpentin 42.
— -Pneumonie und Typhus-Pleuritis 450.
— und Paratyphusdiagnostikum 763.
— -Schutzimpfung 764.
Typhusbazillen, Nachweis derselben
im Blute durch Anreicherung im
Wasser 301.
Typhuskomplikationen, entfernte
chirurgische 1099.
Typhusbazillenträger, chirurgische
Behandlung derselben 571.
Typhusstamm, atypischer 762.
Typhusträger, zur Frage der gesunden
426.
U.
Überempfindlichkeit, die Verwen¬
dung derselben zur Diagnose des
Rotzes 424.
Überernährung als ätiologischer Fak¬
tor der Dyspepsie 377.
Ulcus cornae serpens, Behandlung des¬
selben 265.
— cruris varicosum, operative Behand¬
lung desselben 283.
— molle, Behandlung mit Pyozyanase 118.
— ventriculi und seine Folgezustände 928.
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xxrr
»Sachregister.
Uintaufung des Malta-Fiebers 619.
Unruhe, Behandlung derselben durch
die Wiege 116.
Unterdrückung der Persönlichkeit 375. (
Unterricht, p&ychiatrichcr, der Studen¬
ten und Arzte und die Verhütung von
Geisteskrankheiten 186.
Unterschenkelgeschwüre 744, 781.
Unterschied zwischen Kl Tor- und
Choleravibrionen 472.
Untersuchung der Wässer auf Typhus- i
bazillen 762.
Untersuchu n gen, bakteriologische, des
Blutes von keuchhustenkranken Kin- ,
dein und von mit Keuchhusten infi¬
zierten Tieren 326.
— von rohem Hackfleisch 640.
— — über die Ätiologie des „Sommer-
fiebers^ 475.
experimentell-vergleichende, über den
klinischen Wert der neueren Magen¬
fermentproben und die Wesenseiuheit
von Lab und Pepsin 425.
— experimentelle, über den Einfluß von
Typhusexsudaten auf den Kreislauf
538.
— — über die Beeinflussung der Kreis¬
lauforgane und der Atmung durch das
Salvarsan 395.
— vergleichende, über die Ausscheidungs-
Verhältnisse stomachal zugeführten
anorganisch und organisch gebundenen
Jodes beim Menschen 261.
— vergleichend rhino-otolologische, an
normalen u. Schwachbegabten Schul¬
kindern 69.
— von Rekruten auf Typbusbazillen¬
träger 7H4.
— über den Eisenstoffwechsel 617.
Urethra perinealis, Ersatz durch
Scheidenschleimhaut 189.
Urin, Beziehungen zu Gehirn- und
Nervenk ran kh eiten 767.
— und Kotinkontinenz im Kindesalter
381.
Uterus und Ovarien 596.
— Fremdkörper in demselben als Mittel
zur Verhütung der Konzeption 956.
— Lokalanästhesie desselben 1118.
U t e r us g e f ä ß e, Gestationsveriinde-
rungen 1170.
Uterustonika, zur Pharmakologie und
klinischen Dignität derselben 1254.
V.
Vagina, Ersatz derselben bei voll¬
kommen Defekt desselben 1118.
Vaginismus 598
Vakzinevirus, Untersuchungen über
dasselbe 110.
Vaporin-Behandlung, über 870.
Vasotonin, Erfahrungen mit 548.
— Wirkung desselben auf die Blut¬
zirkulation im menschlichen Gehirn
356.
Veränderungen der hämo-leukozy-
tären Formel unter dein Einfluß des
Ehrlieh’sehen Präparats 502.
im Chromaffinsystem bei unaufge¬
klärten postoperativen Todesfällen
516.
Verbände, sparsame, vereinfachtes
Verbinden 380.
Verbildungen, körperliche, im Kimles¬
alter und ihre Verhütung 264.
Verbrechen, Zunahme derselben 1007.
Verbrennung, zur Kasuistik der lo¬
kalen und allgemeinen Veränderungen
beim Tode durch 87.
Verdau u ngstra k t, oberer, Wichtigkeit
der Fadenimprägnationsprobe für die
Erkennung von Geschwüren in dem¬
selben 981.
Verengerungen des Colon descendens
im Bezirk des Beckens 378.
Vererbung zur Disposition zur Lungen¬
tuberkulose 779.
Vergiftungen mit Sublimat, die im
deutschen Reiche während der Jahre
1897 bis 1905 amtlich gemeldeten 301.
V e rg i f tu n gs versuch mit Bromural
504
Verimpfbarkeit des Ulcus venereum
auf die Hornhaut 447.
Verletzungen des Darms und des
Mesenteriums, zur Behandlung der¬
selben, speziell der Flexura sigmoidea,
bei geburtshilflich - gynäkologischen
Operationen 1251.
Verona!, sodhpie en Neurobiologie 1054.
Veronal natrium, einige Versuche mit
demselben im Vergleich zu der Wir¬
kung von Methvlsulfonal und Sulfo-
nal bei erregten Geisteskranken 287.
Veronal Vergiftung, ein Fall von 168.
Versammlung, 40., der Deutschen Ge¬
sellschaft für Chirurgie 5S7, 608,
Versuche, hämolytische, 806.
Verwertbarkeit, klinische, von tief
ahgebautem Eiweiß 858.
Vorfall der Nachgeburt 1101.
Vorlesungen über Infektion und Im¬
munität 527.
Vortrag 65.
im Verein Deutscher Arzte in Prag-
299, 324.
Vorträge und Demonstrationen 925.
— wissenschaftliche 720.
Virulenzbestimmung der Strepto¬
kokken mittels Lezithinbouillon 282.
.Vitasal“, Dauerumschlag mit Luft¬
abschluß 312.
W.
Wandern einer Getreidegranne durch
die Tube in die Paukenhöhle 690.
Wanderniere, ungewöhnliche dunkle
Symptome derselben 809.
Wandertrieb bei phychopathiechen
Kindern 22.
Wandlungen in der Medizin.
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Sachregister.
X X111
Wärmemessung der trinkfertigen Säug¬
lingsnahrung, physiologische 1124.
W ä r m e a t r a h 1 e n, V erwend ung der¬
selben 1151.
Warnung vor Maretin 959.
Wasserbefund gelegentlich der letzten
Typhusepidemie in Prag 393.
Wassergehalt des Blutes und sein
Verhalten bei den Ernährungsstö¬
rungen der Säuglinge 453.
Wassermann’sehe Luesreaktion, die
bisherigen Ergebnisse für die Praxis
212.
— Reaktion 189, 605.
-atypischer Ausfall bei pathologisch¬
anatomisch sicherer Paralyse 332.
— — Bedeutung für die Psychiatrie 332.
— — und Krebs 1151.
— — bei Typhus und Lepra 473.
— — bei Neugeborenen 687.
— — in der Psychiatrie und Neurologie,
mit besonderer Berücksichtigung der
Paralyse, Tabes und Lues cerepro-
spinalis 22.
— — in der Sprechstunde 121.
— — vereinfachte, und der praktische
Arzt 692.
— — bei Syphilis 884.
— — Zweifel an derselben 1125.
Wasserstoffsuperoxyd, Applikation
in Salbenform 911.
Weingeist - Enthaltsamkeit in der
Jugenderziehung 419.
Werthein - Schauta’sche Prolapsopera¬
tion 18.
Wetterfühlen, das 838.
Widerstand, verschiedener, der Ge¬
schlechter gegen Entartung 238.
Wied erb eie b ung durch Luftzufuhr 400.
Wiener Brief 130, 294, 467, 636, S00,
1163.
Wirkungsweise einiger Diuretika 287.
Wöchnerinnen, Frühaufstehen der¬
selben 1171.
— über das Frühaufstehen derselben
1251.
Wohnungsfrage und Staat 1199.
Wucherungen, endoneurale 108.
Wundinfektion mit Bact.aerogens 378.
Wurmgeschwulst, durch Filaria vol-
vulus erzeugte 540.
Y.
Yohimbin (Spiegel), eine bisher unbe¬
achtete Verwendung desselben 1055.
Z.
Zählkammer für Leukozytenzählung
907.
Zahnheilkunde für Ärzte, Grundzüge
derselben 1009, 1041.
Zahnkaris 955.
Zahnretentionen, Differential - Dia¬
gnose 119.
Zeitschrift, eine neue französische 144.
Zellmast, die, in Theorie und Praxis 322.
Zentralblatt für Psychoanalyse 384.
Zeugung, die, beim Menschen 288.
Zinkperhvdrol und seine Anwendung
in der Wundtherapie 36.
Zucht- und Tollhaus in Celle 545.
Zuckerausscheidung, Herabsetzung
derselben durch Mineralwasser heim
experimentellen und menschlischen
Diabetes 1150.
Zuckerharnruhr, Behandlung der 619.
Zunahme der Geisteskranken? 785.
Zur Frage über den Erreger der echten
und Schutzpocken 432.
Zustände, psychasthenischo 454.
Zwergfel 1 ref lex 1148.
Zyanose, ein Fall von enterogener 1245.
Zykloform 693.
Zy tolyse im Liquor cerebro-spinalis 644
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Original frorn
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II. Autorenregister.
(Die fettgedruckten Zahlen bedeuten Originalbeiträge.)
A.
Abelmann 42.
Abrahams 672.
Abramowski 385.
Ahlfeld 288.
v. Aichbergen 159.
Aksenow 666.
Alger 786.
Alexander 807.
Altdamm 334.
Altmann u. Blühdorn 206.
Alzheimer 546.
Amann 1118.
Amersbach 184.
Andernach 21.
Anges 912.
Anufrien 542.
Anton 1222.
Aoki 110.
Apostolides 450.
Arendt 1078.
Arnheim 907.
Arnold 42.
Ascoli 641.
Asch 92.
Aschenheim 687.
Ashby 812.
Aubry 115.
Audebert u. Maurel 118.
Aulhorn 257, 1254.
Austerlitz 498.
Avellis 814.
Awerinzew 423.
Axh&usen 241«
Axtell 235.
B.
Bab 741.
Babinski 454.
Bach 694.
Baedeker 870.
Baertlein 958.
Baginsky 399, 1124.
Bafley 736.
Baisch 524.
Baneth 153.
Baränyi 400.
Baravalle 935.
Bar u. Devraigne 1100.
Bardachzi 665.
Bardachzi u. Klausner 141.
Bardet 644.
Barker 683.
Barlocco 382.
Barth 780.
Bartel u. Herrmann 685.
Bartel, Einängler u. Kollert
239.
Barton 43.
Bartel, Neumannn und
Leimsner 136, 802.
Basset 1101.
Bauer 545, 716, 816.
Bäumer 141.
Baumgarten 142.
Bauereisen 782, 783.
Baumann 309.
Bayer 113.
Bayer u. Peter 811.
Bayeux 682.
Beck 301, 687, 719.
Becker 73, 103, 406, 454,
621, 1104.
Behr 1025.
Bechterew 1222.
Beisele 398.
Belb^ze 957.
Beldau 744.
Belletrud u. Froissard 1222.
y. Benczür 790.
Benedikt 1098.
Bernheim 616.
Bernheim u.Dieupart 1069.
Bernert 642.
Bertarelli u. Parankos 447.
Besanson u. Weil 518.
Betegh 660, 806.
Bettmann 260.
Beyer 40.
Bezancon u. Philibert 953.
Bialokur 448.
Bier 887.
Bilfinger 780.
Bingel 280.
Bircher 1054.
Birch-Hirschfeld 289, 865.
Birk 185.
Birk u. Edelstein 453.
Birk u. Orgler 453.
Birnbaum 736.
Bittorf 496.
Bland-Sutton 1248.
Blegvad 117.
Bleuler 551.
Blochmann 110.
Bloch 309.
Blumenfeld 140.
Blümel 248, 515,985,1015.
Blumenthal 302.
Bios 209.
Boas 311.
Boas u. Lind 767.
Bockay 165.
Bockhart 787.
Bockhorn 960.
Boecker 448.
v. Bökay, Vennes und v.
Bökay 932.
Bonhöfer 1102.
Bönning 334.
Boquel 1172.
Bornstein 322, 810, 1124.
Boruttau 71, 547, 623,1150.
Boruttau u. Mann 599.
Boos. Newburgh u. Warks
788, 984.
Bosse 1171, 1223.
Bosse u. Eliasberg 407, 476,
576.
Bosse u. Spangenberg 546.
Botella 717.
Bourcart 216.
Bourgeois 70, 188.
Bözy 573.
Brauer 885.
Braun 930.
Brann 1097.
Bratz 331.
Bräuning 576.
Braunstein 1173.
Brem u. Zeller 18.
Brexendorff 706.
Bresgen 239.
Brennsohn 139.
Brieger 736.
Brocq 189, 1051.
Brückner 301.
Brudny 446.
Brügelmann 310.
Brühl 816.
Bröking 26-1.
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XXVI
Autorenregister.
Brun 424.
Brüning 283.
Brünings 718.
Brunon 877, 1126, 1175.
Bruns 711.
Brunet u. Calinettes 115.
Bruschettini 734.
Brustein 620.
Bruvnoghe 136.
Bucura 160.
Bulkley 670.
Bullard 689.
Bulling 808.
Burk 24.
Buslik u. Goldhaber 1111.
Buß 622.
Bussou 734.
Busson 806.
Bürgi 141.
Bures 1174.
Burwinkel 798, 823.
Butenko 1173.
Buttersack 1057.
Büttner 520, 1170.
Buxbaum 473.
C.
Cabrera 235.
Cahn 41, 595, 1030, 1056.
Calmette, Breton u. Cou-
vreur 687.
Calamida 188.
Calmann 184.
Camphausen 1135.
Cane8trini 21.
Cannata u. Mitra 660.
v. Canstein 256.
Cany 95.
Carles 1114.
Caio 473.
Carter 1071.
Cattaneo 619.
Cavazzani 47.
Cerny 208.
Chapple 1028.
Cheronu.Rubens-Duval 45.
Chevrel 983.
Chittenden 384, 456.
y. Chlumsky 451.
Christen 548.
Chollsy 1114
Citron 884.
Citron u. Mulzer 306.
Clarke 809.
Clerc 540.
Cloetta 862.
Coca 110.
Codivilla 44.
Cohn 191, 307.
Cohnheiin 425.
Colbeck 807.
Constantin 139.
Cornelius 95.
Courbon 116.
Co wen 836.
Cramer 1196, 1099, 1170.
Criimer 456, 927.
Crispolti 807.
Crispolti u.Marrinaccil053.
Crookshank 209.
Cruchet u. Moulinier 1027.
Crump 303.
Cukor 1074.
Curie 672.
Curschmaun 1248.
D.
Daiber 619.
Damave 956.
Darnmann 416,
Dantec 1070.
David 264.
Davids 1003.
Daxenberger 618.
Day 933.
Debove 1055.
I)ebr6 594, 983.
Decker 930.
Delamare 474, 811.
Delbet 1099.
Delbet n. Hirtz 807.
Delcourt 22.
Dellermann u. Weil 41.
Delorme 764.
Denk 137.
Dennemark 762.
Dennis 734.
Dervieux 661.
v. Deschwanden 542.
Dewitzky 329.
Diehl 1174.
Dilg 573.
Diena 981.
Dieterich-Helfenberg 10ü7.
Döbeli 357, 693.
Dobrowolskaja 111.
Döderlein 237, 1198.
Doederlein 114.
Dold 907. 952.
Donald 597.
Donskon 476.
Dopter 187, 619.
Dorn 1049.
Dornblüth 693.
Douglas 574.
v. Dovorük 309.
Dreser 959.
Duballen 781.
Du Bois 1125, 1148.
Dubreuilh 1150.
Dumont 113.
Dumstrey 551.
Dunbar 859.
Dünger 907.
Duprö 1076.
Durlacher 303.
E.
Kbeling 863.
Eber 923.
Ebstein 162, 779.
Echtermeyer 936.
v. Economo 543.
Edens 308.
Ehret 1100.
Eichmeyer 712.
Einhorn 981.
Eitner 1125.
Eltas-Ellenbach 1076.
j Elmiger 19.
Elschnig 544, 931.
Emmerich 834.
Engelhorn 44, 499.
Engstad 816.
Ephraim 111.
Eppinger 624.
Eppinger u. Iloflmuer 641.
Eppinger u. Rothberger
1243.
Erb 518.
Erhard 599.
Erhardt 720, 1032.
Ehrlich 356, 451.
Escat 211.
Esch 845, 1074.
Eschle 313, 341, 365.
Etienne 694.
Eulenburg 958.
Eve 781.
I Ewald 572, 980.
F -
I Fackenheim 1224.
I Falk u. Hesky 597.
Fairlie 498.
Faisans 618.
Farkas 838.
Fatterolf u. Norris 736.
Faust 668.
Febres 1118.
Federechmidt 690.
Fehling 236, 499.
v. Fellenberg 710.
Fellner 764.
Felten 663.
Felzmann 861.
Ferre 1250.
Ferrer 429.
Finekh 190.
Fink 538, 1006.
Filaretopoulos 932.
Fils 932.
Fischer 162, 180, 234, 335,
351, 574, 888.
Fisch 1 873, 889.
Fisch ler 1051.
Flatau 211.
FleiBehmann 164.
Fleischner 984.
Flemming 767.
Flu 447.
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Original frorn
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Antorenregister.
XXVII
Foereter 378, 1151.
Follet u. Bourdiniere 450.
Fontana 447.
Fontoynont 30*2.
Franco 46.
Frank u. SchittenUelm858,
1055.
Franke 904.
Frankenstein 47, 577.
Frankhauser 667.
Fraenkel 255.
Frankel 70, 161, 734, 908.
v. Franquö 114, 1221.
Franz 282, 801, 910, 1072.
Fremantle 956.
Fresscott 500.
Freud 384,
Freund 520.
Frey 552, 717, 815.
Frevmann 119.
Freymuth 1049.
Friedeberg 1152.
Friedei 644.
Friedländer 305.
Friedemann 766.
Friedmann 1247.
Fritsch 1055.
Fromme 571, 762.
Fuchs 186, 544, 1199.
Funke 834.
Fuß 1174.
Fürst 136.
Fürstenau 216.
v. Fürth u. Schwarz 596.
Füth 521.
G.
Gabbett 781.
Galeotti u. Pentimalli 424.
Galewsky 620.
Gara 766.
Gard^re 397.
Garrin u. Lau re n 189.
Garrod 595.
Gasco 748.
Gaueber u. Fournier 255.
Gaucher, Levy-Fränkel u.
Dubose 1004.
Gaupp 1103.
Gebb 361,
Gelbart 668.
Gerassimowitsch 784.
Gerber 424.
Gero 432.
Göza 740.
Ghedinf 883.
Giffhorn 149, 176.
Gigon 286.
Gilbert 97, 265.
Gildemeister 301.
Girardeau 671.
Giuffo 1149.
Glamser 838.
Glaser 670.
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Glaessuer 450, 684.
Glickmann 663.
Goldschmidt 262.
Good 398.
Güppert 1256.
Görges 191.
Görl 183.
Gordon 813.
Gotthilf 64.
Gotting 88.
Gottlieb u. Tambach 357,
403.
Gottschalk 236, 861.
Gougerot 1168.
Gould 768.
Goworow 715.
Gozony 447.
Grekow 1251.
Gros u. O’Connor 857.
Grosser 430.
Grosser u. Dessauer 1002.
Grouven 1067.
Grube 68, 475.
Grüter 164.
Guelpa u. Maria 1197.
Guerrini 137, 472.
Guiard 884.
Gurewitsch 811.
Gussakow 302.
Gutheil 575.
Guttmann 391.
H.
Haab 240.
Haberer 643.
Haffner 928.
Hagemann 300.
Hagen 600.
Hahn 8, 30, 49, 337, 511,
1075.
Hahne 382.
Haim 112.
Haie 936.
Hall 597, 735.
Hamant 1069.
Hamm u. Jacquin 88.
Hammer 419, 598, 1009,
1041, 1187.
Hannes 1073.
Hanken 548.
Hanschmidt 36.
Harrington 642.
Harth 1254.
Härting 841.
Harvey 447.
Hasebrock 260.
Haskovec 454.
Hatzfeld 118.
Hauser 1245
Hausmann 288.
Hays. 1097.
Hech.u u. Klaußer 299.
Hecker 47.
Hegler 16.
Heidenhain 664.
Heilig 399, 882.
Heineke 474.
Heinrich 742.
Hellendahl 1246.
Heller 1051.
Helmholz 109.
Helwig 240, 625.
Hellwig 576.
Henkel 597, 738.
Hennel 863.
Hennes 545.
Henrot 1007.
Hensel 669.
Herbst 715.
v. Herff 185, 835.
Hering 134.
Hertz u. Sterling 377.
Hertzsch 236.
Herz 287, 1219.
Herzfeld 737.
Hesse 693, 1003.
Heuck u. Jaffö 692.
Heubner 863, 1073.
Heymann 621.
Heynemann 1249.
Hildebrand 208.
Hildebrandt 518.
Hilgenreiner 135.
Hindenberg 184.
Hinrichsen 331.
v. Hippel 169, 200, 227.
Hirch 116, 240, 438, 906,
1001, 1005, 1070.
Hirschberg 576.
Hirschfeld 356.
Hirschstein 829.
Hochheim 778.
Hock u. Porges 17.
Hoke 538.
Hoeck 1079.
Hoffa 93.
Hoffmann 879, 908.
Hoff mann u. Halberstädter
540.
Hofmeier 1100.
Hoger 423.
Höhl 334.
Hohmeier 929.
Höhn 682.
Höhne 1253.
Hoke 280.
Hoke u. Rihl 395.
Holzbach 1246.
Holzknecht u. Olbert 1246.
Hönck 89, 937.
Honl 207.
Horbaczewski 235.
Hornwoski 516.
Horsley 395.
Horstmann 333.
Howell 189.
Huber 407.
Hübner 1, 1081.
Hüne 764.
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xxvrn
Autorenregister.
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I.
Ibrahim 238, 1124.
Ide 311.
Igersheimer 905.
Ignatowski 41, 567.
Imhofer 279, 911.
Ingier 516.
Ingle 1254.
Isabolinskaja - Lasarewa
548.
Isseraon 711.
J.
Jacobi 615, 1248.
Jacques 163, 211.
Jaeger 183, 1071
Jager 424.
Jakiinoff 502.
Jakimow u. Jakimowa 527.
v. Jaksch 925.
Jankelevitch 1031.
Japha 381.
Japh£ 526.
Jaschke 737, 738.
Jaugeas 930.
Jarotzky 928.
v. Jaworski 1118.
Jentsch 688.
Jerie 1249.
Jeßner 888.
Jolly 575, 1119.
Joltrain 805.
Jonas 1169.
Jones 186.
Jödicke 305, 1103.
Joedicke 262.
Jonnesco 685.
Jonske 539.
Josephy 354.
Jung 522.
K.
v. Kafka 645.
Kaji 330.
Kaminer 6#
Karlin 661.
Karo 740.
Kaspar 286.
Kaufmann 115, 545.
Kausch 260, 643.
Kawamura 109.
Kawashima 325.
Kayser 25, 59, 721, 745,
1105, 1139.
Kauert 816.
Keay 43.
Kehrer 1073.
Keller 576, 864, 912.
Kelsch 661.
Kernen u. Neumann 215.
Kermauner 1249.
Kern 332.
Kerschbaumer 546.
Kienböck 475,
Kirchberg 886, 1110.
Kirchheim 213, 426.
Kirpicznik 325.
Kißner 206.
Klausner 374, 517.
Klein 142, 164, 767, 1116.
1252.
Kleinschmidt 451.
Klieneberger 837.
Klimenko 326.
Klose 505.
Klotz 1104, 1224.
Kluge 23.
Knapp 48, 1004.
Knopf 569, 1048.
Knorr 862, 1117.
Kobler 472.
Kochmann 549.
Köhler 449.
Kohut 720.
Kokall 429.
Kolb 1099.
Kolisch 670, 682, 790.
Koppang 618.
Kostrzewski 806.
Kottmann 571.
Kovilts 426.
Kowalewski 785.
Kownatzki 114.
Kraatz 572.
Kramer 402.
Krauß 497.
Kraus, v. Graff u. Ranzi
1152.
Kraus u. v. Stenitzer 1114.
Krause 545, 1120.
Kraut 405.
Krehl 213.
Krecke 431.
Krefting 1126.
Krewer 666.
Krogh 641.
Krone 457, 489, 1150.
Krönig 521.
Kroenig 686.
Krokiewicz 908.
Kromayer 140, 141.
Krösnig 765.
Krug 237.
v. Kuester 927.
Kuhn 400, 1224.
Kühn 145.
Kühne 398.
Kühnemann 471, 472.
Kumita 549.
Kunert 406.
Küß 378.
Küster 114.
L.
Labbä 377.
Labhardt 1250.
Lake 931.
Ladenburg 720.
Landsberger 332.
Landsberg 542.
Landouzy, Gougerot u.
Salin 208.
Landini u. Cerioni 142.
Lane 44.
Lanehart 880.
Lange u. Ulbrich 1224.
Lange u. Poppe 282.
Langes 623.
Längstem 1123.
de Laroquette 877, 1151.
Laser 811.
Laudon 432.
Lawatschek 1197.
Leche 1152.
Lechtmann 117.
Leede 524.
Ledoux u. Fisserand 1146.
Lee 570, 834.
Le Goff 808.
Legueu 189, 780.
Lehmacher 574.
Leibowitz 428.
Leistikow 768.
Lemaire 647.
Leman 396.
Lemoine 1025.
Lenartowicz u-Potrzobows-
ki 136.
Leo 130, 294, 4G7, 636,
900, 1163.
Lequeur 1250.
Leredde 909.
Lesieur 1197.
Lesser 429.
Leven 954, 1070.
L<$vy 882.
Levins
Lewandowsky 515, 684.
Lewitt 992.
Leyden 81.
Lhermite 380.
v. Lichtenberg u. Dietler
1056.
Lichtenstein 207, 1146.
Lichtwitz 1220.
Liebermeister 159.
Lieblein 107.
Liefmann u. Stutzer 327,
540.
Liek 956.
Linke 72.
Lipowski 519.
Livierato 472.
Livierato u.Crossonini 641.
Lissau 465.
Lissauer 66.
Littauer 1117.
Loeb 700, 729, 758.
Loeb u. v. d. Velden 719.
Loehlein 264.
v. Loghem 472.
Loening 406, 1058, 1087*
Loeper 17, 327, 809.
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Autorenregister.
XXIX
Loeper u. Esinonet 329.
Loeper, Desbouis u. Duro-
eux 503.
Loewy 190.
Lombroso 240.
Lomer 739, 1200.
Löwenstein 926.
Lowinsky 934.
Lewinson 1053,
Löwy 21.
Löwy u. Colmann 1154.
Luchmanoff 142.
Lückerath 1122.
Lüdke 798, 817.
Lüdke u. Sturm 1026.
Lumpert 382.
Lungwitz 48.
Lust 453.
Lustig 1218.
Lustwerk 999.
Macht 1050.
Magnan 1122.
Magnus-Levy 935.
Magnusson 423.
Maisonnet 1006.
Makkas 597.
Maloney 524.
Manasse 546.
Mandel 206.
Manoiloff 446.
Marek 1171.
Mares 232.
Marfan 1002.
Margulies 525.
Marie 1054.
Marie u. Beaussart 20.
Martial 375.
Martin 576, 954.
Martini u. Young 682.
Martinotti 352.
Martins 259, 1027.
Massalongo u. Gasperini
1005.
Masuyama 42.
Materna 1200.
Mathes 285, 1118.
Mattauschek 644.
Mattheus 863.
Matthews 1245.
Mauclaire 1118.
Maurice 955.
Mac Donald 1005.
Mayer 327, 959.
Mayer u. Linser 765.
Medowikow 665.
Mehnert 1245.
M£nard 1198.
Mendel 740.
Mendelsohn 769.
Menier 717.
M6ni£re 1052.
Meoni 137.
Merkurieff u. Silber 646.
Merkurien 473.
Menschikoff 453.
Mever 62, 214, 256, 287,
330, 647, 743, 909, 910,
1067, 1119, 1255.
Mever-Ruegg 263.
Michaelis 499, 713,739,742.
Michaut 695.
Milne 395.
Mil ward 781.
Minerbi 877.
Minus 693.
Mieslinger u. Wirth 408.
Mironescu 353.
Misumi 88.
Miyake 684.
Moeller 569.
Mohr 767.
Mohr u. Baumann 1077.
Moldovan 159.
Mönkemoller 545, 1122.
Moreau 1003.
Morosoff 137.
Moro u. Kolb 688.
Mörchen 399.
Mosberg 753,
Moschetti 624.
Moszeik 1001.
Mouchet 300.
Much 624.
Mühlmann 305.
Mühsam 190, 212.
Müller 186, 326, 504, 660,
1030, 1219.
Müller u. Yeiel 600.
Mulzer u. Michaelis 305.
Münter 539.
Münzer 392.
Murrel 234.
Muscat 217, 269, 409.
N.
Naam£ 1075.
Nadal 837.
Näcke 355, 1123.
Nadastiny 864.
Nädor 735.
Nakahara 66.
Namm(? 743.
Nathan 622.
Nathain 1147.
Natus 353.
Neu 184, 1218, 1254.
Neter 672.
Nicolas u. Favre 596.
Nicolas, Favre u. Moulot
1125.
Nikitin 860.
Nikolski 497.
v. Nießl-Mayendorf 1153,
1177, 1211, 1225.
Nießner 424.
Nitsche 334.
Nob^court u. Tixier 67.
Nobl u. Sprinzels 94.
Nobel 1054.
v. Noorden 167, 234.
North 1114.
v. Notthaft 575.
Nowicki 90.
Nunokawa 90.
Nürnberg 527.
O.
Obrastzow u. Straschesko
41.
Oeder 961.
Offergeld 955.
Ogilvy 1099.
Oguro 40.
Oldevig 264.
Oppenheim 780, 786.
Oppenheim u. Cröpin 570.
Oppenheim u. Le Coz 397.
Oppenheimer 952, 1149.
Orlowsky 960.
Ortner 929.
Ostwald 143.
Otten 233.
Ottolenghi 762.
P.
Pachner 1172.
Pankow 46.
Panichi u. Guelfii 90.
Panyrek 257.
Pappenheim 526.
Parmentier 878.
Paschen 1114.
Pastia 93.
Patschke 1075.
Pautrier 478.
Paul-Boncour 185.
Pawlowsky 1001.
Peffer 908.
Pels-Leusden 332.
Pelz 206, 545.
Pergola 953.
Peischer 1223.
Perussia 1151.
Pescharskaja 500.
Peters 182.
Petit 719.
Petren 21.
Petruschky 371.
Petry 1115.
Pfaundler 381.
Pfeiffer 240, 258, 501.
Pförringer 811.
Philosophow 709.
Pichler 1077.
Pick 878, 887.
Pietri 140.
Pies 452.
Piesen 429.
Pietkiewricz 784.
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XXX
Autorenregister.
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Pilcz 501.
Pineies 448.
Piorkowsky 212.
Pissavy u. Gauchery 497.
v. Planta 1198.
Plasencia 1007.
Plaut 832.
Plesch 695.
Pleth u. Pleth 379.
Ploch 519, 623.
Plönies 847.
Pohl 214.
Poland 1074.
Pollak 928.
Polenow 663.
Pollitz 216.
Polubojarinow 711.
Poly 425.
Polyak 400.
Poncet 982.
Poppe 734.
Poscharissky 109.
Postner 263.
Pötzl 68.
Pötzl u. Schüller 19.
Poulain 1069.
Predtjetschenskv 660.
Preobraschenski 667.
Pribram 951.
Prochownik 1151.
Prowazek 110.
Pruska 303, 1251.
Prusik 1170.
Prym 446.
Pudor 252, 320, 405, 6S0,
776.
Pulvermacher 836.
Pupini 383.
Pürckhauer 982.
Pussep 1123.
Q.
Quadrone 1148.
R.
Rabinowitsch 432.
Rajat 426.
Ramond u. Cliirav 327,
Ranson u. Scott *766.
Rapin 784.
Raschkow 934.
Ratherv u. Saison 119.
Raudnitz 65.
Raviart, Hannard u. Gavet
620.
Raymond 1125.
Raysky 87.
Reach 167.
Rechtö 69.
v. Reding 303.
Redlich 20.
Redlich u. Pötzl 116.
v. Redwitz 111.
Regen 1080.
Regnault 380.
Rehm 697, 1129.
Reibmayer 477.
Reichenstein 1115.
Reid 641.
Reinking 529, 653.
Remond u. Voivenel 115.
Resnikow u. Dawidenkow
667.
Richo 781.
Riedel 138, 550.
Riem 663.
Riggs 497.
Righi 721.
Rigi er 600.
Rinne 1122.
del Rio 668.
Risel 282.
Rittei-Wilenko 878.
Robertsohn 161.
Robin 960, 1169.
Robinson 955.
Rodari 358, 455.
Rohde 1121.
Roeder 1124.
Rohleder 288, 405.
Rohmer 428.
Rokitzky 713.
Rollier 379.
Rolly u. Blumstein 049.
Römer 955.
Rose 598.
Rosenblat 640.
Rosenberg 693, 1068.
Rosendorff 168, 548.
Roth 598, 692.
Rothmann 309.
Rothschild 1101.
Roug£ 1121.
Roubitschek 927.
Rubeska 1197.
Rubesch 394.
Ruch 358.
Rüdin 837.
Rugani 381.
Rumjanzew 714.
Runge 1120.
Rusznyäck 660.
Rutherford 744.
Ruttloff 165.
S.
Sacconaghi 264.
Sachs, 287, 594.
Sachs-Müke 308.
Sacquepde, Bellot Combe
1169.
Sadger 601.
Saenger u. Sudeck 838.
Sahli 570.
Salge 551.
Salmou 479.
Salomon 885.
Google
Salomon u. Saxl 858.
Salzer 861.
Salomouski 958.
Sapatsch - Sapotschinski
620.
Sapegno 427.
Sarnizyn 396.
Sauvö 1028.
Sawada 692.
Scannei 880.
Scordo 447.
Säbille&u 879.
Seel u. Friederich 718.
Seemann 562.
Seff 1253.
Seibert 1114.
Seige 22.
Seiler 1104.
Seitz 686, 1117.
Selig 537.
Seliger 536, 606.
Sewall 17.
Sicard 666.
Sicard u. Galud 1147.
Siegheim 377.
Siegel 206, 207.
Siegert 862.
Sieur 1247.
Silberberg 642.
Simon 714.
Simonowitsch 448.
Simons 883.
Siredey u. Lemaire 68.
Sittler 193.
Sitzenfrey 45, 1221.
Sjablow 835.
Sjablow u. Musalew 285.
Skutetzky 950.
Slowzow 550, 789.
Smetanka 231.
Smith u. Ru ff er 744.
Snay 624.
Sobotta 1048.
Sobotka 444, 783.
Sofer 283, 696.
Sonnenberger 427.
Soukhanoff 1122.
Sowinski 691.
Spangier 838.
Sparmberg und Amako
111 .
Spät 393, 790, 952.
Spengler 814.
Spiegel 118.
Spindler 527.
Spitta u. Heise 309.
Ssaweljew 301, 328.
Sudhoff 298.
Sylla 911.
Swinburne 814.
Syllaba 187.
v. Szabdky 1001, 1027.
v. Szontagh 93, 286, 526.
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Sch.
Schatten froh 880.
Schau ta 1220.
Scheibe 102.
Schenk, 858.
Scheller 40.
Scheller u. Goldschmidt
805 .
Sckenner 208.
Scheppegrell 163.
Schereschewskv 788.
Schick eie 91, 836, 1196.
Schiffer 741.
Schilling 432, 472, 806,
1176.
Schirokauer 617.
Schirokogorow 72.
Schittenhelm 886.
Schl alter 216.
Schleisiek 449.
Schlimpert u. Schneider
835.
Schlesinger 519.
Schmidt 144, 264, 357.
Schminke 657, 1113.
Schminke u. Flury 281.
Schmiegelow 689.
Schneider 1101.
Schnitzer 665.
Schöbl 423.
Schoenen 358.
Schfmhals 332.
Scholl 1173.
Schottin 930.
Schottmüller 285, 1116.
Schröder 354, 1049.
Schroeter u. Gutjahr 805.
Schubert 1117.
S<hüffueru.Wachsmuth42.
Schüle 284, 479.
Schultheß 982.
Schulz-Vehden 306.
Schürmann 1033,
Schürmaun u. Sonntag 733.
Schuster 1098.
Schütz 954.
Schwab 738.
Sch wart z 499.
Schwarz 143, 496.
Schweizer 258.
St.
Stadtmüller 859.
Stahr 66.
Stapel 525.
Stark 646.
Steffens 166, 1198.
Steiner 62, 1067.
v. Stenitzer 763.
Steriopulo 641.
Stern 523, 1100.
Stern berg 481, 673, 859,
1201, 1235.
Stettiner 587, 608.
A u to ren regia ter.
Steyerthal 121, 864.
Stiassny 237.
Stieda 283.
Stierlein 617, 1056.
Stiller 1150.
Stoeckel 18.
Stock 934.
Stoeckel 782.
Stolte 452.
Stolz 960.
Stolzenberg 445.
Strada 398.
Straschnow 863, 933.
Strandgaard 779.
Strassny 551, 1007.
Straub 911.
Strauß 214, 1005.
Sträußler 526.
Ströse 136.
Strumpf 446.
Stueff 67.
Studsinski 519.
Stumpf 714.
v. Stürmer 619.
T.
Taillens 1002.
Tastevin 881.
Tedeschi u. Napolikani 475.
Teissier 232.
Terbaut 1115.
Theilhaber 46, 259.
Thomayer 238, 1248.
Thomas 1053.
Thorn 431, 913, 972, 942.
Thursfield 573.
v. Thyröde 712.
Tische 358.
Timbal 833.
Tischner 621.
Toti 117.
Toulouse 543.
Trapet 428.
Trümmer 354.
Trzebinski 108.
Tschistowitsch 448.
Tschumakow 503.
Tsunoda 326.
Tsunota 445.
Tsuzuki 110.
U.
Uffenorde 1254.
Uhlenhuth 594.
Uhlenhuth, Handel und
Steffenhagen 907.
Uhlenhuth u. Manteuffel
301.
Uhlenhuth u. Mulzer 301.
Unna 787, 933.
XXXI
V.
Valude 401.
v. d. Velden 71, 238.
Venulet 109.
Venus 1113.
Veraguth 1176.
Verchüre 307.
Verderame 762.
Vertes 114.
Vignoli-Lutati 787.
Viereck 455.
Villard 691.
Vinsac 768.
Violette 785.
Vogel 570, 1006.
Vogt 502.
Volland 427.
Volpino u. der 762.
Vysusil 1168.
Mf.
Walb u. Horn 69.
Walcher 522, 737.
Waldow 380.
Waldvogel 518.
Wagner 929, 1245, 1252.
Walko 1047.
Waloschin 519.
Walther 834.
Ware 815.
Warschawsky 1006.
Wassermeyer u. Bering 22.
Waugh 570, 878.
Weber 20, 785.
Weddy-Poenicke 449.
Wedenzky 525.
Wehrli 691.
Weichardt 480.
Weichei 308.
Weichselbaum 596.
Weil 934.
Weiß 304, 1026 1149.
Weißmann 813.
Weinbrenner 433, 765.
Weintrau d 1220.
Weide 549, 715.
Wendt 287.
Wenkebach 642.
Wermel u. Karl in 645.
Werner 263, 541.
Wernstedt 716.
Wesenberg 47, 165.
Weski 210.
West 117.
Wickmann 355, 715.
Widmer 1244.
Wiedemann 1078.
White 378.
Willige 502.
Wiljainowski 547.
Williams 763.
Williamson 1220.
v. Winiwarter 1249.
Winkelmann 1071.
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xtxii
Autorenregister.
Willim 23.
Willmans 305.
Winternitz 215.
Wohlwill 428, 786.
Wohrizek 324.
Wolff-Eisner 808.
Wolf u. Fleischer 359.
Wright u. King 1000.
Wyß 1029.
Z.
Zabel 743.
Zade 691.
Zamazal 1244.
Zange 716.
Zangenmeister 258.
Zappert 186, 739.
v. Zeinek 324.
Zelenew 382.
Zeller 262, 404.
Ziegler 789.
Zingerle 1776.
Zlatogoroff 640.
Znojemsky 254.
Zörkendörfer 183.
Zuccarelli 694.
Zuelzer 480, 1222.
v. Zumbusch 806.
Zweifel 256, 284, 640, 738.
Zweig 1247.
Zwick u. Weichei 308.
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Original frorn
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der IHedizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herftusgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. (Kriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 1. « r dtt * 5f 1 , b ^ ahr - r , 5. Januar.
- Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung der Syphilis mit Ehrlich-Hata 606.
Von Privatdozent Dr. Hübner, Marburg.
Vortrag, gehalten im Ärztlichen Verein zu Marburg am 13. Dezember 1910.)
Meine Herren! Als ich vor einem Jahre vor Ihnen hier über die
Behandlung der Syphilis 1 ) sprach, sagte ich, daß für die nächste Zeit
wohl noch das Quecksilber als das souveräne Mittel gegenüber dieser
Krankheit werde gelten müssen, da die in neuerer Zeit aufgetauchten
Arsenpräparate, Atoxyl u. ähnliche in ihrer Heilwirkung kaum besser,
in ihren Nebenwirkungen unberechenbar seien. Bald darauf erfuhr die
Welt — und leider nicht nur die medizinische — daß es dem Genie Ehr¬
liche geglückt sei, nach jahrelangen Versuchen ein Arsenpräparat herzu-
stellen, daß dem Quecksilber weit überlegen sei. Schon vor 2 1 / a Jahren
hatte Ehrlich auf dem 10. Kongreß der deutschen dermatologischen
Gesellschaft von einer Substanz gesprochen, durch die es gelingt, trypano-
somenkranke Tiere durch eine Injektion, die nur einen Bruchteil der
Dosis letalis darstellt, mit Sicherheit zu heilen. „Wenn diese Substanz“,
so schloß Ehrlich damals, „vielleicht noch nicht geeignet sein sollte für
die Übertragung auf die menschliche Pathologie, so dürfen wir deswegen
nicht die Flinte ins Korn werfen und unsere Hoffnung aufgeben; Rom
ist nicht an einem Tage erbaut, dann müssen wir eben weiter auf dem
Wege fortschreiten, der uns jetzt klar vorgezeichnet ist.“ Ehrlich hat
diesen Vorsatz ausgeführt, die Substanz von der er damals sprach, führte
die Nummer 418. Sein 60(3 ist heute in aller Munde und ist vielleicht
die Erfüllung der Hoffnung, die er vor 2 x / 2 Jahren aussprach.
Im Juli dieses Jahres konnte ich Ihnen die ersten hier mit dem
genannten Präparat behandelten Fälle zeigen, und heute möchte ich mir
erlauben, über meine weiteren Erfahrungen, die sich bisher auf etwa 30
behandelte Fälle erstrecken und über die Hoffnungen, die sich überhaupt
an dieses Mittel knüpfen, vor Ihnen zu referieren:
Wir dürfen uns der Entdeckung Ehrlich’s um so mehr freuen, weil
sie nicht eine Gabe des Zufalls ist, sondern sich gründet und direkt ge¬
zeitigt wurde durch die großen Entdeckungen, die auf dem Gebiete der
Syphilitologie in den letzten Jahren gemacht worden sind. Wüßten wir
nicht durch Schaudinn’s und Hoffmann’s Entdeckungen, daß die Syphilis
- 4 .. 4 « 4 tu; n
*) Hübner, Altere und neuere Anschauungen über die C^uecksilberbehand-
lung der Syphilis. Fortschritte der Medizin Nr. 13, 1910.
I
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2
Hübner,
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eine Spirochätenerkrankung, eine chronische Spirillose des Menschen ist,
so hätte Ehrlich den Weg, den er so erfolgreich betrat, kaum einschlagen
können; denn so wenig Hoffnung vorhanden ist, die Idee der Therapia
sterilisans magna bei bakteriellen Infektionskrankheiten zu verwirk¬
lichen, gegenüber der am längsten bekanntesten Protozoenkrankheit,
der Malaria, ist sie ja schon lange mittels des Chinins ausgeführt worden.
In zweiter Linie war der Kampf Ehrliches gegenüber dem Erreger der
Syphilis nur denkbar durch die Einführung des Tierexperiments bei
dieser Krankheit durch die Arbeiten Metschnikoff’s, Bertarelli’s u. a. So
konnte denn Ehrlich den Versuch wagen, chemische Stoffe herzustellen
und experimentell zu prüfen, die ähnlich oder noch besser spezifisch auf
die Spirochäten wirken, wie das Chinin auf den Malariaparasiten. Ehr¬
lich ging bei diesen Studien von Farbstoffen aus, die eine besondere
Affinität zu den Parasiten zeigten und daher auch nach dem für die
Chemotherapie geltenden Gesetze: Corpora non agunt nisi tixata auf diese
besonders giftig wirken müssen. Es ergab sich auch im Reagenzglas¬
versuch, daß solche Farbstoffe, wie z. B. Trypanrot, Methylenblau und
ähnliche stark parasitentötend wirkten. Im Tierversuch versagten sie
jedoch völlig; sie ketteten sich ebenso stark an die Körperzellen des
Tieres wie an die Infektionserreger und zeigten daher praktisch keine
Heilwirkung. Welche Fülle von Arbeit schon diese Vorversuche erfor¬
derten, erfährt man in dem jüngst herausgekommenen Buch von Ehrlich
und IIata, 1 ) durch die gelegentliche Angabe, daß über 200 solcher Farb¬
stoffe durchprobiert wurden. Ein Fortschritt kam erst zustande, als
Ehrlich von den Farbstoffen zu den Arsenikalien überging, die sich bei
der Bekämpfung tropischer Infektionskrankheiten ja schon lange bewährt
hatten. Ehrlich wandte sein Interesse in erster Linie dem auch zur
Syphilisbehandlung empfohlenen Atoxyl zu. Auffallenderweise zeigte
dieses Präparat im Reagenzglasversuch durchaus keine starken parasiti-
ziden Wirkungen. Dieser Widerspruch reizte Ehrlich zu eingehendem
Studium der chemischen Natur dieses Körpers. Es war klar, daß es sich
im Tierkörper erst umwandle in eine für die Parasiten weit giftigere
Form. Ehrlich nimmt an, daß diese Umwandlung in einer Sauerstoff¬
entziehung, in einer Reduktion des 5 wertigen Arsenkomplexes in ein
3wertiges besteht. Weitere chemische Untersuchungen des Atoxyls er¬
gaben nunmehr die erstaunliche Tatsache, daß es bisher unter falscher
chemischer Flagge gesegelt war. Es war dieser schon vor 30 Jahren
von B6champ hergestellte chemische Körper nicht, wie man immer an¬
genommen hatte ein Arsensäure-Auilid, sondern das Natriumsalz der
Para-Aminophenylarsinsäure. Diese Erkenntnis bildete, wie Ehrlich selbst
sagt, die Achse des ganzen Fortschrittes in der Arsentherapie; denn
nun war es möglich, durch Umformung und Eingriff in die Aminogruppe
eine große Anzahl verschiedener Verbindungen herzustellen, die alle Deri¬
vate der Phenylarsinsäure waren, aber vielleicht weniger toxische Eigen¬
schaften hatten wie das Natriumsalz derselben. Es eröffnete sich hier
ein weites Feld für die vereinigte Arbeit der Chemiker und Biologen,
wie sie wohl nur an dem unter der Leitung Ehrlich’s stehenden Speyer¬
hause zu Frankfurt a. M. geleistet werden konnte. Dort vereinigt sich
ein Stab auserlesener Chemiker und eine Anzahl, in biologischen Arbei¬
ten geübter Arzte, die unter der Führung Ehrlich’s auf das große Ziel
*) Ehrlich und Hata. Die experimentelle Chemotherajie der Spirillosen.
Berlin. Springer V u. 164 S. 1910.
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Die Behandlung der Syphilis mit Ehrlich-Hata 606.
3
losgehen konnten, die Spirillosen des Menschen durch chemische Mittel
za bekämpfen; d. h. chemische Körper aufzufinden und zu untersuchen,
die gegenüber dem eingedrungenen Parasiten sehr giftig, für den Infek¬
tionsträger möglichst indifferent sind. Hunderte solcher Substanzen
wurden an Mäusen und Ratten, die mit Recurrens und an Hühnern, die
mit Hühnerpilolose infiziert waren, durch probiert. Als das vollkommenste
der Präparate zeigte sich das 606te, das Dioxydiamidoarsenobenzol, von
dem im folgenden daher allein gesprochen werden soll.
Die IIata'sehen biologischen Versuche mit diesem Mittel ergaben,
daß mit Rekurrens infizierte Mäuse dauernd sterilisiert werden konnten
durch einmalige Anwendung einer Lösung von 1 zu 800, durch zwei¬
malige einer Lösung 1 zu 1000, durch dreimalige einer Lösung 1 zu 1500.
Viel kleinere Dosen, als zur dauernden Sterilisierung notwendig waren,
genügten, um die Krankheit zu mildern, so daß die Tiere mit Sicherheit
am Leben blieben. Die präventive Schutzwirkung des Mittels war bei
Mäusen gering, eine Dosis von 1 zu 400, die doppelte der Heildosis,
war nicht imstande, eine 24 Stunden später einsetzende Infektion zu
unterdrücken. Bei Ratten und Hühnern war dagegen die Schutzwirkung
deutlicher zu erkennen. 48 Stunden nach der Behandlung war das Mittel
noch so wirksam, daß eine Infektion nicht anging. Eine Krankheit, die
3—5 Tage später als das Mittel eingeimpft wurde, kam zwar zum Aus¬
bruch, trat aber nur sehr schwach auf. Hata betont besonders, daß eine
NViikung des 606 auf die nervösen Zentralorgane des Tieres, die sich
bei früher erprobten Arsenverbindungen dadurch gezeigt hatten, daß die
Tiere in Zitterkrämpfe verfielen und Tanzmäuse wurden, bei 606 nicht
eiutraten. Bei Hühnern, die mit Spirillose infiziert wurden, waren 0,0025
iles Mittels schon imstande, hei gleichzeitiger Infektion und Injektion
den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern. Die Schutzwirkung des
Mittels war bei Hühnern sehr ausgesprochen. 0,05 pro Kilo intramus¬
kulär injiziert, waren imstande, ein Huhn 20 Tage lang gegen jede In¬
fektion refraktär zu machen. Am wichtigsten erscheinen die Heilwir¬
kungen mit 606 bei der experimentellen Kaninchensyphilis. Es wurde
sowohl die Einwirkuug auf die Keratitis luetica, als auch auf den Skrotal-
schauker bei Kaninchen untersucht. Die erstere erwies sich als kein
sehr geeignetes Versuchsobjekt, weil häufigere Spirochätenuntersuchungen
an der Kornea nicht möglich sind, und weil man sich daher hei der Be¬
urteilung des Erfolges nur an das klinische Bild halten kann. Es ergab
sich, daß 0,006 gr 606 pro kg stets eine Dauerheilung der Keratitis
herbeiführten, allerdings nicht sehr rasch, sondern in 2—3 Wochen; bei
Skrotalsvphilis dagegen konnte nachgewiesen werden, daß eine einzige
Injektion die Spirochäten dauernd und sofort vernichtete, so daß der
Schanker in 2—3 Wochen zur völligen Heilung kam.
Soweit waren die Experimente im Ehrlich’schen Laboratorium
gediehen, als er sich entschloß, sein Mittel einer größeren Anzahl von
Aerzten zur Erprobung am Menschen zur Verfügung zu stellen. So
allein konnte die wichtigste Frage gelöst werden, wie weit sich dieses
im Tierexperiment so außergewöhnlich wirksame Präparat auch bei den
menschlichen Protozoenkrankheiten, in erster Linie bei der Syphilis, be¬
währen würde. Gerade bei dieser letzteren Krankheit konnte ja das
Tierexperiment beim Kaninchen und beim Macacusaffen kein genügend
klares Bild geben; denn bei diesen Tieren verläuft ja die Syphilis prin¬
zipiell anders wie beim Menschen, mehr als lokale Affektion denn als
allgemeine Erkrankung. Das Präparat wurde an die Untersucher zwar
1 *
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4
Hübner,
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gratis abgegeben, aber mit der Auflage genauer Berichterstattung an die
Zentralstelle, wo sich denn bald ein enormes Material über die behan¬
delten Fälle ansammelte. Es sei mir hier gestattet, die Erfahrungen über
die Erfolge des Mittels 606 der Syphilis in kurzen Worten zusammen¬
zufassen. (306 hat seine sehr starke und rasche spirochätentötende Wir¬
kung bei den Produkten aller Stadien der Syphilis gezeigt. Die Para¬
siten sind meist schon am folgenden Tage definitiv aus den Primär¬
affekten, nässenden Papeln, Erosionen und dgl. geschwunden. Hand in
Hand mit diesem schlagartigen Verschwinden des Erregers beginnt die
Heilung der spezifischen Erscheinung. Die Primäraffekte verlieren im
Verlauf weniger Tage ihre düster-rote Farbe, die Härte des Grundes
schwindet und er bedeckt sich mit gut aussehenden Granulationen. Die
Überhäutung vom Rande beginnt bald und ist, je nach der Größe des
Affekts, in durchschnittlich 5—7 Tagen vollendet. Am eklatantesten
ist der Einfluß des Mittels wohl bei der sekundären Roseola. Gerade
bei dieser Manifestation der Syphilis tritt wenige Stunden nach Injektion
von 606 besonders häufig die sog. HerxheimePsche Reaktion ein, d. h.
ein vorübergehendes stärkeres Hervortreten der einzelnen Roseolen, die
oft quaddelartig erhaben werden, von einem hellroten Hof umgeben sind
und dann konfluieren. Am folgenden Tage ist die Reaktion meist ab¬
gelaufen und die Roseolen sind verschwunden. Bei einem papulösen
Exanthem dauern die Rückbildungserscheinungen, entsprechend den
vorhandenen anatomischen Veränderungen, einige Tage länger. Am
günstigsten werden Fälle von tertiärer und von maligner Syphilis beein¬
flußt, von denen fast an Wunderheilungen grenzende Berichte bekannt
geworden sind. Selbst die parasyphilitischen Erkrankungen, Tabes und
Paralyse, sind in einzelnen Fällen günstig beeinflußt worden im Sinne
eines Stillstandes der bisher progressiven Erkrankung. Besonders muß
hervorgehoben werden, daß die toxischen Eigenschaften des Mittels außer¬
ordentlich gering sind; kein Fall von Erblindung oder sonstiger schwerer
Schädigung eines Kranken durch das Mittel ist festgestellt. Die wenigen
publizierten Mißerfolge sind auf Anwendung des Mittels bei kontraindi¬
zierten Fällen oder bei falscher Zubereitung der Lösung entstanden.
Bei der hereditären Lues warnte Ehrlich zunächst vor der Anwendung
des Mittels, weil er fürchtete, daß durch die plötzliche Überschwemmung
des kindlichen Organismus mit den Endotoxinen der abgetöteten Spiro¬
chäten Schaden für das Kind entstehen könnte; es hat sich jedoch ge¬
zeigt, daß bei vorsichtiger Dosierung auch hier das Mittel gegeben
werden kann, und daß sogar zur Heilung dieser Form der Lues die
Antikörper ausreichen, die mit der Milch der mit 606 behandelten Mütter
der Kinder diesen letzteren zugeführt werden.
Daß, meine Herren, sind so die ersten Eindrücke, die jeder, der
mit dem Mittel an einem größeren Material arbeiten konnte, wohl ge¬
habt hat. Nur wenige Ausnahmen sind vorgekommen; einzelne Fälle
erwiesen sich als refraktär gegen das Mittel, und man muß dies wohl
dadurch erklären, daß es sich um Fälle mit arsenfesten Spirochäten¬
stämmen handelt. Zweitens läßt es sich nicht leugnen, daß die verschie¬
denen Chargen (Fabrikationsmarken) des Mittels, die aus dem Ehrlich-
schen Institut ausgegeben wurden, in ihrer Wirkung auf die spezifischen
Prozesse nicht ganz gleichmäßig waren. Man hat wohl allgemein den
Eindruck gewonnen, daß die früher ausgegebenen Proben wirkungsvoller
waren als die in der letzten Zeit zur Versendung gekommenen. Alles
in allem bewährte sich aber 606 als ein Mittel, das die syphilitischen
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Die Behandlung der Syphilis mit Ehrlich-Hata 606.
5
Prozesse in geradezu verblüffender Weise in günstigem Sinne beinflußte
und in der Regel weit schneller zur Heilung brachte als das Quecksilber.
Aber, meine Herren, Ehrliches Absicht war es, bei der Schaffung dieses
Präparates nicht eine Verbesserung der bisherigen Syphilistherapie zu
bringen, sondern eine prinzipielle neue. Er hoffte, die bei der Queck¬
silberbehandlung immer notwendiger sich über Jahre hinziehende Etappen¬
behandlung ersetzen zu können durch die mit einem Schlage wirkende
Therapia sterilisans magna. Diese weiter gehenden Hoffnungen sind,
wenigstens bei einer großen Zahl der Fälle, noch nicht durch das Mittel
dort erfüllt worden. Wohl alle Untersucher, die das Mittel bisher über
einen längeren Zeitraum ausprobiert haben, haben bei einem gewissen
Prozentsatz ihrer Fälle Rezidive gesehen. Ob diese ebenso oft oder
wesentlich seltner auftreten wie bei der Quecksilberbehandlung, ist eine
sehr schwer zu beantwortende Frage. In dieser Hinsicht sind die Sta¬
tistiken leider auch der besten Beobachter fragmentarisch. Ein allzu
großer Prozentsatz der behandelten Fälle kommt eben nicht wieder zur
Nachuntersuchung und Weiterbehandlung, und somit ist es jedem ein¬
zelnen Arzt fast unmöglich, anzugeben, wie viel seiner behandelten Fälle
gesund geblieben resp. Rezidive bekommen haben. Auch bei den Unter¬
suchungen der Patienten mit der Wassermann'schen Methode hat sich
ergeben, daß man nicht allzu übertriebene Hoffnungen bezüglich der
Dauerwirkung des Mittels hegen darf. Ein Teil der Fälle wird zwar
durch die 606-Behandlung negativ, aber kaum mehr und nicht nach
kürzerer Zeit, als wir es nach gut durch geführten Quecksilberbehandlungen
sehen. In anderen Fällen ist sogar ein Wiederpositivwerden der negativ
gewordenen Reaktionen beobachtet worden. Nun, meine Herren, wir
sollen uns durch solche Erfahrungen nicht mutlos machen lassen. Wir
haben gesehen, daß wir in dem Mittel eine neue und wundervolle Waffe
gegenüber der Syphilis haben, aber wir müssen uns gestehen, daß wir
vorläufig dieser Waffe noch gegenüberstehen, wie etwa, wenn der Ver¬
gleich erlaubt ist, die Wilden einer Krupp’schen Schnellfeuerkanone:
Wir kennen ihre Anwendung noch nicht. Wie lange Jahrhunderte hat es
gedauert, bis wir die richtige Anwendung des Quecksilbers bei der Syphilis
gelernt haben, bis wir imstande waren, dieses Mittel den Kranken zuzu¬
führen und die Krankheit zu behandeln, ohne die Patienten zu schädigen.
Bei der Anwendung dieses neuen Mittels liegen die Verhältnisse noch
lx'deutcnd schwieriger: es ist nur in Alkalien oder in Säuren löslich,
und natürlich verursachen diese Lösungen an der Injektionsstelle solche
Schmerzen, führen so leicht zu Nekrosen, daß man im allgemeinen wieder
von ihnen abgekommen ist und heute das Präparat lieber in neutraler
Suspension als Depot dem Körper einverleibt. Aus einem solchen Depot
ist die Resorption naturgemäß erschwert und damit eine schlagartige
Wirkung des Mittels nicht gut vorstellbar. Es ist daher, um das Mittel
in größeren Mengen auf einmal in die Zirkulation zu bringen, in letzter
Zeit empfohlen worden, es in großen Mengen warmen, leicht alkalisch
^machten Wassers zu lösen und so direkt in die Venen einzuspritzen.
Besonders bei Rekurrens sind mit dieser Behandlungsmethode außerordent¬
lich günstige Resultate erzielt worden. Aber man muß in Rechnung
neben, daß bei dem Wechselfieber der Parasit nur im Blut lebt, also
durch eine Injektion ins Blut am besten erreicht werden kann, während
die Spirochäte pallida mehr ein Bindegewebsparasit ist und im Blute nur
selten und vorübergehend sich aufzuhalten scheint. Aus dieser Über¬
zog heraus und wegen der von allen Seiten gemeldeten unangenehmen
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Siegfried Kaminer,
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Nebenerscheinungen, die die intravenöse Applikation des 606 fast in
allen Fällen hat, habe ich, und wohl die Mehrzahl der bisherigen Unter¬
sucher, mich noch nicht entschließen können, sie bei der Syphilis anzu¬
wenden. Vielleicht ist von einer Steigerung der Dosis eine Verbesserung
der bisherigen Resultate zu erwarten. Aussichtsreich erscheint auch die
Kombination des Mittels mit Quecksilber, wie sie von Neisser und anderen
schon heute geübt wird.
So bleibt denn noch viel Arbeit für die nächsten Jahre übrig, um
vielleicht eine wirkungsvollere Darreichungsform für das Mittel zu finden,
die doch noch eine Sterilisierung des Körpers herbeiführt. Inzwischen
werden wir das Mittel in demselben Sinne gebrauchen dürfen wie das
Quecksilber, dem es an Schnelligkeit der Wirkung wohl in jedem Falle
überlegen ist. Die Heilung der ansteckenden Symptome dauert jetzt im
Durchschnitt so viel Tage als früher Wochen, dadurch werden die Mög¬
lichkeiten der Verbreitung der Krankheit schon enorm eingeschränkt
und die Ausgaben der Krankenkasse für die Heilung der Luetiker eben¬
falls bedeutend verringert. Schon hieraus muß eine starke Einschränkung
der Zahl der Neuerkrankungen an Syphilis in der nächsten Zeit sich
geltend machen. Nichts kann man heute darüber sagen, ob das neue
Mittel in gleicher Weise prophylaktisch gegen das Auftreten der schweren
Nachkrankheiten der Syphilis wirkt, wie wir es vom Quecksilber wissen,
aber wir wollen hoffen, daß es auch in dieser Beziehung das genannte
Mittel ebenso übertrifft, wie in seiner Wirkung auf die Krankheits¬
erscheinungen selbst.
Sie haben gesehen, meine Herren, daß sich die überschwenglichen
Hoffnungen, die man an das neue Mittel im ersten Moment geknüpft
hatte, bisher wenigstens sich noch nicht voll erfüllt haben, aber es liegt
auch kein Grund vor, jetzt in dieser Enttäuschung, vor der niemand
mehr gewarnt hat als Ehrlich, die eminent günstigen Eigenschaften des
Mittels gering zu veranschlagen. Wir werden es niemals mehr in der
Therapie der Syphilis entbehren können und hoffen, daß es in der Zukunft
zum Wohle der Kranken und zum Ruhme seines Erfinders noch mehr
und mehr vervollkommnet werden wird.
Schwangerschaftsunterbrechung bei perniziöser Anämie.
Von Dr. Siegfried Kaminer, Berlin.
Das ausnehmend große Interesse, welches im letzten Jahrzehnt den
Indikationen zur Unterbrechung der Schwangerschaft bei innerlichen
Krankheiten entgegengebracht wird, hat bei den meisten dieser Erkran¬
kungen zur Aufstellung fester Normen geführt. Auffällig ist es jedoch,
daß ditse Frage bei der perniziösen Anämie in letzter Zeit fast gänzlich
vernachlässigt worden ist. Deshalb auffällig, weil ja gerade die Anämie die¬
jenige Erkrankung gewesen ist, welche zuerst infolge scheinbarer Erfolge
der LTnterbrechung der Schwangerschaft eine gewisse Rolle in der Therapie
zugewiesen hat. Erklärlich aber durch die Seltenheit des Vorkommens.
Ein spezieller Fall hat mir in letzter Zeit Gelegenheit gegeben, aus Er¬
fahrungen früherer Autoren gutachtlich zu schließen.
Daß die perniziöse Anämie in der Schwangerschaft zuweilen vor¬
kommt, ist schon in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt gewesen.
Die ersteu Beobachtungen verdanken wir Lebert, der diese Komplikation
der Schwangerschaft als selbständige Krankheit unter dem Namen
„Puerperalchlorose“ beschrieb. Eingehende Beobachtungen hat später
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Schwangerschaftsunterbrechung bei perniziöser Anämie.
7
Gusserow an Fällen von hochgradiger Anämie Schwangerer, die alle
mit dem Tode endigten, angestellt. In allen diesen Fällen trat die
Geburt vor dem normalen Ende der Schwangerschaft ein und zwar fast
immer gegen den 8. Monat. Alle Patientinnen starben sehr bald nach
«ler Entbindung, eine sogar vor der Ausstoßung der Plazenta. Auch
Gusserow neigte zu der Ansicht, daß die perniziöse Anämie Schwangerer
als eine Krankheit sui generis zu betrachten und zwar, daß sie als ein
pathologisch gesteigerter Zustand der physiologischen Anämie und
Hydrämie der Schwangeren aufzufassen sei. Diese Auffassung vom
Wesen der Krankheit muß ihn natürlich dazu führen, die Einleitung
des künstlichen Aborts bz. der künstlichen Frühgeburt anzuraten.
Aber schon Stieda macht mit Recht darauf aufmerksam, daß es
nicht möglich sei, die perniziöse Anämie Schwangerer nur als eine patho¬
logische Steigerung physiologischer Zustände zu betrachten.
Auch die Anschauung, auf die sich Gusserow stützte, daß jede
Schwangerschaft physiologischer Weise eine Hydrämie bedinge, ist durch
meine Untersuchungen widerlegt worden. Dieselben haben ergeben, daß
bis zum Ende der Schwangerschaft eine Vermehrung des Hämoglobin¬
gehaltes und der Blutkörperchenzahl stattfindet. Aus diesem Grunde
darf ein prädisponierender Einfluß der Schwangerschaft auf die Ent¬
stehung einer perniziösen Anämie mehr als zweifelhaft bezeichnet werden.
Trotz dieser theoretischen Überlegung hat sich Stieda in praxi ent¬
schlossen, in einem Falle von perniziöser Anämie die Frühgeburt einzu¬
leiten: Eine stets gesunde 34jährige Frau erkrankte am Ende des
8. Monats ihrer 6. Schwangerschaft unter den Erscheinungen einer rapid
zunehmenden Anämie. Die 3 Wochen nach dem Krankheitsbeginn vor¬
genommene Untersuchung ergab eine Verminderung der roten Blut¬
körperchen bis auf 1700 000 und hochgradige Milzschwellung. Am
Ende des 9. Monats wurde wegen der starken subjektiven Beschwerden
der Patientin die Frühgeburt eingeleitet. Nachdem in den ersten Tagen
des Wochenbettes eine weitere Verminderung der roten Blutkörperchen
eingetreten war, nehmen dieselben sehr bald an Zahl zu, während die
Milz kleiner wurde. Die Patientin wird einen Monat nach der Geburt
entlassen und ist s / 4 Jahr nach der Entlassung vollkommen gesund.
Ähnliche Erfolge sind in den anderen veröffentlichten Fällen von
Einleitung der Frühgeburt bei perniziöser Anämie niemals erzielt
worden.
Die zahlreichen Untersuchungen über die perniziöse Anämie haben
ja auch in neuester Zeit zu einer Kenntnis ihrer Ätiologie nicht geführt.
Sie haben uns nur die Möglichkeit gegeben, die Krankheit früher zu
erkennen und genauer zu präzisieren. Dabei hat sich auch ergeben, daß
die perniziöse Anämie keine häufige Komplikation der Schwangerschaft
ist. Ahlfeld hat z. B. niemals einen solchen Fall beobachten können.
Und man kann wohl mit Sicherheit behaupten, daß die perniziöse Anämie
weitaus häufiger bei Nichtschwangeren als bei Schwangeren beobachtet
wird. Demgemäß besteht kein Grund für die Annahme, daß die
Schwangerschaft eine Ätiologie für die perniziöse Anämie abgibt. Da
die perniziöse Anämie außerdem auch ohne Schwangerschaft eine fast
immer letal verlaufende Krankheit ist, so muß trotz des Falls von
Stieda die Einleitung des künstlichen Aborts oder der künstlichen
Frühgeburt als nicht indiziert erachtet werden. Bezüglich der Ein¬
leitung der künstlichen Frühgeburt ist besonders zu berücksichtigen, daß
ja in den meisten Fällen die Geburt selbst den Tod zu beschleunigen
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8
Gerhard Hahn,
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pflegt. Die künstliche Frühgeburt stellt an den Organismus, wie
Gusserow zuerst bewiesen hat, viel höhere Anforderungen wie die
normale Entbindung. Die Einleitung der Frühgeburt ist daher, wie
Jaworski und Klein Wächter mit Recht betonen, ziellos.
Literatur:
Gusserow, Archiv für Gyn., Bd. 2. — Stieda, Zentralbl. für Gyn., Bd. 21. —
Jaworski, Zentralbl. für Gyn., Bd. 21. — Graefe, Inaug. Dissertation, Halle 1880.—
Klein Wächter, Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft.
Oie Behandlung der Gonorrhöe.
Von Dr. Gerhard Hahn, Breslau.
Meine Herren! Nach den Forschungsergebnissen der letzten Jahr¬
zehnte erscheint es uns als unabweisbare Notwendigkeit, bei der Be¬
handlung der Gonorrhöe, soweit sie sachgemäß durchgeführt werden
soll, die mikroskopische Untersuchung des Sekrets in gewissen Zeitab-
ständen vorzunehmen. Kann es doch heute keinem Zweifel mehr unter¬
liegen, daß verschiedene Formen von Urethritis, die chemischen oder
mechanischen Reizen oder harmloseren Mikroorganismen ihren Ur¬
sprung verdanken, der spezifisch gonorrhoischen Urethritis klinisch
gleichen und doch eine ganz andere Therapie erfordern. Und nicht minder
wichtig erscheint es uns, während der Behandlung auf Grund mikrosko¬
pischer Kontrolle festzustellen, wann ein Wechsel oder gar ein Sistieren
der Therapie eintreten darf. Denn es ist klinisch völlig unmöglich —
in vielen Fällen freilich kann ein sicherer ärztlicher Blick das Richtige
treffen — den oft so geringen Restprodukten eines Trippers, z. B. den
Urinfilamenten das Vorhandensein von Trägern der Infektion anzu¬
sehen. Diese oft so unscheinbaren Residuen, die eine sehr bedeutungsvolle
Rolle bei der sogenannten chronischen Gonorrhöe spielen, mikroskopisch
richtig zu bewerten, ist eine Frage, bei der es sich meist nicht nur um
das Wohl und Wehe eines Patienten handelt, sondern bei der wie beim
Ehekonsens das Glück ganzer Familien auf dem Spiele steht. Man
kann also, meiner Ansicht nach, nicht eindringlich genug auf die Not¬
wendigkeit hinweisen, bei der Gonorrhöetherapie das Mikroskop zu
Rate zu ziehen, zumal heutzutage auch Ärzte in den entlegensten
Gegenden auf die eine oder andere Weise Gelegenheit zu mikroskopieren
haben werden.
Steht nun die Diagnose Gonorrhöe fest, dann drängt sich uns die
Frage auf, — meistens geben die Patienten selbst den Anlaß dazu —,
ob es nicht durch eine besonders intensive Therapie gelingen könnte,
die Gonokokken im Keime zu ersticken und die Dauer der Krankheit
dadurch bedeutend abzukürzen. Theoretisch freilich muß diese Möglich¬
keit zugegeben werden, und von einwandfreien Beobachtern liegen'Be¬
richte über Fälle vor, die durch eine solche Abortivkur in wenigen Tagen
wirklich geheilt wurden. Im allgemeinen aber stellt sich die Sache in der
Praxis doch anders dar. Ausschlaggebend für das mögliche Gelingen einer
Abortivbehandlung der Gonorrhöe ist nämlich die richtige Auswahl der
Fälle bezüglich der Entwicklungsdauer und der Erscheinungen der
Krankheit. Meist kommen die Patienten zu spät zum Arzte, als daß
es noch einen Wert hätte, abortiv zu behandeln. Liegt aber bei dem
einen oder anderen Falle der Infektionstermin nicht über vier Tage
zurück, ergibt die Inspektion keine Entzündung am Orificium urethrale
und nur leichte Trübung der ersten, natürlich völliges Freisein der
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
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zweiten. Urinportion, dann ist ein Versuch mit der abortiven Therapie
gerechtfertigt, wobei es aber im Interesse der ärztlichen Autorität
ratsam ist, auf das Unsichere des Verfahrens hinzuweisen. Ein Ver¬
fahren hat sich hierbei besonders bewährt, die Spülungen mit Kalium
permanganicum nach Janet. Er verwendet Konzentrationen von
1 / g —2°/oo und läßt diese mit dem Irrigator mehrmals in erwärmtem
Zustande in die anterior laufen, um sie nach kurzem Verweilen wieder
herauszulassen. Statt des Irrigators kann man eine große Druckspritze
verwenden. Das Verfahren wird 3 bis 4 Tage täglich zweimal wieder¬
holt, nach gonokokkenfreiem Befunde geht man zu einmaligen Spülungen
über, deren Konzentration man nach der Reaktion regulieren muß.
Ist das Sekret nur schleimig oder gar völlig verschwunden, so hört
man mit der Behandlung auf, indem man aber noch häufig Nach¬
untersuchungen zur Kontrolle vornimmt. Diese Spülmethode hat den
großen Vorteil, die Falten und Buchten der Harnröhre energischer zu
entfalten, als dies mit der einfachen Tripperspritze möglich ist und
verdankt diesem Umstande ihre nicht zu leugnenden Erfolge. Auch
bei voll ausgebildeten Tripperfällen kann man sich der Spülungen
bedienen, ohne freilich dabei eine nennenswerte Abkürzung der Krank¬
heitsdauer im allgemeinen zu erzielen. Auch die zweite Methode der
lokalen Gonorrhöebehandlung, die Injektionen, hat man zu Abortiv¬
kuren herangezogen. Blaschko injiziert, falls keine ßeizerscheinungen
vorhanden sind, an 3 folgenden Tagen 15 ccm einer auf 37° erwärmten
Lösung von
Protargol 4,0 Albargin 2,0
Glycerin 12,0 oder Aq. dest. ad 100,0
Aq. dest. ad. 100,0
und wartet dann unter ständiger mikroskopischer Kontrolle 6 Tage,
ehe von einer gelungenen Kur gesprochen werden kann. Andere wieder
lassen neben der starken noch schwächere Lösungen verwenden. Wie
die Methoden sein mögen, in günstigen Fällen wird man Erfolge er¬
zielen. in den meisten aber zur allgemeinen methodischen Therapie
übergehen müssen, zumal nicht selten auch ßeizerscheinungen wie
Lymphangitis oder Vorhautsehwellung das Einstellen der forcierten
Therapie erfordern. Sehen wir von der Anwendung jener oben erwahnten
Spülungen ab, die noch näher bei der chronischen anterior besprochen
werden sollen, so kommen für die Behandlung der Gonorrhoea anterior
acuta, zu deren Besprechung wir uns nun wenden, die Injektionen
mit der Tripperspritze in. Betracht. Diese Tripperspritze, deren Hart-
gummiansatz nicht spitz, sondern konisch sein soll, um Verletzungen
der Schleimhaut zu verhüten, enthält im allgemeinen 10—15 com. Diese
Quantität reicht bei normaler Harnröhrenkapazität aus, um die für
eine energische Wirkung des Medikaments erforderliche Entfaltung
des Organs zu ermöglichen. Infolge entzündlicher Schwellung der
Schleimhaut freilich gelingt die Injektion der ganzen Spritze anfänglich
nicht immer, worauf der Patient aufmerksam zu machen ist. Überhaupt
halte ich es für erforderlich, dem Kranken den Mechanismus des Spritzens
vorzumachen und sich vor Beginn der Therapie durch Augenschein
davon zu überzeugen, ob Abnormitäten, insbesondere paraurethrale Gänge
am orificium vorhanden sind. Vor jeder Injektion soll der Patient
urinieren und die eingespritzte Lösung erst 4—5, dann 8—10 Minuten
in der Harnröhre wirken lassen; vorteilhaft sind vor dem Schlafen¬
gehen sogenannte prolongierte Injektionen, die man auch durch mehrere
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hintereinander gemachte ersetzen kann. (15—30 Minuten.) Die Enjek-
tionsbehandlung beginnen wir, wenn nicht besonders starke Entzün¬
dungserscheinungen, Vorhautschwellung oder heftige Schmerzen einen
Gegengrund bilden, am Tage der ersten Konsultation. Wir lassen uns
hierbei von dem Grundsätze leiten, „die möglichst schnelle, sichere und
vollständige Beseitigung des Prozesses und seiner Erreger, die Verhinde¬
rung der Komplikationen und des Chronisch Werdens“ herbeizuführen,
bei „möglichst geringer Schädigung der Schleimhaut und zugleich Fern-
haltung aller Schädlichkeiten.“ (Jadassohn.) Diesen Forderungen ent¬
sprechen am meisten die antiseptischen Medikamente, deren Menge sich
alljährlich vermehrt, ohne freilich ein wirklich ideales Mittel zu bieten.
Sic befördern natürlich anfänglich die Eiterung, und der Arzt tut gut,
wenn er sich Vorwürfe ersparen will, darauf den Patienten aufmerksam
zu machen. Aber nicht nur den Patienten selbst; der Arzt muß sich auch
selbst stets vor Augen halten, daß seine erste Aufgabe bei der Behand¬
lung der akuten Anteriorgonorrhöe die Bekämpfung der Gonokokken,
nicht die Linderung der Sekretion ist. Im Gegenteil, die meist zuerst
einsetzende Steigerung der entzündlichen Erscheinungen ist im Sinne
der akuten Hyperämie und ihrer heute mehr denn je anerkannten
Heilwirkung ein wichtiger Faktor bei der Heilung der Gonorrhöe.
Darum ist die Verwendung von adstringierenden Mitteln zu verwerfen,
solange noch Gonokokken nachgewiesen sind, und die der Antiseptica
«allein geboten. Die Konzentration der Mittel freilich nimmt Rücksicht
auf die Heftigkeit der Entzündungserscheinungen, deren unnötige Stei¬
gerung stets vermieden ,werden sollte. Je akuter der Prozeß, desto
schwächer werden wir rezeptieren. (Jadassohn.) Den Vorrang unter
den antiseptischen Mitteln muß man auch heute noch dem von Neisser
in die Therapie eingeführten Protargol zuschreiben, das, ohne zu sehr zu
reizen, doch die beste gonokokkozide Wirkung ausübt. Die mitunter be¬
richteten Reizungen sind nicht selten auf Zersetzungen in älteren
Lösungen zurückzuführen, weshalb wir auch stets verordnen :
Sol. Protargoli ree. et frigide parati 0,5 — 1 — 1,5 — 2,0
auf 200,0 Aq. dest.
Ich erinnere mich nur ganz vereinzelter Reizungen, die völlig neben
der sonstigen vortrefflichen jWirkung verschwinden. Wir fangen gewöhn¬
lich mit 1 / 2 °/üig en Lösungen an und geben 1 / 4 0 / 0 ig' e nur bei recht empfind¬
licher Schleimhaut. Dem Protargol am nächsten stehend wird das Largin
gerühmt ,dessen Konzentrationen dieselben sind. In zahllosen Fällen
hat sich auch das Albargin bewährt, das in Lösungen
Sol. Albargini 0,2 — 0,5:200
angewandt wird. Das Ichthargan, in Verdünnungen 0,1/300—200 Aqu.
dest. gebraucht, hat gleichfalls viel Anklang gefunden, während wir
das bei der Gonorrhoea chronica und in subakuten Fällen trefflich'
bewährte Argentamin in floriden Anteriorfällen als zu stark reizend
ausscheiden. Auch das Argoriin ist ein brauchbares Präparat, das in
2—5°/ 0 igen Konzentrationen angewendet wird, leider aber von recht
labiler chemischer Zusammensetzung ist. Endlich wäre noch das altbe¬
währte Argentum nitricum nicht zu vergessen, das als Lösung von
0,1/400—200 aqu. dest. häufig von guter Wirkung, nur leider durch
Bildung von Silber-Eiweißverbindungen v mit den Gewebsflüssigkeiten
in seiner Tiefenwirkung beschränkt ist. Mit diesen antiseptischen
Mitteln, die in stetig ansteigender Konzentration verordnet werden.
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
U
injiziert, unser Patient; die Zahl der Injektionen, anfänglich 3, später
5—6, steigt, desgleichen die Dauer der Einwirkung. In unkompliziert
verlaufenden Fällen tritt dann meist im Verlauf der 3. oder 4. Woche
ein Nachlassen der Sekretion ein, mikroskopisch zeigen sich keine
Gonokokken, und an den Arzt tritt die Frage heran, ob ein Wechsel
der Therapie eintreten soll oder ob überhaupt die Gonorrhöe als erledigt
angesehen werden darf. [Man muß sich stets vergegenwärtigen, daß beides
mit. der Gefahr eines Rezidivs verbunden ist, und daß die Chancen
endgültiger Heilung umso größer sind, je länger antiseptisch behandelt
wurde. Wir setzen gewöhnlich nach 3—4 maligem negativen, mikro¬
skopischen Befunde aus und zwar zunächst für 1—2 Tage, an denen,
wir etwaiges Sekret genau kontrollieren. In sehr günstigen Fällen kann
der Prozeß damit völlig abgeklungen sein, erfordert aber noch längere
Beobachtung; meist aber bleiben Fäden oder noch Absonderung zurück.
In diesen Fällen greifen wir dann zu den provokatorischen Methoden,
deren chemische in mehrmaligen Injektionen z. B. von Argentamin (Liq.
argentamini 1,0 aqu. dest. ad 200,0) oder in H 2 0 2 Einträufelungen,
die durch das herausschäumende Sekret die Gonokokken mechanisch
herausbefördern (Alexander), und deren mechanische in einer Massage
der anterior auf der Bougie ä boule bestehen. Letztere wird mit einer
sterilisierten Borsäurelösung, nidPi mit einem fettigen Gleitmittel be¬
feuchtet, bis zum Schließmuskel eingeführt und dann, während der Penis
auf der Baachhaut lagert, unter ständigem Druck des Fingers auf die
Olive der Bougie langsam mehrere Male von hinten nach dem Orifizium
zu bewegt. Es liegt auf der Hand, daß dadurch das Sekret von den
Wänden der Harnröhre, aus den Drüsen und Falten mechanisch expri-
miort und noch infektiöses Material teils auf der Bougieolive teils am
nächsten Morgen zutage gefördert werden kann. Sicher ist diese Methode,
die wir, wenn möglich, in jedem Falle von Gonorrhöe ca. 8 Tage nach
Aussetzen der Therapie .vornehmen, natürlich nicht (v. Crippa), noch
weniger die chemische Provokation, bei der man an eine Hervorlockung
der Gonokokken durch Auflockerung der oberflächlichen Zellschichten
denkt. Fördern diese Provokationen nichts Verdächtiges zutage, dann
wenden wir zur Beruhigung des noch Testierenden Urethralkatarrhs die
früher so beliebten Adstringentien an, womöglich nach einer sogenannten
Übergangsperiode, in der wir Antiseptika und Adstringentia gleichzeitig
anwenden lassen. Das Zincum sulfuricum (0,25—5:100), die Ricord’sche
Lösung (modifiziert)
Zinc. sulfur.
Plnmb. acetic. ää 2,5
Aq. dest. ad 100,0
Das Argentum nitricum (0,02:100), das Resorcin (0,5—1,0:100,0);
bei rein epithelialer d. h. klinisch schleimiger A bsonderung auch noch das
Bismutum subnitricum in 2°/ 0 iger Lösung, vielleicht in Kombination
mit Argentum nitricum
Argent. nitric. 0,02
Glyzerin 2,0
Bismut. subnit. 2,0:125,0
bilden die Hauptbestandteile unseres Arzneischatzes. Die Injektionen
werden je nach der Sekretion 2—3 mal gemacht und 3—5 Minuten
in der Harnröhre gelassen. Nach Verlauf weiterer zwei Wochen — also
etwa in der 6. bis 8. Eirankheitswoche — stehen wir dann wieder vor
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der Frage, wann wir wieder mit der Therapie auf hören können. Ne
quid nimis gelte hier als oberster Grundsatz. Wir können durch eine
zu lange fortgesetzte Behandlung eher schaden und müssen oft genug
auch, wenn noch eine minimale schleimige Absonderung und Urinfäden
vorhanden sind, mit der Behandlung aufhören. Jadassohn spricht mit
Recht von einer bakteriologischen Heilung im Gegensätze zu der oft
nicht erreichten Restitutio ad integrum. Erstere aber müssen wir durch
häufige Nachuntersuchungen eventuell durch Anlage von Kulturen
sichern können, soweit das im Bereiche menschlicher Fähigkeiten liegt,
und unsere Patienten nach der Richtung hin unterrichten, daß zwar
noch Resterscheinungen vorhanden, diese aber — immer vorausgesetzt
eine genügende Anzahl von Untersuchungen — harmloser Natur sind.
Denn das kann erfreulicherweise betont werden, daß tausendfache Er¬
fahrung die Harmlosigkeit derartiger Residuen erwiesen hat und noch
täglich erweist. Wir sind also auch in der Lage, solche Fälle, in denen
der Status quo ante nicht erreicht wird, als geheilt zu betrachten, müssen
aber bei diesen mehr noch als sonst auf häufige Nachuntersuchungen,
eventuell auch in der Kultur, bei der Ehefrage dringen. Die vereinzelten
Fälle, in denen trotz häufiger mikroskopischer negativer Befunde später¬
hin eine Infektion erfolgt, sind zwar sehr traurig, kommen aber im.
Vergleich zu den anderen nicht in Betracht. Dieser nicht ganz befriedi¬
gende Ausgang einer Anteriorgonorrhöe findet sich sehr häufig in all’
jenen Fällen, in denen imsachgemäße Behandlung, Diätfehler, Lässig¬
keit des Kranken, oft aber auch unaufgeklärte Gründe ein abnorm langes
Vegetieren der Gonokokken auf der Schleimhaut herbeiführen. In diesen
Fällen ist es besser, statt mit dem Medikament, vor allem mit der Methode
zu wechseln. Wir lassen neben Injektionen vor allem Spülungen vorneh¬
men, deren Technik und Lösungen bei der chronischen anterior besprochen
werden sollen. Dieser energischeren Therapie bedienen wir uns oft auch
in allen jenen Fällen, in denen nach dem ersten Aussetzen der Therapie
sich wieder in der anterior reichliche Eiterabsonderung und mikrosko¬
pisch Gonokokken zeigen. Sie führt uns meist zum Ziele, leider gibt es
unter diesen Fällen solche, die nach jedesmaligem Aussetzen wieder
und wieder rezidivieren. Hier kommt dann das ganze schwere Rüstzeug
der chronischen Anteriortherapie in Anwendung, deren Besprechung
wir hier gleich anschließen wollen.
Gonorrhoea anterior chronica.
Es seien zunächst einige Bemerkungen vorangeschickt, die das
Wesen der sogenannten chronischen Anteriorgonorrhöe klären sollen.
Unter diesem Namen versteht man, nicht im Interesse der Therapie,
eine ganze Anzahl von Harnröhrenaffektionen, deren notwendige Son¬
derung die Unerläßlichkeit einer mikroskopischen Untersuchung, mit¬
unter auch der Kultur (Ascitesagar), selbst dem größten Skeptiker
vor Augen führt. Als chronischen Tripper schlechthin bezeichnet man
nämlich:
ad. 1 . Katarrhe, die eitrig-schleimige Absonderung monatelang
nach Beginn der Affektion noch aufweisen und die mikroskopisch noch
Gonokokken enthalten oder bei denen die Urinfilamente Trippererreger
aufweisen,
ad. 2. leider auch jene Zustände von Harnröhrenentzündung, in
denen sich bei Abwesenheit von Gonokokken noch reichliche Kiterab-
sonderung und zahlreiche Filamente finden, sowie
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
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ad 3. Die durch sekundäre Mikroorganismen hervorgerufene Ure¬
thritis. Die beiden letzterwähnten Urethritiden, denen der Name Ure¬
thritis post gonorrhoica viel eher zukäme, schalten wir zunächst aus
und besprechen vorerst nur die Therapie der echten chronischen Anterior¬
gonorrhöe. Neben scharfen, häufigen und prolongierten Injektionen:
Liq. argentamini 1,0 i Argent. nitric. 0,1
Aq. dest. 250—200 Aq. dest. ad 200,0
oder
Sol. Albargini 0,5 — 0,(5: 200
ist es im Interesse baldiger Heilung vorteilhaft, täglich Ausspülungen
der Harnröhre vorzunehmen. Auf die Vorteile derselben liabe ich schon
vorher hingewiesen: intensivere Entfaltung der Urethra und die Mög¬
lichkeit, mehr nach der Tiefe zu wirken. Drei Methoden stehen uns
für diese Spülungen zur Verfügung, die Spülungen mit Irrigator nach
Janet ohne Einführung eines Instruments, ferner diejenigen mit dem
Irrigator und gleichzeitiger Einführung eines Nelathon-Katheters in die
Anterior und schließlich die bequemsten, die Spülungen mit der großen
DrueksDritze (Wundspritze). Um das Prinzip der Anterior-Behandlung
strikt zu wahren, müssen wir auf ein möglichst promptes Funktionieren
des Schließmuskels der Urethra achten und nehmen deshalb die Spü¬
lungen am besten in liegender oder halbliegender Stellung vor. Wir
verzichten auf die Einführung eines Katheters, die ein langsames Be¬
rieseln der Harnröhren wände und durch zeitweises Verschließen der
Mündung eine besonders energische Ausdehnung der Urethra bezwecken
soll, meistens und wenden die einfache Methode mit dem Irrigator an.
Das olivenförmige Ansatzstück (Glas!) eines Irrigators, der ca. 1 Meter
hoch über dem Penis hängt, — nicht zu hoch, um ein Überwinden des
Schließmuskels zu vermeiden —, wird in das orificium so eingeführt,
daß die Lippen desselben der Olive eng anliegen. Nun läßt man Lösung
eindriDgen, bis man an dem Aufblähen der Harnröhre und einem gewissen
Zurückprallen der Lösung das Gefühl hat, daß der Schließmuskel er¬
reicht ist. Nach kurzem Verweileu wird die Lösung herausgelassen
und dio Prozedur erneuert, bis 1 / 2 —1 Liter die Anterior passiert hat.
Ähnlich ist die Technik der mit der Druckspritze vorgenommenen Spü¬
lungen, wobei man noch zur größeren mechanischen Entfaltung der
Harnröhre durch sogenannte ruckartige plötzliche Einspritzungen den
Kompressor energischer kontrahieren kann. (Kutner.) Als Ansatzstück
für die Spritze dient eine aus Weichgummi hergestellte Olive, die
auskochbar und sehr praktisch ist. Für diese Spülungen kommen folgende
erwärmte Lösungen in Betracht: .
sol. 1,0:4000 bis 1,0:1000,0
1,0:4000 bis 2000,0
Albargini sol. 1,0:1000 bis 400,0.
Diese Lösungen der Silbersalze müssen mit Aqu. dest. hergestellt
sein. Natürlich sind auch Kombinationen der Mittel, ebenso wie bei den
Injektionen angebracht. Oft können wir trotz dieser wochenlang fort¬
gesetzten energischen Therapie die Gonokokken nicht zum Verschwinden
bringen. Wir nehmen dann — mittels Untersuchung durch ein Bougie ä
boule — sehr Geübte können das endoskopisch nach weisen — infizierte
Infiltrate als Grundursache des hartnäckigen Übels an und handeln
demgemäß. Nunmehr wird die mechanische Behandlung zur Hilfe
Argenti nitrici
Kali permang
Argentamini sol.
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Gerhard Hahn,
heraiigezogen. Daß man zur Anwendung derselben erst schreiten wird,
wenn die akutesten Erscheinungen vorüber sind, ist selbstverständlich.
Als einfachste, kaum mechanisch wirkende Behandlungsmethode sei die
Anwendung der Schmelsbougies erwähnt, die im Prinzip den früher ge¬
brauchten Antrophoren ähneln. Während bei diesen die medikamentöse
Substanz in Spiralen in die Harnröhre eingeführt wurde und dort unter
der Körperwärme schmolz, bestehen die Schmelzbougies (von der Firma
Noffke in den Handel gebracht) nur aus medikamentöser Substanz,
d. h. aus Kakaobutter und dem Medikament. Man kann da Protargol,
Argentum in verschiedenen Konzentrationen anwenden, auch die Adstrin-
gentien werden zu Bougies verarbeitet. Daß natürlich die dehnende
Wirkung bei dem weichen schmelzbaren Material nur äußerst gering
ist, liegt klar auf der Hand. Eine wirkliche instrumenteile Entfaltung
der Harnröhre kann man eben nur durch regelmäßige Bougierung er¬
zielen, wozu sich die elastischen Bougies (deutsches Fabrikat von Ruesch)
und noch mehr die Metallsonden eignen. Die elastischen Bougies, die
man am besten in Formalindämpfen oder iu Sublimutglyzei in (Suhl. 1,0
Glyc. Aqu. ä ad. 1000.0) aufbewahrt, haben nur den Nachteil, für den
Gebrauch der anterior allein zu groß und damit zu unhandlich zu sein.
Die kurzen sogenannten Kollmann’schen Sonden aus vernickeltem Metall
eignen sich für die Anterior besser, sie werden natürlich vor jedem Ge¬
brauch ausgekocht und mit ■ Glyzerin oder Katheterpurin eingefettet.
Nach sorgfältiger Desinfektion des Orificium urethrae wird die Sonde
eingeführt und die Harnröhrenschleimhaut langsam auf der Sonde
massiert, um die möglicherweise verklebten Urethraldrüsen zu expri-
mieren oder Infiltrate oder gar Strikturen zu dehnen. Denn auch die
Behandlung dieser noch später zu besprechenden Komplikation vollzieht
sich in gleicher Weise. Um mit der Dehnung gleichzeitig eine medika¬
mentöse Wirkung zu vereinigen, hat man wohl auch die Bougies mit
Argentum, Protargolsalben eingefettet, ja man hat sogar eigens dazu
eingerichtete Sonden mit Vertiefung konstruiert. Im allgemeinen aber
sucht man durch nachfolgende Spülungen mit den oben angegebenen
Medikamenten auf die gedehnte Schleimhaut zu wirken, wobei dann
wegen der notwendigen Einwirkung streng darauf zu achten ist, daß
zum Einfetten nicht das zäh an der Schleimhaut haftende Faraffinum
liquid., sondern eben Glyzerin usw. zu verwenden ist. Nach dem Bou-
gieren rät man dem Patienten, mehrere Stunden keinen Urin zu lassen,
von der Anschauung ausgehend, daß der sehr häufig Mikro bien führende
Harn zu einer Infektion führen könne, und läßt außerdem dreimal täglich
eine Tablette. Hexamethylentetramin 0,5 nehmen. Sehr vorsichtige Au¬
toren raten sogar ab, ein Bougie unmittelbar nach dem Urinieren einzu¬
führen. (M. v. Zeißl.) Neben diesen kurzen Sonden kommen auch
die gekrümmten sogenannten Beniquebougies in Anwendung, die bis in
die Blase eingeführt werden, aber eine gewisse Übung in der Handhabung
erfordern. Führen auch diese therapeutischen Maßnahmen zu keinem
Ziel, dann versucht man, mit einem der vielfach konstruierten Dehn¬
apparate die Schleimhaut durch energische Entfaltung einer nachfol¬
genden Spülung zugänglicher zu machen. Wir verwenden dazu den vier¬
teiligen Kol lmaniisehen Dehner, dessen Branchen so abgeschliffen sind,
daß auch ohne Gummiüberzug ein Einführen des Instruments möglich
ist. Nachher folgt dann, wie bei den Bougies, eine Spülung mit einem
Antiseptikum, während Injektionen nebenher vom Patienten selbst ge¬
macht werden. Der sogenannte Spüldehner sucht dann Spülung und
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
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Dehnung gleichzeitig zu kombinieren. In den meisten Fällen von chro¬
nischer Anteriorgonorrhöe dürfte wohl unser oft sehr mühevolles Ar¬
beiten von Erfolg gekrönt sein, freilich nur unter Aufwendung höchster
Geduld von seiten des Arztes, des Patienten. Manche Fälle entziehen
sich vorzeitig der Therapie, manche aber — man muß es zugestehen —
bleiben unheilbar.
Die ad 2 erwähnte Urethritis mit eitrig-schleimiger Absonderung
und Urinfilamenten ohne Vorhandensein von Gonokokken — immer vor¬
ausgesetzt eine genügende Anzahl negativer Untersuchungen — ist, was
die Behandlung anbetrifft, ein schwieriges Kapitel. Ging schon eine
längere antigonorrhoische Behandlung voran, dann tut man gut, zunächst
nichts zu machen, da nicht selten die Sekretion durch die fortwährenden
Manipulationen vermehrt, ja oft nur unterhalten wird. Tritt kein Nach¬
lassen ein, dann verordne man Injektionen mit adstringierenden Mitteln:
Zinc. sulf. i Kal. permang. 0,04:200
Plumb. acetic ää 1,0 : 200 Aq. dest. L Argent. nitric. 0,05 : 200,0
oder Spülungen mit:
Zinc. sulf. 1:1000,0
Kal. perm. 1: 5000,0 — 4000,0 — 2000,0
oder die von Finger warm empfohlenen Injektionen von Cuprum sulfuri-
cum ( 1 / 4 —4—5°/ 0 ), wovon jeden zweiten Tag 4—5 Injektionen zu
machen sind. Erweist die Untersuchung Infiltrate in der Urethra,
dann kommen die oben geschilderten Delmungsverfahren in Betracht.
Sind aber, wie das bei der ad 3 geschilderten Form der chronischen
Anteriorurethritis gerade nach einer langwierigen Gonorrhöe nicht selten
vorkommt, im Sekret zahlreiche Bazillen und Kokken vorhanden, dann
verordne man zunächst:
Sublimat 1:20,000 bis 10,000
Resorcin 1—2°/o
Hydrarg. oxycyanat. 1:3000 — 2000,0
Hydrarg. peroxydat. 1:100,0
zu Injektionen (2- 3 tägl.) oder zu täglich einmaligen Spülungen. Erst
nach Beseitigung der Bakterienflora kann man dann, falls erforderlich,
dehnen und in der beschriebenen "Weise Vorgehen.
Mehr denn je ist es aber in diesen Fällen postgonorrhoischer
Urethritiden angebracht, sich vor Polypragmasie zu hüten. Man leistet
seinen Kranken einen besseren Dienst, wenn man sie auf Grund sorg¬
fältiger Untersuchungen und eventueller Heranziehung der Kultur über
die Nichtinfektiosität ihres Katarrhs aufklärt, als wenn man sich an¬
maßt, jede Urethritis beseitigen zu können. Bezüglich der endgültigen
Heilung mag auch ein Hinweis auf das schon bei der Anteriortherapie
Gesagte genügen. An dieser Stelle sei in Kürze auch jener einfachen
Urethritis gedacht, die ohne Gonorrhöe auftreten kann, keine anderen
Mikroorganismen aufweist und dennoch oft sehr chronisch sein kann.
Adstringentien in dünner Konzentration, bei mehr schleimiger Be¬
schaffenheit z. B.
Sol. Bismut. subnitric. 2%
werden hier zu verordnen sein, freilich wird in ungünstigen Fällen auch
hier eine völlige Heilung oft nicht möglich sein. (Fortsetzung folgt.»
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Stickstoff- und Kochsalzstoffwechsel bei der Karell’schen Milchkur.
Von C. He gl er.
(Vortrag in der biologischen Abteilung des ärztlichen Vereins zu Hamburg, Sitzung
vom 18. Oktober 1910.)
Seit Sommer 1908 an zahlreichen Fällen teils reiner, teils mit
Kompensationsstörungen komplizierter Fettsucht vorgenommene Unter¬
suchungen des Kochsalz- und Stickstoff-Stoffwechsels ergaben, daß die
Karellkur (7 Tage lang je 800 ccm Milch mit einer täglichen Zufuhr von
rund 520 Kalorien und etwa 27 g Eiweiß) sich beträchtlich unter dem
Eiweiß- resp. Kalorienminimum hält, also eine rigorose Hungerkur dar¬
stellt, von der man eigentlich Schädigungen des Organismus erwarten
müßte. Das ist nicht der Fall.
Die in den ersten Tagen meist großen Gewichtsverluste im Verlauf
der Karellkur (2,4, ja 8 und 12 kg in den ersten drei Tagen) sind wesentlich
bedingt durch Ausschwemmung gewaltiger, zuvor retinierter Wasser¬
mengen. Auch in Fällen sog. „reiner Fettsucht“ pflegen im Fettgewebe
regelmäßig über Erwarten große Quantitäten von Wasser — richtiger
wohl Kochsalzlösung — als „latente Hydropsien“ verborgen zu sein.
Damit steht im Einklang, daß in den ersten Behandlungstagen regel¬
mäßig eine bedeutende Kochsalzausschwemmung zu beobachten ist
(tägliche Werte von 10, 12, 20 g und darüber). Vom fünften bis achten
Tage ab sinkt die Kochsalzausfuhr, ja es macht sich oftmals eine vorüber¬
gehende Tendenz zu Kochsalzreduktion bemerkbar; meist aber werden im
ganzen doch ansehnliche Cl-Na-Mengen (46 g in 24 Tagen, 59 g in
20 Tagen und ähnliche Werte) mehr ausgeschwemmt als eingeführt.
Die Kochsalzarmut der Karelldiät (rund 1 g in 800 ccm Milch)
ist jedoch nicht das alleinige oder wesentlich wirksame Prinzip: fügt
man zu den 800 ccm Milch längere Zeit hiudurch (in einem Versuche
10 Tage lang) je 10 g Kochsalz eigens hinzu, so erfolgt gleichwohl ein
ebenso prompter Gewichlsabfall und klinische Besserung wie bei der
gewöhnlichen „ungesalzenen“ Karelldiät. Das setzt freilich voraus,
daß funktionstüchtige Nieren durch stark erhöhte Kochsalzausfuhr sich
dieser Mehrausfuhr zu entledigen vermögen: eine Kranke mit Fettsucht,
Myokarditis und chronischer Neprhitis (2—12 °l 00 Alb.) zeigte bei solcher
Salzzulage (täglich 10 g) erst Abnahme, jedoch schon nach zwei Tagen
Stillstand, dann Zunahme des Gewichts infolge Kochsalz- und gleich¬
zeitig damit einhergehender Wasserretention.
Berechnungen der Stickstoff - Bilanz bei Karellkur ergebeu
durchweg beträchtliche, oft erschreckend große N-Unterbilanz. Beispiels¬
weise schied ein Kranker mit hochgradiger Fettsucht, Myokarditis und
Leberzirrhose vom zweiten bis achten Behandlungstage in Harn und
Stuhl 105 g N mehr aus, als die Zufuhr betrug; das würde bei Nicht-
berücksichtigung des Retentions - Stickstoffes einer Einschmelzung von
rund 3 kg Muskelsubstanz entsprechen! Und dabei wurde rasche sub¬
jektive und objektive Besserung bis zur Arbeitsfähigkeit erzielt.
Daß für die Beurteilung des Wertes solcher Kuren nicht theoretische
Stoffwechselbetrachtungen, sondern schließlich doch eben nur praktische
Erfolge, und zwar Dauererfolge, den Ausschlag geben können, illustriert
neben Dutzenden von erfolgreich behandelten Fällen besonders deutlich
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Referate und Besprechungen.
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ein geradezu einzigartiger Fall von hochgradigster Fettsucht: ein 35jähriger
Spanier nahm in 81 Tagen unter mehrfach wiederholter Karellkur und
stets stark eingeschränkter Diät (die niemals 6—700 Kalorien über¬
schritt) von 225,5 kg auf 174,7 kg, also 50,8 kg = 101 Pfd.! ab —, das
Allgemeinbefinden und die Leistungsfähigkeit aber hoben sich bei dieser
protrahierten Hungerdiät so glänzend, daß der vorher in fast völliger
Unbeweglichkeit ans Bett gefesselte Kranke schließlich den ganzen Tag
auf sein und sechsmal eine Viertelstunde ohne Anstrengung gehen konnte.
Autoreferat.
Verein deutscher Ärzte in Prag.
Sitzung vom 21. Oktober 1910.
Dr. Hock und Dr. Porges demonstrieren eine Anzahl von Röntgen¬
photographien des Nierenbeckens und Ureters nach Kollargolfüllung und
verweisen auf die Einfachheit und Nützlichkeit dieses als Pyelographie
bekannten Verfahrens. Indiziert ist diese Untersuchungsmethode insbe¬
sondere bei Wandernieren, bei Erweiterung des Nierenbeckens und Ureters
zur Differentialdiagnose von Tumoren der Niere gegen solche anderer Ab¬
dominalorgane, sowie zum Nachweise kongenitaler Abnormitäten der Niere
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Henry Sewall (Denver), Vorläufige Notiz über die medizinischen An¬
wendungen von Mastdarmeingießungen. (The americ. journ. of the medic.
ßcienc., Oktober 1910.) Die Benutzung des unteren Darmendes als Kanal
für die Einführung von Flüssigkeiten jn den Körper, fast so alt wie die
Medizin, ist seit ihrer rationellen Gestaltung durch J. B. Murphy ein
chirurgisches postoperatives Hauptmittel geworden — was Wunder, daß die
Proktoklyse nunmehr auch in der inneren Medizin ihren Platz einnehmen zu
wollen scheint. Theoretisch verursachen Mastdarmeingießungen weniger Stö¬
rungen für den Körper als durch andere Kanäle ihm zugeführte Flüssigkeiten
und nach der Murphy’schen Methode jedenfalls ein Minimum von Peristaltik.
Warm vermehren sie die Diurese, sie diluieren Toxine, die von irgendeinem
Infektionsherd ausgehend, im Körper zirkulieren und sich, wie z. B. nament¬
lich bei Gonorrhöe, vorzugsweise in schon irgendwie vorher lädierten Geweben
festsetzen. Hier kann also die Proktoklyse direkt schmerzlindernd wirken
und die Ausdehnung der Infektion hindern. Schließlich erhöhen Mastdarm-
eingießungen den arteriellen Blutdruck und sind frei von den mancherlei
Nachteilen des Eingebens durch den Mund. Diesen Erwägungen entsprechend
ist S. in seiner Praxis verfahren, und zwar namentlich da, wo es sich um eine
Erhöhung des arteriellen Blutdrucks, um Anregung der Diurese und Ent¬
leerung eines Ergusses oder Bekämpfung einer Toxämie handelte. Besonders
gute Erfolge hat er bei Delirien, namentlich bei Del. trem. und Scharlach
gesehen. Das Wesentliche der Murphy’schen Methode besteht darin, daß
Rektum und Reservoir frei miteinander kommunizieren, so daß sich jeder
hydrostatische Überdruck sofort ausgleichen kann. Peltzer.
M. Loeper (Paris), Kalkverlust bei Erkrankungen des Darms. (La
Tribüne med., Nr. 37, S. 581—583, 1910.) Eine Reihe sorgfältiger Analysen
hat ergeben, daß bei Durchfällen aller Art (Enteritis mucomembranacea,
Cholera, Typhus, Ulcera, Hyperazidität) nicht bloß Wasser und Schleim ver¬
loren gehen, sondern auch Kalksalze. Aus der resultierenden Verarmung
der Organe an Mineralsalzen erklärt Loeper — wenigstens zum Teil —
eine Reihe von Symptomen: die verringerte Gerinnungsfähigkeit des Blutes,
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Referate und Besprechungen.
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gewisse Formen von Purpura, Hämorrhagien, Tetanie, Epilepsie, Urtikaria,
Zirkulationsstörungen, Hautjucken, Erytheme, Asthenie, Kopfweh, Erregbar¬
keit, Neurasthenie, Psychasthenie, Abmagerung und den allgemeinen Verfall.
Schließlich biete solch ein kalkarmer Organismus besonders günstige Ansied¬
lungsbedingungen für den Tuberkelbazillus.
Therapeutisch kommt zunächst in Betracht, die Aussehwemmungsmittel
des Kalks fernzuhalten: Also keine organischen Säuren, kein Essig, keine
sauren Gewürze (höchstens etwas Zitrone)! auch die Milchsäure ist zu ver¬
meiden. Dann muß man suchen, dem Organismus Ca-Salze beizubringen.
Von den Nahrungsmitteln enthalten mehr als 2%o au Kalksalzen: Kuhmilch,
Käse, Eier, Zwiebel, Bohnen, Grünkohl, Erdbeeren; — zwischen 1—2°/ 0 o ent¬
halten: Stutenmilch, Erbsen, Linsen, Blumenkohl; — weniger als l°/oo ent¬
halten: Brot, Fleisch, Fisch, Hirn, Kartoffel, holländische Bohnen, Spargel,
Äpfel, Birnen, Pflaumen, Kirschen, Heidelbeeren usw. Man muß aber be¬
denken, daß hei der üblichen Zubereitung (‘in großer Teil der Salze heraus¬
gekocht wird.
Von den Kalksalzen empfiehlt Loeper an erster Stelle Chlorkalzium,
demnächst Calcium lactophosphorinun und biphosphoricum; auch das Kalzium-
glyzerophosphat erklärt er für bewährt. Um das Ca im Körper festzuhalten,
gibt man Phosphor, Lezithin, kohlensaure Bäder. Buttersack (Berlin).
Walter V. Brcm u. A. H. Zeller, Ipecacuanha in der Behandlung der
Amöbiasis. (The americ. journ. of the medic. scienc., November 1910.) Nach
4jährigen vergeblichen Versuchen, die Darm-Amöbiasis durch Bettruhe, Diät,
reichliche Klistiere mit normaler Salzlösung, Chinin, Thymol sowie Chinin
und Thymol kombiniert zu heilen, gingen B. und Z. infolge von Empfehlung
englischer Autoren, namentlich Manson’s (medical record, Novbr. 1910), zu
Versuchen mit Ipecacuanha über, anfangs ohne, später mit Erfolg, so daß
sie jetzt 14 Heilungen damit verzeichnen, davon 8 6 Wochen bis 5 1 /* Monate
lang verfolgte und auf 'Amöben untersuchte Fälle mit Dysenterie, >3 mit
Dysenterie weniger als 6 (Wochen und 3 ohne Dysenterie 2 bis 5 Monate
lang verfolgte. 4 andere, picht genügend behandelte Fälle zeigten keinen'
vollen Erfolg in bezug auf die Ausrottung der Amöben. Die Dicke des Salol-
überzuges der Ipecacuanhapillen muß natürlich so bemessen sein, daß einer¬
seits Erbrechen verhütet, andererseits der Durchgang der intakten Pillen durch
den Darmkanal gewährleistet wird. Wahrscheinlich am besten beginnt man
•mit 60—$0 Gran bei Bettruhe und gellt allmählich bis zu 10 Gran herunter.
Mitunter werden Schnellkuren mit 3mal 40 Gran innerhalb 24 Stunden
erreicht. Der Kranke sollte im Bjet.t bleiben und nur flüssige Nahrung zu
sich nehmen. Opiate sind nicht nötig. Verff. versichern, daß diese Kur
jeder anderen von ihnen bisher versuchten überlegen sei und meinen, sie sollte
jedenfalls stets versucht werden, ehe man an einen chirurgischen Eingriff
denkt. Peltzer.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
W. Stoeckel (Marburg), Über die Wertheim-Schauta’sche Prolapsopera¬
tion. (Arch. f. Gyn., Bd. 91, H. 3, 1910.) St. hat in Marburg 40 Prolapse
nach Wertheim-Schauta operiert. Auf Grund seiner Erfahrungen macht er
auf einige wichtige Dinge aufmerksam und gibt beherzigenswerte Ratschläge.
Um ein Zystozelenrezidiv zu vermeiden, müsse der ganze Zystozelensack
einschließlich der seitlichen Zipfel gründliehst mobilisiert werden, ev. unter
Durchschneidung der seitlich abwärts gehenden „Blasenpfeiler“. Von einer
Freipräparierung der ebenfalls mit tief gezogenen Ureteren hat St. bisher
abgesehen. Zweitens ist der Uterus so unter die Illase einzufügen, daß er die
Gesamtblase trägt und dauernd gleichsam auf seinem Rücken behält. Dazu
ist nötig, daß der Uterus willig sich mit seinem Fundus bis unter die
Harnröhre herabziehen läßt; geht das nicht, dann sieht St. von der Inter -
Position ab, da sonst infolge der mehr weniger bald und mehr weniger
stark eintretenden Wiederaufrichtung des Uteruskörpers Verhältnisse ge¬
schaffen werden, die schlechter sind, als zuvor.
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Referate und Besprechungen.
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Völlig ungeeignet als Blasenpelotte ist ein atrophischer Uterus, am besten
eignen sich mäßig metritisch vergrößerte Uteri. Aus mechanischen Über¬
legungen heraus amputiert St. nie eine Portio bei Anteversio uteri, nur
bei spitzwinkliger Anteflexio; auch fixiert er nur die obersten zwei Drittel
Jer Korpuswand au die Vagina, um eben die Portio nicht nach vorn zu
ziehen. Stets kontrolliert St. vor der Interposition die Innenfläche
des Uterus auf etwaige maligne Neubildungen. Zu diesem Zwecke eröffnet
er nach Schließung der Pliea die Korpushöhle durch einen Medianschnitt
und zieht durch zwei Kugelzangen die Uteruswände genügend auseinander.
Um aber gleichzeitig für die Zukunft vörzubeugen, selbst wenn nur Fluor
zu befürchten wäre, schabt er die gesamte Uteruskorpusschleimhaut
gründlichst aus und vexscihorft sie energisch mit dem Paquelin. Er hat
nie Sekretstauungen bei der Schorfablösung erlebt. Der Uterussehnitt wird
mit Katgut geschlossen. Sehr exakt müsse die Blutstillung ausgeführt
werden. Bei der Tubenresektion — die nötig ist in Fällen, wo ev. noch
Konzeption eintreten könnte — soll man entweder ganz oberflächliche, sero-
spröse Nähte oder ganz tiefe machen; halbtiefe Nähte stechen stets Ge¬
fäße an! Ganz nebensächlich (entgegen Lichtenstein, Ref.) sei die hohe
oder tiefe Anheftung der Plika auf der Uterushinterwand, da erstere ein
viel zu zartes dehnbares Häutchen sei, als daß sie als Halte- oder Stütz-
mittel für die Blase in Betracht komme. — Postoperative Blasenstörungen
wurden öfter beobachtet, eine Frau starb an Lungenembolie. — St. hält die
lüterpositio uteri für die beste Zystozelenoperation bei Frauen, bei denen
• me Konzeption nicht mehr in Frage kommt. Sie ist technisch einfach,
dauert aber lange, da sie mit einer Seheidendammplastik verbunden werden
muß. Besonders bei Myokarditis ist sie unbedingt unter Lumbalanästhe¬
sie zu machen. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
Elmiger (St. Urban), Beitrag zur pathologischen Anatomie hoch¬
gradiger Miosis mit Pupillenstarre. (Archiv für Psvch., Bd. 47, H. 2.)
Das Ui .Jahre bei einer Taboparalyse beobachtete obige Symptom führt E.
zurück auf eine sehr starke zellige Infiltration des Endoneuriums des Oku-
' motorius, wodurch dessen pupillenverengende Fasern in einem fortwährenden
Roizzustand sich befanden. Zweig (Dalldorf).
Pötzl u_ Schüller (Wien), Uber letale Hirnschwellung bei Syphilis.
Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 3, H. 1 u. 2.) Zwei Fälle von akuter
Hirnschwellung veranlassen dieVerf., die Entstehungsweise derselben und ihre
Wichtigkeit zu besprechen. Die Bedingungen, die disponierenden Momente,
sind durch alle Veränderungen gegeben, welche die Kommunikation zwischen
•’xtra- und intrakranieller Zirkulation erschweren, also wie im ersten Falle,
L-rdickungen der Diploe und Ependymwucherungen oder wie im zweiten Fall
‘•'.ae umschriebene Verlötung der Gehirnhäute mit dem Gehirn inf. einer
Parhymeningitis. Die akute Schwellung kommt zustande durch eine allge¬
meine Steigerung des Blutdruckes, durch eine toxische Hirnhyperämie oder
akute Entzündung (Encephalitis im ersten, Alkoholabusus im zweiten Falle ».
Die schnelle Fortleitung des vermehrten Druckes von den Ventrikeln durch
he geschwellte Hirnsubstanz auf die Rinde führt zu epileptogenen Anfällen.
Handelt es sich, wie bei der umschriebenen Pachymeningitis, um lokale
öningen, so kann es zur Hemiepilepsie kommen. Da die Disposition zu
-hleehtem Ausgleich von Volumensschwankungen des Gehirns auch ange¬
boren Vorkommen kann (Turmschädel), erklärt man sieh wohl mit Recht
in* Eigentümlichkeit mancher Individuen, schon auf leichte Infektionen mit
zerebralen Symptomen zu reagieren, durch diese Disposition zur Hirnschwel-
Eng, ferner auch die großen Stauungserscheinungen bei kleinen Hirntumoren
mancher Kranken. Audi die Fälle von idiopathischer Migräne werden so
'"Händlicher, da man hierbei Druekusuren in der Schädelinnenflädie kon-
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Referat« und Besprechungen.
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slatieren kann. Ebenso ist nun zu begreifen, daß lediglich Kopfschmerzen,
meningeale und zerebrale Erscheinungen im ersten Stadium der Lues dispo¬
nierend für spätere spezifische und nichtspezifische Erkrankungen wirken
können. Ist jemand gegen ein Gift überempfindlich wie der eine Pat.
gegen Ilg, so reagiert er schon auf geringe Dosen mit bedrohlichen Sym¬
ptomen, und weitere Anwendung des Medikamentes ist nicht ratsam. Die
Hirnschwellung selbst beruht auf einer intensiveren Wasseraufnahme des
Gehirngewebes, auf einer Quellung der Gewebskolloide, wie sie stets bei
Sauerstoffmangel oder behinderter Kolilensäureabfuhr überall im Organismus
beim Ödem entsteht. Zweig (Dalldorf).
Redlich (Wien), Über die Pathogenese psychischer Störungen bei Hirn¬
tumoren. (Jahrb. f. Psych., Bd. 31, H. 2 u. 3.) Die als Folge von Hirntumoren
nicht, selten auftretenden psych. Störungen können vorübergehender oder
dauernder Natur sein. Die ersteren schließen sich entweder an Kopfschmerz-
paroxysmen an — Schwindel, Benommenheit, hochgradige bis zur Tobsucht
sich steigernde Erregung — oder an epileptische Anfälle in Gestalt der
postepileptischen Psychosen hochgradige Erregbarkeit bis zur blinden
Aggressivität, Benommenheit, Delirien und Halluzinationen, in beiden Fällen
oft mit Amnesie. Die meist progressiven Dauerzustände — Apathie, Hem¬
mung, Verlangsamung und Demenz — beruhen wohl auf chronischen Druck
Steigerungen, die akuten auf vorübergehenden. Intoxikatorische Momente
spielen dabei wohl eine sehr viel geringere Rolle. Der Sitz des Tumors
ist für die psychischen Symptome nicht gleichgültig, und den Halluzina¬
tionen z. B. kommt nicht selten die Bedeutung eines Herdsymptoms zu
(z. B. Gesichtshalluzinatioüen bei Erkrankungen des Schiäfenlappeus). Dit*
operative Beseitigung bewirkt ebenso wie oft auch schon die Palliativ¬
trepanation Besserung der psychischen Symptome. Zweig (Dalldorf).
A. Marie (Villejuif) u. P. Beaussart (Paris), Die Tuberkulose als
ätiologischer Faktor bei Psychosen. (Revue de Medecine, Nr. 9, S. 745 bis
75G, September 1910.) „Wir befinden uns in einer Periode tiefster geistiger
Depression, während welcher sieh alles Leben auf die materiellen, mecha¬
nischen Interessen zurückgezogen hat.“ So .schrieb R. Virchow in einem
Aufsatz über Autoritäten und Schulen in seinem ; Archiv, Band 5, 18531
Fügt man dem Satz noch die chemischen Interessen ein, so gilt er auch
fürs Jahr 1910. Die beiden Forscher bemühen sich im vorliegenden Aufsatz
mit vielen Worten um die Frage, inwieweit eine tuberkulöse .Erkrankung
zu Psychosen oder wenigstens zu Charakteränderungen führen könne; aber
ihr Resultat- ist negativ. Sie versuchten es mit der Haut- und Ophthalmo¬
reaktion, mit der Seroagglutination und der Komplementbindung nach Mar-
morek; aber der unbeteiligte Leser entnimmt den Ausführungen eher, daß
dio verschiedenen diagnostischen Merkmale weder unter sich noch mit dem
klinischen 'Befund übereinstimmen, als daß man auf diesem Wege in die
Ätiologio der Seelenzustände eindringen könne. Auf solche Unternehmungen
passen also die Worte von Julian Schmidt in seiner Geschichte der deut¬
schen Literatur I, S. 8, 1858: „Sie suchen die Aufklärung nur da, wo sie nicht
zu finden ist, und für das Naheliegende siud ihre Augen verschlossen.“
Butlersack (Berlin;.
P. Weber (München), Blutdruckmessungen bei Manisch-depressiven und
Dementia praecox. (Archiv für Psych., Bd. 47, II. 2.) Die Erfahrung, daß
der Blutdruck und die Pulszahl bei manischen wie bei depressiven Kranken
beträchtliche Steigerungen im Verlaufe aufweisen können, welche mit der
Genesung und dem Steigen des Körpergewichts zur Norm sanken, daß andrer¬
seits Pulszahl und maximaler Blutdruck bei Dementia praecox-Kranken
relativ niedrig gefunden wurde, bestätigt W. in einer recht großen Unter¬
suchungsreihe. Dabei hebt er die Gleichheit im Verhalten der stviporösen
und erregten Dementia praecox-Kranken hervor und ihren Gegensatz zu den
manischen und depressiven, ein Umstand, der die Abtrennung beider Gruppen,
andrerseits die enge Zusammengehörigkeit der manischen und depressiven
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Referate und Besprechungen.
21
Erkrankungen als richtig beweist. Über die Gründe des verschiedenen Ver¬
haltens ist mit Sicherheit nichts zu sagen, vielleicht spielt der verschiedene
Affekt bei beiden Erkrankungen eine große Rolle. Zweig (Dalldorf).
M. Löwy (Marienbad-Prag), Über Demenzprozesse und ihre Begleit¬
psychosen nebst Bemerkungen zur Lehre von der Dementia praecox. (Jahrb.
für Psych., Bd. 31, H. 2 und 3.) Aus dem großen Gebiet der Dementia
praecox greift Löwy die in Verblödung ausgehenden Fälle heraus. Es
handelt sich um eine charakteristische Demenz, die im Fehlen der elementaren
Störungen besteht, so daß Auffassen, Behalten und Erinnern korrekt ist im
Gegensatz zu anderen Demenzzuständen. Die hervortretende Zerfahrenheit
der Dementia praecox-Kranken ist vielmehr der Ausdruck einer Denkablauf -
Störung, ein allgemeiner Mangel der Direktion des Denkens, Fühlens und
Handelns, einer alle psychischen Funktionen betreffenden Intentionsleere.
Nur diese Demenz ist charakteristisch, nicht die psychomotorischen Er¬
scheinungen. Im Beginn oder Verlauf der verschiedenen Demenzprozesse
treten nun oft Symptome hervor, die wir als funktionelle kennen. Diese funk¬
tionellem Symptome faßt Löwy als Begleitpsychosen auf und nimmt an, daß
die denselben zugrunde liegende psychopathische Konstitution im Verlauf
der zur Demenz führenden Grundkrankheit erworben werden kann und unab¬
hängig von derselben und neben ihr besteht, und beide Psychosen (Demenz
und funktionelle Psychose) koordinierte Ausdrucksformen des zugrunde
liegenden Hirnprozesses sind, zu denen dann noch weitere Ausfallserschei¬
nungen die „Hirnschädigungssyndrome“, Benommenheit, delirante Bewußt¬
seinstrübungen, amnestische Syinptomenkomplexe hinzukommen.
Die Arbeit dürfte in vieler Beziehung zum Widerspruch und zur Ab¬
lehnung herausfordern. Es kann hier darauf nicht eingegangen 'werden.
Richtig ist, und dies ist allgemein anerkannt die eigenartige charakteri-
Mtrende Demenz und die zahlreichen funktionellen Züge.
Zweig (Dalldorf).
L. Andernach (Königsberg i. Pr.), Beiträge zur Untersuchung des Liquor
cerebrospinalis, mit bes. Berücksichtigung der zelligen Elemente. (Arch. für
Psych., Bd. 47, H. 2.) Nonne’s che Phase 1 und Lymphozytose sind bis zu einem
gewissen Grade für die svphilogenen Erkrankungen des Zentralnervensystems
charakteristisch, finden sich aber regelmäßig auch bei der Mening. tubercul.
Eine Unterscheidung der verschiedenen syphilogenen Erkrankungen erlauben
sie nicht. Untersucht wurden dieselben mit einer von Meyer vorgeschlagenen
Modifikation der Alzheimer’schen Methode, mit der angeblich die Härtung
lasser gelingt. Statt des von Alzheimer benutzten xAlkoliol wird Zenkcr-
?rhe Flüssigkeit verwandt, wobei dann aber vor der Färbung das Sublimat
durch Jodkali und dann wieder letzteres durch Alkohol entzogen werden muß.
Zweig (Dalldorf).
K. Petren (Lund), Über die Bahnen der Sensibilität im Rückenmark usw.
'Arch. f. Psych.. Bd. 47, H. 2.) Das Studium von 95 Fällen von Stich Ver¬
letzung des Rückenmarks führt P. zur Bestätigung seiner früheren An¬
gaben bez. der Sensibilitätsbahnen an. Für den Schmerz- und Temperatur-
siim verlaufen sie im gekreuzten Seitenstrang (wahrscheinlich dem Gowers-
M-hen), der Tastsinn verfügt über zwei Bahnen, die eine im gleichseitigen
Hinterstrang, die andere im gekreuzten Seitenstrang, die sich einander voll-
.-•ändig ersetzen können. Der Muskelsinn (Erkennung kleinster passiver Be¬
wegungen) wird in zwei ungekreuzten Bahnen geleitet, die eine im Hinter-
sträng, die andere in der Kleinhirnseitenstrangbahn. Auch diese beiden
können sich vollständig ersetzen, so daß der Wegfall der einen keine Stö¬
rungen macht. Zweig (Dalldorf).
S. Canestrini (Graz), Über neue Symptome bei der Heine-Medin’schen
Erkrankung. (Jahrb. f. Psych., Bd. 31, H. 2 u. 3.) Bei einer in Steiermark
beobachteten Epidemie von spinaler Kinderlähmung fand C. Veränderungen
^ Blutdrucks im Sinne einer Erhöhung im Gebiete der motorischen Läh-
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Referat und Besprechungen.
mungserscheinungen, die mit dem Rückgang der Lähmungen, oft sogar der
Besserung noch vorhergehend, verschwand, während sie bei rezidivierender
Verschlechterung wieder ansteigt und bei gleich bleibenden Lähmungen eben¬
falls gleich bleibt. Auf eine durch zirkulierende Gifte bedingte Schädigung
im Gleichgewichtszustand der Vasomotilität sind auch Erkrankungen der
Haut zu beziehen, ein nach der ersten Krankheitswoche auf Brust, Arme und
Vola manus entstehendes Erythem oder eine Keratosis etwa in der 4. Woche
im Anschluß an das Erythem oder ohne dasselbe. 7 Krankengeschichten.
Zweig (Dalldorf *.
Wassermeyer u. Bering (Kiel), Die Wassermann’sche Reaktion in der
Psychiatrie u. Neurologie, mit bes. Berücksichtigung der Paralyse, Tabes und
Lues cerebrospin. (Arch. f. Psvch., Brl. 47, H. 2.) Tm Gegensatz zu anderen
Autoren fanden die Verf. bei der Paralyse nur in 50% einen positiven Befund
im Liquor (94% im Blut ), dagegen in Übereinstimmung zu anderen bei Tabes
und Lues cerebrospinal, keinen so positiven Befund im Liquor. Unbedingt
zuverlässiger ist die in 100° () positive Phase 1 und die in 99% vorhandenen
Lymphozyten bei Paralyse. Ein negativer Befund im Liquor spricht also
nicht gegen Paralyse. Die Beeinflussung der Wassormann’schen Reaktion
durch Hg läßt vermuten, daß es sich hierbei um Produkte handelt, welche
von den Spirochäten ausgehen, und so sind auch die häufigen negativen Reak¬
tionen bei nur geringen luetischen Erscheinungen zu erklären. Die häufige
positive Wassermann’sche Reaktion fordert daher zu einer energischen Be¬
handlung der Syphilitiker auf. Vielleicht läßt sich hierdurch die Anzahl
der Paralyse-Erkrankungen einschränken; für die Tabes allerdings ist inf.
der negativen Reaktion ein gleiches nicht zu erhoffen. Ref. möchte an der
Richtigkeit der Schlußfolgerungen, vor allem an der Bedeutung der quan¬
titativen Verhältnisse zweifeln, ferner veranlaßt zu Zweifeln die von den
Verf. selbst betonte Unmöglichkeit der Umwandlung der positiven Reak¬
tion bei Paralyse in eine negative durch Hg. Zweig (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
A. Delcourt (Brüssel). Häufigkeit des Keuchhustens. (Bullet, med.,
Nr. 86, 8. 988, 1910.) Aus einem Vortrag von Delcourt vor der Soeiete de
Pediatrie am 18. Oktober ist bemerkenswert, «laß cs Bordet, dem Entdecker
des Keuchhustenerregers, geglückt ist, mit Hilfe der Komplemontbindung
manche Fälle von scheinbar «einfachem Husten als Pertussis zu erkennen.
Delcourt bestätigt diese Mitteilungen und kommt zu folgenden Thesen:
1. Nich tausgebildete Fälle von Keuchhusten kommen bei Alt und Jung
sehr häufig vor.
2. Vom prophylaktischen Standpunkt aus ist das sehr wichtig.
3. Die Symptomatologie solcher Formes frustes ist so unbestimmt, daß
man sie nur mittels der Bordet-Gengru’schen Reaktion erkennen kann.
Diese Notiz ist gewiß interessant; denn sie spricht von neuem für
die Ubiquität der Krankheitserreger und schiebt damit die Entstehung der
Epidemien — als Exazerbationen der zahlreichen Formes frustes — (wieder
mehr der Physiologie des Menschengeschlechtes zu. Aber der praktische
Arzt kann unmöglich bei jedem hustenden Kind die Bordet’sche »Komplement-
bindungsprüfung ausführen. Buttersack (Berlin'.
M. Seige (Jena), Wandertrieb bei psychopathischen Kindern. (Zeitsohr.
f. d. Erforschung d. jugendl. Schwachsinns, Bd. 4, H. 2 u. 3.) Die fast aus¬
schließlich: bei Knaben sich findende Neigung zum Vagieren, an deren Stelle
bei den Mädchen frühzeitige sexuelle Sittenverderbnis zu treten scheint, ist
wohl nur in einer kleinen Zahl der Fälle auf Epilepsie zu beziehen, und
nur in diesen tritt Amnesie oft mit Erinncrungsinseln auf. Die größte.
Zahl solcher Kinder sind Psychopathen z. T. mit ererbten Fugueneigungon.
Nicht alles unmotivierte Weglaufen ist krankhaft, es ist vielmehr zur Be¬
urteilung wichtig, wie der Betreffende überhaupt auf äußere Reize reagiert.
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Referate und Besprechungen.
23
Da man fast stets eine initiale Verstimmung uacliweisen kann exogener
oJer endogener Art, so handelt es sich hier um eine verstärkte Reaktions-
ar{, wobei zur Auslösung der allmählich gewohnheitsmäßig werdenden Nei¬
gung zum Vagabondieren immer kleinere Anlässe genügen. Oft verbinden
sich rnit dieser psychopathischen Abweichung ethische oder intelektuelle
Defekte. 7 Fälle. Zweig (Dalldorf).
Kluge (Potsdam), Über die vom psychischen Standpunkt aus zu erfolgende
Sehandlung der schwer erziehbaren Fürsorgezöglinge. (Zeitgehr. f. d. Erforsch,
des jugendl. Schwachsinns, Bd. 4., II. 2 u. 3.) In den Potsdamer Anstalten
erfolgt die Unterbringung je nach den Störungen in drei getrennten Instituten.
Zöglinge mit überwiegend intellektuellen Defekten kommen in die Idioten-
bildungsanstalt und werden hier durch Anschauungsunterricht usw. in einer
erheblichen Anzahl sogar bis zur Gesellenprüfung und einer selbständigen,
einwandsfreien Lebensführung gebessert. Überwiegen dagegen die Abwei¬
chungen des Gemüts- und Willenslebens, so erfolgt die Unterbringung der
erheblicheren Grade in der Anstalt für Epileptische (hysterisch und psycho¬
pathisch Degenerierte) und die leichteren in einer besonderen Erziehungs¬
anstalt. die auf diese Weise vor dem Zusammensein mit den schwerer patho¬
logischen Elementen und deren oft unheilvollem Einfluß bewahrt bleiben.
Bei den Gebesserten erfolgt der Übergang ins freie Leben durch die Halb-
freiheit der Familienpflege wenn irgend möglich auf dem Lande, die bei
vielen schon nach der Konfirmation eintritt und hier oft recht gut wirkt.
Andrerseits schien es bei manchen rationell, die Fürsorge auch über den
Beginn der Großjährigkeit auszudehnen, zumal die Wahl eines geeigneten
Vormundes außerordentlich schwierig ist, und ferner die zu kriminellen
Handlungen neigenden Elemente durch die Entmündigung die Legitimation
der eigenen Unzurechnungsfähigkeit erhalten und damit einen Freibrief für
alle Freveltaten. Die Erfolge sind durchaus günstige. Besonders wichtig
ist die. möglichst frühzeitige Absonderung aller abnormen Fürsorgezöglinge.
Zweig (Dalldorf).
Augenheilkunde.
Willhn, Die Augeneiterung der Neugeborenen. (Klin. Monatsbl. für
Aturenkoilk., Oktober 1910.) In diesem ersten Teile seiner Arbeit behandelt
der Verfasser die Prophylaxe der Blennorrhoea neonatorum. Der Streit uni
dea Wert des Crede’schen Verfahrens ist allmählich verstummt, wohl aber sind
manche Ersatzmittel für die zunächst empfohlene 2%ige Arg. -nitr. - Lösung
vor geschlagen worden. W. hat nun unter Vermittlung von Uhthoff in
Breslau eine ausgedehnte Ulmfragte bei den Leitern sämtlicher deutschen
Universitäts-Frauenkliniken, der meisten Hebammenlehranstalten und einiger
bekannter geburtshilflicher Kliniken des Auslandes über die prophylaktischen
Maßnahmen und die dabei gemachten Erfahrungen veranstaltet. Es wurden
folgende Mittel angewandt:
2 % Argt. nitr. bei rund 21600 Geburten
1 °/o , . , , SO 550
1 l lt% , , . , 1515
V/o , , „ „ 6300
V/o , ... 1265
„ acet. „ „ 10 000
10 oder 20% Protargol „ 10000 „
2—5% Sophol bei „ 10000 ,
Die Rundfrage läßt den Schluß zu, daß das l%ige Argt. nitr. dem
- eigen an Sicherheit der Wirkung durchaus nicht nachsteht, die Reiz-
Wirkung aber eine geringere ist. „Die Anwendung der 2%igmi Lösung
dürfte nicht mehr berechtigt sein.“ Es scheinen aber auch noch schwächere
L'fiungen als die l%ige die gleiche Wirkung zu besitzen. In Dänemark
i B. wird ganz allgemein 2 /s 0 /oiges Argt. nitr. angewandt; die Hebammen
wnd hier verpflichtet, die Einträufelung damit stets vorzunehmen, wenn die
Ütern sie nicht untersagen, was „kaum je geschieht“. Ein .ideales Prophy-
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24
Heferate und Besprechungen.
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laktikum scheint das Sophol zu sein. Das Protargol hat keine Vorteile,
ist aber nie gleichmäßig in seiner Wirkung, da die Bemerkung ,,frigide et
recenter parand.“ und die Befolgung dieser Vorschrift durch den Apotheker
„nicht vor unangenehmen Überraschungen schützt*'. 5%igcs Sophol scheint
wesentlich gleichmäßiger in seiner Reizwirkung zu sein. „Die Resultate
hinsichtlich seiner Sicherheit in der Verhütung der Blennorrhoe sind überein¬
stimmend so günstig, daß ich ihm in der Praxis, auch zum Gebrauch für
die Hebammen, vor den übrigen Prophylaktizis den Vorzug geben möchte.“
F. Enslin (Berlin).
Burk (Kiel), Die klinische, physiologische und pathologische Bedeutung
•der Fluoreszenz im Auge nach Darreichung von Uranin. (Klin. Monatsbl. für
Augenheilk., Oktober 1910.) Im Anschluß an einen von Ehrlich seinerzeit
vorgeschlagenen Weg hat B. in der Universitätsklinik von Kiel (Prof. Heine)
zum Studium physiologischer und pathologischer Zustände im Auge Uranin
per os gegeben, und zwar an Erwachsene 5 g morgens in Kaffee, Kindern
3—4 g. Regelmäßig begann die Haut nach etwa 1 /g Stunde sich gelb zu
färben; der Urin wurde braungelb. Der Höhepunkt der allgemeinen Gelb¬
färbung war nach 2 Stunden erreicht; sie verlor sich .nach 8—10 Stunden.
Schädliche Nebenwirkungen, von Erbrechen in einigen Fällen abgesehen, wurden
nicht beobachtet. —
Beim gesunden Auge tritt mit dem Höhepunkt der Hautfärbung eine
mäßige Gelbfärbung der Bindehaut auf, nach 6—8 Stunden bekommt die Iris
einen leicht-grünen Schimmer. Eine wesentliche Färbung des Kammerwassers
tritt nie ein und ist immer ein Zeichen für eine Störung der intraokularen
Zirkulation. Eine über die Norm gehende Grünfärbung tritt überall da auf,
wo eine entschiedene Hyperämie besteht. So kann unter Umständen das Uranin
einen entscheidenden diagnostischen Wert haben: die vordere Kammer eines
Auges mit Iritis wird grün, die eines gesunden Auges nicht. Mit dem Rück¬
gänge der Entzündungserscheinungen geht auch die Intensität der Färbung
zurück; da aber auch bei sehr geringer Hyperämie noch stets eine leichte
Grünfärbung als Zeichen der üoeh bestehenden Zirkulationsveränderungen
zurückbleibt, so kann die Uraninprobe als ein feiner Indikator für völlige
Heilung angesprochen werden. Da es weiter z. B. auch bei sympathischer
Ophthalmia zur Annahme des Farbstoffes 4 m erkrankten Auge kommt, so
mag es auch für den Praktiker von Bedeutung sein, nach einer Verletzung»
durch den so einfachen JJraninversuch festzustellen, ob das gesunde Auge
zum Verdacht einer sympathischen Entzündung Anlaß gibt. —
Nachweisbare Färbung der Linse wurde nicht beobachtet; bei nicht
komplizierter Starbildung trat keine abnorme Färbung im Auge auf. — Bei
Sehnervenerkrankung scheint das Ergebnis verschieden. Einmal zeigte die
Papille und ihre nähere Umgebung bei einer einseitigen akuten Neuritis opt.
eine ausgesprochene Gelbgrünfärbung im Gegensatz zu der völlig unverän¬
derten Papille der gesunden Seite. Bei zwei Fällen von doppelseitiger Stauungs¬
papille war keine Veränderung am Sehnerven zu sehen (ein Hinweis auf die
nicht entzündliche Natur der Stauung?). Einfache Optikusatrophie auf ver¬
schiedener Grundlage gab stets einen negativen Befund. Bei Glaukom entstand
gewöhnlich Grünfärbung der Iris und vorderen Kammer. Die Uraninprobe
gestattet also keine Differentialdiagnose zwischen Iritis und Glaukom.
F. Enslin (Berlin).
Die Verlagsbuchhandlung von Georg Thieme konnte am 1. Januar d. J.
das Fest ihres
25 jährigen Bestehens
feiern. Gerade auf medizinischem Gebiet hat sich der Verlag zu einem der ersten
entwickelt.
Wir beglückwünschen ihn herzlichst zu seinen Erfolgen und rufen ihm ein
Vivat, crescat, floreat für die nächsten 25 Jahre zu. Die Redaktion.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
TortsAritte der mcdizim
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
heraasfegeben tod
Profmor Dr. 0. Höstei Pric.-Do*. Dr. v. Criegtr»
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 2.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
12. Januar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
Von Professor Dr. Kayser, Köln.
„Die beste Parade ist der Hieb/
Die Appendizitis ist erst in den letzten Dezennien das vielum¬
strittene Grenzgebiet geworden, welches sie jetzt darstellt. Das ziel¬
bewußte Vorgehen, welches heute der chirurgischen Therapie den
Stempel aufdrückt, konnte naturgemäß erst mit der anatomischen Er¬
kenntnis des Krankheitssitzes einsetzen; und diese ist eine junge. Vage
Vorstellungen über die Genese des Leidens beherrschten bis in die 80er
Jahre das medizinische Denken. Zwar teilten schon 1759 Mestivier,
1766 La motte Fälle von Abszeßbildung, welche von dem Wurmfortsatz
ausgingen, mit; Louyer-Villermet (1824), Melier (1827) beschrieben
Vereiterungen des Wurmfortsatzes ohne gleichzeitige Erkrankung des
Zökums, Lendet (1859) wies auf Grund von Sektionsbefunden nach¬
drücklich auf den Processus vermiformis als häufigste Quelle der
Perforationsperitonitis hin. Die bis in unsere Zeit geläufigen Bezeich¬
nungen: Typhlitis, Peri-, Paratyphlitis, Ileozökalperitonitis bringen
aber doch so recht zum Ausdruck, wie fest unsere genetischen Anschau¬
ungen des Leidens mit der an Dupuytren’s Namen sich anknüpfenden
Theorie des zökalen Ursprungs der Ileozökalabszesse verknüpft waren.
Das ist anders geworden. Für uns steht die Tatsache, daß die Appen¬
dizitis fast ausnahmlos von einer primären Erkrankung des Wurmfort¬
satzes ausgeht, fest und in diesem Wissen liegt die Begründung der
chirurgischen Behandlung des Leidens. Von historischem Interesse er¬
scheint es immerhin, daß die erste Resektion des Wurmfortsatzes nach
zuvor gestellter Indikation (ausgeführt von Morton) erst im April 1887
stattfand. 11 ! ? ' i '; ; 1 ’ i '! 1 ,
Das chirurgische Prinzip hat auch in den Reihen der Internisten,
welche schweren Herzens die früher ausschließlich ihrer Domäne
zugehörigen Fälle preisgaben, mehr lind mehr Anhänger gewonnen.
Das Messer stellt jetzt nicht mehr wie früher die ultima ratio dar.
Von Beginn der Erkrankung an steht vielfach der Chirurg dem Internen
ils Berater zur Seite. Es gibt jetzt eine Chirurgie des Processus vermi¬
formis. Trotzdem gehen auch heute noch die Anschauungen über die
Anzeigestellung zum operativen Eingriff und zwar nicht nur in den
Kreisen der Internen auseinander. Ich erinnere daran, daß Sonnenburg,
welcher als einer der «ersten in Deutschland für die frühzeitige Operation
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Kayser,
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eintrat, neuerdings extrem opportunistische Prinzipien vertritt. Die
Empfehlung der Rizinusölbehandlung für einen Teil der Fälle, könnte
ihn als Vertreter einer radikal-internen Therapie erscheinen lassen.
Und so bildet auch heute noch die Indikationsstellung zum chirur¬
gischen Eingriff einen wichtigen Faktor der Behandlung der Appen¬
dizitis überhaupt.
Suchen wir aus der Fülle der vorliegenden Einzelmitteilungen
und Erörterungen allgemeiner Natur über die Anzeigestellung zum
operativer. Vorgehen die leitenden Gesichtspunkte herauszuschälen, so
ergibt sich, daß die Beurteilung des ersten Stadiums der Erkrankung
am meisten zu Meinungsdifferenzen Veranlassung gegeben hat.
Drei Richtungen lassen sich zwanglos unterscheiden:
1. Die konservative Behandlung, welche die Berechtigung eines
operativen Vorgehens nur für dringende Ausnahmefälle (Peritonitis,
Abszeßbildung u. a.) anerkennt, im übrigen sich auf die bisher allgemein
übliche interne Therapie (Opium, Eisblase usw.) beschränkt; die ca.
12-—14°/ 0 betragende Mortalität nehmen die Vertreter dieser Richtung
als unvermeidbares Übel resigniert hin.
2. Die individualisierende opportunistische Behandlung, welche
durch exakte Beobachtung des Krankheitsverlaufs den Zeitpunkt des
Eingriffs zu bestimmen sucht. Sie geht schon bei drohenden Kompli¬
kationen operativ vor. Aus der Tatsache, daß 86— 88°/ 0 der Erkrankten
bei interner Behandlung ausheilen, zieht sie den nach der Statistik
zweifellos richtigen Schluß, daß bei prinzipiell operativer Behandlung
88°/ 0 der Fälle zwecklos operiert werden.
3. Die radikal-chirurgische Behandlung. Sie greift grundsätzlich
jeden Fall mit dem Messer an; sie gibt in erster Linie als Begründung
an: die durch keine interne Therapie zu erzielende Herabsetzung der
Mortalität auf 4—5°/ 0 , bei einzelnen Operateuren (Kümmell) bis
auf 0,5 °/ 0 .
Worin liegt der Grund für diese so differente Beurteilung der
Zweckmäßigkeit frühzeitigen operativen Vorgehens ? Die Antwort ist
leicht. In der Schwierigkeit der anatomischen Diagnose.
Es ist selbstverständlich, daß die pathologisch-anatomischen Ver¬
änderungen des Wurmfortsatzes den Wegweiser für unser therapeu¬
tisches Handeln abgeben. So wenig der Chirurg die Forderung aufstellen
wird, einen Patienten mit leichten entzündlichen Erscheinungen der
Appendix grundsätzlich den Schädlichkeiten und Unannehmlichkeiten
einer Narkose und längeren Krankenlagers auszusetzen, so wenig wird
der Interne zögern, einen gangränösen oder dicht an der Perforation
stehenden Wurmfortsatz dem Messer des Chirurgen zu überliefern.
Diese Veränderungen bei geschlossener Bauchhöhle in allen Fällen genau
zu erkennen, d. h. eine exakte pathologisch-anatomische Diagnose zu
stellen, sind wir aber — diese Erkenntnis ist die große Errungen¬
schaft der operativen Inangriffnahme des Leidens und der bei der Ope¬
ration erhobenen autoptischen Befunde —- nicht imstande. Wir sehen
unter foudroyanten Erscheinungen einsetzende Fälle, bei denen ßicli
lediglich frisch entzündliche Veränderungen der Schleimhaut des Wurm¬
fortsatzes finden; andererseits beobachten wir Patienten ohne bedrohliche
Symptome subjektiver und objektiver Natur, bei denen die operative
Freilegung eine vorgeschrittene Gangrän der Appendix zeigt.
Aus dieser Tatsache ergibt sich, daß die konservative Behandlung,
wie uns längst geläufig ist, gewiß auch bei anscheinend schweren Fällen.
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Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
27
zur Heilung 1 führt. Oft wird es auch der individualisierenden Behand¬
lung möglich sein, durch die bekannten Erscheinungen der drohenden
Perforationsperitonitis die Indikationsstellung, wenn ich so sagen soll,
wissenschaftlich zu präzisieren. Es muß durchaus zugegeben werden,
daß die Fälle akutester schwerster Veränderungen oline gleichzeitiges
Auftreten objektiv nachweisbarer bedrohlicher Symptome die Ausnahme
der Regel bilden. Diese Fälle reden aber doch — und ich trete damit
gleichzeitig in eine Kritik der Behandlungsmethoden ein — eine sehr
beredte eindrucksvolle Sprache. Sie beweisen, daß wir nicht immer
in der Lage sind, die beginnende Peritonitis, deren Fortschreiten zu
verhüten unsere Aufgabe sein muß, zu einer Zeit objektiv einwandsfrei zu
erkennen, da ein erfolgversprechender Eingriff noch möglich ist. Es
ist verständlich, wenn der Arzt, welcher die Nackenschläge einer der¬
artigen traurigen Erfahrung erfahren hat, sich rücksichtslos zum Ver¬
treter des Prinzips bekennt, für welches Riedel das Wort der „aller-
frühesten Früh Operation“ geprägt hat.
Diese allgemeine Schwenkung im Sinne einer radikalen Anzeige¬
stellung zum Eingriff datiert vom Chirurgenkongreß 1905. Sprengel
nimmt in seinem groß angelegten, 1906 erschienenen Werke 1 ) noch
eine mehr vermittelnde Stellung ein. „Die Gefahr der Perito¬
nitis beginnt,“ so argumentiert er, „am 2. Tag; sie ist am größten
am 3. Tag; sie ist gering jenseits des 7. Tags. Es sind zwei Arten
der akuten Appendizitis zu unterscheiden: eine in all ihren Symptomen
in 24 Stunden abklingende Form, welche keiner chirurgischen Behand¬
lung bedarf und eine sich über 24 Stunden erstreckende oder sich ver¬
schlimmernde Form. Diese gehört unbedingt dem Chirurgen.“ Der
vorjährige Chirurgenkongreß hat sich im Anschluß an die Ausfüh¬
rungen Kümmells in noch radikalerem Sinne für die unbedingte Früh¬
operation aller Fälle ausgesprochen, weil der Verlauf des Einzelfalls
unberechenbar ist und bei einer so sehr zu Rezidiven neigenden Erkran¬
kung eine Heilung in wirklichem Sinne nur durch eine frühzeitige
Entfernung des Wurmfortsatzes erzielt werden könne. „Die interne
Medizin behandelt die Blinddarmentzündung, die Chirurgie heilt sie“
(Kümmell).
Dieser Standpunkt erleichtert die Indikationsstellung naturgemäß
ungemein: die Operation wird eben ausgeführt, wenn die Diagnose
der Appendizitis gestellt ist. Trotzdem ist die Erwartung, daß von
jetzt ab nur die ersten Stadien der Erkrankung Gegenstand chirurgischer
Behandlung sein werden, gewiß verfrüht, so daß die Frage: Wie sind
die späteren Stadien der Erkrankung vom chirurgischen Gesichtspunkt
zu beurteilen? auch weiterhin aktuelles Interesse beansprucht.
Man hat im weiteren Verlauf des Leidens das Intermediärsta-
dium, das nach Sprengel den 3., 4. und 5. Krankheitstag umfaßt,
und das hinter dieser Zeit liegende Spätstadium unter schieden.
Manche Chirurgen plädieren für operatives Vorgehen auch im
Intermediärstadium. Andere lehnen die Operation ah, weil sie das
Zuwarten für ungefährlicher halten wie den Eingriff. Darüber be¬
steht keine Meinungsverschiedenheit, daß beim Eintritt einer vitalen
Indikation operiert werden soll. Die Erwartung, aus den Sym¬
ptomen im Einzelfall die drohende Gefahr eindeutig zu erkennen,
hat sich — das gilt für das Intermediärstadium ebenso wie für das
erste Stadium der Erkrankung — bis jetzt nicht erfüllt. Daß der
l ) Sprengel, Appendizitis. Deutsche Chirurgie, Lief. 46d.
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Kayser,
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Temperatur keine, dem «Puls eine sehr geringe Bedeutung zukommt,
ist längst bekannt; auch die in jüngster Zeit ausgebauten Methoden:
die Leukozytenzählung, die Bestimmung der Viskosität (Klebefähig-
keit) des Blutes, die Anwendung des Arneth’sehen neutrophilen Blut¬
bildes — haben nicht gehalten, was sie versprochen. Ali diese Ver¬
fahren zeigen eben auch nur an, was da ist, nicht was kommen
wird. So bevsit.zen auch heute zwei schon lange Zeit bekannte
Symptome hohe Wichtigkeit: die Einschränkung der Zwerch fei lsatmung
und die Spannung der Bauchdecken. Die klinische Bedeutung dieser
reflektorischen Bauchdeckenspannung, der Defense musculaire, wird
leider dadurch beeinträchtigt, daß sie bei tiefstehendem Zökum spät
ein tritt und daß sie außerhalb des Abdomens gelegene Ursachen haben
kann. Namentlich bei sog. traumatischer Appendizitis ist vorsichtige
Verwertung geboten, wenn gleichzeitig eine Verletzung des Brustkorbs
stattgefunden hat. Etwaige Kollapserseheinungen geben keine Kontra¬
indikation für den Eingriff; sie werden durch Beseitigung der Causa
peccans am sichersten gehoben.
Die Beurteilung der Anzeigestellung im Spätstadium unterliegt
geringeren Schwierigkeiten. Hier gilt der Grundsatz: Ubi pus, ibi
evacua. Die Diagnose der Eiterung ist leicht; wir wissen heute, daß
der seinem Wesen nach früher vielumstrittene perityphlitische Tumor
stets einen Abszeß bedeutet. Auch bei gutem Allgemeinbefinden em¬
pfiehlt es sich, die Eröffnung der Eitorhöhle nicht aufzuschieben, da die
durch die Abszeßbildung angeregte Bildung von Adhäsionen zu unan¬
genehmen Komplikationen (Ileus) führen kann. Wir fürchten selbst
den Eintritt des Eiters in die Bauchhöhle bei dem operativen Eingriff
nicht zu sehr, da anscheinend die unter dem Einfluß der Bakteriotoxino
sich bildenden Antistoffe dem Peritoneum eine erhöhte Widerstandskraft
geben.
Ebenso gehen die Urteile über die Behandlung des Intervall¬
stadiums, unter welchem wir die Zeit nach dem Abklingen der akuten
Symptome verstehen, nicht wesentlich auseinander. Mag man sich zu
dem Grundsatz bekennen, sofort nach dem ersten Anfall oder erst nach
dem zweiten Anfall zur Operation zu raten, mag man noch darüber
diskutieren, ob man bald nach dem überstellen des Anfalls oder — wie
es zweifellos sicherer ist — erst nach Ablauf von etwa 6 Wochen Vor¬
gehen soll, darüber l>esteht kein Zweifel, daß es bei einer so sehr zu
Rezidiven neigenden Erkrankung wie der Appendizitis (Körte rechnet
mit 40% Rezidiven) im allgemeinen richtig ist, den Wurmfortsatz in
der anfallstreien Zeit, in welcher eine Entfernung in relativ gefahrloser
Weise möglich ist, zu exstirpieren.
Gegenüber dem Vorschlag einer prinzipiellen Entfernung der
Appendix in allen Fällen hat Sprengel, im übrigen bekanntlich der Ver¬
treter einer radikal-operativen Richtung, Kontraindikationeil auf ge¬
stellt. Sprengel rät von der Litervalloperation ab und will den
Eingriff auf den ersten Tag eines neuen xAnfalls verschoben wissen,
wenn der vorausgegangene Anfall mit Bildung eines großen
Exsudats verlaufen ist und sich über lange Zeit hingezogen hat, ferner
wenn im Abszeßeiter ein Kotstein oder Fetzen des destruierten Wurm¬
fortsatzes gefunden wurden, und schließlich wenn der letzte Anfall
länger als 2 Jahre zurückliegt.
Ich gebe zu, daß man auf Grund eigener Erfahrung Sprengel
besonders bezüglich seiner letzten Forderung nicht bedingungslos sich
anschließen wird. In einer Zeit, da Patient und Angehörige durch die
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Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
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in Laienkreisen verbreitete Furcht vor dem Ablauf der Appendizitis
geängstigt, vielfach auf operatives Vorgehen drängen, bedürfen wir
aber einer Festlegung klar und präzis ausgesprochener, auf großer Er¬
fahrung beruhender Kontraindikationen, um den Mut zu haben,
die Operation gelegentlich zu verweigern und die Patienten nicht einem
größeren Risiko auszusetzen, wie es die Lage des Falls erfordert. In
diesem Sinne sind die von Sprengel formulierten. Sätze, welche nicht
apodiktisch unser Verhalten bestimmen, sondern nur für die indi¬
viduelle Entschließung im Einzelfall einen Anhalt geben wollen, für
uns gewiß nicht ohne Bedeutung. Daß wir in einzelnen besonderen
Fällen, wie z. B. in weltentlegenen Orten, in denen chirurgische Hilfe
nicht zur Verfügung steht, bei Reisen in das Ausland usw., die Indi¬
kationsgrenzen weiter ziehen, ist selbstverständlich. Die Krankheits¬
geschichte Segantinis, der fernab chirurgischer Hilfe auf einsamer
Berghütte der Perforation seines chronisch kranken Wurmfortsatzes
erlag, gibt, uns in dieser Beziehung ein lehrreiches Beispiel an die Hand.
Wichtig ist die Frage: Wann soll der Eingriff ausgeführt werden?
Eine präzise Bestimmung des Zeitpunktes ist im Einzelfall nicht mög¬
lich. Unser Bestreben geht im allgemeinen dahin, dann zu operieren,
wenn die Verwachsungen, welche erfahrungsgemäß allmählich schwin¬
den, so gering geworden sind, daß wir technisch keinen besonderen
Schwierigkeiten begegnen. Bei einer Appendizitis ohne wesentliche
Exsudatbildung 'werden wir daher schon in etwa 10 Tagen nach dem
Abklingen der akuten Symptome operieren dürfen, bei schwereren An¬
fällen werden wir vielleicht noch nach 4 Wochen gelegentlich die Über¬
zeugung gewinnen, daß wir zweckmäßig den Eingriff auf längere Zeit
verschoben hätten. Gegen die Anschauung Lanz’, dann zu operieren,
wenn der Patient sich subjektiv von dem Anfall erholt hat, objektiv
keine Residuen mehr nachweisbar sind, läßt sich eine begründete Ein¬
wendung nicht machen.
Einige erst in der neueren Zeit bekannt gewordene Tatsachen
dürfen bei der Besprechung der Indikationsstellung nicht übergangen
werden. Es gibt nervöse Patienten, welche mit unbestimmten Beschwer¬
den im Gebiet des Wurmfortsatzes zum Arzt kommen, ohne daß irgend¬
welche entzündlichen Erseheinungen am Wurmfortsatz sich finden. Es
ist wichtig, die in vielen Fällen nicht leichte Diagnose „Pseudoappen¬
dizitis“ (Untersuchung auf hysterische Stigmata!) zu stellen, da eine
Exstirpation des Wurmfortsatzes keine Besch'werdenfreiheit, vielmehr
infolge der von der Narbe ausgehenden Sensationen oft eine Steigerung
der Beschwerden bringt.
Wir kennen heute ferner die bei Kindern, nicht seltenen chroni¬
schen Formen von Appendizitis, die meist mit Obliterationsprozessen
im Wurmfortsatz einhergehen, sowie die besondere Form chronischer
‘Appendizitis, die sog. Appendicitis larvata (Ewald), bei welcher die
„Beschwerden, über welche der Patient klagt, den Arzt zunächst an
alles andere, als an einen von der Appendix ausgehenden Krankheits-
prozeß denken lassen“. In dieses Gebiet atypischer Krankheitsformen
gehört auch das neuerdings von Wilins beschriebene Bild der sog. chroni¬
schen Appendizitis, welches durch Zerrung eines zu langen Coecum
mobile entsteht. Für diese Fälle, welche naturgemäß mit der Appen¬
dizitis an sich nichts zu tun haben, hat Wilms die flächenhafte Ver¬
wachsung des Blinddarms im Bereich der Beckenschaufel in Vorschlag
gebracht- und bei etwa 40 Fällen mit Erfolg durchgeführt.
_ (Schluß folgt.)
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30
Gerhard Hahn,
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
Von Dr. Gerhard Hahn, Breslau.
(Fortsetzung.)
Gonorrhoea posterior acuta.
Hatten wir bisher in den Kreis unserer Betrachtung nur die
Behandlung der Anteriorgonorrhöe gezogen, so wenden wir uns jetzt. -
nunmehr der Therapie der hinteren Harnröhrenteile zu, deren leider
häufiges Befallensein die Trübung der zweiten Urinportion, sowie sub¬
jektive Klagen dokumentieren. Stehen diese Beschwerden, die sich in
lästigem Harndrang oder mitunter in Harnverhaltung äußern, im
Vordergründe, dann tut man gut, zunächst lokal nicht zu behandeln.
Zur Linderung der oft sehr quälenden Krankheitserscheinungen ver¬
ordnen wir möglichste Ruhe, feuchtwarme Umschläge auf den Damm —
manche Patienten freilich reagieren besser auf kühle —, und suchen
den Harndrang durch per rectum zu applizierende Zäpfchen zu mildern:
Morphin milriatic 0,01 . Extr. belladonnae 0,01
Butyr. Cacao 2,0 0< el (Opii puri) 0,02
Butyr Cacao ad 2,0.
Auch Sitzbäder sind sehr zu empfehlen, besonders wenn sich Ham-
retentionserscheinungen zeigen. Nehmen diese einen beängstigenden Cha¬
rakter an, dann muß man zu Morphiuminjektionen schreiten. Die
gleichzeitig bestehende Anterior behandelt der Patient weiter und setzt
nur aus, wenn die subjektiven Beschwerden außergewöhnliche sind.
Innerlich werden wie bei der Anterior die Balsamika gegeben, deren
Besprechung wir bis zum Schlüsse verschieben wollen. Sind unter dieser
exspektativen Therapie die schwersten Erscheinungen abgeklungen,
dann gilt es, die erkrankte Posterior zu behandeln. Diese Therapie be¬
ruht auf demselben Prinzip, wie die der Anterior, nämlich mit der er¬
krankten Schleimhaut antiseptische Lösungen in engste Berührung zu
bringen. Die Behandlung wird aus anatomischen Gründen im großen
ganzen in den Händen des Arztes liegen müssen, doch lernen die
Patienten auch selbst z. B. die Spülungen machen. Nachdem also
mit einer der bei der chronischen Anterior erwähnten Antiseptika
die Anterior ausgespült, worden ist, wird durch Höherhängen des
Irrigators der Druck vermehrt und der Schließmuskel zu über¬
winden gesucht. Bei verschiedenen Patienten ist das nicht ohne
heftige Schmerzen und leichte Blutung möglich, und wir tun daher gut,
vorher eine l°/ 0 ige Eucainlösung (10 g) zur Anästhesierung in die
Urethra einzuspritzen. Nunmehr kann 1 / 2 —1 Liter der Lösung, die
man bei größeren Mengen am besten verdünnter als oben angegeben,
anwendet, durchgespült werden; ein Teil der Spüllösung wird wieder
entleert, ein Teil in der Blase gelassen. Schädigende Wirkung auf die
Blasenschleimhaut hat man im allgemeinen nie beobachtet. Als wirk¬
samstes Präparat wird von vielen das Argentum nitricum angegeben,
auch das Hydrargyrum oxycyanatum hat sich sehr bewährt.
Sol. Hydrarg. oxycyanat. 1:5000 bis 3000,0
Das Argentum nitricum wendet man in Lösungen von 1 : 4000 bis
1:1000,0 an. Diese Janet’sehen Spülungen, die in vorteilhafter Weise
Anterior- sowie Posterior-Therapie zu kombinieren gestatten, kann man
nun bei starkem Widerstande des Schließmuskels durch Irrigationen
nach Diday ersetzen. Man führt zu diesem Zwecke einen dünnen Nelaton-
katheter bis in die Blase, zieht denselben dann zurück, bis kein Urin
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
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mehr abfließt und berieselt nun unter stetem Zurückziehen des Katheters
die Posterior und allmählich auch die Anterior, wobei man durch zeit¬
weiliges Zusammendrücken des Orificium eine starke Dehnung der
Urethra herbei führt. Die Einführung des Katheters kann man vorsichts¬
halber auch erst nach vorhergegangener Anteriorspülung ohne Katheter
vornehmen. Endlich kann man statt des Irrigators auch jederzeit sich
der großen Druckspritze bedienen. Bei hartnäckiger bestehenden Poste¬
riorkatarrhen geht man dann zur direkten Applikation scharfer Argen¬
tum nitrieum-Lösungen über, die man am besten vermittels des Guyon-
schen Instillationskatheters in die Posterior bringt. Dieser dünne
Katheter trägt am Ende eine kleine dünne, durchbohrte Olive, wird über
den Schließmuskel geführt, wenn nötig ebenfalls nach Kokainisierun^,
und am trichterförmigen oberen Ende mit einer Spritze armiert, die
die Vio* V 4 - W 1" 2°/oige Argentum-Lösung in die hintere Harnröhre
unter langsamem Herausziehen des Katheters bringt; auf diese Weise
wird vorteilhaft auch die Anterior berieselt. Diese Manipulation wird
anfangs nur in ganz geringen Mengen jeden zweiten bis dritten Tag
ausgeführt, bis man schließlich eine ganze Spritze injizieren kann.
Ein ähnliches Instrument hat auch Ultzmann angegeben. Die oft sehr
wirksame Methode kann man nach Jadassohn von intelligenten Personen
selbst machen lassen. Ich persönlich muß gestehen, daß mir dieser Eingriff
dazu doch etwas zu verantwortungsvoll erscheint, zumal nicht so selten
durch mechanische Reizung, vielleicht in der Gegend des Colliculus semi-
nalis, sich an Guyon’sche Instillationen Nebenhodenentzündungen an¬
schlossen. Die genaue Einführung des Instruments gerade bis über den
Schließmuskel kann eine geübte ärztliche Hand doch wohl sicherer vorneh¬
men. Diese Guyon’schen Instillationen bilden denn auch eine wirksame Be¬
handlung der mit der Posterior oft vergesellschafteten Entzündungen der
Prostata, deren häufige Untersuchung beim Bestehen jedes hinteren Ure¬
thralkatarrhs nie versäumt werden sollte. Die nähere Besprechung dieser
Komplikation erfolgt später. Hellt sich der zweite Urin immer mehr
auf und finden sich im Sediment der zweiten Urinportion keine Gono¬
kokken mehr, dann kann man statt Argentum nitricum, Instillationen
von Cuprum sulfuricum (V 4 - */ 2 - l°/o) vornehmen und allmählich mit der
Therapie aussetzen, natürlich aber wie bei der Anterior häufig den Urin
kontrollieren und auch mikroskopisch eventuelles Sediment untersuchen.
Gonorrhoea posterior chronica.
Die hinteren Harnröhrenkatarrhe klingen aber recht häufig nicht
so rasch ab, sondern gehen in ein chronisches Stadium über. Lassen
sich im Sediment Gonokokken nachweisen, dann muß eine energische
Spül- oder Instillations-Behandlung wochenlang durchgeführt werden,
neben einhergehender Anterior-Therapie. Als Lösungen kommen auch
die bei der chronischen Anterior angeführten in Betracht, nur daß man
die Konzentrationen etwas stärker als bei der akuten Posterior verwenden
kann. Sehr empfohlen werden allgemein Kalium permanganicum-Spü-
lungen, sowie solche mit Argentum nitricum. Immer muß eine fast
stets gleichzeitig bestehende Prostatitis behandelt werden, da sie häufig
der Ausgangspunkt fortwährender Rückfälle der Posterior sein kann.
Auch die instrumenteile Untersuchung werden wir hier nicht ganz
unterlassen dürfen, wenngleich Infiltrate in der Posterior seltener und
auch schwerer nachweisbar sind. Wie bei der chronischen Anterior
kommt auch hier die Sondenbehandlung in sehr chronischen Fällen
in Betracht. Gekrümmte Metallbougies nach Guy 011 oder Benique werden
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Gerhard Hahn,
in steigender Stärke eingeführt und nach längerem Verweilen entfernt,
um bald einer Spülung Platz zu machen. Natürlich gelten für die An¬
wendung dieser Bougies dieselben Hegeln, wie die oben kurz skizzierten.
Auch Dehnapparate sind konstruiert worden, ebenso wie man die Ein¬
führung von mit Argentumsalben eingefetteten Bougies empfohlen hat.
Unter dieser die Geduld des Arztes wie des Patienten aufs höchste in
Anspruch nehmenden Behandlung sehen wir dann nach Wochen, oft erst
nach Monaten den Urin klarer werden, das Sediment bleibt gonokokken¬
frei, und in vielen Fällen ist nun der Zeitpunkt gekommen, die Therapie
auszusetzen. Auch hier besteht natürlich die Gefahr eines Rezidivs.
Bei gleichzeitiger Prostatitis haben wir in diesem Falle eine ziemlich
exakt funktionierende Provokation, nach deren Ausfall wir von einer
Heilung oder Nichtheilung mit einer gewissen Sicherheit reden können.
Eine energische Massage der Prostata kann, falls sich dort noch infek¬
tiöses Material befindet, durch Inokulation desselben zu neuen Reiz-
erscheinungen von seiten der Urethra, deren Behandlung gleichzeitig
ausgesetzt werden muß, führen. In all’ den Fällen, in denen kein .Rezi¬
div nach mehrfach angestellter Provokation auftritt und der Urin
klar bleibt, hören wir dann mit jeglicher Behandlung auf, behalten,
uns aber aufs bestimmteste monatelange Beobachtung vor. Bleibt der
Urin unklar, aber gonokokkenfrei, so sind adstringierende Spülungen
oder Guyon’sche Instillationen mit Cuprum sulfuricum bis zur Kon¬
zentration von 10% angebracht. Endgültige Heilung ist oft nicht mög¬
lich und vor einem Zuviel der Behandlung nicht genug zu warnen. Stellt
sich doch im Gefolge dieser chronischen Affektion oft genug das ganze
Heer der sexual-neurasthenischen Beschwerden ein, deren Bekämpfung
oft eine wahre Sisyphusarbeit darstellt. Besonders trägt an diesen ge¬
fürchteten Erscheinungen Schuld das Chronisch werden von Entzün¬
dungen der Prostata, die von einer Besprechung der Posteriorgonorrhöe,
wie schon mehrfach angedeutet, nicht recht getrennt werden können.
Die Diagnose einer akuten Entzündung der Prostata läßt sich oft
nur aus den subjektiven Beschwerden stellen, die denen der akuten
Posterior gleichen. Harndrang, mitunter Harnverhaltung, Schmerzen
am Damm sollten die Aufmerksamkeit jedes Arztes auf die Prostata
lenken, und oft wird der palpierende, mit einem Kondom geschützte
Finger bei schonendster Untersuchung eine allgemeine Vergrößerung
und Schmerzhaftigkeit feststellen können. Bei gleichzeitig bestehenden
akuten Urethralerscheinungen wird sich eine sichere Lokalisation von
Gonokokken in der Drüse oft nicht feststellen lassen, was aber für die
Theräpie im akuten Stadium auch nicht von großer Bedeutung ist. Gono¬
kokken im Expressionssekret sind nur dann von einwandfreier Bedeu¬
tung, wenn in der Urethra keine mehr gefunden wurden und auch dann
nur nach vorheriger Ausspülung der Urethra. Bei akuten Prostata-
Erscheinungen decken unsere therapeutischen Maßnahmen sich mit denen
der akuten Posterior, und wir sehen oft genug unter dieser abwartenden
Therapie eine akute Prostatitis, die sich oft nur als Katarrh (larstellt,
völlig abklingen. (Prostatitis glandularis catarrhalis.) Natürlich ver¬
meiden wir im akutesten Stadium jede Expression ganz und gar, sind
uns doch Fälle genug bekannt, in denen der mit solcher Massage ver¬
bundene Reiz Epididymitiden ausgelöst hat. Der gleichzeitigen Anterior-
Behandlung gegenüber stehen wir auf demselben Standpunkt, wie bei
der akuten Posterior. Ist der Urethralprozeß abgeklungen und der akute
Symptomenkoinplex von seiten der Prostata zur Ruhe gekommen, dann
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
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schreiten, wir, wenn wir einen abnormen palpatorischen Befund oder gar
nach vorheriger Ausspülung im Prostatasekret Gonokokken gefunden
haben, zu einer energischeren Behandlung der subakuten Prostatitis
(parenchymatosa), falls nicht etwa die Palpation den Verdacht eines
Prostataabszesses nahe legt. Diese betrachten wir als noli me tangere
und behandeln mit Zäpfchen, Sitzbädern usw. wie im akutesten Stadium.
Auch jene kleinen oft fühlbaren Knötchen, die Finger als Pseudoabszesse
anspricht (Prost, follicularis), reizen wir möglichst wenig mechanisch, bis
nach Abklingen der akuten Symptome an eine energische Therapie ge¬
dacht werden kann. Unter einer energischen Therapie der subakuten Pro¬
statitis verstehen wir mehrmals in der Woche (erst zwei-, dann dreimal)
ausgeübte Massage der Drüse, die aber in schonendster Weise wegen der
schon vorhin angedeuteten Gefahr einer Epididymitis ausgeführt werden
sollte. Darum bedienen wir uns bei dieser Massage auch stets des Fingers
und perhorreszieren die eigens zu dem Zwecke konstruierten Instrumente
von Pezzoli oder Felecki im allgemeinen. Die Lokalbehandlung teilt
sich dann weiter in eine von der Urethra und eine vom Rektum aus¬
gehende. Die letztere ist der im akuten Stadium beliebten konform,
nur daß wir statt Morphium mit Vorliebe resorbierende Medikamente
den Zäpfchen zusetzen, unter denen Jod und Ichthyol besonders beliebt
sind. Wir verordnen also zweimal täglich:
Kali jodat 0,5 Ichthyol 2,0
Jod. pur 0,05 0( j er Extr. belladonnae 0,1
Extr. belladonnae 0,07 Butyr Cacao q. s. ad suppos no. X«
Butyr Cacao q. s. f. suppos no. V.
Dann verwenden wir neben Sitzbädern (30°) vom Rektum aus den
sogenannten Arzberger’sehen Apparat. Derselbe besteht aus einer Metall¬
birne, die eine Zufluß- und eine Abflußrohre enthält und durch einen
Gummischlauch mit einer Wasserquelle verbunden ist. Gut eingefettet
wird diese Birne in den Mastdarm eingeführt und kaltes Wasser hin¬
durchgeleitet. Diese täglich 1 / 2 —2 Stunden vorzunehmende Prozedur
wirkt recht vorteilhaft im antiphlogistischen Sinne. Ähnliches leistet
auch ein von Finger konstruierter Apparat. Daneben ist für regel¬
mäßigen Stuhlgang zu sorgen. Von der Urethra aus werden Spülungen
mit Antiseptizis oder Argentuminstillationen nach der Massage zwei-
bis dreimal in der Woche vorgenommen, mit Adstringentien, wenn
mehrfache mikroskopische Untersuchungen den Ausfluß als weniger
eitrig und gonokokkenfrei erwiesen haben.
Diese Therapie führt nach Dauer von mehreren Wochen zur Hei¬
lung, zu deren Feststellung wir uns vorteilhaft jener schon erwähnten
Inokulationsmassage als Provokation bedienen können. Leider aber neigt
gerade die Entzündung der Prostata dazu, chronischen Charakter anzu¬
nehmen. Die Therapie wird natürlich, so lange der eitrige, infektiöse
Charakter feststeht und keine Abszeßbildung droht, recht energisch
sein, sich aber im übrigen von der subakuten wenig unterscheiden.
Spülungen, Instillationen, die Einführung des Arzberger’sehen Apparates
nur diesmal vorteilhafter mit heißem Wasser, sowie Zäpfchen bilden auch
hier unsere Hauptmittel. Bei Abszedierung suchen wir den Prozeß,
wenn möglich, zur Resorption zu bringen durch kühle Umschläge auf den
Damm, Aussetzen der Therapie und größte Ruhe, anderenfalls zu einer
Inzision vom Rektum aus geschritten werden muß, wobei die Gefahr
einer entstehenden Rektalgonorrhöe herauf beschworen wird. Mitunter
entleeren sich diese Abszesse sua sponte in die Urethra, was meist günstig
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Gerhard Hahn,
abläuft, mitunter aber durch Pyämie zu den allerbedrohlichsten Er¬
scheinungen geführt hat. Nach Entleerung des Abszesses sieht man
den prostatischen Prozeß oft schnell abheilen, wobei freilich durch
Narbenbildung oft irreparable Störungen resultieren. Im übrigen aber
sind bei chronischer Prostatitis die Erfolge unserer Therapie oft nicht
sehr aussichtsreich. Auch bei nur entzündlichen, nicht mehr infektiösen
Erscheinungen stellt sich die Erkrankung als eine wahre Krux für
Arzt und Patienten dar. Spielt doch in dieses Krankheitsbild die ganze
Fülle neurasthenischer Beschwerden, die Neurasthenia sexualis, hinein.
Ein Zuviel der Therapie kann hier entschieden schaden und allgemeine
nervenstärkende Verordnungen sind weit mehr am Platze als monate¬
lang fortgesetzte Therapie. Natürlich wird man den nicht wegzuleug¬
nenden prostatischen Prozeß von Zeit zu Zeit einer Beobachtung und
einer schonenden Behandlung unterziehen, im übrigen aber allgemein¬
diätetische Maßnahmen, wie gute Ernährung (z. B. Sanatogen), reichliche
körperliche Bewegung und hydrotherapeutische Verordnungen in den
Vordergrund stellen. Kalte Abreibungen, Duschen, der Arzberger’sche
Apparat, vorübergehend die Winternitz’sche Kühlsonde, eine hohle, für
den Zu- und Abfluß von kaltem Wasser eingerichtete Urethralsonde,
und vor allem psychische Behandlung leisten hier mehr als energische
Therapie. Mit Recht betont Buschke, daß die Rücksichtnahme auf den
kranken Menschen, wenn irgendwo in der Medizin, hier ebenso wichtig
ist, wie der lokale Befund. So verhalte man sich auch zwei häufig
im Gefolge der chronischen Prostatitis auftretenden Krankheitserschei¬
nungen gegenüber therapeutisch zurückhaltend, der Prostatorrhoe und
der Spermatorrhöe. Einer eigentlichen Behandlung bedarf es hierbei nicht,
nur in besonders hochgradigen Fällen wird man zur Beruhigung des Pa¬
tienten einen Versuch mit Massage, Kühlsonden, Arzberger machen.
Wichtig ist es hierbei, das prostatische Sekret nicht mit dem gänzlich
harmlosen der sogenannten Urethrorrhoea ex libidine zu verwechseln,
deren Bezeichnung „Wollusttropfen'' charakteristisch und deren Be¬
ll andlung gänzlich überflüssig ist, da es sich nicht um pathologische
Zustände handelt. Bei allen bisher besprochenen Lokalisationen der
Gonorrhöe konnten wir bei aller Hervorhebung der Lokaltherapie einer
Allgemeinbehandlung nicht entraten, die sich in die Worte zusammen¬
fassen läßt: möglichste Vermeidung aller Schädlichkeiten (Jadassohn).
Die allgemeine und interne Behandlung der Gonorrhöe.
Das Ideal derselben, absolute Bettruhe, wird man während des
akuten unkomplizierten Stadiums wohl kaum in der ambulanten Praxis
durchführen können, wiewohl .man sich dem Eindruck, daß absolute
Ruhe einen wichtigen Faktor bei der Heilung darstellt, nicht wird ver¬
schließen können. Indes läßt sich diese Forderung meist aus Gründen der
Diskretion nicht aufrecht halten, und wir begnügen uns daher damit,
dem Kranken anstrengende körperliche Bewegungen, wie Turnen, Reiten,
Tanzen, auch Radfahren zu verbieten. Dadurch suchen wir dem Weiter¬
gehen des Prozesses, vor allem der Nebenhodenentzündung, die wie
ein Damoklesschwert über jedem Gonorrhoiker schwebt, vorzubeugen.
Aus diesem Grunde verordnen wir von vornherein ein Suspensorium,
unter deren großer Zahl die von Neißer, Teufel, besonders geeignet,
sind. Das letztere namentlich ist durch eine vorn angebrachte Klappe,
die den umgelegten Penis aufnimmt, sehr zu empfehlen, wodurch
die Beschmutzung der Wäsche verhindert werden kann. Sauberkeit
ist überhaupt von größter Wichtigkeit und mehrmaliges Abwaschen
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Die Behandlung der Gonorrhöe.
86
der Eichel besonders vor jeder Injektion entschieden empfehlenswert,
schon um die Entstehung der Balanitis zu vermeiden; vor das Orifizium
ist zur Aufsaugung des Sekrets etwas Gaze zu legen. Nach jeder Berüh¬
rung der Genitalien müssen die Hände sorgsam gewaschen werden,
womit der Anfang ;Ln der Sprechstunde des Arztes gemacht werden,
sollte. Jeder Patient muß auf die Möglichkeit einer Infektionsüber¬
tragung auf die Augenbindehaut energisch aufmerksam gemacht werden;
schon von diesem Gesichtspunkte aus ist ein getrenntes Handtuch für
Gesicht und Hände anzuraten. Von allgemeinen diätetischen Verord¬
nungen ist die Regelung des Stuhlgangs sehr wichtig und der Genuß
scharfer Speisen zu vermeiden. Dem Alkoholgenuß gegenüber verhält
man sich am besten ablehnend, weil bei kleinen, wohl kaum schädlichen
Konzessionen [1—2 Glas Bier], das Gros ider Patienten über die Stränge
schlägt. Speziell etwas Rotwein kann gestattet werden, insbesondere
nach Ablauf der akuten Symptome. Das Alkohol verbot hat auch den
Vorteil, daß die Patienten weniger Kneipen aufsuchen, ruhiger leben
und schließlich sexuellen Erregungen weniger ausgesetzt sind. Diese
aber sind strengstens zu vermeiden, stellt doch jede Erektion oder gar
Pollution eine außerordentliche Reizung für das entzündete Organ dar.
Gegen diese lästigen Erscheinungen müssen wir, wie oft bei sehr akuten
Gonorrhöe-Fällen, die Hydrotherapie in Form von kalten Umschlägen
heranziehen, die aber fortwährend zu wechseln sind, um eine Wärme¬
entwicklung fernzuhalten. Hier setzt auch die interne Medikation ein,
die z. B. in Bromkali (1—2 g) oder
Lupulin 1,0
Camphor. 0,1
Extr. Lupulin, q. s. f. pil. X. (3 —6 Pillen täglich) besteht.
Die interne Gonorrhöe-Therapie erfreut sich bei den verschiedenen
Autoren und Praktikern einer sehr verschiedenen Beurteilung. Die
marktschreierische Reklame gerade der letzten Jahre, die fast monat¬
lich neue Präparate anpreist, schien sogar zeitweise den Versuch machen
zu wollen, die interne Behandlung mehr in den Vordergrund zu stellen.
Diesen Anschauungen kann nicht scharf genug entgegengetreten werden.
Die einzig wirksame Gonorrhöe-Therapie ist auch heute, und heute
mehr denn je, die Lokalbehandlung, wie wir sie im Vorhergehenden zu
schildern versuchten. (Neißer u. a.) Daß die Balsamika — denn um
diese handelt es eich allgemein — einen zwar beruhigenden, aber absolut
nicht gonokokkziden Einfluß auf die Harnröhre ausüben, beweisen u. a.
Jadassohns Versuche, die bei nur mit Balsamizis behandelten Patienten
zwar eine rasche Verminderung des Sekrets, aber ein Fortbestehen der
Gonokokken feststellten. Man wird also gut tun, der nur minimalen
antibakteriellen Wirkung der in den Urin übergegangenen Balsamika
nicht allein zu trauen und höchstens in Fällen, wo eine endourethrale
Therapie ausgesetzt werden soll, z. B. bei starken Schmerzen, Lymphan-
gitis, Phimose usw., die Balsamika allein zu geben. Sonst l>ediene man
sich ihrer nur als Unterstützungsmittel der im Vordergründe stehenden
antiseptischen Lokaltherapie. Cubeben, Matico, Kawa-Kawa, der Copai-
vabalsam und das Sandelöl waren und sind auch heute noch allgemein
beliebt, wenngleich ihnen moderne Kombinationen und Präparate den
Rang abgelaufen haben, z. B.
Gonosankapselu 1 0 i i o -rr i
Santalkapseln 0,5 } 3mal ta « L 3 Ka P seln
Santyl (Knoll) 3 mal tägl. 25 Tropfen
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36
Erich Hanechmidt,
— letzteres ist geschmacklos und reizt den Magen nicht —, oder man
gibt bei Widerwillen gegen Oie:
Natr. bicarb.
Pulv. bacc. Cubeb. ää 25,0
M. D. ad. scatul.
3 mal tiigl. 1 Teelöffel in Wasser vor dem Essen (Blaschko).
Eine alte beliebte Verordnung ist auch:
Fol. uv. urs. 200,0
S. 3 Eßlöffel Blätter auf 4 Tassen Wasser,
die bei Posterior oder gar Zystitis nicht ganz unbrauchbar ist. In diese
Gruppe gehören auch die sogenannten Harnantiseptika:
Urotropin oder Hexamethylentetramin,
das weit billiger und für die Kassenpraxis vorzüglich geeignet ist (drei¬
mal täglich 1 g), ferner die Salizylpräparate:
Aspirin 3 mal tägl. 1 g
Salol 3 mal tägl. 1 g in Caps, amylac,
denen bei komplizierter Gonorrhöe mitunter eine wertvolle Unterstützung
der Heilwirkung nicht jabgesprochen werden kann. Bei der normal
verlaufenden Anterior aber kann man speziell die letztaufgeführten
entbehren und gibt oft die erstgenannten, mehr aus psychischen Gründen,
um dem Patienten, der von der internen Medikation sicherlich gehört
hat, die beruhigende Gewißheit zu geben, daß nichts versäumt wird.
Zum Schluß dieses Abschnittes sei noch einer Nebenwirkung der bal¬
samischen Oie gedacht, der Neigung, Arzneiexantheme hervorzurufen,
die oft einen urtikariaartigen Charakter annehmen. Ferner bilden sich
nicht selten Magenbeschwerden schon nach kurzem Gebrauch aus, wäh¬
rend eigentliche Nierenaffektionen wohl bei unseren gebräuchlichen
Dosen sehr selten sind. Der Beizung der Magenschleimhaut sucht mail
durch Darreichung von Kapseln, die erst im Darm löslich sind, vorzu¬
beugen. (Schluß folgt.)
Das Zinkperhydrol und seine Anwendung in der Wundtherapie.
Von Dr. Erich Hanschmidt, prakt. Arzt, Kegel (Gouv. Estland).
Das Zinkperhydrol ist zuerst von Wolffenstein zur Verwendung
in der Chirurgie empfohlen worden (Therap. Monatsh., Novbr. 1905).
Er faßte das zu 50°/ o aus chemisch reinem Zinksuperoxyd bestehende
Präparat gewissermaßen als ein „Perhydrol in fester Form“ auf, in dein
die desinfizierende Wirkung des Perhydrols mit den adstringierenden
Eigenschaften des Zinkoxyds vereinigt ist. Über die Anwendung des
30 Gewichtsprozente Wasserstoffsuperoxyd enthaltenden, also 100 volum¬
prozentigen Perhydrols bei chronischen und profusen Eiterungen, bei
Karies und gangränösen Prozessen liegen ja zahlreiche Erfahrungen vor.
Sie hat in allen Fällen durch die Abspaltung des aktiven Sauerstoffes
eine rasche Reinigung, Abnahme der Sekretion und üppige Granulations¬
bildung zur Folge. Es lag daher nahe, auch das Zinkperhydrol zu prüfen,
zumal die bei diesem Präparat vor sich gehende allmähliche Abspaltung
von Wasserstoffsuperoxyd, bezw. von Sauerstoff für manche Fälle ge¬
wisse Vorteile zu bieten schien. Ich habe vielfach Gelegenheit gehabt,
das Präparat bei ambulatorischen Fällen, sowohl w T ie in der Kranken¬
hauspraxis zu erproben und möchte über die Indikationen, die sich aus
den Resultaten dieser Versuche ergaben, kurz berichten.
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Das Zinkperhydrol und seine Anwendung in der Wundtherapie.
37
1. Das Zinkperhydrol bei Ulcus cruris.
Bei Behandlung dieses Leidens hat sich mir das Präparat außer¬
ordentlich bewährt, wie aus folgender Krankengeschichte zu ersehen ist.
Patientin L. T., 46 Jahre alt, Feldarbeiterin, leidet seit 6 Jahren an
einem umfangreichen auf Varikositäten beruhenden Geschwür im unteren
Drittel des rechten Schienbeines, welches mit verschiedenen Mitteln,
Höllenstein, Kompressen, Pulvern und Salben vorbehandelt war, aber alles
hatte zu keinem Resultat geführt. Bei Besichtigung der Wunde finde ich
diese in gangränösem Zustande, fast bis auf das Periost reichend, die
Breitendurchmesser der Wunde sind 8 und 6 cm, die Umgebung der¬
selben ist ödematös, die Wundränder sind infiltriert und ausgehöhlt. Das
Zinkperhydrol als 25°/ 0 ige Salbe bewirkte eine rasche Reinigung durch
Abstoßung des gangränösen Gewebes, sodaß in zwei Wochen eine rote,
granulierende Fläche vorlag und gleichzeitig zeigte sich an den Wund¬
rändern ein fester Epithelsaum. Bei dieser Gelegenheit möchte ich er¬
wähnen, daß ich auch mit anderen Mitteln, namentlich mit Bismut¬
präparaten, Zinkleim und Argentum-Salben Heilung des Ulcus cruris
erzielt habe, aber ich habe auch häufige Rezidive gesehen, indem die
Wunden oft bei dem geringsten mechanischen Insult wieder aufbrachen.
Das Zinkperhydrol bewirkte in dem vorliegenden Fall eine feste haut¬
ähnliche Vernarbung und es ist seit 2 Jahren kein Rezidiv eingetreten.
Hervorheben will ich noch, daß die Behandlung ohne Berufstörung, ohne
Liegekur und ohne gleichzeitige Bandagierung erfolgt ist, da Patientin
sich nicht schonen konnte und täglich schwere Feldarbeit verrichtete.
Bei Anwendung von Argentum-Präparaten sah ich häufig, daß das Odem
in der Umgebung der Wunde zunahm und führe ich das auf den Umstand
zurück, daß durch die Atzung der Wundfläche die Sekrete zurückgehalten
werden, das gleiche beobachtete ich bei Anwendung von Streupulvern,
welche Krusten bildeten. Ich habe seitdem das Zinkperhydrol in vielen
Fällen von Ulcus cruris angewandt und stets ein gutes Resultat erzielt.
Beingeschwüre, die seit vielen Jahren bestanden und jeglicher Therapie
trotzten, heilten ohne Berufsstörung in 1—2 Monaten und ich wieder¬
hole, daß die Karbe stets ein festes, hautähnliches Aussehen hatte.
2. Das Zinkperhydrol bei Verbrennungen und schweren
Brandwunden durch explosionsfähige Stoffe.
Hier hat sich das Präparat gleichfalls bestens bewährt. Besonders
bei frischen Verbrennungen ersten und zweiten Grades wurden die
heftigen, brennenden Schmerzen nach Anlegung dos Zinkperhydrol-Ver-
bandes sofort gelindert. Der Verbandwechsel geschieht außerordentlich
leicht, weil es nicht zum Eintrocknen der Sekrete kommt. Auch kann
diese Methode sehr gut mit der Bäderbehandlung kombiniert werden.
Ich komme nun zu den schweren Brandwunden dritten Grades durch
explosionsfähige Stoffe (Pulver, Kalichloricum-Mischung), wie sie hier
außerordentlich häufig sind. Th. L., 40 Jahre alt, Sleinarbeiter, hat sich
beim Steinesprengen durch vorzeitige Explosion der Kalichloricum-Mischung
während des Ladens der Bohröffnung eine starke Verbrennung der linken
Hand zugezogen, wobei durch den starken Luftdruck tiefe Rißwunden
entstanden waren. Bei der Untersuchung finde ich die Hohlhand und
die Daumenmuskulatur vollständig aufgerissen, die Sehnenscheiden vielfach
verletzt, starke Blutung aus mehreren Muskelästen, die Wunden schwarz
belegt. Nach Blutstillung und Abtragung einiger Hautlappen mit der
Schere verband ich die ganze wunde Fläche mit 25°/ 0 iger Zinkperhydrol-
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88
Erich H&nRchmidt,
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salbe und es fand täglicher Verbandwechsel statt. Es folgte die Abstoßung
zahlreicher nekrotischer Gewebsteile, worauf sich die Wunde bald reinigte;
schon nach wenigen Tagen zeigte sich an den Wundrändern ein zarter
Epithelsaum. Es folgte Heilung mit Gebrauchsfähigkeit der Hand in
4 Wochen. Ähnliche Fälle habe ich früher mit Kompressen und Pulvern
behandelt, doch hat die Heilung immer 2—3 Monate in Anspruch ge¬
nommen. Seitdem habe ich das Mittel in mehr als 20 Fällen von schweren
Brandwunden, zum Teil mit komplizierten Knochenverletzungen, in An¬
wendung gebracht und das Resultat war stets ein gutes.
3. Das Zinkperhydrol bei infizierten Wunden und bei
Dekubitus.
Ein weites Gebiet öffnet sich dem Präparat bei der Behandlung
der verschiedenen phlegmonösen Prozesse. Bei Panaritium, subkutanen
Abszessen, Furunkeln, sowie Karbunkeln füllte ich die nach Inzision und
Ausstoßung des nekrotischen Pfropfes entstandene Höhle einfach mit
Zinkperhydrolsalbe und die Heilung erfolgt in überraschend schneller
Zeit. Bei Hautdefekten wegen Gangrän der Haut und nach ausge¬
dehnten Phlegmonen habe ich das Zinkperhydrol zur Nachbehandlung mit
gutem Erfolge angewandt; einen handflächengroßen Defekt brachte ich
in 4 Wochen zur Heilung. Eine schwere Maschinenverletzung wurde
nur mit Zinkperhydrol behandelt und dürfte dieser Fall einiges Interesse
gewähren.
Patient P. P., 62 Jahre alt, ist durch Unvorsichtigkeit mit der
rechten Hand in die Zähne einer Wollkratzmaschine geraten. Bei der
Untersuchung finde ich fast die ganze Haut der Hand heruntergerissen,
viele Sehnen durchschnitten, die Muskeln in Fetzen zerrissen, Blutung
aus zahlreichen Muskelästen. Nach vieler Mühe gelang es mir, die
einzelnen Hautstücke durch Nähte zu fixieren, im übrigen beschloß ich,
konservativ vorzugehen und mit Zinkperhydrol zu behandeln. Der Erfolg
war ein zufriedenstellender. Nachdem sich mehrere gangränös gewordene
Hautlappen und einige Sehnenscheiden abgestoßen hatten, erzielte ich
eine Heilung der Wunden in 2 Monaten. Auch in diesem Falle fiel
mir die hautähnliche Beschaffenheit der Narben auf, die zu keinen weiteren
Schrumpfungen führten.
Auch eine schwere Dreschmaschinen Verletzung habe ich ausschließlich
mit Zinkperhydrolverbänden behandelt, wie folgender Fall beweist.
Patient K. A., 23 Jahre alt, geriet mit der linken Hand in eine
Dreschmaschine, sodaß beide End-Phalangen des Daumens mitsamt den
Sehnen und Muskeln des Daumenballens und der halbe Mittelhand-
Knochen fortgerissen wurden. Eine Amputation des aus der Wunde
hervorragenden Knochenstumpfes wird vom Patienten verweigert. Die
Wunde wird konservativ mit Zinkperhydrol behandelt, und, obgleich
ich eine Nekrose des Knochens befürchtete, erfolgte Heilung durch
Epithelisierung, wobei der Knochenstumpf von üppigen Granulationen
umwuchert wurde und einheilte.
In einem anderen Falle handelt es sich um eine tiefe Rißwunde
des rechten Oberschenkels, die durch Stoß einer Kuh mit den Hörnern
zustande gekommen war. Die Wunde ging bis auf die großen Gefäße,
die pulsierend Vorlagen. Da sich Eiterung einstellte, mußte die anfangs
genähte Wunde teilweise eröffnet werden und tamponierte ich die Wund¬
höhle einfach mit Zinkperhydrolsalbe. Die Eiterung wurde täglich ge¬
ringer und die Wunde schloß sich durch kräftige Granulationsbildung.
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Das Zinkperhydrol und seine Anwendung in der Wundtherapie
39
Ferner habe ich das Zinkperhydrol bei Dekubitus zur Anwendung
gebracht. Es handelt sich um ein Empyem der Pleura, in dessen Verlauf
ein handflächengroßer Dekubitus in der Kreuzbeingegend entstanden war.
Bei Anwendung des Präparates konnte ich einen günstigen Einfluß auf
die Heilung des Dekubitus wahrnehmen, den ich wohl mit anderen Mitteln
nicht erzielt hätte, wie parallele Versuche ergaben.
4. Das Zinkperhydrol bei nicht infizierten Wunden.
Da es sich meist um ambulatorische Fälle handelt, wo die Patienten
nicht die Möglichkeit haben, sich dem Arzte häufig vorzustellen, kam
ich auf den Gedanken, auch hier die Zinkperhydroltherapie einzuführen.
Es handelte sich meist um einfache Schnitt- und Rißwunden, die nach
event Anlegung der Naht mit dem Mittel weiter behandelt wurden.
Tn den meisten Fällen kam es zu reaktionslosem Verlauf und ich habe
die Überzeugung, daß Wunden, die mit Zinkperhydrol behandelt werden,
seltener eitern, als solche, bei denen andere Antiseptika angewandt werden.
Es scheint mir dieses auch auf dem Umstande zu beruhen, daß die all¬
mähliche Abspaltung des Sauerstoffs an die oxydationsfähige Umgebung
eine Vernichtung, resp. Entwicklungshemmung der Keime bewirkt. Aber
auch schwerere Fälle im Krankenhause habe ich mit Zinkperhydrol
behandelt.
Pat. G. J., 48 Jahre alt, wird von einem durchgehenden Pferde
an einen Steinzaun geschleudert, wobei ihm ein Wagenrad über den
Hinterkopf geht. Zahlreiche große Rißwunden am Kopfe mit Verletzung
der Schädelhaut. Nach Anlegung von Nähten Verband mit Zinkperhydrol,
glatte Heilung der Wunden in 8 Tagen.
Wie aus vorstehendem ersichtlich, habe ich das Zinkperhydrol bei
Ulcus cruris, bei Verbrennungen, bei infizierten und nicht infizierten
Wunden geprüft und hat mich der Erfolg stets zufrieden gestellt. Ich
habe das Präparat als 25°/ 0 ige Salbe zur Anwendung gebracht, bei
kleinen Schnittwunden und Exkoriationen genügte eine 10°/ 0 ige Salbe.
Ich streiche die Salbe einfach auf Verbandgaze und bedecke damit die
Wunde, die ich in gewöhnlicher Art mit Watte verbinde. Handelt es
sich um eine stark verunreinigte Wunde, so wird dieselbe vor dem ersten
Verbände mit 3°/ 0 iger Perhydrollösung ausgewaschen. Das Zinkperhydrol
bewirkt somit eine nennenswerte Bereicherung der Wundtherapie. Es
ist speziell in der Landpraxis von großem Wert, da der Verbandwechsel
nur alle 3—5 Tage stattzufinden braucht, wobei alle anderen Antiseptika
fortfallen, da die Wundflächen stets rein sind. Außerdem möchte ich
hervorheben, daß das Mittel eine deutliche anästhesierende und hämostatische
Wirkung besitzt, was bei Verbrennungen und tiefen Rißwunden nicht
genug zu schätzen ist.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Zwick u. Weichei (Berlin), Bakteriologische Untersuchungen über die
Erreger der Mastitis acuta des Rindes mit besonderer Berücksichtigung der
Beteiligung von sogenannten Fleischvergiftungserregern an der Entstehung
der Krankheit. (Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt, Bd 34,
TI. 4.) Im ganzen wurden 21 Fälle von akuter Mastitis bakteriologisch unter¬
sucht. Es handelte sich um gramnegative Stäbchen, die der Koligruppc ange-
hürten. Es wird die Frage erörtert, ob diese aus kranken Eutern gezüchteten
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Referate und Besprechungen.
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Coli-aerogenes-Bakterien stets nur eine klinische Form der Euterentzündung
verursachen oder ob etwa das Krankheitsbild sehr variiert und vielleicht auch
eine septische Mastitis die Wirkung dieser Bazillen sein kann. Aus diesen
Versuchen geht hervor, daß Kolibakterien eine akute Euterentzündung, aber
keinen septischen Prozeß hervorrufen können. Unter den 21 untersuchten
Fällen sind 2 Stämme gefunden, die vom Kolitypus wesentlich abweichen;
die sich für Mäuse und Meerschweinchen sehr toxisch verhielten in bezug
auf Kultur und das aus ihr gewonnene Filtrat. Nach weiteren Differen¬
zierungen ist der eine dieser Stämme als Enteritis-, der andere als Paratyphus-
ß-Bazillus anzusprechen. Sie können eine septische Euterentzündung hervor¬
rufen. Das klinische Bild dieser Infektionen ist ein wechselndes, je nach¬
dem eine geringere oder größere Kulturmenge zur Infektion benutzt wurde.
Fütterungsversuche mit der Milch von Tieren, die an einer durch
Enteritis- oder Paratyphus-B-Bazillen verursachten Euterentzündung leiden,
lehren die Schädlichkeit der Milch. Es ist die Milch von Tieren, die an einer
akuten Euterentzündung leiden, vom Verkaufe auszuschließen. Denn auch
die auf einer Koliinfektion beruhenden Mastitisfälle sind für den Konsumenten
nicht bedeutungslos. Schürmann.
Scheller (Breslau), Experimentelle Beiträge zum Studium des Mecha¬
nismus der Immunkörper und Komplementwirkung. (Zentralbl. für Bakt.,
Bd. 56, H. 2.) Verfasser bespricht den Einfluß, den eine steigende Verdünnung
mit physiologischer Kochsalzlösung auf den Ausfall des hämolytischen Ver¬
suches hat. Bei einer größeren Verdünnung des hämolytischen Systems mit
Kochsalzlösung braucht man bei gleichen Mengen Immunkörper und Blut¬
körperchen viel mehr Komplement zur vollständigen Hämolyse als in der
Kontrolle, die weniger Kochsalzlösung enthält. Bei gleichbleibendem Gehalt
von Immunkörpern genügt zur Lösung der roten Blutkörperchen stets die¬
selbe Komplementkonzentration. Der Immunkörper wirkt unabhängig
von seinem Verdünnungsgrade proportional seiner Menge. Die Komplement¬
wirkung ist total unabhängig von der Menge der sensibilisierten Blutkörper¬
chen. Schürmann.
Beyer (Magdeburg), Über Beziehungen des Lezithins zum Tuberkel-
bazillus und dessen Produkten. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) Eine
interessante und lehrreiche Zusammenstellung über Beziehungen des Lezithins
zum Tuberkelbazillus mit Angabe eigener Versuchsergebnisse. Es können
die verschiedenen bisher gebrachten Angaben einer ernsten Kritik nicht stand¬
halten. Schürmann.
Innere Medizin.
Y. Oguro, Ein Beitrag zur Frage der Arteriosklerose und der Gefäß-
nerven-Veränderungen bei derselben. (Virchows Archiv für path. Anat.,
Bd. 198, S. 554, 1909.) Verf. untersuchte zunächst 5 Fälle von Sklerose
der Pulmonalarterien (bei 3 Fällen von Herzfehler, je einem von kongenitaler
Syphilis und von echter Endarteriitis deformans). Er fand, daß die Sklerose
der Lungenarterien in 3 Formen auftritt: Die Pulmonalarteriensklerose bei
Endarteriitis deformans zeigt diejenigen Veränderungen, welche man bei der
Arteriosklerose des großen Kreislaufes auch beobachtet. Die syphilitischen
Veränderungen der Pulmonalarterien treten wie bei dem übrigen Arterien-
Systeme hauptsächlich als Mesoarteriitis auf. Die Pulmonalarteriensklerose,
welche durch Stauung entsteht, z. B. bei Herzfehlern, zeigt eigentümlicher¬
weise nur Intimawucherung, während die übrigen Schichten ganz intakt
bleiben.
In einem dieser Fälle von Sklerose der Pulmonalarterie fand Verf.
an den Nerven in der Adventitia degenerative Veränderungen der Nerven¬
fasern zusammen mit einer Wucherung des Bindegewebes des Endoneuriums.
Er unterzog daraufhin noch 25 Fälle von Arteriosklerose einer Prüfung
auf das Vorkommen gleichartiger Veränderungen, und konnte bei 6 Fällen
solche auffinden in Form von Degeneration der Nervenfasern und mehr
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Referate und Besprechungen.
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oder weniger starker Wucherung des Bindegewebes des Endo- und Peri¬
neuriums. Daraus und aus der schon früher von anderen beobachteten
Tatsache, daß nach Läsionen der Gefäßnerven bei Tieren der Arterio¬
sklerose ähnliche Gefäßveränderungen auftreten können, glauft Verfasser
schließen zu können, daß die Nervenveränderungen vielleicht die primäre
Erkrankung darstellen, daß man also mit Wahrscheinlichkeit auch beim
Menschen eine sog. neurotische Arteriosklerose annehmen könne.
W. Risel (Zwickau).
Detenmann u. Fr. Weil, Viskosität und Gasgehalt des menschlichen
Blutes. (Zeitschr. für klin. Med., Bd. 70, S. 468, 1910.) Nach Untersuchungen
an 36 Personen, namentlich wenn zu gleicher Tageszeit untersucht wurde, ergab
sich die Tatsache, daß bei wenig schwankender, die Viskosität bekanntlich
beeinflussender Blutkörperchenzahl die erkennbaren Schwankungen der Visko¬
sität dem wechselnden Gasgehalt des Blutes zuzuschreiben sind. Mit Ansteigen
der CO s steigt auch die Viskosität, besonders stark, wenn gleichzeitig O ab-
nimmt. Minderung des O erhöht aber die Viskosität nur wenig, wenn zu¬
gleich die CO 2 entsprechend abnimmt. Demnach ließe sich bei bekannter
Zahl der Formelement« durch die Viskositätsbestimmung ein Urteil über den
Gasgehalt des Blutes bilden. H. Vierordt (Tübingen).
A. Ignatowski, Über die Wirkung des tierischen Eiweißes auf die
Aorta und die parenchymatösen Organe von Kaninchen. (Virchows Archiv
für path. Anatomie, Bd. 198, S. 249. 1910.) Die Nachkommenschaft von
Kaninchen, deren Nahrung mehrere Monate lang Fleisch zugesetzt wurde,
ist wenig lebensfähig. Die jungen Kaninchen leiden an angeborener Albu¬
minurie und gehen früh zugrunde. Bei tierischer Nahrung (Milch und Ei¬
gelb) entwickeln sich junge Kaninchen 1—1 1 / 2 Monate lang normal, bleiben
aber weiterhin hinter den Kontrollieren zurück. Die jungen Kaninchen
können bei tierischer Nahrung nur 3—4 Monate leben. Die tierische Nahrung
ruft bei jungen Kaninchen Blutveränderungen hervor in Gestalt von Anämie,
mit, bedeutender Verringerung des Hämoglobins, Verschiedenheiten in Form
und Größe der Erythrozyten, beträchtlicher Leukozytose. Bei den zugrunde
gegangenen Kaninchen fand sich Leberzirrhose mit und ohne Aszites und
Vergrößerung der Milz, degenerative Veränderungen am Kanälchenepithel
der Nieren, Atheromatose der Aorta, bedeutende Hypertrophie der Neben¬
nieren. In der Intima der Aorta wurden primäre degenerative Veränderungen
festgestellt. Die Nachkommenschaft fleischfressender Kaninchen zeigt keine
größere Unempfänglichkeit für die tierische Nahrung als die Jungen normaler
Kaninchen. Solche Tiere sind im Gegenteil empfänglicher für die Wirkung
dieser Nahrung. Die tierische Nahrung beeinflußt am stärksten die Leber
und das Gefäßsvstem junger Kaninchen. Bei den Nieren ist die Wirkung ent¬
gegengesetzt; diese Organe sind bei erwachsenen Tieren stärker affiziert.
W. Risel (Zwickau).
W. P. Obrastzow u. N. D. Straschesko, Thrombose der Koronararterien
des Herzens. (Zeitschr. für klin. Med., Bd. 71, S. 117.) Drei Fälle, die
zur Sektion kamen, zwei mit der intra vitam aus „Status anginosus“, aus¬
geprägter akuter Herzschwäche, vergrößertem Herzumfang, Galopprhythmus,
Zyanose und Algor des Körpers gestellten Diagnose. Diese Zeichen dauern
bis zum Tode an, treten also nicht bloß in einzelnen Anfällen auf. Mikro¬
skopisch nekrotische (myomnlakische') Prozesse im Herzfleisch (s. Tafel IT).
Weitere Fälle aus der Literatur werden angeführt.
H. Vierordt (Tübingen^.
N. Cahn (BerlinY Herzhypertrophie bei Nephritis. (Wien. kl. Rundsch.,
Nr. 21—27. 1910.) In der einen Versuchsreihe wurden vermittels Belastungs-
versuche Elastizitätskoeffizient und Elastizitätsindex der Haut, des Unter¬
hautzellgewebes. der Muskeln und großen Gefäße an Tiermaterial fest¬
gestellt; die Ergebnisse wurden mit den bei experimentell hervorgerufener
urämischer oder Kantharidin Vergiftung bei gleichen Tieren erzielten Resul¬
taten verglichen. Bei diesen sowohl als bei den an Leichen mit Arterio-
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sklerose und parenchymatöser Nephritis vorgenommenen Untersuchungen
konnte unter Berücksichtigung der Kontrollversuche an normalem Gewebe
fast durchweg eine Abnahme des Koeffizienten festgestellt werden, die C.
als Toxinwirkung und Erklärung für die Herzhypertrophie auffassen will.
Schiess (Marienbad).
M. Abelmann, Adipositas und Versicherung. (Pirogoff Kongr., Petersb.
1910.) Ein mäßiger Grad von alimentärer Adipositas ist kein Grund zur Ver¬
weigerung; Voraussetzung ist, daß nicht Abusus alcoholicus besteht, —
wegen der Gefahr der fortschreitenden Fettleibigkeit und frühzeitiger Nei¬
gung zur Arteriosklerose. Ernster sind Fälle von hereditärer Adipositas,
insbesondere wenn sie bei einzelnen Familienmitgliedern in frühem Alter auf-
getreten waren, aufzufassen. Desgleichen Familien, wo Fälle von Diabetes,
Alkoholismus und Apoplexien zu verzeichnen sind. Bei der Beurteilung
eines Falles von Fettleibigkeit ist weniger die landläufige Einteilung der
verschiedenen Grade und Formen als der Zustand der Herztätigkeit im
Ruhezustand und nach mäßiger Bewegung zu berücksichtigen. Sehr un¬
günstig ist die Prognose der anämischen Fettleibigkeit. Besondere Beach¬
tung verdient Lebensweise und Beruf. Am meisten gefährdet sind Fleischer,
Bierbrauer, Weinhändler, Gasthofbesitzer, am wenigsten der Landwirt und
die Geistlichkeit. Abzuweisen sind Fettleibige mit qualitativen oder quan¬
titativen Veränderungen des Urins, selbst bei ganz geringen Abweichungen
von der Norm. Schiess (Marienbad).
M. Masuyama, Zur klinischen Kenntnis der Pest. (Zeitschr. für klin.
Med., Bd. 70, S. 491, 1910.) Bericht über 383 Pestfälle der Jahre 1899 bis
1900 und 1905—1907, die im Isolierhospital in Osaka untergebracht waren;
in der Stadt überhaupt wurden in dieser Zeit 974 Fälle, darunter 880 töd¬
lich verlaufende, beobachtet. Die meisten Fälle kamen im Oktober bis
Dezember vor, viel weniger im Sommer. Bei der Aufzählung der klinischen
Symptome und der verschiedenen Äußerungen der Krankheit berichtet M.
im Kapitel ,,Lungenpest“ über eine einen Arzt betreffende tödliche In¬
fektion — es war ihm vom Kranken ins Gesicht gehustet worden — und
weiteres über den raren Fall einer „Kehlkopfpest“ mit sekundärer Pest-
pneumonie, der ein Assistenzarzt des genannten Spitals erlag. Der laryngo-
logische Befund intra vitam hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit beginnen¬
der Kehlkopftuberkulose. Die bakteriologische Untersuchung der Bubonen
und des Blutes ergab im allgemeinen, daß bei den ersteren oft
Mischinfektionen (mit Diplo-, St.repto-, Staphylokokken) Vorkommen, zumal
in den tieferen Halsdrüsen, und daß das Auftreten von Pestbazillen im Blut
mali ominis ist; Fehlen derselben muß günstig beurteilt werden. Mit Serum
(in größerer Menge) aus der staatlichen Anstalt in Tokio wurden einige
gute Resultate in Verbindung mit Inzision, nicht Enukleation, der Bubonen
erzielt. Die Injektion soll vorausgehen und ihr bei ein tretender Fluktuation
die Inzision folgen. H. Vierordt (Tübingen).
Arnold wendet seit 4—5 Jahren bei Typhus Einläufe mit etwa 1 /$ Liter
Olivenöl und 30 g Terpentin an, nachdem der Darm vorher mit mäßigen
Dosen Kalomel und Rizinus gereinigt worden. Er wiederholt dies in den
ersten drei Tagen, dann alle zwei Tage. Namentlich bei Fällen schweren,
alarmierenden Charakters hat er hiervon in kurzer Zeit (in gewöhnlichen
Fällen schon nach acht Tagen) gute Erfolge, Abfall des Fiebers, keine
Ilämorrhagien, keine Rückfälle verzeichnet. Nebenher gab er als Herz-
tonikum und gegen die Bakterien etwas Chinin, sonst nichts. (Bull, gener.
de ther., Nr. 10, 1910.) v. Schnizer (Höxter).
Willi. Schüffner mit Margarethe Wachsmuth, Über eine typhusartige
Erkrankung. (Zeitschr. für klin. Med., Bd. 71, S. 133.) Dieser „Pseudotyphus
von Deli“ (Ostküste von Sumatra) ist keinesfalls dem Abdominaltyphus,
auch nicht dem Paratyphus zuzureclmen, gleicht eher dem Fleckfieber oder
der japanischen Kedanik rank heit. Im ganzen ist die Affektion von ziem¬
lich mildem Verlauf, immerhin starben von 34 Kranken 3 (1 an Sepsis
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durch Decubitus). Für echten Typhus ergaben weder die Nekropsien durch
einen Darmbefund, noch auch namentlich die bakteriologische Untersuchung
irgendeinen Anhaltspunkt. H. Vierordt (Tübingen).
Chirurgie.
J. W. Keay (Edinburgh). Bemerkungen Ober die Behandlung des post¬
operativen Erbrechens, speziell über die Anwendung des Adrenalins. (Pract.,
Bd. 85, Nr. 5.) Keay glaubt, daß beim postoperativen Erbrechen stets
sowol der Magen als das Gehirn, wenn auch in wechselndem Grade, be¬
teiligt sind; in sehr schweren Fällen liegt auch Erkrankung der Leber
zugrunde. Er gibt während der ersten 24 Stunden nichts durch den Mund,
gegen den Durst nur Salzwasserklistiere. Eisstückchen vermehren den Durst
(beschäftigen aber in angenehmer Weise, Ref.). Das Chloroform regt die
Drüsentätigkeit stark an, der verschluckte Speichel ist mit ihm gesättigt
und reizt den Magen zur Absonderung, die so sauer sein kann, daß die Lippen
beim Erbrechen verätzt werden (wenn das richtig ist, so ist mancher
Assistent fälschlich im Verdacht gewesen, das Gesicht durch unvorsichtiges
Aufgießen des Chloroforms verbrannt zu haben). K. behandelt solche
Fälle durch reichliches Trinken alkalischer Lösungen, die nachher entweder
erbrochen werden oder ins Duodenum ab fließen, und mit heißen oder Senf-
umschlägen auf das Epigastrium ev. auch mit Abführmitteln. Daneben
wendet er allerlei Mittel an, die die Aufmerksamkeit des Kranken ablenken,
bis das Erbrechen «aufhört.
Bei größeren Bauchoperationen droht die Tympanie das Erbrechen zu
unterhalten, hier sind öftere Klistiere, Rizinusöl oder Magnesiumsulfat an¬
gebracht. Ist das Erbrechen kaffeesatzähnlich oder hämorrhagisch, was
besonders nach Operationen in Trendelenburg’scher Lage vorkommt, so hat
K. von Adrenalin (per os) gut« Erfolge gesehen. Auch kann Magenaus-
waschung in Frage kommen.
Führt anhaltendes Erbrechen zur Erschöpfung, so sind salinische Ab¬
führmittel und allgemeine Anregungsmittel wirksamer als Herzmittel, spez.
als Injektionen von Strychnin. Digitalin usw., die an sich schon ebenso wie
Morphiuminjektionen leicht Erbrechen erregen.
Wenn im Gefolge einer langdauernden Operation heftiges Erbrechen
zu erwarten ist, so macht K. schon während der Operation intravenöse
Salzwasscrinfusionen; er behauptet, nach Anwendung dieser Vorsichtsma߬
regel niemals schweres und bedrohliches Erbrechen gesehen zu haben.
Fr. von den Velden.
G. A. H. Barton (London), Die Athernarkose mit offener Maske und
einige ihrer Modifikationen. (Praotitioner, Bd. 85, Nr. 5.) Der Gebrauch
offener Masken (im Gegensatz zu solchen, die den Betäubten zwingen, seine
Exspimtionsgase nochmals zu atmen) ist neuerdings in England wieder
mehr in Gebrauch gekommen. Wird mit solchen Masken mit Äther anästhe¬
siert, so besteht gewöhnlieh keine starke Salivation, keine Zyanose und be¬
schleunigte Atmung, die Nachwirkungen und die Gefahr der Lungenent¬
zündung sind gering. Nachteile sind, wie bekannt, der starke Ätherver¬
brauch und die unfreiwillige Halbnarkose der Operierenden, die lange Dauer
bis zum Eintritt des Schlafs und die Schwierigkeit, die genügende Erschlaf¬
fung der Bauchmuskeln und bei Alkoholikern und Leuten mit starker
Muskulatur die Schwierigkeit, überhaupt Narkose zu erzielen.
Barton hat deshalb eine Maske konstruiert, die zwar freies Aus-
afinen gestattet, aber doch nur etwa halb so viel Äther verbraucht als die
ganz offene Maske. Der Beschreibung nach gleicht sie sehr der Sudeek-
schen Äthermaske und ihren Modifikationen, hat dichten Abschluß gegen
das Gesicht und Ventile. B. ist mit den mit. dieser Maske erzielten Nar¬
kosen sehr zufrieden, doch bleibt, ihr der Nachteil, daß man zur Einleitung
der Narkose ein stärkeres Narkotikum fB. bevorzugt eine Mischung von
Äther, Chloroform und Äthylchlorid) anwenden muß und daß man bei
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Alkoholikern neben dem Äther etwas Chloroform anwenden muß: Auch
tritt nicht immer die gewünschte Erschlaffung der Bauchdecken ein, so
daß es sich empfiehlt!, bei Fällen, w'o auf diese Wert gelegt wird, vor
der Operation Skopolamin mit Morphium zu injizieren. Die Nachwehen
der offenen Äthernarkose scheinen nicht wesentlich geringer zu sein als bei
andern Inhalationsnarkosen.
JBarton ist ,,Anästhesist“ an drei Spitälern, man darf ihm also Er¬
fahrung Zutrauen. Tröstlich ist jedenfalls für den, dem kein Roth-Dräger-
scher Apparat zur Verfügung steht, daß mau in den reichen englischen
Spitälern, die auf gute Narkosen so viel Wert legen, auch ohne dieses teure
Instrument auskommt. Fr. von den Velden.
W. Arbuthnot Lane (London), Der Gebrauch von Platten und Schrauben
bei der operativen Behandlung der Frakturen. (Practitioner, Bd. 85, Nr. 5.)
Die Methode liefert schöne Resultate, ist aber nur bei sehr peinlicher
Antisepsis anwendbar, da sonst die Schrauben heraus eitern oder Knochen¬
nekrosen eintreten. L,ane verwendet schmale Platten mit bis zu 8 Löchern
und Schrauben, deren Gewinde bis zum Kopf reicht, außerdem Platten mit
drei Spitzen, die in jeder Spitze ein Schraubloch tragen. Die Platten
sind aus biegsamem Stahl und werden vom Operateur so gebogen, daß sie
sich dem Knochen ihrer ganzen Länge nach anlegen. Man legt sie vor¬
zugsweise an vom Muskel bedeckten Stellen an und läßt sie dann einheilen,
muß man sie direkt unter der Haut anlegen, so ist man gewöhnlich ge¬
nötigt, sie nach der Heilung wieder herauszunehmen. Die Haut wird über
der Wunde ohne Drainöffnung vernäht. —
Die Radiographie hat dem Praktiker die Fraktiirenbehandlung recht
erschwert. Früher war jedermann zufrieden mit einem guten funktionellen
Resultat, jetzt kommt der Radiograph, weist nach, daß die Fragmente
nicht ganz so stehen wie im Buch und die Zufriedenheit ist dahin. Die
Folge ist eine aggressive Fraktiirenbehandlung, die geradesogut ihre Ge¬
fahren hat wie Schiene und Gipsverband, denn wenn unter diesen mancher
Knochen mit Deformation heilte, so zieht die blutige Frakturbehandlung
nicht selten noch erheblichere Defekte nach sich, die aber dann gewöhn¬
lich nicht publiziert werden. Vorerst wird sie jedenfalls gut daran tun,
sich auf gut geleitete und eingerichtete Krankenhäuser zu beschränken.
Fr. von den Velden.
A. Codivilla (Bologna), Über Krampfanfälle nach orthopädischen Opera¬
tionen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Nach orthopädischen
Operationen kommt es bei vielen Individuen zu Auftreten von cpilepti-
formen Anfällen, denen ein Stadium voraufgeht, in dem sie über Unruhe,
Schwere und Schmerzhaftigkeit des Kopfes und Schlaflosigkeit klagen.
Die von Schanz aufgestellte Behauptung, daß dieser Zustand auf eine
Fettembolie des Gehirns zurückzuführen sei, kann Codivilla nicht aner¬
kennen. Vielmehr führt er ihn auf eine Überspannung der die Extremitäten-
wurzel umgebenden Weichteile zurück, durch die das Zentralnervensystem
wahrscheinlich reflektorisch in jenen geschilderten Zustand versetzt wird.
Es zeigt sich auch, daß hauptsächlich nervös belastete und epileptische
Kranke davon befallen werden. Therapeutisch kann man es zunächst mit
nervenberuhigenden Medikamenten versuchen; hat man damit keinen Erfolg,
so muß die Spannung der Weichteile beseitigt werden. Bei Epileptikern
kann man vielleicht durch Darreichung von Brompräparaten vor der Opera¬
tion den Reizzustand hintanhalten. F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Ernst Engelhorn (Erlangen), Über Behandlungserfolge bei gynäko¬
logisch-nervösen Störungen. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2136, 1910.)
Die Wichtigkeit der Behandlung der gynäkologisch-nervösen Störungen wird
durch die große Zahl derartiger Fälle bewiesen, welche in der modernen
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Referate und Besprechungen.
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gynäkologischen Klinik konservativen Behandlungsmethoden unterworfen wer¬
den. Diese Kranken bieten meist das gleiche Bild: Schmerzen im Unter¬
leib und im Kreuz, Ausfluß, Mattigkeit, Kopfweh, Schlaflosigkeit, Darm¬
und Blasenstörungen. Die Prüfung der Schleimhaut- und Sehnenreflexe ist
für diese Fälle wichtig, da bei Veränderung der Reflexe die Prognose weniger
günstig ist. Die Behandlung bestand an der Erlanger Klinik in Duschen,
Wärmebestrahlung des Abdomens, heißen Sitzbädern, Scheidenspülungen,
roborierender Diät, Vibrationsmassage. Unter diesem Regime wurde die
Hälfte der Fälle geheilt, und zwar von 35 Frauen mit normalen Reflexen
23, von 32 Frauen mit veränderten Reflexen nur 4. Frankenstein (Köln).
Anton Sitzenfrey (Gießen), Über Saugbehandlung der puerperalen Endo¬
metritis. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 32, S. 261.) Die fehl -
geschlagenen Versuche Fromme's der Virulenzbestimmung der Strepto¬
kokken, welche die puerperalen Prozesse hervorrufcn, legen den Gedanken
nahe, daß die virulenten und avirulenten Streptokokken einer einzigen Art-
einheit angehören. Vielleicht ist ihr verschiedenes Verhalten im Körper auf
die Schutzkräfte des einzelnen Individuums zurückzuführen. Der Gedanke
lag nahe, durch eine konsequente Vermehrung der Abwehrkräfte die Pro¬
gnose der Puerperalprozesse zu bessern. S. hat nun eine Wasserstrahl-
saugpumpe mit konstantem Druck verwandt, um das Sekret bei der puer¬
peralen Endometritis anzusaugen. Von 7 Fällen erzielte er fünfmal einen
therapeutischen Erfolg, wie ja zu erwarten war, da einmal das infektiöse
Sekret entfernt und zweitens eine Hyperämie und Anlockung der Leuko¬
zyten zum Endometrium wahrscheinlich erzielt wurde. Durch die fort¬
laufende bakteriologische Untersuchung der Saugsekrete können wir wohl
auch in prognostischer Beziehung durch die Saugbehandlung manches leisten.
Framkenstein (Kölü).
H. Chöron und H. Rubens-Duval, Le Traitement des Cancers inope¬
rables du Col de l'Utlrus et du Vagin par rUtilisation massive du Rayonne-
ment ultra-p£netrant du Radium. (L’Obstetrique, Sept. 1910.) Nach den
Schilderungen der Verff. übertrifft die Behandlung der inoperablen Kollum-
karzinome mittels Radi umstrahlen alle anderen Methoden ganz bedeutend.
Aber die Strahlen müssen in sog. „massiven“ Dosen angewendet werden
und hierin liegt des hohen Preises der Präparate wegen eine enorme Schwierig¬
keit. Es sind Tuben mit 20 cg Radiumbromür, eventuell mehrere mit ins¬
gesamt bis zu 30 cg notwendig! Dadurch, daß die Tubenwand aus feinem
Silber besteht, werden die von dem Radium ausgehenden Strahlen filtriert,
so daß nur die sog. „ultra-penetrierenden 1 ' (Dominici) hindurchgehen.
Trotzdem entsteht aber eine Art induzierter Strahlung, die zu Radium¬
verbrennungen führen würde, wenn nicht die Tuben mit einer 15—30fachen
Lage Gaze umhüllt würden. Die Bestrahlung dauert 24 Stunden, während
ihr liegen die Palienten zu Bett. Es treten dann höchstens ganz leichte peri-
tonitische Reizsyinptome (Schmerzen, Erbrechen) ein. Nach drei Wochen
kann die Bestrahlung wiederholt werden. Nun zu den Resultaten: Selbst
in den Fällen, wo das ganze kleine Becken bereits mit Karzinommassen erfüllt
war, trat eine vorübergehende Besserung und eine teilweise Rückbildung
und Vernarbung der Massen ein; lange hielt aber die Wirkung nicht vor,
in solchen Fällen ist eben nichts mehr zu machen. Dagegen trat in den
inoperablen Fällen mittleren Grades, in denen die Neubildung auf Parametrium
oder Scheide übergegangen war und die deshalb für das Messer (zunächst)
nicht mehr geeignet waren, eine sozusagen vollständige Rückbildung und
Vernarbung ein. Es wurden einige völlige Heilungen bis zu 1 Jahr be¬
obachtet, in 3 Fällen (die aus anderen Ursachen zur Autopsie kamen) war
alles Karzinom bis auf einen kleinen Herd im Uteruskörper verschwunden,
bzw. durch Bindegewebe ersetzt; diese 3 Fälle wären durch die nunmehrige
Exstirpation des Uterus zu heilen gewesen. Gerade aus diesen Beobachtungen
riehen die Verff. den Schluß, daß der Schwerpunkt, der Behandlung des
inoperablen Uteruskarzinoms mit. massiven Dosen Radium darin liege, zu-
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46 Referate und Besprechungen.
nächst inoperable Fälle operabel zu machen. Wie aus histologischen
Untersuchungen hervorgeht, zerfallen die Karzinom zellen, werden aufgelöst
und resorbiert und schließlich durch Bindegewebe ersetzt, also eine ideale
Art der Heilung. Man sollte eigentlich auch in den operablen Fällen der,
Operation eine Radiumbestrahlung vorausgehen lassen, um so gewissermaßen
ä froid zu operieren: durch die Bestrahlung würden die disseminierten Aus¬
läufer zugrunde gegangen sein und ^konnten nicht mehr durch die Mani¬
pulationen bei der Operation womöglich noch in die Umgebung hineinmassiert
werden. Der Zeitverlust von 3 Wochen spiele keine Rolle.
R. Klien (Leipzig).
A. Theilhaber (München), Der Zusammenhang von Myomen mit internen
Erkrankungen. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 32, S. 455.) Th.
untersucht auf Grund seines Materiales hauptsächlich den Zusammenhang
zwischen Myom und Herzkrankheiten. Für das Zustandekommen der Herz-
erkrankungen bei Myomen kommen in Betracht: der Druck der Myome auf
den Plexus sympathicus, das Wachstum der Geschwülste an und für sich
und besonders die mechanische Beeinträchtigung der Brustorgane bei Kolossal-
Üumoren. Ferner die Kompression der Unterleibsorgane, die schon bei klei¬
neren Tumoren in Frage kommt, dann Mono- und Metrorrhagien. Tn der
Mehrzahl ist wohl die Ursache in arteriosklerotischen Prozessen zu suchen,
die vielleicht auch neben der Disposition (Erblichkeit, familiäres Auftreten)
bei der Myombildung ätiologisch eine Rolle spielt. In wenigen Fällen
ist wohl auch die Lues als ätiologisches Moment anzusprechen.
Frankenstein (Köln).
E. E. Franco, Über eine vorgetäuschte Superfoetatio. (Archiv für Gyn.,
Bd. 91, H. 3, 1910.) Äußerst instruktiver Fall, der die ganze Frage der
Superfoetatio praktisch ins Reich der Fabel verweisen dürfte. Bei einer
34jährigen Frau, die bereits 12 Schwangerschaften, aber nur zwei bis zum
Ende, durchgemacht hatte, wurde wegen Eklampsie im 6. Schwangerschafts-
inonat die künstliche ^Frühgeburt eingeleitct. mit dem Resultat, daß ein
bmonatiger Fötus geboren wurde, der nur einige Stunden lebte. 3 Tage danach
wurde nun spontan ein in seinen Hüllen befindlicher Embryo von 8 mm
Länge ausgestoßen. Er war gut •erhalten, nur fiel schon makroskopisch
auf, daß die Bauchseite nicht konkav eingezogen, sondern etwas konvex
war. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab sich, daß dieser Embryo
bereits lange Zeit abgestorben sein mußte: Organe waren fast gar
nicht zu erkennen. Demnach ist in diesem 'Fall eine Überschwängerung
ausgeschlossen, beide Friichtq entstammen höchst wahrscheinlich einer Zwillings¬
schwangerschaft, oder cs besteht nur ein sehr kurzer Zeitraum zwischen der
Befruchtung der beiden Eier. — Und so wird es in den meisten Fällen von
,,Superfoetation“ gewesen sein. R. Klien (Leipzig).
Pankow (Freiburg i. B.). Zur Frage der kongenitalen Übertragung der
Tuberkulose. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 32, S. 579.) Die
Frage nach der kongenitalen Übertragung der Tuberkulose ist ebenso theo¬
retisch interessant wie praktisch wichtig. Klinisch haben wir schon eine
ganze Zeit die Möglichkeit einer kongenitalen Tuberkulosenübertragung an¬
erkennen müssen; der bakteriologische Nachweis von Tuberkelbazillen in der
Plazenta und den fötalen Organen gelang erst Schmorl und seiner Schule. Wie
schwierig dieser Nachweis ist, geht aus der Tatsache hervor, daß Sitzen-
frey die Bazillen in der Plazenta oft erst nach monate- bis jahrelanger
Arbeit n ach weisen konnte.
Auffallend ist nun, daß der Nachweis von Tuberkelbazillen in den
fötalen Organen nicht leichter durch das Tierexperiment zu erbringen ist.
Bossi erhielt bei 10 derartigen Untersuchungen lauter negative Resultate.
Pankow bei 20 Fällen ebenfalls; hier handelte es sich aber stets um Tuber¬
kulosefälle. bei denen die Gravidität künstlich unterbrochen war. Die An¬
nahme liegt nahe, daß durch die künstliche Entfernung der Frucht bei dem
Geburtsakte selbst kaum ein Übergang der Tuberkelbazillen auf die Frucht
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Referate und Besprechungen.
47
stattfinden konnte und ferner, daß der Übergang der Bazillen auf die
Frucht erst in späteren Schwangerschaftsmonaten stattfinde.
Frankenstein (Köln).
Kurt Frankenstein (Köln-Kalk), Kritische Bemerkungen zur Frage
der subkutanen Infusionen bei Eklampsie. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 45, 1910.) Da es feststeht, daß bei Nierenkranken durch Zufuhr von
Kochsalz eine Schädigung der Nieren herbeigeführt wird, so möchte F. die
Infusion von physiologischer Kochsalzlösung bei Eklampsie ausgeschaltet
wissen. Der Vorschlag, sie durch intestinale Flüssigkeitszufuhr zu ersetzen,
läßt die Notwendigkeit einer möglichst raschen Entgiftung des Körpers
außer acht. F. rät daher zu intravenösen Injektionen von hypertonischer
.Kochsalzlösung, oder noch besser, 4%iger Zuckerlösung. Droht ein Herz¬
kollaps oder ist er bereits eingetreten, so hat jede Infusion, weil zu ge¬
fährlich, zu unterbleiben. F. Walther.
Medikamentöse Therapie.
Hecker (Düsseldorf), Zur Bewertung der Wirksamkeit von Ehrlich-
Hata 606. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Hecker teilt zwei
Fälle mit, in denen er das Präparat 606 in einer Dosis von 0,6 nach
Wechsel mann angerührt intraglutäal injizierte, und bei denen es nach
einigen Wochen trotzdem zur Bildung von Ulzerationen an der Glans be¬
ziehungsweise zum Bestehenbleiben von Plaques auf den Tonsillen gekommen
war. Die Untersuchung des Blutserums ergab bei beiden Kranken Vor¬
handensein von massenhaften Spirochäten. Auf Grund dieser Erfahrungen
möchte er vor einem zu großen Optimismus in der Bewertung der Sterili-
satio magna warnen. F. Walther.
G. Wesenberg (Elberfeld), Die Resorption des Jothions, besonders bei
rektaler Applikation. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Durch
Tierversuche und Versuche an Menschen konnte Wesen borg feststellen, daß
das Jothion in Form von Suppositorien (0,15 und 0,25 auf 2,0 Kakaobutter)
gut vertragen wird. Die Resorption vom Rektum aus erfolgt überaus rasch
und vollständig; es erschienen 57—83% des eingeführten Jods im Urin.
Auch bei Einreibung in die Haut wird es ausgezeichnet resorbiert, wobei
die Verwendung von Eucerin an ßtelle von Vaselin-Lanolin keinen wesent¬
lichen Unterschied zeigte. Es kann dabei nicht nur im Urin des Patienten,
sondern auch in dem des ,Masseur8 nachgewicscn werden. Ein kleiner Teil
geht auch in die Milch über. Vergleichsversuche mit Jodvasogen und Jod-
vasoliment, sowie Jod-Neol und Jodäthyl-Vasoliment ergaben, daß diese Prä¬
parate von der Haut fast gar nicht resorbiert werden. F. Walther.
A. Cavazzani (Pisa), Über ein neues Bandwurmmittel. (Rivista Critica
di Clinica Medica. Firenze, Nr. 38, 1910.) Cavazzani hat mit Filmaron
als Anthelminthikum im Zeitraum von 3 Jahren 17 Kuren ausgeführt.
Darunter befinden sich 16 Bandwurmfälle (13 Taenia solium, 3 Taenia
mediocanellata) und 1 Fall von Ankylostomum duodenale. Er erzielte in
den 16 Bandwurmfällen 15 vollkommene Erfolge. In einem Fall, der einen
Tuberkulosekranken betrifft, war wegen außerhalb der Kur liegender Um¬
stände ein sicherer Erfolg nicht nachweisbar. Bei Ankylostomum duodenale
erzielte der Verfasser durch drei in Zwischenräumen von je 10 Tagen wieder¬
holte Fi 1 inraronkuren eine sichere Heilung, indem er vollständiges Verschwin¬
den der Parasiten und der Eier feststellen konnte. Cavazzani ist der
Ansicht, daß das Filmaron allen übrigen Anthelminthizis überlegen ist,
weil es die größte Wirksamkeit, mit der besten Bekömmlichkeit vereinigt,
außerdem sehr leicht einzunehmen und nicht teuer ist. Cavazzani
weist darauf hin, daß das Filmaron die Ausführung von Bandwurmkuren
auch bei sehr schwachen und körperlich heruntergekommenen Personen,
speziell auch bei Tuberkulosekranken, ermöglicht. Neumann.
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Biieherscli.au.
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Bticherschau.
Hans Lungwitz, Führer der Menschheit? Ein sozialer Roman aus der Gegenwart.
Adler-Verlag, G. m. b. H., Berlin W. 50. Brosch. 4 Mk., geh. 5 Mk.
Wie wir dazu kommen, einen Roman zu besprechen? Weil es sich nicht um
einen Roman schlechthin handelt, in dem in mehr oder weniger spannender Form
ein Menschenschicksal beschrieben wird, sondern um das Vermächtnis eines Arztes,
dem die Gedanken und Erfahrungen ernst und bitter auf der Seele liegen. Mit
diesen etwas abgekürzten Worten begründet Lungwitz selbst in Heft 12 der von
ihm herausgegebenen „Modernen Medizin“ die Besprechung eines Buches von
Georg Bonne „Im Kampf um die Ideale. Die Geschichte eines Suchenden“,
und wir wüßten als Einleitung seines Buches nichts Besseres zu sagen, als eben
diese seine eigenen Worte. Auch für Lungwitz ist der Roman nur die äußere
Form, in die er an der Hand des Schicksals seines Helden sein Glaubensbekenntnis
hineinlegt und in der er den Kampf um seine Ideale bezüglich der Hebung der
sozialen Lage des ärztlichen Standes fortsetzt, den er auch sonst an anderer Stelle
mit der ihm eigenen Hingebung, Begeisterung und Beredsamkeit führt. Ein junger
Arzt nimmt Abschied von seiner bisherigen Stellung als klinischer Assistent an
einem Säuglingsheim, weil er an diesem und seinem Leiter so manches auszusetzen
findet, begibt sich aufs Land, um sich hier eine Existenz zu gründen und die Er¬
fahrung zu machen, wie himmelweit Theorie und Praxis voneinander verschieden
sind. Natürlich tragen hierzu auch die lieben Kollegen, der Kreisarzt und die
Ehrengerichte bei, die Hauptschuld aber an dem ganzen Elend unseres Standes,
das uns hier in der Person des Dr. Prüfer vorgeführt wird, trägt unsere mangel¬
hafte ärztlich-soziale Erziehung und Ausbildung, die uns unfähig macht, .die ver¬
lorene Krone aus der Tiefe zu holen — die Krone, die den Führern der Mensch¬
heit gebührt“, und uns den „Willen zum Untergang“ einimpft. Wir rechnen eben
zu viel mit Idealen und zu wenig Realitäten. Im übrigen glauben wir nicht fehl¬
zugehen, wenn wir annehmen, daß Lungwitz bei seinen Schilderungen zum Teil
aus eigener Erfahrung schöpft.
Lungwitz ist, wie gesagt, einer der rührigsten Vorkämpfer für seinen Stand,
und ein heiliger Eifer beseelt ihn. Dazu kommt eine hervorragende schriftstellerische
Begabung, wie sie sich auch in seinen vielfachen anderweitigen Veröffentlichungen
und Bestrebungen kundgibt. Wir unterschreiben nicht jedes Wort seines „Romans“,
aber eben das erhöht seinen Reiz. „Wen Liehe nie zu weit getrieben, den trieb
sie auch nie weit genug.“ Möge das Buch recht, recht viele Leser finden, und
möge jeder, der es liest, sich in seinen Gedankengang vertiefen, in erster Linie
natürlich der Arzt, dann aber auch das große Publikum, dem es einen Spiegel Vor¬
halt. Besonders interessant wird es manchem Landarzt sein. Peltzer.
Ludwig Knapp (Prag), Non occides. Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge.
Neue Folge Nr. 584. Gynäkologie Nr. 208. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr.
Barth. 75 Pfg.
Die modernen Fortschritte der Geburtshilfe haben nach Möglichkeit die
gegen das kindliche Lehen gerichteten Eingriffe, wie künstliche Fehlgeburt und
zerstückelnde Operationen, eingeschränkt. Es ist interessant, den Gedankengängen
Knapp’s zu folgen, welcher diese Fragen vom religiösen, juristischen und medi¬
zinischen Standpunkte an der Hand einer umfassenden Literatur bespricht. Die
Tendenz der ganzen Schrift ist, zu zeigen, daß die Differenzen zwischen den Theo¬
logen und den Medizinern bezüglich der Opferung des kindlichen Lehens durch
Vervollkommnung der geburtshilflichen Technik immer geringer geworden sind.
Auch der moderne Geburtshelfer sucht nach Möglichkeit die Perforation des
lebenden Kindes zu umgehen. Lesenswert sind die Aphorismen über die Taufe
der Ungeborenen und die Taufmißbräuche der Geborenen. Frankenstein (Köln).
Jahreskurse für ärztliche Fortbildung. Heft 9 u. 10, 1910.
"_ J^Heft 9 enthält 2 für den Praktiker sehr wichtige Darstellungen der Ortho¬
pädie und der Krankheiten der Bewegungsorgane von Prof. Dr. Lange (München)
und Prof. Dr. Ludloff (Breslau). Im 1. Teil wird dem praktischen Arzte sehr
anschaulich und klar gezeigt, wie er die Spondilitis und die spinale Kindeslähmung
orthopädisch behandeln kann. Im 2. Teil werden die Symptomatologie und die
Untersuchungsmethoden bei Hüftaffektionen besprochen.
Auch das 10. Heft bringt 2 dem praktischen Arzt sehr zu empfehlende
Artikel. Von Prof. Dr. v. Jakscli „Die Fortschritte unserer Kenntnisse der Infek¬
tionskrankheiten im Jahre 1909“ und von Prof. Dr. Frankel .Die Lehre von der
Überempfindlichkeit (Anaphylaxie) und des Typhus abdominalis und verwandte
Krankheiten“. v. Schnizer (Höx ter).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tomc&ritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her&usgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. v. £rUgcin
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
Nr. 3.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
19. Januar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
Von Dr. Gerhard Hahn, Breslau.
An erster Stelle muß hier die Therapie der häufigsten Komplikation
der Gonorrhöe besprochen werden, der Epididymitis und der ihr oft vor¬
ausgehenden Funiculitis. Schmerzen in der Samenstranggegend gehen
nicht selten schon einige Tage der Epididy mitis voran und sind für uns
das erste Signal, die lokale Therapie, mindestens aber die der Posterior
auszusetzen. Wir verordnen möglichste Ruhe und feuchte, kühlende
Umschläge, sehen aber leider meist die drohende Erkrankung ihren
Gang gehen. Mitunter mag es vielleicht noch gelingen, durch sofortige
Ruhe, Umschläge und Hochlagerung zirkumskripte Entzündungsherde
zur schnellen Resorption zu bringen, in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle aber sehen wir uns der äußerst schmerzhaften Entzündung des
Nebenhodens gegenüber, der eine enorme Geschwulst auf weist. W enn
nur irgend möglich, verordnen wir unbedingte Ruhe, ein Gebot, das
die meisten Patienten gern der starken Schmerzen wegen befolgen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Ruhe wohltuend auf den
Prozeß ein wirkt. Sodann spielt die Lagerung des erkrankten Organs eine
wichtige Rolle. Wir bedienen uns hierbei meist eines gut mit Polster¬
watte umwickelten Brettchens, auf das der Hodensack gelagert wird.
Im Notfälle ersetzt auch ein straffes, um die Oberschenkel gewickeltes
Tuch obige Vorrichtung (Jadassohn). Nunmehr behandeln wir durch
Applikation von feuchten Verbänden, Umschlägen, sowie durch Hitze
und Kälte. Für die fortwährend zu wechselnden Umschläge bedienen
wir uns der essigsauren Tonerde (in Verdünnungen: 1 Eßlöffel auf
l Glas Wasser), des Bleiwassers, der 2°/ 0 igen Borsäurelösung, die wir
auch zu feuchten Verbänden verwenden. Dieselben legt man am besten
über der mit Zinksalbe eingefetteten Skrotalhaut — zur Vermeidung
der Mazeration — in der Weise an, daß eine gründlich durch tränkte
Gazekompresse den erkrankten Nebenhoden völlig umgreift und gleich¬
zeitig bis über den fast stets stark entzündeten Samenstrang reicht.
Das Ganze wird durch Billrothbattist bedeckt, darüber Schafwolle oder
Watte und ein gut sitzendes Suspensorium gelegt. Diese Methode wenden
wir bei ambulanter Therapie an, sowie in allen jenen Zeiten, in denen
wir mit der rein thermischen Behandlung pausieren wollen, z. B. in der
Nacht. Diese rein thermische Behandlung bietet zwei große Gegensätze
dar: hier Kälte, hier Hitze. Daß die Applikation z. B. des Eisbeutels,
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Gerhard Hahn
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der aber nicht drücken, am besten nur an einem Rabenschnabel hängen
darf, nicht selten vortreffliche Dienste leistet, kann nicht bestritten
werden. Ich persönlich möchte mich aber eher jenen Autoren anschließen,
die eine Behandlung mit Hitze vorziehen und ihr eine gleichmäßigere
Beeinflussung der Schmerzen, sowie eine intensivere Einwirkung auf
etwaige Infiltratbildung vindizieren. Die Hitze applizieren wir auch
heute noch in Form der alten Breiumschläge (Leinsamenmehl oder
neuerdings Panzerschlammerde), verwenden der Bequemlichkeit halber
den Thermophor, können aber die Anwendung japanischer Wärmdosen
nicht sehr praktisch finden, weil unseres Erachtens damit ein richtiges
Umgreifen des erkrankten Organs gar nicht möglich ist und ein Teil
der Hitzeeinwirkung damit illusorisch wird. Innerlich geben wir bei sehr
starken Schmerzen kleine Morphiumdosen, gewöhnlich genügen aber
Morphium- oder Belladonnazäpfchen in der schon mehrfach erwähnten
Zusammensetzung. Ferner ist hier eine Gelegenheit, die internen Anti-
gonorrhoika anzuwenden; wir verwenden besonders gegen ausstrahlende
Schmerzen Salizylpräparate, ferner Gonosan oder ein anderes der balsa¬
mischen Oie. Uber die Lokalbehandlung der Gonorrhöe während einer
Epididymitis sind die Ansichten sehr erfahrener Dermatologen sehr ver¬
schieden. Wie immer wird man auch hier keine schematisch anzu¬
wendende Behandlung gutheißen können. Man muß in jedem Falle seine
Entscheidung treffen, die besonders abhängig von den subjektiven Be¬
schwerden des Kranken sein wird. Da diese in den meisten Fällen im
Vordergründe stehen und mit häufig bestehendem Fieber den Patienten
recht mitnehmen, pflegen viele Autoren, deren Ansicht auch ich teile,
während der Zeit der stürmischesten Erscheinungen die Behandlung
der Posterior in jedem Falle, die der Anterior in den meisten Fällen
auszusetzen. Die Bettruhe und die reizlose Diät pflegen ja auch das
ihrige zu tun, und wir sehen häufig auch ohne Therapie den Aus¬
fluß sistieren und den Urin sich aufhellen, was vielleicht mit einer
durch Fieber usw. begünstigten, verstärkten Schutzstoffbildung Zusam¬
menhängen könnte. Nach Ablauf der akutesten Erscheinungen lassen wir
dann die Anteriorinjektionen aufnehmen, die wir mit einem milden Anti¬
septikum, vielleicht Ichthargan 0,1/250—200,0, nie mit Adstringentien
machen lassen. Die Posterior behandeln wir erst-, wenn die eigentliche
Entzündung abgeklungen ist. In diesem Stadium, in dem der Patient
wieder seiner Beschäftigung nachgehen kann, lassen wir ein gut sitzendes
Suspensorium tragen, das einen wie oben angelegten feuchten Verband
gut umschließt. Die Skrotalhaut wird mit einer Jod- oder Ichthyolsalbe
oder -Vasogen bestrichen, von dem man sich eine absorbierende Wirkung
der Infiltrate verspricht:
Jod vasogen (ö°/ 0 ) Jothion 4,0
10°/ o Ichtyolzinkpaste oder Ol. oliv. 6,0
10°/ 0 Jothionsalbe (Blaschko.)
Zeitweise werden auch jetzt noch heiße Umschläge appliziert,
auch leichte Massage der meist deutlich fühlbaren Knoten wird emp¬
fohlen, wobei aber natürlich die größte Vorsicht zu beobachten ist.
Jadassohn hält die Massage für die beste Methode, um die irreparablen
Veränderungen, die für die Funktion des Organs so verhängnisvoll
sind, zu verhindern oder wenigstens zu reduzieren. Eine ältere Behand¬
lungsmethode der Epididymitis, die heute wohl nur wenig geübt wird,
ist der Fricke'sche Heftpflasterverband. Derselbe besteht in der An- '
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Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
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iegung eines zirkulären Streifens Leukoplast, der dicht über dem Hoden
um den Funikulus gelegt wird und weder zu straff noch zu lose sitzen
darf. Nunmehr wird das erkrankte Organ mit Streifen eingewickelt,
die zu jener ersten Zirkulärtour senkrecht verlaufen und ihrerseits
durch einige andere zirkuläre Streifen festgehalten werden sollen.
Zweck des Verbandes, der am besten über der rasierten Skrotalhaut ange¬
legt wird, ist es, einen mäßigen Druck auf das Organ auszuüben und
wohl auch durch Erhöhung der Hyperämie die Heilung zu beschleunigen.
Letzteren Zweck sucht man auch durch Anlegung eines Gummischlauchs
um den Samenstrang unmittelbar über dem Hoden zu erreichen.
(Bier’sche Stauung.) Eine Klemmpinzette hält dann den Schlauch fest
und gestattet, den auszuübenden Druck zu regulieren. Beide Verfahren
erfordern einmal große Übung im Anlegen, — bei zu starker Kompression
liegt die Gefahr der Gangrän nahe —, ferner eine häufige sachgemäße
Beobachtung und eignen sich deshalb mehr für Krankenhäuser, als
für die Privatpraxis. Auch die neueste Epididymitistherapie dürfte
sich in ihrer jetzigen Methode nur sehr vereinzelt in der Praxis ein¬
bürgern : die Punktionsmethode. (Bärmann, Schindler u. a.) Hierbei
fixiert man den erkrankten Nebenhoden und sticht mit einer sterilisierten
Pravazkanülc in die Stelle der größten Schwellung mehrmals ein. Mit¬
unter gelingt es, Eiter zu aspirieren, oft aber erhält man nichts. Die
Wunde wird mit einem Pflaster geschlossen. Der kleine, selbstver¬
ständlich unter strengster Wahrung der Asepsis vorzunehmende Eingriff
ist nicht schmerzlos, aber in zahlreichen Fällen von entschieden guter
Wirkung auf Fieber und Beschwerden des Kranken; vielleicht, daß es
sich um eine Art Entspannung handelt. Noch weiter gehen die Methoden,
die eine direkte Inzision der Tunika empfehlen. Bei Vereiterung freilich
ist eine solch’ eingreifende Therapie nicht zu entbehren.
Im Anschluß an die Epididymitis sei eine Affektion besprochen,
die sich, wie neuere Untersucher (A. Lewin u. a.) angeben, nicht selten
bei Prostatitis vorfindet und zur Entstehung einer Epididymitis bei¬
tragen kann, nämlich die Entzündung der Samenblasen, die Sperma-
locystitis. Die Behandlung wird der Prostatitis ziemlich konform sein.
Es bleibt uns nun noch die Therapie der Cystitis zu besprechen,
bei der Hinweise auf die Therapie der Posterior, die in den meisten
Einzelheiten anolog sind, genügen mögen. Auch hier bei den akuten
Erscheinungen Ruhe, Umschläge, Zäpfchen und die Ilarnantiseptika,
später Spülungen, wobei besonders das Argentum empfohlen wird, oder
auch Guyon’sche Instillationen von 5—100 g 1 / 4t —2°/ 0 Arg. nitric.-
Lösung (Jadassohn). Die Spülungen führt man entweder ohne oder mit
einem Nelatonkatheter aus; anfangs benutzt man dazu 2%ige Borsäure,
später Hg. oxyc., Kal. permangan oder Argentum und spült, bis klare
Lösung abfließt. Gewarnt wird vor stark kohlesäurehaltigen Wässern
und vor alkalischen Brunnen, wegen der Neigung des Urins zur Alkales-
zenz. Bei aszendierender Gonorrhöe möge ein Hinweis auf die an anderer
Stelle besprochene Therapie der Pyelonephritis und Nephritis genügen.
Die Komplikationen, deren Behandlung nunmehr noch in den Be¬
reich unserer Betrachtung gezogen werden soll, gehören insofern zu¬
sammen, als ihr Sitz entweder die Harnröhre selbst oder aber der eigent¬
liche Penis ist. Da wäre zunächst zu erwähnen die Balanitis, die nicht
selten durch Zersetzung des Sekrets zwischen Vorhaut und Eichel zu-
standekommt, zu oberflächlichen Geschwüren und, was noch unange¬
nehmer ist, zur Phimose führen kann. Darum soll man bei starker Sekre-
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Gerhard Hahn,
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tion vor das Orifizium einen Wattebausch legen, der von der Vorhaut
gehalten wird und das Sekret aufsaugt. Ist es zu Reizerscheinungen
gekommen, dann verordne man austrocknende Pulver:
Bismut. subgallic (Dermatol) 5,0
oder
Xeroform 5,0
oder
auch nur Zinc. oxyd. Tale, ää 2,5.
In den Vorhautsack kommt dann zweckmäßig ein Streifen Gaze,
um die Reibung zu vermeiden. Bei Erosionen pinselt man mit gutem
Erfolg mit 1 / 10 — 1 / 5 0 / 0 igen Arg. nitric.-Lösungen und pudert dann.
Nicht selten veranlaßt eine Balanitis auch das Zustandekommen von
sogenannten spitzen Kondylomen, die man bei sehr ausgedehnten Vor¬
handensein am besten wegen der oft starken Blutung mit dem Paquelin
ab trägt und die Wundflächen gut verschorft. Einpuderungen oder
feuchte Verbände führen dann zu glatter Heilung, die anhaltender ist
wie bei der auch oft geübten Elektrolyse. Bei kleineren Kondylomen
kann man mit Streupulvern Vorgehen, unter denen besonders zu emp¬
fehlen ist:
Iiesorcin 1,0
Vaselin flav. ad 20,0 — 10,0.
Auch Vereisen mit Chloräthyl und Pinseln mit 10°/ 0 igem Salizyl-
essig ist ein recht bewährtes Mittel, nur sehr schmerzhaft. Die wunden
Flächen schützt man mit einem Gazestreifen und Lanolin. Die unange¬
nehmste Komplikation der Balanitis ist die Phimose, die auch durch
Stauung in den Lymphgefäßen am Beginn der Gonorrhöe ohne Balanitis
entstehen und zu einer sehr störenden Abweichung vom normalen Tripper¬
verlauf sich gestalten kann. Die exspektative wie operative Therapie
derselben haben wir schon beim Ulcus molle besprochen.
Jene soeben erwähnte Lymphangitis geht ebenso wie die Lym¬
phadenitis inguinalis gonorrhoica gewöhnlich in kurzer Zeit auf feuchte
Umschläge mit essigsaurer Tonerde, Bleiwasser zurück. Bei hartnäcki¬
gerem Bestehen, besonders bei Bildung zirkumskripter Knoten, ist Ein¬
reibung mit grauer Salbe, Unguentum Crede oder Applikation von Hg-
paraplast zu empfehlen, bei Fluktuation der Knoten wird man inzi-
dieren müssen. Eine ähnliche Therapie erfordern die periurethralen
Infiltrate, die man nicht selten als erbsengroße Knötchen an der Unter¬
seite der Harnröhre fühlen kann und die meist von entzündeten Drüsen
der Urethra ihren Ausgang nehmen. Sie bilden mitunter Pseudoabszesse,
die inzidiert oder, wenn sie die Quelle häufiger Rezidive sind, auch
exstirpiert werden müssen.
Auch bei Entzündung der Cowper’schen Drüsen sind die bei Lymph¬
adenitis usw. erwähnten therapeutischen Maßnahmen am Platze, nur
daß hier noch Bettruhe schon wegen der im Vordergründe stehenden
Schmerzen des Kranken meist notwendig sein wird. Weit komplizierter
sowohl was Therapie, als auch Prognose an betrifft, sind die sogenannten
paraurethralen Gänge, die in normalem Zustande meist unbeachtete Ent¬
wicklungsfehler sind, bei Gelegenheit einer Gonorrhöe aber als schwer
erreichbare Schlupfwinkel der Gonokokken oft genug die Ursache fort¬
währender Rezidive des Trippers werden können. Die radikalste Thera¬
pie, die hier wenn möglich immer angewendet werden sollte, besteht
in Spaltung eines Ganges und nachfolgender Verätzung oder in Ex-
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Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
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zision. Leider aber gestattet der ungünstige Sitz vieler solcher para¬
urethralen Gänge ein solches Vorgehen nicht; dann versuchen wir durch
einen glühenden Draht, an dem man ein Argentumkristall angeschmolzen
hat, die Verödung herbeizuführen (Jadassohn) oder injizieren mit feiner
Kanüle mehrfach starke Argentumlösung. Ein anderes Verfahren besteht
in der Anwendung der Elektrolyse, wobei man mit einer feinen Nadel
mehrere Minuten lang den elektrischen Strom einwirken läßt; auch
Ausbrennen mit dem Mikrobrenner ist zu versuchen. Gehen diese para¬
urethralen Gänge in die Tiefe und münden in die Harnröhre, dann sind
die Erfolge unserer Therapie oft sehr gering, und wir sind dann oft ge¬
zwungen, durch monatelanges Spritzen starker Antiseptika in Kombi¬
nation mit Dehnungen die Gonokokken gleichsam durch „Aushungern“
zum Absterben zu bringen. Diese Fälle sind und bleiben aber recht
deprimierend und beweisen, wie notwendig schon beim Beginn der Gonor¬
rhöe eine genaue Besichtigung des Orifizium ist. Kann doch ein recht¬
zeitiges Bemerken diese gefährliche Komplikation mitunter in den
ersten Anfängen unterdrücken.
Die Behandlung der gonorrhoischen Metastasen.
An Häufigkeit steht hier im Vordergründe die Arthritis gonor¬
rhoica, bei der im allgemeinen dieselben Grundsätze der Behandlung
wie bei der rein rheumatischen Arthritis zu befolgen sind. Absolute
Ruhigstellung der befallenen Gelenke, Einwirkung von Wärme in Ge¬
stalt von heißen Sandsäcken, heißen Umschlägen (Brei- oder Thermo¬
phor), Heißluftapparaten, ferner Einpinselungen mit Jodtinktur oder
mit dem weniger reizenden Ichthyolvasogen sind die Hauptprinzipien
unserer Therapie. Hochlagerung der betroffenen Extremität sowie Ver¬
suche mit der Bier’schen Stauung sind sehr zu empfehlen. Letztere
erreicht man durch Anlegung einer Gummibinde, die nicht zu fest
sitzen darf — die Extremität muß warm bleiben — und viele Stunden
(10—20) täglich liegen bleiben muß, worauf dann stets eine mehr¬
stündige Pause eintritt. Die Methode kann nur bei genügender Beauf¬
sichtigung oder Intelligenz des Kranken durchgeführt werden. Massieren
und Gelenkübungen sind erst nach Abklingen der stärksten Erschei¬
nungen vorzunehmen, dann aber sehr angebracht und vorteilhaft. Eine
spezifische interne Therapie gibt es nicht, man versucht mit Aspirin
(dreimal täglich 1 g) oder Natr. salicyl. etwas zu erreichen oder gibt
Sol. Kalii jodati 10,0:200,0
3—4 Eßlöffel pro die,
steht aber nach dieser Sichtung hin ziemlich ohnmächtig da. Eine
wichtige Frage beim Tripperrheumatismus stellt auch die lokale Harn¬
röhrenbehandlung dar. Ein großer Teil der Beobachter tritt für Aus¬
setzen der urethralen Therapie ein, von dem Gedanken ausgehend, daß
die durch Injektionen verursachten Beizungen immer neue Gonokokken
in die Blutbahn bringen könnten. Mit Recht betont Jadassohn. daß
man sonst bei Metastasen den primären Herd z. B. durch Inzision
radikal bekämpft, sich also bei der Gonorrhöe auf einen gegensätz¬
lichen Standpunkt stellt. Demi auch die Lokalbehandlimg ist eine
radikale Behandlung des primären Herdes, wenngleich natürlich bei
der chirurgischen Therapie noch andere Gesichtspunkte mitsprechen.
Unser Standpunkt ist also der: bei starken Schmerzen und allgemeinem
Krankheitsgefühl sistieren wir die Lokaltherapie der Urethra, um sie
nach Abklingen der akuten Erscheinungen wieder aufzunehmen; bei
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54 Gerhard Hahn,
leichteren Fällen kann aber eine milde antiseptische Therapie von An¬
beginn beibehalten werden, ohne daß wohl jemals ein Schaden für den
Patienten resultiert. Die Bougierung und forcierte Therapie natürlich
sind in jener Zeit besser zu unterlassen. Die Behandlung der übrigen
Metastasen, wie Tendovaginitis, Myositis, Periostitis, Bursitis richtet sich
nach ähnlichen Grundsätzen, während die schweren, glücklicherweise
äußerst seltenen Komplikationen der Gonorrhöe, Pleuritis, Phlebitis
nach der bei jenen Erkrankungen üblichen Therapie behandelt werden,
desgleichen die Conjunctivitis gonorrhoica metastatica. Auch die Thera¬
pie der gonorrhoischen Endokarditis weicht kaum von der der akuten
Endekarditis ulcerosa ab. Endlich bieten auch die sehr seltenen, echten
gonorrhoischen Exantheme (nicht zu verwechseln mit etwaigen medi¬
kamentösen), Keratosen usw. bezüglich ihrer Behandlung nichts dar,
was nicht auch in der Therapie derselben Affektionen ohne Gonorrhöe¬
beteiligung enthalten wäre. Zum Schluß unserer Betrachtungen fügen
■wir dann noch eine Besprechung der wichtigsten postgonorrhoischen
Affektion und ihrer Therapie hinzu, der Strikturbehandlung.
Sehen wir von den chirurgischen Eingriffen ab, die an anderer
Stelle besprochen werden, dann handelt es sich nur um eine Darstellung
des allmählichen Dehnungsverfahrens. Wir beginnen dasselbe mit
dünnen Bougies je nach der Weite der Striktur, deren Vorhandensein wir
zunächst am besten mit einer Bougie ä boule fcstgestellt haben. Diese
dünnen Bougies sind vorteilhaft nicht aus Metall wegen der Viae falsae.
Passiert kein noch so dünnes Bougie, dann hilft mitunter Einträufeln
von feinem warmen öl oder Adrenalin-Lösung (Vio^OO). Oder wir
bedienen uns eines Kunstgriffs, wie ihn H. v. Zeißl angegeben hat.
Man schiebt mehrere ganz feine Bougies in gut eingeöltem Zustande
bis an die Striktur heran, worauf sehr häufig das eine oder andere
passiert. Dieses bleibt dann eine Weile liegen, dann wird mit der
nächsten Nummer versucht. Auch kann man solche Bougies ä demeure
liegen lassen. (24 Stunden.) Schneller kommt man oft mit dem Lefort-
schen Verfahren zum Ziele, wobei ein als Leitsonde dienendes feinstes
Bougie mit einem stärkeren Metallbougie durch ein Schraubengewinde
verbunden ist und dieses stärkere Bougie über die enge Passage befördert.
Das Verfahren erfordert Übung und tadellose Instrumente, damit kein
Loslösen der Leitsonde cintreten kann, wie das schon mehrfach be¬
schrieben wurde. Ist es nun gelungen, auf dem einen oder anderen Wege
die Striktur zu passieren, dann steigen wir allmählich mit den Sonden¬
nummern immer höher, indem wir jeden zweiten bis dritten Tag eine
Bougierung vornehmen. Bei stärkeren Blutungen muß natürlich pausiert
werden, eventuell lokal oder innerlich Styptika gegeben werden (Adre¬
nalin 1:10000, Liq. ferri sesqu. 20 Tropfen auf 200 Wasser u. a.), des¬
gleichen muß bei eintretendem Fieber (Wundreaktion) die Behandlung
aussetzen. Haben wir anfänglich elastische Bougies benutzt, so ver¬
wenden wir später Schrotsonden, die durch ihre Schwere in die Urethra
gleichsam sinken sollen und gehen allmählich zu Metallsonden über,
die für vornsitzende Strukturen ca. 15 cm lang sind. Bei tiefer sitzenden
eignen sich besser die gekrümmten mit Benique-Krüinmung. Auch die
schon erwähnten Dehnapparate von Kollmann, Oberländer u. a. können
angewandt werden und gestatten sogar bei höheren Nummern ein
rascheres Vorwärtskommen. Strengste Asepsis ist natürlich Grundbe¬
dingung (vergl. Sondenbehandlung der Anterior chronica) und gleich¬
zeitige Medikation von Urotropin oder eines anderen Ilarnantisepti-
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Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
55
kums von Vorteil. Als Gleitmittel bedient man sich vorteilhaft des
Katheterpurins, sterilen Öls oder Paraffin, liquidum, auch folgende
Paste sei empfohlen:
Hg. oxycyanat. 0,246
Tragacant. 2,0
Glycerin 20,0
Aq. dest. ad 100,0
Kommt es beim Herausziehen des Bougies zu einem Krampf der
Urethralmuskulatur, wodurch die Extraktion fast unmöglich wird, dann
bewähren sich oft eine Injektion von Morph. 0,02 in die Dammgegend
oder warme Umschläge. Gewalt darf nie angewandt werden, auch
Dicht beim Einfuhren der Sonde. Hand in Hand mit der Sondierung
geht natürlich die Urinkontrolle, da es nicht selten zu cystitischen
Reizungen kommt. Aussetzen der Therapie in solchen Fällen, sowie
bei stärkeren Blutungen ist selbstredend. Haben wir die Striktur soweit
gedehnt, daß Sonden bis 24 Charriere etwa passieren, dann hören wir
mit der Behandlung auf, um nach Verlauf einiger Wochen den Fall
immer wieder nachzuprüfen. In letzter Zeit sind mehrfach auch zur
Behandlung von Strikturen Injektionen von Fibrolysin (Merck) emp¬
fohlen worden. (5—10 Inj.) Im allgemeinen gelingt es, mit dieser kurz
skizzierten Behandlungsmethode zum Ziele zu kommen, wenngleich
Fälle, die sich nur operativ behandeln lassen, nicht so selten sind.
Die Therapie der Strikturen ist sogar eine der dankbarsten in dem
Gebiete der Gonorrhöebehandlung, die ja nur zu oft nicht recht be¬
friedigende Erfolge zutage fördert und ihrer langen Dauer wegen oft
zu den wenig dankenswerten Aufgaben des Arztes gehört. Und doch
wird gerade auch das Gebiet der Gonorrhöetherapie dem, der tiefer
zu sehen sich bemüht, des Interessanten und Befriedigenden genug
bieten, wenn er nur die soziale Bedeutung der Gonorrhöe als Volks¬
krankheit ins Auge faßt. Von diesem Standpunkte aus wird man auch
verstehen lernen, daß ein Tripper keine Lappalie ist, und seine Be¬
handlung nicht geringere Sorgfalt erfordert, als andere Krankheiten.
Wir würden die Bedeutung der Gonorrhöe als Volkskrankheit unter¬
schätzen, wenn wir nicht im Anschluß an die Therapie auch die
Prophylaxe der Gonorrhöe kurz erwähnen würden. Im allgemeinen Sinne
werden prophylaktisch gegen Infektion die jetzt immer mehr sich
geltend machenden Bestrebungen, die große Massen sexuell aufklären,
wirken, und es wird Pflicht jeden Arztes sein, diese Bestrebungen
zu unterstützen durch Belehrung seiner Klientel. Und nicht nur dadurch
allein kann ein jeder zur Prophylaxe der Gonorrhöe beitragen, weit
mehr noch durch sachgemäße energische Therapie. Je weniger chronische
Gonorrhöen als scheinbar geheilt entlassen werden, je vorsichtiger der
Arzt mit der Geheilterklärung auch der akuten Gonorrhöe und je
strenger er mit der Erlaubnis, wieder zu kohitieren und zu heiraten
sein wird, um so weniger Frauen werden infiziert und dadurch wieder
zu neuen Infektionsquellen werden. Wir gestatten unseren Patienten,
wenn wir sic geheilt entlassen, den ersten Geschlechtsverkehr erst
mehrere Wochen nach Aussetzen der Therapie und auch dann stets
mit Kondom und bestellen sie dann stets noch zur Nachuntersuchung.
So werden wir, da wir häufig genug den Ausbruch eines Rezidivs noch
Wochen nach der „Geheilterklärung“ beobachtet haben, wenigstens Un¬
schuldige vor einer Infektion schützen und die Weiter Verbreitung der
Krankheit verhüten. Der Kondom besitzt dann eine sehr wichtige Rolle
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Gerhard Hahn,
auch bei der persönlichen Prophylaxe, indem eine gute Marke gegen
Gonorihöeinfektion sicher schützt. So leicht reißen die guten Fabri¬
kate doch nicht, wie es Ricord’s geistreicher Ausspruch seinerzeit wohl
mit Recht kennzeichnete:
„Ein Spinngewebe gegen die Gefahr,
ein Panzer gegen den Genuß.“ (Zitiert nach Scholz.)
Dann wäre eine ganze Reihe von Vorbeugungsmitteln zu nennen,
deren Zweck die Vernichtung schon auf die Ifarnrührenschleimhaut ge¬
langter Erreger ist. Die Tropfapparate von Blokusewski (Samariter),
„Viro“ und wie sie sonst noch heißen mögen, die mit 20°/ 0 igem Protargol
oder 2°/ 0 igem Argentum nitricum gefüllt werden, sind sicher sehr wert¬
volle persönliche Schutzmaßregeln. An Bord unserer Kriegsschiffe an-
gestellte Versuche und Untersuchungen scheinen vorzügliche Resultate
ergeben zu haben. Daß das Verfahren wertvoll ist, beweisen ja auch
die Crede’schen Einträuflungen, denen es nachgebildet ist und deren
Wert heute wohl niemand bezweifelt. Natürlich dürfen die Einträuf¬
lungen nur in die Fossa navicularis gemacht werden und nicht zu häufig
hintereinander erfolgen, da sonst Reizkatarrhe leicht entstehen.
Bezüglich der Ehe, deren Erlaubnis jedem Geschlechtskranken, und
jedem Arzt als Ziel seiner Behandlung vorschweben sollte, darf auf
das in den vorangehenden Betrachtungen mehrfach erwähnte hingewiesen
werden. Daraus geht hervor, daß wir mit Neißer u. a. uns nicht den¬
jenigen anschließen können, die nur dem vollkommen geheilten Kranken
die Heirat gestatten. Wissen wir doch, wie oft leider unheilbare Rest¬
produkte nach einem Tripper Zurückbleiben, ohne daß dieselben ■weder
mikroskopisch noch klinisch d. h. in der Ehe ansteckend wären. Bei
rein eitrigem Sekret freilich wird man die Ehe nicht gestatten dürfen,
sondern erst vorher eine Behandlung versuchen, während der man gleich¬
zeitig durch sehr häufige Untersuchungen, Kulturen, Provokationen
auch die Abwesenheit der Gonokokken feststellen wird. Meist wird es
dann gelingen, dem Katarrh einen mehr schleimigen Charakter zu geben
— das Sekret weist dann neben Eiterkörperchen auch reichlich Epi-
thelien auf —; dieser Restkatarrh aber trotzt fast immer jeder Therapie.
Wir klären dann unsere Patienten dahin auf, daß zwar mit 100° 0
Sicherheit die Möglichkeit einer Ansteckung durch den Ausfluß oder
die Fäden nicht ausgeschlossen werden kann, daß aber nach unseren
Untersuchngen und den tausendfachen Erfahrungen anderer diese Mög¬
lichkeit verschwindend klein ist. Eine obligatorische Antwort würde
ich aber nie von mir geben, sondern mich stets im angegebenen Sinne
äußern. Für sehr wertvoll aber halte ich es, Heiratßkandidaten mit
chronischer Urethritis den Geschlechtsverkehr in den Flitterwochen nur
mit dem Kondom zu gestatten und sie nachher wieder zu untersuchen.
Stellt doch der häufige Geschlechtsverkehr die beste Provokation dar
und kann manches zutage fördern, was dem Auge bisher verborgen blieb.
Nur so w;ird man sich davor schützen können, daß die Gonorrhöe in der
Ehe auf die Frau übertragen wird, was stets von sehr traurigen Folgen
für Gesundheit und Familienglück begleitet ist.
Die Behandlung der weiblichen Gonorrhöe
ist fast noch komplizierter als die der männlichen imd gehört, soweit
sie sich auf die inneren Genitalien der Frau erstreckt, in das Gebiet
des Gynäkologen. Wir können uns daher etwas kürzer fassen und
in einigen Punkten auf die gynäkologischen Kapitel verweisen.
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Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
57
Die Urethralgonorrhöe erfordert bei sehr stürmisch einsetzenden
Fällen zunächst Ruhe und dieselben Interna wie beim Manne. In ruhiger
verlaufenden Fällen aber kann eine schonende antiseptische Therapie
bald begonnen werden. Man benutzt hierzu ebenfalls eine Injektions¬
spritze und kann, um Verletzungen zu vermeiden, statt eines Hart-
giunmiansatzes eine Olive aus Weichgummi auf den spitzigen Ansatz
setzen. Noch wichtiger wie beim Manne ist bei der Frau eine genaue
Demonstration des Einspritzens, die ich stets an meinen Patientinnen
so vornehme, daß sie in einem Spiegel meine Handgriffe verfolgen.
Die meisten lernen injizieren, andere müssen dann eben die Ein¬
spritzungen vom Arzte vornehmen lassen. Als Mittel kommen in
Betracht:
Protargol 0,5—1,0 :100,0
Albargin 0,2:100,0.
Statt dieser drei- bis viermal täglich ausgeführten Injektionen,
kann man auch die schon erwähnten Noffke’schen Kakaobutterstäb¬
chen verwenden, denen l°/ 0 Protargol, Argentum ( 1 / 2 %), Albargin
V 2 % zugesetzt sind. Diese Stäbchen lernen die Patientinnen leicht
drei- bis viermal täglich einführen und eine Weile mit Watte in der
Urethra bis zum Schmelzen des Bougies fixieren. Nebenbei kann man
dann vorteilhaft die Urethra mit der Playfair’schen Sonde, die einen
mit 1—2°/ 0 Arg. jiitric.-Lösung oder einem anderen starken Antiseptikum
getränkten Wattebausch trägt, auswischen. Spülungen mit Antisep-
tizis wird man nur zu machen brauchen, wenn das Auftreten einer
Cystitis konstatiert werden muß. Die Behandlung derselben wird nach
den üblichen Grundsätzen durchgeführt. Von Komplikationen der weib¬
lichen Urethralgonorrhöe erfordern die paraurethralen Gänge eine ana¬
loge Behandlung wie bei der männlichen Gonorrhöe. Etwas ausführlicher
müssen wir die Behandlung der Infektionen der Bartholini’schen Drüse
besprechen. Starke Entzündungserscheinungen und Eiterung wird man
erst unter Ruhe und feuchten Umschlägen abklingen lassen, um dann
zu kleinen Injektionen von l°/ 0 Arg. nitric.- oder 1—5°/ 0 Protargol-
Lösung in die Ausführungsgänge der Drüse überzugehen, nachdem man
vorher das Sekret aus der Drüse genügend exprimiert hat. Bei starken
Eiteransammlungen kommt auch eine Inzision mit nachfolgendem Aus¬
wischen der Wundhöhle mit Arg. nitric. 1—2°/ 0 in Betracht; endlich
ist bei rezidivierender Entzündung die Ausschälung des Drüsenkörpers
samt Ausführungsgang mit nachfolgender Naht mitunter erforderlich.
Bei Entzündungen in der Vulva und Vagina sind Umschläge, Sitzbäder,
Spülungen angebracht; im allgemeinen siedeln sich Gonokokken bei
Erwachsenen selten dort an. Die uterine Gonorrhöe dagegen ist ein
recht schwieriges Kapitel der Therapie. Bei sehr heftiger Reaktion
werden wir hier eine lokale Therapie der Cervix unter Verordnung
von Bettruhe und Scheidenspülungen mit Kali permang. (Rotweinfarbe)
oder Holzessig (1 Eßl. auf 1 Liter Wasser) zunächst nicht anwenden;
nach Abklingen der akutesten Symptome und bei ruhigerem Verlauf
gehen wir dann zu Auspinselungen der Cervixschleimhaut über. Diese
nehmen wir mit Arg. nitric. (Vio^ -1 ^—ö°/ 0 ) oder mit Jodtinktur,
Protargol (1—10°/ 0 ) vor und zwar mittels Playfair’scher Sonde oder den
Sänger’schen Stäbchen, die wenige Minuten liegen bleiben. Diese Aus¬
pinselungen werden zwei- bis dreimal in der Woche gemacht, bei aus¬
bleibender Reaktion kann man auch zu täglichen Ätzungen übergehen;
vorteilhaft läßt man der eigentlichen Atzung ein Auswischen der Cervix
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58 Gerhard Hahn, Die Komplikationen der Gonorrhöe und ihre Behandlung.
mit einer in dieselbe Flüssigkeit getauchten Sonde vorangehen. Bei
den geringsten Reizerscheinungen von seiten der Adnexe oder unmittel¬
bar vor, während und unmittelbar nach der Periode müssen wir natür¬
lich aussetzen. Diese Periode stellt also eine natürliche Unterbrechung
unserer Therapie dar, und oft genug sehen wir nach derselben wieder
ein Aufflammen der Cervixgonorrhöe eintreten. Solche immer und
immer wieder rezidivierenden Gonorrhöe der Cervix auch ohne Be¬
teiligung des Korpus oder der Adnexe hat man in neuester Zeit auch
durch Saugbehandlung (nach Bier-Klapp) behandelt. (Schattmann,
Archiv für Denn., 1907.) Ein Aszendieren des gonorrhoischen Prozesses
verringert dann die Heilungsaussichten immer mehr; eine ambulante
Therapie wird kaum möglich sein und die Patientin wochenlang ans
Bett gefesselt. Die Lokalbehandlung gehört wegen der leicht eintretenden
Komplikationen mit Recht zur Domäne der Gynäkologie.
Zum Schluß sei nur noch hervorgehoben, daß bei der Gonorrhöe
der Frau allgemein-hygienische Gesichtspunkte noch mehr fast wie beim
Manne im Vordergründe stehen. Sauberkeit ist hier in Form häufiger
Sitzbäder und Abwaschungen jeder Patientin einzuschärfen. Besonders
ist auch darauf >zu achten, daß die Sauberkeit nach der Defäkation
nicht von vorn nach hinten, sondern umgekehrt vorgenommen wird.
(Jadassohn.) Ist doch sonst eine Eiterübertragung auf die Mastdarm¬
schleimhaut leicht möglich, und unsere Statistiken weisen weit höhere
Ziffern für weibliche als für männliche Rektalgonorrhöe auf. Eine
Therapie dieser Lokalisation, wird schon wegen der Schwierigkeit
der Abgrenzung des Prozesses nach oben sehr problematisch Bein
und in milden antiseptischen Ausspülungen, wobei der Intoxi¬
kation wegen Hg-Präparate zu vermeiden sind (Jadassohn), bestehen.
Auch bei Kindern tritt diese Rektalgonorrhöe nicht selten auf, die
ebenso hartnäckig wie die kindliche Gonorrhöe im allgemeinen zu be¬
handeln ist. Können wir bei Kindern männlichen Geschlechts einfach
auf die Erwachsenen hinweisen, so stellt sich bei kleinen Mädchen die
Sache deshalb etwas anderes dar, als meist nicht die Cervix-, sondern die
Vaginaischleimhaut befallen ist. Die einzelnen therapeutischen Ma߬
nahmen, deren Durchführung nicht selten große Geduld erfordert, sind
im Grunde denen bei Erwachsenen analog, nur daß die Menge und die
Konzentrationen der Mittel und die anzuwendenden Instrumente (Pravaz-
Spritzen) dem kindlichen Organismus angepaßt sein müssen. Von Vor¬
teil ist hier auch die Einführung eines Ichthyolglyzerintampons in
die Vagina. Die Therapie ist sehr lange fortzusetzen, und eine lang-,
dauernde Beobachtungszeit nach Aussetzen der Behandlung erforder¬
lich. Der häufigste Sitz gonorrhoischer Infektion beim Kind, die Con¬
junctivitis gonorrhoica wird bei der Behandlung der Augenkrankheiten
seine Besprechung finden und mag hier nur kurz erwähnt sein.
Benutzte Literatur:
Jadassohn, Die akute Gonorrhöe, Deutsche Klinik, Bd. 10. — Jadassohn,
Die Komplikationen der Gonorrhöe, Deutsche Klinik, Bd. 10. — Jadassohn, Die
Gonorrhöe, Ebstein-Schwalbe, Bd. 2. — Blischke, Die chronische Gonorrhöe,.
Deutsche Klinik, Bd. 10. — Finger, Die Blenorrhöe der Sexualorgane usw. 1905. —
Scholtz, Vorlesungen filier Pathologie und Therapie der Gonorrhöe usw. 1904. —
Blaschko, Gonorrhöe, Therap. Taschenbuch 1907. — Bruhns, Gonorrhöe, Rieke’s
Lehrbuch der Haut- und Geschlechtskrankheiten. — Joseph, Lehrbuch der
Geschlechtskrankheiten.
Die kleineren Arbeiten, die in den Zeitschriften verstreut sind, sind mit
Rücksicht auf den Zweck dieser Arbeit nur in besonders wichtigen Fällen mit dem
Namen ihres Autors, nicht mit vollem Titel zitiert.
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Kavser, Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
59
Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
Von Professor Dr. Kayser, Köln.
(Schluß.)
Die Technik der bei der Appendizitis erforderlichen
Eingriffe weicht nur in unwesentlichen Punkten voneinander ab. Sie
gründet sich zum Teil auf unsere heutige Kenntnis der anatomischen
Verhältnisse des Wurmfortsatzes.
Wir wissen, daß der Processus vermiformis fast ausnahmslos intraperitoneal
liegt. Seine Richtung ist keine konstante; sie wechselt im allgemeinen bei dem¬
selben Individuen. Zumeist zieht er über den Psoas in das Becken hinab. Seine
als Entarterie auf zu fassende, am freien Rand des Mesenterialansatzes verlaufende
Arterie (Art. appendicularis) gehört dem Zuflußgebiet der Art. mes. sup. an. Seine
Nerven entstammen dem die Art. iliocolica umspinnenden Sympathikusstrang.
Wichtig ist die neuerdings von Lanz erwiesene Erfahrung, daß die Appendix nicht,
wie man früher annahm, auf dem Mc. Burney’schen Punkt, sondern im rechten
Drittelpunkt einer die beiden Spinae ant. sup. verbindenden Linie (der sog. Inter¬
spinallinie) liegt.
Im übrigen wird die Technik naturgemäß durch die Art der
vorliegenden Veränderungen bestimmt.
Bei der Früh- und Intervalloperation wird — das haben beide
Operationen gemeinsam — die Appendix entfernt. Es handelt sich ge¬
wöhnlich um einen technisch nicht schwierigen Eingriff; lange Zeit hin¬
durch haftete ihm die Gefahr der Hernienbildung an. Diese zu ver¬
meiden. ist das Ziel der vielfach empfohlenen Schnittführungen, welche
im wesentlichen auf dem Prinzip der sich nicht deckenden Nahtlinien be¬
ruhen. Die zurzeit gebräuchlichsten sind — ich übersehe die Schnittfüh¬
rung Sonnenburg’s, welcher durch Verziehung der Haut nabelwärts die
Hautnarbe auf den Darmbemkamm verlegt —: 1., der besonders von
Riedel popularisierte Bratrostschnitt Mc Burney’s (der sog. Riedel-
sche „Zickzackschnitt“), welcher sich kurz in folgender Weise
charakterisieren läßt: 2—3 Finger breit oberhalb des rechten
Leistenbands und diesem annähernd parallel verlaufend ein Schnitt,
welcher Haut, Unterhautzellgewebe und Faszie durchtrennt. Der
M. obliq. ext. sowie der zum Schnitt annähernd senkrecht verlaufende
M. obliq. int. werden in der Richtung der Muskelfasern stumpf durch -
trennt. Quere Spaltung der M. transversus sowie des Bauchfells, dessen
Ränder mit Peritoneal klemmen gefaßt werden. Meist genügt eine
etwa 3 cm lange Öffnung des Bauchfells. In schwierigen Fällen
scheue man vor weiterer Spaltung nicht zurück. Das von manchen
geübte Verfahren, durch ein „Knopfloch“ des Peritoneums „mittels
des als Fühlhorn in die Tiefe geschickten Zeigefingers“ die Appendix
„herauszufischen“, empfehlen wir nicht.
Der meist unmittelbar in die Peritonealöffnung sich cinstellende
blasser wie der Dünndarm erscheinende Dickdarm wird vorsichtig ange¬
hoben ; Dünndarmschi Ingen oder etwa vorliegendes Netz werden vorher
vorsichtig mit dem Gazetupfer abgeschoben. Man verfolge die freie
vordere Tänie nach abwärts; an ihrem Fußpunkt, d. h. an dem Schnitt¬
punkt der drei Tänien, setzt die Appendix an. Nach vorsichtiger
Entwicklung der Appendix wird das Mesenteriolum partieweise abge¬
klemmt und durchtrennt.
Die Versorgung der Appendix ist eine verschiedene: Man bindet
den Wurmfortsatz entweder an seiner Basis direkt oder in einer dort
angelegten Quetschfurche ab; man bildet auch nach zirkulärer Um-
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Kayser,
schneidung der Serosa durch Abpräparierung eines Serosazylinders eine
Art Manschette. Dann trägt man den Wurm auch nach Sicherung
des peripheren Abschnitts gegen eventuellen Kotaustritt durch
eine Klemme ab. Mitunter ist man bei starken Verwachsungen
gezwungen, die Appendix an ihrer Ansatzstelle zwischen zwei Fäden
zu durchtrennen und den Wurmfortsatz erst jetzt, eventuell subserös,
zu entwickeln; auf ein ähnliches Verfahren läuft der Vorschlag
Schlange’s hinaus, den Wurm der Länge nach zu spalten und die
Schleimhaut zu exstirpieren. Immer aber verlagert man den Ampu¬
tationsstumpf in eine Falte des Zökums und schließt ihn in dieser durch
Serosanähte fest ein. Nach der Naht des Peritoneums schließt sieh der
Muskelschnitt nach Art einer Klemme. Einige Katgutnähte vereinigen
die Muskulatur. Hautnaht mit Seide oder Michel’sehen Klammern.
2. der Lennander’sche pararektale Schnitt. Er läuft am
Außenrand des M. rectus, und zwar derart, daß die Mitte des Schnitts
dem Lanz’schen Punkt entspricht, in einer Länge von 5—8 cm abwärts.
Spaltung der vorliegenden Rektusscheide 1—2 cm medial vom Muskel¬
rand. Der gelöste Muskel wird nach innen verschoben, die hintere
Rektusscheide entsprechend dem Schnitt der vorderen Scheide gespalten.
Die etwa im Operationsgebiete erscheinenden epigasIrischen Gefäße
müssen geschont werden, weil ihre Durchschneidung ab und zu zu einer
Thrombose der Ven. fern. sin. führt. Nach der Naht der hinteren Rektus¬
scheide gleitet der Muskel in seine Lage zurück, derart, daß zwischen
vorderer und hinterer Nahtstelle der Rektusscheide der unversehrte
Muskel liegt.
Bei der Abszeßeröffnung ist naturgemäß ein anderes Verfahren
geboten. Wenn die von der entzündeten Appendix ausgehenden Abszesse er¬
fahrungsgemäß auch allerorten im Bauchraum fernab von dem primären Ent¬
zündungsherd liegen können, so dürfen wir doch auch hier im allgemeinen
von einer typischen Schnittführung sprechen. Der Vorschlag HaeckeTs,
die freie Bauchhöhle dicht neben dem fühlbaren perityphlitischen
Tumor, dessen Kern stets der Abszeß bildet, zu öffnen, die freie Bauch¬
höhle abzutamponieren und erst sekundär den Abszeß zu eröffnen, hat
keine Anhänger gefunden. Wir empfehlen den gewöhnlich geübten Schnitt
dicht am Leistenband, welcher Haut, Faszie und Bauchwand (ohne Rück¬
sicht auf die Faserung) durchtrennt, bis das entzündlich durch tränkte sul-
zige Peritoneum vorliegt. Hier vorsichtiges Eingehen mit der Kornzange
oder der Knopfsonde in die Abszeßhöhle und Erweiterung der Öffnung
mit dem kondomgeschützten Finger. Die Abszeßhöhle wird trocken
ausgetupft ; ein eventuell sich findender Kotstein oder die Fetzen des
gangränösen Wurmfortsatzes werden entfernt. Nur der Geübte soll ver¬
suchen, den nicht freiliegenden mit der Abszeßwandung verbackenen
Wurmfortsatz zu entwickeln. Dieser wird hinter einer festen Ligatur
abgetragen; eine Ubernähung ist zwecklos, da die Nähte in dem ent¬
zündeten Gewebe durchschneiden. Entsprechend der Ausdehnung der
Abszeßhöhle empfiehlt es sich, eventuell Gegendrainage anzulegen, so
bei hochreichenden Abszessen oberhalb des Darmbeinkamms, bei Douglas¬
abszessen durch Öffnen der Abszeßhöhle in die Scheide bzw. bei Männern
in das Rektum. Es ist von hoher Bedeutung zu wissen, daß die tief¬
liegenden Abszesse von den oberflächlich liegenden durch vertikale
Darmpartien getrennt sein können. Man palpiere deshalb nach oder
vor jeder Abszeßinzision vom Rektum aus.
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Die chirurgische Behandlung der Appendizitis.
Bei anderer Lagerung der Abszesse kommt eventuell ein anderes
Vorgehen in Frage. Bei Abszessen, welche zwischen Dünndarmschlingen
liegen, sind wir gezwungen, uns den Weg durch das Peritoneum hindurch
zu bahnen. Wir suchen dann durch Tamponade möglichst den Eiterherd
gegen die freie Bauchhöhle abzudichten, ehe wir ihn eröffnen.
Für Eröffnung der Douglasabszesse haben Rotter und Landau
ein besonderes Instrumentarium empfohlen. Wir beherrschen sie jedoch
auch mit den gewohnlichen Operationsmaßnahmen.
Bei perinephritischen und subphrenischen Abszessen ist eine
Punktion der verdächtigen Partien oft zur Diagnosestellung unvermeid¬
lich. Ich sah einen von einer Appendizitis aus durch puriformen Zerfall
von Venenthromben entstandenen Leberabszeß, dessen Eröffnung nur
auf transthorakalem Wege gelang.
Eber die Art der operativen Eingriffe bei der im Gefolge der
Appendizitis auftretenden allgemeinen diffusen Peritonitis ist
allerdings noch kein übereinstimmendes Urteil erzielt. Zwei Indikationen
sind jedenfalls zu erfüllen: Die Quelle der Eiterung, d. h. der zumeist
perforierte Wurmfortsatz ist zu eliminieren; der Eiter ist in möglichst
gründlicher Weise zu entfernen. Daß diese Entfernung am gründ¬
lichsten und schonendsten durch Spülung mit großen Mengen physiolo¬
gischer Kochsalzlösung erfolgt, wird heute wohl allgemein zugegeben.
Der Vorschlag, zuerst durch einen linksseitigen Flankenschnitt die
Bauchhöhle zu eröffnen, weil hier mit einem weniger infektiösen Mate¬
rial zu rechnen ist, entstammt mehr einem theoretischen Kalkül als
praktischer Erfahrung. Wir gehen im allgemeinen derart vor, daß wir
durch einen parallel dem rechten Leistenband verlaufenden Schräg¬
schnitt die Bauchhöhle eröffnen, den Wurmfortsatz exstirpieren und
gleichzeitig durch Einschneiden auf die durch die Bauehdecken gestoßene
Kornzange eine Gegenöffnung oberhalb des rechten Darmbeinkamms an-
legen. Die Anlegung dieser Drainageöffnungen auf der linken Seite erfolgt
in gleicher Weise. Vom rechten Bauchdeckenschnitt aus schieben wir dann
eine lange Komzange tief in den Douglas’sehen Raum hinab und stoßen
sie bei Männern und Mädchen nach dem Mast darin, bei Frauen nach der
Scheide durch. Beim Zurückgleiten zieht die Kornzange ein drainie-
rendes Rohr in den Douglas hinein. Vor einer ausgiebigen Lösung von
Adhäsionen scheuen wir nicht mehr zurück; manche halten sie. sogar
für notwendig. Sämtliche Öffnungen werden durch Drees mann’s che
Glasdrains drainiert. Durch die Drains wird eine ausgiebige Spülung mit
heißer physiologischer Kochsalzlösung vorgenommen, bis diese sich klar
entleert. Die angelegten Bauchdeckenwunden werden bis auf die Drainage-
öffnungeu geschlossen, so daß der nach Schluß der Bauehdecken wieder
bestehende Bauchdeckendruck die Flüssigkeit zu den Drainagen besonders
dann herauspreßt, wenn wir durch sitzende Stellung des Patienten mit
tiefgestelltem Becken eine tiefliegende Abflußstelle schaffen. Die
Lagerung ist wegen der bald nach dem Eingriff sich bildenden, den Ab¬
fluß hindernden Adhäsionen sofort nach der Operation vorzunehmen.
Diese zum Teil auf mechanischen Erwägungen basierende Behandlung
hat man in neuester Zeit durch Einwirkung resorptionsverlangsamender
Mittel insofern zu unterstützen versucht, als man nach Schluß der Bauch¬
höhle durch einen Drain bei kurzdauernden temporären Verschluß der
anderen Drains 50—60 g sterilisierten Olivenöls in die Bauchhöhle inji-
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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zierte (Glimm), über diese viel besprochene Behandlung ist bisher ein
abschließendes Urteil ebensowenig erzielt wie über die Bedeutung inten¬
siver Wärmeeinwirkung auf den Bauch sowie der Anlegung multipler
Darmfisteln. Namentlich die Darmfistelbildung, von manchen warm
empfohlen, wird von anderen verworfen, weil sie nar bei leichteren
Fällen wenig aus gebreiteter Darmlähmung einen Erfolg zeigt. Bei
diesen sehen wir aber auch ohne Enterostomien Heilung.
Die von manchen geübte multiple Punktion des Darms mittels
feiner Pravazkanülen durch die Bauchdecken hindurch widerstrebt dem
chirurgischen Empfinden derart, daß auch sie keine Nachahmung finden
dürfte; auf das Unrationelle des Verfahrens brauche ich hier nicht
näher einzugehen. Darüber, daß die Nachbehandlung auf den Ver¬
lauf der Peritonitis eine weitgehende Bedeutung beansprucht, besteht
keine Meinungsverschiedenheit. In Frage kommen: frühzeitige Magen¬
spülungen; subkutane und intravenöse Kochsalzinfusionen (am besten
800 1000 ccm mit 6, höchstens 8 Tropfen Suprareninlösung (1:1000)
nach Heidenhässen) bei völligem Verzieht auf per os gereichte Nah¬
rung, Kaffee-Klysmata; Koffeininjektionen; daneben zur Anregung der
Darmtätigkeit Physostigmin (dreimal 12 Tropfen einer 0,l°/ 0 igen
Lösung).
Unter der Anwendung dieser gerade in den letzten Jahren aus-
gebildeten Methoden sind die Resultate der Peritonitisbehandlung
bessere geworden; die Diagnose ,,diffuse Peritonitis“ hat wesentlich
von ihrem Schrecken verloren. Die Entscheidung der Frage, ob
es einer spezifischen Bakteriotherapie gelingen wird, noch bessere
Resultate zu zeitigen, wie wir sie heute sehen, muß der Zukunft
überlassen bleiben. —
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Die Puerperalpsychosen.
Von Prof. E. Meyer, Königsberg i. Pr.
(Vortrag, gehalten im gynäkologischen Verein für Ost- und Westpreußen
am 10. Dezember 1910.)
Ausführliche Besprechung des heutigen Standes der Lehre von den
Puerperalp.sychosen. Die Zahl der Puerperalpsychosen (Graviditäts-,
eigentliche Puerperal- und Laktationspsychosen) hat abgenommen, sie
machen nur noch etwa 6 Prozent unter den geisteskranken Frauen aus;
das Material M.’s umfaßt 80 Fälle unter 1519 Frauenaufnahmen in
6V 2 Jahren, also 5,26 Prozent. Von anderen statistischen Betrachtungen
ist bedeutungsvoll der Vergleich der Zahl der Puerperalpsychosen mit
der der Geburten an sich. Es zeigt sich, daß die Zahl der Geburten
zu der Gesamtzahl der Frauen sich ähnlich verhält wie die Zahl der
Puerperal psychosen zu der Summe der geisteskranken Frauen.
M. bespricht zuerst solche psychische Krankheiten, bei denen die
Generationstätigkeit in ihrer Gesamtheit, nicht in den einzelnen
Phasen einwirkt, und bei denen andere Momente die Hauptursache
bilden, unter anderen die Paralyse. Bei dieser sind sterile Ehen häufig,
Geburt, und Wochenbett oft ungestört, erstere nicht selten schmerzlos.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Eine regelmäßige Einwirkung der Generationstätigkeit auf den Verlauf
und Ausgang der Paralyse ist nicht zu beobachten. Bei der Epilepsie
seltene Fälle, die auf die Generationsphasen beschränkt sind, häufiger
solche, die zuerst während derselben auftreten und fortbestehen. Schon
bestehende Epilepsie kann ohne bestimmte Regeln günstig, ungünstig
oder gar nicht beeinflußt werden.
Hys terisehe Disposition wird durch die Generationstätigkeit oft
geweckt, wie schon vorhandene Hysterie dadurch gesteigert. Die nervösen
Schwangerschaftsbeschwerden dürfen nicht einfach der Hysterie zuge¬
rechnet werden.
Bei den Graviditätspsychosen spielen die Stoff Wechsel Verände¬
rungen wie psychische Ursachen die wichtigste Rolle. M. weist besonders
auf Depressionszustände auf psychopathischer Basis hin, bei denen
das Moment der Schwangerschaft und daran anschließende Vorstellungs¬
komplexe ausschlaggebend waren. Bei diesen kommt der künstliche
Abort am ehesten in Frage, weil nach der Art der krankhaften Ideen
eine Besserung durch die Geburt an sich kaum zu erwarten steht, und
andererseits bestimmt zu hoffen ist, daß die Unterbrechung der Schwanger¬
schaft zu einer sofortigen Besserung führt. Depressive Psychosen am
häufigsten in der Schwangerschaft, speziell das manisch-depressive Irre¬
sein, daneben die Dementia praecox. Bei letzterer Krankheitsform, aber
auch sonst in der Gravidität, Eifersuchtsideen nicht selten.
Ein Fall betraf eine zerebrale Schwangerschaftslähmung, der sich
nach einem halben Jahr eine schwere psychische Hemmung anschloß.
Schwan ge rschaftslähmungen sind selten, ebenso psychische Störungen im
Zusammenhang mit ihnen.
Bei der Prognose und Therapie der Graviditätspsychosen betont
M., daß bei den funktionellen Psychosen, speziell Dementia praecox und
manisch-depressivem Irresein, eine Indikation für den künstlichen Abort
in der Regel nicht vorliege, ebensowenig bei Paralyse und zumeist Epilepsie.
Es gilt folgender Satz für die Indikationsstellung des künstlichen
Aborts: Das Fortbestehen der Schwangerschaft muß die dringende
Gefahr in sich schließen, daß ein dauerndes schweres Nervenleiden ent¬
stehen wird, das auf keine andere Weise zu beseitigen ist, und von dem
man mit Bestimmtheit erwarten kann, daß es durch die Unterbrechung
der Schwangerschaft geheilt, resp. in der Entwicklung für die Dauer
gehemmt wird. — Weiterhin gedenkt M. der kurzdauernden psychischen
Störung während oder direkt nach der Geburt und wendet sich dann
zu den eigentlichen Puerperalpsychosen, bei denen exogene Krank¬
heitsursachen besonders in Betracht kommen. Die exogenen Krankheits¬
typen, Delirien, Amentia usw. werden als Amentiagruppe zusammen¬
gefaßt, sie haben fließende Übergänge, es spielen auch Mastitis und
Tuberkulose bei ihnen vielfach mit. Die Differentialdiagnose gegenüber
der Dementia praecox ist oft schwierig, katatonische Erscheinungen gehen
nicht den Ausschlag, sondern der Grundzug des Krankheitsbildes. Nur
fi von den Fällen M’s. gehören zur Amentiagruppe, dagegen 10 von den
42 Puerperalpsychosen s. str. zur Dementia praecox, die im übrigen in
Verlauf wie Prognose nichts Besonderes bietet, und endlich 8 zu den
affektiven Psychosen.
Die ekl am p tischen Psychosen zeigen vorallem starke Bewußtseins¬
trübungen mit Inkohärenz, erschwerter Auffassung und Störung der Merk¬
fähigkeit. Sie ähneln sehr den epileptischen Dämmerzuständen.
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64 Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
In der Laktation kommen als ursächliche Faktoren Anämie und
Erschöpfung vor allem in Frage Von M/s 27 Fällen gehören 22 der
Dementia praecox, 3 den affektiven Psychosen und 2 der Amentia an.
In der Laktation werden Eifersuchtsideen ebenfalls oft beobachtet.
M. bespricht dann zusammenfassend Prognose und Verlauf, Be¬
handlung und Prophylaxe; auch der forensischen Seite wird gedacht.
Eine spezifische Puerperalpsychose gibt es nicht, auch sind keine be¬
sonderen puerperalen Züge nachweisbar.
M. kommt zu dem Ergebnis, daß die Generationstätigkeit weniger
von unmittelbarer Bedeutung für die Entstehung von Psychosen zu sein
scheine, als mittelbar durch Schwächung des Nervensystems den günstigen
Boden für nervöse und psychische Störungen biete.
(Ausführliche Veröffentlichung im Archiv für Psychiatrie und
Nervenkrankheiten, 1911.)
Weitere Erfahrungen über die Verwendung von Pergenol-Mundpastillen.
Von Dr. W. G o11hi 1 f, Kassel.
Vor ungefähr Jahresfrist wurde mir von den „Chemischen Werken
vorm. I)r. Heinrich Byk, Charlottenburg“ ein Quantum Pergenol-Mund¬
pastillen zur Verfügung gestellt. In Nr. 8 der „Mediz. Klinik“ 1910
habe ich kurz über meine recht günstigen Erfahrungen mit diesem
Präparate berichtet, in dem Wasserstoffsuperoxyd zum ersten Male in
der so praktischen Form von Mundpastillen uns dargeboten wird, und
zwar speziell über meine Erfahrungen in der Kinderpraxis. Seither habe
ich das Mittel ständig weiter verwendet, auch bei Erwachsenen. Auch
hier haben die Pergenol-Mundpastillen sich immer nach wie vor bewährt,
um so mehr, nachdem es der darstellenden Firma gelungen ist, den früher
von manchen Patienten unangenehm empfundenen, etwas säuerlich-kratzen-
den Geschmack der Pergenol-Mundpastillen erheblich zu verbessern.
Ich habe die Pergenol-Mundpastillen auch weiterhin Kindern jeg¬
lichen Alters gereicht, Säuglingen auch in rationeller Weise in einem
Lutschbeutel aus Gaze, weil dann die desinfizierende Wirkung von längerer
Dauer ist. Zur Unterstützung des Heileffektes ist es ratsam, Patienten,
die gurgeln können, ein aus Pergenol-M undw T assert abletten (ä 0,5 g)
hergestelltes Gurgelwasser gebrauchen zu lassen. Die Krankheiten, die sich
für die Behandlung mit Pergenol-Mundpastillen eignen, umfassen sowohl
alle primären Erkrankungen der Halsorgane als auch alle sekundären.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß ich sie oft zu prophylaktischen
Zwecken verwende, u. a. bei Hg-Kuren zur Vermeidung von Stomatitis.
Patient Otto R. hatte z. B. ununterbrochen ca. 4 Monate lang wegen
luetischer Rachenentzündung Pergenol-Mundpastillen genommen. Die¬
selben wurden ausgezeichnet vertragen, machten keinerlei Magen- oder
sonstige Beschwerden, und zwar verliefen während dieser Zeit ausgeführte
Hg-Kuren ohne Stomatitis, während Patient früher zur Stomatitis mercurialis
neigte. Auch Berufssängern bei stimmlicher Indisposition, Lehrern, über¬
haupt Leuten, die durch ihren Beruf gezwungen sind, ihre Sprachorgane
mehr zu gebrauchen, verordne ich Pergenol-Mundpastillen mit bestem Erfolg.
Ebenso empfehle ich Individuen, die in Betrieben mit stärkeren Staub¬
entwicklungen beschäftigt sind, und w T elehe naturgemäß mehr zu
Rachenerkrankungen neigen, Pergenol-Mundpastillen zu prophylaktischen
Zwecken.
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Irgendwelche üble Nachwirkungen der Pergenol-Mundpastillen habe
ich, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, auch weiterhin niemals
bemerkt.
Meine eigenen Erfahrungen mit den Pergenol-Mundpastillen schließen
sich den Beobachtungen anderer Autoren 1 ), die sich ebenfalls recht günstig
über das Präparat äußerten, durchaus an.
Verein Deutscher Ärzte in Prag.
Rudolf Steiner demonstriert aus dem laryngologischen Institute
(Prof. E. Pieck) einen 45jährigen Mann, der vor einem halben Jahre
sofort nach einer schweren Unfallsverletzung des Kehlkopfs (wuchtiger
Stoß mit einer eisernen Brechstange gegen die linke Halsseite) wegen
hochgradigster Dyspnoe tracheotomiert werden mußte, und bei dem sich
im Laufe der Monate eine hochgradige Larynx-Stenose mit einer der
sehr seltenen, einseitigen Ankylosen des Aryknorpels entwickelt hatte.
Laryngoskop ich zeigte sich bei der Aufnahme vor zwei Monaten eine hoch¬
gradige Verengerung der Glottis, durch welche man gerade noch den
dünnsten englischen Katheter mit Mühe durchführen konnte. M ährend
das rechte Stimmband sich gut bewegen konnte, war es unter dem Ein¬
flüsse der sich retrahierenden Bindegewebsmassen jedenfalls dann im
Stadium der Heilung zu einseitiger (linksseitiger) Ankylose des Arytänoid-
gelenks gekommen mit Fixation der zum größten Teil narbig verschrumpften
linken Kehlkopf hälfte und des linken Stimmbandes in Auswärtsstellung.
Die Atmung bei geschlossener Trachealkanüle war vollkommen unmöglich.
Redner bespricht dann an der Hand des Literaturmaterials die äußerst
rare Beteiligung des Aryknorpels bei Kehlkopfverletzungen und erörtert
daun ausführlich die therapeutischen Maßnahmen, welche bei derartigen
Unfall Verletzungen des Kehlkopfs zu treffen sind, sowie die verschiedenen
Heilmethoden der chronischen Laryngo- und Tracheal-Stenosen narbiger
Natur, sowohl auf operativem Wege (Laryngofissur und Laryngostomie),
als auch auf konservativem Wege mittels Behandlung durch methodische
Dilatation. (Intubation, Einführen von Röhren und Behandlung mit
Schrötter’schen Zinnbolzen.) Mit Hilfe des letzteren durch zwei Monate
systematisch fortgesetzten Verfahrens ist die früher fast komplette Stenose
des Larynx sichtlich erweitert worden, sodaß Patient gegenwärtig schon
viele Stunden die Kanüle entbehren kann und das definitive Dekanülement
bei Fortsetzung der Dilatationsbehandlung in absehbarer Zeit wird vor¬
genommen werden können.
Verein Deutscher Ärzte in Prag.
Raudnitz berichtet über Versuche Piesens an der obersten Klasse
einer Knabenbürgerschule. Von 56 Knaben zwischen 13 bis 15 Jahren,
welche fünf Minuten lordotisch standen, hatten nachher 26 (46,5°/ 0 ) Ei¬
weiß im Harne, das bei fünfen nach einer Stunde gewöhnlichen Schul-
sitzens noch nicht verschwunden war. Die lordotische Albuminurie trat
um so häufiger auf, je länger die Schüler waren; bei Körperlängen zwischen
133—140 cm in 20 °/ 0 , zwischen 141 — 150 cm in 40 °/ 0 , zwischen 151—
170 cm in 50 °/ 0 , zwischen 171—177 cm in 100 °/ 0 . Tags darauf ließ
0 Dr. Witthauer, Therap. Monatshefte, Nr. 3, 1910. — Prof. Jochmann,
Klin. Jahrbuch, Bd. 22, H. 4, 1910.
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Referate und Besprechungen.
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man die 26 Knaben durch 10 Minuten mit auf dem Rücken verschränkten
Armen sitzen, wie das namentlich in einigen Mädchenschulen üblich
ist; 61,5 °/ 0 derselben zeigten hierauf Albuminurie. Bei 41 °/ 0 der auf
Lordose mit Albuminurie antwortenden Kinder waren eine oder beide
Nieren tastbar und beweglich, während dies nur bei 18 °/ 0 der nicht so
reagierenden ebenfalls der Fall war. Anders gezählt trat Albuminurie
nach Lordose auf bei 37 °/ 0 der Kinder mit nicht tastbaren und bei
64 °/ 0 der Kinder mit tastbaren Nieren.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
H. Stahr, Über sogenannte Endokardtumoren und ihre Entstehung.
(Virchow’s Archiv für path. Anatomie, Bd. 199, S. 162, 1910.) Yerf. unter¬
suchte im Düsseldorfer pathologischen Institut zwei solche Tumoren vom
Menschen und zwei vom Rinde. Die Untersuchungen ergaben, daß der größte
Teil der Endokardtumoren in das Gebiet der Thrombusorganisationen gehört,
ein kleiner Teil in das der echten Blastome (Myxome, Hämangiome). Die
blastomähnlichen Produkte der Thrombusorganisation unterscheiden sich von
den Myxomen durch ihre Zellarmut sowie ihren Reichtum an Blut, Blut-
pigment und Blutgefäßen; von den Hämangiomen durch die geringere
Dichtigkeit der Blutgefäße, die geringere Größe der Endothelien und über¬
haupt die Abwesenheit selbständiger Zellwucherungen. Am schwierigsten
und mitunter kaum durchführbar ist die Unterscheidung zwischen Thromben-
Organisationsprodukt und obliterierenden Hämangiomen. Dem Ausfall der
Schleimreaktion und dem Reichtum an elastischen Fasern ist differential -
diagnostisch eine wesentliche Bedeutung nicht zuzuschreiben. Es ist wohl
möglich, daß sich in und auf dem Boden organisierter Endokardthromben
Blastome entwickeln, ähnlich wie die Kallustumoren, und es scheint ein Teil
der bisher beschriebenen Endokardtumoren diese Deutung zu gestatten. Für
die Entstehung der großen, breitbasig auf sitzenden Endokardthromben, aus
denen dann die blastomähnlichen Organisationsprodukte hervorgehen, sind
Endokardrupturen verantwortlich zu machen. W. Risel (Zwickau).
Tokutaro Nakahara, Über Veränderungen des Nebennierenmarkes nach
Nephro- und Nephrektomien. (Yirehows Archiv für path. Anat., Bd. 196,
S. 68, 1909.) Bei Katzen und Kaninchen wurden Keilexzisionen einer Niere,
sowie ein- und doppelseitige Nephrektomien vorgenommen. Nach den Ergeb¬
nissen der Versuche ließen sich konstante Beziehungen zwischen den vor-
genommenen Schädigungen der Nieren und den Veränderungen in den chrom -
affinen Zellen des Nebennieremnarkos nicht feststellen, wenn sich auch Ver¬
änderungen an den letzteren fanden. Auch das Auftreten der Ehrmann’schen
Reaktion im Serum zeigt keine Gesetzmäßigkeit. Die doppelseitige Nephrek¬
tomie scheint die schwerste Schädigung der chromaffinen Zellen hervorzu-
rufen, indem bei Kaninchen und Katzen schwere, bis zur Degeneration der
Zellen führende Veränderungen beobachtet wurden. Möglicherweise reagieren
die chromaffinen Zellen vor ihrer definitiven, sich als Erschöpfung charak¬
terisierenden Degeneration mit einer vermehrten Sekretion.
\V. Risel (Zwickau).
M. Lissauer, Über das primäre Karzinom der Leber. (Virchows Archiv
für path. Anatomie, Bd. 202, S. 57, 1910.) Verf. beschreibt vier Fälle von
primärem Leberkarzinom. In den drei ersten handelt es sich um die Form
des malignen Adenoms, die zweimal bei Leberzirrhose und einmal bei Hepar
lobatum syphiliticum beobachtet wurde. Verf. neigt der jetzt auch sonst
vertretenen Anschauung zu, daß die primäre Erkrankung die Zirrhose oder
syphilitische Narbenbildung, die sekundäre die Entwicklung des Karzinoms
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Referate uncl Besprechungen.
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sei; in beiden Fällen war die Leber ganz diffus durchsetzt mit kleinen, von
derbem Bindegewebe umgebenen Geschwulstknoten, die in einem Falle auch
Metastasen auf der Pleura gemacht hatten. Sogen. Übergangsbilder von
Leberzellen in Geschwulstzellen konnte Verf. nicht finden; als Ausgangs¬
punkt der malignen Adenombildung betrachtet er die Leberzellen selbst,
jedoch nur wegen der weitgehenden Ähnlichkeit im morphologischen Ver¬
halten von Geschwulst- und Leberzellen; von einer karzinomatösen Degene¬
ration der Leberzellen konnte er nichts sehen. Besonders interessant ist,
daß auch in diesen Fällen das Geschwulstgewebe (auch in den Lungen-
uetastasen des dritten Falles) die Fähigkeit, Galle zu sezernieren, beibehalten
hatte. Eine multizentrische Entstehung der Karzinombildung möchte Verf.
nicht annehmen.
In einem vierten Falle handelt es sich um die Bildung eines großen
solitären Geschwulstknotens im rechten Leberlappen, der histologisch das
Bild eines medullären Karzinoms zeigte und dessen Zellen im Aussehen
so vollständig mit Leberzellen übereinstimmten, daß Verl', auch hier als
Ausgangspunkt der Geschwulstbildung die Leberzellen annimmt.
W. Risel (Zwickau).
Innere Medizin.
Noböcourt und Leon Tixier (Paris), Zur Therapie der Haemophilie.
(Bullet, med., Nr. 8G, S. 987, 1910.) Die beiden Kliniker stellten in der
Societe medicale des höpitaux am 21. Oktober einen neunjährigen Jungen
vor, welcher seit der frühesten Kindheit an schwerer Haemophilie gelitten
hatte. Sie haben ‘ihn mit subkutanen Injektionen von Pepton Witte be¬
handelt (38 ccin einer 5%igen Lösung wurden in sieben Injektionen während
2 Vs Monaten verabfolgt) und von allen Blutungen befreit.
Stärkere Lösungen empfehlen siel im Hinblick auf Erytheme und
Temperatursteigerungen nicht. Buttersack (Berlin).
N. Strueff, Zur Frage der bakteriellen Lungenembolie. (Virchows
Archiv für path. Anat., Bd. 198, S. 211, 1909.) Auf Grund von Versuchen
an Kaninchen, bei denen eine dicke Emulsion sterilisierter Verreibung von
Milzbrandbazillen in die venöse Blutbahn eingespritzt wurde, spricht sich
Verf. dafür aus, daß es sich bei den Gründen, die die schweren Symptome
und den Tod bei der Lungenembolie hervorrufen, nicht um einen reinen
Herztod oder reinen Lungentod handelt, sondern daß dabei den Störungen
der Herz- und der Lungenfunktion eine gleiche wesentliche Bedeutung
zukommt. W. Risel (Zwickau).
Die Therapie der Tuberkulose vor dem französischen Internisten¬
kongreß. (Bullet, medical, Nr. 86, S. 983—986, 1910.) Wenn man die Ver¬
handlungen des letzten 11. französischen Kongresses für innere Medizin (1910)
liest, kann nnan beinahe die Angst vor der Tuberkulose verlieren. Da pries
zuerst L. Renon die Tuberkulintherapie. Es gebe zwar verschiedene Tuber¬
kuline, welche die Gifte des Koch’schen Bazillus in ganz verschiedenen
Mengen enthielten; allein das mache nichts. ,,Toutes ces tuberculines peuvent
etre utilisees dans ces cas.“ Bedingung zur Heilung ist nur, daß man die
Tuberkuline in unglaublichen Verdünnungei anwendet. Renon fängt mit
der Hälfte des tausendsten Teiles eines Milligramms an und steigt ganz lang¬
sam auf 1 Vo mg. Der Patient darf aber g.*r nichts davon merken: „II faub
6viter toute reaction locale ou generale apparente. (Diese Guerison ä son
insu ist somit ein Gegenstück zum Medicin malgiÄ lui.)
Doyen rühmte auf Grund seiner Beobachtungen an 700 Kranken seine
phagogene Methode; indessen wollte die Versammlung seine Diagnosen nicht
recht gelten lassen.
Parmentier hat bei 120 Patienten mit Erfolg sein Cholergin ange¬
wendet. Das ist ein Leberextrakt, dessen Hauptvorzug darin zu bestehen
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Referate und Besprechungen.
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scheint, daß es „un traitement d’une innocuite absolue“ ist. Es erfüllt somit
wenigstens die erste Forderung des Hippokrates an ein Heilmittel.
Teissier (Lyon) pflegt seine Tuberkulösen mit Maragliano’s Bak¬
teriolysin zu heilen, welches nicht allein die Bazillen auflöse, sondern auch
aktive Immunität verleihe. Mit auffallender Schärfe bekämpft er die Idee,
daß diese Fälle auch von selbst geheilt sein könnten.
Marmorek hat sein immer von neuem verbessertes Antituberkulose -
serum nachgerade bei 10000 Kranken angewendet. 68% davon seien geheilt;
aber Details gibt er nicht, nur als Piece de resistance werden 10 geheilte
Fälle von Meningitis tuberculosa angeführt. Wie das Mittel wirkt, sagt
er nicht; wohl aber wie es nicht wirkt: ..Mon serum n’est pas antituberculeux.
II n’agit pas en neutralisant la toxine.“
Landret (Arcachon) empfiehlt eine Kombination von Tuberkulin und
Nukleinen, Rappin (Nantes) ein vom Pferde gewonnenes Serum, Loeper
und Esmonet die Darreichung von Pankreatin, und Lemoine und Gerard
(Lille) die Injektion von Lipoiden. Man sieht: viele Wege führen nach
Rom. Um aber ans Ziel zu gelangen, ist die Hauptsache immer die, daß einem
nicht zuvor der Atem ausgeht. Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Grube (Hamburg), Über Mechanik des Austrittes des kindlichen
Schädels und Dammschutz. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2129, 1910.)
Die Anschauungen, die sich über den Austritt des kindlichen Schädels aus
dem Durchtrittsschlauche in der Literatur niedergelegt finden, sind viel¬
fach ungenau. So wird z. B. vielfach davon gesprochen, daß das Hinter¬
haupt sich unter der Symphyse anstemmt und dann das Gesicht über den
Damm schneidet. G. weist von neuem darauf hin, daß das ganz unmög¬
lich ist, weil gemeinhin das Hinterhaupt zu groß, der Symphysenwinkel zu
klein ist. Vielmehr handelt es sich darum, daß der Nacken sich in den
Symphysenwinkel einschmiegt und dann der Austritt erfolgt, der größte
Durchmesser, der auf diese Weise die Schamspalte passiert, ist der sub-
okzipito-bregmatikale. Diese Erkenntnis ist für die richtige Ausführung
des Dammschutzes ebenso nötig, wie das Bewußtsein, daß der Austritt des
Kopfes erst dann erfolgen darf, wenn der Damm sich genügend gedehnt
hat. Demnach faßt G. seine Dammschutzmethode, die er stets in Rücken¬
lage vornimmt, zusammen: Fixieren des Vorderhauptes mit der am Damm
liegenden rechten Hand, Hervorheben des Hinterhauptes unter der Sym¬
physe mit der linken Hand, dadurch erzielt er eine sehr starke Flexion
des kindlichen Kopfes. Damit ihm die auf dem Rücken liegende Frau nun
nicht fortkriecht, läßt er die Kreißende an den Schultern durch eine zweite
Person festhalten und schiebt ihr ein schmales Kissen unter das Kreuz
oder er schlägt die Oberschenkel der Kreißenden bis an den Bauch hinauf.
Frankenstein (Köln).
m
A, Siredey et H. Lemaire, Les Mötrorrhagies virginales. Etüde histo-
logique de la Muqueuse utörine dans une forme particuli&re de Metror¬
rhagie observge chez des jeunes filles. (Annal. de Gyn. et d’Obst., Okt.
1910.) In vier Fällen fand sich an der endlich kiirettierten Schleimhaut
typische benigne Adenombildung: geschlängelte, vermehrte Drüsen mit mehr¬
schichtigem Zylinderepithel. Alle möglichen physikalischen und medikamen¬
tösen Behandlungsarten hatten die Blutungen nicht gebessert, die Kürettage
sofort. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
O. Pötzl (Wien), Zur Frage der Hirnschwellung und ihrer Beziehungen
zur Katatonie. (Jahrb. f. Psych., Bd. 31, H. 2 u. 3.) Reichardt hatte bei
einer Reihe von Katatonien Hirnschwellung ünd Steigerung des intrakraniellen
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Referate und Besprechungen.
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Drucks gefunden. Welche Bedeutung diese Momente für die Pathologie der Er¬
krankung besitzen, versucht P. aus einigen Fällen zu folgern. Bei den Druck-
Steigerungen handelt es sich nur um vorübergehende, meist auf der Höhe
der Erkrankung erscheinende oder die akuten Attacken einleitende Zustände,
denen, wie Obduktionsbefunde zeigen, Hyperämie des Gehirns oder Ödem
und Stauung oder alte leptomeningitische Residuen oder Veränderungen an
den Plexus choriodei als Grund für ein Mißverhältnis zwischen Schädel -
fassungsraum und Schädelinhalt zugrunde liegen. Die Ursachen dieser Pro¬
zesse sind mechanischer oder toxischer Natur. Die ersteren, durch Erschwe¬
rung des Liquorabflusses wirkenden Momente — vorwiegend Residuen frühe¬
rer meningealer Erkrankungen, Veränderungen dei Schädeldiploe inf. Rhachi-
tis oder zerebraler Kinderlähmungen — die mit der Entstehung der Kata¬
tonie an und für sich nichts zu tun haben, komplizieren lediglich deren
Verlauf, indem zur Katatonie Hydrozephalussymptome oft von periodischer
Heftigkeit hinzutreten (Kopfschmerzen, Reflexstörungen, Stauungspapille,
plötzlicher Exitus). Andrerseits machen sich dieselben besonders unange¬
nehm bemerkbar bei einer Vermehrung des Schädelinhalts, für welche zwei
Ursachen die Dem. pr. liefern kann, die Hirnschwellung als Folge toxischer
Gehirnhyperämie oder als Folge einer Liquorvermehrung beruhend auf einer
z. T. vielleicht konstitutionellen Vagusübererregbarkeit, die eine stärkere
Sekretion seitens der Plexus choreoidei hervorruft. Eine Labilität der vege¬
tativen Nervensysteme scheint überhaupt der Dem. pr. eigen zu sein. Bei
akuten klinischen Erregungen findet man demgemäß einen stärkeren Liquor-
druck auf obiger Basis, ebenso auch bei den chronischen Stuporzuständen.
Aus dem sehr reichlichen und interessanten Inhalt der Arbeit will ich hier
nur noch hervorheben die Vermehrung der rechtsdrehenden Substanzen im
Liquor im Beginn anfallsreicher Zeiten bei Epilepsie und Katatonie (wieder
ein Zeichen für die nicht funktionelle Natur der letzteren, Ref.), die günstige
Prognose, welche hysteriforme Anfälle vermuten lassen, ebenso wie Steigen
des Körpergewichts, Umschlag des Stupors in Hyperthymie (erhöhte Leb¬
haftigkeit, auffallend heitere Stimmung, übertriebener Arbeitseifer), die Ver¬
mehrung der hämolytischen Kraft des Bluserums. Ätiologisch nicht un¬
wichtig ist die Ähnlichkeit mit den Überempfindlichkeitsreaktionen, indem
man bei jedem neuen Rezidiv ein kürzeres Prodromalstadium und schwerere
Verlaufsform beobachten kann. Zweig (Dalldorf).
Hals, Nasen- und Kehlkopf leiden.
A. Rechtö (Budapest), Vergleichend rhino-otologische Untersuchungen
an normalen u. Schwachbegabten Schulkindern. (Zeitschr. f. d. Erforschg.
d. jugendl. Schwachsinns, Bd. 4, H. 2 u. 3.) Veränderungen an den Ohren, der
Nase und dem Nasenrachenraum fanden sich in einer erheblich größeren Zahl
Schwachbegabter als Gesunder. Die Entfernung der adenoiden Vegetationen
übt einen vorteilhaften Einfluß auf die Begabung bei Schwachbegabten nicht
aus, ist aber für die Besserung der Atmung und des Gehörs wichtig.
Zweig (Dalldorf).
Walb u. Horn (Bonn), Über Saugbehandlung bei Erkrankungen der
Nebenhöhlen der Nase. (Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. 57, H. 1, S. 23.) Walb u.
Horn haben, nachdem allerdings schon andere (Seifert u. Rethi, Sonder¬
mann) auf diesem Gebiete vorangegangen waren, die Saugbehandlung im
Sinne der Bier’schen Stauungstherapie auf die erkrankten Nebenhöhlen der
Nase übertragen, indem sie dabei besonderen Wert auf die richtige Messung
und Bemessung des angewandten negativen Druckes legten.
Diese Methode ist zunächst ein gutes Mittel, die differentielle Diagnose
genauer zu stellen als früher. Sie ist aber auch ein wirkliches Behand¬
lungsmittel, und zwar für alle akuten Fälle im absoluten Sinne, für chro¬
nische Fälle insoweit, als sie die Beschwerden mildert. Die Beobachtung
der Druckhöhe ist wesentlich; in akuten Fällen genügt niedrigerer Druck,
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Referate und Besprechungen.
in chronischen Fällen ist. ein höherer Druck nöthig. Da ein konstanter —
negativer — Druck nur mit einer Saugkraft, die ein starrwandiger Apparat
liefert, erzeugt werden kann, so ist eine aus Metall angefertigte Pumpe an-
zuwenden, die es auch ermöglicht, jede Nasenseite für sich allein in Angriff
zu nehmen. Die bisher verwandten Ballons sind nicht imstande, die nötigen
Druckgrade zu leisten. Im Durchschnitt sind in akuten Fällen 5—10 cm,
in chronischen 12—17 cm Druckhöhe (Quecksilber) erforderlich. Eine zu
große Drucksteigerung zeigt sich an durch Eintritt einer Blutung. Eine
ständige Überwachung der Behandlung ist notwendig, und man kann nur
intelligenten und hinreichend eingeübten Patienten gegebenen Falles die Saug¬
methode zur Selbstbehandlung an vertrauen. Richard Müller (Berlin).
Zur prophylaktischen Desinfektion der Nase bei Gesunden gegen kon-
tagiöse Erkrankungen, Grippe, Meningitis, Masern, Scharlach, da Nasenspü-
lungen wegen der Gefahr einer Otitis zu vermeiden sind, hat Bourgeois nach
vielen Versuchen als das beste gefunden Perubalsamsalbe: Bals. Peruv. 0,75,
Lanolin 5,0, Vaselin 10,0. Auch bei Schnupfen kann diese Salbe gleich zu
Beginn mit Erfolg angewandt werden. Bei Epidemien wenden die gesunden
Gefährdeten diese Salbe am besten morgens und abends an. (Les nouv. remed.,
Nr. 19, 1910.) v. Schnizer (Höxter).
Diätetik.
Franke! (Berlin), Praktische Erfahrungen mit dem Köstritzer Schwarz¬
bier bei der Darmatonie. (Medico, Nr. 28—30, 1910.) Verfasser zeigt an
Hand von zahlreichen wissenschaftlich beobachteten Fällen von Darmatonie,
wie das Köstritzer Schwarzbier bei dieser Krankheit, die den Patenten so
viele Entbehrungen auferlcgt und gerade das Genußmittel „Bier“ m allge¬
meinen versagt, als Untersttützungs- lind Genußmittel nicht nur gestattet,
sondern direkt empfohlen werden soll. Bei seinen Prüfungen macht der
Verfasser die interessante Beobachtung, daß das Bier nicht nur appetit- und
verdauungsanregend wirkt, sondern überhaupt die Darmtätigkeit nach beiden
Seiten hin, sowohl bei Verstopfung wie bei Durchfall, reguliert. Gleich¬
zeitig findet der Verfasser dieselben Erfahrungen, die er bereits in seiner
vor einem Jahre veröffentlichten wissenschaftlichen Schrift „Die Wirkung
des Köstritzer Schwarzbiers bei der Blutarmut“ anführt, wieder bestätigt,
nämlich die blut- und zellenbildende, kräftigende Wirkung des Bieres
an sich.
Verf.. der sich eingehend mit der Studium der Analyse des Köstritzer
Schwarzbiercs beschäftigt zu haben scheint, zeigt gleichzeitig unter An¬
führung eines Artikels von Emsländer (Zeitschrift für Chemie und In¬
dustrie. Nr. 3, 1910), aus welchen Gründen das Köstritzer Schwarzbier
einmal als gehaltreich, stärkend und blutbildend anzusehen, ferner wodurch
es leicht resorbierbar ist und appetitanregend wirkt. Von ganz besonderer
Wichtigkeit scheint jedoch bei diesen Ausführungen die Tatsache zu sein,
daß das Köstritzer Schwarzbier in seinem sogenannten Farbmalz (einem
besonders gedarrten Malze) einen Faktor besitzt, der Eiweiße und andere
Stoffe für den Körper besonders ausnutzbar macht. — Demnach wirkt das
Köstritzer Schwarzbier nicht nur durch sich selbst, sondern auch indirekt.
Gerade diese letzte Eigenschaft des Bieres, die durch mannigfache che¬
mische Versuche, die hier wiederzugeben zu weit führen würden, scheint
von großer therapeutischer Bedeutung zu sein. Hauptsächlich aus dieser Be¬
obachtung heraus erklärt sich zum größten Teil der hervorragende Wert
des Bieres, nämlich nicht nur die blutbildende (z. B. Laktation, Schwäche -
zuständen usw.), sondern auch die Magen-Darm regulierende Kraft. Und
aus dieser Tatsache wieder läßt sich dann der Schluß ziehen und der Beweis
führen, daß das Köstritzer Schwarzbier ein besonders geeignetes Mittel ist
auch bei allen denjenigen Krankheiten, bei denen der Magen, wie der Darm
in Frage kommt. Es würde sich daher wohl lohnen, auf diesem Gebiete
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Referate und Besprechungen.
71
weitere Versuche anzustellen, wozu die Arbeiten des genannten Verfassers
»Die Wirkung des Köstritzer Schwarzbieres auf die Blutarmut, Praktische
Erfahrungen mit dem Köstritzer Schwarzbier bei der Darmatonie), wie auch
der Artikel von Dr. Flemming in der ,,Klinisch therapeutischen Wochen -
schrift“, Nr. 310, genügend Anregung geben. Neumann.
Medikamentöse Therapie.
H. Boruttau, Das Verhalten der wichtigsten therapeutisch angewen¬
deten organischen Jod- und Bromverbindungen im Tier- und Menschen-
organismus. (Zeitschr. für experim. Path. und Therapie, Bd. 8, H. 2.)
Neben anderen Halogeneiweißkörpern, teils solchen, die das Halogen nur
locker oder nur fest gebunden enthalten, wurden auch das Jodglidine und
Bromglidine berücksichtigt. Die Ergebnisse betreffen die Ausscheidung,
die Art. der Resorption, des Transportes im Blute, sowie endlich die Ab¬
lagerung des Jods und Broms in den Organen.
Es fand sieh, daß bei allen Arten Jod- und Bromeiweiß das Jod und
Brom zum allergrößten Teile als Alkalisalz im Harn zur Abscheidung ge¬
langt. Die Ausscheidung des Jods ist ebenso schnell beendet wie bei der
Aufnahme von Jodalkalien, verläuft aber in gleichmäßigerer Form, indem
offenbar die Resorption weniger schnell erfolgt. Verdauungsversuche zeigten,
daß sowohl durch den Magensaft wie auch durch den Pankreassaft Jod
bez. Brompeptone gebildet werden und das Halogen als solches bez. Halogen -
Wasserstoff säure oder Halogenalkali im Magen nur wenig, im Darm erst
mit der Resorption der Verdauungsprodukte vollständig resorbiert wird.
Die Ablagerung von Jod in den Organen erfolgte bei allen untersuchten
Verbindungen nach einer bestimmten Reihenfolge derselben; an der Spitze
steht die Schilddrüse und das lympathische System, dann folgen die Aus-
scheidungsorgane Niere und Lunge usw. Vorhandensein von Jod im Nerven-
und Fettgewebe war, wenn auch in geringen Mengen, auch bei Jod-
kali und Jodglidinedarreichung zu konstatieren; sie erreichte auch bei
Verbindungen, denen besonders ausgesprochene Lipo- und Neurotropie des
Jodes zugeschrieben wird, keine höheren Werte in den erwähnten Organen,
soweit es sieh um therapeutisch verwendbare Verbindungen handelt. Nur
subkutan injiziertes Jodfett bildet wirkliche, sehr langsam einschmelzende
„Joddepots“.
Ganz anders als das Jod verhält sich das Brom; es verdrängt nach
Wyß in den Flüssigkeiten und Organen das Chlor und setzt sich teilweise
an. dessen Stelle, um nach Aussetzen langsam wieder ausgeschieden zu wer¬
den. In Form des Bromglidine an das Nahrungsmittel „Lezithineiweiß“
gebunden, gelangt es schnell zur Resorption und wird ebenso allmählich
ausgeschieden, wie bei allen anderen Bromverbindungen. Neumann.
R. von den Velden, Zur Ausscheidung des Jodes im Harn unter nor¬
malen und pathologischen Verhältnissen beim Menschen nach Zufuhr an¬
organischer und organischer Jodpräparate. Vortr. führt aus, daß man, ab¬
gesehen von der rein klinischen Beobachtung über die Wirksamkeit einer
internen Jodtherapie, zum mindesten 3 Kriterien besitzen müsse um bei der
noch herrschenden Unsicherheit unserer Kenntnisse über die Dynamik des
Jodes einen gewissen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit der zugeführten
Jodpräparate zu haben. Er betont die Wichtigkeit des Studiums der Resor¬
bierbarkeit im Darm, der Verteilung im tierischen Organismus und der
Ausscheidungsgrößen in Harn und Kot. Die Jodfettkörper zeigen eine
wechselnde Resorbierbarkeit, die hinter der des Jodkalis zurücksteht. Nor¬
malerweise betragen hier die Verluste 3—12%; doch steigert sich der Ver¬
lust bei Störungen der Magen-Darmfunktion, insbesondere bei Störungen
der Fettverdauung. Untersucht wurden die Jodverbindungen der Valerian-
säure, das Jodival, sowie der Behensäure, der Fettsäuren des Sesamöles und
der Dijodbrassidinsäureäthylester. Die Ausscheidungsverhältni *se im Harn
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72 Referate und Besprechungen.
ergaben bei pathologischen Zuständen bemerkenswerte Abweichungen gegen¬
über der Normalkurve. So fand sich bei stomachaler Jodkalizufuhr eine
verlangsamte, bei Jodivalverabreichung eine beschleunigte Ausscheidung.
Letzteres erklärt Vortr. durch die unter pathologischen Verhältnissen inten¬
siver und schneller eintretende Abspaltung des Jodes aus dem hier vor¬
liegenden organischen Komplex. Auch das Studium der Verteilung ist für
die Praxis nach Verf. Ansicht nicht bedeutungslos. Er fußt dabei auf den
bekannten Loeb’schen Untersuchungen über die Umschaltung des nicht lipo -
tropen Jodes in ein lipotropes durch Kuppelung mit lipoidlöslichen Gruppen.
Wenn auch die Lipotropie vorerst nur im Tierexperiment nachgewiesen ist,
so glaubt Vortr. dies Resultat auch auf den Menschen übertragen zu dürfen.
Nach seiner Ansicht kann es therapeutisch nicht bedeutungslos sein, daß
auf diese Weise die Organotropie des Jodes geändert ist, und er betrachtet
dies neben der langsamen Abspaltung des Jodes als einen Vorteil der Therapie
mit Jodfettkörpern. Neumann.
Schirokogorow (Dorpat), Die Wirkung des Jods (Jodglidine) auf das
Herz. (Pctersb. med. Wochenschr., Nr. 42, 1909.) Verf. experimentierte an
Kaninchen verschiedenen Alters und Geschlechtes. Er gab ihnen Jodglidine
per os, vermischt mit Brot; dazu wurden die Tabletten gewöhnlich zu Pulver
zerrieben und mit weichem Schwarzbrot im Mörser zu einer Art Pillenmasse
gemischt. Nachdem eine ziemlich gleichmäßige Mischung entstanden war.
wurden Kügelchen geformt, die von den Kaninchen mit großem Appetit
verspeist wurden. Die Pillenfütterung geschah täglich oder in Zwischen¬
räumen von 1—2 Tagen in einer Menge von 2—4 Kügelchen auf einmal.
Diese Dosen vertrugen die Tiere ohne sichtbares Unbehagen und nahmen
während der Experimente an Gewicht nicht ab; die jungen, noch wachsen¬
den Kaninchen aber nahmen zu, ebenso wie die Kontrolltiere. Die Experi¬
mente dauerten 2—3 Monate lang, dann wurden die Tiere getötet und die
ausgeschnittenen Herzen auf 1—2 Tage in 2—3°/oi# e Normallüsung gelegt.
Dann wurden die Blutgcrinsel entfernt, das Herz gründlich ausgewaschen
und gewogen. Darauf berechnete Sch. das Verhältnis des Herzens zu dem
des Körpers.
Die vom Verf. mitgeteilte Tabelle zeigt, daß bei 9 von 11 Tieren das
\ erhältnis des Gewichtes des Herzens zum Gewichte des Körpers gleich
1: 500—1: 557 ist, was im Vergleiche mit den mittleren Verhältniszahlen des
normalen Herzens (1:300—1:350) einen ungeheuren Unterschied aufweist.
Eine derartige Verkleinerung des Herzens, die mit seltener Beständigkeit
bei mit Jod behandelten Tieren beobachtet wurde, kann, wie Verf. meint,
unmöglich einem Zufall zugeschrieben werden, sondern muß als direkte
Folge des Jodgebrauches bezeichnet werden. Zur Erklärung dieser Erschei¬
nung setzt Verf. voraus, daß infolge der Herabsetzung der Viskosität des
Blutes durch die Wirkung des Jodglidines, dessen Jod direkt ins Blut übel ¬
geht, die Arbeit des Herzens geringer und infolgedessen eine funktionelle
Atrophie desselben hervorgerufen wird. R.
„Über Ersatzpräparate im allgemeinen und die des Tannalbins im
besonderen berichtet Linke in der Apotheker-Zeitung, Nr. 65 u. 66, 1910.
Der Verfasser bespricht zunächst die Ersatzmittelfrage und die rechtliche
Seite betreffs der Verantwortlichkeit von Ärzten, Kassen und Apothekern
bei Abgabe von billigen Ersatzpräparaten an Stelle der verordneten Patent-
Präparate, betont dann, daß der Apotheker oft nicht mit gutem Gewissen
die als gleichwertig angepriesenen Ersatzmittel dispensieren könne und be¬
weist dies an den Ersatzmitteln des Tannalbins, insonderheit am Tannin,
a buminat., das abgesehen von einem viel geringeren Tanningehalt wegen
.somei größeren W iderstandfähigkeit gegen die Verdauungssäfte wohl ziemlich
ungespalten den Darm wieder verlasse. Außerdem müßten die mit Hühner¬
eiweiß oder Bluteiweiß hergestellten Tanninalbuminate, von denen die letzte-
ien erheblich billiger sind, physiologisch geprüft, werden, damit man wisse.
wie dieselben als Heilmitte l zu bewerten seien. Neumann.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich mm Preise von 5 Mark
j für das Halbjahr.
■ Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ==
26. Januar.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
Von Dr. Uecker, Weilmünster.
Soweit der Arzneimittelschatz der Irrenheilkunst und -pflege
dienstbar gemacht worden ist, kann man denselben zweckmäßig einteilen
in rein symptomatisch wirkende und mehr oder weniger spezifisch
wirkende Mittel. Unter den ersteren nehmen den weitaus breitesten
Kaum die Sedativa, die Hypnotika und Narkotika ein, wie sie der Be¬
kämpfung von Verstimmungen, psychischer und motorischer Unruhe, Er¬
regungen. Tobsuchtsanfällen dienen. Um zunächst bei ihnen zu verweilen,
möchte ich diese Beruhigungsmittel einteilen in milde, kräftiger wir¬
kende und drastische.
a. Milde wirkende Beruhigungsmittel.
I. Baldrianpräparate. Der Ruf der Baldrianpräparate ist alt.
Ihre Wirkung ist früher vielfach überschätzt, in letzter Zeit aber sicher
vielfach unterschätzt worden. Wenngleich zugegeben werden muß, daß
sie zu den allermildesten Nervinis gehören, so darf doch andererseits
nicht verkannt werden, daß der wirksame Bestandteil der Baldrian¬
wurzel. das Borneol, die Reflexerregbarkeit nachgewiesenermaßen herab¬
setzt. Dazu kommt noch, daß die Baldrianpräparate durchweg so un¬
schädlich sind, daß sie ohne Schaden täglich und ohne ängstliche Dosie¬
rung vom Irrenarzt, der seinen suggestiven Einfluß durch eine Rezeptur
zu unterstützen wünscht, verordnet werden können. Großer Beliebtheit
erfreut sich da neben dem einfachen Infus, dem beliebige etwaige aus
anderen Gründen zu verordnende Arzneimittel zugesetzt werden können,
vor allem der sogenaimte „antihysterische Tee“, der zu gleichen Teilen
aus Fol. aurant., Fol. menth. piper., Fol. trifolii und Rad. valerian.
besteht. Ebenso bilden die Baldriantinkturen 1 ), von denen man nur bei
der Tinct. valerian. aetherea sich an eine mäßige Tropfenzahl (bis
höchstens 20!) halten muß, noch immer eine viel angewandte Verord¬
nung. Von neueren Arzneimitteln der Baldriangruppe sind zu erwähnen:
Bornyval (Originalschachteln von Gelatinekapseln ä 0,25, ein-
bis zweimal tägl. 1—2 Stück); bei Neurasthenie, besonders der sexu¬
ellen, bei Hysterie, manisch-depressivem Irresein, Herzneurose und zur
1 ) Als alkoholfreie Tinktur ist außer den offiziellen noch die Rad. Valerian
dialysat., als alkoholarme das Valifluid (mehrmals täglich 3—4 Tropfen) in den
Handel gekommen.
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Unterstützung in der Behandlung epileptischer Erregungszustände emp¬
fohlen.
Bromvalidol (Originalglas mit 10 oder 25 Tabletten, dreimal
tag]. 1 — 2—3 Stück), bestehend aus Bromnatrium, Magnes. ust. und
Validol, besonders indiziert bei hartnäckigen hysterischen Zuständen
im Beginn des Klimakteriums.
Eubornyl, Bromisovaleriansäureborneolester (eine Pille [a 0,1]
oder 2 Tropfen, steigend bis auf die dreifache Dosis, dreimal tägl.);
die sedative Wirkung ist gelobt worden, Nachuntersuchungen stehen
aber noch aus.
Gynoval (Originalschachteln mit Gelatineperlen, 2 Stück zwei-
bis dreimal tägl.); geeignet für Fälle von Hysterie, nervöser Insomnie,
Angst- und ähnlichen Zuständen. Angenehmer aromatischer Geruch.
Validol (mehrmals tägl. 10—15 Tropfen), bekannt als vielver¬
wandtes Mittel gegen Seekrankheit, enthält ziemlich viel Menthol;
wirksam gegen Hysterie, besonders gegen nervöses Erbrechen • und
sonstige nervöse Magenbeschwerden.
Valisan (Gelatineperlen ä 0,25 oder 2-—5 Tropfen zwei- bis drei¬
mal tägl.); brauchbar bei geistiger und körperlicher Abspannung, Schlaf¬
losigkeit, Kopfschmerz. Enthält 25°, 0 Brom.
Valofin (mehrmals tägl. 10 15 Tropfen in heißem Zuckerwasser);
soll geeignet sein, nervöse Zustände aller Art, besonders solche,
die mit Angst, Unruhe, Blutwallungen usw. verbunden sind, mit Erfolg
zu bekämpfen.
Valyl (Originalflakons von Gelatinekapseln ä 0,25, dreimal tägl.
2—3 Kapseln); soll die Psyche günstig beeinflussen, indem es bei
Hysterie, Neurasthenie und hypochondrischen Zuständen, auch hier und
da gegen Agrypnie, eine Wendung zum Guten herbeizuführeu, im¬
stande sei.
2. Brompräparate. Etwas stärker als Baldrian beeinflußt Brom
das Nervensystem, dessen ,,innere Spannungszustände“ gemildert werden.
Daß man versucht hat, die Baldrianwirkung durch Brom zu verstärken,
beweisen die oben genannten Präparate Bromvalidol und Valisan. Für
leichte Erregungszustände Geisteskranker genügt manchmal die Broni-
wirkung. Besonders gern kombiniere ich in nicht zu schweren Fällen,
auch zur Schlaferzeugung, 2 g Paraldehyd oder 1 g Chloralhydrat
mit einigen Gramm Brom. Besonders wirksam sind die Brompräparate
bei der Bekämpfung epileptischer Erregungszustände, bei denen ihnen
eine gewisse spezifische Wirkung nicht abzusprechen ist. Auch in der
Bekämpfung der epileptischen Anfälle ist nach dem heutigen Stande
der Wissenschaft Brom noch nicht zu entbehren. Die anfängliche Be¬
geisterung für die Opiumbromkur Flechsig’s, bei der Opium in stei¬
genden Dosen und dann nach einigen Wochen statt dessen große Brom¬
dosen gegeben w’urden, wodurch man die Epilepsie heilen zu können
glaubte, hat wesentlich nachgelassen. Man hat dann versucht, Epilep¬
tikern in der Nahrung das Chlorsalz zu entziehen und statt dessen
Broinsalz zu geben (metatrophische Behandlungsmethode nach Tou¬
louse -Itichet). Die Erfahrungen waren erst recht schlimme, indem
rapider geistiger Verfall bei allerdings reduzierter Anfallsfrequenz ein¬
trat. Doch scheint es, als wenn eine teilweise Ersetzung der Chlor¬
zufuhr durch Brom vor der allein geübten Bromdarreichung den Vorzug
intensiverer Wirkung und rascheren Erfolges bat. So hat sich Brom
immer noch als bestes Mittel in der Epilepsiebeliandlung bewährt.
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Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
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Bei periodischen (und zirkulären) Seelenstörungen sind auch hier und
da durch Darreichung großer Bromdosen (12—15 g pro die) die bereits
wetterleuchtenden neuen Erregungsphasen kupiert worden. Überhaupt
braucht man in schweren Fällen mit der Bromdarreichung nicht so
ängstlich zu sein, die wirklich toxische Dosis liegt recht hoch und mit
steigenden Dosen erreicht man leicht eine erhöhte Toleranz. Ein gut
Teil der früher als „Bromismus“ bezeichneten Fälle sind sicher dem
Brom mit Unrecht in die Schuhe geschoben worden, da man das Wesen
epileptischer Degeneration noch zu wenig kannte. Es ist nur Vor¬
sicht geboten bei dem Bromkali, von dem man nicht mehr als 3 bis
höchstens 4 Gramm pro Tag gebe. Ich komme damit auf die einzelnen
Präparate des Broms. Alle Kalisalze wirken bekanntlich ungünstig
auf das Herz und so hat man in der Diät behänd lung der Epileptiker,
wie sie oben erwähnt ist, lediglich das Bromnatrium in der Küche ver¬
wandt ; bekannt ist ferner jedem Praktiker die Erlenmeyer sehe Mischung
von je 2 Teilen Bromkali und Broninatron sowie 1 Teil Bromammonium;
ebenso erfreut sich noch eines guten Hufes Sandow’s „brausendes Brom¬
salz“. Ein harter Kampf ist entsponnen in der Frage, ob Bromsalz
oder organische Brompräparate den Vorzug verdienen. Die Akten hier¬
über sind noch glicht geschlossen, und ich will deshalb der Gerech¬
tigkeit halber noch einige bekanntere organische Präparate der modernen
Piiarmazie hier folgen lassen:
Bromalin, Hexamethylentetraminbromäthylat (Erwachsene 1 bis
2—4 g mehrmals tägl. in Pulvern, Kinder 2—4 g tägl. in Lösung),
teils als Sedativum, teils als krampfstillendes, dabei nebenwirkungs-
freies Mittel empfohlen.
Bromeigon, eine Bindung des Broms mit Eiweiß, welche ca.
ll‘V 0 Brom enthalten soll (6 g pro die oder mehr); Wirkung auf die
Anfallsfrequenz nicht so deutlich wie bei den Brorasalzen, aber weit
weniger toxisch.
Bromglidine, pro Tablette 0,05 g Brom an Lezithineiweiß ge¬
bunden (1—2—4 Tabletten mehrmals tägl., bis zu 14 Tabletten pro
die, eventuell steigend), bei Neurasthenie, Hysterie und Epilepsie mit
Erfolg gegeben; keinerlei Intoxikationserscheinungen, Wirkung aber
langsam.
Bromipin, eine 10 oder 33 1 / 3 °/ 0 ige Bindung des Broms an Sesamöl
(Säuglinge so viel Gramm, wie sie Mbnate alt sind, vom 4. Lebensjahre
an dreimal tägl. 1 Teelöffel, Erwachsene eventuell mehr) selbst da gegen
epileptische Krämpfe verwendbar, wo ob intensiver .Aknepusteln gerade
Neigung zu Intoleranz gegen Bromalkalien besteht; leider recht teuer.
Auch in Tablettenform.
Bromocoll, Tanninleimverbindung mit 20°/ 0 Brom (1—2 lg
mehrmals tägl.), soll Wirkung wie Bromkali haben, nur in alkalischer
Flüssigkeit löslich, bei Epilepsie und Nervenkrankheiten empfohlen,
soll vom Magen besser vertragen werden.
Sabromin, ca. 30°/ o Brom enthaltendes Kalziumsalz der Dibrom-
behensäurc (Tabletten von 0,5, 3- 6 Stück pro die), wegen der lang¬
samen Desorption geeignet für protrahierte Kuren. Nebenerscheinungen
selten beobachtet, besonders Brornakne nicht zu befurchten; krampf¬
stillend in kleineren Dosen zu gebrauchen als Bromkali. Als Schlaf¬
mittel 2—3 Tabletten zwischen 5 und 6 Uhr, eventuell nach dein
Abendbrot noch l—2. —
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Wir sehen also: Die Wirkung der neuen Brompriiparate ist nicht
immer ganz sicher und die Bromdosierung, selbst wenn der Brom¬
gehalt prozentualiter bekannt ist, tappt etwas im dunklen. Andererseits
ist die Bromakne bei der Darreichung der Bromsalze eine unangenehme
Begleiterscheinung, die, wenn sie sich bemerkbar macht, Ersatzpräparate
heischt.
Mehr schon in die Gruppe der Schlafmittel gehörig und weniger
als krampfstillende Therapie verwendet sind dann noch zwei bisher
nicht erwähnte Präparate, die auch Brom enthalten, nämlich Neuronal
und Bromural. Beide sind relativ harmlose Schlafmittel, die man
in kleineren Dosen auch eventuell Kindern geben darf. Man gibt vom
Neuronal 0,5—2,0 in Pulver- oder Tablettenform, vom Bromural, das
übrigens auch noch wieder etwas Baldrian enthält, 0,3—0,6 in Tabletten¬
form, Kindern je nach Alter halbe oder viertel Dosis. Beide Mittel
eignen sich besonders für Neurastheniker, bei denen inan ja die An¬
wendung stärkerer Mittel zu vermeiden bestrebt ist, nachdem man
durch Hydrotherapie, Diätetik und Suggestion die Nachtruhe genü¬
gend vorbereitet hat. Gewöhnung tritt nach mehrmalig hintereinander
gegebener Dosis auf wie bei jedem Schlafmittel. Auf epileptische An¬
fälle haben beide Mittel anscheinend nur geringen Einfluß, doch er¬
leichtern sie das Einschlafen bei gesteigerter Affekterregbarkeit und
vasomotorischen Störungen, versagen natürlich bei stärkeren Erregungs¬
zuständen oder wo Schmerzen bestehen.
3. Alkohol. Wegen der Gefahren, die der Alkoholismus als
Endemie bietet, schlugen einige Autoren vor, ihn an der Psychiatrie,
wo er indiziert erscheint, nur in Form einer Mixtur zu verwenden.
Die meisten Irrenärzte aber benutzen Ithein- oder Süd wein. Der Wert
des Alkohols liegt in seiner euphorisierenden Kraft. Er findet deshalb
Anwendung da, wo Schlaflosigkeit sich mit trauriger Verstimmung
paart, was bei einigen Fällen von Melancholie oder Hypochondrie, bei
Verstimmungen der senilen Demenz und bei mehreren Formen der
Neurasthenie vorkommt. Besonders indiziert ist Alkohol als abend¬
liches Schlafmittel (1—2 Glas Portwein), wo neurasthenische Zustände
durch einen äußeren temporären Anlaß bedingt sind, z. B. beim Examen¬
kandidat. der durch Furcht und gleichzeitige geistige Überanstrengung
sich die regelmäßige Nachtruhe verscherzt. Ganz geringe Mengen Alko¬
hols, beispielsweise 1—2 Flaschen Bier wöchentlich, finden noch in
Anstalten Verwendung als Arbeitslohn zur Unterstützung in der Be¬
schäftigungstherapie. Im allgemeinen muß der Alkohol als kontra¬
indiziert gelten bei Kindern, Epileptikern, bei manchen Imbezillen,
bei den meisten Alkohol degenerierten und bei einigen anderen Men¬
schen, die. ohne daß ein Grund ersichtlich wäre, eine Intoleranz gegen
Alkohol besitzen. Die möglichst nicht zu überschreitende Tagesdosis
ist 30—40 g, Einzeldosis 15—20 g. Was mit diesen Dosen nicht zu
erreichen ist, versuche man nicht durch Steigerung der Dosis zu er¬
zwingen, sondern durch stärkere Narkotika dem Patienten zu ver¬
schaffen. Der Bheinwein gilt durchschnittlich als 10-, der Südwein
als 25°/ 0 iger Alkohol.
4. Paraldehyd (ad y,o pro do$i, ad io,o pro die) übt ähnliche
Wirkung wie der Alkohol aus, doch ist die euphorisierende Kraft
geringer, die schlafmachende bedeutend stärker. Es hat die unangenehme
Nebenwirkung, daß es konzentriert und ohne die nötige Verdünnung
die Schleimhäute reizt, daß die Atmungsluft, oft noch am andern Tage,
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Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
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nach Paraldehyd riecht und daß der Geschmack manchem Patienten
widerwärtig ist. Die toxische Dosis liegt recht hoch, so daß man hei ein-
tretender Gewöhnung sich für berechtigt halten darf, die Maximal¬
dosis zu überschreiten. Paraldehyd findet als Schlafmittel Anwendung
bei allen möglichen Psychosen depressiver Art, insbesondere bei der
senilen und arteriosklerotischen Demenz, wo man ungiftige und doch
einigermaßen sichere Schlafmittel braucht, dann auch bei psychogener
Insomnie, w*o man wegen etwa bestehenden Herzfehlers andere Narkotika
scheut; schließlich wurde es auch empfohlen in Form von Klysma (mit
Gummi arabicum oder sonstiger „einhüllender“ Substanz zu versetzen!)
beim paralytischen Status, und zwar auch, da sonst unwirksam, das
Doppelte oder Dreifache der Maximaldosis. Paraldehyd ist kontra-
iudiziert bei Ulcerationen im Magen, intestinalen Störungen und tuber¬
kulösen Kehlkopfgeschwüren wegen der schon genannten örtlich reizen¬
den Wirkung.
5. Codeinum phosphoricum (ad o,i pro dosi, ad o,ß pro die)
entfaltet eine dem Morphin ähnliche aber wesentlich schwächere Wirk¬
samkeit;, welche geboten erscheinen läßt, es hier zu den milden Sedativis
zu rechnen. Hier und da findet cs Anwendung bei Hysterischen und
Neurasthenikern, "wenn man klugerweise die heroische Wirkung ver¬
meiden will, oder gegen Unruhe der Melancholiker, wo man unter
Umständen mit milden Mitteln auskommt. Beliebt ist auch bei manchen
Ärzten ein Kodeinzusatz zu Brommixturen, deren Wirkung dadurch
verstärkt wird. Der ziemlich hohe Preis verbietet meist die längere
Anwendung in der Praxis pauperum.
b. Kräftiger wirkende Beruhigungsmittel.
1. Opiate. (Opium und Extract. opii ad o ,/ y pro dosi, ad oj
pro die ; Tinctura opii simplex ad /,/ pro dosi, ad i,o pro die.) Wo die
Opiate in der Psychiatrie verwendet werden, ist es stets nötig, durch
Einläufe, eventuell auch Laxantien, für Regelung des träger werdenden
Stuhlgangs gleichzeitig Sorge zu tragen. Das Indikationsgebiet
bilden, abgesehen von der Darreichung hei der bereits erwähnten
Opium-Brom-Kur gegen Epilepsie, hauptsächlich Depressionszustände
aller Art. gegen die dem Opium von manchen Psychiatern eine geradezu
spezifische Wirkung zugeschrieben wird. Nach eingetretener Gewöh¬
nung kann man nötigenfalls ruhig die Maximaldosis überschreiten. In
erster Linie gibt man es bei der Melancholie, im Falle von Nahrungs¬
verweigerung ist es ratsam, es dem Nälirklysma zuzusetzen, wodurch
man gleichzeitig eine größere Ausnutzung der Nährflüssigkeit erzielt.
Es liegt in der Natur psychischer Leiden, daß sie wochenlang ziemlich
unverändert bleiben; da muß dann natürlich auch eine mehrwöchentliehe
stets leicht zu steigernde Opiumdarreichung Platz greifen. Manche
Autoren widerraten allerdings dieser immerhin nicht ganz indifferenten
Kur, deren Wirkung, wenn überhaupt zu erwarten, bereits nach acht
Tagen sichtbar sei. Jedenfalls darf man eine bereits begonnene und
zu hohen Dosen gelangte Opiumkur nicht brüsk abbrechen, sondern
muß allmählich, wenn auch schneller als beim Ansteigen lassen der
Dosen, wieder zurückgehen. Man kann das Opium auch subkutan ver¬
wenden, entweder als Tinct. opii aquosa (Solution von 1:20, davon
ein- bis zweimal tägl. 1—2 Pravazspritzen) oder in Form des neuen,
die Gesamtalkaloide des Opiums in gelöstem Zustande enthaltenden
Pantopons (2°/ 0 iges Pantopon pravazspritzen weise) verwenden, was den
Vorteil rascherer Wirkung hat.
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2. Dionin, Ersatzmittel des Morphins, soll eine beruhigende Wir¬
kung in vielen Fällen von De press ions- und Erregungszuständen leichten
und mittleren Grades bei chronischen Halluzinanten und bei Melancho¬
likern ausgeübt haben; Dosierung wie die des Morphins.
3. A m vier hvd rat (ad 4,0 pro dosi. ad 8 ,o pro die) findet als
Schlal’- und Beruhigungsmittel auch hier und da Anwendung. Es hat
den Nachteil, erst in etwa 15 Teilen Wasser gut löslich zu sein und
gleich dem Paraldehyd nur mit „einhüllendem“ Ivorrigens zusammen
gegolten werden zu können. Gelobt, wurde es l>osonders zur Bekämpfung
des Status epiiepticus, wo es als Klysma gegeben werden soll.
4. Hypnal, eine Verbindung von Choralhydrat und Antipyrin,
wird zu 12 g in Pulver oder Lösung gegeben. Schlafmittel, das
seiner Zusammensetzung wegen auch dann Wirkung haben soll, wenn
Schmerzen oder Husten den Schlaf stören.
5. lsopral, chemisch dem Chloralhydrat ähnlich, 0,5 —1,0—2,0
pro dosi in Mixtur (schlechter brennender Geschmack l) oder als Klysma.
Auch wurde empfohlen, etwa 4 g eines Ol-Alkoholgemisohes (lsopral
30,0, Ol. ricini, Aleohol absolut., aa 10,0) in die Haut einzureiben, von
wo genügend resorbiert wird, um Schlaf zu erzeugen. Es wirkt in
größeren Dosen toxisch auf das Herz, doch nicht, so stark wie Chloral-
hydrate in derselben Höhe. In mittelsehweren Italien von Schlaflosig¬
keit. oder motorischer Unruhe brauchbar, bei heftigen Affekten oder
Schlafmittelslicht, meist nicht wirksam genug.
6. Hedonal, Derivat des obsolet gewordenen Urethrans, 1,0 bis
2,0 bis 4,0 g pro dosi, in Wasser schwer, in Alkohol leichter löslich,
wirkt diuretiscb, verdient in Fällen von Hypochondrie, beginnender
Paralyse und anderen Geisteskrankheiten, falls sie nicht von zu starker
Erregung begleitet sind, versucht zu werden.
7. Yiferral, mittels Pyridin polymerisiertes Chloral, 0,75—2,0g
pro dosi, in kaltem Wasser schwer, in warmem leichter löslich, unan¬
genehm bitter schmeckend. Besonders wirksam bei Hysterie und Neur¬
asthenie. Bei Erregungszuständen Geisteskranken schlaf bringend, wenn
die Erregung mittlere Grade nicht übersteigt, bei heftigen Erregungs¬
zuständen der Paralytiker, Epileptiker, Katatoniker u. dgl. nur etwas
beruhigend, nicht schlaf machend wirkend.
8. Pe.llotinum muriatio., aus einer exotischen Kakteenart her-
gestellt, war ca. 10 Jahre lang nicht im Handel zu haben, jetzt wieder
käuflich, aber exorbitant teuer! Man gibt 0,02 0,06 g pro dosi. Neben¬
wirkung Pulsverlangsamung. Als Beruhigungsmittel nur von mäßigem
M ert, doch kann es bei Erregungszuständen Epileptischer und Hyste¬
rischer versucht werden. Als Schlafmittel den unter 1—7 genannten
ebenbürtig; wirkt schneller und kann sowohl subkutan wie innerlich
gegeben werden.
ü. Ch lo r a 1 a m i d und Ch lo r a 1 f o rm a m i d (ad 4 ,o pro dosi, ad 8,0
pro dir} sind Mittel, welche aus dem Wunsch heraus entstanden ßind,
Chloralpräparate herzustellen, welche weniger toxisch auf das Herz
einwirken als Chloralhydrat; in 20 Teilen kalten Wassers, in warmem
besser löslich. Bei nicht, zu heftigen Schmerzen, z. B. bei Neurosen,
gut als Schlafmittel verwendbar, aber auch bei den eigentlichen Geistes¬
krankheiten, wo man sie zu der erforderlichen Abwechslung mit heran¬
zieht.
sind
10. Sulfonai (ad 2,0 pro dosi, ad 4,0 pro die) und Tetronal
chemisch sowohl wie klinisch sich sehr ähnlich. Man gibt 0,5
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Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
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bis 2.0 g pro dosi. aber in reichlicher Flüssigkeit lind einige Stunden
vor der gewünschten Wirkung wegen der sehr schweren Löslichkeit
in "W asser lind der dadurch verursachten langsamen Resorption. Bei
längerer Darreichung Kumulation und dadurch bedingte Nephritis zu
befürchten. Am meisten wohl noch verwandt l>ei maniakalischen Er¬
regungen. um tagsüber dauernd etwas sedativ zu wirken, während für
die Nacht die Hyoszin-Morphin-Spritze (s. u.) Platz greifen muß.
Wir kommen damit zu der Kombinierung zweier oder mehrerer
Schlaf- resp. Beruhigungsmittel, wie sie offenbar relativ stärker wirkt
als die hypnotische Kraft des einzelnen Mittels. Neuerdings sind viel
Erfahrungen in der Beziehung gesammelt und manche Zusammen¬
stellung gelobt worden. Auf diesem Prinzip beruht auch, um das noch
erst zu erledigen, die stärkere Wirkung des
11. Dorm io ls, das zu gleichen Teilen aus Chloral und Amylen-
hyd rat besteht, in Einzeldosen von 0,5—2,0 g, ausnahmsweise auch
bis ß g, gegeben wird und in 50°/ 0 iger Losung oder in Gelatinekapseln
von den Apotheken abgegeben wird. Das Dormiol gehört dieser ver¬
stärkten “Wirkung wegen wohl eigentlich schon zu den Drastizis, seiner
Zusammensetzung wegen und, da wir gerade bei dem Thema der Kom¬
binierung zweier Narkotika angelangt sind, nehme ich es liier vorweg.
Dormiol gilt als sicher wirkend bei vielen Fällen von Melancholie,
Depression und Hypochondrie. Besonderer Beliebtheit aber erfreut es
sich beim Status epilepticus, wo es die souveräne Therapie fies Amylen-
hvdrats zu verdrängen scheint, indem es gleichfalls als Klysma verab¬
folgt wird. Diesen Vorzug verdankt es jedenfalls wieder seiner kombi¬
natorischen Zusammensetzung, die die herztoxische Wirkung des Chloral-
hvdrats zum Teil ausschaltet.
Andererseits dienen kleine Chloraldosen dazu, die Wirkung der
Bronisalze zu überhöhen, wie auch Chloralhydrat selber durch Morphin
überhöht wird. Bei deliranter Verwirrtheit und ähnlichen unserer narko¬
tischen Therapie so oft spottenden Aufregungszuständen erwies es sich
als außerordentlich praktisch, einer relativ kleinen Veronaldosis
wiederum verhältnismäßig kleine Morphindosen hinzuzusetzen (0,25 bis
0.5 g Veronal und 0,005—0,01 g Morphin), wobei Auf- and Abwärts¬
bewegungen der Morphinmenge um 1 /. l eg bereits außerordentlich diffe¬
rent waren. Ich selber sali brillante Erfolge bei heftigen chroniscli-
maniakalischen Erregungen, wobei eine Gewöhnung an die Hyoszin-
Morphin-Spritze eingetreten war, wenn ich vor der Injektion 2—5 g
Paraldehyd reichen ließ, womit ich die Schlafdauer um einige Stunden
verlängerte. Wir sind mit dieser Betrachtung bereits in die Reihe der
Narkotika gelangt, die ich im Auge hatte, als ich eingangs von einer
dritten (Huppe dieser Mittel, von den Drastizis sprach. Doch ließ sich
dieser Exkurs, der eine neue Ara in der Bekämpfung der heftigsten
Aufregungszustände bei Geisteskrankheiten eröffnet zu haben scheint,
nicht umgehen.
c. Drastische Beruhigungsmittel.
1. Chloralhydrat (ad ],o g pro dosi, ad 6,o g pro die), leicht
löslich, von etwas bitterem Geschmack, der aber leicht durch Sirup¬
zusatz zu korrigieren ist, dann von den meisten Geisteskranken, sofern
dieselben überhaupt einnehmen, willig geschluckt wird. Seine fatale
Nebenwirkung, die Eigenschaft, die Herztätigkeit ungünstig zu beein¬
flussen, wurde bereits gestreift und läßt es geboten erscheinen, im all¬
gemeinen die Dosis von 2 g nicht zu überschreiten und bei Kindern,
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Becker, Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
alten Leuten und Herzkranken mit der Darreichung* außerordentlich
vorsichtig zu sein. Auch das Indikationsgebiet, das hauptsächlich deli-
rante und raaniakaliselie Erregungen umgreift, wurde bereits ange¬
deutet. Trotz seiner Schattenseiten ist Chloralhydrat immerhin noch
eines der sichersten Schlafmittel und deshalb dieser dritten Gruppe
zuzuzählen 1 ). Auch wird seine bequeme Darreichung und der billige
Preis des Präparats ihm seinen Platz im psychiatrischen Arzneischatz
vorläufig wohl immer noch bewahren.
2. Trional, das am kräftigsten wirkende und deshalb hierher
zu zählende Präparat der Sulfonalgruppe, in gleicher Dosis zu geben
wie Sulfonal; ist etwas leichter in Wasser löslich als Sulfonal, worauf
vielleicht seine erhöhte Wirksamkeit mit beruht. Je intensiver ein
Beruhigungsmittel wirkt, desto größer ist s dn Indikationsgebiet in der
symptomatischen Irrenbehandlung, deshalb kann man bei Trional schon
aufzählen: Manie, Neurasthenie, Amentia, überhaupt alle akuten, mit
Halluzinationen oder motorischer Erregung einhergehenden Psychosen.
Der Preis ist um die Hälfte höher als der des Sulfonals.
3. Veronalpräparate. Hierzu gehören das Yeronal (Merck) und
das demselben chemisch völlig gleichartige Acidum diaethylbarbituricum
(Höchst), ferner das Verona Inatrium (Merck), das entsprechende Natrium
diaethylbarbituricum (Höchst.) und das gleiche Präparat, das Schering
Medinal nennt, endlich noch das chemisch dem Veronal nahe verwandte
Proponal. die Dipropylharbitursäure. Die Dosis des letzteren ist zwischen
0,15 und 0,3 g, eventuell bis 0,5 g zu wählen, während man von den
anderen Präparaten mehr geben muß (0,25—0,5—1,0 g). Proponal ist in
verdünnten Alkalien, die Natriumsalze des Veronals in Wasser leicht
löslich und deshalb von den an sich schon recht sicher und kräftig
wirkenden Präparaten die promptesten. Geschätzt werden dieselben,
wie auch das Veronal selber, bei allen Psychosen, wo wegen heftiger
Erregungszustände der Schlaf ausbleibt, und es gibt eigentlich kaum
einen Aufregungszustand, in welchem nicht die günstige Wirkung von
Psychiatern erprobt wäre. Ferner erfreuen sie sich eines guten Hufes bei
Morphiumentziehungskuren, ebenso wie 0,5 g Veronal imstande ist, die
unerwünschten Nebenwirkungen einer Morphininjektion von 0,03 g aus-
bleiben zu lassen. Schließlich finden die Veronalpräparate Verwendung
in der Behandlung der Epilipsia nocturna und zur Bekämpfung des
Auftretens gehäufter Anfälle (dreistündlich 0,3 0,5 g). Leider läßt der
hohe Preis die Anwendung in der Praxis cuprea nur in beschränktem
Maße zu.
4. Hyoszin-Morphin (Hyoszin -- Scopolamin. hydrobrontic. cid
o,ooi gpro dosi, ad 0,003 g P ro die; Morphin . hydrochlor. ad 0,03 g pro
dost, ad o,i g pro die) wird in der Psychiatrie meist nur als gemeinsame
Mischung verwandt. Das Verhältnis der Prozentsätze beider Mittel
richtet sich nach der Liebhaberei des einzelnen Irrenarztes. Wir benutzen
folgende Zusammensetzung: Hyoszin 0,5 g, Morphin. 3,0 g, Aq. dest.
ad 200,0 g, M. D. S. Bei Aufregungszuständen 6/%, in schwereren
Fällen und nach eingetretener Gewöhnung auch wohl 8 / 10 bis eine ganze
Pravazspritze voll. — Diese Überschreitung der Maximaldosis des Hyos¬
zins ist natürlich nur gestattet, weil man gleichzeitig das Antidot Mor-
*) Ich bin mir völlig bewußt, daß die von mir gewählte Einteilung eine recht
willkürliche, im ganzen — vor allen Dingen chemisch — völlig unbegründete ist,
doch haben mich praktische Rücksichten verleitet, theoretische Erwägungen schweigen
zu lassen.
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Hans Leyden, Therapeutisches über Maltyl.
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phin gibt. Beide Mittel sind nämlich Antagonisten, doch kombiniert
sich ihre Wirkung in der Bekämpfung motorischer Erregungen, deren
Bekämpfung durch Morphin weitaus höhere Dosen erfordern und damit
bald Morphinismus hervorrufen würden, denen allein mit Hyoszin zu
begegnen eine gewisse Grausamkeit bedeuten würde, da Hyoszin zwar
die motorischen Zentren lähmt aber nicht die Willensimpulse sediert;
außerdem wäre die toxische Wirkung des Hyoszins dann wieder viel
mehr zu fürchten. Aus diesen Gründen hat sich die gemeinsame Injek¬
tion beider Mittel eingebürgert ünd zu solcher Souveränität emporge¬
schwungen. Sie ist relativ unschädlich, unschädlicher als die anderen
schlaf machenden Drastika und findet deshalb in allen Anstalten aus¬
gedehnte Verwendung bei Angstaffekten, Halluzinationserregungen,
Fieberdelirien, Delirium tremens, Dämmerzuständen, Infektions- oder
Intoxikationsdelirien, speziell pathologischem Rausch, kurzum bei jeder
Art von „Tobsucht“. Auch außerhalb der Anstalt wirkt die ilyoszin-
Mor] hin-Spritze in der Hand des Arztes oft sehr segensreich, z. B. bei
der zwangsweisen Überführung in die Anstalt, wo man sich dadurch
Fesselungen sparen kann. Man hat deshalb mit Recht die Hyoszin-
Morphin-Spritze die „chemische Zwangsjacke ‘ genannt. — Nun ist aber
die schlaf machende Wirkung dieser Arzneimittelkombination relativ
geringer als die der besseren Schlafmittel. Nach heftiger längerer
Erregung künstlich erschlaffte Geisteskranke werden zwar nach solcher
Spritze auch schlafen, aber nur so lange, als die Wirkung noch
in voller Stärke anhält, d. li. einige Stunden, Veronal u. a. schaffen einen
besseren und entschieden längeren Schlaf. Eventuell wird man wieder
zu einer Kombination greifen. IJie Gefahr der Gewöhnung an Hyoszin-
Morphin ist relativ gering und keinesfalls gefährlich. Auch die Anwen¬
dung, falls man sich größere Quanta auf einmal hersteilen und bald
verbrauchen kann, ehe sie verderben, nicht teuer.
5. Duboisinum hydrochlor., aus einer exotischen Pflanzenart
gewonnen, wirkt ähnlich dem Hyoszin, nicht ganz so intensiv, aber auch
nicht, so toxisch, wird von manchen Irrenärzten anstatt der Hyoszin-
Morphin-Spritze benutzt. Man gibt J / 2 —1 mg, in schweren Fällen und
nach einer leichten Gewöhnung auch wohl 2 mg pro dosi, die man
auch subkutan applizieren kann. Herzfehler sind keine Kontraindi¬
kationen, wohl aber allgemeine Inanition. Das Indikationsgebiet ist
dasselbe wie bei Hyoszin-Morphin, doch scheint es bei Manie und Melan¬
cholie weniger angebracht zu sein. Die Wirkung soll von längerer
Dauer und nicht so stürmisch sein. (Schluß folgt).
Therapeutisches Uber Maltyl.
Von Dr. med. Hans Leyden, Berlin, früher Kaiserlicher Botschaftsarzt in Madrid.
Seinem Handbuch der Ernährungstherapie und Diätetik bat
E. von Leyden das Motto vorgesetzt: „Qui bene nutrit, bene curat“. —
Ja, sachgemäß und gut zu ernähren ist durch ihn zu einer Kunst ge¬
worden, die wohl verstanden sein will und ernstes Studium erforderlich
macht; vor allem bei Krankheitszuständen, in der Rekonvaleszenz usw.,
wo im allgemeinen die alltägliche Nahrung nicht genügt und natürliche
wie künstliche Nährpräparate entsprechend hinzugenommen werden müssen.
Von alters her ist besonders vom Laienpublikum das Malz und sein
Extrakt dafür bevorzugt worden. Diesbezüglich findet sich in dem Buche
folgender Passus (zweite Auflage 1903, I. Band, Seite 357): „Malzextrakt
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Hans Leyden,
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wird von vielen Menschen, namentlich von Kindern, um seines würzigen
Geschmackes willen gern genommen. Ein Eßlöffel Malzextrakt (zu 20 g)
enthält 13,65 Kohlehydrat, 1,09 Eiweiß = 60 Kalorien, also fast soviel
als ein Ei, so daß man auf diese Weise wesentlich zur Unterstützung der
Ernährung beitragen kann“. In der Tat besitzen wir im Malzextrakt ein
Nährmittel, das in seiner Wirkung den besten Eiweißpräparaten nicht
nachsteht, vor diesen aber den Vorzug des guten Geschmackes und der
Billigkeit hat. Neben der syrupartigen Form des Malzextraktes, auf
die sich die oben angeführten Analysenzahlen beziehen, hat sich besonders
in neuerer Zeit das pulverförmige Malzextrakt eingebürgert, das vor dem
dickflüssigen Präparat sehr wesentliche Vorzüge auf weist. Das trockene
Malzpulver ermöglicht selbstverständlich eine saubere und bequemere
Darreichungsweise wie flüssiger und dickflüssiger Malzextrakt, und kann
vor allem unter normaler Verwendung gar nicht sauer werden, wodurch
nur zu leicht, zumal bei Kindern und im Sommer, höchst unerwünschte
Magen- und Darmstörungen hervorgerufen werden können. Vielleicht
wäre weiterhin der Gedanke in Erwägung zu ziehen, ob es unter Um¬
ständen nicht noch praktischer wäre, das Malzpulver dosiert in feste
Form, etwa in Tablettenart, zu bringen, um es z. B. für die Heise handlicher
mitnehmen zu können, um überhaupt jedes unnötige Manipulieren nach
Möglichkeit auszuschalten.
Die Bedeutung der Malzpräparate ist leider seit Liebig’s Zeiten
evident stark in den Hintergrund gedrängt und zu wenig gewürdigt
worden gegenüber der systematischen, uneingeschränkten Überschätzung
des pflanzlichen wie tierischen Eiweißnährwertes als Allheilmittel, welche
Anschauung an der rasch aufgeblühten Massenfabrikation der unendlichen
Reihe solcher Präparate einen mächtigen Rückhalt gewann. Sollten wirklich
in allen praktischen Fällen diese Stoffe von so hervorragender Nährkraft
sein, wie es gerühmt wird, daß sie beispielsweise einwandfrei bei danieder¬
liegender Digestionsfunktion und Ernährung stets voll ausgenutzt und
vom Körper leicht und genügend assimiliert werden können, nicht auch
gelegentlich im Verdauungskanal zu eventuellen bedenklichen Zersetzungs¬
vorgängen disponieren? Bekannt ist ja, daß einige Albumosenpräparate
Durchfall erzeugen, wenn sie längere Zeit hindurch gegeben werden. Zu
gedenken ist noch der Krankheitszustände, bei denen eine vornehmlich
eiweißreiche (Fleisch-) Nahrung sowieso kontraindiziert erscheint. Diese
wenigen Erwägungen weisen schon darauf hin, >vie angezeigt es ist, außer
ihnen andere gleichwertige und ergänzende Nährmittel zu besitzen. Das
Malz, ein Kohlehydratderivat, darf unzweifelhaft als ein solches Nähr¬
mittel angesehen werden, das neben einer Menge von Sondervorzügen
so gut wie keine obige Einschränkung seiner Verwendung erheischt.
Zunächst ist es seine exquisit leichte, milde Resorbierbarkeit in erforder¬
licher Menge selbst bei krankhafter oder herabgesetzter Verdauungs-
tätigkeit, wodurch die sehr wertvolle, notwendige Ergänzung des Stoff¬
wechselausfalles exakt und zuverlässig geregelt werden kann. Lind weiter:
In vielen, besonders z. B. fieberhaften Krankheitszuständen ist die Kräfte
erhaltende Aufnahme von Eiweiß und Fett für den Körper mehr oder
minder aufgehoben, es droht nur zu bald der allgemeine Körperverfall
durch rasche Aufzehrung dieser Stoffe, die gefürchtete Inanition. Besser
wie Eiweißpräparate wird hier das Malzextrakt als substituierender Ersatz
für den gesteigerten Stoffausfall und -zerfall unter Ausschaltung des über¬
mäßigen Eiweiß- und Fettverbrauches in den Geweben am Platze sein,
analog etwa der Alkoholwirkung im Fieber. Es kommt hinzu, daß die
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Therapeutisches über Maltyl.
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diastatische Eigenschaft des Malzextraktes ähnlich dem Mundspeichel usw.
das Stärkemehl in die verdauungsfähigere Substanz des Zuckers zu über¬
führen die weitere Möglichkeit bietet, die gerade bevorzugten, mehlhaltigen
Speisen durch diesen Vorgang leichter verdaulich und aufnahmefähig zu
machen. Lehrreich sind in dieser Beziehung auch die guten Erfahrungen,
welche neuerdings bei der Säuglingsernährung mit dem Zusatz von Malz¬
präparaten gezeitigt sind. Nur zu wahr ist jene Bemerkung von Professor
Dr. Albert Albu in Eulenburg’s Enzyklopädischen Jahrbüchern der ge¬
samten Heilkunde (Neue Folge: Zweiter Jahrgang 1904), die er in seinem
Artikel „Nährpräparate“ (Seite 415) macht: „Malzextrakte sind außer¬
ordentlich wertvolle Nährmittel, die namentlich in der Krankenernährung
des Erwachsenen noch lange nicht genügend Beachtung gefunden haben.
Der syrundicke Gerstenauszug enthält im Durchschnitt 50 °/ 0 Zucker
neben 10 ”/ 0 löslicher Stärke und 5°/ 0 Eiweiß.
Aus eigner Beobachtung fand ich noch jüngst Gelegenheit, den
Wert des Malzes als vorzügliches Kräftigungsmittel vornehmlich bei
Volksschulkindern im Durchschnittsalter von 6 bis 9 Jahren zu studieren.
Es handelte sich dabei um die so zahlreichen Kinder von skrofulös¬
anämischer, dazu oft rhachitischer Konstitution, von schlechter Ernährung
mit dyspeptischen Beschwerden bei mangelhafter, irrationeller Hauspflege;
jene schwächlichen, verkümmerten Armenkinder, wie sie dem Schulärzte
ständig vor Augen treten, denen er schon aus Mitgefühl gerne wenigstens
etwas durch Hebung der Körperkräfte gesundheitlich nachhelfen möchte.
Die mir in anerkennenswerter Weise für diese Zwecke bereitwilligst zur
Verfügung gestellten Eiweißnährpräparate mit und ohne Eisen usw. er¬
wiesen sich in dieser Hinsicht keineswegs erfolgreich befriedigend und
entsprachen in der Mehrheit wenig den gehegten Erwartungen, auch
wurden sie wegen ihres Geschmackes, ihrer Darbietungsform und anderer
nebensächlicher Momente, die gleichwohl mitbestimmend sind, nicht immer
gern genommen und meist daher bald nicht mehr weiter gebraucht.
Alte Rückerinnerungen an den wohlschmeckenden Malzextrakt der Kind¬
heit bestimmten mich dann, einen Versuch mit dem Malzextrakt in
trockener Form anzustellen, und zwar wählte ich das bekannte Präparat
.Maltyl* der Firma Gehe & Co., A.-G., Chemische Fabrik, Dresden-N.
Maltyl ist ein gelbliches, leichtes, krystallinisches Pulver von angenehm
würzigem Geruch und Malzgeschmack, welches rasch sich in Wasser und
allen gebräuchlichen Getränken auflöst. Es wird gewonnen aus einem
unter Luftabschluß eingedampften Auszug von Gerstenmalz als trockenes
Pulver und repräsentiert die im Gerstenkorn gebildeten natürlichen
Nährstoffe in einem für die Ernährung äußerst günstigen Verhältnis und
in einer Beschaffenheit, die der weiteren Verdauung kaum noch bedarf.
Also vollständige chemische Reinheit ohne künstliche Beimischungen.
Nach der von Professor Geissler (Pharm. Zentralhalle 1881, Nr. 18)
veröffentlichten Analyse besteht Maltyl aus etw r a 90°/ o löslichen Kohle¬
hydraten, 7 °/ 0 löslichen Proteinsubstanzen und über 2°/ 0 Salzen, darunter
für den Körperaufbau wichtige Phoephorverbindungen. Ebenfalls in
Mitbetracht zu ziehen ist das darin befindliche, bereits erörterte Enzym,
die Diastase mit ihrer Ferment Wirkung, sowie die hervorgehobene Eigen¬
schaft, als so zu sagen Konservierungsmittel des Eiweiß- und Fettgehalts
im Körper bei potenziertem Stoffwechsel wie etwa im Fieber zu dienen.
Die Bedeutung des Maltyls für Schwächezustände aller Art und Provenienz
mag damit genügend illustriert sein, daß, wie Versuche ergeben haben,
schon im Verlaufe einer Stunde von 100 Gramm Maltose, dem Haupt-
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Haus Leyden,
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Bestandteil des Maltyls neben Dextrin, 80 Gramm resorbiert waren, mit¬
hin ein fast schlackenloser Verbrennungsprozeß. Leicht kann so einem
Kranken selbst bei stark beeinträchtigtem Verdauungsvermögen das Maltyl
rein, oder versetzt mit Mehlsuppen oder sonstigen geeigneten Nährstoffen,
in einer Menge täglich zugeführt werden, die bei 180—240 Kalorien
dem Nährwerte von 3—4 Eiern gleichkommt. Während aber derart
durch das Maltyl der Nährgehalt der Tagesnahrung eine ganz erhebliche
Steigerung erfahren kann, wird gleichwohl das Quantum der ausgenützten
Nahrungsreste im Darm kaum vermehrt werden. Das ist ein weiterer
Nutzen des Maltyls bei vielen Darmkrankheiten, bei Stuhlträgheit
(Wöchnerinnen), weil die Ansammlungen übermäßigen Darminhalts unter
darmbakterieller Einwirkung abnorme Zersetzungen begünstigen und in¬
direkt sogar zu Eiebererscheinungen Veranlassung geben können. Es
darf hierbei gleich noch der Deduktionen des Professors G. von Bunge
(Physiologie des Menschen, Band II, Dreißigster Vortrag) über die Kohle¬
hydrate als Kraftquelle für den Muskel gedacht werden, der auf Grund
von exakten Versuchsreihen anderer Autoren über die Rolle der Kohle¬
hydrate als Kraftspender für die Muskulatur schreibt: „Solange stickstoff¬
freie Nahrungsstoffe in genügender Menge mit der Nahrung zugeführt
werden oder in den Geweben aufgespeichert sind, zehrt der Muskel bei
seiner Arbeit hauptsächlich von diesem Vorräte“. Hiernach muß das
Malz im Körperhaushalt bei seiner großen Assimilierbarkeit eine be¬
deutende eiweißsparende Nutzanwendung finden, die den Verbrauch von
Eiweiß und Fett reduziert, womit am ehesten z. B. einem rapiden Kräfte¬
verfall, einer starken Abmagerung wird die Spitze geboten werden können.
Bezüglich des Krankenmaterials selbst, welches in dem vorliegenden
Falle zur Verfügung stand, sei gleich vorweg erläuternd bemerkt, daß
bei ihm die Versuche mit der Maltylbehandlung nicht mit der gewünschten
klinischen Exaktheit vorgenomrnen werden konnten. Es lag dieses in
der gegebenen Situation: Die häuslichen Verhältnisse solcher Kinder
ärmerer Kreise bedingen, daß ihre Ernährung, Wartung usw. eigentlich
durchweg eine ziemlich unzulängliche, um nicht gar zu sagen, gesund¬
heitsschädliche ist, so war im allgemeinen die ganze Lebensführung dtr
Kinder voller Entbehrungen aller Art. Nicht zu häufig und regelmäßig
konnte zudem ärztlicher Rat erteilt und Kontrolle geübt werden. Mi߬
stände, welche die Erfolge höchst ungünstig beeinflussen mußten. Um
so beachtenswerter ist es daher, daß trotzdem in der überwiegenden
Mehrheit recht günstige Resultate erzielt wurden. Die Beobachtungen
wurden bei 26 Kindern angestellt, 12 Knaben, 14 Mädchen, und erstreckten
sich auf drei bis vier Wochen. Eine längere Dauer der Behandlung ließ
sich leider mit Rücksicht auf die sozialen Schwierigkeiten usw. nicht
ermöglichen. Im Hinblick auf die vorherrschenden anämischen Zustäude
erschien es angezeigt, ein hierfür mehr durchgreifendes und zweck¬
dienliches Malzpräparat, das „Triferrin-Maltyl“, zu geben in der Dosierung
von dreimal täglich einen Kinderlöffel voll bald nach den Mahlzeiten,
der Einfachheit wegen in trockener Form. Für die Wahl des Triferrin-
präparates waren bestimmend die anerkennenden Urteile der wissen¬
schaftlichen Kreise über das Mittel, so unter anderen von Professor
Dr. E. Salkowski (Zentralblatt für die medizinischen Wissenschaften,
1900, Nr. 51), der die hohe Resorbierbarkeit des Triferrins durch Tier¬
versuche eruierte, dann von Professor Dr. G. Kieniper er (Die Therapie
der Gegenwart, 1901, Nr. 4, Seite 191), der in Fällen von Chlorose,
kompliziert mit Magenerkrankungen (Magengeschwür usw.) zusehende
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Besserung, Schwinden der subjektiven Beschwerden unter starker Zu¬
nahme des Hämoglobingehaltes des Blutes konstatieren konnte; noch
seien Dr. Josef Reicheltfs befriedigende Erfahrungen (Wiener klin.-
therapeut. Wochenschrift 1904, Nr. 44) ebenfalls bei rhachitischen, skro¬
fulösen und anämischen Kindern von meist lymphatischer Konstitution
gedacht. Und diese eklatante Wirkung des Triferrins (paranukleinsaures
Eisen) erhellt schon fast aus seiner Zusammensetzung, es ist ein orange¬
farbenes, geschmackloses Pulver von etwa 23 °/ 0 Eisenoxyd, 9 °/ 0 Stick¬
stoff- und 2,5°/ 0 Phosphorgehalt, welches in verdünnter (0,1—0,3°/ 0 ) Salz¬
säure gleich der Magensaftkonzentration sich nicht löst, wohl aber in
2°/ 0 Sodalösung. Allseitig wird betont, daß das Triferrin-Maltyl mit
seinem Vorzug der Billigkeit (100 g kosten 1,40 Mk.) ein vorzügliches
Eisenpräparat von ausgiebigster Resorptions- und Aseimilationsfähigkeit
ohne irgend welche Störung selbst auf den erkrankten Magen und Darm
darstellt, welches bei großem Nährwert durch Kräftigung des Allgemein¬
befindens zugleich von belebender Wirkung (sein Phosphorgehalt) auf das
Nervensystem ist und durch seine schleimlösende Eigenschaft auch be¬
ruhigend katarrhalische Vorgänge beeinflußt.
Dementsprechend zeigte sich das Ergebnis bei den angestellten
Kräftigungsversuchen der Kinder, das hier bei dem Mangel eingehender
Behandlung zusammenfassend wiedergegeben sei. Zunächst wurde das
Präparat mit ausgesprochener Vorliebe genommen, niemals traten trotz
vielfacher gestörter Magen- und Darmfunktion Verdauungstörungen auf,
ja verschiedentlich wurde über Besserung der Verdauungsbeschwerden be¬
richtet, der Appetit hob sich in fast allen Fällen. Allgemeine Mattigkeit,
Kopfschmerzen usw. schwanden, die Kinder wurden lebhafter, bekamen
frischeres Aussehen, die Blässe der Schleimhäute ging mehr zurück. Bei
bestehendem Hustenreiz erwies sich das Mittel denselben lindernd. Die
Gewichtszunahme variierte zwischen 1—3 Pfund, nur iu zwei Fällen
blieb der Status quo unverändert. Wie weit daneben die Verordnungen —
wohl meist unbeachtet gelassen — von Milchdiät, von Aufenthalt in
frischer Luft, von hygienischen Maßnahmen vielleicht etwas mitbestimmend
wirksam gewesen sind, entzieht sich natürlich gerade bei diesen sozialen
Verhältnissen der Beurteilung, doch dürften diese Momente nach Sach¬
lage sicher nur von untergeordneter Bedeutung dabei gewesen sein.
Sonstige Behandlung des Grundleidens der Kinder konnte nicht stattfinden.
Zwei Frauen, welche infolge überstandener Unterleibsleiden (Metritis
mit Fluor, Blasenkatarrh) körperlich heruntergekommen waren, wurden
gleichfalls mit Triferrin-Maltyl (dreimal täglich ein Eßlöffel) behandelt
und nahmen im Verlauf von acht Wochen unter vollständiger Kräftigung
ihres Allgemeinbefindens vier resp. fünf Pfund zu.
Gewiß erheben diese Mitteilungen in ihrer Lückenhaftigkeit keinen
Anspruch auf Bedeutung, das ist auch nicht ihr Zweck, vielmehr sollen
sie nur einen kleinen Wink geben, sich der Malzpräparate wieder mehr
zu erinnern wegen ihrer unleugbaren Vorzüge, vor allem, daß sie in der
Armenbehandlung auch von Nutzen und gerade bei Kindern vorteilhaft
verwertbar sein können. Vielleicht darf .hier noch zum Schluß eine
Bemerkung von Professor R. Stachel in (Uber Eiweißpraparate, Thera¬
peutische Monatshefte, Dezember 1909) Platz finden: „Sie (die Eiwei߬
mast) kommt am ehesten dann zustande, wenn neben einer genügenden
Eiweißzufuhr (die auch gar nicht überreichlich zu sein braucht) die Er¬
nährung im ganzen überschüssig ist, namentlich wenn Kohlehydrate in
großer Menge gereicht werden. Ebenso kann durch eine überschüssige
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86 Referate und Besprechungen.
Zufuhr von Nahrung, speziell von Kohlehydraten, der Eiweißansatz in
der Rekonvaleszenz begünstigt, der Eiweißverlust im Fieber hintan ge¬
halten werden.“ Weiter sagt er: „Wir dürfen den Wert überreichlicher
Eiweißzufuhr ja nicht überschätzen und wenn wir Eiweißpräparate ver¬
ordnen, müssen wir sie in erster Linie nach ihrer Bedeutung für den
Gesamtenergiehaushalt, nach ihrem kalorischen Wert, einschätzen.“
Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Charles Richet (Paris), Humerale Anschauungen in altem und neuem
Gewände. (Progres medical, Nr. 42, S. 555—558.) Es ist ein Wahn, zu
glauben, daß die Grundanschauungen, welche frühere Generationen beherrsch¬
ten, heutzutage überwunden seien. Sie sind wohl von anderen Vorstellungs-
formen überwuchert, aber nicht überwunden. Was vor uns kluge Leute
erdacht, ist als Samenkorn unserer Psyche eingepflanzt und wartet nur auf
günstige Gelegenheit, um sieh wieder zu entwickeln. Wer denkt heute noch
viel an die Schule der Sensualisten ? Wie viele der heutigen Biologen kennen
von Locke, Hu me, Shialftepbüry, Condillac usw. mehr als die Namen?
Und doch sind sie schließlich nur die Apostel unserer sensualistischen Devise:
.,Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu“. Die Präponderanz
der Anatomie und ihres mikroskopierenden Ablegers, der Histiologie, doku¬
mentiert diese zur Genüge. Wo ist die Klinik, die sich nicht demütig vor
dem Spruch des pathologischen Anatomen beugte ? Wo die biologische
Schule, die es wagte, über den Bereich des Mikroskopierbaren hinauszu-
gehen ? Und doch wissen wir, daß das Wesen des Lebens in Bewegung
besteht und daß gerade diese im Tode erloschen ist.
Fußen die Forscher germanischen Ursprungs, gewissermaßen im Zuge
der Leibniz, Newton, Faraday, Maxwell, Thomson, Helmholtz,
H. Herz, Ostwald mehr auf physikalischen, energetischen Vorstellungs-
formen, um über die Grenzen des Sicht- und Wägbaren hinauszugelangen,
so ist es nicht verwunderlich, wenn in unserem Nachbarlande Frankreich,
der alten Heimat der Chemie, chemische Denkweisen zu demselben Zwecke
herangezogen werden. Eine solche Absage an die Anatomie und Histiologie
haben wir beim Physiologenkongreß in Wien am 26. September 1910 von
Richet vernommen. Was nützt uns, fragt er mit Magendie und Claude
Bernard, auch die beste histiologische Kenntnis für die Physiologie, für
das Verständnis der Funktion? „Toute l’histoire de la Pathologie cellulaire,
malgre le genie de Virchow, n’a abouti qu’ä un echec assez lamentable.“
Indem er daran erinnert, wie noch der zehnmillionste Teil eines Milligramms
Vanadium in einem Liter Wasser aufgelöst deutliche Wirkungen auf die
Milchsäuregärung ausübt; wie ein Zentigramm Kohlenstoff im Verbrennen
Licht nach allen Seiten bis auf 1 Kilometer Entfernung aussendet; wenn das
Nichts, das das flüchtige Reh an seinen Spuren zurückläßt, genügt, um dem
Hunde die Verfolgung zu gestatten; wenn die Injektion von einem Hundert -
tausendstel eines Kubikzentimeters Pferdeserum ein Meerschweinchen so ver¬
ändert, daß es noch nach so und so viel Wochen anaphylaktische Erschei¬
nungen zeigt und an einer Wiederholung des Versuches nunmehr zugrunde
geht: indem er an alle diese Beobachtungen erinnert, kommt er zu dem
ersten Grundgesetz der modernen Humeralphvsiologie: Die Menge der Sub¬
stanz, welche bei den biologischen Vorgängen in Aktion tritt, ist oft so
gering, daß man sie als imponderabel bezeichnen muß (Les quantites de
substance qui entrent en jeu dans les reactions physiologiques sont souvent
en si faibles proportions qu’on peut dire imponderables). Und als zweites
Grundgesetz fügt er bei: Das Leben ist nichts anderes als ein Konvolut
von chemischen Vorgängen, un mecanisme chimique. Die physiologischen
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Erscheinungen ergeben sich somit aus dem Zusammentreffen zweier Pro¬
zesse oder Substanzen, die für sich genommen, ohne Wirkung wären (l’activite
d un liquide resulte du conflit de deux substances qui, isolees, sont inactives).
Aus solch einem Konflit — man muß das Wort im Sinne des Cicero ma¬
nischen conflictus = zusammen prallen, aneinanderstoßen, nehmen — geht das
Leben hervor vom ersten Moment der Befruchtung an bis zum letzten Atem¬
zug; und da der mecanisme chimique niemals bei zwei Menschen der gleiche
ist, so wenig als man auch im dichtesten Walde zwei völlig gleiche Blätter
findet, so ergeben sich aus dieser Betrachtung die Besonderheiten der phy¬
siologischen Vorgänge in jedem Individuum als logische Konsequenz. Die
individuellen Verschiedenheiten nach äußerer Erscheinung und nach psychi¬
schen Fähigkeiten sind wohl bekannt und kaum bestritten. Nun müssen sich
die Physiologen und Mediziner bequemen, das Individuelle auch in der bio¬
logischen Ökonomie, in der Form des Reagierens usw. mehr anzuerkennen
und sich von dein Wahn der Gleichheit aller Menschen frei zu machen. —
Mau sieht, es ist eine weite Perspektive, welche Rieh et da vor uns
auf tut. Vor der Großzügigkeit des Gesamtbildes treten manche Unsicher¬
heiten des Details zurück. In der Eröffnungsrede der 4. Plenarversamm¬
lung der historischen Kommission bei der Akademie der Wissenschaften zu
München am 4. Oktober 1882 hat Leopold von Ranke ausgeführt, daß es
bei der Forschung im allgemeinen nicht darauf ankommt, daß jeder Satz,
den man aufstellt, von den Nachfolgern für richtig erklärt wird. Vielmehr
ist es der Geist allein, welcher lebendig macht; und ein Antrieb übt, auch
wenn er nicht allseitig exakt bewiesen ist, einen ins Unermeßliche wirken¬
den Einfluß auf die Studien der Mitforschenden aus.
So möge auch Riched-’s Ausführungen — im Verein mit gleichge¬
richteten Bestrebungen anderer — eine nachhaltige Resonanz bei den Zeit¬
genossen beschieden sein, auf daß aus dem Conflictus der alten und der
neuen Vorstellungen eine mächtige Erweiterung der Grenzen unserer Er¬
kenntnis erfolge. Aber so notwendig auch ein wagemutiger Enthusiasmus
sein mag, so wollen wir uns doch stets bewußt bleiben, daß des Lebensrätsels
letzte Lösung noch in unabsehbaren Fernen liegt und daß für unsere heutigen
Fähigkeiten und wohl noch auf manche Generationen hinaus Diderots Satz
zutrifft: ,,Si l’Eternel rüt daigne developper le mecanisme universel sur des
feuilles tracees de isa propre main;, croit-on que ce grand livre füt plus com-
prehensible pour nous que l univers meine ?“ (Pensees sur l’interpretation
de la nature. MDCCLIV, S. 8.) Buttersack (Berlin).
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Raysky, Beitrag zur Kasuistik der lokalen und allgemeinen Ver¬
änderungen beim Tode durch Verbrennung. (Virchow’s Archiv für path.
Anat., Bd. 201, H. 2, S f . 208, 1910.) In einem Falle handelte es sich um
Verbrennung durch Stichflamme an Gesicht, Armen, Brust, Bauch und Beinen.
Eigenartige Veränderungen fanden sich am Kehlkopf, der Trachea und den
Bronchien in Form einer pseudomembranösen Entzündung, die als Folge einer
Verbrennung des Respirationstraktus durch aspirierte glühende Gase an¬
gesehen werden muß. Diese haben auf ihrem ganzen Wege bis zur Ver¬
ästelung der Bronchien Nekrose des Epithels und partielle Nekrose einer
mehr oder minder tiefen Schicht der Schleimhaut selbst hervorgerufen.
Die Nekrose der Schleimhaut ist dort intensiver, wo sich die Respirations-
wege verengen oder einzelne Teile weit in das Lumen der Trachea hervor¬
ragen ; besonders intensiv ist sie in der Gegend der Stimmritze; hier fand
er an der Oberfläche des rechten wahren Stimmbandes eine richtige Brand¬
blase. Als Reaktion der Gewebe auf die lokale Wirkung des schädlichen
Agens waren entzündliche Veränderungen wie diffuse Hyperämie und In¬
filtration, stellenweise mit Absonderung von fibrinähnlichem Exsudat vor¬
handen. Diese Verbrennung der Schleimhaut des Respirationstraktus kann
neben dem Nachweis von Kohlenoxyd im Blute und von Rußbelag auf der
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Schleimhaut von Kehlkopf und Trachea Bedeutung für die gerichtsärzt¬
liche Praxis gewinnen, insofern dadurch bewiesen wird, daß der Verunglückte
zur Zeit der Verbrennung noch am Leben war. Bei drei anderen Fällen
fanden sich degenerative Prozesse an den Nieren, und zwar die stärksten
in dem Falle, wo der Tod am frühesten eintrat, die Verf. auf die toxische
Wirkung des im Blute zirkulierenden, aber vorläufig noch unbekannten
Verbrennungsgiftes auf die Organe, die die Gifte zu neutralisieren und
auszuscheiden haben, zurückführt. W. Risel (Zwickau).
Herrmann Gotting, Ober die bei jungen Tieren durch kalkarme Er¬
nährung und Oxalsäurefütterung entstehenden Knochenveränderungen. (Vir-
chow’s Archiv für path. Anat., Bd. 197, S. 1, 1909.) Die verschiedenen Ver¬
suche, Rhachitis experimentell zu erzeugen, sind bisher noch nicht zu einem
einwandfreien Ergebnisse gekommen.
Durch kalkarme Ernährung lassen sich (bei Hunden innerhalb von
zwei Monaten) Veränderungen der endochondralen und periostalen Ossifika¬
tion hervorrufen, wie sie sich auch bei Rhachitis finden. Es besteht aber
zwischen Rhachitis und der durch kalkarme Fütterung hervorgerufenen
Knochenaffektion ein prinzipieller Unterschied, indem bei der ersteren Krank¬
heit das Kalklosbleiben des osteoiden Gewebes, bei der zweiten die ge¬
steigerte Resorption des verkalkten Knochens das AVesen des Prozesses
ausmachen.
Durch Fütterung mit Oxalsäure können (beim Ferkel) gleichfalls an
der endochondralen und periostalen Ossifikation der Rhachitis ähnliche
Störungen entstehen. Die Verkalkung des osteoiden Gewebes geht aber
auch hier in normaler Weise vor sich.
Der Grund für das Kalklosbleiben des osteoiden Gewebes bei Rhachitis
ist in der Beschaffenheit dieses Gewebes selbst zu suchen.
Verbreiterung der Knorpel wucherungsschicht und periostale Wuche¬
rungen sind wahrscheinlich nur sekundäre, nicht in der das eigentliche
Wesen der Rhachitis ausmachenden Krankheitsursache begründete Erschei¬
nungen. Eine für Rhachitis beweisende diagnostische Bedeutung kommt
ihnen jedenfalls nicht zu. W. Risel (Zwickau).
J. Misumi, Über Rückbildung an Talgdrüsen. (Virchow’s Archiv für
path. Anat., Bd. 197, S. 530, 1909.) Nach ein- oder mehrmaliger, mehrere
Minuten langer Einwirkung des Äthersprays auf die analen Talgdrüsen des
Kaninchens erfahren die äußersten Epithelien der Talgdrüsenalveolen eine
Rückbildung in dem Sinne von Ribbert, derart, daß der Inhalt der sonst
aus hellen polygonal abgeplatteten Zellen bestehenden Talgdrüsenalveolen
sich in zwei Zonen sondert, in eine äußere, die sich aus geschichteten, nach
innen zu abgeplatteten und konzentrisch angeordneten Epithelzellen zu¬
sammensetzt und in dieser Form gewöhnlichem Plattenepithel durchaus
gleicht, während den inneren Raum zu Talg zerfallende Zellen einnehmen.
Dieser undifferenziert« Zustand bleibt auch den Zellen, wenn sie sich weiterhin
vermehren und ein morphologisch echtes Plattenepithel bilden. Den Einwand,
daß etwa durch das Gefrieren sämtliche Drüsenepithelien zugrunde ge¬
gangen seien, und daß es sich bei den Plattenepithelbildungen um eine
regenerative Wucherung des normalerweise vorhandenen Plattenepithels der
größeren Ausführungsgänge handeln könne, glaubt Verf. zurück weisen zu
können. Er ist auch der Meinung, daß auch entzündliche Vorgänge in der
Umgebung der Talgdrüsen die gleichen Folgen haben würden, und daß so
unter Umständen Plattenepithelkrebse von Talgdrüsenzellen ausgehen könnten.
W. Risel (Zwickau).
A. Hamm und P. Jacquin, Über die Artunterscheidung hämolytischer
Streptokokken mittels Lezithinbouillon. (Archiv für Gyn., Bd. 91, H. 3,
1910.) Während noch nicht ein einziger Nachprüfer die Fromme’sche Lezithin¬
methode als brauchbar hat. anerkennen können, führen H. und J. dieselbe auf
Grund taitgeteilter einwandfrei vorgenommener Versuche völlig ad ab¬
surdum, sowohl was ihren angeblichen Wert als „Artreaktion“ anlangt.
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wie auch als Mittel zur Virulenzbestiinmung. Von 23 klinisch zweifellos
als „pathogen“ zu bezeichnenden (Stämmen verhielten sich im Experiment
nur 3 deutlich pathogen! alle übrigen als „saprisch“. Nach den Anschauungen
Promme’ß und der Hallenser Klinik wären von 8 Frauen 6 nichtinfektiösenj
„Saprophyten“ zum Opfer gefallen, 7 hätten dank dieser selben „Sapro¬
phyten“ ein schweres, z. T. höchst besorgniserregendes,, 8 ein leichteres Kranken¬
bett durchgemacht! Eö ist zwar richtig, daß auch H. und J. eine gesteigerte
Lezithinempfindlichkeit bloß bei virulenten Stämmen nachweisen konnten,
daß die Träger dieser Parasiten alle starben; aber sie konnten weit mehr
klinisch zweifellos hoehpathogene Stämme prüfen, die z. T. ebenfalls den
Tod herbeiführten, aber die Lezithinempfindlichkeit nicht erkennen ließen.
Die Lezithinempfindlichkeit dürfte also nichts weiter als eine Stammeseigen¬
tümlichkeit sein, ähnlich wie die Hämolysefähigkeit, eine durch den Kampf
mit den lebenden Zellen erworbene Fermenteigenschaft. (Zangemeister.)
Es ist in zweifacher Hinsicht zu bedauern, daß der von Fromme aufgewendet«
Fleiß keine dauernden Früchte für die Wissenschaft, getragen, vielmehr vor¬
übergehend sogar auf Abwege geführt hat, einmal weil, wenn die Fromme¬
schen Untersuchungen und Schlußfolgerungen richtig gewesen wären, wir
auch praktisch einen wesentlichen Schritt vorwärts gekommen wären, dann
aber — (^s kann diese Bemerkung nicht unterdrückt werden — weil durch
derartige nicht genügend fundierte Publikationen der Ruf deutscher Gründlich¬
keit und Wissenschaftlichkeit unbedingt leiden muß, besonders wenn solche
Arbeiten vorschnell von hoher Stelle aus mit Titeln belohnt und mit bekannter
Verve gleich als eine Art Evangelium der staunenden Mitwelt präsentiert
werden. Es bleibt also nach] wie vor beim alten: die Trennung zwischen
saprischem und septischem Wochenbettfieber ist zurzeit unmöglich.
R. Klien (Leipzig).
Innere Medizin.
E. Hönck (Hamburg), Sympathikus und Erkrankungen der Luftwege.
(Klui.-therapeut. Wochenschr., Nr. 39, 1910.) Es ist interessant zu beob¬
achten, wie der Zeitgeist so sehr durch geistreiche, fast ans Mysteriöse
streifende Gedankengänge in Anspruch genommen ist, daß einfache Relationen
keinen Widerhall mehr finden. Z. B. die Lehre von M. Herz, daß manche Zir¬
kulationsstörungen davon herrühren, daß das Herz in einem engen Brustkorb
nicht genug Platz hat, scheint zu einfach, die Kunst, die Abdominalorgane
nach Glenard, Obrastzow, Hausmann abzutasten, zu wenig genial zu
sein, als daß sie Anspruch auf allgemeine Beachtung hätten. Man operiert
lieber mit Komplementbindung und -ablenkung, Antigenen und komplizierten
Atomgruppen, die sich bei Gicht, Diabetes usw. abnorm lagern, man färbt
eosinophile Zellen, ohne eigentlich zu wissen, was damit anzufangen ist,
und man phantasiert von einer Therapia magna sterilisans durch 606, ähn¬
lich wie frühere Jahrhunderte von allerhand Arkanis. Denn daß die chemische
Konstitution von Ehrlich-Hata den meisten, seine Wirkungsweise allen
ein Arkanum ist., scheint zweifellos zu sein.
Gegenüber solchen Studien, die nur in wohldotierten Laboratorien aus-
geführt werden können, berührt es erfreulich, wenn wieder einmal Dinge
angeregt werden, welche auch vom laboratoriumsloseu Arzt in seiner Praxis
auzuwenden sind. Schließlich sind die Praktiker die Träger der Medizin
und nicht die sog. Forscher, die bei aller Anerkennung ihrer Studien doch
der Gefahr einer gewissen Einseitigkeit ausgesetzt sind. Der alte Heim,
Huf «Land, Troiusseau, Leyden waren in erster Linie große Praktiker
und haben dadurch auf ihre Zeit so mächtig eingewirkt. Was Hönck im
vorliegenden Aufsatz zu sagen hat, läßt sich kurz zusamüienfassen: Durch
richtige Massage des Bauchsympathikus lassen sich eine ganze Reihe von
Störungen kongestiver Art im Bereich der oberen Luftwege (von Schwel¬
lungen der Nasenschleimhaut und Mandelentzündungen bis zum Asthma und
Keuchhusten) entweder ganz beseitigen oder wenigstens erheblich bessern.
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„Es gibt kein so sicher und rasch wirkendes Expektorans wie die Sym¬
pathikusmassage, wenn sie richtig dosiert wird.“
Solch eine Mitteilung halte ich für wertvoller als die blendendste
Hypothese. Denn ein jeder kann sie nachprüfen und wird dabei, auch wenn
sie sich nicht in ihrem ganzen Umfang bestätigen sollte, auf neue Ge¬
dankengänge gelenkt werden. Wenn sie sich aber bestätigt, so ergeben sich
eine Fülle von Ausblicken nach den verschiedensten Seiten hin.
. . Buttersack (Berlin).
Kohsaku Nunokawa, Über die Genese der Corpora amylacea in den
Lungen des Menschen. (Virchow s Archiv für path. Anat., Bd. 196, S. 221,
1909.) Die Entstehung der Amyloidkörperchen in den Lungen ist auf Ver¬
änderungen von Zellen epithelialer /oder leukozytoider Natur zuriickzn-
führen. Die Zellen werden homogen, gehen allmählich zugrunde und bilden
die Amyloidkörperchen. Im weiteren Verlaufe vergrößern sich die Amyloid¬
körperchen durch die Apposition von Epithelien und Leukozyten, welche
ebenfalls homogen geworden sind, so daß sie eine neue Schicht um das
Amyloidkörperchen bilden. Zu dieser Annahme passen die Befunde von
mitunter beobachtetem Kohlepigment, welches in den Epithelien und Leuko¬
zyten von früher her enthalten war und fast regelmäßig in jeder Schicht
der Amyloidkörperchen sich erkennen ließ. Für die radiäre Streifung der
Amyloidkörperchen ließ sich eine befriedigende Erklärung nicht finden.
Die Entstehung solcher Corpora amylacea, die als Kern ein so großes Kohle¬
fragment hatten, daß es den Durchmesser einer Epithelzelle oder eines
Leukozyten weitaus übertraf, ist durch Verschmelzung mehrerer homoge¬
nisierter Zellen um ein großes Kohlestück zu erklären.
W. Kisel (Zwickau).
A. Nowicki, Über chronisch entstehendes Gasbläschenemphysem (Pneu-
matosis cystoides). (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 198, S. 143,
1909.) Verf. konnte 7 Fälle von Kolpitis empliysematosa und 3 von Gas-
zysten des Verdauungskanales untersuchen. Er kommt zu dein Schlüsse,
daß das Gasbläschenemphysem ein chronisch sich entwickelnder Prozeß ist,
welcher gewöhnlich längere Zeit dauert. Es entsteht infolge Eindringens
des Gases in erster Linie in Gefäße und Lymphspalten, ferner auch in
das eigentliche Gewebe, und dadurch kommt es in ihm zu Zusammenhangs-
trennungen. Die Gasbläschen, der charakteristische Bestandteil des Bläs¬
chenemphysems, entstehen hauptsächlich aus lymphatischen Spalträumen und
Gefäßen, weniger aus Spalten, die sich durch Zerreißen des Gewebes durch
Gas gebildet haben. Die eigentümlichen Riesenzellen leitet Verf. vom En¬
dothel diese.- Spalten ab, seltener können sie vielleicht auch aus dem Epithel
der papillären Schicht der Portio vaginalis entstehen. Über die Herkunft
des Gases äußert sich Verf. sehr reserviert. An eine Entstehung desselben
als Produkt anaerober, gasbildender Mikroorganismen glaubt er nicht. Die
Bildung des Gasbläschenemphysems wird durch Störungen in der Zirku¬
lation gefördert, namentlich durch Stauungshyperämien, wie z. B. infolge
von Herzinsuffizienz oder aus lokaler Ursache, wie bei der Schwanger¬
schaft (in der Vagina) oder bei Gefäßverstopfung infolge von Torsion,
Volvulus des Darmes usw. Das Gasbläschenemphysem ist ein Prozeß, der
mit der Zeit verschwinden kann, wobei nur lokale Veränderungen als
narbige Verdickungen des befallenen Gewebes verbleiben.
W. Hisel (Zwickau).
L. Panichi und C. Guelfi, Beeinflussung des Endokards durch kreb-
siges Material. (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 198, S. 449, 1909.)
Es gelingt mittels toxischen /Materials (mit Krebspulver besser als mit
Geschwulstinfus von menschlichen Karzinomen) bei Kaninchen auf dem
Endokard der Klappen Veränderungen hervorzurufen, deren histologischer
Befund zwar nicht genau mit dem der klassischen Endokarditis überein*
stimmt, aber doch unterschieden ist von den thrombosischen Prozessen, die
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nach einem beliebigen Trauma (Injektion von Kohlenstaub oder Sondierung
des linken Ventrikels) entstehen, und die als Endokarditis angespro-chen
werden müssen. Die histologischen Veränderungen, welche durch Geschwulst¬
extrakt hervorgerufen sind, erinnern eher an die mit Bakterientoxinen er¬
zeugten. W. Risel (Zwickau).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Zunahme der künstlichen Aborte. (Tribüne med., S. 659, 1910.) Warum
die Zahl der Geburten in Frankreich so erschreckend abnimmt, wird ver¬
ständlich aus einer Verhandlung des Congres des Praticiens. Da erzählte
G. Berti Hon (Maisons-Laffitte), daß in Paris auf 18—20000 normale Ent¬
bindungen schätzungsweise 50000 provozierte Aborte kommen; ja, wenn
man die Verhältniszahlen von Marseille zugrunde legt, wo 19000 Aborte
auf 450000 Einwohner entfallen, so müßte man diese Zahl für Paris auf
114000 erhöhen (i). — Declercq berichtete für Lille, daß von den dortigen
schwangeren Arbeiterfrauen 2 A normal niederkommen, Vs mit Abort ; von den
anderen Frauen, „die bei sich leben und ohne Beruf“, abortieren 3 /3 und nur
Vs beendet die Schwangerschaft richtig. — In einer Provinzialstadt betrieb
eine Hebamme die Abtreibung gewerbsmäßig. Als es eines Tages gelang, sie
zu fassen, stellte sich aus ihren Büchern heraus, daß unter den Klientinnen
auch die Frau Bürgermeisterin gewesen war. Die Folge davon war: Le pro-
cureur prit un conge et l’affaire en resta lä.
Die versammelten Praktiker faßten allerhand schöne Beschlüsse, wie
diesem Selbstmord der Nation vorzubeugen sei. Allein ich glaube, Le Bon
hatte recht, als er im Hinblick auf die Geschichte alle gesetzlichen Repressiv -
maßregeln für nutzlos erklärte und nur von einer besseren Moral evtl. Hilfe
erwartete. Buttersack (Berlin).
G. Schickele (Straßburgj, Zur Frage der Exstirpation des septischen
Uterus. (Hegar’s Beitr. z. Gebh. u. Gyn., Bd. 16, H. 1, 1910.) Auf Grund
von sieben ausführlich besprochenen Fällen, die operiert und unoperiert zur
Autopsie kamen, stellt Sch. folgende, vorläufige und unverbindliche Leitsätze
auf: 1. Es können schwere puerperale Infektionen erfolgen, ohne daß der
Uterus selbst erkrankt. Die Keime wandern in kurzer Zeit durch die Uterus -
wand und dringen in den allgemeinen Kreislauf ein. Es treten sofort Sym¬
ptome der Allgemeinerkrajikiing auf (Keime im Blut, Metastasen). In diesen
Fällen hat die Exstirpation des Uterus keinen Zweck, da er selbst ja gar
nicht erkrankt ist. 2. Bei mehrtägigem hohen Fieber erscheint der Ver¬
dacht einer fortschreitenden Entzündung innerhalb des Uterus gerechtfertigt,
er wird verstärkt durcld das Auftreten von peritonitischen Symptomen.
Lurch diese werden gleichzeitig Indikation, Zeitpunkt und Art der Opera¬
tion (Exstirpation) angegeben. Dies gilt besonders, wenn vorher intrauterine
Eingriffe, ev. bei schon bestehendem Fieber, ausgeführt worden sind. All¬
gemein muß vorausgesetzt werden, daß die Umgebung des Uterus frei ist
und Zeichen einer Allgemeininfektion fehlen. 3. a) Bleibt nach intra¬
uterinen Eingriffen hohes Fieber bestehen und treten kurz darauf
Schüttelfröste oder Keime im Blut auf (oder beide gleichzeitig), dann
muß entweder möglichst früh operiert werden, in der Hoffnung, eine
Allgemeininfektion zu verhindern, oder aber b) nach einigen Tagen nicht
mehr, erst recht nicht, wenn Zeichen von Metastasen mittlerweile ein-
getreten sind, c) Treten Schüttelfröste oder Keime im Blut erst mehrere
Tage nach dem Eingriff bei kontinuierlichem Fieber auf, dann ist
auch wieder sofort zu operieren, diesmal aber in der Hoffnung, daß die
Erkrankung noch auf den Uterus beschränkt ist, bzw. daß durch die Ent¬
fernung des primären Herdes Heilung eintreten kann. Die Sätze 2 und 3
gelten auch für den Fall, daß Verletzungen des Uterus nachgewiesen sind. —
Der erste Teil des Satzes 3 dünkt Sch», auch für die Zukunft nicht sehr
aussichtsreich zu sein. Viele würden in solchen Fällen überhaupt nicht
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operieren, da selbst die Exstirpation des infizierten Uterus zu allerfrühester
Zeit, nämlich sub partu, eine Heilung nicht garantiert. (Fall Opitz.) Da¬
gegen scheine der zweite Teil mehr Gehalt zu haben, wenn es auch Fälle
gäbe, die ohne Operation geheilt, mit Operation gestorben sind. Die Indika¬
tionsstellung könne erst dann rationeller werden, wenn unsere Diagnosen-
Stellung eine sicherere sein wird. R. Klien (Leipzig).
Robert Asch, Über die medikamentöse Behandlung uteriner Blutungen.
(Der Frauenarzt, Heft 8, 1910.) A. bespricht in sehr präziser Weise die
Indikationsgebiete der drei großen Gruppen von uterinen St.vptizis: des
Sekales, des Kotarnins (Styptizin, Styptol) und der Ilydrastis. Die Sekale-
gruppe ist indiziert bei vorübergehenden Erschlaffungszuständen der Uterus-
rauskulatur, denn sie ruft Kontraktionen derselben hervor und verschließt
dadurch zugleich die blutenden Arterien. Hieraus folgt, daß das Sekale
bei schlecht entwickelter oder mangelnder Muskulatur, z. B. bei jungen
Mädchen, bei der sog. chronischen Metritis. nur geringe Wirkung wird
entfalten können; bei der Arteriosklerose des Uterus würde das Sekale
sogar direkt entgegengesetzt wirken, indem es die starren Gefäßlumina erst
recht klaffend erhalten würde. A. geht sodann auf flie Besonderheiten
der verschiedenen Sekalepräparate ein. Das außerordentlich teuere, aber
sicherst wirkende Kornutin (Kobert) will A. quasi als Testmedikament
;in wenden für Fälle, in denen entschieden werden soll, ob eine Seka lebe hand¬
lang überhaupt angebracht ist: das negative Resultat, das vollkommene
Ausbleiben einer blutstillenden Wirkung trotz Erreichung ausgiebiger Kon¬
traktionen entscheidet, daß Sekale unangebracht ist. Es empfiehlt sich,
bei Ergotindarreichung die Pat. darauf aufmerksam zu machen, daß sich
ev. Brechreiz, Erbrechen und wehenartige Schmerzen einstellen, denn häufig
wird sonst das Einnehmen des Mittels abgebrochen. In geburtshilflicher
Beziehung betiont A., daß nach seiner reichen Erfahrung Sekale auch in
kräftigeren Dosen genommen, nie den Abort einer intakten Schwanger¬
schaft herbeiführe, nur ein bereits im Gange befindlicher Abort, be¬
sonders nach eingetretenem Fruchttode, werde durch Sekale beschleunigt.
Das sei forensisch und therapeutisch sehr wichtig. Das Kotaruin ist
indiziert bei allen „venösen“ Blutungen, sei es, daß die Behinderung des
venösen Abflusses auf allgemeinen Zirkulationsstörungen oder auf lokalen
beruht, wie sie durch Exsudate, Tumoren u. a. in der Nachbarschaft des
Uterus hervorgerufen werden. Als Narkotikum wirkt das Kotarnin muskel-
crschlaffend. Man verwendet es u. a. mit Vorteil bei Arteriosklerose und
gewissen Formen der chronischen Metritis. - Klarer und größer ist das
Xndikationsgebiet für die dritte Gruppe, das für die Hvdrastis: sie ist ein
Schleimhautmittel. Also die chronische hyperplasierende Endometritis, auch
die auf infektiöser Basis und bei Myomen, selbst infolge Stauung bei Retro-
flexionen, ist das Gebiet für die Hvdrastis. Zum Teil deckt sich also die
Indikation mit dem des Kotarnin. Ganz besonders ist eine kräftige (viermal
täglich 30—40 Tropfen Extr. hvdr. in Südwein) und lange Zeit fortgesetzte
Hydrastisbehandlung indiziert und erfolgreich bei den Mono- und Metro-
rhagien junger Mädchen; durch diese Therapie wird nach und nach ge¬
radezu der normale Menstruationstyp erst herausgearbeitet. Dagegen sei in
solchen Fällen eine Eisentherapie ganz verfehlt, eher sei Arsen zu kombi-.
liieren. Eisen eigne sich für Fälle von Anämie bez. Chlorose mit Amenor¬
rhoe. In den Fällen von präklimakterischen Schleimhautblutungen sei im.
allgemeinen m,it Medikamenten nicht viel auszurichten, sondern bald zur
Kürette zu greifen, auch schon der Diagnose wegen. — Es kommt also
viel, sehr viel auf die Diagnose bez. Genese der uterinen Blutung an und
dementsprechender richtiger Auswahl des Mittels, wenn Erfolge mittels
medikamentöser Therapie erreicht werden sollen. R. Klien (Leipzig).
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Referate und Besprechungen.
93
Kinderheilkunde und Säugiingsernährung.
Theodor Hoffa (Barmen), Über die Erfolge der Anstaltspflege von ge¬
sunden und kranken Säuglingen. (Archiv für Kinderheilkunde, 1910.) Wäh¬
rend Czerny, Schelble und Pfaundler unumwunden zugesteheu, daß
sie einer häuslichen Versorgung des Säuglings mehr Vertrauen entgegen -
bringen als der Anstaltspflege, ist der Verfasser anderer Ansicht. Er gibt
zwar zu. daß besonders in städtischen Krankenhäusern ohne Säuglingsstation
noch manchmal gesündigt werde, daß noch keineswegs die Grundbedingungen
für das Gelingen der Anstaltspflege überall hinreichend erfüllt seien, glaubt
aber, daß wir auf dem Wege zum Bessern und daß die Resultate immer
günstigere werden in entsprechend geleiteten Anstalten. Reiß (München).
C. Pastia (Paris), Ein neues Zeichen für Scharlach. (La Tribüne
medicale, Nr. 46, S. 726, 1910.) In den Kliniken von Hu ti ne 1-Paris und
(» ro s o v i c i-Bukarest sah man fast bei allen Scharlachpatienten als kon¬
stantes Symptom ein lineares, sehr intensives Exanthem in der Ellbogen-
Beugeseite von zuerst rosenroter, später weinroter Farbe. Zumeist sind es
mehrere (2 4) solcher Streifen, zwischen denen die Haut die gewöhn¬
liche Scharlachfärbung zeigt. Sie treten früh auf und blassen erst ganz
langsam ab unter Hinterlassung eines Pigmentstreifens. (Anscheinend han¬
delt es sich um minimale Ekchymosen.)
Pastia schätzt dieses Zeichen höher ein als die Koplik’.sehen Flocken
bei Masern. Buttersack (Berlin).
v. Szontagh, Felix (Budapest), Zur Frage der Kontagiosität des
Scharlachfiebers. (Archiv für Kinderheilkunde, 1910.) Verfasser glaubt
auf Grund seiner Beobachtungen, daß das Gift der Angina und das
des Scharlachfiebers, wenn auch nicht identisch, doch in naher Ver¬
wandtschaft. stehen müsse. Die Angina ist ihrer Ätiologie nach keine
einheitliche Krankheit, deswegen ist es nicht ausgeschlossen, daß auch
die Ätiologie des Scharlachfiebers keine einheitliche ist. Die lokale und
die allgemeine Disposition sind die beiden Faktoren, welche beim Zustande¬
kommen der skarlatinösen Infektion des Organismus den Ausschlag geben.
Bei der Erklärung des Entstehens und des gehäuften Auftretens einer
infektiösen Krankheit ist es von größter Tragweite, auch jene Bedingungen
genau zu kennen, die zur Wirksamkeit des infizierenden Giftes notwendig
sind: ja es erscheint dem Verf. wesentlicher die Kenntnis von den Be¬
dingungen, unter denen die Infektion zustande kommt, als die vom krank -
machenden Gifte selbst. Reiß (München).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Ehrlich-Hata 606 ruft in Frankreich dauernd lebhafte Diskussionen
hervor, insbesondere in der Societe frangaise de dermatologie et de syphi-
ligraphie (Sitzung vom 17. November) und in der Societe medicale des
höpitaux (18. Nov.). Zu den begeistertsten Vorkämpfern gehört Milian;
iber auch er hat bei ca. 30% seiner „Geheilten“ Rezidive beobachtet.
Verschiedene Forscher, wie Jeanse'lme, Bongrafad, Martin und Tendron,
haben die Ausscheidungsverhältnisse der organischen Arsenikverbindungen
untersucht und gefunden, daß bei intravenöser Applikation des 606 die
Ausscheidung der Hauptsache nach in den ersten 24 Stunden erfolgt, bei
intramuskulärer zwischen dem 3. und 6. Tag. Diese Elimination scheint
unumgänglich notwendig zu sein; wenigstens wurden Vergiftungserschei-
nungen beobachtet, wenn im Urin kein Arsen auftauchte.
Armand Gautier macht darauf aufmerksam, daß die Verwendung
organischer Arsenikpräparate nichts Neues sei. Er erinnert an die guten
Erfolge, die man von Atoxyl, Kakodylaten, Arrhenal, Ükiesol, Hektin ge-
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94
Referate und Besprechungen.
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sehen habe, und meint: On ne saurait presenter chacun de ces corps eomme
uu specifique nouveau ni, eil particulier, donner le dernier venu superieur
aux autres. Neue Verbindungen herzustellen, bedeute, ein Problem für den
Chemiker, aber keineswegs eine neue therapeutische Methode. —
Fast 2 1 / 2 Jahrtausende sind vergangen, und immer noch ragt in ein-
samer Höh’ des Hippok'rates Spruch: f, o\ rcsloa aootXepr,, r, ol xpim* yaXexT-.
So viel Zeit reichte nicht aus, um eine einfache Wahrheit zum integrie¬
renden Besitz des Menschengeschlechtes zu machen! Buttersack (Berlin).
Ehrlich-Hata 606 vor französischen medizinischen Gesellschaften. (Bull,
in cd.. Nr. 89. S. 1026—1030, 1910.) In ihren Novembersitzungen haben sich
zwei angesehene ärztliche Vereine von Paris, die Societe frangaise de dermato-
logie et de syphiligraphie und die Societe medicale des höpitaux (am 4. Nov.)
mit dem neuen Syphilismittel 606 beschäftigt. Man gewinnt daraus den
Eindruck, daß das Arsenobenzol bei weitem nicht den Erwartungen entspricht,
die eine vorschnelle Phantasie sich davon ausgemalt hat. Zunächst sind die
Injektionen schmerzhaft und hinterlassen langwierige Infiltrationen, Gan¬
grän usw., ganz zu schweigen von den Allgemeinerscheinungen: Fieber,
Gelenkschmerzen, Erythemen.
Die Wirkung auf die syphilitischen Symptome ist verschieden, mit¬
unter überraschend, zauberhaft, mitunter = 0.. Sicherer sei die alte Queck.-
silbertherapie.
M. E. wird bei der Beurteilung des 606 häufig der logische Fehler
begangen, daß man das Verschwinden der äußeren Symptome für Heilung
nimmt. Wie wenig das der Fall ist, wissen wir aus den Rückfällen des
Typhus, aus den lange nach dem Ablauf einer Skarlatina einsetzenden Nieren¬
entzündungen. Stellt man diesen Irrtum richtig, dann erscheint es weiter
nicht wunderbar, daß die Arsen-Komponente des Präparates einen günstigen
Einfluß auf die Hauterscheinungen der Lues ausübt. Wie sich aber die
Dinge im Innern des Organismus abspielen, läßt sich daraus noch lange
nicht erschließen: wohl aber deuten die Rezidive an, daß das Virus keines¬
wegs ausgelöscht ist. In dem Moment, in welchem Rezidive anerkannt
werden, kann man von sicherer Heilung generell nicht mehr sprechen;
und es erhebt sich nur noch die Frage, ob sich vielleicht durch fortgesetzte
606-Behandlung eine dauerhafte Heilung erzwingen läßt. Aber darüber kann
man erst in einigen Jahren weiter verhandeln. Das ist freilich für unsere
nervösen, ungeduldigen Zeitgenossen eine harte Zumutung.
Buttersack (Berlin).
G. Nobl und H. Sprinzels (Wien), Dermato-therapeutische Anzeigen
der Kohlensäureschnee-Behandlung. (Zeitschr. für physik.-diät. Therapie,
Band 14, Heft 7 u. 8, S. 380—398 u. 458—469, 1910.) Die beiden Kliniker
der Abteilung für Hautkrankheiten und Syphilis in Wien bringen im vor¬
liegenden Aufsatz zunächst eine längere Einleitung bezüglich der früheren
Versuche, die feste CO 2 (zu therapeutischen Zwecken zu verwenden, be¬
schreiben dann ihre eigene einfache Methode und die damit erzielten Wir¬
kungen. Man beobachtet da makroskopisch entsprechend der zunehmenden
Intensität der Einwirkung (Zeit und Druck) zunächst Anämie, dann reaktive
Hyperämie, dann seröse Durchtränkung, die sich bis zur Blasenbildung
steigern läßt. Auch histiologisch sind die Vorgänge verfolgt worden vom
partiellen Zügrundegehen einzelner Zellen bis zur totalen blasigen Abhebung
ganzer Zellschichten und Umwandlung in eine strukturlose homogene Masse.
Danach richtet sich die Anwendung in der Therapie. Um Gewebe zu
zerstören, wird man eine energische Methode anwenden; eine leichte, kurze,
um anregend zu wirken. Die Erfahrung hat gelehrt, daß die Naevi eine
Domäne der C0 2 -Gefrierung bilden, »namentlich wenn es sich um ausgebreitete
und massige Male bandelt; die kosmetischen Resultate waren sehr erfreu¬
lich. Auch Lupus erythematodes, Lichen simplex chronicus und Epitheliome
bilden ein dankbares Feld für diese Therapie.
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Referate und Besprechungen.
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Bei zarten Gebilden wird man die Applikationsdauer auf 10—15—40
Sekunden bemessen; Warzen können dagegen eine Einwirkung bis zu l 1 /«*
Minuten vertragen. — Die Behandlung ist mit geringen Unannehmlichkeiten
für den Patienten verbunden. Die schmerzhaften Sensationen sind meist
nicht stark und dauern nicht lange. Muß man auf lockerem Gewebe wirken,
wie an den Augenlidern, so entsteht eine ödematöse Schwellung der Um¬
gebung; doch verschwindet dieselbe bald und spurlos wieder. Sollte eine
Wiederholung notwendig werden, so warte man ab, bis alle Reizerscheinungen
abgeklungen sind; muß dann aber Dauer oder Druck stärker wählen als
beim erstenmal, weil sich rasch eine Gewöhnung an den Kältereiz entwickelt.
Buttersack fBerliin).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
A. Cornelius (Oldenburg), Therapeutische Anwendung der Mineral¬
stoffe. (Zeitschr. für physikal. u. diät. Therapie, Bd. 14, S. 513—527, 1910.)
Fett, Eiweiß und Kohlehydrate beherrschen die physiologische Chemie in
so hohem Grade, daß daneben die Mineralstoffe unverdienterweise in den
Hintergrund gedrängt worden sind. Cornelius ist in Verbindung mit
Brasch (Kissingen) wiederholt für diese Stiefkinder der modernen For¬
schung eingetreten, und wenn er die Bedeutung der Mineralstoffe für die
osmotische Spannung, für fermentative und katalytische Vorgänge, für toxi¬
sche und antitoxische Prozesse auseinandersetzt, so stößt er damit gewiß
auf Verständnis bei vielen, um so mehr, da ja die Effekte der Thermal¬
quellen, sogar der sog. indifferenten, kaum zu bestreiten sind.
Der Geschmack der Zeit hat sich mehr den komplizierten, fast könnte
man sagen: mysteriösen Verhältnissen der Körperflüssigkeiten zugewendet.
Das ..Serum“ — als ob das eine einheitliche Substanz von konstanter Zu¬
sammensetzung wäre! — beherrscht hypnotisch die Gemüter. Um die ver¬
hältnismäßig leichter faßbaren Mineralstoffe kümmert man sich dagegen
wenig. Da ist solch eine Anregung, wie die von Cornelius, dankenswert.
Das „biologische Grundgesetz“: Schwache Reize fachen die Lebens¬
kraft an, mittelstarke fördern sie, stärkste heben sie auf, ist übrigens nicht
erst von R. Arndt 1892 aufgestellt worden, sondern findet sich schon bei
K. Virchow in seinem noch heute lesenswerten Aufsatz über Reizung und
Reizbarkeit (Virchow’s Archiv, Bd. 14, S. 24), und schon 100 Jahre früher
klingt derselbe Gedanke in John Brown’s Elementa medicinae an.
Buttersack (Berlin).
G. Cany, Einatmung von Mineralwässern. (Annales de la Societe
d'Hydrologie medicale de Paris, Bd. 55, Nr. 11, S. 250—255, 1910.) Cany
empfiehlt aufs wärmste das Einatmen möglichst fein zerstäubter Mineral¬
wässer. Dasselbe wirkt zunächst beruhigend, dann sekretionsbeschränkend,
und schließlich übt es durch Verbesserung der Zirkulation einen günstigen
Einfluß sowohl auf lokale Erkraukungsherde in den Lungen als auf den
ganzen Organismus aus. Das Indikationsgebiet ist dementsprechend weit ab-
gesteekt: Asthma jeder Art, krampfartiger Husten, die ganze Gruppe der
sog. Prätuberkulösen, Mediastinaldrüsenschwellungen, chronische Katarrhe
der Luftwege, Bronchektasien, Emphysem, Pleuritis chronica adhaesiva, Nei¬
gung zu Schnupfen und Husten, Folge zustande nach Grippe.
Die ideale Erfüllung der Inspiration fein verteilter Partikel scheint
mir auf dem Meer gegeben zu sein. Cany’s Auseinandersetzungen be¬
wegen sich mithin im Rahmen "des altbewährten Hippokratischen Spruches:
«'»üxssa äyotd-7v xeCi ia/va iveiv eu. (Das Meer ist ein gutes Mittel, um etwas
zum Austrocknen zu bringen, i «p\ uyowv /pr,<no$. Kap. 3.)
Buttersack (Berlin).
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Bücherschau.
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Bücherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
0. Amrein, Die Heilung der Lungentuberkulose im Hochgebirge. Unter spezieller
Berücksichtigung der Behandlung fieberhafter Fälle. 2. Auflage. 16. Beiten.
Wiesbaden 1910. Verlagsanstalt Emil Abigt. 60 Pfg.
0. Amrein, Die Vorzüge des Hochgebirges für Gesunde und Kranke. 2. Auflage.
44 Seiten. Wiesbaden 1910. Verlagsanstalt Emil Abigt. 80 Pfg.
0. Amrein, Wie verhütet man die Übertragung der Lungentuberkulose. 2. Auflage.
42 Seiten. Wiesbaden 1910. Verlagsanstalt Emil Abigt. 1 Mk.
B. Bandelier und 0. Roepke, Die Klinik der Tuberkulose. Handbuch der ge¬
samten Tuberkulose für Ärzte und Studierende. 493 Seiten. Würzburg 1911.
Curt Kabitzsch (A. Stüber’s Verlag). 9,50 Mk.
B. Bandelier und 0. Roepke, Lehrbuch der speziellen Diagnostik und Therapie der
Tuberkulose. Für Ärzte und Studierende. 5. erweiterte und verbesserte Auflage
mit einem Vorwort vom Wirkl. Geh.-Kat Prof. I)r. R. Koch, Exzellenz. Mit
19 Temperaturkurven auf 5 lithographischen Tafeln, 1 färb, lithogr. Tafel und
4 Textabbildungen. 292 Seiten. Wttrzburg 1911. Gurt Kabitzsch (A. Stuber’s
Verlag). 6,60 Mk.
Becker, W., Therapie der Geisteskrankheiten für praktische und Irrenärzte.
112 Seiten. Leipzig 1911. Verlag von Benno Konegen. 2,60 Mk.
F. Crämer, Das runde Magengeschwür. (Ulcus ventriouli rotundum.) Aus Vor¬
lesungen über Magen- und Darmkrankheiten. 5. Heft. 243 Seiten. München 1910.
Verlag von J. F. Lehmann. 4,50 Mk.
Mitteilungen.
Mit Beginn des neuen Jahres haben die auf dem Gebiete der Röntgentechnik
allgemein bekannten Veifa-Werke, Vereinigte Elektrotechnische Institute Frank¬
furt-Aschaffenburg m. b. H. eine neue Preisliste über ihre Röntgenapparate
herausgegeben.
Die Liste enthält ein reichhaltiges Verzeichnis der Röntgenliteratur. Ferner
sind in dieser Druckschrift die Konstruktions-Prinzipien der Röntgenapparate be¬
schrieben und verschiedene Ratschläge und Winke enthalten, die bei Anschaffung
einer Röntgeneinrichtung, die Wahl von Apparaten und röntgenologischen Hilfs¬
geräten erleichtern. In der Liste sind außerdem eine größere Anzahl Neuerungen,
die erst im Laufe des vergangenen Jahres entstanden sind, aufgenommen.
Die Veifa-Werke versendenden neuen Röntgenkatalog an Interessenten kostenlos.
Kongresse und Versammlungen.
Für den 32. Balneologenkongreß, welcher vom 2.—6. März unter dem Vorsitz
von Geh. Med.-Rat Prof. Brieger in Berlin tagen wird, sind die Vorbereitungen
beendet. Es sind 45 Vorträge angemeldet, unter anderen von den Professoren
Bickel (Berlin), Brieger(Berlin), Brauer (Hamburg), Do ve (Göttingen), Fran k en-
häuser (Berlin), Goldscheider (Berlin), Kisch (Marienbad), Levy-Dorn (Berlin),
L. Michaelis (Berlin), Päßler (Dresden), Schulz (Greifswald), Strauß (Berlin),
Zuntz (Berlin), Hofrat Determann (St. Blasien), Priv.-Doz. Schade (Kiel),
Oberstabsarzt Cornelius (Berlin), Oberstabsarzt .Tacoby (Charlottenburg), Oberarzt
Fuer6tenberg (Berlin), DL)r. Hahn (Nauheim), Hirsch (Hermsdorf), Immel-
inann (Berlin), Karo (Berlin), Krone (Sooden). Lach mann (Landeck), Lands¬
berg (Landeck), Ledermann (Berlin), Lenne (Neuenahr), Schmincke (Elster),
Schürmayer (Berlin), Selig (Franzensbad), Senator (Berlin), Siebelt (Flins-
berg), Wolff-Eisner (Berlin) u. a.
Ganz besonderes Interesse dürfen die Referate über das Radium in Anspruch
nehmen, und zwar wird Prof Marekwald (Berlin) über das Radium vom
physikalisch-chemischen Standpunkt und Prof. Kionka (Jena) über das Radium vom
biologischen Standpunkt aus referieren.
Die Sitzungen, welche im Poliklinischen Institut, Ziegelstraße 18/19 statt-
finden, sind öffentlich und werden zu denselben Ärzte als Gäste gern gesehen.
Alle den Balneologenkongres betreffenden Anfragen sind zu richten an den
Generalsekretär Geheimrat Dr. Brock, Berlin NW., Thomasiusstraße 24.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang,
1911.
fomcbrim der mcdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauegegeben von
Professor Dr. 0. Köster Pric.-Doz. Dr. o. Criegcrit
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 5. das Halbjahr. 2. Febr.
i = Verlag von Georg Thieme, Leipzig. .. -
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Entstehung, Wesen und Behandlung des Glaukoms.
Von Dr. W. Gilbert, Privatdozent und 1. Assistenzarzt der Königlichen Universitäts-
Augenklinik zu München.
(Nach einem am 29. Juli 1910 zu München gehaltenen Vortrag.)
Entstehung und Wesen des Glaukoms sind am besten verständlich,
wenn wir das Krankheitsbild unter dem Gesichtspunkt eines stets vor¬
handenen Symptoines betrachten, nämlich des der intraokularen Druck¬
steigerung. Ist auch die Zunahme des Augenbinnendruckes nicht die
letzte und. eigentliche Ursache des Krankheitsprozcsses, so erklärt sie
doch das gesamte okulare klinische Bild : sie führt durch Stauung und Ent¬
zündung zur ödematösen Durchtränkung und Degeneration des Horn-
hautepitliels. zur rauchigen Hornhauttrübung, durch Anpressen der Iris¬
wurzel an die Rückfläche der Hornhaut zur Verengerung und schlie߬
lich zur Aufhebung der vorderen Augenkammer und zur Verlegung
der vorderen Lymphabflußwege, durch Lähmung der Okulomotorius-
fasem für den Muse, sphincter zur Erweiterung und Starre der Pupille,
schließlich zur glaukomatösen Exkavation des Sehnerven meist durch
Verdrängung der Lamina cribrosa nach rückwärts.
Welche Momente vermögen nun eine intraokulare Drucksteigerung
herbei zuführen ? Da der Augendruck physikalisch betrachtet von der
Größe des Augeninhaltes und der Elastizität, der Augemvandung ab¬
hängt. sind diese Faktoren einer eingehenden Betrachtung zu unter¬
ziehen. Eine Änderung der Größe des Augeninhaltes kann entweder
durch Vermehrung der Flüssigkeitszufuhr oder durch Behinderung
des Abflusses erfolgen. Vermehrung der Flüssigkeitszufuhr nehmen
als Ursache der Drucksteigerung, mithin des Glaukoms, die sogenannten
Vlypersekretionstheorien an. Die Sekretionsvermehrung kann Folge von
Reizung des Sympathikus und des Trigeminus sein. Da bei Lähmungen
von Sympathikusästen Spannnngsabnahme sicher beobachtet ist, kann
zweifellos Reizung des S\ r mpathikus Druckerhöhung herbeiführen. Auch
infolge experimenteller Sympathikusreizung sind Vermehrung der
Sekretion und Zirkulationsstörungen beobachtet. Daß dem Trigeminus
eine ähnliche Bedeutung wie dem Sympathikus zukommt, geht aus dem
häufigen Auftreten von Glaukom nach Trigeminusneuralgien hervor.
So wurde zuerst (von Donders) das Glaukom als eine Sekretions¬
neurose aufgefaßt. Die vermehrte Absonderung wurde aber auch auf
entzündliche Vorgänge in der Aderhaut sowie auf Gefäßalterationen
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W. Gilbert,
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zurückgeführt. So nahm Al brecht von Graefe zuerst als Ursache
der Drucksteigerung eine Chorioiditis serosa an.
Anatomische Befunde an glaukomatös erkrankten Augen lenkten
die Aufmerksamkeit auf einen anderen Faktor hin, der Spannung ver¬
mehrend wirken kann, nämlich auf die Behinderung des Abflusses
der intraokularen Flüssigkeit. Weber und Knies wiesen gleichzeitig
darauf hin, daß beim Glaukom eine Verlegung der vorderen Abflußwege
durch Vordrängen der Iriswurzel an die Hornhautperipherie entstehe.
Knies insbesondere gelang der Nachweis des völligen Verschlusses des
Fontana’schen Baumes und einer indurierenden Entzündung in der Um¬
gebung des Schlemm’schen Kanales. Nach Priestley-Smith begünstigt
endlich die Vergrößerung der senilen Linse durch Verkleinerung des
zirkumlentalen Baumes die Entstehung von Glaukom. Dieser Erklärung
kommt besondere Gültigkeit zu bei stark quellender Katarakt sowie
überhaupt bei Entwicklung von Katarakt in zu Glaukom disponierten
Augen. Gegenüber diesen „Betentionstheorien“ nehmen Birnbacher
und Czermak einen vermittelnden Standpunkt zwischen Ilypersekre-
tions- und Betentionstheorien ein. Sie legen das Hauptgewicht auf chro¬
nisch entzündliche Veränderungen an den Vortexvenen, die zu Stauung,
zu vermehrter Sekretion und zu Drucksteigerung fuhren sollen; daneben
komme auch als drucksteigernder Faktor der verminderte Lymphabfluß
in Betracht, wie er durch chronisch entzündliche Veränderungen des
vorderen Augenabschnittes bedingt sei.
Schließlich sehen nach dem Vorgänge von Coccius eine Beilie von
Autoren eine primäre Affektion der Sklera als Ursache der Drucksteige¬
rung an. Soweit hierbei an eine Verengerung der Durchtrittspforten
für die Vortexvenen gedacht wird, handelt es sich ebenfalls um Beten¬
tionstheorien. Meist aber wird der Verlust der Elastizität (1er Sklera
als Ursache der Drucksteigerung angenommen. Die nachgewiesene
größere Rigidität der Sklera der kleiner gebauten hyperopischen Augen
erklärt neben ihrer seichten Vorderkammer nach dieser Annahme gut,
warum vorwiegend Augen mit diesem Breehungsfehler von Glaukom
befallen werden.
Das nächst der Drucksteigerung wichtigste und konstanteste
Hauptsymptom des Krankheitsbildes, die glaukomatöse Sehnervenexka¬
vation, wird auch heute noch nicht ganz allgemein als Druckexkavation
angesehen, wie das zuerst von seiten Heinrich Müllers geschehen ist.
Schnabel nimmt nämlich beim Glaukom ein eigenartiges Sehnerven¬
leiden an, den kavernösen Sehnervensclnvund, der unabhängig von der
Drucksteigerung sei, w r ie sein Vorkommen in Augen mit (angeblich)
normaler Spannung beweise. Wenn nun auch unzweifelhaft die
Schnabel’schen Beobachtungen von Kavemenbildung im Sehnervenkopf
zutreffen, so beweist die Existenz solcher Kavernen für die kausale
Genese der glaukomatösen Exkavation gar nichts, wie v. Hippel 1 ) neuer¬
dings zutreffend hervorgehoben hat, wohl aber gibt sie uns ein besseres
Verständnis der formalen Genese. Möglich scheint nach v. Hippel,
daß die Kavemenbildung im Sehnervenkopf beim Glaukom eine Folge
der enormen Hyperämie, des Eindringens von abnormer Flüssigkeit in
das Nervengewebe darstelle. Meines Erachtens sprechen nun vor allem
auch klinische Beobachtungen gegen die Annahme eines eigentümlichen
*) v. Hippel, Über die SchnabePsqke Lehre von der Entstehung der
glaukomatösen Exkavation, v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. 74, 1910.
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Entstehung, Wesen und Behandlung des Glaukoms.
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von der Drueksteigerung unabhängigen glankomalösen Sehnervenieidens,
nämlich einmal sichere Beobachtungen von Zurückgehen echter glau¬
komatöser Sehnervenexkavation nach druckherabsetzenden Operationen
— so konnte ich zweimal das völlige Zurückgehen der Exkavation bei
Patienten des fünften und sechsten Lebensjahrzehntes nach Iridektomie
beobachten und diesen günstigen Ausgang mit Erhaltung guter Seh¬
schärfe einmal noch nach zwei Jahren verfolgen 1 ) — sodann das Auf¬
treten der Exkavation beim angeblich nach früheren Autoren ohne
Drucksteigerung verlaufenden Glaucoma simplex bei Individuen, in deren
Aszendenz entzündliche Glaukome beobachtet sind. So kenne ich zwei
Familien, bei denen die Mütter wegen entzündlichen Glaukoms im
fünften Lebensjahrzelmt mit Erfolg iridektomicrt worden sind, während
je zwei Kinder im dritten Lebensjahr zehnt unter dem Bilde des soge¬
nannten Glaucoma simplex, des kompensierten Glaukoms, erblindet sind.
Solche Beobachtungen weisen zwingend darauf hin, daß die bisher übliche
Prüfung des intraokularen Druckes mit dem tastenden Finger als unzu¬
länglich aufgegeben und durch tonomctrische Prüfung ersetzt werden
muß. Meller’s 2 ) und Stock’s 3 ) Untersuchungen mit dem Sehiötz’schen
Tonometer haben denn auch schon die Richtigkeit früher geäußerter
Vermutungen ergeben, daß nämlich auch beim Glaucoma simplex Druck¬
steigerung vorliegt. Auch ich konnte in letzter Zeit eine, wenn auch
meist geringe, Tensionserhöhung beim Glaucoma simplex stets nacli-
weisen, doch sah ich einmal selbst Druckerhöhung bis zu GO mm Hg
gegenüber 15—25 der Norm. Somit ist die wichtigste Voraussetzung
für die SchnabeFsche Lehre von der Genese der Exkavation hinfällig:
die Sehnerven ex kavation beim Glaucoma simplex kommt nicht ohne
gleichzeitige Drucksteigerung zustande.
Immerhin ist zuzugeben, daß kavernöser Sehnervenschwund zu¬
weilen auch in hochgradig myopischen Augen mit normalem Druck
vorkommt und daß bei der glaukomatösen Exkavation nicht stets ana¬
tomisch sich Rück Verdrängung der Lamina cribrosa findet. Die häufigste
und wichtigste Ursache der glaukomatösen Exkavation stellt aber die
Drucksteigerung dar. Tonometrische Druckprüfungen werden auch die
aus therapeutischen Gründen so wichtige Differentialdiagnose gegen¬
über manchen Sehnervenatrophien bei Tabes und Schädeiverletziingen
klären. Diese bieten nämlich bisweilen bei ramLständiger steiler Ex¬
kavation ein bis zur Verwechslung der glaukomatösen Exkavation
ähnelndes ox>hthalmoskopisches Bild, das teils durch Kavernenbildung,
teils durch bindegewebige Narbenzüge und Retraktion der Lamina ent¬
standen sein mag, wie Eversblisch 4 ) angenommen hat.
Bisher haben wir uns nur mit den örtlichen Bedingungen zur
Entstehung des Glaukoms befaßt. Wir werden aber das Wesen dieser
unheilvollen Erkrankung, deren frühzeitige Erkennung für den Prak¬
tiker so wichtig ist, nicht ergründen, wenn wir nicht auch dem Zu-
*) Eine Reihe von 15 derartigen Beobachtungen hat inzwischen Axenfelcl
auf der 36. Heidelberger Versammlung der Ophthalmologischeu Gesellschaft 1910
bekanntgegeben.
*) Meller, Über die Sklerekto-Iridektomie. Klin. Monatsbl. für Augenheilk.,
47. Jahrg., Bd. 2, S. 641, 1909.
•) Stock, Über die mit dem Tonometer von ScliiÖtz gewonnenen Resultate
bei normalen und glaukomatösen Augen usw\ Klin. Monatsbl. für Augenheilk.,
48. Jahrg., 1910.
4 ) Vgl. Glauning, Pseudoglaukomatöse Exkavation des Sehnerveneintritts.
Archiv für Augenheilk., Bd. 45, 1902.
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W. Gilbert
stand dos ganzen Organismus Beachtung schenken und betrachten, bei
welchen Individuen erfahrungsgemäß ein Glaukom auftreten kann. Sehen
wir von dem sogenannten Glaukom im kindlichen Auge, dem Hydr-
ophthalmus congeniUis ab, so ist es vorwiegend eine Erkrankung des vor¬
gerückteren Lebensalters, bei Frauen etwas häufiger als bei Männern,
die bisweilen erblich auftritt. Neuralgien des Trigeminus spielen sicher
eine Bolle in der Vorgeschichte Glaukomatöser; hierfür spricht auch
das Auftreten des Leidens in typisch intermittierenden Anfällen. Die
Bedeutung der gichtischen Diathese ist seit langem bekannt und früher
vielleicht etwas überschätzt worden. Das Bindeglied zwischen beiden
Erkrankungen dürften die mit der Gicht zusammenhängenden Gefä߬
erkrankungen abgeben, wie denn überhaupt Alterationen des Gefä߬
systems, Cessatio mensium, Herzfehler, heftigere Gemütsaffektionen
und vor allem die senile Sklerose entschieden prädisponierend auf den
Ausbruch von Glaukom wirken können.
Ich sehe daher das Wesen des Glaukoms in einer durch nervöse
und angiopathische Einflüsse bedingten Störung der Regulation zwischen
Zufluß und Abfluß der intraokularen Flüssigkeit bei rigider Skleral-
wandung.
Die bisher übliche Behandlung des Glaukoms ist fast ausschließlich
eine Lokaltherapie operativer und medikamentöser Natur gewesen. Die
Entdeckung der Heilwirkung der Iridektomie in der Mitte des vergan¬
genen «Jahrhunderts gegen das bis dahin für unheilbar geltende Glau¬
kom ist das unvergänglichste und größte Verdienst Albrecht v.
Graefe’s. Auf Grund klinischer und experimenteller Beobachtungen,
die eine druckvermindernde Wirkung dieses Eingriffs dartaten, ersann
er planvoll diese segensreiche Operation, der heute nach List 60 Jahren
noch der erste Platz unter den operativen Behandlungsmethoden des
Glaukoms zukommt. Während nun die Heilwirkung der Iridektomie
schnell allgemeine Anerkennung fand, gehen auch heute noch die Er¬
klärungsversuche dieser Heilwirkung weit auseinander. Die einen sehen
die Freilegung des Filtrations winkeis und Durchschneidung von Ver¬
wachsungen in der Kammerbucht, als das Wesentliche an und legen
deshalb Gewicht auf die Schaffung eines möglichst großen Irisaus¬
schnittes (Koloboms). Dasselbe Ziel streben auch die Autoren an, die eine
vermehrte Sekretion des Kammerwassers von seilen der Iris annehinen,
eine Hypothese, die durch die neueren Arbeiten Hamburgers viel an
Wahrscheinlichkeit gewonnen hat. Auch die Entleerung der vorderen
Kammer an sich sollte den günstigen Einfluß der Operation erklären.
Andere führen die Heilwirkung auf die Bildung einer Filtrationsnarbe oder
auf die Schaffung einer Kommunikation zwischen Vorderkammer und
Suprachorioidealraum zurück, und schließlich wurde auch die Beseitigung
eines Beizzustandes an den Irisnerven für die Heilwirkung der Iridektomie
verantwortlich gemacht. Auf allen diesen Erwägungen beruhen denn
auch die mannigfachen Operationsmethoden, die an Stelle oder neben
der Iridektomie vorgeschlagen worden sind, wie Sklerotomie, Iridoskle-
rotomie und Parazentese. Im letzten Jahrzehnt kamen zu diesen schon
länger geübten Ersatzoperationen noch die Zykiodialyse nach Heine,
die lridenkleisis nach Holth, die Sklerekto-Iridektomie nach Lagrange
und schließlich auch die Resektion des Ganglion supremum des Hals¬
sympathikus.
Keine dieser Operationen hat die Iridektomie aus ihrer Stellung
als wichtigste antiglaukomatöee Operation zu verdrängen vermocht. Alle
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Entstehung, Wesen und Behandlung des Glaukoms.
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diese Eingriffe erweisen sich in geeigneten Fällen teils neben, teils nach
oder statt der Iridektomie als recht wertvolle Bereicherungen der opera¬
tiven Behandlung des Glaukoms, haben aber doch ein beschränktes
Indikationsgebiet. Am besten ist der Erfolg der Iridektomie beim akut
entzündlichen Glaukom, wo oft eine schnelle und durch Jahrzehnte
hindurch anhaltende Heilung erzielt wird; gut ist ihr Erfolg auch
meist beim chronisch entzündlichen Glaukom, wenngleich hier häufiger
Exazerbationen und Rezidive des Krankheitsprozesses die Wiederholung
des Eingriffs bzw. andere Operationen erfordern. Dagegen versagt die
Iridektomie häufig beim Glaucoma simplex; hier ist ihr die Sklero«
tornie vielleicht überlegen. Eine größere Bedeutung scheint für die
Behandlung des Glaucoma chronicum inflammatorium und des Glaucoma
simplex in letzter Zeit vor allem die Sklerekto-Iridektomie zu ge¬
winnen, während die Zyklodialyse sich besonders da bewährt, wo eine
Iridektomie nicht den gewünschten Erfolg gehabt hat und wo ein
Eingriff nur mehr zur Beseitigung heftiger Schmerzzustände am er¬
blindeten Auge bei Glaukom im degenerativen Stadium an Stelle der
Enukleation angezeigt erscheint. Beim Glaucoma simplex und vor allem
beim HydrophthaJmus oongenitus wurde öfters mit Erfolg die Sympathi¬
kusresektion vorgenommen.
Eine weitere Bereicherung unseres therapeutischen Rüstschatzes
bedeutet sodann die von seiten Laqueur’s und Weber s gleichzeitig
erfolgte Einführung der Miotika Eserin und Pilokarpin, zu denen später
noch das Morphin kam, in die Behandlung des Glaukoms; denn die Dauer¬
erfolge der Operationen sind doch oft nur beschränkte. Der thera¬
peutische Nutzen der Miotika ist nun bei allen Formen des Glaukoms,
besonders bei Prodromalanfällen und beim Glaucoma simplex, unbe¬
stritten; es fragt sich nur. oh man unbedenklich auch die entzündlichen
Glaukom formen andauernd mit Mioticis behandeln und von operativen
Eingriffen abschen darf. Es ist schwer, hier eine ganz allgemein gültige
Regel aufzustellen; dem Ermessen und der Erfahrung des einzelnen
wird hier im Einzelfall ein gewisser Spielraum zu lassen sein. Die
Mehrzahl der Ophthalmologen lehnt aber heute beim entzündlichen
Glaukom die dauernde Behandlung mit Mioticis als gefährliche Zeitver¬
seh Wendung ab und führt die Iridektomie bzw. eine ihrer Ersatzopera¬
tionen aus. Jedenfalls ist eine dauernde medikamentöse Behandlung
auch beim kompensierten Glaukom (Glaucoma simplex) nur unter stän¬
diger Kontrolle von zentraler Sehschärfe und Gesichtsfeld statthaft;
zweckmäßig wird sie nach Dufour’s Vorschlag mit der ebenfalls Miose
anregenden Anwendung eines Nachtlichtes kombiniert.
Über der lokalen Therapie wird auch heute noch gar zu oft die
Allgemeinbehandlung vernachlässigt, wie z. B. die Diskussion über
Glaukonibehandlung auf dem Budapester Kongresse von 1909 zeigt.
Es kann aber nicht genug betont werden, daß es sich beim Glaukom, beson¬
ders bei den entzündlichen Formen, nur ausnahmsweise um ein rein lokales
Leiden handelt. Gichtische und rheumatische Erkrankungen, besonders
aber die so oft gleichzeitig beobachtete Sklerose des Gefäßsystemes,
sind sorgfältigst zu berücksichtigen; denn man darf nicht vergessen,
daß die verschiedenen Operationen, sie seien noch so wirksam, doch
recht eigentlich nur Palliativoperationen sind, geeignet, den einzelnen
Anfall, aber nicht die Disposition zu Glaukom zu beheben. Es kommt
also darauf an, die konstitutionellen Momente zu beseitigen, die erfah-
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W. Gilbert, Entstehung, Wesen und Behandlung des Glaukoms.
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rungsgemäß zu Glaukom prädisponieren, und das sind in erster Linie
die Erkrankungen des alternden Gefäßsystemes.
Eversbusch hat daher — wohl als erster unseres Wissens —
schon seit langem beim Glaukom die Venaesectio geübt; und zwar werden
pro kg Körpergewicht ca. 3 ccm der Armvene entnommen. Der hierauf
meist spontan erfolgende Schweißausbruch wird zweckmäßig durch
warme Packungen und schweißtreibende Mittel (je nach dem Zustande
des Patienten 15—30 Tropfen des Golaz’sclien Dialysates in Fliedertee)
gesteigert. Die Erhöhung des intraokularen Druckes braucht nun keines¬
wegs von einer Steigerung des arteriellen Blutdruckes abhängig zu sein,
denn die weitgehende Anpassungsfähigkeit des Augenbinnendruekes an
erhebliche Schwankungen des allgemeinen Blutdruckes ist ja bekannt.
Bei bestehender Prädisposition zu glaukomatöser Erkrankung dürfte
aber ein andauernd hoher Blutdruck nicht gleichgültig sein. Wir sind
jedenfalls am hiesigen Material zu anderen Anschauungen bezüglich
des Vorkommens von hohem Blutdruck bei Glaukom gekommen als
Krämer 1 ) in Wien an der Fuchs’schen Klinik. Blutdrucksteigerungen
auf 180—250 mm nach Recklinghausen sind hier häufig und wir
würden den Tatsachen Zwang antun, wenn wir bei dem günstigen
therapeutischen Effekt der Venaesectio nicht an einen Zusammenhang
des Glaukoms mit der arteriellen Blutdrucksteigerung denken würden.
Für diesen Zusammenhang spricht auch das ungewöhnlich häufige Vor¬
kommen von Glaukom bei der Münchner stark biertrinkenden Bevöl¬
kerung, bei der so häufig auch schwere Störungen an den Kreislauf¬
organen und Konstitutionsanomalien sich finden (Bierherz, Vasosklerose,
Plethora, Adipositas).
Zur Veranschaulichung dieser Wirkung der Venaesectio mögen nur
folgende zwei Krankengeschichten dienen :
Otto R., 53 Jahre alt, klagt seit vier Wochen. über Nebelsehen
und Kopfschmerzen. Patient leidet an Plethora und mäßiger Poly¬
zythämie. Arteriendruck 180—210. Beiderseits Vorderkammer etwas
seichter, lebhafte Hyperämie, besonders der nasalen Papillenhälfte. Vis. c.
R/L 6 / 10 pp. 1,0 D. s. 6 / 6 p. Augen ermüden schnell. Diagnose
Glaucoma imminens.
Nach einer Venaesectio von 350 g verschwinden die Kopfschmerzen
sofort und dauernd. Patient gibt spontan an, erheblich klarer zu sehen.
Vis. c. 6 / 8 p. -j- 1,0 D 6 / q p. Nach dreiviertel Jahr Stat. idem.
Tritt hier deutlich der günstige Einfluß der Venaesectio beim
drohenden Glaukom zutage, so zeigt die nächste Krankengeschichte
die sichere Wirkung beim akut entzündlichen Glaukom.
Anton D., 47 Jahre alt, gibt an, seit zwei Jahren auf clem rechten
Auge zeitweise schlechter zu sehen. Am 1. 7. 1908 Aufnahme, da
Patient auf der Nachtfahrt von Wien nach München unter rasenden
Schmerzen rechts fast völlig erblindet war. Die rechte Hornhaut ist
sehr matt, rauchig getrübt, die Vorderkammer sehr seicht, die Pupille
mittelweit, rund, starr, die Tension deutlich gesteigert. Vis. c. Finger
in 2 Metern. Die linke Vorderkammer ist ebenfalls sehr seicht. Vise.
«/ 20 + 4,0 D. s. 6/ e .
Sofortige Venaesectio von 220 g bringt erhebliche Erleichterung
und führt mit gleichzeitiger Pilokarpininstillation zur Vertiefung der
*) Krämer, Zur Frage des Anteils des Blutdrucks an der glaukomatösen
Drucksteigerung, v. Graefe’s Archiv für Ophthalmologie, Bd. 73, 1910.
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Becker, Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten. 103
Vorderkammer, so daß am 2. 7. die Iridektomie technisch leicht aus¬
führbar ist. Dauererfolg V. c. 6 / 12 .
Nach den Untersuchungen von Moritz und Tabora 1 ) dürfen wir
nun den therapeutischen Erfolg der Venaesectio vornehmlich bei Er¬
höhung des Venendrucks erwarten. Solche Erhöhung konnte ich in aller¬
letzter Zeit ebenfalls bei Glaukomatösen beobachten.
Es soll hiermit nun nicht gesagt sein, daß die Venaesectio andere
Behandlungsmethoden des Glaukoms verdrängen könne. Sie stellt aber
eine wirkungsvolle Bereicherung unseres therapeutischen Schatzes dar
imd vermag Prodromalerscheinungen schnell, völlig und dauernd zu
beseitigen, vorausgesetzt, daß im übrigen ein zweckmäßiges Regime,
wie Abstinenz, reizlose blande Diät, Schonung vor körperlicher und
geistiger Überanstrengung, eingehalten wird. Sie ist ferner neben den
Mioticis sehr wichtig als Vorbereitung für die Iridektomie bei ent¬
zündlichem Glaukom mit sehr seichter Kammer, dessen Operation sich
nach unseren Erfahrungen leichter gestaltet, wenn 12—24 Stunden vorher
die Venaesectio voraiisgeschickt wird. Endlich findet sie zweckmäßig
bei hämorrhagischem Glaukom sowie bei Iritis mit Drucksteigerung
ihre Anwendung, wo operative Eingriffe wegen Blutungen untunlich
sind oder gern einige Zeit hinausgeschoben werden.
Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
Von Dr. Becker, Weilmünster.
(Schluß.)
Die nicht unter die sedativ wirkenden Gruppen von Arzneimitteln
fallenden Medikamente fasse ich zusammen als die mehr oder weniger
spezifisch wirkenden, wozu ich mich für berechtigt halte, als cs angängig
ist, diese Mittel nach den Krankheitsformen, bei denen sie Anwendung
gefunden haben, zu ordnen. Hierbei muß man sich nun leider erst,
um sich mit seinen Lesern zu verständigen, auf ein Schema der Klassi¬
fizierung der Psychosen einigen. Ich wähle der Einfachheit halber die
von Th. Becker in Gießen nach autoritativem Muster und unter An¬
lehnung an das Schema des preußischen statistischen Bureaus benutzte
Einteilung, wie sie in der vierten Auflage der „Einführung in die
Psychiatrie“ vorzufinden ist; nämlich:
1. Die einfachen Seelenstörungen
Manie,
Melancholie,
Paranoia,
Halluzinatorische Verwirrtheit (Amentia),
Periodisches Irresein,
Zirkuläres Irresein,
Primärer Schwachsinn (Dementia praecox),
a) Hebephrenie,
b) Katatonie,
c) Dementia paranoides,
Sekundäre Demenz,
Altersblödsinn.
2. Die paralytische Seelenstörung.
*) Moritz u. Tabora, Über eine Methode, beim Menschen den Druck in ober¬
flächlichen Venen exakt zu bestimmen. Deutsches Archiv für klin. Med., Bd. 98, 1910.
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Becker,
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3. Epileptische und hysterische Psychosen.
4. Kretinismus, Idiotie, Imbezillität.
5. Alkoholistisches Irresein, syphilitisches Irresein, Basedow¬
psychose.
1. Die einfachen Seelenstörungen.
Bei der Manie kennen wir keine spezifische Therapie, man mußte
denn die Summe der alle als symtomatisch-sedativ wirkend bezeich-
neten Medikamente hier substituieren. -- Bei der Melancholie gilt
das Opium als Spezifikum, das bereits genügend gewürdigt wurde.
— Die Paranoia ist wiederum einer spezifischen Behandlung ganz
unzugänglich und es kann nur symptomatisch und durch Allgemein¬
behandlung gegen sie vorgegangen werden. Die halluzinatorische
Verwirrtheit oder Amentia können wir wirksam bekämpfen, wenn
wir die Ursache kennen und die entstandene Psychose als Infektion
oder Intoxikation ansprechen können. Wenn eine Invasion von Staphylo¬
kokken und Streptokokken den Ausbruch psychischer Erkrankung ver¬
schuldet hat, soll Kollargol in einzelnen Fällen einen Heileffekt
hervorgerufen haben. Empfohlen wurde eine Lösung von 1,0:100,0
per os oder Klysma. Natürlich kann man nur in ganz frischen Fällen
die Möglichkeit eines Erfolges erwarten, wie man auch nur in akuten
Delirien, die mit einer Vergiftung einhergehen, von dem jeweiligen Anti¬
dot sich Heilung versprechen darf. In subakuten Fällen von Amentia,
Delirium acutum usw. sind in Halle günstige Erfolge mit ausgedehnten
Kochsalzinfusionen erzielt worden. Kann die Psychose ätiologisch mit
Ankylostomiasis in Zusammenhang gebracht werden, so wird man nicht
versäumen, eine anthelmintische Kur einzuleiten. Bei chronisch gewor¬
denen Intoxikationen, die eine Psychose zeitigen und den Verdacht
weiterer Phagie des Mittels erwecken, wird man zu einer energischen
Entziehungskur raten. Alle Erschöpfungspsychosen endlich sind, gleich¬
wie alle mit erheblicher Reduzierung des Kräfte- und Ernälirungs*
zustandes einhergehenden Seelenstörungen, zu denen eben die in Rede
stehende hauptsächlich gehört, sehr geeignet für die Therapie mit Eisen,
Arsen und Nährpräparaten. Man gebe z. B. Blaud’sche Pillen und Eisen¬
tinktur, Fowler’sche Lösung oder Arsenpillen, und suche sich nach
eigener Vorliebe aus der Fülle der täglich sich mehrenden Zahl von
Nährpräparaten das geeignetste aus. Speziell in ps 3 'chiatrischen Kliniken
und Irrenanstalten sind mit Erfolg erprobt: Tropon, Leguminose, Hygi-
ama, Nukleogen, Sanatogen, Lezithin, Haematose, Arsenhaematose,
Arsenferratose u. a. Näheres beliebe man in meinem Büchlein „Therapie
der Geisteskrankheiten“ nachzulesen. Gegen psychische Ausfallserschei¬
nungen des natürlichen und mehr noch des postoperativen Klimakteri¬
ums, die ja auch als akute Delirien zu imponieren vermögen, ist Üvara-
dentriferrin empfohlen worden; desgleichen Bab’sche Tabletten, ln
chronischen Fällen von Amentia unbekannter Ätiologie sind Versuche
mit Einspritzungen von fiebererregenden Toxinen, vor allem mit Tuber¬
kulin und mit abgetöteten Bouillonkulturen von Bacterium coli und
Typhusbazillen, teilweise nicht ohne Erfolg, versucht worden. — Bei
periodischen (und zirkulären) Seelenstörungen hat man —
öfters erfolgreich — die zu erwartende Erregung mit großen
Bromdosen (12—15 g pro die) zu verhindern gesucht; dasselbe ge¬
lingt manchmal mit allmählich steigenden Atropindosen, Anfangsdosis
0,1—0,3 mg. — Gegen die Dementia praecox sind wir, zumal nach¬
dem durch die serologischen Forschungen Much’s imd Holzmanns
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Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
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keine bestimmten Werte im Blute dieser Geisteskranken mit Sicher¬
heit festgestellt wurden, wodurch eine Serumtherapie hätte zustande
kommen können, zurzeit noch ziemlich machtlos. Versuchte Thyreoi-
din-Darreichung und die bereits genannten Kochsalzinfusionen haben
bei Dementia praecox nicht zu Nach versuchen ermuntert. — Von einer
Behandlung der sekundären Demenz im Sinne Th. Becker’s, nämlich
als Endstadium vorangegangener Psychose, kann man sich mit Medi¬
kamenten keinen Erfolg versprechen. — Ebensowenig ist dies der Fall
bei dem Altersblödsinn, es müßte denn sein, daß derselbe auf arterio¬
sklerotischer Basis entstanden ist, wo vielleicht Jodpräparate manch¬
mal kleine Remissionen herbeizuführen geeignet sind. —
2. Die paralytische Seelenstörung.
Der progressiven Paralyse ist im Rahmen dieser Aufsatzsammlung
ein eigenes Kapitel gewidmet. Es sei deshalb nur kurz erwähnt, daß
noch hier und da im Beginn der Krankheit zu einer energischen Schmier¬
kur und Jodkali geraten wird. In späteren Stadien sind Injektions¬
versuche mit nukleinsaurem Natron, mit Tuberkulin und mit Arseno-
phenylglyzin erfolgreich gemacht worden. Neuerdings scheint das
Ehrlich-Hata-Präparat Nr. 606 sich zur souveränen Therapie aller post¬
syphilitischen Erkrankungen, also auch der Paralyse, durchzusetzen.
3. Epileptische und hysterische Psychosen.
Gegen genuine Epilepsie ein Spezifikum zu finden, ist schon
lange das heiße Bemühen der Fachmänner gewesen. Vor einigen Jahren
wurde die Ärztewelt mit einem Geheimmittel, namens Epileptol, be¬
kannt gemacht, das Acidum amido-formicieum eondensatum sein sollte,
sich aber bei chemischen Nachprüfungen als ein Gemisch bekannter
Verbindungen ergeben hat. Bei der Art der Einführung in den Arznei¬
schatz und nach den bisherigen Erfahrungen, die größtenteils die vor¬
herigen Versprechungen des Erfinders nicht erfüllt haben, kann ge¬
raten werden, nur mit einiger Skepsis bewaffnet an das Mittel, das zu
15—55 Tropfen, allmählich steigend, gegeben werden soll, heranzugehen.
Es spielen entschieden psychische Einflüsse mit, wenn bei Darreichung
eines neuen Mittels die Anfälle plötzlich weniger werden, und es wird
der Arzt dadurch oft zu schmeichelhaften Urteilen bei Beginn der Be¬
handlung verleitet. Hierauf beruhen zum Teil sicher die „günstigen
Atteste“, die der Epileptolfabrikant für sich als Reklame benutzt. Aller¬
dings will ich, da ich selber Versuche mit Epileptol angestellt habe,
die Möglichkeit einer gewissen Wirkung nicht absprechen. Schlechter
Geschmack und nicht billig! —
Aus frischer Gehirnmasse hat v. Pöhl eine Substanz bereitet,
die Cerebrin genannt wird und entweder in Tablettenform (ä 0,3 g,
3—6 Stück tägl.) oder in Form von Klysma oder subkutan („Cerebrinum
Pöhl pro injectione subcutanea“ in gebrauchfertigen Ampullen, von
denen pro dosi je eine injiziert wird) gegeben werden. Den anfänglichen
Erfolgen folgende Nachprüfungen des Jahres 1906 lauteten weniger
günstig, die des Jahres 1908 dagegen berichten, daß in der Hälfte
der Fälle ein entschieden guter Einfluß bemerkbar war und daß Cerebrin
ein immerhin beachtenswertes Hilfsmittel in der Behandlung der ge¬
nuinen Epilepsie darstellt, das in schweren und für Brompräparate
weniger geeigneten Fällen den Versuch zu lohnen scheint, da es nicht
ganz unwirksam ist.
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Becker, Die medikamentöse Behandlung der Geisteskrankheiten.
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Als drittes Spezifikum gegen Epilepsie kann die zuerst von Ceni
eingeführte Serumbehandlung gelten. Es scheint, als wenn diese Methode
heute wenig mehr geübt wird. Die letzten Veröffentlichungen über das
Serum betonten die Vorzüge eines au toserotherapeutischen Verfahrens.
Interessenten mögen darüber in der Münchn. med. Wochenschr. Nr. 31,
1904 (Mazzai) nachlesen.
Jedenfalls scheinen alle drei Mittel nicht das zu leisten, was
mit Brom erreicht wird, worüber bereits das Nötige gesagt ist.
In seltenen Fällen können luetische Veränderungen des Gehirns
eine genuine Epilepsie Vortäuschen. Es genügt hier wohl, kurz darauf
hinzuweisen, daß in solchen Fällen eine Jodkalikur, eventuell gar
Schmierkuren, die Krämpfe zu beseitigen imstande sind. Siehe auch
unten das über Hirnlues Folgende.
Gegen Hysterie hilft am besten die psychische Behandlung, die
ja aber unser Thema hier nicht berührt. Von Medikamenten könnte man
höchstens den oben näher aufgezählten Baldrianpräparaten eine gewisse
spezifische Bolle zuerkennen.
4. Kretinismus, Idiotie, Imbezillität.
Da die Entartung der Schilddrüse die wichtigste oder gar einzige
Entstehungsursache des Kretinismus und des Myxödems ist, so muß
die Thyreoidinbehandlung als spezifisch gelten. Leider schafft sie keine
Dauererfolge. Auch kann sie toxisch wirken und eine verhängnisvolle
Herzlähmung hervorrufen. Es muß deshalb stets eine Kontrolle der
Herztätigkeit bei Schilddrüsenbehandlung ausgeübt werden; auch emp¬
fiehlt sich, auf etwa auftretende Albumenausscheidung im Urin zu
achten. Unter diesen Kautelen mag man immerhin faut de mieux es
mit Schilddrüsensubstanzdarreichung versuchen. Man gibt entweder
frische Hammel- oder Kalbschilddrüse, die durch Feinhacken, Salzen
und Auf-Brot-Streichen schmackhaft gemacht wird, ein- bis zweimal
wöchentlich 2, später 3 g; oder im Handel erhältliche Tabletten ä 0,1
resp. 0,3 g, von deren ersteren tägl. 3, allmählich steigend bis zu einer
Tagesdosis von 1,0 oder gar 1,5 g, dargereicht werden. Neuere hier
in Betracht kommende Schilddrüsenpräparate sind dann noch Thyraden,
Thyreoidinum siccum und, da die Joddarreichung auch vereinzelt ge¬
rühmt wurde, das beides enthaltende Jodothyrin. Erwähnt muß endlich
noch werden, daß in Form von Alkohol- oder Glyzerinextrakten der
Schilddrüsensubstanz dieselbe auch subkutan appliziert werden kann.
Zwecks Regelung der Ernährung wurden neuerdings gleichzeitige
Nukleogeninjektionen verabfolgt.
Bei der Idiotie ist nur dann eine spezifische Behandlung mög¬
lich, wenn die Wassermann’sche Reaktion, die bei dem leisesten Ver¬
dacht auf kongenitale Lues unbedingt auszufuhren ist, positiv aus¬
fällt. Diese Art der Idiotie bildet nach neueren Untersuchungen einen
höheren Prozentsatz, als man früher anzunehmen geneigt war, und
ist natürlich auch durch geeignete antiliietische Kur, die möglichst
frühzeitig einzuleiten ist, beeinflußbar. Quecksilber und Jod., neuer-
toigs vielleicht statt deren besser das Ehrlich’sche bereits genannte
Präparat Nr. 606, könnten hier dann also als Spezifika gelten.
5. Alkoholistisches Irresein, syphilitisches Irresein, Basedowpsychose.
Die einzige spezifische Behandlung des alkoholistischen Irre¬
seins ist die rotalabstiiienz, die am besten durch Anstaltsbehandlung oder
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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wenigstens Anschluß an einen Abstinenzlerverein erreicht wird. Die
dipsomanischen Perioden sind in derselben Weise zu bekämpfen wie
die zirkulären Psychosen. Die Hirnlues, deren Diagnose durch die
Wassermann’sche Reaktion sichergestellt wird, erfordert wieder die An¬
wendung von Quecksilber oder Jod; eine neue Ära der Luesbehandlung
scheint jetzt anzubrechen und wird diese altbewährten Arzeimittel wahr¬
scheinlich durch Ehrlich’s ruhmverheißende Erfindung ersetzen. Die
Basedowpsychose endlich, wenn sie auch im allgemeinen wenig Aus¬
sichten auf erfolgreiche Behandlung bietet, muß wieder mit Scliild-
drüsenpräparaten zu bekämpfen versucht werden. Es eignen sich dazu
die bereits genannten Mittel. Besser aber noch scheinen speziell bei
dem Morbus Basedowii, und deshalb vielleicht auch bei den psychischen
Störungen im Gefolge derselben, einige neue Präparate zu wirken. Ich
nenne in erster Linie das Antithyreoidin Moebius, ein Serum, das aus
entkropften Hammeln gewonnen wird, in Originalgläschen von 10,0 g
in den Handel kommt und in Dosen von 1,2—2,0 g in Wein oder Him¬
beersaft gereicht wird; ferner das Rodagen, ein Pulver, das aus der
Milch von entkropften Ziegen hergestellt wird, imd von dem 5,0—10,0 g
täglich 2—3 Wochen lang gegeben wird.
Von sonstigen Psychosen könnte hier noch folgendes Erwähnung
finden. Bei Geistesstörungen nach Pellagra hätte eine diese Krank¬
heit bekämpfende Therapie Platz zu greifen, bei solchen nach Ankylo-
stomiasis eine anthelmin tische Kur, bei Vergiftungen antidotische Be¬
handlung usw.
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Einige Bemerkungen zur Frage der Prognose der ausgedehnten Dünndarm¬
resektion.
Von Prof. Dr. Lieblein, Prag.
(Vortrag im Verein Deutscher Ärzte in Prag am 2. Dezember 1910.)
Für die Proguose der ausgedehnten Dünndarmkürzung kommt in
Betracht:
1. Die Ausdehnung der Resektion;
2. Die Lokalisation derselben im Bereiche des Dünndarmes.
Auf die erste Frage geht der Vortragende nicht näher ein und
erwähnt nur, daß nur die Kenntnis der Größe des im Körper zurück¬
bleibenden Dünndarmstückes eine richtige Vorstellung über die Aus¬
dehnung der gemachten Resektion gibt, diese Größe selbst aber nur
durch die direkte Messung des zurückbleibenden Darmstückes intra
Operationen in einwandfreier Weise bestimmt werden kann.
Eingehender befaßt sich der Vortragende mit der Frage, inwieweit
die Lokalisation der ausgedehnten Dünudarmresektion die Prognose be¬
einflußt, das heißt also, ob die ausgedehnten Dünndarmkürzungen in
ihren Folgen fiir den Organismus verschieden zu beurteilen sind, je
nachdem sie das Jejunum oder das Ileum betreffen. Einzelne Autoren
wie Trzebicky, Albu und Nagano vertreten die Anschauung, daß
Resektionen im Bereiche des Jejunum für den Organismus schwerer ins
Gewicht fallen als solche im Bereiche des Ileum. Diese Anschauungen
stehen jedoch nicht im Einklang mit den Resultaten einer Reihe von
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Referate und Besprechungen.
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physiologischen Arbeiten, welche sich die Bestimmung der Resorptions¬
größe unserer wichtigsten Nahrungsmittelgruppen in verschiedenen Ab¬
schnitten des Dünndarmes zur Aufgabe gesetzt haben.
So konnte der Vortragende selbst schon vor 4 Jahren nach weisen,
daß auch der untere Dünndarm des Hundes aus Peptonlösungen be¬
deutende Mengen Stickstoff resorbiert und später fand Kaori Omi im
Ileum sogar eine bessere Resorption von Pepton aus wässerigen Lösungen
als im Jejunum.
Croner sowie London und Sivrö konnten bezüglich der Fett¬
resorption eine bedeutende Überlegenheit des unteren Dünndarmes gegen¬
über dem oberen konstatieren. Und was schließlich die Resorption der
Kohlehydrate betrifft, so findet, wie die Stoffwechseluntersuchungen an
Menschen und Tier nach ausgedehnter Dünndarmresektion ergaben,
dieselbe auch nach den ausgedehntesten Resektionen in ausgezeichneter
Weise statt.
Nach diesen Untersuchungen müssen wir daher das Ileum
bezüglich der Resorption der Eiweißstoffe und Kohlehydrate
als dem Jejunum gleichwertig, bezüglich der Fettresorption
jedoch als den wichtigeren Abschnitt des Dünndarmes be¬
zeichnen und seinen Ausfall im Gegensatz zu früheren An¬
schauungen als für den Organismus folgenschwerer ansehen als
den Verlust des Jejunum.
Die Schlüsse, welche uns diese Betrachtungen bezüglich der Er¬
nährung nach ausgedehnter Dünndarmresektion ziehen lassen, sind folgende:
Reichliche Eiweißernährung und Darreichung der Proteinstoffe in der
Form des leicht assimilierbaren animalischen Stickstoffs, um Ei weiß Verluste
möglichst zu vermeiden, keine übermäßige Fettzufuhr, da das über¬
schüssige Fett, sowie es nicht resorbiert wird, mechanisch die Resorption
der Proteinstoffe hindert und zur Diarrhöe Veranlassung gibt. Dagegen
reichliche Zufuhr von Kohlehydraten, die erfahrungsgemäß voll aus¬
genutzt werden und als Eiw’eißsparer in Betracht kommen. Bekämpfung
der bestehenden Neigung zu Diarrhöen.
Als Ersatz für die mangelhafte Fettresorption von seiten des Dünn¬
darmes kämen in Betracht: Subkutane Olivenölinjektionen, sowie eventuell
Infusionen von Lipaninseifenlösungen in den Dickdarm, die nach den
Untersuchungen von Hamburger vom Dickdarm des Hundes in aue-
gezeichneter Weise resorbiert worden. Allerdings müßten vorher erst
Untersuchungen am Menschen die Fähigkeiten des menschlichen Dick¬
darmes für die Resorption dieser Lösungen feststellen.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
S. Trzebinski, Weiteres über endoneurale Wucherungen. (Virchow’s
Archiv für path. Anat., Bd. 199, S. 454, 1910.) Die selbständige Bildung
endoneuraler Wucherungen in den peripherischen Nerven (Neubildung von
Narbengewebe zwischen den Nervenfasern und Auftreten von „Blasenzellen“)
scheint erst in einer bestimmten Lebensperiode zu erfolgen, welche für den
N. Ischiadicus des. Kaninchens dem Alter von 7—8 Wochen entspricht. Es
ist möglich, die Entwicklung dieser Veränderungen künstlich durch mecha¬
nische Reizung (Massieren) des Nerven hervorzurufen oder zu beschleunigen,
besonders wenn dadurch entzündliche Verwachsungen des Nerven mit seiner
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Referate und Besprechungen.
109
Umgebung zustande kommen. So entstandene Herde können durch Druck
Zerfall der Nervenfasern verursachen. Auch außerhalb des Experimentes
werden demnach endoneurale Wucherungen unter dem Einflüsse des Druckes
entstehen können, ohne gerade immer nur auf diese Weise zustande kommen
zu müssen. W. Risel (Zwickau).
H. J. Helmholz, Die Regeneration des Darmepithels von den Brunner-
schen Drüsen in oberflächlichen Duodenalgeschwüren. (Virchow’s Archiv für
path. Anatomie, Bd. 201, S. 243, 1910.) Die histologische Untersuchung von
20 Duodenalgeschwüren ergab, daß am Grund des Geschwürs die Zellen der
Brunner’schen Drüsen den Typus des oberflächlichen Epithels annehmen, und
daß die Proliferation von Drüsenzellen ein Hilsfmoment bei der Bedeckung
der ulzerierten Stelle ist. W. Risel (Zwickau).
J. Poscharissky, Induratio lienis fibrosa circumscripta. (Virchow’s Arch.
für path. Anat., Bd. 198, S. 325, 1909.) Man findet verhältnismäßig nicht
selten (nach Verf. in etwa 3% der Fälle) in der Milz von Erwachsenen
bei den allerverschiedensten Veränderungen im Organismus scharf begrenzte
Herde, von einer etwas blässeren Farbe als die Milzpulpa. Ihre Größe
wechselt, von mikroskopischer bis zu der einer Erbse. Die Herde kommen
sowohl in verschiedenen Schichten der Pulpa vor, als auch in der Nähe
der Kapsel; die ersteren haben häufiger eine runde, die letzteren eine drei¬
eckige Form. Die Herde bestehen aus einem sklerosierten Stroma, das in
ein derbes Bindegewebe umgewandelt wurde, welches von kavernösen Venen
durchsetzt ist, die teils komprimiert, teils von ziemlicher Weite sind. Diese
Herde stellen Bezirke von Herdsklerose des Milzstroma dar, die von einem
Schwunde der Pulpazellen und einer ausgesprochenen Verdickung des reti¬
kulären Gewebes begleitet wird. Über die Ätiologie dieser Herde läßt sich
nichts Bestimmtes sagen. W. Risel (Zwickau).
R. Kawamura, Über die infarktartigen Gebilde in der Milz des tuber¬
kulösen Meerschweinchens. (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 198,
S. 501, 1910.) Bei der Milztuberkulose des Meerschweinchens kommen nicht
selten infarktartige Gebilde vor. Ein gewisser Teil derselben ist rein
nekrotischer Infarkt infolge von Arterienverschluß; häufiger findet sich
ein hämorrhagischer nekrotischer Infarkt infolge von Venen Veränderungen;
ein anderer Teil erweist sich als Konglomerattuberkel. Die Mehrzahl ist
bedingt durch Kombination von Tuberkulose und Nekrose des Milzgewebes,
die meist durch die Verstopfung und Zerstörung der kleineren Arterien,
teilweise auch durch die kolossale Stauung hervorgerufen ist. Das nekro¬
tisierende Milzgewebe ist während der langsamen Veränderung der Gefäße
mit Tuberkelbazillen neu infiziert und erzeugt so die tuberkulösen Granu¬
lationen. Bei fast allen Fällen bleibt das subkapsuläre Gewebe intakt,
welches zuerst mit dilatierten Lymphräumen durchsetzt und später fibrös
umgewandelt ist. Die kleineren Arterien innerhalb der Verkäsung sind oft
der Veränderung, Zerstörung, Verengerung und Verstopfung ausgesetzt. Die
Venen werden leicht von der tuberkulösen Veränderung befallen. Tuberkel¬
bazillen sind bei jedem Falle und zwar in alten und jungen tuberkulösen
Herden nachzuweisen. W. Risel (Zwickau).
F. Vermiet, Chorionepitheliomähnlicher Harnblasenkrebs mit gleich¬
artigen Metastasen bei einem Manne. (Virchow’s Archiv für path. Anat.,
Bd. 196, S. 73, 1909.) Bei einem 30jährigen Manne wurde eine grauweiße
papilläre Geschwulst der Harnblase gefunden, die zahlreiche Metastasen
in anderen Organen gemacht hatte. (Im Beckenbindegewebe, in den prä¬
vertebralen, mesenterialen und zervikalen Lymphdrüsen, auch in den Lungen.)
Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigte sich, daß sowohl der Primär-
tumor als die Metastasen aus zwei ganz verschiedenen Zellformen aufgebaut
waren, einmal aus synzytialen Gebilden, die mit den Synzytien des Chorion-
epithels eine gewisse Ähnlichkeit hatten, zweitens aus großen polyedrischen
Zellen, die von den Langhans’schen Zellen nur wenig ab wichen. Übergänge
zwischen beiden Zellarten waren vielfach zu finden. Der größte Teil des
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Referate und Besprechungen.
Geschwulstgewebes war außerdem in hohem Grade hydropisch gequollen, so
daß sich die mannigfachsten Bilder ergaben. Der Fall zeigt wieder, daß
nicht alle Geschwülste, die morphologisch an Chorionepitheliom erinnern,
auch genetisch als solches aufgefaßt werden dürfen, daß vielmehr gelegentlich
auch in einem makroskopisch nichts Charakteristisches aufweisenden Karzi¬
nom reichliche chorionepitheliomähnliche Bildungen auftreten können.
W. Risel (Zwickau).
Bakteriologie und Serologie.
S. v. Prowazek (Hamburg), Weitere Untersuchungen über das Vak¬
zinevirus. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 1.) Verfasser bespricht in
Kürze Immunisierungsversuche mit abgetötetem Vakzinevirus durch Impfung
auf die Kornea von Albinokaninchen. Mit dem bei 58° C abgetöteten Virus
gelang es subkutan Albinokaninchen zu immunisieren. Die mit. dem ab-
getöteten Virus geimpften Korneae wurden im positiven Sinne vakziniert.
Mit Kolloidfiltraten konnte inan in keiner Weise immunisieren. Dann noch
machte er Versuche über die Absorption der kleinen korpuskularen Er¬
reger, sowie sekundär über ihre Größe und Sinkgeschwindigkeit.
Schürmajui.
Arthur F. Coca, Die Ursache des plötzlichen Todes bei intravenöser
Injektion artfremder Blutkörper. (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 196,
S. 92, 1909.) Die Ursache des plötzlichen Todes, der nach Injektion von
relativ geringen Mengen ausgewaschener artfremder Blutkörperchen erfolgt,
beruht auf einer mechanischen Verstopfung des kleinen Kreislaufes, hervor-
gerufen durch die Anhäufung der injizierten Blutkörperchen in den Kapil¬
laren und Arteriolen. Die Anhäufung der artfremden Blutkörperchen in den
Liingengefäßen beruht wahrscheinlich auf Agglutination. Die Gegenwart spe¬
zifischer Agglutinine im Blute genügt nicht, bei Injektion ,,toxischer“ Blut¬
körperchen den kleinen Kreislauf zu verstopfen. Es muß noch die Mitwirkung
eines weiteren, wesentlichen Faktors angenommen werden, der wohl in den
Gefäßwänden zu suchen ist. Toxische Stoffe sind nicht in aktiver Form
in den frischen Blutkörperchen nachzuweisen. Die Absorption der spezi¬
fischen Agglutinine durch die entsprechenden Blutkörperchen findet fast
unmittelbar statt. W. Risel (Zwickau).
Blochmann (Tübingen), Sterben von Aquarienfischen durch Einwande¬
rung von Cercaria fissicanda La Val. (Zcntralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 1.)
Durch das Einbringen von Cerearien in Fischaquarien wurde ein Absterben
der Fische festgestellt. Nach angestellten Versuchen des Verfassers beruht
der Tod der Tiere nicht auf einer Giftwirkung. Er glaubte, daß es vielleicht
eine mechanische Schädigung sein könnte, etwa eine Gefäßverstopfung oder
eine Läsion der durchwanderten Gewebe. Im Blute im Gehirn wurden
Cerearien gefunden. In der Perikardhöhle in der Orbita im Glaskörper
finden sich Extravasate. . Schürmann.
Aoki (Straßburg), Paratyphus-A-Bazillen als Ursache eines Bauch¬
deckenabszesses. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) Verfasser berichtet
über einen Fall von Bauchdeckenabszeß, der durch Paratyphus-A-Bazillen
verursacht wurde. Schürmann.
Tsuzuki (Gießen), Zur Frage der Beziehungen zwischen Bakterio-
tropinen und Bakteriolysinen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 1.) Eine
bakterizide Wirkung der Sera im Reagenzglase bei Benutzung verschiedener
tierischer Immunsera und mehrerer Stämme von Paratyphus B konnte Verf.
nach weisen. Ein Fortschritt in der Frage nach den Beziehungen zwischen
lytischen und bakteriotropen Immunkörpern ist nicht von der Untersuchung-
tierischer Paratyphus-Immunsera, sondern von der Prüfung menschlicher
Sera auf ihre bakterizide und bakteriotrope Kraft im Reagenzglase zu er¬
warten. Schürmann.
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Dobrowolskaja (Petersburg), Zur Frage der Komplementbindungsreak¬
tion bei der Lyssa. (Zentraibl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) Mit spezifischen
Antigenen gelingt eine deutliche Komplementbindungsreaktion bei gegen
Wut immunisierten Hunden. Diese Reaktion gelingt aber auch mit nicht-
spezifischen Antigenen. Es ist unmöglich, die Spezifität der bei Immunisie¬
rung im Blute sich amhäufenden Stoffe mit der Komplementbindungsreaktion
zu beweisen, weil ebensolche Hemmung bei Seren der Hunde festzustellen
ist, die sich auf der Höhe der Verdauung befinden. Schürmann.
Sparmberg und Amako (Berlin), Über die Verwendbarkeit der Marx-
schen Ragitnährböden und Eudo-Tabletten. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56,
H. 1.) Die von Marx angegebenen von der Firma G. Merck, Darmstadt,
hergestellten Präparate zur Nährbodenbereitung (Ragitagar, Ragitbouillon
und Eudo-Tabletten) werden von den Verfassern in den verschiedensten Kom¬
binationen sehr gelobt und wegen ihrer Billigkeit empfohlen.
SchürmaJin.
Innere Medizin.
E. Frhr. von Redwitz, Der Einfluß der Erkrankungen der Koronar¬
arterien auf die Herzmuskulatur mit besonderer Berücksichtigung der chro¬
nischen Aortitis. (Virchow's Archiv für path. Anat., Bd. 197, S. 433—472,
1910.) Verf. untersuchte im Münchener Pathologischen Institute eingehend
die Herzen bei 18 Fällen von chronischer Aortitis, nachdem er sich vorher
durch Injektionsversuche am menschlichen Herzen davon überzeugt hatte,
daß im Sinne von Spalteholz einfache Unterbindungen der Kranzgefäße
in keinem Falle genügten, um irgendein Gebiet des Koronarkreislaufes von
der Injektion auszuschließen, daß also die beiden Kranzarterien keineswegs
in sich abgeschlossene Gefäßgebiete darstellen.
Die Untersuchung des pathologisch-anatomischen Materiales ergab
folgendes:
Bei der Beurteilung des Einflusses der Erkrankung der Kranzgefäße
auf die Herzmuskulatur ist ein Unterschied zu machen zwischen den Fällen
von Aortitis fibrosa postsyphilitica, welche in der Mehrzahl der Fälle vor
allem zur Verengerung und Obliteration der Kranzgefäßostien führt
und die Kranzgefäße selbst nur selten befällt, und den Fällen von Arterio¬
sklerose der Kranzgefäße, welche vor allem sich im Verlaufe der Gefäße
lokalisiert.
Während das vorliegende Material für die Fälle der ersten Gruppe
keine Anhaltspunkte für die Annahme einer direkten Abhängigkeit der
Prozesse im Herzmuskel von den Erkrankungen der Gefäße ergab, konnte bei
drei Fällen der zweiten Gruppe ein solcher Zusammenhang der Lokalisation
konstatiert werden. Die dabei im Herzmuskel beobachteten Schädigungen
waren jedoch schon makroskopisch nachweisbar. Für die bei der Mehrzahl
der Fälle der ersten Gruppe gefundenen mikroskopischen Schwielen können
auoh andere Entstehungsursachen verantwortlich gemacht werden.
Der Umstand, daß die Kranzgefäße, die anatomisch sicher keine End-
arterien sind, sich funktionell in manchen Fällen so zu verhalten scheinen,
entspricht den bei Tierexperimenten gemachten Beobachtungen und ist durch
den plötzlichen Eintritt von Gefäßusuren im Kranzgefäßgebiete zu erklären,
nicht aber durch eine sich langsam bildende Ischämie.
Für diese plötzlich entstehenden Gefäßusuren sind thrombosische und
embolische Prozesse verantwortlich zu machen, für deren Entwickelung und
Zustandekommen im erkrankten Gefäßgebiete reichlich Gelegenheit ge¬
geben ist. W. Risel (Zwickau).
A. Ephraim, örtliche Behandlung chronischer Bronchialerkrankungun.
(Archiv für Laryng., Bd. 24, H. 1.) Durch bronchoskopische Beobachtung
weist Verf. nach, daß die bisher vorgeschlagenen lokaltherapeutischcn Metho¬
den — Inhalation, intratracheale Injektionen — nicht wirksam sein können.
Er benutzt einen Sprayapparat mit langer, starrer Röhre, der während der
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Referate und Besprechungen.
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Bronchoskopie in Tätigkeit gesetzt wird, sowie einen biegsamen „Bronchial -
spray“, der durch den kokainisierten Kehlkopf geführt wird, und je nach
der Lage, in den rechten oder linken Bronchus dirigiert werden kann. Durch
Auskultation bei angehaltenem Atem wird die Lage des Sprays festgestellt.
18 Fälle chronischer Bronchittis und einer von Ektasie sind mit
Erfolg behandelt worden, nur selten war wiederholte Applikation notwendig.
Ganz besonders eklatant war die Wirkung beim Asthma. Hier erhöhte
sich in den ersten Tagen die Sekretion bedeutend. Aber in der Mehrzahl
der 7G Fälle (nur 12 verhielten sich refraktär) ergab sich auch eine Dauer¬
wirkung, derart, daß die Anfälle ganz verschwanden oder doch an Zahl be¬
deutend abnahmen. Die bronchoskopische Therapie leistete somit mehr als
irgendeine andere. — Als Medikament wurde nur 2— b°/ 0 ige Novokain -
lösung mit 1 :10000 Suprarenin eingesprayt, bei Bronchitis auch Argentum
nitricum 0,15—0,6%, Terpentin-Emulsion sowie Sol. ammon. jodat. 1 —6°/o*
Die Wirkung bei Asthma faßt E. als rein medikamentös, ,und zwar im wesent¬
lichen durch das Novokain bedingt auf, enthält sich aber erklärender Hypo¬
thesen. Arth. Meyer (Berlin).
Chirurgie.
Haim (Budweis), Beitrag zur Pathogenese der subkutanen Magen-
Darmrupturen. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 3.) Magen-Darmrupturen
kommen vor 1. durch Quetschung des Darmes (Evasement); 2. durch Abriß
infolge Zug (Arrachement); 3. durch Berstung infolge Erhöhung des Innen-
druckes (Eklatement). Verfasser will sich nur über die letzte Entstehungs-
ursache verbreiten, da die beiden ersten Momente der Darmrupturen außer
Diskussion stehen. Nach Sauerbruch sind für die Entstehung der Darm¬
ruptur durch erhöhten Innendruck folgende Vorbedingungen nötig: 1. die
starke Füllung des Darmes; 2. Abschluß der Darmschlinge nach beiden
Seiten; 3. Kontusion des Bauches in der Gegend der aufgetriebenen Schlinge.
Mit diesem Kapitel hat sich besonders Bunge befaßt und verlangt für
die Entstehung der Ruptur, daß bei erhöhtem Innendruck des Darmes nur
dann eine Berstung eintreten kann, wenn an einer Stelle der Bauchraum offen
ist. Dieses gilt z. B. für die Bruchpforten. In einem Falle konnte bei der
Sektion nachgewiesen werden, daß die verletzte Schlinge der Apertura poste¬
rior des Leistenkanals anlag. Die Anschauungen Bunge’s erkennt Verf.
im allgemeinen an, wendet sich jedoch gegen die Ansicht, daß eine Berstungs-
ruptur eines stark gefüllten Darmes bei allseitig geschlossener Bauchhöhle
ausgeschlossen ist.
Verfasser geht zunächst nach wörtlicher Wiedergabe der Anschauung
Bunge’s und dessen Experiment etwas allgemeiner auf die Verhältnisse der
Bauchhöhle ein. Nach ihm gibt es keine freie Bauchhöhle, sondern der
Darm liegt überall der Bauchwand an, mithin fehlt auch ein Druck in der
Bauchhöhle. Bauchwand und Darm bilden nun ein Rohr, welches einmal
umschlossen ist von der Darmwand und zweitens von der Bauchdeckenwand.
Wenn nun ein Druck gegen den Bauch erfolgt, so wird es nach allem bei
erhöhtem endoviszeralen Druck, wie er es genannt hat, an der schwächsten
Stelle zur Ruptur kommen; sei es nun im Darm (Ulcus) oder in der Bauch-
wand. Für letzteren Entstehungsmodus führt er das Platzen der Naht bei
Kachektischen oder bei Bauchwandbrüchen an, die nur von Haut bedeckt
sind. In solchen Fällen ist die Darmwand stärker als die Bauchwand und
somit muß letztere platzen.
Auf Grund einer angeführten Krankengeschichte, wo nach Hufschlag
zwei Rupturen in nächster Nähe entstanden waren, erklärt Verfasser die
Entstehung dieser Darmzerreißungen als durch Contrecoup entstanden, in¬
dem der durch den plötzlichen Schlag seitwärts gedrängte Darminhalt
durch das Anspritzen den Darm zum Platzen bringt. Während bei
Bcrstungsrupturen breit angreifende Gewalten in Frage kommen, weil
sie imstande sind, plötzlich eine starke Druckerhöhung hervorzurufen, sind
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113
bei den durch Contrecoup entstandenen Darmverletzungen nur zirkumskripte
Gewalten tätig, wobei noch die große Wucht und Geschwindigkeit der Ge¬
walt in die Wagschale fällt. Vorschütz.
Bayer (Prag), Bericht über weitere Erfahrungen der wirksamen Pro¬
statadehnung bei Hypertrophie. (Archiv für klin. Chir., Bd. 93, H. 3.) Verf.
ruft seine bereits vor 2 Jahren angegebene Methode der Harnröhrendehnung
bei Prostatahypertrophie in die Erinnerung zurück und fügt seine Erfah¬
rungen über 14 Fälle hinzu. Bei sehr herabgekommenen Patienten, bei denen
von einer Operation einstweilen Abstand genommen werden muß, wegen
des schlechten Kräftezustandes und wenn eine Zystitis vorhanden ist, soll
die Dehnung der Harnröhre im Prostatateile vorgenommen werden. In
5 Fällen war ein voller Erfolg zu verzeichnen. Zur Dilatation wird ein von
ihm verbessertes Instrument angegeben, in Form des Lithotryptors, dessen
weibliche Branche einen Katheter darstellt, durch den bei der Dehnung ge¬
spült wird. Nach erfolgter Dehnung wird prophylaktisch gegen eine Infek¬
tion der Schleimhautrisse Jodoformglyzerin eingespritzt. Die Dilatation
muß in einzelnen Fällen nach Tagen oder Wochen je nach Bedarf wiederholt
werden. Die begleitende Zystitis wird nach bekannten Regeln behandelt.
Vorschütz.
Dumont (Bern), Über sogenannte ungefährliche Anästhesierungsver¬
fahren. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 31/32, 1910.) Dumont
hält mehrere der gebräuchlichen Anästhesierungsverfahren für unberechtigte
Neuerungen, beschränkt aber seine Kritik auf die intravenöse Anästhesie
und Spinalanalgesie.
Die erstere (Burkhardt) wird herbeigeführt durch intravenöse In¬
fusion wässeriger Chloroform- bzw. Ätherlösungen, hat aber in den wenigen
Fällen, in denen sie angewandt wurden, bereits Thrombosen und einen
Todesfall auf ihr Gewissen geladen, eignet sich also durchaus nicht zur
weiteren Anwendung.
Die Jonnescu’sche Spinalanalgesie wird durch Einspritzung von Sto-
vain oder anderen Kokainersatzmitteln in Kombination mit Strychnin in
den Wirbelkanal in verschiedenen Höhen herbeigeführt und ist nach der
Ansicht ihres Erfinders die Narkose der Zukunft. Auch diese Methode hat
D. nicht selbst nachgeprüft, sondern dies gefährliche Experiment kluger¬
weise anderen überlassen, die dann auch sehr bald über Unfälle zu berichten
hatten. Plötzliche Todesfälle bald nach Beginn der Narkose sind wieder¬
holt vorgekommen. Clement, der eine von Jonneseu selbst ausgeiührte
Spinalanalgesie beobachtet hat, berichtet, daß sofort nach der Injektion
Zuckungen im ganzen Körper und unregelmäßige Atmung auftraten. Nach
einigen angstvollen Minuten verschwanden diese Symptome, aber mit ihnen
die Analgesie, so daß man zu dem verlästerten Chloroform greifen mußte.
Das hat Jonnesbu nicht verhindert, auch späterhin seine Methode als vor¬
züglich und frei von Übeln Zufällen anzupreisen.
Weiterhin spricht Dumont aus, daß auch die Lumbalanästhesie den
Vergleich mit der Inhalationsnarkose bei weitem nicht aushalten könne,
worin er nach des Ref. Ansicht sehr recht hat. Ko eh ler hat für die Lum¬
balanästhesie aus gegen 8000 Fällen eine Mortalität von 1:350 berechnet,
während sie für verschiedene Narkosen nur 1:3000, für Äther nur 1:6000
beträgt. Außerdem zeichnet sich die Lumbalanästhesie durch sehr unange¬
nehme Nachwehen aus, epileptiforme Krämpfe, Parästhesien, Schmerzen,
Tremor, Abduzenslähmung, und die ihr anfangs nachgesagte Freiheit von post-
operativen Lungenerkrankungen hat sich als Irrtum erwiesen.
Dumont faßt seine Ansicht dahin zusammen, daß die anerkannten
Arten der Anästhesierung gut genug seien, wenn man sie nur gut lehre,
lerne und ausführe. Fr. von den Velden.
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Referate und Besprechungen.
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Gynäkologie und Geburtshilfe.
Oskar Vertes (Klausenburg), Über das wechselseitige Verhältnis der
weiblichen Geschlechtsorgane und der Erkrankungen des Magens. (Monats¬
schrift für Geb. u. Gyn., Bd. 32, S. 128.) V. versucht obigem Thema an der
Hand von 45 genau durchuntersuchten gynäkologischen Fällen näher zu
kommen. Er fand, daß meistens kein direktes Abhängigkeitsverhältnis
zwischen Magensymptomen und Genitalleiden existiere. Vielmehr besteht
neben der Genitalerkrankung ein selbständiges Magenleiden, oder die Magen¬
symptome sind durch eine Obstipation oder Gastroptose bedingt. Häufig
sind Magen und Genitalerkrankung durch Anämie oder Hysterie verursacht.
Bei den auf reflexneurotischen Ursprung zurückfiihrbaren Magensymptomen
finden wir meist einen normalen Chemismus. Frankenstein (Köln).
Kownatzki (Straßburg i/E.), Adrenalin und Osteomalazie. (Münchn.
med. Wochenschr., S. 1549, 1910.) K. berichtet über einen Fall von Osteo¬
malazie, der im vierten Graviditätsmonate der ersten Schwangerschaft, auf¬
trat. Es gelang ihm, nachdem einfache Phosphortherapie versagt hatte, die
Osteomalazie durch eine energisch durchgeführte Bossikur (0,5 ccm Solutio
Adrenalini hydrochlor., 1/1000,0 pro die) zur Ausheilung zu bringen. Dieser
einwandfrei beobachtete Fall legt jedenfalls den Gedanken nahe, bei osteo¬
malazischen Frauen zunächst eine Adrenalinkur zu versuchen und erst beim
Versagen derselben oder beim Auftreten von unangenehmen Nebenerschei¬
nungen die Kastration als ultima ratio auszuführen. Frankenstein (Köln).
O. v. Franquö (Gießen), Künstliche Frühgeburt und vaginaler Kaiser¬
schnitt bei habituellem Absterben der Frucht. (Münchn. med. Wochenschr.,
S. 1678, 1910.) Das habituelle Absterben der Frucht ist zumeist durch Lues
bedingt; in diesen Fällen ist die Durchführung einer antiluetischen Behand¬
lung selbstverständlich. Es bleiben aber nach Ausschaltung der Luetiker
noch Fälle übrig, bei denen, durch chronische Nephritis oder primäre Er¬
nährungsstörungen des Endometriums bedingt, durch weiße Infarkte der
Plazenta, fibröse Hypertrophie der Chorionzotten und endo- oder perivasku-
litische Prozesse in den kindlichen Gefäßen, eine mangelhafte Entwicklung
der Frucht deren Tod unter oder gleich nach der Geburt herbeiführt. In
diesen Fällen rät Fr. an der Hand von 2 Krankengeschichten zur Einleitung
der künstlichen Frühgeburt evtl, unter Zuhilfenahme des vaginalen Kaiser¬
schnittes. Frankenstein (Köln).
H. Küster (Breslau), Die Behandlung der verschleppten Querlage
mittels der Rhachiotomie (Küstner). J. Mainzer (München), Ein neues
geburtshilfliches Instrument. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1691 u. 1692,
1910.) K. beschreibt das von Küstner angegebene Rhachiotom, das nach Art
des Kranioklasten gebaut, am inneren Ende ein Messer und eine dafür
passende Scheide trägt. Das Rhachiotom soll zur glatten Durchschneidung
der Wirbelsäule des Kindes bei verschleppter Querlage dienen, ohne daß
eine stärkere Inanspruchnahme des überdehnten unteren Uterinsegmentes
stattfindet.
Mainzer hat eine Kombination einer Zange mit einem Perforatorium
konstruiert, um die Perforation des Kindes nach mißglücktem Zangenversuche
zu erleichtern. Ist ein derartiges Instrumentarium wirklich notwendig?
(Ref.) Frankenstein (Köln).
A. Doederlein (München), Über Entstehung und Verhütung des Puer¬
peralfiebers. (Münchn. med. Wochenschr., 8. 1721, 1910.) Die klinischen und
bakteriologischen Forschungen über das Puerperalfieber haben die Erkenntnis
dieser Erkrankungen auf eine wissenschaftliche Basis gestellt. Wir wissen,
daß von allen in Betracht kommenden Infektionsfaktoren zwei eine ganz be¬
sondere Rolle spielen: '1. die innerhalb der weiblichen Geschlechtsorgane selbst
gelegene Infektionsgefahr und 2. die der Kreißenden von außen, während des
Geburtsaktes und im Wochenbett drohende Einimpfung pathogener Spalt¬
pilze.
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Referate und Besprechungen.
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Im ersteren Punkte ist zu bemerken, daß der natürliche Bakterien-
gehalt der Scheide während der Schwangerschaft hinreichend Schutz ge¬
währt gegen das Eindringen pathogener Bakterien. Aus diesen Gründen
dürften die in der Schwangerschaft oder sub partu vorzunehmenden Schei-
denspülungen zu verwerfen sein, um nicht etwa die normale Bakterien-
Zusammensetzung der Scheide zu stören. In der Tat zeigten größere Parallel -
reihen von nicht gespülten Wöchnerinnen und solchen, die mit Sublimat oder
Milchsäurelösungen gespült wurden, eine geringere Morbidität der ersteren.
Zum 2. Punkte ist die Verwendung desinfizierter Instrumente zu be¬
tonen und der Gebrauch steriler Touchierhandschuhe, die allein die Keim¬
freiheit der untersuchenden Hand gewährleisten. Um die Verwendung der
Touchierhandschuhe möglichst weiten Kreisen zugänglich zu machen, läßt
D. derartige Handschuhe (mit nur 2 Fingern) sterilisiert und in steriler
Verpackung von Zieger und Wiegand, Leipzig, herstellen.
Frankenstein (Köln).
M. Kaufmann (Lodz), Über mehrmalige Zerreißungen des Scheiden¬
gewölbes während der Geburt. (Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 32,
S. 148.) Die Kolpaporrhexis tritt mit Vorliebe bei Querlage, Hydrocephalus-
Anencephalus, 'kurzum in den Fällen ein, in welchen der vorliegende Kinds¬
teil die Einklemmung des Muttermundes nicht bewerkstelligen kann. Von
der Uterusruptur unterscheidet sich die Zerreißung des Scheidengewölbes
durch weniger stürmische Allgemeinsymptome, geringere Blutungen und
bessere Prognose. Andererseits ist in der Literatur wenig von der späteren
Geburtsprognose derjenigen Fälle bekannt, in denen bei einer früheren Ent¬
bindung eine Kolpaporrhexis stattgefunden hatte. K. stellt nun 3 Fälle zu¬
sammen, bei denen sich die Scheidenverletzung intra partum wiederholte.
Demnach wünscht er, daß derartige Patientinnen bei neuer Gravidität in die
Klinik unter ärztliche Kontrolle gestellt werden. Die Geburt ist entweder
durch künstliche Frühgeburt oder Sectio caesarea am Ende der Gravidität
zu erledigen. . Frankenstein (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
E. Aubry (Mareville), Dementia praecocissima. (L’Encephale, Okt.
1910.) Unter diesem Namen hat Sancte de Sanctis die vor der Pubertät
an Dementia praecox Erkrankten zusammenfaßt. Bei den katatonen Zu¬
ständen ist die Diagnose nicht schwierig. Bei den hebephrenen Bildern,
von denen A. einen Fall bringt, ist man geneigt, eine Psychasthenie oder
degenerative Psychose anzunehmen, wenn man die Dementia praecox der
Kinderjahre nicht kennt, besonders noch, wenn es sich, wie in dem be¬
schriebenen Fall um ein erheblich belastetes und im unmittelbaren Anschluß
einen starken Schreck erkranktes Kind handelt. Die Theorie der genitalen
Autointoxikation läßt sich bei sehr früh erkrankten Kindern nicht auf¬
recht erhalten. Zweig (Dalldorf).
Remond (Metz) und Voivenel (Toulouse), Drei Fälle von allgemeiner
regressiver Paralyse. (L’Encephale, Oktober 1910.) Als Folge einer Infek¬
tion oder einer Intoxikation (Leberinsuffizienz, Niereninsuffizienz, ehren.
Bronehitiker nach starker geistiger und körperlicher Überanstrengung) können
mit der Beseitigung der Ursache verschwindende, an Paralyse stark er¬
innernde Symptome auftreten, Sprachstörung, Inkohärenz und Verwirrung,
gesteigerte Reflexe, Größenideen, Pupillenungleiehheit und abgeschwächte
oder ganz aufgehobene Licht- und Akkomodationsreaktion. Wichtig ist zur
Erkenntnis dieser Zustände das vorgerückte Alter, das plötzliche Auftreten
der Symptome und die Zeichen einer Autointoxikation. Besonders bei Alko-
holisten ist Vorsicht geboten, zumal dieselben oft diese Symptome zeigen.
Zweig (Dalldorf).
Brunet u. Calinettes (Naugeat), Ein Fall von geistiger Störung nach
Influenza. (L’Encephale, Oktober 1910.) Vor dem Eintritt einer Influenza
bat man in sehr seltenen Fällen schnell vorübergehende geistige Störungen
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gesehen, häufiger sind dieselben im Verlauf dieser Erkrankung, wo sie meist
als halluzinatorische Verwirrtheit, mitunter aber ohne Verwirrtheit nur
mit Halluzination und Amnesie verlaufen. Im Anschluß an Influenza hat
man verschiedene Formen beobachtet, unter denen asthenische Formen eine
Rolle spielen. Im vorliegenden Fall hatte sich bei einem bis dahin gesun¬
den. nicht belasteten Mann nach einer schweren Influenza eine zweimonat¬
liche Phase allgemeiner Mattigkeit eingestellt, an die sich stechende Schmer¬
zen in den Beinen, Gehörstäuschungen und Gedankenlautwerden anschloß
bei völliger Ruhe und Klarheit des Kranken. Nach etwa 14 Tagen erfolgte
Heilung, und der Kranke erklärte selbst die Halluzinationen als die Folge
seiner Schwäche. Der unmittelbare, durch das Stadium der Asthenie und
sodann der neuralgischen Schmerzen in den Beinen vermittelte Zusammen¬
hang der Influenza mit der Psychose läßt in ihr die Ursache des ganzen
Bildes erkennen, das also lediglich in Halluzinationen ohne jede Verwirrt¬
heit bestand. Zweig (Dalldorf).
E. Redlich und O. Pötzl (Wien), Über Liquordruckmessung von Epilep¬
tikern. (Zeitschr. für d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 3, H. 4.) Verschiedene
Autoren haben erhöhten Liquordruck als disponierendes oder auslösendes
Moment bei Epilepsie angenommen und von chirurgischer Seite sind opera¬
tive Eingriffe vorgeschlagen und bei einigen Fällen mit Erfolg ausgeführt
worden. Systematische Untersuchungen ergaben, daß mau in dieser Be¬
ziehung drei verschiedene Gruppen von Epileptikern unterscheiden muß.
Bei der einen ist der Druck unabhängig von Anfällen vermehrt. Man hat
hier an chronischen Hydrozephalus infolge abgelaufener meningitischer (Lues
hereditaria) Prozesse, an traumatische Zysten bei Jackson'scher Ej>ilepsie
zu denken und könnte sich bei diesen Fällen vielleicht von häufigen Lumbal¬
punktionen, die ja auch den chronischen Hydrozephalus bessern, Heilung
versprechen. Bei der zweiten Gruppe ist der Druck nur vor oder nach den
Anfällen erhöht, in den anfallsfreien Zeiten aber normal, vielleicht spielt
hier die vorübergehende Hirnschwellung eine Rolle. Schließlich sei als
dritte Gruppe der abnorm geringe Druck bei postepileptischen Psychosen
hervorgehoben, eine Beobachtung, welche zu den erfahrungsgemäß seltenen
Anfällen während dieser Psychosen gut paßt. Mehr läßt sich zurzeit noch
nicht sagen. Zweig (Dalldorf).
P. Courbon (Amiens), Die Behandlung der Unruhe durch die Wiege.
(L’Encephale, Oktober 1910.) Die bekannten Erfahrungen an Kündern hat
Verfasser zu, nach seiner Angabe, erfolgreicher Anwendung des Wiegens
bei unruhigen Geisteskranken gebracht. Die anfängliche Erregbarkeits-
steigerung infolge der Angst durch die Bewegungen des Bettes legt sich
bald. Bez. der Ausgiebigkeit und der Häufigkeit der Wiegebewegungen
muß man allerdings individualisieren. Zweig (Dalldorf).
Hals, Nasen- und Kehlkopfleiden.
O. Hirsch (Wien), Endonasale operative Behandlung von Hypophysis¬
tumoren. (Archiv für Laryng., Bd. 24, H. 1.) Schloff er’s Methode, mit
Aufklappung der Nase die Hypophysisgeschwülste durch die Keilbeinhöhle
hindurch anzugreifen, hat erwiesen, daß ein nasaler Weg möglich ist, und
daß Meningitis nicht unvermeidlich ist. Hierauf fußend, hat H. gleich zwei
Wege angegeben, bei denen rein endonasal verfahren und jede äußere Wunde
vermieden wird, a) Nach Abtragung der mittleren Muschel und des hinteren
Siebbeins wird die eine Keilbeinhöhle breit eröffnet. Sodann wird der
Boden der Sella turcica abgemeißelt und die Dura (seitlich) eröffnet,
b) Zu beiden Seiten der Nasenscheidewand wird Perichondrium bzw. Periost
abgelöst, desgleichen von der vorderen Keilbeinwand; zwischen den Schleim¬
hautblättern trägt man sodann das Gerüst der Scheidewand, das Rostrum
sphenoidale und das Septum der Keilbeinhöhlen ab; die Eröffnung der
Sella turcica und des Duralsacks kann nun in der Medianebene geschehen..
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Man kann nun den Tumor ganz oder teilweise entfernen. Lange, schlanke
Instrumente sind natürlich erforderlich. Durch peinliche Asepsis und durch
Urotropingaben wird Meningitis vermieden. (Nach Urotropin ist Formal-
dehyd im Liquor cerebrospinalis nachweisbar und wirkt antiseptisch.) —
H. hat 4 Falle mit gutem Erfolg operiert und durch Entlastung des Chiasmus
jedesmal eine, mehr oder weniger bedeutende Besserung des Sehvermögens
erzielt. — Wir haben kürzlich über eine ähnliche Methode berichtet; nach
Hirsch’s vorzüglichen Resultaten scheint es, daß der endonasale Weg für
die Behandlung der Hvpophysisgeschwülste eine große Zukunft hat, zumal
da die Operation in einer Sitzung und lediglich mit lokaler Anästhesie
ausgeführt wird. Arth. Meyer (Berlin).
Toti (Florenz), Technik der Dakryozystork inost omie. (Ann. d’Oculist.,
Juni 1910, Extrait.) Um in schweren Tränenleiden die Sackexstirpation zu
ersetzen, behandelt T. den Sack wie eine Nebenhöhle der Nase und bringt
ihn in breite Verbindung mit ihr. Unter Kokain-Adrenalin-Infiltratiou
umschneidet er mit einem halbelliptischen Schnitt den inneren Augenhöhlen -
winkel bis auf den Knochen. Nach Abschabung des Periosts wird im Bereich
des ansteigenden Fortsatzes und fl es Tränenbeins eine Bresche angelegt.
Pie nun sichtbare hintere Wand des Tränensacks wird reseziert, und genau
ihr entsprechend wird ein Loch in die freigelegte Nasenwand geschnitten,
in weiches die vordere Wand des Sackes eingelagert wird. Es folgt nasale
Tamponade und Hautnaht; letztere wird nur bei starker Entzündung der
Weichteile teilweise unterlassen. Arth. Meyer (Berlin).
West (Baltimore), Fensterresektion des Ductus nasolacrymalis. (Archiv
für Laryng., Bd. 24, H. 1.) Bei Stenose des Tränennasengaugs rät West,
die untere Muschel zu schonen und oberhalb ihres Ansatzes den Kanal zu
eröffnen. Es wird eine Sonde eingeführt und unter lokaler Anästhesie
intranasal ein Stück des os lacrymale und maxillare entfernt und so eine
weite Öffnung angelegt. Nebenverletzungen sind nicht zu befürchten. In
7 Fällen hatte die Methode vollen Erfolg. Arth. Meyer (Berlin).
Blegvad, Tonsillektomie. (Arch. für Laryng., Bd. 24, H. 1.) Die
radikal»'. Ausschälung der Mandel mit Kapsel ist überall da indiziert, wo
chronisch-entzündliche Zustände der Mandeln bestehen, ferner wo kleine,
zwischen den Gaumenbögen eingebettete oder mit ihnen verlötete Mandeln
entfernt werden sollen. Bl. tonsillektomiert bei rezidivierenden Anginen
Peritonsillitiden, bei chronischer Angina lacunaris, nach ernstlichen amvgda-
logenen Infektionen, bei Drüsenschwellungen ohne ersichtliche andere In¬
fektionsquelle. — Die Instrumente sind: Eine scharfzahnige Tonsillenpinzette
mit leicht lösbarer Sperrvorrichtung, ein Tonsillenmesser nach Eschle, das
zur Loslösung der Mandel von den Gaumenbögen dient, eine Drahtschlinge
mu Hebel Vorrichtung, um die losgelöste und hervorgezogene Tonsille abzu-
schneiden. Blutungen sind selten und durch Klemmpinzetten unschwer zu
stillen. Arth. Meyer (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
J. Lechtman, Die Behandlung gewisser Hautkrankheiten mit flüssiger
Luft und Kohlensäureschnee. (Russkv Wratsch, Nr. 30, 1910.) In der
*on Pusey und Zeisler empfohlenen Behandlungsmethode mit Kohlensäure-
schnec bei Hautkrankheiten steht uns ein Verfahren zur Verfügung, mit
'lern es gelingt, Warzen, Epitheliome, Naevi und Gefäßgeschwülste zum Ver¬
schwinden zu bringen. Die Technik ist ziemlich einfach. Man legt einen
•iohlensäurebehälter mit dem nach unten geneigten Ablaßhahn auf einen
Tisch. Die beim Öffnen des Ventils kräftig ausströmende Flüssigkeit wird
ui einem Stück Leder aufgefangen, wobei sich die sofort verdampfende Säure
rasch zu einer Art Schnee verdichtet. Durch Befühlen des Beutels kann
man leicht bestimmen ob derselbe mit der gefrorenen Masse gefüllt ist.
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Hat man nun das Mittel in verwendbarer Form, so handelt es sieh darum,
den Schnee in geeigneter Form zu modellieren. Das richtet sich nach dem
Umfange der zu behandelnden Stelle. Der Schnee läßt sich innerhalb eines
Stückes weichen Leders leicht zu einem Ballen zusammenpressen, dem man
dann mit dem Spatel die geeignete Gestalt durch leichtes Abschaben der
Oberfläche gibt. Die Tiefenwirkung des Schnees hängt von der Dauer
und vom Druck ab. Die Applikation von 10—30 Sekunden gibt die besten
Resultate. Der Effekt dieser Applikationen kann genau eiugesehätzt, werden
und wenn eine Behandlung nicht genügend sein sollte, kann sie nach Be¬
darf später wiederholt werden. Mit dieser Methode wurden Warzen, Naevi
und Gefäßgeschwülste mit sehr günstigem Erfolge behandelt, die Methode
kann als eine wertvolle Bereicherung unserer Therapie gelten. Autoreferat.
Spiegel (Köln), Was leistet die v. Dungeren’sche Methode der Syphilis¬
reaktion? (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 45, 1910.) In über 250 Fällen
von syphilitischen und nichtsyphilitischen Erkrankungen wurde die ursprüng¬
liche Wassermann sche Reaktion sowohl als auch die v. Dungeren’sche Modifi¬
kation derselben ausgeführt und in allen Fällen (mit Ausnahme von dreien)
genau übereinstimmende Resultate erzielt. Der Autor hält die v. Dungeren-
sche Methode deshalb für berufen, dem Praktiker die Syphilisreaktion, die
ja nach der Methode von Wassermann für die allgemeine Anwendung zu
kompliziert ist, in die Hand zu geben. Die nötigen Rcagentien werden von
der Firma Merck mit Gebrauchsanweisung in den Handel gebracht.
R. Isenschmid (Heidelberg'.
Hatzfeld (Mainz), Die Behandlung des Ulcus molle (praec. phagedae¬
nicum) mit Pyozyanase. (Therapeutische Monatshefte, Nr. 11, 1910.) Im
städtischen K,rankenhause in Mainz wird seit zwei Jahren Ulcus molle aus¬
schließlich mit Pyozyanase behandelt. Das Medikament, wird auf offene
Geschwüre mittels Spray appliziert, in indizierte Bubonen oder bei phimo-
tischer Vorhaut mit schwer zugänglichem Ulcus durch getränkte Gaze-
streifen eingeführt. An Hand besonders schwerer Fälle von phagedänischem
Geschwür zeigt uns der Autor, daß die Erfolge dieser Behandlung geradezu
glänzende waren. Er gelangt zu der Annahme einer spezifischen, die
Streptobazillen tötenden Wirkung der Pyozyanase.
R. Isenschmid (Heidelberg».
Allgemeines.
Audebert u. Maurel (Paris), Die Bedeutung der Temperatur, welche
zwischen Haut und Kleidung herrscht. (Bullet, med., Nr. 83, S. 949, 1910.)
Mit den kompliziertesten Apparaten werden die Temperaturen in den höchsten
Luftschichten, in den größten Meerestiefen und an den unbewohntesten Ge¬
staden registriert, und zu Ausgangspunkten mehr oder weniger gelungener
Theorien gemacht. Man bestimmt den Feuchtigkeitsgehalt, die Windstärke,
die Ionisation usw. der Luft der klimatischen Kurorte; aber um unser persön¬
lichstes Klima, um die Temperatur, Feuchtigkeit usw. der Luftschicht, in
welcher wir unseren Körper künstlich halten, in welcher wir somit in Wirk¬
lichkeit leben, kümmern sich seltsamerweise nur ganz wenige. Gelegentlich
des VI. französischen Kongresses für Gynäkologie und Geburtshilfe in Tou¬
louse vom 22.—27. September 1910 haben Audebert und Maurel auf die
Wichtigkeit dieses Faktors bei Säuglingen hingewiesen. Ich kann aus eigener
Erfahrung bestätigen, daß in Frankreich noch mehr als hei uns die Neigung
besteht, die Kinder in möglichst viele Kleiderhüllen zu stecken; sie schwitzen
dann natürlich dauernd und kommen aus Erkältungen nicht heraus. Uurch
Befreiung von den überflüssigen Westehen und Hemdchen gelang es mir
einmal schnell, bei einem 4jährigen Jungen einen langwierigen Husten zu be¬
seitigen; aber die Madame Großmama erklärte mich für einen Barbaren und
vergaß mir trotz der Heilung diesen Eingriff in die traditionelle Beklei¬
dung nie.
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Bücherschau.
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Die beiden Kliniker empfehlen bei Säuglingen, kleine Maximalthermo¬
meter zwischen Haut und Hemd tragen zu lassen und danach die Röckchen usw.
za regulieren. Ich glaube, man könnte das zweckmäßigerweise auch bei
älteren Kindern usw. tun; aus jeiner größeren Reihe von Beobachtungen
ließen sich dann gewiß ohne allzu große Mühe mehr oder minder kühne
Spekulationen etwa über das Them'a; das Privatklima in der Ätiologie,
Pathogenese und Therapie u. dgl. kombinieren. Buttersack (Berlin).
Treymann (Berlin), Zur Differentialdiagnose der Zahnretentionen.
(Wiener klin. Rundschau, Nr. 42, 1910.) Unentwickelte, retenierte Zähne
brauchen nicht immer einem kindlichen Individuum anzugehören, und wir
wissen heute, daß solche im verborgenen schlummernde Gebilde oft böse
Storungen hervorrufen können. Bei Trigeminus-Neuralgien, Empyem
der Highmors höhle und Nasenerkrankungen sollte man stets nach
verlagerten bzw. retenierten Zähnen fahnden. Daß die sog. Dentitio
tertia ein Hervorbrechen ganzer Gruppen retenierter Zähne darstellt, dürfte
nicht allen Ärzten bekannt sein. — Vor der Entdeckung der Röntgenstrahlen
pflegte die Diagnose dieser Affektion erst post mortem gestellt zu werden;
heute ist das anders, wie die drei vom Verf. mitgeteilten und durch Röntgen -
bilder verdeutlichten Krankengeschichten beweisen. In allen drei Fällen
gelang es, die im Kiefer schlummernden Zähne aufzuspüren und glücklich
zu beseitigen. Steyerthal-Kleinen.
F. Rathery und M. Saison (Paris). Äther und Leber bzw. Nieren. (La
Tribüne med., Nr. 16, S. 245/46, 1910.) Die beiden Experimentatoren haben
gesunde und kranke Kaninchen ätherisiert und dann Leber und Nieren unter¬
sucht. Beide Organe wurden durch das Narkotikum verändert, um so stärker,
wenn die Organe schon vorher erkrankt gewesen waren. Die Verände¬
rungen an der Leber waren weit stärker und nachhaltiger als die an den
Nieren, so daß die Autoren zu dem Schluß kommen: für leberkranke Menschen
seien Äther und Chloroform gleich giftig und gleichmäßig zu vermeiden.
Büttersack (Berlin).
Bücherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
B. Bosse und V. Eliasberg, Oer Dämmerschlaf oder die Skopolamin-Morphium-
nischnarkose in ihrer Anwendung bei Entbindungen und Operationen. Aus der Sammlung
klinischer Vorträge. Gynäkologie Nr. 215—217. 619 Seiten. Leipzig 1910. Verlag
von Joh. Ambr. Barth. 2,25 Mk.
M. Fischer. Das Ödem, eine experimentelle und theoretische Untersuchung der
Physiologie und Pathologie der Wasserbindung im Organismus. In die deutsche Sprache
übersetzt von K. Schnorr und W. Ostwald. 223 Seiten. Dresden 1910. Verlag
von Theodor Steinkopf. 6 Mk.
S. Freud, Zentralblatt für Psychoanalyse. Medizinische Monatsschrift für Seelen¬
kunde. Unter Mitwirkung von K. Abraham (Berlin), A. Brill (New-York).
S. Ferenczi (Budapest), E. Fischmann (Wien), E. Joned (Torronto), 0. Julius-
burger (Steglitz), G. Jung (Zürich), S. Krauß (Wien), Ä. di Lützenberger
Neapel), G. Modena (Ancona), A. Mäder (Kreuzlingen), N. Ossipow (Moskau),
0. Pfitzner (Zürich), O. Rank (Wien), F. Ricklin (Zürich), J. Sadger (Wien),
A. Stegmann (Dresden), M. Wulff (Odessa), E. Wuiffcn (Dresden). 1. Jahrg.,
Heft 1—2. 80 Seiten. Jährlich erscheinen 12 Hefte im Gesamt-Umfang vou
36—40 Druckbogen zum Jahrespreise von 15 Mk. Wiesbaden 1910. Verlag von
I F. Bergmann.
0. Haub, Atlas der äußerlich sichtbaren Erkrankungen des Auges, nebst Grundriß
'brer Pathologie und Therapie. 4. vermehrte und verbesserte Auflage mit 86 farbigen
Abbildungen auf 46 Tafeln nach Aquarellen von Maler Johann Fink und
21 schwarzen Abbildungen im Text. 260 Seiten. München 1910. Verlag von
J. F. Lehmann. 10 Mk.
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120
Bücherschau.
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W. Hagen, Über akute chirurgische Infektionskrankheiten. Aus den Würzburger
Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 302 Seiten.
Würzburg 1910. Kurt Kabitzsch (A. Stuber's Verlag). 85 Pfg.
K. Hasebroek, Die Blutdrucksteigerung vom ätiologischen und therapeutischen Stand¬
punkt. Als Preisaufgabe der Hufelandischen Gesellschaft zu Berlin mit dem
Alvarengapreis gekrönt. Mit 3 Abbildungen im Text. 151 Seiten. Wiesbaden 1910.
Verlag von J. F. Bergmann. 3,60 Mk.
M. Hirschberg, Operative Behandlung des Asthma. Aus der Sammlung klinischer
Vorträge. Chirurgie Nr. 169. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
E. Kieslinger und K. Wirth, Die Krankenkost. Ein praktisches Handbuch für
Ärzte, Kranken- und Wohlfahrtsanstalteri, Sanatorien, Pflegepersonen, Erziehungs¬
anstalten und für die Familie. 250 Seiten. München 1910. Verlag von J. F. Leh¬
mann. 3,60 Mk.
Krecke, Beiträge zur praktischen Chirurgie. Bericht über die Jahre 1907, 1908,
1909 aus der chirurgischen Privatklinik des Herausgebers. Mit 50 Abbildungen.
532 Seiten. München 1910. Verlag von J. F. Lehmann. 7 Mk.
S. Kunert, Unsere heutige falsche Ernährung als letzte Ursache für die zunehmende
Zahnverderbnis und die im ganzen schlechtere Entwicklung unserer Jugend. 1. Auflage.
1.—40. Tausend. 32 Seiten. Breslau 1910. Selbst-Verlag.
K. Loenig, Medizische Essays. 1. Band, 1. Teil. Mit zahlreichen Abbildungen.
240 Seiten. Leipzig 1910. Verlag von Benno Konegen. 4,20 Mk.
S. Martin, Die vaginalen Methoden in der Geburtshilfe und Gynäkologie. Aus der
Sammlung klinischer Vorträge. Gynäkologie Nr. 220. Leipzig 1910. Verlag von
Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
P. Müller, Vorlesungen über Infektion und Immunität. Mit 21 Abbildungen im
Text. 3. erweiterte und vermehrte Auflage. 451 Seiten. Jena 1910. Verlag von
Gustav Fischer. 8 Mk.
W. Pfitzner, Leitfaden für Situs-Übungen an der Leiche. Zum Gebrauche
bei Demonstrationen und Repititiouen. 2. Auflage. 42 Seiten. Leipzig und
Wien 1911. Verlag von Franz Deutickc. 1 Mk.
M. Rabinowitsch, Zur Frage der Erreger der echten und Schutz-Pocken. Mit
6 Tafeln. 26 Seiten. Wiesbaden 1910. Verlag von J. F. Bergmann. 2,40 Mk.
Rigler, Dr. G. Becks Therapeutischer Almanach. Unter Mitwirkung von
F. Walther (Leipzig). 38. Jahrgang. 1. Seinesterheft. 228 Seiten. Leipzig 1911.
Verlag von Benno Konegen. 2 Mk.
A. Salomon, La Function du Sommeil. Physiologie, Psychiologie, Pathologie.
235 Seiten. Paris 1910. Virgot freres, Editeurs. 23, place de rt 5 cole-de-M£deeine.
W. Scheibe, Die Zentral-Luftheizung für das Einfamilienhaus. Eine hygienische
und praktische Untersuchung. 29 Seiten. Wiesbaden 1910. Westdeutsche Verlags¬
gesellschaft in. b. H. 60 Pfg.
F. Schilling, Taschenbuch der Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heil¬
methoden. 10. Jahrgang. 312 Seiten. Leipzig 1910. Verlag von Benno Konegen. 3 Mk.
W. Thorn, Die Laktationsatrophie des Uterus, speziell ihre Bedeutung für die
Propaganda des Stillens. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. Gynäkologie
Nr. 218—219. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 1,50 Mk.
G. Virz, Neue Wege und Ziele für die Weiterentwicklung der Sing- und Sprech¬
stimme. Auf Grund wissenschaftlicher Versuche mit Lauten. 80 Seiten. Köln 1910.
Selbstverlag. Friesenplatz 8.
W. Weichardt, Über Anaphylaxie (Uberempfindlichkeit) im Lichte moderner eiweiß-
chemischer Betrachtungsweisen. Aus den Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamt¬
gebiet der praktischen Medizin. Würzburg 1910. Kurt Kabitzsch (A. Stübers
Verlag.) 8,75 Mk.
M. Wolf und F. Fleischer. Nova therapeutica. Führer durch das Gebiet der
neueren Arznei- und Nährmittel zum Gebrauch für den praktischen Arzt. 611 Seiten.
Berlin 1910. Vereinigte Verlagsanstalten Gustav Braunbeck und Gutenberg-
Druckerei, Aktiengesellschaft, Berlin W. 35. 5 Mk.
G. Zuelzer, Leitfaden der praktischen Medizin. Herausgegeben von Prof.
Dr. Ph. Bocken heim er, Berlin. 3. Band. Innere Medizin. 1. Teil. 330 Seiten.
Leipzig 1911. Verlag von Dr. Werner Klinckhardt.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
fortscbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. v. £ri<gtnt
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Bracheint wöchentlich iura Prelae von 5 Mark
Nr. 6.
für das Halbjahr.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
8. Febr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Wassermann’sche Reaktion in der Sprechstunde.
Von Dr. Armin Steyerthal,
leitendem Arzte der Wasserheilanstalt Kleinen in Mecklenburg.
(Vortrag, gehalten am 21. Dezember 1910 im Ärztlichen Bezirksvereine Wismar.)
M. H.! Bei einer Besprechung der Wassermann’schen Reaktion
geht es ohne eine kleine Dosis grauer Theorie nicht ab, ich werde mich
aber nach Möglichkeit so ausdrücken, daß auch diejenigen Herren, die
sieh bisher nicht theoretisch mit der neueren Biologie und Serologie
beschäftigt haben, meine Ausführungen verstehen werden. Praktisch
ist die 'W issenschaft von den Schutz- und Heilkräften des Blut¬
serums uns allen längst in sanguinem übergegangen. Wir wissen,
daß man Pferde mit Diphteriegift. impft, bis sie giftfest werden und
das Serum dieser immunen Tiere dann zu Heilzwecken verwendet. Das
ist die Genesis des Behring’schen Mittels. Wir wissen ferner,
daß das Blutwasser eines Typhusrekonvaleszenten zu einer lebenden
Typhuskultur hinzugesetzt, diese Bakterien zusammenballt. Das ist
das Wesen der Widal’schen Reaktion.
Ehrlich (1), von dem diese Untersuchungen zum größten Teile
angebahnt sind, ging dann einen Schritt weiter. Er zeigte, daß nicht
nur ein Bakteriengift im Blute ein entsprechendes Antitoxin bildet,
sondern auch das Blut eines artfremden Tieres wirkt als Gift in
diesem Sinne und bildet ein Gegengift. — Sie sehen hierein Kaninchen,
das dreimal mit einer Lösung von gewaschenen Hammelblutkörperchen
gespritzt worden ist. Es ist dadurch ein Hammelkaninchen geworden,
das heißt, wenn Sie frisches Hammelblut liier in dies Glas gießen und
Serum dieses Hammelkanmchens hinzusetzen, so werden sich die Hammel¬
blutkörperchen lösen. Das Kaninchenserum enthält also Stoffe,
die auf Hammelblut toxisch wirken. Eine solche Mischung wie
diese, wo eine Blutart durch ein präpariertes Serum gelöst wird, nennt
man ein haemolytisches System. Ich bitte das festzuhalten, wir
werden mehrfach darauf zurückgreifen müssen.
Nun kommt eine sehr merkwürdige Tatsache: Das Serum unse¬
res Versuchskaninchens ist kein einheitlicher, sondern ein zu¬
sammengesetzter Stoff, denn, wenn wir es auf 5ö° C erhitzen,
so geht seine blutlösende Eigenschaft verloren, aber sie kommt
zurück, sobald wir frisches Serum hinzufügen und, was das sclt-
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Armin Steyerthal,
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samste ist, auch Serum irgendeiner anderen Tierspezies, z. B.
eines Meerschweinchens genügt dazu.
Zwei Stoffe wirken also zusammen, ein hitzebeständiger und
ein hitzeflüchtiger oder, wie man sie getauft hat, der Immunkörper
und d.as Komplement. Ehrlich nennt den Immunkörper den Ambo¬
zeptor, was soviel heißen soll wie Ambo-Rezeptor, also eine im Blute
kreisende abgestoßene Seitenkette, die sich nach zwei Seiten, nämlich
mit Komplement und Bakterienzelle verankert.
Betrachten wir nun unser haemolytisches System, in dem
die Zerstörung der Blutkörperchen rüstig vorwärts geht und setzen
ihm etwas zweifellos syphilitisches Material hinzu, am besten eine
Reinkultur von Spirochaeta pallida oder, da dieser Parasit sich nicht
rein züchten läßt, eine Kleinigkeit Extrakt aus kongenital lue¬
tischer Leber, so ändert sich vorläufig gar nichts: der Prozeß im
Glase geht ruhig weiter, jetzt fügen wir das auf 55° erhitzte (inak¬
tivierte) Blutserum eines Patienten, der auf Lues verdächtig ist, hinzu
und siehe da, wenn der Verdacht berechtigt war, so steht die Haemo¬
ly se still, die Hammelblutkörperchen lösen sich nicht weiter, die
Wasser in ann’sche Reaktion ist positiv ausgefallen.
W ie kommt das ? Zwischen dem Blute des Patienten und dem
syphilitischen Virus besteht eine Art chemischer Verwandtschaft, und
zwar äußert sie sich darin, daß sie das Komplement aus dem haemo-
lytischen Systeme losgerissen hat, und wenn das Komplement
fehlt — das wissen wir bereits — so hört die Lösung des Blutes auf.
Hat der Patient nichts mit Lues zu tun, so kann sein Blut auch keine
freundschaftlichen Neigungen zur Luesleber haben, beide bleiben feind¬
lich getrennt und stören das Komplement nicht, also schreitet die Lösung
im Glase weiter: die Reaktion ist negativ.
Wenn es erlaubt ist, den Vorgang einmal durch ein etwas
drastisches Beispiel zu verdeutlichen, so nehmen Sie an, in einer Kirche
finde eine Trauung statt, dazu gehört der Pastor, der Bräutigam und
die Braut. Nun erscheint ein zweites Pärchen, das zu gleicher Zeit
bestellt war und ruft den Pastor ab. Leistet er dem Rufe Folge,
so steht die begonnene Trauung still und die zweite geht vor sich,
läßt er sich aber nicht stören, so kann das zuletzt erschienene Pärchen
nicht Zusammenkommen. Der Pastor im Bilde ist das Komplement,
sobald das Komplement abgelenkt wird, tritt die Hemmung ein.
Die Wassermann’sche Reaktion beruht also auf vier Komple¬
mentbindung oder Komplementfixation (zuerst angegeben von
Bordet und Gengou (2) im Jahre 1901).
Nun werden Sie fragen, m. H.: Wie ist man darauf gekommen ?
Auch das ist nicht schwer verständlich. Wie vorhin erwähnt, gibt es Bak¬
teriengifte und auch sonstige Stoffe, z. B. Blutkörperchen, Leukozyten,
Spermatozoen usw., die, in den Kreislauf eingespritzt, Immunkörper er¬
zeugen oder nach der Ausdrucksweise der Serologen: Es gibt verschie¬
dene Antigene, die im Blute die entsprechenden Antikörper
schaffen. Jeder Antikörper besteht natürlich aus Komplement und
Ambozeptor. Nun wurde die Frage aufgeworfen: Ist das Komplement,
immer derselbe Stoff, ganz gleichgültig, ob eine Bakterienart oder
ein anderes Antigen benutzt wird, es entstand also die Frage nach der
Einheit des Komplements. Zu lösen war der Zwist, der sich
zwischen Ehrlich und anderen Forschern darob entspann, nur so, daß
man in ein haemolytisches System irgendein Bakteriengift mit seinem
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Die Wassermann’sche Reaktion in der Sprechstunde.
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zugehörigen Ambozeptor brachte, also Sie sehen: Dieselbe Versuchs-
anordnung, wie sie vor Ihnen steht. —
An die Serodiagnostik der Syphilis hat man — wie das
bei neuen Entdeckungen heute ja allgemein üblich ist — übertriebene
Hoffnungen geknüpft, die auf ein richtiges Maß eingeschränkt werden
müssen. Zunächst hat die Sache einen Haken : Wenn Sie hier in unserem
Experimente die syphilitische Leber durch ein ganz normales Or¬
gan, z. ß. Kaninchen- oder Meerschweinchenherz ersetzen, so tut das
dieselben Dienste. Jetzt aber arbeiten wir — wenn die Herren das beachten
wollen — mit lauter normalen, von kerngesunden Tieren ent¬
nommenen Substanzen und benutzen diese als Reagens gegen
Syphilis! Das wäre ungefähr so, als wenn jemand sagen wollte:
Mittels Schneeberger Schnupftabaks kann man aus dem Blute nach-
weisen, ob ein Patient Kommerzienrat ist oder nicht!
Zunächst scheint das Schicksal der Wassermann'schen Reaktion
mit. dieser Erwägung besiegelt, aber eine große Zahl von vielen tausend
Versuchen hat unzweideutig ergeben, daß die Reaktion als diagno¬
stisches Mittel von großem Werte ist.
Nun wissen wir allerdings, daß eine direkte und spezifische
Beziehung zur Syphilis nicht vorliegt, denn auch bei Skarla-
tina, Framboesie. Lepra, Malaria und einigen anderen Krankheiten ist
der Ausfall positiv. Zurzeit erheben sich Stimmen, daß alle diese
Leiden, die uns als praktischen Ärzten doch ziemlich weit auseinander
zu liegen scheinen, etwas verwandtschaftliches untereinander hätten,
doch tun wir wohl besser, einstweilen zu warten, bis die Herren Ge¬
lehrten sich darüber einig geworden sind.
Vorläufig, und das genügt für unseren Zweck vollständig, ist
diese Reaktion zurzeit das beste und auch das einzige
Mittel, um das Bestehen oder das Verschwinden syphili¬
tischer Produkte im Blute nachzuweisen, der Praktiker wird
ihr also sein Interesse nicht versagen.
Mir persönlich war die Entwicklung der neuen Lehre besonders
interessant, denn ich habe Jahr für Jahr Gelegenheit, eine ganze Anzahl
von beginnenden Paralysen, die zu uns in die Anstalt geschickt werden,
zu beobachten. Ich habe mich dabei des Eindrucks nicht erwehren
können, daß es ebenso wie bei der Tabes imentwickelte, rudimentäre,
unvollständige Fälle von Paralyse gibt, und daß sich die Krankheit
auch im ausgebildeten Stadium oft ganz anders entwickelt, als es in
den Büchern steht. Nun ist mir — besonders von psychiatrischer Seite —
erwidert, solche Sachen gäbe es nicht, was ich beobachtet hätte, seien gar
keine Paralysen, sondern irgend etwas anderes. Wenn durch die Wasser-
mann’sche Reaktion auch diese Zweifel nicht ganz zu lösen sind,
so war mir doch für meine Forschungen damit ein willkommenes Hilfs¬
mittel gegeben, um nachzuweisen, daß ich mich nicht geirrt hatte.
Ich bemerke dabei, daß ich bisher nur mit Blutserum gearbeitet habe,
die Prüfung der Cerebrospinalflüssigkeit kommt wegen der damit ver¬
bundenen Schwierigkeiten für die Privatpraxis nicht in Betracht.
Wollten Sie nun die Serumdiagnose der Syphilis nach der ur¬
sprünglich angegebenen Methode vornehmen, so müßten Sie dazu haben :
1. Extrakt aus sicher syphilitischen Organen — Antigen,
2. Meersehweinchenblut zur Entnahme des Komplements,
3. Hammelblutkörperchen, frisch gewaschen und
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Armin Steyerthal,
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4. Inaktiviertes Serum von einem Hammelkaninchen — Ambo¬
zeptor.
Daß sich niemand in der Praxis damit befassen kann, ist selbst¬
verständlich, und es ist daher schon seit einiger Zeit versucht, die Tech¬
nik zu vereinfachen. Vor allem ist man bestrebt gewesen, eine Modi¬
fikation zu finden, die mit ganz geringen Mengen von Patienten¬
blut auskommt, denn die Originalmethode erfordert ca. 10 ccm Blut.
Das zweite Erfordernis war, die Reagentien in haltbarer
Form herzustellen. Die Fötalleber ist — wir haben das bereits erwähnt
— durch den alkoholischen Extrakt irgendeines anderen Organes zu
ersetzen, aber wohlgemerkt, Wassermann selbst erkennt die mit
Surrogaten erzielten Reaktionen nicht an.
Das Komplement, das aus irgendwelchem Tierblut frisch leicht
herzustellen ist, hat man an Fließpapier antrocknen lassen und dadurch
konserviert, auch in gefrorenem Zustande hält es sich längere Zeit
(Bauer) (3).
Der Ambozeptor verträgt ebenso manches Konservierungsver-
fahren, z. B. kann er im Luftstrom getrocknet und lange aufbewahrt
werden.
Damit ist indessen lange nicht alles erschöpft, was erdacht ist,
um nähere Wege zu dem gemeinsamen Ziele der Luesdiagnose zu finden.
Wenn wir ein haemoly tisch es System wie dieses hier konstruieren wollen,
so brauchen wir dazu nicht erst ein Kaninchen mit Hammelblut zu
spritzen, denn auch das menschliche Serum enthält Stoffe, also
Ambozeptoren, die Hammelkörperchen lösen. Ferner, denn auch
das ist noch nicht einfach genug: Wenn ich einem Patienten Blut
entziehe, so kann ich ein Quantum davon zur Kontrolle benutzen,
vorausgesetzt, daß ich einen Stoff habe, der Menschenblut löst. Spritzen
wir also unser Kaninchen oder besser eine Ziege mit Menschenblnt,
so wird das Serum dieser Menschenziege blutlösend wirken.
Wir können also diesen antimenschlichen Ambozeptor auf das
Blut unseres Patienten wirken lassen, und wenn wir nun Komplement
zusetzen, so ist wieder das haemoly tische System fertig. (Noguchi.) (4)
Von diesen Erwägungen bis zur Erfindung einer für die Praxis
geeigneten Technik der Syphilisdiagnose war nur noch ein
Schritt, und so empfahl dann im März 1910 Professor v. Düngern (5)
in Heidelberg diese Methode, die ich Ihnen hier demonstrieren möchte.
(Modifikation Noguchi-v. Düngern.)
Sie gebrauchen zur Ausführung der Probe nur wenig Blut, ca.
10 Tropfen, die dem Patienten ad libitum entnommen werden können.
Die Fötalleber ist durch alkoholischen Organextrakt (in einem
kleinen Röhrchen eingeschlossen) ersetzt, das Komplement ist an
Papierstreifen angetrocknet, der Ambozeptor stammt von einer mit
Menschenblut behandelten Ziege, er war ursprünglich trocken in diesem
Fläschchen, ich habe ihn nach der beigegebenen Vorschrift verdünnt.
Weiter brauchen wir nichts; was uns zur Kontrolle fehlt, ersetzen wir
durch Patientenblut.
Die Ausführung ist nun sehr einfach. Wir benötigen nur zweier
Reagenzgläser, die, wie Sie sehen, sehr eng sind wegen der kleinen
Elüssigkeitsmengen, mit denen wir arbeiten. Zunächst konstruieren wir
uns ein haemolytisehes System, denn wir müssen natürlich wissen,
ob die Stoffe, die uns die Fabrik (E. Merck in Darmstadt) geliefert
hat, auch wirklich arbeiten. In das Kontrollglas kommt also eine
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Die Wassermann'sche Reaktion in der Sprechstunde.
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Kleinigkeit Patientenblut, das wir auf einfache Weise mittels eines
Streichholzes defibriniert haben, verdünnt mit Kochsalzlösung und
ferner zwei Stück Komplement papiere, die ganz von der Flüssigkeit
bedeckt sein müssen. Sobald Sie nun den Ambozeptor hinzufügen,
wird — vorausgesetzt, daß alle Stoffe richtig präpariert sind — die
Lösung der Blutkörperchen erfolgen, der Inhalt des Glases muß
also statt wie jetzt undurchsichtig, hell und lackfarbig werden.
Wenden wir uns nun dem zweiten Röhrchen zu, das die eigent¬
liche Reaktion demonstrieren soll, so kommt auf dessen Boden zunächst
eine Kleinigkeit Anti gen — also Organextrakt in unserem Falle —
alles andere, Kochsalzlösung, Patientenblut, Komplement und
Ambozeptor verwenden wir genau wie im Kontrollglase. Nim ist
es ohne weiteres klar: Wenn zwischen dem Antigen, also dem Organ¬
extrakte und dem Blute des Kranken eine Relation besteht, d. h. wenn
der Patient Syphilis gehabt hat, so werden diese beiden verwandten
Stoffe, um zusammenzukommen, das Komplement binden. Damit
reißen sie den wesentlichsten Faktor bei der Haemolyse an sich, ergo
die Lösung der Blutkörperchen wird ausbleiben, und als unge¬
löste, agglutiDierte Masse sinken sie zu Boden. Die Reaktion ist positiv
ausgefallen. Ich empfehle, als zweite Kontrolle ein Reagenzglas
anzusetzen, daß nur Blut und Kochsalzlösung in der oben ange¬
gebenen Mischung enthält, aber kein Komplement und keinen Ambo¬
zeptor. Der Inhalt dieses Röhrchens gibt dann ein genaues Abbild
eines positiven Wassermann, denn eine Lösung ist natürlich aus¬
geschlossen, die Flüssigkeit scheidet sich nach ca. einer Stunde klar
und hell ab.
Die Firma E. Merck, Darmstadt bringt Bestecke wie diese hier
zu fünf und zu zwanzig Reaktionen in den Handel. Inkl. Zubehör beträgt
der Preis 6,— Mk. bzw. 14,— Mk., also pro Reaktion ca. 0,70 Mk.
M. H.! Sie werden von mir keine Prophezeiung über die voraus¬
sichtlichen Schicksale der Wasserin ann’schen Reaktion verlangen und
ebensowenig ein Urteil darüber, ob die hier geschilderte Noguchi-
v. Dungern’sche Modifikation die Originalmethode vollwertig er¬
setzen kann. Dazu reichen meine Erfahrungen nicht aus.
Uber Wert und Unwert der Syphilisdiagnose durch Komplement¬
ablenkung an sich scheint allmählich eine Einigung der Gelehrten zu¬
stande zu kommen; ob sich ein so diffiziles Verfahren in der Sprech¬
stunde des praktischen Arzte« einbiirgern darf, darüber sind die An¬
sichten geteilt. Der bereits angeführten Arbeit v. Dungern’s (5) ist
sp« ; iter eine zweite Äußerung gefolgt, die über eine große Anzahl von
kontrollierten Fällen berichtet.
Im Institute für Krebsforschung in Heidelberg, wo die Unter¬
suchungen gemacht sind, hat Kepinow (7) jene Angaben bestätigt.
Natürlich mangelt es auch nicht an abfälliger Kritik (Plaut) (8)
und an warnenden Stimmen (Münz) (9). Andere Forscher sind mit ihren
Resultaten zufrieden (Schultz-Zehden (10), Spiegel (11), Steinitz
(12) und erklären die Methode für brauchbar. In der dermatologischen
Klinik zu Leipzig sind 102 Fälle gleichmäßig nach der Originalmethode
und der v. Du ngern’schen Modifikation untersucht. Dabei war in
Fällen sicherer klinischer Lues und nichtsyphilitischer Erkrankungen das
Resultat, fast durchweg das gleiche. Nur wo absolut kein klinischer An¬
haltspunkt für Lues vorhanden war, ließ die Modifikation im Stiche
(Frühwald und Weiler) (13).
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Armin Steyertbal,
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Was meine persönlichen Erfahrungen mit der v. Dungern’schen
Methode anlangt, so habe ich mich alsbald nach Erscheinen des Auf¬
satzes in der Münch, med. Wochen sehr, an die Fabrik gewandt und
um ein Besteck gebeten, die Aufträge hatten sich aber inzwischen
schon so gehäuft, daß ich erst 'im August d. Js. das Mittel in die
Hände bekam.
Die ersten Versuche damit — ich betone das ausdrücklich —
mißlangen. Bei drei Tabikern, einem Paralytiker und einem auf Paralyse
verdächtigen Falle erhielten wir stets ein negatives Resultat. Der
Fehler lag aber nicht an den Reagentien, sondern an unserer Art des
Arbeitens. Das Umgehen mit den kleinen Flüssigkeitsmengen muß erst
gelernt werden, vor allem aber wird zu leicht der Fehler .gemacht,
dem Patienten zu wenig Blut zu entnehmen, so daß nach dem Defibri-
nieren fast nichts mehr übrig bleibt. Die Noguchi-Methode, ebenso
wie manche andere Modifikationen des Wassermann’schen Verfahrens
gründen ihre Berechtigung zum großen Teile darauf, daß nur sehr
wenig Blut zu dein Experimente nötig ist. Ich kann diesen
Grund nicht anerkennen. Ob Sie einem Kranken zehn Tropfen oder
10 ccm Blut, entnehmen, ist ganz gleichgültig. Daß selbst anämische
Patienten einen Aderlaß gut vertragen, wissen wir längst (Wilhelmi)
(14). Derartig dekrepide Persönlichkeiten, denen selbst ein geringer
Blutverlust Schaden bringen kann, gehören zu den Ausnahmen und
kommen praktisch überhaupt nicht in Betracht.
Nun liegt bei der Blutentnahme sehr viel an der Methode, denn
es ist durchaus nicht leicht, immer auf das richtige Quantum zu kommen.
Wir wissen alle, daß eine zu starke Blutung unangenehm ist, zuweilen
ist es aber nicht minder peinlich, wenn es zu -wenig blutet. Das lernt
man bei der Serodiagnostik. Glauben Sie ja nicht, daß es so leicht ist,
einem Menschen zehn Tropfen Blut abzuzapfen. Weder aus der Finger¬
beere noch aus dem Ohrläppchen gelingt das ohne weiteres, und wenn
zu wenig Blut hervorkommt, so muß man zuweilen den Versuch ab¬
brechen, weil der Patient sich keine neuen Einstiche mehr gefallen läßt.
Die Instrumente, die empfohlen sind, um durch ein kleines hervor¬
springendes Messer (Franke’sche Nadel usw.) Einstiche zu machen,
halte ich zur Gewinnung eines Versuchquantums Blut für völlig un¬
brauchbar. Ganz ähnlich steht es mit der neuerdings viel gerühmten
Venenpunktion durch eine in die Vena mediana eingestoßene Hohl¬
nadel. Zunächst gibt es Menschen genug, bei denen infolge ihrer . Adi¬
positas die Vene nach Abschnürung des Armes gar nicht hervortritt,
dann ist aber auch schon die ganze Vorbereitung zu einer solchen
Operation für den Patienten recht lästig, so daß man sich in der Privat¬
praxis erst immer zweimal überlegt, ob man den komplizierten Eingriff
vornehmen soll. Daß es überhaupt nicht blutet, wenn man nicht eine
ganz dicke Vene ansticht, daß sich die Kanüle mit Vorliebe verstopft
und daß man durch Blutungen in das Unterhautzellgevvebe, die hinterher
eint.reten, noch unangenehme Überraschungen erleben kann, mag nur
nebenbei erwähnt werden. — Weit mehr als alle anderen Instru¬
mente zur Blutentziehung empfiehlt sich für den prak¬
tischen Arzt der ehrwürdige, in unserer Zeit halb ver¬
gessene Schröpfschnepper. Seitdem ich diesen alten Bekannten,
■wieder hervorgesucht habe, erlebe ich überhaupt keine Mißerfolge mehr.
Bei der Venenpunktion sind mir vier Patienten der Reihe nach ohn¬
mächtig geworden, so daß es überhaupt nicht mehr blutete, ich habe
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Die W&ssermann’sche Reaktion in der Sprechstunde-
127
deshalb dies Verfahren ganz aufgegeben und arbeite nur noch mit
dem Schnepper. Ein zuverlässiger Apparat ist natürlich erforderlich.
Ich habe nach verschiedenen Versuchen schließlich von der Firma
H. Windler in Berlin ein Instrument bekommen, das allen Anforde¬
rungen entspricht. — Der Verlauf ist nun folgender: Der Patient
entblößt die rechte Schulter und setzt sich rittlings auf einen Stuhl.
Als Schröpf stelle wird die Regio supraspinalis scapulae gewählt und
mit- einem in Jodtinktur getauchten Wattebausche einmal überstrichen,
dann sauge ich mit einem Bie Eschen Sauger durch einmaliges kräf¬
tiges Andrücken so lange, bis die Hautpartie sich lebhaft rötet, jetzt
wird der Schnepper, der unmittelbar vorher gekocht war, aufgesetzt
und abgedrückt. Der Schmerz, den der Kranke empfindet, ist sehr
gering, selbst Damen verziehen kaum eine Miene. Empfindlichen und
ängstlichen Personen gegenüber genügt die Versicherung, daß nun schon
alles überstanden sei, zu ihrer Beruhigung. Sobald sich dje ersten
Blutstropfen in den Schnittstellen zeigen, wird ein sterilisierter Sauger
mit nach unten gerichtetem Rezept akulum aufgesetzt und so lange
gelegen, bis das nötige Quantum da ist. Ich habe bis zehn Kubik¬
zentimeter auf diese Weise entnommen und zwar ohne jede Belästigung
der Versuchsperson. Wenn man Übung hat, nimmt der Vorgang nicht
einmal fünf Minuten in Anspruch. Die Schröpfstelle, die nach Abnahme
des Saugers oft noch lebhaft blutet, wird mit einem sterilen Gaze¬
bausche bedeckt, darüber kommt ein Streifen Leukoplast, und alles
ist wieder in Ordnung. Ein großer Vorteil ist es. daß der Geschröpfte
weder das Operationsfeld noch auch das entnommene Blut zu sehen
bekommt, er ahnt gar nicht, was mit ihm geschehen ist.
Die Bedenken, die man gegen den Schröpf köpf erhoben hat, daß
er schwer zu desinfizieren sei und daß er verdächtige Narben Unter¬
ließe (Mulzer) (15), kommen ernstlich nicht in Betracht, denn jedes
Metallinstrument ist sterilisierbar, wenn inan es nur richtig anfängt,
und Schröpf narben haben so viele Menschen, daß sie keinen Anstoß
erregen können. Jedenfalls wäre es vom Standpunkte der ärztlichen
Technik und der ärztlichen Politik ein unverzeihlicher Leichtsinn,
wenn man. um Blut, zu gewinnen, etwa — wie das auch empfohlen ist
(16) — die Halsvenen komprimieren und dann die Nasenschleimhaut
anritzen wollte. Das könnte- doch leicht zu unliebsamen Zwischen¬
fällen Veranlassung geben, vor denen uns der Schnepper sicher bewahrt.
Im ganzen haben wir bisher 14 Kranke mit dem No guc hi-Ver¬
fahren untersucht und zwar drei Paralytiker, vier Tabiker,
drei Fälle alter eingestandener Lues und vier zur Beobach¬
tung überwiesene Patienten. Bei vier von diesen vierzehn Ver¬
suchspersonen ist die Probe wiederholt worden.
Im allgemeinen kann ich sagen, daß der Ausfall der Reaktion
den Erwartungen entsprach. Die drei Paralytiker ergaben ein deut¬
lieh positives Resultat, einer dieser Fälle (überwiesen durch Herrn
Dr. Hallervorden, Friedenau), zeigte das klassische Bild eines aus¬
gesprochen positiven Wassermanns. Die Probe war hier um so wich¬
tiger, als der Patient jede Infektion in Abrede stellte. Die Tabiker
zeigten nur einen schwach positiven Ausfall, was zum Teil auf die
vorhin erwähnte mangelhafte Versuchsanordnung zurückzu führen sein
mag, doch ist auch von anderer Seite mehrfach betont, daß bei der
Tabes oft nur eine geringe Komplementbindung erfolgt. Bei den ver¬
dächtigen Fällen war das Ergebnis verschieden, während drei
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128
Armin Steyerthal,
Kranke, bei denen jeder Anhaltspunkt für eine frühere Lues fehlte,
auch in vitro nichts abweichendes zeigten, reagierten drei alte Luetiker
mehr oder weniger positiv, und einmal blieb das Resultat unentschieden.
Mehrfach habe ich Gelegenheit gehabt, meine Reaktionen in Uni¬
versitätsinstituten nachprüfen zu lassen. So handelte es sich l>ei einer
Patientin (überwiesen durch Herrn Sanitätsrat Dr. Heise, Schwerin)
um Glaskörpertrtibimgen beider Augen, bei denen die Möglichkeit eines
spezifischen Ursprungs berücksichtigt werden mußte. Der Ausfall der
Seroreaktion war hier völlig negativ. Da therapeutisch nunmehr die
Enukleation des einen Auges in Frage kommen mußte, wurde auf Wunsch
des Operateurs (Herrn Dr. Will im, Schwerin) eine Blutprobe an das
Bakteriol. Institut in Breslau eingeschickt, wo genau dasselbe festge¬
stellt wurde, wie hier.
Ein anderer Fall konnte in Rostock kontrolliert werden. Der
Patient war uns von Herrn Dr. Eivers, Rohna wogen einer Ver¬
letzung des Handgelenks überwiesen und hatte bei der Aufnahme der
Anamnese imumwunden erklärt-, daß er früher Lues gehabt habe. ^Nun
erkrankte der Mann hier an einem Ulcus corneae, das seine Überführung
in die Rostocker Augenklinik notwendig machte. Herr Prof. Peters
ließ eine Wasser man n’sche Reaktion vornehmen, die deutlich positiv
ausfiel. Als der Patient dann hierher zurückkam, war das Resultat
unserer Probe das gleiche.
Bei einem Patienten, den uns Herr Dr. Friedeberg, Berlin zu¬
schickte, war wegen suspekter Erscheinungen verschiedener Art eine
Einspritzung mit Ehrlich-Hata 606 vorgenommen. Die Wasser-
niann’sche Reaktion war bald positiv, bald negativ ausgefallen. Wir
bekamen hier zuerst ein mäßig positives und hei der Wiederholung
nach ungefähr vier Wochen ein ganz negatives Resultat.
In denjenigen Fällen, welche nach Lage der Sache anamnestisch
nichts verdächtiges boten, habe ich auf die Kontrolle verzichtet. So
war bei einem Patienten des Herrn Sanitätsrat Dr. Fischer, Schwerin
und einem anderen des Herrn Sanitätsrat Dr. Spangenberg, Dömitz,
der Verdacht auf Tumor cerebri nicht auszuschließen, denn beide Kranke
litten an epileptiformen Anfällen unbekannter Genese. Für Lues sprach
nichts, und Wassermann war völlig negativ.
M. H.! Wenn das Noguchi-Verfahre n nachweislich dasselbe
leistete, wie die ursprünglich von Wassermann und seinen Mitarbeitern
angegebene Methode, so könnten wir schon jetzt sagen, daß wir ein
unentbehrliches diagnostisches Hilfsmittel für die Sprechstunde ge¬
wonnen hätten. Diese Reaktion erfordert nicht einmal so viel Zeit,
wie eine Magenausheberung und ist sicher noch weniger gefährlich
als jene.
Allein wir Ärzte vergessen trotz der Erfahrungen der letzen
zwanzig Jahre zu leicht, daß in therapeutischen und diagnostischen
Sachen dem ersten Rausche der Freude der nihilistische Katzenjammer
meist auf dem Fuße folgt. Kritik ist also, wie überall, so auch hier
am Platze.
Gegen die v. D un gern-Modifikation hat man vor allem ein¬
gewendet, daß das angetrocknete Komplement seine Wirksamkeit ein¬
büße und daß mithin leicht Fehldiagnosen Vorkommen könnten (Wasser¬
mann und Meier) (17), die bei der Originalmethode vermeidbar sind.
Deshalb ist von verschiedenen Seiten versucht worden, dem prakti-
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Die Wassermann’sche Reaktion in der Sprechstunde.
129
sehen Arzte ein Verfahren an die Hand zu geben, den echten Wasser¬
mann auszuführen und sich nicht mit. Surrogaten zu begnügen.
So bringt zurzeit das Pharmazeutische Institut Ludwig Wilhelm
Gans in Frankfurt a. M. gebrauchsfertige Artikel zur Original-
Wassermann-Reaktion in den Handel. Das Antigen wird aus syphili¬
tischer Leber gewonnen. Zur Bereitung des haemoly tischen Systems
dient eine Aufschwemmung von Hammelblutkörperchen, die sich
ca. vierzehn Tage gebrauchsfähig erhält. Der dagegen gerichtete
Ambozeptor wird an Papier an getrocknet geliefert und vor Gebrauch
mit Kochsalzlösung extraliiert. Das Komplement muß jedesmal frisch
durch Tötung eines Meerschweinchens gewonnen werden, was in der
Praxis natürlich nicht immer leicht zu machen ist. Im übrigen hat
die Methode für denjenigen, der ein kleines Laboratorium besitzt und
etwas Zeit darauf verwenden kann, keinerlei Schwierigkeiten. Wir
haben sie auch bei uns eingeführt, doch ist noch nicht genügend damit
gearbeitet, um ein Urteil über ihre praktische Verwendbarkeit zu ge¬
winnen.
In jüngster Zeit empfehlen auch andere Firmen, so z. B. das
Sächsische Serumwerk in Dresden und Max Kahnemann,
Berlin Heagentien zur Wasser manischen Reaktion. Auch hier wird,
soweit ich aus den Annoncen ersehen kann, haltbares Komplement nicht
vertrieben. Eigene Erfahrungen stehen mir über diese Präparate nicht
zur Verfügung.
M. H.! Bei der Wichtigkeit der alltäglich in der Praxis auf¬
tauchenden Frage: Hat ein Patient Lues gehabt oder hat er
sie noch? und bei Beherzigung des alten Satzes: Nemo syphiliticus
nisi mendax werden wir einem Diagnostikum unsere Sympathie nicht
versagen, das uns tuto, cito et jueunde ermächtigt, ohne die Antwort
des Kranken abzuwarten, selbst zu entscheiden, was vorliegt. Ich war
deshalb von vornherein Ihres Interesses für den Gegenstand sicher.
Wenn die Methoden zurzeit noch nicht so weit durchgebildet sind,
daß Sie sich entschließen werden, selbst damit zu arbeiten, so dürfen
wir doch hoffen, daß bei der rastlosen auf dem Gebiete der Sero¬
diagnostik herrschenden Tätigkeit demnächst ein allen Ansprüchen ge¬
nügendes Verfahren in unseren Händen ist.
Literatur.
1. Ehrlich, Arbeiten zur Immuuitätsforschung. Berlin 1903. — 2. Zitiert
nach Julius Citron, Artikel Komplementbindung. Eulenburg’s Real-Enc.
4. Aufl. Bd. 3, S. 378ff. — 3. Bauer, Zur technischen Vervollkommnung des
serologischen Luesnachweises. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 10, 1909. —
4. Hideyo Noguchi, Eine für die Praxis geeignete, leicht ausführbare Methode
der Serumdiagnose bei Syphilis. Müuchn. med. Wochenschr., Nr. 10, 1909. —
5. E. y. Düngern, Wie kann der Arzt die Wassermann’sche Reaktion ohne
Vorkenntnisse leicht vornehmen? Münchn. med. Wochenschr., Nr. 10, 1910. —
6. E. v. Düngern u. Hirschfeld, Über unsere Modifikation der Wassermann’schen
Reaktion. Münchn. med. Wochenschr., Nr. 21, 1910. — 7. Leon Kepinow, Über
weitere Erfahrungen mit der vereinfachten Wassermann’schen Reaktion nach
v. Düngern - Hirschfeld. Münchn. med. Wochenschr., Nr. 41, 1910. — 8. Plaut,
Die Wassermann’sche Reaktion und der praktische Arzt. Münchn. med. Wochenschr.,
Nr. 16, 1910. — 9. Münz, Die Wassermann’sche Reaktion in der Sprechstunde.
Deutsche med. Wochenschr., Nr. 37, 1910. — 10. Schultz-Zehden, Erfahrungen
über die v. Dungern’sche Methode der Syphilisreaktion in der Sprechstunde.
Med. Klinik, Nr. 27, 1910. — 11. Spiegel, Was leistet die v. Dungern’sche Methode
der Syphilisreaktion? Münchn. med. Wochenschr., Nr. 45, 1910. — 12. Steinitz,
Über die vereinfachte Wassermanu’sche Reaktion nach v. Düngern - Hirschfeld.
Münchn. med. Wochenschr., Nr. 47, 1910. — 13. Frühwald u. Weiler, Die
v. Dungern’sche Modifikation der Wassermann’schen Reaktion. Berl. klin. Wochen-
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S. Leo,
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schrift, Nr. 44, 1910. — 14. Wilhelmi, Bleichsucht und Aderlass. Güstrow 1890. —
15. P. Mulzer, Praktische Anleitung zur Syphilisdiagnose. Berlin 1910. —
16. Ibidem, S. 54. — 17. Wassermann u. Meier, Die Serodiaguostik der Syphilis.
Münchn. med. Wochenschr., Nr. 24, 1910.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von S. Leo,
In der „Gesellschaft für physikalische Medizin“ sprach Dozent
Dr. Nobl über die Behandlung mittels fester Kohlensäure. Bei
der Erfrierung werden zunächst die Zellkomplexe der Oberhaut und
Kutis geschädigt, während die Zirkulationsstörung, die entzündlichen und
regenerativen Veränderungen zu den sekundären Vorgängen zählen. Die
Wirkungsäußerung der künstlichen Erfrierung gestattet bei einer Reihe
von Hautkrankheiten eine vorzügliche Anwendung, wobei die Nekrobiose,
die entzündliche Exsudation, sowie die heilende Epithel- und Binde-
gewebswucherung in ihren abstufbaren Wechselbeziehungen angewendet
werden. Die zu diesem Zwecke von White empfohlene flüssige Luft
sowie der Chloräthylspray fanden wegen der Schwierigkeit der Beschaffung
der ersteren und der ungenügenden Kältewirkung des letzteren keine
allgemeine Anwendung. Erst seitdem auf Pushey’s Vorschlag die
feste Kohlensäure verwendet wird, ist es möglich geworden, in streng
lokalisierter Weise jene Grade der Erfrierung zu erreichen, die zur Aus¬
lösung der Gewebsreaktionen erforderlich sind. Die Kohlensäure ent¬
wickelt bei dem Übergang aus dem festen in den gasförmigen Aggregat¬
zustand eine Temperatur von — 90° C. Die Applikationsdauer, der
angewendete Druck, die individuelle Reaktionsfähigkeit sowie die Resistenz
der Gewebe müssen bei der exakten Dosierung berücksichtigt werden.
Eine Überempfindlickheit ist nur selten festzustellen, hingegen tritt fast
immer Gewöhnung ein. Bei wiederholter Erfrierung in größeren Inter¬
vallen ist eine Verlängerung der Expositionsdauer oder Steigerung des
angewandten Drucks notwendig, um genügend intensive Reaktionen aus¬
zulösen. Die Gefriermethode eignet sich am besten bei chronisch-infil¬
trativen, umschriebenen Entzündungsprozessen, epithelialen Neubildungen,
ulzerösen Veränderungen und den verschiedenen kongenitalen Anomalien
der Haut und der Adnexe. Die vorgestellten Fälle von Lupus erythe¬
matosus discoides, dessen persistierende, durch exquisite Gefäßlabilität
ausgezeichnete Herde mitunter allen Heilmaßnahmen trotzen, zeigen an
Stelle der früheren Läsionen zart atrophische, im Aussehen von der normalen
Umgebung kaum abweichende Ersatzschichten. Der oberflächliche Sitz
sowie die Rarefizierung des Epithels lassen nur geringe Dosen angezeigt
erscheinen (15—20 Sekunden). Fünf Kranke, bei welchen progressive
Epitheliome vom Kronenstück- bis Faustgroße bei meist mehrjährigem
Bestände das Gesicht, die Ohren, die Retroaurikulargegend sowie den
Rücken besetzten, zeigten einen zartnarbigen Ausgleich an Stelle der
2—4 mal behandelten Neoplasmen (*/ 2 —1 Minute bei stärkerer Kom¬
pression). Darunter sind Fälle, die 1 — l 1 ^ Jahr rezidivfrei blieben.
An zwei Frauen läßt sich der heilende Effekt der Kohlensäurebehandlung
bei dem Tierfellnaevus und dem Naevus verrucosus feststellen. Blasse,
im Hautniveau sitzende Flecke markieren den Standort der massigen,
vorgewölbten hochgradig entstellenden Gewebshvperplasien. Günstige
Erfolge erzielte N. ferner bei Lichen chron. simplex, Keratomen, Clavi
und Warzen. Die Mächtigkeit der Hornschichte, sowie die dichte,
bindegewebige Struktur solcher Produkte erfordern die Auslösung tief-
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Wiener Brief.
131
reichender, bullöser Reaktionen, wobei das pathologische Gewebssubstrat
mit der dicken, vom Exsudat unterschichteten Decke zur Abhebung ge¬
langt. Die Epithelisierung geht nach Abstoßung des nekrotischen Papillar-
gerüstes in raschester Weise vor sich.
Über eine schwere Nachblutung nach Tonsillektomie und
ihre Behandlung sprach Marschik in der „Wiener laryngologischen
Gesellschaft“: Bei einer 23jährigen Frau mit einer chronischen Nephritis
waren beide Tonsillen geschwollen und in hochgradiger chronischer Ent¬
zündung. M. führte nun die beiderseitige Tonsillektomie aus: Pinselung
des Rachens mit 20 ü / o Kokain, Injektion von Schleich-Lösung mit Adrenalin¬
zusatz in die Gaumenbögen, Ausschälung, endgültige Abtrennung mit
der Schlinge. Schon bei der ersten Tonsille (r.) war Patientin sehr un¬
ruhig. Bei der 1. Tonsille blutete es sehr beträchtlich, und nahe dem
oberen Pol blieb ein Stückchen Tonsillengewebe zurück, das weiter blutete
und das die Patientin sich nicht mehr entfernen lassen wollte. Da die
Blutung auf Eiswasser nicht stehen wollte, so wurden U 2 0. 2 - und Adrenalin¬
applikation versucht. Anlegung des Mikulicz-Kompressoriums und Digital-
kompression waren vergeblich. Schließlich blutete es im arteriellen Strahl
aus dem zurückgebliebenen Tonsillargewebe links, Anlegung eines P^ans
erfolglos. Es wurden daher die beiden Gaumenbögen über einen Tampon
verklemmt; Injektion von Morphium und Ergotin. Darauf stand die
Blutung. Gleichzeitig blutete es aber rechts aus einem nußgroßen
Hämatom, Kochsalzinfusion und Digaleninjektion. Auf neuerliche Ergotin-
injektion schien die Blutung zu stehen. Im Laufe des Nachmittags nahm
aber die Anämie immer mehr zu. Es zeigte sich nun, daß es unaufhörlich
weiter blutete, Bewußtlosigkeit. Neuerliche Pharyngoskopie zeigte, daß
links die Blutung stand, dagegen blutete es rechts unaufhörlich. M. führte
nun an der bewußtlosen Pat. die Unterbindung der rechtsseitigen Carot.
extern, aus. Darauf stand die Blutung. Intravenöse Kochsalzinjektion
mit Adrenalin, Patientin erholte sich rasch.
Über die Bedeutung der Kohlehydrate für die Ernährungs¬
störungen im Säuglingsalter sprach A. von Reuß in der „Ge¬
sellschaft für innere Medizin und Kinderheilkunde“: Der Nutzen der
Kohlehydrate für den 'Stoffwechsel ist ein so großer, daß man das Kind
gewiß so bald als möglich dieses Nutzens teilhaftig w r erden lassen soll.
Ist die bisherige Entwicklung eine normale, so wird der Säugling am
Ende des zweiten oder längstens dritten Vierteljahres, oft wohl auch
früher, eine größere Kohlehydratmenge in Form von Mehlbrei oder
Suppe als regelmäßigen Bestandteil der Nahrung vertragen und mit
Nutzen verwerten. Ob das Mehl mehr oder weniger dextriniert und
verzuckert oder ungespalten verwendet wird, ist ziemlich gleichgültig.
Je mehr Zucker die Nahrung enthält, desto mehr kann sie abführend
wirken. Während der ersten Monate kommt eine reichliche Verwendung
von Kohlehydraten nur bei jenen Formen von Atrophie in Betracht, die
keinerlei Symptome einer Empfindlichkeit des Darmes zeigen, insbesouders
bei den Milch-(Fett-)nährschäden. Gibt man in solchen Fällen reichlicher
Kohlehydrate, so sollen sie in zweierlei Form der Milch zugesetzt werden,
als Poly- und Disaccharide; Mehl-Dextrin-Maltose, (Liebig-Suppe,
Keller’sche Malzsuppe), Mehl-Rohrzucker (holländische oder Buttermilch).
Man darf die Zuckerfurcht nicht so weit treiben, daß man die vielen
vorzüglichen Erfolge der kohlehydratreichen Nahrungsgemische vergißt.
Sie werden bei den früher genannten Formen der Ernährungsstörungen
nach wie vor mit Erfolg Anwendung finden. Doch ist dabei stets
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S. Leo,
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Vorsicht am Platz. Es handelt sich um eine Therapie, nicht um eine
für die Dauer empfehlenswerte Ernährungsart, sonst stellen sich mit der
Zeit Darmsymptome ein. Ist ein Milchnährschaden mit Darmreizsymptomen
kombiniert, so sind diese stets zuerst zu behandeln. Abgesehen von den
geschilderten Formen soll man während der ersten Lebensmonate mit
dem Zusatz von Kohlehydraten sparsam sein. Wenn auch die Frauen¬
milch keine kohlehydratarme Nahrung darstellt, so ist doch zu bedenken,
daß beim Brustkind die hohe Azidität der Stühle darauf hinweist, daß
ein relativ großer Teil des Milchzuckers vergoren wird, und überhaupt
nicht, oder doch nicht als Kohlehydrat zur Resorption gelangt. Die
Darmgärung hat gewiß als peristaltikanregender und fäulnishemmender
Vorgang eine Bedeutung. Doch verfügt das Brustkind auch über eine
ganz andere Widerstandskraft der Darm- und Organzelle wie das künstlich
ernährte; dort tritt meist (wenn auch nicht immer) die nützliche Seite
der Darmgärung in den Vordergrund, hier viel leichter die schädliche.
Daß ein Kohlehydratzusatz zu den Kuhmilchverdünnungen nicht unum¬
gänglich notwendig ist und unter Umständen der in der Kuhmilch ent¬
haltene Milchzucker zur Deckung des Kohlehydratbedarfs ausreicht, geht
aus den Versuchen von Weigert hervor; er verwendet Kuh milch wasser-
mischungen mit und ohne Milchzuckerzusatz und konnte in Parallel¬
versuchen keine Differenzen im Verlauf der Gewichtskurven feststellen.
Wenn man auch in praxi nicht ins Extrem zu verfallen braucht, die
Kohlehydratzusätze zu Milchverdünnungen gänzlich wegzulassen — es
dürfte sich dies wegen der leicht eintretenden Obstipation und Seifen¬
stuhlbildung nicht empfehlen —, so lehren die bisherigen Erfahrungen,
daß zum Gedeihen des Kindes der Zusatz kein reichlicher zu sein braucht,
und aus prophylaktischen Gründen kein reichlicher sein soll. Beim ge¬
sunden künstlich ernährten Kind reichen 2—3°/ 0 Zuckerzusatz häufig
aus; 5°/ 0 des Gemenges soll man nicht überschreiten. Bei völlig
normalem Darm dürfte es in vielen Fällen ziemlich gleichgültig sein,
welchen Zucker man als Zusatz wählt (selbst Traubenzucker wird manchmal
vertragen). Auch gegen die Verwendung von Polysacchariden in Form
des Schleims oder der Mehlabkochung ist nichts einzuwenden, wenn
nur die Quantität eine geringe ist. Kombinationen von Mehl und Zucker
sind sogar empfehlenswert. Besteht auch nur eine leichte Empfindlichkeit
des Darms (Neigung zu dyspeptischen Stühlen), so macht sich die ver¬
schiedene Wirkung der einzelnen Kohlehydrate sofort fühlbar. Der
Milchzucker ist als Zusatz am wenigsten geeignet, da er langsam resorbiert
und sein Uberschuß leicht vergoren wird. Man verwendet besser Rohr¬
oder Malzzucker, letzteren in Kombination mit Dextrinen, weil er in
reinem Zustand zu teuer und die Dextrinbeimengung keineswegs ein
Nachteil ist. In jenen Fällen, in welchen auch diese Kohlehydrate zu
Darmreizungen führen, werden manchmal Zusätze von ungespaltenem
Mehl noch vertragen. Daß die Polysacchariden für den Darm am
wenigsten gefährlich sind, geht aus der alten Gepflogenheit hervor, darm-
kranken Kindern nach der Hungerdiät Schleim oder dünne Mehl¬
abkochungen zu geben. Noch in neuerer Zeit wird bei den gewöhnlichen
Formen der gewöhnlichen Dyspepsie ein zwei- bis dreitägiger Versuch
mit Mehldiät empfohlen (Rietschel). Am besten fährt man wohl, wenn
man bei empfindlichem Darm den Kohlehydratzusatz zur Milch für einige
Zeit ganz unterläßt. Aber auch die Milchmischungen ohne jeden Kohle¬
hydratzusatz führen bei bestehenden Darmreizsymptomen oder kurz nach
dem Abklingen häufig zu keiner Besserung, sondern zu einer Ver¬
schlechterung. Hier ist die Eiweißmilch Fink eis tein’s am Platz.
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Wiener Brief.
133
Über die Quecksilberbehandlung der Tabes dorsalis sprach
Prof. Emil Redlich in der „Gesellschaft für innere Medizin“: Unter
den 308 Fällen hatten 43,8°/ 0 sicher Syphilis, 26°/ 0 ein Ulcus, zusammen
69,8°/ 0 . Auch die Wassermann’sche Reaktion, die in der Literatur mit
70°/o positiven Fällen bei der Tabes angegeben ist, wurde in 39 Fällen
untersucht, von welchen 70°/ 0 + reagierten; auch Fälle mit negativer
Luesanamnese reagierten positiv. Von den untersuchten Fällen war in
41°/ 0 gar keine, in weiteren 40°/ o nur eine ganz mangelhafte Quecksilber-
hehandlung der Syphilis vorausgegangen; 18,8°/ 0 aber hatten eine regel¬
rechte, jahrelang fortgesetzte Quecksilberkur der Syphilis durchgemacht.
Letztere schützt nicht mit Sicherheit vor dem Ausbruch der Tabes, bietet
aber doch einen relativen Schutz. R. hat in allen initialen Fällen von
Tabes eine, oft mehrfach wiederholte milde Quecksilberkur (in Ver¬
bindung mit Hydrotherapie, Thermalbehandlung) durchgeführt. 83 Fälle
konnten durch längere Zeit beobachtet werden. Bei der Beurteilung
der Fälle muß berücksichtigt werden, daß es benigne und maligne Tabes
gibt. Eine direkt schädliche Wirkung des Quecksilbers bei mäßigen
Dosen hat R. nicht gesehen. Oft blieb es auf dem Verlauf der Tabes
ohne Effekt; in anderen beginnenden Fällen war doch ein relativer Still¬
stand zu erzielen (bis 8 Jahre). Ein solcher Stillstand des Prozesses be¬
deutet aber schon viel für den Kranken. Auch bei akuten Schüben sah
R. durch Quecksilberkuren wiederholt Besserung der akuten Störungen
und dann Stillstand der Erscheinungen für längere Zeit. Auf die Ent¬
wicklung oder das Fortschreiten einer die Tabes komplizierenden pro¬
gressiven Paralyse hat das Quecksilber keinen Einfluß. Auf eine Optikus-
atophie wirkt das Quecksilber weder günstig noch ungünstig; dasselbe
gilt für Crises gastriques. R. empfielt also (im Gegensätze zu Erben u. a.
Anm. d. Ref.) in initialen Fällen von Tabes eine milde Quecksilberkur;
gleichzeitig warnt er vor Optimismus bezüglich des Ehrlich’schen Präpa¬
rates bei Tabes.
Einen ablehnenden Standpunkt gegen „606“ nimmt Prof. Ernst
Finger ein; er steht allerdings damit ziemlich vereinzelt da. F. sagte
in der „Gesellschaft der Arzte“: Von Ehrlich rührt die Forderung
her, daß ein Präparat, welches gegen eine parasitäre Erkrankung ange¬
wendet wird, parasitrop oder möglichst wenig organotrop sein soll. Die
Versuche, Rekurrens mit Arsenobenzol zu behandeln, hatten einen guten
Erfolg. Es besteht aber ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Syphilis,
da bei Recurrens die Parasiten im Blute sich befinden, während bei Syphilis
die Spirochäten nur zwischen der 6. bis 8. Woche nach der Infektion
im Blute Vorkommen und in der übrigen Zeit Bind ege websparasiten sind.
F. hat das „606“ in 174 Fällen angewendet, von welchen 136 längere
Zeit beobachtet werden konnten. Es waren darunter 25 Fälle im
primären, 77 im sekundären, und 34 im tertiären Stadium. Zur Lues
maligna waren 11, zur Lues hereditaria 14 Fälle zu zählen. Die Primär¬
affekte erweichen binnen wenigen Tagen und überhäuten sich; in einer
Anzahl von Fällen blieb an der Stelle der Injektion durch mehrere
Wochen ein teigiges Infiltrat. In 2 Fällen hatte die Injektion nur einen
vorübergehenden Effekt. Die Lymphdrüsen gehen nur langsam zurück,
sie zeigen erst in 2—3 Monaten eine Verkleinerung, manchmal konnte
trotz der Injektion das Auftreten neuer Drüsenschwellungen an ent¬
fernten Körperstellen beobachtet werden. Die sekundären Erschei¬
nungen werden durch das Arsenobenzol in sehr günstiger Weise be¬
einflußt, das Exanthem geht rasch zurück, am raschesten die sukkulenten
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Formen, langsamer die Roseola lind die papulöse Syphilis, am lang¬
samsten die Psoriasis palmaris und plantaris, die vier Wochen und
mehr zur Rückbildung bedarf. Unter den sekundären Fällen verhielt
sich einer refraktär. In 5 Fallen, die am Ende des primären Stadiums
injiziert wurden, traten nach einem, resp. mehreren Tagen Exantheme
auf. Tertiäre Haut- und Schleimhautveränderungen heilen relativ rasch,
größere brauchen bis zu 5 Wochen zum Verschwinden. Im Anfang geht
der Heilungsprozeß rascher vor sich, im weiterem Verlauf nimmt jedoch
die Heilungstendenz ab. Weniger deutlich wird die Knochensyphilis be¬
einflußt; die Schmerzen werden zum Verschwinden gebracht, aber die
ostitischen und periostitischen Auflagerungen gehen nur langsam zurück.
Auch unter den tertiären Fällen waren einige refraktär. Chorioiditis
und Neuroretiuitis zeigten keine Besserung. Die Ulzerationen bei
maligner Lues reagierten gut; ein Fall verhielt sich gegen Hg, J, aber
auch gegen 606 refraktär. Bei einem taubstummen Mädchen bei Keratitis
wurden keine Erfolge erzielt. Bezüglich der Präventivbehandlung wurde
bei 6 Fällen erzielt, daß die Syphilis klinisch latent wurde, bei anderen
wurde der Krankheitsprozeß nicht wesentlich beinflußt.
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Experimentelle Erfahrungen über die letale Dosis der sauren Lösung von
Ehrlich-Hata 606.
Von H. E. Hering.
(Vortrag in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Ärzte in Prag
am 25. November 1910.)
Die letale Dosis der sauren Lösung von Ehrlich-Hata 606 bei intra¬
venöser Infusion beträgt pro Kilo Kaninchen 0,004—0,005 g, pro Kilo
Plund 0,01—0,02. Infundiert wurde in die Vena iugularis eine 1 / 2 °/ 0 ige
Lösung von 606 in physiologischer Kochsalzlösung (0,9°/ o ), es enthielt
also 1 cm 8 der Lösung 0,005 g.
In Anbetracht der großen Giftigkeit der sauren Lösung ist vor
ihrer intravenösen Anwendung beim Menschen entschieden zu
warnen, was bis jetzt durchaus noch nicht mit entsprechender Betonung
geschehen ist.
Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß hiermit nichts gegen die
therapeutische Verwendung von 606 bei intravenöser Infusion der neutralen
oder alkalischen Lösung gesagt ist; von der alkalischen Lösung kann
man viel größere Dosen infundieren, so z. B. beim Kaninchen die 20-,
beim Hund die 10-fache Menge der letalen Dosis der sauren Lösung,
ohne daß die Tiere während des Versuches zugrunde gehen.
Beim Tode infolge der Infusion der sauren Lösung von 606 handelt
es sich nicht um eine Säurevergiftung im Sinne von Walter (1877).
Über ein postmortales Auskulationsphänomen beim Menschen.
Von H. E. Hering.
(Vortrag in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Ärzte in Prag
am 25. November 1910.)
Nach Erlöschen der Atmung und Sistierung der Herzkontraktionen
war über der Gegend der Herzspitze und über dem unteren Abschnitt
des Sternums ein kontinuierliches leises Rauschen zu hören, das nach
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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1—2 Minuten aufhörte. Dieses leise Rauschen ließ sich über der Stirn
nicht wahrnehmen; an anderen Stellen wurde in dem einen daraufhin
untersuchten Falle nicht auskultiert. Diese Beobachtungen wurden noch
von zwei anderen Beobachtern bei diesem Falle bestätigt.
Es handelt sich vielleicht um ein Gefäßgeräusch, in welchem Falle
auch für den Menschen der beim Tiere schon erbrachte Beweis geliefert
wäre, daß das Blut noch einige Zeit fortfährt sich in den Arterien nach
den Venen zu bewegen, nachdem das Herz zum Stillstand gekommen ist.
Für ein Gefäßgeräusch sprechen andere Erfahrungen über Gefäßgeräusche,
so das Nonnengeräusch u. a.
Gegen die Auffassung als Muskelgeräusch (ein eventuell noch be¬
stehender Tonus der Atemmuskeln), spricht, daß beim Muskelgeräusch
im allgemeinen ein tieferer Ton zu hören ist. Ob die flimmernden
Kammern ein über dem Thorax hörbares Auskultationsphänomen er¬
zeugen, ist noch fraglich. Das beobachtete Geräusch kann für die ge¬
richtliche Medizin von Bedeutung sein. Es ist wünschenswert, daß dieses
Geräusch einmal mikrophonisch aufgenommen werde. Autoreferat.
Verein deutscher Ärzte in Prag.
(Sitzung vom 2. Dezember 1910.)
Hilgen rein er (Prag) bespricht das Hernienmaterial der Klinik Hofrat
Wölflers aus den Jahren 1895—1910, 2238 operativ behandelte
Hernien umfassend. 2 / 3 der Gesamtsumme waren freie, 71 °/ 0 männliche
Hernien. Der weibliche Bruch beteiligte sich mit 26°/ 0 an den freien,
mit 54°/ 0 an den eingeklemmten Hernien. Dem Alter nach gehörten
80°/ 0 der freien Brüche den ersten vier, fast 80% der eingeklemmten
den höheren (5.—9.) Lebensdezennien an. Die Radikaloperation der
freien Leistenhernie, welche das Gros der freien Brüche (fast 90%) bildete,
erfolgte fast ausschließlich nach WölflePs Methode, welche sich von jener
nach Bassini nur durch Belassen des Samenstrangs und durch die Rektus-
verlagerung bei schwach entwickelten mm. obliqui unterscheidet. Die
Zahl der per secundam Heilungen betrug bei den freien Hernien 4,2%,
die Mortalität 0,3%, die Häufigkeit der Rezidive ca. 5%.
Von den 778 eingeklemmten Brüchen konnten 106 per taxim
reponiert werden (0% Mortalität); bei 496 genügte einfache Herniotomie
(10,9% M.) eventuell mit Übernähung einer gangränösen oder gangrän¬
verdächtigen Stelle, in 120 Fällen wurde primär reseziert (55% M.), in
einigen Fällen der suspekte Britchdarm durch 12—48° vorgelagert, iu
verzweifelten Fällen zunächst ein Anus praeternaturalis angelegt. Bei der
Darm Vereinigung nach primärer Darmresektion erwies sich der Murphyknopf
der Darmnaht und den resorbierbaren Darmknöpfen gegenüber über¬
legen (17% weniger Mortalität), als souveräne Anästhesierungsmethode
muö bei den eingeklemmten Hernien die lokale Infiltrationsanästhesie
angesehen werden. Die Gesamtmortalität der eingeklemmten Brüche be¬
trug 14,4 % und zwar für die inguinalen 15, für die cruralen 23,
für die umbilikalen 35, für die epigastrischen 40 und für die inneren
Hernien 50%; ferner für die ersten 24 h nach der Einklemmung 6%,
und fiir jeden der folgenden 3 Tage ungefähr das Doppelte des Vortages.
% aller Todesfälle w r aren auf Peritonitis (36,6%), die Inkarzeration selbst
i. e. Intoxikation und Shok (27%) und Pneumonie (12,8%) zurück¬
zuführen.
Von den zur Beobachtung gelangten seltenen Hernien seien hier
nur genannt je eine h. obturatoria, h. ischiadica (glutaealis inf. tubo-
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Referate und Besprechungen.
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ovarica), h. lumbalis (trigoni Petiti), 2 Zwerchfells- und 4 seltene innere
Hernien, 1 inquinaler linksseitiger Magenbruch, 1 linksseitiger Schenkel¬
bruch mit eingeklemmten Coecum und Wurmfortsatz, eine vorher dia¬
gnostizierte Wurmfortsatzhernie, 3 Brüche mit inkarzerierter Appendix
epiploica, 14 Harnblasen- und 9 Tubo-ovarialhernien, 1 inquinaler Gebär-
mutterbruch, 6 Fälle von Tuberkulose des Bruchsackes, 7 Beobachtungen
(darunter ein vorher diagnostizierter Fall) von Appendizitis in hernia,
je 2 Fälle von Darmblutung resp. Darmstenose nach Inkarzeration,
4 Fälle von Ruptur des Bruchdarms und 1 Fall von Zerreißung des
Bruchsackes durch forzierte Taxisversuche. (Eine ausführliche Publikation
des gesamten Materials findet sich in den Beiträgen zur klinischen Chi¬
rurgie, Bd. 59, H. 2, 1910.) Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Bartel, Neumann, Leimsner (Wien), Zur Frage der Einwirkung von
Organen auf den Tuberkelbazillus. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.)
In normalen Organen sind eine Reihe differenter Stoffe vorhanden, die „im
Kampfe gegen eine tuberkulöse Infektion“ und bei Ausbildung von „Immuni¬
tätszuständen“ eine bedeutende Rolle spielen. Es sind extrahierbare Fer¬
mente, ölsaure Seifen und lipoidartige Stoffe aus Milz, Leber und Lymph-
drüsen. Schürmann.
Fürst, Untersuchungen über Kapsel- und Hüllenbildungen bei den so¬
genannten Kapselbakterien. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) In hypo¬
tonischen Eiweißlösungen treten „Kulturhüllen“ auf, die auf sekundär um
die Zelle geschichtetem, nicht der Zelle eigens zugehörigem Material be¬
stehen. Eine schmale innere Schicht, die durch Trypsin nicht angegriffen
wird, gilt, als eigentliche Kapsel. Bei der Phagozytose bilden die Hüllen
einen größeren Widerstand als die Kapseln selbst. Verfasser geht dann auf
die Phagozytose durch Leukozyten in vitro und in vivo mit Berücksichtigung
der „Kulturhüllen“ ein. Schürmann.
Ströse (Berlin), Die Übertragung der Trichinen auf das Schwein.
(Arbeiten aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 33, H. 1.) Auf eine Über¬
tragung von Trichinose durch Exkremente der Tiere ist eine solche Bedeu¬
tung zu legen, wie es Högberg tut. Ratten zeigen eine hohe Empfindlich¬
keit gegen Trichinose und gehen an Trichinosis zugrunde. Man muß also
vor allem Mäuse und Ratten in den Gehöften, wo Schweine gehalten werden,
aiisrotten, da durch das Auffressen der Nager sich die Schweine infizieren
können. Schürmann.
Bruynoghe, Einfaches Verfahren zur Züchtung der Meningokokken.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 1.) Verf. benutzt ein Verfahren, das schon
seit Jahren in verschiedenen bakteriologischen Instituten gehandhabt \^ird,
zur Züchtung von Meningokokken. Man fügt von der steril entnommenen
Spinalflüssigkeit des Kranken eine entsprechende Menge zur sterilen Bouillon,
die nach 24stündiger Bebrütung bei 37° untersucht wird. — Diese Methode
soll sich auch gut eignen für die Untersuchung von serösen und eitrigen
Exsudaten. Schürmann.
Lenartowicz und Potrzobowski (Lemberg), Eine einfache Methode der
Darstellung der Spirochaeta pal 1 ida. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.)
Das von den Verfassern angegebene Verfahren zur Darstellung der Spiro¬
chaeta pallida ist folgendes: 1. Gut gereinigter Objektträger wird 5 Sekunden
über einer x / 2 —2prozentigen Osmiumsäurelösung gehalten; 2. Ausstreichen
von Material auf dieser Fläche; 3. Fixieren mit Osmiumsäure. 10 Sekunden
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Referate und Besprechungen.
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(darüberhalten); 4. Färbung mit Ziehl’scher Fuchsinlösung, 1 Minute; 5. Ab¬
spülen mit destilliertem Wasser, trocknen, einbetten. Diese Methode eignet
sich auch zur raschen und schnellen Geißelfärbung. Schürmann.
Morosoff (Woronesch), Neue Pinzette für Objektträger und Deckgläser.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) Eine neue Art Pinzette, deren Vorzug
darin besteht, Objektträger und Deckgläser von glatt polierten Flächen, wie
Spiegelglas und Marmor, leicht zu fassen; ,»Nachhilfe oder Berührung des
Glases mit den Händen ist dabei gänzlich ausgeschlossen - '. Die Pinzette wird
angefertigt von der Firma Pogonischeff in Moskau. Schürmann.
Innere Medizin.
Meoni, Über den pleuritischen Ursprung mancher Basedowfälle. (Riv.
crit. di Clin, med., Nr. 43, 1910.) Aus der medizinischen Klinik zu Perugia
hat bereits SilVestrini (1903 und 1907) drei Basedowfälle veröffentlicht,
bei denen eine Pleuritis vorausgegangen war, und er nahm an, daß die
Pleuritis den Grenzstrang schädige und dadurch den Basedow verursache.
In einem dieser Fälle, den Meoni genauer mikroskopisch studiert hat, be¬
stand eine typische Neuritis des Sympathikus. Meoni hat noch einen
weiteren Fall beobachtet, in dem an eine Pleuritis sich eine Basedowerkran¬
kung anschloß, fand in der Literatur drei hierher gehörige Fälle und unter
26 Basedowkrankengeschichten der medizinischen Klinik zu Rom einen
weiteren. Es sei die Aufmerksamkeit der Ärzte auf diesen Zusammenhang
gelenkt; ist er zu bestätigen, so bedeutet er eine wichtige Stütze der nervösen
Theorie des Basedow. M. Kaufmann.
G. Guerrini, Über die angebliche Giftigkeit der Askariden. (Lo Speri-
mentale, Bd. 64, H. 4, 1910.) Von zahlreichen Autoren ist die Behauptung
aufgestellt worden, daß die Askariden giftige Substanzen zu bilden und
auszuscheiden vermögen, die an den bei dem Wirt auftretenden Erscheinungen
teilweise die Schuld tragen sollen. Die Behauptung geht bis auf Avicenna
zurück und bezieht sich auf fast alle Askariden, die bei Mensch und Tier
Vorkommen: A. lumbricoides, A. suum, A. megalocephala. Als Beweis hat
man betrachtet: 1. gewisse Symptome, die am Wirtstier auftreten, 2. Stö¬
rungen, welche Personen bei der Berührung der Parasiten erlitten, und 3. Er¬
gebnisse von Tierversuchen, bei denen den Tieren Parasitenextrakte einver¬
leibt werden. Nach Ansicht des Verf. ergibt aber eine exakte Nachprüfung
dieser Beweise, daß sie durchaus ^zweifelhafter Natur sind; er hält, wie
er ausführlich darlegt, die Frage für noch keineswegs entschieden. Er
selbst hat einen Beitrag zu ihrer Entscheidung geliefert, indem er den
Zoelomsaft sowie Extrakte der Kutikula, des Muskelapparats, der Eingeweide
und Genitalorgane von Asc. megalocephala in den verschiedensten Modi¬
fikationen auf das nach der Engelmann’schen Methode präparierte Herz von
Rana esculenta einwirken ließ, ohne je eine Veränderung des Kardiogramms
zu erhalten. M. Kaufmann.
Chirurgie.
Denk (Wien), Zur Pathologie und Therapie der Brüche der vorderen
Bauchwand. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 3.) In der Klinik von
v. Eiseisberg sind von April 1901 bis Dezember 1909 135 Fälle von Brüchen
der vorderen Bauch wand operativ behandelt worden. Nach kurzem Überblick
über die maßgebende Anschauung der Entstehung einmal nach Frankel,
4er die Ursache in der anatomischen Veranlagung sieht, und Lucas Chain-
pionuiere, der das Hineinwachsen des präperitonealen Fettes in die Faszie
als ursächliches Moment anspricht, welche Anschauung von Rüge auf
Grund anatomischer Untersuchung teilt, kommt Verfasser an der Hand
seines Materiales zu der Überzeugung, daß für die meisten Nabelhernien die
Championniere-Ruge’sche Theorie der Verfettung der Bauchfaszie passe,
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Referate und Besprechungen.
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daß aber auch zum kleinsten Teil die Fränkel’sche Theorie zu Recht
besteht. In 22,5% der Fälle wurde das Trauma als ätiologisches Moment
beschuldigt, jedoch steht Verfasser auf dem Standpunkte, daß dasselbe
wohl nur als auslösendes Moment anzusprechen ist, zumal bei den 21 Fällen
18 einen übermäßig starken Panniculus adiposus der Bauchdecken aufwieseu.
Auch das chronisch rezidivierende Trauma, alter Husten, Erbrechen, Defäka-
tion, Partus dürfte so aufzufassen sein. Die Symptomatologie bei den Nabel -
hernien bietet meistens ein ruhiges Bild, wogegen bei den epigastrischen
Hernien nicht selten ein stürmisches Bild mit vorwiegend Magenerscheinungen
zu finden ist..
Bezüglich der Therapie kam an der v. Eiselberg’schen Klinik vor¬
nehmlich eine Kombination der Condamin-Bruno’schen und Karewsky’schen
Methode zur Anwendung mit einigen kleinen Modifikationen. Der Bruch
wird bis zur Faszie längs ovolär Umschnitten. Alsdann wird der Bruchsack
gestielt und an der Basis eröffnet. Der Nabel wird immer entfernt; das
Peritoneum wird meistens quer vernäht unter Mit fassen der hinteren Rektus-
scheide. Alsdann wird die vordere Rektusscheide eliptisch Umschnitten
und beide Enden unter teilweisem Mitfassen der Muskulatur vernäht. Hierbei
wird wiederholt ein- und ausgestochen, so daß eine Raffung zustande kommt
und diese Partie nunmehr als Pelotte über der Bruchpforte liegt. Nunmehr
werden die lateralen Ränder der vorderen Rektusscheide ebenfalls unter
Mitfassen der Muskulatur vereinigt unter möglichster Raffung der Rekti
in der Mittellinie. Nach nunmehriger subkutaner- und Hautnaht werden stets
2—3 Glasdrains eingelegt.
Ist die Diastase der Rekti sehr groß, oder die Muskulatur stark fettig
degeneriert, oder ist die Entwicklung der Hernien bei Inkarzerationen
schwierig und langdauernd bei schlechtem Zustand des Kranken, dann wird
eine einfache Pfortennaht ausgeführt, wobei nach Verschluß der Bruch¬
pforte die Faszie und Haut linear vernäht wird. Als Nahtmaterial wurde
meistens starke Seide verwandt, selten Silberdraht oder Aluminiumbronze-
draht. Zweimal wurde ein Silberdrahtnetz eingelegt. Operiert wurde
meistens in Allgemeinnarkose (Skopolamin-Morphium-Äthernarkose), bei
schwachen Kranken wurde die Schieich’sche Anästhesie verwandt. Nach der
Operation blieben die Patienten drei Wochen im Bett, wurden dann nach
5—6 Tagen mit entsprechenden Verhaltungsmaßregeln in der Diät entlassen.
Die Bildung der Pelotte aus der vorderen Rektusscheide kam 59 mal zur
Anwendung, mit Raffnähten kombiniert 49mal, 2mal wurde ein Silberdraht -
netz eingelegt, und zwar bei Rezidivoperationen. Von 39 epigastrischen
Hernien war der Bruchsack lOmal leer, 5mal mit freiem Netz, 7mal mit
adhärentem Netz gefüllt. 15mal fand sich ein präperitoneales Lipom, davon
9mal mit Bruchsack und 6mal ohne einen solchen.
Von den 135 Operierten starben im Anschluß an die Operation 6 gleich
4,4%. und zwar nur Umbilikalhernien, davon allein 4 eingeklemmte IJmbili-
kalhernien. Die Heilung trat 111 mal glatt ohne Eiterung ein. Bezüglich
der Dauerresultate kamen 95 Fälle in Betracht. Davon bekamen 22 ein
Rezidiv und 73 sind dauernd geheilt. Die Rezidive traten meist nach er¬
folgter einfacher Pfortennaht auf und wo im Heilungsverlauf Komplika¬
tionen aufgetreten waren. Die größte Bedeutung für das Dauerresultat ist
demnach die Prima intentio. Das Rezidiv trat, meist im unteren Wundwinkel
auf. Vorschütz.
Riedel (Jena), Über den Darmwandbruch. (Deutsche med. Wochenschr..
Nr. 52, 1910.) Der Dannwandbruch ist gar kein so seltenes Ereignis,
wie immer geglaubt wird, wenn es auch sonderbar erscheinen mag, daß sich
ein Teil der glatten Darmwand einklernmen kann. Gewöhnlich kommt er
an engen Bruchpforten vor, bevorzugt ist die Stelle der Kruralhernien. Die
Ursache des Ereignisses muß in mechanischen Einflüssen liegen. Was die
Größe eines Darmwanclbruchs anbetrifft, so sind am häufigsten 2 Drittel
der Darmwand, seltener nur ein Drittel eingeklemmt, zuweilen verläuft die
Schnürfurche hart am Mesenterialansatz. Eine Gangrän tritt nicht häufig
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Referate und Besprechungen.
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ein, Riedel hat Brüche gesehen, die bis zu 8 Tagen eingeklemmt waren,
ohne gangränös geworden zu sein. Die Symptome sind wie bei jedem ein¬
geklemmten Bruche Erbrechen, fehlender Stuhlgang, Mangel an Winden,
deutliche peristaltischo Bewegungen. Die Diagnose ist nicht so sehr schwer
zu stellen, gewöhnlich wird nur nicht an einen Darmwandbruch gedacht.
Schwieriger gestalten sich die Verhältnisse, wenn der Bruch versteckt liegt,
wie z. B. bei der Hernia obsturatoria oder bei einem im Cavum peritonei
dislozierten Bruchsackhals. Die Prognose ist ungünstig, und zwar liegt das
an der mangelhaften Behandlung von seiten der Kranken selbst. Wegen
der Kleinheit der Geschwulst halten sie die Erkrankung nicht für bedenklich
und können sich nicht zu operativen Eingriffen entschließen.
Was die Therapie anbetrifft, so warnt Riedel vor Repositions ver¬
suchen. weil sie außerordentlich gefährlich sind.
Bei frischen Einklemmungen empfiehlt er Schnitt auf die Bruchpforte,
wodurch sie erweitert wird, dann Aushülsung des Bruchsackes, Spal¬
tung bis in den Hals hinein. Handelt es sich um ältere Einklemmung, so
muß zur Verhütung des etwaigen Zurücktretens des Darms vor der Spaltung
des Bruchsackhalses der vorliegende eingeklemmte Darmabschnitt mit der
Schieberpinzette gefaßt werden. Sind die Fälle sehr verschleppt, so können
sich erhebliche Schwierigkeiten bemerkbar machen. F. Walther.
J. Brennsohn (Riga), Die Beziehung der RückgratsverkrUmmung zur
Schule. (Med. Blätter, Üsterr. Krankenpflegezeitung, Nr. 11, 1910.) Pro¬
phylaktisch stellt B. folgende Forderungen auf: Der Hygiene der Schule
soll die größte Aufmerksamkeit zugewendet werden. Es ist erschreckend,
was heute noch in Rußland (Kurland) vorkommt. Die Klassen sind zu
klein, von faulenden Speiseresten stinkend, die Wände feucht, dasselbe Zimmer
diente oft als Eß-, Schlaf- und Lernraum, die Beleuchtung ungenügend.
Die Lehrer sollten auch in Hygiene unterrichtet werden. Jedes Kind
werde beim Eintritt in die Schule und später untersucht. Die Beleuchtung
der Klasse, die Druckschrift der Schulbücher, die Schulbänke sollen den
heutigen Anforderungen entsprechen. Jedes Kind soll beim Eintritt in
die Schule in der richtigen Haltung, die es beim Schreiben hat, unterwiesen
werden, die Steilschrift ist zu bevorzugen. Die Unterrichtseinheit sei
40 Minuten, zwischen dieselben werden Zehnminutenpausen eingeschaltet,
während deren sich die Schüler im Freien bewegen sollen. In den Lehr¬
plan werde eine tägliche Turnstunde von einer V 2 Stunde Dauer einge¬
schaltet, bei der auf eine harmonische Ausbildung des ganzen Körpers,
besonders der Rückenmuskulatur, Gewicht gelegt werde. Die Turnstunden
haben mit Turnspielen abzuwechseln. Die Kinder sind auch darin zu
unterweisen, wie sie sich bei ihren schriftlichen Arbeiten zu Hause zu ver¬
halten haben. An jeder Schule soll ein Schularzt sein. Die bei den
Kindern entdeckten Skoliosen sind orthopädisch zu behandeln. S. Leo.
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Constantin (Marseille), Die Resultate der Killian’schen Methode der
Behandlung des peritonsillären Abszesses. (Rev. hebd. de laryng., Nr. 31,
1910.) Ruaült und später J. C. Killian (Worms) haben einen neuen Weg
der Eröffnung von Mandelabszessen gelehrt, nämlich durch die Fossa supra-
tonsillaris. Man fährt durch diese mit einer rechtwinklig gekrümmten
Sonde nach oben außen, bis man in den Abszeß gelangt und erweitert diesen
Weg mit einer Zange. C. nennt als Vorzüge des Verfahrens die Einfachheit,
Gefahrlosigkeit auch in der Hand des Nichtspezialisten, die Anwendbarkeit
im Beginn der Entzündung, den geringen Schmerz. — Ref. hat früher auf
das wenig bekannte Verfahren aufmerksam gemacht (Berl. klin. Wochenschr.,
Nr. 41, 1907) und hat, seit nunmehr sechs Jahren, dauernd sehr befriedigende
Resultate mit ihm. In der Arbeit Constähtin’s vermisse ich den Hinweis
darauf, daß viele Abszesse nur vom hinteren Gaumenbogen aus zu erreichen
sind. Arth. Meyer (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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Pietri (Mexico), Speichelzysten der Parotis. (Rev. liebd. de laryng.,
Nr. 2, 1910.) Die Ranula parotidea ist eine seltene Affektion, kann oft
bedeutende Größe erreichen. Es ist eine unilokuläre Zyste, mit Zylinder -
oder Plattenepithel ausgekleidet, gefüllt mit einer fadenziehenden, Speichel -
ähnlichen, aber fermentfreien Flüssigkeit. Die Geschwulst ist dem Parotis-
gewebe adhärent, aber ohne Zusammenhang mit den Ausführwegen. Für
die Entstehung sind mehrere Theorien ausgearbeitet worden, von denen jene
am wahrscheinlichsten ist, welche die Zysten von einer embryonalen Ent¬
wickelungsstörung ihren Ausgang nehmen läßt. — Die einzig rationelle
Therapie besteht in der Ausschälung der Geschwulst unter sorgfältiger Ver¬
meidung von Verletzungen der Drüse. Arth. Meyer (Berlin).
Blumenfeld (Wiesbaden). Zur pathologischen Anatomie der Stimmlippe.
(Zeitschr. für Laryng., Bd. 3, H. 3.) Der Bau des Stimmbandes bedingt eine
besondere Art des Verlaufs von Erkrankungen an demselben. Im Bereich
des elastischen Bandes fehlt nämlich das lockere Bindegewebe unter dem
Epithel fast ganz. Der subepitheliale Raum läßt sich durch eine Injektion
mit Pravazspritze aufblähen, ohne daß die Flüssigkeit, die Neigung hat,
sich über die Grenzen des elastischen Bandes hinaus zu verbreiten; dies rührt
davon her, daß der subepitheliale Raum nach oben und unten durch je eine
Verwachsungslinie (Lin. arcuata superior und inferior) abgeschlossen ist.
Ferner sind nur sehr spärliche und enge abführende Lymphgefäße vorhanden.
Hieraus resultiert die Neigung der Tumoren und Ulzerationen des
Stimmbandes, sich längs des freien Randes auszubreiten, ohne auf den
Sinus Morgagni oder die Regio subglottica überzugreifen. Es ist aber auch
erklärt, daß bei solchen Affektionen des .Stimmbandes Lymphdrüsenmetastasen
zu fehlen pflegen. Ganz besonders zeigen die Karzinome des Stimmbandes
diese Eigentümlichkeit des Verlaufs. Der Stimmbandkrebs ist benigner als
alle anderen Kehlkopfkarzinome, und man müßte diese nach der Prognose
einteilen in 1. äußere, 2. innere und 3. Stimmbandtumoren. Auf letztere be¬
ziehen sich auch die meisten durch endolarvngeale Eingriffe erreichten Er¬
folge. Arth. Meyer (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Kromayer, Eine bequeme schmerzlose Methode der Ehrlich-Hata-In¬
jektion. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 37, 1910.) Verf. hat das Präparat
Ehrlich-Hata 606 analog der Salizylquecksilber-Emulsion in 10%i£er Parat*-
finemulsion gegeben, anfangs in kleinen Dosen, ansteigend bis 0,4. Bei
100 so gemachten Injektionen traten in keinem einzigen Falle Schmerzen oder
Anschwellung der Injektionsstelle auf.
Die Emulsion wird folgendermaßen hergestellt. Ein bestimmtes Quan¬
tum, etwa 3 g Ehrlich 606 wird mit wenig Paraffinum liquid, angeschlemmt,
unter allmählichem Zusatz weiteren Paraffins sehr fein und sorgfältig
verrieben, in ein steriles, mit Glasstöpsel versehenes, 50 ccm haltendes Fläsch¬
chen gebracht und genau bis auf 30 ccm aufgefüllt, so daß je 1 ccm der
Emulsion 0,1 Ehrlich 606 enthält. Vor Gebrauch bis zum Verschwinden
jeden Bodensatzes umzuschütteln! Vor Licht zu schützen! Die Kanülen
müssen wegen Verstopfungsgefahr stärker sein, also zu Hg-Injektionen und
können, ohne jedesmal sterilisiert werden zu müssen, in Petrischalen unter
flüssigem Paraffin aufbewahrt werden. Die Injektionen werden ebenso ge¬
macht wie Hg-Injektionen und können auch ambulant vorgenommen werden,
nur muß man, um Gewebszerreißungen zu vermeiden, recht langsam in¬
jizieren.
Prompte Beeinflussung der syphilitischen Erscheinungen, schnelle Aus¬
scheidung des Arsens durch den Urin. In einem Falle wurden nach 0,4 Hat-a
in ersten 12 Stunden 1,12 mg, in den folgenden 12 Stunden 12,7 mg aus-
geschieden. Carl Grünbaum (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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Kromayer, Ehrlich-Hata 606 in der ambulanten Praxis. (Berl. klin.
Wochenschr., Nr. 39, 1910.) Infolge zahlreicher Anfragen gibt Kromayer
noch einige Erläuterungen zu obiger Veröffentlichung. ■"
1. Er gebraucht zu seinen Emulsionen das unveränderte, von Ehrlich
in zugeschmolzenen Glasröhren versandte Präparat, das Dichlorhydrat,
während sonst allgemein das aus diesem erst herzustellende Natronsalz be¬
nutzt worden ist.
2. Das Dichlorhvdrat bleibt in der Paraffinemulsion lange unverändert.
Bequemlichkeit der Herstellung, Haltbarkeit der Emulsion, Schmerzlosigkeit
der Injektionen sind die Vorzüge seiner Methode.
3. Das Instrumentarium besteht aus einer Lew inscheu Spritze (2 ccm
Inhalt) mit Gummifassung und mehreren in Paraffin aufzubewahrenden
Kanülen von größerem Kaliber als zu Hg-Injektionen. Da Hata als Dichlor-
hydrat Eisen angreift, sind Platin-Iridium-Kanülen zu verwenden.
Alles was zur Bereitung der Emulsion und zur Injektion erforderlich
ist, ist in einem kleinen Besteck vereinigt, welches nach K.’s Angaben bei
Louis und H. Loewenstein-Berlin hergestellt wird.
4. Alle Maßregeln der Asepsis und zur Verhütung von Lungenembolien
sind zu beachten.
Auf Grund seiner Erfahrungen bei 250 Injektionen empfiehlt Kro-
mayer bei der ambulanten Behandlung noch größere Vorsicht in der
Dosierung als bei der Krankenhausbehandlun|g. Er glaubt nicht über 0,5
Hata als erste Einzeldosis und nicht über 0,9 als Gesamtdosis hinausgehen
zu dürfen und hat in letzter Zeit sogar die erste größere Dose von 0,5 auf
mehrere täglich oder zweitägig applizierte Injektionen von 0,2 und 0,1
verteilt.
Die Wirkung dieser fraktionierten Dosen auf die syphilitischen Er¬
scheinungen war ebenso prompt wie bei der Injektion der ganzen Dosis auf
einmal; sie ist aber gleichmäßiger und länger anhaltend, da das Arsen
langsamer ausgeschieden wird, so daß der Schlußeffekt nicht nur auf clie
syphilitischen Erscheinungen sondern auch auf die Syphilis selbst voraus¬
sichtlich besser ist. Carl Grünbaum (Berlin).
F. Bardachzi und E. Klausner, Ein Beitrag zur Wirkungsweise des
Ehrlich- Hata’schen Arsenpräparats. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 44, 1910.)
In sieben Fällen fand Verf. nach der Injektion des Präparates das auf¬
fallende Ergebnis, daß die Erythrozytenzahl ganz beträchtliche, weit über
das physiologische Maß hinausgehende Schwankungen aufwies; meist zeigte
sie zunächst wesentlich höhere Werte als vorher, und dabei bestand eine
l robilinurie, die vor der Injektion nicht vorhanden gewesen war. Urobili-
nurie war auch in sieben weiteren Fällen, bei denen die Erythrozyten nicht
gezählt wurden, nachzuweisen; nur in einem Falle hatte sie schon vorher
bestanden. Diese Befunde, die doch als direkte Wirkung des Arsenobenzols
aufzufassen sind, sind vielleicht geeignet, die Wirkungsweise des Präparats
von einer neuen Seite zu beleuchten. M. Kaufmann.
Bäumer, Altere und neuere Methoden der Quecksilberbehandlung. (Berl.
Klinik , H. 264, Juni 1910.) Verf. gibt eine Zusammenstellung und kritische
Bewertung der verschiedenen bisher üblichen Behandlungsmethoden clor
Syphilis mit Quecksilberpräparaten. Carl Griinbaum (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
Bürgi (Bern), Uber die pharmakologische Bedeutung von Arzneikom¬
binationen. (Zeitschr. für Balneol. usw., 15. Oktober 1910.) Verf. stellte
sich die Frage: Wirken zwei — im großen und ganzen pharmakologisch
— gleichartige Medikamente stärker, wenn sie gleichzeitig gegeben werden,
als man der einfachen Addition der zwei Einzeleffekte nach schließen sollte?
Das Gesetz, das er fand, formuliert er so: Zwei oder mehr, gleichzeitig
im Organismus zur Wirkung gelangende Arzneien, die im großen und
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Referate und Besprechungen.
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ganzen gleichartig wirken, führen immer dann zu einer Potenzierung (er¬
höhten Wirkung, nicht einfachen Addition) der Einzeleffekte, wenn sie unter
sich verschiedene pharmakologische Angriffspunkte haben. Arzneien, deren
Angriffspunkte vollständig übereinstimmen, zeigen im gleichen Falle eine
glatte Addition ihrer Einzeleffekte. (Morphium, Kodein und die übrigen
Opiumalkaloide haben gleiche pharmakologische Angriffspunkte, desgl. die
Narkotika der Fettreihe — Chloroform und Äther —; verschiedene Angriffs¬
punkte im Gehirn haben offenbar Morphium und Chloralhydrat, Brom und
Skopolamin). Krebs (Falkenstein).
G. Landini und A. Cerioni, über den Einfluß einiger Jodpräparate auf
die Blutviskosität. (Riv. crit. di Clin, med., Nr. 46, 1910.) Die Unter¬
suchungen der Verf. ergaben, daß die Jodalkalien die Blutviskosität ge¬
wöhnlich. mehr oder weniger intensiv herabsetzten, während dem Jodogen
und Sajodin diese Wirkung nur wenig ausgesprochen anhaftete. Auf Grund
dieser Befunde sind die Indikationen der Präparate nicht die gleichen: bei
dyskrasischen Zuständen, wo man die Viskosität nicht herabsetzen will,
wird man mehr zu den organischen Präparaten greifen, bei Arteriosklerose
dagegen mehr den Gebrauch der Jodalkalien anraten. M. Kaufmann.
E. Baumgarten (Budapest), Anästhesin-Coryfin und Cycloform-Coryfin
neues Mittel bei den Schlingbeschwerden der tuberkulösen Perichondritis
laryngis). (Med. Klinik, Nr. 44, 1910.) Ähnlich der Mischung von Anästhesin
mit. Coryfin wirkt bei Kehlkopftuberkulose auch die Auflösung von Cyclo-
form in Coryfin (1:25), die mit der Kehlkopfspritze injiziert wird. Nach
einigen Sekunden tritt meist Empfindungslosigkeit ein, so daß die Patienten
ohne Beschwerden Nahrung zu sich nehmen können. Die Wirkung dauert
10—16 Stunden. Auch bei anderen Rachenerkrankungen, gutartigem Pem¬
phigus, Verätzung oder Verbrühung des Rachens leistete die Lösung vor¬
zügliche Dienste. Zum Schluß empfiehlt Verf. Alypin-Coryfin bei Polypen¬
operationen. Neumann.
Luchmanoff (Moskau), Einige Mitteilungen über Schnupfenbehandlung
mit Coryfin. (Allg. med. Zentralztg., Nr. 48, 1910.) Bei beginnendem
Schnupfen empfiehlt Verf. sofort zwei bis drei Pinselungen mit Coryfin vor¬
zunehmen, -wodurch das Leiden meist direkt kupiert wird. Im akuten
Stadium kommt man gewöhnlich mit 5—6 Pinselungen aus, jedoch ist es
ratsam, die Kur länger fortzusetzen. Auch das dritte Stadium des
Schnupfens wird durch Coryfin-Behandlung bedeutend abgekürzt. Verf.
hält das neue Schnupfenmittel allen anderen überlegen; Reizerscheinungen
treten nie ein; die Nasenatmung wird augenblicklich frei. Neumann.
W. Klein (Berlin), Der endermatische Einfluß des Salizyls auf rheu¬
matische Affektionen, unter besonderer Berücksichtigung des Spirosals.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 48, 1910.) Die Einreibungen mit diesem
neuen Salizylester waren besonders in den leichten Fällen von Muskel-
und Gelenkrheumatismus von gutem Erfolg begleitet. Schon nach zwei-
bis dreimaliger Behandlung trat eine bedeutende Besserung ein. Bei den
schweren Fällen dauerte sie natürlich entsprechend länger. Ein Beweis
für die gute Resorption ist die Tatsache, daß schon nach l U Stunde die
Eisenchloridprobe positiv ausfiel. Verf. hebt besonders einen Fall von
Tripperrheutavatismus hervor, der jeder anderen innerlichen und äußer¬
lichen Therapie trotzte und durch Spirosal-Einreibungen innerhalb weniger
Wochen fast völlig geheilt wurde. Ein ähnliches Resultat wurde auch bei
einer älteren Dame mit einer schweren Entzündung des linken Schulter -
gelenkes erzielt. Bei chronischem Gelenkrheumatismus trat ebensowenig
wie. bei anderen Mitteln Heilung des Leidens ein, jedoch eine günstige Be¬
einflussung auf die Schwellung und Schmerzhaftigkeit, der betroffenen Ge¬
lenke. Wegen ihrer völligen Reizlosigkeit und zuverlässigen Wirkung ist
daher die Spirosal -Lösung (Originalpackung Bayer) nach Ansicht
des Verf. besonders zu empfehlen. Neuinann.
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Bücherschau.
143
E. Schwarz (Prag), Über Thyresol. (Allg. Wiener nied. Zeitung, Nr.
4 S , 1910.) An 50 Patienten im akuten Stadium der Gonorrhoe hatte Verf.
die besten Erfolge, besonders hinsichtlich der sekretionshemmenden und
schmerzstillenden Eigenschaften. Auch in subakuten und chronischen Fällen
(Harndrang, trüber Urin usw.) war die Wirkung befriedigend. Reizerschei-
Luiigen seitens des Magendarmtraktes oder der Nieren wurden nicht beob¬
achtet, so daß die Kranken selbst bei längerem Einnehmen bei gutem Appetit
und Wohlsein blieben. Im Handel befinden sich drei Formen: Tropfen,
Kapseln und Tabletten, wovon letztere infolge ihres Gehaltes an Magnesia
als angenehme Beigabe eine leichte Darmanregung her vorrufen. Neben
der inneren Therapie mit Thyresol darf natürlich die lokale Behandlung
nicht- vernachlässigt werden. Neunmaln.
Bücherschau.
Wilhelm Ostwald, Große Männer. 3. und 4. Auflage. Leipzig 1910. Akademi¬
sche Verlagsgesellschaft m. b. H. Geheftet 14 Mk.; Gebdn. 15 Mk.
Ein kampffreudiges Buch! Es gibt Stellen darin, wie dröhnende Anklage
und flammender Fehderuf. Der Grundgedanke ist der, daß man das Auftreten aus¬
gezeichneter Männer, welche die menschlichen Angelegenheiten, insbesondere die
Wissenschaft, um erhebliche Stücke vorwärts bringen, nicht mehr als ein unkontrol¬
lierbares Geschenk des Zufalls oder höherer Mächte zögernd entgegennehmen solle,
sondern daß die Gesamtheit ihrerseits das Erforderliche tun lerne, um solche höchste
Werte, die in einer jeden Gemeinschaft möglich sind, zur Entwicklung zu bringen.
Die wunderbar ciselierten und von dem herkömmlichen Nekrologstil weit entfernten
Biographien — psychobiographische Studien — sechs berühmter Naturforscher:
H. Davy, Jul. Roh. Mayer, Mich. Faraday, Justus Liebig, Charles
Gerhard und Herrn. Helmholtz, liefern das Material für ein sich darauf grün¬
dendes großzügiges Reformprogramin, das tief und aktuell in bestehende Verhält¬
nisse, besonders in unser Erziehungswesen eingreift. Der Daine Philologie, vor
allem der klassischen Philologie, geht es unter der Ostwald'sehen Lupe noch
schlechter als dem Herrgott unter aer französischen Revolution. Hier scheint der
Bogen manchmal überspannt zu sein. Aber es ist richtig, daß man mit Halbheiten
keine Umwälzungen hervorbringt, und es soll zugestanden werden, daß man nach
einem alten Rezept sehr oft gut tut, das Unmögliche zu verlangen, um das Mög¬
liche zu erreichen. — Refer. hält sich überzeugt, daß dieses Buch die Gemüter noch
auf Jahre bewegen wird; denn ob man zustimmt oder nicht, man kann jedenfalls
nicht achtlos vorübergehen, wenn Gegenstände der Erziehung und Jugendbiidung
in eine so durchaus neue Beleuchtung gerückt werden, wie es hier geschieht.
Verf. hat einen weiteren Band in Aussicht gestellt, dessen Material die bis¬
herigen Beobachtungen stützen soll. Möge er recht bald erscheinen! Mz.
Wilhelm Ostwald, Die Forderung des Tages. 2. verbesserte Auflage. Leipzig 1911.
Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. Geheftet 9,30 Mk., Gebdn. 10,20 Mk.
Es scheint ein sehr glücklicher Gedanke gewesen zu sein, die Vorträge und
Aufsätze Wilh. Ostwalds aus dem letzten Jahrzehnt ca. zu einem —übrigens sehr
stattlichen — Bande zu vereinigen, nachdem sie dem Charakter ihrer Entstehung
gemäß bisher an den verschiedensten Stellen verstaut und verhältnismäßig unzu¬
gänglich gewesen waren. Denn der erst vor ca. 8 Monaten erschienenen 1. Auflage
ist jetzt bereits die zweite gefolgt.
Gewidmet ist das Buch dem schwedischen Forscher Arrhenius, dem Freunde
des Verfassers, von welchem es auch eine ausgezeichnete Biographie erhält. Gleich
am Anfang erfährt man die näheren Umstände, zufolge deren Ostwald seinerzeit
den Lehrstuhl an der Universität Leipzig aufgab. Ein damals von vielen unver¬
standener Entschluß. Zirka 40 Aufsätze sind in dem Werk erhalten, zwar von
weitgehender Heterogenität der behandelten Themen, aber geordnet unter die Über¬
schriften: Allgemeine Energetik — Methodik — Psychologie und Biographie —
Allgemeine Kulturprobleme — Die internationale Hilfssprache — Unterrichtswesen.
8o gehört die * Forderung des Tages“ zu jenen angenehmen Büchern, die inan
nicht von vorn bis hinten durchlesen muß, sondern die man an jeder beliebigen
Stelle aufschlagen darf, um doch stets in mediis rebus zu sein und unbedingt ge¬
fesselt zu werden. Die allgemeinen Vorzüge Ostwald’scher Darstellungskunst sind
bekannt. Auch hier treten sie in starker Konzentration hervor. — Der auf den
er.-ten Blick auffallende Titel entstammt einer Goethe’schen Maxime. Mz.
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144
Bücherschau.
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R. Schmidt, Die Sohmerzphaenomene bei inneren Krankheiten, ihre Pathogenese
und Differentialdiagnose. 2. Auflage. Wien und Leipzig 1910. Verlag von W. Brau¬
müller. 374 S. 5 Mk.
Die Angaben eines gut examinierten Kranken verdienen zweifellos nicht
weniger Beachtung wie die objektiv nachweisbaren Symptome. Ja sie sind eigent¬
lich noch insofern wichtiger, weil sie diesen lange Zeit vorangehen können. Unter
den subjektiven Beschwerden spielen nun die Sohmerzphaenomene sicher die wesent¬
lichste Holle. Hierüber findet man aber in den landläufigen Büchern recht wenig;
es füllt daher das vorliegende Buch, wie auch schon der rasche Absatz der 1. Auf¬
lage beweist, sicher eine Lücke aus. Da es ferner auf Grund einer reifen klinischen
Erfahrung und sehr gewandt geschrieben ist, kann es nur bestens empfohlen werden.
W. Guttmann.
Eine neue französische Zeitschrift, der „Paris mödicaP, erscheint vou jetzt ab
im Verlage von Baillifere & fils. Herausgeber ist der Pariser Kliniker Gilbert,
der sich auch schon sls Herausgeber großer Sammelwerke sowie des Dictionnaire
von Littrö vorteilhaft bekannt gemacht hat. Die Begründung der Notwendigkeit
dieses Unternehmens ist genau so wie bei uns: Die medizinischen Autoren haben
nicht genügend Gelegenheit, ihre Produkte schnell zur allgemeinen Kenntnis zu
bringen, und die Leser finden in den bisherigen Blättern nicht das, was sie brauchen.
Inwieweit aber der Verlag ein Interesse hat, ein Publikationsorgan für sich zur
Verfügung zu haben, davon steht in den Prospekten gewöhnlich kein Wort; und
doch wissen Kenner der Verhältnisse, daß diese Ätiologie meist recht wesentlich ist.
Die vorliegende Probenummer ist recht interessant; freilich unterscheidet sie sich
von unseren deutschen großen medizinischen Blättern auffallend dadurch, daß auf
die feuilletonistische Seite eigentlich der Hauptwert gelegt ist. Der Preis ist sehr
niedrig, bei wöchentlichem Erscheinen kostet das Blatt in Frankreich 12, im Aus¬
land 15 Fr. W. Guttmann.
Mitteilungen.
Die von Dr. Brehmer, Besitzer der Lungenheilanstalt Görbersdorf, Unter¬
lassene umfangreiche Bibliothek, die eine vollkommene Übersicht über die
gesamte Tuberkulose-Literatur bietet, soll der Wissenschaft erhalten werden uud
steht komplett zum Verkauf. Nähere Mitteilungen durch die Buchhandlung Gustav
Fock G. m. b. H. Leipzig, Schloßgasse 7/9.
Amerikafahrt deutscher Ärzte. Das deutsche Zentralkomitee für ärztliche
Studienreisen beabsichtigt im September 1912 eine Studienreise nach Amerika zu
unternehmen. Die Dauer der Reise, für die ein Dampfer der Hamburg-Amerika-
Linie in Aussicht genommen ist, ist auf etwa 6 Wochen veranschlagt. Der Preis
der ganzen Land- und Seereise (Verpflegung und Quartier während des Aufenthaltes
in Amerika eingeschlossen) wird 1650 Mark und mehr, je nach Wahl der Kabine,
betragen. Mit der Reise soll ein Besuch der Internationalen Hygiene-Ausstellung
in Washington, die vom 22. bis 29. November stattfindet, verbunden sein. Der
Gedanke, die ärztliche Wissenschaft an Ort und Stelle zu studieren, scheint ein
überaus glücklicher zu sein, denn die Zahl der Vormeldungen für diese großzügig
angelegte Reise ist bereits eine recht erhebliche.
Kongresse und Versammlungen.
Der 28. Deutsche Kongreß für innere Medizin findet vom 19. bis 22. April 1911
in Wiesbaden statt unter dem Präsidium des Herrn Krehl (Heidelberg). Das
Referatthema, welches am ersten Sitzungstage: Mittwoch, den 19. April zur Ver¬
handlung kommt, ist: ÜberWesen und Behandlung der Diatheseu.
Referenten sind die Herren: His (Berlin): Geschichtliches und Diathesen in der
inneren Medizin. Pfaundler (München): Diathesen in der Kinderheilkunde.
Bloch (Basel): Diathesen in der Dermatologie.
Vortragsanmeldungen nimmt der Sekretär des Kongresses, Geheimrat Dr,
Emil Pfeiffer, Wiesbaden, Parkstraße 13, entgegen zur Weitergabe an den Vor¬
sitzenden. Vorträge, deren wesentlicher Inhalt bereits veröffentlicht ist, dürfen
nicht zugelassen werden.
Nach § 2 der Geschäftsordnung sind die Themata der Vorträge mit kurzer
Inhaltsangabe bis 4 Wochen vor Beginn der Tagung einzureichen, d. h. für diese
Tagung bis zum 22. März. Später angemeldete Vorträge haben keinen Anspruch
auf Berücksichtigung.
Mit dem Kongresse ist eine Ausstellung von Präparaten, Apparaten und
Instrumenten, soweit sie für die innere Medizin von Interesse sind, verbunden.
Anmeldungen zur Ausstellung sind ebenfalls an den Sekretär zu ric hten. _
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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UN1VERSITY OF ILLINOIS AT
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29. Jahrgang.
1911.
fortscbritu der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauBgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. o. ßriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark |
Nr. 7. d " Halbjahr. 16. p e br.
1 Verlag von Georg Thieme, Leipzig. - |
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Pathologie und Therapie des Duodenalgeschwürs.
Von Privatdozent Dr. Kühn, Rostock.
(Nach einem Vortrag im Rostocker Arzte-Verein am 12. November 1910.)
Nach den klinischen und pathologischen Erfahrungen der letzten
Jahre ist das Duodenalgeschwür weit häufiger als mau bisher angenommen
hat. Die anscheinende Seltenheit der Affektion in den früheren Jahren
ist wohl lediglich auf die Schwierigkeiten einer genauen klinischen Diagnose
zurückzuführen, da die Symptomatologie mit derjenigen des Magen¬
geschwürs vieles gemeinsam hat. Die Vervollkommnung der Diagnostik
und vor allem eine stete Zunahme des Erfahrungsmaterials können aber
jetzt in den meisten Fällen über diese Schwierigkeiten hinweghelfen.
Somit gestaltet sich die Symptomatologie des Duodenalgeschwürs zur Zeit
folgendermaßen:
Von den subjektiven Beschwerden ist der Schmerz an erster
Stelle zu nennen. Derselbe kann nach Art einer typischen Magenkolik
auftreten, wobei seiue Ausgangsstelle dem Sitz des Ulkus entspricht
(2 Finger breit unter dem rechten Arkus zwischen Parasternal- und
Mainmillarlinie). Oft ist aber eine genauere Lokalisation seitens
der Patienten unmöglich. In diesen Fällen ist die sich lediglich auf
die subjektiven Beschwerden stützende Diagnose besonders schwierig;
Verwechslungen mit Gallensteinkoliken und mit Appendizitis können
dann leicht Vorkommen, sie sind auch in den mir vorliegenden Fällen
wiederholt passiert. Die zahlreichen Fälle von chronischer Appendizitis,
in denen nach Entfernung des nur unbedeutend veränderten Wurm¬
fortsatzes (Schleimhautblutungen!), die Schmerzanfälle über kurz oder
lang sich in unveränderter Form wiederholten, gehören entschieden zum
größten Teil in das Gebiet des Duodenalgeschwürs. In einem meiner
Fälle hatten die Anfälle erst 2 Jahre nach der Operation ihre alte
Intensität wieder erreicht und verliefen dann ebenso typisch wie vor
der Operation. Daß unter solchen Umständen auch die noch immer
sehr beliebte Neurose zur Erklärung herangezogen wird, erscheint nicht
verwunderlich. Nur eine genaueste klinische Untersuchung und Be¬
obachtung kann hier vor folgenschweren Irrtümern bewahren.
Eine Abhängigkeit der Schmerzen einerseits von den Sekretions¬
verhält nissen des Magens, andererseits von dem Sitz des Duodenalulkus —
beispielsweise ob in unmittelbarer Nähe des Pylorus oder weiter von
demselben entfernt — darf als feststehend angenommen werden. Be-
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Kühn,
merkenswert lind diagnostisch verwertbar ist der Umstand, daß der
Schmerz in der Regel 2—3 Stunden nach der Nahrungsaufnahme auftritt.
Die klinische Feststellung der Lage des Geschwürs ist nicht immer
leicht. Sie ist möglich durch Markierung der schmerzhaften Stelle
vermittelst einer Bleiplatte und Feststellung der topischen Verhältnisse
der letzteren zum Wismutschatten des Magens im Röntgenbilde. Das
Mackenzie’sche Symptom: Schmerzhaftigkeit der Haut beim Zusammen¬
pressen derselben zwischen Daumen und Zeigefinger ohne tiefen Druck,
ist nicht immer zuverlässig. Die an der hinteren Duodenalwand lokali¬
sierten Ulzera machen im allgemeinen stärkere Beschwerden und perforieren
auch leichter.
Die Aziditätsverhältnisse des Magensaftes sind beim Duodenalulkus
verschieden. Daß es sich in den Fällen sogenannter funktioneller Hyper-
chlorhydrie meist um Duodenalgeschwür handelt, wie es Moynikau
angibt, ist keineswegs der Fall.
In den mit erhöhten Aziditätswerten einhergehenden Fällen habe
ich meistens eine direkte Abhängigkeit der Schmerzanfälle von der
Nahrungsaufnahme beobachten können.
Die Vorstellung, daß der durch den hyperaziden Reiz hervorge¬
rufene Pylorospasmus das dem Pylorus benachbarte Duodenalgeschwür
mechanisch reizt, scheint mir durchaus begründet zu sein. Gelingt
es dann durch Neutralisierung des Säureüberschusses, durch Belladonna
oder durch Zufuhr säurebindender Substanzen ( r Hungerschmerz“!) den
Krampf zu heben, pflegen auch die von dem Ulkus ausgehenden Schmerzen
bald nachzulassen.
Daneben ist aber auch eine direkte chemische Reizung des Ge¬
schwürs durch den aus dem Pylorus tretendenden stark hyperaziden Magen¬
saft sicher möglich, und zwar wird dieser Einfluß durch eine anatomische
Besonderheit des Duodenums begünstigt, welche ein längeres Verweilen
des sauren Magensaftes im obern Teil des Duodenums ermöglicht. Es
findet sich nämlich unterhalb des Eintritts des Ductus choledochus eine
deutliche Verdickung der zirkulären Muskelfasern, die mitunter einen
deutlichen Sphinkter bildet. Hierdurch wird ein längeres Verweilen des
Magensaftes im Duodenum nach seinem Durchtritt durch den Pylorus
und damit seine intensivere Mischung mit Galle und Pankreassaft be¬
günstigt. Auch die Häufigkeit des Gallebrechens bei leerem Magen und
des Blutbrechens beim Duodenalgeschwür findet hierdurch ihre Erklärung,
ebenso die häufig beobachtete nicht etwa durch eine Duodenalulkusnarbe
entstandene Dilatation des oberen Teiles des Duodenums.
Der zeitliche Unterschied zwischen Nahrungsaufnahme und Schmerz
veranlaßt die Patienten oft, eher an eine Gallenblasen- oder Blinddarm¬
affektion als an eine Magen- oder Duodenalerkrankung zu glauben.
Auch die charakteristische Periodizität der Schmerzen führt oft Patient
und Arzt auf falsche Fährten.
Erbrechen fehlt meistens. Wie es Oppenheimer unter seinen
100 Fällen nur in 17 beobachtete, so habe auch ich es nur vereinzelt
gesehen. In einigen Fällen bestand dann Kombination mit Magenulkus,
in anderen handelte es sich um Erweiterung des Magens durch narbige
Verengerungen oder anhaltenden Krampf des Pylorus in ähnlicher Weise,
wie es von Mitchell und Broadbent beobachtet worden ist.
Der Ikterus gehört nach Umber nicht zum Bild des Duodenal¬
ulkus. Letzterer Autor fand bei einem mit Ikterus verlaufenden Duodenal¬
geschwür post mortem einen kleinen Tumor an der Papille. In einem
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Zur Pathologie und Therapie des Duodenalgeschwürs.
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von mir vor Jahren beobachteten Falle wurde ein mit starken Koliken
einhergehender Ikterus post operationem et mortem durch ein großes
Dnodenalulkus aufgeklärt, dessen kallöser Rand die Papille komprimiert
hatte. Ebenso habe ich später noch wiederholt in sicheren Fällen von
Duodenalgeschwür Ikterus gesehen.
Letzterer erklärt sich aber aus der vielgestaltigen Möglichkeit der
Lokalisation des Ulkus, des Alters und der Größe desselben, so daß sich
bestimmte pathognostische Regeln nicht aufstellen lassen.
Anders ist es mit den Blutungen. Dieselben haben einen großen
diagnostischen Wert. Vor allem gilt das von dem Nachweis okkulter
Blutungen, die auf das Duodenum zu beziehen sind, wenn dem
negativen Blutbefund im Magensaft ein positiver Blutbefund im Stuhl
(VVeber’sche Probe, von Dreyer modifiziert) gegenübersteht, voraus¬
gesetzt, daß eine fleischfreie Diät beobachtet wurde.
Wiederholt habe ich bei der Magenuntersuchung derartiger Kranker
am Schlüsse der Ausheberung oder der Spülung antiperistaltisch in den
Magen übergetretene Galle mit Blut vermengt gesehen und die Ver¬
suchung liegt nahe, dieses Blut auf das Duodenalgeschwür zurückzuführen.
Während es sich in einigen Fällen nach dem Verlauf und den weiteren
Untersuchungen auch um ein Duodenalgeschwür handelte, war wieder in
anderen Fällen gerade wegen dieses Phänomens die Differentialdiagnose
zwischen Duodenal- und Magenulkus unmöglich.
Uber den diagnostischen Wert einer etwaigen Glykosurie liegen
noch zu wenige einwandsfreie Beobachtungen vor. Die Nähe des Pankreas,
welches ja häufig sekundär in Mitleidenschaft gezogen ist, wirkt hier
störend auf die sichere Beurteilung eines etwaigen Einflusses des Duo¬
denums auf den Zuckerhaushalt.
Ätiologisch kommen beim Duodenalgeschwür in Betracht: chronische
Intoxikationen (Alkohol, Blei), Nierenkraukheiten, Infektionskrankheiten,
Leberkrankheiten, Traumen, Erfrierungen usw.
Da die Perforationsgefahr beim Duodenalgeschwür größer ist als
beim Magengeschwür, so ist eine möglichst frühzeitige Diagnose ent¬
schieden im Interesse der Patienten (W. C. Clogg, Maynard, Smith,
Pewsner, Robson, Haggard u. a.)
Die Therapie ist in erster Linie eine interne. Erst wenn letztere
versagt oder bei Stenosenerscheinungen kommt chirurgischerseits die
Gastroenterostomie in Frage, während die Eröffnung des Duodenums
und Aufsuchen des Geschwürs zwecks Blutstillung nur bei hartnäckigen
Blutungen indiziert ist. Die interne Therapie deckt sich im allgemeinen
mit derjenigen des Magengeschwürs. Die Diät richtet sich naturgemäß
nach dem Grad der Hyperazidität. Es ist dann Sache der persönlichen
Erfahrung, ob man die alte Leube’sche Diät, oder die freiere, die
Säurebindung durch proteinhaltige Substanzen bezweckende Ernährung
nach Lenhartz bevorzugen will. Vergleichende Beobachtungen an
größerem klinischen Material haben die Gleichwertigkeit beider Methoden
ergeben und es empfiehlt sich inbezug auf die engere Wahl jedenfalls
streng zu individualisieren, wie ich es seit Jahren zu tun pflege. Bei
der rektalen Ernährung darf nicht vergessen werden, daß sie eine etwa
bestehende Hypersekretion des Magens reflektorisch verstärken und
dadurch das Duodenalgeschwür direkt oder indirekt reizen kann.
Als .Schorfbildner“ hat sich mir auch beim Duodenalgeschwür das
von Klemperer in die Therapie eingeführte Eskalin, eine fein¬
pulverisiertes Aluminium enthaltende Glyzerinpaste, außerordentlich be-
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Kühn, Zur Pathologie und Therapie des Duodenalgeschwürs.
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währt, so daß ich von der Verabfolgung großer Wismutdosen nach
Kußmaul, die im übrigen ausnahmslos gut vertragen wurden, ganz ab¬
gekommen bin. Was die Eskalinbehandlung des Magengeschwürs anbe¬
langt, so habe ich schon vor 3 Jahren auf die Bedeutung derselben
aufmerksam gemacht. Seitdem ist mein Beobachtungsmaterial um weit
über 100 Fälle gewachsen und ich kann behaupten, daß das Eskalin
nahezu in keinem Falle versagt hat. Ähnlich ist es nun beim Duodenal¬
ulkus, wenn auch hier die Zahl meiner Beobachtungen eine entsprechend
kleinere ist. Doch befinden sich hierunter eklatante Fälle, in denen
okkulte Blutungen und die subjektiven Beschwerden bei Eskalingebrauch
innerhalb 5—8 Tagen schwanden, und in denen man nach dem späteren
Wohlbefinden auf eine Heilung schließen konnte.
Auch bei größeren Duodenalblutungen war die blutstillende Wirkung
des Eskalins offenbar. Noch prompter war aber nach meinen Be¬
obachtungen die schmerzlindernde Wirkung. Bei einer älteren Frau
war sie der Wirkung von Morphium, Auästhesin, Orthoform usw. weit
überlegen. Vorherige Neutralisierung des Magensaftes, u. U. vorherige
Magenspülung, darauf Einhalten der rechten Seitenlage 1 / 2 —1 Stunde
lang nach Einnahme des Mittels sind kleine Maßnahmen, welche den
Übertritt des Eskalins in das Duodenum begünstigen können. Ich habe
in der Regel bei Eskalingebrauch von anderen Mitteln wie Gelatine,
Morphium, Pantopon, Adrenalin usw. absehen können.
Daß überhaupt bei interner Therapie eine Heilung des Duodenal¬
geschwürs eintreten kann, beweist die Statistik von Krug. Derselbe
fand unter 12020 Sektionen 55 Duodenalulzera und von diesen waren
allein 30 vernarbt.
Zahlreiche englische Autoren rühmen ihre operativen Erfolge.
Beispielsweise berichtet Robson über 6(3 operierte Duodenalgeschwüre
ohne einen einzigen Todesfall, während bei Mayo die Mortalität 2,8°/ 0
betrug. Trotzdem raten die meisten zunächst zur Ruhe, Diät und interner
Behandlung.
Während das Duodenalgeschwür meist eine Affektion des zweiten
oder dritten Jahrzehntes ist, zeigt die Beobachtung von Torday, daß
es auch im Säuglingsalter auftreten kann. Hier stand Erbrechen nach
jeder Mahlzeit im Vordergrund, bedingt durch spastische Pyloruskrämpfe,
welche reflektorisch durch ein 5 mm vom Pylorus entferntes Duodenal¬
geschwür hervorgerufen waren. Nach ähnlichen Beobachtungen von
Kuttner ist man berechtigt, die sog. Pylorusstenose der Säuglinge in
einer Anzahl von Fällen mit einem von einem Duodenalulkus ausgehenden
reflektorischen Pyloruskrampf in ursächlichen Zusammenhang zu bringen.
Da es in den mit Hyperazidität einhergehenden Fällen das
Bestreben in der Therapie sein muß, w T ie oben ausgeführt, durch Diät
und Medikamente säurebindend zu wirken, habe ich in einigen Fällen
auch mit dem den Ruf eines Säurebinders genießenden Neutraion einen
Versuch gemacht. Neutraion ist ein Aluminiumsilikat, welches in erster
Linie als Deckpulver wirken soll. Daneben wirkt es desinfizierend und
adstringierend und in letzter Linie säurebindend. Es kann in der
Menge von 9—10 g etwa H / 4 Liter einer 0,2°/ 0 igen Salzsäure binden,
wodurch einerseits feste Kieselsäure frei wird, andererseits das adstrin¬
gierende Aluminiumchlorid. Man gibt es teelöffelweise vor oder nach
den Mahlzeiten.
Ich habe es außer beim Duodenalulkus auch noch in anderen Fällen
mit vermehrter Säureabscheidung, einerlei welcher Ätiologie, gegeben.
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H. Giffhorn, Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung. 149
Die säurebindende Wirkung tritt nicht immer so prompt auf wie beispiels¬
weise beim Wismut, doch wirkt es auf die Dauer oft recht günstig.
Allerdings kann ich die Beobachtungen von Rosen he im und Ehr-
mann, daß es stets ohne Reizerscheinungen von seiten des Magens und
Darms genommen wird, nicht bestätigen, da ich einige Male Kolik-
sclnnerzen und Durchfälle beobachtete.
Geringe Beschwerden ähnlicher Art sah auch Hirsch in einer
Reihe seiner Fälle, während er im übrigen fast stets Fallen der freien
Salzsäure und der Gesamtazidität nachweisen konnte.
Ist demnach ein abschließendes Urteil über das Mittel verfrüht,
so kann doch hervorgehoben werden, daß es gerechtfertigt ist, Neutraion
anzuwenden, wenn bei intakten und widerstandsfähigen Darmverhältnissen
eine allmählich sich vollziehende säurebindende Wirkung im Magen
erzielt werden soll.
Aus der Säuglingsabteilung des Krankenhauses Altstadt zu Magdeburg.
Oberarzt: Prof. Dr. Thiemich.
Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung.
Von Dr. med. H. Giffhorn, Assistenzarzt.
(Nach einem in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg gehaltenen Vortrag.)
Die verhältnismäßig große Zahl von Ammen, die uns auf der
Säuglingsabteilung des Al städtischen Krankenhauses zur Verfügung
steht, ermöglicht es uns, weitgehenden Gebrauch von der Frauenmilch
zu machen. Die guten Erfolge, die wir mit dieser auch bei schwerkranken
Kindern erzielen, lassen die Mängel der künstlichen Ernährung um so
deutlicher hervortreten.
Gleichwohl haben sich durch die Forschungen der letzten Jahre
unsere Kenntnisse von den Grundlagen der künstlichen Ernährung so
vertieft, daß ihre Anwendung bei gesunden und kranken Kindern bessere
Ergebnisse liefert als früher. Freilich sind wir noch weit davon ent¬
fernt, eine der Muttermilch gleichwertige Ersatznahrung zu besitzen.
Vielleicht ist es auch für weitere Kreise nicht ohne. Interesse,
zu hören, welche Formen der künstlichen Ernährung wir im Kranken¬
hause verwenden. Die gleichen Methoden dürften wohl jetzt an allen
modernen Kinderkliniken zur Anwendung kommen.
Andere Ernährungsarten, wie sie noch vielfach in der Praxis und
vor allen Dingen, dank ihrer geschickten Reklame, in Laienkreisen ge¬
bräuchlich sind, seien der Vollständigkeit halber erwähnt.
Bei der Auswahl einer Nahrung ist natürlich streng zu unter¬
scheiden zwischen gesunden und kranken Kindern. In unserer Anstalt
kommen vorwiegend ernährungssgestörte Säuglinge zur Aufnahme.
Die Ernährungsstörung kann verursacht werden durch eine gewisse
Veidauungsschwache gegenüber künstlicher Nahrung, durch unrichtige
Dosierung (Überfütterung und Inanition), durch zersetzte Milch, durch
Darm- oder parenterale Infektionen.
Die leichteren Fälle äußern sich in mangelhafter Gewichts¬
zunahme oder Gewichtsstillstand bei ausreichender Nahrungsmenge
und verlaufen ohne erhebliche Beeinflussung des Allgemeinbefindens.
Ist die Störung bei vorwiegender Milchernährung entstanden, so
kommt es zu einem von Czerny-Ke 11er als Milchnährschad.en be-i
echriebenen Krankheitshilde, das sich auszeichnet durch helle, feste,
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150
H. Giffhorn,
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faulig riechende Stühle (Fettseifenstuhl) und durch Sinken der Fett¬
toleranz.
War die Nahrung relativ reich an Kohlehydraten, so treten ver¬
mehrte und zerfahrene Stühle auf, bei leicht erhöhter Körpertemperatur.
Sowohl die Fett- wie die Kohlehydrattoleranz hat gelitten.
Die schwereren Grade der Ernährungsstörung, die sich aus diesen
leichteren entwickeln, sind bekannt als Atrophie (Abzehrung) und als
akuter Magendarmkatarrh (Brechdurchfall). Sie sind verbunden mit
erheblicher Störung de« Allgemeinbefindens. Die Toleranz gegen die
Nahrung ist so herabgesetzt, daß schon bei einer Diät, wie sie zur Er¬
haltung erforderlich ist, Abnahme des Körpergewichts eintritt, und eine
Steigerung der Nahrungsmenge die Abnahme noch beschleunigt („Para¬
doxe Reaktion“ nach Finkeistein).
Diese kranken Kinder behandeln wir in der üblichen Weise: even¬
tuelle Verabfolgung eines Laxans, ein- bis zweitägige Teediät oder Dar¬
reichung von Schleim. Sodann allmählich Übergang zu Magermilch
und schließlich zu Milch Verdünnungen.
Die anfängliche Hungerperiode darf namentlich bei atrophischen
Kindern nicht zu lange ausgedehnt, muß bei diesen unter Umständen
ganz vermieden werden, da sie gefährlich werden kann. Ein Laxans geben
wir bei Stühlen, die auf Zersetzung des Darminhaltes schließen lassen,
und zwar 1—2 Teelöffel Rizinusöl, während wir das belichte, aber den
Darm reizende Kalomel nicht an wenden.
Auf die Ubergangsernährungen (Schleim, Magermilch usw.) des
kranken Kindes werde ich später zurückkommen. Ist die Ernährungs¬
störung repariert, oder handelt es sich um gesunde Kinder, so muß
man eine Dauernahrung verabfolgen.
Wir gehen, wie aus praktischen Gründen in Deutschland wohl
allgemein üblich, bei der Herstellung der Dauernahrung für gesunde
Säuglinge von der Kuhmilch aus, halten aber Ziegenmilch für ebenso
brauchbar und empfehlen sie, wo sie in besserer Qualität als Kuhmilch
zu haben ist. Beide Milchen haben eine ähnliche chemische Zusammen¬
setzung, unterscheiden sich aber wesentlich von der Frauenmilch durch
ihren höheren Gehalt an Eiweiß und Salzen, während sie weniger Zucker
enthalten.
Erfahrungsgemäß wird nun von jungen Kindern unverdünnte Kuh¬
milch im allgemeinen nicht vertragen. Worauf diese Schwerverdaulich¬
keit beruht, ist eine in vieler Hinsicht noch ungelöste Frage. Wahr¬
scheinlich wird nicht allein ein bestimmter Einzelbestandteil der Milch
für ihre Unbekömmlichkeit verantwortlich gemacht werden dürfen;
zweifellos kommt auch der Beziehung der einzelnen Stoffe zueinander
eine große Bedeutung zu. Außerdem sind durch die Art der Gewinnung
und Zubereitung der Tiermilch wesentliche Unterschiede von der Frauen¬
milch bedingt.
Ausgehend von der einseitigen und jetzt widerlegten Theorie,
daß das Kuhmilch käse in der schädliche Faktor sei, hat Biedert ein
Ernährungssystem begründet, durch welches der Einfluß des Kaseins
ausgeschaltet wird. Ein weiterer Vorzug der auf dieser Theorie
fußenden Präparate wird von ihren Anhängern erblickt in ihrer starken
Annäherung an die chemische Zusammensetzung der Frauenmilch.
Man kann die nach dem Biedert’schen Prinzip hergestellten
Kindermilchen in drei Gruppen teilen.
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Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung.
151
I. Die einfachste, von Biedert selbst angegebene Form, be¬
steht in einer Reduzierung des Eiweißgehaltes durch starke Milch¬
verdünnung und in gleichzeitigem Zusatz von Rahm und Milch¬
zucker. Zur Abstufung des Eiweißgehalts werden sechs Milchverdünnungen
angegeben, die für verschiedene Altersstufen bestimmt sind. Diese Mischungen
sind bekannt als ,,Bieder.t’s natürliches Rahmgemenge“. Der Eiwei߬
gehalt der Rahmgemenge schwankt zwischen 0,9—2,5%» der Fettgehalt
zwischen 2,5—3,0%, der Zuckergehalt beträgt, ca. 7%.
Zur Gewinnung des frischen Rahms läßt man 1—2 Liter frische
Milch in einem flachen Gefäß ungefähr zwei Stunden kühl stehen, dann
füllt man mit einem Löffel die dünne Fettschicht ab (8—16 Eßlöffel). Der
Fettgehalt dieses selbstbereiteten Rahms beträgt 8—10%.
Der käufliche frische Zentrifugenrahm ist fettreicher (ca. 20%),
aber seine Herstellung ist in bakterieller Beziehung nicht einwandfrei genug,
um ihn zur Verwendung für Säuglinge geeignet erscheinen zu lassen.
Ein dem natürlichen Rahmgemenge entsprechendes Präparat wird auch
industriell hergestellt, die Gärtner’sche Fettmilch. Sie wird in trink¬
fertigen Einzelportionen und zwei Mischungen abgegeben:
1. 1,2% Eiweiß, 3 % Fett, 6,5% Milchzucker,
2. 2,4% „ 3,5% „ 4%
Die Schwierigkeit, guten und gleichmäßig fettreichen Rahm jederzeit
zu beschaffen, hat Biedert veranlaßt, eine Rahmkonserve herzustellen, das
Ra möge ii. Es ist eine gelbliche Paste, die in Büchsen konserviert ist
und 7,4°/ 0 Kasein, 16,8% Fett, 36% Milch- und Rohrzucker enthält.
Dem Ra mögen haben sich viele Konkurrenzpräparate angeschlossen,
von denen kurz erwähnt seien:
Eiweiß Fett Zucker
Loef 1 und’s Rahmkonaerve 5% 23% 50% (Milchzucker und Maltose)
Drenckhan’s Dosen milch 6% 16% kein Zuckerzusatz
Lahmann’s vegetabile Milch
aus N üssen u. Mandeln hergest.) 10 %> 25 % 38,5 %.
II. Koben diesen durch einfache Herabsetzung des Eiwei߬
gehalts präparierten Fettmilehen steht eine II. Gruppe, in der das
Eiweiß auch noch vorverdaut wird.
Verwendung findet für diese Zwecke das Timpe’sche Milchpulver,
bestehend aus Pankreatin und Milchzucker, das der Milch bei jeder Trink-
Portion frisch zugesetzt werden soll, um das Eiweiß zu verdauen.
In der nach gleichem Prinzip hergestellten Backhausmilch ist außer¬
dem das Verhältnis von Kasein und Albumin dem der Frauenmilch an-
lo paßt; sic wird in abgeteilten Einzelportionen zu 125, 150, 200 und 300 g
abgegeben. Das Präparat ist versandfähig und soll sich wochenlang halten,
wenn es bei einer Temperatur unter 10° C aufbewahrt wird.
Eine andere vorverdaute, aber eingedickte Milchkonserve ist Voltmer's
Muttermilch, eine bräunliche Paste, enthaltend 14,2% Eiweiß, 18,3%
Fett. 49,8% Zucker.
III. Neben der ersterwähnten einfachen Eiweißreduzierung
und dieser Ei weiß vor Verdauung ist noch eine III. Gruppe zu
erwähnen, in der das Kuhmilchkasein ersetzt wird durch leicht¬
lösliche Albuminate und Peptone, wie Albumose, Somatose, die den
Rahmgemischen zugesetzt werden. Es gehört hierher die Rieth’sche Albu-
mosemilch, Somatosemilch und andere.
Allo, vorgenannten Kindermilchen sind vielfach init gutem Erfolg
benutzt worden. Es ist sicher möglich, auch junge Kinder in befriedi¬
gender Weise mit ihnen zu ernähren. Es fällt häufig sogar bei ihrem
Gebrauch der gute Stuhl auf. Neben den guten Resultaten stehen aber
ebensoviele Mißerfolge, die zwar von der Reklame totgeschwiegen
werden, in Kliniken und in der Praxis aber oft genug beobachtet sind,
so daß sieh das Bedürfnis nach besseren Ersatzmitteln herausstellte.
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1.52 H. Giffhorn, Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsemährung.
Die meisten von den Präparaten haben den Nachteil, Konserven
zu sein. Ihre zum Teil sehr komplizierte Hersteilungsmethode ver¬
größert die Gefahr einer möglichen Zersetzung, und das notwendig
werdende starke Sterilisieren verändert die Milch auch so in ihren
Eigenschaften, daß der längere Genuß dieser Konserven nicht ohne Ein¬
fluß aut die Entstehung der Bar low'sehen Krankheit und von Anämien
zu sein scheint.
Andererseits ist durch Ernährungsversuche festgestellt, daß man
das Kuhmilchkasein am allerwenigsten als einen schädigenden Nahrungs-
bestandteil ansehen darf, daß dagegen Fett und Zucker, sowohl einzeln
wie in ihren Wechselbeziehungen, eine wesentliche Holle spielen. Und
gerade der Umstand, daß diese Fettmilchen nicht nur fett-, sondern auch
zuckerreich sind, ist für das Gedeihen des Kindes nicht gleichgültig.
Im Gegensatz zu der Frauenmilch, die ja denselben hohen Prozent
satz Fett und Zucker enthält, führt das gleichzeitige reichliche
Vorhandensein di< sei* beiden Bestandteile in künstlichen Nährgemischen
sehr leicht zu Ernährungsstörungen bei gesunden Kindern und kann,
bei kranken, deren Toleranz breite für die Nahrung schon gelitten hat,
direkt verhängnisvoll werden.
Fettarme und kohlehydratreiche Nährgemische werden im all¬
gemeinen besser vertragen. Deshalb gehen wir ihnen auch den Vorzug
vor den Fettmilchen, die wir im Krankenhause nicht verwenden, und
benutzen zur Ernährung gesunder Kinder Milchverdünnungen, deren
Nährwert durch Zusatz von Kohlehydraten erhöht wird. Wir erhalten
auf diese Weise fettarme, kohlehycLratreiche Nahrungsgemische.
Als Kohlehydratzusätze kommen in Betracht Zucker und Mehl.
Drei Zuckerarten finden Verwendung: Milchzucker, Rohrzucker
und Malzzucker. Sie sind nicht alle gleichwertig.
Der Milchzucker ist nicht, wie man glauben sollte, am ge¬
eignetsten. Jedenfalls führt er weniger als die anderen Zuckerarten
zum Gewichtsansatz, was vielleicht auf seiner gesteigerten Vergärung
im Darm, vielleicht auf seiner Unfähigkeit, Glykogen zu bilden, mög¬
licherweise aber auch auf anderen, noch nicht genau studierten Eigen¬
schaften beruht.
Der Rohr- resp. Rübenzucker ruft ebenfalls leicht Gärungen
hervor, ist aber bei gesunden Kindern sehr wohl zu verwenden.
Am geeignetsten erscheint der Malzzucker, der einen großen
Einfluß auf den Gewichtsanstieg hat. Reine Maltose, die sehr teuer
ist, wird nicht angewandt; statt ihrer nimmt man Malzpräparate,
wie später weiter ausgeführt werden soll.
Die Dosierung des Zuckers geschieht am besten in der Weise,
daß man von ihm so viel zusetzt, bis der Zuckergehalt der ganzen
Mischung höchstens 7° 0 (Zuckergehalt der Frauenmilch), beträgt. Jeden¬
falls darf diese Menge nicht überschritten werden, da größere Zuckcr-
mengen durch zu schnelle Resorption schädigen. Bei poliklinischer Be¬
handlung verordnen wir gewöhnlich eine Messerspitze bis einen ge¬
strichenen Teelöffel auf eine Flasche.
Von Mehlen kann man die verschiedensten Sorten benutzen, wenn
sie nur nicht verunreinigt sind. Am meisten in Gebrauch sind wohl
Weizen- und Hafermehl. Bei jüngeren Kindern (in den ersten drei
Monaten) werden die Mehlsuppen besser vermieden, da in diesem Alter
die Stärkeverdauung noch unzureichend ist, und durch dünne Schleim-
abkochungen ersetzt.
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Berthold Bau et h, Die Makrobiotik des Maimonides.
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Der Schleim ist eine Abkochung von ungeschälten Getreideküruern
(Gerste, Hafergrütze usw.).
Z. B. werden Gerstenkörner durch Wasser gründlich gereinigt, in
einer Kaffeemühle zermahlen, mit Wasser versetzt, und auf schwachem Feuer
lange gekocht (1 Stunde oder länger). Dann wird der Schleim von den
sich am Boden absetzenden festen Bestandteilen durch Abgießen oder vor¬
sichtiges Durchseien entfernt. Je nach der Menge des Zusatzes und der Dauer
des Kochens erhält man einen dünnen oder steifen Schleim.
Die Schleimabkochungen unterscheiden sicli von den Mehlsuppen
insofern, als sie vorwiegend Eiweiß enthalten und weniger Stärke.
Bei der Bereitung von Mehlsuppe verwendet man ungefähr einen
Eßlöffel Mehl zu i / 2 Liter Wasser und kocht 10—20 Minuten.
_ (Schluß folgt.)
Die Makrobiotik des Maimonides.
Übersetzt von cand. med. Berthold Haneth.
Mischnch Thorah, Abhandlung Hilchoth Deoth, Abschnitt IV. Zusätze aus Ab¬
handlung Sch’mirath Nefesch, Abschnitt XI, XII.)
Den Körper gesund und kräftig zu erhalten, gehört zu einem
frommen Lebenswandel; denn wenn man krank ist, kann man unmöglich
ein Wort von dem verstehen, in seinen Sinn eindringen oder behalten,
was zur Erkenntnis Gottes gehört. Darum soll sich der Mensch von
Dingen fernhalten, die seinen Körper zerstören, und die Lebensregcln
befolgen, die zu seiner Stärkung und Kräftigung führen. Und zwar:
Das Essen.
Iß niemals, wenn du nicht Hunger verspürst, trinke nie, wenn
du nicht durstig bist; fühlst du ein Bedürfnis, so schiebe es nicht
auf, auch nicht einen Augenblick, sondern wenn du Wasser abschlagen
mußt oder Stuhldrang hast, so verrichte dein Bedürfnis sofort.
Stopfe dir niemals den Magen ganz voll, sondern iß immer nur
so viel, daß du ungefähr dreiviertel satt bist, trinke während der Mahl¬
zeit kein Wasser, und wenn ja, nur mit Wein gemischt. Hat die Ver¬
dauung der Speise im Darm begonnen, so schadet es nicht, wenn du trinkst,
so viel dir notwendig scheint, aber auf keinen Fall viel Wasser, selbst
wenn die Speise schon längere Zeit verdaut wird. Iß nicht, bevor du stets
sehr genau untersucht hast, ob du nicht noch ein Bedürfnis zu verrichten
hast. Vor dem Essen gehe umher, bis dein Körper anfängt warm
Zii werden oder verrichte eine Arbeit, oder beschäftige dich anderweitig
mit körperlichen Übungen. Die Hauptsache ist, daß du dich jeden
Morgen anstrengend körperlich beschäftigst, bis dein Körper zu er¬
wärmen beginnt, und dich dann ein wenig ausruhst bis zur Erholung,
bevor du dein Frühstück einnimmst. Hast du nach der ersten An¬
strengung ein warmes Bad genommen, so ist dies nur förderlich; mache
dann noch eine kurze Pause, bevor du ißt.
Nach dem Essen bleibe auf deinem Platz sitzen oder lege dich
auf die linke Seite, keinesfalls gehe herum, reite, fahre, arbeite stark
körperlich oder bewege dich viel, auch gehe nicht spazieren, bevor die
Speise im Darm verdaut wird; denn jeder, der nach dem Essen spazieren
geht oder sich strapaziert, zieht sich bösartige und schwere Krank¬
heiten zu.
Das Schlafen.
Tag und Nacht haben zusammen vierundzwanzig Stunden; der
dritte Teil davon, nämlich acht Stunden, genügen für den Schlaf, und
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zwar die letzten acht Stunden der Nacht, so daß sich die Zeit vor Sonnen¬
aufgang als günstigste zum Aufstehen ergibt.
Schlafe nicht in Bauchlage und nicht in Bückenlage, sondern
auf der Seite, am Anfang der Nacht links und am Ende rechts. Gehe
nicht gleich nach dem Abendbrot schlafen, sondern warte nach dem
Essen drei bis vier Stunden. Schlafe nie am Tage.
Nahrungsmittel.
Dinge, die durchschlagen, wie Weintrauben, Feigen, Maulbeeren,
Pflaumen, Melonen, Gurkenarten und Arten der Zuckermelonen iß zuerst,
vor der Mahlzeit. Warte ein wenig, bis sie aus dem oberen Bauch
heraus sind, und iß dann erst deine Mahlzeit. Dinge, die den Darm
verstopfen, wie Granatäpfel, Quitten, Äpfel und Birnen iß gleich nach
der Mahlzeit, aber nicht zuviel davon.
Willst du zu einer Mahlzeit Fleisch von Geflügel und von Vieh
essen, so iß zuerst das Fleisch des Geflügels, hast du Eier und Fleisch
von Geflügel, so iß die Eier zuerst, gibt, es Fleisch von Kleinvieh und
von Großvieh, genieße zuerst das Fleisch des Kleinviehs; immer nimm
zuerst das Leichtere, bevor du das Schwerere ißt.
Im Sommer iß kalte Speisen, die nicht, zu stark gewürzt sind,
aber mit Essig dürfen sie bereitet sein; im Winter dagegen iß heiße,
stark gewürzte Speisen, nimm dazu etwas Senf und Asant (wohl die
Blätter von asa foetida), und du wirst an warmen und kalten Orten
herumgehen und arbeiten können, überhaupt überall, wo es für dich
in Betracht kommt.
Es gibt Speisen, die ganz ungemein gefährlich sind, und die man
überhaupt nie essen sollte, wie z. B. große, gesalzene, alte Fische,
alten gesalzenen Käse, Morcheln und Erdschwämme, altes gesalzenes
Fleisch, Wein frisch von der Kelter und ein gekochtes Gericht, das
gestanden hat, bis es schlechten Geruch ausströmt. Überhaupt wirkt
jede Speise von besonders üblem oder bitterem Geruch auf den Körper
wie tödliches Gift.
Ferner gibt es Speisen, die zwar gefährlich sind, aber nicht ganz
so schlimm wie die ersten; darum soll man von ihnen höchstens in
großen Intervallen und auch dann nur wenig genießen, sich nicht daran
gewöhnen, sie als Nahrungsmittel zu benutzen oder sie stets als Zu¬
speise zu nehmen, z. B.: große Fische, Käse und Milch, die schon
21 Stunden nach dem Melken gestanden hat. Außerdem Fleisch von
großen Ochsen und großen Ziegenböcken, Bohnen, Erbsen, Kichererbsen
(Phasenlus Mungo), Gerstenbrot, ungesäuertes Brot, Kohl, Porree, Zwie¬
beln, Knoblauch, Senf, Meerrettich. Alle diese Speisen sind schädlich,
man soll von ihnen nur ganz wenig essen und nur im Winter. Aber
im Sommer soll man überhaupt nicht davon essen, Bohnen und Krbsen
sind weder im Sommer noch im Winter zuträglich, Kürbisse hingegen
darf man im Sommer essen.
Nun gibt es Speisen, die weniger schädlich sind als diese; zu
ihnen gehören Wasservögel, junge Tauben, Datteln, Brot in Ol ge¬
röstet, Brot, das mit öl eingeknetet wurde, und Feinmehl, das so fein
gesiebt ist, daß nicht der geringste Geruch nach Kleie zurückgeblieben
ist, Fischlake und Salzbrühe von Thunlisch und anderen minderwertigen
Fischen. Auch von diesen Speisen ist es nicht zuträglich, viel zu ge¬
nießen. und ein vernünftiger Mensch, der sieh zu beherrschen ver-
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Die Makrobiotik des Maimonides.
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steht-, sich nicht von seiner Begierde hinreißen läßt und davon nichts
ißt, außer wenn er sie als Medizin braucht, der ist wahrhaft stark.
Schränke dich im Genuß von Baumfrüchten jedenfalls ein und iß
nicht zu viel davon, selbst wenn sie getrocknet sind, geschweige wenn
sie frisch sind, sind sie aber noch nicht einmal gehörig gereift, so
wirken sie auf den Körper wie Schwerter. Ebenso ist Johannisbrot auf
jeden Fall schädlich, alle sauren Früchte sind ungesund, und man
soll nur wenig von ihnen essen, auch dann nur im Sommer und an
warmen Orten.
Feigen, Weintrauben und Mandeln sind immer zuträglich, ob sic
frisch oder getrocknet sind; davon kann man essen, soviel man nötig
hat, aber auch sie soll man nicht immerwährend essen, obwohl sie die
gesündesten von allen Baumfrüchten sind.
Wein und Honig schaden den Kindern, während sie für die alten
Leute bekömmlich sind, und zwar besonders im Winter.
Im Sommer iß nur zwei Drittel der Quantität, die du im Winter
genießt.
Verdauungsstörungen.
Immer halte darauf, daß dein Leib lind deine Därme weich sind
und eher ein wenig zur Diarrhöe neigen, denn es ist eine wichtige
medizinische Regel, daß schwere Krankheiten entstehen können, solange
der Stuhlgang träge ist oder ganz sistiert.
Womit kannst du dir nun helfen, wenn du etwas verstopft bist,
um deinen Leib weich zu machen ? Bist du jung, so iß jeden Morgen
gekochte Melde (Atriplex halimus) gewürzt mit Olivenöl, Salzbrühe
und Salz, ohne Brot dazu zu nehmen, oder trinke ein Mangold infus
(heißes Wasser von Mangold) (Beta vulgaris) oder Kohl in Olivenöl
mit Salzbrühe und Salz. Bist du alt, so trinke Honig mit heißem
Wasser gemischt und warte ungefähr vier Stunden bis zum Frühstück.
So verfährst du einen Tag, eventuell drei, vier Tage, bis dein Leib
wieder weich ist.
Eine andere Regel hat man noch für den körperlichen Gesund¬
heitszustand festgestellt: Solange der Mensch tätig ist und sich stark
anstrengt, sich nicht übersättigt und sein Leib weich bleibt, über¬
fällt ihn keine Krankheit, und seine Kraft nimmt zu, auch wenn
<t ungesunde Speisen genießt. Wer aber die Hände in den Schoß legt
und untätig ist, oder wer ein Bedürfnis aufschiebt, das er zu ver¬
richten hat, oder wer an Verstopfung leidet, der mag selbst nur be¬
kömmliche Speisen zu sich nehmen und genau die medizinischen Vor¬
schriften befolgen, so wird er doch täglich Schmerzen haben und seine
Kraft wird abnehmen.
Eine große Mahlzeit wirkt auf den Körper jedes Menschen wie
tödliches Gift; das ist die Wurzel aller Krankheiten; denn die meisten
Krankheiten, die den Menschen befallen, entstehen entweder durch un¬
gesunde Speisen oder durch Magenüberladung, wenn man nämlich eine
zu große Mahlzeit einnimmt, und bestehe sie auch nur aus bekömmlichen
Speisen. Das meint auch Salomo in seinen Weisheitssprüchen, wenn
er sagt: „Wer seinen Mund und Zunge hütet, der hütet sich vor Un¬
annehmlichkeiten,“ nämlich wer seinen Mund davor hütet, eine un¬
gesunde Speise zu essen oder sich zu übersättigen, und seine Zunge
zu reden, außer was nötig ist.
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Berthold Baneth,
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Das Baden.
W as das Baden anbetrifft, so besuche das Badehaus alle sieben
Tage. Gehe nicht kurz nach der Mahlzeit hin und auch nicht, wenn
du hungrig bist, sondern wenn das Essen anfängt verdaut zu werden
Dann bade den ganzen Körper in heißem Wasser, das den Körper jedoch
nicht verbrühen darf, den Kopf allein hingegen in so heißem, daß
es den Körper verbrühen würde; hernach wasche den Körper zuerst
in lauem Wasser, dann in kühlem und zuletzt bade in ganz kaltem.
Auf den Kopf aber bringe weder laues noch kaltes Wasser.
Im Winter bade nicht in kaltem Wasser. Bade nicht solange,
bis du schwitzt oder ganz erschöpft bist. Bleibe also nicht zu lange
im Bade, aber wenn du schwitzt und dich erschöpft fühlst, so über¬
gieße dich einmal und gehe hinaus.
Vorher untersuche noch, ob du nicht ein Bedürfnis zu verrichten
hast, und ebenso nachher, wenn du das Bad verläßt. Ebenso unter*
suche dich stets vor und nach dem Essen, vor und nach dem Bei¬
schlaf, vor einer anstrengenden körperlichen Tätigkeit und nachher
und vor dem Schlafengehen und nach dem Schlafe. Im ganzen, ßind
das zehnmal.
Kommst du aus dem Bade, so ziehe deine Kleider an und bedecke
deinen Kopf im Vorraum, damit der kalte Wind nicht seine schädi¬
gende Macht an ihm auslasse; selbst im Sommer ist Vorsicht geboten.
Dann warte nach dem Hinausgehen bis sich jede Erregung gelegt hat.
dein Körper ruhig wird und die Erhitzung verflogen ist, dann kannst
du essen. Willst du ein wenig nach dem Bade schlafen, bevor du ißt.
so ist das nur gutzuheißen. Trinke kein kaltes Wasser, wenn du vom
Bade kommst, umsoweniger natürlich im Bade selbst. Bist du durstig
nach dem Bade und kannst dein Verlangen nicht zähmen, so trinke
das Wasser mit Wein oder Honig vermischt. Salbst du dich im Winter
im Bade nach der Abspülung mit öl, so ist das gut.
Der Aderlaß.
Gewöhne dich nicht an den Aderlaß, und lasse dich nur zu Ader,
wenn es außerordentlich notwendig ist, tue es nicht im Sommer und
nicht im Winter, sondern ein wenig im April und ein wenig im Oktober.
Nach fünfzig Jahren ist ein Aderlaß überhaupt unstatthaft. Am Tage
des Aderlasses nimm kein Bad nachher, unternimm auch keine Heise
an diesem Tage. Kommst du von der Reise, so lasse dich nicht am
selben Tage zu Ader. Iß au einem solchen Tage weniger als gewöhn¬
lich und trinke weniger, ruhe nach dem Aderlaß, mache keine schweren
Arbeiten und gehe nicht spazieren.
Der Geschlechtsverkehr.
Der männliche Same bedeutet für den Körper seine Kraft, sein
Leben und das Leuchten in den Augen; solange er in zu reichlicher
Menge abgeht, siecht der Körper dahin, siecht seine Kraft dahin und
sein Leben welkt dahin. Das meint auch Salomo in seinen Weisheits¬
sprüchen, wenn er rät: „Und opfere den Frauen nicht deine beste
Kraft.“ Wer dem Beischlaf allzu ergeben ist, den überrascht das Alter
früh, seine Kraft wird gelähmt und seine Augen werden glanzlos.
Ein übler Geruch strömt aus seinem Munde und von seiner Achsel,
sein Haupthaar, seine Augenbrauen und Wimperhaare fallen aus, wäh¬
rend sein Barthaar, Achselhaar und die Haare an den Füßen (Scham¬
haare ?) sich stark entwickeln, die Zähne fallen ihm aus und dazu
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Die Makrobiotik des Maimonides.
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gesellen sich noch viele andere Leiden, so daß die berühmten Arzte
sagen: Einer unter Tausend stirbt an anderen Krankheiten und die
übrigen Neunhundertneunundneunzig (im Original 1000) an übermäßigem
Genuß des Beischlafes. Darum sei in dieser Hinsicht mäßig, wenn
du in ruhiger Gesundheit leben willst. Koitiere nur, wenn du dich
körperlich ganz gesund und kräftig fühlst, du aber ohne irgend¬
einen ersichtlichen Grund an sehr starker psychischer Depression leidest.
Wenn du dich dann zu irgendeiner anderen Beschäftigung wendest und
die gedrückte Stimmung bleibt wie sie war, wenn du eine Schwere
in der Lendengegend und darunter verspürst und ein Gefühl, als ob sich
der Samenstrang dehnt und sein Fleisch (wahrscheinlich Penis) warm
ist, dann übe den Beischlaf aus und er wird dir Heilung bringen.
Koitiere nicht, wenn du satt bist oder wenn du hungrig bist,
sondern nachdem die Mahlzeit in deinem Leibe verdaut ist. Unter¬
suche vorher und nachher, ob du ein Bedürfnis zu verrichten hast.
Koitiere nicht im Stehen und nicht im Sitzen, nicht im Badehause
und nicht am Tage, wenn du ins Bad gehst, nicht am Tage des Ader¬
lasses, oder wenn du eine Heise unternimmst oder von einer Keisc
kommst, nicht vorher und nicht nachher.
Jedem nun, der sieh nach den Regeln richtet, die wir lehrten,
dem bürge ich dafür, daß ihm sein ganzes Leben keine Krankheit
befällt bis in sein höchstes Alter und an seinen Tod, er braucht keinen
Arzt, und. sein Körper bleibt gesimd und in voller Frische, solange erlebt
es sei denn, daß sein Körper von Anfang der Zeugung an minder¬
wertig war (am besten vielleicht, ,,daß er erblich belastet war“), oder
er wurde von Geburt an an einige von den schlechten Gebräuchen ge¬
wohnt, oder es tritt eine Pestepidemie oder eine Hungersnot infolge
von Dürre auf.
Alle diese guten Lebensregeln, die wir aufgezählt haben, sind
aber nur für Gesunde. Wer indessen krank ist, oder wer ein krankes
Organ hat oder wer einer schlechten Gewohnheit viele -Jahre hindurch
gehuldigt hat, der braucht in jeder einzigen Beziehung andere An¬
weisungen zur Lebensführung, je nach seiner Krankheit, wie sie in dem
Buch über die Medizin näher erläutert werden. Jede Änderung der
Lebensweise bedeutet den Anfang einer Krankheit.
Überall, wo kein Arzt wohnt, darfst du von allen Regeln,
die in diesem Abschnitt gegeben werden, nicht abweichen, ob du gesund
oder krank bist, denn jede einzelne von ihnen wird sieh nützlich erweisen.
ln einer Stadt, in der nicht folgende zehn Dinge vorhanden sind,
darf ein jüdischer Gelehrter nicht wohnen, und zwar: Ein Arzt, ein
Bader, ein Badehaus, ein Abort, reichlich Wasser, das stets zur Ver¬
fügung ist, wie ein Fluß oder eine Quelle, eine Synagoge, ein Lehrer
für die kleinen Kinder, ein Schreiber, die Almosen Verwalter und ein
Gerichtshof, das den Schuldigen bestraft und den Unschuldigen zu seinem
Rechte verhilft.
Zum Schlüsse möchte ich mir noch einige Bemerkungen gestatten.
Überblicken wir noch einmal diese Regeln, so erkennen wir, daß es
sich hier uni eine genauere Ausführung des goldenen Wortes handelt:
Arbeit, Mäßigkeit und Ruh schließt dem Arzt die Türe zu, während
Müßiggang wie aller Laster, so auch aller Leiden Anfang ist. Tn
ihren Einzelheiten aber gibt die Abhandlung eine Anzahl hygienischer
Vorschriften, wie sie für die damalige Zeit und die Gegend des
Maimonides geradezu herrlich sind. Interessant sind besonders die vielen
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Berthold Baneth, Die Makrobiotik des Maimonides.
Speisen, unter ihnen die vielen Salzspeisen, die er zur Anregung der
Diurese empfiehlt, während wir den römischen Bädern, die allwöchent¬
lich genommen werden sollen, weniger werden zustimmen können, wo
wir durch Seife auch schon eine ganz gute Körperreinigung erzielen
ohne die übermäßige Hitze.
Auffällig scheint es uns, daß Maimonides so wenig Wert auf
das genügende Kauen legt und überhaupt von einer Mundpflege absieht.
Endlich wäre noch zu erwähnen, daß diese Vorschriften wohl
auf jüdischer Basis aufgebaut gedacht sind, mit den eigentlich talrau-
dischen Vorschriften aber nichts zu tun haben. Es sind Ratschläge,
aber nicht gesetzliche Forderungen, Ratschläge des Arztes an seine
jüdischen Leser. Koch ein anderer Teil seines Werkes handelt von
Speisen, die nicht genossen werden sollen, das sind aber rabbinische
Vorschriften. Es sei mir gestattet, auch von ihnen einige hierher¬
zusetzen.
Man trinke in der Nacht nicht aus Flüssen oder Bächen, da man
sonst unversehens einen Blutegel mit trinken könnte. Ferner benutze
man folgende Flüssigkeiten nicht zu Speise und Trank, wenn sie offen
gestanden hatten, da giftige Schlangen oder andere Tiere daraus ge¬
trunken haben können und etwas von ihrem Gift darin gelassen, näm¬
lich Wasser und Wein, seihst wenn er gemischt ist oder schon anfing
sauer zu werden, ferner Milch, Honig und Fischlake. Bei gekochtem
und gärendem Wein ist das nicht zu befürchten, und zwar bei letzterem
vom Keltern abgerechnet drei Tage lang, ebensowenig bei heißem
Wasser und heißer Milch, solange sie dampfen, ebenso, wenn die Flüssig¬
keit andauernd hinabtropft und stark Blasen bildet, da diese die Tiere
verscheuchen, zerstoßener Knoblauch hingegen und zerschnittene
Melonen, die offen liegen bleiben, sind verboten.
Wasser, in dem eingekocht wurde und Lupinenwasser ist gestattet,
sind Gerichte der Lupinen nur geweicht worden, so ist das Wasser davon
beim Offenstelienlassen verboten, falls sich der Gaschmack nicht änderte.
Wurden scharfe oder bittere Dinge hinzugesetzt, wie Pfeffer oder Ab¬
sinth, sind alle Flüssigkeiten gestattet, sobald sie danach schmecken.
Alles natürlich nur, wenn so wenig Flüssigkeit vorhanden ist, daß
ein Schaden befürchtet werden kann, bei großen Mengen gilt das natür¬
lich nicht. Aber alles, was mit den verbotenen Flüssigkeiten bereitet
wurde, muß vernichtet werden.
Vögel und Vieh, das von giftigen Tieren gebissen wurde, sind
verboten, wenn dieser Umstand sicher bekannt ist. Im Zweifelsfalle
brät man das Fleisch und sieht zu, ob es sich von anderem gebratenen
Fleische unterscheidet.
Angestochene Feigen, Trauben, Gurken, Kürbisse, Melonen und
Zuckermelonen, seien sie noch so groß, oh sie heruntergefallen sind oder
noch angewaehsen, selbst schon im Geschirr, sind verboten, wenn sie einen
Saft in sich haben, da eine Schlange angebissen haben könnte. Bei
Feigen und Weintrauben ohne Stiel ist das nicht zu befürchten, diese
kann man auch in der Dunkelheit essen. Angestochene Feigen oder
Datteln, die getrocknet sind, sind erlaubt.
Streng verboten ist es. Geldstücke in den Mund zu nehmen, da
infektiöser Speichel von Kranken mit Geschwüren oder Aussatzkranken
darauf eingetrocknet sein könnte, oder Schweiß; und jeder Schweiß
außer dem Gesichtsschweiß ist heftiges Gift.
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Moldovan (Wien), Über die Wirkung intravaskulärer Injektionen
frischen defibrinierten Blutes und ihre Beziehungen zur Frage der Trans¬
fusion. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 52, 1910.) Die Untersuchungen
Moldova ns haben ergeben, daß die intravenöse Injektion frischen defi¬
brinierten Blutes bei Tieren derselben oder einer anderen Art sofortigen Tod
unter anaphylaxieähnlichen Erscheinungen hervorrufen kann. Intrakardiale
resp. intravaskulaxe Blutgerinnung ist die Todesursache. Wird mit Hirudin
vor behandelt, so wirkt dies antagonistisch. Auch frisches Serum oder serum-
freie frische Erythrozyten können gleiche Wirkung ausüben. Die Trans¬
fusion defibrinierten homologen Blutes, zu kurze Zeit nach der Blutentnahme
ausgeführt, ist als ein gefährlicher Eingriff anzusehen, weil die gerinnungs-
erregende Wirkung erst nach etwa V* Stunde verschwindet. F. Walther.
A. Kutschera Ritter von Aichbergen, Die Übertragung des Kretinismus
vom Menschen auf das Tier. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 45, 1910.)
Kutschera ist davon überzeugt, daß der Kretinismus zu den übertragbaren
Infektionskrankheiten gehört. Für diese Auffassung spricht ihm auch die
Tatsache, daß er in einem Zimmer des Armenhauses einer steyerischen Ge¬
meinde zwei kretinisohe Hunde fand, die mit ihrer Besitzerin, einem Halb-
kretin, das Bett teilten. Der eine Hund war vollkommen idiotisch, konnte
nicht bellen, reagierte auf nichts, hatte trockenes, sprödes, schmutziges
Wollhaar und Milchzähne neben den bleibenden. Verf. brachte nun nach
Entfernung der beiden Tiere einen vier Monate alten gesunden, von gesunden
Eltern stammenden Hund, dessen Geschwister sich seither völlig normal
entwickelt haben, zu dem Kretin. Nach drei Monaten hatte er schon einen
großen Kopf (Hals 27 cm), nach 13 Monaten war er ein kompletter Kretin
geworden: Hals 33 cm, leichte Kontrakturen der Hinterbeine, breite Nasen¬
wurzel, kurze Schnauze, Persistieren des Milchgebisses, Glanzlosigkeit der
Haare. Das Tier ist ängstlich, bellt nicht, sondern winselt, ist teilnamslos
und macht einen schwerfälligen, dabei kindisch-tölpelhaften Eindruck. Ein
zweites Tier von einer größeren Rasse, das deswegen.von dem Kretin nicht
im Bette gehalten -werden konnte, entwickelte sich normal, während also
drei im Bette aufgezogene Tiere kretinös geworden sind. Enge Berührung
erleichtert demnach die Übertragung. M. Kaufmann.
Innere Medizin.
G. Liebermeister, Studien über Komplikationen der Lungentuberkulose
und über die Verbreitung der Tuberkelbazillen in den Organen und im Blute
der Phthisiker. (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 197, S. 332—425,
19U9.) Die Ergebnisse seiner Untersuchungen faßt der Verf. folgendermaßen
zusammen :
Bei Lungentuberkulose kreisen sehr häufig Tuberkelbazillen in der
Blutbahn. Der Nachweis dieser Bazillen gelingt im allgemeinen um so
leichter, je schwerer die zugrunde liegende Tuberkulose ist. Doch findet
man nicht selten auch Bazillen im Blute bei Fällen, die klinisch den Eindruck
einer leichteren Erkrankung machen.
Das Kreisen der Bazillen im Blute führt meist nicht zu allgemeiner
Miliartuberkulose.
Man findet bei der Autopsie von Phthisikern fast in allen Organen
histologische Veränderungen. Diese zeigen zum Teil den Bau der echten
Tuberkulose, zum anderen Teile verlaufen sie unter dem Bilde chronisch-
entzündlicher Vorgänge, bei denen bald mehr die Wucherung epithelialer,
muskulärer und bindegewebiger Elemente, bald mehr kleinste atypische
Rundzelleninfiltrate im Vordergründe der Erscheinungen stehen. Diese
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chronisch-entzündlichen Veränderungen sind nicht gleichmäßig diffus im
Körper oder in den Organen verbreitet, sondern sie fehlen an einzelnen
Stellen ganz, sind an anderen von geringer Stärke, an wieder anderen sehr
hochgradig.
In manchen Organen findet man häufig die akut tuberkulösen und
die chronisch entzündlichen Vorgänge nebeneinander, so z. B. in den Lungen,
den Nieren, der Leber, seltener im Herzen und in den Venen. In anderen
Organen kommt es nur zur Bildung der chronisch entzündlichen Verände¬
rungen, z. B. in den Nieren, meist auch in den Venen, häufig im Herzen und
in den Nieren.
Trotzdem das Bild der chronisch-entzündlichen Veränderungen sich
nicht wesentlich von dem bei anderen Infektionen zu unterscheiden scheint,
lassen sich in derart atypisch veränderten Organen der Phthisiker sehr
häufig Tuberkelbazillen durch Tierimpfung nachweisen.
Während der Beweis, daß es echte toxische Veränderungen bei Tuber¬
kulose gibt, noch nicht erbracht ist, erscheint es außerordentlich wahr¬
scheinlich, daß die Giftstoffe, die diese Veränderungen verursachen, häufig
von den verschleppten Bazillen selbst an den Ort der Einwirkung getragen
werden. Daß die bei „toxischen' 4 Veränderungen gefundenen Tuberkelbazillen
nicht abgestorben zu sein brauchen, das beweisen die Meerschweinchen-
impf ungen. Die in den atypischen Veränderungen nachgewiesenen Tuberkel-
bazillen können unter gewissen Umständen aktiv werden und zu echter
histologischer Tuberkulose führen.
Die Infektion mit Tuberkelbazillen führt daher nicht immer zur
Bildung typischer histologischer Tuberkulose, sie kann auch bloß chronisch-
entzündliche Veränderungen ohne eigentliche histologische Tuberkulose zur
Folge haben. Zu dieser Anschauung stimmen sehr gut die experimentellen
Befunde der Wiener Schule (Bartel).
Solche atypische Prozesse finden sich bei Lungentuberkulose beson¬
ders häufig in den mittelgroßen und kleinen Venen (Phlebitis obliterans
ohne und mit Thrombose), an den Nervenstämmen (Neuritis parenchymatosa
et interstitialis, Perineuritis), an den Nieren (Nephritis der Tuberkulösen),
am Herzen (Myodegeneratio cordis, Myocarditis interstitialis, Thrombose
kleiner Herzvenen), in der Leber (Leberzirrhose, „Gewebsatrophien und
Hyperplasien“ bei Tuberkulösen), in der Haut (atypische Hautveränderungen
der Phthisiker), vielleicht auch in den Arterien (isolierte Verkalkung der
Elastica interna und ev. manche Formen von Arteriosklerose). Wieweit der
„tuberkulöse Rheumatismus“ (Poncet) zu den typischen oder atypischen
Veränderungen bei Tuberkulose gehört, läßt sich zurzeit noch nicht im
einzelnen unterscheiden.
Während Mischbakterien bei der Tuberkulose sich meist erst in der
Agone und post mortem im Blute nachweisen lassen, finden sich Tuberkel-
bazillen im Blute schon Wochen, Monate, vielleicht sogar Jahre vor dem
Tode der Kranken. Die Lungentuberkulose ist. in diesem Sinne schon in
ziemlich frühen Stadien eine Allgemeinerkrankung. Die außerordentliche
Verbreitung der Tuberkelbazillen in dem Körper der Phthisiker erklärt auch
am besten die Wirkung der tuberkulösen Erkrankung auf den Gesamt-
Organismus. W. Risel (Zwickau).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
C. J. Bucura, Temporäre Sterilisierung der Frau. (Wiener klin.
Wochenschr., Nr. 46. 1910.) Während die bisherigen Sterilisierungsmethoden
dauernde Sterilität herbeizuführen beabsichtigten, schlägt Verf. auf Grund
von Leichen- und Tierversuchen eine Methode vor, die gestattet, die normale
Konzeptäonsfähigkeit wieder herzustellen. Er denkt sich, daß gewisse Sterili-
sationsgründe, wie hochgradig verengtes Becken oder Tuberkulose in späterer
Zeit eventl. nicht mehr als solche gelten könnten, etwa in dem Sinne, daß z. B.
eine Frau mit Beckenverengerung in früheren Jahren aus Angst vor Kaiser-
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schnitt die Sterilität «vorzieht, später aber in ihrer Sehnsucht nach dem
Kind den Kaiserschnitt als das kleinere Übel ansieht. Die Methode besteht
darin, daß man nach Laparotomie einen Schlitz in das hintere Blatt des
breiten Mutterbandes schneidet, in diesen das Ovar versenkt und sorgfältig
den Schlitz mit der Naht verschließt; will man die Konzeptionsfähigkeit
wieder hersteilen, so kann man jederzeit das Ovar wieder reponieren. Die
Erfahrungen bei Eierstocktransplantationen sowie die Hundeversuche des
Verf. sprechen dafür, daß die Funktionstüchtigkeit des Ovars bei der Ver¬
senkung nicht Not leidet. M. Kaufmann.
L. Frankel (Breslau), Rückbildung von Ovarialtumoren nach Blasen¬
mole. (Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 32, S. 180.) Fr. beschreibt eiuen
Fall von rasch wachsender Blasenmole, bei der sich auch doppelseitige
Ovarialtumoren fanden. 12 Wochen nach Ausräumung der Blasenmole waren
die Ovarien wieder normal groß, die Tumoren hatten sich zurückgebildet.
Fr. kann aus der Literatur nur 6 gleiche Fälle zusammenstellen, ohne daß
wir über die prozentuale Häufigkeit derartiger Tumorrückbildung etwas
aussagen können.
Die Beobachtung Franke l’s ist in dreifacher Hinsicht wesentlich.
1. dürfte die Beurteilung der Ovarialtumoren bei Blasenmole als echte Ge¬
schwülste nicht mehr aufrechtzuerhalten sein, mit Rücksicht auf die in
7 Fällen beobachtete Rückbildung. 2. bedarf unsere bisherige Anschauung
über die Entstehung der Blasenmole der Revision. Der Fall F.’s lehrt näm¬
lich im Gegensatz zu der bisherigen Annahme, daß die Blasenmole jeden¬
falls zeitlich, vielleicht! auch kausal den Ovarialtumoren voranging. 3. zeigt
der Fall, daß man sich bei Ovarialtumoren mit Blasenmole ebenso abwartend
verhalten soll, als in der Frage „Chorionepitheliom nach Blasenmole“ ange¬
zeigt ist. Drängt gesteigertes Wachstum oder verzögerte Rückbildung der
Tumoren zur Operation, so wird man wohl vorsichtshalber den Uterus mit
entfernen. Unterbleibt die Operation, so wird man die Kranke selbstverständ¬
lich unter genauester Beobachtung halten. Frankenstein (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
W. F. Robertson, Der Infektionsort der progressiven Paralyse und der
Tabes dorsalis. (The journal of mental sciepce, Oktober 1910.) In allen
16 von R. untersuchten Fällen von progressiver Paralyse ist es ihm ge¬
lungen, aus dem Nasensekret granulierte diphtherieähnliche Bazillen zu ge¬
winnen und auf einem mit Schafblutserum, das gelöstes Hämoglobin enthielt,
verfertigten Agar zu züchten. Bei der Tabes fand R. diesen Bazillus in
allen untersuchten 23 Fällen im Urin oder auf der Oberfläche der Urethral-
Schleimhaut. 90% der Tabiker haben nach R. eine Urethritis. Bei der
Paralyse konnte R. den Bazillus oder dessen Zerfallprodukte in den Ly mph-
bahnen einiger Gehimnerven und in der Pia und Arachuoidea, sowie in den
von der Nasensubmukosa durch die Lamina cribrosa des Siebbeins ziehen¬
den Lymphgefäßen naehweisen, bei der Tabes konnte er sie durch die Lymph-
bahnen des Beckens und die der hinteren Wurzeln zu den Rückenmarks-
häuten verfolgen. Hier handelte es sich allerdings meist um Mischinfek¬
tionen mit Gramfesten Diplokokken. R. nennt die Bazillen B. paralyticus
1 o n g u s und bre vis. Ein besonders guter Vegetationsort der Bazillen
ist das Endometrium, und R. vermochte in 2 Fällen von Frauen von Para-
lysc dieselben Bazillen aus ihrem Endometrium zu gewinnen. Die Erfah¬
rung, daß eine im Krankenhaus gebesserte Paralyse nach mehrwöchigem
Aufenthalt in der Häuslichkeit in schlechterem Zustand zurückkommt, be¬
ruht nach R. auf einer Reinfektion durch die endometritischen Bazillen der
Frau. Durch ein mit diesen Bazillen hergestelltes Antiserum gelang es R.,
bei der Tabes Blasenstörungen, lanzinierende Schmerzen und die Gangstörun-
gen zu bessern. Die Syphilis ist nach R. das die Meningen in ihrer Wider¬
standsfähigkeit schädigende Moment. — Ref. hat diese Arbeit erwähnt,
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weil seit Jahren immer wieder in der englischen Literatur diese diphtherie-
ähnlichen Bazillen als die Ursache der Paralyse angegeben werden. Von
deutscher Seite sind diese Befunde bisher trotz öfterer Nachprüfung noch
nie bestätigt worden. Abgesehen dafvon bieten die Ansichten des Verf. der
Kritik sehr viel berechtigte Zweifel. Zrweig (Dalldorf).
O. Fischer (Prag), Die presbyophrene Demenz, deren anatomische
Grundlage und klinische Abgrenzung. (Zeitschr. für das ges. Neurol. u.
Psych., Bd. 3, H. 4.) Bereits vor 3 Jahren hat F. darauf hingewiesen, daß
die ,,Drusen“ sich bei den Fällen von Presbyophrenie finden. An einem
großen Untersuchungsmaterial kann er nunmehr diese Behauptung bestä¬
tigen. Die von F. jetzt Sphärotrichia cerebri multiplex ge¬
nannten Drusen lassen verschiedene Stadien erkennen. Es handelt sich dabei
um fadenpilzartige Gebilde in der Nähe der Gefäße, welche Beziehungen
zu der nervösen und der Stützsubstanz des Gehirns nicht erkennen lassen,
keine reaktiven Entzündungserscheinungen, dagegen eine Verdrängung des
Gehirngewebes verursachen und sich besonders schön mit der Bielschowsky -
sehen Methode darstellen lassen. Über die Natur derselben ist etwas Sicheres
noch nicht zu sagen, jedenfalls handelt es sich aber nicht um Abbau-
Produkte, sondern um einen absolut neuartigen Prozeß. F. fand diese
Bildungen nur in Gehirnen von Leuten über 50 Jahren und zwar lediglich
bei presbyophrenen klinischen Symptomen, also nicht bei Paralysen, die im
Senium begonnen haben, und nicht bei den einfachen senilen Demenzen. Die
presbyophrene Demenz ist charakterisiert durch Demenz, Störung
der Merkfähigkeit, Konfabulation, Halluzinationen und mitunter Delirien.
Eine Andeutung dieser Symptome kann sich auch als Kombination mit
arteriosklerotischen Herderkrankungen und deren somatischen Ausfallserschei¬
nungen finden, was F. arteriosklerotische Pseudopresbyophrenie zu
nennen vorsclilägt. Bei den übrigen Erkrankungen des Seniums, bei denen
also diese Drusen nicht gefunden werden, handelt es sich entweder um die
einfache senile Demenz, d. h. die unkomplizierte Einbuße aller psychischen
Fähigkeiten, oder um Dementia praecox-ähnliche Fälle oder um manische
oder depressive Züge, die aber wegen der gleichzeitigen Demenz nicht zum
manisch-depressiven Irresein gerechnet werden dürfen. Sehr instruktive Ab¬
bildungen erleichtern das Verständnis. Eine sehr große Zahl kurz mitge¬
teilter Krankengeschichten schildert die verschiedenen Verlaufsformen der
presbyophrenen Demenz und auch der anderen erwähnten Krankheitsbilder.
Zweig (Dalldorf).
W. Ebstein (Göttingen), Zur Behandlung der Basedowschen Krankheit.
(Therap. Monatsh., Dezember 1910.) Die mitgeteilten 4 Fälle beweisen, daß
Individuen, welche gleichzeitig an chronischer Koprostase und an der Base¬
dowschen Krankheit — und zwar an einer vollentwickelten Form derselben,
leiden, bei einer zweckentsprechenden Behandlung der Koprostase, insbeson-
ders mittels des Gebrauchs großer Ölklvsmen, von beiden Krankheiten ge¬
heilt werden können. Diese Heilung kann eine dauernde sein. Daraus
ergibt sich die Forderung, in allen einschlägigen Fällen in gleicher Weise
therapeutisch vorzugehen, obgleich zugestanden werden muß, daß mit der
Beseitigung der Koprostase keineswegs immer die gleichzeitig vorhandene
Basedowsche Krankheit geheilt werden muß. Bei der operativen Behand¬
lung sind die Erfolge nicht immer prompte. Die objektiven Erscheinungen
(Tachykardie, Exophthalmus, Zittern und Schweiße) bilden sich nur langsam
zurück. Sofern also nicht rapid wechselnde Strumen eine Indikation zur
sofortigen Operation bieten, soll man stets zuerst einen solchen Versuch mit
Ölklysmen machen. S. Leo.
Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Scheibe (München), Fistel Symptom und postoperative Labyrinthitis.
(Arch. internat. de laryng., Bd. 30, Nr. 2.) Fistelsymptom oder Kompres-
sionsnystagmus ist die Reaktion des Vestibularapparates auf Druckerhöhung
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im äußeren Gehörgang. Es tritt Nystagmus nach der kranken Seite und
Schwindelgefühl ein. Das Symptom beweist, daß eine Fistel oder richtiger
L'sur der Labyrinthkapsel vorhanden ist; diese liegt so gut wie immer am
horizontalen Bogengang und ist durch Cholesteatom verursacht. Nur in
verschwindenden Ausnahmen kam Fistelsymptom ohne Usur vor.
Ist bei vorhandenem Kompressionsnystagmus das Gehör erhalten, so
beweist das den meisten Autoren das Bestehen einer zirkumskripten Labyrin¬
thitis, Scheibe u. a. halten dagegen solches Labyrinth für intakt. Radikal-
Operationen haben in diesen Fällen nun meist zu vollständiger Taubheit
geführt, infolge seröser postoperativer Labyrinthitis. Dagegen hat Verf.
mit konservativer Behandlung (Paukenspülungen) gute Erfahrungen gemacht.
Mit der Indikationsstellung zur Operation sei man daher bei Fistelsymptom
namentlich dann zurückhaltend, wenn das andere Ohr schlecht hört.
Die Hauptursache für die postoperative Labyrintherkrankung sieht
Scheibe in dein Aufsuchen und Sondieren der Fistel. Ist man bei bestehen¬
der Usur zur Operation genötigt, oder findet man sie während des Eingriffs
zufällig, so ist jede Manipulation an ihr zu unterlassen.
* Arth. Meyer (Berlin).
Scheppegrell, Immunisatorische Behandlung des Heufiebers. (Rev. hebd.
de laryng., Nr. 8, 1910.) Verf. hat in Nord-Carolina die Ursachen des Heu¬
fiebers studiert, wo der Staub als ätiologischer Faktor ausgeschlossen werden
kann. Er fand als hauptsächliche Ursache die Pollen der Ambrosia arte-
misiaefolia („ragweed“), einer dort enorm verbreiteten Pflanze. Die Pollen,
mit denen zur Blütezeit der Wind geradezu beladen sein muß, reizen die
Schleimhaut mechanisch und mittels aromatischer Substanzen auch chemisch;
mit der Blütezeit traten bei Disponierten pünktlich die Erkrankungen ein. —
Da es sich nicht um eine Infektion, sondern um einen lokalen Reiz handelt,
so ist von Antitoxin- Behandlung nichts zu erwarten. Wohl aber gilt es,
die während der Krankheit nach einigen Wochen eintretende Toleranz schon
vor der Krankheitssaison herbeizuführen. Zu diesem Zweck werden die
gesammelten männlichen Blüten in Gazesäckchen eingebunden und verrieben,
die dabei entweichenden Pollen werden eingeatmet. Die Reizwirkung hält sich
in engen Grenzen und schwindet nach einigen Inhalationen, und die Blüte¬
periode trifft die Pat. in unempfindlichem Zustande. Wird die Behandlung
auch nach der Blütezeit fortgesetzt, so kann dauernde Heilung erfolgen.
Arth. Meyer (Berlin).
Jacques (Nancy), Über die fibrösen Nasenrachenpolypen. (Rev. hebd.
de laryng., Nr. 33, 1910.) J. widerspricht der „klassischen“ Lehre, daß
die Fibrome von der Fibrocartilago basilaris ausgehen. In allen von ihm
genau beobachteten Fällen war vielmehr der Ursprung das Periost der
nasalen Keilbein fläche, des seitlichen Choanalrandes und gelegentlich des
Siebbeins nahe dem Recessus spheno-ethmoidalis. Diese Lehre, nach der
es sich um rein nasale Geschwülste handelt, findet in chirurgischen Kreisen
noch einigen Widerstand. J. fügt zu den sechs früheren noch zwei neue
Krankengeschichten operativ geheilter Fälle, in denen der Ursprung rein
nasal war und die Rachenmandel völlig intakt hinter dem Tumor lag. -
Der Angriffsweg war, wie in den meisten Fällen erforderlich, der naso-
maxillare Schnitt vom inneren Brauenwinkel bis zum Nasenflügelansatz,
Freilegung der Apertura piriformis, Erweiterung dieser durch Fortnahine
des Os nasale und des Processus ascendens, Eröffnung der Kieferhöhle und
Fortnahme ihrer vorderen und inneren Wand. Durch die weite Bresche kann
man den Tumor leicht abgrenzen, mit dem Fingernagel aus seinen lockeren
Verbindungen und mit scharfem Elevatorium von seinem Ursprung lostrennen.
Die Blutung steht nach Beendigung der Operation schnell unter Tamponade,
die Gesichtswunde heilt per primam. Arth. Mevcr (Berlin).
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Medikamentöse Therapie.
S. Klein (Bäringer) (Wien), Beiträge zur Kenntnis der Nachteile des
Kokains. (Med. Blätter, Nr. ;48 u. 49, 1910.) Unter den unerwünschten Neben¬
wirkungen des Kokains will K. auf eine wenig bekannte, aber sehr wichtige
aufmerksam machen. Es ist dies die Austrocknung des Hornhautepithels,
die nur ausnahmsweise ausbleibt. In manchen Fällen schon nach der ersten
Instillation, in den meisten freilich erst nach gehäufter Aufträufelung sieht
die Kornea wie gesticheit aus, meist nur im Zentrum, oft genug aber bis zum
Rande: zuweilen läßt sich diese Epithel Veränderung leicht beseitigen, da¬
durch, daß man die Kornea befeuchtet, indem man mit den Lidern über sie
streicht, oder indem man sie mit Flüssigkeit (z. B. stark verdünnter Subli¬
mat lüsung) bespült; aber nach einer Minute nimmt die Kornea wiederum,
auch wenn das Kokainisieren nicht wiederholt wurde, ein schilferiges Aus¬
sehen an, das Epithel stößt sich fetzenartig ab, und einzelne Stellen sind ex-
koriiert. K. teilt, nun ausführlich drei Fälle mit, bei denen es zur Infektion
der Erosion und Eiterungen kam. Zur Verhütung solcher übler Zufälle ver¬
langt K., daß während des Bestandes von Sekretionsanomalien oder anderer
Infektionszust ände des Auges (chronischer oder akuter Katarrh, Tränen-
sackblennorrhöe, Blepharitis, Ekzem, Läuse, Trachom) operative Eingriffe
vermieden werden; die Verbände nicht länger als 24 Stunden liegen bleiben
sollen; das Auge soll öfters besichtigt oder befeuchtet werden. Das Über¬
treiben der Kokaiiiisierung soll vermieden werden; denn die Epithelaus¬
trocknung ist nur seiten der Ausdruck einer Idiosynkrasie und stellt sich
dann bei den ersten Tropfen ein, gewöhnlich erfolgt sie erst hei nachhal¬
tigerem Installieren und steht, bezüglich ihrer Intensität im Verhältnis zur
Menge des eingeträufelten Mittels. Auch ein öfteres Befeuchten der Korneal-
oberflache während der Manipulation ist angezeigt. Die Befeuchtung erfolgt
durch leichte Berieselung oder Bespritzung mit einer passenden Flüssigkeit
(z. B. Sublimat 1:5000 oder 1:1000); es sollen immer nur wenige Tropfen
dieser Flüssigkeit über die Kornea geschwemmt werden. Man erreicht sein
Ziel oft auch durch bloßen Verschluß der Lidspalten oder durch Hinüber -
gleiten des Oberlides über die Hornhaut. S. Leo.
R. Griiter (Charlottenburg), Über leichtlösliche Verbindungen des Theo¬
phyllins. (Therap. Monatsh., Nr. 11, 1910.) Die wasserlöslichen Doppel-
verbindungen des Theobromins und Theophyllins ließen sich wegen ihrer
durch ihre Alkaleszenz bedingten Ätzwirkung nicht subkutan anwenden.
Um die diuretischen Eigenschaften solcher Präparate auch in Fällen an¬
wenden zu können, die eine Darreichung per os nicht zulassen, hat GL nach
einer ähnlichen möglichst reizlosen Verbindung gesucht und sie im Theo¬
phyllin-Äthylendiamin sive „Euphyllin“ gefunden. Bei Versuchen am Kanin¬
chen erwies sich das Präparat als genügend ungiftig und von guter diure-
tischer Wirkung. Es liegen schon einige klinische Erfahrungen am Menschen
vor, welche günstig lauten. Es lassen sich bis 40prozentige Lösungen her-
steilen. Die Anwendung geschieht intramuskulär in die Glutäen. Rektal,
selbst in Suppositorien, läßt es sich ebenfalls gut anwenden. Per os soll es
in den weitaus meisten Fällen auch gut vertragen werden.
R. Isenschmid (Heidelberg).
P. Fleischmann (Berlin), Die Wirkung des Hypnotikums Adalin. (Med.
Klinik, Nr. 47, 1910.) Bei 85 Patienten hat Verf. das neue Präparat, ein
weißes, fast geschmackloses und in Wasser schwer lösliches Pulver, meist als
Hypnotikum, zum kleineren Teil auch als Sedativum angewendet, und zwar
hauptsächlich bei Schlaflosigkeit im Anschluß an Neurasthenie, Hysterie.
Endokard- und Myokarderkrankungen infektiöser und arteriosklerotischer
Natur, Tabes, Diabetes, Gicht, Tuberkulose, Chlorose, Leukämie usw. Da«
Mittel wurde stets gut vertragen, auch bei Herzleidenden, und hat fast nie
versagt. Die Dosis beträgt 0,5^-l,0. Die Patienten erwachen erquickt und
völlig frisch aus dem Schlaf; es bestehen keine Kopfschmerzen, Müdigkeits-
gefühl oder dergl.; auch bei längerer Darreichung keine Kumulation. Als
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Beruhigungsmittel gibt Verf. das Adalin in Dosen von 0,25 dreimal täglich,
abends einmal 0,5 oder viermal täglich 0,25. Zur endgültigen Beurteilung
bzw. der sedativen Wirkung genügt jedoch das Material noch nicht, da
Adalin nur in sechs Fällen gegeben wurde (rheumatischer Chorea, Basedow
und Herzneurose). Neumann.
G. Wesenberg (Elberfeld), Die Resorption des Jothions, besonders bei
rektaler Applikation. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Aus den
experimentellen Versuchen des Verf. au Tieren und Menschen geht hervor,
daß Jothion vom Dickdarm aus bis zu 83% resorbiert und im Harn aus-
geschieden wird. Diese Zahl stimmt mit der Jodausscheidung bei intern
verabreichtem Jodkalium sehr gut überein. Der Nachweis des Jod im
Speichel gelingt schon nach 10—25 Minuten. Auch die Resorption des
Jothion von der Haut aus ist vorzüglich, da nicht nur im Harn des Patienten
auf Einreibung einer 10%igen Jothionsalbe bis zu 48% Jod nachweisbar
ist, sondern auch der Harn des Masseurs zeigt deutliche Jodreaktion. Jod-
vasogen, Jodvasoliment und Jodäthylvasoliment werden nur ungenügend,
Böer’s Jod-Noel überhaupt nicht resorbiert. Wie bei Jodkalium geht auch
bei Jothion ein Teil des Jods in die Milch über. Neumann.
Ruttloff (Berlin), Givasan, ein neues Zahnpflegemittel. (Deutsche
Zahnärztl. Zeitung, Nr. 43, 1910.) Givasan-Riedel ist eine säurefreie, reiz¬
lose, stark pilztötende und desodorisierende, geschmeidige Zahnpaste von
angenehmem, erfrischendem Geruch; sie verleiht den Zähnen einen schönen
hellen Glanz und verhindert den Ansatz von Zahnstein. Ihr wirksamer
Bestandteil ist 4% Hexamethylentetramin. Ruttloff hat, wie auch
andere, gute Wirkungen der Paste bei allen Arten von Stomatitiden und
Gingivitiden gesehen, namentlich bei Stomatitis mercurialis. —
Ref. hat die Paste seit langem in täglichem Gebrauch und möchte
sie. nicht mehr missen; ebenso urteilen verschiedene Bekannte, denen er sie
empfohlen hat. Insbesondere weibliche Personen sind von dem schönen
Glanz der Zähne entzückt. — (1 Tube kostet. 1 Mark.) Buttersack (Berlin).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Bokay (Ofenpest), Vernachlässigte Indikationen erdiger Quellen. (Zeit¬
schrift für Balneol. usw., 1. Dezember 1910.) Da immermehr offenbar wird,
welchen Wert die Kalksalze im Organismus des Tieres haben — ihre
Resorption erfolgt im obersten Teil des Dünndarms, ihre teilweise Wieder-
ausscheidung durch die Drüsen des unteren Darmes — so schlägt Verf.
besonders bei Krankheiten, durch welche eine Verarmung des Körpers an
Kalksalzen bedingt ist, die Anwendung von erdigen Wässern vor. 'Hierher
gehören Osteomalazie und Rachitis. Ferner kommt in Betracht Diabetes, wegen
d<*r herabgesetzten Alkalinität des Blutes, und Gicht; bei letzterer wirken
sie nach No ordern durch die Besserung der Magendarmfunktionen.
Dringend empfiehlt B. die Anwendung dieser Wässer in der Schwanger¬
schaft. während der der mütterliche Organismus an Kalksalzen verarmt löder
verarmen kann und bei kleinen "Kindern als Ersatz für Wasser, da er glaubt,
daß es dadurch gelingen könnte, „eine Generation von höherem Wuchs und
mit kräftigeren Knochen zu erzielen“. Krebs (Falkeustein).
Die Anwendung der Elektrizität in der Medizin. (Med. Blätter,
Österr. Krankenpflegezeitving, Nr. 12, 1910.) In der Medizin werden fünf
Sorten des elektrischen Stromes verwendet: Der galvanische oder konstante
Strom, der faradische oder induzierte Strom, der Sinusoidalstrom, der stati¬
sche Strom und endlich die Wechselströme von höherer oder geringerer
Frequenz. Die Wirkung des galvanischen Stromes steht einzig da, weil
er allein sämtliche, der Elektrizität überhaupt möglichen Einflüsse iin
stärksten Grade ausübt, während bei den anderen Formen des Stromes
einige dieser Einflüsse ganz fehlen oder mir sehr abgeschwächt auftreten.
Am längsten bekannt ist die Wirkung des galvanischen Stromes auf die
Zusamvnenziehung der Muskeln, die aber nur eintritt, wenn der Strom
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Referate und Besprechungen.
plötzlich geöffnet oder geschlossen wird. Die Benützung des Stromes zur
Erzeugung einer elektrolytischen Zersetzung, kann bei manchen Krankheiten
wichtig werden. Der galvanische Strom hat auch bakterientötende Eigen¬
schaften, jedoch können sie nicht verwendet werden, weil er nur in sehr
großer Stärke wirksam sein würde. Außerdem wirkt der positive Pol
einer galvanischen Batterie auf Nerven und Muskeln beruhigend, während
der negative Pol Muskeln und Nerven anregt. Neucstens hat man diesen
Strom auch zur feineren Verteilung von Medikamenten im menschlichen
Körper verwendet. Der faradische Strom wird ausschließlich für Muskel¬
kontraktionen verwendet, allenfalls noch bei schneller Unterbrechung zur
Beruhigung der Nerven und zur Stillung von Schmerzen. Der Sinusoidal-
strom ist ein Wechselstrom; er unterscheidet sich von dem faradischen Strom
dadurch, daß seine Änderungen allmählich erfolgen. Dadurch wird auch
seine Anwendung für die Pat. angenehmer; seine Wirkung ist ähnlich dem
faradischen, besonders bei den unwillkürlichen Muskeln. Der statische Strom
verläuft in einer Richtung, daher ist hier ein + und ein — Pol, die in
ihren verschiedenen Wirkungen den Polen des galvanischen Stromes ent¬
sprechen. Auch er dient zur Aufsaugung von Exsudaten und zur Er¬
zeugung örtlicher Blutstauungen. Zu diesem Zwecke wird er häufig in der
Gestalt von Funken gebraucht, von denen die positiven weniger schmerzhaft
sind wie die negativen. S. Leo.
P. Steffens (Freiburg i/Br.), Über die Ursache der therapeutischen
Wirkung elektrischer Ströme. (Therap. Monatsh. Dezember 1910.) Eine
direkte Einwirkung galvanischer und faradischer Ströme auf den Blutkreis¬
lauf des Menschen ist vorhanden. Diese Einwirkung ist abhängig von der
Stromart, aber unabhängig von der Stromrichtung. Galvanische Ströme be¬
wirken bei der Schließung und Öffnung eine deutliche Volumsverminderung
in muskulären Gebieten durch Erregung von Muskelkontraktionen und da¬
durch bedingte Kompression der Muskelgefäße; außerdem findet auch wäh¬
rend der Dauer des Stromes eine länger dauernde Volumverminderung in dem
vom elektrischen Strom durchflossenen Gebiet statt, die auf eine Steigerung
des Gefäßtonus zurückzuführen ist. Das Vorhalten der Gefäßfüllung wäh¬
rend der Dauer des galvanischen Stromes ist nur von der individuellen
Reaktionsfähigkeit der behandelten Person abhängig. Verschiedene Stärke
und Richtung des Stromes bedingen keinem prinzipiellen Unterschied in
seiner Wirkung auf die Blutverteilung. Eine Kataphorese des galvanischen
Stromes ist bei der Anwendung am lebenden Organismus nicht nachweisbar.
Faradische Ströme bewirken in der Regel ebenso wie die galvanischen un¬
mittelbar nach ihrem Einsetzen ein plötzliches Sinken der Gefäßfüllung
in muskulären Körperteilen durch Verengerung der Gefäße. Infolge der
durch den faradischen Strom .hervorgerufenen Muskelkontraktionen, die ebenso
wie die Kontraktionen bei willkürlichen Bewegungen nach Art einer Saug-
Druckpumpe wirken, findet während der Dauer des faradischen Stromes
meist ein schneller Ausgleich der ersten Volumsverminderung statt, während
gleichzeitig der Blutwechsel im Gebiete der tätigen Muskulatur und somit
auch im Gesamtorganismus aus erleichtert und beschleunigt wird. Die
Wirkung des faradischen Stromes entspricht somit einem Pumpwerk. Die
schon durch das Gefühl 'wahrnehmbaren Unregelmäßigkeiten der Strom-
impulse zeigen in der sehr wechselnden Höhe der Blutfüllung. Der Blutdruck
wurde durch die galvanischen, bezw. faradischen Teilbäder in 50%, bezw.
67% der Fälle herabgesetzt, und nur in 20%, 11% gesteigert. S. Leo.
Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. (Med. Blätter,
Nr. 49, 1910.) Med.-Rat Abel sprach über die Überwachung des Nabrungs¬
mittelverkehrs. Große Teile der Bevölkerung sind heute darauf angewiesen,
ihren Bedarf an Lebensmitteln ausschließlich dem Handel zu entnehmen.
Die Untersuchung der vom Auslande eingeführten Lebensmittel und deren
Rohstoffe sollte möglichst allgemein an den Grenzen in Verbindung mit
der Zollabfertigung erfolgen. Eine Befreiung eingeführter Waren von der
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Referate und Besprechungen.
167
Grenzuntersuchung auf Grund ausländischer Zeugnisse, darf nur in beson¬
ders begründeten Ausnahmsfällen gestattet sein. Im Inlande muß überall
eine regelmäßige Beaufsichtigung des Nahrungsmittelverkehrs stattfinden.
Die Kontrolle darf sich nicht nur auf die Herstellung, Zubereitung und Auf¬
bewahrung der Lebensmittel beziehen. Die Zulassung gewisser Nahrungs-
betriebe, wie z. B. Molkereien und Milchhandlungen, ist von behördlicher
Genehmigung abhängig zu machen, für die übrigen Betriebe ist wenigstens
eine Anzeige an die Behörden erforderlich. Bei schweren Verstößen gegen
die Nahrungsmittelgesetze müßte die weitere Tätigkeit iin Nahrungsmittel-
gewerbe gerichtlich verboten werden. Die Beaufsichtigung der Nahrungs -
mitteibetriebe ist durch beamtete Nahrungsmittelehemiker, die Untersuchung
der Lebensmittel für Zwecke der amtlichen Kontrolle, ausschließlich in
unabhängigen, aus öffentlichen Mitteln unterhaltenen Anstalten auszuführen.
Die Ausbildung der Nahrungsmittelehemiker muß nach der praktischen Seite
hin vertieft, und ihre soziale Stellung gehoben werden. Ärztliche Sach¬
verständige sind zur Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit von Lebens¬
mitteln heranzuziehen und tierärztliche an ‘der Kontrolle der aus dem Tier¬
reich stammenden Nahrungsmittel zu beteiligen. Die Anhörung von Sach¬
verständigen aus Handelskreisen kann in zweifelhaften Fällen zweckmäßig
werden, jedoch sind die Sachverständigen auszuwählen. Die Probenahme
und Vorprüfung von Nahrungsmitteln sollte nichtsachverständigen Personen,
wie z. B. Polizeibeamten übertragen werden, und zwar nur dann, wenn
sie eine besondere Schulung für diese Aufgaben erhalten haben und dauernd
unter fachmännischer Leitung arbeiten. Zur Sicherung einer erfolgreichen
Lebensmittelaufsicht sind gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, auf Grund
deren der Bundesrat Vorschriften über die Bezeichnung von Nahrungsmitteln
im Verkehr usw. erlassen soll. S. Leo.
Diätetik.
Carl von Noorden (Wien), Über das neue Eiweißpräparat Riba. (Berl.
klin. Wochenschr., Nr. 42, 1910.) Riba ist ein neues aus Fischfleisch her-
gestelltes Albumosenpräparat, ein trockenes, nicht hygroskopisches hell¬
graues Pulver mit sehr geringem Gehalt an Salz und Extraktivstoffen,
welches nach von Nooirden’s Analysen aus 22,5% Albumin und Hemialbu-
mosen. 62,5% primären Albumosen, 15,0% Deuteroalbumosen und quantitativ
nicht bestimmbaren Mengen echten Peptons besteht.
Das Präparat ist vollkommen wasserlöslich und hat in drei Teilen
Wasser gelöst braune Farbe, Leimgeruch und leicht bitteren Geschmack.
Geruch und Geschmack verschwinden jedoch, wenn es verdünnt flüssigen oder
festen Speisen zugefügt wird.
Klinische Versuche ergaben, daß es von den Verdauungsorganen in
großen Dosen vorzüglich vertragen wird. Es wurde in Tagesdosen von
60—100 g ohne Störungen von Magen und Darm, sogar vielen Patienten mit
Krankheiten der Verdauungsorgane gegeben. Es wird ausgezeichnet resor¬
biert und bei rektaler Zufuhr reizlos Vertragen. In Milch oder klarer Fleisch¬
brühe kann Riba wegen des leicht bitteren Geschmackes nicht gegeben wer¬
den. dagegen eignet es sich zur Vermischung mit dicken Suppen oder Pürees
ev. mit kleinem Zusatz von Fleischextrakt. Es wirkt in kleinen Mengen
appetitanregend, besonders dienlich zeigte sich in dieser Beziehung ein Tee¬
löffel Riba mit einem kleinen Gläschen Portwein. Auch als Zusatz zu
Gebacken und Teigwaren scheint es sich zu eignen.
Die Indikationen sind wegen der guten Löslichkeit und Bekömmlich¬
keit des Präparates, das von Noorden zur weiteren Prüfung seiner Brauch¬
barkeit empfiehlt, sehr ausgedehnt. Carl Grünbaum (Berlin).
Felix Reach (Wien), Über extrabukkale Ernährung. (Wiener klin.
Rundschau, Nr. 26—29, 1910.) Außer per os kann man den Menschen durch
die. Haut, durch künstlich angelegte Fisteln oder endlich per rectum
ernähren. Die letztgenannte Methode ist die älteste und für die allgemeine
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Referate und Besprechungen.
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Praxis unstreitig die wichtigste. Fast immer wird die Rektalernährung eine
Unterernährung sein, doch vermag der Dickdarm Wasser und Salze sehr gut
zu resorbieren, so daß der Kranke eine Zeitlang bei dieser Ernährungsweise
bestehen kann. — Der Verf. laßt die Nahrungsmittel, die hier in Betracht
kommen, Revue passieren und kommt zu folgenden allgemein interessanten
Sätzen: Eiweiß wird nur in kleinen Mengen vom Rektum aufgenommen
und genau ebenso steht es mit dem Fette. Besser geeignet sind die Kohle¬
hydrate, z. B. die dextrinisierten Kindermehle — 60 g Kufeke’s Kinder¬
mehl auf 500 ccm Wasser gibt ein passendes Nährklistier. Milch ist
kein zweckmäßiges Mittel zur Rektalernährung, dagegen wird der
Alkohol ohne Zweifel leicht vom Dickdarme aufgenommen. — Für den
Praktiker mögen noch einige wichtige technische Regeln folgen: Opium
zusetzen, damit der Darm und auch der ganze Patient ruhiggestellt wird,
weicher Schlauch und langsam zufließen lassen! Die Flüssigkeit muß
Köpertemperatur haben, der Patient muß zu Bett liegen und soll nicht mehr
als vier Nährklistiere von je ca. 300 ccm bekommen. Steyerlhnl-Kleinen.
Vergiftungen.
W. Rosendorff, über einen Fall von Veronalvergiftung. (ßerl. klin.
Wochenschr., Nr. 20, 1910.) Der Symptomenkomplex des Vcronalismus, der
Veronalvergiftung nach lange gebrauchten therapeutischen Dosen, ist von
einer Reihe Beobachtern verschieden beschrieben worden. Rauschzustand,
motorische Unsicherheit, lallende Sprache, Exanthem. Körpergewichtsabnahme
und Anämie, Oligurie mit Hämatoporphyrin und Urobilin, gesteigerte Reflexe,
träge Pupillenreaktion sind als Hauptsymptome geschildert worden. Aber
auch bei der akuten Veronalvergiftung sind die Erscheinungen sehr wechselnd
und schwer schematisch festzulegen. Steinitz unterscheidet drei Grade
der Vergiftung, leichte Vergiftungen mit weniger als 5 g, mittel schwere
mit 5—10 g und schwere mit größeren Dosen.
Verf. gibt die ausführliche Krankengeschichte eines jungen Mädchens,
das am 4. Dezember 1909 in selbstmörderischer Absicht Veronal genommen
hat und in das Krankenhaus der jüdischen Gemeinde in Berlin eingeliefert
wurde. Tiefes Koma, alle Reflexe erloschen. Kornealreflex herabgesetzt,
Pupillenreaktdon normal, Atmung oberflächlich 44, Puls 130 regelmäßig,
voll kräftig, Herztöne rein. In der Nacht Temperatur Steigerung bis auf
38,8. Am 5. Dezember noch tiefes Koma, keine Reaktion auf Nadelstiche,
nur geringe beim Reizen der Naßenschleimhaut. Schallabschwächung und
vereinzeltes feuchtes Rasseln in den unteren Partien der Lunge. Oligurie
(200 g), Spur Albumen, kein Zucker, kein Indikan, kein Hämatoporphyrin.
aber Veronal. Am 6. Dezember kam Patientin zum ersten Male zum Be¬
wußtsein. Nach Nahrungsaufnahme (ca. 60 Stunden nach Einnahme des
Veronals) tiefer Schlaf. Reflexe erloschen bis auf Fußsohlenreflex, Reak¬
tion auf Nadelstiche. Am 8. Dezember wieder normale Temperatur. Von
besonderem Interesse sind die Resultate der Blutuntersiiehung am 5. Dez.:
90% Hämoglobin, 4220000 Erythrozyten und 16000 Leukozyten. Bei den
Leukozyten war das Überwiegen der polymorphkernigen auffallend, bis 90%.
Die Zahl der Leukozyten fiel allmählich ab, dabei trat eine deutliche Ver¬
schiebung im Verhältnis der verschiedenen Formen ein. Exanthem fehlte
im beschriebenen Falle, dagegen sind die nervösen Erscheinungen typisch.
Pupillenstarre tritt meist nur bei sehr schweren, tödlich endenden Vergif¬
tungen ein. Koma dauert verschieden lange, selten länger als drei Tage,
wenn nicht der Ausgang tödlich ist. Die Herzaktion ist kaum beeinträchtigt,
dagegen besteht Gefahr einer atelektatischen Pneumonie. Ausscheidung er¬
folgt sehr langsam, noch am siebenten Tage war Veronal im Urin nachweis¬
bar. Die Behandlung wird also neben dem Gebrauch von Exzitantien in
schweren Fällen in der Sorge für Darmentleerungen und Diurese bestehen.
_ Carl Grünbaum (Berlin).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegebeu von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Kriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
g # für das Halbjahr.
|| -Verlag von Georg TJhieme, Leipzig.-
23. Febr,
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes
in der Chirurgie.
Von Dr. Richard v. Hippel, Gießen.
Die Einführung der Äther- und Chloreformnarkose in die Chirurgie
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bedeutet einen der größten Fort¬
schritte in der Geschichte unseres Faches. Während der Operateur
vorher in der Einfachheit der Methode und in der Schnelligkeit ihrer
Ausführung das einzige Heil für den Patienten erblicken mußte,
konnten sich erst unter dem wohltätigen Schutze der Betäubung, un¬
gestört durch die Schmerzäußerungen und Abwehrbewegungen des un¬
glücklichen Objektes ihrer Kunst, die Chirurgen daran machen, jene
unendlich subtilen, zum Teil langdauernden Operationsmethoden aus¬
zuarbeiten und anzuwenden, die heute täglich hundertfältig zum Wohl
der leidenden Menschheit geübt werden.
Aber in den Freudenbecher fiel gar bald der Wermutstropfen!
Die neue Entdeckung forderte ihre Opfer und der wohltätige Schlaf
der Unempfindlichkeit ging in nicht wenigen Fällen in den Schlaf
des Todes über. Die auf Veranlassung der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie von Gurlt sieben Jahre lang fortgeführte Narkosenstatistik
ergab bei 330429 Narkosen eine Gesamtmortalität von 1:2429. Davon
entfielen auf die reine Chloroformnarkose 1:2075, auf die reine Äther-
narkose 1:5112. Es lag ja auch in der Natur der Sache, daß die inha¬
lierten Nervengifte, die imstande waren, die Zentren der Schmerzemp¬
findung zu lähmen, bei weiterer, übermäßiger Einwirkung auch die
lebenswichtigen Zentren der Atmung und Herztätigkeit ausschalteten.
Kein Wunder, daß die Chirurgen nach Mitteln und Wegen suchten,
uni dieser Gefahr entgegenzutreten, ohne dabei ihren Patienten die
Wohltat der Schmerzbetäubung zu entziehen. In erster Linie gingen
diese Bestrebungen daliin, die allgemeine Betäubung durch die örtliche
zu ersetzen. Versuche nach dieser Richtung datieren schon lange zurück.
Die zuerst benuizte Nervenkompression erwies sich als unbrauchbar,
teils wegen der unzugänglichen Lage vieler Hauptnervenstämmc, teils
wegen der durch den Druck ausgelösten Schmerzen und der notwendigen
langen Wartezeit bis zum Eintritt der Analgesie und ihrer Unvoll¬
kommenheit. Besser schon bewährte eich die Abkühlung der zu durch¬
trennenden Gewebe bis zur Erfrierung, wie sie Richardson 1865
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llichaid v. Hippel,
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mit dem Ätherspray bewirkte und wie sie heute hauptsächlich mit
dem bequemer anwendbaren und rascher wirkenden Äthylchlorid¬
strahl ausgeführt wird. Mit ihr gelingt es in der Tat, kleinere Ein¬
griffe, wie Spaltung von Furunkeln und Abszessen oder Zahnextrak¬
tionen, schmerzlos oder nahezu schmerzlos auszuführen. Allein auch
ihr haften, abgesehen von der Beschränkheit ihrer Anwendbarkeit, er¬
hebliche Nachteile an: einmal der heftige Nachschmerz beim Auf¬
tauen der gefrorenen Gewebe und ferner die Unmöglichkeit, mit der
Analgesierung in tiefere Teile einzudringen, ohne die Haut dauernd
bis zur Nekrotisierung zu schädigen. Dies letztere gilt besonders von
dem rasch wirkenden Chloräthyl.
Erst die Einführung des Kokain in die Augenheilkunde durch
Koller im Jahre 1884 bahnte einen entscheidenden Fortschritt für die
örtliche Schmerzbetäubung an. Reelus war der erste, der es in aus¬
gedehntem Maße in der Chirurgie in Anwendung brachte und zwar
bereits in Form der von Schleich später sogenannten „Infiltrations-
anästhesie“. Die Methode besteht darin, daß die Haut in der Aus¬
dehnung des Schnittes mit einer Kokainlösung infiltriert wird und
daß nach ihrer Durchtrennung die tiefer gelegenen Gewebsschichten.
ebenfalls schrittweise vor ihrer Du rehschnei düng mit der Lösung durch¬
tränkt werden. Reclus benutzte zunächst 2°/ 0 Lösungen, später, als
er dabei nicht selten leichtere und schwerere Vergiftungserscheinungen
sah, 1— 1 / 2 °/ ü Lösungen. Er beschränkte sich dabei nicht auf kleinere
Eingriffe, sondern führte auch größere Operationen, Hernio- und Laparo¬
tomien, Rippenresektionen und ähnliche aus. Nach seinen Erfahrungen,
die an mehr als 7000 Fällen gewonnen sind, erscheint das Verfahren
gefahrlos, obgleich er eine Kokaindosis von 0,2 g nicht scheut. (Braun.)
Trotzdem hat die Methode in Deutschland kaum Nachahmung gefunden,
nur Kocher empfiehlt sie auch heute noch in seiner Operationslehre.
1891/92 trat Schleich mit seiner Methode hervor. Sie unter¬
schied sich von der Methode Reclus’ in der Hauptsache durch die Ver¬
wendung viel weniger konzentrierter Kokainlösungen — 0,1—0,2°/ 0 —.
Die Zufügung geringer Mengen von Morphium zur Bekämpfung des
Nachschmerzes ging von der falschen Voraussetzung aus, daß dies
Mittel örtlich wirken könne, war deshalb wertlos. Da Schleich ge¬
funden hatte, daß die Haut bei Infiltration mit reinem Wasser un¬
empfindlich wurde, während physiologische Kochsalzlösung diesen
Effekt nicht hatte, so fügte er seiner Lösung, in der Meinung, damit
die Reizwirkung des Wassers auszuschalten, nur 2 °/ 0 Kochsalz zu.
Er schrieb dem physikalischen Effekt, der Aufquellung der Gewebe,
in der Hauptsache die analgesierende Wirkung zu, der Zusatz an|
chemisch wirkenden Mitteln sollte nur „den Einspritzungsschmerz der
Lösung überkompensieren.“ H. Braun in erster Linie hat das Unzu¬
treffende dieser Vorstellungen nachgewiesen; er hat gezeigt, daß die
physikalische Wirkung, die „Quellungsanästhesie“ eine durchaus un¬
erwünschte ist, da sie diese Anästhesie zu einer „Anaesthesia dolorosa“
macht und die Gefahr der Gewebsschädigung bis zur Nekrose in sich
trägt. Er hat nach gewiesen, daß die physikalische Wirkung zudem
praktisch bedeutungslos ist und daß andererseits die spezifische, che¬
mische Wirkung des Kokain in einer isotonischen, osmotisch indiffe¬
renten Lösung von 0,8—0,9 °/ 0 Koch Salzgehalt am reinsten zur Wirkung
kommt. Die Schleich’schen verdünnten Lösungen haben aber auch
noch den Nachteil, daß die Infiltration sich nicht überall anwenden
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 171
läßt-, z. B. nicht in entzündetem Gewebe, daß sie außerdem durchaus
nicht überall Insensibilität bewirkt.
So ist das Verfahren in seiner ursprünglichen Form heute ziem¬
lich allgemein verlassen und größtenteils durch die von Oberst und
Hacke nbrue.h inaugurierte „Leitungsanästliesie“ ersetzt worden. Das
Prinzip dieser Methode beruht darauf, durch peri-, seltener endoneurale
Injektion anästhesierender Lösungen sämtliche Gewebe im Ausbreitungs¬
bezirk des betreffenden Nerven unempfindlich zu machen. Oberst und
nach ihm in etwas modifizierter Weise Krogius wandten die Methode
zuerst an Fingern und Zehen als ,,regionäre Anästhesie“ an, jener,
indem er am Grundglied des abgeschnürten Gliedes ringförmig subkutan
das Anästhetikuni injizierte, Krogius, indem er die Einspritzung in
der Nähe der vier auf den Finger bzw. die Zehe übertretenden Nerven-
stämme vornahm. Sie benutzten 1—2°/ 0 Kokainlösungen und erzielten
bei gleich zeitiger Abschnürung Totalanästhesie des so behan¬
delten Gliedes; sie beruht auf der Leitungsunterbreehung der Nerven¬
bahnen an der Grundphalanx. Das gleiche Prinzip liegt der „zirku¬
lären Analgesierung“ Hackenbruch’s zugrunde, welcher lehrte,
durch subkutane Umspritzung des Operationsfeldes, meist in Form eines
Rhombus, dieses von seinen Nerven Verbindungen mit dem Zentralorgan
zu isolieren und damit unempfindlich zu machen.
Beide Verfahren hatten neben ihren unleugbar großen Vorzügen
doch auch erhebliche Nachteile, die ihrer ausgedehnteren Anwendung
zunächst hindernd im Wege standen. Die regionäre Anästhesie, so vor¬
trefflich sie für Operationen an Fingern und Zehen war, versagte bei
dem Versuch ihrer Übertragung auf größere Gliedabschnitte: der Ein¬
tritt bis zur Leitungsunterbrechung verzögerte sich bis zu einer Stunde
und die notwendige Abschnürung des Gliedes verursachte unerträg¬
liche Schmerzen. Diese konnten wohl teilweise vermieden werden, wenn
die abschnürende Binde nach erfolgter perineuraler Injektion in das
anästhetische Gebiet verlegt und die obere Binde bis zu Eintritt von
venöser Stauung zwischen beiden Binden gelockert wurde. Immerhin
blieb auch so die Methode umständlich und zeitraubend. Die weiter¬
gehende Anwendung der zirkulären Anästhesie scheiterte bei größerem
Operationsfeld an der Giftigkeit des Kokains, das auch bei 1 / 2 —V 4 °/o
Lösungen nur in beschränkten Mengen anwendbar blieb.
Wohl bedeuteten in dieser Hinsicht schon die chemischen Ersatz¬
mittel des Kokains, das Eukain B, Stovain, Tropakokain und besonders
das Novokain einen wesentlichen Fortschritt, da sie die anästhetischen
Wirkungen des Kokains mit erheblich geringerer Giftigkeit vereinigten;
aber erst die Einführung der Nebennierenpräparate in die Lokal¬
anästhesie durch Braun stellte diese Methode auf eine ganz neue
Grundlage und ermöglichte die weitgehende praktische Anwendung,
deren sie sich heute erfreut.
H. Braun, dessen Arbeiten wir die größten Fortschritte auf dem
Gebiete der örtlichen Schmerzbekämpfung verdanken, wies nach, daß
ein Zusatz ganz geringer Mengen von Adrenalin oder Suprarenin zu der
anästhesierenden Lösung (1:10000) einen vollkommenen Ersatz für die
Abschnürung des Gliedes gewährt; aber nicht nur dies: es setzt nicht
nur die Toxizität des Anästhetikums herab, sondern es steigert auch
seine Wirksamkeit so bedeutend, daß wesentlich geringere Konzentra¬
tionen angewandt werden können, und endlich beeinflußt cs in auf¬
fallender Weise die Dauer der Unempfindlichkeit, so daß z. B. ein
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Richard v. Hippel,
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anästhetisch gemachter Finger 2—5 Stunden gefühllos bleibt, ein nicht
zu unterschätzender Vorteil im Hinblick auf den Naehschmerz nach
dem Eingriff. Zu all diesen Vorteilen kommt dann noch hinzu die
vasokonstriktorische Wirkung des Mittels, soweit sie ein nahezu voll¬
kommen blutleeres Operieren gewährleistet.
Als bestes Ersatzmittel für das Kokain hat sich in Verbindung
mit Suprarenin für die örtliche Betäubung das Novokain bewährt.
In Tabletten in den Handel gebracht, braucht es nur in bestimmten
Mengen steriler physiologischer Kochsalzlösung aufgelöst zu werden,
um sofort für die verschiedenen Anwendungsarten gebrauchsfertig zu
sein. Den neuerdings erhobenen Zweifeln bezüglich der sicheren Steri¬
lität der Novokain-Suprarenintabletten scheint eine besondere praktische
Bedeutung nicht zuzukommen. Zudem hat Braun gezeigt, daß ein Zusatz
von zwei Tropfen offizineller verdünnter Salzsäure zu einem Liter
der physiologischen Kochsalzlösung ein Kochen der Novokain-Supra-
reninlösung ohne Zersetzung des Suprarenins ermöglicht. Gewisse Un¬
regelmäßigkeiten in der Wirkung des aus den Organen von Schlacht¬
tieren hergcstellten Präparates sind neuerdings die Veranlassung zur
Herstellung eines synthetischen, genau dosierbaren Suprarenins gewesen,
welches fortan das Organsuprarenin in den Novokain-Su^rarenin-
Tabletten der Höchster Farbwerke ersetzt.
So ist heute die örtliche Anästhesierung eine auch für den prak¬
tischen Arzt bequem anwendbare Methode geworden, deren Bedeutung
über den Rahmen der kleinen Chirurgie erheblich hinausgeht. Auf die
Technik der Lokalanästhesie näher einzugehen, muß ich mir versagen;
ich würde den Rahmen dieser Arbeit damit weit überschreiten. Ich
darf in dieser Hinsicht auf das Lehrbuch von H. Braun, das in er¬
schöpfender Darstellung alles Einschlägige bringt, sowie auf die für
die Bedürfnisse des Praktikers berechnete Anleitung von A. Schlesinger
verweisen.
Ehe ich die örtliche Anästhesierung verlasse, muß ich aber noch
zweier Methoden gedenken, die zwar für den praktischen Arzt minder
wichtig sind, aber doch nicht übergangen werden dürfen: Die Leitungs¬
anästhesie durch endoneurale Injektion und die Venenanästhesie
Biers.
Spritzt man in einen Nervenstamm unter die Nervenscheide
zwischen die Fibrillen eine stärkere (1%) Lösung eines Anästhetikums
in einer Menge, daß eine kolbige Anschwellung im Nerven entsteht,
so wird sofort und mit einem Schlage das ganze Ausbreitungsgebiet
des betreffenden Nerven gefühllos. Diese Infiltration eines Nerven-
stammes läßt sich perkutan am besten am N. ulnaris am Ellbogen aus¬
führen, auch am N. peroneus in der Kniekehle. Sonst wird meist die
vorherige operative Freilegung des Nerven erforderlich, die natürlich
eine wesentliche Komplikation bedeutet, sofern sie nicht im Laufe der
Operation ohnehin nötig wird. Damit wird die Anwendbarkeit des Ver¬
fahrens auf bestimmte Fälle beschränkt.
Über einen neuen Weg, Lokalanästhesie an den Gliedmaßen zu er¬
zeugen. berichtete Bier auf dein Chirurgenkongreß des Jahres 1908.
An dem durch feste Einwickelung mit der Esmarch’schen Expul¬
sionsbinde sorgfältig blutleer gemachten Gliede wird etwas oberhalb
der Stelle, an welcher operiert werden soll, eine weiche, dünne Gummi-
binde in zahlreichen Gängen und über einen größeren Gliedabschnitt
gewickelt als Blutleerbinde angelegt, eine zweite in gleicher Weise
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 173
etwas unterhalb des Operationsgebietes. Zwischen beiden, und zwar
möglichst nahe an der proximalen Binde, wird eine größere Haut¬
vene — V. saphena magna am Bein, V. cephalica. basilica oder mediana
cubiti am Arm — freigelegt und zwischen zwei Ligaturfäden seitlich
inzidiert. Der zentrale Faden wird geknotet, mit dem peripheren eine
Kanüle in das periphere Venenende eingebunden, durch welche mittels
Infusionsspritze 50—150 ccm einer 0,25—0,5% Novokainlösung unter
Überwindung des Widerstandes der Venenklappen eingespritzt werden.
Unmittelbar nach der Einspritzung ist der ganze zwischen den beiden
Binden gelegene Gliedabschnitt anästhetisch, etwas später wird auch
der distal von der peripheren Binde gelegene Teil gefühllos. So können
die grüßten Eingriffe, Amputationen, Resektionen, Nekrotomien, Kno¬
chennähte, ausgedehnte Varizenoperationen, Sehnenverpflanzungen usvv.
völlig schmerzlos ausgeführt werden. Vergiftungen sind trotz der
großen Menge des Anästhetikums nach Bier nicht zu befürchten, einmal
wegen der starken Verdünnung des Novokains, dann, weil die Lösung
sehr schnell durch die Gefäßwand hindurchgeht, weil durch die Blut¬
leere ein großer Teil des Giftes gebunden wird und erst ganz allmählich
in die Blutbahn eintritt und endlich, weil ein großer Teil der Lösung
vor Entfernung der künstlichen Blutleere aus der Wunde abfließt.
Dies kann noch dadurch befördert werden, daß die zentrale Binde
zunächst nur so weit gelockert wird, daß die Arterien sich öffnen und
die Blutung einen Teil des Mittels ausschwemmt, oder noch besser,
indem durch die Infusionskanüle zum Schluß der Operation das Ge¬
fäßsystem mit physiologischer Kochsalzlösung ausgeschwemmt wird.
Unmittelbar nach Lösung der zentralen Binde kehrt das Empfindungs¬
vermögen wieder zurück.
Indiziert ist die Venenanästhesie nach Bier nur da, wo die anderen
bewährten Methoden der Lokalanästhesie nicht anwendbar sind, also
bei den oben genannten größeren Eingriffen. Kontraindiziert ist sie
bei diabetischer und seniler Gangrän, anwendbar bei allen Extremi¬
tätenoperationen, die unter Blutleere vorgenommen werden können, also
nicht bei entzündlichen und phlegmonösen Prozessen.
Überblicken wir am Schlüsse unserer Ausführungen über die Lokal¬
anästhesie, deren vielseitige Anwendbarkeit wir kennen gelernt haben,
noch einmal das Gesagte, so drängt sich die Frage auf, wo die Grenze
für diese Methode der Schmerzbekämpfimg zu ziehen ist. Selbstver¬
ständlich wird das einmal von der Individualität des Operateurs und
seiner speziellen Erfahrung auf diesem Gebiete abhängen. Je mehr
jemand eine Methode benutzt, je inniger er sich mit ihr vertraut macht,
um so weiter wird er begreiflicherweise die Indikationen für ihre An¬
wendung stecken dürfen.
Aber gewisse Grenzen liegen doch in der Methode selber; Braun,
dem wir wohl die größte persönliche Erfahrung zusprechen dürfen,
kennzeichnet sie folgendermaßen: „Nur wer sich zu beschränken weiß,
wird Nutzen von den lokalanästhetischen Verfahren haben. Nichts ist
verfehlter, als einen Rekord auf möglichst vielseitige Anwendung der
Lokalanästhesie schaffen zu wollen. Die allzu weite oder gar prin¬
zipielle Ausdehnung der Lokalanästhesie auf komplizierte Operationen
hat erhebliche Bedenken. Sie verleitet einen technisch nicht völlig
durchgebildeten und erfahrenen Chirurgen leicht zu unvollständigen,
unvollkommenen Operationen und schafft ihm ganz unnötige Schwierig¬
keiten. Der Umstand ferner, daß bei komplizierten Operationen unter
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174
Richard v. Hippel,
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Lokalanästhesie 1. das Bewußtsein der Kranken erhalten ist, 2. die
Lokalanästhesie bei aller schrankenlosen Anwendung oft mangelhaft
ist, bewirkt, daß die Kranken oft einen Schrecken vom Operations¬
tisch mitnehmen, der viel mehr Schaden zufügen kann — nicht bloß
dem einzelnen betreffenden Kranken, sondern dem Ansehen der Chirur¬
gie —, als daß er durch den Nutzen der Lokalanästhesie aufgewogen
werden könnte.“ Rücksicht auf das seelische Verhalten des Kranken,
Beschränkung der Methode auf typische, in ihrem Verlauf genau
voraus zu berechnende Operationen und genaues Studium der sensiblen
Innervation des in Betracht kommenden Operationsfeldes sind auf alle
Fälle dringend anzuraten. —
Im /Jahre 1899 trat Bier mit seinen ersten Versuchen zur Lum¬
balanästhesie hervor, die ebenfalls eine Leitungsanästhesie im weiteren
Sinne ist. Beruht sie doch höchstwahrscheinlich auf einer Leitungs¬
unterbrechung der sensiblen hinteren Nervenwurzeln innerhalb des
Duralsackes. Deshalb hat sich auch die ursprünglich von Bier ge¬
brauchte Bezeichnung „Rückenmark- (Medullär-) anästhesie“ nicht ein¬
gebürgert, weil sie mißverständlich ist. Das Prinzip der Methode ist
nach Bier folgendes: „Spritzt man in den Lumbalsack eines Menschen
vermittels der Quincke’schen Punktionsnadel 0,005—0,03 g Kokain ein.
so entsteht zunächst eine Lähmung des Schmerzgefühls; Tastempfindlich¬
keit, Wärme- und Kältegefühl, Beweglichkeit und Reflexe sind noch
erhalten. Bei kleineren Gaben ist dies die ganze Wirkung. Bei größeren
dagegen schwinden auch allmählich die übrigen Sinnesempfindungen. Ja,
bei sehr hohen Gaben des Kokains treten Paresen der Muskeln, besonders
des Afterschließmuskels, auf, und aufgefordert zum Gehen, bewegen
sich die Leute ataktisch, wie an Tabes Leidende.“ Die Anästhesie
tritt zuerst am Damm und in der Aftergegend auf, dann an den Füßen,
von wo sie langsam nach oben steigt; sie dauert 1 / 2 —2 Stunden und
schwindet zuerst an den Stellen, wo sie zuletzt eintrat.
Bereits bei seiner ersten Veröffentlichung machte Bier auf die
unangenehmen und lebensgefährlichen Wirkungen der Methode auf¬
merksam und wies energisch darauf hin, daß sie in ihrer damaligen
Gestalt keineswegs brauchbar zur Einführung in die Praxis sei. Es
zeigte sich bald, wie begründet diese Warnung war: üble Zufälle
ereigneten sich teils im direkten Anschluß an die Injektion, noch auf
dem Operationstisch, bestehend in Übelkeit, Erbrechen, Kollapsen, Atem¬
störungen und plötzlichen Todesfällen unter dem Bild der Herz- und
Atemlähmung, teils später: in 3 / 4 — 4 / 5 der Fälle wurden Kopfschmerzen
beobachtet, die manchmal tagelang anhaltend mit rasender Intensität
auftraten, ferner Übelbefinden, Schwindel, Erbrechen, Schüttelfrost mit
hohen Temperatursteigerungen, schwacher, beschleunigter Puls, Abdu¬
zenslähmungen, Paresen der Beine, endlich in allerdings seltenen Fällen,
schwerere chronisch meningitische Erscheinungen, die selbst nach
Monaten noch zum Exitus führten.
Es zeigte sich, daß die primären gefahrdrohenden Erscheinungen
zurückgeführt werden mußten auf ein zu rasches Hinaufdringen des
giftigen Kokains zu den Zentren in der Medulla oblongata, während
die Nachwirkungen einer aseptischen Meningitis infolge von Reizung
durch die eingespritzten fremdartigen Substanzen zur Last gelegt werden
mußten.
Dazu kam noch, daß die Anästhesie in etwa 10°/ 0 der Fälle eine
ungenügende war, oder ganz ausblieb, so daß trotz der Injektion zur
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 175
Jühalationsnarkose gegriffen werden mußte; endlich dauerte auch bei
den gelungenen Anästhesien die Empfindungslosigkeit oft nur 1 f 2 —V 4
Stunde, so daß bei länger dauernden Operationen die Schmerzempfin¬
dung zu früh wiederkehrte.
So ergab die Statistik, die Zahradnicky im Jahre 1902 zu¬
sammen stellte, ein recht unerfreuliches Bild: unter 4679 Fällen war
212mal die Anästhesie ungenügend oder ganz ausgeblieben, 58 mal
traten schwere, das Leben bedrohende Nebenwirkungen auf, 12 mal er¬
folgte der Tod!
Rastlos wurde in den nächsten Jahren an der Verbesserung der
Methode gearbeitet, besonders durch Bier selbst und seinen Schüler
Dönitz. Ohne hier auf Einzelheiten der Technik eingehen zu können,
seien nur die Hauptrichtungen skizziert, nach denen sich diese Bestre¬
bungen bewegten.
Wae zunächst die Versager und mangelhaften Anästhesien betrifft,
so hat es sich herausgestellt, daß diese größtenteils auf Fehler in der
Technik zurückzu führen und bei peinlicher Befolgung der genauen tech¬
nischen Vorschriften mit. wachsender Übung und Erfahrung immer
sicherer zu vermeiden sind.
Die Bekämpfung der üblen und gefährlichen Neben- und Nach¬
wirkungen der Lumbalanästhesie bewegte sich im wesentlichen in drei
Richtungen : Ersatz des giftigen Kokains durch ein ungiftigeres Anästhe-
tikum, Ausschaltung aller physikalischen und chemischen Reizwir-
kungen und endlich willkürliche Regulierung der Höhe und Ausbrei¬
tung der Anästhesie.
Als das beste Ersatzmittel des Kokains betrachten Bier und
die Mehrzahl der deutschen Chirurgen heute das schon 1901 von
Schwarz (Agram) empfohlene Tropakokain, das in Dosen von 5 bis
höchstens 6 cg eingespritzt wird. Doch sind einige, auf diesem Gebiet
sehr erfahrene Chirurgen, wie z. B. Müller (Rostock) dem auch von
Bier vorübergehend bevorzugten Stovain-Billon treu geblieben, das auch
in Frankreich und in den Balkanländern — Jonnescu (Bukarest) —
bevorzugt wird. Über die Zweckmäßigkeit des Zusatzes von Neben¬
nierenpräparaten zu der anästhesierenden Lösung gehen die Meinungen
noch auseinander. Bier hält trotz aller Einwendungen daran fest und
ist der Überzeugung, daß die Lumbalanästhesie durch die Einführung
des Suprarenin an Gefahren wesentlich verloren und an Sicherheit
und Brauchbarkeit ebensoviel gewonnen habe.
Um die physikalischen und chemischen Reizwirkungen möglichst
auszusclialten, sollen einmal bei der Vorbereitung des Instrumentariums
und der Herstellung der Lösung alle reizenden Substanzen ausgeschaltet
werden — Auskochen der Instrumente in reinem Wasser oder Koch¬
salzlösung. strenges Vermeiden von Soda; Auflösung bzw. Verdünnung
des Anästhetikums mit Zerebrospinalflüssigkeit nach Guinard —,
ferner nur körperwarme Instrumente und Lösungen benutzt werden.
Für die Verhütung der Gefahren der Lumbalanästhesie ist die
Hauptsache, das rasche Hinaufsteigen des Anästhetikums zur Medulia
oblongata und zum Gehirn zu vermeiden. Hierfür ist wichtig: lang¬
sames Injizieren der Lösung. Vorsicht in der Verwendung der Bec ken-
hochlagerung und überhaupt Vermeidung von raschem Lagewechsel nach
der Injektion. Bier versuchte es auch damit zu erreichen, daß er eine
Staubinde um den Hals legte, um so eine Steigerung des Hirndruckes
und ein Abwärtsdrängen des Liquor zu erzielen. Dies Mittel ist aber
wohl entbehrlich.
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LI. Giffhorn,
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Gerade in entgegengesetzter Richtung bewegten sich die Bemü¬
hungen, die Anästhesie möglichst hoch hinauf zutreiben, um sie auch
für Operationen oberhalb des Nabels nutzbar zu machen. Dönitz suchte
dies zu erreichen durch starke Verdünnung des Anästhetikums (5—6 cg
Tropakokain in 10 ccm Liquor), durch Umlegen einer Ilalsstauung,
die nach der Injektion entfernt wird, steilste Beckenhochlagerung und
erschwerte, gewaltsame Inspiration. Ehrhardt und Gilmer führten,
einer Anregung von Klapp folgend, die Muzilaginosa als Lösungsmittel
ein und kombinierten Tropakokain mit einer 15°/ 0 Gummilösung, wo¬
durch es ihnen gelang, die Anästhesie bis zum Kopf hochzutreiben
Nach den seither vorliegenden Erfahrungen sind diese Methoden noch
viel zu unsicher und gefährlich, um in der Praxis Verwendung zu finden.
Jonnescu glaubt alle Gefahren der Lumbalanästhesie dadurch aus¬
geschaltet zu haben, daß er kleine Mengen von Strychnin mitinjiziert;
er hat seit 1908 sämtliche Operationen an allen Körperstellen und
auch bei Kindern in Lumbalanästhesie ausgeführt, wobei er je nach
der Körperregion die Injektion entweder zwischen letztem Hals- und
ersten Brustwirbel oder zwischen 11. und 12. Brustwirbel vornimmt.
Trotz seiner Behauptung, daß dies Verfahren mit Sicherheit allge¬
meine Verbreitung finden wird, wird man gut tun, ihm bis auf weiteres
mit größter Skepsis zu begegnen; hat doch Mil ward bereits einen
Exitus auf dem Operationstisch dalx»i erleid! (Fortsetzung folgt.)
Aus der Säuglingsabteilung des Krankenhauses Altstadt zu Magdeburg.
Oberarzt: Prof. Dr. Thiemicb.
Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung.
Von Dr. med. II. OifThorn, Assistenzarzt.
(Nach einem in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg gehaltenen Vortrag.)
(Schluß.)
Vom vierten Lebensmonat ab darf einem Kinde ohne Schaden
mit Mohlsuppe verdünnte Milch dargereicht werden. Die früher herr¬
schende Ansicht, daß der Gebrauch von Mehlsuppen die Widerstands¬
kraft des Kindes herabsetze und leicht zu Atrophie, Kachitis, Skrofu¬
löse usw. führe, ist ein widerlegtes Vorurteil.
Nur ausschließlicher .Gebrauch von Melilsuppen, ohne Milch,
führt, wenn er länger fortgesetzt wird, zu schweren Schädigungen, die
Czerny-Keller als ,,Mehlnährschaden“ beschrieben haben. Der Mehl-
nährschaden kennzeichnet sich nach anfänglich scheinbar gutem Ge¬
deihen durch Gewichtsabnahme, starke Abmagerung und eigentümliche
Spannung der Muskulatur, so daß passiven Bewegungen starker Wider¬
stand entgegengesetzt wird. Zuweilen treten auch Ödeme hinzu. Die
Stühle können lange Zeit normales Aussehen behalten. Die erkrankten
Kinder sind leicht Sekundärinfektionen zugänglich und bei vorge¬
schrittenen Fällen fast nur durch Frauenmilch am Leben zu erhalten.
Der Mehlnährschaden gehört zu den oben erwähnten schweren Graden
der Ernährungsstörung.
Im allgemeinen ist zu der Benutzung von Kohlehydraten als Milch-
zusatz zu bemerken, daß sie in den ersten Tagen ihrer Anwendung
leicht zu Wasserretention und höherem Gewichtsanstieg führt, der sich
allmählich wieder ausgleicht.
Bei gleichzeitiger Darreichung von Mehlsuppe und Zucker ist die
Zunahme eine stärkere, als wenn nur ein Kohlehydrat zugesetzt wird.
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Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung.
177
Wir benutzen also, wie schon erwähnt, im Krankenhause zur Er¬
nährung junger Kinder bei unkomplizierten Fällen gewöhnliche
Mischungen von Milch mit Hafermehlsuppe und Rübenzucker.
Kindern, die bei dieser Nahrung nicht recht gedeihen wollen,
geben wir statt des Rübenzuckers Maltose in Form von Loeflund’s
Malzsuppenextrakt nach Dr. Keller.
Ehe ich mich der Malzsuppe zuwende, möchte ich einige Worte
über die Kindermehle sagen. Kindermehle werden aus gewöhnlichen
Mehlen präpariert durch teilweise Umwandlung der Stärke in Dextrin
und Maltose, die meisten enthalten außerdem einen geringen Milch¬
zusatz, der kleinere Teil, wie Kufeke, Knorr’s Hafermehl, ist milchfrei.
Zweifellos ist es ein gewisser Vorzug der Kindermehle, daß sie
zum Teil aufgeschlossene Kohlehydrate (in Form von Maltose) ent¬
halten. Auf das schärfste zu verwerfen ist aber die Reklame, die mit
einem Teil dieser Präparate gemacht wird, indem man von ihnen be¬
hauptet, daß sie die Muttermilch vollständig ersetzen könnten. Der
längere ausschließliche Gebrauch von Kindermehlen, auch von denen,
die einen geringen Milchzusatz haben, hat dieselben schweren Schädi¬
gungen zur Folge, wie die ausschließliche Benutzung von gewöhnlichen
Mehlsuppen.
Ein weiterer Nachteil der Kindermehle ist ihr verhältnismäßig
hoher Preis. Eine Ausnahme machen nur Knorr’s und einige andere
Hafermehle, die außerdem auch nur in geringem Grade umgewandelt
sind und den gewöhnlichen Mehlen sehr nahestehen.
Während wir Knorr’s Hafermehl vielfach verwenden, vermeiden
wir aus den genannten Gründen die übrigen Kindermehle und nehmen,
wenn wir mit den gewöhnlichen Milch-, Mehl- (Schleim), Zucker-
wischungen nicht auskommen, unsere Zuflucht zur Keller’schen Malz-
suppe.
Zunächst einige Worte über ihre Zubereitung: 50 g Weizenmehl wer¬
den in V 3 Liter kalter Kuhmilch eingequirlt und durchgesiebt. In einem
anderen Gefäße werden 100 g Loeflund’s Malzsuppenoxtrakt in 2 /s Liter
Wasser gelöst und dann beides vermischt und aufgekocht. 1 Liter dieser
Nahrung kostet ca. 40 Pfg.
Anwendung findet die Malzsuppe vorwiegend bei ernährungs¬
gestörten Kindern, die bei verhältnismäßig fettreicher Nahrung er¬
krankt sind, dem schon erwähntem Milchnährsohaden. Er entsteht beim
Genuß unverdünnter oder auch verdünnter Milch mit geringem Zucker¬
zusatz und zeichnet sich durch eine starke Herabsetzung der Fett¬
toleranz aus. Eine Steigerung der Milchmenge würde in solchen Fällen
zum Gewichtsstillstajid oder auch zur Abnahme führen, während die
Verabreichung einer fettarmen, kohlehydratreichen Kost, wie sie die
Malzsuppe darstellt, häufig die günstigsten Erfolge aufweist.
Auch bei den leichteren Formen der Atrophie, falls sie bei vor¬
wiegender Milchnahrung entstanden ist, und die Kohlehydrattoleranz
noch nicht zu sehr gelitten hat, bietet die Ernährung mit Malzsuppe
günstige Aussichten. Außerdem kann man sie auch bei gesunden Kindern
stillschwacher Mütter zweckmäßig als Beinahrung neben der Brust
verwenden.
Als Dauernahrung ist die Malzsuppe in der angegebenen Form
wegen ihrer Fettarmut nicht anzusehen, vielmehr muß man nacli
mehreren Wochen den Milchzusatz steigern, zumal nach dieser Zeit
die Fettoleranz gewöhnlich so gestiegen ist. daß auch milchreichere
Mischungen gut vertragen werden.
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H. Giffhorn,
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Die Stühle sind bei Ernährung mit Malzsuppe gelb und breiig,
öfter etwas vermehrt.
Neben Loeflund’s Malzsuppenextrakt benutzen wir noch von
den Malzpräparaten Soxhlet’s Nährzucker, den wir statt des ge¬
wöhnlichen Zuckers zuweilen verwenden.
Sonst sind hier noch zu. erwähnen Soxhlet’s verbesserte Liebig-
euppe und Brunnengräbers kristallinischer Malzextrakt.
Bei der Güte unserer inländischen Präparate kommen die teueren
englischen Erzeugnisse, wie Allenbury’s Kindernahrung und
Mellin’s Food für uns nicht in Betracht.
Aus denselben Indikationen, die den Gebrauch der Malzsuppe
empfehlen, bedienen wir uns auch vielfach der Buttermilch, in Form
der sogenannten Holländischen Säuglingsnahrung.
Die Herstellung der Buttermilch geschieht aus saurem Rahm. Man
läßt Vollmilch bei kalter Temperatur 24 Stunden stehen, füllt die Rahm-
schicht ab und unterwirft sie der Säuerung (durch Stehenlassen in warmem
Wasser oder durch Milchsäurebakterienkulturen). Dabei vergärt ein Teil
des Milchzuckers zu Milchsäure und anderen Säuren. Dann wird der
Rahm dem Butterungsprozeß unterworfen, wobei sich das Fett zum größten
Teil als Butter ausseheidet und die Buttermilch zurückbleibt.
Die unveränderte Buttermilch enthält ca. 2,5°/ 0 Eiweiß, 0,5°/ 0 Fett,
3°/ 0 Zucker, 0,7 °/ 0 Asche. In dieser Zusammensetzung wird sie von den
Vilbeler Milchwerken unter dem Namen Holländische Anfangs-
nahrung in den Handel gebracht, die wegen ihres geringen Fett- lind
Zuckergehalts nur eine sehr kalorienarme Nahrung darstellt. Auf sie
komme ich später zurück. Frische käufliche Buttermilch ist wegen
zu starker Verunreinigung gewöhnlich nicht brauchbar für Säuglinge.
Die eigentliche Holländische Säugl ingsnahrung, die eben¬
falls von den Vilbeler Milch werken in Böhlen bei Leipzig fabrikmäßig
hergestellt und als mindestens monatelang haltbare Konserve in den
Handel gebracht wird, enthält einen ziemlich reichlichen Kohlehydrat¬
zusatz :
1 Liter Buttermilch wird mit 15 g Weizenmehl angerührt und über
gelindem Feuer bis zum mehrmaligen Aufwallen gekocht.
[Während des Kochens werden dann 40 g Rohzucker oder ein maltose¬
haltiges Präparat (nach älterer Vorschrift sogar 60—80 g) zugesetzt.
Der Kohlehydratgehalt der Mischung steigt so auf 8,5 ü / 0 .
Als Dauernahrung ist die Buttermilch noch weniger als die Malz¬
suppe verwendbar. Sie enthält ja fast gar kein Fett, und mehrmonat-
licher Gebrauch hat schon wiederholt zu ernsten Schädigungen ge¬
führt. Wir gehen deshalb nach einiger Zeit von der Holländischen
Säugl ingsnahrung zu der fettreicheren Malzsuppe und von dieser nach
weiterer Erhöhung der Fettoleranz zu milch reiche rem Milch-, Mehl-,
Zuekermischungen über. Beim allaitement mixte mit Frauenmilch wirkt
diese mit ihrem hohen Fettgehalt ausgleichcnd auf die Fettarmut der
Holländischen Säuglingsnahrung.
Neben den Vilbeler Präparaten seien noch die Trockenpräparate
Bucoo und Laktoserve genannt.
Malzsuppe und Holländische Säuglingsnahrung sind nur bei den
leichteren Graden der Ernährungsstörung aiizuw r enden.
Bei den schweren Formen finden nach Ablauf der bedrohlichsten
Erscheinungen als Übergangsnahrung fettarme Präparate ohne Zueker-
zusatz Verwendung: Holländische Anfangsnahrung, Mager¬
milch und Molke.
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Über neuere Methoden der künstlichen Säuglingsernährung.
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Die Herstellung und Zusammensetzung der Holländischen An¬
fangsnahrung ist schon beschrieben.
Die Magermilch stellt, wenn sie durch Zentrifugieren gewonnen
wird, eine ganz fettarme Nahrung dar; wenn man sie durch Abrahmen
Irischer Milch bereitet, enthält sie immer noch 1—2°/ 0 Fett.
Wir benutzen sie zur Anfangsbehandlung bei schwereren Graden
von Ernährungsstörungen, wo die einfache Milch Verdünnung wegen ihres
höheren Fettgehaltes noch nicht vertragen wird, und empfehlen sie auch
in unseren Beratungsstunden für Säuglinge den Pflegemüttern kranker
Kinder zu vorübergehender Verwendung. Wenn die Ernährungsstörung
bei vorwiegender Milchernährung entstanden ist, verordnen wir für die
ersten Tage den üblichen Schleim und lassen allmählich steigende
Mengen Magermilch und schließlich Vollmilch zusetzen.
Die Molke, die sich durch Zusatz von Labessenz zu der Milch
bereiten läßt, enthält nur noch Albumin, Zucker und Salz; das Fett
wird zusammen mit dem ausgefüllten Kasein ausgeschieden.
Der Vollständigkeit halber sei hier noch eine Nahrung erwähnt,
die zur Behandlung des hartnäckigen Ekzems bei exsudativen Kindern
bestimmt ist, nämlich Finkeis tein's salzarme Nahrung. Gefähr¬
lich ist ihre Verabreichung an Säuglinge im ersten Lebenshalbjahr,
sowie an magere Kinder, auch sonst ist sie nur bei genauer Über¬
wachung und täglicher Wägung benutzbar. Sie findet also in der
Praxis nur beschränkte Anwendung.
Die geringe Fettoleranz, die bei ernährungskranken Kindern ge¬
wöhnlich im Vordergründe steht, hat dazu veranlaßt, in solchen Fällen
die oben beschriebenen fettarmen, z. T. kohlehydratreichen Präpa¬
rate (Malzsuppe, Buttermilch, Magermilch, Molke) zu verabreichen, und
auch mit Erfolg. An sich ist aber der geringe Fettgehalt ein, wenn auch
notwendiges Übel. Diesem Übelstande haben Finkei stein und Lud¬
wig F. Meyer abzuhelfen versucht. Ausgehend von der Erfahrung,
daß die Fetttoleranz steigt, je niedriger der gleichzeitige Zuckergehalt
einer Nahrung ist, haben sie ein .neues Präparat angegeben, in dem
zur Erhöhung der Fetttoleranz der Zucker erheblich herabgesetzt ist.
Es ist das die Eiweißmilch. Sie enthält 3°/ 0 Eiweiß, 2,5°/ 0 Fett,
nur l,5°/ 0 Zucker, 0,5°/ 0 Asche.
Wir finden also in der neuen Nahrung einen höheren Fettgehalt,
als man für gewöhnlich bei einem kranken Kinde für erlaubt hält.
Die Unschädlichkeit des Eiweißes als Nahrungsbestandteil ist ja
schon oben betont. Finkeistein hat sogar experimentell festgestellt,
daß auf Eiweißzulage die vorher dünnen Stühle fest wurden.
Die Herstellung der Eiweißmilch geschieht in folgender Weise: 1 Liter
Vollmilch wird mit 1 Eßlöffel Simon’s Labessenz versetzt und V 2 Stunde
ins Wasserbad gestellt bei einer Temperatur von ca. 42°. Nachdem sieh
Kasein und Molke zusammengeballt haben, wird die Molke abgegossen. Das
Käsegerinnsel, das aus Eiweiß und Fett besteht, wird mit V 2 Liter Wasser
vermischt und durch ein Haarsieb getrieben. Die so gewonnene Eiweiß-
Fettinischung wird mit V 2 Liter Buttermilch versetzt.
Die Eiweißmilch wird fabrikmäßig von den Vilbeler Milcli-
werken hergestellt und in trinkfertigen Flaschen abgegeben.
Verwendung findet sie bei den Ernährungsstörungen, deren Ent¬
stehung auf eine Schädigung durch Zucker zurückgeführt wird, bei
dyspeptischen Stühlen und Durchfällen.
Nach mehrtägigem Gebrauch zunächst kleiner Mengen, die aber
schnell gesteigert werden können, pflegen helle Seifenstühle, ähnlich
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Autoreferat-e und Mitteilungen aus der Praxis.
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wie beim Milch nährschaden, aufzutret en. Sobald dies der Fall ist, sollen
Kohlehydrate, auch anfangs in kleinen Mengen, am besten in Form des
wenig gärungsfähigen Nährzuckers, zugesetzt werden.
Finkeistein und Ludwig F. Meyer berichten ausführlich
von guten Erfolgen mit dieser Nahrung. Wir haben sie in leichteren
Fällen auch fast durchgehend mit gutem Resultate verwandt. Unsere
Versuche bei den schweren Graden der Ernährungsstörung sind noch
nicht abgeschlossen, so daß wir mit einem Urteil noch zurüekhalten
müssen.
Literatur.
Biedert, Die Kinderernährung im Säuglingsalter und die Pflege
von Mutter und Kind. Stuttgart 1900, F. Enke. — Czerny und Keller,
Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie. Leipzig
und Wien 1906—1909, F. Den ticke. — Finkeistein, Lehrbuch der Säuglings¬
krankheiten. Berlin 1905, H. Kornfeld. — Längste in lind Meyer, Säuglings-
ernälirung und Säuglingsstoffwechsel. Wiesbaden 1910, J. F. Bergmann
Autoreierate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über Gallensteine.
Von Dr. Oskar Fischer.
(Diskussionsbemerkungen zu einem Vortrage in der med. Gesellschaft zu Leipzig.)
An der medizinischen Klinik sind seit 1889 312 Fälle vonCholilithiasis
zur Beobachtung gelangt. Von diesen sind 269 = 86°/ 0 nach Hause ent¬
lassen worden, fast stets nach Abklingen ihrer Anfälle und nach be¬
endeter Karlsbader oder Olkur; 22 7°/ 0 sind bei uns ad exitum ge¬
kommen (2 weitere Fälle in der chirurgischen Klinik); 21 sind zwecks
Operation nach der chirurgischen Klinik verlegt = fast 7°/ 0 . Von den
insgesamt verstorbenen 24 ( - -8°/ 0 ) Fällen wurde 4 mal die Sektion ver¬
weigert, sodaß nur 20 anatomisch belegt erscheinen. In diesen fand sich
fast stets Ikterus, nur zweimal ist ausdrücklich sein Fehlen konstatiert.
Der eine von diesen letzteren bot auch sonst der Diagnose ungewöhnliche
Schwierigkeiten. Es betraf eine Pat., die Erbrechen, Anazität des Magen¬
saftes, reichlich Milchsäure und Boasbazillen aufwies, bei der Autopsie
sich aber als Empyem der Gallenblase herausstellte mit Perforation in’s
Duodenum und Pylorusstenose durch Kompression. 14 mal sind Steine
in der Gallenblase, 4 mal Steine in den Gallen wegen vorhanden ge¬
wesen, 3 mal sind Steine perforiert. Nur 1 mal sind ausdrücklich
Ulzerationen und Narben der Gallenblase verzeichnet, 2 mal Obüteration
bezw. Atrophie der Gallenblase 1 ), 4 mal Empyem mit Perforation, wovon
3 mal in’s Abdomen, 1 mal in’s Duodenum. Biliäre Leberzirrhose findet
sich in 2 Sektionsprotokollen, multiple Leberabszesse in 3. Die Milz
ist nur in 2 Fällen als vergrößert angegeben. Einmal lag eine Pfort¬
aderthrombose vor.
In 2 Fällen wurde die Gelegenheitsursaehe auf ein Trauma be¬
zogen (Fall aus dem Bett, Tritt gegen den Leib). Mehrere Male ist
gleichzeitig eine. Lungentuberkulose gefunden worden.
. i ,'.i
*) Mit Rücksicht auf die interessante spätere Diskussion zwischen den Herren
Marcband und Harting sei liier bemerkt, daß in diesen beiden Fällen Choledochus-
verschluß durch Stein bestand.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
181
Interessant ist ein Fall, der vielleicht mit einer früheren Malaria
zusammenhing, besonders durch seinen eigenartigen Blutbefund von
760000 r. und 270000 w. Blutkörperchen. Post mortem fand sich eine
starke Leber und eine geringe Milzvergrößerung, Cholelithiasis und
Hvdrops vesicae felleae.
21 unserer Fälle wurden auf die chirurgische Abteilung verlegt.
Von diesen fehlen über 7 die näheren Angaben. Von den verbleibenden
14 sind 2 gestorben. Der eine hatte ein Gallenblasen-Karzinom mit
Lebermetastasen, das neben der Cholelithiasis einherging; der zweite
multiple Leberabszesse nach Choledochus-Verschluß.
Bei einem der operierten Fälle wurden 4 haselnußgroße Steine
gefunden, ohne daß seitens der Gallenblase die geringsten Entzündungs¬
erscheinungen bestanden. Daß Cholelithiasis andere Erkrankungen vor-
tauscht, zeigt ein Fall, bei dem die Operation mehrere Steine ent¬
fernte, während die Pat. draußen jahrelang als ulcus ventriculi behandelt
worden war.
Umgekehrt illustrieren mehrere Fälle, daß die Diagnose Cholelithiasis
nicht selten durch andere Affektionen vorgetäuscht wird. So fanden
eich bei 2 Pat., die als ausgesprochene Cholelithiasis imponiert hatten,
bei der Operation keine Steine, sondern lediglich Verwachsungen, in dem
einen Falle mit dem Duodenum, in dem anderen mit dem Colon trans-
rersum. Die Erscheinungen konnten beide Male durch Lösung der
Verwachsungen behoben werden. Bei einem anderen Pat. wurde ebenfalls
die anscheinend absolut sichere Diagnose durch die Laparotomie korrigiert.
Er hatte typische Anfälle gehabt, tonartige Stühle, Ikterus. Alle
Gallenwege fanden sich völlig normal. Nun wurde der schon vorher
festgestellte Ren mobilis dexter fixiert, und der Pat. von da ab be¬
schwerdefrei. Die Stühle waren fortan normal gefärbt. Ein anderer
Fall ist ungeklärt geblieben. Er wies die typischen Symptome auf, die
Leber war stark vergrößert, die Gallenblase öfters als faustgroßer Tumor
fühlbar, allerdings in ihrer Größe stark schwankend. Bei der im freien
Intervall vorgenommenen Operation fand sich keine Vergrößerung der
Gallenblase und Steine, weder in Gallenblase noch Choledochus, auch
sonst nichts, was für die Erscheinungen verantwortlich hätte gemacht
werden können. Die gelegentliche Schwierigkeit der Diagnose erhellt
besonders aus folgendem Fall: Die betreffende Pat., die angab, viele
Steine bereits entleert zu haben, klagte über enorme Schmerzanfälle.
Sie hatte in der Verzweiflung einen Suizid versuch gemacht und verlangte
die sofortige Operation. Bei dieser ergaben sich völlig normale Ver¬
hältnisse. Die Pat. erwies sich aber bei weiterer Beobachtung als schwere
Hysterica.
Interessante Beobachtungen wurden gemacht an einer Pat., die im
Anschluß an eine Steinoperation, wobei ein eingeklemmter Stein nicht
hatte entfernt werden können, eine Gallenfistel behalten hatte. Sie ent¬
leerte, wenn sie Beschwerden bekam, selbst ihre Gallenblase mittelst
Sonde, und zwar meist in 8tägigen Zwischenräumen. Periodisch aber
wurde eine häufigere Entleerung nötig, oft mehrfach täglich. Es
wurden während 10 aufeinanderfolgenden Tagen je 100—1200 ccm Galle
entleert; Pat. hatte ikterische Stühle. Der Sitz des Steins muß der Chole-
dochus gewesen sein, da die Passage nach dem Darm verschlossen, nach
der Leber frei war. Es entstand kein Ikterus, w r eil die Fistel in diesem
Falle wie ein Sicherheitsventil wirkte. Autoreferat.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Beitrag zur Pirquet’schen Reaktion.
Von Stadtschularzt Dr. Peters.
(Vortrag im Ärzteverein zu Halle a. S., am 30. November 1910.)
Das 13 jährige, sonst gesunde, leidlich kräftig entwickelte und erblich
nicht belastete Schulmädchen, soll — nach Angabe der Mutter infolge
eines vor 8 Jahren erlittenen Knochenbruchs! — seit dieser Zeit eine
Verdickung der rechten Zeigefinger-Grundphalange haben, die un¬
verändert und ohne wesentliche Beschwerden bestehen blieb. Das Kind
suchte den Schularzt auf, weil ihm der Finger beim Schreiben, Turnen
und Handarbeiten Beschwerden machte. Bei der Untersuchung war
der Finger reizlos, kaum druckempfindlich, und in der Grundphalange
spindelförmig verdickt, so daß dringender Verdacht auf Spina ventosa
bestand. Da die Anamnese hiermit nicht ganz in Einklang zu bringen
war, stellte der Schularzt zur Sicherung der Diagnose die PirquePsche
Kutanreaktion an, zunächst mit 33°/ 0 igen, dann mit unverdünntem Alt¬
tuberkulin. Beide Male zeigte sich an der Applikationsstelle (linker
Unterarm) nicht die leiseste Spur einer Reaktion, dagegen stellte sich
2 Tage nach der Applikation des unverdünnten Tuberkulins an dem
rechten Zeigefinger eine starke akute entzündliche Anschwellung mit
Eiterung an der Beugeseite und starker Beteiligung des rechten Hand¬
rückens, aber geringen subjektiven Beschwerden ein! Die Schwellung
ließ sehr bald nach, und nach weiteren 5 Tagen sah der Finger wieder
wie bisher aus; nur an der Beugeseite deutet eine kleine gelbe trockene
Stelle noch auf die Eiterung hin. Eine Behandlung hat nie stattgefunden.
Also eine starke, ziemlich unangenehme Herdreaktion bei absolut
negativem Befund an der Applikationsstelle!
Der Fall erscheint für den diagnostischen Wert und für die Un¬
gefährlichkeit der Kutanreaktion immerhin bedeutungsvoll. Hätte der
tuberkulöse Herd hier nicht so zugänglich gesessen, so hätte er sich
(bei den geringen subjektiven Beschwerden) der schulärztlichen Diagnose,
die ja nie mit allen den Hilfsmitteln einer klinischen Anstalt gestellt
werden kann, unter Umständen gänzlich entziehen können!
Berichterstatter hat diese Reaktion in den letzten 2 Jahren bei über
600 Schulkindern, die der Drüsen- oder (seltener) der Lungentuberkulose
verdächtig waren, gemacht, ohne auch nur ein einziges Mal irgend
einen unangenehmen Zwischenfall bisher beobachtet zu haben; auch bei
9 Kindern mit Verdacht auf Knochentuberkulose wurde sie angestellt
und zwar hier stets mit positivem Ergebnis, aber ohne jede nachgewiesene
Herdreaktion.
Bei einer Schülerzahl von rund 20000, wie sie Halle z. Zt. hat,
ist die Zahl der „Skrophulösen usw.“ mit diesen zirka 600 Kindern
natürlich bei weitem nicht erschöpft. Die Reaktion wurde immer nur
in solchen Fällen angestellt, wo für die Beurteilung des Kindes eine
möglichst sichere Diagnose unbedingt erwünscht war, wie z. B. bei der
Wahl einer geeigneten Heilstätte, bei Ratschlägen betr. die Berufswahl
und dergl. Diese Beschränkung war einfach durch die Größe des von
dem Stadtschularzt zu bewältigenden sonstigen Arbeitspensums geboten.
Vereinzelt kommt cs auch vor, daß die Eltern die Anstellung der Reaktion
nicht wdinschen.
Daß im übrigen der Ausfall der Reaktion immer nur unter genauester
Berücksichtigung der sonstigen klinischen Symptome usw. bewertet wird,
bedarf kaum der Erwägung. Autoreferat.
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Referate und Besprechungen.
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Über das Verhalten von Albuminurie und Zylindrurie während des
Kurgebrauches.
Von Dr. Zörkendörfer, Marienbad.
(Vortrag in der Hauptversammlung des Zentral Vereins deutscher Ärzte in Böhmen.
Prag am 16. Dezember 1910.)
Die Zahl der Albuminurien und Zylindrurien unter dem Marien¬
bader Kurpublikum ist ungemein groß; von den im städtischen hygie¬
nischen und balneologischen Institut in Marienbad einlaufenden Harnen
waren 62,2% Albuminurien und Zylindrurien, darunter 40,4% mit Eiweiß
und Zylindern, 15,8% Albuminurien ohne Zylinder und 6,0% Zylindrurien
ohne Eiweiß.
Die Fälle werden in der Mehrzahl als leichtere Formen von
Nierenerkrankungen im Gefolge von Gicht, Diabetes, Arteriosklerose
charakterisiert, sind einer Therapie wohl zugänglich wie aus der Gegen¬
überstellung der wiederholt untersuchten Fälle hervorgeht.
Unter 546 solchen Fällen waren 480 reine Nephritisfälle und 66
mit Blut oder Eiter combinierte (Nephrolithiasis, Pyelonephritis).
Von der ersten Gruppe war in 30% der Fälle vollständiges
Schwinden der Albuminurie zu konstatieren, in 51,2% Rückgang, in
11,5% blieb sie gleich und in 7,3 % trat eine Vermehrung des Eiwei߬
gehaltes ein. Dies ergibt einen Prozentsatz von 81,0% günstig be¬
einflußter Fälle gegenüber 19% unbeeinflußter.
Unter den mit Blut und Eiter kombinierten Fällen betrug die Zahl
der günstig beeinflußten 77%.
Zur Beurteilung der Albuminurie wurden nur die altbewährten,
sicheren Methoden herangezogen. Unsichere Fälle sind aus dieser Statistik
ausgeschaltet und nur anhangsweise abgesondert erwähnt. Sie sind
übrigens meist mit Zylindrurie kombiniert, ebenso wie auch Zylindrurien
ohne jede Eiweißreaktion Vorkommen und ebensohäufig zum Verschwinden
gebracht werden. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Görl (Nürnberg), Die Sterilisierung der Frau durch Röntgenstrahlen.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 1788, 1910.) Die von Albers-Schönberg im
vorigen Jahre propagierte Sterilisierung der Frau durch Röntgenstrahlen,
erfährt durch G ö r l’s Beobachtungen eine dankenswerte Bereicherung. Im
Gegensätze zu ersterem geht G. bedeutend langsamer und mit geringeren
Dosen vor (Vs Erythemdosen). Infolgedessen sind ihm auch abundante
Blutungen erspart geblieben, durch die jener einen Myomfall verloren hat.
Die von G. beobachteten Fälle entsprechen den von Krönig aufgestellten
Indikationen, d. h. es handelt sich um Myom-Fälle, deren Leben infolge
der Komplikationen durch eine Operation aufs höchste gefährdet worden
wäre. Natürlich darf die lange Behandlungsdauer (bis zu 30 Sitzungen)
nicht, außer acht gelassen werden. Ausfallserscheinungen wurden nicht be¬
obachtet, was wohl an dem durchschnittlichen Lebensalter der 9 Pat. liegen
wird (ca. 45 Jahre). Frankenstein (Köln).
O. Jaeger (Kiel), Über die Morbidität im Wochenbett bei vorzeitigem
Fruchttod und bei Syphilis der Mutter. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1826,
1910.) Die weitaus häufigste Ätiologie des vorzeitigen Fruchttodes bildet die
Lues »der Mutter. An dem Materiale der Kieler Klinik zeigte sich, im Gegen¬
sätze zu der Annahme früherer Autoren, daß die Wochenbettsmorbidität bei
vorzeitigem Fruchttode auf mehr als das Doppelte steigt. Es handelte sich
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184 Referate und Besprechungen.
hier meist um Lochiometra, die verhältnismäßig häufig durch Eihautretention
seltener durch Infektion intra partum bedingt war. Ferner zeigte sich aber
auch, daß die Syphilis an und für sich die Wochenbettsmorbidität ganz er¬
heblich steigert. Das liegt wohl an dem Florareichtum luetischer Efflores-
zenzen an der Vulva und an der häufigen Kombination von Lues und Gonor¬
rhöe bei den gleichen Individuen. Immerhin bleiben eine ganze Reihe von
Fällen übrig, bei denen das Wochenbett fieberhaft verlief, ohne daß eine
floride Lues bestand. Wir müssen hier wohl annehmen, daß die luetische
Erkrankung an sich die Widerstandskraft der Kreißenden gegen puerperale
Infektionen herabsetzt. Die Exploration luetischer Kreißenden ist also auch
beim Mangel spezifischer Exkreszenzen an den Genitalien möglichst zu
unterlassen. Frankenstein (Köln).
A. Calvnann (Hamburg), Myom und Glykosurie. (Münchn. med.
Wochenschr., S. 1999, 1910.) Der Zusammenhang zwischen Diabetes und
Geschwulstbildung am weiblichen Genitale ist bis jetzt immer noch nicht
geklärt. Während frühere Autoren diesen Zusammenhang leugneten und aus
Furcht vor dem Coma diabeticum die Operation widerrieten, sah Henkel
dreimal nach der Exstirpation großer Genitaltumoren die vordem bestehende
Glykosurie verschwinden. Henkel meint demnach, daß es eine Intoxika-
tions-Glykosurie gäbe, die ohne Erscheinungen des essentiellen Diabetes,
lediglich durch Genitaltumoren bedingt sei. Demgegenüber führt C. 2 Fälle
an, die der Annahme H.’s widersprechen. Das Wesentlichste der Arbeiten
H.’s bleibt die Erkenntnis, daß zwar die Glykosurie keine Indikation, aber
auch keine Kontraindikation zur Myomoperation abgebe, wie bisher ange¬
nommen. Frankenstein (Köln).
M. Neu (Heidelberg), Ein Verfahren zur Stickoxydulsauerstoffnarkose.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 1873, 1910.) Auf Grund von Tierversuchen,
die von Gottlieb und Madelung durchgeführt worden waren, versuchte
Neu die Sauerstoffstickoxydulnarkose mit Vorbehandlung mittels Morphin
am Menschen. Auf Grund von 30 Narkosen stellt N. als vorläufige Erfah¬
rung hin, daß diese Narkose keine schädlichen Einwirkungen auf Kreislauf
und Atmung zu haben scheint und keine Spätwirkungen entfaltet. Andrer¬
seits erscheint diese Narkose uoch bedeutend ausgestaltbar; wenigstens ist bis¬
her der Apparat zu umständlich, um für weitere Kreise nutzbar zu sein.
Frankenstein (Köln).
K. Amersbach (Freiburg), Eitriger Katarrh der Tube nach Einleitung
des künstlichen Aborts. (Monatsschr. für Geb. u. Gvn., Bd. 32, S. 444.)
Auf Grund der mikroskopischen Untersuchung von 27 Fällen, kommt A.
zu dem für den Praktiker überraschenden Ergebnisse, daß nach Dilatation
der Cervix durch Laminaria bei bestehender Gravidität, selbst bei peinlicher
Asepsis, in einem hohen Prozentsätze der Fälle eine Entzündung der Tuben
auftritt. Sie kann sich zur ausgesprochenen eitrigen Salpingitis und Lym-
phangitis steigern und wird in einem Teil der Fälle durch grampositive
Kokken hervorgerufen, weist aber klinisch keinen bösartigen Charakter auf.
Bei Laminariadilatation am nicht graviden Uterus fanden sich keine Ver¬
änderungen an den Tuben.
Die Wichtigkeit dieser Tatsachen ist für den Praktiker so groß, daß
Ref. bedauert, daß ein klinischer Teil der Arbeit, nebst Angaben über
Sterilisierung der Laminaria, fehlt. Des weiteren wird es nötig sein, darauf
zu achten, ob derartige Tuben Veränderungen sich auch bei Laminariadilatation
abortierender Uteri findet; an und für sich müßten sich in diesen Fällen
noch weit erheblichere Tubenveränderungen zeigen. Frankenstein (Köln).
Hindenberg (Strelitz i/M.), Zu dem Kapitel der unerwünschten Ergotin-
wirkung. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1502, 1910.) Angeregt durch die
Aufsätze von Knapp und Walther macht H. auf unerwünschte Ergotin-
wirkung in Puerperio aufmerksam. Er beobachtete in einem Falle typische
Lochiometrabildung infolge hoher Sekaledosen am dritten Wochenbettstage,
deren Erscheinungen auf Morphium zurückgingen. Wenn auch die Deutung
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von Eintagsfiebern im Wochenbette nie ganz einwandfrei sein dürfte, hält
Ref. diese Beobachtung’ doch für sehr wichtig. Ganz besonders sollte der
Praktiker daraus lernen, daß bei Retentio placentae nicht ganz selten ein
derartiger Spasmus des Orificium internum die Ursache ist und vor der
manuellen Plazentarlösung stets Crede in tiefer Narkose (zur Lösung des
Spasmus) versuchen. Frankenstein (Köln).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
O. v. Herff (Basel). Sophol gegen Ophthalmoblenorrhöea neonatorum
(Conjunctivitis micrococcica catharrhalis). (Münchn. med. Wochenschr.,
S. 1934, 1910.) v. Herff, der unermüdliche Vorkämpfer für den Ersatz
des Argentum nitricum durch Sophol in der Augenprophylaxe der Neuge¬
borenen, veröffentlicht seine fünfjährigen Erfahrungen mit diesem Mittel,
die er an 7500 Kindern gemacht hat. An der Hand einer instruktiven Tabelle
kann er beweisen, daß die Erfolge mit Sophol neunmal besser waren, als
die mit Argentum nitricum. Die Zahl der Frühinfektionen war sogar um
das 16fache herabgesetzt. Diese Tatsachen sind so schlagend, besonders
wenn man die Konstanz der Lösung und die Reizlosigkeit des Präparates,
von dem Ref. sich vielfach überzeugt hat, in Betracht zieht, daß man sich
wundern muß, daß das Sophol nicht schon längst allgemeine Verbreitung
gefunden hat. Für die Hebammenpraxis verdient es am ersten den Vorzug.
Auch therapeutisch scheint es von gutem Nutzen zu sein. Frankenätein (Köln).
W. Birk (Charlottenburg), Beiträge zur Physiologie des neugeborenen
Kindes« (Monatsschr. für Kinderh., Bd. 9, H. 5—6.) Bei geeigneter Ernäh¬
rung ist der Nahrungsbedarf frühgeborener Kinder nicht höher als der des
normalen Kindes. Bisher war man der Ansicht, daß der Nahrungsbedarf höhere
Werte verlange. Birk erklärt die Differenz zwischen der bisherigen und
jetzigen Anschauung damit, daß man immer von den an der Brust genährten
Frühgeburten ausgegangen ist. Dieser Weg ist wohl für die Beobachtung
des normalen Kindes der richtige, aber nicht für die Frühgeburt. Die
Nahrungsmengen, die die Frühgeburt au der Brust zu sich nimmt, bilden
durchaus nicht den Durchschnitt, sondern stellen das Maximum der Nahrungs¬
menge dar. Der Bedarf liegt viel tiefer. 100—110 Kalorien ist als Durch¬
schnittswert aufzufassen. Am geeignetsten erweist sich zur Ernährung
Frauenmilch in dosierten Mengen und Buttermilch.
Die Mischungen mit Vollmilch ließen den Verfasser oft im Stich.
Birk nimmt an, daß das Unterschiedliche der Wirkung von Buttermilch und
Vollmilchmischungen darin liege, daß in der Buttermilch die Kohlehydrate
die Hauptträger der Kalorien sind, in der gewöhnlichen Milch aber das Fett.
Daraus würde sich die Tatsache ergeben, daß beim künstlich ernährten Früh¬
geborenen der Kalorienwert des Fettes vielleicht noch nicht so ausgenutzt
werden kann als vom ausgetragenen Kinde. A. W. Bruck.
Paul-Boncour (Paris), Über die Natur des Pavor nocturnus. (Progr.
med., Nr. 52, S. 689—690, 1910.) Das nächtliche Aufschrecken der Kinder
wird gemeinhin als Zeichen von Nervosität aufgefaßt. Auf Grund seiner
klinischen Beobachtungen kommt jedoch Paul-Boncourt zu dem Resultat,
daß das Symptom nicht immer auf die gleiche Weise bedingt sei. Neben
den rein „nervösen' 4 Formen, wobei sich jeder denken kamn, was er will,
gäbe es auch nicht selten Fälle von Pavor nocturnus als Ausdruck von
meningealen Reizungen. Mitunter sei es möglich, diesen Prozeß, also eine
ganz leichte Form von Meningitis, klinisch zu fassen, wenn z. B. Nacken¬
steifigkeit, Kernig’sches Symptom, Pupillenungleichheit, Pulsunregelmäßig-
keit, gesteigerte Reflexe, Babinski’scher Reflex, Konvulsionen oder gar Trü¬
bungen des Liquor cerebrospinalis vorliegen. In der Mehrzahl der Fälle
freilich entziehe sich die Diagnose unseren derzeitigen Hilfsmitteln; aber
daraus dürfe man nicht schließen, daß keine Hirnhautreizung bestehe.
Prognostisch bedrohe der Pavor nocturnus mehr das intellektuelle als
das somatische Leben. Buttersack (Berlin).
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E. Müller (Berlin-Rummelsburg), Die Blut- und Hämoglobinmenge
und die Sauerstoffkapazität des Blutes bei gesund- und bei blaßaussehenden
Kindern. (Jahrb. für Kinderh., Ergänzungsh., Bd. 72.) Aus den inter¬
essanten Untersuchungsschlüssen sei die Tatsache hervorgehoben, daß aus
der Blässe der Haut und Schleimhäute eine allgemeine Anämie nicht dia¬
gnostiziert werden darf. Denn es besteht die Möglichkeit, daß das blasse
Aussehen dieser scheinanämischen Kinder durch vermehrte Undurchsichtig¬
keit der Epidermis oder durch örtliche Verhältnisse, angiospastische Erschei
nungen usw. hervorgerufen sein kann. A. W. Bruck.
Zappert (Wien), Die Epidemie der Poliomyelitis acuta epidemica
(Heine Medin’sche Krankheit) in Wien und Niederösterreich im Jahre 1908.
(Jahrb. für Kinderh., Ergänzungsh., Bd. 72.) Die Beobachtungen erstrecken
sich über 266 Fälle. Meistens wurden junge Individuen von der Erkrankung
befallen. Alle Bevölkerungsklassen waren daran beteiligt. Die Mortalität
stellte sich auf 10,8°/o- Wie Wickmann unterscheidet Zappe rt 1. die
spinale Form (die häufigste), 2. die zerebrale Form, die sich besonders an¬
der Pons und Medulla ob longa ta lokalisiert, 3. die abortive Form mit
allgemeinen fieberhaften bezw. gastrointestinalen Symptomen, ohne Aus¬
fallserscheinungen seitens des Zentralnervensystems. A. W. Bruck.
Fuchs (W ien), Über die Behandlung tuberkulöser Kinder mit hohen
Tuberkulindosen. (Jahrb. für Kinderh., Bd. 72, November.) F. prüfte die
von Schloßmann, Enge] u. Bauer inaugurierte Methodik der Gewöh¬
nung tuberkulöser Kinder an große Dosen Tuberkulin zwecks Heilung am
Franz Josef-Spital in Wien nach.
Er behandelte Fälle von chirurgischer und anderer Tuberkulose mit
hohen Tuberkulindosen. In der Regel waren 2 Monate nötig, um ein Kind
an die Dosis von 1 g zu gewöhnen. Ein therapeutischer Effekt ließ sich im
Gegensatz zu S c h 1 o ß in a n n’s Fällen nicht erzielen. Ja, es ließ sich mehr¬
fach eine Progredienz des Prozesses während der Behandlung und eine Pro¬
pagation der spezifischen Erkrankung an entfernten Körperstellen konsta¬
tieren. Bei lokaler Injektion von Tuberkulin zeigten sich regelmäßig eigen¬
artige. alarmierende Hautreaktionen. Lungentuberkulose wurde ebenfalls
nicht günstig beeinflußt. A. W. Bruck.
Psychiatrie und Neurologie.
R. Jones (London), Der psychiatrische Unterricht der Studenten und
Ärzte und die Verhütung der Geisteskrankheiten. (Praetitioner, Bd. 85, Nr. G.i
Jones, Lehrer der Irrenheilkunde an der Londoner Universität und Arzt an
einem der größten Londoner Irrenhäuser, erzählt, daß sich 1910 in einem
unter ärztlicher Aufsicht stehenden Arbeitshaus drei schwachsinnige Weiber
befanden, die frei aus- und eingingen und zusammen 11 uneheliche Kinder
hatten, ferner drei andere gesegneten Leibes, darunter eine, die bereits fünf
uneheliche Kinder hatte (die Schwachsinnigen scheinen dort gerade wie bei
uns auf dem Lande quoad coitum vogelfrei zu sein), und führt dies als
Beweis für das geringe psychiatrische Verständnis der Ärzte an. Und dabei
hat England schon 1893, also früher als wir, die Approbation von psychia¬
trischer Vorbildung abhängig gemacht. Jones hat gefunden, daß die An¬
sichten des durchschnittlichen Arztes, was Geisteskrankheiten betrifft, sich
nicht wesentlich von denen des Laien unterscheiden, und das dürfte auch
für Deutschland gelten, wo die psychiatrische Ignoranz auch vor dem Titel
des beamteten Arztes nicht immer halt macht.
Jones meint, es müsse mehr Psychologie studiert werden, Ref. möchte
das in dem Sinne verstanden wissen, daß der Arzt besser wissen sollte, wo
die Geistesstörung anfängt und welches Verhalten in Anbetracht des Alters
und Bildungsgrades als abnorm gelten muß, eine Kenntnis, die nur die Er¬
fahrung geben kann, nicht die wissenschaftliche Psychologie, ein geistiger
Sport ihrer Dozenten und ohne Einfluß auf das praktische Leben.
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„Es ist traurig, daß eine .der Folgen des Fortschritts Zunahme der
Geisteskrankheiten ist.“ Deshalb sollte man diesem „Fortschritt“, d. h.
dem sozialen und besonders industriellen Umschwung des letzten Jahr¬
hunderts unter die Augen leuchten und erkennen, daß er, solange man seine
Probleme nicht besser löst, eben kein Fortschritt ist.
Mit Recht betont J., daß man das Verantwortlichkeitsgefühl in Dingen
der Fortpflanzung wecken müsse, so wie es unsere Gesellschaft für Rassen-
hvgiene zu tun sich bemüht. Leider werden diese Bestrebungen nur bei
einem sehr kleinen Teil der Menschheit Erfolg Jiaben und daran leiden, daß
die Kenntnis der Erblichkeit mangelhaft ist und bleiben wird.
Im Interesse der Ausbildung der Ärzte wünscht J., daß alle Irrenhäuser
Studenten als Assistenten annähmen, gewiß ein beachtenswerter Vorschlag.
Leider wird der Betrieb dieser Anstalten durch die Anwesenheit Wissens -
durstiger nicht erleichtert. Fr. von den Velden.
L. Syllaba (Prag), Die Prognose der Basedowschen Krankheit. (Ther.
der Gegenwart, Nr. 11, 1910.) S. faßt sein Urteil über die nichtchirurgische
Behandlung des M. Basedowii in den Satz zusammen: Alles hilft und alles
versagt: d. h. also: es ko!mmt nicht auf das Mittel an, sondern auf den
Arzt, entsprechend der alten Regel: medica mente, non medicamentis.
Gegen die imposanten Heilungszahlen der Operateure bringt er ver¬
schiedene Zweifel vor. Nicht wenige Fälle sterben einige Zeit nach der
Operation oder bekommen Rezidive. Da aber niemand länger als dringend
notig in einer chirurgischen Klinik bleibt, geraten diese Fälle sehr häufig
unter die „Geheilten“. Trotz allen chirurgischen Statistiken sprechen sich
manche erfahrene Internisten, wie Strümpell und Oppenheim, über das
Operieren sehr vorsichtig aus.
S. fordert zu einer statistischen Verwertung der innerlich behandelten
Fälle auf, damit man den Zahlen der Chirurgen Zahlen der Internen gegen¬
überstellen könne. Ref. erwartet davon nicht viel, denn die Subjektivität
spielt bei der Beurteilung eine allzu große Rolle. Er beobachtet z. B. seit
Jahren einen einst schweren Fall von Basedow, der alle typischen Be¬
schwerden verloren hat und gesund und recht leistungsfähig ist, dabei ist
aber der Herzschlag arythmiech und der Hals durch einen stattlichen Kropf
geziert. Ist ein solcher Fall nun eigentlich geheilt ? Im Sinne des Manns
der Wissenschaft natürlich nicht, der Praktiker aber läßt sich dadurch in
seiner Befriedigung nicht stören und teilt die Ansicht der Kranken, daß
sie in praktischer Hinsicht geheilt sei. Fr. von den Velden.
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
C. Dopter (Paris), Hirnhautreizung bei Parotitis epidemica. (Paris
medical, Nr. 2, S. 35—42. Dezember 1910.) Der Bacillus scriptorius wütet
allenthrilben mit bewundernswerter Heftigkeit. Während sonst der Gang
der Epidemien ein Anschwellen und ein Nachlassen aufweist, fehlt das letztere
Stadium bei der Schreibwut völlig, oder ist wenigstens noch nicht erreicht.
Im allgemeinen bildet sich im Laufe der Epidemien eine Art von Immunität
bei der Bevölkerung heraus, sogar die Syphilis hat ihren bösartigen Charakter
verloren. Wie die Sache bei der Mania scribendi epidemica sich verhält,
scheint noch zweifelhaft zu sein. Immerhin bestehen Anzeichen dafür, daß
allmählich wenigstens beim lesenden Publikum sich Immunitätserscheinungen
gegen die Infektion mit Druckerschwärze, Zeitschriften und gegen die
neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse einstellen. Das beweisen die Be¬
mühungen der Redaktion der neuen Zeitschrift: Paris medical, die ein¬
zelnen Menschen durch Prämien, Bons und Preisermäßigungen bei einer Reihe
von Pariser Geschäftshäusern empfänglich für die Aufnahme des neuen Giftes
zu machen. (Gift ist natürlich im Sinne des mittelhochdeutschen Wortes
= Gabe gebraucht.)
Im übrigen enthält der Artikel von Dopter manche interessante An¬
regung. Er macht darauf aufmerksam, daß sich bei Mumps viel häufiger
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als man denkt, Lymphozytose des Liquor cerebrospinalis, d. h. entzündliche
Reizerscheinungen finden und teilt mit, daß er in den letzten fünf Jahren
unter 1705 Mumpskranken 158 Meningitiskomplikationen gehabt habe. Sie
treten zumeist mit der Orchitis zugleich auf und äußern sich — wenn über¬
haupt — in hohem Fieber, heftigem Kopfschmerz, Nackensteifigkeit, Er¬
brechen, Bradykardie, Pupillenungleichheit und Druckempfindlichkeit der
Bulbi. Diese bedrohlichen Symptome dauern einige Tage und verschwinden
dann mit und ohne Therapie ebenso schnell wie sie gekommen. Nur selten
führen sie zum Exitus, etwas häufiger zu allerlei Lähmungserscheinungeu
in den verschiedensten Gebieten. Doch dauern auch diese nicht an, fast immer
gleichen sie sich nach einigen Monaten wieder aus; nur die Labyrinthtaubheit
und Sehnervenatrophie scheinen dauernd bestehen zu bleiben. Sonst tritt
nach der Meinung von Dopter Restitution complete ad integrum ein. —
Das mag klinisch der Fall sein. Allein ob auch histiologisch wieder die
alten Verhältnisse eintreten, erscheint mir doch fraglich. Wenn man sich
daran erinnert, wie häufig an den Rückenmarkshäuten Trübungen und Ver¬
dickungen gefunden werden, erscheint es gerechtfertigt, diese Frage zu ver¬
neinen. Die Anatomen erklären zwar diese Trübungen usw. für bedeutungs¬
los, überschreiten aber damit ihr Gebiet. Für die Biologie müßte jedenfalls
erst bewiesen werden, daß die Trübungen wirklich bedeutungslos sind. Viel
wahrscheinlicher ist es, Störungen in den nervösen Funktionen darauf zu
beziehen, und nichts spricht dagegen, eine Anzahl von typischen Rücken¬
markserkrankungen als die Folgen des damals eingeleiteten, langsam fort¬
schreitenden Prozesses zu beziehen.
Natürlich gilt dieser Gedanke nicht bloß für den Mumps, sondern für
alle Infektionskrankheiten. Buttersack (Berlin).
H. Bourgeois (Paris), Nystagmus als Wärmereflex vom Ohr aus. (Pro-
gres medical, Nr. 51, S. 681—683, 1910.) Läßt man kaltes oder warmes
Wasser durch den äußeren Gehörgang fließen, tritt Nystagmus auf, offenbar
als Reflex vom Vestibulum bzw. den Bogengängen aus.
Diese Beobachtung ist auch in Deutschland genügend bekannt und
bestätigt worden. Im vorliegenden Aufsatz faßt Bourgeois die mit diesem
Reflex gemachten Erfahrungen zusammen. Beim Gesunden löst man ihn
am leichtesten und deutlichsten aus, wenn der Pat. den Blick von der durch-
spülten Seite abwendet. Normaliter tritt er 20 bis 45 Sekunden nach Beginn
der Spülung auf und dauert 45 bis 110 Sekunden. Aus dem früheren oder
späteren Eintritt kann man nichts schließen, wohl aber ist wertvoll, daß sich
bei jedem einzelnen beide Ohren gleich verhalten; man hat somit immer
eine natürliche Kontrolle zur Hand.
Tritt der Reflex verfrüht auf, so handelt es sich entweder um eine
Übererregbarkeit oder um eine Perforation des inneren Ohres nach dem
Gehörgang. Bei chronischen Eiterungen im Mittelohr erlischt der Reflex,
ebenso bei nichteitrigen Labyrintherkrankungen nach Meningitis, Lues; man
kann daran den fortschreitenden Krapkheitsprozeß bzw. die Heilung ver¬
folgen.
Bei Taubstummen entspricht der Reflex in seiner Stärke dem Rest von
Hörschärfe. Bei sklerotischen Prozessen im inneren und im Mittelohr versagt
der Reflex; dagegen ist er bei Kopfverletzungen von großem Wert, um zu
erkennen, ob das Labyrinth gelitten hat oder nicht. Zur Entlarvung von
simulierter Taubheit nützt er nichts. Buttersack (Berlin).
Calamida (Mailand), Halsabszesse otitisdien Ursprungs. (Arch. int.
de laryng., Bd. 30, H. 2, 1910.) Die bekannteste Form äußerer Abszesse
nach Mittelohreiterung ist die Bezold’sche Mastoiditis, eine Ansammlung
unter dem Sternokleidomastoideus nach Durchbruch an der medialen Seite
des Warzenfortsatzes. Seitdem sind die verschiedenen Abszesse Gegenstand
allgemeineren Studiums geworden. Man kann unterscheiden: Entstehung
auf dem Lymphwege, auf dem Blutwege, durch den Knochen hindurch; bei
der letztgenannten Art der Ausbreitung folgt die Entzündung der normalen
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Referate und Besprechungen.
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Öffnungen und Spalten des Schädels oder sucht sich dünne Stellen in der
Tabula externa des pneumatischen Knochens. Es entstehen dementsprechend
1 . Drüsenabszesse, ausgehend von der Glandulae praeauriculares und
retromastoideae; auch chronische Abszesse kommen vor. — 2. Venenab¬
szesse; kommt es zur purulenten Erweichung im Innern der Vene (Throm¬
bophlebitis), so überwiegen die pyämischen Allgemeinsymptome über die
lokalen. Jedoch kommen auch periphlebitische Phlegmonen und Abszesse
an der V. jugularis (unter dem Sternokleido und am Kieferwinkel) sowie
an der V. mastoidea und oecipitalis (in der Regio nuchae prof.) vor. —
3. Abszesse durch direktie Ausbreitung sind nur selten oberflächlich.
Man hat zu unterscheiden: a) die Bezold’sche Mastoiditis; b) Abszesse der
Regio re/tromaxillaris, oft mit Fazialislähmung; c) retropharyngeale
und seitliche Pharytixabszesse, erstere nur bei kleinen Kindern; letz¬
tere. häufiger und wichtiger, drängen, im Gegensatz zum Tonsillarabszeß,
die großen Gefäße nach innen, verursachen Schluck- und Atemstörungen
sowie Vaguskompression. Sie sind am besten durch bimanuelle Palpation
erkennbar; bei Druck entleert sich oft Eiter aus dem Gehörgang, d) Der
intervertebro-digastrische A. (Goris) verursacht typische Schmerz¬
punkte durch Druck auf die Nv. occipitales major und minor; der Kopf wird
nach der kranken Seite und nach oben gedreht und nicht bewegt; zugleich
besteht starke Kieferklemme und Dysphagie, e) Die Abszesse der Nacken -
region verursachen Nackensteifigkeit und heftige Schmerzen. — Die unter
a—(1 genannten Abszesse senken sich zum Mediastinum herab, wenn sie nicht
rechtzeitig geöffnet werden; die unter e verbreiten sich längs den hinteren
Rückenmuskeln, bisweilen sogar in der Tiefe längs den vorderen bis in die
Lumbalregion hinab. Arth. Meyer (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
A. Howell (Cardiff). Primäre Diphtherie der Harnröhrenmündung.
(Practitioner, Bd. 85, Nr. 5.) In der entzündeten Harnröhrenschleimhaut
eines 9jähr., sonst gesunden Mädchens wurden Diphtheriebazillen nachge¬
wiesen, irgendeine Quelle der Infektion ließ sich nicht auffinden. Daß an
Rachendiphtherie erkrankte Mädchen auch in der Harnröhre erkranken, ist
in Amerika nichts Ungewöhnliches, aber der vorliegende Fall scheint ein
Unikum zu sein. Fr. von den Velden.
Legueu (Paris), Ersatz der Urethra perinealis durch Scheidenschleim¬
haut. (Soc. de Chirurgie, 14. Dezember 1910. — Bull, med., Nr. 100, S. 1153,
1910.) Tan ton hat vor kurzem eine Urethra durch eine Vene ersetzt. Dies¬
mal verwendete er bei einem Pat. mit alten, mehrfach operierten Strikturcn
ein Stück Vaginalschleimhaut, welches Legueu bei einer Kolpoperineorrhaphie
exzidierte: und zwar mit vollem Erfolg. Buttersack (Berlin).
Garrin und Laurent, Zur Bewertung der Wassermann’schen Reaktion.
(Lyon medical, 1910. — Bull, med., Nr. 97, S. 1115, 1910.) Einen nicht genug
zu beherzigenden Gedanken sprechen die beiden Chirurgen — allerdings zu¬
nächst nur für ihr Spezialgebiet — aus: Es mag sein, daß die Wassermann -
sehe Reaktion einen sicheren Indikator der Syphilis darstellt. Aber daraus
folgt noch nicht, daß die vorliegende Krankheit syphilitischer Natur ist.
Vom Tuberkelbazillus wissen wir, daß er von der übergroßen Mehr¬
zahl aller Menschen beherbergt wird; aber es fällt deshalb keinem. Arzt
ein, irgendein Leiden, das den Pat. zu ihm führt, a priori für tuberkulös
anzusprechen.
Umgekehrt würde es sich sehr empfehlen, angesichts einer Leber-
kirrhosc eine früher überstandene Typhus- oder Scharlachinfektion in den
Kreis der Betrachtungen zu ziehen. Buttersack (Berlin).
L. Brocq (Paris), Spontanheilung syphilitischer Geschwüre. (Bullet,
medical, Nr. 99, S. 1141—1143, 1910.) Verf. hat auf seiner Abteilung 1 im
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Referate und Besprechungen.
Hopital Saint- Louis einige Fälle von syphilitischen Geschwüren beobachtet,
welche unter indifferenten Verbänden mit und ohne interne Behandlung
überraschend schnell heilten. Er meint infolgedessen, es ließen sich die
fatalen Späterscheinungen der Lues durch eine sorgfältige Allgemeinhygiene
vermeiden; dazu rechnet er Hautpflege, gute Ernährung, Schonung des Kör¬
pers und namentlich des Geistes, totale Abstinenz von Alkohol und Tabak.
Freilich, eines schickt sich nicht für alle. Aber daß die von Brocq
betonten Faktoren von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, dürfte
jedem einleuchten. Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
A. Mühsam (Berlin), Zur Bewertung des Jothions in der Laryngo-
logie. (Die Therapie der Gegenw., Heft 11, 1910.) Seit einiger Zeit ver¬
wendet Verf. an Stelle der Lugol’schen und Mandlschen Lösung, die be¬
kanntlich das Gewebe stark färben, oft Reizerscheinungen hervorrufen und
einen unangenehmen Geschmack besitzen, eine 4°/oige Jothion-Glyzerin -
Mischung. Diese wasserhelle Flüssigkeit wird mit einer mit Watte
armierten Tamponschraube nach Hartmann auf die hintere Rachenwand
sowohl im nasalen wie oralen Teile aufgetragen. Der therapeutische Effekt
ist der gleiche wie bei den oben erwähnten Lösungen. Die Verordnung
lautet folgendermaßen: Jothion 2 g, Glyzerin ad 50 g. M. I). S. Umschütteln.
Neuimanji.
A. Loewy (Berlin), Über die Wirkung des Pantopons auf das Atem¬
zentrum. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Durch Bestimmung
der Zunahme des Atemvolums bei Steigerung des Kohlensäuregehalts der
Inspirationsluft bei Menschen und Hunden war früher bestimmt worden,
wie groß die Erregbarkeit des Atemzentrums auf den Reiz der Kohlensäure
unter normalen Verhältnissen und unter der Einwirkung von Medikamenten
ist. Normalerweise läßt Zufuhr von mehr Kohlensäure die Atmung tiefer
werden, und zwar bei verschiedenen Individuen um ziemlich konstante Be¬
träge. Eine Reihe von narkotischen Mitteln, z. B. Chloralhydrat, Amylen-
hydrat, Chloralforinamid und Kodein veränderten die Erregbarkeit des At-
mungszentruins bei diesen Versuchen nicht, während Morphium sie erheblich
herabsetzte. Die Einwirkung des Pantopons, das ja außer Morphium auch
die andern Alkaloide des Opiums enthält, wurde in genau gleicher Weise
geprüft, wobei es sich ergab, daß das Medikament beim Hunde die Erregbar¬
keit. des Atemzentrums gar nicht, beim Menschen nur in sehr geringem
Grade herabsetzt, viel weniger, als es der im Pantopon enthaltenen Morphium-
menge entsprechen würde. Es muß also Substanzen enthalten, welche stimu¬
lieren und so die die Erregbarkeit herabsetzende Wirkung des Morphiums
großenteils aufheben. R. Isenschmid (Heidelberg).
J. Finckh (Nordend b. Berlin), Klinische Erfahrungen mit Adalin.
(Med. Klinik, Nr. 47, 1910.) Verf. hat an zwei Gruppen von Versuchs¬
personen, Geisteskranken und geistig Normalen, seine Untersuchungen durch-
geführt, und zwar hinsichtlich der Erzielung einer sedativen wie auch
einer hypnotischen Wirkung des Mittels. Da die Ausscheidung aus
dem Organismus ziemlich schnell vor sich geht, so empfiehlt es sich für die
Erreichung einer sedativen Dauerwirkung Doses refractae von 0,25—0,5 vier¬
mal über den ganzen Tag verteilt zu verabfolgen. Nebenwirkungen auf
Magen, Darm, Herz und Nieren kamen nie zur Beobachtung; auch nicht
bei Patienten mit krankhaften Änderungen des Kreislaufsystems. Bei hallu¬
zinatorisch Erregten war die Wirkung nicht immer gleichmäßig, während
die Beruhigung bei motorischen Erregungen der Dementia praecox-Kranken,
bei Manie und senilen Delirien deutlich in die Erscheinung trat. Zur Er¬
zielung eines hypnotischen Effektes bei Paralytikern usw. zieht Verf. eine
einmalige größere Dosis vor; nach 1 g Adalin schlafen die Kranken ca.
7 Stunden und klagen nach dem Erwachen nie über Nebenwirkungen. Bei
der zweiten Gruppe, den geistig Normalen, reicht meist eine Dosis von 0,5
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Bücherschau.
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aus. Unruhe, Angst, nervöses Herzklopfen sowie nervöse Begleiterschei¬
nungen bei der Menstruation gingen nach Gebrauch des Mittels prompt
zurück. Neumann.
Görges (Berlin), Über Eisensajodin. (Deutsche med. Wochenschr., Nr.
36, 1910.) Für die Prüfung des Mittels wählte der Verf. nur Fälle von reiner
Skrofulöse aus. Die Kinder, denen gewöhnlich 2—3 Tabletten pro die nach
den Mahlzeiten gegeben wurden, zeigten bereits nach Ablauf einer Woche
eine bedeutende Besserung im Aussehen und Allgemeinbefinden. Die Ge¬
wichtszunahme innerhalb eines Zeitraumes von acht Tagen betrug mitunter
drei Pfund. Unangenehme Nebenwirkungen seitens des Magens oder Erschei¬
nungen von Jodismus traten nie auf. Das Mittel wurde gern genommen und
bildet daher einen vorzüglichen Ersatz für Jodeisensirup und Jodelia. Außer
den Tabletten befinden sich auch ein Eisensajodinlebertran und eine Eisen-
saiodinemulsion im Handel. Neumann.
P. Cohn (Berlin), Eisensajodin in der Augenheilkunde. (Med. Klinik,
Nr. 42, 1910.) In einem kurzen Referat über seine Beobachtungen bei äugen-
kranken Kindern kommt der Verf. zu dem Schlüsse, daß wir in dem „Eisen¬
sajodin' ein gut verträgliches, wohlschmeckendes Eisenjodpräparat besitzen,
das bei längerem Gebrauch bei skrofulösen Kindern von vorzüglicher Wir¬
kung auf das Allgemeinbefinden und demgemäß auch auf lokale skrofulöse
Augenaffektionen ist, und das daher allen Fachgenossen bestens empfohlen
werden kann. Neuniann.
Bticherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
i. Bauer, Annalen der städtischen allgemeinen Krankenhäuser zu München. Im
Verein mit den Ärzten dieser Anstalten. Band 14, 1906—1908. Mit 4 Dreifarben¬
druckbildern und 13 schwarzen Abbildungen auf 9 Tafeln und 12 Textabbildungen.
München 1910. Verlag von J. F. Lehmann. 491 S. 14 Mk.
E. Bäumer, Constantin Brunner über die Prinzipien der Wissenschaft und der
Aberglaube in der modernen Medizin. München 1911. Verlag der ärztlichen Rund¬
schau (Otto Gmelin). 88 S. 2 Mk.
F. Brunning, Die traumatische Blinddarmentzündung. Mit 7 Textfiguren. Aus der
Sammlung klinischer Vorträge. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 1,50 Mk.
O. Burwinkel, Der Arzt als Erzieher. Heft 1: Die Herzleiden, ihre
Ursachen und Bekämpfung. Gemeinverständliche Darstellung mit einer Ab¬
bildung im Text. 13.—15. vermehrte und verbesserte Auflage. München 1911.
Verlag der ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 58 S. 1,50 Mk.
H. Chiltenden, Ökonomie in der Ernährung. Übersetzt von Hofrat Dr. Suchier.
München 1910. Verlag der ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 32 S. 1,50 Mk.
Deutsches Arzneibuch. 5. Ausgabe 1910. Berlin 1910. R. v. Decker’s Verlag
(G. Schenk, Königl. Hofbuchhändler). 680 S. 3,90 Mk.
P. Ehrlich, Abhandlungen über Salvasan. Gesammelt und mit einem Vorwort und
Schlußbemerkung herausgegeben. München 1911. Verlag von J. F. Lehmann. 402 S.
W. Fließ, Über ursächlichen Zusammenhang von Nase und Geschlechtsorgan. Zu¬
gleich ein Beitrag zur Nervenphysiologie. 2. vermehrte Auflage. Halle 1910. Verlag
von Carl Marhold. 60 S. 1,50 Mk.
A. Fournier, Hereditäre Syphilis, deren Prophylaxe und Therapie. Übersetzt von
E. Neu mann. Mit 18 Abbildungen und einem Nachwort über Ehrlich Hata 606.
Dresden 1910. Verlag von Theodor Steinkopff. 80 S. 2,50 Mk.
E. Gero, Eheschließungs- und Trennungsfreiheit in Ungarn. Selbsverlag. 47 S. 1 Krone.
P. Jansen, Die Urogenitaltuberkulose. Aus der Sammlung klinischer Vorträge.
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 2,25 Mk.
A. Jesionek, Mracek s Atlas und Grundriß der Hautkrankheiten. 3., teilweise
umgearbeitete und erweiterte Auflage. Mit 109 farbigen Tafeln und 96 schwarzen
Abbildungen. München 1911. Verlag von J. F. Lehmann. 418 S. 18 Mk.
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E. Lesser, Die Technik der Salvasanbehandlung von Tomascyevski. Mit einem
Vorwort vom Herausgeber. Mit 7 Abbildungen. Leipzig 1911. Verlag von Georg
Thieme. 30 S. 1,20 Mk.
E. London, Das Radium in der Biologie und Medizin. Mit 20 Abbildungen im Text.
Leipzig 1911. Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. 109 S.
0. Müller u. E. Veiel, Beiträge zur Kreislaufphysiologie des Menschen, besonders
zur Lehre von der Blutvergiftung. Studien an Wasser-, Kohlensäure- und Sauerstoff¬
bädern verschiedener Temperatur. 1. Teil. Aus der Sammlung klinischer Vorträge.
Leipzig 1910. Verlag von Job. Ambr. Barth. 2,25 Mk.
F. Schilling, Die Mundkrankheiten (Stomatologie). Aus den Würzburger Abhand¬
lungen. Wiirzburg 1910. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 41 S. 85 Pfg.
F. Schilling, Die Zelluloseverdauung hei dem Menschen. Aus dem Archiv für
Verdauungskrankheiten. Berlin. Verlag von S. Karger.
K. Stokar, Die Syphilisbehandlung mit Salvasan (Ehrlich-Hata 606) nebst einer
systematischen Zusammenfassung der bisher veröffentlichten Literatur. München 1911.
Verlag von J. F. Lehmann. 40 S- 1,20 Mk.
M. Wolf u. F. Fleischer, Nova therapeutica. Führer durch das Gebiet der
neueren Arznei- und Nährmittel zum Gebrauch für den praktischen Arzt. Berlin
1910. Vereinigte Verlagsanstalten Gustav Braunbeck und Gutenberg-Druckerei A.-G.
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bei ihrem Gebrauch für Patienten und dem bedienenden Personal jede Gefahr
der Beschädigung durch den elektrischen Strom aiisschließen. Die Erwärmung der
Bedaf-Binden usw. für Starkstrom erfolgt durch
Anschluß an die Lichtleitung mittels eines die
Temperatur regelnden Vorschaltwiderstaudes; die
Erwärmung der Bedaf-Binden und -Kompressen
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mulator von 8 bis 12 Volt und einer größeren
Kapazität.
Mittels dieser Bedaf-Binden und -Kompressen
vermag man ebensowohl trockene, als auch
feuchte Wärme bis zu H0° C zur Applikation zu
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pressen als Elektroden geliefert, mittels welcher
man die elektrischen Vier-Zellenbäder zu er¬
setzen vermag.
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toren harrt noch der exakten Beantwortung. Nichtsdestoweniger
möchte sie wohl niemand vermissen, der ihre Wirkung kennen gelernt
hat. — Das gleiche hat Neumann von der Rachitis gezeigt. Denn wäh¬
rend die Arbeiten der letzten Jahre sich fast ausschließlich auf die
medikamentöse Behandlung der Rachitis einließen, ist es Neumann’s
Verdienst, den hygienischen Faktoren neben den medikamentös-thera¬
peutischen ihre volle Existenzberechtigung erkämpft zu haben.
Die Frage nach der Ätiologie der Rachitis liegt außerhalb
des Rahmens dieser Arbeit; sie soll im folgenden auch nur dann kurz
berührt werden, wenn die betreffende Auffassung zum Verständnis
der daraus resultierenden Therapie direkt nötig wird. — In der jüngsten
Zeit sind eine Anzahl von Arbeiten erschienen (Aron, Dibbelt,
Sch ab ad), welche dem Kalkhunger in der Ätiologie der Rachitis ein
überwiegendes kausales Moment zusprechen. Die natürlichste Folge
dieser Ansichten ist der Vorschlag, bei der Behandlung der Rachitis
eine größere Zufuhr von Kalksalzen anzuwenden. Nun hat o-ber die
klinische Beobachtung schon längst gelehrt, daß es keineswegs durch
alleinige Darreichung von Kalksalzen gelingt, eine Rachitis zur
Heilung zu bringen. Von diesem Fehler, der alleinigen Beschuldigung des
Kalkmangels in der Nahrung und der darauf gegründeten Empfehlung
therapeutischer Kalkzufuhr hat sich von den oben erwähnten drei
Autoren nur Schabad freigehalten. Dieser Autor hat die alte thera¬
peutische Wichtigkeit des Phosphorlebertrans anerkannt und nachge¬
wiesen, daß die Verabreichung dieses Medikamentes allein schon zur
Kalkretention führt. Und in der letzten Zeit hat Dibbelt, bisher
Verfechter der Hypothese von der Entstehung der Rachitis durch
reinen Kalkmangel, zugeben müssen, „daß der primäre Kalkmangel
mittleren Grades allein nicht zu den Veränderungen führt, welche wir
bei der Rachitis zu sehen gewohnt sind.“ Da dieses Zugeständnis ohne
weiteres die Empfehlung der ausschließlichen Kalktherapie der
Rachitis hinfällig macht, so mag es genügen, im obigen Exkurs
auf die Empfehlung dieser Therapie hingewiesen zu haben. —
Wenn auch die bisherige Rachitistherapie eine empirische gewesen
ist, so verbietet uns doch nichts, bei der Behandlung auch auf dasjenige
Rücksicht zu nehmen, was uns die klinische Beobachtung als die Ent¬
stehung dieser Krankheit begünstigend gezeigt hat. Die Pädiater sind
sich jetzt wohl darüber einig, daß in der überwiegenden Mehrzahl der
Fälle eine Überfütterung die Rachitis hervorruft. Nur über die
Art und Weise der Überfütterung hat man sich noch nicht ge¬
nügend Klarheit zu verschaffen vermocht. Während die eine Seite
die Behauptung aufstellt, daß eine alleinige Milchüberfütterung
in Frage komme, steht auf der anderen Seite die Behauptung von der
schädlichen Wirkung der Mehlüberfütterung, und wieder andere
Autoren sehen in jeglicher Art der Überernährung die Ursache der
Rachitis. Wenn es auch sehr schwer fällt, beiden auf den Stoffwechsel
des Säuglings ja ganz entgegengesetzt wirkenden Ursachen (cf. Mil eh-
im Gegensatz zum Mehl nährschaden) die gleiche Wirkung (was das
Endresultat — Entstehung der Rachitis — anlangt) zuzuschreiben,
so mußten trotzdem die verschiedenen Meinungen hier Erwähnung finden,
weil es noch nicht gelungen ist, für die eine oder die andere so vollgültige
Beweise zu erbringen, daß sie allgemein anerkannt worden wäre. Es
bleibt mithin dem behandelnden Arzte überlassen, sich aus der Anamnese
des betreffenden Patienten ein Bild darüber zu machen, welcher Art
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Die Therapie der Rachitis.
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die Überfütterung gewesen ist, an der der Patient gelitten hat, und sich
aus diesen an amnestischen Angaben heraus die Therapie zurecht zu legen.
Zwar kann ja eine Überfütterung im allgemeinen sowohl eine
Mehl- als auch eine Milchüberernährung sein, aber fast immer wird
sie doch nur den einen Hauptbestandteil der Nahrung treffen. Und
gerade in diesen letzteren Fällen wird es dem Arzte ziemlich leicht
fallen, den durch Überfütterung schädigenden Nahrungsbestandteil
herauszufinden. Nur ein Punkt sei hier nochmals betont. Bei der
Überfütterung mit Mehlen ist es gerade wegen der so sehr verschiedenen
Toleranzbreite der Säuglinge gegenüber diesen für den Säugling ja nicht
physiologischen Kohlehydraten äußerst schwer, den Punkt festzulegen,
an dem eine Überfütterung beginnt, d. h. ein individuell zu großes
Maß von Kohlehydraten verabfolgt worden ist. Denn dieses individuell
zu große Quantum von Kohlehydraten ist bei vielen Säuglingen schon
eine so geringe Menge, daß sie (nur als Quantität betrachtet), yon
manchem noch nicht als Überfütterung angesehen würde. Dieser Punkt
muß insbesondere dort berücksichtigt werden, wo cs sonst nicht ge¬
lingt, eine anderweitige Überfütterung festzustellen, d. h. wo weder
zu viel Milch, noch scheinbar zu viel Mehl gegeben worden sind. In
diesen Fällen sind es zumeist die Kohlehydrate (Mehl, eventuell auch
Rohrzucker), deren Menge das individuelle Maß übersteigt.. Verfasser,
der schon früher seinen Standpunkt der ätiologischen Wirkung der
Überfütterung mit Mehlen vertreten hat, ist der Ansicht, daß ein
Zuviel an Milch viel eher zu einem Milchnährschaden oder bei ge¬
gebener Disposition zur Spasmophilie wird führen können, als daß
es das Auftreten rachitischer Veränderungen veranlaßt. —
Es soll damit nicht näher auf die Beziehungen zwischen Rachitis
und Spasmophilie eingegangen werden. Beide Affektionen werden ja
so oft kombiniert angetroffen, daß man sie früher vielfach als von
ein und derselben Ursache ausgehend ansah, ein jetzt als völlig über¬
wunden geltender Standpunkt. Wohl ist besonders die medikamentöse
Therapie beider Leiden eine ähnliche, aber nichtsdestoweniger müssen
wir ihre Entstehungsursachen scharf von einander trennen. Für die
Spasmophilie kommen nach Finkeistein die Molkensalze der Kuh¬
milch ätiologisch in Frage, ein Faktor, der bei der Entstehung 4 er
Rachitis sicherlich kaum eine Rolle spielen dürfte. Nun braucht ja die
Finkei stein’sche Annahme nicht ohne weiteres anerkannt zu werden,
denn es gelingt z. B. auch bei spasmophilen Kindern, bei Beginn der
Wiede rer näh rung mit Kuhmilch große Mengen von unverdünnter, also
die vollen Molkenbestandteile enthaltender Buttermilch zuzuführen, ohne
daß ein Rezidivieren der spasmophilen Zustände dadurch verursacht
würde. Nichtsdestoweniger erreicht man bei der manifesten schweren
Spasmophilie mit einer reinen Mehldiät, also dem Gegenteil der bei
Rachitis indizierten Diät, meist eine schnelle Besserung. Ohne aber
auf die Ursachen der Spasmophilie eingehen zu wollen, mag hier die
obige Bemerkung genügen, welche die Unsicherheit unseres kausalen
Wissens auch der Spasmophilie gegenüber beweist. —
In jedem Falle erscheint es, um auf die Therapie der
Rachitis zurückzukommen, indiziert, eine Regulierung der Ernäh¬
rung (neben den anderen therapeutischen Faktoren) einzuleiten und
als Hauptpunkt hierzu die möglichste Herabsetzung der Mehlzufuhr
(eventuell auch der Rohrzuckerdarreichung) zu berücksichtigen. Schon
allein auf diese Weise gelingt es, in manchen Fällen rein ernälirungß-
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therapeutisch eine Heilung herbeizuführen. Welcher Art diese Nah¬
rungsregulierung ist, das muß in jedem einzelnen Falle individuell je
nach dem Ernährungszustände und dem Alter des Kindes sich ergeben.
Hier können nur allgemeine Gesichtspunkte berührt werden. Wenn
irgendwie möglich, so wird man versuchen müssen, dem betreffenden
Kinde, besonders wenn es sich um einen jüngeren Säugling handelt,
die Brust darreichen zu lassen. Die Mutterbrust, das lehrt uns die
tägliche Praxis, ist auf alle Fälle das beste Prophylaktikum
und Therapeutikum gegenüber der Rachitis (auch heute noch, trotz
der Versuche einiger reinen Theoretiker, die Frauenmilch in dieser
Beziehung diskreditieren zu wollen). — Da wo eine natürliche Ernäh¬
rung nicht durchführbar ist, wird uns bei der Aufstellung der N&h-
rungsquantitäten für die künstliche Ernährung die genaue Berechnung
der nötigen Kalorienzahl (unter strenger Reduzierung der Mehle) leiten.
Leichter wird uns die Aufstellung eines Diätzettels bei Rachitikern nach
dem sechsten Lebensnionat. Hier werden wir vor allem versuchen, reich
aschehaltige Nahrungsmittel zuzuführen, und als solche sind besonders
die verschiedenen Gemüsearten (neben Obst — Kompott) zu nennen.
So ziemlicli jedes Gemüse, insbesondere aber die grünen Gemüse (und die
Karotten) werden hier gern gegeben. Man wird jedoch auch hier aus den
oben schon an gedeuteten Gründen die mehlhaltigen Gemüse (Kar¬
toffeln usw.) nicht in erster Linie und in nicht allzu großer Menge
geben. (Es sei an dieser Stelle auf ein kleines Mißverständnis hinge¬
wiesen, dessen Klärung sich schon aus dem oben gesagten ergibt. Wenn
bei der Therapie der Rachitis von vielen Seiten auf den Wert der Kohle¬
hydrate hingewiesen wird, so ist darunter die Zufuhr von Gemüsen
beim älteren Kinde gemeint. Nicht, aber die Ansicht, daß beim jüngeren
Säugling, dem noch keine Gemüse verabreicht werden können, nach
Möglichkeit Mehle gegeben weiden sollen. Im Gegenteil. Auch beim
älteren Kinde führt eine überwiegende Mi Ich-Ernährung nicht in dem
Maße zum Auftreten von schweren Rachitisformen, wie dies beim Säug¬
ling das Mehl tut. Milchüberemährung verursacht in jenen Fällen
viel eher anämische Zustände, lange bevor es zu leichten rachitischen
Veränderungen kommt.) —
Wenn wir mit der oben genannten Ernährungstherapie auch in
beginnenden Fällen von Rachitis ganz allein auszukommen vermögen,
besonders bei gleichzeitiger Anwendung der klimatischen Heilfaktoren,
so können wir in schweren Fällen doch der medikamentösen Mittel
nicht entraten. Und besonders hier werden uns die allgemein-hygie¬
nischen Faktoren von sehr großem Werte zur Unterstützung der medi¬
kamentösen Therapie sein. Die bei Besprechung der Therapie der lympha¬
tischen Symptome des näheren schon geschilderten physikalischen Heil¬
mittel, insbesondere Salzbäder in ihren verschiedenen Formen (Seebäder
— Seeaufenthalt, Soolbadekuren, im Hause verabreichte Salzbäder)
kommen hier in Betracht. Neben diesen Faktoren ist unbestritten das
wichtigste Medikament der Phosphorlebertran. Schon Leber¬
tran allein kann zu einer gewissen Besserung der Rachitis beitragen,
aber es wird in jedem Fall, wo es nur angängig ist, von entschiedenem
Vorteil sein, den Phosphorlebertran zu geben. Und es gibt keine eigent¬
lichen Kontraindikationen gegen die Darreichung von Phosphorlebertran.
Höchstens, daß hier an diejenigen Fälle gedacht werden könnte, bei
denen wegen bestehender Darmstömngen der Lebertran als Fett nicht
gegeben werden soll. Man verschreibt eine Lösung von 0,01 g (1 Zenti-
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Die Therapie der Rachitis.
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gramm) Phosphor auf 100—200 g Lebertran und läßt hiervon je nach
dem Lebensalter des Kindes zweimal täglich 1 f 2 —1 ganzen Kaffee-
(-Tee-)löffel (gleich 5 g) verabreichen. Die Menge von 0,001 g Phosphor
pro die soll man nicht überschreiten. Wir geben aber trotzdem hier eine
Dosis, welche dem Drittel der Tagesdosis für den Erwachsenen gleich-
kommt, d. h. eine im Verhältnis zum Gewichte des Kindes ziemlich
große Phosphorgabe. Hierzu muß die Bemerkung gemacht werden,
daß offensichtlich der jugendliche Organismus den Phosphor als Phos-
pborlebertran besser verträgt, als der Körper des Erwachsenen. —
Die zu gebenden Dosen von Phosphorlebertran wird man etwa derart
verschreiben, daß Kinder bis zum sechsten Lebensmonate und ältere
schwächliche Kinder zweimal 1 / 2 Teelöffel der Lösung von 0,01:200
(also 0,00025 g Phosphor pro die) erhalten, ältere Säuglinge zweimal
V* Teelöffel der Lösung 0,01:150, Kinder im zweiten Lebensjahre
zweimal l / 2 Teelöffel 0,01 Phosphor: 100 Lebertran (gleich zweimal
0,00025 g Phosphor pro die), bei älteren Kindern kann man unbedenk¬
lich bis zu der Höchstdosis von zweimal einem ganzen Teelöffel 0,01 Phos¬
phor: 100 Lebertran steigen. — In den Fällen, wo Lebertran nicht
vertragen wird, darf der Phosphor auch in einer anderen öligen Sub¬
stanz verabreicht werden, z. B. in Olivenöl, Süß-Mandelöl oder den
öligen Ersatzmitteln des Lebrtrans (Lipanin usw.). Auch in Form von
Emulsion kann Phosphor gegeben werden (Rp. Phosphori 0,01 g; Ol.
olivar., Mucilag. gumm. arab., Sirupi aa 10,0 g; Aquae ad 100,0 g;
M. f. Emulsio. — Rezept der Epclierich’schen Klinik). Es muß aber hier
nochmals ausdrücklich betont werden, daß schon der Lebertran an
und für sich eine günstige Wirkung auf die Rachitis auszuüben
vermag, daß man also nach Möglichkeit nur dieses Fett als Lösungs¬
mittel des Phosphors wird in Anwendung ziehen müssen. — Die Her¬
stellung der Phosphorlösung durch den Apotheker geschieht in der
Weise, daß er sich eine konzentrierte ölige Stammlösung hält, mittels
deren er dann je nach der Vorschrift des Rezeptes die verlangte dünnere
Lösung herstellt. Nun ist besonders wieder in der letzten Zeit (auf
einen Nachteil iLingewiesen worden, welcher sowohl diesen Phosphor¬
stammlösungen, als auch besondere stark den verdünnten, dem Patienten
verschriebenen Phosphorlösungen anhaftet, nämlich darauf, daß sich
in diesen Lösungen der Phosphor (besonders intensiv ist dieser Vorgang
unter Lichteinwirkung) langsam zu (unwirksamer) Phosphorsäure oxy¬
diert. Es ist ferner darauf aufmerksam gemacht worden, daß cs ver¬
mittels verschiedener Substanzen gelingt, diese langsame Oxydation
hintanzuhalten, respektive auf ein Minimum zu beschränken. Unter
diesen Substanzen hat eine chemische Firma als besonders befähigt
das Limonen, ein Terpen aus öl von Zitrus-Arten, befunden und
bringt eine 0,01 prozentigen mit Limonen versetzten Phosphorlebertran
(unter der Bezeichnung „Phosrachit“) in den Handel.
Die unbestreitbare Wirksamkeit des Phosphors bei der Rachitis
hat die Industrie schon seit langem veranlaßt, den anorganischen Phos¬
phor durch irgendwelche andere, möglichst wohlschmeckende, meist or¬
ganische Phosphor Verbindungen zu ersetzen. Hierbei spielten
wohl auch der Wunsch und die Hoffnung eine gewisse Rolle, daß der
organische Phosphor eine bessere Wirksamkeit als das anorganische
Präparat entfalten und besser resorbiert werden möge. Aus dieser An¬
sicht heraus fand die Herstellung von zahlreichen organischen Phos¬
phorpräparaten statt, und ihre Empfehlung bei der Rachitis hat nicht
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auf sich warten lassen. Aber all* diese Präparate sind nur von kurzer
Lebensdauer gewesen und haben den Phosphorlebert ran nicht zu ver¬
drängen vermocht. Es ist an dieser Stelle, welche ja nur die für die
tägliche Praxis in Betracht kommende Therapie berücksichtigt, wohl
unnötig, diese organischen Phosphorpräparate einzeln aufzuzählen.
Nur darauf sei kurz hingewiesen, daß in jüngster Zeit die (früher
kaum angewandten) Nuklein Verbindungen von verschiedenen Autoren
bei Rachitis mit Erfolg gegeben worden sind, und daß zugleich die
Beobachtung gemacht worden ist, daß nur bei gleichzeitiger Nu¬
kleindarreichung auch dem Lezithin und seinen Derivaten (glyze¬
rinphosphorsauren Salzen) ein gewisser therapeutischer Wert zu¬
kommen soll.
Vielfache Versuche sind auch gerade bei der Rachitis gemacht
worden, auf organotherapeutischem Wege zu einem Ziele zu
kommen. Von alT diesen Versuchen ist bisher nur die einzige Empfeh¬
lung des Adrenalin (täglich einen Tropfen der 1 promilligen Adre-
nalinlösung per os) bestehen geblieben, die hauptsächlich von Bossi und
von Stöltzner vertreten wird. Aber auch dieser letztere Autor gibt ohne
weiteres zu, daß „die Behandlung mit Phosphorlebertran ebensoviel
leistet.“
Eines Hinderungsgrundes gegen die Verabreichung von Phosphor¬
lebertran sei hier noch gedacht. Es ist manchmal zur Zeit der heißen
Sommertage eine Zersetzung der Lebertrankomponente des Phosphor¬
lebertrans nicht auszuschließen. Wenn wir infolgedessen direkt ge¬
zwungen sind, von diesem Präparat Abstand zu nehmen, bleibt uns
entweder die Möglichkeit, vorübergehend ein organisches Phosphor¬
präparat (Nukleinpräparat) zu versuchen, oder zu der unter diesen
Umständen empfohlenen Eisenmedikation zu greifen. Die Eisenthe¬
rapie geschieht in der üblichen Form (Liq. ferri albuminat.; Tinct.
ferri pornat.; Ferr. oxydat. saccharat.; usw.) undnur vorüber¬
gehend und so lange, bis ohne Bedenken wieder der Phosphorlebertran
verabreicht werden kann. Im allgemeinen kann man sagen, daß auch
im Sommer die Schwierigkeiten der Lebertrandarreichung keineswegs
so große sind. Allerdings muß besonders bei jüngeren Säuglingen gerade
im Sommer darauf Rücksicht genommen werden, daß das Auftreten
irgendwelcher dyspeptischer Störungen durch den Lebertran wieder an¬
gefacht und noch längere Zeit unterhalten werden kann. —
Daß wir im Kalzium kein spezifisches Mittel gegen Rachitis
sehen dürfen, ist schon oben erwähnt. Die ausschließliche Kalk¬
therapie der Rachitis bleibt völlig erfolglos, da „Kalzium-Zufuhr die
Rachitis nicht heilt“ (Stöltzner). Dagegen läßt sich nichts ein wenden
gegen den Versuch, bei einer schon in Heilung begriffenen Rachitis
außer den nach dem oben Gesagten indizierten Mitteln auch noch. Kalk
zu geben, um den Körper über einen sicher ausreichenden Kalzium-
Überschuß verfügen zu lassen. Hierzu eignen sich am ehesten der
essigsaure Kalk (bis zu 0,2 g pro die), dessen Retention neben gleich¬
zeitig verabreichtem Phosphorlebertran eine sehr gute ist (Sch ab ad),
oder der Calc. glycerinophosphoric. (0,1 g, ein- bis dreimal täglich),
während der gewöhnliche phosphors au re Kalk (bis zu 0,5 g, mehr¬
mals am Tage) viel schlechter retiniert wird. Aber diese Präparate sollen,
wie gesagt, nur ein Adjuvans der üblichen Therapie bilden.
Des weiteren muß noch einiger, die Rachitis so häufig kompli¬
zierenden Symptome hier gedacht werden. Das starke Schwitzen
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Die Therapie der Rachitis.
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rachitischer Kinder wird zweckmäßig durch regelmäßiges Bepudern
der affizierten Körperteile bekämpft. Als Pudermittel eignen sich
Zinkamylum-Puder, Talkpuder und leicht formalinhaltige Pudermittel,
z. B. Tannoform, letztere jedoch nur mit der Maßgabe, daß eine Reibung
der Haut durch das formalinhaltige Präparat nicht stattfindet. Die
Neigung zu starken Schweißen wird bei den hierzu disponierten,
Kindern auch durch eine übermäßige Milchzufuhr hervorgerufen, die
wir bei Rachitis (ebenso wie beim Kinde mit lymphatischer Konstitution)
vermeiden sollen.
Erwähnung verdient hier auch noch das häufige gleichzeitige
Auftreten von Rachitis und Spasmophilie. Die Behandlung beider
Affektionen hat, trotz ihrer grundverschiedenen Ursachen, das Gemein¬
same der ausgezeichneten Wirkung des Phosphorlebertrans.
(Phosphor in anderen ölen als Lebertran gelöst oder in Emulsion
ist aber bei Spasmophilie meist unwirksam.) Hingegen reagiert, wie
oben erwähnt, die ausgesprochene Spasmophilie prompt auf eine bei
Rachitis kontraindizierte reine Mehl-Wasserdiät. Nun verlangen
aber die manifesten spasmophilen Zustände als akutere, direkt das
Leben gefährdende Symptome dringender als die Rachitis auch eine
sofortige diätetische Behandlung, deren Regime mit dem Abklingen
der Spasmophilie dann eben allmählich in die für die Rachitis bestimmte
Diät übergehen soll.
Eine bei Rachitikern oft das Leben gefährdende Komplikation
sei ebenfalls noch speziell hervorgehoben, es sind die Erkrankungen
der Luftwege. Ihre Therapie ist auch bei Rachitis die gleiche wie
bei nichtrachitischen Kindern, nur daß sie in jenem Falle viel energischer
betrieben werden muß, weil das Bestehen einer Rachitis ihre Prognose
bedeutend verschlechtert. Es kommt hier gar nicht so selten vor,
daß einfache katarrhalische Erkrankungen der obersten Luftwege
(Pharyngotracheitiden) ganz unerwartet einen plötzlichen Exitus herbei¬
zuführen vermögen. Sie verdienen also gerade, was deren Prophylaxe
anlangt, eine besondere Beachtung.
In therapeutischer Beziehung wichtig sind auch einige «andere bei
Rachitis zu beobachtende kleine Hilfsmittel. Im Stadium der Heilung
kann eine lege artis durchgeführte Massage der Extremitäten bei
der mit myopathischen Zuständen einhergeg«angenen Rachitis von beson¬
derem Wert werden.
Beginnende Verkrümmungen der Wirbelsäule oder der
Extremitäten (Verhütung vorzeitigen Gehens!) können schon gleich
bei Behandlung der Rachitis in Angriff genommen werden. Schon in-
veterierte Deformitäten sollen erst später (nach dem sechsten Lebens¬
jahr) dem Orthopäden zugeführt werden. Gerade in prophylaktischer
Hinsicht wird man hier viel durch genaue Vorschriften erreichen
können (Verhütung der Entwicklung einer rachitischen Skoliose). Kinder
mit rachitischer Kyphose sind auf eine härtere Unterlage zu betten,
das Auftreten von Thoraxdeformitäten kann man durch Atemgymnastik
oder Thoraxmassage zu vermeiden suchen. —
Schließlich sei noch auf einen von Stöltzner bei der Therapie
der Rachitiker besonders betonten Punkt hingewiesen: Vertikale Ex-
tension bei Frakturbehandlung von Rachitikern darf deswegen
nicht in Anwendung kommen, weil hier die der Extension ausge¬
setzten langen Röhrenknochen einer akuten Osteoporose verfallen.
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes
in der Chirurgie.
Von Dr. Richard v. Hippel, (ließen.
(Fortsetzung.)
Die Hoffnung, daß die Lumbalanästhesie ein ungefährlicher, all¬
gemein anzuwendender Ersatz für die Inhalationsnarkose werden würde,
hat sich bisher leider nicht erfüllt. Ja, es muß festgestellt werden,
daß eine ganze Anzahl namhafter deutscher Chirurgen in ihrer An¬
wendung immer zurückhaltender geworden ist. So will Fritz König
auf Grund trauriger Erfahrungen — er sah einmal nach der ltachi-
stovainisation unter bleibender Rückenmarkslähmung nach 1 / 4 Jahr
den Tod ein treten und erlebte außerdem noch einen Exitus im Kollaps auf
dem Operationstisch — die Methode nur in gewissen Ausnahme fällen
angewendet wissen. Er weist besonders auf die zum Teil bleibenden
Schädigungen des Zentralnervensystems hin. Zw r ar gibt seine kleine
Sammelstatistik von 2400 Fällen mit einer Mortalität von 1: 200 jeden¬
falls ein zu düsteres Bild; Crlenjak berechnet aus 37475 Fällen eine
Mortalität Von 1:2086. Immerhin ist dies Verhältnis das gleiche, wie
bei der Chloroformnarkose nacli Gurlt.’s Statistik, zeigt also, daß die
Lumbalanästhesie keine ungefährlichere Methode ist. Trotzdem wird
sie von bedeutenden Chirurgen in Tausenden von Fällen auch heute
noch angewendet, die nicht darauf verzichten möchten. Und in der
Tat, wer einmal die großartige Wirkung der Lumbalinjektion selbst
erlebt und an einem vollkommen wachen und bewußten, dabei ebenso
vollkommen unempfindlichen Patienten operiert hat, der wird diese
Methode nicht gern mehr ganz entbehren mögen. Beschränkt aber soll
ihre Anwendung werden auf die Fälle, in denen eine Lokalanästhesie
nicht ausreicht und eine Allgemeinnarkose kontraindiziert ist. Kinder
bis zum 16. Jahre sind von der Lumbalanästhesie auszuschließen, wäh¬
rend gerade alte und dekrepide Leute sie meist auffallend gut zu ver¬
tragen pflegen. Schwere Arteriosklerose, Erkrankungen des Zentral¬
nervensystems und septische bzw. pyämische Prozesse bilden eine abso¬
lute Kontraindikation. Die Lumbalanästhesie eignet sich hauptsächlich
für Eingriffe am Damm und After sowie Mastdarm und an den unteren
Extremitäten. Für Laparotomien ist sie nur mit großer Auswahl
gynäkologische Eingriffe — zu empfehlen, für Operationen oberhalb
des Nabels ist ihre Anwendung einstweilen zu widerraten. Außerhalb
eines Krankenhauses sollte sie keinesfalls ohne genaueste Kenntnis der
Technik und ohne bereits gereifte persönliche Erfahrung geübt werden.
Mit wenigen Worten muß anschließend an die Lumbalanästhesie
noch der epiduralen Injektionen nach Cathelin und Sicard ge¬
dacht werden. Die Einspritzung erfolgt dabei durch den Hiatus sacralis
in die Ampulle des epiduralen Raumes — also zwischen Dura und
Knochen — hinein. Sie setzt beim Menschen die Schmerzempfindung
in der unteren Körperhälfte zwar herab, ergibt aber keine chirurgisch
brauchbare Analgesie. Dagegen hat sie sich nach den Mitteilungen von
Hirsch, Buri und Blum in Fällen von hartnäckiger Ischias, Lumbago,
viszeralen Krisen und Reizblase gut bewährt. Neuerdings ist es Läwen
gelungen, durch Ersetzung des Novokain-Chlorids durch das Bikarbonat
nach dem Vorschlag von O. Gros und durch Injektion der nach
besonderen Vorschriften hergestellten Lösung am sitzenden Patienten
eine zu Operationen am After, Damm und den weiblichen Genitalien
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genügende Anästhesie hervorzuxufen. Es scheint also, daß die epidurale
Injektion auch für die Chirurgie noch praktische Bedeutung gewinnen
wird. —
Wenden wir uns nun zu den Methoden, welche unter Ausschluß
der Inhalation Allgemeinnarkosen hervorrufen sollen, so haben wir
in erster Linie die Skopolamin-Morphiumnarkose zu besprechen,
die Schneiderl in 1900 einführte und nach ihm besonders Kor ff für
chirurgische Zwecke auszubilden bemüht war. Letzterer faßte 1904
auf Grund von 200 Narkosen seine Erfahrungen folgendermaßen zu¬
sammen: Spritzt man eine Gesamtmenge von 0,001 Skopolamin und
0,025 Morphium in je drei gleich großen Dosen 2 1 / 2 , l 1 / 2 und 1 / 2 Stunde
vor der Operation dem Patienten unter die Haut, so erhält man eine
Narkose, die wohl geeignet ist, seither übliche Methoden zu ersetzen.
In dieser Dosis bedingt sie keine Gefahr, besonders für Herztätigkeit
und Atmung; sie ist deshalb dem Praktiker zu empfehlen, weil sie den
Narkotiseur entbehrlich macht. Manche Individuen reagieren auffallend
schwach auf die Mischung; bei ihnen muß entweder noch eine weitere
Dosis von 2—3 dmg Skopolamin und A / 2 —1 cg Morphin hinzugefügt
oder zur Äther- bzw. Chloroformnarkose gegriffen werden. Die Haupt-
annehmlich keiten der Methode bestehen in Wegfall der Aufregung vor
der Operation sowie der Brechneigung und damit in der Möglichkeit,
vor der Narkose und bald nach dem Erwachen nährende Flüssigkeiten
zu geben. Behufs bequemer und sicherer Dosierung hat Kor ff dann
ein Gemisch beider Lösungen in sterilen Ampullen herstellen
lassen, das unter dem Namen Skopomorphin (Riedel) 1,2 mg Skopolamin
und 0,03 Morphin enthält; diese Dosis ist nach seiner Ansicht unge¬
fährlich.
Leider hat es sieh bald herausgestellt, daß die Methode große
Nachteile und Gefahren mit sich bringt. Einmal erfordert das Ver¬
fahren viel Zeit und genaue Vorausbestimmung des Beginns (1er Opera¬
tion, bis dahin aber dauernde sorgfältige Überwachung, bedeutet daher
keine Ersparnis an Assistenz. Weiter ist die Wirkung durchaus unzu¬
verlässig und individuell schw r ankend, so daß die gleiche Dosis in einem
Fall viel zu hoch gegriffen, in einem anderen ungenügend zur Erzielung
der Narkose ist. Durch Probeinjektion am Tag vorher die individuelle
Dosis auszumitteln, wie Schneiderl in empfahl, ist natürlich nicht
immer möglich, außerdem aber auch nach Grevsen nicht unbedenk¬
lich, da die Wirkung nicht so rasch abklingt. So wurden auch in den
günstigsten Serien nur 60°/ 0 genügende Narkosen erzielt. (Hotz), jede
Nachhilfe mit Äther oder Chloroform bringt aber selbst bei kleinen
Mengen große Gefahren mit sich. (Zahradnicky.)
Schlimmer aber als alles das sind die Gefahren der Skopolamin -
Morphium-Narkose an sich. Kochmann zählte auf 1200 Narkosen
12 Todesfälle, eine erschreckend hohe Zahl; dazu kommen noch zahl¬
reiche Fälle von sciiwerer Vergiftung, die durch geeignete Maßregeln dean
Tod noch entrissen werden konnten. Der Tod erfolgt unter den Erschei-
scheinungen der Atemlähmung, der ein Stadium von C’heyne-Stokes’schein
Atemtypus vorausgeht; damit konkurriert Steigerung der Pulsfrequenz
bis 160 und darüber imd Herzschwäche.
So ist die Schneiderlin-Korff’sche Narkose in ihrer ursprüng¬
lichen Form allgemein als imzuverlässig und gefährlich verlassen. Doch
hat sich das Skopolamin-Morphin in geringen Dosen als Unterstützung
und Einleitung der Inhalationsnarkose einen sicheren Platz erobert,
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worauf wir später zurückkonunen. In dieser Form des ,,Dämmer¬
schlafes“ ist es auch mit der Lokal- und Lumbalanästhesie kombiniert
und von Gauss und Krönig für die Geburtshilfe empfohlen worden.
Neuerdings rät Briistlein auf Empfehlung von Sahli das Pantopon
als viel wirksameres und ungefährlicheres Mittel zum Ersatz des Mor¬
phiums mit dem Skopolamin zu kombinieren. Weitere Erfahrungen
darüber stehen noch aus.
Im vorigen Jahre versuchte L. Burkhardt durch direkte Ein¬
führung des Anästhetikums in die Blutbahn eine Narkose
zu erzeugen, der die übelstände der Inhalationsnarkose nicht anhaften
sollten. Durch Tierversuche hatte er festgestellt, daß sich durch intra¬
venöse Infusion einer mit Chloroform gesättigten physiologischen Koch¬
salzlösung eine ruhige Narkose in kurzer Zeit erzielen lasse. Er benutzte
diese Narkose dann auch beim Menschen und ersetzte, da er bei zwei
Patienten vorübergehende Hämoglobinurie beobachtete, die Chloroform¬
lösung durch eine 5% Ätherlösung. Die Hauptvorzüge des Verfahrens
erblickt er darin, daß die Patienten ohne jede unangenehme Empfindung,
meist auch ohne Exzitation, ruhig einschlafen und zwar durchschnittlich
in 8—10 Minuten, daß der Blutdruck auch bei langdauernden Narkosen
unverändert bleibt, Nierenreizungen nicht auftreten und auch sonst
die bekannten üblen Nachwirkungen fehlen. Burkhardt hält deshalb
die intravenöse Äthernarkose für ,,die zurzeit ungefährlichste und an¬
genehmste Methode der Allgemeinnarkose“. Da aber ihre Einleitung
umständlicher ist als bei der Inhalationsnarkose, so will er sie beschränkt
wissen auf Patienten mit nicht intakten Atmungs- und Zirkulations¬
organen, auf schwächliche, heruntergekommene Individuen und auf solche
mit ausgesprochener Idiosynkrasie oder heftigem Widerwillen gegen
das Einatmen eines Narkotikums. Endlich soll sie aus Bequemlichkeits¬
rücksichten für den Operateur bei Operationen an Kopf- und Hals die
Inhalationsnarkose ersetzen.
Auch bei dieser Methode ist auf den kurzen Blütentraum der „unge¬
fährlichsten und angenehmsten Allgemeinnarkose“ bereits der Reif der
Enttäuschung gefallen. Küttner und nach ihm Grekow mußten zu
ihrem Leidwesen erfahren, daß die intravenöse Narkose die schlimme
Gefahr der Thrombose und Embolie in sich birgt, und ob sich diese
Gefahr durch Hirudinzusatz zu der Ätherlösung, wie Burkhardt vor¬
schlägt, sicher bekämpfen läßt, muß dahingestellt bleiben und wird
vielleicht so bald nicht entschieden werden, denn vestigia terrent!
(Janssen, CIairmont und Denk, Sick, Brüning.)
Das gleiche Bedenken muß wohl gegenüber der von Fedoroff
empfohlenen intravenösen Hedonalnarkose geltend gemacht werden.
So tadellos augenscheinlich 45 Narkosen mit einer 0,75 °/ 0 Hedonal-
lösung verlaufen sind, über die er berichtet, so erwähnt er doch bereits
selber, daß es in drei Fällen zur Thrombenbildung in der Armvene
kam, und damit ist auch dieser Methode wohl zunächst das Urteil
gesprochen, wemi auch Sidorenko auf Grund von 60 Fällen für sie
ein tritt.
Schließlich haben wir noch einer Methode zu gedenken, die die
Unannehmlichkeiten der Inhalationsnarkose an Kopf, Gesicht und Hals
zu umgehen bestimmt ist: Der Kektalnarkose, die, bereits 1847 von
Pirogoff angeregt, neuerdings von Calderon, Vidal und Kadjan
wieder auf genommen wurde und besonders von Dumont warm empfohlen
wird. Sie erfordert eine gewisse umständliche Vorbereitung des Darmes
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und Einleitung durch Inhalation, ist bei chronischen Krankheiten des
Darmes kontraindiziert, sonst aber nach Dumont ungefährlich. Baum
erlebte zwar bei 10 rektalen Äthernarkosen zwei Todesfälle infolge
von Geschwürbildung und Perforationsperitonitis, sah zweimal schwere
Darmblutungen danach und warnt daher energisch vor der Methode.
Dumont führt seine Mißerfolge aber ausschließlich auf falsche Tech
nik zurück und bleibt bei seiner Empfehlung dieser Narkose. Legueu,
Morel und Verliac sowie Sutton haben das Verfahren weiter aus¬
zubilden versucht, doch sind ihre Vorschriften und Apparate sehr kom¬
pliziert und es bleiben jedenfalls weitere Erfahrungen abzuwarten,
ehe von einer Einführung der Methode in die Praxis die Rede sein kann.
Überblicken wir das seither Gesagte noch einmal, so sehen wir,
daß abgesehen von der nur beschränkt anwendbaren Lokalanästhesie,
die Versuche, einen Ersatz für die Inhalationsnarkose zu finden, bisher
zu einem für die Praxis wirklich brauchbaren Ergebnis nicht geführt
haben. Um so mehr ist es daher zu begrüßen, daß neben diesen Ver¬
suchen andauernd die Bemühungen einhergingen, die Inhalationsnarkose
zu verbessern und ihre Gefahren herabzusetzen.
Mit diesen Bemühungen wollen wir uns nunmehr beschäftigen:
Sudcek gebührt das Verdienst, den schon im Jahre 1877 von
Packard empfohlenen, aber wieder vollständig in Vergessenheit ge¬
ratenen „Ätherrausch“ in die Praxis eingeführt zu haben. Seine Anwen¬
dung gründet sich auf die Beobachtung, daß bereits nach kurzdau¬
ernder Einatmung von Ätherdämpfen zu einer Zeit, wo das Bewußtsein
und die höheren Sinnesfunktionen nicht erloschen, sondern nur mehr
oder weniger getrübt sind, eine völlige Unempfindlichkeit gegen
Schmerzeindrücke eintritt, während gleichzeitig das Tastgefühl noch
erhalten ist. Beim Beginn der Exzitation besteht wieder eine lebhafte
Schmerzempfindlichkeit, die jeden Eingriff unmöglich macht. Dagegen
beobachtet man wiederum kurz vor dem Erwachen völlige Analgesie
(Analgesie de retour nach Dastre), die auch für chirurgische Eingriffe
brauchbar ist und auf die Kronacher seine „koupierte Äthernarkose“
begründete.
Die Schwierigkeit für die praktische Anwendung des Ätherrausches
liegt in der sicheren Erkennung des richtigen Momentes, in dem man
eingreifen muß; diese Kunst kann nur durch Übung erlernt werden.
Sudeck rät jetzt dazu, den Rausch nicht, wie ursprünglich ringegeben,
brüsk einzuleiten, sondern sich gewissermaßen einzuschleichen, indem
man zunächst mit einer geringen Menge Äther, die tropfenweise auf
die offene Maske gegeben wird, den Patienten an den Geruch des Narko
tikums gewöhnt und dann nach ganz kurzer Zeit in sehr rascher
ununterbrochener Tropfenfolge fortfährt. „Ideal verläuft der Äther¬
rausch, wenn der Patient bei der Operation weder das Situationsbewußt-
sein noch das Tastgefühl verloren hat; er hat jedes gesprochene Wort
gehört und verstanden, führt Befehle, z. B. öffnen des Mundes, aus,
gibt richtige Antworten, und ist nach Abnahme der Maske sofort ganz
wach lind munter, und vermag die durchgemachte Operation zu be¬
schreiben.“ Unangenehme Nachwirkungen (Übelkeit, Erbrechen) fehlen
fast stets oder sind ganz gering; eine besondere Vorbereitung ist auch
nicht nötig, auch braucht man sich nicht zu scheuen, den Ätherrauscli
ohne jede Assistenz anzuwenden.
Gerade in der völligen Gefahrlosigkeit liegt die Hauptstärke
der Methode und sie unterscheidet sich dadurch vorteilhaft von der
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sog. „minimalen Narkose“ Riedel’s, der durch 80—10U ’lrop&KD ^
Chloroform eine kurzdauernde Rauschnarkose herbeiführt ohne Rück¬
sicht darauf, daß die größte Gefahr der Chloroformnarkose in der
initialen Synkope besteht. Deshalb hat auch Riede Ts Methode keine
Verbreitung gefunden.
Dem Ätherrausch sollen nach Sudeck alle Operationen zufallen,
die sich aus lokalen oder auch physischen Gründen nicht wohl mit lokaler
Anästhesie ausführen lassen, dabei von einigermaßen kurzer Dauer sind.
Ob sie große Schnitte benötigen, sehr schmerzhaft, oder überhaupt
sehr eingreifend sind, ßpielt an sich keine große Rolle. Ausgiebiger
Gebrauch davon ist speziell bei Zahnextraktionen, bei schmerzhaftem
Verbandwechsel, beim Einrichten von Knochen brächen und Verrenkungen
zu machen.
Daß der Ätherrausch auch für langdauemde Operationen bei ent¬
sprechender Technik brauchbar und geeignet ist, zeigt Moszkowicz,
der zahlreiche große Eingriffe von 1— l 1 / 2 ständiger Dauer erfolgreich
damit durch geführt hat. Immerhin bedarf es dazu zweifellos eines
durchaus erfahrenen und geübten Narkotiseurs, mit dem außerhalb
des Krankenhauses nicht zu rechnen ist.
Eür kurzdauernde Eingriffe haben sich neben dem Ätherrausch,
trotz seiner anscheinend größten Ungefährlichkeit, auch noch andere
Narkotika bewährt. Außer dem in Deutschland nie recht eingebürgerten,
in England und Amerika aber vielgebrauchten Lachgas nenne ich
hier das Bromäthyl, das z. B. von Bartsch warm empfohlen wird,
gegen das aber meines Erachtens die für den Patienten außerordentlich
quälende Erstickungsangst bei Einleitung der Narkose spricht; dann
aber vor allen Dingen das Äthylchlorid (Kelen). Dies früher nur als
Lokalanästhetikum benutzte Mittel wurde besonders von dem Zahnarzt
Seitz vor zehn Jahren zu kurzen Allgemeinnarkosen empfohlen und
erfreut sich seitdem zunehmender Beliebtheit. In den ersten Jahren
machte eine größere Zahl mitgeteilter Todesfälle stutzig hinsichtlich
der Brauchbarkeit des Mittels; Lotheissen, der diese Veröffent¬
lichungen einer kritischen Betrachtung unterzog, kam aber zu dem
Schluß, daß das Chloräthyl an der Mehrzahl dieser Todesfälle schuld¬
los sei, und berechnete die Mortalität auf 1:17000, Luke schätzt sie
sogar nur auf 1:36000. Herrenknecht, der über mehr als 3000 eigene
Beobachtungen verfügt, hält das Mittel auch für den praktischen Arzt
für sehr empfehlenswert. Er meint, daß bei genauer Kenntnis des
Mittels, Beherrschung der Narkosentechnik und vorsichtiger Anwen¬
dung das Äthylchlorid das ungefährlichste Anästhetikum sei, das wir
heute haben. Auch bei schweren Lungen- und Herz Veränderungen sah
er nie unangenehme Begleiterscheinungen; Nierenschädigungen wurden
nie beobachtet, unangenehme Nachwirkungen sind höchst selten, dagegen
treten öfters erotische Träume sehr lebhafter Natur auf, worauf bei
weiblichen Patienten besonders zu achten ist, uni den Arzt vor uner¬
freulichen Folgen zu bewahren. Die Äthylchloridnarkose läßt sich bis
zur Dauer von 20 Minuten leicht ausdehnen; für längerdauernde Ein¬
griffe empfiehlt sich mehr die Fortsetzung mit Äther oder Chloroform,
doch bedeutet auch hierbei die Einleitung mit Äthylchlorid eine wesent¬
liche Annehmlichkeit, einmal wegen des raschen Eintritts der Narkose
und ferner wegen des angenehmen Geruches des Mittels und des Aus¬
bleibens von Angst- und Erstickungsgefühlen. Hinsichtlich der Technik
der Äthylchloridnarkose muß auf das Büchlein von Herrenknecht
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 205
„Über Äthylchlorid und Äthylchlorid-Narkose“, G. Thieme, Leipzig 1904,
verwiesen werden.
Wenden wir uns nun den Narkosen bei länger dauernden Ein¬
griffen zu. Früher gab es hier fast nur eine Fragestellung: Chloroform
oder Äther? Nach der Gurlt’schen Statistik schien die Überlegen¬
heit des Äthers festgestellt. Aber sie beantwortete ja nur die Frage
nach der unmittelbaren Mortalität und ließ die letalen Nachwirkungen
aus dem Spiel, die dem Äther viel von seiner Überlegenheit wieder
raubten. Dazu kamen die mancherlei Unzuträglichkeiten der Äther¬
narkose, die lange Dauer bis zum Eintritt der Betäubung, die häufig
ungenügende Muskelerschlaffung, das hochgradig Unsympathische der
asphyxierenden Methoden mit der unvermeidlichen Salivation und
Zyanose — so war es begreiflich, daß die Mehrzahl der Chirurgen an der
Chloroformnarkose festhielt trotz ihrer anscheinend größeren Gefahren.
Wies doch v. Mikulicz mit Recht darauf hin, daß die Mehrzahl der
so sehr gefürchteten Chloroformtodesfälle gerade zu Beginn der Nar¬
kose nach den ersten Atemzügen — Fälle, die jedem, der sie erlebt hat,
in schaudernder Erinnerung bleiben werden — auf fehlerhafte Technik
zurückzuführen sind, insbesondere auf eine Uberdosierung, die nament¬
lich den minder erfahrenen Narkotiseuren so leicht passiert. Darum
überläuft auch den Erfahrenen eine Gänsehaut, wenn er es auch heute
noch erleben muß, wie schlecht ausgebildete Schwestern nicht nur,
sondern auch Ärzte dem Patienten die vorher mit reichlich aufgegossenem
Chloroform getränkte Maske fest über Mund und Nase stülpen und
ihn womöglich noch zu tiefem Atmen anhalten, um so mit konzen¬
triertesten Chloroformdämpfen den Organismus zu überfallen; rechnet
man dazu noch die Chokwirkung, die dies Verfahren durch das sub¬
jektive Gefühl des Ersticktwerdens mit sich bringt, so kann man sich
über initiale akute Todesfälle durch Herzsynkope nicht wundern.
Deshalb richteten sich auch zunächst die Verbesserungsbestre-
bungen bei der Chloroformnarkose auf eine genaue Dosierung.
Dreser, Kionka, Geppert haben sehr sinnreiche Apparate ersonnen,
um das Narkotikum in Gasform in genau dosierter Menge den Lungen
zuzuführen. Allein diese Apparate haben sich nicht einzubürgern ver¬
mocht. Für die ärztliche Praxis sind sie viel zu kompliziert und zu
teu^r und ferner vernachlässigen sie die Tatsache, daß die für das
einzelne Individuum benötigte Dosis des Narkotikums eine durchaus
verschiedene, nicht vorauszubestimmende ist, vielmehr jede Narkose
ein Experiment ist, mittels dessen die Empfindlichkeit und Empfänglich¬
keit des Kranken gegenüber dem Narkotikum durch vorsichtige lind sorg¬
fältige Überwachung des Beginns der Narkose festgestellt werden muß.
Dazu ist aber die Tropf me tho de das geeignete Verfahren. Sie er¬
möglicht. durch zunächst langsames, allmählich nach Bedarf rascheres
Auf tropfen des Mittels auf die gut luftdurchlässige, langsam dem
Gesicht des Patienten genäherte und nicht gleich zu Beginn ‘fest. auf¬
gelegte Maske den Patienten an den Geruch des Narkotikums zu ge¬
wöhnen, jedes Erstickimgsgefühl zu vermeiden und das Chloroform
stets nur in einer Konzentration zu verabfolgen, die eben ausreicht,
um die Narkose einzuleiten und zu unterhalten, ohne jedoch die Narkosen¬
breite zu überschreiten. In der Hand des erfahrenen und gewissenhaften
Narkotiseurs gibt diese Methode sicher gute Resultate und bietet nur
geringe Gefahren. Leider steht ein solcher aber in der Praxis selten
zu Gebote. — (Schluß folgt.)
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Mandel, (Berlin), Über eine Blutfilarie des Pferdes. (Zentralbl. für
Bakt., Bd. 57, H. 1.) In dem Blute eines zur Serumgewinnung gebrauchten
Pferdes fanden sich Filarien, die "vom Verfasser in Bildern seiner Arbeit
beigefügt sind. Das Pferd zeigt außer einem struppigen Fell keine weiteren
Krankheitserscheinungen. Schürmann.
Pelz, (Breslau), Über Nitritbildung durch Bakterien. (Zentralbl. für
Bakt., Bd. 57, H. 1.) Gute Nitritbildncr sind: die Choleravibrionen, Para¬
typhus B., Mäusetyphus, Aerogenes, Vibrio, Nordhafen, Metscknikoff, Hog-
cholera und gewisse Ruhrarten des Typus Flexner.
Weniger gut bilden Nitrit: Typhus, Paratyphus A., Enteritis Gärtner,
Bakterium Koli, Ruhr, Yersin und Proteus.
Wenig oder gar kein Nitrit bilden: Ruhrbakterien vom Typus Kruse
und die Streptokokken.
Unter den Staphylokokken bilden die einen Nitrit, die anderen kein
Nitrit. Schürmann.
A. Kißner (Niederohmen), Uber eine mit Antistreptokokkenserum er¬
folgreich behandelte Staphylokokkensepsis. (Med. Klinik, Nr. 30, 1910.)
Es handelt sich um einen kasuistischen Beitrag, der kürzlich von Eich-
horst (Zürich) unter Mitteilung zweier einschlägiger Fälle schon behandelten
günstigen Beeinflussung einer auf Staphylokokken beruhenden Allgemein¬
erkrankung durch Anwendung von Streptokokkenserum. Im vorliegenden
Falle, der einen 11jährigen Jungen betraf, bei dem Staphylokokken im
Blute kreisend nachgewiesen werden konnten, während lokale multiple
Sehnenscheiden( ?)-Erkrankungen bestanden, hatte die Injektion von 10 ccm
Höchster Serum einen sehr guten und anscheinend lebensrettenden Erfolg.
R. Stüve (Osnabrück).
Siegel, Gelungene Kultur des Cytorrhyctes luis. (Zentralbl. f. Bakt.,
Bd. 57, H. 1.) Vom Verfasser sind 1904 kokkenähnliche Gebilde im Blute
und Ausstrichen von Hautaffekten Syphilitischer gefunden worden. In dieser
Arbeit bestätigt er seine frühere Hypothese. Durch die Kulturverfahren,
wurde erwiesen, daß diese Gebilde zu einer Gruppe der Ivokkazeen gehört.
Durch den regelmäßigen Nachweis dieser Kokkazeen im Blute, sowie
durch die Veriinpfbarkeit der Kulturen wird ihre spezifische Bedeutung er¬
wiesen.
Vcrf. spricht die Vermutung aus, daß bei Pocken, Maul- und Klauen¬
seuche ebenfalls Kokken, die zu den Cytorrhycten gehören, eine Rolle als
Erreger spielen.
Gut gelungene Abbildungen ergänzen die Arbeit. Schürmann.
Altmann u. Blühdorn (Frankfurt), Komplementbindung bei Staphylo¬
kokken und Sarcinen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 1.) Immunisie¬
rung mit Staphylokokken bei Kaninchen führten zur Bildung stark wirk¬
samer komplementbindender Antikörper; eine Bildung agglutinierender Anti¬
körper war nur in schwachem Maße vorhanden. Ein durch Immunisation mit
pyogenen Staphylokokken erzeugtes Immunserum wirkt auf die pyogenen
Staphylokokken komplementbindend, weniger auf die Mehrzahl der Sapro -
phyten und auf einzelne Saprophyten gar nicht.
Auch bei Kaninchen läßt sich mit Sarcinen ein hochwirksames Anti -
serum, das auch komplementbindende Stoffe enthält, hersteilen. Dieses Serum
gibt mit Extrakten aus pyogenen und saprophytischen Staphylokokken keine
Komplementhemmung, wohl aber mit drei Sarcinestämmen. Schürmann.
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Referate und Besprechungen.
207
Innere Medizin.
E. Siegel (Frankfurt a. M.), Welchen Fortschritt sollen wir in der
Behandlung der Blinddarmentzündung machen? (Med. Klinik, Nr. 22, 1910.)
Auf Grund einer kritischen Betrachtung der von ihm beobachteten und
operierten Fälle von Appendizitis weist Siegel darauf hin, daß in den
allermeisten Fällen der destruktiven For|m der Appendizitis, die zu der
mit Recht gefürchteten Gangrän des Wurmfortsatzes führt, meistens Vor¬
boten vorausgehen und daß nur in sehr seltenen Fällen die Gangrän der
Appendix scheinbar unvermittelt und bei dem ,,ersten Anfall“ auf tritt.
Genauere Anamnesen weisen meist darauf hin, daß dem zur Gangrän und
Perforation führenden Anfalle entweder Beschwerden unbestimmter Art,
plötzliche kolikartige, oft schnell vorübergehende Leibschmerzen, Erbrechen
ohne erkennbare Ursache, oder Dinge vorangegangen sind, die nach den
heutigen Kenntnissen eben nicht (anders als leichte oder ganz leichte An¬
fälle von Appendizitis gedeutet werden müssen, und der Zusammenhang der
genannten Erscheinungen mit der Appendizitis wird am besten dadurch be¬
wiesen, daß nach einer Operation bzw. Entfernung des Wurmfortsatzes
auch jene Beschwerden verschwinden. S. hält es deshalb für notwendig,
daß Men sollen, bei denen wiederholt Beschwerden unbestimmter Art im
Leibe auf treten, sich in ärztliche Beobachtung begeben sollen, damit in den ent¬
sprechenden Fällen durch rechtzeitige Entfernung der kranken Appendix dem
Eintritte größeren Unheils vorgebeugt werde. R. Stüve (Osnabrück).
H. Lichtenstein (Franfurt a. 0.), Behandlung der Tuberkulose ver¬
mittels menschlichen Serums. (Med. Klinik, Nr. 24, 1910.) Verfasser,
der in seiner Praxis anscheinend häufiger zur Vornahme von Aderlässen
Veranlassung hat, und dem auf diese Weise größere Mengen menschlichen
Blutserums zur Verfügung stehen, hat kleinere Mengen von Serum (2—3 ccm)
erst zeitweise, dann systematisch anderen Kranken injiziert und will von
diesen Injektionen bei Karzinomkranken merkliche, wenn auch vorüber¬
gehende Besserungen, wesentliche und anhaltende bei Tuberkulösen gesehen
haben. Einige Beobachtungen der letzteren Kategorie werden mitgcteilt
und, wenn auch Verf. nicht in der Lage ist, eine theoretische Erklärung der
Heilwirkung zu geben und sich hier von den Ergebnissen der Empirie leiten
läßt, so glaubt er doch, die Kollegenschaft zum Sammeln weiterer Er¬
fahrungen ermuntern zu sollen. Das Serum stammte von „ziemlich ge¬
sunden“ (meist von solchen mit akutem und subakutem Gelenkrheumatismus)
Menschen, die sonst als organgesund dem Autor bekannt waren. Dem Serum
waren zur besseren Haltbarkeit 0,5% Karbolsäure zugesetzt; Mengen von
2—3 ccm wurden subkutan in die Oberbauchgegend injiziert und öfters von
vorübergehenden, unter Anwendung von essigsaurer Tonerde aber schnell sich
zurückbildenden lokalen Entzündungserscheinungen gefolgt. Von der Serum¬
behandlung florider Fälle von Tuberkulose und Fällen im Endstadium rät
L. ab. R. Stüve (Osnabrück).
J. Honl, Die Anaphylaxie bei der Tuberkulose. (Ldkafskö Rozhledy,
Bd. 17, Nr. 4—10.) H. hat durch Experimente an Meerschweinchen kon¬
statiert, daß die Anaphylaxie für die Tuberkulose eine spezifische Erschei¬
nung und Reaktion ist. Er machte die Meerschweinchen zuerst tuberkulös.
Injizierte er nun diesen Tieren nach etwa 3 Wochen, wenn sich dieselben
im anaphylaktischen Stadium befanden, lebende oder tote Tuberkelbazillen
oder deren Produkte oder Extrakte, dann gingen die Tiere prompt zugrunde.
Injizierte er aber andere, dem Tuberkelbazillus ähnliche Mikroben oder
Mikroben, die zwar dem Tuberkelbazillus nicht ähnlich sind, aber experi¬
mentell eine ähnliche Affektion hervorrufen, dann blieben die Versuchs¬
tiere am Leben und frei von Symptomen. — Aber sowie es keine absolute
Immunität gibt, existiert auch keine absolute Spezifizität der Iiypersensi-
bilität; dieselbe wird vielmehr beeinflußt durch die Beschaffenheit des
Materials (Virulenz), durch den Ort der Applikation und durch das Stadium,
in dem die Reinjektion Vorgenommen wurde. G. Mühlstein (Prag).
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Referate und Besprechungen.
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Landouzy, Gougerot und Salin (Paris), Tuberkulose und seröse Gelenk¬
entzündungen. (Revue de medecine, 30. Jahrg., S. 857—870, 1910.) Die drei
Forscher haben die Beobachtung gemacht, daß Kaninchen, denen sie zunächst
abgeschwächte Tuberkelbazillen intravenös und dann einige Tage später
Tuberkulin 1% intraartikulär ins Kniegelenk injiziert hatten, daß solche
Kaninchen akute, seröse, zur Ausheilung neigende Gelenkentzündungen be¬
kamen. Auf dieser Beobachtung bauen sie dann bezüglich der menschlichen
Gelenkentzündungen folgende Spekulationen auf: Entzündungen kommen zu¬
stande zunächst durch direktes Hineinwachsen der Bazillen von irgendeinem
Epiphysenherd; gelangen nur wenig Bazillen hinein, so wird das Gelenk
mit ihnen fertig, andernfalls bildet sich ein Fungus.
Es können aber auch nur die Toxine des tuberkulösen Herdes in das
Gelenk diffundieren. Dann haben wir kein tuberkulöses, sondern ein tuber-
kulinisiertes Gelenk, und zwar werden sich dessen Erscheinungen um so mehr
bemerklich machen, je intensiver der Prozeß in dem benachbarten tuberku¬
lösen Herd vor sich geht. Dieser ist einerseits abhängig entweder von lokalen
Reizungen oder von anderweitigen tuberkulösen Vorgängen.
Aber noch eine dritte Möglichkeit ist denkbar: Eine tuberkulöse
Gelenkaffektion kann ausheilen; es bleibt jedoch eine gewisse Empfindlichkeit,
eine lokale Anaphylaxie zurück. Entwickeln sich nun anderweitig tuber¬
kulöse Herde und von ihnen aus toxämische Überschwemmungen, so wird
das seinerzeit befallene und ausgeheilte Gelenk reagieren. War die erst¬
malige Reizung des Gelenks dem Patienten zum Bewußtsein gekommen, so
wird er von einem Rückfall, andernfalls von einer erstmaligen Erkrankung
sprechen. —
Der geistreiche Kanzler der Universität Tübingen, Autenrieth, hat
jedes System mit einer an den großen Kreis der Wahrheit gezogenen
Tangente verglichen: in einem Punkt berührt diese Tangente den Kreis,
aber allzu strenge Konsequenz würde bald zur Unnatur. Man sieht leicht
ein, daß sich an der Mitteilung der drei Forscher viel mehr weitrankehdes
Gewebe von Hypothesen findet als sichere Tatsachen. Nichtsdestoweniger
ist es wohl möglich, daß die geistreiche Spekulation die Kugel der Wahr¬
heit streift. Buttersack (Berlin).
H. Schenner, Aortenruptur bei Pyämie. (Berliner klin. Wochenschr.,
Nr. Io, 1910.) Krankengeschichte und Sektionsbefund eines Falles von
Aortenruptur bei Pyämie, hervorgerufen durch eine Phlegmone des linken
Fußrückens. Carl Grünbaum (Berlin).
Chirurgie.
O. Hildebrand (Berlin), Beitrag zur Hirnchirurgie. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 49, 1910.) Hildebrand spricht sich über die Dauer-
resultatc der Hirnchirurgie bei malignen Tumoren sehr pessimistisch aus.
Die schwere Abgrenzbarkeit des gesunden vom kranken Gewebe und die
daraus sich ergebende Unmöglichkeit einer sicher radikalen Operation sind
schuld daran. Es gibt allerdings auch Lokalisationen, wo die Verhält¬
nisse günstiger liegen. Es sind dies die Kleinhirn-, Brückenwinkel- und
Akustikustumoren. Unter diesen hat er immerhin 2 Fälle aufzuweisen, die
ihm zu weiterem Vorgehen ermutigen. Auch auf dem Gebiet der Hypo¬
physistumoren ist einige Aussicht auf Erfolg vorhanden.
Weniger ungünstig sind die Resultate bei gutartigen Tumoren. Da
man aber die Beschaffenheit der Tumoren nicht vorher bestimmt wissen kann,
so rät H. in jedem Falle eine Palliativtrepanation auszuführen. F. Walther.
St. Cerny, Arsenik als Medikament gegen Sepsis infolge infizierter
Wunden. (Lökarskö Rozhledy, Bd. 17, Nr. 9, 1909.) Öerny, der den Arsenik
seit langer Zeit bei Karzinom, Lupus, Skrofulöse usw. anwendet, teilt aus
einer größeren Beobachtnngsreihe fünf Fälle von Sepsis mit, die durch
Infektion äußerer Wunden entstanden war. Die Erfolge waren sehr gut.
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Die Wunde wird mit fein pulverisiertem Arsenik (AS 2 O 3 ) bestreut lind die
Umgebung mit Umschlägen mit zweiprozentiger Karbolsäure bedeckt. Der
Arsenik geht bei Berührung mit den Körpersäften in leicht lösliche Salze
über, die in das Gewebe eindringen; sie stellen ein mächtiges Antiseptikum
«lar, das die Mikroben tötet und die Bildung von Toxinen verhütet und
außerdem eine Erweiterung der Blutgefäße und Hyperämie hervorruft. Ver¬
giftungen kamen nicht vor. Auch bei einem Falle von Vipernbiß hat sich
der Arsenik bewährt. Der Autor empfiehlt ihn auch gegen die Bisse toll¬
wutkranker Hunde. G. Mühlstein (Prag).
E. Bios (Karlsruhe), Erfolge der operativen Heufieberbehandlung durch
Resektion des N. ethmoidalis anterior. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 49,
1910.) Bios berichtet über 3 Fälle von Heufieber, die er im Jahre 1909
operativ durch Resektion des N. ethmoidalis anterior behandelt hat. Alle
3 sind im Sommer 1910 voll der Krankheit verschont geblieben. Die Ope¬
ration. die er eingehend schildert., wird unter Novokain-Suprarcnininjektion
ausgeführt. F. Walther.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
F. G. Crookshank, Die Diagnose und häusliche Behandlung des Schar¬
lachs. (Practitioner, Bd. 85, Nr. (>,). Obgleich der Scharlach zu den Krank¬
heiten zu gehören scheint, die nach Zeit und Art besonders stark variieren,
ist es doch der Mühe wert zu hören, was der leitende Arzt eines großen
englischen „Isolation Hospital“ darüber berichtet.
Daß die Mortalität des Scharlachs in den letzten 30 Jahren so sehr
(in England auf den vierten Teil) gesunken ist, führen Ärzte und Wärte¬
rinnen auf ihr Verdienst, zurück, aber mit Unrecht. Fälle, die durch die
Milch eingeschleppt sind, sind meist leicht. Nicht selten bricht Scharlach
im Anschluß an Tonsillektomie aus, auch kann die Infektion von einer
Munde aus auf treten.
Bei unmittelbarem Übergang von Gesundheit zu Krankheit muß man
an Scharlach denken, ebenso, wenn der Puls schneller ist als dem Fieber
entspricht. Man darf die Diagnose nicht verschieben, bis die Himbeer¬
zunge erscheint, denn sie ist ein Zeichen des Rückgangs der Krankheit;
im Stadium vor Erscheinen des Ausschlags ist die Zunge dick belegt, und
wenn sie einer Himbeere gleichen soll, so muß es schon eine mit Schlag-
rahm sein.
Auch in diesem Stadium ist zuweilen schon eine Veränderung der
Haut bemerkbar, nämlich eine leichte Rötung über Schlüssel- und Brust¬
bein und ein weißer Ring um den Mund.
Ausschwitzung auf den Tonsillen bedeutet einen schweren Fall. Darin
können Diphtheriebazillen sein, ohne daß der Fall den Anblick der Diph¬
therie bietet. Scarlatina sine exanthemate ist sehr selten und stets so
leicht, daß am vierten Tag außer einer belegten Zunge und Pulsbeschleu-
nigung kaum etwas zu bemerken ist.
Copaiva-Vergiftung kann fast alle Symptome des Scharlachs hervor-
rufen, nur geht der Puls nicht über 100; man muß daran denken, daß
Popaiva oft heimlich gebraucht wird. Auch Belladonnavergiftung kann
dem Scharlach sehr gleichen, ist aber an der Mydriasis erkennbar. Cr.
wurde einst zu Kindern gerufen, die sich Belladonna Glyzerin, auf das Brot
gestrichen hatten und bei denen einige Stunden später Scharlach diagnosti¬
ziert worden war. Auch Klistierausschläge können dem Scharlachexanthem
außerordentlich gleichen, sie treten nicht nur nach dem Gebrauch besonderer
Seifen, sondern durch Resorption von Darmtoxinen auf (sollte das nicht
darauf hin weisen, daß auch Scharlach autogen entstehen kann ? Die vielen
sporadischen Fälle sprechen dafür, Ref.) Auch Serumexantheme können
dem Scharlach sehr gleichen, zeichnen sich aber durch besonders hohe Tem¬
peraturen aus (über 40°).
An die „vierte Krankheit“ kann Or. nicht glauben.
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Abschuppung kann auch eintreten, wo kein Exanthem beobachtet wor¬
den ist, zuweilen aber fehlen beide. Übrigens schuppen auch Kinder, die
weder Scharlach noch sonst ein Exanthem gehabt haben, ab, wenn man sic
im Bett hält und täglich wäscht.
Außerordentlichen Wert legt Cr. auf Freiluftbehandlung, und zwar
von Anfang an, bei gutem Wetter läßt er die Betten tagsüber ins Freie
bringen. Er beginnt die Behandlung mit Abführen, und zwar mit einem
merkuriellen Laxans gefolgt von einem salinischen. Der Ruf der Schar¬
lachmittel ist meist nach einiger Zeit verklungen, doch glaubt Cr. durch
Salizylpräparate entschieden zu nützen und durch ihre rechtzeitige Verab¬
reichung das Auftreten von Scharlachrheumatismen zu verhindern (das wäre
nicht erstaunlich, da H a i g die Eigentümlichkeit der Salizylsäure, mit
Körpern der Harnsäuregruppe harnfähige Verbindungen zu bilden, nach¬
gewiesen hat; auch diese Beobachtung legt es nahe, den Scharlach unter
Umständen als eine Folge abnormer, ohne äußeren Anstoß gebildeter Stoff¬
wechselprodukte anzusehen, Ref.).
Bei schweren Veränderungen im Halse müssen die Zerfallsprodukte
öfters durch Duschen, Auswischen usw. entfernt werden. Cr. verwendet
dazu mit Vorliebe Antiseptika wie Formaiin.
In den ersten Tagen soll man sogar mit flüssiger Nahrung sehr
zurückhaltend sein, doch auf reichliches Trinken halten. Beaf tea und
ähnliche Präparate vermeidet man besser bei Scharlach, und die Verab¬
reichung von Fleischnahrung muß so lange verschoben werden, bis man
sicher ist, daß die Nieren intakt sind.
Die Isolation soll mindestens sechs Wochen dauern.
Nierenaffektionen sind oft auf Erkältung, zu schnelles Verlassen des
Betts, verkehrte Ernährung und Stimulation, ungenügende Rücksicht auf die
Haut und besonders auf schlechte Ventilation zurückzuführen. Ihr Auftreten
macht dem Arzt und der Wärterin keine Ehre. Fr. von den Velden.
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Weski, Die moderne zahnärztliche Diagnostik im Dienste der Rhino-
und Otologie. (Zeitschr. für Laryng., Bd. III, H. 4, 1910.) Die alten
Methoden, die vielfach die Unterscheidung der häufigeren Krankheitsbilder
erlauben, sind: Inspektion, Sondenuntersuchung, Prüfung mit Kalt und Heiß,
Perkussion der Zähne. Hierzu kommen neuerdings die Prüfung der Pulpa-
Sensibilität mit dem Induktionsstrom und die Röntgenuntersuchung
der Zähne und des Proc. alveolaris. Die faradische Sensibilität wird am
mit Kautschuk isolierten Zahn durch den Rollenabstand gemessen, bei
welchem der Strom gefühlt wird. Bei Reizung der Pulpa ist ihre Sensibili¬
tät erhöht, bei schwererer Entzündung erniedrigt, bei Nekrose aufgehoben.
Zur Feststellung des dentalen Ursprungs von Trigeminus-Neuralgien
ist diese Untersuchung besonders wertvoll. Über das Vorhandensein von
Verkalkungen im Pulpakanal, sogen. Dentikeln, welche oft Neuralgien ver¬
ursachen, gibt das Röntgenbild Aufschluß; ebenso über Hyperzementosen
und retinierte Zähne. — Hauptsächlich wird die Röntgographie jedoch an-
gewehdet, wenn es sich um die Entscheidung handelt, ob ein Kieferhöhlen¬
empyem durch eine Erkrankung der Zähne bedingt ist. Ein Film von
3x5 cm, in schwarzes und Guttaperchapapier gewickelt, wird gegen die Innen -
Seite des Alveolarfortsatzes gedrückt; mittelweiche Röhren geben bei 5—6
Amp. in 10—15 Sek. scharfe Bilder. Jeder pulpatote Zahn muß röntgo-
graphiert werden. Die chronischen Entzündungen an der Wurzel-
spitze sind für die Kieferhöhle von besonderer Wichtigkeit; die fungöse
Knocheneinschmelzung zeigt sich als unscharf begrenzte, das Granulom, ein
zum Stillstand gekommener Prozeß, als scharf gegen den gesunden Knochen
abgesetzte Aufhellung. Radikuläre Zysten, gleichfalls scharf begrenzt, liegen
seitwärts der Wurzelspitze; Follikularzysten finden sich um retinierte Zähne.
Von seiten der Kieferhöhle soll man nachweisen, ob eine Alveolarbucht in
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der Nähe der Zahnwurzeln besteht; wenn dies der Fall ist, muß festgestellt
werden, ob das Periodontium sich ununterbrochen als scharfe, helle Linie
auf dem Film markiert. Unterbrechungen rechtfertigen den Verdacht auf
einen Zusammenhang des Zahns mit dem Antrum.
Die modernen zahnärztlichen Untersuchungsmethoden, die dem Rhino-
logen so unentbehrlich sind, erfordern ein hohes Maß ganz spezieller Übung
und Erfahrung. Verf. glaubt daher, daß der Nasenspezialist gut tut, sie
nicht in eigene Regie zu nehmen, sondern dem wissenschaftlich geschulten
Zahnarzt zu überlassen. Hierüber ist jedoch, wie es dem Ref. scheint, das
letzte Wort, noch nicht gesprochen, wenigstens in bezug auf die Röntgen¬
aufnahme nicht. Arth. Meyer (Berlin).
Th. S. Flatau, Behandlung der Stimmlippenknötchen. (Zeitschr. für
Lar., Bd. III, H. 4.) Die Behandlung der kleinen Knötchen des freien Stimm¬
bandrandes ist bekanntlich eine offene Frage; namentlich bei Sängern hat
man nach Abtragung solcher manche Enttäuschung erlebt. Kleinste Sänger-
knötchen kommen ohne Funktionsstörung vor, ja sie scheinen bisweilen aus
einer Art Anpassung hervorzugehen, welche dem Sänger den Übergang der
Register erleichtert. Amputation solcher Knötchen wäre ein Kunstfehler;
jedoch können dieselben bei diffusen Katarrhen ein so differentes Bild
bieten, daß man zweifeln kann, ob nicht in den Knötchen doch die Ursache
der Störung sitzt. Für solche Fälle ist Ruhigstellung des Kehlkopfs und
vorsichtige „mechanisch-elektrische Tonbehandlung“ am Platze. Kleine Ge¬
schwülste, die fraglos die Funktion stören, sollen jedoch ruhig entfernt
werden; für breitbasige Excrescenzen erscheinen Verf. jedoch unsere In¬
strumente, speziell die schneidenden Zangen, nicht fein und sicher genug.
Er benutzt abgeplattete Sonden mit einer scharfen Öffnung. An dieser ist
Chromsäure befestigt, mit der der Tumor zunächst geätzt wird, um dann
in der scharfen Öffnung abgehobelt zu werden. Arth. Meyer (Berlin).
Jacques (Nancy), Prophylaxe der Schwerhörigkeit bei Schülern. (Rev.
hebd. de laryng., Nr. 52, 1910.) Die Schwerhörigkeit ist eines derjenigen
Übel, die am meisten dazu beitragen, Leute auf der sozialen Leiter in tiefere
Schichten hinabzustoßen: schon die Schulbildung leidet, und ebensosehr später
die Ausbildung für den Beruf. Darum soll man nicht warten, bis sich irre¬
parable Defekte herausgebildet haben, sondern man soll beizeiten die heilungs¬
fähigen, geringeren Grade der Ohrenleiden und darüber hinaus, diejenigen
Zustände behandeln, welche zu Ohrerkrankungen disponieren, schon che
diese eingetreten sind. Die Heilbarkeit des größeren Teils der Fälle be¬
ginnender Schwerhörigkeit muß betont werden. Schüler, deren „Dysakusie“
sie daran verhindert, dem allgemeinen Unterricht zu folgen, sind in be¬
sonderen Klassen zu unterrichten. — Eine Forderung fehlt in dem Artikel,
die in Deutschland schon lange erhoben und hoffentlich bald erfüllt werden
wird, die nach Anstellung von Schulspezialärzten für Ohren, Augen und
Zähne. Arth. Meyer (Berlin).
Escat, Pharyngodynie bei Influenza. (Rev. hebd. de laryng., Nr. 51,
1910.) E. beobachtete während einer InfLuenza-Epidemie 27 gleichartige
Fälle., welche durch sehr heftige Halsschmerzen bei minimalem Befund aus¬
gezeichnet waren. Im Halse fand sich höchstens ein Erythem von mäßiger
Intensität. Die Fälle begannen plötzlich unter Gliederschmerzen, verliefen
stets gutartig, hinterließen aber sekundäre Schwächezustände. In allen
diesen Zeichen gleicht die schmerzhafte Form der Influenza-Angina durchaus
der Angina herpetica von Grübler-Lasegues, und so ist Escat geneigt,
trotz des Fehlens von Bläschen bei der ersteren, beide für identisch zu
halten, zumal er bei zwei Brüdern gleichzeitig beide Formen beobachtet
hat. Beide sind danach dem Herpes zoster verwandt und erklären eich
durch die Vorliebe der Influenza, schmerzhafte Affektionen der peripheren
Nerven zu verursachen. Arth. Meyer (Berlin).
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Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
C. Piorkowsky (Nürnberg), Beitrag zur Kasuistik der Syphilis maligna.
(Med. Klinik, Nr. 24, 1910.) Die beiden von P. mitgeteilten Fälle betreffen
einen 27jährigen Kellner und seine 23jährige Arbeiterin. Bei dem ersten
zeigte sich die Malignität des luetischen Prozesses darin, daß unmittelbar
nach dom Abklingen der ersten sekundären Erscheinungen (Halsluos) unter
dem Einflüsse einer aus Injektionen und Einreibungen bestehenden Queck¬
silberkur sehr zahlreiche große, mit gelblichen Borken bedeckte, rupia¬
ähnliche Geschwüre auf der behaarten Kopfhaut sich zeigten, denen zahl¬
reiche ähnliche an verschiedenen Körperstellen, besonders am Rücken, folgten,
so daß hier nicht weniger als 18 kreisförmige zwei- bis fünfmarkstückgroße
tuberöse Infiltrationen gezählt werden konnten.
Bei der anderen Patientin zeigten sich erst etwa drei Jahre nach der
Infektion, nachdem andere syphilitische Erscheinungen vorangegangen waren,
sehr große ausgedehnte, flächenhafte Ulzerationen, deren Behandlung durch
verschiedene während derselben einsetzende erneute Zerfallsperioden an¬
scheinend schon in Heilung begriffener Partien außerordentlich langwierig
wurde. Über die Größe und Ausdehnung dieser Ulzerationen mag die eine
Angabe genügen, daß sich bei der Entlassung an der Streckseite des linken
Armes eine die Ellenbogengegend einnehmende Narbe eines solchen Geschwürs
fand, die eine Länge von 14 und eine Breite von 9 cm hatte.
In beiden Fällen hatte die Darreichung von Jodkali einen entschieden
günstigen Einfluß, so daß es P. als ausgezeichnetes Mittel bezeichnet;
den von anderer Seite bei Lues maligna empfohlenen Kalomelinjektioncn
kann er dagegen nicht so uneingeschränktes Lob spenden, rät mindestens
zur Vorsicht in seiner Anwendung auf Grund von ungünstigen Erfahrungen,
die in einem mit diesem Präparat behandelten Falle gemacht wurden, indem
es zu einer Hg-Vergiftung (schwere aber schließlich günstig verlaufene
Enteritis) gekommen war.
Die beiden Fälle der Lues maligna gaben stark positive Wasser-
mann’sche Reaktion, die noch gegen Ende der Behandlung fortbestand,
als die meisten Erscheinungen schon im Schwinden begriffen waren.
R. Stüve (Osnabrück).
H. Mühsam (Berlin), Die bisherigen Ergebnisse der Wassermann’schen
Luesreaktion für die Praxis. (Zeitschr. für ärztl. Fortb., Nr. 1, 1910.) Wäh¬
rend in der ersten Zeit des Primäraffektes die Wassermann’sche Reaktion
versagt, ist sie etwa in der 5. Woche nach der Infektion fast ausnahmslos
positiv. Die Reaktion kann in differentialdiagnostiseher Hinsicht zunächst
in den Fällen gute Dienste leisten, in denen es zweifelhaft ist, ob eine vor¬
liegende Affektion syphilitischer Natur ist oder nicht, z. B. bei gemischtem
Schanker, der oft lange Zeit den Eindruck eines weichen macht, ferner bei
Frauen, bei denen die Diagnose von Primäraffekten öfters besondere Schwierig¬
keiten bietet. — Um sagen zu können, daß eine bei einem Kranken gerade
vorliegende Affektion selbst syphilitischer Natur ist, ist es notwendig, daß
die Wassermann’sche Reaktion stark positiv ausfällt; hierbei ist aber wieder
zu beachten, daß der Ausfall der Reaktion durch Quecksilberbehandlung beein¬
flußt, d. h. eine vorher starke Reaktion abgeschwäeht bzw. zum Verschwinden
gebracht werden kann, weshalb es für die Beurteilung des Ausfalles der
Reaktion von Wichtigkeit ist, zu wissen, ob eine Quecksilberbehandlung
voranging oder nicht. Ferner kommt es im natürlichen Verlaufe der Lues
gelegentlich zu Schwankungen im Ausfälle der Intensität der Reaktion, die
von stärkster Positivität bis zur schwachen Reaktion alle Phasen durchlaufen
kann. Fällt eine Wassermann’sche Reaktion daher in einem durch Quecksilber
nicht beeinflußten Falle oder nachdem längere Zeit vorher eine Quecksilberkur
nicht gebraucht worden ist, schwach positiv aus, so ist es angezeigt, die Probe
nach Ablauf von 2—3 Monaten zu wiederholen. — Tritt in einem Falle nach
einer Quecksilberkur von neuem die Wassermann sche Reaktion auf, so be-
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weist dieser Umstand, daß die Syphilis noch nicht geheilt ist; da nun auch
die Übertragungsfähigkeit der Krankheit durch die tertiären Syphilide u. a.
durch die Ne ißer’sehen Versuche einwandfrei bewiesen ist, so darf die Heirats¬
erlaubnis einem Luetiker nicht gegeben werden, solange die Wassermann’sche
Reaktion bei ihm positiv ausfällt. — Die frühere Annahme, daß eine Frau,
ohne selbst an Lues erkrankt zu sein, einem syphilitischen Kinde das Leben
geben könnte, hat sich durch den positiven Ausfall der Wassermann’schen,
Reaktion in gegebenen Fällen als irrtümlich herausgestellt. — Bei Kindern
syphilitischer Eltern kann die Wassermann’sche Reaktion ein positives <Er-
gebnis haben, ohne daß die Kinder selbst bis in die spätere Jugendzeit]
(14—20 Jahre) selbst syphilitische Erscheinungen dargeboten hätten. In .solchen
Fällen erscheint die Anstellung der Wassermann’schen Reaktion bedeutungs¬
voll für die Prophylaxe sogenannter metasyphilitischer Krankheiten (juvenile
Tabes). — Demnach kommt Mühsam auf Grund seiner Erfahrung in fast
6000 Fällen, die er serologisch untersucht hat, zu dem Resultat, daß die
Wassermann’sche Reaktion von Wert ist, 1. zur Entscheidung differential-
diagnostisch schwieriger Fälle, 2. zur Beurteilung eines Kurerfolges. 3. zur
Feststellung der Gesundheit bzw. Ausheilung bei Hereditär-Syphilitischen und
syphilitisch Gewesenen, 4. zur Feststellung des Freiseins von Lues bei Heirats¬
kandidaten und Ammen und 5. als Heilmittel bei Syphilidophoben.
R. Stüve (Osnabrück).
Medikamentöse Therapie.
L. Krehl (Heidelberg), Rat zur Vorsicht bei Gebrauch des Jods.
(Münchn. med. Wochenschr., Nr. 47, 1910.) Kropfkranke werden durch die
Gewohnheit, Strumen ohne weiteres mit Jod zu behandeln oft schwer ge¬
schädigt. Das Jod kann, selbst in vorsichtigen Gaben* thyreotoxische Er¬
scheinungen auslösen, Erscheinungen, die auch nach Aussetzen der Medika¬
tion dauernd fortbestehen können. Es handelt sich vor allem um Abmage¬
rung, Aufgeregtheit, Gefühl von Schwäche und Hinfälligkeit, ,,nervöse“
Störungen der Herztätigkeit, kurz Zeichen der Basedow’schen Krankheit,
deren übrige, klassische Symptome auch bei ausgesprochener Hyperthyreose
häufig fehlen.
Aber auch bei Menschen ohne vergrößerte Schilddrüse, speziell hei
Arteriosklerot.ikern werden häufig ähnliche Erscheinungen des Jodismus
hervorgerufen und zwar auch hier auf dem Umwege über die Schilddrüse,
deren abnorme Reaktion auf Jod nicht vorausgesehen werden konnte. Der
Autor rät, bei Artheriosklerotikern, denen das Jod oft nützlich ist, immer
die Schilddrüse zu palpieren und, wenn sie sich als vergrößert erweist, mit
dem Gebrauch von Jod äußerst vorsichtig zu sein, ganz besonders aber dann,
wenn mit oder ohne Vergrößerung der Schilddrüse thyreotoxische Erschei¬
nungen bestehen. Die Differenzialdiagnose der „thyreotixischen“ Symptome
steckt zurzeit noch i£i deoi Kinderschuhen. Statt in allen Teilen präziser An¬
gaben läßt sich zurzeit nur eines geben: Der Rat, beim Gebrauch des Jods
vorsichtiger zu sein als es vielfach üblich ist. R. Isenschmid.
Kirchheim (Köln), Über die Wirkung und Dosierung des Adrenalins
bei subkutaner Injektion. (Münchn. med. WocKenschr., Nr. .51, 1910.) Die
Befunde von Loeschke, weicher bei Infektionen und Intoxikationen ana¬
tomisch regelmäßig Veränderungen der Nebennieren nachgewiesen hat, ver-
anlaßten K., die Schwäche des Kreislaufes bei Infektionskrankheiten, nament¬
lich bei Pneumonie, Scharlach, Typhus und anderen durch subkutane In¬
jektion von Adrenalin (z. B. stündlich 1 mg) zu bekämpfen. Der Erfolg
war, besonders bei Kollapsen, fast ausnahmslos ein vorzüglicher. Trotz
protrahierter Darreichung und trotzdem oft außerordentlich hohe Dosen
(bis 48 mg pro die») gegeben wurden, hat der Autor keine schädlichen Wir¬
kungen des Mittels gesehen, speziell hat er, im Gegensatz zu anderen, nie¬
mals Glykosurie beobachtet.
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R. Isenschmid.
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E. Meyer, Eisensajodln in seiner rhino-Iaryngologischen Verwendung.
(Berliner klin. Wochenschr., Nr. 42, 1910.) Verf. gab bei Kindern mit lym¬
phatischer Konstitution zunächst zweimal täglich, dann dreimal täglich
eine Tablette, um schließlich auf zweimal täglich zwei Tabletten zu steigen.
Wegen des Schokoladegeschmackes wurden sie sehr gern genommen, der
Appetit besserte sich und nach kurzer Zeit nahm entsprechend das Gewicht
zu. Die Lymphdrüsenschwellungen bildeten sich zurück. Bei Struma war
die Wirkung nicht ausgesprochen, wogegen bei chronischen Bronchitiden drei
bis vier Gramm pro die die Sekretion günstig beeinflußten. Das zähe,
spärliche Sekret wurde reichlicher und mehr dünnflüssig, seine Entfernung
weniger quälend; auch die Beschwerden bei Asthma bronchiale waren kürzer
und weniger anstrengend, nach einigen Patienten sogar günstiger beeinflußt
als bei Anwendung des reinen Sajodin._ Neumann.
J. Pohl (Prag), Über den Nachweis von Atropin neben Physostigmin
und Pilokarpin. (Therap. Monatsh., Dezember 1910.) Zum Nachweis von
Atropin bei Gegenwart von Physostigmin und Pilokarpin in wässeriger
Lösung empfiehlt sich die Ausschüttelung mit Schwefelkohlenstoff zur An¬
stellung der entscheidenden Vital’schen Reaktion. S. Leo.
Diätetik.
H. Strauß (Berlin), Chlorarme Ernährung. (Jahreskurse für ärzt¬
liche Fortbildung, August 1910.) Wie die Erzeugnisse der Literatur, so
können auch die Produkte der Küche für unseren Zeitgeschmack nicht ge¬
würzt genug serviert werden. Wenn vielerorts minutiöse Vorschriften ge¬
geben werden, wie Eiweiß, Fette und Kohlehydrate zugemessen werden sollen,
so könnte man füglich in derselben Weise an eine Beschränkung der Ge¬
würze denken. Das ist freilich nicht ganz leicht. Schließlich schluckt
jeder Patient auch ein schlecht schmeckendes Medikament in hoffnungsvoller
Ergebung. Aber er ist nicht ebenso bereit, dauernd auf den Genuß von
Gewürzen, insbesondere des Salzes, zu verzichten. Ihn dazu zu bringen, ist
an sich schon ein erheblicher therapeutischer Erfolg. Bezüglich der Technik gibt
der vielerfahrene Strauß im vorliegenden Aufsatz viele beachtenswerte Winke.
Will man eine chlorarme Diät durchführen, so hat man zunächst
die übliche Bouillon, Brot und gesalzte Butter zu streichen. Eine sehr
hochgradige Reduktion des NaCl (auf 1—2 g pro die) erzielt man mit
Va— 8 A Liter Milch, Vs Liter Sahne, Obst, süßen Kompotten, Eier- und Mehl¬
speisen, Tee, Kakao, Schokolade. Das ev. gestattete (ungesalzte) Fleisch
gibt man mit Kapern — Hagebutten — Madeira — Bearnaise — Mousseline
— Mintsauce. Von Suppen kommen in Betracht: Fruchtsuppen, Milch- und
Mehlsuppen, Blumenkohl-, Spargel-, Tomaten-, Kartoffelsuppen mit Zusatz
von Majoran und ähnlichen Kräutern; ev. verleiht ein Teelöffel von Valen¬
tines Meat juice oder Bromnatrium 0,5 einen zusagenden Geschmack.
Von Gemüsen lassen sich Schoten und Karotten, Spargel, Kohlarten,
Endivien, Cichoree, Artischoken, Pilze (vielleicht auch Kastanien) salzarm
zubereiten, ev. unter Zugabe von pflanzlichen Wiirzstoffen. Reisbrei, Apfel- und
Tomatenreis, Reis mit holländischer Sauce, Salate sind ohne weiteres gestattet.
Eier lassen sich mit Spinat, Salaten, mit Kapern- und Tomatensauce,
ev. mit etwas Wein verrührt leicht nehmen. Für süße Mehl- und Eier¬
speisen, wie Flammeries, Puddings, Cremes, mit Schokolade -Vanillesaucen
und dergl. schwärmen auch Gesunde. —
Strauß bespricht die chlorarme Diät vornehmlich für Hydropsien bei
Nieren- und Herzkranken; von der Karellkur bei Herzschwäche, Adipositas,
Diabetes insipidus, (Arterio-)Sklerose seien gute Erfolge beobachtet worden.
Vielleicht kann man den Kreis der Indikationen noch weiterziehen und sogar
prophylaktischerweise auf Personen ausdehnen, die scheinbar noch gesund sind.
(Um die Kochsalzausscheidung im Urin zu kontrollieren, hat Strauß
von Paul Altmann, Berlin NW. 6, Luisenstr. 47, ein bequem zu hand¬
habendes, graduiertes Röhrchen hersteilen lassen. Preis: Mk. 3.—.)
Buttersack (Berlin).
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W. Winternitz (Wien), Heidelbeeren in der Therapie. (Zeitschr. für
Balneologie, Klimatologie u. Kurorthygiene, 1. Oktober 1910.) Winternitz
berichtet wiederholt über die mehrfach von ihm erwähnten guten Erfolge,
die er mit den Dekokten bzw. Infusen von Vaccinium myrtill. erzielt hat.
Das Extr. myrtill. Winternitz von Pleld in Troppau ist besonders empfehlens¬
wert; anzuwenden ist es bei den verschiedensten Diarrhöeformen, Dick- und
Dünndarmkatarrhen und Dysenterieformen, sowie den schmerzhaften Zungen¬
affektionen in der Rekonvaleszenz nach Typhus und anderen langwierigen
Infektionskrankheiten, vor allem aber bei der Leukoplakie. Auch auf die
Schleimhäute der Vagina, Urethra und auf den Uterus wirkten die betr.
Abkochungen, hier speziell gewaschen oder gepinselt, günstig. Äußerliche
Anwendung bei Ekzemen aller Art in syrupdick konzentriertem Dekokt; Ab¬
lösung des Verbandes mit physiologischer Kochsalzlösung.
Krebs (Falkenstein).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Kernen und Neumann (Kreuznach), Über die Aufnahme der Radium-
emanation bei verschiedenen Anwendungsformen. (Zeitschr. für Balneol. usw.,
1. Dezember 1910.) Die Verfasser kommen auf Grund ihrer Untersuchungen
zu folgenden Schlußergebnis:
1. Bei der Trinkmethode gelangt die .Radiumemanation ins Blut und
zirkuliert unabhängig von der eingeführten Menge gleich lange Zeit, etwa
2Vs—3 Stunden in ihm.
2. Bei der Inhalation .... wird nur ein geringer Teil .... vom
Blut absorbiert ....
3. Bei der Bademethode wirkt die Radiumemanation hauptsächlich
von außen auf die Hautnerven.
4. Die Radiumemanation diffundiert durch die Haut des Körpers.
5. Die im Blut zirkulierende Emanation verläßt den Körper fast voll¬
ständig auf dem Wege durch die Lungen.
6. Um den Körper längere Zeit bestmöglicher Radiumwirkung aus¬
zusetzen, empfieht sich eine Kombination der Trink- und Bademethode in
über den Tag verteilte Anwendungsformen. Krebs (Falkenstein).
Von der Pechblende zum reinen Radium. (Med. Blätter, Therap.
Zentralbl., Nr. 11, 1910.) Frau Prof. Curie hat das Radium rein dar¬
gestellt. Anstoß zur Entdeckung des Radiums gab das das Strahl ungsver¬
mögen der Uransalze, das Becquerel entdeckte; bei der Messung der
Radioaktivität der BecquereTschcn Strahlen bemerkte Frau Curie, daß
die Aktivität der Pechblende von Johannisthal sehr hoch war und
daraus schloß sie in gemeinsamer Arbeit mit ihrem Gatten, daß die IJran-
pecherze einen neuen, stark radioaktiven Stoff enthalten. Aus dem Mineral
wurden zunächst Wismutsalze abgeschieden, deren Aktivität etwa 400 mal
so groß war, wie die des Urans; daraus schloß Curie auf die Anwesen¬
heit einer Radiumsubstanz, die den Namen Polonium erhielt, während ein
anderer Stoff, dessen Anwesenheit sie in einem Baryumniederschlag ver¬
mutete. die Bezeichnung Radium erhielt. Durch sogenannte „fraktionierte“
Kristallisation gelang es, eine Radiumverbindung von dem Baryum zu trennen
und zwar das Chlorid. Diese Chlorverbindung zeigte bei der chemischen
Untersuchung, daß tatsächlich ein neues Element entdeckt worden sei, das
ein spezifisches Spektrum hat. Mit diesem Radiumchlorid und den daraus
abgeleiteten chemischen Verbindungen sind dann alle Untersuchungen, das
Radium betreffend, ausgeführt worden, während man des Radiums selbst,
bis auf die oben gemeldete Entdeckung der Frau Curie, nicht habhaft wer¬
den konnte. Trotzdem war die Lebensgeschichte des Radiums ziemlich
sicher bekannt. Sie paßt sich vorzüglich der Hypothese des Atomzerfalles
an, die Ruthenford und S o d d y aufgestellt haben. Das Radium bildet
unter Abgabe von Helium die Radiumemanation; das Radium zerfällt
allmählich, von 1 g setzt sich in einem Jahre ein halbes mg um, so daß die
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Bücher schau.
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ganze Lebensdauer ca. 1800 Jahre beträgt. Die Emanation bildet, einen
Niederschlag, das Radium A, dessen Lebensdauer nur 3 Minuten beträgt,
hieraus bildet sieh das Radium B. das eine Lebensdauer von 20—25 Minuten
hat und in Radium C übergeht, das eine gleiche Lebensdauer hat. Die
nächste Stute dagegen ist das Radium D, ein grauer bleiartiger, metallisch
glänzender Stoff, den Ramsay bereits dargestellt hat, der eine Lebens¬
dauer von 40 Jahren hat und in der Pechblende vorkommt. Das Radium E
lebt nur 6 Tage und geht in das Radium F = Polonium über. S. Leo.
Bücherschau.
Bourcart, Die Krankheiten der Pflanzen und ihre rationelle und wirksame Behand¬
lung. Paris 1910. O. Doin et fils. 650 Seiten, 9 Frs.
Daß die Analogie und der Vergleich wertvolle Hilfsmittel der Forschung
sind, ist von der modernen Wissenschaft beinahe systematisch vernachlässigt worden;
als ob es eiu Fehler wäre, den Blick über einen enggestellten Scheulederklappen¬
horizont liinausschweifen zu lassen! Und doch ist der Mensch nicht das einzige
Lebewesen auf diesem Planeten. Derselbe Plan im organischen Aufbau findet sich
auch in der Tier- und in der Pflanzenwelt, und a priori ist anzunehmen, daß von
hier aus sich manche Rätsel der Biologie aufklären lassen möchten. Nun hat
Bourcart solch eine Pflanzenpathologie mit Ausblicken auf die sog. höheren Lebe¬
wesen verfaßt, und Benjamin hat dieselbe der Acad^mie de Mödicine mit warmen
Worten empfohlen „non seulement comrne prösentant un intöret scientifique pour
le m^decin, mais eneore corame susceptible de donner a une partie de la thdra-
peutique animale une orientation nouveile et profitable“. Buttersack (Berlin).
Paul Pollitz (Düsseldorf), Strafe und Verbrechen, Geschichte und Organisation
des Gefängniswesens. Leipzig 1910. Verlag von B. G. Teubner. („Aus Natur und
Geisteswelt“ Nr. 323). 140 S. Geb. 1,25 Mk.
V T erf., der auf eine zehnjährige Tätigkeit, zuerst als Strafanstaltsarzt, sodann
als Strafan.staltsleiter, zurückblicken kann, sucht hier „eine kurze Übersicht über
die Entwickelung und innere Organisation des heutigen Strafvollzuges und über
die wichtigsten Maßregeln zur Bekämpfung des Verbrechens“ zu geben und ge¬
währt so neben dem Juristen auch dem mit den verschiedensten Bevölkerungsklassen
in Berührung kommenden Arzte ausgezeichnete Einblicke in ein sonst verschlossenes
Gebiet, so daß wir das billige Büchlein nur allen Kollegen empfehlen können, vor
allen denen, die selbst als Gefängnisarzt schon tätig sind oder die sich für deren
Tätigkeit und die damit verbundenen Fragen noch besonders interessieren!
Werner Wolff (Leipzig).
Carl Schiatter (Zürich), Die Brüche der Mittelhandknochen. Samml. klin. Vor¬
träge Nr. 595, Chirurgie Nr. 168. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambros. Barth.
22 S. 0,75 Mk.
Verf. gibt hier neue Beiträge (40 Fälle) zu einer früher von ihm veröffent¬
lichten Arbeit über eine von ihm gefundene Form von Metakarpalfrakturen, den
Torsionsbrüchen, als Folgen indirekter Gewalteinwirkungen im Gegensatz zu den
meist direkt entstehenden Querbrüchen. Wenn der Hauptzweck Schiatters da¬
maliger Arbeit deren Konstatierung war, so kann man aus seiner neuen, reich mit
Abbildungen versehenen Arbeit die Richtigkeit seiner damaligen Behauptungen er¬
sehen, und wie wir bisher von Barnett’scben Metakarpalfrakturen sprachen, werden
wir von jetzt an wohl auch mit einer Schlatter’schen Torsionsfraktur zu rechnen
haben, zu deren Behandlung er zudem noch, vor allem dem Praktiker, recht inter¬
essante Anleitungen gibt. Werner Wolff (Leipzig).
Robert Fürstenau (Berlin), Leitfaden der Röntgenphysik. Stuttgart 1910. Verlag
von Ferdinand Enke- 90 S. 60 Abb.
Verf. hat es, bei gedrängter Kürze, in ausgezeichneter Weise verstanden,
„unter Heranziehung möglichst vieler Analogien, die auf Behandlung aller jener
Einzelheiten, welche in physikalische Lehrbücher gehören, verzichtet, die physi¬
kalischen Grundlagen der Röntgenapparate, von den einfachsten elektrophysi¬
kalischen Grundbegriffen ausgehend“, allgemein verständlich darzustellen, sodaß
seine Schrift ein sicher gern gebrauchtes Hilfsbuch und Repetitorium bei Röntgen¬
kursen für Ärzte, Gehilfen und Lehrschwestern bilden wird.
Werner Wolff (Leip zig).
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
ProTesscr Dr. €. Köster PriMloz. Df. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rlgler in Leipzig.
Nr. 10.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
9. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Deformitäten der Wirbelsäule.
Von Dr. Muskat, Berlin, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie.
Die menschliche Wirbelsäule besteht aus 33—34 Wirbeln. Die
Wirbel werden eingeteilt in 7 Hals- oder Nackenwirbel, 12 Brust- oder
Rückenwirbel, 5 Lendenwirbel, 5, zu einem Ganzen verschmolzenen,
Kreuzbeinwirbel und 4—5 Schwanz- oder Steißbeinwirbel. Letztere sind
rudimentär. Der erste Halswirbel, der Atlas, ist gelenkig mit dem
Hinterhaupt verbunden und gestattet die ausgiebigen seitlichen und
vorwärts und rückwärts gerichteten Bewegungen des Kopfes. Der zweite
Halswirbel (Epistropheus) greift bekanntlich mit einem zahnartigen
Fortsatz in den Atlas hinein und gestattet die Drehung des Kopfes.
Die übrigen Wirbel zeigen untereinander ziemlich ähnliche Anlage,
nämlich den Wirbelkörper, welcher ventralwärts gelegen ist, die Wirbel-
bögeri und die Wirbelfortsätze, und zwar werden seitliche (Querfortsätze)
und nach rückwärts gerichtete (Dornfortsätze) und nach oben und unten
gerichtete Gelenkfortsätze, welche die Verbindung zwischen den einzelnen
Wirbeln vermitteln, unterschieden. Je nach der Stellung der Gelenk¬
tortsätze sind Bewegungen in verschiedenen Arten ausführbar. Eine
Bewegung um eine Querachse gibt Beugung nach vorwärts und rück¬
wärts. Diese ist besonders in der Hals- und Lendenwirbelsäule aus¬
führbar. Die Bewegungen um eine Sagittalachse ergeben seitliche Beu¬
gung; diese sind besonders an der Brustwirbelsäule ausführbar.
Die Bewegungen um eine Vertikalachse (Rotation) sind gleichfalls
besonders in der Brustwirbelsäule ausführbar; dabei tritt stets eine
seitliche Deviation gleichzeitig ein. 1 )
An den 12 Brustwirbeln sind die 12 Rippen befestigt, von denen
10 durch knorpelige Verbindungen bis zum Brustbein gelangen, während
die unstersten beiden frei endigen. Die Zahl der Rippen ist manchmal
um eine vermehrt, indem der seitliche Fortsatz des untersten Hals¬
wirbels, welcher einem Rippenrudimente entspricht (Processus costarius)
noch als Rippe sich entwickelt hat und als Halsrippe bezeichnet wird.
Die Verbindung der Rippen mit den Wirbeln geschieht in der Weise,
daß der eigentliche Rippen-Gelenkkopf mit je zwei Wirbelkörpern artiku¬
liert. Nur die ersten und letzten Rippen artikulieren gewöhnlich mit
4 ) cf. Gegenbaur, Lehrbuch der Anatomie und Lovett, Die Bewegungen der
Wirbelsäule. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für orthopädische Chirurgie 1905.
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nur einem Wirbelkörper. Eine weitere gelenkige Verbindung liegt
zwischen dem Tuberculum oostae und den Querfortsätzen der Wirbel.
Dadurch ist eine festere Verbindung zwischen Wirbel und Rippe gegeben,
so daß jeder Stellungsveränderung des Wirbels auch die Rippe folgen
muß, da sie nicht ausweichen kann.
Die Verknöcherung der knorpelig angelegten Wirbel erfolgt an
drei Punkten. Ein Knochenkern erscheint im Innern des Wirbelkörpers
und je ein weiterer seitlich in den Wirbelbögen. Zwischen dem 16. bis
25. Lebensjahre ist der Verknöcherungsprozeß erst vollständig abge¬
schlossen.
Das Rückenmark liegt in dem Wirbelkanal, der durch die Fora-
mina vertebralia. welche durch Wirbelkörper und Bogen begrenzt werden,
gebildet wird. Rückenmarksnerven treten durch Öffnungen heraus,
welche durch die verschiedene Höhe der übereinanderliegenden Wirbel¬
körper und Wirbelbögen entstehen. Der Wirbelkörper besteht aus spon¬
giösem Gewebe, während die Bögen mehr festem Knochen entsprechen.
Zwischen den einzelnen Wirbelkörpern liegen die Zwischenwirbel¬
scheiben, die Ligamenta intervertebralia. Sie bestehen aus einem äußeren,
aus faserigem Bindegewebe gebildeten Teil (Annulus fibrosus), welcher
einen gallertigen Kern (Nucleus pulposus) umschließt und durch seine
elastische Komprimierbarkeit von größtem Werte für die Bewegungen
in der Wirbelsäule ist. Weitere mächtige Bandmassen, welche die
Wirbelkörper an der ventralen und dorsalen Seite überziehen und
zwischen den einzelnen Teilen der Wirbel verlaufen, geben der ganzen
Wirbelsäule eine starke Stütze.
Ein kompliziertes System von Muskeln vermittelt die Bewegungen
der Wirbelsäule als Ganzes, der einzelnen Teile untereinander und dem
mit der Wirbelsäule in enger Verbindung stehenden Schulter- und Becken-
Gürtel mit den Extremitäten. Besonders beachtenswert sind die langen
Rückenmuskeln, welche vom Becken entspringen und sich in mannig¬
fachen anderen Ansätzen und Ursprüngen bis zum Hinterhaupte hinauf
festsetzen. Diese Muskelmassen liegen in der Tiefe und werden von den
mehr flächenhaft verlaufenden breiten Muskeln überdeckt. Eine starke
Faszie liegt in der Lendenregion.
Die Länge der Wirbelsäule variiert je nach der Dauer der Be¬
lastung; so kommt es, daß die Wirbelsäule am Morgen durch stärkere
Streckung länger ist, als am Abend, und daß Kranke, welche lange
Zeit im Bett gelegen haben, nicht nur größer erscheinen, sondern tat¬
sächlich größer sind, da die Krümmungen, die bei Belastung normaler¬
weise vorhanden sind, mehr oder weniger ausgeglichen und gestreckt
werden.
Die Stellung, in welcher sich die anfangs völlig gerade Wirbelsäule
beim Neugeborenen befindet, ist beim Auf setzen eine leicht konvexe. Der
Rücken wird nach hinten zu gewölbt. Die Wirbelsäule selbst ist gestreckt,
ohne auch nur eine antero-posteriore Biegung zu zeigen. Durch das Auf¬
richten des Kopfes des Kindes bildet sich dann im Säuglingsalter be¬
sonders beim Sitzakt die Lordose (Vorwärtskrümmung) der Halswirbel¬
säule, welcher im Gehälter die Lordose der Lendenwirbelsäule folgt. Um
die Last des Körpers besser zu balancieren, wird dabei der an sich schon
dicke Bauch noch weiter hervorgestreckt und der Oberkörper zurück¬
gebeugt, um so die ersten erfolgreichen Gehversuche glücklich anzu¬
stellen. Es bildet sich eine Abknickung in der Gegend des späteren
Promontoriums, die dann zur Lordose führt. Nach völliger Ausbildung
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
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zeigt die Wirbelsäule im Brust- und Kreuzbein teile Kyphose (Rück-
wärtskrüminung), im Hals- und Lendenteile Lordose. Die Form der
Wirbelsäule ist nach H. v. Meyer treffend mit den Schwanenhals-
fedem eines altmodischen Wagens zu vergleichen, indem sie in drei
federnde Bogen zerlegbar erscheint.
Diese unter normalen Verhältnissen stets vorhandenen, je nach
Alter, Geschlecht und Rasse verschieden stark ausgeprägten Krüm¬
mungen gewinnen erst durch stärkeres Hervortreten bzw. Ver¬
schwinden ein Interesse klinischer Natur. Die Körperachse verläuft
bei den oben angegebenen Verhältnissen von der Mitte des Scheitels
durch das Ohr und die quere Verbindungslinie der Hüftgelenke hin¬
durch und fällt etwa in die Mitte der Füße. (Chopart’sches Gelenk.)
Durch straffe Anspannung der Muskulatur, bei der auch Bauch-,
Hüft- und Schenkelmuskeln mitspielen, wird die „Militärische Haltung“
erreicht, die aber nicht mehr natürlichen Verhältnissen entspricht und
durch rasche Ermüdung der beteiligten Muskelgruppen von selbst auf
ihre Unzweckmäßigkeit als Normalhaltung hinweist, dagegen als
„Übung“ gut verwendbar ist.
Bei den Betrachtungen über die Deformitäten der Wirbelsäule
soll stets der abnorme „Haltungstyp“ von der „Deformität“ getrennt
werden, obwohl naturgemäß beide ineinander übergehen.
Die Veränderungen der Wirbelsäulenform können in einer
sagittalen (antero-posterior-dorso-ventralen) oder in einer lateralen Rich¬
tung liegen. Bei sagittalen Veränderungen kommen Kyphosen und Lor¬
dosen, bei lateralen Skoliosen, bzw. Kyphoskoliosen in Frage.
Vermehrt sich die Kyphose der Rückenwirbelsäule bei relativ
normaler Lendenlordose, so entsteht der „runde Rücken“, wie er sich
professionell bei Schuhmachern, Steinträgern, Hausierern und ähnlichen,
viel in gebückter Stellung arbeitenden Personen findet. Die Schwerlinie
verläuft dabei hinter Hüftgelenk und Ohr. Dabei ist neben dem Hervor¬
springen der hinteren Wirbelpartien eine Verschiebung der Schulter¬
blätter nach den Seiten zu bemerken, so daß diese flügelförmig abstehen.;
die Schultergelenke erscheinen mehr nach vorn gelegt. Diese meist bei
schlaffen, muskelschwachen Individuen beobachtete Haltung, die tat¬
sächlich an den Affenhaltungstyp erinnert, wird von Hasebroek 1 )
als atavistisches Merkmal gedeutet. Er sagt, „die besagten Anomalien
der Haltung sind auf Vorfahrencharaktere zurückzuführen, die mit
der kletternden Lokomotion Zusammenhängen u. s. f.“
Der „flache, oder flachhohle“ Rücken zeigt auffallend gering ent¬
wickelte Lendenlordose und Dorsalkyphose. Die Wirbelsäule steigt,
an der Dornfortsatzlinie gemessen, über dem Kreuzbein in fast gerader
Linie empor. Die Schwerlinie schneidet Hüftgelenk und Ohr.
Der „hohle“ Rücken zeigt eine stark entwickelte Abknickung
über dem Kreuzbein, starke Beckenneigung und eine Abflachung der
Dorsalwirbelsäule. Die Schwerlinie verläuft vor dem Hüftgelenke.
Der „hohlrunde“ Rücken besteht in einer Übertreibung der Dorsal-
kyphosc und Lendenlordose und findet sich besonders hei Mädchen
im heranwachsenden Alter, wie überhaupt beim weiblichen Geschlecht
dieser Typ überwiegt, während beim Manne der mehr gestreckte Haltungs-
*) Hasebroek, Über schlechte Haltung und schlechten Gang der Kinder.
Zeitschr. für orthopäd. Chir., Bd. 26, S. 175, 1910.
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modus gefunden wird. 1 ) Als Rasseneigenheit findet sich bei niederen
Völkern, besonders solchen, die viele Arbeiten in kauernder Stellung
verrichten, die Lendenlordose weniger ausgesprochen, als bei höher¬
stehenden, ausschließlich aufrechtgehenden Völkern.
Bei der Gravidität sind zwei Haltungstypen zu unterscheiden.
Beim ersten macht während der Gravidität der Rumpf eine Drehung
im Hüftgelenk nach hinten, unter unerheblicher Veränderung der
Lendenlordose. Beim zweiten findet eine Schwankung des ganzen Kör¬
pers im Fußgelenke nach hinten statt. Bei beiden Typen kann die Dor¬
salkyphose vermehrt sein, während die Lendenlordose sich meist nicht
vermehrt zeigt, da durch die Steilstellung des Beckens die Riickwärts-
neigung des Rumpfes kompensiert wird.
Ohne erheblichen Unterschied gehen nun diese Haltungstypen in
die eigentlichen Krankheit«formen über.
Die pathologischen Lordosen bilden sich besonders bei Rachitis
und Tuberkulose, doch sind sie meist durch Veränderungen an anderen
Teilen des Körpers so übertroffen, daß sie nicht in Betracht kommen.
Bei Lähmungen der Bauchmuskeln und der langen Rückenmuskeln, wie
sie bei der Poliomyelitis anterior, der progressiven Muskelatrophie oder
der Pseudohypertrophia muscularis Vorkommen, entsteht eine erheb¬
liche Lordose, welche zur Erhaltung des Gleichgewichtes künstlich
hervorgerufen wird. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der angeborenen
Hüftverrenkung, bei welcher die Oberschenkelköpfe nach hinten ver¬
legt sind, so daß der Körper nach vornüber fallen würde, wenn nicht
durch eine lordotische Ausbiegung der Lendenwirbelsäule das Schwer¬
gewicht ausbalanciert würde.
Die meisten Lordosen betreffen die Lenden-Wirbelsäule, doch sind
auch an der Halswirbelsäule gelegentlich Lordosen beobachtet.
Die Therapie wird zunächst die Ursachen zu beseitigen haben,
z. B. die angeborenen Hüftverrenkungen durch Operation einzurenken.
Stützapparate, Stahlstoffkorsetts mit elastischen Zügen u. a. m. werden
die Deformität, wenn auch nicht heilen, so doch in ihren schädigenden
Einwirkungen mit Erfolg bekämpfen.
Erwähnt sei noch die für Gynäkologen besonders wichtige Lor¬
dosenform auf osteopathischer Grundlage bei der Spondylolistesis. Bei
dieser Erkrankung hat sich der letzte Lendenwirbel mit der ganzen
überliegenden Wirbelsäule über die Basis des Kreuzbeins nach vorn
und abwärts verschoben.
Die Kyphosen bilden einen nach der Rückseite hervorspringenden
Buckel, welcher mehr oder weniger hohe Grade erreichen kann, ver¬
schiedene Formen hat und die anderen Teile der Wirbelsäule oft in
Mitleiden Schaft zieht. Die Brust ist häufig dabei eingesunken, der
Hals steigt schräg nach vom an und trägt in gleicher vorgeneigter
Stellung den Kopf.
Neben der Muskelschwäche und der oben angedeuteten atavistischen
Ursache sind es sicherlich Änderungen in der Innervation, Störungen
des Willenimpulses, welche hier eine gewisse Rolle spielen; cs ist
dies leicht bei Neurasthenikern festzustellen, deren Haltung mit dem
Stimmungswechsel gleichfalls sich ändert. Ebenso dürften diese letzteren
Verhältnisse für die Alterskyphose zutreffen. Anstatt mit Hilfe
*) Staffel, Die menschlichen Haltungstypen und ihre Beziehungen zu den
Rückgratverkrümmungen. Wiesbaden 1889.
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
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der Muskeln die Wirbelsäule zu tragen, überläßt es der Patient der
Wirbelsäule selber, sich so weit zu krümmen, bis sie sich durch das
Eingreifen der natürlichen Hemmapparate und der Körperschwere selbst
fixiert.
Bei der Lähmung der Rückenmuskeln sinkt die ganze Wirbel¬
säule in einem großen Bogen zusammen, ohne daß der Patient sich
wieder aufrichten kann. 1 )
Die Arthritis de form ans kann ebenso wie an anderen Ge¬
lenken durch Lokalisieren in den Wirbelgelenken zu Versteifung und
Kyphose führen.
Von Strümpell 2 ) ist der Begriff der chronisch ankylosie-
sierenden Wirbelsäulenentzündung geschaffen worden.
Bei dieser Krankheit, welche von Pierre Marie, von v. Bech¬
terew 3 ) u. a. beschrieben ist, entsteht eine Versteifung der gesamten
Wirbelsäule, welche zu mehr oder weniger großer Kyphosenbildung
führt. Die Versuche, verschiedene Krankheitsbilder gegeneinander abzu¬
grenzen, sind noch nicht abgeschlossen. Als Ursache wird neben mecha¬
nischen Momenten, wie Durchnässung u. a. m., Lues angegeben.
Eine Einteilung ist eventuell nach folgendem Schema möglich:
Bechterew: | Strümpell-Marie:
Kyphosenbildung. Versteifung.
Ausbreitung von oben nach unten. Ausbreitung von unten nach unten.
Die großen Gelenke sind frei. Die großen Gelenke sind meist befallen.
Ätiologie: Ätiologie:
Heredität Keine Heredität.
Lues Rheuma.
Trauma. Sonstige Infektionskrankheiten.
Im Anschluß an Typhus ist die Spondylitis typhosa beobachtet
und beschrieben worden.
Nach Wirbelsäulenverletzungen sind traumatische Kyphosen
nicht, selten beobachtet.
Das Hauptkontingent der Kyphosen stellt aber die rachitische
und die tuberkulöse Form.
Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen bei der rachi¬
tischen Kyphose zeigen eine Abnahme der Höhe der Zwischen wirbel¬
scheiben an der Vorderseite, auch die Knochenkeme und Epiphysen¬
knorpel beteiligen sich an der Buckelbildung. Mitunter sind die Wirbel¬
körper selbst erheblich verändert. Die höchste Prominenz des Buckels
zeigt einen mehr oder weniger sanft verlaufenden Charakter. Die Mus¬
keln sind nicht imstande, die Wölbung zu beseitigen.
Im Gegensatz zu der tuberkulösen Kyphose (Spondylitis)
läßt sich die Wölbung bei der rachitischen Kyphose passiv ausgleiclien.
Legt man ein Kind mit einer derartigen Affektion mit dem Bauche
auf eine flache Unterlage, so gelingt es durch Erheben an den Beinen
den rachitischen Buckel zum Schwinden zu bringen, während der tuber¬
kulöse bestehen bleibt, auch ist in den meisten Fällen der tuberkulöse
Buckel schärfer und spitzwinkliger nach hinten vorspringend, als der
*) cf. Schulthess, Die Pathologie und Therapie der Rückgratverkrümmungen
in Joachimsthal, Handbuch der orthopädischen Chirurgie. Encke, Stuttgart,
und Hoffa, Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie. Encke, Stuttgart.
2 ) Strümpell, Bemerkungen über chronisch ankylosierende Entzündung der
Wirbelsäule und der Hüftgelenke. Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 11, 1897.
*) v. Bechterew, lieber ankylosierende Entzündung der Wirbelsäule. Deutsche
Zeitschr. für Nervenheilk., Bd. 15, 1899.
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rachitische. Weitere, differential diagnostisch wichtige Unterschiede
können darin gefunden werden, daß bei der Spondylitis eine erhebliche
Schmerzhaftigkeit vorhanden ist. daß das Allgemeinbefinden des Kindes
ein schlechtes ist, und daß sich an der erkrankten Stelle und von ihr
fortgeleitet, Abszesse bilden.
Das Auftreten rachitischer Veränderungen an anderen Körperteilen,
eine mehr oder weniger stark vorhandene Dyspnoe, welche auf die
veränderte Form des Brustkorbes zurückzu führen ist, lenken die Diagnose
auf Rachitis. Schließlich sei noch erwähnt, daß Kinder in den ersten
zwei Lebensjahren weitaus häufiger an Rachitis als an Tuberkulose
leiden.
Die Reaktionen auf Tuberkulose von Pirquet (Hautreaktion) und
W r olff-Eisner, Calmette (Ophtalmoreaktion) können durch ihren
positiven Ausfall in gewissen Fällen von Bedeutung sein. So schwer
die Differentialdiagnose häufig auch ist. wird sie sich doch durch
längere Beobachtung, während der natürlich alle Vorsichtsmaßregeln
zu treffen sind, meist stellen lassen.
Die Behandlung der Kyphose ist stets darauf zu richten, eine
Versteifung der Wir beige lenke und der Wirbelsäule zu verhüten, die
gerade Form wiederherzustellen und die Wirbelsäule in der erreichten
Normalstellung so lange zu stützen, bis die Muskeln und die anderen
Hilfsstützvorrichtungen imstande sind, wieder selbst die alte Funk¬
tion aufzunehmen. Eine Ausnahme von diesen Behandlungsniaximen
bildet die Spondylitis, die in einem eigenen Kapitel behandelt
werden soll.
Die Prognose der Kyphosen ist keine ungünstige, wenn recht¬
zeitig und konsequent und zeitlich lange genug die Behandlung fort¬
gesetzt wird; ungünstig ist sie nur bei den entzündlichen Formen, die
trotz aller Maßnahmen oft zur Versteifung führen; doch läßt sich auch
hier die eigentliche Verbiegung aufhalten oder verringern.
Bei der Behandlung ist zunächst die Entfernung aller der Schäd¬
lichkeiten angezeigt, welche die Kyphose hervorgerufen haben bzw.
sie erhalten oder ihre Beseitigung verhindern. Bei der Rachitis wird
eine zweckmäßige Ernährung viel Gutes stiften können. Aufenthalt
in frischer Luft, an der See, auch im Winter, regelmäßige Bewegungen,
•welche den Kindern häufig durch zu festes Einbinden in Windeln
und andere W r ickelVorrichtungen benommen sind, gute Hautpflege,
häufige Bäder unter Zusatz des den Stoffwechsel anregenden Staßfurter
Salzes u. a. m., werden mit Erfolg empfohlen. Von großer Bedeutung
ist die Lagerung derartiger Kinder, da die krankhaft weichen Knochen
jedem äußeren Drucke nachgeben. Das Lager des Kindes muß hart und
glatt sein, der Kopf darf nur wenig erhöht liegen. Zeigt sich bei
kleinen Kindern eine Neigung zu Kyphose, so ist das Tragen auf dem
Arme so weit als irgendmöglich zu vermeiden. Auch die Versuche des
Kindes, sich aufzusetzen und in sitzender Haltung zu verharren, sind
ebenso wie zu frühe Gehversuche zu bekämpfen.
Von unschätzbarem "Wert ist die Anwendung des Gipsbettes,
dessen Anfertigung so leicht ist, daß sie jeder Praktiker ohne weiteres
ausführen kann, und auch leisten müßte.
Die von verschiedenen Seiten angegebenen Apparate zur Lagerung
des Kindes bei der Anfertigung des Gipsbettes lassen sich völlig um¬
gehen. Es genügt, das Kind auf den Bauch zu legen, die Arme in
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
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gleicher Höhe ausgestreckt oder so gelegt, daß der Kopf auf den
Händen ruht. Man kann auch unter das Becken, die Schultergelenke
und die Stirn je ein Polster legen, um dadurch ein Einsinkien des,
Rückens zu erreichen.
Klapp empfiehlt, die Kinder mit Knien und Händen im Vier¬
füßerstand sich aufstützen zu lassen, während der Kopf gehalten wird.
Von diesen Grundlagen lassen sich beliebige Modifikationen ohne
Schwierigkeit herstellen, so z. B. in der Weise, daß die Füße erhoben
und mit einer Schlinge an einem Stabe aufgehängt werden, so daß
der Rückenbuckel ausgeglichen wird. Auf den Rücken des Patienten
wird ein Tuch gelegt, eventuell wasserdichter Stoff mit Watte, um
Druck und Durchnässung zu vermeiden. Nun werden möglichst breite
Gipsbinden (20 cm) vorbereitet. Am besten werden Stärkebinden auf-
gerollt und wie auf einem Waschbrett mit Gips eingestreut und dabei
gleichzeitig wieder aufgewickelt. Das Material muß bester Alabaster¬
gips sein und sehr trocken aufbewahrt werden. Die fertige Binde
wird in warmes Wasser gelegt und so lange darin gelassen, bis
keine Luftblasen mehr aufsteigen. Dann wird die Binde herausge-
nominen, etwas zwischen den flachen Händen ausgedrückt, nicht etwa
ausgewunden, und dann schnell auf dem mit dem Tuche bedeckten
Rücken abgewickelt. Die Richtung geht vom Kreuzbein bis über den
Kopf und wieder zurück, die erste Tour zur Hälfte deckend. Ein
Assistent streicht die Binde glatt und modelliert sie fest an die Körper¬
form an. Die nächste Binde geht von einer Seite zur anderen. Dabei
ist gute Hilfe wünschenswert. Ein Assistent legt seine flache Hand
an die Seite des Patienten, hält die Binde fest, läßt sich die Hand;
mit einwickeln, zieht sie schnell heraus und streicht die Binde fest.
Dann kommen wieder Längstouren u. s. f. Einige Holzspäne geben dem
Gefüge größeren Halt. Die Holzspäne müssen in Wasser gut durch¬
feuchtet sein, damit sie sich mit dem Gips gut verbinden. Besonders
stark muß der Übergang zwischen Rücken und Kopf gehalten werden,
da hier leicht ein Bruch eintritt. Bei kleineren Kindern genügen etwa
5—6 Lagen Gipsbinde, um eine ausreichende Festigkeit zu geben. Die
Gipsschale wird, nun vom Körper abgenommen und beschnitten. Am
Ende muß ein Ausschnitt gemacht werden, damit das Bett nicht so
leicht beschmutzt wird, ebenso müssen für die Arme größere Aus¬
schnitte gemacht werden, um jeden Druck auf die Nerven zu ver¬
meiden. Am Kopf wird das Bett recht flach gehalten, während die
Seiten am Rumpfe höher hera ufreichen sollen. Es empfiehlt sich auch,
Gurtbänder einzugipsen, mit denen nachher das Bett zugeschnallt werden
kann, doch genügt auch einfaches Festwickeln mit breiter Flanellbinde.
Ist das Bett trocken — die Ränder werden mit Stärkebinden über¬
klebt —, so wird eine Lage Watte, oder Flanell oder ähnliches hinein¬
gelegt. Der Gips kann durch Schellacklösung widerstandsfähiger ge¬
macht werden. Zweckmäßig kann es sein, auf die Stelle, welche dem
Rückenbuckel entspricht, eine Extralage Watte zu bringen, damit ein
Druck auf diese Stelle ausgeübt wird. Das Kind kann in .diesem Bette
dauernd uiitergebracht werden, kann im Wagen damit liegen und darin
herumgetragen werden. Immer bleibt seine Lage die gleiche und der
heilende, und korrigierende Druck auf die Kyphose wirkt andauernd
ein. Dieselben Gipsbetten werden bei der Spondylitis und der Skoliose
als Lagerungsapparat mit Erfolg verwendet und darum ist der Be¬
schreibung ein größerer Raum eingeräumt worden. Diese einfache Tech-
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nik wird von vielen Autoren geübt und empfohlen. Klapp 1 ) läßt in
einen aufgesclmittenen Trikotschlauch Gipsbinden in trockenem Zu¬
stande hineinrollen und weicht dann das Ganze ein und modelliert
es auf dem Körper. Julius Wolff nahm seinerzeit Longuetten von
Stoff, die er mit Gipsbrei bestrich. Das Einfachste scheint aber die
zuerst beschriebene Methode zu sein.
In solch einem Gipsbette bleiben die Patienten monatelang liegen.
Auch bei Erwachsenen ist es gut verwendbar und kann bei den ent¬
zündlichen Formen gute Dienste leisten.
Ist eine einigermaßen normale Stellung wieder erreicht, so treten
heilgymnastische Methoden, Medikomechanik, Massage und Bewegungen,
Heißluftanwendung — besonders bei den entzündlichen Formen, bei
der tuberkulösen Form erst' nach der Ausheilung — und Stützvor¬
richtungen in Aktion. Der Lorenz’sche Wolm, den man leicht aus
einem Polstermöbel, aus einer Stuhllehne improvisieren kann, bietet
Gelegenheit, den Buckel aktiv und passiv umzukrümmen. Der Patient
legt sich über die Rolle, oder er wird von einem anderen herüberge¬
zogen. Während des Liegens muß tief ein- und ausgeatmet werden.
Ebenso zweckmäßig ist es, das eigene Knie zwischen die Schulterblätter
des Patienten zu drücken und die Arme zurückzuziehen. Eine sehr
hübsche Übung kann beim Ballspiel ausgeführt werden, indem die
Kinder rückwärts den Ball werfen (über den Kopf herüber) und ihn
auch wieder auffangen, oder den Ball über den Kopf herüber an die
Wand werfen und wieder auf fangen. An den Ringen lassen sich viele
Übungen ausführen, z. B. nach vorn fallen mit feststehenden Füßen;
dabei wird der Rücken in stärkster Weise ausgehöhlt, und kann nötigen¬
falls noch durch den Druck einer Hilfsperson weiter gekrümmt werden.
Alle Geh* und Marschübungen sind so vorzunehmen, daß die Schultern
stark zurückgezogen werden (etwa durch Benutzung eines unter den
Armen durch gezogenen Stabes) und mit Anspannung der größten
Willenskraft gearbeitet wird. (Vergl. das über militärische Haltung
oben Gesagte.) Bei kleineren Kindern wird das Hochheben an den
Beinen zweckmäßig sein, da so der Rücken bucke 1 völlig zum Schwinden
gebracht werden kann. Die eine Hand erhebt die Beine, während die
andere fest auf den Buckel auf drückt, und diesen in dieser Weise ein¬
drückt. Rückwärtsbeugen des Rumpfes mit nach hinten durchgedrückten
Ellbogen mit tiefer In- und Exspiration in größeren Zwischenräumen
mehrere Male am Tage (jedesmal etwa 10 Bewegungen) wirkt gleich¬
falls günstig ein. Die schwedische Spannbeuge ist mit dieser Übung
identisch und es wäre wünschenswert, daß ihre Durchführung im Turn¬
unterricht regelmäßig erfolgte. Bei kleineren Kindern läßt sich diese
Übung in Bauchlage ausführen, in der Weise, daß die Beine festgehalten
werden und der Körper mit den nach rückwärts gebrachten Ellbogen
passiv auf gerichtet wird. Empfehlenswert ist es auch, weim ein Be¬
wegunggebender den Bewegten an den Ellbogen im Stehen erfaßt und
nach rückwärts beugt, wobei dieser aber Widerstand zu leisten hat,
während beim Aufrichten der Bewegunggebende den Widerstand leistet.
Die Massage hat neben der Durcharbeitung der Rückenmuskeln
auch die andere Körpennuskulatur zu berücksichtigen. Wichtig sind
besonders die Brustmuskeln, durch deren Spannung die Schultergelenke
in vorwärtsgerichteter Stellung festgehalten werden, wie es Hasebroek
*) Klapp, Funktionelle Behandlung der Skoliose. Fischer, Jena 1907.
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
225
in seiner oben angeführten Arbeit erläutert. Auch die Bauch- und Ge-
säßnmskulatur bedarf einer Berücksichtigung, da auch von ihr aus
die Stellung und Haltung der Wirbelsäule beeinflußt wird.
Die Apparate, welche als Stützvorrichtungen in Betracht kommen,
sind mannigfacher Art. Am einfachsten ist ein Gurtband, welches
um die Schultergelenke geschlagen und am Rücken durch ein Ver¬
bindungsstück zusammengezogen wird. Es läßt sich eine ähnliche Vor¬
richtung an jedem Leibchen anbringen, wenn an den Rückenteilen ein
Band befestigt, das sich in der Mittellinie festgurten läßt. Durch
diese Vorrichtungen werden die Schulterblätter zurückgezogen. Doch
meist genügen diese leichten Maßnahmen nicht. Von Nyrop ist ein
Geradehalter angegeben, der sehr gut seinen Zweck erfüllt. Derselbe
besteht aus einem Beckengurt mit nach hinten federnder Rückenstange,
welche an einem oberen Querstabe zwei gebogene Schulterhalter trägt.
Angelegt, drängt die Eeder die Schultern kräftig zurück, ohne dabei
die Brust zu beugen oder unter der Kleidung aufzufallen. Bei schwe¬
reren Fällen ist ein Stahlstoffkorsett angezeigt, wie es zur Spondylitis-
und Skoliosenbehandlung angewendet wird, an welchem die Nyrop’sche
Feder angenietet wird. Um den Kindern das Vornübersinken des Kopfes
abzugewöhnen, erhalten sie um den Hals einen dünnen Stahlring, an
welchem elastische Züge befestigt sind. Arbeiten irgendwelcher Art
dürften nur mit Hilfe eines Rahmens ausgeführt werden, welcher den
Kopf stützt und das Vomüberneigen verhindert.
Bei den entzündlichen Formen werden heiße Bäder, Heißluftbehand-
lung, Schwitzbäder, feuchtwarme Einwicklungen, Badekuren (Pistyan
in Ungarn, Wildbad, Badgastein, Wiesbaden, Teplitz u. a. m.) in Betracht
kommen. Durch medi ko mechanische Übungen, Lagerungsapparate und
Stützvorrichtungen ist die eigentliche Verbiegung oft zu verhüten. Von
innerlichen Mitteln kommt den Salyzilsäurepräparaten und den Jod¬
verbindungen die erste Stelle zu. Einspritzungen von Fibrolysin scheinen
weniger Erfolg aufzuweisen. Wichtig ist es, den Patienten darauf
aufmerksam zu machen, daß er selbst zu seiner Genesung beitragen
kann und durch Energie und Überwindung der oft recht heftigen
Schmerzen sich aufrichten müsse. So gelingt es oft, ein Fortschreiten
der Veränderungen zu verhindern.
Die tuberkulöse Kyphose (Malum Pottii, Spondylitis tubercu-
losa) beruht auf tuberkulöser Erkrankung eines oder mehrerer Wirbel,
bei der es unter Zerstörung des befallenen Knochens in der Regel
zur Bildung des Buckels kommt. Da durch Pott die Krankheit erst
näher bestimmt wurde, trägt sie seinen Namen und ist in Ärzte kreisen
am meisten unter diesem Namen bekannt.
Etwa, ein Fünftel aller Knochentuberkulosen entfallen auf die
Wirbel. Auf 10000 chirurgisch Kranke kommen etwa 44 Spondyli-
tiden. Was das Alter betrifft, so ergibt eine Zusammenstellung, daß
das 3.—5. Lebensjahr am häufigsten betroffen wird, während die ersten
beiden Lebensjahre erheblich weniger häufig befallen sind. Uber das
20. Jahr hinaus sind Erkrankungen selten, doch kommen sie auch
vor und werden selbst im Greisenalter beobachtet. Eine wesentliche
Differenz zwischen männlichem und weiblichem Geschlecht besteht nicht,
ersteres ist unerheblich häufiger von der Krankheit befallen. Wenn
die Wirbelsäule der Zahl der Wirbel nach in gleiche Segmente eingeteilt
wird, so wird nach Dollinger das untere Drittel, das der Brust- und
Lendenwirbelsäule entspricht, am häufigsten befallen. Nach Hoffa ist
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Muskat, Die Deformitäten der Wirbelsäule.
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eben dieser Teil, besonders der Übergang von der Brust- zur Lenden¬
wirbelsäule, Prädilektionsstelle, danach kommt der Übergang von der
Hals- zur Brustwirbelsäule. Es entspricht dies der exponierten Lage
und den Belastungsverhältnissen. Sehr oft sind mehrere Wirbel befallen,
deren Zahl bis zu fünf und mehr ansteigen kann.
Als prädisponierende Ursache zu der Erkrankung werden Heredität,
Verletzungen, Infektionen verschiedener Art (Scharlach, Masern usw.)
und konstitutionelle Empfindlichkeit des Organismus angegeben.
Da die Hauptmasse der Wirbelkörper aus spongiöser Substanz
besteht, in welcher sich die Tuberkulose besonders gern lokalisiert,
so werden die Herde auch fast immer im Wirbelkörper gefunden; treten
die Herde in den hinteren Partien der Wirbel auf, so kommt es zum
Mal vertebral posterieur der Franzosen. Die Zwischenwirbel¬
scheiben sind nie Sitz der primären Erkrankung. Am 1. und 3. Hals¬
wirbel lokalisiert sich der Prozeß zwischen Atlas und Epistroplieus,
so daß doch richtiger von einer Spondylarthritis gesprochen
werden muß.
Der Prozeß selbst spielt sich im ganzen Wirbel ab (Spondylitis
profunda) oder nur auf seiner Oberfläche (Spondylitis superficialis).
Durch Granulationsmassen, welche im Inneren des Wirbelkörpers in der
Regel nahe der oberen und unteren Epiph 3 r senschicht und nahe der
vorderen Fläche in einem oder mehreren Herden auftreten, wird der
Wirbel mehr oder weniger vollständig zerstört. Die Granulationsmassen
zerfallen leicht und wandeln sich in käsige, gelblichgraue Detritus¬
massen um. Ist der Knochen durchbrochen, so ergreifen die Verände¬
rungen das Nachbargebiet, und es bilden sich Abszesse, welche das
vordere Längsband der Wirbelsäule abheben und in diesem präfor-
mierten Raum sich weiter verbreiten. Auch in unmittelbarer Umgebung
kommt es zu Abszeßbildungen. Sind die Zwischen wirbelscheiben auch
der Zerstörung zum Opfer gefallen, so liegen die Knochen direkt anein¬
ander und es kommt zu Drucknekrosen.
Bei der tuberkulösen Nekrose stirbt ein Teil der Knochen ab, es
bildet sich ein Sequester, der lange in seiner groben Struktur unver¬
ändert bleibt.
Jedenfalls verliert bei beiden Prozessen der Knochen seine Wider¬
standsfähigkeit und es kommt bald zum Einknicken der Wirbelsäule,
welche den typischen Buckel (Gibbus), der spitzwinklig hervorspringt,
hervorruft. Die Einknickung erfolgt stets nach vorn, und zwar nicht
plötzlich, sondern allmählich, so daß bei sorgfältiger Beobachtung das
Ereignis vorher zu sehen ist. Der Grad der Erkrankung variiert außer¬
ordentlich, je nach Lage des Prozesses und Befallensein eines oder
mehrerer Wirbel. Selten sind mehrere Buckelbildungen beobachtet
worden, wenn z. B. in der Hals- und Lendenwirbelsäule derselbe Prozeß
sich abgespielt, hatte.
Die oberflächliche Spondylitis macht keine so erheblichen Erschei¬
nungen und beschränkt sich auf Veränderungen an der Vorder fläche
der Wirbel.
Bei der Wirbelbogentuberkulose (mal vertebral posterieur) kommt
es im wesentlichen zur Sequesterbildung. Bei dieser Form bilden sich
aber auch meistens Abszesse, welche sowohl in der Umgebung wie
fortschreitend an anderen Körperstellen zur Beobachtung ko mme n.
(Ein zweiter Artikel folgt.)
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 227
Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes
in der Chirurgie.
Von Dr. Richard t. Hippel, Gießen.
(Schluß.)
Durch Wohlgemuth wurde dann 1901 der Sauerstoff in die
Narkose eingeführt und damit ein wesentlicher Fortschritt in der Chloro-
formnarkose angebahnt. „Die auffallende Wirkung des Chloroform-
Sauerstoffgemisches,“ sagt er, „manifestiert sich darin, daß nach den
ersten Atemzügen die Haut und die sichtbaren Schleimhäute eine hellrote
Farbe annehmen, so daß hochgradig anämische und schlaffe Patienten
eine gesunde Turgeszenz zeigen. Der Puls wird langsamer und voller,
als ob er unter der Wirkung von Digitalis stände, und sinkt fast kon¬
stant im Moment der tiefen Narkose . . . auf 60 Schläge.“ „Diese
Qualität des Pulses, die ruhige, fast unhörbare Atmung, das frische,
blühende Aussehen geben dem Narkotiseur das Gefühl absoluter Sicher¬
heit, man hat unbedingt den Eindruck, als ob hier eine Asphyxie oder
gar eine primäre Atmungs- oder Herzlähmung vollkommen ausge¬
schlossen sei.“ — Nun, letztere Annahme hat sich zwar nicht bestätigt,
es sind auch bei der Sauerstoff-Chloroformnarkose Unglücksfälle vor-
gekommen. Trotzdem bedeutet sie zweifellos einen großen Fortschritt,
besonders seit sie von Roth-Dräger durch einen zweckentspreeilenden,
handlichen Apparat wesentlich vervollkommnet und der allgemeinen
Anwendung zugänglich gemacht worden ist. Leider ist diese Anwen¬
dung allerdings auf das Krankenhaus beschränkt, da der Apparat für
die Praxis zu teuer und zu schwer beweglich ist.
1908 empfahl Hof mann die Uberdeckung der Maske mit einem
doppelt gelegten Handtuch, indem er angab, daß durch diesen einfachen
,,Kniff“ der Verbrauch an Chloroform auf ein Minimum herabgesetzt
werden könne — durchschnittlich 5—7 Tropfen in der Minute —,
obgleich eine volle Narkose bereits in 2—5 Minuten ohne jede Exzi-
lation erzielt würde. Überdosierung sei daher gänzlich ausgeschlossen.
Leistet das Verfahren tatsächlich, was Hof mann angibt, so müßte
es bei seiner Einfachheit als das Ideal für die Praxis erscheinen. Auf¬
fallend ist es, daß anscheinend bisher keine weiteren Erfahrungen über
die Methode vor liegen.
Trotz all dieser Verbesserungen der Chloroformnarkose hat die
Zahl der Anhänger des Äthers im letzten Jahrzehnt zweifellos erheblich
zugenommen; denn man lernte, die gefürchtete Reizwirkung dieses
Mittels auf die Atemwege immer mehr auszuschalten.
Das geschah durch Verwendung verdünnter, wenig konzentrierter
Ätherdämpfe mittels eines modifizierten Junker’schen Gebläseappa¬
rates durch Braun, später durch Einführung der Äthertropfnarkose
auf offener Maske durch Witzei. Beiden Methoden — auch WitzePs
Methode ist zweifellos eine Mischnarkose, obwohl er es nicht wahr
haben will — liegen folgende Erfahrungen zugrunde:
Die unangenehmen und gefährlichen Eigenschaften, die dem Äther
in der früher üblichen Anwendungsweise mittels luftundurchlässiger
Masken (Julliard, Wanscher-Grossmann) anhaften — Zyanose,
vermehrte Speichelsekretion, Trachealrasseln während der Narkose,
Brochitiden und Pneumonien im Anschluß daran — beruhen auf einer
Uberdosierung, einer zu hohen Konzentration der Ätherdämpfe. Es ist
daher notwendig, nur Ätherdämpfe von einer genau bestimmten, wesent-
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228
Richard v. Hippel,
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lieh geringeren Konzentration für die Narkose zu verwenden, welchen
diese schädigenden Wirkungen nicht anhaften. Leider genügen aber so
wenig konzentrierte Dämpfe nur bei besonders leicht zu narkotisierenden
Individuen, Kindern und nicht aufgeregten Frauen, zur Herbeiführung
einer ausreichend tiefen Narkose, versagen dagegen in einer ganzen
Anzahl von Fällen. Bei diesen durch verstärkte Ätherzufuhr die Nar¬
kose herbeizuführen geht nicht an, man würde damit alle Gefahren
des Äthers wieder heraufbeschwören. Es bleibt daher nur der Ausweg,
ein weiteres Narkotikum als Unterstützungsmittel heranzuziehen.
Früher wählte man solche Narkosen misch ungen (englische, Wiener,
Billroth’sche Mischung) in der Absicht, die Wirkung des reinen Chloro¬
forms auf das Herz zu kompensieren. Schleich trat dann mit seiner
Mischung von Chloroform, Äther, Benzin und Äthylchlorid hervor,
in der Meinung, daß diese Mittel auch gleichmäßig im Verhältnis ihrer
Mischung in Dampfform übergehen und so gleichsam ein neues Anästhe-
tikuni von konstantem Siedepunkt darstellen. Diese Annahme ist durch
Honigmann und andere als unzutreffend erwiesen worden, Rodmann,
Iljin, Stone, Selberg, v. Winckel haben auf Grund sehr wenig
guter Erfahrungen dringend vor Anwendung des auch unverhältnis¬
mäßig teueren Schleich’schen Siedegemisches gewarnt, das wohl nur
noch von Neuber angewandt wird.
Honigmann aber konnte durch seine Untersuchungen feststellen,
daß bei gleichzeitiger Verwendung von Chloroform und Äther fast immer
die zur Erzeugung der Einzelnarkose nötigen Konzentrationen erheblich
niedriger sind, wie bei Anwendung reiner Dämpfe eines der beiden Mittel.
So ermöglicht eine Kombination beider Mittel es, die Vorteile jedes
einzelnen am besten auszunutzen, ihre Nachteile dagegen am besten
zu vermeiden.
Hierauf gründet sich in gleicher Weise die Methode Brauns
wie Witzel’s: im Wesentlichen bestehen beide darin, die Narkose
in der Hauptsache mit wenig konzentrierten Ätherdämpfen durchzu¬
führen unter Unterstützung durch ganz geringe Mengen von Chloroform.
Braun bedient, sich zu diesem Zweck eines von ihm modifizierten Jun¬
ke r'schen Apparates, bei welchem einem durch ein Gebläse kontinu¬
ierlich der Maske zugeführten Luftstrom durch Umstellung von Hähnen
nach Belieben Äther- oder Chloroformdämpfe beigemischt werden
können. Er leitet die Narkose mit einem Äther-Chloroformgemisch ein,
das nach seiner Meinung relativ angenehmer ist, als reine Ätherdämpfe.
Nach Erreichung der Toleranz wird mit Ätherdämpfen allein fort¬
gefahren und nur, wenn diese zur Unterhaltung der nötigen Narkosen¬
tiefe nicht ausreichen, werden ganz geringe Mengen von Chloroform
zur Unterstützung verabreicht. Der Braun’sche Narkosenapparat hat
den Vorzug leichter Transportfähigkeit und ziemlicher Billigkeit, so daß
er auch in der.Praxis sehr wohl Verwendung finden kann, während der
auf dem Prinzip des Roth-Dräger’schen Sauerstoff-Chloroforin-Appa-
rates aufgebaute Mischnarkosenapparat von Kionka und Krönig trotz
seiner sonstigen großen Zweckmäßigkeit sich nur für den Krankenhaus¬
betrieb eignet.
Wit zel suchte dasselbe zu erreichen wie Braun, aber ohne be¬
sonderes Instrumentarium. Auf eine gewöhnliche, mit vierfacher steriler
Mullkompresse überzogene Schimmelbusch’sche Maske wird der Äther
aus etwa 1 / 3 Meter Höhe aufgetropft; dabei „zersplittern“ die Tropfen,
vermengen sich mit Luft und die Dämpfe erhalten die gewünschte
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 229
geringe Konzentration. Gelingt es mit Äther allein nicht, auf diese
Weise die nötige Narkosentiefe zu erzielen, so werden einige Tropfen
Chloroform dazwischen gegeben, und es ist erstaunlich zu sehen, wie
wenig Chloroform nötig ist, um völlige Toleranz und Muskelerschlaffung
zu erreichen. Die ursprünglich von Witzei geforderte forcierte Rekli¬
nation von Kopf und Hals hat sich als unnötig erwiesen und ist ver¬
lassen worden. Soll doch bei der Tropfmethode der Äther nur in so ge¬
ringer Konzentration verabfolgt werden, daß keine verstärkte Salivation
eintritt; es besteht deshalb auch keine Aspirationsgefahr und die einen
Assistenten mehr erfordernde Reklination des Kopfes kann wegfallen.
Dagegen ist ein anderes Unterstützungsmittel zum Gelingen der
Äthertropfnarkose notwendig: die Injektion von T -3 cg Morphium
1—1V 2 Stunden vor Beginn der Narkose. Damit komme ich auf einen
Punkt zurück, den ich schon weiter oben kurz berührte: Die Vorbe¬
reitung der Inhalationsnarkose durch vorherige subkutane Injektion
betäubender Mittel, um den Patienten schon in einem rauschartigen
Zustand, einer Art „Dämmerschlaf“, auf den Operationstisch zu bringen
und damit die Menge des nötigen Inhalationsnarkotikums noch mehr
herabzusetzen. Während man dem Morphium allein wegen seiner aus¬
gesprochenen Herzwirkung nicht ohne Grund vielfach zurückhaltend
gegenüberstand, ist seit Einführung des Skopolamin durch Schneiderl in
und Korff diese Art der Vorbereitung sehr in Aufschwung gekommen.
Insbesondere war es Kümmell, der die durch Skopolamin-Morphin
vorbeleitete Chloroform-Ätlier-Sauerstoff-Narkose aufs wärmste emp¬
fohlen hat. Er reduzierte die früher gegebenen viel zu großen Dosen
auf eine einmalige, getrennte Verabfolgung von 5 dmg Skopolamin
und 1 cg Morphin 1—1 x / 2 Stunden vor Beginn der Narkose, die mit
der Krönig’schen Modifikation des Roth-Dräger-Apparates ausge¬
führt wird, und erzielte damit ausgezeichnete Resultate. Die Haupt¬
vorzüge dieser Narkose erblickt er darin, daß 1. der Patient in somno-
lentem Zustand in den Operationsrauin kommt, die psychische Erregung
wegfällt und die Betäubung ohne stärkere Exzitation eintritt, 2. die
Hälfte des früher notwendigen Narkotikums zu absolut ruhiger Narkose
ausreicht und dabei Salivation, Asphyxie, Brechreiz und Erbrechen
ausbleibt, 3. das postoperative Erbrechen ganz wesentlich seltener ist
und die Hemmung der Schleimsekretion längere Zeit vorhält, 4. sonstige
üble Nachwirkungen fehlen und der Wundschmerz mehrere Stunden
nicht empfunden wird. Gefährliche Nebenwirkungen wurden nicht be¬
obachtet. Ein Hauptvorteil der Methode besteht noch in einer wesent¬
lichen Verminderung der postoperativen Pneumonien, was nach dem
Gesagten leicht verständlich ist.
In neuester Zeit hat man immer mehr erkannt, daß bei der Sko-
polamin-Morphin-Vorbereitung die gefährlichere Komponente das Mor¬
phium ist, dessen Dosis daher in kleinsten Grenzen (}/ 2 cg) zu halten ist,
während die Skopolamingabo ohne Gefahr etwas gesteigert werden kann.
(Otto, Sick.) Wahrscheinlich wird daher der Ersatz des Morphiums
durch das Pantopon, wovon schon die Rede war, eine weitere Herab¬
setzung der Narkosengefahr bedeuten.
Immerhin wird die Methode Kümmel Ts auf das Krankenhaus be¬
schränkt bleiben müssen, nicht nur wegen des komplizierten, teueren
und nicht transportablen Narkosenapparates, sondern auch, weil die
Vorbereitung mit Skopomorphin eine dauernde, sachverständige Über¬
wachung erfordert.
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Sehr brauchbar für die Praxis aber erscheint die von Strauch
empfohlene Methode. Ehe ich auf diese eingehe, möchte ich noch kurz
erwähnen, daß die Vorbereitung auf die Narkose mit Recht in ihrer
Bedeutung in den letzten Jahren viel mehr in den Vordergrund gerückt
worden ist. Auch hier hat Witze 1 vielfach anregend gewirkt. Wo
es die Zeit irgend erlaubt, soll vor allem auf die Vorbereitung der Atem¬
wege und des Herzens Wert gelegt werden. Kariöse Zähne bzw. schlechte
Wurzeln sollen plombiert oder extrahiert werden, der Mund durch regel¬
mäßiges Putzen der Zähne und desinfizierende Spülungen sorgfältig
gereinigt, Nase und Luftröhre bei bestehenden katarrhalischen Erschei¬
nungen durch Ausspülungen und Inhalationen präpariert, die Herzkraft
durch mehrtägige prophylaktische Gaben von 3—4mal täglich
15 Tropfen Digalen oder Tinct. digit. und Tinct. strophanti aa gestärkt
werden. Leichte, aber kräftige Ernährung hat an Stelle des früher
üblichen, schwächenden mehrtägigen Fastens zu treten.
Dem so vorbereiteten Patienten gibt Strauch am Abend vor der
Operation 1 g fVeronal und erreicht damit, daß an Stelle einer schlaflosen
Aufregung mit ihrer das Herz schwächenden Wirkung ein ruhiger
Schlaf tritt, der bis zu Beginn der Narkose dauert und unterstützt
wird durch Verabreichung eines aus je 75 g (bei Frauen je 50 g) Kognak,
Rotwein und Tee bestehenden Alkoholklysmas, das eine S tim de vor
Beginn der Narkose mit Zusatz von 5—10 Tropfen Opiumtinktur und
einer Messerspitze Kochsalz verabfolgt wird; außerdem und gleichzeitig
mit diesem Klysma erhält der Patient 0,015- 0,02 Morphium subkutan.
Es gelingt dann, mit einer gewöhnlichen Äthertropfnarkose, ohne Mit¬
wirkung von Chloroform, auch starke Männer und Potatoren in tiefe
Narkose zu bringen und darin zu erhalten. Exzitation und beunruhigende
Störungen der Atmung und des Herzschlages wurden bei dieser Narkose
nicht gesehen; nach der Operation schlafen die Patienten mehrere
Stunden und -wachen in der Regel ohne Brechreiz und mit Eßlust auf.
Mir scheint diese Art der Vorbereitung und Durchführung der
Narkose die zurzeit beste und brauchbarste für die Praxis zu sein, die
Einfachheit mit Sicherheit und geringster Gefahr verbindet; letzteres
vielleicht in besonderer Weise, wenn das Morphium durch das ungefähr¬
lichere und dabei anscheinend noch wirksamere Pantopon ersetzt wird.
Kurz erwähnen möchte ich noch eine Misclmarkose, mit welcher
an der Heidelberger Frauenklinik in neuester Zeit von Neu Versuche
angestellt -wurden, die sich auf Tierexperimente von Gottlieb und
Madelung stützen. Es handelt sich um eine Kombination von Skopol¬
amin-Morphin mit dem Lachgas, das allein nicht imstande ist, eine
tiefe Narkose zu erzeugen, durch die Vereinigung mit den beiden anderen
Mitteln aber anscheinend fähig dazu wird. Neu faßt seine bisherigen
Erfahrungen dahin zusammen, daß man hoffen dürfe, „daß sich die
kombinierte Morphin-Stickoxydul-Sauerstoff-Narkose zu einer vortreff¬
lichen Narkose ausgestalten läßt, weil sie keine schädlichen Ein¬
wirkungen auf Kreislauf und Atmung zu haben scheint und weil sie
keine Spätwirkungen entfaltet.“ Weiteres bleibt einstweilen abzuwarten.
Da aber auch diese Methode an einen kostspieligen, nicht transportablen
Apparat gebunden zu sein scheint, dürfte sie über die Grenzen des
Krankenhauses hinaus kaum Bedeutung gewinnen. —
Schließlich habe ich noch einer Methode zu gedenken, die auf
mehr mechanischem Wege eine Herabsetzung im Verbrauch des Narko¬
tikums anstrebt, die Narkose bei künstlich verkleinertem Kreis-
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Die modernen Methoden zur Bekämpfung des Schmerzes in der Chirurgie. 2 3 /
lauf. Ausgehend von der Beobachtung, daß blutarme und ausgeblutete
Menschen zum Einschlafen weniger Narkotikum gebrauchen als voll¬
blütige, verkleinerte Klapp künstlich den Kreislauf durch Abschnüren
der Gliedmaßen. Dies geschieht dadurch, daß auf eine Staubinde an
den Oberschenkeln nach einigen Minuten eine breite Martin’sche
Gummibinde fest angelegt wird; einige Minuten später wird mit der
Narkose begonnen. Ziegner hat im Tierexperiment die Fruchtbarkeit
des Klapp’schen Gedankens nachgewiesen, Hörrmann konnte fest¬
stellen, daß bei dieser Methode der Verbrauch an Chloroform uni die
Hälfte, an Äther um ein Drittel herabgesetzt wird. Als weitere Vorteile
ergaben sich: Schnelleres Aufwachen und Verringerung der unange¬
nehmen Folgeerscheinungen nach der Narkose und schnelles Entgiften
des Blutes durch Lösen der Binden bei Narkosenkomplikationen wah¬
rend der Operation.
Aber auch diese Methode scheint ihre Gefahren zu haben. Gräfen-
berg berichtet aus der Kieler Frauenklinik über .Thrombenbildung,
die bei 75 mit Narkose bei verkleinertem Kreislauf ausgeführten Lapa¬
rotomien sechsmal beobachtet wurde, während solche bei 75 ohne Ab¬
schnürung der Extremitäten gemachten Bauchschnitten nur einmal vor¬
kam. Es werden also auf alle Fälle noch weitere Erfahrungen abzu¬
warten sein, ehe von einer Empfehlung der Methode für die Praxis
die Rede sein kann.
"Wir sind am Ende unserer Ausführungen angelangt. Überblicken
wir das Gesagte noch einmal und fragen wir uns, welche Schlüsse
ßich daraus für das Handeln des Praktikers ergeben, so ist diese Frage
meines Erachtens dahin zu beantworten: Wo irgend angängig, ist der
Lokalanästhesie mit Novokain-Suprarenin-Lösungen der Vorzug zu
geben; mit wachsender Erfahrung läßt sich ihr Anwendungsgebiet er¬
heblich erweitern. Wo sie nicht ausreicht oder aus anderen Gründen
nicht anwendbar erscheint, tritt bei kurzdauernden Eingriffen als gleich¬
falls ungefährliche Methode der Ätherrausch ein. Bedarf es einer
länger dauernden Narkose, so ist die Äthertropfnarkose in Kombination
mit Veronal, Alkohol und Morphium nach Strauch das beste und
relativ gefahrloseste Verfahren. Ist keine Zeit zu einer solchen Vor¬
bereitung, sondern muß sofort operiert werden, so empfiehlt sich die
kombinierte Äther-Chloroform-Tropfnarkose unterstützt durch eine vor¬
ausgeschickte Morphin- oder Pantopon-Injektion. — Für den Kranken-
hausgebrauch ist wohl einstweilen der von Krönig modifizierte Roth-
Dräger-Apparat zur Chloroform-Äther-Sauerstoffnarkose, unterstützt
durch präliminare Skopomorphininjektion, allen anderen Methoden der
Inhal ationsnar kose vorzuziehen. —
Referate und Besprechungen^
% ? Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
F. Smetänka, Zur Frage der Entstehung der Harnsäure beim Menschen.
(Öasopis l^karöv ceskych, Nr. 44—47, 1910.) S. stützt experimentell die Hypo¬
these von Mares über die Entstehung der Harnsäure beim Menschen durch
den bei der physiologischen Tätigkeit der Verdauungsdrüsen stattfindenden
Stoffwechsel im Protoplasma der Drüsenzellen. Es gelang ihm durch Ver¬
suche. bei denen der Einfluß eines jeden Nahrungsstoffes stets besonders
für sich untersucht, der Nahrungsstoff erst nach einer gewissen Dauer des
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Referate und Besprechungen.
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nüchternen Zustandes eingeführt, während des Versuches kein anderer
Nahrungsstoff verabreicht und die Harnsäure in möglichst kurzen Inter¬
vallen bestimmt wurde, nachzuweisen, daß die Menge der Harnsäure nicht
bloß durch die Purinstoffe der Nahrung vermehrt werde, sondern auch
nach Darreichung möglichst purinfreier Proteine und nach Kohlehydraten
vermehrt sei. S. nimmt an, daß durch den das Verdauungsferment bilden¬
den Stoffwechsel im Protoplasma der Drüsenzelle eine Reihe von für die
Zelle unbrauchbaren Stoffen entstehe, die teils mit den Blut- und Lymph-
bahnen, teils mit dem Drüsensekret ausgeführt werden; unter diesen Stoffen
finden sich auch Purinbasen, die sodann dieselben Veränderungen erleiden,
wie die mit der Nahrung aufgenommenen Purine und die Harnsäure liefern.
G. Mühlstein (Prag).
F. Mares, Die Entstehung der Purine beim Stoffwechsel im aktiven
Protoplasma. (Casopis l^karüv ceskyeli, Nr. 41—43, 1910.) Die Menge der
Harnsäure, die innerhalb einer bestimmten Dauer des nüchternen Zustandes
ausgeschieden wird, ist individuell konstant, selbst bei großen Schwankungen
des Gesamtharnstickstoffs; die Menge der vorher aufgenommenen Proteine
hat auf die Harnsäilremenge keinen Einfluß. Schon daraus geht hervor, daß
die Harnsäure nicht aus den Proteinen entsteht, sondern durch den Stoff¬
wechsel in der lebenden Zelle. Die endogene Bildung der Harnsäure nimmt
zu, wenn sich die physiologische Tätigkeit der Körperzellen steigert: der
wachsende Organismus produziert mehr Harnsäure als der erwachsene Orga¬
nismus. dessen Funktionen sich bereits im Gleichgewichte befinden; nach
der Nahrungsaufnahme (Fleisch) findet eine Zunahme der Harnsäureproduk¬
tion statt, und zwar beginnt dieselbe in der ersten Stunde, erreicht ihr
Maximum in der fünften Stunde und geht dann in die konstante Menge des
nüchternen Zustandes über, während die Zunahme der Harnstoffbildung
nach drei Stunden beginnt und nach acht Stunden ihren Höhepunkt erreicht
und weit in den nüchternen Zustand hineinreicht, so daß die Zunahme der
Harnsäurebildung mit der gesteigerten Tätigkeit der Verdauungsdrüsen, die
vermehrte Harnstoffbildung mit der Verdauung der Proteine Zusammen¬
hängen muß; eine analoge Vermehrung der Harnsäure erzielt man, wenn
man die Drüsentätigkeit durch eine Pilokarpininjektion anregt, ferner bei
gesteigerter Funktion verschiedener adenoider Organe; die Leukozyten be¬
dingen durch ihre mannigfache Tätigkeit ebenfalls eine Zunahme der Harn¬
säure (bei myelogener Leukämie, bei Infektionskrankheiten). Aus diesen
Tatsachen geht hervor, daß Harnsäure und Harnstoff einen ganz verschie¬
denen Ursprung im Organismus haben: die Harnsäure entsteht durch den
Stoffwechsel des aktiven Protoplasmas, der Harnstoff aus den Produkten der
mit der Nahrung aufgenommenen Proteine. (Diese Hypothese hat Mares
bereits im Jahre 1887 aufgestellt: sie fand keine Beachtung; jetzt, da
andere Autoren ähnliche Hypothesen aufstellen, publiziert M. neuerlich seine
damaligen Beweise.) G. Mühlstein (Prag).
Innere Medizin.
J. Feissier (Lyon), Über Aortitis abdominalis. (Bullet, medical, Nr. 93,
S. 1071—1075, 1910.) Je mehr das Herz als sog. Zentralmotor das Interesse
der Zeitgenossen beherrscht, um so mehr ist das übrige Gefäßsystem in den
Hintergrund gedrängt worden, und insbesondere, daß die Aorta erkranken
könnte, erscheint vielen eine ungewohnte Vorstellung. Bei Leuten, die in
den Gefäßen weiter nichts als elastische Schläuche bester Qualität sehen,
ist das natürlich nicht verwunderlich. Erkranken kann schließlich nur etwas,
das lebt; und diese elastischen Schläuche sind ja für viele nichts Lebendiges.
Indessen, zum Glück wird dermalen die Lehre vom Kreislauf von verschiedenen
Klinikern revidiert, und in dieses Kapitel gehört auch das Krankheitsbild
der Entzündung der Aorta. Daß alle Vorbedingungen erfüllt sind zum Zu¬
standekommen des Prozesses, welchen wir als Entzündung bezeichnen, lehrt
ein Blick auf die Histiologie der Gefäßwand. Es fragt sich nur, welche Er-
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Referate und Besprechungen.
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scheinungen macht solch eine Aortitis abdominalis? Teissier hat diese
Frage von Potain übernommen und führt folgende Symptome auf:
1. Druckempfindlichkeit mit Ausstrahlung in die Art. iliacae.
2. Erweiterung des Gefäßrohres.
3. Ausbiegung der Aorta nach links.
4. Reflektorische Spannung der geraden Bauchmuskeln (,,la contracture
vigilante des grands droits“), während die Muse, obliqui relativ tiefes Ein¬
drücken gestatten.
5. Erhöhte Spannung im arteriellen System der unteren Rumpfhälfte,
am deutlichsten erkennbar in der Art. pediaea.
6. Beteiligung des Plexus coeliacus, sich äußernd in Schwindelanfallen,
Palpitat-ionen, Lipothymie; es können mitunter sogar epileptiforme Anfälle
von hier aus ausgelöst werden. Andere Male haben die Pat. das Gefühl,
als ob sie in ihrem Bauch einen plötzlichen Stoß spürten (un gros coup de
belier perqu brusquement dans Labdomen). Teissier führt diese Erscheinung
auf einen klonischen Krampf des Zwerchfells zurück, welcher 2—3 Sekunden
lang die Zirkulation im Bauch blockierte.
7. Charakteristisch sei das Unvermögen, lange aufrecht zu stehen; es
treten dann bald Ohnmachtsanwandlungen .auf.
8. Umgekehrt streben die Pat. instinktiv die horizontale Rückenlage
an, weil sie sich da wohl fühlen.
9. Natürlich machen sich auch Störungen an den einzelnen Eingeweiden
bemcrklich: gastrische Krisen, Koljkanfälle, Hyperchlorhydrie, Glykosurie
und namentlich häufig Albuminurie; sogar Nephritiden sind beobachtet worden.
10. Von großer Bedeutung ist ein als Angor abdominis bezeichneter
Zustand; er ist qualvoll und sieht sehr bedrohlich aus. Man kann ihn leicht
mit akuter Peritonitis infolge von Appendizitis oder von Perforation ver¬
wechseln.
11. Analog dem akuten Lungenödem kann es zu akutem Ödem der
Darmwände kommen, welches dann seinerseits zu enterokolitischen Zuständen,
Colica mucosa, und auch zu gelegentlichen Blutungen führt.
Die Differentialdiagnose ist begreiflicherweise nicht leicht; denn ab¬
gesehen von tabischen und urämischen Zuständen kommen alle einzelnen
Organe in Betracht, je nachdem sich der Entzündungsprozeß auf die Art.
hepatica, uterina usw. weiter schiebt. Vielleicht tritt dieser Punkt in den
Hintergrund vor der Überlegung, daß alle diese Arteriitiden und Aortitiden
gemeinsam bedingt sind von Entzündungen des Bauchfells aus. Denn es ist
gewiß nicht von ungefähr, daß die Aortitis abdominalis vorzugsweise bei
Frauen vorkommt, deren Peritoneum ja so oft gereizt wird. Jedenfalls
sagt solch ein Zusammenhang meinem Geschmack mehr zu, als die andere
Annahme, daß das Zerren der Unterleibsorgane es sei, welche die Aortitis
bedinge. Therapie: Morphium, Ruhe, Bauchbinde. Buttersack (Berlin).
M. Otten (Tübingen), Die Herdreaktionen bei der subkutanen Tuber¬
kulinprobe und ihre Bedeutung für die Frühdiagnose der Lungenspitzen¬
tuberkulose. (Med. Klinik, Nr. 28, 1910.) Obwohl die physikalische Unter¬
suchung der Lungen, insbesondere die Perkussion und das Röntgenverfahren,
über Lage und Ausdehnung eines Krankheitsherdes in den Lungen bei Lungen¬
spitzen tuberkulöse mit weitgehender Genauigkeit Auskunft geben, so können
diese Untersuchungsmethoden doch über Aktivität oder Inaktivität des Herdes
bis jetzt noch keine Klarheit verschaffen. In dieser Frage entscheidet die
subkutane Airwendung von Alttuberkulin am zuverlässigsten und zwar vor
allem die bei dieser gegebenenfalls beobachtete Herdreaktion (d. h. perkutorische
und auskultatorische Veränderungen an dem Lungenherde), während der Allge¬
meinreaktion keine so durchschlagende Bedeutung beizumessen ist, ebensowenig
der Reaktion an der Einstichstelle. Will man die Entscheidung der Frage,
welche Therapie im gegebenen Falle eingeleitet werden soll, von dem Ausfälle
der spezifischen Tuberkulinprobe abhängig machen, dann ist der Ausfall der
Herdreaktion entscheidend. — Die Anstellung der subkutanen Tuberkulinprobe
ist ungefährlich bei Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln, unter denen
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234 Referate und Besprechungen.
die Auswahl der Fälle die wichtigste ist. Die Kranken müssen sich bei mehr¬
tägiger Beobachtung mit mindestens 4maligen Messungen am Tage als fieber¬
frei erwiesen haben (Temperatur: Max. Achsel 37, Rektum 37,5); Kontra¬
indikationen gegen die Vornahme der Einspritzung sind ferner kurz vorher
aufgetretene Lungenblutung und die Anwesenheit von Tuberkelbazillen im
Auswurf. — Interessant sind noch manche Einzelheiten über die Behandlungs¬
resultate der von O. mitgeteilten, an der Tübinger Klinik untersuchten Fälle;
alles kann hier nicht mitgeteilt werden, doch sei Nachstehendes hervorgehoben.
Es wurden im ganzen 324 Kranke, die im Verdacht der tuberkulösen Lungen¬
erkrankung standen, bei denen aber weder der physikalische Befund noch der
Röntgenbefund die sichere Diagnose einer behandlungsbedürftigen Tuberkulose
gestatteten, der subkutanen Tuberkulinprobe unterworfen. Von diesen bekamen
197 eine Herd- und Allgemeinreaktion, 24 allein eine Herdreaktion, 76 nur
eine Allgemeinreaktion und der Rest (27) keinerlei Reaktion. Bei einer
Nachuntersuchung, die 1—4 1 /* Jahre nach der probatorischen Injektion er¬
folgte, erwiesen sich von den ersten Gruppen (mit Herdreaktion) trotz Heil-
ßtättenbehandlung 3 /s verschlechtert und 3 /ö stationär- und arbeitsfähig; bei
denen mit Allgemeinreaktion allein, mit wenigen Ausnahmen, alle unverändert,
ohne daß eine Lungenheilstätte aufgesucht wurde. — Außerdem konnte fest¬
gestellt werden, daß die Zahl der Gebesserten der beiden ersten Gruppen unter
den Privatpatienten eine relativ weit höhere war als unter den ärmeren Heil¬
stättenkranken. R. Stüve (Osnabrück).
H. Fischer (Wiesbaden), Eine neue Therapie der Phlebitis. (Med.
Klinik, Nr. 30, 1910.) Die von Fischer angegebene Therapie der Phlebitis
besteht im wesentlichen in der Anlage eines komprimierenden Verbandes (mit
Zinkleim), der bis über die obere (proximale) Grenze der Entzündung bzw.
Thrombenbildung hinaufreicht und dessen Einzelheiten im Originale nach¬
gesehen werden müssen, um so mehr, als die Technik des Verbandes, dessen
absolut korrekte Anlegung nach dem Verf. eine unerläßliche Vorbedingung
des Erfolges ist, ziemlich schwierig sei. R. Stüve (Osnabrück).
C. von Noorden, Zur Therapie der Gastroptose. (Ther. der Gegenwart,
Nr. 1, 1910.) Magenptose und Magenatonie kann man, seitdem mit Hilfe
der Radiographie die normalen und pathologischen Magenformen besser be¬
kannt sind, nicht mehr scharf voneinander trennen. Von der Therapie seien
hier nur die Bestrebungen besprochen, den Magen wieder der normalen Form
und Lage innerhalb der Bauchhöhle zu nähern. Bauchbinden heben nur bei
sehr schlaffen Bauchdecken die untere Kontur des Magens etwas, andernfalls
sind sie nutzlos, wie man sich auch ohne radiographische Bilder sagen kann;
doch fühlt sich mancher erweiterte Magen besser beim Tragen einer Bauch¬
binde. Dagegen erweist sich ebenso wie bei der Enteroptose überhaupt die
Mästung der Kranken als nützlich. Das Kunststück ist freilich, sie durchzu¬
setzen, die Gastroptosen erkennt man ja oft schon von weitem an dem aus-
gemergelten Aussehen und der ihrer Fettschicht beraubten Haut. Zwei
der Abhandlung beigefügte Magenkonturen von auf diese Weise behandelten
Kranken (Gewichtszunahme 5 —7 kg) zeigen den Magen vor der Mästung als
lange gleich dicke Wurst vom linken Hypochondrium beinahe senkrecht
abwärts gehend und nur unten scharf umgebogen, so daß der Pylorus in
einem Falle in der Mittellinie, im andern wenig rechts davon und nicht
viel höher Ms der Fundus liegt. Nach der Mästung ist der Schlauch kürzer,
die Umbiegung weniger scharf geworden und der Pylorus um einige (3—8)
Zentimeter gehoben. Fr. von den Velden.
W. Murrel (London), Zur modernen Behandlung des Rheumatismus.
(Practitioner, Bd. 85, Nr. 5.) Aus der umfangreichen Arbeit, welche sich stark mit
der sehr zweifelhaften Vakzinetherapie beschäftigt, seien nur einige Punkte hervor¬
gehoben :
Unter dem Namen Rheumatismus geht sehr verschiedenartiges, von
der Lumbago bis zur Syphilis und von der Erkältung bis zur gonorrhoischen
Arthritis. Bei schmerzhaften chronischen Muskelrheumatismen wirkt oft
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Jodkali günstig, weil, wie M. meint, die betreffenden in irgendeiner Zeit
ihres Lebens an Syphilis gelitten haben. Gonorrhoische Arthritis ist bei
Frauen geradeso häufig als bei Männern, nur bemüht man sich hier mehr,
eine andere Ursache ausfindig zu machen. Schnell eintretende Ankylosen
sprechen für gonorrhoischen Ursprung. Wird eine junge Frau wegen gonor¬
rhoischer Salpingitis operiert, so wird nachher der Welt verkündigt, daß
es eine Blinddarmentzündung gewesen sei. Bei den Knochenveränderungen
nach Bronchiektasen (die Trommelschlegelfinger sind deren häufigstes Bei¬
spiel) hat M. gute Resultate von der Einatmung von Formaldehyd in Ver¬
bindung mit Tereben und Chloroform gesehn. Fr. von den Velden.
W. A. Axtell (Bellingham), Spitzwinklige Knickung des Sigmoideum
als Ursache der Epilepsie. (Amer. Journ. of Surgery, Nr. 12, 1910.) An
dieser Stelle wurde kürzlich über eine Arbeit von Alexander (Practit.,
Bd. 85, H. 3) über dne Autointoxikation bei Epilepsie berichtet, zu welcher
vorliegende Arbeit eine Ergänzung bringt. Axtell hält die Obstipation
und intestinale Toxämie für weniger wichtige Ursachen der Epilepsie als
die starke Knickung und Fixation des S romanum, denn er hat beobachtet,
daß bei fortbestehender Obstipation die epileptischen Anfälle aufhörten,
sobald die Knickung und Geschwürsbildung des S beseitigt waren. Er
berichtete einst über 67 Fälle von hartnäckiger Verstopfung, von denen
4.3 spitzwinklige Knickung des S hatten und von diesen letzteren 8 an Epi¬
lepsie litten. Alle acht hatten ein am Übergang in die Ampulla recti stark
geknicktes und durch Stränge mit dieser verbundenes S, das Zökum war
bei allen erweitert und tympanitisch, die Mastdarmschleimhaut entzündet
und die Venen unter Stauung, doch waren Hämorrhoiden nur ausnahmsweise
entwickelt. Nur drei Fälle konnten ernstlich behandelt werden und diese
zeigten bedeutende Besserung bis zu fast völliger Heilung. Die Knickung
zeigte starke Neigung zur ^Verschlimmerung, sobald eine Pause in der Behand¬
lung eintrat. Worin die Behandlung besteht, verrät A. zunächst noch
nicht, er sagt nur so vidi, daß das Sigmoidoskop eine große Rolle dabei
spielt. Fr. von den Velden.
J. Horbaczewski, Experimentelle Beiträge zur Erkenntnis der Ätiologie
der Pellagra. (Öasopis lökafüv ceskjch, Nr. 37—39, 1910.) Durch ausschlie߬
liche Ernährung mit Polenta erzeugte H. bei weißen Mäusen ein der
Pellagra des Menschen ähnliches Krankheitsbild. Dasselbe begann mit einer
Hautaffektion (Jucken, Ekzem), später kamen Erscheinungen seitens des
Nervensystems hinzu (Aufstoßen, reflektorische Übererregbarkeit, Parese des
Harnblasendetrusors und der Muskeln der hinteren Extremitäten), und
schließlich kam es zu einer tödlich endenden Gastroenteritis. Unterbrach
aber der Autor das Experiment, indem er die Ernährung mit weißer Polenta
fortsetzte, die den Farbstoff des Kukurutz nicht enthielt, wurden die Tiere
wieder gesund. Ernährte er dieselben mit ihrer gewöhnlichen Nahrung
(Weißbrot in Milch), der er den in Olivenöl gelösten Farbstoff zusetzte,
erkrankten die Tiere in derselben Weise wie bei ausschließlicher Polenta-
nahrung. Die toxische Substanz des Kukurutz ist demnach sein Farbstoff.
Subkutan injiziert verursacht dieser nur eine lokale Entzündung und Haar¬
ausfall, weil er in loco abgekapselt wird und lange Zeit liegen bleibt; er
ist sehr schwer löslich. G. Mühlstein (Prag).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Fereira Cabrera, Unbewußte Schwangerschaft. (Rev. de Med. y Cir.
practicas, 7. August 1910. — Bullet, med., Nr. 90, S. 1033, 1910.) Eine Frau
von 23 Jahren, welche einen Säugling nährte, wurde mitten in der Nacht
von heftigen Leihschinerzen befallen. Man rief einen Arzt, der durch die
brettharte Bauchdecke hindurch einen Tumor zu fühlen meinte und Einläufe,
Massage, Einreibungen mit beruhigenden Salben und schließlich, als das
alles nichts half, Morphium und Bromkali verordnet^. Indessen, umsonst;
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die Schmerzen steigerten sich immer mehr, bis schließlich ein weiterer Erden¬
bürger in der Vulva erschien. Vater und Mutter waren aufs höchste über¬
rascht, und die letztere erklärte, sie würde, wenn sie das Corpus delicti nicht
sähe, strikte leugnen, schwanger gewesen zu sein. Daß die Menses fehlten,
war in der Laktationsperiode nicht auffallend, und da die Frau fettleibig
war, so machte sich der Volumszuwachs nicht bemerklich. Die Kindsbewegungen
waren als Bewegungen der Darmgase aufgefaßt worden.
Ich kenne einen parallelen Fall; doch es handelte sich dabei um eine
ältere Dame, die schon heiratsfähige Töchter besaß und über das fortpflan-
zungsfähigo Alter hinweg zu sein wähnte. Der Umstand, daß ihr Gatte
Arzt war, ist bedeutsam zur Entscheidung der Frage, ob eine Frau schwanger
sein und niederkommen kann, ohne ihren Zustand zu kennen.
Allzu selten ist das Vorkommnis übrigens nicht. Buttersack (Berlin).
S. Gottschalk, über die Beziehung der Konzeption zur Menstruation
und über die Eieinbettung beim Menschen. (Arch. für Gynäk., Bd. 91,
H. 3, 1910.) G. wendet sich;, wie schon früher!, nochmals gegen die jetzt
herrschende Ansicht von Sigismund Und Simpson, daß das befruchtete
Ei stets der ersten ausgebliebenen Regel angehöre und daß demnach jede
menstruelle Blutung den Abort eines unbefruchtet gebliebenen Eies anzeigt.
Er führt, eine Reihe von Fälleil an, in denen sicher das der zuletzt da-
gewesenen Periode angeh orige Ei befruchtet worden war. Daß dies mög¬
lich ist, hat eine gewisse praktische Bedeutung, da man infolgedessen
keineswegs sicher ist, durch intrauterine Eingriffe innerhalb der ersten
drei Wochen nach der zuletzt dagewesenen Periode nie eine junge Schwanger¬
schaft zu zerstören, wie das Straßmann behauptet. — G. bestätigt weiter
die Ansicht verschiedener Autoren, daß auch während der Schwangerschafts-
amenorrhöe den Uterus in dem bisherigen Menstruationstyp ein Reiz trifft,
welcher eben wegen seiner Periodizität nur eine Funktion der Ovulation
sein könne (Schwangerschaftswehen). Erwähnt wird ferner ein Fall, wo
ein 17 jähriges Mädchen infolge yon Onanie amenorrhoisch geworden war
und nach 10 Jahren bei ununterbrochen fortbestehender Amenorrhoe
schwanger wurde. — Im zweiten Teil der Arbeit verbreitet sich G. an der
Hand einer größeren Anzahl von Mikrophotos über einige Fragen der Ei-
einbettiuig. R. Klien (Leipzig).
H. Fehling, Grundsätze und Erfahrungen in der Behandlung der
Tubenschwangerschaft der frühen Monate. (Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 1,
1910.) F. tritt entgegen Zweifel dafür ein, nicht nur jede rupturierte,
sondern auch jede in Hämatozele ausgegangene Tubarschwangerschaft
zu 1 ap ar o tomieren. Nur bei verjauchter Hämatozele operiert F.
von unten mittels sagittaler Eröffnung des hinteren Scheidengewölbes.
Von F.’s mittels Bauchschnittes operierten Hämatozeleu ist keine einzige
gestorben. Interessant sind noch folgende Angaben: Bei Ruptur wurde in
64% de r Fälle eine Graviditas tub. isthmica oder interstitialis (dreimal)
festgestellt. Bei Abort war eine isthmische Gravidität nur in 13,2% der
Fälle vorhanden; es überwog (die ampulläre Gravidität mit 86,8%. Die
42 Fälle mit Grav. isthmica ergaben 78,5% Ruptur; 84 Fälle von Grav.
ampullaris dagegen nur in 21,4% Fällen Ruptur. R. Klien (Leipzig).
Hertzsch, Die Frauenmilch und ihre kriminelle Bedeutung. (Archiv
für Gyn., Bd. 92, H. 1, 1910.) H. hat an einer größeren Reihe von Fällen
Untersuchungen angestellt, die ihn folgende Sätze aufstellen lassen: 1. Das
Fehlen von Kolostrumkörperchen in der Frauenmilch berechtigt zu dem
Schluß, -daß das Kind ein lebensfähiges gewesen ist, aber nicht zu dem
weiter gehenden, daß es ein ausgetragenes war. 2. Das Vorhandensein von
Kolostrumkörperchen allein läßt einen Rückschluß weder auf den er¬
reichten Schwangerschaftsmonat noch den Wochenbettstag zu, noch entschei¬
det cs die FYagc, ob ein Kind gestillt worden ist oder nicht, und ob es von
einer Erst- oder Mehrgebärenden stammt. 3. Entleert die Brustdrüse bei
Druck reichliche Milch von weißlicher Farbe und reifem Zustand (homo-
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Referate und Besprechungen.
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gene Flüssigkeit, enthaltend eine Unmenge wohl ausgebildeter Fetttröpfchen,
frei umherschwimmend mit Fehlen der Formelemente und Übergangsformen
der kolostraien Milch bis auf die iKolostrumkörperchen), so spricht das
Vorhandensein von Kolostrumkörperchen auch in größerer Anzahl nicht dagegen,
daß ein ausgetragenes Kind geboren worden ist. R. Klien (Leipzig).
O. Krug (Magdeburg), Über Beckendehnung der Kreißenden. (Wiener
klin. Rundschau, Nr. 24, 1910.) Der sehnliche Wunsch des Geburtshelfers,
die Conjugata vera um eines Zentimeters Länge zu erweitern, läßt sich auf
verschiedene Weise erfüllen. Die Hängelage (Wal eher) und die
künstliche Lordose (Willing) leisten dabei die besten Dienste. —
Der Verf. hat einen neuen Handgriff erprobt, der ihm bei fest im Becken-
eingang stehenden Kopfe zu statten gekommen ist. Dieser „Kreuzgriff“
wird folgendermaßen ausgeführt: Querlage, drei Mittelfinger der rechten
Hand an die Innenfläche des Tuber ischii dextr. und dieselben Finger der
linken Hand an die gleiche Stelle links in die Vagina. Beide Hände
liegen also gekreuzt und haben am Handrücken ihr Hypomo-
chlion. Während der Wehe wird ein Druck in der Richtung des
queren Beckendurchmessers ausgeübt und das ganze. Becken ein
wenig gehoben. — Die Veröffentlichung soll zunächst nur zur Nachprüfung
Veranlassung geben, und es ist wohl kaum zweifelhaft, daß mancher Ge¬
burtshelfer diesen ungefährlichen Kreuzgriff bei schwierigen Fällen ver¬
suchen wird. Steyerthal-Kleinen.
S. Stiassny (Wien), Die Wechselbeziehungen zwischen Blutungen intra
et post partum und der allgemeinen Narkose. (Wiener klin. Rundschau,
Nr. 19 u. 20, 1910.) Blutung und Narkose beeinflussen einander wechsel¬
seitig, doch scheint insbesondere was die Blutungen unter und nach der
Geburt anlangt, ein festes Gesetz dafür bisher nicht bekannt zu sein.
Manche Geburtshelfer glauben, die Tendenz zur Blutung post partum, wenn
Narkose angewandt wurde, als etwas stärker bezeichnen zu müssen. Den
Äther hat man für einen gewissen Prozentsatz der im Wochenbette auf-
tretenden Hämorrhagien verantwortlich gemacht. Längere Narkosen mit
Chloroform oder stark chloroformhaltigen Mischungen setzen die Gerinn¬
barkeit des Blutes herab, eine Gefahr, die ein richtig zusammengesetztes
Narkotikum vermeidet. — Gerade die schwersten Blutungen intra und post
partum erfordern oft gebieterisch eine allgemeine Narkose. Weder das Sko¬
polamin noch auch die Lumbalanästhesie können hier helfend eintreten.
Die Sauerstoffmischnarkose erweist sich gerade bei Blutungen
von Wert, und ebenso gibt uns der Sauerstoff ein Mittel an die Hand, um
die indirekten Wirkungen der Narkotika zu vermeiden, indem wir die Ent¬
lüftung der Lungen durch Sauerstof finhal ationen unter -
stützen. — Einen Fortschritt der Technik bedeutet die Narkose mit
künstlich verkleinertem Kreisläufe (nach K 1 a p p) am besten
durch komplette Abschnürung der unteren Extremitäten,
wodurch ein großes Quantum Blut, narkosefrei bleibt. Die zur Kom¬
pression der Bauchaorta angegebene Taillenschnürung (Momburg)
läßt sich mit dem Klapp'schen Verfahren kombinieren. Steyerthal-Kleinen.
A. DÖderlein, Placenta praevia und Hysterotomia vaginalis anterior.
(Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 1, 1910.) D. tritt warm für die Hysterotomia
anterior bei Placenta praevia ein. Seine damit in der Münchner Klinik
erzielten Resultate sind allerdings sehr gute: von 34 Frauen starb nur
eine einzige, die indes bereits fiebernd in die Klinik eingeliefert wurde.
25 Frauen machten ein Völlig fieberfreies Wochenbett durch, 6 hatten
ganz vorübergehende Temperatursteigerungen, 2 bekamen eine Phlebitis des
rechten Beines; beide waren ebenfalls fiebernd in die Klinik gekommen.
Dagegen hatte D. in Tübingen mit Braxton Hicks und der h inte rep
Kolpotomie 13°/o, v. Winckel in 154 Fällen mittels Blasensprengung,
Tamponade oder Braxton Hicks 15,6% Mortalität. — Alles komme dar¬
auf an, schnell nach einem ganz bestimmten Schema, das ausführ-
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lieh geschildert wird, zu operieren, ohne Rücksichtnahme auf den Sitz der
Plazenta oder anderes. Wichtig sei neben einem ausgiebigen Medianschnitt
in jedem Fall die unmittelbar nach der manuellen Entfernung der Pla¬
zenta auszuführende Utero vaginal tamponade nach Dührssen. Eß
wurden 87,5°/ 0 der lebensfähigen Kinder gerettet. Selbstverständlich sei die
Operation für die Klinik zu reservieren und auch da nur für die
Fälle, welche sich nicht zur künstlichen Blasensprengung
eignen. Der Frage, ob nun jede Placenta praevia, zum mindesten die sich
nicht für Blasensprengung eignenden, der Klinik zu überweisen ist, oder
ob das dem praktischen Arzte gestattet sein solle, die Fälle nach den ; alten
Methoden im Hause zu behandeln, dieser kitzlichen Frage geht D. leider
aus dem Wege, man kann seine. Ansicht aber zwischen den Zeilen lesen,
denn er bekennt ausdrücklich!, daß er eine Trennung der Geburtshilfe in
eine klinische und eine häusliche, nicht bedauern könne. R. Klien (Leipzig».
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
J. Ibrahim (München), Über Krampfanfälle im Verlaufe des Keuch¬
hustens und deren Behandlung. (Medizin. Klinik, 1910.) Ibrahim er¬
wähnt, daß bei Krampfzuständen im Verlaufe des Keuchhustens, die an sich
ja genügend bekannt sind, öfter hyperpyretische Temperaturen beobachtet
werden, ein Symptom von ungünstiger prognostischer Bedeutung, und weist
darauf hin, daß für die Entstehung der Krämpfe wohl die sogenannte
spasmophile Diathese von wesentlichem Einflüsse sei. Therapeutisch er¬
wies sich ihm die Lumbalpunktion gelegentlich von hervorragendem Nutzen.
R. Stüve (Osnabrück).
J.Thomayer, Zur Diskussion über die Spinalmeningitis. (L^kafske Rozhledy,
Bd. 17, Nr. 5—6, 1909.) Bei einem Pat. traten brennende Schmerzen um die Knöchel
beider Füße auf; der Schmerz breitete sich über beide Beine bis ins Kreuz aus, die
Beine wurden schwach und schwer, der Gang wurde mühsam, breitspurig, wobei der
Pat, kleine Schritte machte und vom Ziele abwich; auch die Hände wurden schwach,
zitterten, es traten Kopfschmerzen und Parästhesien in der Zunge und in
allen Extremitäten auf. Die Zunge wich nach einer Seite ab; der fünfte
Finger hatte beiderseits die I. Phalange hyperextendiert, die II. flektiert,
die III. extendiert. DE rechts 15, links 10. Ataxie beider Hände. Die
Beklopfung der ganzen Wirbelsäule schmerzhaft; die Zehen krallenförmig
gekrümmt. Hyperästhesien an den Füßen und am Rumpfe. Der Autor
diagnostizierte Spinalmeningitis und nahm eine Lumbalpunktion vor; in
der Zerebrospinalflüssigkeit fanden sich Diplokokken. Der Erfolg war glän¬
zend: der Gang wurde normal, die Wirbelsäule war nicht mehr schmerzhaft,
die Hyperästhesie verschwand. G. Mühlstein (Prag).
Allgemeines.,
Fr. von den Velden (Frankfurt a/M.), Der verschiedene Widerstand
der Geschlechter gegen Entartung. (Archiv für Rassen- und Gesellschafts -
biologie, H. 5, S. 613—618, 1910.) Auf Grund eingehender Analyse der
Riffel’schen Tabellen und der Tesdorpf sehen Stammbäume kommt Verf. zu
dem Resultat, daß das weibliche Geschlecht der Degeneration (doppelt so stark
widersteht als das männliche, bzw. daß unter erschwerten Bedingungen wohl
noch die Hervorbringung von Mädchen guter oder mittlerer Qualität gelingt,
nicht ebenso aber die von Knaben.
Dieses Ergebnis stimmt gut mit der allgemein-biologischen Auffassung
überein, daß die Frau der eigentliche Träger des Fortpflanzungsgedankens ist,
während der Mann mehr die Außenwerke darsfcellt; seine Aufgabe ist mehr die,
mit Hilfe seiner physischen und intellektuellen Eigenschaften die Aufzucht
der Nachkommenschaft sicher zu stellen. Wie im Festungskrieg, so können
auch im Kampf ums Dasein die Außenwerke verloren gehen, die Zitadelle
oder die innere Stadtumwallung aber noch eine Zeitlang Widerstand leisten.
Buttersack (Berlin).
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Bücherschau.
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J. Bartel, K. Einängler und V. Kollert (Wien), Bildungsfehler und
Geschwülste. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 48, 1910.) Unter der Leitung
von Julius Bartel haben die genannten Forscher eine große Anzahl von
Leichen des pathologischen Instituts in Wien sorgfältig auf alle „Neben -
befunde“ untersucht und dabei insbesondere Lymphatismus, Bildungsfehler
und Tumoren in den Kreis ihrer Studien bezogen. Da fand sich denn,
daß „normale“ Menschen äußerst selten sind; Bildungsfehier aller Art (an,
Lungen, Milz, Leber, Hypertrophie des Proe. pyramidalis der Schilddrüse,
offenes Foramen ovale, Atresie des Ösophagus und Anus, Divertikelbildung,
Hernien usw., überzählige Milz, Nebenniere, Pankreas, Thymus) fanden sich
in 83,7°/ot Geschwülste bei 55°/o* Bildungsfehier und Geschwülste bei 46 0 / 0 .
Die Bildungsfehlerrasse weist im kindlichen Alter eine hohe Mortalität
auf und erlischt bald. Hauptsächlich sind es die akuten Infektionskrankheiten
und die Tuberkulose, welche sie dezimieren.
Umgekehrt verhält sich die Tumormasse: sie ist gegen akute Infektionen
und Tuberkulose stärker resistent, desgleichen auch gegenüber chronisch ent¬
zündlichen Prozessen.
Die Kombination der beiden Rassen bietet verhältnismäßig günstigere
Chancen.
Wenn man also bisher das Beneke’sche „Gesetz der Altersdisposition“
nur gewissermaßen als Funktion der Zeit ansah, indem eben im Alter physio¬
logische Veränderungen vor sich gehen, so muß man nunmehr daneben auch
die dem Einzelwesen inhärenten RassequaKtäten berücksichtigen; denn diese,
und nicht die Lebensdauer, entscheiden in letzter Linie, oh jemand im Alter
von Tumoren oder in der Jugend von Mikroorganismen heimgesucht wird.
Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Max Bresgen. Die ärztliche Beeinflussung des Kranken. Leipzig 1911. Verlag
von Georg Thieme. 69 S.
,Zu mächtig haben die Entdeckungen der neueren Zeit über die chemischen
und physikalischen Vorgänge im organischen Lebensprozeß auf einen großen Teil
der gebildeten oder sich für gebildet haltenden Welt gewirkt. Man fängt an, sich
selbst nur für ein Produkt des Stoffes zu halten, eine sittliche Weltordnung nicht
anerkennen zu wollen und den Stoff anzubeten statt des Geistes, durch den er
allein Wirksamkeit erlangt/ (K. E. v. Baer.)
.In welche Abhängigkeit versinkt der Mensch, welcher seinen Körper fröhnt,
für diesen zu viel fürchtet und alles andere darüber vergißt! Unsere Furcht ist
nämlich immer größer als unsere Not, und weit öfters leiden wir in der Einbildung
als in der Wirklichkeit/ (Seneca an Lucilius.)
-Zehn große Hemmnisse, Fesseln unseres Selbst gibt es: Selbsttäuschung,
Zweifel, Abhängigkeit von abergläubischen Bräuchen, Sinnlichkeit, Übel wollen,
Liebe zum Leben auf der Erde, Sehnsucht nach dem Leben in einem Himmel,
Stolz, Selbstgerechtigkeit, Unwissenheit/ (Buddhistischer Katechismus.)
An solche große Vorgänger schließt sich Bresgen an, wenn er die Wurzel
vieler Beschwerden weniger in den von der pathologischen Anatomie aufgedeckten
sogenannten organischen Veränderungen erblickt, als vielmehr in einer falschen
psychischen Konstitution. Von den 10 pathogenen Faktoren des buddhistischen
Katechismus bewertet er ganz besonders die Furcht und könnte sich dabei ganz
wohl auf die ^psychische Krankengeschichte“ Michelangelo^ berufen:
,0 weh mir! weh! ich geh’ in meinem Sinne
-Das ganze Leben durch, das mir entschwand.
.Auch nicht ein Tag darin war ganz mein eigen!
-Trugvollen Höffens, eitler Wünsche Reigen
-Mit Weinen, Seufzern, heißer Glut und Minne
-Beherrschten mich. *
Auf wie viele Zeitgenossen passen diese Verse nicht ebenso wie auf ihren Dichter!
Selbsterziehung und allumfassende Liebe sind nach Buddha die läuternden,
bessernden Faktoren, die zum Glück führen. Auch Bresgen weiß keine besseren
Der Arzt soll in erster Linie Erzieher sein. Aber um dieser Aufgabe zu genügen,
muß er zuvor selbst erzogen sein, sich selbst erzogen haben. Man sieht: der ?*too<
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Bücherschau.
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»tXoaoooc li otho; kommt wieder zu Ehren. Will der Arzt seinen Kranken in
religiösem — nicht konfessionellem! — Sinne beeinflussen, dann muß er zunächst
selber Religion haben, jene Weltauffassung, welche gleich weit entfernt ist von
kleinmütigem Verzagen, wie von eitler Selbstüberschätzung, weil sie sich eins weiß
mit dem Weltganzen. Sie ist wohl am schärfsten in jenem Satze ausgedrückt,
welchen schon 200 Jahre vor Bismarck Racine geprägt hat: r Je crains Dieu,
eher Abner, et n’ai pas d’autre crainte*. (Athalie I, 1.)
Es mag ungewöhnlich erscheinen, daß ein Arzt sich auf das Gebiet der Ethik
begibt. Indessen, Aufgabe der Medizin ist es, den Menschen zu helfen, und wenn
das erfolgreich mit Ethik geschehen kann, warum sollen wir uns dieses Mittels
berauben? Jedenfalls versagen die Mittel der Physik und Chemie zu oft, als daß
wir nicht dankbar uns dieses alten Weges erinnern sollten, auch wenn er den Ärzten
selbst mitunter recht beschwerlich sein mag. Buttersack (Berlin».
Cesare Lombroso, Studien über Genie und Entartung. Autorisierte Übersetzung
aus dem Italienischen von I)r. Ernst Jentzsch (Obemigk). Leipzig 1910-
Reclam’s Universal-Bibliothek Nr. 5218/20. 1 Mk.
Auf des gleichen Verfassers „Genie und Irrsinn" 4 folgen hier die interessanten
und gehaltreichen „Studien über Genie und Entartung" 4 , ein Werk aus dem Ende
der 90 er Jahre, das von dem kürzlich verstorbenen Verfasser aber erst 1907 noch
einmal völlig durchgesehen wurde, wobei sich Verfasser auch mit mehreren seiner
Kritiker, wie Mantegazza, Flechsig u.a. auseinandersetzt. Wenn Lombroso's
erste Deutungsversuche der Genialität und die ersten Resultate seiner Forschungen
Geringschätzung und Feindseligkeit erregten, so bildet es heute, nachdem die Frage
nach dem Ursprung und der Eigenart des Genies seit geraumer Zeit in ein ruhigeres
Fahrwasser hinübergeglitten, zugleich einen Gewinn und Genuß zu betrachten, wie
unter dem beständigen Ringen des Autors mit seinem Stoff' dieser eine immer fester
umschriebene Form angenommen hat und in welcher Gestalt sich gegenwärtig da?
bedeutsame Problem darstellt, das Verf. uns durch Beispiele aus Literatur und
Geschichte, wie Tasso, Byron, Zola, Napoleon u. a. noch besonders interessant
zu machen versteht. Werner Wolff (Leipzig).
Helwig (Zinnowitz), Das kranke Kind und das Seeklima. Eine biologische
Betrachtung für Ärzte und Eltern. Wolgast 1910. Verlag von Christiansen.
Verf. sucht „eine nach großen Gesichtspunkten strebende Erörterung der
Beziehungen zwischen klimatischer Wirkung und kindlicher Konstitution“ zu geben,
und wenn er dabei manchmal auch etw as zu sehr in Einzelheiten sich verliert, die
vielleicht nicht ganz zum Thema gehören, so wird doch das Buch vielen Eltern
Anregung und Aufklärung, ja oft auch eine nicht unberechtigte Warnung vor einem
übereilten Allzuviel bringen. Die meisten Ärzte freilich werden kaum viel Neues
in dem Buche finden, abgesehen von des Verfassers Blutuntersuchungen, über die
• er uns hoffentlich an anderer Stelle Exakteres berichten wird, doch kann jeder
Kollege das Büchlein besorgten Eltern gern als Lektüre empfehlen.
Werner Wolff (Leipzig).
0. Haab (Zürich), Atlas der äußerlich sichtbaren Erkrankungen des Auges. 4. ver¬
mehrte und verbesserte Auflage. München 1910. Verlag von J. F. Lehmann. 10 Mk.
Über Haab’s ausgezeichneten Atlas noch Worte des Lobes zu sagen, wäre
wirklich überflüssige Verschwendung; es genügt, hier darauf hinzuweisen, daß auch
diese neue Auflage wieder im Text genau durchgesehen, ergänzt und verbessert
wurde und zu den bereits vorhandenen 100 Abbildungen noch weitere acht neu
hinzugefügt w’urden. Werner Wolff (Leipzig).
Pfeiffer (Weimar), Taschenbuch der Krankenpflege für Krankenpflegeschulen, für
Ärzte und für die Familie. 6 . unveränderte Auflage. Weimar 1910. Verlag von
H. Böhlau, Nachfolger. 5 Mk. 427 S.
Das bekannte, vorzügliche, weitesten Kreisen zu empfehlende, durch Mitarbeit
zahlreicher Autoritäten, Aerzte und erfahrener Schwestern entstandene Weimarer
Taschenbuch. v. Schuizer (Höxter).
E. Hirsch (Bad Nauheim), Über Arterienverkalkung. 4. vermehrte Auflage.
München 1910. Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 46 8. 1 Mk.
Für den Arzt zu l'euilletonistisch, für den Laien zu schwer verständlich ge¬
schriebene Arbeit, an der man die mangelnde Einteilung und Systematik schwer
vermißt. Werner Wolff (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang,
1911.
fomcftritte der mediziit.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Profe$$or Dr. 0. Köster Priv.-Doz. Dr. ». Crieaent
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
UL | lür das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
16. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die chirurgische Therapie der Rückenmarkserkrankungen.
Von Privatdozent Dr. Axhausen, Berlin.
Die Erkrankungen des Zentralnervensystems sind erst in den
letzten Jahrzehnten der chirurgischen Hilfeleistung erschlossen worden.
Die Ursache hierfür liegt ebenso sehr in der Schwierigkeit einer exakten
Diagnose als in der diffizilen operativen Technik. Weniger die
Erkennung der Krankheit als solche als vielmehr die richtige Lokali¬
sierung des Krankheitsherdes, die topische Diagnose bildete den
Kern der Schwierigkeiten; und es bedurfte langer sorgfältiger Beobach¬
tungen und Untersuchungen von seiten der Neurologen, um für Diagnose
und Indikation eine einigermaßen sichere Grundlage zu schaffen. Auf
der anderen Seite trat der Entwickelung der operativen Maßnahmen
vor allem der Umstand hindernd in den Weg, daß fast ausnahmslos
verschleppte Fälle dem Chirurgen zugeführt wurden, so daß, ganz
abgesehen von der unmittelbaren Operationsgefahr, das Ausbleiben eines
augenfälligen Erfolges kaum die Hoffnung auf eine wirksame chirur¬
gische Bekämpfung dieser Zustände überhaupt aufkominen ließ.
Nachdem nun aber in den letzten Jahren die Fundamente der
topischen Diagnose und die Richtungslinien der Indikationsstellung in
den Grundzügen festgelegt sind, nachdem rechtzeitig vorgenommene
Operationen die vielfach glänzenden Erfolge chirurgischer Hilfe immer
häufiger erkennen ließen, hat sich, ganz besonders in der Rücken-
markchirurgie, ein Wandel vollzogen : Wir müssen die chirurgische
Behandlung der Rückenmarkserkrankungen heutzutage als ein wich¬
tiges und keineswegs undankbares Gebiet der Chirurgie bezeichnen.
Die Erfolge werden auch weiterhin noch bessere werden, wenn
erst die rechtzeitige Erkennung der für die Operation geeigneten Er¬
krankungen zum Allgemeingut der praktischen Arzte geworden ist,
wenn mehr noch w r ie bisher frühzeitig die geeigneten Fälle in chirur¬
gische Behandlung gelangen werden.
Wann die chirurgische Behandlung einzusetzen hat und was von
ihr zu ervrarten ist, soll den Inhalt der folgenden Zeilen bilden.
Die krankhaften Zustände, die hier in Frage stehen, sind im wesent¬
lichen die folgenden: Die Tumorbildung, die traumatische Läsion, die
durch Tuberkulose bedingten pathologischen Zustände; weiter das erst
neuerdings besser umgrenzte Krankheitsbild der serösen Meningitis
und schließlich gewisse Störungen der Nervenleitung, die späterhin,
im einzelnen zu besprechen sind.
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Axhausen,
Beginnen wir zunächst mit den Tumoren. Hier gerade ist das
Gebiet, auf dem in der Neuzeit infolge der frühen Erkennung und
der guten Lokalisierbarkeit der Erkrankung die operative Hilfe hoch¬
erfreuliche Resultate erzielt hat.
Mannigfacher Art können die Geschwülste sein, deren Druck auf
das Rückenmark zu den markanten Querscbnittsläsionen führt. Ich
sehe ab von den Geschwülsten, die sich in den Wirbeln entwickeln und
von hier aus gegen das Mark andrängen. Hier handelt es sich so gut
wie ausnahmslos um metastatische Geschwülste, besonders um metasta¬
tische Karzinome, deren Muttergeschwulst mit besonderer Häufigkeit
in der Mamma oder in der Prostata gelegen ist, wenn auch gelegentlich
Karzinome anderer Lokalisation gewiß zu solchen Metastasen führen
können (z. B. Magen-, Darm-, Schilddrüsen-Karzinome). Die exakte
Diagnose ist in diesen Fällen deswegen in der Regel leicht, weil solche
Metastasen über das ganze Knochensystem verbreitet zu sein pflegen
und weil der primäre Tumor, wenn man überhaupt daran denkt, kaum
zu übersehen ist. Diese Fälle kommen selbstverständlich für eine chirur¬
gische Behandlung nicht in Betracht. Ich übergehe auch die zum Glück
recht Seltenen intramedullären Tumoren (meist Gliome); sie bieten
der Diagnose große Schwierigkeiten und geben, auch wenn sie
erkannt und operativ in Angriff genommen worden sind, eine recht
schlechte Prognose.
Das eigentliche Gebiet der Rückenmarkstumoren, das für die chirur¬
gische Behandlung in Betracht kommt, ist das Gebiet der extramedul¬
lären Tumoren, sei es, daß es sich um die intraduralen oder sei es, daß
es sich um die extraduralen Formen handelt. Sie stehen zum Glück
in der Häufigkeitsskala obenan und bieten vor allem deswegen eine so
gute Prognose, weil sie — abgesehen von den immerhin seltenen Sarkomen
— infolge ihres exquisit expansiven Wachstums leicht zu entfernen
sind und weil sie eine äußerst geringe Neigung zur Rezidivierung und
zur Metastasenbildung jauf weisen. Hierzu gehören vor allen Dingen
die Endotheliome, Fibroendotheliome und Psammome (intradurale
Tumoren), sowie die Lipome, Myxome und Angiome (extradurale
Tumoren); die zu letzter Gruppe gehörigen Sarkome stehen selbstver¬
ständlich prognostisch abseits.
Wie ist nun eine frühzeitige Erkennung dieser Geschwülste möglich ?
Das erste, so gut wie niemals fehlende Symptom dieser Geschwülste
bilden die Ne ur algie n, die nach Art der interkostalen Neuralgien monate¬
lang den Patienten plagen können, bevor andere Symptome die Natur der
Erkrankung enthüllen. Sie sind als Wurzel Symptome zu deuten, davon ab¬
hängig, daß die Tumoren weitaus in der Mehrzahl der Fälle sich zunächst
seitlich entwickeln und so mit den Nervenwurzeln in Kollision Jtommcn.
Nach längerer Zeit erst äußert sich die Druckwirkung auf das Rücken¬
mark selber; und auch hier wieder ist das wichtigste Symptom abhängig
von dem ursprünglich seitlichen Sitz dieser Geschwülste: relativ häufig
bildet sich der Symptomkomplex der Halbseitenläsion heraus, der
allerdings in vielen Fällen übersehen wird. Wer es sich zum Prinzip
macht, jeden Patienten mit neuralgischen Schmerzen der beschriebenen
Art daraufhin sorgfältig zu untersuchen, wird in vielen Fällen die
beginnenden Symptome der Halbseitenläsion (Brown-Sequard’s Typus)
auf finden, auch zu einer Zeit schon, wenn die motorischen Störungen
noch keine augenfälligen Ausfallserscheinungen machen. Erst ganz all¬
mählich gehen diese Störungen in das Bild der zunehmenden para-
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Die chirurgische Therapie der Rückenmarkserkrankungen.
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plegischen Lähmung über, deren Symptome und deren trostloser
Ausgang allgemein bekannt ist; aber auch hier wieder fehlt nicht
häufig das tiberwiegen der Symptome auf der einen Seite.
Eine wichtige Tatsache muß besonders betont werden: sehr lange
pflegt es zu dauern, bis der Tumordruck die Leitungsbahnen zur Zerstö¬
rung bringt, wodurch eine Reparabilität naturgemäß ausgeschlossen,
wird. Sehr lange kann es bei der rein funktionellen, daher reparablen
Störung der Leitungsbahnen bleiben; dies trifft selbst dann noch zu,
wenn die Lähmungszustände bereits zu Kontrakturen geführt haben.
Diese Tatsache kann für unsere operativen Resultate nicht hoch genug ein¬
geschätzt werden. Als Beispiel möge ein vor einiger Zeit von uns beobach¬
teter Fall hier Platz finden: Bei einer 73jährigen Frau, bei der seit
langen Wochen beide Beine vollkommen und beide Arme nahezu voll¬
kommen gelähmt waren, bei der die unteren Extremitäten und die Hände
schwere Kontrakturstellungen auf wiesen und bei der selbst trophische
Störungen an den unteren Extremitäten kenntlich waren, war es durch
operative Behandlung möglich, eine vollständige Wiederherstellung der
nervösen Funktionen zu erzielen; und noch zurzeit (zwei Jahre post
operationem) bietet die Patientin das Bild einer gesunden, rüstigen
Frau, die selbst größere Spaziergänge ohne Beschwerden und ohne
irgendwelche Unterstützung zu unternehmen vermag; die Kontrakturen
und trophischen Störungen haben sich vollständig zurückgebildet.
Wenn bei einem Patienten eine Halbseitenläsion oder zunehmende
Lähmungen vorhanden sind und die Anamnese etwas von Wurzelsymp¬
tomen zu berichten weiß, so ist die Indikation zum operativen Eingriff
gegeben. Vor allem möge man nicht allzuviel Zeit verlieren mit anti¬
luetischen Behandlungen. Gewiß ist man verpflichtet, bei solchen
Patienten die Wassermann’sche Reaktion anstellen zu lassen und, fällt
sie positiv aus, den Versuch einer antiluetischen Kur zu machen. Ist
die Reaktion aber negativ oder führt die Kur nicht bald zu deutlichen
Heilungsfortschritten, so möge man, ohne weitere Zeit zu verlieren,
die Operation dringend empfehlen.
Die für die Chirurgen wichtigste Frage ist die Höhenlokali-
sierung des Tumors, wobei festzuhalten ist, daß wir nach Lage der
Dinge nur die obere Grenze der Tumorausbreitung bestimmen können,
weil nur der Beginn der Nervenleitungsunterbrechung nachweisbare
Symptome macht, während für die Ausbreitung der komprimierten
Partie Symptome nicht zur Verfügung stehen. Das Symptom, das wir
für die Höhenbestimmung in erster Linie benutzen, ist die Störung der
Sensibilität. Wir wissen — und leicht erhältliche Schemata geben uns
hierüber Auskunft —, daß immer gewisse Zonen des Körpers be¬
züglich ihrer Sensibilität bestimmten Rückenmarksegmenten entspre¬
chen ; und so können wir von der oberen Grenze der Sensibilitätsstörung
einen Rückschluß auf das Segment machen, an dem die obere Grenze der
komprimierenden Geschwulst liegt.
Mancherlei praktische Hinweise haben sich hier aus den
Erfahrungen ergeben. Zunächst ist daran festzuhalten, daß jeder
Hautbezirk auch von den beiden benachbarten Segmenten noch
Nervenäste erhält, so daß eine komplette Unempfindlichkeit nur
dann ein treten kann, wenn nicht nur in dem eigentlich zum
Ausbreitungsbezirk gehörigen Segment, sondern zum mindesten
im nächst höheren die Nervenleitung unterbrochen ist. Wenn z. B.
der zum achten Brustsegment gehörige Hautbezirk unempfindlich ist,
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Axhausen,
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so muß zum mindesten die Leitungsunterbreeliung im siebenten Brust¬
segment schon vorhanden sein, da sonst die von diesem Segment kom¬
menden Fasern für die Sensibilität des betreffenden Hautbezirkes sorgen
würden. Als praktisch wichtiger Schluß ergibt sich hieraus — und
das hat die Erfahrung immer wieder bestätigt —, daß wir die obere
Grenze des Tumors immerein Bückenmarksegment höher annehmen
müssen, als nach der Grenze der Sensibilitätsstörung zu erwarten ist.
Weiter ist zu beachten, daß die Einteilung der Bückenmarksegmente
nicht mit der Einteilung der Wirbel selber in Einklang steht, da
ja bekanntlich das Bückenmark wesentlich kürzer ist als der Wirbel¬
kanal. So wissen wir z. B., daß das achte Brustsegment dem sechsten
Brustwirbelkörper entspricht; auch über diese Beziehungen geben
uns übersichtliche Schemata leichtem Aufschluß. Und schließlich darf
bei der Vornahme der Operation nicht übersehen werden, daß an der
Brustwirbelsäule die tastbare Spitze des Bornes keineswegs der Höhe
des entsprechenden Körpers entspricht, daß vielmehr die Dornfortsätze
weit nach abwärts gerichtet sind, so daß die Spitze immer dem Körper
des nächst tieferen Wirbels entspricht. So müssen wir, um bei dem
vorigen Beispiel zu bleiben, bei einem Tumor, dessen oberes Ende dem
achten Brustsegment entspricht, als Höhenmarke einerseits den sechsten
Brustwirbel kör per, andererseits aber nicht die Spitze des sechsten
Brustwirbeldornes, sondern die des fünften Brustwirbeldomes festsetzen.
Erst nach Berücksichtigung aller dieser verschiedenen Momente ist es
möglich, sich einen äußerlich tastbaren Punkt für die Höhe der vor¬
handenen Geschwulst mit einiger Zuverlässigkeit zu verschaffen. Immer
wieder hat die Erfahrung gezeigt, daß, wenn man nicht in der richtigen
Höhe das Bückenmark freilegt, der Tumor fast ausnahmslos etwas
höher liegt, als man erwartet und nicht tiefer.
Kommen nun Fälle zur Beobachtung, bei denen die Entwicklung
des Leidens keinen ausgesprochenen Charakter trägt, bei denen ins¬
besondere die Sensibilitätsstörungen nicht ganz eindeutige Resultate
zu liefern vermögen, so muß manchmal die Differentialdiagnose zwischen
einem extramedullären Tumor oder einem der viel selteneren intramedul¬
lären Tumoren offen gelassen werden. In solchen Fällen ist man unbe¬
dingt, zur Vornahme einer probatorischen Laminektomie berechtigt,
mit demselben Beeilt, mit dem wir in unklaren Abdominalfällen die
probatorische Laparotomie vornehmen; denn nur so kann für den Fall,
daß die erste Art des Leidens vorliegt, Heilung geschaffen werden.
Die unmittelbare Gefahr der Operation ist bei dem heutigen Stande
der Technik nicht hoch anzuschlagen; sie kommt gegenüber der Schwere
des Leidens wenig in Betracht.
Die Operation selber bietet keine wesentlichen Schwierigkeiten.
Von allen Versuchen, die hinteren Teile der Wirbelsäule zu erhalten
und in irgendeiner Form von Lappenplastik nach der Eröffnung der
Bückenmarkshöhle diese Teile wieder zurückzulegen, ist nach unseren
Erfahrungen abzusehen. Die Begründung solcher Maßnahmen lag ja.
darin, daß man Sorge trug, ob nicht nach Entfernung des hinteren
Teiles der Wirbelsäule die Stabilität derselben nach der Operation
Schaden leiden würde. Diese theoretischen Bedenken sind durch die
praktischen Erfahrungen als erledigt anzusehen. Wir haben z. B. in.
unseren geheilten Fällen, auch wenn an drei und vier Wirbeln operiert
wurde, eine irgendwie störende Beeinträchtigung der Festigkeit der
Wirbelsäule nicht erlebt, wie zu unserem eigenen Erstaunen selbst
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Die chirurgische Therapie der Rückenmarkserkrankungen.
245
die aktive Beweglichkeit z. B. an der Halswirbelsäule nur eine kaum
wahrnehmbare Beeinträchtigung erfahren hat. Auf der anderen Seite
beeinträchtigen alle plastischen Maßnahmen die Übersichtlichkeit des
an und für sich tiefliegenden Operationsfeldes.
Die Operation vollzieht sich sehr einfach so. daß ein Längsschnitt
die Wirbeldornen freilegt; zwei weitere Längsinzisionen spalten die
Faszie zu beiden Seiten der Dorareihe, breite Meißel oder breite Eleva-
torien hebeln die Muskulatur von der Außenfläche der Dornen weg
und legen die Bögen frei; tiefe breite Haken sichern diese Freilegung
und nun erfolgt die Entfernung der Dornen und Bögen, sei es mit
dem vorsichtig geführten Hohlmeißel, sei es mit der Luer’schen Hohl¬
meißelzange. Störungen können nur auftreten durch heftige Blutungen
aus dem venösen Plexus; hier wird es immer zuweilen nötig sein,
eine Jodoformgazetamponade vorzunehmen und die Operation in einem
zweiten Akte zu vollenden. Nach der Eröffnung des Wirbelkanals
erscheint das lockere Fettgewebe des extraduralen Raumes, und hier
wird nun der extradurale Tumor sichtbar, der leicht stumpf auszu¬
schälen ist. Wenn nicht, wird die Dura längsgespalten und dadurch
der intradurale Tumor freigelegt und entfernt. Es folgt die Naht
der Dura mit feinen Katgutknopfnähten, die Naht der Muskulatur
mit dickem Katgut und die Hautnaht. Ein dünner Jodoformgazestreifen
wird gelegentlich in die Wunde gelegt und zum unteren Winkel heraus-
geleitet; er wird am dritten Tage entfernt. — —
Viel schwieriger als bei den Rückenmarkstumoren liegt die Indi¬
kationsstellung bei den traumatischen Rückenmarksläsionen. Es ist
gewiß ein bestechender Gedanke, unter der Annahme, daß ein Wirbel¬
fragment gegen das Rückenmark zu vorgelagert ist und dort drückt,
mittels der Laminektomie ein solches Knochenstück zu entfernen. Aber
in Wirklichkeit liegen die Dinge keineswegs so einfach. Von vorn¬
herein scheiden für jede operative Behandlung Fälle von sicherer Quer¬
schnittszerstörung aus, deren klinisches Bild ich als bekannt voraus¬
setzen darf; weiter aber auch die Fälle, in denen eine innerhalb des
Markes sitzende Blutung die Ursache der Lähmung abgibt, die Hämato-
myelie. Die Diagnose dieser Affektion ist nicht einfach; liier wird
man zuweilen der Hilfe des Neurologen nicht entraten können. Wichtig
ist, daß die Läsion ganz vorzugsweise den inehr beweglichen Zervikal¬
abschnitt befällt, während sie am Dorsal mark kaum je beobachtet
wurde. Wichtig ist der Verlauf, der von der Entstehung und der Resorp¬
tion des Blutergusses abhängig ist: das rasche Ansteigen der Symp¬
tome, der schon nach einigen Tagen einsetzende Besserungsbeginn.
A on Bedeutimg sind auch die Symptome, die auf die herdförmige Läsion
der grauen Substanz weisen: umgrenzte atrophische Lähmungen, Stö¬
rung der Schmerzempfindimg u. a. m. Die Prognose dieser Hämato-
myelie ist bei konservativer Behandlung nicht ungünstig; wir haben
Fälle beobachtet, bei denen eine eine Halswirbelfraktur l)egleiten,de
Hämatomyelie, die in der ersten Zeit eine Lähmung aller vier Extre¬
mitäten hervorrief, bei konservativer Behandlung sich so weit wieder¬
herstellte, daß der betreffende Patient sogar wieder auf die Beine
kommen konnte. Eine Besserung dieser Zustände ist von operativen
Maßnahmen nicht zu erhoffen.
Die für die operative Frage übrigbleibenden Fälle sind die
partiellen Lähmungen, die langsam zunehmen resp. sich nicht
bessern oder nach vorübergehender Besserung sich wieder ver-
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Axhausen,
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schlechtem. Hierbei mag immerhin, in der Hoffnung, ein drückendes
Knochenstück vorzu finden, die Operation versucht werden. Überblicke
ich aber die Allgemeinerfahrungen der Chirurgen und nehme ich die
Resultate unserer eigenen diesbezüglichen Versuche hinzu, so darf nicht
verschwiegen werden, daß die Erfolge nicht ermutigend sind. Es kann
danach der Standpunkt voll vertreten werden, daß man berechtigt ist,
bei traumatischen Läsionen des Rückenmarkes von jeder Operation ab¬
zusehen. —
Ähnlich liegen die Dinge bei der durch Wirbelkaries bedingten
Form der Rückenmarkkompression. Auch hier ist der Gedanke plausibel,
operativ die auf das Rückenmark drückenden Granulationsmassen resp.
Abszesse oder Knoehenteile entfernen zu wollen. Leider hat aber die
Erfahrung gezeigt, daß in der Regel der von oben nach unten zusammen-
gesunkene und stark verbreiterte Wirbelkörper selber cs ist, der zur
Einengung des Wirbelkanals bis zur Kompression des Markes führt.
Hier ist schwer operativ zu helfen. Es kommt hinzu, daß der tuber¬
kulöse Herd selber nicht entfernt werden kann.
Aber auch in dem Falle, in dem in der Tat der Druck, wie die
Operation zeigte, von Granulationsmassen oder Abszessen ausging, ent¬
sprach das Resultat nicht immer den Erwartungen. Es scheint, daß
gerade die Tuberkulose zu einer raschen Zerstörung der Nervenbahnen
Veranlassung gibt. Jedenfalls sind unsere Erfahrungen in diesen Fällen
mit Ausnahme von einem Falle, bei dem wir — es handelte sich um
ein jugendliches Individuum — eine volle Rückbildung der Lähmungs¬
erscheinungen bei gleichzeitiger Heilung der Wunde erlebten, recht
trübe. Immerhin muß auch hier bei der Trostlosigkeit des Ijeidens
an und für sich der Versuch einer operativen Intervention gestattet
sein. Vor allem muß es darauf ankommen, wenn überhaupt operiert
werden soll, frühzeitig an das Übel heranzugehen. Unser Verhalten
ist das, daß wir operieren:
1. In frischen Fällen, wenn nicht durch konservative Behand¬
lung rasche Besserung der Nervenstörungen erzielt wird,
2. In alten Fällen, wenn spasmische Erscheinimgen im. Vorder¬
gründe stehen.-
Ein weiterer pathologischer Zustand des Wirbelsäuleninhalts, bei
dem in neuester Zeit die Frage des operativen Eingriffes in bejahendem
Sinne entschieden wurde, ist das Krankheitsbild der Meningitis
serosa, eine Krankheit, die lange Zeit bekämpft wurde, jetzt aber
als sichcrgestellt angesehen werden muß. Die akuten Fälle dieser Er¬
krankung kennen wir in erster Linie am Gehirn, wo im Anschluß
an Ohr- oder Nasenerkrankungcn oder auch nach Trauma schwere
meningeale Symptome sich entwickeln können, als deren Ursache bei
der Operation nur eine seröse Entzündung, ein „bullöses ödem 4 “ der
weichen Hirnhäute, gefunden wird. Die Trepanation hat sich in diesen
Fällen als eine segensreiche Maßnahme erwiesen. Am Rückenmark
kennen wir im speziellen die chronischen Folge zustande jener
akuten Entzündungen, die die Form von einfachen oder multiplen
zystischen Flüssigkeitsansammlungen zwischen den Maschen der
weichen Hirnhäute annehmen. Diese Zysten bieten klinisch durchaus
die Symptome der Rückenmarktiiinoren; sie gelangen fast ausnahmslos
unter dieser Diagnose zur Operation. Man muß diese Bilder kennen,
um nicht durch das Fehlen eines Tumors in solchen Fällen überrascht
zu sein. Die einfache Eröffnung dieser Zysten führt in diesen Fällen
zum Ziel. —
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Die chirurgische Therapie der RückenmarkserkrankuDgen.
247
Eine weitere Bereicherung der Rückenmarkchirurgie ist durch
Operationsmaßnahmen gegeben worden, die gewissen Störungen der
Nervenleitung entgegentreten sollen, und die, genau genommen, nicht
das Rückenmark selber, sondern die Nerven wurzeln angreifen. Es ist
dies die nach Förster benannte Operation der spastischen Paresen.
Ausgehend von der Überzeugung, daß die Spasmen den wichtigsten
Teil des Krankheitsbildes ausmachen, kam Förster zu der Idee, eine
Besserung dadurch zu erreichen, daß die Reize innerhalb des übermäßig
in Tätigkeit gesetzten Reflexbogens herabgesetzt wurden. Dies konnte
geschehen durch Aufhebung der Nervenleitung in einem Teil der die
Reize zuführenden, d. h. also der sensiblen, Bahnen; und da nun die
von den sensiblen Ausbreitungen kommenden Bahnen sich auf ver¬
schiedene Segmente verteilen, empfahl Förster die Durchschneidung
mehrerer hinterer "Wurzeln beiderseits; jedoch nur so, daß
immer nur zwei benachbarte durch trennt werden dürfen, um nicht
sensible Ausfallserscheinungen zu erzeugen (vgl. die Ausführungen über
die Wirkung der Rückenmarktumoren auf die Sensibilität).
Ein solches Operationsverfahren mußte in Betracht kommen für
die spastische Spinalparalyse, für die zerebrale Kinderlähmung, für
die Little’sche Krankheit und für manche Formen der Lues und der
multiplen Sklerose. Bei den spastischen Zuständen der unteren Extre¬
mitäten wurde dementsprechend von Förster die Durchschneidung der
zweiten, dritten und fünften Lumbal- und der zweiten Sakralwurzel
empfohlen; bei anderem Sitz der Erscheinungen muß natürlich eine
entsprechende Variierung Platz greifen.
Diese Förstersche Idee ist seitdem viel zur Ausführung gebracht
worden und die Erfolge sind im allgemeinen als zufriedenstellend zu be¬
zeichnen. Da aber wegen der Ausdehnung des Operationsfeldes der
Eingriff nicht unerheblich ist, so müssen wir eine strenge Indikations¬
stellung einhalten. Wir halten die Operation, den Angaben Försters
folgend, nur da für indiziert, wo praktisch eine eigene Lokomotion nicht
mehr vorhanden ist und da, wo schwere Reizerscheinungen den Patienten
quälen.
Die Technik entspricht durchaus der der Laminektomie im allge¬
meinen. Nur bedarf man gewisserMarken, um sich im Gewirr der Wurzeln,
dLie die Cauda equina bilden, zurecht zu finden. Solche Marken sind
z. B. die Tatsache, daß die erste Sakralwurzel die Dura in der Höhe
des fünften Lumbaldomes verläßt, und die weitere, daß die zweite Sakral¬
wurzel deutlich dünner ist als die erste. Die Isolierung der binteren
und vorderen Wurzeln aus dem gemeinsamen Strang erscheint in Wirk¬
lichkeit leichter, als man zunächst zu denken geneigt ist. Ein gegen¬
gedrücktes feines Kaninchenhäkchen findet den Spalt zwischen den
beiden Wurzeln ganz von selbst. Daß der unmittelbare Erfolg der
Operation, das Nachlassen oder Schwinden der Spasmen, durch eine
sorgfältige Nachbehandlung gesichert werden muß, daß auch weiterhin
noch orthopädische korrigierende Eingriffe nötig werden können, ist
nach der Art der Erkrankung ganz selbstverständlich.
Bei richtiger Auswahl der Fälle unterliegt es keinem Zweifel,
daß auf diesem Gebiete schöne Erfolge möglich sind, wohingegen die
Bestrebungen einer weiteren Ausdehnung dieser Operationen, so z. B.
zur Behandlung der gastrischen Krisen der Tabiker, sich durchaus
noch im Yersuchsstadium befinden.
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Blüniel,
t c >.
Die Bedeutung der Pirquet’schen Reaktion für die Diagnose
der Tuberkulose.
Von Dr. Bliimel, Halle a. S.,
Spezialarzt für Lungen- und Halskrankheiten.
(Vortrag, gehalten im Verein der Ärzte zu Halle a. S.)
Die Pirquet'sehe Impfung ist schnell in der Allgemeinpraxis —
das erlebe ich täglich — die beliebteste Tuberkulinprobe geworden, wohl
wegen ihrer bequemen Ausführbarkeit und weil sie kaum wie die anderen
Formen der diagnostischen Tuberkulin-Applikation, die Konjunktival-
und Koch’sche subkutane Probe, Beschwerden oder gar empfindliche
Störungen des Befindens im Gefolge hat. Leider hat die leichte Aus¬
führbarkeit und Unschädlichkeit der Probe wohl zu einer Überschätzung
ihres Wertes geführt, und mancher Praktiker, der mit dem Pirquet
keine anderen als rein diagnostische Zwecke, um darauf seine Therapie
zu gründen, verband, wird sich kaum bewußt gewesen sein, wie wenig
ihm eigentlich der Pirquet in dieser Beziehung nützen kann.
Der positive Ausfall der Pi r quetschen Reaktion ist eben weiter
nichts — das hat v. Pirquet von Anfang an betont — als der Aus¬
druck der veränderten Reaktionsfähigkeit des Organismus, der von
v. Pirquet sogenannten Allergie oder mit anderen Worten: jeder mit
Tuberkulose oder besser mit einem tuberkulösen Herd be¬
haftete Mensch gibt im allgemeinen die Reaktion, gleich¬
viel ob seine Tuberkulose aktiv, latent oder obsolet ist.
Das geht zur Genüge hervor aus der großen Anzahl positiver Reaktionen,
die z. B. Hamburger nach den Erfahrungen mit einer Modifikation
der Pirquet’schen Probe, der Stichreaktion nach Escherich, auf 95°/ 0
bei 13jährigen Kindern schätzt, während v. Pirquet selbst bei über
10jährigen Kindern 68°/ 0 , Feer 53°/ 0 positive Ergebnisse fand. Die
Schwankungen sind groß und z. T. auf Modifikationen der Reaktion
(Escherich’s Stichreaktion), auf Verschiedenheit der Konzentration des
benutzten Tuberkulins, teils auf die Häufigkeit der vorgenommenen
Impfungen (wiederholte Applikation bei negativem Ausfall), teils auf
die Verschiedenheit des Materials zurückzuführen.
Nach meinen Erfahrungen an Erwachsenen und älteren Kindern
kommen die Zahlen Hamburgers der Wirklichkeit am nächsten; sie
geben die Tuberkulosehäufigkeit fast ebenso hoch an wie sie von Naegeli
an Leichen gefunden wurde (97°/ 0 ). Hamburger selbst fand bei Sek¬
tionen von 11—14 jährigen Kindern Tuberkulose als Nebenbefund (d. h.
die Todesursache war nicht Tuberkulose) in 53°/ 0 der Fälle. Wir
müssen daher annehmen, daß die Tuberkulose, mit l°/ 0 Ver¬
breitung im ersten Lebensjahre beginnend, in der Zeit bis zum
15. Lebensjahr ungefähr schon alle, die überhaupt befallen
werden, infiziert hat, daß sie also, wie Schlossmann sagt,
eine Kinderkrankheit ist und die Erkrankungen der Er¬
wachsenen nur Reininfektionen darstellen (Römer, Ham¬
burger).
Die Pirquetsche Reaktion hat uns also ganz neue wichtige Auf¬
schlüsse über die Verbreitung der Tuberkulose, oder besser der tuber¬
kulösen Herde im Menschen, gebracht, aber darüber, ob der jedes¬
malige Patient krank an seiner so offenbar gewordenen Tuberkulose
ist, also behandlungsbedürftig ihretwegen, darüber gibt der positive
Ausfall des Pirquet allein uns keine sichere Auskunft.
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Die BedeutJ’ner ^ Pirquet'schen Reaktion für die Diagnose der Tuberkulose. 249
Beantworten wir zuerst die Frage nach der Spezifität der
Reaktion; sie ist zu bejahen, wenn auch nicht jeder positive Pirquet
durch den Befund bei der Sektion bestätigt wird. Man muß wohl an-
nehmen, daß bei der meistens nur makroskopisch vorgenommenen
Prüfung sehr kleine Herde, die ja auch schon Ursache der Allergie
sind, einmal übersehen werden. So fanden sich in der Feer’schen Klinik,
worüber Ch. Behrend berichtet, bei 120 Sektionen — allerdings in der
Mehrzahl Säuglinge — unter 24 Pirquet- positiven Fällen 2 mit
negativem Sektionsbefunde in bezug auf Tuberkulose; 90 weitere Fälle
mit negativem Pirquet waren auch bei der Sektion negativ, während
es sich bei 6 Fällen mit fehlender Reaktion und positivem Sektions¬
befund um Kachexie, tuberkulöse Meningitis oder Miliartuberkulose
handelte.
In den eben erwähnten Fällen sowie bei chronischer allgemeiner
Tuberkulose überhaupt und auch bei Masern, versagt die Pirquet’sche
Reaktion ziemlich regelmäßig (wegen Mangels an Antikörpern, um
sie auszulösen); ebenso wohl hier und da bei inaktiver Tuberkulose
(alle inaktiven Fälle zeigt der Pirquet nicht an) und nach Einverleibung
größerer Tuberkulindosen. Im letzten Fall wird das Wiederauf treten
der Reaktion sogar als Indikator für Wiederaufnahme der spezifischen
Therapie (Jochmann) benutzt.
Das ist leider eine der wenigen Möglichkeiten, wo wir den Pirquet
als diagnostisches Merkmal, hier also als Zeichen der wiederauf tretenden
Tuberkulinempfindlichkeit, verwenden können.
Wo sonst noch seinem positiven Ausfall eine außerordent¬
liche Bedeutung als Diagnostikum zukommt, und zwar in dem
Sinne, daß das betreffende Individuum krank an Tuberkulose (in klini¬
schem Sinne) ist, daß also die vorliegende Krankheit eine tuberkulöse
sei, ist das erste und zweite Lebensjahr. Hier ist der Pirquet sozusagen
entscheidend, weil zu dieser Zeit inaktive Tuberkulosen noch selten
sind. (Das lehren uns die Sektionsergebnisse: so fand Mallinckrodt
bei Sektionen von 20 Pirquet-positiven Säuglingen nur frische Tuber¬
kulosen.) ,
Im späteren Kindesalter und bei Erwachseneii zeigt
der Pirquet schon so viel inaktive, geheilte Tuberkulosen
mit an, daß sein positiver Ausfall nicht mehr maßgebend
für die Diagnose sein kann, sondern nur mit allergrößter Vorsicht
zu bewerten ist. So fand Feer bei klinisch-gesunden Kindern des
3. Lebensjahres bereits ll°/ 0 , des 5.—7. Lebensjahres 22°/ 0 , des 10.—15.
Lebensjahres 38°/ 0 positiver Reaktionen. Der Pirquet erzählt uns hier
mehr, daß im Körper anatomische Veränderungen als Resi¬
duen eines meist abgeheilten tuberkulösen Prozesses vor¬
handen sind, ermöglicht uns aber kaum eine klinische Diagnose.
Zu welchen diagnostischen Irrtümern es z. B. führen könnte,
wollte man bei chirurgischen Krankheiten über die eventuelle tuber¬
kulöse Natur eines Knochen- oder Gelenkleidens den Pirquet ent¬
scheiden lassen, dafür ein Beispiel: Makowsky fand bei 50 seiner
chirurgischen Kranken mit diagnostizierter Tuberkulose allemal eine
positive Reaktion, aber auch bei 60°/ 0 seiner klinisch-tuberkulosefreien
übrigen Patienten.
Ein ebensolcher diagnostischer Fehler ist es — wie ich das häufiger
von anderer Seite sehe — bei perkutorischen und auskultatorischen]
Abnormitäten in den Lungenspitzen einfach durch einen positiven Pir-
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Blümel,
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quet die tuberkulöse Natur der vorliegenden Krankheit oder Verände¬
rung für erwiesen zu halten. Gewiß, es war früher fast ein Dogma,
daß Schalldifferenzen und Begleitgeräusche in den Lungenspitzen
Tuberkulose bedeuten. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre lehren
uns, daß es erstens Spitzenerkrankungen nicht-tuberkulöser
Natur gibt — ich nenne z. B. die Krönig’sche Kollapsinduration,
die Spitzenbronchitis nach Influenza, Dämpfungen infolge geschwollener
Bronchialdrüsen etc. — daß zweitens eine Reihe von Anomalien das
Skelett, die Muskulatur und Aufzweigung der Bronchien betreffend,
also keine Krankheiten, zu durch die physikalische Untersuchung fest¬
stellbaren Veränderungen führen. Es sind schon ohne Pirquet hier
Fehldiagnosen genug gestellt worden, wie ich vor drei Jahren aus
Görbersdorf berichten konnte; die Pirquet’sche Reaktion hat diese
Fehldiagnosen nach meinen Erfahrungen noch vermehrt und damit wohl
auch die Zahl Klinisch-Nichttuberkulöser in den Lungenheilanstalten.
Man darf eben nicht vergessen, daß der positive Pirquet nur
die vorausgegangene Infektion anzeigt, aber nicht Lokalisation und
Ausdehnung des Prozesses, wie z. B. die Herdreaktion bei subkutaner
Tuberkulinapplikation.
Da der Pirquet an sich uns in diagnostischer Beziehung so im
Stich läßt, hat man die Beschaffenheit der Reaktion an Klinisch-
Gesunden und Aktiv-Tuberkulösen verglichen, um die Verschiedenheit
der Intensität und des Ablaufs der Probe für die Diagnose verwerten
zu können. Man hat die sogennate „torpide“ oder „Spätreaktion“, d. h.
die erst nach 24 und mehr Stunden auftretende Reaktion als 'Zeichen
einer inaktiven Tuberkulose angesehen, dagegen sehr umfangreiche, inten¬
siver gerötete Impfpapeln mit Blasenbildung als Zeichen einer aktiven.
Aber die Qualität der Reaktion steht durchaus nicht immer
in so geradem Verhältnis zum Krankheitsprozeß, um aus
ihrer Intensität allein auf die Aktivität oder Inaktivität
einer Tuberkulose schließen zu können.
(Hamburger weist mit Recht auf die mannigfachen Fehlerquellen
bei Ausführung der Kutanreaktion hin, indem er betont, daß ihr Ausfall
auch abhängig ist von der Art der gesetzten Wunde, von der wech¬
selnden Vaskularisation der Haut, überhaupt von der individuellen
Resorptionsfähigkeit.)
Man hat weiter, um die Zahl der positiven Ausfälle zu verringern,
mit weniger konzentrierten Lösungen geimpft, aber es vermeiden,
daß auch inaktive Tuberkulosen reagierten, konnte man dadurch auch
nicht immer. (Lossen.) Aber wenn überhaupt, so scheint nur auf
diesem Wege, d. h. unter Benutzung verschiedener Tuberkulinkonzen¬
trationen, die Frage entschieden werden zu können, ob das betreffende
Individuum tuberkulosekrank oder nur tuberkuloseinfiziert ist. Das
lehren die Untersuchungen von Ellermann, Erlandsen und Petersen
mit der Kutanprobe einerseits und die Erfahrungen von Römer und
Joseph mit der intrakutanen Reaktion an Tieren andererseits. Aber
praktisch verwerten lassen sieh die Ergebnisse noch nicht, dazu befindet
sich die Frage noch zu sehr im Stadium des Versuchs.
Man kann nur ganz allgemein sagen, daß eine sehr intensive
Reaktion eher ein Zeichen dafür ist, daß das betreffende Individuum
krank an seiner Tuberkulose ist, aber andererseits muß man wieder
berücksichtigen, daß gerade die Skrofulöse, eine doch relativ torpide
Tuberkulose form ganz besonders stark auf die Pirquet’sche Impfung
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Die Bedeutung der Pirquet’schen Reaktion für die Diagnose der Tuberkulose. 251
reagiert. (Ich sage absichtlich „krank an seiner Tuberkulose“, nicht
tuberkulös; denn den klinischen Begriff gibt nur das erste wieder
und nur der Tuberkulosekranke ist behandlungsbedürftig, nicht der
Tuberkulose infizierte.)
So wenig uns nun die positive Reaktion für die Diagnose nützt,
so viel besagt der negative Ausfall, besonders bei der zweiten
Impfung, wenn man die oben erwähnten Ausnahmen berücksichtigt;
er besagt nämlich, daß das betreffende Individuum ziemlich bestimmt
nicht krank an Tuberkulose ist. (Hier kann man wieder nicht
sagen, frei von Tuberkulose, weil der Pirquet nicht alle inaktiven
Tuberkulosen anzeigt.) Leider ist ja dieser negative Ausfall bei Er¬
wachsenen selten, so daß man nicht sehr häufig in die Lage kommt,
ihn verwerten zu können; aber bei Kindern, auch bei Schulkindern
der ersten Jahre noch, da kann ein negativer Pirquet oft den Verdacht
auf Tuberkulose zerstreuen.
In dieser Beurteilung der negativen Reaktion ist man sich ziemlich
einig, während der positive Pirquet, besonders bei Schulkindern, noch
vielfach falsch bewertet wird. So folgert Hillenberg, daß Pirquet¬
positive Kinder ohne weiteres besonderer Obhut, Ferienkolonien, Wald¬
schulen etc. bedürfen. Wenn man bedenkt, daß von den klinisch-
gesundeii Bondern zu Beginn des schulpflichtigen Alters schon 22°/ 0
positiv reagieren, so erscheint doch diese Fürsorge ganz überflüssig.;
Der positive Pirquet au und für sich bedeutet hier doch weiter nichts,
als den Nachweis: hier hat eine Infektion mit Tuberkulose stattge¬
funden; und wir nehmen doch heute au, daß die Infektion sogar einen
gewissen Schutz gegen Erkrankung an Tuberkulose (im klinischen Sinne)
verleiht.
Die Tuberkulose des Kindesalters, das lehrt uns eigentlich der
Pirquet, indem er uns eine so große Zahl geheilter Fälle offenbart,
ist eine relativ gutartige Erkrankung. Verhüten müssen wir vor allem
die schweren Infektionen, die zu Reininfektionen infolge massenhafter
Aufnahme virulenter Bazillen führen, wie Römer meint, durch metasta¬
sierende Autoinfektion, d. h. Propagation des im Körper schon heimischen
Tuberkulosevirus; ebenso sind aber auch schwere Reininfektionen zu
verhüten, die durch Infektion von außen her zustande kommen können.
Also das Aktivwerden der inaktiven Tuberkulose müssen wir verhindern
(Wolff-Eisner).
Das erreichen wir einerseits durch Verbesserung der sozialen Ver¬
hältnisse und Belehrung über eine zweckmäßige Hygiene, andererseits
dadurch, daß wir die Quellen schwerer Infektionen, das sind <lie schwer-
kranken Familienglieder, unschädlich machen, also separieren.
Wie also die Pirquetisierung der Schulkinder, die wohl im Inter¬
esse einer weitgehenden Tuberkulosebekämpfung liegt, für den einzelnen
und für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden kann, das geschieht
dadurch, daß man zuerst bei allen positiven Fällen die Infektionsquelle
verfolgt und für ihre Unschädlichmachung sorgt, und falls das
betreffende Kind auch im klinischen Sinne tuberkulös ist, es in Be¬
handlung gibt oder es entsprechend beobachtet, wenn nur Verdacht auf
aktive Tuberkulose besteht.
Schlußsätze:
1. Die Pirquet’sehe Reaktion ist im allgemeinen spezifisch.
2. Für die Diagnose entscheidend ist sie meistens im ersten und
zweiten Lebensjahre.
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Heinrich Pudor,
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3. Im späteren Alter sind vor allem klinischer Befund und Beobach¬
tung für die Diagnose maßgebend; jedenfalls ist auch die Intensität
der Reaktion hier nur mit Vorsicht zu verwerten.
4. Der wiederholte negative Ausfall der Probe hingegen läßt eine
aktive Tuberkulose, abgesehen von den erwähnten Ausnahmen, im allge¬
meinen ausschließen.
5. Für die Prophylaxe der Tuberkulose (im klinischen Sinne) ist
die Pirquet’sche Impfung von großem Wert, z. B. bei Schulkindern,
weil sie uns eventuell auf die Infektionsquelle in der Familie hinweist.
Seefahrten als Kuren.
Von Dr. Heinrich Pudor, Leipzig.
„Das Zeitalter der Nervosität“ hat man unsere Zeit genannt. Und
wenn gleich es möglich ist, daß das unstäte unruhige Hasten und Drängen
heute noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hat, ist so viel sicher, daß
es noch niemals diesen Punkt, den es heute einnimmt, erreichte. Denn
früher gab es keine Dampfmaschine, keine Eisenbahn, kein Elektrizitäts¬
werk, keinen Telegraph usw.“ Alle diese Erfindungen sind verhältnis¬
mäßig noch jung, sie sind neuern Datums, und der Mensch hat sich
immer noch nicht genügend daran gewöhnt, er hat sich gleichsam noch
nicht akklimatisiert, er hat sich den veränderten Lebensbedingungen noch
nicht angepaßt. Dazu kommt, daß es vielleicht möglich ist, diese Er¬
findungen mit der Zeit zu vervollkommnen, daß ihr Betrieb weniger ge¬
räuschvoll, und lärmend sich vollzieht, ähnlich wie man erst ganz
neuerdings an geräuschlose Pflasterung, an rauchlose Feuerung denkt
Vielleicht wird man es auch einst noch zu geräuschlosen Lokomotiven
bringen. Einstweilen müssen wir mit dem maßlosen Lärm in den Gro߬
städten rechnen und einstweilen werden unsere Nerven darunter leiden
müssen. Und es kann wirklich nicht wunder nehmen, daß sich in diesem
nervösmachenden Milieu unserer Großstädte eine ganz spezifische moderne
Krankheit herangebildet hat, eben die Nervosität. Zugleich erkennen
wir, welches das einfachste Heilmittel gegen diese Krankheit sein muß.
Wenn der Lärm der Großstadt sie hervorgerufen hat, wird man sie be¬
seitigen können, indem man dem Lärm der Großstadt entflieht. Das
nächstliegende wäre nun, einfach auf das Land zu gehen. Aber in vielen
Fällen krankhafter Nervosität wird hierdurch das Übel nur verschlimmert.
Und gewöhnlich bringt es ein solcher moderner Kranker gar nicht
fertig, die „tödliche Langeweile“ des Landlebens mit der Stadt zu ver¬
tauschen. Da heißt es nun „Reisen“. Aber das Schlimme ist nur, daß
gerade das Reisen heute, iudem es sich „auf der Eisenbahn“ vollzieht,
dem Lärm der Großstadt um nichts nachsteht. Also auch auf diese
Weise findet der Kranke keine Ruhe und keine Heilung.
Da bleibt nun nur noch die Seefahrt als letztes Re ttungsh eil mittel
gegen hochgradige Nervosität. Und in der Tat ist die Bedeutung, die
die Seefahrt in dieser Richtung hat, gar nicht hoch genug anzuschlagen
und wird gerade heute noch viel zu häufig verkannt. ^
Ich verstehe liier unter Seefahrt eine Ozeanfahrt von mehreren
Wochen oder auch Monaten. Die sanitären Vorteile, die sie bietet, sind
mannigfacher Art. gfcfr-
Zunächst ist der Betreffende seinen bisherigen Lebensverhältnissen,
-Bedingungen und Unanehmlichkeiten, Sorgen und Lasten entrissen und
in ganz neue Verhältnisse gestellt. Wenn das Schiff den Hafen ver-
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Seefahrten als Kuren.
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läßt, ist ihm zwar im gewissen Sinne seine Freiheit genommen, in anderem
Sinne ist sie ihm nun erst gegeben, denn er braucht sich um nichts mehr
zu kümmern, als um sich selbst.
Jeder Verkehr ist abgeschnitten und nicht einmal ein Brief kann
mehr zu ihm gelangen. Eine neue Welt, ein neues Leben liegt vor ihm.
Und auf dem hohen Meere erscheint alles im milderem Lichte. Hier
ist nun nicht mehr der bunte und jähe Wechsel der Eindrücke, der
Personen, der Geschehnisse. Rings nur das Meer und der Himmel. Und
immer und immer nur das Meer und der Himmel. Das regt zur Be¬
trachtung an. Immer dasselbe Meer und immer derselbe Himmel, aber
immer wechselnd, immer verändert und immer sich verändernd. Und
indem nun das Auge die Veränderungen eines und desselben Gegen¬
standes immerfort beobachtet, beruhigen sich die Nerven. Die unendliche
Einsamkeit des Meeres wirkt wie eine Hypnose. Da der Neigung zu
innerer Unruhe keine Nahrung mehr gegeben wird, stellt sich die
innere Ruhe wieder ein und die Nervosität verliert sich.
Aber nicht nur die gegenständliche Umgebung, auch die Luft ist eine
andere. Sie ist kräftiger, frischer, belebender, reiner als auf dem Lande. Die
üblen Ausdünstungen der Städte fallen fort, nur das Salz des Meeres ist es,
das in die Luft gelangt. So entbehrt also diese Luft der organischen und
unorganischen Gifte und ist durchaus guter Qualität. Wie wichtig es
aber für den gesamten Organismus ist, wenn derselbe immerfort reine
gute Luft als Nahrung erhält, darüber wird man sich heute ja mehr und
mehr klar. Nur durch den Zutritt des Sauerstoffes der frischen Luft
wird die von uns eingenommene Nahrung zu arteriellem Blute. Je mehr
frische Luft, desto bessere Blutbildung, desto besserer Stoffumsatz. Daher
kommt es, daß Krankheiten, wie Bleichsucht, Blutarmut, Herzklopfen
auf Seefahrten sich bessern oder ganz verschwinden. Und da auf hohem
Meere fast immerfort Wind herrscht, wirkt die Luft im besonderen auf
die Hauttätigkeit und Hautatmung sehr belebend ein. Das Blut wird
von den inneren Organen, welche es überlastet, fortgezogen nach der
Peripherie des Körpers hin, nach der Haut hin. Daher kommt es, daß
das Aussehen so schnell ein besseres wird und daß die Stimmung, das
Allgemeinbefinden günstiger wird. Der Betreffende ist nicht mehr
innerlich mit Blut überlastet, und rascher und schneller wird das nervöse
Blut in arterielles umgewandelt. Die gesamte Heilkunde gelangt heute
dazu, die Bedeutung der Hautatmung immer mehr anzuerkennen. Dann
wird Hand in Hand damit auch die Bedeutung der Seefahrten als Kuren
mehr und mehr anerkannt werden. Wenn man nur darauf achtet,
daß die Schlafkabinen geräumig genug und genügend ventilationsfähig
sind, so kann die günstige Wirkung einer Seefahrt nicht ausbleiben.
Vielmehr dürften fast alle Krankheiten hierbei einen günstigen Verlauf
nehmen.
Es ist bekannt, daß man sich auf der See nur sehr schwer er¬
kälten kann, daß schon bei einem Aufenthalte im Seebade Erkältungen
zu den Seltenheiten gehören. Man pflegt deshalb zu sagen, die Seeluft
„härte ab“. Damit ist nun eigentlich nicht viel erklärt. Die Erklärung
ist hierfür auch vielmehr der Umstand, daß die Seeluft die Haut zur
Tätigkeit anregt. Denn wenn die Haut regelrecht funktioniert und ge¬
hörig ventiliert und ein- und ausatmet, ist eine Erkältung eine Un¬
möglichkeit. Vielmehr haben Erkältungen gerade in gehinderter Haut¬
atmung ihren Grund.
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Referate und Besprechungen.
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Auch der Appetit und die Verdauung werden im Verlaufe der
Seefahrt gebessert; auch dies hängt indirekt mit der verbesserten Haut¬
tätigkeit zusammen, indem die Unterleibsorgane nunmehr entlastet werden
und wieder richtig funktionieren können.
Das Auftreten der Seekrankheit kann recht unangenehm werden;
aber einerseits hat man nicht allezeit schweres Wetter auf dem Schiffe
und dann ist der Seekranke gezwungen, einige Tage recht diät zu leben,
was dem Organismus keineswegs schadet.
Wer allerdings schon bei leichtem Wetter seekrank wird und
während der ganzen Fahrt» vor der Seekrankheit sich nicht zu retten
vermag, für den ist es nicht ratsam, eine längere Seereise zur Heilung
seiner Nervosität anzutreten. Der Wert und die Bedeutung der Seereisen
selbst wird hierdurch nicht berührt. Und da die Vorteile größerer See¬
reisen sich auch auf das hier nicht weiter in Betracht kommende geistige
Gebiet erstrecken, kann man demjenigen, der über genügende Mittel
verfügt, nur dringend raten, eine der angenehmsten Kuren mitzumachen,
die es gibt und eine mehrmonatliche Seefahrt zu unternehmen, zumal
der Komfort und die Bequemlichkeit heute auf den großen Dampfern
kaum mehr etwas zu wünschen übrig lassen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Die Serumtherapie vor dem Congr&s franqais de Mgdecine. (Bullet,
medical, Nr. 90, S. 1038—1040, 1910.) Auf dem diesjährigen französischem
InternistenkongTeß wurde wieder einmal die Frage der Serumtherapie auf¬
gerollt, und zwar ihre gefährliche Seite. Eine ganze Reihe renommierter
Kliniker erzählten von Übeln Nebenwirkungen aller Art, ja, Landouzy schob
sogar den Ausbruch einer tödlich verlaufenen Lungentuberkulose wiederholten
Injektionen von Diphtherie-Serum in die Schuhe. Hält man diese Mitteilungen
zusammen mit dem, was über den therapeutischen Effekt der Tetanus-,
Meningokokken-, Pneumonie- usw.-Sera bekannt geworden ist, dann entgeht
man dem Schluß nicht, die Verwendung des Serums zu Heilzwecken für
problematisch zu halten. •
Natürlich haben sich manche bemüht, Mittel zu finden, welche die
fatalen Nebenwirkungen beseitigen sollen; bisher vergeblich. Es wird schlie߬
lich damit gehen, wie mit dem alkoholfreien Bier, den nikotinfreien Zigarren
und dem chininfreien Chinin. Buttersack (Berlin).
J. Znojemsky, Experimentelle Studie über die Funktion der Schild¬
drüse und der parathyreoidalen Epithelkörperchen. (Rozpravy Ceske Aka¬
demie, Bd. 17, Nr. 16.) Entfernung aller Epithelkörperchen führt zu töd¬
licher Tetanie, Entfernung dreier Epithelkörperchen oder der beiden äußeren
führt zu leichter Tetanie, der die Tiere zum größten Teil erliegen, von der
sie sich jedoch erholen können. Exstirpation der ganzen Schilddrüse und
aller Epithelkörperchen bedingt tödliche Tetanie; läßt man ein äußeres
Epithelkörperchen zurück, so entsteht bei manchen Tieren tödliche Tetanie,
andere bleiben gesund oder bekommen Tetanie, die ohne Behandlung ver¬
schwindet, oder in Kachexie übergeht; läßt man beide äußere Epithelkörper¬
chen zurück, so entsteht nur bei manchen Tieren eine leichte Tetanie, die
sich in jedem Falle reguliert, später aber in chronische Kachexie übergeht.
Demnach führt die Entfernung der Schilddrüse zu Kachexie, die Ent¬
fernung der Epithelkörperchen zu Tetanie. Die Funktion der äußeren Epi¬
thelkörperchen ist wichtiger als jene der inneren. G. Mühlstein (Prag).
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Referate und Besprechungen.
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Gaucher und Fournier, Über Ehrlich 606 und Wassermann. (Bullet,
medical, Nr. 91, S. 1052/53, 1910.) Wenn jugendlich-begeisterungsfähige Ge¬
müter mit wenig entwickelten Hemmungen ihr enthusiastisches Urteil ab-
geben, wird man es stillschweigend registrieren gemäß dem schönen Spruch:
„Que comprendre, cest pardonner“. Wenn aber alte und erfahrene Kliniker
das Wort ergreifen, wird der Verständige ihre Worte sorgsam erwägen. Denn
er erinnert sich, daß in Hellas wie in Born, bei den Israeliten wie bei den
alten Germanen immer die Ältesten und nicht die Jüngsten für die Klügsten
gehalten wurden. So hat in der Sitzung der Academie de Medecine vom
15. November Gaucher sein Urteil über Ehrlich 606 dahin formuliert: Das
Arsenobenzol heilt die Syphilis nicht und hindert nicht das Auftreten von
Rezidiven. Seine Wirkung erstreckt sich vorzugsweise auf die Affektionen der
Haut und Schleimhäute, namentlich die ulcerativen, aber keineswegs in allen
Fällen. Wenn es wirkt, wirkt es gewöhnlich viel schneller als Quecksilber,
aber nicht nachhaltig. — In manchen Fällen, in welchen Quecksilber versagt,
hilft Ehrlich 606; aber manche Fälle widerstehen auch ihm. — Auf innere
Organe wirkt es nicht, manchmal sogar nachteilig. — Man wird das Arseno¬
benzol mithin anwenden, wenn Hg versagt, und bei ulcerierenden Prozessen ;
aber nur, wenn die inneren Organe gesund sind.
Eine andere, nicht minder aktuelle Frage schnitt Fournier an: Es
kommt jemand und frägt, ob er syphilitisch sei. Die eingehendste klinische
Untersuchung findet nichts Verdächtiges an ihm. Auf den Bescheid, daß
er ganz gesund sei, zieht er aber ein Papier aus der Tasche, auf welchem ihm
bescheinigt wird, daß er einen positiven Wassermann habe. Gewiß — sagt
Fournier — kann die Klinik irren; aber ist denn die biochemische Reaktion
unfehlbar ? Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
L. Fraenkel, Neue Experimente zur Funktion des Corpus luteum.
('Archiv für Gyn., Bd. 91, H. 3, 1910.) Der erste Satz der F.’schen Lehre
lautet bekanntlich: Der gelbe Körper ist eine Drüse mit innerer Sekretion.
Er bewirkt diejenigen Veränderungen, welche dem Ei die Ansiedelung er¬
möglichen. F. hatte dies bereits früher durch 120 Tierversuche (operative
Ausschaltung der Corpora lutea beim Kaninchen) bewiesen. Diese Zahl
war von einigen Seiten als nicht hinreichend bezeichnet worden und des¬
halb hat F. in den vergangenen 7 Jahren noch weitere 277 Tierexperimente
angestellt, über die er kurz berichtet. F. verfügt jetzt über 141 isolierte
Corpus luteum-Operationen bis zum 15. Schwangerschaftstage; 53 Teil-
entfernungen mit 31 fortschreitenden Schwangerschaften, also über 50%,
112 Totalentfernungen der gelben Körper ohne eine einzige weitergehende
Gravidität. Es hat sich ferner ergeben, daß ein Corpus luteum imstande
ist, mindestens die dreifache Zahl von Eikammern zu protegieren. Bemerkt
sei, daß die Ovarien nach den von F. angestellten Operationen weiter funk¬
tionieren. — F. bespricht dann die neuere Literatur mit ihren mannig¬
fachen Versuchen, dem Problem auf anderen, teils völlig ungeeigneten Wegen
beizukommen. — Mit dem zweiten Teil des F.’schen Corpus luteum-Ge¬
setzes, wonach der gelbe Körper dem gesamten genitalen Turgor der Gene¬
rationsjahre und der zyklischen Überernährung (Abscheidung der Menstrua¬
tion) vorsteht, hat sich F. in den letzten Jahren nicht beschäftigt. —
Sorgfältige Beobachtungen vor, während und nach Operationen ergaben
für das menschliche Weib, daß durchschnittlich ca. 19 Tage nach Beginn
der Menstruation ein Follikel platzt, etwa 8 Tage später der gelbe Körper
auf der Höhe seiner Entwicklung steht, mit Beginn der neuen Menstrua¬
tion sich zurückbildet und am Ende der Menstruation verschwunden ist.
Individuelle Schwankungen bestehen. — F. berichtet dann noch über seine
fortgesetzten Erfahrungen über die Wirkung des Luteinextraktes.
Dieses hat sich nach wie vor bewährt bei den vasomotorischen Störungen
infolge fehlender oder verringerter Funktion der Eierstöcke, also bei den
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Referate und Besprechungen.
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sog. „Ausfallserscheinungen“. Bei 96 lange Zeit beobachteten
Frauen mit derartigen Störungen erzielte F. in 91% deutlichen bis großen
Erfolg. Es sollen täglich 3—6 Tabletten gereicht werden. (Marke: Hygiea-
Apotheke in Breslau.) Einige andere Autoren haben diese guten Erfahrungen
bestätigt. — F. streift dann zum Schluß noch die Frage über die Gegen -
körper (Hvpophysis und Ovarium). R. Klien (Leipzig).
R. Meyer, Die Epithelentwicklung der Zervix und Portio vaginalis
uteri und die Pseudoerosio congenita. (Kongenitales histologisches Ektro-
pium.) (Archiv für Gyn., Bd. 91, H. 3, 1910.) Auf Grund ausgedehnter
systematischer Untersuchungen mittels der spezifischen Muzikarmin-Häm-
alaunfärbung kommt M. zu folgendem Resultat: Bei Föten zwischen dem
6. und 10. Monat kann man vier Stadien unterscheiden in der Differen¬
zierung des Epithels im Zervikalkanal und auf der Portio. Im ersten
Stadium ist das Epithel noch indifferent und die Epithelgrenze im Zervi¬
kalkanal ist unscharf. Im zweiten Stadium ist sowohl in der Vagina wie
im unteren Teil des Zcrvikalkanals völlig ausdifferenziertes vielschichtiges
Plattenepithel vorhanden. Im dritten Stadium differenziert sich das Platten-
epithel des Zervikalkanals zu Schleimepithel aus, es wird das Plattenepithel
aus dem Zervikalkanal verdrängt durch den mazerierenden Einfluß des
Schleimepithels, ein Prozeß, welcher sich ev. auf die Portioaußenfläche
fortsetzt. (Pseudoerosio congenita). Im vierten Stadium endlich erfolgt die
Regeneration der Pseudoerosion teils antenatal, teils postnatal durch Wuche¬
rung der basalen Plattenepithelreste und des peripheren Plattenepithels unter
dem Schleimepithel und Abstoßung des letzteren. — Besonders erstaunlich
ist unter diesen Vorgängen die Tatsache, daß die Ätzwirkung des Schleimes
bereits vor Beendigung des Fötallebens nicht nur nicht Fortschritte macht,
sondern aufhört. Hier spielen wohl chemische Einflüsse des mütterlichen
Stoffwechsels auf die antenatale Entwicklung des Zervikalepithels eine
Rolle, und zwar mit individuellen Verschiedenheiten. Eine farbige Tafel
erleichtert das Verständnis. R. Klien (Leipzig).
D. E. Freiherr von Canstein (Greifswald), Beitrag zur Frage der
Hebosteotomie. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 43, 1910.) Die operative
Erweiterung des Beckens ist in Pommern nicht allzu oft notwendig, doch
sind in einem Zeiträume von ca. anderthalb Jahren acht Hebosteotomien
in der Universitäts-Frauenklinik zu Greifswald ausgeführt, über welche
der Verf. in seiner Arbeit berichtet. Sämtliche Kinder sind lebend geboren,
von den Müttern sind zwei an den Folgen der Operation, die eine an Sepsis,
die andere an unstillbarer Blutung gestorben. — Für den Praktiker ergibt
sich auch hier die beachtenswerte Mahnung, daß die blutige Erweiterung
des Beckens keine ungefährliche Operation ist und nur allein in die Klinik
gehört. Besonders die Gefahr der unstillbaren Blutung — „ein Ereignis“,
das, wie Döderlein sagt, „der Hebosteotomie einen unheimlichen Stempel
auf drückt“, wird die Frage nahelegen, ob der Geburtshelfer in der täglichen
Praxis jenes Verfahren nicht am besten ganz vermeidet. Steyerthal-Kleinen.
P. Zweifel, Bericht über die wichtigsten gynäkologischen Operationen
im Trier’schen Institut während der letzten 25 Jahre. (Archiv für Gyn.,
Bd. 92, H. 1, 1910.) Das verarbeitete Material ist nach zwei Richtungen
besonders wertvoll, einmal weil es groß ist, dann weil es, abgesehen von den
verhältnismäßig wenigen von den Assistenten ausgeführten Operationen, vom
Berichterstatter selbst operiert worden ist. Da Z. bei manchen Operationen
auch versuchsweise in größeren Serien Indikationsstellung und Technik
andrer Operateure versucht hat, so kann er mit Recht in gewissen Fragen
ein geradezu entscheidendes Urteil fällen. So z. B. konnte er den Nach¬
weis führen, daß seine Myomektomie mittels der Partienligatur und mög¬
lichst großer Stumpfbildung, wobei neuerdings mittels einer Metallkanüle
der Zervikalkanal nach der Vagina zu drainiert wird, die bei weitem besten
Erfolge anderen Methoden gegenüber hat. Von den letzten 154 derartig
operierten Kranken starb eine einzige an Lungenembolie, d. i. 0,6% Morta-
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Referate und Besprechungen.
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lität! Z. hat dagegen in einer Serie von 156 Fällen die Doyen’sche Total-
exstirpation versuchsweise angewendet, dieselbe ergab eine Mortalität von
8,2%. Z. macht hierfür die längere Dauer der Totalexstirpation und die
durch sie geschaffene Kommunikation der subperitonealen Wundhöhle mit
der keimhaltigen Scheide verantwortlich, zumal die beiden hauptsächlichsten
Todesursachen Embolie und Peritonitis waren. Gerade auf der Keimfreiheit
des oberen Abschnittes der Zervix- und der Korpushöhle hat Z. seine Methode
aufgebaut, neben dem Prinzip absoluter Blutstillung. — Besprochen werden
ferner die Operationen bei Salpingitis und Pyosalpinx, Ovarialkystomen, bei
der Bauchfelltuberkulose (stets Laparotomie, wenn keine Komplikationen
von seiten der Lungen oder anderer Organe vorliegen) und beim Uteruskar¬
zinom. Hier gibt Z. nochmals eine Darstellung der sog. „Extraperitonisie¬
rung“, welches Verfahren er zur wirkungsvolleren Verhütung der post-
operativen Peritonitis erfunden hat. — Bei der Besprechung der geburts¬
hilflichen Laparotomien wird dem alten klassischen Kaiserschnitt
mit sagittaler Eröffnung des Korpus möglichst weit unten der entschie¬
dene Vorzug gegenüber den anderen neueren Methoden eingeräumt, die Z.
auch versuchsweise angewendet hat. So hat er mit dem queren Fundalschnitt
nach Fritsch direkt ungünstige Erfahrungen gemacht, der extraperito¬
neale Kaiserschnitt nach L a t z k o dauere zu lange, sei schwieriger und für
die Kinder nicht so lebenssicher und — last not least — er werde da¬
durch so gut wie überflüssig, daß er für „unreine“ Fälle ebenso gefährlich
ist, wie jede andere Art von Kaiserschnitt und die Hebosteotomie. Für in¬
fizierte Fälle bleibe eben nichts als die Perforation, abgesehen von dem
Porro, wenn absolute Beckenenge dazu zwingt. — Bei der Extrauteringravi¬
dität müsse streng unterschieden werden zwischen freier Blutung in
die Bauchhöhle und abgekapselter; bei ersterer müsse so schnell wie
möglich laparotomiert werden. Bei der Hämatozele dagegen verhält sich
Z. im Gegensatz zu den meisten Operateuren konservativ, indem er kleinere
Hämatozelen überhaupt nicht operiert, größere per vaginam mittels großer
Inzision manuell ausräumt und für 10 Tage austamponiert. Z. gibt aber
ausdrücklich zu, daß man bei Hämatozelen stets innerhalb der ersten vier¬
zehn Tage auf eine erneute Blutung gefaßt sein müsse infolge Annagung
der Tube durch das noch nicht abgestorbene Ei. — Von penetrierenden
Uterusrupturen — die Z. stets laparotomiert, selbst wenn nur der
Verdacht auf Perforation besteht — wurden mittels einfacher peritonealer
Uhernähung des Risses 18 Fälle behandelt mit 39% Mortalität, 12 mit
supravaginaler Amputation mit 66,6%. R. Klien (Leipzig).
E. Aulhorn, Die Dauererfolge der abdominalen Totalexstirpation bei
Carcinoma uteri. (Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 1, 1910.) In der Leipziger
Klinik wurde mit der We r t h e i m’schen Operation in 362 Fällen eine
primäre Mortalität von 14% erreicht (die Hälfte davon starb an Peritonitis),
eine Dauerheilung nach Winter von 51%, eine absolute von 25%. Diese
Resultate übertreffen sogar die bis jetzt besten von Wertheim selbst.
Zur Erreichung so guter Resultate sei von größtem Werte die Verwen¬
dung der Lumbalanästhesie; die Sterblichkeit an Peritonitis läßt sich viel¬
leicht in Zukunft noch etwas herabdrücken durch die von Zweifel er¬
fundene „Extraperitonisierung“. Im Gegensatz zu Wert he im legt die
Leipziger Klinik auf die Entfernung der Lymphdrüsen größeres Gewicht,
wie neuerdings We r t h e i m. Die Resultate S c h a u t a’s und S t a u d es
bleiben hinter den genannten weit zurück, so daß die erweiterte vaginale
Methode wohl kaum neue Anhänger gewinnen dürfte. R. Klien (Leipzig).
D. Panyrek, Vikariierende Menstruation aus einem exulzerierten Kar¬
zinom. (Lökafskö Rozhledy, Bd. 17, Nr. 2—5, 1909.) P. beobachtete einen
Fall, der ihm die Berechtigung der Annahme einer vikariierenden Men¬
struation zu beweisen scheint. Eine 43 jährige Frau mit einem exulzerierten
Karzinom der Weichteile des Halses hatte während der zweijährigen Dauer
des Leidens stets eine regelmäßige Menstruation. Die letzte Periode (6.1.)
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Referate und Besprechungen.
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war viel kürzer als sonst; im unmittelbaren Anschlüsse an dieselbe trat
aber eine mächtige Sekretion aus dem Tumor ein; das Sekret roch ebenso
wie jenes eines exulzerierten Neoplasmas des Genitals und seine blaßrote
Farbe ging in eine braunrote über. Am 6. II. traten die üblichen Molimina
ein, aber die Genitalblutung blieb aus; dafür stellte sich eine heftige paren¬
chymatöse Blutung aus dem Tumor ein, die mehrere Tage dauerte; als sie
verschwand, hörten auch die Molimina auf. Bald hernach starb die Patientin.
Andere Ursachen der Blutung schließt der Autor aus.
G. Mühlstein (Prag).
B. Schweitzer, Das Eindringen von Badewasser in die Scheide. (Arch.
für Gyn., Bd. 92, H. 1, 1910.) Sch. stellte an einer größeren Reihe von
Fällen Nachuntersuchungen mittels Methyl violett- (Hörmann) und Fluores¬
zeinvollbädern (Zweifel) an und fand, daß reichlich in der Hälfte der
Fälle bei Wiederholtschwangeren das Badewasser bis in die Vaginalgewölbe
eindrang, wenn die Schwangeren im Bad die gewöhnlichen, unbefangenen
Bewegungen ausführten, z. B. sich die Beine wuschen. Da somit einerseits
pathogene Keime aus dem Badewasser in die Scheide eindringen können,
andererseits die Möglichkeit einer Verdünnung des bakterizid wirkenden
Scheidensekretes besteht, so ist das Vollbad bei Schwangeren und besonders
bei Kreißenden zu unterlassen. Ja selbst bei den üblichen desinfektorischen
Waschprozeduren kann Waschflüssigkeit in die höheren Abschnitte der
Scheide eindringen, es war dies bei 44 Mehrgeschwängerten viermal der
Fall. Endlich drang bei gynäkologisch Kranken, die geboren, aber keinen
Damm defekt hatten, in 87% das Wasser während des Vollbades nach oben
in die Scheidengewölbe ein. R. Klien (Leipzig).
W. Zangenmeister, über puerperale Selbstinfektion. (Archiv für Gyn.,
Bd. 92, H. 1, 1910.) Auch aus den neuesten hier mitgeteilten Untersuch¬
ungen Z.’s geht unzweifelhaft hervor, daß «es eine Selbstinfektion
gibt und zwar gar nicht so selten, meist mit gutartigem Verlauf. Diese In¬
fektionen rühren von Keimen her, die schon mehr weniger lange vor der
Geburt in der Vagina und an der Vulva vegetiert haben. Es handelt sich
hauptsächlich um Strepto- und Staphylokokken, hämolytische und anhämo¬
lytische. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
B. Pfeifer (Halle), Psychische Störungen bei Hirntumoren. (Archiv
für Psych., Bd. 47, H. 2.) Von 86 Fällen boten nur 3 keine psychischen
Störungen, wofür z. T. der rechtsseitige Sitz, z. T. die frühzeitige Operation
die Erklärung abgeben. Neben den bei den meisten vorhandenen, durch 1
Druckwirkung hervorgerufenen Allgemeinsymptomen (Benommenheit verschie¬
denen Grades, die oft Demenz vortäuscht, Korsakow meist ohne polyneuritische
Symptome, dessen euphorische Färbung in manchen Fällen das lokaldiagnostisch
unwichtige Symptom der Witzelsucht erzeugt, eine ebenfalls auf diesen Sym-
ptomenkomplex zu beziehende, von den Angehörigen anamnestisch als „Charak¬
terveränderung“ hervorgehobene Störung) weisen die Hälfte der Fälle psychische
Herdsymptome auf, die lokalisatorisch zu verwerten sind. Die praktische
Wichtigkeit berechtigt zu einer ausführlicheren Aufzälilung. Bei Stirn -
hirntumoren macht sich vor allem die Nähe wichtiger Stellen bemerkbar
(einzelsinnliche Halluzinationen durch fortgeleiteten Druck auf die Sinnes¬
nerven, leichte aphasische und apraktische Störungen); den Sitz der Intelligenz
oder der Moral im Stirnhirn anzunehmen, ist unrichtig. Erkrankungen des
Zentrallappens sind psychisch durch epileptiforme Anfälle und die von.
der Epilepsie her bekannten Dämmerzustände und Stimmungsanomalien charak¬
terisiert. Vom linksseitigen Schläfenlappen weiß man, daß die hinteren,
zwei Drittel der ersten Windung sensorisch-aphasische Störungen machen,
auch anamnestisch-aphasische Störungen (Wortfindung), ferner agnostische und
ideatorisch-apraktische Reaktionen, bei beiderseitigen Erkrankungen tritt Seelen-
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Referate und Besprechungen.
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taubheit auf. Sämtliche rechtsseitige Schläfenlappentumoren zeigten im An¬
fang Halluzinationen im Gebiet des Geschmackssinns. Auch der linke
Scheitel lappen zeigt ein Plus von psychischen Ausfallserscheinungen bei
seiner Erkrankung, weil hierdurch die Unterbrechung zwischen den optischen
und taktilen Sinnesfeldern und dem Sprachgebiet eintritt. Die Folge ist
optische oder taktile Aphasie und vor allem kortikale Tastlähmung. In seltenen
Fällen auch Seelenlähmung (Bewegungsunfähigkeit bei erhaltener Motilität
infolge Wegfalls der sensiblen Impulse). Auch hypochondrische Sensationen
kommen häufig vor und sind verständlich. Ein vom Hinterhauptlappen
ausgehendes Reizsymptom ist die einzelsinnliche optische Halluzination. Die
Ausfallserscheinungen bestehen bei einseitiger Erkrankung in optischer
Aphasie und Alexie infolge der Unterbrechung der verbindenden Bahnen,
bei doppelseitiger Hemianopsie oder Seelenblindheit. Auch Störungen in
der orientierenden Lichtempfindung (Formensinn, Tiefenlokalisation, Distanz¬
schätzung) sind verständlich. Vor dem Eintritt von Benommenheit ist die
Herabsetzung der Aufmerksamkeit namentlich für optische Eindrücke wichtig.
Balkentumoren bewirken Störungen des Handelns, und zwar namentlich
bei Sitz im vorderen oder mittleren Teil des Balkenkörpers. Über die Funktion
des proximalen nervösen Teils der Hypophyse wissen wir nichts, wohl aber
über den drüsigen Teil. Hypophysistumoren beeinträchtigen das Knochen¬
wachstum, ferner kommt es zur Rückbildung der Geschlechtsorgane. Man
nimmt auch eine Regulierung des intrakraniellen Blutdruckes durch die
Hypophysis an. Bezüglich der Zentralganglien nimmt man an, daß der
Kopf des Nucl. caudat. für die Temperaturregulierung der entgegengesetzten
Körperhälfte von Bedeutung ist. Der Linsenkern hat keine Beziehungen zur
Sprache. Im Sehhügel vermutet man primäre Sinneszentren, eine Umschalt¬
stelle für die nach den Sinnesfeldern der Großhirnrinde gehenden Erregungen.
Ferner vermittelt der Thalamus die Verbindung zwischen Kleinhirn und Stirn¬
hirn, durch deren Unterbrechung choreatisch-athetotische Bewegungen, Hnl-
tungsanomalien, mimische Störungen zustande kommen. Bei Ponstumoren
handelt es sich bei den psychischen Störungen lediglich um Fernsymptome,
und dio Lokalsymptome sind lediglich rein somatischer Art. Das Kleinhirn
dient der Erhaltung des Körpergleichgewichts, so daß es bei Erkrankungen zu
Störungen der Tiefensensibilität, Unsicherheit beim Gehen und beim Gebrauch
der Hände, zerebellare Ataxie, Bewegungsschwäche und leichter Ermüdbarkeit
kommt. Zerebellare Reizerscheinungen bestehen in krankhaft abgeänderten
Bewegungen, Nystagmus, Zwangsbewegungen, tonischen Krämpfen, Zittern
der Glieder und des Kopfes. Multiple Tumoren bedingen natürlich eine
Vereinigung der Symptome. Zweig (Dalldorf).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
F. Theilhaber (München), Zur Prophylaxe der Geschlechtskrankheiten.
(Reichs-Med.-Anz., Nr. 26, 1910.) Der Vorschlag läuft darauf hinaus, daß
in jedem Bordellzimnuer ein Anschlag angebracht sein soll, der dem Be¬
sucher unter Vorhaltung der Ungewißheit der ärztlichen Untersuchung auf¬
fordert, Präservativs zu gebrauchen. Dazu soll daneben ein Automat sein,
der Präservativs (zu 20 Pf.), außerdem Quecksilber- und Vaselinesalben zu
10 Pf. enthält. Der Vorschlag ist jedenfalls durchführbar und der Beachtung
wert. S. Leo.
K. Martius (Frankfurt a. M.), Über die lokalen Wirkungen von Ehrlich-
Hata 606 (Salvarsan) am Orte der Injektion. (Münchn. med. Wochenschr.,
Nr. 51 und 52, 1910.) Über das vereinzelte Auftreten von Nekrosen nach In¬
jektion von „606“ liegen schon ältere Berichte vor. Daß aber jede subkutane
oder intramuskuläre Injektion, sei die Dosis klein oder groß, sei die Lösung
oder Suspension sauer, neutral oder alkalisch, ausnahmslos relativ aus¬
gedehnte Nekrosen hervorruft, wird uns hier an Hand von 13 anatomisch
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Referate und Besprechungen.
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untersuchten Fällen dargetan. Das anatomische Bild ist immer dasselbe:
Im Zentrum des Herdes eine dunkel braunrote Masse von oft kristallinischem
Aussehen, welche aus dem mehr oder weniger veränderten Medikament be¬
stellt, darum eine breite Schicht von kernlosem, nekrotischem Gewebe
(Muskel-, Fett- oder Bindegewebe, bei oberflächlicher Injektion auch Haut),
welche gegen das gesunde Gewebe durch einen gelblichen, von Leukozyten
durchsetzten Demarkationssauin abgegrenzt ist. Alle durch den Herd laufen¬
den Blutgefäße sind nekrotisch und thrombosiert, auch die Nerven kernlos
und nekrotisch. Mit Ausnahme eines einzigen Falles, in dem es zu einer
Thrombose der Vena iliaca und zur Lungenembolie gekommen war, wurden
die Herde frei von Mikroorganismen gefunden. Die Nekrosen sind also durch
das Medikament selbst oder seine regelmäßig entstehenden Umwandlungs-
produkte bedingt. Zeichen von narbiger Rückbildung der Veränderungen
fehlten merkwürdigerweise selbst in den älteren (bis drei Monate alten)
Herden, in denen übrigens noch reichlich Arsen nachgewiesen werden konnte.
M. schließt aus seinen Ergebnissen mit Recht, daß die subkutane und intra¬
muskuläre Injektion unrationell ist, weil ja nur ein unberechenbarer Bruch¬
teil des Medikamentes resorbiert wird, daß sie gefährlich ist (Hautnekrose,
Venenthrombose, Nekrose der Nerven, welche zu ischiadischen Beschwerden,
Lähmungen und durch Affektion des Plexus pudendalis auch zu Blasen-
Störungen führen kann) und daß die intravenöse Applikation vorzuziehen
ist. Veränderungen der Venenwand fehlen dabei in der Regel.
R. Isenschmid.
Bettmann (Heidelberg), Herpes zoster nach Salvarsaninjektion. (Dtsehe.
med. Wochensc.hr., Nr. 1, 1911.) Ätiologisch spielt das Arsen bei der Eruption
des Herpes zoster sicherlich eine wichtige Rolle. Vor allem eignet sich die
Salvarsantherapiö sehr zur Klärung dieser Frage. Bett mann berichtet nun
über 2 Fälle, die prompt nach subkutaner resp. intramuskulärer Applikation
auf traten und wohl sicherlich als eine Folge dieser Injektion zu gelten haben.
Dieses Auftreten dürfte als organotrope Wirkung des Präparates aufzufassen
sein. Ferner beobachtete er im Anschluß an die Injektionen verschiedene Male
Herpeseruption. Sie können bei Lokalisation an Mundhöhle und Genitalien
leicht mit spezifischen Erscheinungen verwechselt werden. F. Walther.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Kausch (Berlin-Schöneberg), Über intravenöse und subkutane Er¬
nährung mit Traubenzucker. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 1, 1911.)
Kausch hat die verschiedensten Stoffe zur künstlichen Ernährung im Tier¬
experiment versucht und den Traubenzucker als geeignetsten gefunden. Er
löst den Traubenzucker in physiologischer Kochsalzlösung auf, filtriert und
kocht die Lösung auf. Bei der subkutanen Infusion dürfen wegen der Schmerz¬
haftigkeit höchstens 5%igc Lösungen genommen werden. K. beginnt gewöhn¬
lich mit 2%iger und steigert die Konzentration allmählich. Das Quantum
beträgt gewöhnlich 1000 ccm. Die zu bevorzugende Methode ist die intra¬
venöse. Hier kann man bis zu 10%igen Lösungen gehen, denen eventuell
4—8 Tropfen Adrenalin zugefügt werden. Man kann bei dieser Methode auch
bis zu 2000 ccm einmalig geben. Irgendwelche üble Nebenwirkungen hat. er
nicht gesehen.
K. hat beobachtet, daß, je elender die Patienten sind, desto höhere Kon¬
zentrationen sie vertragen. Außer bei chirurgischen Krankheiten rät er diese
Traubenzuckerernährung auch bei internen Leiden, so bei schwer Hysterischen,
bei Hyperemesis gravidarum und endlich denkt er auch daran, ob sie nicht
bei der Chlorose von gutem Erfolge sein dürfte. F. Walther.
K. Hasebroek (Hamburg), Über die Bedeutung der Heilgymnastik für
den Praktiker. (Reichs-Med.-Anz., Nr. 23, 1910.) Bisher bestand das Dogma:
Da die Zirkulationsstörung von einem schwachen Herzen herrührt, so muß,
wenn nach den vermehrten Anforderungen durch Gymnastik die Störung
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Referate und Besprechungen.
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beseitigt ist, das Herz gestärkt sein. Wie der Skelettmuskel ferfolgreich
trainiert werden kann, so wird auch das Herz trainiert. Man glaubte also,
aus dem Erfolge der Kur auf eine kompensatorische Herzhypertrophie schließen
zu können. Im Banne dieser Gedankengänge konnte es Vorkommen, daß man
die Herzgymnastik sogar auf Fälle mit miserablem Myokard oder schwerster
funktioneller Schwäche ausdehnte und Mißerfolge erzielte. Demgegenüber
feteht H. auf dem Standpunkte, daß die Gymnastik bei Herzstörungen im
wesentlichen eine primär vasomotorische Heilmethode ist, an der das Herz
erst in zweiter Linie teilnimmt. Nicht das Herz -wird stärker, sondern es
wird dem kranken Herzen die Arbeit erleichtert. Wir haben dem zentralen
Herzen die Peripherie als ein mehr oder weniger selbständiges zweites Herz
gegenüberzustellen, das mit aspiratorischer Tendenz begabt, dem zentralen
Herzen gewissermaßen in die Hände arbeitet. Die gymnastische Therapie
ist also eine funktionelle Therapie. Erstens wird die verlangsamte Blut¬
geschwindigkeit durch Anregung des peripheren Betriebes aufgebessert, ohne
eine Erhöhung der dem Herzen spezifisch eigentümHchen Propulsivkraft und
zweiteng findet eine Herabsetzung peripherer Widerstände mit Schonung des
Herzens statt. Nur so ist es zu verstehen, daß wir sowohl Störungen unter
zu niedrigem Blutdruck als solche unter hohem Druck (bei Arteriosklerose)
durch Gymnastik kurieren. Wir trainieren nicht das Herz, sondern die Gefäße;
wir haben auch beim Kranken die Grenzsehwelle, die zwischen körperlicher
Tätigkeit ohne subjektive Anstrengung und solcher mit Anstrengung, d. h.
unangenehmer Reaktion des Herzens liegt, zu beachten. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
E. Bröking (Düsseldorf), Vergleichende Untersuchungen über die Aus¬
scheidungsverhältnisse stomachal zugeführten anorganisch und organisch ge¬
bundenen Jodes beim Menschen. (Zeitschr. für exper. Path. u. Ther., Bd. 8,
1910.) Verf. gibt in einer umfangreichen Arbeit die Ergebnisse seiner Studien
über die Ausscheidungsverhältnisse stomachal zugeführter anorganischer und
organischer Jodpräparate bekannt. Jodkalium wird im Dünndarm schnell
und fast vollkommen resorbiert; die Ausscheidung durch den Urin beträgt,
ca. 80% der aufgenommenen Menge. In den Fäzes ist Jodkalium nur in.
Spuren nachweisbar. Beim Monojodisovalerianylharnstoff findet durch die
Magen- und Darmverdauung keine wesentliche Jodabspaltung statt. Die
Gesamtausscheidungsgröße ist gleich derjenigen von Jodkalium. Der Jod-
Verlust in den Fäzes beträgt 2%. In der Jodglidine ist Jod nur zum Teil
gebunden, ein sehr großer Teil muß als lose angelagert resp. beigemengt auf-
gefaßt werden. So konnten z. B. in einer Jodglidinetablette, die unzerstoßen
24 Stunden mit 40 ccm destilliertem Wasser bei 37° gestanden hatte, 41%
des Gesamtjods kolorimetrisch als abgespalten nachgewiesen werden. In bezug
auf die Magensaftsekretion wies Jodglidine den gleichen Reizeffekt auf wie
freies Jod. Die Ausscheidungsverhältnisse verhalten sich analog dem Jodival;
die Ausnutzung des Präparates ist gut; das häufige Ausbleiben der Jodismus¬
erscheinungen dürfte auf den geringen Jodgehalt (10%) zurückzuführen sein.
Weitgehende physiologische Verschiedenheiten bestehen bei Jodipin und
Sajodin. Der Beginn der Ausscheidung setzt später ein; die Ausscheidungs¬
dauer ist auffallend lang. Nach 15 Tagen waren nach Aufnahme von 3 g
Sajodin quantitative Jodmengen im Urin nachweisbar. Die Menge des durch
den Urin ausgeschiedenen Jods beträgt bei Jodipin 55—70%, bei Sajodin
35—50% der aufgenommenen Dosis; 7—10% gehen größtenteils als äther-
lösliche Jodfettverbindungen verloren.
Bei den Jodfettverbindungen (Sajodin Und Jodipin) dürfte also eine
beträchtliche Depotbildung im Gewebe stattfinden, von wo kontinuierlich Jod
abgespalten wird, was den Untersuchungen von Winternitz und Basch
entspricht. In welcher Form Jod im Blute bei den letzten beiden Mitteln
zirkuliert, ist noch nicht genügend untersucht. Entsprechend der geringeren
Ausscheidungsmenge ist insbesondere bei Sajodin eine stärkere Depotbildung
anzunehmen.
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Neu mann.
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Referate und Besprechungen.
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August Goldschmidt (München), Zur medikamentären Behandlung des
Asthma bronchiale. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 43, 1910.) Die im
Beginn des Asthmaanfalles von v. d. Velden empfohlene Darreichung von,
Theobromin-Präparaten hat sich auch dem Verf. gut bewährt. Besonders!
wirksam erwies sich folgende Zusammensetzung:
Rp. Coffein, valerianic. 0,25
Theobrom. natr. salicyl. 0,5
M. f. pulv.
S. Reim Anfalle 1—2 Pulver nehmen.
Wird der A^thmaanfall durch einen Bronchialkatarrh ausgelöst, so leisten
die Jodpräparate zur Beseitigung des Sekretes gute Dienste: wo Jodkaliuin
oder Natrium nicht gut vertragen werden, ist speziell Sajodin zu empfehlen.
Für die Dauerbehandlung glaubt Verf. von der innerlichen und sub¬
kutanen Verwendung des Atropins wegen der heftigen Vergiftungserschei-
nungen (AtropinWahnsinn nach Fi ekler) abraten zu müssen. In einer wesent¬
lich schwächeren Anwendungsform, der nasalen Inhalationstherapie, hat sich
dagegen Atropin in dem Tucker’schen Präparat manche Anhänger verschafft,
das jedoch infolge des hohen Preises nur von wohlhabenden Patienten benutzt
werden kann. Einen recht brauchbaren und vor allem fast ungiftigen Ersatz
glaubt Verf. in folgender Kombination gefunden zu haben, die bei 7 Asthma¬
tikern sechsmal recht gute Dienste leistete;
Rp. Alypin nitr. 0,3
Eumydrin nitr. 0,15
Glyzerin 7,0
Aq. dest. 25,0
Ol. pini pumii. gtt. I
M. D. S. Zur Inhalation mit dem Sprayapparate nach Tuck er.
Da der Zusatz eines Nebennierenpräparates die Haltbarkeit der Mischung
beeinträchtigen würde, empfiehlt Verf. kurz vor dem Gebrauch zu 10 ccm
der Lösung 8 —10 Tropfen einer l°/o 0 :igen Adrenalin- oder Suprareninlösung
hinzuzusetzen.. Der Preis des angeführten Rezeptes nach der deutschen
Arzneitaxe beträgt 1,70 Mk. Neumann.
P. Joedicke (Kückenmühle-Stettin), Über kombinierte Arsen-Eisen-
Brom-Therapie bei Epilepsie. (Psych.-Neurolog. Wochenschrift, Nr. 35,
1910.) Joedicke berichtet über günstige Erfahrungen, die er bei der Be¬
handlung anämischer epileptischer Patienten mit Arsenferratose in Verbin¬
dung mit Bromnatrium erzielt hat. Seine Versuche betreffen zahlreiche
Fälle in den Kückenmühler Anstalten. Die Dosis von Arsenferratose betrug
einen Eßlöffel dreimal täglich oder 50 g per die; Bromnatrium wurde in
den gewöhnlichen Dosen verabreicht. Wie aus den ausführlich wieder-
gegebenen Krankengeschichten hervorgeht, erwies sich die Arseneisenbehand¬
lung mit einem organischen Präparat, wie es in der Arsenferratose vorliegt,
bei den Patienten äußerst wohltuend, indem sie durch Steigerung des Hämo¬
globingehaltes und Besserung des körperlichen Befindens die epileptischen
Kranken gegen weitere Anfälle widerstandsfähiger machte. Bei einer Reihe
von Kranken wurde eine Verminderung nicht nur der Zahl, sondern auch der
Intensität der Fälle beobachtet. Eine etwaige Bromakne wurde durch die
Arsenkomponente günstig beeinflußt. Verfasser hebt hervor, daß auch nach
längerer Darreichung der Arsenferratose und bei sehr darmempfindlichen
Kranken weder Reizerseheinungen von seiten der Zähne noch irgendwelche
gastrische Störungen zu beobachten waren. Neumann.
A. Zeller (Stuttgart), Über Cycloform — ein lokales Anästhetikum.
(Med. Klinik, Nr. 45, 1910.) Das neue Präparat kam als Streupulver und
als 5%ige und 10%ige Salbe bei Brandwunden, schmerzhaften Rhagaden,
Fissura ani, Intertrigo, beginnendem Dekubitus und schmerzhaften Granu¬
lationen zur Anwendung. Meist genügte die schwächere Salbe; bei größeren
Wundflächen wurde reines Pulver aufgestreut, das die angenehme Eigen¬
schaft hat, mit dem Wundsekret keinen abschließenden Schorf zu bilden.
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Bücherschau.
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Die anästhesierende Wirkung trat prompt ein und hielt 10—12 Stunden an.
Das dankbarste Objekt waren chronische Unterschenkelgeschwüre, die mit
dem Pulver behandelt bald ein besseres Aussehen bekamen und üppige
Granulationen bildeten. Für Arzt und Schwestern tut die 5%ige Salbe
insofern gute Dienste, als die durch Bürsten gerötete und brennende Haut
des Vorderarmes am Abend gut eingerieben, am folgenden Morgen völlig
normal ist. Reizerscheinungen oder sonstige Nebenwirkungen wurden nie
beobachtet. Neumann.
R. Werner (Heidelberg), Erfahrungen mit Cycloform als Lokalanästhe¬
tikum. Dieses neue Wundanästhetikum (Isobutylester der p.-Amydobenzoe-
säure) kam sowohl in Pulverform als auch in 5- und 10prozent. Salbe
nach folgendem Rezept zur Anwendung: Cycloform 32,5, Naphthalan 225,0,
Lanol. anhydric. 175,0, Ol. oliv. 97,5, Zinc. oxyd. 100,0, Acid. boric. 50,0.
Schmerzhafte, durch Fulguration gereizte Wunden wurden mit Cycloform-
pulver bestreut und mit einem Essigsäure-Tonerde-Verband bedeckt. In
gleicher Weise wurden auch Hautränder, die gewöhnlich Verbrennungen
ersten und zweiten Grades zeigen, behandelt. Bei diesen Vorgehen traten
die sonst mehrere Tage anhaltenden Schmerzen nicht mehr auf, auch ver¬
ursachte das Abnehmen des Verbandes weniger Beschwerden. Bei Beginn der
Gramilationsbildung, wenn der feuchte Verband durch eine Salbenbehand-
lung abgelöst wird, leistete der Cycloformzusatz zu obiger Naphthalan-
Zink-Borsalbe gleichfalls gute Dienste, so daß die Patienten die neue Salbe
stets bevorzugten. Verzögerungen in der Wundheilung, Störungen der Epi¬
thelisierung und Reizerseheinungen, die dem Cycloform zur Last gelegt
werden mußten, wurden nicht beobachtet. In zwei Fällen von Vulvakarzinom
kam es mit obiger Salbe zu einer starken Dermatitis, die aber durch Be¬
handlung mit Cycloformpulver resp. reiner Cycloformsalbe (10%) prompt
zurückging. Ein Rektumkarzinomrezidiv konnte weder durch Cycloform
noch durch Novokainanästhesierung der zuleitenden Nervenstämme beein¬
flußt werden (Metastase?). Ebenso versagte das Pulver bei eiternden oder
jauchenden, karzinomatösen Ulzerationen; dagegen leistete es Vorzügliches
bei Hautrhagaden, Schleimhautfissuren und Ekzemen. Verf. bezeichnet zum
Schlüsse das Mittel als ein ungiftiges, mild austrocknendes, den Wundheil -
prozeß günstig beeinflussendes, reizloses, prompt und intensiv wirkendes
Anästhetikum, das eine wertvolle Bereicherung des Arzneischatzes zu werden
verspricht. Neumann.
Bücherschau.
H. Meyer-Ruegg (Zürich), Die Geburtshilfe des Praktikers. Mit 154 in den Text
gedruckten Abbildungen. Stuttgart 1910. Verlag von F. Enke. 292 Seiten. 8 Mk.
Ohne den Sinn für wissenschaftliche Auffassung zu schädigen, hat Verf. im
vorliegenden Werke lediglich das wesentlichste für die Privatpraxis ohne die
Theorie gegeben, die sich von der Anstaltspraxis darin unterscheidet, daß konser¬
vativer vorgegangen, weniger operiert wird, und daß die Einhaltung der Asepsis
schwieriger ist. Er behandelt zunächst die Schwangerschaft, ihre Diagnostik und
Diätetik, die ihr eigenen allgemeinen, zufällig hinzutretenden und speziell die
Genitalorgane betreffenden Krankheiten; die Anomalien des Eies und seiner Hüllen,
Abort und Frühgeburt. Daran schließt sich die normale und erschwerte Geburt,
die Geburtskomplikationen, die Geburt durch Kaiserschnitt und die Nachgeburtszeit.
Endlich folgt aas normale Wochenbett, die häufigsten Komplikationen und die
puerperale Infektion, Pflege und Ernährung des Neugeborenen und dessen mit der
Geburt zusammenhängenden Erkrankungen. v. Schnizer (Höxter).
E. Postner (Berlin), Therapeutisches Taschenbuch der Harnkrankheiten, einschlie߬
lich der Erkrankungen beim Weibe und Kinde. Mit 32 Acbildungen im Text. Berlin
1910. Verlag von Fischers mcd. Buchhandlung H. Kornfeld. 234 Seiten. 5 Mk.
Das Buch soll den Nichtspezialisten über die gebräuchlichsten therapeutischen
Methoden knapp orientieren. Klinik und Diagnose werden als bekannt voraus¬
gesetzt.
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Bücherschau.
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Es werden zunächst die Desinfektion der urologisehen Instrumente, die Anäs¬
thesie in der Urologie, die Gleitmittel sowie der Katheterismus beim Manne be¬
sprochen, dann folgen die Erkrankungen der Harnröhre und des Penis, Hodens und
Nebenhodens, der Prostata, Samenblasen, Harnblase, der Nieren und der Harnleiter,
die Störungen der Geschlechtsfunktion des Mannes. Die Erkrankungen der Ham-
organe beim Weibe und beim Kinde, eine Zusammenstellung des urologisehen Instru¬
mentariums und ein Register.
Das Buch ist praktischer Weise mit weißem Papier durchschossen, bei den
Rezepten ist der Preis nach der Taxe für 1910 zugefügt; zweckmäßig ist die An¬
ordnung, Arzneimittel im Handverkauf nicht nach dem Gewicht, sondern ein be¬
stimmtes Quantum z. B. für J / 2 M. unter schriftlicher Beigabe der Anwendung zu
verordnen. v. Schnizer (Höxter).
Sacconaghi (Livorno), Die interlobäre exsudative Pleuritis. Würzburger Abhand¬
lungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin, 10. Band, 7. Heft. Würz¬
burg 1910. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 30 S. 85 Pfg.
Verf. giebt nach einem kurzen historischen Rückblick, unter Zugrundelegung
von 100 Krankheitsfällen, eine genaue Beschreibung der Pathologie und Sym¬
ptomatologie dieser seltenen und schwer zu diagnostizierenden Krankheit und fügt
in einem Anhänge noch die Krankengeschichten zweier von ihm selbst genau be¬
obachteter Fälle hinzu, „sowie jener, welche durch den typischen oder merkwürdigen
Verlauf und durch die Genauigkeit der Darlegung ein weiteres Interesse fast als
Paradigmata verdienen.“ Werner Wolff (Leipzig).
J. Oldevig (Dresden), Ein neues Gerät und neue Übungen der schwedischen Heil¬
gymnastik zur Behandlung von Rückgratsverkrümmungen. Berlin 1910. Verlag von
Eduard Trewendt's Nachf. 50 S.
Der rühmlichst bekannte Dresdener Arzt gibt in dieser mit 26 guten Ab¬
bildungen versehenen Broschüre ein von ihm erfundenes heilgymnastisches Gerät,
das er selbst schon über 20 Jahre in seinem Institut mit Vorteil verwendet, sowie
die mit diesen Riemen vorzunehmenden Übungen einem größeren Arztekreise bekannt.
Wer von Mechanotherapeuten diese Oldevig'sche Behandlung bisher nur von Hören¬
sagen kannte, findet hier die beste Gelegenheit, sich eingehend über dieselbe zu
informieren. Werner Wolff (Leipzig).
M. Loehlein, Die krankheiterregenden Bakterien. Leipzig 1910. Verlag von B. G.
Teubner. („Aus Natur und Geisteswelt“ Nr. 307). 120 S. 33 Abb. geh. 1,25 Mk.
In recht geschickter Weise ist Verf. seiner schwierigen Aufgabe gerecht ge¬
worden, den Laien mit den pathogenen Bakterien lind den Hauptgrundsätzen unserer
verwickelten Immunitätslehre, unter Ausschaltung aller Hypothesen, bekannt zu
machen. Durch seine flotte und elegante Sprache dürfte die Lektüre dieses Büchleins
selbst jedem Arzte einige angenehme Stunden bereiten. Werner Wolff (Leipzig).
Max David (Berlin), „Körperliche Verbildungen im Kindesalter und ihre Verhütung“.
Ein Mahnw r ort an Eltern, Lehrer und Erzieher. Leipzig 1910. Verlag von B. G.
Teubner. („Aus Natur und Geisteswelt“ Nr. 321).
„Das vorliegende Büchlein ist aus dem Bestreben herausgeschrieben, Eltern
und Lehrern ein Ratgeber zu werden bei der wichtigen Frage: ,Wie schützen
wir die uns anvertraute Jugend vor den zahlreichen, drohenden, körperlichen Ge¬
fahren, die der Schulzwang mit sich bringt? 4 Vor allen Dingen soll es aber
schildern, wie dieselben durch Sorgfalt, Achtsamkeit und gewissenhafte Beobach¬
tung in ihrer Entstehung und weiteren Entwickelung verhütet werden können“,
und da Verf. es mit Geschick verstanden hat, in leicht faßlicher, anregender Form
seinen Stoff zu meistern, und am richtigen Platz immer die nötigen Hinweise für
eine notwendig werdende ärztliche Behandlung zu geben, so können wir das Büch¬
lein allen „Eltern, Lehrern und Erziehern“ nur wann empfehlen.
Werner Wolff (Leipzig). ]
Ferd. Aug. Schmidt (Bonn), Gesundheitslehre. Für die Frauenschuie und die
häusliche Belehrung. Leipzig 1910. Verlag von B. G. Teubner. 200 S. 22 Abb.
geb. 2,80 Mk.
Ein wegen seiner Vielseitigkeit auch vom ärztlichen Standpunkt recht zu
empfehlendes Buch. Als einzigen, allerdings recht fühlbaren Mangel empfinde ich
das Fehlen jeden Wortes über die Geschlechtsverhältnisse, die, bei dem allgemeinen
Rufe nach sexueller Aufklärung, in einem von einem Mediziner geschriebenen
Buche sicher nicht fehlen dürften. Werner Wolff (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
fomcftritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauag« geben ron
Professor Dr. 6. Köster Priv.HDoz. Dr. p. Criegtrn
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 12.
Erscheint wöchentlich zum Preise ron 5 Mark
für das Halbjahr.
-- Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
23. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung des Ulcus corneae serpens.
Von Dr. W. Gilbert,
Privatdozent und 1. Assistenzarzt der Königl. Universitäts-Augenklinik zu München,
Die Behandlung des Ulcus corneae serpens bewegte sich bis gegen
Ende des vorigen JaJirhunderts in ruhigen Bahnen. Uber den großen
Fortschritt, den Saemisch im Jahre 1872 durch Einführung der Kerato-
tomie erreicht hatte, war man im wesentlichen nicht hinausgekommen.
Statt der Querspaltung des Geschwürs wurde zwar vielfach seit den
achtziger Jahren eine andere chirurgische Behandlung mit Erfolg geübt,
nämlich, die Kauterisation des progredienten Geschwürsrandes, die von
Sattler eingeführt, von Nieden und Eversbuseh verbessert worden
war; sie bedeutete aber mehr eine Bereicherung als einen erheblichen
Fortschritt der Therapie. Daneben kamen Spülungen und Einstäubung
von antiseptischen Lösungen und Pulvern zur Anwendung.
Es schien nun den Forschungen der Bakteriologie und der Iminu-
nitätslehre Vorbehalten, einen Umschwung in dieser allerorten ziemlich
gleichmäßig geübten Therapie herbeizuführen. Gewisse Fortschritte ver¬
danken wir diesen Disziplinen immerhin. So lernten wir das mehr
scheibenförmig allseits sich ausbreitende Diplobazillenulcus vom Pneumo¬
kokkengeschwür zu unterscheiden und oft allein mit Zinkinstillation
zu heilen; wir erkannten, daß Streptokokkengeschwüre wegen ihrer
isolierten vorgeschobenen Infiltrate zweckmäßig kauterisiert werden,
wenn sie nicht bald auf konservativem Wege zum Stillstand kommen
und wir sahen endlich durch Streptothricheen oder richtiger Aktinomy-
zeten bedingte Ulcera heilen, wenn der sequesterartige Pilzpfropf ent¬
fernt wurde. Die genaue bakteriologische Untersuchung der Hornhaut¬
geschwüre durch schonende Materialentnahme hat somit nicht nur diagno¬
stische, sondern auch therapeutische Erfolge zu verzeichnen. Aber für
die Therapie des typischen Ulcus corneae serpens, des Pneumokokken-
gcschwürs wurde trotz großen Scharfsinns und Ausdauer, die vor allem
Römer dieser Aufgabe widmete, ein wirklicher Fortschritt kaum erzielt.
Weder die aktive noch die passive Immunisierung mit Pneumokokken¬
serum hat die an sie geknüpften Erwartungen erfüllt und sie sind deshalb
vielerorts auf gegeben worden. Wird doch der Serum therapie selbst von
ihrem Schöpfer, Börner, im wesentlichen nur mehr prophylaktischer
Wert beigemessen. Noch weniger hat sich das Deutsch man n’sche Hefe¬
serum bewährt. Der Praktiker wird daher von der kostspieligen und
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wegen der unerläßlichen Virulenzkontrolle am Tier auch sehr zeitrau¬
benden Serum an Wendung absehen können. Da nun auch eine Reihe
anderer neuerer therapeutischer Bestrebungen sich geltend machen, wie
die Gallenanwendung, die Lichtbehandlung nach Hertel, die Einfüh¬
rung von Medikamenten ins Auge auf elektrischem Wege, die sogenannte
Iontophorese, so dürfte der richtige Zeitpunkt sein, einmal darzustellen,
was wir denn mit den älteren Methoden bei planmäßiger Anwendung
erreichen können.
Da eine kausale Therapie die Ätiologie vor allem zu berück¬
sichtigen hat, so ist zunächst dem Zustande der tränenableitenden Wege
vollste Aufmerksamkeit zu schenken; denn die Infektion einer an sich
geringfügigen Hornhautverletzung mit pneumokokkenhaltigem Eiter
ist sehr häufig die eigentliche Ursache des Ulcus corneae serpens.
An Stelle der früher vielfach geübten Expression des Tränensacks und
der Durchspülung der Tränenwege mit Adstringentien oder Antiseptieis
(5°/ 0 Protargol, 3% Borlösung, Hydrargyrum oxycyanatum 1:1000)
ist die Exstirpation des Tränensacks bei Dakryocystoblennorrhöe indi¬
ziert; sie gelingt unter Lokalanästhesie mit Alypin-Adrenalin meist
ohne stärkere Blutung. Unter allen Umständen ist die sofortige Exstir¬
pation bei Individuen der arbeitenden Klasse, bei Einäugigen und bei
doppelseitiger Blennorrhoe angezeigt. An Stelle der Exstirpation wird
in neuerer Zeit vielfach die Dakryocystorhinostomie nach Toti vor¬
genommen. Diese Operation zielt durch Entfernung einer Knochenspange
am Os lacrimalc darauf hin, eine neue Verbindung zwischen eröff-
netem Tränensack und Nasenhöhle herzustellen. Da dieser Eingriff
zum Unterschied von der Sackexstirpation die Wiederherstellung der
Tränenabfuhr zum Ziele hat, verdient die Methode bei geeigneten Fällen
weiter angewangdt zu werden. Immerhin gebührt der Exstirpation nach
unseren Erfahrungen der Vorzug, wo es wie beim Ulcus serpens weniger
auf eine gute Wiederherstellung der Tränenabfuhr als auf schnelle radi¬
kale Beseitigung der Eiterquelle ankommt.
Bei der Behandlung des geschwürigen Horahautprozesses selbst
scheidet man zweckmäßig die konservativen Behandlungsmethoden von
den operativen Eingriffen.
Es ist. nämlich eine alte Erfahrung, daß kleine Geschwüre bis¬
weilen spontan heilen oder durch rein konservative Maßnahmen dem
Heilungsprozeß zugeführt werden. Die Applikation von Wärme, anti-
septischen Überschlägen und Pulvern sowie von Mydriaticis genügt als¬
dann, um das Geschwür zum Stillstand zu bringen, besonders wenn
es sich um schwach virulente Pneumokokkenstämme handelt. In der
Münchner Klinik hat sich bei solch kleinen Geschwüren die Anwendung
von stündlich zu wechselnden Kompressen, getränkt mit 2°/ 0 Wasser¬
stoffsuperoxyd oder mit essigsaurer Tonerde, als zweckmäßig erwiesen.
Die Wirksamkeit dieser Maßnahme beruht natürlich mehr auf der
feuchten Warmhaltung des Auges und auf der Reinhaltung der Lid¬
spalte als auf einer direkten Beeinflussung der Keime. Für die Nacht
kann an Stelle der Kompressen ein mit der antiseptischen Lösung imbi-
bierter Verband zur Anwendung kommen nach vorheriger Atropin¬
ein trau flung und Einstäubung von reichlich Dermatol in den Binde¬
hautsack. Da man aber auch den kleinsten Uloera von vornherein
nicht bestimmt ansehen kann, ob sie spontan heilen oder progredient
sein werden, wird sofort der Grund und der infiltrierte Rand des Ge¬
schwürs mit Tinctura jodi fortius parata (Jodtinktur durch Eindampfen
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Die Behandlung des Ulcus corneae serpens.
267
auf V 3 des ursprünglichen Volums reduziert) bis zur intensiven Braun-
färbung betupft und dieser Eingriff täglich wiederholt. Mit Hilfe
dieser örtlichen Anwendung der Jodtinktur gelingt es, manches Geschwür
zum schnellen Stillstand zu bringen, das sonst einer konservativen
Behandlung nicht mehr zugängig gewesen wäre. Es dürften dies die
gleichen Geschwüre sein, bei denen Römer die Kauterisation durch
Anwendung großer Serumdosen vermeidet. Statthaft ist diese Jod¬
tinkturbehandlung aber nur, wenn nach den ersten 24 Stunden keine
Progression mehr auftritt und wenn bald nach Wiederholung der Be-
tupfung der progrediente Rand zerfällt. Bisweilen schießen nach ur¬
sprünglichem Zerfall 1—2 Tage später vereinzelt frische Infiltrate
am Rande der betupften Zone auf, die aber auf neuerliche Jodtinktur¬
applikation schnell wieder zerfallen. Unter Beachtung dieser Regeln
erweist sich die Jodtinktur ebenso wie das ihr an Wirksamkeit nur
wenig nachstehende Acidum carbolicum liqucfactum als ein sehr wert¬
volles Mittel zur Bekämpfung kleinerer Uloera serpentia; denn es hinter¬
bleiben nur zarte Trübungen und die angrenzenden Hornhautpartien
werden nicht geschädigt.
Wie jede konservative Behandlung des Ulcus serpens, so hat auch
die Anwendung der Jodtinktur ihre eng gezogenen Grenzen. Bei größeren
Geschwüren gelingt es nur ausnahmsweise, gleich zu Beginn einen gün¬
stigen Erfolg zu erzielen, der zur Fortsetzung der Behandlung ermutigt.
Man geht alsdann zweckmäßig zur Galvanokauterisation des progre¬
dienten Randes über, besonders wenn dieser nicht im Pupillarbereich
liegt und wenn ein größeres Hypopyon nicht vorhanden ist. Die galvano¬
kaustische Zerstörung des Geschwürs ran des, bei größerem Hypopyon
kombiniert mit galvanokaustischer Punktion oder mit Parazentese der
Vorderkammer im Limbus, wird nun vielfach als einzige operative
Behandlungsmethode des Ulcus serpens geübt. Und doch haften ihr,
wie nachdrücklichst hervorgehoben werden muß, mehrfache Nachteile
an. Der Galvanokauter hinterläßt nämlich nicht nur durch Beeinträch¬
tigung der Lebensenergie der oberflächlichen Teile der Cornea sehr
dichte örtliche Narben 1 ), sondern er schädigt auch das angrenzende
nicht unmittelbar k autorisierte Hornhautgewebe und führt auch bei
mehrfacher Wiederholung nicht stets zum Ziele. Alsdann wird doch
noch unter viel ungünstigeren Verhältnissen die Querspaltung nach
Saemisch notwendig, die nun allerdings auch nicht mehr imstande ist,
den immer größer gewordenen Krankheitsherd zu beherrschen. So als
„ultimum refugium“ angewandt, geriet die Keratotomie vielerortcn in
Mißkredit und wurde aufgegeben, weil sie häufig zu Leucoma adhärens,
zu Sekundärglaukom und Staphylombildung führe. Diese üblen Folge¬
zustände sieht man aber nicht oder doch sehr viel seltener, wenn
man genau der von Saemisch gegebenen Vorschrift folgt, senkrecht
zum aufgeworfenen Rande spaltet, im gesunden Gewebe ein- und aussticht
und die Keratotomie als Operation der Wahl, nicht erst bei weit vor¬
geschrittenen therapeutisch aussichtslosen Fällen an wendet. Daß ab¬
sprechenden Urteilen über die Keratotomie meist eine fehlerhafte Technik,
zugrunde liegt, ist von Saemisch selbst betont worden und geht z. B.
aus dem neuen Lehrbuch von Römer hervor, wo der Eingriff folgender¬
maßen geschildert wird: „Man sticht ein schmales Messerclien am
*) vgl. Hertel, Über eitrige Keratitis beim Menschen,
für Ophthalmologie, Bd. 53, 1901.
v. Graefe’a Archiv
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Hornhautrand 1 ) mit der Scheide nach vorn ein, führt es von einem
Limbus bis zum anderen 1 ) vor und spaltet die Hornhaut quer
durch die Mitte des Geschwürs hindurch.“ Daß bei solcher Technik
(Spaltung von Limbus zu Limbus) die Iris gern zwischen die Wund¬
ränder fällt und Leuooma adhärens folgt, ist ganz selbstverständ¬
lich. Die Operation ist in dieser Weise von meinem Lehrer
Saemisch nie angegeben noch ausgeführt worden. Die Größe des
Schnittes richtet sich vielmehr nach der Größe des Geschwüres und
beträgt unter Umständen nur 5 mm. Wenn die ganze Hornhaut schon
eitrig eingeschmolzen ist und zur Querspaltung ein Schnitt von Limbus
zu Limbus notwendig gewesen wäre, dann wurde auch von Saemisch
die Keratotomie als aussichtslos verworfen.
Bei Beachtung der von Saemisch auf gestellten Regeln erreicht
man in der Mehrzahl der Fälle einen schnellen Stillstand des Krank¬
heitsprozesses. Die wiederholte Lüftung des Schnittes in den folgenden
Tagen, auf die Saemisch früher wenigstens großen Wert legte, ist
allerdings nicht stets nötig, wie auch die Erfahrungen der Münchner Uni¬
versitäts-Augenklinik zeigen. Hier wird die Keratotomie gemacht,
wenn bei kleinerem, zentral gelegenem Ulcus die geschilderte kon¬
servative Therapie versagt oder sofort, wenn die Patienten schon mit
größeren Geschwüren in die Behandlung treten. Die Wirkung der
Operation wird durch eine vorausgeschickte passagere Blepharotomie
gesteigert, indem die hierbei erfolgende Blutung und das Nachlassen
der Spannung des Muse, orbicularis einen günstigen entlastenden Ein¬
fluß ausüben. Nach dem Eingriff wird reichlich antiseptisches Pulver
eingestreut und ein feuchter Verband angelegt, während Saemisch
warme Umschläge an wenden ließ. Bei dieser in der Münchner Klinik
üblichen Behandlung erwies sich die Lüftung des Schnittes so gut
wie ausnahmslos nicht nötig, wobei allerdings betont werden muß,
daß im Material der Münchner Klinik entschieden weniger bösartige
Ulcera serpentia Vorkommen als in Saemisch’s rheinischem Wirkungs¬
kreise.
Bei dieser Behandlungsweise, die sich bezüglich der Indikations¬
stellung und der Ausführung des Homhautschnittes genau an
Saemisch’s Vorschrift hält, kommt vordere Synechie und Leucoma
adhärens nur ausnahmsweise vor. Gegenüber der Kauterisation sind vor
allem zwei Vorteile unverkennbar: einmal nämlich ist der Heilverlauf
nach der Keratotomie erheblich kürzer als bei kauterisierten Augen,
die bisweilen gar nicht zur Ruhe kommen wollen; sodann ist der
optische Endeffekt nach der Keratotomie entschieden günstiger, weil
die dichte Trübung in der Umgebung der Schnittnarbe meist nicht
mehr von einer so ausgedehnten Zone diffuser Trübung umsäumt wird,
wie dies so oft nach Anwendung des Galvanokauters der Fall ist.
Ist es nun gelungen, das Geschwür durch konservative Behandlung,
Galvanokaustik oder Keratotomie zum Stillstand zu bringen, so ist
bis zum Zurückgehen des Reizzustandes die Pupille noch weit zu halten.
Wenn nach Schwinden der Infiltration das Geschwür ins Reparations¬
stadium getreten ist, kann inan eine Aufhellung der narbigen Trübung
durch Massage mit 1 / 2 —1°/ 0 gelber Salbe versuchen. Da diese Behand¬
lung lange, bis zu mehreren Monaten fortzusetzen ist, empfiehlt es
sich, mit den Reizmitteln abzuwechseln und 2—10°/ 0 Dionin, sowie ein-
*) im Original nicht gesperrt.
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Die Behandlung des Ulcus corneae serpens.
269
bis zweimal wöchentlich Tinct. opii inspissata einzuträufeln. Hier¬
durch kann man namentlich bei jüngeren Individuen eine nicht uner¬
hebliche Aufhellung erzielen. Bei älteren Individuen bleibt aber meist
die Trübung so dicht, daß bei zentralem Sitz der Narbe oft optische
Iridektomic notwendig wird. Diese muß besonders bei den diffusen
Narben nach Kauterisation oft mit Tätowierung der getrübten Horn¬
haut verbunden werden. Auch ausgedehnte hintere Synechien, alte Ex¬
sudate im Pupillargebiet können sowohl optisch wie antiphlogistisch,
wirkende Iridektomie erfordern und schließlich wird bei ausgedehntem
Leucoma adhärens zweckmäßig die Iridektomie zur Herabsetzung ge¬
steigerten Druckes oder zur Verhütung der Druckzunahme ausgeführt.
Aus der Schilderung der Therapie geht nun hervor, daß die Be¬
handlung des Ulcus corneae serpens dem Augenarzt und zwar am besten
im Krankenhause Vorbehalten bleiben muß, wo sich das nur irgend
ermöglichen läßt. Der Praktiker wird bei der vorwiegend von dieser
Erkrankung befallenen ländlichen Bevölkerung unverzüglich in diesem
Sinne zu wirken haben. Der Prozentsatz der Erblindungen an den
Folgen des Ulcus serpens kann nur dann erheblich zurückgehen, wenn
die Erkrankten möglichst frühzeitig in spezialistische Hilfe kommen.
Mit dieser frühzeitigen Überweisung des ainsgebildeten Geschwürs
an den Spezialisten und mit der Nachbehandlung zur Aufhellung der
Narbentrübung ist aber die Tätigkeit des Praktikers nicht abgeschlossen.
Ihm fällt vielmehr die vornehmste Aufgabe zu, die Prophylaxe des
Ulcus serpens. Der Arzt muß rechtzeitig die arbeitende Bevölkerung
seines Wirkungskreises, besonders im landwirtschaftlichen Betrieb, auf
die großen Gefahren eines eiternden Tränensackes und auf die Not¬
wendigkeit der operativen Beseitigung des Leidens hin weisen. Manchmal
wird er auch bei schon stattgehabten leichteren Traumen noch die Ent¬
wicklung eines Geschwürs im allerersten Beginn verhüten können, so
wenn die Kornea nach Fremdkörperverletzung in der Umgebung eines
nicht mit entfernten Rostringes umschriebene eitrige Infiltration zeigt.
Entfernung des Rostringes mit Fremdkörpernadel oder kleinem
Hohlmeißel nach ausgiebiger Anästhesierung, Betupfung des infiltrierten
Grundes mit Jodtinktur, Atropineinträuflung und feuchter Verband
können so ein entstehendes Geschwür kupieren, so daß über Nacht
Reizung, Infiltration und selbst ein Hypopyon schwindet. Tritt dieser
schnelle Umschwung aber nicht ein, so sind auch solche Fälle unverzüg¬
lich dem Augenarzt zu überweisen, gleichgültig ob es sich um eine
Pneumokokkeninfektion oder um eine andere, unter Umständen ebenso
ernste, handelt. Deswegen halte ich auch die Anfertigung von Aus¬
strichpräparaten für den Praktiker nicht für unbedingt notwendig,
zumal die Hand des Ungeübten bei nicht schonender Materialentnahme
gegen die oberste Pflicht des Arztes, nicht zu schaden, verstoßen kann.
Die Deformitäten der Wirbelsäule.
Von Dr. Muskat, Berlin, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie.
(Fortsetzung aus Nr. 10.)
Bleibt der Abszeß in der Nähe des Erkrankungsherdes stabil,
so nennt man ihn Kongestionsabszeß, geht er weiter in die Tiefe —
Senkungsabszeß. Oft legt der Eiter einen weiten Weg zurück, bis
er an der Hautoberfläche zum Vorschein kommt. Da nicht alle Senkungs¬
abszesse der häufigen Kleinheit wegen zur klinischen Beobachtung ge-
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langen, so dürfte nach den verschiedenen Statistiken in etwa 25°/ 0 aller
Fälle von Spond 3 r litis ein Senkungsabszeß vorhanden sein. Der Inhalt
der Abszesse, welche mit- einer Membran ausgekleidet sind, besteht
aus fettigen, körnigen Detritusmassen, denen Blut beigemengt ist, von
dem auch die schmutzig-bräunliche Farbe herriihrt; käsige Bröckelchen,
kleine Sequestra, schleimige Massen, besonders bei Ausheilung der eigent¬
lichen Erkrankung, finden sich! häufig als weitere Bestandteile. Tuberkel¬
bazillen sind mitunter, Staphylokokken oder Streptokokken niemals
nachweisbar.
Da der Eiter sich in der Weise ausbreitet, daß er den Weg nimmt,
auf welchem der geringste Widerstand sich darbietet, nicht der eigenen
Schwere folgend, so ist auch bei den Senkungsabszessen der Weg durch
die anatomischen Verhältnisse vcrgeschrieben. Je nach der Lage des
ursprünglichen Krankheitsherdes wird Lage und Wanderung des Eiters
eine andere sein.
Von den oberen Halswirbeln aus (auch bei Spondylarthritis des
Atlas und Epistropheus) wird der Abszeß sich als retropharyngealer bzw.
retroösophagealer präsentieren, da das retroviszerale Bindegewebe am
Halse eine Verbreitung gestattet. Die Schleimhaut der hinteren Pharynx¬
wand wird vorgewölbt, und vom Munde aus ist diese Vor Wölbung gewöhn¬
lich zu sehen und zu fühlen. Die Atemnot, unter der die Patienten
oft leiden und die starken Schluckbeschwerden müssen auf die richtige
Diagnose hin führen. Weiterhin senkt sich der Eiter um den Öso¬
phagus herum, und drängt diesen, Larynx und Trachea nach vorn.
Gewöhnlich dringt er aber nicht weiter in die Brusthöhle ein, sondern
er wandert längs des M. sternocleidomastoideus, dessen Haut bedeck ungern
er vorwölbt, und gelangt schließlich, dem Plexus axillaris folgend, in
die Achselhöhle, wo er oft durchbricht. Von den unteren Halswirbeln
aus verfolgen die Eitermassen denselben Weg oder gelangen in das
hintere Mediastinum und von dort, der Aorta folgend, bis zum Ober¬
schenkel. Dies ist der längste Weg, der zurückgelegt wird.
Von den oberen Brustwirbeln aus geht der Weg in das hintere
Mediastinum uud gleichfalls bis zum Oberschenkel, oder es bricht der
Eiter in Ösophagus oder Lunge ein, oder er bildet die Ileoabdominal-
abszesse an der Vorderwand des Bauches oder er bildet die lleofemoral-
abszesse, welche bis zum. Knie herabsteigen können. Es können auch
Wanderungen in die Glutäalgegend Vorkommen und Durchbrüche in
Darm oder Blase, besonders bei Erkrankungen der unteren Brustwirbel.
Beobachtet ist auch Durchbruch in die großen Gefäße. Bei Affek¬
tionen der unteren Brust- und oberen Inendenwirbel bildet sich gewöhnlich
der typische Psoasabszeß, welcher die Gegend unter dem Lig. Pouparti
hervorwölbt, wo er auch gewöhnlich durchbricht. Mitunter gelangt
der Eiter in 'die Adduktoren de« Oberschenkels hinein, um tiefer an der
Innenseite des Oberschenkels zu perforieren.
Vom letzten Lendenwirbel aus kann der Eiter denselben Weg
nehmen oder als Iliakusabszeß in der Fossa iliaca enden. Es ist jedenfalls
geboten, J»ci allen auf Tuberkulose verdächtigen Fällen am ganzen
Körper nach Senkungsabszessen Umschau zu halten. Wenn Abszesse
plötzlich verschwinden, so können sie sich entweder in eine Körperhöhle
entleert haben — auch Eiterungen in den Wirbelkanal kommen, vor —
oder die Verbindung zwischen Abszeßsack und Erkrankungsherd ist ge¬
schlossen. Die prävertebralen Abszesse, die in der Nähe des tuberkulösen
Herdes sich bilden, können auf das Rückenmark einen Druck ausüben.
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
271
In der Umgebung des Abszeßherdes sind vergrößerte und oft perl-,
schmu-förmig aneinander gereihte Lymphdrüsen zu finden.
Der "VVirbelkanal wird durch das Einknicken der Wirbel gewöhn¬
lich nicht so verengert, daß ein direkter Druck auf das Rückenmark
zustande kommt, es werden sogar Vergrößerungen des Lumens be¬
schrieben, doch können neu sich bildende Knochenwülste und Vorsprünge
schädigend wirken. Auch die austretenden Nerven bleiben gewöhnlich
vom Drucke verschont und somit fallen auch direkte Lähmungs-
urSachen fort.
Erhebliche Veränderungen erleidet die Form der Wirbelsäule durch
die kompensatorischen Gegenkrümmungen, welche der Kyphose in Form
von Lordosen sich anpassen. Auch der Brustkorb wird stark verändert,
da Rippen und Brustbein nach vorn verschoben werden. Die großen
Gefäße können in ihrem Lauf verändert und abgeknickt werden, wodurch
Störungen in der Zirkulation der unteren Rumpfhälfte hervorgerufen
werden können.
Die Beteiligung des Rückenmarkes ist in etwa 12°/ 0 festgestcllt.
Nach Hof f a fand Vulpius bei Spondylitis cervicalis 17,3°/ 0 , beiSpond}’-
Iitis dorsalis 12,2°/ 0 , bei Spondylitis lumbalis 7% Rückenm-xrksver-
äuderungen. Die Kompressionsmyelitis ist als die Fortleitung des ent¬
zündlichen Reizes anzusehen, wobei wahrscheinlich die im kranken
Wirbel liegenden Stoffe eine Hauptrolle spielen. Daß aber auch Ver¬
engerungen durch die andere Form der Knochen im Wirbelkanal ent¬
stehen können, ist durch Operationsresultate erwiesen. Die Operations¬
resultate sind nicht sehr ermutigend, da oft ein neues Aufflackern,
des abgclaufenen Prozesses hervorgerufen wird. 1 ) Der tuberkulöse Prozeß
greift in der Regel auf die Häute des Rückenmarkes und schließlich
auf dieses selbst über und führt zur Myelitis. Die Kompressiönserschei-
nungen, welche bereits sehr früh einsetzen, sind auf kollaterales ödem
und Blutleere des Marks zurückzuführen. Ebenso wie das Mark selbst
werden die austretenden Nerven betroffen. Die Nervenstämme sind
anfangs anverändert, werden aber von geschwollenem, ödematösem Ge¬
webe eingeschlossen, es bildet sich also eine Perineuritis, die erst später
zur Entartung des Nerven führt. Wie schon oben erwähnt, können auch
prävertebrale Abszesse durch direkten Druck Lähmungserscheinungen,
her vorrufen.
Die Symptome, welche die beginnende Spondylitis-Erkrankung
hervorzurufen pflegt, bestehen zunächst in einer völligen. Änderung
des ganzen Habitus. Kinder, welche sonst vergnügt und wild herum¬
gespielt haben, werden mürrisch, träge und klagen nach kleinen An¬
strengungen über Ermüdung und Schmerzen.
Diese Schmerzen werden aber nicht etwa in der Wirbelsäule loka¬
lisiert,, sondern können an den verschiedensten Stellen des Körpers ange¬
geben werden; besonders als Gürtelgefühl imd Ziehen in den unteren
Extremitäten kommen die Schmerzen zur Beobachtung. Erwachsene
schildern den Schmerz als mehr andauernd wie heftig und machen
zuweilen die Angabe, daß der Schmerz sich dem Pulsschlage entspre¬
chend zeige; bei ganz kleinen Kindern fällt ein leidender Zug im Gesicht
auf und das Verweigern der sonst gern genommenen Nahrung. Beim
Sitze der Entzündung in der Lendenwirbelsäule klagen die Patienten
l ) cf. Lange, Die Behandlung der Spondylitis. Jahreskurae für ärztliche
Fortbildung, August-September 1910. J. F. Lehmann, München.
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Muskat,
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fast immer über Schmerzen im Bauche. Leibschmerzen bei normalen
Stuhl Verhältnissen erwecken immer den Verdacht einer Spondylitis und
erfordern eine genaue Untersuchung der Wirbelsäule. Die Schmerzen
treten besonders nachts auf und häufig schrecken die Kinder mit einem
lauten Schrei aus dem Schlafe auf. Beim Stehen treten anfangs die
Schmerzen nicht so deutlich auf wie beim Sitzen, l>ei welchem der
erkrankte Teil der Wirbelsäule stärker belastet wird, da die Wirbel¬
säule kyphotisch ausgebogen wird. Neben den Schmerzen tritt bald
die Steifheit in der Wirbelsäule besonders hervor, welche teils durch
die Schmerzen, teils durch das Bestreben, möglichst wenig Bewegungen
auszuführen, bedingt, wird. Läßt man einen Patienten mit beginnender
Spondylitis einen Gegenstand vom Boden aufheben, so biegt er nicht
den Rumpf herab, sondern er kauert sich nieder, stützt sich mit der
einen Hand auf das Bein, um mit der anderen den Gegenstand vom
Boden aufzuheben. Der Gang hat etwas Steifes, Gezwungenes, und bei
Bewegungen der Wirbelsäule bleibt die erkrankte Stelle völlig fixiert,
während die übrigen freien Partien der Wirbelsäule noch beweglich
sind. Oft aber fehlen alle diese Warnungsvorzeichen, und als erstes
Symptom tritt der Buckel in die Erscheinung. Gewöhnlich schließt
sich die erste Wahrnehmung an eine Verletzung, einen Stoß, einen Fall,
an das Tragen schwerer Lasten und ähnliches an. Der Gibbus entsteht
nicht auf einmal, sondern allmählich, und es dauert einige Zeit, bis
er seine ausgesprochene mehr oder weniger spitze Form zeigt. Durch
einen biegsamen, aus einer Mischung von Blei und Zinn hergestellten
dünnen Stab, welcher genau der Kontur der Wirbelsäule angepaßt
werden kann, und Nachziehen der erhaltenen Form auf Papier lassen
sich die Veränderungen leicht graphisch darstellen.
Je nach dem Sitze der Erkrankung ist die Haltung des Körpers
eine andere. Bei der Spondylitis im unteren Zervikal teil und bei der
Spondylarthritis im Atlas und Epitropheus entsteht das Bild der Torti-
kollis. Sitzt die Erkrankung in den unteren Hals- oder oberen Brust¬
wirbeln, so wird das Kinn in die Höhe gehalten, während der untere
Teil der Brustwirbelsäule gestreckter verläuft. Beim tieferen Sitz in
der Brustwirbelsäule ziehen die Kinder die Schultern hoch und legen
den Oberkörper nach hinten über. Dabei ist häufig der Rumpf nach
einer Seite verschoben. Aus diesen Verhältnissen heraus ergibt sich
des öfteren eine Schwierigkeit in der Differentialdiagnose zwischen
Skoliose und Spondylitis, auf welche Chlumsky 1 ) neuerdings wieder
aufmerksam gemacht hat, da besonders im Anfangsstadium scharf
hervortretende Merkmale fehlen.
Ist die Lendenwirbelsäule und mit ihr zusammen das Kreuz¬
bein befallen, so legen sich die Patienten auch hinten über,
falls nicht derartige hochgradige Veränderungen vorhanden sind, daß
eine völlige Lösung der Lendenwirbelsäule vom Kreuzbein eintritt,
und die Kranken nur auf allen Vieren vorwärtskommen können.
Nach der Entstehung des Buckels suchen die Patienten vor allem
das Gleichgewicht wieder zu erlangen und erreichen dieses, wie schon
öfter erwähnt, durch kompensatorische Lordosierung.
Gewöhnlich besteht abendliche Temperatursleigerung, die schon
oft vorhanden ist, wenn noch alle anderen Erscheinungen fehlen.
*) Chlumsky (Krakau), Betrachtungen über die Differentialdiagnose zwischen
Skoliose und Spondylitis. Zeitschr. für orthopäd. Chir., Bd. 27, ldlü.
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
273
Die Senkungsabszesse, "welche au den verschiedensten Stellen des
Körpers in die Erscheinung* treten, rufen rein mechanische Störungen
hervor, so verursacht z. B. der Psoasabszeß eine Beugekontraktur des
Oberschenkels. Mitunter gelingt der Nachweis von tiefer liegenden
Abszessen mit Hilfe der Böntgenstrahlen. So berichtet Zander 1 ) über
den Nachweis eines derartigen Abszesses, der durch die Dämpfung
am Bücken wahrscheinlich gemacht war. Das Böntgenbild zeigte im
oberen Brust teil einen intensiven Schatten in Form eines Dreieckes,
dessen Basis in Höhe des linken Brustwirbels lag und dessen Spitze
vom 4. Brustwirbel eingenommen wurde. Der Abszeß wurde durch
Operation mit gutem Erfolge beseitigt, da heftige Atemnot und schlechtes
Allgemeinbefinden bestand.
Die funktionellen Störungen, welche durch die Beteiligung des
Rückenmarkes ausgelöst werden, äußern sich in den schon erwähnten
Interkostalneuralgien (Gürtelschmerz), in der Erhöhung der B-eflex-
erregbarkeit und vor allem in den Störungen der Motilität, d. h. im
Entstehen, von Lähmungen. Die Lähmungen können in jeder Abstufung
vorhanden sein und können je nach dem Sitze der ursprünglichen Erkran¬
kung mit Störungen in den oberen Extremitäten oder mit solchen der
Blase und des Mastdarmes verbunden sein. Hoffa zitiert die Aus¬
führungen von Pott folgendermaßen: Bei Kindern in den ersten Lebens¬
jahren, die noch nicht laufen gelernt haben, treten die Lähmungserschei¬
nungen wenig hervor. Die Beinchen -werden nicht gebraucht; sie liegen
ohne Bewegung kraftlos da, nachdem sie vielleicht eine Zeitlang der
Sitz klonischer und tonischer Zusammenziehungen waren. War das
Kind aber schon gelaufen, dann verliert es den Gebrauch seiner unteren
Extremitäten bald schneller, bald langsamer. Es klagt zunächst über
schnell eintretende Ermüdung, hält die Knie gebeugt und vermeidet
die Bewegungen, zu deren Vermeidung Kra.ftanstrengung erforderlich
ist, wie Laufen und Springen. Bald macht sich neben dieser Schwäche
der Beine auch eine Unsicherheit des Ganges geltend. Das Kind setzt
die Füße schlecht und stolpert, auch wenn kein Hindernis im Wege
ist. Bei jedem Versuch, schneller zu gehen, kreuzen sich die Beine,
so daß der Patient zu Falle kommt. Bald können dann die Patienten
überhaupt nicht mehr laufen, und schließlich hängen die Beine nur
noch wie träge Massen am Körper herab, so daß die Patienten dauernd
an das Bett gefesselt sind.
Der Gang wird häufig infolge reflektorischer Bewegungen ein
spastischer und es treten zeitweise heftige Krämpfe auf, die außer¬
ordentlich schmerzhaft sind, bis schließlich durch vollständige Lähmung
die Funktion der Gliedmaßen völlig aufhört.
Die Differentialdiagnose wird sich aus den bisher ausgeführten
Merkmalen meistens stellen lassen, in zweifelhaften Fällen wird die
Behandlung so einzurichten sein, daß mindestens kein Schaden ange¬
richtet werden kann, d. h. statt Bewegung Buhe und Fixierung der
Wirbelsäule.
Der Verlauf der Spondylitis ist ein durchaus chronischer und
erstreckt sich auf mehrere Jahre nach den ersten Erscheinungen, bis
der Tod oder eine Heilung eintritt. Durch Neubildung knöcherner
Massen, welche an Stelle des zerstörten Wirbels auftreten und der
l ) Zander (Berlin), Ein Beitrag zur Röntgendiagnose und Behandlung der
Senkungsabszesse. Archiv für Orthopädie. Bd. 8, H. 2, 1909.
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Muskat,
Wirbelsäule ihre verloren gegangene Festigkeit wiedergeben, wird der
Krankheitsprozeß im Knochen selbst beendet. Die Senkungsabszesse
können aber noch lange Zeit fortbestehen.
Die Abszesse können sich entweder resorbieren und sich in schwie¬
liges Gewebe umwandeln, oder sie brechen durch die Haut nach außen
durch, oder sie entleeren sich in die Luftwege, den Darm oder die Blase.
Häufig geben diese aufgebrochenen Abszesse durch Hinzutreten einer
Infektion zu schweren septischen Erscheinungen Veranlassung, welche
den Tod bald herbeiführen.
Die Lähmungen bilden sich häufig mehr oder weniger vollständig
zurück, können aber auch das ganze Leben hindurch bestehen bleiben
und durch Zystitis und Myelitis unter schwersten Erscheinungen zum
Tode führen.
Die Prognose ist nach alledem eine recht ungünstige.
Nach dem 40. Lebensjahre heilt die Spondylitis kaum mehr aus.
In früheren Lebensjahren ausgeheilte Spondylitiden können immer wieder
redizivieren, so daß die Statistik der Durchschnittsheilung von ca. 45°/ 0
kein scharfes Bild ergibt. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß alle
Fälle von Spondylitis, auch wenn sie ausgeheilt sind, zu einem frühen
Tode prädisponieren. Ein Teil der Kranken geht an Tuberkulose der
Lungen oder anderer Körperorgane zugrunde, ein anderer an Zirkulations¬
störungen und Lungenemphysem, wieder ein anderer an der amyloiden
Degeneration der Leber, der Milz, der Niere und des Darmes oder an
Erschöpfung, ein letzter endlich an Herzdegeneration, namentlich
H 3 r pertrophie, Dilatation und Muskelatrophie.
Die Prognose wird sich aber verbessern lassen, wenn die Diagnose
frühzeitig und richtig gestellt und alle therapeutischen Maßnahmen
getroffen werden, um alle Schädigungen sekundärer Natur zu ver¬
meiden.
ln der Therapie ist das Gipsbett (Reklinationsgipsbett nach
Lorenz) von unschätzbarem "Werte. Seine Herstellung ist liereits bei
der rachitischen Kyphose genau besprochen worden. Oft empfiehlt sich
die Anbringung einer Extension für den Kopf. Die ausgezeichneten
Erfolge, welche Finck 1 ) (Charkow) mit jahrelanger, konsequent durch¬
geführter Gipsbettbehandlung erzielt hat, lassen die Methode sehr
empfehlenswert erscheinen. Finck hat durch Wattestreifen, welche
er kreuzweise und in immer stärkeren Schichten in das Gipsbett an
die Stelle der größten Vorwölbung des Buckels legte, viele Deformitäten
zum völligen Ausgleich gebracht. Während der Gipsbettbehandlung
ist jede Badekur wegen der damit verbundenen Erschütterungen völlig
zu vermeiden. Beim Herausnehmen des Patienten aus dem Gipsbette
ist größte Vorsicht anzuwenden und der Kranke aus seinem Apparate
gewissermaßen herauszurollen, indem das Bett erst abgenommen wird,
wenn der Kranke auf dem Bauche liegt. Von Phelps ist seinerzeit
eine Lager Vorrichtung empfohlen, die von Nönchen als Stehbett be¬
zeichnet wurde. In dieser Vorrichtung ruht der Patient und kann auch
mit ihr bewegt werden. Wullstein hat eine Vorrichtung angegeben,
bei der ohne Schädigung des Kranken eine Badeprozedur vorgenommen
werden kann.
’) Finck, Das allmähliche Redressement des Pottaschen Buckels im Liegen.
Zeitschr. für orthopäd. Chir., Bd. 16, 1906.
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
275
Mitunter zwingt die Ungeduld der Patienten oder eine hyposta-
tische Pneumonie einen anderen Behamdlungsweg einzuschlagen. Calot
hat durch Angabe seiner verschiedenen Gipsverbände bei Spondylitis
einen wesentlichen Fortschritt gebracht. Während Calot bekanntlich
früher den Buckel gewaltsam redressierte (wodurch viele Todesfälle
hervorgerufen wurden) und den Patienten danach in einen völlig um
schließenden Gipsverband einhüllte, ist er jetzt zu einem konservativen
Verfahren übergegangen, bei welchem durch den elastischen Druck
der Watte im Verbände eine allmähliche Redression gewährleistet wird.
Die glänzenden Erfolge, über die Calot berichten kann, sind aber
nur zum Teil auf Konto der von ihm meisterhaft ausgeführten Gips¬
verbände zu setzen. Die kräftigende Seeluft in Berck sur mer an der
Nordsee, wo seine große Heilanstalt steht, trägt sicherlich zum Gelingen
der Kur bei. Interessant ist die Art, wie dort die Patienten im Freien
sich bewegen können. Sie liegen auf flachen Wägelchen, welche von
einem Esel gezogen werden und kutschieren selbst den ganzen Tag
herum. Ist der Kopf mit eingegipst, so daß sie ihn nicht erheben
können, sind sie durch kleine Spiegel (sog. Spione) imstande, auch
im Liegen den Weg zu erkennen. Da die Behandlungen Jahre hindurch
dauern, kommen die Patienten verhältnismäßig gesund aus der Anstalt
heraus. Die Technik des großen Gipsverbandes ist etwa folgende : Der
Patient steht auf dem Boden mit den Füßen auf, während am Kopf
durch Bindenzug eine leichte Extension ausgeübt wird. Uber den Körper
wird ein Trikotschlauch gezogen, der an den Stellen, wo Knochenkanten
scharf hervortreten, z. B. am Kinn, an den Hüftkämmen, mit Filz
gepolstert wird. Die Bindentouren umfassen den Körper von der Hüft-
beuge bis zum Hinterhaupte. Das Material ist bester Gips, der am
besten in Mullbinden (ohne Stärke) eingestreut wird. Praktisch sind
lange und breite Longuetten, die man sich selbst herstellt, indem breite
Stücke Mull oder Binde des öfteren hin und her gelegt wird, bis etwa
sechs Schichten übereinander liegen. Diese Longuetten lassen sich leicht
und schnell dem Körper gut adoptieren und werden dann wieder mit
Binden touren festgewickelt. Wichtig ist gutes Anmodellieren des
weichen Gipses an die Körperformen, besonders an das Becken, da
so erstens der nötige Halt gegeben wird, und zweitens jeder störende
Druck fortfällt. Besonders in der Kiefergegend kann ein Druck auf
den jugendlichen Knochen zu Atrophie des Kiefers führen. Ist der
Verband soweit fertig, wird er in weitgehendster Weise ausgeschnitten.
Wenn nicht, bestes Material und geübte Technik Zusammenwirken, werden
die Brücken, welche stehen bleiben, leicht brechen. Es ist aber jeder
Praktiker bei Innehaltung der gegebenen Direktiven imstande, seinem
Patienten gut und sicher mit solch einem Verbände zu helfen. In der
Bauch- und Brustgegend wird ein großes Fenster in den Verband ge¬
schnitten, um Atmung und Verdauung nicht zu stören, ebenso am
Kücken, in der Gegend des Gibbus, und dieses Rückenfenster wird zum
Einlegen von Wattestücken benutzt, die durch ihre Elastizität und
Druckkraft den Buckel eindrücken können. Die Arme stecken in dem
Verbände wie in einer Achselschlinge und können sich frei bewegen,
der Kopf ruht wie auf einem Teller auf. Wul 1 stein legt -len Verband
bis um die Stirn, die eine Art Gipsring trägt.
*) Calot, Die Behandlung: der tuberkulösen Wirbelentzündung. Übersetzt
von Ewald. F. Enke, Stuttgart 1907.
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Muskat,
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ln diesem Verbände können die Kranken ohne Gefahr und ohne
Schmerzen herumgehen, und unter ihm heilen die entzündlichen Prozesse
aus, ohne daß — natürlich nicht ohne Ausnahme — die schweren,
oben geschilderten Störungen sich dazugesellen.
Nach Verschwinden aller Entzündungserscheinungen kann man
von diesem festen Stützapparat zu einem abnehmbaren übergehen. Als
einfachster abnehmbarer Apparat käme eine aus Gips hergestellte Vor¬
richtung in Frage, welche genau so gearbeitet ist, wie der oben beschrie¬
bene Gipsverband, nur daß dieser aufschneidbar und mit Schnürungen
versehen ist. Leichter ist ein ähnlich gefertigtes Modell aus Leder
mit Stahlschienenverstärkung. Von Wullstein u. a. ist eine Teilung
des Verbandes und der Apparate empfohlen und durch mechanische
Vorrichtungen eine Annäherung der Endteile erstrebt worden, so daß
der Buckel einem dauernden Gegenzuge unterworfen wird. Die An¬
bringung eines Jurymastes (Notmastes) ist kosmetisch unschön und durch
die verbesserte Technik durch andere Hilfsmittel zu ersetzen. DeT
Jurymast besteht aus einem Rücken- und Kopfteil. Der erstere ist
gabelig gespalten und trägt gelochte Blech streifen, an welchen die
Gipsbinden festen Halt finden. Die aus weichem Eisen gefertigte Gabel
läuft in einen den Kopf überragenden Bogen, den Kopfteil, aus, welcher
einen Querbügel trägt, an dessen umgebogenen Enden die seitlichen
Riemen einer Glisson’schen Schlinge eingehängt werden. Die ganze
Vorrichtung wird in das Gipskorsett mit eingegipst oder auf das Leder¬
oder Stoffkorsett aufgenietet, und es kann dann durch Anspannen der
seitlichen Riemen des Halfters die Wirbelsäule von dem Gewichte
des Kopfes entlastet werden. Je stärker die Extension, desto stärker
ist auch gleichzeitig die Fixation des erkrankten Wirbelsäulenseg¬
mentes. Allzu fest darf man aber nicht extendieren, da der Patient
sonst nicht kauen kann. Hoffa empfiehlt einen nach der Kopfform
gearbeiteten Ring, der unterhalb der Protuberantia occipitalis externa
das Hinterhaupt umgreift, seinen vorderen Stützpunkt an den Kiefer¬
winkeln findet und durch einen einfachen Scharnier- und Federklapp¬
mechanismus geöffnet und geschlossen werden kann. An ihm sind auf
beiden Seiten je zwei, also im ganzen vier Stäbe angeschraubt, die der
Körperform genau entsprechend an dem Hals und Thorax herablaufen,
um in der Taillengegend zu endigen. Ihre unteren Enden tragen Knöpfe.
An diese Knöpfe wird das untere Ende je eines Gummistreifens ange¬
knöpft, dessen oberes Ende in einem Knopf angehängt wird, der sich
am vorderen und hinteren Ende der Achselkrücke des Stützkorsetts
befindet. Spannt man nun diese vier Gummibänder an, so haben sie
das Bestreben, den Kopfring und damit den Kopf selbst in die Höhe
zu drängen. So läßt sich auf die einfachste Weise eine stetige, elastische
und dabei wohl dosierbare Extension des Kopfes erzielen.
Das Stahlstoffkorsett ist außerordentlich wertvoll, besonders wenn
der Prozeß ausgeheilt ist und es sich nur darum handelt, eine allzu
starke Belastung der Wirbelsäule zu verhüten, um etwaigen neuen
Erkrankungen vorzubeugen. Das Wesentliche bei diesem Stütz¬
apparat ist der feste Halt, den der Rumpf durch die Stütze an den
Beckenknochen und den Schultern erhält. Auf die weitere Tech¬
nik dieser Apparate soll bei dem Kapitel „Skoliose“ näher einge-
gangen werden.
Der Versuch, durch Operation die erkrankte nicht mehr leistungs-
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Die Deformitäten der Wirbelsäule.
277
fähige Wirbelpartie auszuschalten, ist neuerdings von Lange 1 ) gemacht
worden. Er berichtet darüber folgendermaßen: „Wir haben versucht,
die Schienen, die wir bisher außen im Korsett anbrachten, mit der
Wirbelsäule selbst organisch zu verbinden und dadurch eine nachträg¬
liche Vergrößerung des Gibbus unmöglich zu machen. Zwei Stahl¬
drähte von 10—14 cm Länge und Bleistiftstärke werden oberhalb und
unterhalb des Gibbus unter die Faszie geschoben und rechts und links
von der Dornfortsatzlinie mit den processus spinosi durch sehr starke
Paraffinsublimatseide vernäht. Die Zahl der Operationen ist noch zu
klein und die Beobachtungsdauer (bei dem längst operierten Patienten
zwei Jahre) ist noch zu kurz, um ein endgültiges Urteil zu gestatten.
Doch eröffnen die bisherigen Resultate die Aussicht, daß es vielleicht
auf diesem Wege gelingt, den entzündlichen Prozeß bei einer Spondy¬
litis sauber auszuheilen und die nachträgliche, allmähliche Vergröße¬
rung des Gibbus sicherer auszuschließen, als das bei der bisherigen
Behandlung möglich war.“
Die Abszesse sollen, wenn möglich, nicht eröffnet werden, um
eine Mischinfektion zu vermeiden, zu welcher tuberkulöse Senkungs¬
abszesse besonders neigen. Calot gibt diesen Erfahrungen einen drasti¬
schen Ausdruck, wenn er sagt: „Aux tuberculoses fermees la guerison
certaine; ouvrir les tuberculoses (ou les laisser s’ouvrir) c’est ouvrir une
porte par laquelle le mort peut ent rer.“
Nur der Retropharyngealabszeß muß oft eröffnet werden.
Das Beste ist regelmäßige Punktion der Abszesse. Nach sorg¬
fältiger Desinfektion der Haut, die nach den neuesten Erfahrungen
leicht und schnell mit Jodpinselung erreicht wird, stößt man eine dicke
Kanüle in die Haut ein. Zweckmäßig verschiebt man dann die Haut
etwas und stößt die Nadel dann weiter in den Abszeß selbst ein. Durch
diese Verschiebung der Haut lassen sich oft die lästigen Fisteln ver¬
meiden, welche sich sonst im Anschluß an die häufig nötigen Punk¬
tionen bilden. Durch Ansatz einer gut ziehenden Spritze wird der
Inhalt des Abszesses herausgesaugt. Große Vorsicht ist in der Bezie¬
hung zu üben, daß nicht ein Gefäß angestochen wird. Bei der Punktion
entleert sich eine mehr oder weniger große Menge dickflüssigen, schmie¬
rigen Eiters, der häufig mit Gewebefetzen vermischt ist, welche die
Kanüle leicht verstopfen. Wenn auf diesen Umstand nicht geachtet wird,
kann es leicht Vorkommen, daß irrtümlicherweise die Meinung entsteht,
den ganzen Abszeß entleert zu haben, während tatsächlich derselbe noch
gefüllt ist. Die Menge des Eiters ist unabhängig* von der Größe des
tuberkulösen Herdes, da der herabsteigende Eiter die umliegenden Ge¬
webe mit einschmilzt und durch sie vermehrt wird.
Einspritzungen von Jodoformglyzerin dürften immer noch die
besten Heilresultate ergeben. Die Punktionen müssen durchschnittlich
alle drei bis vier Wochen wiederholt werden. Bildet sich eine Fistel,
kann dieselbe nach den Angaben von Beck“) durch Wismuthinjektion
bekämpft werden, doch führen Ätzungen mit Argentum u. a. m. auch
zum Ziele. Auch röntgenologisch lassen sich die Fistelgänge durch
Wismut sichtbar machen.
x ) Lange, Die Behandlung der Spondilitis. Jahreskurse für ärztliche Fort¬
bildung 1910. J. F. Lehmann, München.
*) Beck, Behandlung und Verhütung von Fistelgängen. Tübingen 1909,
Beiträge zur klin. Chir., Bd. 62, H. 2.
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278
Muskat, Die Deformitäten der Wirbelsäule.
Die Lähmungen sind im wesentlichen prophylaktisch zu behandeln;
die Wirbelsäule ist ruhig zu stellen und zu entlasten. Bei dauernder
Rückenlage oder im Verbände bilden sich dann oft selbst lange Zeit
bestehende Lähmungen wieder zurück. Solange eine erhöhte Reflex¬
erregbarkeit vorhanden ist, muß auch nach Schwinden der Lähmung
die Wirbelsäule durch Stützapparate dauernd gestützt werden.
Die operativen Eingriffe an der Wirbelsäule, welche in Eröffnung
des Rückenmarkkanals durch Wegnahme einzelner Dornfortsätze und
Bogen bestehen, haben die Hoffnungen, welche man auf diesen Eingriff
setzte, nicht erfüllt. Kommt die Lähmung durch prävertebrale Abszesse,
deren Vorhandensein durch Röntgendiagnose gesichert wird, zustande,
(in den prävertebralen Abszessen herrscht ein außerordentlich hoher
Druck) so ist bei lange bestehenden Lähmungen der Versuch gerecht¬
fertigt,, durch operativen Eingriff den Abszeß zu beseitigen.
Die Spondylarthritis tuberculosa, das Malum vertebrale sub-
occipitale, mal vertebral sous-occipital, befällt die Gelenke an den
beiden oberen Halswirbeln und kann unter Umständen zu schweren
Luxationen der Teile gegeneinander führen, z. B. zu Quetschung des
des Rückenmarkes durch Ablösung des Zahnes des Epistropheus.
Der Eiter nimmt seinen Weg entweder in den Wirbelkanal oder
nach den seitlichen Gegenden des Halses, wobei der Kopf schräg und
seitlich verdreht wird und zur Fehldiagnose einer rheumatischen Torti-
collis führen kann, oder der Eiter tritt als pharyngealer Abszeß in Er¬
scheinung.
Bei der Therapie, welche die oben dargelegten Wege inne zu halten
hat, kommt nach Ausheilung des entzündlichen Prozesses eine Hals¬
krawatte zur Verwendung, welche sich unten auf den Schult er gürtel
stützt und oben Hinterhaupt und Kinn umgreift. Besonders Lorenz
hat diese Form der Apparatbehandlung in vollendeter Weise ausgebaut.
Im Anschluß an Verletzungen sind Veränderungen in der Wirbel¬
säule beobachtet worden, welche denen bei Spondylitis gleichen. Die
Krankheit ist als Spondylitis traumatica bezeichnet worden.
Kümmell 1 ) hat als einer der ersten die Aufmerksamkeit auf diese
Erscheinungen gelenkt. Kurze Zeit nach einem erlittenen Unfall bilden
sich schmerzhafte Stellen und kyphotisehe Ausbiegungen an der Wirbel¬
säule aus. Der Gibbus ist meist nicht so spitzwinklig wie bei der
Tuberkulose. Die Prognose ist keine ungünstige, indem bei geeigneter
Behandlung durch Ruhestellung die Beschwerden schwinden.
Nach Wullstein 2 ) kommen folgende Formen der Spondylitis vor:
1. Spondylitis staphylo- und strcptomycotica,
2. Spondylitis typhosa s. infectiosa,
3. Spondylitis aetinomycotica,
4. Spondylitis gummosa,
5. Spondylitis und Spondylarthritis tabidorum,
6. Spondylitis und Spondylarthritis ankylopoötica:
a.) Spondylarthritis de Formans,
b) Spondylarthritis rheumatica,
*) Kümmell, Die rarefizierende Ostitis der Wirbelkörper. Verhandlungen
der Gesellschaft deutscher Naturforscher, Halle 1891. — Über traumatische W r irbcl-
entzündungen. Ärztl. Sachverst.-Ztg. 1896. — Über die traumatischen Erkrankungen
der Wirbelsäule. Deutsche med. Wochenschr., Nr. 11, 1895.
2 ) Wul Ist ein, Die Wirbelentzündungen. Handb. der orthopäd. Chirurgie
(Joachimsthal). F. Enke, Stuttgart.
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280
Referate und Besprechungen.
bei denen I. Rezidive nach der Adenotomie gesehen hat, zeigte wenigstens
Reste oder Andeutungen von Skrofulöse. Daraus erhellt, daß bei
skrofulösen Individuen die Adenotomie nur vorgenommen werden soll,
wenn die Indikationen so gewichtige sind, daß auch ein vorüber¬
gehender Erfolg schon den Eingriff rechtfertigen würde. Solche Fälle
sind: 1. fortwährend rezidivierende Mittelohrkatarrhe; 2. hochgradige
Störungen der Atmung und der ganzen Entwicklung, wenn sie durch
Adenoide bedingt sind; 3. hochgradige Konjunktivitis ekzematosa. Was
die Frage anbelangt, ob man nicht die antiskrofulöse Behandlung der
Adenotomie vorausschicken solle, steht Yortr. auf dem auch von Brieger
u. a. vertretenen Standpunkte, daß nämlich die antiskrofulöse Therapie
vor der Adenotomie nur wenig Erfolg hat, und insbesondere der Auf¬
enthalt an der See direkt schädlich wirkt; umso erfolgreicher ist dieser
aber als Nachkur nach vollzogener Adenotomie; ein Sommeraufenthalt
in Grado ist für solche Kinder sehr empfehlenswert. Die Pseudorezidive
hält I. zum Teile für dadurch bedingt, daß von der Adenotomie Erfolge
erwartet werden, die ihr nicht zukommen (Enuresis nocturna, Epilepsie,
Idiotie usw.), doch auch hier spielt die Skrofulöse eine gewisse Rolle.
Schließlich macht er auf die Notwendigkeit methodischer Atemübungen
nach der Adenotomie aufmerksam (Apparat von Gutzmann), und hält
in manchen Fällen auch die Kieferdehnung für angezeigt.
(Die Originalarbeit erscheint in der Zeitschrift für Larvngologie
und Rhinologie, Bd. 3.)
Über Elektrokardiogramme.
Von Privatdozent Dr. Edmund Hoke, Prag-Franzensbad.
(Vortrag, gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft Deutscher Ärzte in Prag
am 3. Februar 1911.)
Vergrößerung der Atriumschwankung ist für Atherom nicht patho-
gnomisch; Fehlen der P-Zacke findet sich beim Irregularis perpetuus.
Verstärkung der Initialschwankung und Herzhypertrophie stehen in
keinem direkten Zusammenhang. Eine negative Finalschwankung wurde
nur beim deutlich kranken Herzen gefunden. — Aus einer Kurve konnte
man auf einen Herd im rechten Schenkel des Reizleitungssystems schließen.
Verfasser hat in Franzensbad gegen 100 Aufnahmen gemacht.
Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
A. Bingel (Frankfurt a. M.-Braunschweig,), Über Salz- und Zuckerfieber.
(Archiv für exper. Path. u. Pharm., Bd. 64, S. 1, 1910.) Finkeistein hat
festgestellt, daß darmkranke Säuglinge nach Darreichung von Zucker¬
wasser, kochsalzhaltigen Mineralwässern und anderen salzhaltigen Lösungen,
häufig Temperatursteigerung aufweisen. Schaps, ein Schüler Finkel-
8tein J s, konnte zeigen, daß man bei Einführung unter die Haut von Säuglingen
durch blutisotonische Zucker- oder Salzlösung, ja selbst von physiologischer Koch¬
salzlösung eine charakteristische Temperaturerhöhung zu erzielen vermag,
die bald nach der Injektion einsetzt., nach 8—10 Stunden den Höhepunkt er¬
reicht und nach 24 Stunden zurückgegangen ist.
Bingel hat nun analoge Versuche am Erwachsenen vor genommen,
indem er unter allen Kautelen der Asepsis und Antisepsis die subkutanen
Einspritzungen ausführte.
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Referate und Besprechungen.
281
Die praktisch und theoretisch wichtigen Versuchsergebnisse seien in
Form von Tabellen wieder gegeben.
Es zeigten Temperaturerhöhung nach:
Physiologischer Traubenzucker- Milchzucker-
Kochsalzlösung lösung lösung
(83 Erwachsene) (25 Erwachsene) (31 Erwachsene)
bis 0° 15 Fälle = 18% 2 Fälle = 8% 1 Fall = 3%
0,1 . 0,4° 35 „ =41% 6 „ =24% 6 Fälle = 19%
0,5 r 0,9° 21 „ = 24%| w 15 „ = 60%1 12 „ = 39<>/o] ^
1,0 „ 1,4° 9 . «=11%}? 1 Fall = 4%}® 8 „ = 26%}*
1,5° u. darüber 3 „ = 4%J 5 " 1 , = 4%l° 4 , = 13%]°
Wurde zur Einspritzung eine modifizierte Ringer’che oder Locke’sche
Lösung (0,75% NaCl, 0,1—0,2% KCl, 0,2% CaCl 2 , 0,1% NaHC0 3 ) verwen¬
det, so traten viel seltener und viel geringere Temperatursteigerungen ein.
Es zeigten Temperatursteigerung nach einer solchen entgifteten Kochsalzlösung:
(28 Erwachsene)
bis 0°
5
Fälle
= 18%
0,1
. 0,4»
19
TI
= 68%
0,5
. 0,9»
4
T!
= 14%
1,0
, 1,4°
0
T»
= 0%
1,5'
“ u. darüber
0
TI
= 0%.
Als Ursachen dieser Temperatursteigerung können Bakterien wirk ungen
nicht in Frage kommen. Traumatische Gewebsläsionen infolge der Injektion
Und Resorption zertrümmerter Zellen (analog dem aseptischen Operations¬
fieber, Fermentfieber oder Fieber bei Resorption von Blutergüssen) als Ursache
heranzuziehen, hat manches für sich; eine befriedigende Erklärung kann aber
noch nicht gegeben werden.
Die festgestellte geringe Schädlichkeit der Einspritzung der ge¬
nannten Lösungen wird aber von dem therapeutischen Nutzen über¬
wogen, so daß unser ärztliches Handeln durch diese Feststellungen nicht
beeinflußt wird. E. Rost (Berlin).
A. Schmincke (München) und F. Flury (Würzburg), Über das Verhalten
der Erythrozyten bei chronischer Ölsäurevergiftung. (Archiv für exper. Path.
u. Pharm.. Bd. 64, S. 126, 1910.) Nach Faust und Tallquist ist die Ursache
der durch Bothriocephalus latus bedingten Anämie die in Form des
Cholestearinesters im Wurmkörper vorkommende Ölsäure, die abgespalien
als solche oder in Form der Natriumseife resorbiert wird und im Blut Hämolyse
macht. Der schließliche Zerfall der veränderten Blutkörperchen erfolgt dann
wahrscheinlich in der Milz. Faust und Schmincke gelang es, durch
längere Zeit fortgesetzte Gaben von Ölsäure vom Magen und vom Unterbaut¬
zellgewebe aus an Hunden und Kaninchen anämische Zustände zu erzeugen;
der Hb-Gehalt nahm konstant ab, die Zahl der roten Blutkörperchen schwankte
beträchtlich und erfuhr teilweise eine Verminderung.
Verf. fanden nun in Faust’s Laboratorium, daß die Erythrozyten eines
solchen mit Ölsäure chronisch gefütterten Hundes erhiöhte spezifisch»
Resistenz gegen die Hämolyse durch Ölsäure aufwiesen; von anderen
hämolytischen Stoffen als der Ölsäure wurden die Blutkörperchen aber ange¬
griffen. Außerdem fand sich ein erhöhter Gehalt derselben an Lipoidstoffen,
die als ein Gemisch von gesättigten und ungesättigten, an Cholestearin ge¬
bundenen Fettsäuren aufzufassen sind.
,,Die sicher festgestellte Tatsache, daß eine Resistenzerhöhung der
Erythrozyten gegenüber einem hämolytischen Gift von bekannter
chemischer Konstitution im lebenden Organismus zustande kommt,
scheint den Verf. von großem wissenschaftlichen und allgemein biologischen
Interesse und vielleicht auch von praktischer Bedeutung.“ Mit dieser Resistenz¬
erhöh ung würde sich erklären lassen, daß es bisher nur gelang, die Vermin¬
derung des Hb und der Blutkörperchenzahl bis auf eine gewisse niedrige
Grenze herabzudrücken. Bei der Bothriozephalusanämie müßten also poch
weitere Agentien als die Ölsäure wirken; in letzter Linie scheint diese Anämie
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Referate und Besprechungen.
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auf eine Anomalie des Stoffwechsels zurückzuführen zu sein. Der Organismus
schafft hier ebensowenig wie bei der Gewöhnung an Morphin neue Faktoren;
er vermag vielmehr nur die normal wirksamen Vorgänge und Reaktionen zu steigern.
E. Rost (Berlin).
Bakteriologie und Serologie.
H. Risel (Leipzig), Der therapeutische Wert der Heilsera. (Ther.
Monatsh., Nr. 1, 1911.) Diphtherieepidemien, wie sie früher in Kranken¬
häusern so gefürchtet waren, sind heute etwas Unbekanntes. Erkrankt, ein
Kind an klinischer Diphtherie und finden sich in Nase und Rachen der Nach¬
barn Diphtheriebazillen, so erkranken diese Kinder bei Anwendung prophy¬
laktischer Seruminjektionen doch nicht mehr mit klinischen Krankheits¬
symptomen, die über vermehrte Sekretion hinausgehen. Selbst bei Kindern,
die so zu äußerst progredienten Diphtherieinfektionen neigen, wie cs Masern¬
kranke tun, lassen sich Hausinfektionen mit großer Sicherheit vermeiden.
In weitem Maße schützen auch prophylaktische Injektionen gegen Tetanus.
Auch dem Pestserum kommt im wesentlichen ein prophylaktischer Wert zu.
Streptokokkenserum wird prophylaktisch gegen Puerperalinfektionen ange¬
wandt, ebenso ist sein Gebrauch bei Skarlatina ein gegen Komplikationen vor¬
beugender. Es ist wahrscheinlich, daß die prophylaktische Verwertung der
Sera erfolgreich erweitert werden könnte, wenn bei unklaren fieberhaften
Fällen häufiger versucht würde, durch Blutaussaat eine Bakteriämie fest¬
zustellen ünd hierdurch die Erkrankungen rechtzeitig spezifisch behandelt
werden könnten. Da die Antikörper wieder ausgeschieden werden, so kann
die passive Immunisierung nur immer einen temporären Schutz gegen
Ansteckung gewähren, niemals aber wie die aktive dauernde Widerstands¬
kraft verleihen. Die prophylaktischen Injektionen bei Diphtherie schützen
uns etwa 3 Wochen. Wegen der verschiedenen Wirkungsart der Infektions¬
krankheiten ist es aber notwendig, auch die gegen sie gebrauchten Sera in
ihrer Anwendungsweise zu modifizieren, soll durch sie ein Erfolg erzielt
werden. Es muß angenommen werden, daß Serum, per os oder rektal -ge¬
geben, nur wenig zur (Wirkung kommt. Die Verdauungsfermente zerstören
die Eiweißkörper, an denen die Immunstoffe haften, oder es kommt vom
Darmkanal nur ein sehr kleiner Teil zur Resorption. Doch ist diese Methode
bei Tuberkulose als wirksam gefunden worden und wird von den anderen
bevorzugt. S. Leo.
R. Franz (Graz), Über Viru lenzbest immung der Streptokokken mittels
Lezithinbouillon. (Monatschrift für Geburtshilfe u. Gynäk., Bd. 32, S. 287.)
Nachprüfung des Fromme’schen Lezithin Verfahrens zur Unterscheidung der
virulenten von den avirulenten Streptokokken an der Hand von 23 Fällen.
In Übereinstimmung mit. anderen Nachüntersuehern kommt F. zu dem Schlüsse,
daß bei diesem Verfahren Waehstumsunterschiede zwischen den einzelnen
Streptokokkenstämmen bestehen, daß aber .Virulenz und klinischer Verlauf
der Erkrankung keineswegs im Einklang stehen. Ferner ergeben mehrmalige
Abimpfungen ein und desselben Falles verschiedene Virulenzgrade. Ja
zwischen Kolonien zahl und Lezithingehalt des Nährbodens besteht keine Ge¬
setzmäßigkeit. Wir müssen also den Fromme sehen Versuch für gescheitert
ansehen. Frankenstein (Köln).
Wilhelm Lange und Kurt Poppe (Berlin), Über den Einfluß des
Stickstoffs auf die Haltbarkeit des Fleisches, nebst Beiträgen zur Bakterio¬
logie der Fleischfäulnis. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 33, H. 1.)
In einer Stickstoffatmosphäre bleibt Fleisch nicht länger haltbar wie an ge¬
wöhnlicher Luft. Bei der Fäulnis in Stickstoffluft bleibt die Bildung von
Ammoniak aus. Erreger wurden vom Verfasser bei der Fleischfäulnis nicht
gefunden im Gegensatz zu den Untersuchungen von Bienstock.
Schürmann.
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Referate und Besprechungen.
283
Innere Medizin.
L. Sofer (Wien), Neue Pellagraforschungen. (Die Heilkunde, Nov. 1910.)
Daß der Maisgenuß in Beziehung zu der Pellagra steht, ist offenkundig.
Kur über die Art und Weise der Beziehung war man sich nicht Idar. Rau-
bitschek stellte zunächst fest, daß kein Mikroorganismus Maismehl oder
das Maiskorn in einer Richtung derart verändern könnte, daß daraus ein
toxisches Produkt entstünde. Bei Patienten, die an den Folgen eines pella-
grösen Marasmus verstorben waren, ergaben die bakteriologischen Unter¬
suchungen ebenfalls ein negatives Resultat. Damit wären die Hypothesen
der italienischen Schule erledigt. Gleichzeitig hatte Hausmann Unter¬
suchungen über den Einfluß des Lichtes auf das Blut angestellt. Die Pellagra
gehört ebenso wie der Fagopyrisinus (das Auftreten pathologischer Verände¬
rungen an weißen und gefleckten Tieren, die mit Buchweizen gefüttert und
zugleich dem Sonnenlichte ausgesetzt wurden) zu jenen Krankheiten, bei
deren Zustandekommen auch Einwirkungen des Lichtes nötig zu sein scheinen.
Es wird seit der Entdeckung der photobiologischen Sensibilisatoren durch:
Tappeiner angenommen, daß solche Substanzen beim Zustandekommen der
Pellagra eine Rolle spielen. Es ist möglich, daß ein Sensibilisator mit der
Nahrung dem Körper von außen zugeführt wird und dann seine Wirkung
entfaltet. Wahrscheinlich gehören die Pellagra und Fagopyrisimus hierher
(exogene Sensibilisation). Es könnten ferner im Organismus selbst Sensibili¬
satoren entstehen (endogene Sensibilisation). Wahrscheinlich spielen beide
Paktoren bei der Pellagra eine Rolle. Endlich ist es möglich, daß unter dem
Einflüsse der Sensibilisatoren Toxine gebildet werden. Rau bitschek hat
nun an mjehreren 100 weißen und gefärbten Mäusen Experimente angestellt.
Es zeigte sich nun, daß die Tiere, die im Dunkeln gehalten werden, sämtliche
Kostarten ohne Schaden vertragen, daß aber sämtliche weiße Mäuse, die nur
Mais oder Reis erhielten und dem Lichte ausgesetzt wurden, unter Abmagerung
und taumelnden Bewegungen zugrunde gingen. Tiere, die bereits unter dem
Einflüsse der Nahrung und des Sonnenlichtes erkrankt, waren, erholten sich,
ins Dunkle gebracht, ohne Kostveränderung ziemlich rasch. Raubitschek
folgert also, daß die Ernährung mit Mais von guter oder schlechter Qualität
an sich nicht pellagrogen wirkt, daß aber unter dem Einflüsse des Lichtes
bei vorwiegender Maisnahrung wahrscheinlich aus den alkohollöslichen Be¬
standteilen des Kornes ein Gift entsteht. S. Leo.
Chirurgie.
A. Stieda, (Halle a/S.), Zur operativen Behandlung des Ulcus cruris
varicosum. (Reichs-Med.-Anz., Nr. 26, 1910.) St. weist insbesonders auf
das Verfahren Friedel-Rindfleisch hin, bei welchem mittels eines mehr¬
fach den Unterschenkel umkreisenden Spiralenschnittes eine sehr ausgiebig©
Verödung der Hautvenen erzielt wurde, und damit eine dauernde Heilung selbst
bei sehr lange schon bestehenden und jeder anderen Therapie bisher trotzenden
Geschwüren erzielt wurde. Die Spirale muß so angelegt sein, daß die Ge¬
schwüre innerhalb derselben zu liegen kommen. Die zwischen zwei Touren
einer Spirale liegenden Unterschenkelgeschwtire können noch durch zur Spirale
senkrechte Schnitte eingegrenzt und so von jeder seitlichen Blutzufuhr abge¬
schnitten werden. Da der Druck in den Varizen des Unterschenkels, durch
die Bluteäule in den Venenerweiterungen selbst bedingt, um so geringer wird,
je öfter die Blutsäule durch Unterbindung und Verlegung unterbrochen wird,
wird der Blut- uu-d Gefäß wanddruck bei dieser Umkreisung des Beines
(bes. bei mehreren dicht nebeneinander liegenden Spiralen) in den Haupt¬
venen nahezu aufgehoben und dadurch eine Heilung der Varizen sowohl wie
der Unterschenkelgeschwüre ermöglicht. S. Leo.
A. Brüning (Gießen), Das Empyem der Gallenblase. (Reichs-Med>
Anz., Nr. 1, 1911.) Vielfach begegnet man den Anschauungen, daß jedes
Gallenblasenerapyem mit Fieber verbunden sein müsse. Dies trifft nach B.
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Referate und Besprechungen.
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durchaus nicht zu; bei weitem die Mehrzahl der Fälle ist fieberfrei. Da
allerdings jeder Kolikanfall zu einer leichten Temperatursteigerung führen
kann, so finden wir auch beim chronischen Empyem vorübergehend Tempera-
’turen bis 38° C. Es gehört aber zu den Ausnahmen und erweckt immer
den Verdacht, daß eine eitrige Cholangitis vorliegt, wenn diese Temperatur¬
steigerung länger bestehen bleibt. Beim akuten Empyem, und zwar speziell
bei jenem, das sich in steinlosen Blasen entwickelt oder in Blasen mit Chole-
stearinstein, tritt schon häufiger unter mehrfachen Schüttelfrösten hohes Fieber
auf. Die Infektion eines Hydrops geht dagegen gewöhnlich ohne Fieber
vor sich. Ikterus kann beim Empyem der -Gallenblase auftreten, ohne daß
gleichzeitig ein lithogener Choledochusverschluß vorliegt. Die Störung des
Allgemeinbefindens pflegt anfangs bei chronischen Fällen nicht bedeutend
zu sein, im Laufe der Zeit werden aber die Kranken in ihrer Ernährung sehr
beeinträchtigt. In den akuten Fällen machen die Pat. einen sehr kranken
Eindruck. Die blasse Gesichtsfarbe, der apathische Zustand, die schweiß-
bedecktc Stirn und die hohen Pulszahlen weisen auf die Gefahr hin. Der
Abgang von Stuhl und Winde kann hier einige Zeit vollständig stocken, so daß
häufig der Verdacht auf Ileus ausgesprochen ist. Von lokalen Symptomen
teteht in erster Linie die Schmerzhaftigkeit, die beim akuten Empyem überaus
heftig ist und bei weitem das von früheren Koliken her bekannte Maß über¬
schreitet.. Der Schmerz beschränkt sich dabei nicht auf die Gallenblasengegend,
sondern er kann in Fällen drohender Perforation die ganze rechte Bauchseite
und die Magengrube mit umfassen. Daneben wird noch über die von der
Cholezystitis her bekannten Rückenschmerzen und die Stiche zwischen den
Schulterblättern geklagt. In chronischen Fällen ist der Schmerz erträglich.
Pathognomonisch für Empyeme ist das beständige Vorhandensein des Schmerzes,
das Fehlen jeglichen freien Intervalles, wie es die typische Cholezystitis aus¬
zeichnet. S. Leo.
Schule, (Freiburg i/B.), Zur Behandlung des Furunkels. (Therapeut.
Monatsh., Nr. 1, 1911.) Sch. hat auf seiner Abteilung nicht selten Furunkulose
bei Bettlägerigen zu behandeln, leidet auch selbst an dieser Krankheit am
Anus und hat keine der gut empfohlenen Heilmethoden anzuwenden unter¬
lassen. Der Effekt der Hefebehandlung war bei Sch. ein negativer. Mehr
Erfolg brachte die Opsoninbehandlung. Nach 1 .Jahr trat ein Rezidiv
ein, das trotz einer zweiten Opsoninbehandlung nicht abheilte. Erfolglos
blieb die prophylaktische Applikation einer Zinkschwefelichthyolpaste, ebenso
wie Quecksilbermull und die Bier’sche Stauung. Dagegen erzielte Sch. mit
der von Unna empfohlenen zentralen Kauterisierung mit dem Mikrobrenner
Erfolge. Seit der Anwendung dieses Unnaschen Verfahrens kam kein einziger
Furunkel bei Sch. zur Ausbildung; es gelang jedesmal die Entzündung im
Entstehen zu kupieren. Sch. anästhesiert den Furunkel mit einer 3°/ 0 igcn
Novokainlösung, indem zuerst eine Quaddel gebildet wird, dann sticht er
bis zu etwa 8 mm Tiefe (an der Analgegend) in das Zentrum langsam ein
und injiziert im ganzen 1 ccm. Danach wird mit einem dünnen Platinbrenner
(Paquelin oder elektrisch) das Zentrum durch die ganze Kutis durch nus¬
gebrannt. Nachdem der Brennschmerz 'aufgehört hat (die Nachschmerzen dauern
ca. 1 / 2 Stunde), fühlt man deutlich, wie das vorher sehr lästige Entzündungs¬
gefühl nachläßt und einem ganz leichten Brennen Platz macht. Die Röte ist
nach ca. 12 Stunden schon bedeutend geringer geworden, der ganze Prozeß
ist im Ausheilen. Vor dem Schneiden hat die Kauterisation den Vorteil,
daß keine Blutbahnen eröffnet werden, und also eine Weiterverbreitung des
Virus ausgeschlossen ist. S. Leo.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
P. Zweifel (Leipzig), Bolus alba als Träger der Infektion. (Münchn.
med. Wochenschr., S. 1787.) Bolus alba wurde in der Leipziger Frauen¬
klinik zum Bestreuen der Nabelwunde Neugeborener gebraucht mit dem Er¬
folge, daß keine Nabelentzündung oder Nabeleiterung mehr beobachtet wurde.
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Im Jahre 1908 wurde aber eine Epidemie von 4 Tetanusfallen Neugeborener
beobachtet, die mit absoluter Sicherheit durch das Nabelstreupulver hervor-
gerufen worden war. Z. fordert demnach, daß der weiße Ton vor dem
Gebrauch sicher sterilisiert werden muß und zwar durch trockene Erhitzung
auf 170—200° während mehrerer Stunden. Er benutzt zur Kontrolle ein
Gläschen mit einer Metallstreifenlegierung, die bei 160° schmilzt.
Frajikenstein (Köln).
P. Mathes (Graz), Über Blutgerinnungszeit in der Schwangerschaft.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 1882, 1910.) Die Tatsache, daß bei Leichen
von Eklamptischen das anatomische Bild von dem Vorhandensein multipler
Thrombosen beherrscht wird, hat schon mehrfache Arbeiten über die Ge-
rinnungszeit des Blutes Schwangerer hervorgerufen, seitdem wir nach den
Angaben Bürker’s eine brauchbare Methode für die Feststellung der Ge-
rinnungszeit des Blutes besitzen. M. stellte an 100 Schwangeren, 10 Nicht -
schwangeren und 10 Wöchnerinnen fest, daß die Blutgerinnungszeit bei
Nichtschwangeren die höchsten Werte aufweist. Die Werte der Schwangeren
sind demgegenüber in 53% kleiner gewesen, ohne daß sich Anhaltspunkte
für die Ursache dieser Tatsachen finden ließen. Im Wochenbett zeigten 7 Frauen
längere Blutgerinnungszeit als wie in der Schwangerschaft.
Frankenstein (Köln).
H. Schottmüller (Hamburg), Zur Pathogenese des septischen Abortes.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 1817, 1910.) Um die Flora des septischen
Abortes zu studieren, untersuchte Sch. 145 derartige Fälle. Bei 45 Fällen
verlief die bakteriologische Untersuchung ergebnislos. In den übrigen 100
Fällen fand er häufig Mischinfektionen, von denen die Kombination von
Staphylococc. aureus und Bacillus phlegm. emphysem. besonders deletär er¬
schien. Von Streptokokken fand er sechsmal Erysipelstreptokokken fhämo-
lytisch), achtmal Streptococc. vaginalis, einmal Streptococc. viridans; nur
zwei Infektionen mit hämolytischen Streptokokken verliefen letal.
Die putriden Aborte werden am meisten durch Bakterium coli und den
anaeroben Streptococcus putridus erregt; doch ist die Annahme falsch, daß
es sich in diesen Fällen lediglich um Intoxikationen handele. Vielmehr ge¬
lang es Sch., diese Erreger im Blute nachzuweisen, und zwar sowohl vor als
nach der Abortausräumung. Demnach ist es bewiesen, daß es sich in diesen
Fällen keineswegs um eine reine Toxämie handele. Diese Tatsache zeigt
auch, wie willkürlich die Unterscheidung von Eigenkeimen und pathogenen
Keimen ist; auch die bisher als Saprophyten angesehenen Keime können ins
Blut eindringen und eine richtige Bakteriämie mit allen Folgeerscheinungen
hervorrufen.
Klinisch zeigt sich die Bakteriämie durch deutlich palpablen Milztumor
an. Die mikroskopische Untersuchung des Zervixsekretes und des Blutes ist
für die Prognosenstellung von eminentem Werte. Frankenstein (Köln).
N. J. Sjablow und A. Th. Musalew (Serpuchow, Rußl.), Behandlung
der Köpfchenkreuzung bei gleichzeitiger Einstellung von Zwillingen ixn
Becken: die eine Frucht mit dem Kopf, die andere mit dem Beckenende.
(Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 51 u. 52, 1910.) Die Verfasser, die obige außer¬
ordentlich seltene Anomalie gemeinsam beobachteten, beschreiben den betreffen¬
den Fall ausführlich und gelangen unter Anführung der einschlägigen Literatur
2 m folgenden Schlüssen:
I. Man muß zunächst den Versuch machen, die Kopflage zu korrigieren
durch Zurückdrängen des tieferliegenden Kopfs der 2. Frucht.
2. Mißlingt dieser Versuch und tut Eile not, so kann man versuchen,
den nachfolgenden Kopf der 1. Frucht zu perforieren, sonst aber zu dekapitieren
und an den Kopf der 2. die Zange an zulegen. G eschieht das letztere ohne
vorhergegangene Perforation oder Dekapitation, so kann man die Mutter
schwer verletzen, ohne die 2. Frucht am Leben zu erhalten.
3. Unter keinen Umständen darf man unter diesen Verhältnissen den
Kopf der 2. Frucht perforieren, wenn dieselbe noch am Leben ist.
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Referate und Besprechungen.
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4. Sind beide Kinder tot, so kann m^n die 2. Frucht perforieren und
extrahieren und dann auch die 1. entfernen. Sollte ersteres aber Schwierig¬
keiten machen, so kann plan die 1. Frucht dekapitieren; die 2. perforieren
und extrahieren. So vereinfacht man die Operation, ohne etwas zu verlieren
bei geringster Gefahr für die Mutter. Esch.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Gigon (Basel), Beiträge zur Kenntnis des Scharlachs. (Jahrb. für
Kinderheilk., Dez. 1910.) Verfasser sammelte seine Beobachtungen gelegent¬
lich einer Scharlachendemie in Basel 1907/1908 an der dortigen medizinischen,
Klinik. 453 Scharlachkranke, Erwachsene und Kinder, hat er studiert. 1,77%
Todesfälle sah er. Auffallend häufig (12 mal) trat die Krankheit nach Ver¬
brennungen auf. Die Ansteckungsgefahr ist eine sehr lange. Trotz aller
Vorsichtsmaßregeln waren eine Anzahl Scharlachrekonvaleszenten nach der
10. Woche noch ansteckungsfähig.
Schick’s Angaben einer Dispositionsperiode in der 3. Woche für Lymph¬
adenitis, Nephritis, postskarlatinöses Fieber werden bestätigt; Otitiden und
Gelenkrheumatismus treten hauptsächlich in der 1—2. Woche auf.
Varicellen im Anschluß an Scharlach verliefen auffallend schwer. Schar-
lachrheumatismus fand sich beinahe ausschließlich bei Erwachsenen (was wohl
mehr Zufall ist, Btef.). A. W. Bruck.
Szontagh (Budapest), Zur Frage der Scharlachinununität. (Jahrb. für
Kinderheilk., Dez. 1910.) Szontagh betont zunächst, daß er die Lehre,
nach der das Überstehen des Scharlachfiebers dem Organismus Immunität
zu verleihen imstande wäre, keineswegs als erwiesene, im Gegenteil als voll¬
kommen falsche bezeichne.
Die Arbeit ist eine Polemik gegen die bisherige, weitverbreitete Auf¬
fassung von der Ätiologie des Scharlachfiebers und sucht dies an Beispielen
zu erhärten. ;
Die Tatsache, daß Überstehen des Scharlachs nicht in allen Fällen
Immunität verleiht, und daß Wiederholung gar nicht so selten vorkomint.
wie allgemein geglaubt wird, ist dem nicht von Dogmen beherrschten Praktiker
längst bekannt, weil er Gelegenheit hat, das öfter zu beobachten. (Referent.)
A. W. Bruck.
K. Kaspar (Nürnberg), Die Möller'Barlow’sche Krankheit. (Die Heil¬
kunde, Novemberheft, 1910.) Jahrelang war am Nürnberger Kinderspital
kein Fall von Barlow’scher Krankheit beobachtet worden; auf einmal kamen
drei Fälle. Eine Milchanstalt, die Säuglingsmilch vertrieb, sterilisierte diese
20—25 Sek. bei 100°; mit dieser Milch waren auch die drei kranken Säuglinge
ausschließlich monatelang ernährt worden. Für die Diagnose ist die mikro¬
skopische Untersuchung des Harns auf Blut sehr wuchtig. Stehen Schmerz¬
haftigkeit und Schwellung der Epiphysen im Vordergrund, so soll man sich
nicht mit dem lokalen Befund begnügen, sondern das ganze Kind ins Auge
fassen. Denn gerade in solchen Fällen gibt die Fehldiagnose auf (Osteo¬
myelitis, Periostitis Veranlassung zu erfolglosen operativen Eingriffen, während
die Krankheit sich weiter verschlimmert. Lues macht an den Epiphysen der
Röhrenknochen ähnliche Erscheinungen. Am leichtesten dürfte die Verwechs¬
lung mit Rachitis Vorkommen. Hier sind es die zunehmende Anämie, Häjnor-
rhagie oder Hämaturie, die für den kindlichen Skorbut sprechen, besonders
wenn eine fehlerhafte Ernährung vorliegt. Die Therapie ist eine kausale und
trotz ihrer Einfachheit von überraschender Wirkung. Sie muß in der anti¬
skorbutischen Diätänderung bestehen. Nährpräparate, sterilisierte Kuhmilch
müssen ausgeschaltet und durch frische ungekochte Nahrungsmittel ersetzt
werden. Eine einwandfrei gewonnene und auf Eis aufbewahrte Kuhmilch
w T ird roh verabreicht und dazu täglich 1 Eßlöffel frisch ausgepreßten Fleiscli-
saftes und ebenso frisch ausgepreßten Obstsaftes von Orangen oder Trauben
in beliebiger Verdünnung angegeben. In manchen Fällen w T ird man Schwierig-
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Bücherschau.
287
keiten dadurch haben, daß schwache Kinder von dieser Diätänderung Durch¬
fälle bekommen. Dann ist es nötig, vorübergehend mit der rohen Kuhmilch
allein zu arbeiten und sie durch Abrahmen verdaulicher zu gestalten. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
M. Herz (Wien), Genußmittel als Heilmittel bei Herzkrankheiten.
(Med. Klinik, Nr. 22, 1910.) In der Behandlung der Herzkranken macht
Herz auch von den bekannten Genußmitteln Alkohol, Kaffee, (Tee) und
Tabak Gebrauch, und verwendet speziell den Alkohol nicht nur als Ana-
leptikum, sondern nur als Diätetikum (als Zusatz zur Milch) und ferner
als Schlaf- und seelisches Beruhigungsmittel zur Bekämpfung der bei Herz¬
kranken und Kranken überhaupt oft vorhandenen psychischen Verstimmung.
Man entgehe durch Heranziehung dieser einfachen Mittel einer manchmal
lästigen Häufung von Medikamenten und es würden dem Organismus Stoffe
zugeführt, für deren Aufnahme von vornherein eine instinktive Neigung be¬
stände, deren Wirkungen genau (? Ref.) bekannt sind und deren Gebrauch er¬
fahrungsgemäß durch Jahrzehnte ohne Schaden fortgesetzt werden könne
..und die schließlich für den Kranken noch viel mehr als für den Gesunden
dadurch von unschätzbarem Werte sind, daß sie ihm in das Grau des All¬
tagslebens einen, wenn auch noch so blassen Strahl jener Sonne werfen, auf
die all unser Sehnen gerichtet ist, des Glückes“. R. Stüve (Osnabrück).
E. Meyer (Straßburg), Beitrag zur Wirkungsweise einiger gebräuch¬
licher Diuretika. (Ther. Monatsh., Januar 1911.) O. Loewi hat die
Stoffe der Purinreihe als gefäßerweiternde Mittel auch bei Nephritiden
empfohlen. M. kann hierzu durchaus nicht raten; die zahlreichen Mißerfolge,
die man namentlich dem Theophyllin zugerechnet hat, beruhen, von einigen
Idiosynkrasien abgesehen, auf solcher Anwendungsart dieser Körper; das
Theophyllin ist aber bei Stauungsniere angezeigt. Hier ist namentlich das Theo-
cinum natrio-acetic. gerade das souveräne Mittel. Zur Bekämpfung von
.Stauungszuständen und Ödemen kombinieren wir Digitalis mit Theophyllin.
S. Leo.
E. Wendt (Zschadraß), Einige Versuche mit Veronainatrium im Ver¬
gleich zu der Wirkung von Methylsulfonal und Sulfonal bei erregten Geistes¬
kranken. (Ther. Monatsh., Nov. 1910.) Der aus der leichten Löslichkeit
des Veronalnatriums resultierende schnelle Eintritt der Wirkung ist ein Vorzug.
In einem Wachsaalc mit einer größeren Anzahl von Kranken ist es von.
großem Nutzen, denn viele Kranke schlafen frühzeitig ein, und wenn die
zur Störung neigenden Elemente möglichst bald mit zur Ruhe gebracht werden
können, pflegt die ganze Nacht ruhig zu verlaufen. Bei größeren Dosen
der verschiedenen Mittel verwischen sich die Unterschiede. In bezug auf die
Dauer und die Intensität kommt das Veronaliiatrium dem Sulfonal gleich,
das Methylsulfonal bleibt hinter dem Sulfonal zurück. Bei rüstigen, körper¬
lich vollkräftigen Halluzinanten, Paranoikern ist Sulfonal indiziert; das
Veronalnatrium ist angezeigt in den Fällen, wo eine relative Entkräftung
besteht oder durch hinzukommendes Siechtum bedingt ist, also bei Paralysen
und senilen Erkrankungen. Das Gesamtbild der Psychosen erleidet durch
Veronalnatrium ebensowenig eine Änderung wie durch Sulfonal und Methyl¬
sulfonal. S. Leo.
Bücherschau.
Heinr. Sachs (Breslau), Bau und Tätigkeit des menschlichen Körpers. 3. AuH.
Leipzig 1910. Verlag von B. G. Teubner. 150 S. 37 Abb. geh. 1,25 Mk.
Verf- sucht in leichtverständlicher, durch viele Vergleiche erläuternder Weise
den Laien mit den Grundzügec der Physiologie des Menschen bekannt zu machen
und bietet so eine ausgezeichnete Ergänzung zu den fünf Bardeleben’schen Bänden
der gleichen Sammlung über „Die Anatomie des Menschen“. Werner Wolff (Leipzig).
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288
Bücherschau.
F. Ahlfeld (Marburg), Nachgeburtsbehandlung und Kindbettfieber. Erinnerungen
und Erlebnisse aus dem Trierschen Institut. (Sammlung klin. Vortrage Nr. 214 .
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambros Barth. 25 S. 75 Pfg.
Interessant geschriebener historischer Beitrag zur diesjährigen Zentenarfeier
der Universitäts-Frauenklinik zu Leipzig. Werner Wolff (Leipzig;.
H. Rohleder, Die Zeugung beim Menschen. Eine sexualpsychologische Studie
aus der Praxis. Mit Anhang: Die künstliche Zeugung (Befruchtung) beim Menschen.
Leipzig 1911. Verlag von G. Thieme. 290 Seiten. 7 Mk.
Verf. will mit seinem Werke die für die Praxis so wichtigen Vorgänge bei
der menschlichen Zeugung und ihre Folgen klarlegen, die in den Lehrbüchern der
Physiologie gar nicht oder kaum, höchstens in denen der Embryologie kurz ge¬
streift werden. Es behandelt hierin zunächst die Zeugung im allgemeinen und ihre
Gesetze, dann die Zeugung im speziellen. Nach Erledigung der anatomischen und
physiologischen Fragen wird die physiologische Kohabitation, die Befruchtung
und deren Vorgang, die Überfruchtung, die Erblichkeit, die Geschlechtsbestiinmung
beim Menschen, deren Kritik namentlich recht interessant ist, die Inzucht und die
Zucht besprochen. Es folgt dann die Pathologie der Zeugung durch krankhafte
Keimzellen, und die pathologische Vererbung durch abnorme Befruchtungsvorgänge
bei gesunden Keimzellen. Recht interessant ist der Anhang: Die künstliche Zeu¬
gung beim Menschen. Nach Behandlung der Sterilität und der Geschichte wird
die künstliche Befruchtung bei Tieren und beim Menschen ventiliert, und danu
letztere vom medizinischen Standpunkte aus betrachtet. Es wird die physiologische
Grundlage, Indikationen, Kontraindikationen, Technik und Ausführung der Opera¬
tion, die selbsttätigen Befruchtungsinstrumente, der Zeitpunkt dieser Befruchtung
in Beziehung zur Ehe, Prognose und Stellung des Arztes dazu dargelegt, ferner die
Berechtigung des Arztes zur künstlichen Befruchtung bei Verweigerung einer die
Sterilität beseitigenden Operation, endlich die Vornahme derselben mit fremdem
Sperma. Endlich wird die Frage vom juristischen Standtpunkt aus ventiliert: ist
die künstliche Befruchtung eine rechtmäßige Handlung? ist ein so erzeugtes Kind
legitim? Recht interessant sind dabei namentlich die verschiedenen gerichtlichen
Urteile. Zum Schlüsse kommt die ärztliche Sachverständigentätigkeit in solchen
Fällen. — Ein Buch das vielen ihnen bisher dunkle Gebiete aufhellt.
v. Schnizer (Höxter).
Theodor Hausmann (Orel), Die methodische Intestinalpalpation. Berlin 1910. Ver¬
lag von S. Karger. 152 Seiten.
Die dermalige Wissenschaft hat sich so sehr in die Laboratorien zurück¬
gezogen, daß der Arzt, der im realen Leben steht, damit oft nicht viel anfangen
kann. Hier haben wir nun einmal ein Buch, das m. E. für den täglichen Gebrauch
von der größten Bedeutung ist. Offenbar besteht ja ein Gegensatz zwischen der
minutiösen Untersuchung, welche wir im Allgemeinen den Brustorganen angedeihen
lassen, und dem mehr summarischen Verfahren, mit welchem die Bauchorgane ab¬
gefertigt werden. Hier beherrschen z. Z. noch die chemischen Methoden das Feld;
und doch weiß jeder, wie schwierig deren Ausführung und deren Deutung vis-k-vis
dem gegebenen Pat. sich gestaltet. Was die Perkussion und Auskultation für Herz
und Lunge, kann die Palpation für den Darin sein; aber ebenso wie jene muß
diese besonders geübt werden. Das brüske Abtasten der Bauchhöhle, wie man es
so häufig ausführen sieht, unterscheidet sich von der Methode von Glönard,
Obrastzow und Hausmann ungefähr wie eine alte .Sonnenuhr von einem moder¬
nen Chronometer, oder wie das erste Mikroskop von Zacharias Jansen von
einem Zeiß’sclien Apoehromaten. Die methodische Tiefenpalpation beruht darauf,
daß man während des Exspiriums ganz allmählich, sachte und vorsichtig in die
Tiefe dringt, das zu tastende Organ an die hintere Bauehw'and nndrückt und
darüber in querer Richtung hinweggleitet. Natürlich ist nicht die Methode das
Entscheidende dabei, sondern die Übung; und die Übung erwirbt sich nur durch
fortgesetztes Probieren. Der Zweck dieser Zeilen kann somit nicht dieser sein,
dem Leser irgend ein Untersuchungsergebnis oder eine mehr oder weniger geist¬
reiche Hypothese in kompendiöser Form mundgerecht zu servieren. Sie sollen
ihm vielmehr sagen: Wenn du die Sache so angreifst, wie sie Hausmann schildert,
kannst du einen überraschenden Aufschluß über die Situation in der Bauchhöhle
gewinnen, kannst frühzeitig wichtige Diagnosen stellen, ohne den Pat, mit Magen¬
ausspülungen oder gar Probelaparotomien zu quälen, und kannst eine erfolgreiche
Therapie einleiten. Also bilde deinen Tastsinn ebenso liebevoll aus wie Ohr und
Auge; aber vergiß nicht, daß Meister nur derjenige wird, der etwas mit Eifer und
Hingebung erlernt hat. _ Buttersack (Berlin).
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
fomchritu der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgeg«ben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Dez. Dr. o. Criegtrtt
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig,
'i Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
^ T j* t |[ iür das Halbjahr.
1 -- Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
30. März.
Originalarbeiten und Sammelberichte,
Experimentelle Studien Uber Netzhautabhebung.
Von Prof. Dr. C. Birch-Hirschfeld.
(Vortrag in der Biologischen Gesellschaft zu Leipzig am 20. Februar 1911.)
M. H.! Ich möchte mir heute erlauben, Sie mit dem Ergebnis
einiger experimenteller Untersuchungen bekannt zu machen, die das
therapeutisch recht undankbare aber wissenschaftlich recht interessante
Kapitel der Netzhautabhebung betreffen.
Die Untersuchungen hatten den Zweck, zunächst, soweit das möglich
ist, unsere Kenntnis der anatomischen Veränderungen zu fördern, die
sich im Auge bei Ablatio abspielen, um so die Grundlage zu einer auf
anatomischen Tatsachen beruhenden Kritik der bisher geübten thera¬
peutischen Eingriffe zu schaffen.
Wenn wir die sehr reichhaltige Literatur über Ablatio durchmustern,
finden wir neben zahlreichen kasuistischen, klinisch-therapeutischen und
statistischen Arbeiten eine relativ kleine Zahl anatomischer Bearbeitungen.
Diese Zahl schmilzt noch mehr zusammen, wenn wir nur die¬
jenigen Fälle berücksichtigen, wo die Ablatio eine selbständige Er¬
krankung, nicht ein Symptom eines anderen Augenleidens, z. B. einer
Netzhaut- oder Aderhautentzündung, eines Aderhauttumors — darstellt.
In diesen Fällen läßt es sich ja leicht verstehen, daß der in der Chorioidea
sich entwickelnde Tumor oder ein aus Netz- und Aderhaut stammendes
Exsudat die Netzhaut von ihrer Unterlage abdrängt. Auch experimentell
läßt sich eine solche Abhebung leicht hervorrufen, wenn man, wie
Wessely getan, strömenden Wasserdarapf auf die Sklera ein wirken läßt,
wenn man wie Wern icke die Sklera mit dem Thermokauter ansengt
oder mit Best Kantharidenextrakt unter die Bindehaut spritzt. Diese
Abhebungen pflegen sich aber, selbst wenn sie recht steil waren und
anatomisch und ophthalmoskopisch sich nicht vom Bilde dergewöhnlichen
Abhebung unterschieden, sehr bald spontan zurückzubilden. Die sog.
spontane Ablatio des menschlichen Auges pflegt dagegen in mehr als
90 °/ 0 der Fälle fortzuschreiten und nach und nach zur völligen Er¬
blindung des Auges zu führen.
Über ihre Entstehung ist die Meinung der Autoren geteilt. Die
einen, unter denen an erster Stelle Nordenson, Leber und Gonin
zu nennen sind und deren Meinung besonders ins Gewicht fällt, da sie
sich auf anatomische Befunde stützt, huldigen der sog. Retraktions¬
theorie. Sie knüpft an eine Beobachtung H. Müllers an. Dieser fand
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C. Birch-Hirschfeld,
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beim Aufsebneiden eines wegen Iridozyklitis und Glaukom enukleierten
Auges die Netzhaut trichterförmig abgehoben und an Stelle des Glas¬
körpers ein unregelmäßiges Netz fester Stränge und Bälkchen, das mit
der Netzhaut verwachsen war. Durch O. Becker, Pagenstecher und
Genth, Herzog C. Theodor, Leber und Nordenson wurde dieser
Befund bestätigt und die Veränderung des Glaskörpers als primäre
Ursache der Ablatio hingestellt. Der Glaskörper, der im vorderen Teile
des Auges mit der Netzhaut bezw. der Ora serrata in festerer Verbindung
steht, als am hintern Pole, soll nach der Retraktionstheorie einen
Schrumpfungsprozeß durchmachen, der auf Ernährungsstörungen oder
entzündlichen Veränderungen im vorderen Teile des Uvealtraktus (äqua¬
toriale Chorioiditis — Deutschmann) beruht. Er erfährt bei Schrumpfung
eine Verdichtung seines Faserwerkes und löst sich nicht selten — wie
zuerst von Iwan off anatomisch festgestellt wurde, von der Netzhaut im
hinteren Pole ab (Glaskörperabhebung). Zwischen seiner hinteren Be¬
grenzung und der Netzhaut bildet sich ein Exsudat, Durch die Schrumpfung
des Glaskörpers kann nun, sei es, daß Verbindungen zwischen ihm und
der Netzhaut im hinteren Teile bestehen oder daß auch nur eine Art
von Ansaugung dabei stattfindet, die Netzhaut von ihrer Unterlage, der
sie nur locker aufliegt, abgehoben werden. Bei dieser Ablösung können
Einrisse in der Netzhaut entstehen, durch die sich das präretinale Fluidum
unter die Netzhaut drängt. Dies deutet auf die Wichtigkeit des Netz¬
hautrisses. Leber hielt der Sekretionstheorie als Hauptein wand ent¬
gegen, daß wir oft in kurzer Zeit eine steile Abhebung sich entwickeln
sehen, die, wenn das subretinale Exsudat lediglich aus der Aderhaut
stammen würde, notwendig zu einer Steigerung de3 intraocularen Druckes
führen würde. Da diese fehlt, der Druck sogar abnorm gering zu sein
pflegt, könne es sich nur um eine Verlagerung der im Bulbusinnern be¬
findlichen Flüssigkeit handeln. Dies sei aber nur möglich bei einem
Einriß der Netzhaut, Wir sehen, bei dieser Auffassung, die später
übrigens von Leber selbst modifiziert wurde, würde der Netzhautriß
als Conditio sine qua non bezeichnet werden müssen.
Einer der Hauptgegner der Retraktionstheorie, Greeff, hält zu¬
nächst die Glaskörperabhebung für ein Kunstprodukt, verursacht durch
Schrumpfung des Glaskörpers in der Härtungsflüssigkeit, Auch an die
Strangbildungen im Glaskörper glaubt er nicht, wenigstens nicht als
regelmäßigen Befund, da er zweimal beim Aufschneiden eines frisch
enukleierten Auges mit totaler Ablatio keine Fädchenbildung oder Ad-
haerenz an der Netzhaut beobachtete. — Aber auch diese Greeff’schen
Argumente sind anfechtbar. Zunächst läßt sich die Glaskörperabhebung
schon vital besonders bei myopischen Augen ophthalmoskopisch und
en toptisch nach weisen. Weiter kann an dem häufigen Auftreten prä¬
retinaler Strangbildungen nach den übereinstimmenden Befunden von
Gonin, Leber und E. v. Hippel kein Zweifel sein, wenn auch damit
allein die wesentliche Bedeutung dieser Glaskörperstränge für die Genese
der Ablatio noch nicht erwiesen ist.
Die Anhänger der Sekretionstheorie, die durch Arlt begründet
wurde, nehmen an, daß eine seröse Chorioiditis die Ursache der Ablösung
sei. Abgesehen davon, daß wir dann doch häufiger ophthalmoskopische
Erscheinungen von Chorioiditis finden sollten, was nicht den Erfahrungen
bei spontaner Ablatio entspricht, würde es schwer verständlich sein,
weshalb bei Chorioiditis auf metastatischer luet. oder tuberk- Grundlage
das Gegenteil einer Ablatio, d. h. eine feste Verwachsung der Netzhaut
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Experimentelle Studien über Netzhautabhebung.
291
und Aderhaut einzutreten pflegt, bei dieser hypothetischen auch anatomisch
nicht erweisbaren serösen Chorioiditis aber die Netzhaut von ihrer Unter¬
lage abgedrängt wird. Lassen wir aber auch die Hypothese einer Ader¬
hautentzündung fallen und sprechen ganz allgemein von einer Exsudation
aus der Choriokapillaris unter die Netzhaut, wie sie bei Aderhauttumoren
oder nach Ansengung der Sklera zweifellos vorkommt, so müssen wir
doch wenigstens zugeben, daß uns die Ursache dieser Exsudation bei
spontaner Abhebung ganz rätselhaft sein würde, während wir bei An¬
nahme der Retraktionstheorie recht gut verstehen können, daß sich nach
geschehner Abhebung subretinal eine Flüssigkeitsansammlung ex vacuo
aus den Aderhautgefäßen bildet, sofern nicht das präretinale Fluidum
durch einen Riß unter die Netzhaut getreten war.
Man hat geglaubt, das abweichende Verhalten der subretinalen
Flüssigkeit von der präretinalen als Beweis für die Sekretionstheorie ver¬
werten zu können. Dies ist jedoch nicht richtig, denn selbst wenn man
anoimmt, daß die subretinale Flüssigkeit aus dem präretinalen Raume
stammt, kann sie durch Resorption oder Exsudation von seiten der
Chorioidea eingedickt oder um Eiweißkörper vermehrt werden. Soviel
ist sicher, daß der Eiweißgehalt des subretinalen Fluidums des Menschen
in weiten Grenzen schwankt, wovon ich mich an einer Reihe von Fällen
überzeugt habe.
Der Sekretionstheorie steht die sog. Diffusionstheorie von Raehl-
rnann nahe, nach welcher die subretinale Flüssigkeit aus den Aderhaut¬
gefäßen stammen soll. Als primär faßt er aber eine Verflüssigung und
chemische Änderung des Glaskörpers auf. Es sollen sich dabei stark
eiweißanziehende Stoffe, konzentrierte Salzlösungen, bilden, die einen
starken Eiweißstrom aus den Gefäßen der Aderhaut anregen. Da die
Netzhaut diesen Strom aufhält, wird sie von ihm gegen den Glaskörper
vorgeschoben.
Fragen wir uns zunächst, welche von den 3 genannten Theorien^
am besten durch Nachweis anatomischer Tatsachen fundiert ist, so lautet
die Antwort, die Retraktionstheorie.
Aber ein gewichtiger Einwand läßt sich doch auch gegen sie
erheben. Das anatomische Material, auf dein sie sich aufbaut, 11 Fälle,
ist sehr klein. Wenige Fälle von spontaner Ablatio sind bisher
anatomisch untersucht und wenn wir diejenigen, wo Komplikationen Vor¬
lagen (Glaukom, Iridozyklitis usw.) oder das Material nicht frisch zur
Untersuchung kam, ausscheiden, dann schrumpft ihre Zahl noch erheblich,
auf etwa 3 Fälle, zusammen.
Es erschien deshalb wünschenswert, auf experimentellem Wege
einen Beitrag zur Kenntnis derjenigen Vorgänge zu liefern, die sich in
der abgelösten Netzhaut vor ihr und hinter ihr abspielen und zwar unter
Umständen, die einen Vergleich mit der spontanen Ablatio des Menschen
gestatten.
Natürlich kann man auf diesem Wege die Genese der spontanen
Ablatio nicht entscheiden, aber es ist doch wohl anzunehmen, daß manche
der Erscheinungen, die sich in der experimentell zur Ablösung gebrachten
Netzhaut des Versuchstieres beobachten lassen, auch bei der abgelösten
menschlichen Netzhaut vorhanden sind, und für die Beurteilung des
Verlaufs und der Möglichkeit therapeutischer Beeinflussung wichtige
Schlüsse zulassen.
Die von Wessely oder Best angewandten Methoden sind hier
wenig zu brauchen, da sich danach die Netzhaut nach kurzer Zeit wieder
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C. Birch-Hirschfeld,
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anlegt und die Genese zu sehr von der der spontanen Ablatio des
menschlichen Auges abweicht.
Beim Kaninchen kann man nun in sehr einfacher Weise eine Ablatio
hervorrufen, wenn man mit einer Spritze den Glaskörper punktiert und
etwa 1 / 2 ccm aspiriert. Sehr oft läßt sich sofort danach oder nach einigen
Stunden eine Abhebung ophthalmoskopisch feststellen. Oft bildet sich
diese in wenigen Tagen zurück — in anderen Fällen bleibt sie stationär
oder nimmt an Ausdehnung zu.
Mit Tatsuji Inouye habe ich eine große Anzahl (23) solcher
Augen anatomisch untersucht und kam dabei zu folgenden Befunden:
Zunächst konnten wir feststellen, daß an der Innenfläche der ab¬
gehobenen Netzhaut sich fast regelmäßig eine aus zusammengedrängten
Glaskörperlamellen bestehende membranartige Bildung oft von ansehnlicher
Breite befand, die mit der Netzhaut streckenweise in Verbindung stand,
eine ziemliche Elastizität besaß und anscheinend zur Entstehung der
Ablatio wesentlich beitrug. Ihre Wirkung auf die Netzhaut ließ sich
besonders an den Netzhautfalten und den Rändern des Netzhautrisses
verfolgen. Diesen präretinalen Strängen können sich breite bindegewebige
Neubildungen (von den Adventitien der Netzhautgefäße ausgehend) an¬
lagern. Von der Netzhaut leidet bereits nach wenigen Tagen die
Stäbchenschicht offenbar durch mechanische Insulte in den Netzhaut¬
falten und die äußere Körnerschicht, während die inneren Körner und
Ganglienzellen erst nach mehreren Wochen beginnende Degeneration
nachweisen lassen. Selbst nach 160 Tagen lassen sich noch in der stark
gliös veränderten Netzhaut vereinzelte gut erhaltene Ganglienzellen an¬
treffen. An den Zerfall der äußeren Netzhautschichten schließt sich eine
Wucherung von Gliazellen, die zur Schrumpfung der äußeren Schichten
und dadurch zur Faltung der inneren Schichten führt. Die Netzhaut
kann sich dadurch geradezu aufwickeln, verkürzt sich und reißt nicht
selten ein.
Besonders untersucht wurde das Verhalten der Netzhautrisse. Diese
können schon kurz nach der Abhebung auftreten und verschiedene Formen
zeigen. Bestimmend fiir sie ist das Verhalten der präretinalen Stränge.
Reißen diese an einer Verwachsungsstelle mit ein, so werden durch den
Zug der elastischen Stränge die Rißränder vitralwärts eingerollt. Reißt
nur die Netzhaut, so wird sie zwar durch den präretinalen Strang vitral¬
wärts gezogen, rollt sich aber skleralwärts ein, so daß die Form eines
Krummstabes entsteht. Endlich kann bei einer bestehenden Verwachsung
mit der Aderhaut durch Zug präretinaler Stränge die abgelöste Netzhaut
dünn ausgezogen und durchrissen werden.
Bemerkenswert war, daß in allen 11 Fällen, bei denen die Ab¬
hebung länger als 8 Tage bestand, anatomisch ein Netzhautriß fest¬
gestellt werden konnte, während in 9 Fällen, wo sich die Ablatio zurück-
gebildet hatte, niemals ein solcher anzutreffen war. Dies weist darauf
hin, daß für den Bestand der Abhebung der Netzhautruptur eine wesent¬
liche Bedeutung zukommt.
Das subretinale Fluidum zeigte meist stärkeren Eiweißgehalt als
der Glaskörper — doch waren gelegentlich auch im präretinalen Raume
Fibrinnetze und koagulierte Substanzen anzutreffen. Die verschiedenen
Bezirke des Glaskörpers boten häufig eine verschiedene Struktur, woraus
auf partielle Schrumpfung und partielle Verflüssigung geschlossen
werden mußte.
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Experimentelle Studien über Netzhautabhebung.
293
Die erwähnten Befunde zeigen eine große Ähnlichkeit mit den von
Leber, Gonin und E. v. Hippel bei spontaner Ablatio des Menschen
nachgewiesenen Erscheinungen. Sie führen zu der Annahme, daß wenigstens
bei der nach Glaskörperverlust entstandenen Netzhautabhebung den prä¬
retinalen Glaskörperstrangbildungen eine Hauptbedeutung zukommt.
In einer weiteren Untersuchungsreihe prüfte ich die Einwirkung
der gebräuchlichen operativen Eingriffe (der Sklerotomie, Kauterisation,
Elektrolyse und Durchschneidung nach Deutschmann) auf die experi¬
mentell zur Abhebung gebrachte Netzhaut.
Es zeigte sich dabei, daß es oft gelingt, eine Wiederanlegung der
abgelösten Retina und eine umschriebene Verwachsung mit der Aderhaut
unter Bildung einer breiten Schicht von Bindegewebe zu erreichen.
In den meisten Fällen jedoch, wo die präretinalen Glaskörperstränge
stärker entwickelt waren oder wo die Netzhaut durch Faltenverklebung
zu stark verkürzt war, kam sie entweder überhaupt nicht zur Wieder¬
anlegung nach Abfluß des subretinalen Fluidums oder wurde von der
Verwachsungsstelle wieder losgelöst, mehrfach sogar von ihr abgerissen.
Gelegentlich kam es zur Entstehung von Bindegewebssträngen, die von der
Punktionsstelle in den Glaskörper hineinzogen und mit denen die Netzhaut
Verwachsungen zeigte — sicherlich ein ungünstiger Effekt der Therapie.
Nach Kauterisation der Sklera wurden zwar breitere Ver¬
wachsungen mit Atrophie der Netzhaut und Aderhaut erzielt, als nach
einfacher Punktion, aber keine wesentlich günstigeren Resultate. Nach
Elektrolyse fanden sich Rundzellenherde und Vakuolen in der Ader-
hant. Die Durchschneidung nach Deutschmann erzielte einmal einen
günstigen Effekt und versagte in einem anderen Falle.
Der im ganzen sehr geringe Effekt der operativen Therapie stimmt
mit den Beobachtungen am Menschen überein. Die anatomische Unter¬
suchung erklärt uns aber, weshalb die Erfolge keine besseren sind
und sein können. Die üblichen Operationsmethoden entleeren nur das
subretinale Exsudat und suchen eine Verwachsung der wieder angelegten
Netzhaut mit ihrer Unterlage zu bewirken. Nur die Deutschmann’sche
Durchschneidung berücksichtigt auch die präretinale Strangbildung und
die Verkürzung der Netzhaut, indem sie eine Entspannung zu erreichen
sucht. Vermutlich beruhen darauf die günstigen Heilerfolge Deutsch¬
manns. (26°/ 0 Heilungen gegenüber 0,75°/ o Spontanheilungen (nach
Deutschmann), 9°/ 0 Heilungen nach Uhthoffs Statistik.) Eine wirksame
Therapie wird bei Äblatio retinae nicht nur die subretinale Flüssigkeit
entleeren, sondern auch die präretinalen Stränge zu lösen und die Falten
zu glätten suchen müssen. Ich habe seit mehreren Monaten Versuche
in dieser Richtung unternommen, über deren Ergebnisse ich jedoch erst
später berichten möchte, wenn sie bis zu einem gewissen Abschluß ge¬
langt sind. Der Weg von der Idee eines Heilverfahrens bis zu seiner
praktischen Erprobung ist oft ein langer und mühevoller.
Heute hoffe ich Ihnen gezeigt zu haben, daß das Tierexperiment
auch auf dem vielumstrittenen Gebiete der Netzhautabhebung manches
zur Klärung unserer Anschauungen beigetragen hat.
Ein praktischer Nutzen wird sich derartigen Untersuchungen nicht
absprechen lassen, insofern sie den Feind besser kennen lehren, gegen den
wir trotz aller bisherigen Enttäuschungen unermüdlich kämpfen müssen.
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S. Leo,
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von S. Leo.
Im Wiener medizinischen Doktorenkollegium sprach Dozent Walter
Pick über neuere Methoden der Dermatotherapie: P. möchte die
Indikationen der Röntgentherapie in absolute und relative einteilen. Für
die erste Indikation kommen nur zwei Krankheitsgruppen in Betracht.
1. die parasitären Erkrankungen der Kopfhaut, 2. die lymphatischen Er¬
krankungen der Haut. Bei den parasitären Erkrankungen der Kopfhaut
ist es die epilatorische Wirkung der Röntgenstrahlen, die in Betracht
kommt, und die früheren Methoden, die Epilation mittels Pechkappe
oder mit Spatel oder Pinzette vollkommen verdrängt hat. Hierbei ist
vermöge der spezifischen Wirkung der Röntgenstrahlen nicht auf die
Haarpapille, sondern auf das sprossende Haar, die Epilation viel gründlicher
als früher. Es fallen nach einer einmaliger Bestrahlung in entsprechender
Dosis (im allgemeinen 5 H.) alle Haare der bestrahlten Partie aus. Durch
diese Erfolge konnte man die spezielle Schule für trichophytie- und favus¬
kranke Kinder, die früher am Hospital St. Louis in Paris bestand, auflösen.
Die 2. Gruppe der absoluten Indikation umfaßt die leukämischen Affektionen
der Haut, zu welchen wir die bei Leukämie und Pseudoleukämie vor¬
kommenden pruriginösen Exantheme und Tumoren rechnen, ferner die
Mycosis fungoides und das Sarcoma idiopathicum. Die Wirkung ist aber
leider hier nur eine symptomatische und wir sind nicht in der Lage, den
Krankheitsprozeß als solchen dauernd zu beeinflussen. Unter die relative
Indikation fallen die kleinen Tumoren der Haut (Lymphangioendotheliome,
Adenoma sebaceum), wenn wir sie wegen ihrer massenhaften Ausbreitung
nicht chirurgisch angehen können; die Verrucae vulgares, die von ver¬
schiedenen Seiten für das Verfahren empfohlen werden, behandelt P.
mit Excochleationen und darauffolgender Lapistuschierung. Die großen
Erwartungen, die wir in die Röntgentherapie des Lupus vulgaris gesetzt
haben, haben sich nicht erfüllt, derselbe fällt ganz der Einsen- bez. der
Eisenlampe (Bang) oder der Quecksilber-Quarzlampe anheim. Kleinere
Lupusherde werden wir der chirurgischen Behandlung zuführen, größere
durch Ätzmittel (10°/ 0 PyrogallusVaseline) in relativ kurzer Zeit heilen.
Nur als Vorbehandlung für Finsen kommt das Röntgenverfahren bei aus¬
gedehnten exulzerierten lupösen Flächen in Betracht. Ferner kommt das
Röntgenverfahren bei Sycosis non parasitaria des bebarteten Gesichtes
und bei Acne nuchae in Betracht, Eine entschiedene Kontraindikation
ist die Hypertrichosis des Gesichtes bei Frauen. Es gelingt zwar die
Hypertrichosis zu beseitigen, aber nur mit solchen Dosen, daß auch das
Epithel der umgebenden Haut geschädigt wird und häufig sichtbar ge¬
sprenkelte, mit Pigmentflecken und diktierten Gefäßen weißliche ent¬
stellende Narben Zurückbleiben. Die Behandlung der Hypertrichose
bleibt eine Domäne der Elektrolyse; auch chemische Mittel (Auripigment)
sind kontraindiziert. Bei Acne vulgaris empfiehlt P. das Röntgenver¬
fahren nicht. P. verabreicht bei Acne vulgaris erstens Eisenpräparate
innerlich, zweitens lokal Quecksilber-Präzipitatsalbe; Schwefelsalben reizen
und sind nicht am Platze. Bei hartnäckigen Fällen von Acne (derben,
fibrösen Knoten) ist Heißluft am Platze.
Dozent A. Strasser sprach auf dem österreichischen Baineologen¬
kongreß in Salzburg über die Diät in Kurorten und Heilanstalten:
Die Diät ist als Beförderer der Mineralwasserwirkung sehr wichtig; der
eigentlich heilende Faktor ist aber das Mineralwasser, darum muß sich
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Wiener Brief.
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der Kostzettel nach den Mineralwässern richten; keineswegs darf eine
eventuelle Steigerung der Verdauungstätigkeit infolge einer Mineralkur
zu einer größeren diätetischen Inanspruchnahme benützt werden. Die
absolute Milchkur ist angezeigt bei kardiorenaler Insuffizienz, bei
Lipomatose, bei vorher noch nicht diätetisch behandelten Diabetes,
beim Ulcus ventrikuli, und bei chronischer Enteritis (zur Beschränkung
abnormer Gärungs- und Fäulnisprozesse im Darm). Die Mastkur
ist indiziert bei chronischen Infektionsprozessen (Tuberkulose usw.),
bei chronischen Vergiftungsprozessen (Morbus Basedow), bei Chlorosen
wie Neurosen. Modifizierte Mastkuren sind bei Enteroptose indiziert.
Die Entfettungskuren zerfallen in Milchkuren und Flüssigkeits¬
einschränkungen. Die Mineralwasserkuren spielen dabei eine wichtige
Rolle, weil durch sie die Diurese angeregt und die Darmtätigkeit be¬
schleunigt wird. Die Durstkuren, deren schärfste Form die Sch rot husche
Kur ist, bedeuten eine Verschärfung der Flüssigkeitseinschränkung. An¬
gezeigt ist die Flüssigkeitseinschränkung außer bei Fettsucht noch bei
Zirkulationsstörungen und Schrumpfniere, kontraindiziert bei uratischer
Diathese, Steinbildung und Gallensteinen. Die vegetabilische Diät ist
bei Gichtikern, Obstipation, Chlorose und Lipomatose zu empfehlen. Auch
bei Kindern ist sie oft von guter Wirkung. (7. Oktober 1910.)
In den von der Wiener Ärztekammer veranstalteten Vorträgen über
die Cholera asiatica sprach Prof. R. Kraus zur Frage der ätiologischen
Prophylaxe und Therapie der Cholera asiatica. In der prophylaktischen
»Schutzimpfung, die auf den Arbeiten Pfeiffers und Kolles aufgebaut
ist, besitzen wir ein Mittel, um den empfänglichen Organismus gegen die
eingedrungenen Vibrionen nach Infektion immun zu machen. Durch die
subkutane Einverleibung abgeschwächter oder abgetöteter Choleravibrionen
in den gesunden Organismus entstehen nach einigen Tagen spezifische
Körper, die imstande sind, die Cholera Vibrionen zu zerstören (Bakteriolysi ne).
Das Serum der mit abgetöteten Choleravibrionen vorbehandelten Tiere
vermag in vitro Choleravibrionen zu zerstören. Heilwirkung bei bereits
erkranktem Organismus besitzt dieses Serum nicht, da es keine anti¬
toxischen Eigenschaften besitzt. Der prophylaktische Schutz mit Serum
ist nur kurzdauernd, wogegen die aktive Immunität, durch abgetötete
Vibrione erzeugt, Monate anhält. Diese Schutzimpfungen wurden von
Ilaffkin in Indien, Murata in Japan, Zlatogoroff nnd Zabolotny
in Rußland in ausgedehntem Maße angewendet. Nach diesen Autoren
erkrankten von den geimpften weniger als von den nicht geimpften und
auch die Zahl der Todesfälle ist geringer. Allerdings ist es not¬
wendig, daß die Schutzimpfungen zweimal oder dreimal in Intervallen
von 6 Tagen wiederholt werden, da die einmalige Schutzimpfung nur
unsichere Resultate ergeben hat. Außerdem werden aber auch
antitoxische Sera erzeugt, von Salimbeni, Stüh lern und von Kraus.
Die Resultate sind aber jetzt noch unbefriedigend. Jedoch hat Kraus
in letzter Zeit wieder die Giftbildung der letzten Cholerastämme studiert.
Es hat sich herausgestellt, daß die frischen Stämme ausnahmslos sehr
wirksame Gifte bilden, die in 4—8 Stunden Meerschweinchen töten.
Besonders wichtig erscheint aber die Tatsache, daß nicht Gifte aller
Vibrionen mit einem Serum zu neutralisieren sind. Ein antitoxisches
Serum vom Pferde „Norbert“, neutralisiert Gifte eines Cholera vibrio
-Rusßland“, nicht aber Gifte der Spandauer Fälle. Vielleicht haben
also die Wiener Sera deshalb keine günstigen Resultate ergeben, weil
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296
S. Leo,
sie nur mit Giften eines Cholera vibrio gewonnen wurden. Vielleicht
sind sogenannte polyvalente Sera wirksamer.
Über sanitäre Maßnahmen der Staatsbehörden anläßlich
der Choleraerkrankungen in Wien 1910 sprach Landes-Sanitäts¬
inspektor Dr. Winter. Bezüglich der Bekämpfung der Cholera folgen
wir dem von Robert Koch im Jahre 1892 angegebenen Bekämpfungs¬
system. Das System umfaßt folgende Punkte: 1. Die Grundlage bildet
die bakteriologische Untersuchung mittels derer dem Infektionsstoff in
seinen Schlupfwinkeln nachgespürt werden kann. 2. Die Isolierung der
Kranken. 3. Die Evakuierung und bakteriologische Untersuchung der
Umgebung des Kranken, der Ansteckungs- und Krankheitsverdächtigen.
Damit dieselbe möglich ist, müssen 4 . alle Cholerafälle und choleraver¬
dächtigen Fälle anzeigepflichtig sein, es müssen 5. bakteriologische Zentral¬
stellen vorhanden sein, welche die Untersuchung ermöglichen und so rasch
als möglich erledigen. 6. Die Desinfektion der Wohnung. Leider besitzt die
Sauitätsbehörde in Österreich für ihr Vorgehen bei der Bekämpfung an¬
steckender Krankheiten, mithin bei der Cholera, nicht diejenigen gesetz¬
lichen Handhaben, die bei der Bekämpfung der Tierkrankheiten
durch das Tierseuchengesetz bereits bestehen (schon seit 1880) und
wie sie auch für den Menschen in den meisten Kulturstaaten existieren.
Deutschland hat seit dem Jahre 1900 ein Gesetz für die Bekämpfung
gemeingefährlicher Krankheiten, während bei uns 1909 zwar im Herren¬
hause ein Epidemiegesetz beraten, aber im Abgeordnetenhause noch
nicht in Verhandlung gezogen wurde. Wie schwierig aber die Be¬
kämpfung der ansteckenden Krankheiten ohne gesetzliche Grundlage ist,
weiß nur der Amtsarzt, der in der Praxis auf Schritt und Tritt auf die
größten Schwierigkeiten stößt. Die Isolierung des Kranken und Krankheits¬
verdächtigen, dessen eventuelle zwangsweise Unterbringung im Spital,
die Kontumazierung der Ansteckungsverdächtigen, die Vornahme der
Desinfektion, die Frage der Entschädigung, Erlassung von Verkehrs¬
beschränkungen ist fast undurchführbar. Dazu kommt in neuerer Zeit
die Sorge für die Bazillenträger. Die österreichischen Vorkehrungen
basieren auf dem Reichssanitätsgesetz aus dem Jahre 1870, zum Teil
aber auf Verordnungen, die bis in den Anfang des vorigen Jahr¬
hunderts zurückdatieren, wie das Hofkanzleidekret vom Jahre 1800,
zum anderen Teil auf Ministerialerlassen, denen aber eine Gesetzeskraft
nicht zukommt. Da die Absperrung der Landesgrenze und Errichtung
von Landquarantänen allgemein als undurchführbar und überflüssig an¬
erkannt wurden, sind die Staaten durch internationale Abmachungen,
sog. Sanitätskonventionen übereingekommen, sich gegenseitig vor den Ge¬
fahren der Verschleppung der Seuche zu schützen. Die Gefahr der Ver¬
breitung der Cholera ist durch diese Abmachungen wohl nicht ganz auf¬
gehoben, aber entschieden verringert worden. Von den Konventionen
sind die Dresdener und die Pariser Konvention, erstere aus dem Jahre 1893,
letztere aus dem Jahre 1903 von Wichtigkeit. Außer diesen Konventionen
bestehen noch zwischen den einzelnen Staaten Übereinkommen bezüglich
des Grenzvei kehrs, so zwischen Österreich-Ungarn und Rußland, Italien,
Schweiz, Preußen, Bayern und Sachsen. Von Interesse ist, daß Rußland
Österreich und Deutschland zur Bekämpfung der Cholera in den deutsch-
russischen, bezw. österreichisch-russischen Grenzbezirken, neben den in
der Dresdener, resp. Pariser Sanitätskonvention vom Jahre 1903 vor¬
gesehenen Bestimmungen noch darüber hinausgehende Bestimmungen
getroffen hat. Nach diesen Vereinbarungen findet im Falle des Auf-
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297
tretens der Cholera ein unmittelbares Einvernehmen zwischen den Ver¬
waltungsbehörden der deutschen bezw. österreichischen und russischen
Grenzgebiete statt, wonach jede einzelne in Grenzbezirken bis zu einer
Entfernung von 5 km vorgekommene Erkrankung und jeder Todesfall
von asiatischer Cholera zu melden sind. Weiter sind die Behörden zu
verständigen, welche Maßregeln zur Bekämpfung der Seuche getroffen
sind, ja es räumen sogar die Regierungen der genannten Staaten sich
gegenseitig die Befugnis ein, nach Eingang einer Mitteilung über das
Auftreten von Cholera Kommissare an Ort und Stelle zu entsenden, die
sich über den Stand der Cholera und die Bekämpfungsmaßregeln unter¬
richten können. Zwischen Österreich und Ungarn besteht ein solcher
Vertrag nicht.
Über neuere Fortschritte in der Therapie der Nerven-
und Geisteskrankheiten sprach Prof. Alexander Pilcz im Wiener
medizinischen Doktorenkollegium: Die medikamentöse Therapie der
Epilepsie hat in den letzten Jahren gewisse Fortschritte zu verzeichnen.
Einem oft recht unangenehmen, ja zuweilen die Anwendbarkeit geradezu
in Frage stellenden Nachteil der Bromalkalien, nämlich der Bromakne, die
in manchen Fällen sogar zu umfangreichen, konfluierenden und nekroti¬
sierenden Geschwürsbildungen führen kann, steuert in wirksamer Weise das
Bromipin. Unterstützt wird jede Bromwirkung durch möglichst koch-
salzarme Kost. Die seinerzeit mit großen Hoffnungen begrüßte Opium-
Bromtherapie (Flechsig), ist so ziemlich wieder aufgegeben, da wir zu¬
weilen sogar lebensgefährliche Zufälle, einen status epilepticus, beobachtet
haben. In manchen bromrefraktären Fällen bewährt sich das Epileptol;
andrerseits beobachtete P. wiederholt mit dem Wenigerwerden der Krampf¬
anfälle schwere psychische Veränderungen und echte Geistesstörungen,
er kann das Mittel daher nicht empfehlen. Von den Schlafmitteln be¬
zeichnet P. als verläßlich und relativ unschädlich: das Hedonal (2,0 pro dosi),
Isopral (0,5), das Veronal und Medinal. Die letzteren Mittel sind bei
zerebralen Arteriosklerotikern aber nicht angezeigt. Bezüglich der
luetischen Affektionen des Nervensystems soll sich der Arzt gelegentlich
des Decoct. Zittman. fortius et mitius erinnern; ferner verordnet
v. Wagner bei jeder Hg. J.-Kur auch geringe Thyreoidindosen. Eine
der wichtigsten Errungenschaften ist die Einführung des künstlichen
Fiebers (v. Wagner) mittels der Tuberkulininjektionen bei Paralyse.
Zur Verwendung kommt das alte Tuberc. Kochii, von dem eine 10°/ o ige
Lösung hergestellt wird. n-Teile Tuberc. Koch., 9 n Glycerin 5 n Aqua
des tili, (vor Bereitung der Lösung zu sterilisieren). Die Kranken werden
in 3 stündlichen Intervallen gemessen; für gewöhnlich appliziert man
jeden 2. Tag eine Injektion. Je nach der Stärke der Reaktion (manche
Kranke fiebern gar nicht; bei einigen beobachtet man Hyperpyrexie;
als mittlere Reaktion kann man 38,5” betrachten) steigt man um 0,02° bis
0,05°. Bei höherem Fieber gebe man kalte Bauschen auf den Kopf;
gründliche Ableitung auf den Darm; Abstinenz von Alkohol. Die Um¬
gebung muß auf die Möglichkeit einer akut einsetzenden paralytischen
Manie aufmerksam gemacht werden.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Pathologische Befunde aus der Frühzeit.
Von Prof. Dr. K. Sudhoff, Leipzig.
(Autoreferat nach eiuem in der med. Gesellschaft zu Leipzig gehaltenen Vortrag.)
Daß Beschreibungen von Krankheiten selbst bei den griechischen
Ärzten der klassischen Zeit nicht immer leicht mit heutigen Krankheiten
zu identifizieren sind, ist nachgerade eine von allen Einsichtigen erkannte
Tatsache. Um diesen Mängeln abzuhelfen, welche antike Krankheits¬
beschreibungen bieten, ist auf zweierlei Weise die Möglichkeit vorhanden;
zunächst im Studium der in weit größerer Zahl als bisher bekannt und
zugegeben erhaltenen Terrakotta- und Marmorvotive, die pathologische
Zustände darstellen; auch die smyrnäischen und anderen Terrakotten des
gewöhnlichen Lebens in hellenistischer Zeit verdienen weit mehr Beach¬
tung, als sie ihnen z. B. von den Dermatologen augenblicklich zugestanden
wird. Was man da von Kiinstlerlaunen und Sonstigem redet, ist das
Ergebnis nicht genügend eindringender Sachkenntnis, wie sich immer
klarer herausstellt. Weit wichtiger jedoch als alles dieses sind die Er¬
gebnisse, welche die Untersuchungen der Knochen und Mumien Ägyptens
und Nubiens auf pathologische Zustände namentlich in den letzten Jahr¬
zehnten gebracht habenj besonders in den letzten vier Jahren, seit die
englische Regierung begonnen hat, das ganze Material, das der Stausee
von Assuan künftig bedecken würde, durch methodische Ausgrabungen
für die Wissenschaft zu retten.
Vortragender gibt nun hierüber eine eingehende Übersicht, die durch
photographisches Originalmaterial erläutert wird.
Wir sind nicht nur in der Lage zu erkennen, daß schon die früheste
Wohn- und Lebensweise der frühdynastischen, ja vordynastischen Be¬
völkerungen am oberen Nil im fünften und sechsten Jahrtausend vor
unserer Zeitrechnung an den Skeletten und Schädeln dieser verschiedenen
Menschenrassen uns eine eindringliche Kunde hinterlassen haben von den
Schädlichkeiten, die sie mit sich brachten: eine ungeheuer ausgebreitete
und überaus hochgradige Erkrankung an Osteoarthritis deform ans, die
weitaus die Mehrzahl aller Erwachsenen in stärkerem oder geringerem
Grade damals ergriff. Langsam geht in der Reihe der Jahrtausende die
Hochgradigkeit dieser Knochenveränderungen zurück und statt des ge¬
träumten goldenen Zeitalters finden wir die prähistorischen Menschen
jener Gegenden infolge ihres beständigen Aufenthaltes am und im Wasser,
ihres Wohnens in feuchten Höhlen und Erdgruben in der Nahe des
Flusses, mit schweren Erkrankungen behaftet, die sie frühzeitig aufs
Krankenlager warfen.*) Von den Leiden dieser fast unbeweglich gewordenen
Menschen erzählen uns gelegentlich die ungeheuren Dekubitusgeschwüre
auf den Rücken von Mumien beiderlei Geschlechts. Die Uratgicht ist
gleichfalls durch Ablagerungen an den heute noch charakteristischen
Stellen in späteren Mumien gelegentlich nachweisbar.
Daß auch die Tuberkulose im oberen Niltal schon vor 5—6000
Jahren ihre Opfer forderte, davon sprechen gleichfalls schon in erheblicher
Zahl Zerstörungen, welche der Tuberkelbazillus an Becken und Wirbeln
*) Das Nämliche gilt von nordeuropäischen Skeletten, z. B. der Wikingerzeit:
Folgen der Seefahrten in offenen „Drachen 14 -Schiffen und des Wohnens halb in
der Erde.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
299
und Extremitätenknochen von Mann und Weib damals angerichtet hat.
Sarkome des Knochensystems sowie Angefressensein des Kreuzbeins
durch karzinomatöse Wucherungen des Rektums beweisen, daß Sarkome
und Karzinome schon vor Jahrtausenden dort nicht unbekannte Krank¬
heiten waren.
Langsam mehren sich auch die Folgen von Ulcerationen an Schädel-
und Skelettknochen, welche eine andere Auffassung als die einer
syphilitischen Ätiologie kaum mehr zulasen. Dagegen sind Spuren von
leprösen Verstümmelungen der Gliedmaßen überhaupt nicht gefunden
worden, durch die ganze Reihe der Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung.
Erst eine einzige Mumie, deren Veränderungen als lepröse mit einiger
Sicherheit gedeutet werden können, ist aus dem zweiten Jahrhundert der
christlichen Ära in Ägypten ans Licht gebracht.
Die mikroskopische Untersuchung von Mumiengeweben hat mit
großer Wahrscheinlichkeit frühere Pesterkrankungen vermuten lassen;
desgleichen fanden sich Zerstörungsprozesse osteomyelitischer Natur und
andere Ergebnisse von Wundinfektionen, Alveolarabszesse und ähnliches.
Im Nierenbecken sind verkalkte Bilharziaeier angetroffen worden, alte
Stränge von Appendizitiden in weiblichen Becken aus der Ptolemäerzeit usw.
Man sieht, die menschlichen Überreste vergangener Zeiten beginnen
bald ebenso eindringlich von Krankheitserscheinungen zu uns zu reden,
wie die Autopsien auf den Leichentischen von heute, trotzdem bei den
meisten Ausgrabungen zwar jedes Näpfchen und Spänglein sorgfältig
gesammelt und studiert, die Knochenreste aber nach flüchtiger Kon¬
statierung der Lage des Skelettes nicht weiter beachtet werden.
Verein Deutscher Arzte in Prag.
Hecht und Klausner berichten über 50 Fälle von Gonorrhöe,
die nach der Methode von Schindler im Verlaufe der letzten 3 Monate
auf der Prager dermatologischen Klinik behandelt wurden. Die von
Schindler vorgeschlagene Atropinisiemng auf analem Wege zur Aus¬
schaltung des die automatischen und reflektorischen Muskeln der Sexual¬
organe regulierenden Plexus hypogastricus wurde mit Ausnahme eines
Falles ohne jede Nebenwirkung vertragen. Die Behandlung der akuten
Anterior mit hohen Protargollösungen (3—5°/ 0 ) konnte auf diese Weise
sofort eingeleitet werden und führte oft zu auffallend rascher Heilung,
doch muß auf das Schwinden der Gonokokken genau geachtet werden,
da sonst Rezidiven unausbleiblich sind. Sehr geeignet erwies sich die
Methode bei chronischen Erkrankungen der vorderen Harnröhre, die oft
monatelang jeder Behandlung getrotzt, jetzt in wenigen Tagen zur Heilung
gelangten. Gleichfalls günstig erwies sich die Behandlung der akuten
und chronischen Posterior mit */ 4 — 1 / 8 °/ 0 Protargollösungen, die mittels
2—3 Spritzen in die hintere Harnröhre appliziert wurden. In wenigen
Tagen klärte sich oft unter dieser Behandlung ein diffustrüber Harn.
Gleichzeitig bestehende Komplikationen wurden durch die Besserung des
Harnröhrenprozesses gleich günstig beeinflußt.
Das Hauptgewicht legen die Vortragenden auf die von Bruck
angegebene und von Schindler empfohlene Vakzinetherapie, mit welcher
hei den verschiedenen Komplikationen wie Epididymitis, Prostatitis acuta,
Arthritis gonorrhoica oft in verblüffend kurzer Zeit die akuten Reiz¬
erscheinungen behoben und eine rasche Heilung eingeleitet wurde, doch
muß man auch hier mit einer Anzahl sogenannter „Versager“ rechnen.
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300 Referate und Besprechungen.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
A. Mouchet (Toulouse), Der Lymphapparat der Gelenke. (Bullet,
medical, Nr. 95, S. 1100, 1910. — Soc. de Biologie, Oktober 1910.) Bis jetzt
war Näheres über die Lymphgefäße nur am Hüftgelenk bekannt. Durch In
jektionen an Neugeborenen gelang es Mouchet, diesen Apparat auch an den
anderen Gelenken, namentlich am Ellbogen, zu studieren. Danach ist die
Gelenkkapsel austapeziert mit einem Netzwerk von Lymphgefäßen, welches
dort, wo die Kapsel am Gelenkknorpel festsitzt, besonders enggewebt erscheint
Systemlustige Köpfe können an dem Gewirr von Lymphbahnen ohne große
Mühe allerlei Gruppen herauskonstruieren; Mouchet unterscheidet zwei Haupt-
und zwei Nebengruppen und nennt die ersten les groupes epitrochleens et
humeraux. Allein damit ist für den Physiologen und insbesondere für den
Arzt nicht viel gewonnen. Diese werden gut tun, das lymphatische Netz
der Gelenke als etwas Einheitliches zu nehmen, wie ja wohl auch jeder die
Pleura als eine einheitliche Lymphhaut ansehen wird.
Interessanter scheint mir die Frage nach den physiologischen Aufgaben
des Lymphapparates der Gelenke. Mancherlei Anzeichen, z. B. die eigen¬
tümlich livide Farbe der Gelenkrheumatiker, hat mich schon vermuten lassen,
es möchten die Gefäße der Gelenke in Beziehung zur Blutbereitung stehen.
Aber bei der notorischen Verwandtschaft aller serösen Häute des Organismus
wird es vorerst kaum möglich sein, irgendeinen Teil derselben physiologisch
genau abzugrenzen. Buttersack (Berlin).
Fr. W. Hagemann, Ober Sackniere, perinephritische und intranephri-
tische, subkapsuläre Zysten bei den Haustieren. (Virchow’s Archiv für
path. Anat., Bd. 202, S. 244, 1910.) Nach zahlreichen Untersuchungen von
Rinds- und Schweinsnieren kommt Verf. zu dem Ergebnisse, daß es zwei
Ursachen für die Entstehung der Sackniere gibt: 1. die Retention des Exkreks
einer funktionsfähigen Niere, 2. eine Entwickelungsanomalie, bestehend in
einem übermäßigen Wachstume des Harnleiters, die durch eine Hemmung
in der Entwickelung des Nierenblastems veranlaßt ist. Bei den ersten Fällen
findet man im Nierengewebe Dilatation und Schrumpfung, bei den zweiten
embryonale apiastische. Zustände des Gewebes (Seltenheit der Harnröhrchen
in gewissen Bezirken, Kleinheit derselben, Fehlen oder Kürze der Schleifen
und Seltenheit der Sammelröhren, Vorkommen solider Zellzapfen als embryo¬
naler Vorstadien verschiedener Abschnitte der Harnröhren [besonders häufig
an den Schleifen], Vorkommen von Blasteminseln, Unregelmäßigkeit in der
Anlage der Markstrahlen oder Fehlen derselben, Zunahme des Bindegewebes
als Anfüllungsmaterial bei kümmerlicher Entwickelung des drüsigen Anteiles).
Diese Befunde dienen ferner der Lehre von der diskontinuierlichen Entwickelung
der Niere als Stütze, im besonderen der Angabe, daß die Nieren röhr chen ihre
Knospe gelegentlich bis zur Papille vortreiben und somit Sammelröhren bil¬
den können.
Die pathologischen Zystenbildungen in der Niere werden zweckmäßig
in kongenitale und erworbene unterschieden. Zu den ersteren gehören 1. die
Sackniere, auch die Erweiterung vereinzelter Kelche infolge von Rieseu-
wachstum des kranialen knospenden Harnleiters bei Aplasie des Blastems.
2. die kongenitalen zahlreichen Retentionszysten in den Fällen, wo die im
Blastem entstehenden Knospen der Harnröhren nicht bis zur Verbindung
mit dem Nierenbecken oder doch wenigstens einem Sammelröhrchen Vordringen.
3. die serösen subkapsulären, intra- und perinephritischen Zysten ohne Ver¬
bindung mit dem Nierenbecken, deren Entstehung auf ein Vorauseilen der
Nephrolyse gegenüber der Anbildung zurückzuführen ist.
W. Risel (Zwickau).
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Referate und Besprechungen.
301
Bakteriologie und Serologie.
Brückner (Berlin), Über Nachuntersuchungen bei Personen, die vor
Jahren Typhus durchgemacht hatten. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte,
Bd. 33. H. 2.) Sämtliche Personen, die Typhus überstanden haben, sollen
mindestens 1 Jahr lang noch beobachtet werden (Stuhluntersuchung), um
viele Bazillenträger ausfindig zu machen. Der Nutzen ergibt sich aus ange¬
führten Zahlenbeispielen. Schiirmann.
Gildemeister (Berlin), Nachweis der Typhusbazillen im Blute durch
Anreicherung in Wasser. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 33, H. 3.)
Die Anreicherung von Typhusbazillen, für welche das Galleröhrchenverfahren
benutzt wurde, wird auch geliefert durch destilliertes Wasser oder auch
Leitungswasser. Das angereicherte Material wird auf Drygalskiplatten aus-
gestrichen. * Schürmann.
Franz (Berlin), Die im deutschen Reiche während der Jahre 1897 bis
1905 amtlich gemeldeten Vergiftungen mit Sublimat, insbesondere mit Subli¬
matpastillen. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 34, H. 1.) Von
1897—1905 kamen 101 Vergiftungen mit Sublimat im Deutschen Reiche vor;
darunter waren 92 in selbstmörderischer Absicht ausgeführt. 58 Fälle starben.
Gegenüber den Vergiftungen mit anderen chemischen Substanzen ist diese
Zahl sehr klein; daher soll eine strengere Verkehrsbeschränkung für die
Beschaffung dieses vorzüglichen Desinfektionsmittels nicht vorgenommen
werden. Schürmann.
Uhlenhuth und Manteuffel (Berlin), Neuere Untersuchungen über die
ätiologischen Beziehungen zwischen Geflügeldiphtherie (Diphtheria avium)
und Geflügelpocken (Epithelioma contagiosum). (Aus dem Kaiserl. Gesund-
heitsamte, Bd. 33, H. 2.) Es beruht wahrscheinlich die bei Hühnern als
reine Diphtherie auftretende Krankheit auf einem Virus, das, auf den Kamm
der Hühner gebracht, ein kontagiöses Epitheliom hervorruft. Das Virus
ist in 50%igem Glyzerin haltbar und filtrier bar durch Berkefeldfilter. Tauben-
und Hühnerpocken resp. -Diphtherie ist ein und dasselbe. Schürmann.
Uhlenhuth und P. Mulzer (Berlin), Über experimentelle Kaninchen¬
syphilis mit besonderer Berücksichtigung der Impfsyphilis des Hodens. (Aus
dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 33, H. 1.) Verfasser berichten über eine
gelungene Übertragung von syphilitischem Material auf die Hoden von Kanin¬
chen. Auch- gelang es, von Hoden zu Hoden das Virus weiterzuimpfen.
Man erhält dabei eine Reinkultur von Spirochaeta pallida im Hodengewebe.
Schürmann.
Beck (Berlin), Experimentelle Beiträge zur Infektion mit Trypano¬
soma gambiense und zur Heilung der menschlichen Trypanosomiasis. (Aus
dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 34, H. 3, 1910.) Es gelingt nicht, eine
Übertragung der Trypanosomen durch unsere einheimischen Insekten zu er¬
zielen. Arsenophenylglyzerin erwies sich als sehr gut zur Heilung der
Tiere von Trypanosomen. Wegen der leichten Zersetzung des Arsenophenyl-
glyzins empfiehlt Verf. Antiinonatoxyl. Vorbehandlung größerer Tiere er¬
gibt ein agglomerierendes Serum, das spezifisch auf Trypanosoma gambiense
wirkt. Kaninchenserum ist zur Komplementablenkungsreaktion bei Trypa¬
nosomen nicht geeignet. Schürmann.
Innere Medizin.
N. Ssaweljew, Zur Symptomatologie der Mitralstenose. (Praktitschesky
Wratech, Nr. 21, 1910.) Russische Autoren (Popow und Kuschew) hatten
beobachtet, daß bei Mitralstenose mit gleichzeitiger Insuffizienz der Puls
in den Art. radiales verschieden ist, und zwar in der linken Art. radialis
schwächer als in der rechten. Verf. bestätigt diese Beobachtung und fügt
seinerseits hinzu, daß der Unterschied zwischen der Stärke des Pulses in
beiden Art. radiales in liegender Stellung des Patienten deutlicher hervortritt
als in aufrechter. Sogar zu differentialdiagnostischen Zwecken bedient sich
Verf. seit einer Reihe von Jahren dieses Symptoms. J. Lechtman.
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302
Referate und Besprechungen.
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J. Bartel, Wilh. Neumann und O. Leimsner (Wien), Einwirkung von
Organen auf den Tuberkelbazillus. (Zentralbl. für Bakt. usw., I. Abt.,
Orig.-Bd. 56, H. 2, S. 126—143, 1910.) Nachdem man lange genug sich an
der Frage abgemüht hat, wie wirkt der Koch’sche Bazillus auf die Organe
des menschlichen Körpers? hatten >die 3 Forscher die Sache her umgedreht!
und die Einwirkung der Organe auf den Tuberkelbazillus untersucht. Nicht,
jeder wird die Zeit haben, die ausführlichen Protokolle eingehend durch¬
zustudieren; aber jeden wird das Resultat interessieren, daß schon in normalen
Organen eine Reihe differenter Stoffe vorhanden ist, welche im Kampf mit
dem Bazillus und mithin beim Zustandekommen der Immunität eine bedeut¬
same Rolle spielen. Am wirkungsvollsten sind Lipoid-Substanzen aus Milz,
Leber und Lymphdrüsen, demnächst ölsaure Seifen und proteolytische Fer¬
mente. — Natürlich ist noch ein langer Weg zurückzulegen, bis man eventuell
diese Kenntnis praktisch verwerten kann; aber es eröffnet sich damit doch
ein Weg, der nicht allzu sehr mit mystischen Spekulationen rechnet.
Buttersack (Berlin).
F. Blumenthal (Berlin), Innere Behandlung und Fürsorge bei Krebs¬
kranken. (Zeitschr. für Krebsforschung, Bd. 10, H. 1, 1910.) „Es gibt,
und das ist das unbefriedigende Ergebnis einer zehnjährigen modernen Krebs¬
forschung, bisher keine interne Behandlungsmethode, welche mit einer gewissen
Sicherheit beim Karzinom angewendet werden kann.“ Dagegen kann jnan
mit mehr Aussicht auf Erfolg versuchen, nach der Operation Rezidive zu
verhüten etwa durch eine Arsenkur oder durch Immunisierung mit dem
eigenen, bei der Operation entfernten Tumor.
Angesichts dieses problematischen Ergebnisses der Krebsforschung kann
man den Gedanken nicht unterdrücken, daß die Forscher um so mehr darüber
schreiben; je weniger Sicheres sie wissen. Buttersack (Berlin).
Fontoynont, Zur Ätiologie der Appendizitis. (La Tribüne medicale,
Nr. 49, S. 774, 1910.) Während man vielfach geneigt ist, die Entstehung
der Affektionen des Wurmfortsatzes auf äußere Schädlichkeiten zurückzu¬
führen, sowie auf Traumen, bestimmte Mikroorganismen u. dgl., sucht Fon¬
toynont die Ursache der Appendizitis iii einer Insuffizienz des Lyinphgewebes.
Die angeblichen Ursachen, die uns so wichtig Vorkommen, finden sich allent¬
halben in der Welt; aber trotzdem bleiben die anderen Rassen, z. B. die
Eingeborenen von Madagaskar, von der Blinddarmentzündung verschont. Nur
bei Weißen kommt diese Krankheit vor, und auch da häufig genug familien¬
weise. — Wenn sich diese Angaben bewahrheiten, so würde damit offenbar
ein Lichtstrahl in das bisherige ätiologische Dunkel fallen.
_Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
J. Gussakow (Petersburg), Kritische Beurteilung der gegenwärtigen
Ansichten über Placenta praevia. (Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 32,
S. 245.) Die Anregung von Uteruskontraktionen bei stehender Blase ist bei
Placenta praevia zu verwerfen, ebenso die Tamponade, da die Stillung der
Blutung ungewiß, die Möglichkeit einer Infektion nahe gerückt ist. Bei
Placenta praevia partialis genügt häufig das Sprengen der Eihäute, versagt
dieses Mittel, so wende man die intraanimale Metreuryse an, welche schonen¬
der und sicherer ist, als die Wendung nach Braxton-Hic k’s. Um die
Entstehung einer Luftembolie zu verhüten, ist durch entsprechende Lagerung
darauf zu achten, daß kein negativer Druck in den Bauch-Beckenhöhlen¬
gefäßen entsteht. Die Statistik der Placenta praevia hat totales und par¬
tielles Vorliegen gesondert zusammenzustellen, da bei ersterer die Prognose
besonders schlecht ist. Und in diesen Fällen ist der Kaiserschnitt statthaft,
talls die Patientin Wert auf ein lebendes Kind legt. Sonst käme Metreuryse
nach Durchbohrung der vorliegenden Plazenta in Frage.
Frankenstein (Köln).
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Referat« und Besprechungen.
303
H. Pruska, Über das Frühauf stehen der Wöchnerinnen. (Casopis lökaröv
cesk^ch, Nr. 40, 1910.) Der Autor wählte aus dem Material der geburts¬
hilflichen Klinik des Prof. Rubeska in Prag 1000 Frauen, die am 4. Wochen-
hettstage aufstanden und 1000, die am 9. Tage aufstanden, obwohl die Be¬
dingungen dee Frühaufstehens gegeben waren. Ein Vergleich dieser beiden
Kategorien von Wöchnerinnen ergab folgende Resultate: die Morbidität betrug
bei dev ersten Kategorie (der Frühaufgestandenen) 5,8% gegen 10,5% der
zweiten Kategorie; speziell bei der Gonorrhöe betrug das Verhältnis 10,63:16,3;
die Involution der Geschlechtsorgane ging bei beiden Kategorien in gleicher
Weise vor sich; die Zahl der Thrombosen betrug bei der neuen Behandlungs¬
art 1, bei der alten 3; die frühaufgestandenen Frauen fühlten sich im allge¬
meinen wohler und entleerten sofort spontan Harn und Stuhl. — Die Frauen
stehen, ob operiert oder nicht, am 4. Tage auf, wenn keine eine Naht er¬
fordernde Verletzung stattgefunden hat, wenn Puls und Temperatur normal
sind und die Frauen sich wohl fühlen. G. Mühlstein (Prag).
Durlacher (Ettlingen), Ein kasuistischer Beitrag zur Schenkelphleg¬
mone im Wochenbett. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1930, 1910.) Bei
einem derartigen Falle, der einen auffallend progredienten Charakter trug,
gelang es D. durch umfangreiche Inzisionen und einen zirkulär angelegten
Heftpflasterstreifen unterhalb der phlegmonösen Partie den weiteren Fort¬
schritt des Prozesses aufzuhalten. Es ist wahrscheinlich, daß die Anlegung
des Pflasterstrcifens den Stillstand des Prozesses bewirkt hat.
Franken stein (Köln).
Alois v. Reding (Zürich), Zur Behandlung der Post-partum-BIutungen
durch künstliche Blutleere der unteren Körperhälfte nach Momburg. (Korre-
spondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 32, 1910.) Mit sehr guten Erfolgen
Wurde seit Ende 1909 in der Züricher Klinik der Momburg’sehe Taillenschlauch
in allen Fällen von Nachgeburtsblutungen angelegt, bei denen die gewöhnlichen
Maßnahmen inklusive heißen intrauterinen Spülungen versagten oder in denen
die Blutung von vornherein profus war. Man ziehe den Schlauch lieber zu
fest als zu wenig fest an. Man sorge dafür, daß er gut auf der Haut rutscht.,
wozu anstatt Speckstein merkwürdigerweise das gummizerstörende Öl empfohlen
wird. Meistens lag der Schlauch 10—20 Minuten, auch 30. In anderen
Kliniken hat man ihn schön bis zu 2 Stunden ohne Schaden liegen lassen.
Blutet es bei Abnahme noch, so kann man den Schlauch sofort wieder an-
ziehen. — Voller Erfolg wurde 28mal unter 30 Fällen erzielt: 16 Atonien,
12 Retentionen der Plazenta, 2 Zervixrisse. Ein Hauptvorteil der Taillen-
umschnürung muß darin gesehen werden, daß man die sich zur Blutstillung
nötig machenden Encheiresen in voller Ruhe, nach sorgfältigster Desinfektion,
machen kann: es blutet ja währenddessen nicht. Das gerade ist für den
praktischen Arzt von eminentem Vorteil. — Einmal trat ein vorübergehen¬
der Kollaps ein, 3mal klagten die Frauen über heftige Schmerzen in den
Beinen. — In dem einen der beiden Versager fälle wurde die Blutung durch
Uterovaginaltarnponade gestillt, die während der Umschnürung ausgeführt
wurde. Der andere Fall verblutete sich trotz Tamponade usw., es war einer
jener schwersten Atoniefälle, gegen die höchstens die Exstirpation des Uterus
hilft, wenn sie noch rechtzeitig ausgeführt wird. Die Frau hatte außerdem:
Placenta praevia gehabt und kam schon ausgeblutet in die Anstalt. —
Während kräftigen Frauen wohl nie mit der Umschnürung Schaden zu¬
gefügt wird, soll man bei schwer anämischen, schwer herzkranken Und
dekrepiden Frauen sehr vorsichtig sein. Bei ihnen erlebe man des öfteren
heim Lösen des Schlauches schwere Kollapszustände, gegen die auch nach
Ansicht v. R.’s die Abschnürung der unteren Extremitäten nichts helfen
würde, eher noch steile Beckenhochlagerung, um eine Anämisierung des Ge¬
hirns zu verhindern. R. Klien (Leipzig).
Walter Gray Crump (New York), A new Oil in the Treatment of
Postoperative Abdominal Adhesions. (Surg., Gvnaec. and Obst., Nov. 1910.)
Während in Deutschland schon mehrmals vorübergehend Versuche gemacht
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Referate und Besprechungen.
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worden sind, durch Eingießung von Öl in die Bauchhöhle die Bildung von
Adhäsionen zu verhindern, hat C. die Sache konsequent verfolgt und ist
zu einem anscheinend höchst bedeutungsvollen Resultat gekommen. C., der
Gelegenheit hatte, sehr viele verschiedene Olivenöle zu probieren, fand,
daß einerseits deren Gehalt an freien Fettsäuren ein sehr schwankender war
— zwischen wenigler als 1% und 25% — uftd daß andererseits nur öle
mit ganz niedrigem Gehalt an Fettsäuren sich eigneten. Um sich von der
Handelsware unabhängig zu machen und um ein wahrscheinlich zur schließ
liehen Resorption noch geeigneteres Öl zu bekommen, hat er durch den
New Yorker Chemiker Bayles unter besonderen Kautelen aus dem Omentum
und den Appendices epipl. des Rindes ein sehr leicht schmelzbares, bei
Körpertemperatur leicht flüssiges, fast fettsäureloses Fett (unter dem wenig
geschmackvollen Namen ,,heiliges Öl“ anscheinend in den Handel gekommen)
herstellen lassen, welches allen (Anforderungen Genüge leistet. Dieses „Öl“
ist sogar bakterizid. C. hat es in Mengen von 100—2000 ccm in 40 Fällen
in Bauchhöhlen gegossen, wo zahlreiche Adhäsionen gelöst worden waren
oder in die z. T. infektiöser Eiter s'ub operatione hineingelangt war. In allen
diesen Fällen erfolgte die, Rekonvaleszenz äußerst glatt. Öfter kamen
schon nach 6 Stunden spontan Winde, nach 24 Stunden Stuhl. Saßen die
Adhäsionen im kleinen, Becken, dann wurden die Pat. in die sog.
Fowler’scho Lage gebracht, damit das Öl in das kleine Becken hinabfließen
konnte. Auch bei tuberkulösen und septischen Peritonitiden soll sich die
Öleingießung bewährt haben. Einige besonders instruktive Fälle werden
ausführlich mitgeteilt, u. a. folgender: Bei doppelseitiger, durch Kultur
als gonorrhoisch nachgewiesener Eitertube wurde beiderseits der Verschluß
des ampullären Endes gelöst, der Eiter herausgedrückt, durch das Tuben*
lumen in die Korpushöhle ein Katgutdocht Nit 2 eingelegt und dann die Bauch¬
höhle geschlossen, nachdem öl eingegossen worden war. Fowler’sche Position.
Am zweiten Tage war bereits öl in der Vagina nachweisbar, am 18. Tag
verließ die Pat. das Spital; später ergab die bimanuelle Untersuchung völlig
intakte Adnexe. — Das Öl soll in Holzfässern oder in Steingefäßen dunkel
und kühl aufbewahrt werden. Zur Verwendung in der Bauchhöhle wird es
pasteurisiert, 3mal bei 80—88° C. Es eignet sich auch zu Eingießungen
in den Darm und in die Blase. — Vor der Hand empfiehlt C. die Öleingießung
in Fällen, wo viel in der Bauchhöhle herummanipuliert worden ist, wo Ad¬
häsionen bereits da sind oder befürchtet werden, wo unperitonisierte Stellen
zurückgelassen werden müssen, in allen septischen Fällen, zur Erleichterung
der Dränage, endlich bei konservativen Adenexoperationen, wo man Durch¬
gängigkeit der Tuben zu erzielen wünscht. Vielleicht wird aber C. bei weiteren
günstigen Erfahrungen die Öleingießung bei jeder Laparotomie machen, schon
wegen der so rasch einsetzenden Darmtätigkeit. R. Klien (Leipzig).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
S. Weiß (Straßburg), Über Influenza bei Säuglingen. (Med. Klinik,
Nr. 37, 1910.) Weiß beschreibt mehrere Endemien von Influenza, die hei
Säuglingen teilweise in der Säuglingsheilstätte in Straßburg beobachtet
wurden, und in denen die Natur der Krankheit teils aus dem Bazillenbefunde,
teils aus begleitenden Nebenumständen mit Sicherheit erschlossen wurde. Hin¬
sichtlich des Verlaufes der Influenza bei Säuglingen konnte einiges Be¬
merkenswerte teils bestätigt, teils neu festgestellt werden. Bestätigt wurde u. a.
die auch von anderen Autoren gemachte Beobachtung, daß vielfach Symptome
von seiten des Magendarmkanales bei der Säuglingsinfluenza im Vordergründe
der Erscheinungen stehen, sowie daß die prognostisch im allgemeinen gutartige
Erkrankung von den schlimmsten Folgen in den Fällen begleitet sein kann,
wenn sie einen durch anderweitige Erkrankung geschwächten oder durch
andere Momente in seinem Widerstand herabgesetzten kindlichen Organismus
befällt. In manchen Fälleti verlief die Erkrankung unter dem Bilde eines
länger dauernden Fiebers ohne Katarrhe, womit der Beweis erbracht wird.
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Referate und Besprechungen.
daß auch bei Kindern die chronische Form der Influenza vorkommt, die über¬
haupt auch hier ihren proteusartigen Charakter nicht verleugnet.
R. Stüve (Osnabrück).
P. Mulzer und W. Michaelis (Berlin), Aus dem kaiserl. Gesundheitsamt
und der Prof. Neumaiw’schen Kinderpoliklinik. (Berl. klin. Woehenschr.,
Nr. 30, 1910.) Um den eventuellen Einfluß einer spezifischen Kur auf die
hereditäre Lues feststellen zu können, wurden bei einer Reihe von Kindern
diesbezügliche Untersuchungen vorgenommen. Von 19 Kindern gelang es nur
6mal, die ursprünglich positive Reaktion durch die Behandlungskur (Protoj.
hydrarg. resp. Jodkali) in eine negative umzuwandeln. Bei 4 weiteren
Fällen von hereditärer Syphilis, die nie oder wenigstens zurzeit nicht klinische
Symptome boten, wurde auf Veranlassung von Prof. Neumann Eisen -
Sajodin verwendet. Es wurden täglich 3mal 2 Tablette^ ä 0,5 g gegeben;
z. B. erhielt ein 16jährige« Mädchen 7 Wochen lang das Präparat, also im
ganzen 300 Tabletten. In allen 4 Fällen war die bei Beginn der Kur positive
Reaktion am Schluß der Behandlung negativ geworden. Neumann.
Psychiatrie und Neurologie.
K. Willmans (Bonn), Statistische Untersuchungen über Haftpsychosen.
(Allg. Zeitschr. für Psych., Bd. 67, H. 6.) Aus den in den letzten 5 Jahren
in der dortigen Heilanstalt beobachteten diesbezüglichen Aufnahmen glaubt
Verf. schließen zu können, daß in der Isolierhaft mehr paranoide, in der
Kollektivhaft mehr stuporöse Symptomenkomplexe entstehen. Beide Formen
spricht Verf. als Haftpsychosen an. Die sehr summarische Arbeit, die z. B.
nur ganz allgemein von Rezidiven spricht, erlaubt mancherlei Zweifel.
Zweig (Dalldorf).
Friedländer (Hohe Mark), Psychoneurose und Diabetes insipidus. (Zeit¬
schrift für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 3, H. 5.) Bei einer'hereditär-tuberkulös
belasteten, stets debilen Kranken trat im 20. Lebensjahr nach mannigfachen
Erregungen und körperlichen Anstrengungen die Sucht zu trinken auf. FNir
diese Zeit besteht eine partielle Amnesie. Wenn die Patientin ihrem Drang
nicht nachgehen konnte, wurde sie unruhig und ängstlich (Ähnlichkeit mit
Abstinenzerscheinungen der Morphinisten, denen sie auch bezüglich der Ver¬
suche, ihre Umgebung über die Befriedigung des Triebes zu täuschen, gleicht).
Nach dem Genuß ijst sie; auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit, leidet aber
unter den Selbstvorwürfen, die sie sich macht. Hypnose hatte einen gewissen
Erfolg. Betrachtet man als echten Diabetes insipidus nur denjenigen, bei dem
die Polyurie das Primäre ist und auch bei Beschränkung der Flüssigkeit
bestehen bleibt (Verletzungen des Schädels und Gehirns, Gehirnerkrankungen,
hereditärer Diabetes insipidus und Lues), so ist man berechtigt, die Poly¬
dipsie der Patientin als ein Symptom ihrer Zwangsneurose aufzufassen.
(Zwangsmäßiges Durstgefühl, Kampf gegen dasselbe, Angst, die mit Befrie¬
digung des Triebes auf hört, Depression infolge von Reue und Selbstvorwürfen.)
Zweig (Dalldorf).
P. Jödicke (Kückenmühle-Stettin), Über kombinierte Arsen-Eisen-Brom-
Therapie bei Epilepsie. (Psych.-neur. Woehenschr., Nr. 35.) J. beobachtete
von der Kombination der üblichen Bromnatriumdosen mit Arsenferratose (3 mal
tgl. 1 Eßlöffel nach dem Essen) bei anämischen Epilepsien erhebliche Besserung
sowohl des allgemeinen körperlichen Befindens als auch hinsichtlich der Zahl
und der Heftigkeit der Anfälle. Außer der guten Bekömmlichkeit auch bei
längerer Darreichung ergab sich als weiterer Vorteil eine wiederholt beobachtete
Besserung der Bromakne. Zweig (Dalldorf».
M. Mühlmann (Millman), Untersuchungen über das lipoide Pigment
der Nervenzellen. (Ist das Nervenpigment ein Abnutzungsprodukt der Zelle?)
(Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 202, S. 153, 1910.) Gegen die Theorie
der Nervenpigmentbildung infolge von Abnutzung der Nervenzellen im Leben
lassen sich verschiedene Momente anführen: 1. die regelmäßige Verschiedenheit
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Referate und Besprechungen.
im Pigmentreichtum verschiedener Gebiete des Zentralnervensystems, deren
Verbrauch im Leben keine analoge Verschiedenheit aufweist, 2. eine be¬
sonders intensive Pigmentierung mancher Gebiete, deren ausgiebigere Ab¬
nutzung im Vergleiche mit anderen Gebieten fraglich ist, und 3. das Fehlen
des Parallelismus zwischen dem Pigmentwachstum und dem Abnutzungsgrade
in den entsprechenden Gebieten, welche denselben Funktionen vorstehen.
Da diese Einwände aber doch auch schwache Seiten haben, so unter¬
nahm es Verf., eine objektive Bestimmung des Pigraentgehaltes der Nerven¬
zellen in solchen Gebieten auszuführen, die eine vollständig gleiche Funktion
ausüben, nur in verschiedener Qualität. Er wählte dazu das Rückenmark
im Bereiche der die Armmuskulatur versorgenden Segmente, wo ja die Rechts¬
händigkeit des Menschen eine stärkere Entwicklung von Abnutzungspigment
rechterseits hätte zur Folge haben müssen.
Es ergab sich indessen, daß in 16 von 18 Fällen rechts die Pigmentmenge
geringer war als links, daß die mehr arbeitende Seite also weniger Pigment
enthält. Zählungen an Serien aus dem 1. Lumbalsegmente hatten ein etwas
widersprechendes Ergebnis: in 6 Fällen war rechts mehr Pigment als links,
in 3 Fällen umgekehrt. Analoge Zählungen am Hypoglossuskern ließen in
8 von 9 Fällen ebenso wie irr\ Halsmarke rechts weniger Pigment finden
als links.
Verf. erklärt sich diese Befunde durch die Annahmie, daß die lipoide
Pigmjentkörnelung der Nervenzellen eine Folge der Ernährungsstörung der
Zelle sei, welche durch das Zusammenleben der Zellen entsteht und durch
das Wachstum stets vergrößert wird.
Die Art der Ernährungsstörung besteht in erster Linie in einer Ver¬
ringerung der Nahrungsmenge, in zweiter Linie vielleicht guch in toxischer
Wirkung der Zellprodukte. Eine bessere Ernährung muß also die Pigment-
bildung verringern, eine schlechtere sie steigern. Eine verstärkte Tätigkeit
der Zelle verbessert dank dem gesteigerten Blutzuflusse deren Ernährung;
die tätigere rechte Rückenmarkseite, welche den rechten Arm inner viert,
muß demnach eine geringere Menge von rückständigen. Stoffwechselprodukten
enthalten als die weniger in Anspruch genommene linke Seite.
W. Risel (Zwickau).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Schulz-Zehden (Berlin), Erfahrungen über die Dungern’sche Methode
der Syphilisreaktion in der Sprechstunde. (Med. Klinik, Nr. 27, 1910.)
v. Düngern hat ein vereinfachtes Verfahren der Wassermann’schen Lues-
Reaktion angegeben, welches allenfalls in der Sprechstunde ausführbar ist.
Schulz-Zeh den hat in einer Anzahl von geeigneten Fällen das Verfahren
angewandt und die Resultate nach Wassermann nachprüfen lassen; das
Ergebnis war in allen Fällen das gleiche, woraus man eine Gleichwertigkeit
der beiden Methoden schließen kann. — Bezüglich der Einzelheiten des Ver¬
fahrens hei der v. Dungern’schen Reaktion und der dazu nötigen Reagentien,
muß auf das Original verwiesen werden. R. Stüve (Osnabrück).
Heinrich Citron und Paul Mulzer (Berlin), Über die Herstellung ge¬
brauchsfertiger Lösungen von Dioxydiamidoarsenobenzol. (Ehrlich-Hata 606.)
(Med. Klinik, Nr. 39, 1910.) Die Verf. haben im Kaiserlichen Gesundheitsamte
folgendes Verfahren zur Herstellung von gebrauchsfertigen Lösungen des
neuen Ehrlich'sehen Syphilismittels ausgearbeitet, das sie hinsichtlich seiner
Einfachheit und sonstigen Vorzüge Wegen auch für die allgemeine Praxis
empfehlen zu können glauben. >— In eine sterile, 15 ccm fassende Rekord¬
spritze, die an ihrem Kanülenende mit einem Konus verschlossen ist, wird
das zur Injektion bestimmte Quantum Hatapulver eingeschüttet und mit
einigen Tropfen Alkohol befeuchtet. Der Kolben ist zuvor entfernt worden.
Nun setzt man bis zur Marke 5 heißes destilliertes Wasser zu, setzt den
Kolben ein, legt den Befestigungsring um und schüttelt gut durch. Es
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307
resultiert eine klare goldgelbe Lösung. Nun nimmt man den Kolben wieder
heraus und setzt von einer 10%igen Aufschwemmung von Kalzium-Karbonat
in physiologischer NaCl- Lösung langsam unter starkem Schütteln 40 Tropfen
zu. Es entsteht eine dickliche rahmartige (Emulsion, von dem Aussehen
etwa wie Eierkognak. — Nach beendeter Ausfällung wird die Kolbenstange
aufgeschraubt und eine nicht zu dünne Kanüle aufgesetzt. — Zur Injektions-
stelle werden die Glutäen gewählt. — Im begleitenden Texte wird eine
Bemerkung in dem Sinne gemacht, daß der von Kromayer empfohlenen
Paraffinemulsion ,u. a. der Nachteil anhafte, daß nicht die Base, Bondern
das Salz eingespritzt würde. In einer in Nr. 40 der Med. Klinik veröffent¬
lichten Notiz widerspricht Kromayer dem sehr lebhaft und hält daran fest,
daß die Paraffinemulsion des neuen Mittels wegen ihrer leichten Herstellung
und ihrer Haltbarkeit und der Möglichkeit, sie ambulant anzuweiulen, seiner
Anwendung sehr zu statten kommen und außerdem sei es ein ,Vorteil Jer
Paraffinmethode, daß mit dem Mittel keinerlei chemische Manipulationen,
wie bei den sonstigen Injektionsmethoden, vorgenommen würde, sondern das
Präparat als solches dem Körper einverleibt würde. R. Stüve (Osnabrück).
Verchfcre (Paris), Metrorrhagien nach Ehrlich 606. (Acad. de med.,
6. Dezember 1910.) Bei zwei jungen Frauen, welchen im Sekundärstadium
der Lues intravenöse Injektion von Ehrlich-Hata 606 gemacht waren, stellten
6ich sehr heftige Metrorrhagien ein, welche 3 bzw. 4 Tage dauerten und
deshalb höchst bedrohlich aussahen. Bei einer der Frauen war die Regel
einmal ausgeblieben gewesen; es bestand also die Möglichkeit einer Gravidität.
Verchere rät im Hinblick darauf dringend ab, während der Schwangerschaft
eine Behandlung mit „606“ einzuleiten. Aber auch ohne solche sind Metror¬
rhagien keine erfreuliche Nebenwirkung, vorausgesetzt, daß man j>ost Jioc,
ergo propter hoc schließen will. Buttersack (Berlin).
Augenheilkunde.
Paul Cohn, Eisensajodin in der Augenheilkunde. (Med. Klinik, Nr. 42,
1910.) C. hat nun das Eisensajodin bei 15 augenkranken Kindern klinisch,
angewendet, von denen alle — mit einer Aufnahme — das typische Bild
der Skrofulöse darboten. Der klinische Aufenthalt der Kinder schwankte
zwischen 2 und 17 Wochen, ihr Alter zwischen 3 und 13 Jahren. Die
Dosis des Medikamentes betrug je nach dem Alter der Kinder 2—3 Tabletten
0,5 Eisensajodin, stets im Anschluß an die Mahlzeiten einzunehmen. Eine
anderweitige innerlich-medikamentöse Therapie fand nicht statt. Alle Kinder,
ohne Ausnahme, nahmen die Tabletten mit großem Vergnügen ein. Eine
Magen- oder Darmstörung wurde {niemals beobachtet. In keinem Falle trat
eine üble Nebenwirkung des Jods, wie Akne, Schnupfen Usw., auf. Ein
deutlicher günstiger Einfluß auf das Allgemeinbefinden war, besonders bei
längerem klinischen Aufenthalt, niemals zu verkennen: der Appetit nahm
stets ln erfreulicher Weise 'zu, das Aussehen des Kindes besserte sich zu¬
sehends, die Wangen röteten und füllten sich, die Ekzeme heilten in manchmal
überraschend schneller Weise ab. Auch bei den eigentlichen Augenaffektionen
war, von einzelnen besonders hartnäckigen Fällen abgesehen, stets eine schnelle
Besserung und Heilung zu verzeichnen.
A\ls einer beigegebenen Tabelle geht hervor, daß das Körpergewicht der
kleinen Patienten eine Zunahme bis zu 3700 g, d. h. pro Woche bis zu
530 g betrug.
In der Versuchsreihe ist nur 1 Kind mit einem hereditär-luetischen
Augenleiden aufgeführt. Der Fall verlief ganz besonders leicht und schnell.
Sobald C. eine größere Anzahl von Fällen zur Verfügung hat, wird er
versuchen, idie Einwirkung des Eisensajodins auf den Heilungsprozeß der
Keratitis interstitiatis e lue hereditaria darzustellen.
Kurz zusammenfassend, kommt C. also auf Grund längerer Versuche
zu dem Schlüsse, daß wir in dem „Eisensajodin“ ein gut verträgliches, wohl¬
schmeckendes Eisenjodpräparat besitzen, das bei längerem Gebrauch bei skrofu-
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Referate und Besprechungen.
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lösen Kindern von vorzüglicher Wirkung auf das Allgemeinbefinden und dem¬
gemäß auch auf lokale skrofulöse Augenaffektionen ist, und das daher allen
Fachgenossen bestens empfohlen werden kann. Neumann.
Sachs-Müke (Beuthen), Trachomkörperchen im trachomatösen Augen¬
sack. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 2.) Bei einem jahrelang vergeblich
behandelten, klinisch sicheren Trachomfalle gelang bei Serienschnitten des
exzidierten Tränensackes die Darstellung der Trachomkörper durch Giemsa-
Lösung und die Gram-Färbung. Schürmann.
Vergiftungen.
Zwick und Weichei (Berlin), Zur Frage des Vorkommens von sogen.
Fleischvergiftungserregern in Pökelfleischwaren. (Aus dem Kaiserl. Ge¬
sundheitsamte, Bd. 33, H. 2.) Verfasser widerlegen die Ansicht von Dähm,
Fürst und Mühlens, daß in normalen Fleischarten, in ungekochtem Schweine¬
fleisch und Gänsepökelfleisch enteritisartige Bakterien häufiger vorkämen.
Der Mäuseversuch (Verfütterung) ist ungeeignet; denn die Tiere gehen
schon durch Verfütterung von Pökelfleisch zugrunde. Bei einseitiger Fleisch¬
fütterung der Mäuse gehen sehr oft die Enteritisbakterien, die nicht selten,
im Mäusedarme gefunden werden, in das Blut und die inneren Organe über.
Schürmamn.
Weichei (Berlin), Über die Einwirkung von Kochsalz auf die Gruppe
der Fleischvergiftungserreger. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 34,
H. 3, 1910.) Bakterien aus der Gruppe der Fleischvergiftungserreger werden
in Nährmedien, die 10% Kochsalz und mehr enthalten, in kurzer Zeit bei
Zimmer- und höherer Temperatur abgetötet. Im Fleisch dagegen, das Fleisch¬
vergifter enthielt, tritt keine Abtötung ein, selbst bei einem Kochsalzgehalte
von 19%. Im bereits infizierten Fleisch gelang eine Abtötung bei einem
Kochsalzgehalte von 12—19% erst nach 75 Tagen. Schürmann.
Medikamentöse Therapie.
E. Edens (München), Digitaliswirkung bei unregelmäßiger Herztätig¬
keit. (Ther. Monatsh., Januar 1911.) Gerade in den schwierigsten Fällen
der unregelmäßigen Herztätigkeit hat unsere Sicherheit in der Digitalis¬
anwendung durch die klinischen Pulsanalysen zugenommen. Die Arhythmie,
wird allerdings nicht beeinflußt, ja, wenn man die Dauer der einzelnen
Pulsschläge untereinander vergleicht, so findet man größere Differenzen als
zuvor, oder dio Frequenz im ganzen wird herabgesetzt; die Insuffizienz¬
erscheinungen gehen in entsprechender Weise zurück. Ein Versagen der
Digitalis, das früher gern mit wechselnder Beschaffenheit der Droge in Zu¬
sammenhang gebracht wird, wird jetzt in vielen Fällen durch die Art der
Herzerkrankung (Leitungsstörungen) zwangloser erklärt werden können. Zu¬
gleich werden solche Fälle in Zukunft nicht nur keine unangenehme Störung
unserer Therapie sein, sondern uns wertvolle diagnostische Winke geben.
Dio besten Erfolge von der Digitalis siebt man in den Fällen, wo durch
einen Mitralklappenfehler Herzmuskelschwäche aiifgetreten ist, die ihrerseits
durch Beeinflussung (1er nervösen Zentren zur Pulsbeschleunigung führen
dürfte. Vielleicht der wichtigste Faktor für die gute Wirkung liegt in der
Hebung des Koronarkreislaufes, die durch Verlängerung der Diastole und
stärkere Füllung des arteriellen Systems gewährleistet wird und deshalb so
wichtig ist, weil der hypertrophische Muskel eine stärkere Durchblutung er¬
fordert.. Wo aus mechanischen Gründen durch die Digitaliswirkung keine
wesentliche Besserung der Durchblutung des Herzens erzielt werden kajan,
so bei der Aorteninsuffizienz, da sehen wir die Digitalis mehr oder weniger
versagen. Sie versagt deshalb wohl auch bei den Fällen, in denen die Puls-
beschleunigung nicht als Folge einer Herzmuskelinsuffizienz erscheint, son¬
dern primär vom Herznervensystem ausgehen dürfte, so bei der paroxysmalen
Tachykardie, dem sogenannten wechselnden Rhythmus und die Pulsbeschleu¬
nigung bei Hyperthyreoidismus. S. Leo.
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Referate und Besprechungen.
309
V. Dvorak (Luka di Giuppana), Über den neuen Mentholester Coryfin.
(AUg. Wiener med. Ztg., Nr. 20, 1910.) Dvorak empfiehlt auf Grund seiner
Beobachtungen das Coryfin 1. als schmerzstillendes Mittel bei Kopfschmerz,
Migräne, Neuralgien aller Art. Es wirkt intensiver als der Migränestift.
2. Als ausgezeichnetes Schnupf mittel bei Rhinitis (hier auch in Salbenform).
3. Als Gurgel- und Inhaliermittel oder in Form von Bonbons bei katarrhalischen
Affektionen. Esch.
M. Rothmann, über die Unbrauchbarkeit des Rizinusöls als Abführ¬
mittel bei Phosphorvergiftung. (Ther. Monatsh., Nov. 1910.) Die War¬
nung vor dem Gebrauche des Rizinusöls bei der Phosphorvergiftung besteht
zu Recht, und man darf wohl annehmen, daß auch bei Vergiftungen mit
anderen relativ gut Lipoid löslichen Substanzen (Cantharidin, Nitrobenzol,
Santonin, Extract. filic.) das gleiche gilt. S. Leo.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Baumann (Essen), Ein praktisches modifiziertes Glühlichtbad. (Med.
Klinik. Nr. 27, 1910.) Die von B. beschriebene Modifikation des Glühlicht¬
bades besteht vor allem darin, daß die bisher übliche hölzerne Kastenwand
durch einfache wollene oder baumwollene Tücher und Laken ersetzt ist;
die Glühlichtlampen sind auf 4 eiserne Ständer montiert, die im Quadrat von
1.5 m Seitenlange aufgestellt und durch Eisenstangen an ihren oberen Enden
miteinander verbunden werden. Über die Querstangen werden die Tücher ge¬
hängt, die Abdichtung am Fußboden muß sorgfältig sein, um den im Bade
sitzenden Kranken vor jeglichem Luftzuge zu schützen. Vorteile: Trans¬
portierbark eit und Wegfallen der im Kasten bei den Kranken öfter auftreten¬
den Angstgefühle; größere Billigkeit. : — 2 Abbildungen erläutern die Be¬
schreibung im Original; der Apparat ist zu beziehen durch Reiniger, Gebbert
& Schall, A.-G., Berlin-Erlangen. R. Stüve (Osnabrück).
Br. Bloch (Basel), Vegetarische Diät, Psoriasis und pathologisches
Nagelwachstum. (Med. Klinik, Nr. 39, 1910.) Bloch berichtet über einen
Fall von hartnäckiger Psoriasis, der bis dahin allen möglichen Behandlungs¬
arten Trotz geboten hatte, und 14 Tage, nachdem eine rein lakto-vegetarische
Diät innegehalten worden war, auffällige Besserungen zeigte und nach drei
Monaten vollkommen verschwunden war. Gleichzeitig mit dieser Besserung
Ttar auch eine typische Psoriasis der Fingernägel gewichen und normaler
Nagel nachgewachsen. — (Abbildung.) Aus dem vorliegenden und ähnlichen
Fällen irgendwelche Schlüsse für die Ätiologie der Psoriasis zu ziehen, hält
Verfasser für unangebracht; jedenfalls wäre das nach dem Verfasser auch
nur in dem. Sinne statthaft, daß in solchen Fällen die Änderung in Nahrung
und Stoffwechsel die Haut, den Sitz der Erkrankung, so zu verändern vermag,
daß nun die Bedingungen für den mutmaßlichen, uns noch vollkommen unbe¬
kannten Erreger, der Erreger der Psoriasis, sei es ein belebter Körper (Mikro¬
organismus) oder unbelebter Stoff, so schlechte werden, daß seine Weiter¬
existenz und damit seine krankmachenden Wirkungen unmöglich werden.
R. Stüve (Osnabrück).
Allgemeines.
Spitta und R. Heise (Berlin), Beiträge zur Frage der Gesundheits¬
schädlichkeit offener Koksfeuer bei ihrer Verwendung zum Austrocknen
von Neubauten. (Aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte, Bd. 34, H. 1.) Die
zum Austrocknen von Neubauten aufgestellten Koksfeuer entwickeln Kohlen¬
oxydgas. Sind die sich entwickelnden Mengen von Gas so groß, daß sie ver¬
giftend bei den Bauleuten wirken können ? Wenn etwa ein Drittel der Fenster-
flache der frischen Luft zugänglich bleibt, kann man von einem Aufkommen
einer Vergiftungsgefahr nicht sprechen. Verboten soll die Aufstellung von,
Koksfeuern in geschlossenen R,äumen sein; und auch ist ein längeres Ver-
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Bücherschau.
'weilen in Räumen, wo Koksöfen brennen, untersagt. Es ist noch tunent¬
schieden, ob nicht dort die kleinen Mengen von 0,3%o Kohlenoxydgas auf
die Dauer schädlich wirken können. Schürmann.
Kurpfuscher in Sachsen. (Med. Blätter, Ther. Zentralbl., Nr. 12, 1910.)
Nach einer Zusammenstellung des sächsischen Landes-Medizinalkollegiums für
1908 gab es in diesepn Jahre in Sachsen 2158 Ärzte und 1337 Kurpfuscher,
ohne Zahnkünstler; die Zahl der Arzte vermehrte sich um 22, die der Kur¬
pfuscher um 117. Auffallend ist die Vermehrung der weiblichen Mitglieder
dieser Zunft. Sie hat sich im Berichtsjahr um 81 vermehrt, und ihre Zahl
ist damit auf 508 gestiegen. Vielfach handelt es sich bei ihnen um Ehefrauen,
von Handwerkern und Arbeitern, um geschiedene Frauen, Witwen, ehemalige
Köchinnen, Dienstmädchen und Wirtschafterinnen. Irgendwelche ernsthafte
Vorbildung ist weder bei den meisten weiblichen noch männlichen Kurpfuschern
vorhanden. Sie sehen, daß mit der Heilbehandlung ein gutes Stück Geld
zu verdienen ist; sie glauben es geradeso gut zu verstehen, wie der Nachbar,
der „doktert“, die einen mit Wasser, Luft und Sonne, das sind die unge¬
fährlichsten, die anderen nur mit schönen Redensarten oder mit „Sympathie*',
mit Salben, Haaren, Tropfen, Streichen, Klopfen, Magnetismus, Mystik; das
Feld ist groß. In Wirklichkeit ist die Zahl der Kurpfuscher viel größer als
die oben angegebene Zahl, da viele Kurpfuscher ihr „Heilgewerbe“ nicht bei
der Behörde anmelden. Viele betreiben eben das edle Handwerk ohne Gewerbe¬
schein. S. Leo.
Bücherschau.
Brügelmann, Das Asthma, sein Wesen und seine Behandlung. 5. Auflage. Wies¬
baden 1910. Verlag von J. F. Bergmann.
Brügelmann betont den Satz, daß jedes Asthma eine Neurose ist und nie
ohne einen Reiz auf das Atemzentrum Zustandekommen kann. Je nachdem dieser
Reiz traumatisch, reflektorisch oder toxisch ist, werden 3 verschiedene Formen des
Asthma’s unterschieden. Neu ist an der vorliegenden Auflage, daß B. nicht sowohl
im Bronchialkrampf, als besonders im Trachealkrampf das Wesen des Anfalls sieht,
und daß derselbe eingeleitet wird von einer Schwellung und Entzündung der
Rachenmandel, welche die charakteristischen pfeifenden Geräusche veranlaßt. (!)
Eine Pinselung der Rachenmandel mit Atropin-Kokain kupiert den Anfall augen¬
blicklich. r Damit ist nun die Lehre vom Asthma abgeschlossen.“ (!)
Unter den Arten des reflektorischen Asthma nimmt das nasopharyngeale
durch seine Häufigkeit eine besondere Stellung ein. B. läßt es von „asthmogenen
Punkten“ in der Schleimhaut seinen Ausgang nehmen, die nur schwer auffindbar
sind und nur geringe Strukturveränderungen aufzuweisen brauchen. Asthmogene
Punkte finden sich in der Nase auch bei anderswo erzeugtem Asthma, ebenso wie
bei nasalem Asthma auch andere Organe, namentlich die Cervix Uteri affiziert sein
können. Der Überschätzung der „asthmogenen Punkte“ gegenüber muß doch gesagt
werden, daß gerade die Rhinologen von dem früheren Enthusiasmus bedeutend
zurückgekommen sind, und daß die meisten nur noch ernstlich raumbeschränkende
Momente und Druckstellen (etwa wenn eine Septumleiste sich in die gegenüber¬
liegende Muschel einbohrt) als Asthma-auslösend anerkennen. (Vergleiche hierüber
Kuttneris gründliches, von B. anscheinend nicht gekanntes Buch .Die nasalen
Reflexneurosen“.) B., der soviel von der Suggestion hält, scheint nie untersucht
zu haben, wie weit die Heilwirkung des Brennens asthmogener Punkte auf
Suggestion beruht.
Unter den Heilmethoden stellt B. die Education asthmatique voran, welche
in sich begreift eine Regelung der Lebensweise, Anleitung zur Selbstdisziplin, Ab¬
härtung, Gymnastik. Sie läßt sich am wirksamsten im Sanatorium durchführen.
Daneben sind unentbehrlich die Pneumotherapie (jedoch nicht in Form von pneu¬
matischen Kammern), die Suggestion und die Hypnose; endlich die Lokalbehaudlung
der auslösenden Organerkrankungen.
B/s Buch ignoriert fremde Anschauungen und alle theoretische Arbeit, die
zur Aufklärung der vielen ungelösten Probleme geleistet worden ist. Seine Systematik
beruht lediglich auf eigener Erfahrung und ist daher notwendig willkürlich und
lückenhaft. Da er Hypothesen für unwiderlegliche Wahrheit nimmt, ist es zu ver¬
stehen, daß ihm die Rätsel dieses rätselreichen Krankheitsbildes im wesentlichen
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Bücherschau.
311
als gelöst erscheinen. Ist sein Buch somit kein im strengen Sinne wissenschaftliches,
besonders kein Lehrbuch, so spricht es jedoch von der bedeutenden Erfahrung,
sowie von der überzeugten Ehrlichkeit des Verfassers, von dem Glauben an die
Richtigkeit seiner theoretischen Ausführungen wie seiner praktischen Katschläge.
Nicht zum wenigsten auf diesem Glauben an sich beruht seine ausgesprochene
therapeutische Begabung. — Zahlreiche Krankengeschichten tragen dazu bei, die
Lektüre für den Praktiker interessant und lehrreich zu gestalten.
Arthur Meyer (Berlin).
Boas, Bericht über die Fortschritte und Leistungen auf dem Gebiet der Elektro-
physiologie, Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. Sonderabdruck aus Schmidt’s Jahr¬
büchern der gesamten Medizin, Bd. 308.
Mit großem Fleiß hat der Verf. nicht nur aus der deutschen, sondern auch
aus der ausländischen Literatur der letzten & Jahre alles zusammengetragen, was
in dieser Zeit auf dem Gebiet der Elektrodiagnostik und -Therapie erschienen ist.
Boas hat mit seiner Zusammenstellung allen denen, die sich für dieses wuchtige
Kapitel interessieren, das in vieler Hinsicht noch manches Neue, auch für die
Therapie bringen wird, einen großen Dienst erw’iesen. Die einzelnen Referate
zeichnen sich durch Klarheit der Diktion und sorgfältige Auswahl des wichtigsten
aus den betreffenden Arbeiten ganz besonders aus. Im ganzen werden 502 Arbeiten
erwähnt. R.
Ide, Amrum, „Praktische Atmungsgymnastik für Jedermann“. München 1910.
Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 20 S. Mit 23 Abb. 0,75 Mk.
Äußerst praktisches und preiswertes Büchlein mit zehn guten, nach Text
und Abbildungen leicht ausführbaren Atemübungen, die jeder Arzt seinen Patien¬
ten nur empfehlen kann. Werner Wolff (Leipzig).
(Besprechung Vorbehalten.)
A. Albu, Beiträge zur Diagnostik der inneren und chirurgischen Pankreaserkran¬
kungen. Aus der Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Ver-
dauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Bd. 3, H. 1. Halle a. S. Verlag von Carl
Marhold. 108 S. 2,80 Mk.
E. Barth, Fischers therapeutisches Taschenbuch der Ohrenkrankhelten. Bd. 1.
Mit 15 Abbildungen im Text. Berlin 1911. Fischeris medizinische Buchhandlung
H. Kornfeld). 138 S. 4 Mk.
E. Bleuler, Die Psychoanalyse Freud’s. Verteidigung und kritische Bemerkungen
des Herausgebers. Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische und
psychopathologische Forschungen, Bd. 2. Leipzig und Wien 19H. Verlag von
Franz Deuticke. 110 S. 2,50 Mk.
IN. Bresgen, Die ärztliche Beeinflussung des Kranken. Leipzig 1911. Verlag
von Georg Thieme. 69 S. 1,50 Mk.
H. Ellis, Geschlecht und Gesellschaft. Grundzüge der Soziologie des Geschlechts¬
lebens. Autorisierte deutsche Ausgabe besorgt von H. Kure 11a. 2. Teil. Würz¬
burg 1911. Gurt Kabitzsch (A. Stuberis Verlag). 429 S. 5 Mk.
H. Eppinger, Allgemeine und spezielle Pathologie des Zwerchfells. Supplemente
zu H. Nothnagel, spezielle Pathologie und Therapie. Mit 31 Abbildungen im
Text. Wien und Leipzig 1911. Verlag von Alfred Holder. 266 S. 6,50 Mk.
W. Huber, Die junge Frau. Betrachtungen und Gedanken über Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett. Leipzig 1910. Verlag von J. J. Weber. 207 S. 3 Mk.
P. Janssen, Die Urogenitaltuberkulose. Aus der Sammlung klinischer Vorträge.
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 2,25 Mk.
A. Keller, Die Lehre von der Säuglingsernährung wissenschaftlich und populär.
Aus den Ergebnissen der Säuglingsfürsorge. 6. Heft. Leipzig und Wien 1911.
Verlag von Franz Deuticke. 86 S. 4 Mk.
A. Keller, Kinderschutz und Säuglingsfürsorge in Ungarn. Aus den Ergebnissen
der Säuglingsfürsorge. 8. Heft. Leipzig und Wien 1911, Verlag von Franz
Deuticke. 36 S. 1,80 Mk.
A. Keller, Säuglingsfürsorge und Kinderschutz in England und Schottland. Aus
den Ergebnissen der Säuglingsfürsorge. 9. Heft. Leipzig und Wien 1911. Verlag
von Franz Deuticke. 40 S. 2 Mk.
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812
Krankenpflege und ärztliche Technik.
W. Loehlein, Hygiene des Auges. Aus den Würzburger Abhandlungen. Würz*
•bürg 1911. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 85 Pfg.
H. Much, Die Immunitätswissenschaft Eine kurz gefaßte Übersicht über die
Immunotherapie und -Diagnostik für praktische Arzte und Studierende. Mit
5 Tafeln und 6 Abbildungen im Text. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch (A. Stuber's
Verlag). 162 S. 7,20 Mk.
0. Müller u. E. Veiel, Beiträge zur Kreislaufphysiologie des Menschen, besonders
zur Lehre von der Blutverteilung. Studien au Wasser-, Kohlensäure- und Sauerstoff¬
bädern verschiedener Temperatur. 1. Teil. Aus der Sammlung klinischer Vorträge.
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 2,25 Mk.
B. Salge, Fischer’s therapeutisches Taschenbuch für die Kinderpraxis. 5. Auflage
Berlin 1911. Fischer’s med. Buchhandlung (H. Kornfeld). 178 S. 3,50 Mk.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
„Vitasal“, Dauerumschlag mit Luftabschluß. Die bei Prießnitz-Umschlägen bis
jetzt angewandte Methode, feuchte Binden usw. zu verwenden, ist meist so um*-
stündlich und ohne fremde Hilfe oft so schwierig, daß man häufig von der Au¬
wendung derselben absah, zumal bei nicht sachgemäßer Ausführung oder nicht
richtigem Sitz mehr geschadet als genützt wurde.
Diese Übelstände werden durch den gesetzlich geschützten Dauer Umschlag
mit Luftabschluß (nach Dr. med. Goetsch, Breslau) in Form von Kleidungs¬
stücken in sinnreicher Weise beseitigt.
Die praktische Anwen¬
dung desselben in „Klei¬
dungsform“ ist derart ein¬
fach, daß sich jeder ohne
irgend welche Hilfe den
Umschlag anlegen kann.
Der unangenehme, öftere
Kältereiz, dessen nerven¬
erregende Wiederholung
früher bei jeder neuen
Wickeltour unausbleiblich
war, ist bei Benützung
dieser neuen Umschlagsart
auf ein einziges Mal be¬
schränkt.
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist der praktisch erprobte, fast hermetische
„Luftabschluß“, wodurch einerseits durch Vermeidung des Luftzutritts jede Er¬
kältungsgefahr ausgeschlossen, andererseits eine dauernde Feuchtigkeit des Um¬
schlages durch Verhinderung einer raschen Verdunstung der Umschlagflüssigkeit
garantiert ist. — Hierdurch werden die so schädlichen Temperaturschwankungen
im Umschläge vermieden, e3 wird daher, wie gewünscht, eine stets gleichmäßige
Blut- und Lymphzirkulation hervorgerufen, deshalb sicherste und rascheste Wirkung.
Ferner wäre noch unter anderen Vorteilen Kräftesclioiiung des Kranken und die
Ersparnis an Wartung und Pflege zu erwähnen.
Da alle Umschläge in Form von Kleidungsstücken hergestellt w r erden, wobei
außerdem auf leichte Regulierbarkeit des Druckes durch besondere Bändchenanord¬
nung Wert gelegt wird, bieten sie bei bestmöglichster Anpassung an die jeweiligen
Körperformen die größte Bepuemlichkeit im Tragen.
Sie leisten besonders bei Lungenleiden die vorzüglichsten Dienste, weil nur
durch diese geschlossene Westen- resp. Blusenrockform (vergl. Abbildung) die
wichtigsten Teile — die Lungenspitzen — sachgemäß hydrotherapeutisch ohne Er¬
kältungsgefahr behandelt werden können.
„Vitasal“ wird hergestellt von der Firma J. Matthias, Breslau V.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBA^JA-CHAMPAlöir^
29. Jahrgang.
1911
Tomcbriue der medlzin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herftusgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.'Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark !|
Nr. 14. , f ör das Halbjahr. 6. April.
===== Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ..- i
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Das Asthma.
Von Franz 0. R. Escliie.
Unter „Asthma“ (to cla!}f.ia vom Stamme -71? in drjjLii, flo — ud£a),
aegre spiritum duco — daO’fiairco^ anhelo) versteht man gewöhnlich
jede paroxysmal in Erscheinung tretende Atemnot ganz unab¬
hängig von ihrer Ätiologie.
O. Rosenbach 1 ), dem das tatsächliche, nur meistenteils verschwiegene
Verdienst gebührt, die verschiedenen unter diesen Namen zusammengefaßten
pathologischen Vorgänge unter Klarlegung der kausalen Zusammenhänge nach
prognostischen und therapeutischen Gesichtspunkten zuerst differenziert zu
haben, definiert — im Gegensätze zu dem subjektiven Lufthunger bei den
mit mehr oder minder hochgradigen Störungen im Energiehaushalt lebens¬
wichtiger Organe einhergehenden Zuständen von „Angina pectoris“ und „Steno¬
kardie“ und im Gegensätze zu den rein psychisch bedingten hochgradigen
Unlust- (Angst- und Schmerz-) Gefühlen der Pseudoangina pectoris resp. der
Pseudostenokardie — das eigentliche A-sthma als den „Zustand des
wahren Lufthungers, der bedingt ist durch das Versagen der an
der Aufnahme, dem Transport und der Verarbeitung des Sauer¬
stoffs zu oxygener Energie beteiligten Apparate.
Auch in der folgenden Auseinandersetzung ist trotz der keineswegs
so engen Fassung des Begriffes, wie sich z. B. in der sehr beachtenswerten
lind viele praktischen Fingerzeige bietenden Monographie S. Goldschmidt’s 2 ),
wenn auch von ganz anderen Gesichtspunkten ausgehend, findet, das Asthma
im engeren Sinne von dem Asthma im weiteren Sinne, den Zuständen der
Angina pectoris und der Stenokardie resp. der Pseudoangina, der Pseudo¬
stenokardie strenge auseinander gehalten worden.
Obwohl man verschiedener Meinung darüber sein kann, ob die
Nomenklatur heute noch eine Berechtigung hat. halte mit Rosenbach
auch ich es nicht für zweckmäßig den Begriff vollständig fallen
zu lassen, der immerhin nicht nur ganz spezifische quälende Beschwerden,
sondern trotz mancher Unklarheit über das eigentliche Wesen der Vor-
*) O. Rosen bach, Die Krankheiten des Herzens, S. 354—391. Wien und
Leipzig 1896—1899. Urban & Schwarzenberg. — Grundriß der Pathologie und
Therapie der Herzkrankheiten, S. 301 ff. Wien und Leipzig 1899. Urbau & Schwarzen¬
berg. — Uber zerebrales und kardiales Asthma nebst Bemerkungen über Stenokardie,
Albdrücken und verwandte Zustände. Münchn. med. Wocheuschr., Nr. 20 u. 21,
1900. — Nervöse Zustände und ihre psychische Behandlung. 2. Auf!. Berlin 1903.
Fischer’s med. Buchhandlung (H. Kornfeld).
2 ) S. Goldschmidt, Asthma 2. Aufl. München 1910. Verlag der Ärzt¬
lichen Rundschau (Otto Gmelin).
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gange auch eine gewisse pathologische Qualität der Störungen auf
Grund der traditionell von Ärzten und Laien mit dem Namen ver¬
knüpften Vorstellungen kennzeichnet.
Der Asthmatische ist im Anfall auch bei der stärksten Atmung
nicht zu einer mäßigen außerwesentlichen Leistung, d. h. körperlichen
Bewegung usw., befähigt, während der Gesunde trotz der Polypnoe
oder Hyperpnöe (v. Basch) — und gerade dadurch — maximale
Leistungen vollbringt.
Das wahre Asthma, das auch in der Buhe auftretende Gefühl
höchster Beengung, zeigt aber eine* schwere, trotz aller Verstärkung
der Atmung nicht zu beseitigende Störung des Sauerstoffhaushaltes an.
Mit Rosenbach sage ich des „Sauerstoffhaushaltes“, weil es sich
offenbar um etwas anderes handelt, wie um die bloße Erschwerung
der Aufnahme oder um vermehrten Bedarf wie bei der Dyspnoe: näm¬
lich um die Unmöglichkeit, den bei normalen Luftwegen oder verstärkter
äußerer Leistung der Lungen reichlich aufgenommenen und in normaler
"Weise (chemisch) verarbeiteten Sauerstoff durch den inneren Betrieb
(physikalisch) zu einer besonderen Form der Energie, der molekularen,
aktiven Sauerstoffenergie umzuwandeln, auf deren Vorhandensein der
reguläre Gewebstonus begründet ist und die mit der Oxydation an sich
keineswegs identisch ist, wenn auch beide Formen der Sauerstoffausnützung
normaliter in einem harmonischen Verhältnisse stehen. 1 )
Nicht ein derartiges Defizit an sich, sondern das Gefühl, ein solches
Defizit stehe unausbleiblich vor der Tür, die Furcht vor dem drohenden
Erlöschen der Lebensenergie, ist demgegenüber das Charakteristische
für die unter den Begriff des Asthmas im weiteren Sinne (der
Stenokardie) subsummierten Zustände. Und dieses Gefühl bleibt
keinem Asthmatischen auch nur in einem Moment seines Anfalls erspart.
Es bedingt auch wegen der damit verbundenen Qual besondere symp-
tomische Maßnahmen, so different sich auch auf Grund der Analyse
des individuellen Vorgangs die Indicatio causalis und nicht minder
die Prognose gestalten mag.
Kardiales Asthma.
Nicht jede Atemnot, die wir bei Herzkranken beobachten, stellt
sich glücklicherweise als rein objektive, reale Dyspnoe dar. Nicht nur
die hochgradigen Störungen im Energiehaushalt lebenwichtiger Organe,
die beim Fortbestehen über eine gewisse Zeitdauer hinaus schließlich
zur Erstickung führen müssen, sondern auch schon feinere Verände¬
rungen im Stoffwechsel gelangen ja auf dem Wege über die Großhirn¬
rinde zum Bewußtsein und können — in gewissem Grade unabhängig
von der Größe der objektiven Veränderungen — die charakteristischen
subjektiven Beschwerden, die Gefühle stärkster Beengung und Be¬
klemmung, des Vergehens und einer wahren Todesangst her vorrufen.
Die bloße FunktionsVeränderung resp. die Regulationsstörung,
durch die das Gesamtergebnis der Leistung nicht vermindert wird,
kann ebenso wie die durch objektive Störungen in der Energetik bedingte
Funktionsverändenmg durch Ernährungsanomalien in den zerebralen
Zentren auch eine Veränderung des Atmuiigstypus bedingen, die
3 ) Vgl. auch die trefflichen Ausführungen von F. Buttersack in dessen Fest¬
schrift zum 100jährigen Jubiläum der Kaiser Wilhelms-Akademie: r Die Elastizität
eine Grundfunktion des Lebens* 1 , S. 109—116 und S. 144—150. Stuttgart 1910.
Ferd. Enke.
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Das Asthma.
315
nach Rosenbach’s Untersuchungen die ganze Skala periodischer und
atypischer Atmung bis zum Cheyne-Stokes’schen Phänomen um¬
faßt und auch mit der quälenden Empfindung der Beengung und des
Vergehens verknüpft sein kann. Aber in allen den Fällen, die durch
eine Veränderung der Fähigkeit zur Kraftbildung charakterisiert sind,
hat der Wille der sonst durch die Intervention des Großhirns und
der durch dieses zum Bewußtsein gelangenden Unlustgefühle unleugbar
die Symptome beeinflußt, auf deren Unterdrückung keinen oder nur
einen ganz minimalen Einfluß.
Haben wir somit aber auch bei den asthmatischen Anfällen der
Herzkranken zwei prognostisch und therapeutisch ganz verschieden zu
bewertende Formen: 1. Das wahre Asthma und 2. eine ausge¬
prägte Form der Stenokardie, die echte Angina pectoris
voneinander zu unterscheiden, von denen nur die erstere auf einem abso¬
luten Manko in der Sauerstoff-Ökonomie, auf wirklichem Lufthunger
beruht und daher auch notgedrungen mit deutlicher Zyanose einlier-
gehen muß, so unterscheidet sich doch die zweite Form von allen
anderen Arten der Stenokardie, die an sich nicht eine verminderte,
sondern nur eine qualitativ veränderte Leistung zur Grundlage haben
— und das ist der Grund, weshalb wir sie von den andern Arten des
später zu besprechenden „zentralen Asthmas“ ab trennen — dadurch,
daß diese qualitative Veränderung der Funktion ein nicht mehr auf
der Höhe der Leistungsfähigkeit stehendes und zu allem noch dasjenige
Organ betrifft, das das Zentrum des ganzen somatischen Betriebes reprä¬
sentiert. Es ist daher nicht weiter auffallend, daß sich gerade diese
Form der Stenokardie oft als ein leichterer Grad eigentlichen Asthmas
mit realer Dyspnoe repräsentiert.
Andererseits dürfen wir aber auch hier die schon erwähnte Inter¬
vention der Großhirnrinde nicht unterschätzen und nicht außer acht
lassen, daß die Erscheinungen einer solchen wahren Angina pectoris,
wie sie bei Klappenfehlern, Fettentartung des Herzmuskels,
bei Aneurysma und arteriosklerotischen Prozessen an der
Aorta, namentlich aber solchen an den Kranzarterien, Vor¬
kommen, auf psychischem Wege eine starke Beeinflussung (wie in
bonam, so auch in malam partcm) erfahren können und daß, da nicht
die Schwäche, sondern ,die Erschwerung der Funktion die eigent¬
liche Ursache des stenokardischen Anfalles ist, auch die Hemmung der
Atmung, d. h. das Bestreben, möglichst geringe Atmungsexkursionen zu
machen, im Grunde, wie schon bemerkt, willkürlich ist. Wäre eine
ungenügende Kontraktion, eine wirkliche Muskelschwäche des Herzens
und nicht bloß eine Veränderung der Erregbarkeit die Ursache der
turbulenten Erscheinungen, so müßte der Anfall, abgesehen von seiner
relativ beschränkten Dauer, ganz anders verlaufen als wie es nach
der täglichen Beobachtung der Fall ist. Diese liefert ja den Beweis,
daß mit Ausnahme der vorgeschrittensten Fälle das Auftreten der
gewöhnlichen und am meisten charakteristischen Form des wahren
stenokardischen Anfalles an den Beginn von Muskelaktionen geknüpft
ist, so unbedeutend diese auch sein mag.
Wenn demgegenüber nun auch die schon in der Ruhe auftretenden
Anfälle von wahrem mit Zyanose vergesellschafteten Asthma
bei Herzkranken Schlüsse auf eine größere oder geringere Beteiligung
des gesamten Organismus und einen bedenklichen Verfall der Kräfte, be¬
sonders auch der des Herzens gestatten, so ist nichtsdestoweniger der heute
. 27 *
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vielfach eingenommene Standpunkt ganz einseitig, nicht nur alle organisch
bedingten Formen von wahrem kardialen Asthma ohne weiteres mit einer
Erkrankung der Koronaria zu identifizieren, sondern auch andere, im vorge¬
schrittenen Alter auftretende Pormen der Stenokardie stets als Ausdruck
einer Herzerkrankung resp. als Folg« der lokalen Arteriosklerose des Herz¬
gefäßes zu betrachten. Gerade von Rosenbach ist es überzeugend dargetan
worden, wie selten relativ die Sklerose der Kranzarterien die eigentliche,
primäre Ursache der Funktionsstörung des Herzmuskels ist im Vergleich
zu den an Zahl überwiegenden Pallen, in denen der lokale Prozeß am Gefäße
nur der Ausdruck einer langdauernden wesentlichen Störung der inneren
Ökonomie, d. h. ein Zeichen dafür ist, daß durch die gesteigerte Gefäßarbeit
dem stärker arbeitenden Muskel ein besonders reiches Material unter höherer
Spannung zugeführt werden muß und daß dies auch tatsächlich geschehen ist.
Vor allem aber zwingen uns klinische und anatomische Tatsachen in
übereinstimmender Weise, das Asthma senile und die Sklerose der Kranz¬
arterien als zwei durchaus nicht identische Zustände zu betrachten. Man
beobachtet ja genug Fälle von schwerem Asthma cardiaJe, wo die Kranz¬
arterien vollständig frei sind, ebenso wie solche von Erkrankung der Kranz¬
arterien, hei denen nie ein Asthmaanfall vorkommt:
Das schzverc , eigentliche Asthma cardiacnm kündigt also als
Zeichen kompletter Insuffizienz des Herzens bereits das bevorstehende
Versagen der gesamten zur Erhaltung der Existenz notwendigen Ge-
websarbeit an und wir müssen vom therapeutischen Standpunkte aus
froh sein, wenn es uns gelingt, noch einmal den früher oder später,
aber immer in absehbarer Frist drohenden Zusammenbruch für einige
Zeit aufzuhalten. Unsere ganze symptomatische Therapie in
derartigen Fällen beschränkt sich auf die Anwendung von
Wärme und narkotischen Mitteln.
Auf die IJerzarbeit selbst (die außerwesen Ui che Leistung) wirkt
die Zufuhr von Wärme durch direkte Applikation auf das Herz oder
durch Aufenthalt in der Sonne, im warmen Zimmer oder im protrahierten
Bade immer gut; man nimmt aber schon schnell die direkte Kräfti¬
gung der Herzaktion infolge der reichlichen Wärmezufuhr dann wahr,
wenn die gewebliche Arbeit zunächst nur temporär versagte. Die gün¬
stige Einwirkung der Bettruhe hei allen Formen der auf Herzmuskel¬
schwäche beruhenden Kompensationsstörung hängt nicht zum mindesten
von der Verhinderung des Wärmeverlustes ab; aber man tut in solchen
Fällen, in denen auch im Bett die Extremitäten kühl bleiben, wie be¬
merkt, gut daran, noch für reichliche Wärmezufuhr durch Wärm¬
flaschen, heiße Packungen usw 7 . zu sorgen.
Leider pflegen gerade die von kardialem Asthma Befallenen es
im Bett nicht auszuhalten und nach dem Aufsitzen außerhalb des
Bettes so lebhaft zu verlangen, daß man in Rücksicht auf ihren schwer-
leidenden Zustand ihren Wünschen, auch unter Verzicht auf einen an
sich so wichtigen Heilfaktor, wie ilin das Bett an sich unter diesen
Umständen repräsentiert, Rechnung zu tragen gezwungen ist.
Unter den Narkotizis, die den Kranken über die quälenden An¬
fälle hinwegzutäuschen vermögen, die aber auch nachher noch die oft
hartnäckige und den Verfall beschleunigende Schlaflosigkeit bannen
und die trübe Zeit verkürzen, die der Herzmuskel zu seiner Erholung
braucht, stehen Morphium, Opium und Chloral in erster Linie.
Man scheue sich nicht, sie in Anwendung zu ziehen, denn
sie sind unentbehrlich und auch ungefährlich, wenn man
sich überzeugt hat, welche Dosis der Kranke verträgt.
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Das Asthma.
317
Besonders an chronischen Herz- und Gefäßkrankheiten Leidende
scheinen aber nach den Erfahrungen O. Rosenbach’s 1 ) eine besonders
wirksame Form der Akkommodation an wesentliche Veränderungen
der Blutbeschaffenheit und Organleistungen und darum eine außer¬
ordentliche Toleranz gegen Narkotika zu erlangen, vorausgesetzt immer,
daß die Zufuhr des Blutes zur Lunge und zum Gehirn nicht unter¬
brochen wird.
Am besten wirken subkutane Injektionen des Morphins in Gaben
von 0.005—0,015 g. Die diesen Einspritzungen nachgesagten Gefahren
existieren nicht, aber die Muskelarbeit, namentlich der Respirations¬
muskeln, wird durch sie prompt herabgesetzt und damit die Arbeitsan¬
forderung an den Herzmuskel nach Möglichkeit vermindert. Die plötz¬
lichen Todesfälle, von denen berichtet wird, sind nicht dem Morphium,
sondern dem Grundleiden zur Last zu legen, das ja nicht selten spontan
einen ganz unerwarteten Exitus letalis herbeiführt. Morphium per os
gereicht, hat nicht denselben schnellen Erfolg wie die Injektion
und belästigt auch in höherem Grade die Verdauung. In Fällen, in
denen man aus diesen oder jenen Gründen von der Einspritzung absehen
muß, empfiehlt sich die interne Darreichung von 0,025—0,05 g Opium
oder von 1,0—2,0 g Chloralhydrat (dieses in recht viel Zuckerwasser,
das mit einem Kaffeelöffel Kognak versetzt ist). Man muß sich aber
bei der Abmessung der Dosis bewußt bleiben, daß durch eine Wieder¬
holung schwacher Chloralgaben eine Verstärkung der Wirkung nicht
erzielt wird. Bei Kranken, die in früheren Anfällen eine gewisse Tole¬
ranz gegen die erwähnten Mittel bekundet haben, verordne ich:
Rp. Chlorati hydrati 5,0 oder Rp. Tincturae Opii benzoicae 20,0
Morphini hydrochlorici 0,05 Sirupi Sacchari 40,0
Solutionis succi Liquiritiae 60,0 M. D.S. Im Anfallehalbetündl. 1 Eßlöffel.
Solve. D. S. Im Anfalle 1 Eßlöffel (Die ganze Mixtur enthält in 4 Eßlöffeln
(= 1,25 Chloral -f- 0,0125 Morphium). 0,1 Opium.)
Die übrigen Sedativa, Narkotika und Hypnotika haben nach
Rosenbach’s und meinen eigenen Erfahrungen keinen wesentlichen
Einfluß auf die Beschwerden der Patienten. Namentlich sind Sulfonal,
Trional, Paraldehyd, Hedonal, Isopral und xvie die neueren Ersatzmittel
des Chlorals alle heißen mögen, diesem für den besagten Zweck nicht
im entferntesten gleich zu setzen. Nach dem Vorübergehen des Anfalls
können sie zur Herbeiführung der Nachtruhe recht w^olil von Nutzen sein.
Auch nicht zu kleine und dementsprechend nur für kürzere Zeit
in Betracht kommende Digitalisgaben wirken allein Anschein nach
oft kupierend auf den Anfall. Meine persönlichen weit günstigeren
Erfahrungen mit dem Opium resp. Morphium beeinflußten meine Re¬
zeptur zugunsten der Formeln:
Rp. Morphini hydrochlorici 0,15 oder Rp. Foliorum Digitalis
Tincturae Digitalis 15,0 Pulverig Ipecacuanhae opiati
^olve. D. S. 3stündl. 15 Tropfen. (cum Kali sulfurico parati) ää 0,1
Detr. I. dos No. X.
S. Viertelstündl. 1 Pulver.
Die gleichen Maßnahmen kommen für die symptomatische Behand¬
lung der Anfälle von wahrer Angina pectoris und kardialem Asthma
in Betracht, die nicht auf einer Insuffizienz der Apparate
lür Energiebildung und objektiv vorhandenem Luftmangel,
*) Vgl. die entsprechenden Ausführungen in meiner Abhandlung über
-Lungen-Emphysem und Volumen pulmonum auctum“ in dieser Zeischrift.
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sondern auf einer qualitativ veränderten Form der Arbeit
beruhen, die unbewußt, aber darum doch eigentlich nur
subjektiv Gehirnangst und Dyspnoe auslöst, weil die Kom¬
pensation für den wesentlichen Betrieb wirklich oder
nahezu an ihrer Grenze angelangt ist und dunkel das Be¬
vorstehen einer Störung der außerwesentlichen Leistung
empfunden wird.
Hier ist in der anfallsfreien Zeit, sobald Zeichen deutlicher
Druckabnahme im Gefäßsystem vorhanden sind, also die Beschleuni¬
gung des Blutdruckes sichtlich geringer und die Harnsekretion spär¬
licher wird, die altbewährte Digitalis noch immer in erster Linie am
Platz, die man bei voraussichtlich nur kürzere Zeit erforderlichem Ge¬
brauch am besten als Infus (1,5—2,0:150,0) verordnet und auch erfor¬
derlichenfalls mit anderen Herz- und diuretischen Mitteln kombi¬
niert, z. B.:
Rp. Infusi foliorum Digitalis (e2,0) 150,0 oder Rp. Folior. Digitalis
Coffeini natri benzoici 1,0 Bulbor. Scittal ää 1,5
Aetheris sulfurici 3,0 Infunde Aqua fervidae q. 8.
M. D. S. 2stündlich 1 Eßlöffel. Colaturae 150,0
adde
Liquoris Kali acetici 30,0
Succi Juniperi inspissati 15,0
M. D. S. 2 stündl. 1 Eßlöffel.
Auf die Bolle des Secale cornutum als Gefäßtonikum habe ich
in meiner Abhandlung über ,,Lungenemphysem und Volumen
pulmonum auctum“ in dieser Zeitschrift hingewiesen. Von größeren
Gaben Ergotin (0,2 drei- bis viermal täglich) sieht man auch hier unter
den am angegebenen Orte charakterisierten Voraussetzungen oft sehr
gute Erfolge.
Bei Patienten, die häufiger an Anfällen von kardialem Asthma
leiden, daneben aber auch, wie nicht so selten, von trockenen Katar¬
rhen des Respirationstraktus geplagt werden, ist es üblich, Jod¬
kalium zu verordnen. Es wirkt dann auf diese Katarrhe auch oft
besser, als auf die vorhandene Arteriosklerose, gegen die es von ver¬
schiedenen Seiten so warm empfohlen wurde. Zu diesem Zweck, für
den es nur relativ kleiner Dosen bedarf, ist eine Kombination mit Liquor
ammonii anisatus besonders empfehlenswert. (Formeln für die Anwen¬
dung siehe unter Asthma bronchiale.) Mit Jodpräparaten überhaupt
sollte man aber namentlich bei jüngeren Personen recht vorsichtig
und sparsam zu Werke gehen. Rosenbach konnte sich auf Grund seiner
reichen Erfahrungen in diesem Punkte der Vermutung nicht ent-
sehlagen, daß diese Mittel, im Übermaß und dauernd gereicht, imstande
sind, gerade bei Jugendlichen Endarteriitis der kleinsten Arterien hervor¬
zurufen. Daß sie außerdem bei längerer Anwendung einen stark reizenden
Einfluß auf die Gefäßendothelie haben und leicht kongestive Zustande
in den Lungen, selbst geringere Grade von Lungenödem herbei zu führen
vermögen, steht außer Zweifel.
Nun steht, wie wir gesehen haben, oft tatsächlich, noch öfter
scheinbar, das Symptom der Herzschwäche im Vordergründe der
Erscheinungen. Mit Bezug auf die in solchen Fällen so beliebten In¬
jektionen von Kampferöl und Äther ist von Bosenbach auf deren
äußerst zweifelhaften Wert an sich aufmerksam gemacht worden. Die
Tatsache, daß so viele Patienten nach der Anwendung dieser Mittel
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Das Asthma.
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Besserung' verspüren und daß einige Zeit danach der Anfall merklich
gehoben ist, kann nicht eindeutig genannt und allein der Wirkung
der Medikation zugeschrieben werden, da immerhin ja die meisten
Anfälle nach kürzerer oder längerer Dauer in Genesung endigen
und zwar selbst dann, wenn sie anscheinend recht schwer waren. Dazu
kommt auch die große Schmerzhaftigkeit dieser Injektionen, die den
Kranken höchstens zu schädlicher Muskelbewegung veranlaßt. Diese wird
dann — ganz mit Unrecht — oft als Zeichen einer erfreulichen Besse-
* rang angesehen. Mindestens der gleiche Effekt wie mit Kampfer- und
Äthereinspritzungen läßt sich bei Zeichen selbst stärksten Herzschmerzes
durch die bekannten Analeptika Moschus (1,0 per os oder im Klistier),
Champagner, heißem, starkem Kaffee erzielen. Schneller wirkt noch
das Koffein subkutan (}j 2 —1 Spitze des Coffeinum natrium-benzoicum
in 10—30°/ 0 iger Lösüng), wenn man von dem, wie schon erwähnt,
besten Tonikum in solchen Fällen, zugleich Anodynum und Hypnotikum :
dem Morphin, absieht.
Wo starke Ödeme und namentlich Aszites durch arteriosklero¬
tische Prozesse bedingt sind, ist Kalomel, unter den bekannten Kautelen
gegeben, oft geeignet, heilsame Regulationen herbeizuführen:
Rp. Hydrargyri chlorati mitis oder Rp. Hydrargyri chlorati 1,0
Panis albi ää 2,0 Extracti Rhei 6,0
M. fiant pilulae (minores) No. L. Sirupi simplicis q. s.
Lycopodio conspergantur. M. f. pilulae No. L.
D. S. 2—3mal täglich 1 Pille. D. S. Morgens und Abends 2 Pillen.
Zur Regulierung des Stuhlganges, die gerade bei diesen
Zuständen so wichtig ist, bedient man sich der beliebten Bitterwässer,
der Homburger imd Karlsbader Wässer, des Marienbader Kreuzbrunnens
oder der salinischen Drogen, wie Cremor tartari, des Tartarus boraxatus,
der Magnesia citrica effervescens usw. (eventuell in geeigneter Mischung
als Schachtelpulver).
Was nun das immer wieder und stets unter Empfehlung neuer
Methoden und gleichzeitiger Verwerfung der alten empfohlene elek¬
trische Verfahren anlangt, so ist ebenso wie durch viele andere Formen
psychischer Therapie, hier wohl ein Einfluß auf solche nervöse, mit
Herzklopfen, Pulsarhythmien, Angstzuständen usw. einhergellende Zu¬
stände zu erwarten, die eine schwere Herzaffektion Vortäuschen, aber
nicht auf organische Herzleiden. Einen dauernden dynamischen Ein¬
fluß auf die Herztätigkeit kann ein elektrotherapeutisches Verfahren
— mag dieses nun in elektrischen Bädern, Galvanisation des Sympa¬
thikus, lokaler und allgemeiner Faradisation oder in Franklinisation
bestehen — wohl kaum ausüben. Daß elektrische Prozeduren nur als
AuslösungsVorgang für bereits gespannte Energie dienen, aber nicht
inehr wirksam sein können, wenn sich nicht mehr genügende Mengen
solcher, durch die Arbeit des Herzens selbst beschaffter oder ihm auf
dem Blutwege zugeführter Energie vorfinden, ist schon von Rosen-
bach scharf betont werden, der auf Grand seiner Experimente den
Nachweis erbrachte, daß es seinerseits nur unter Anwendung sehr starker
Ströme und bei völlig intaktem Herzen möglich ist, Reize zu den Herz¬
nerven zu leiten und daß sich andererseits diese Beeinflussung ledig¬
lich auf den Vagus und zwar nur so lange erstreckt, als die Applikation
dauert.
D i aber schließlich bei jedem Herzkranken Pulsarythmie, Inter¬
mitten z und Vaguspause um so stärker werden, je mehr er sich beobachtet.
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Heiniich Pu !or,
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und der Patient, namentlich im Bett hei linker Seitenlage, wenn er
mit gespannter Aufmerksamkeit den Rhythmus verfolgt und dabei den
Atem anhält, durch das bald darauf erfolgende Aussetzen des Pulses
erschreckt wird, ja. oft eine derartige Steigerung seiner auch sonst
schon vorhandenen Angstgefühle erfährt, daß ihm der kalte Schweiß
ausbricht und die Herzaktion auf psychischem Wege noch weiter gestört
wird, wird auch bei diesen organischen Leiden die Psychotherapie
zu ihrem Recht kommen müssen. Über deren Aufgaben und Grenzen
in diesen Fällen — gegenüber denen von kortikaler Stenokardie — soll
aber erst unten gelegentlich der Ausführungen über das psychisch be¬
dingte Asthma gesprochen werden. (Fortsetzung folgt.)
Die Verbesserung der Luft in den Wohnräumen.
Von Dr. Heinrich Pudor, Leipzig.
Das Leben des Menschen in der freien Natur hat für ihn unter
anderem den Vorteil, daß sie ihm fortwährende Lufterneueriing schafft,
derartig, daß er niemals gezwungen ist, die Luft, die er schon einmal
eingeatmet hat, noch einmal einzuatmen. In der Wohnung ist das letztere
der Fall. Infolge dessen würde die Luft in der Wohnung nach kurzer
Zeit so abgebraucht und verdorben sein, daß Erstickung eintreteu müßte,
wenn nicht wenigstens durch die porösen Mauern und durch die Fenster
und Türspalten, sowie durch den Ofen fortwährend neue Luft in die
Wohnung eintreten würde. Indessen reicht diese Ventilation zwar dazu
aus, den Menschen vor Erstickung zu bewahren, aber nicht dazu, ihn
vor Erkältung zu schützen. Ans diesem Grunde muß der Mensch darauf
sinnen, besondere spezifische Ventilationsvorrichtungen zu schaffen. Und
zwar müßte einerseits ein Abzug der verdorbenen Luft und anderseits
ein Zuzug frischer Luft stattfinden. Da nun zwar die Luft von unten
nach oben wärmer wird, die Staub- und Schmutzteile sich dagegen nieder¬
lassen, müßte der Abzug am Boden der Wohnräume, der Zuzug dagegen
an der Decke des Zimmers sein. Durch Ventile läßt es sich ermög¬
lichen, daß in dem einen Fall nur Luft abströmen, in dem andern Fall
nur einströmen kann. Auf diese Weise würde ein fortwährender Wechsel
der Zimmerlüft, eine Reinigung und Erneuerung statt finden. Was das
für unsere Gesundheit und Lebensdam r zu bedeuten hätte, erhellt aus
Folgendem: Nach Lewes kamen im Dubliner Gebärhause im Laufe von
4 Jahren unter 7658 Geburten 2944 Todesfälle neugeborener Kinder im
Alter 1—15 Tagen vor. Diese Zahl wurde plötzlich während einer
gleichen Periode auf 279 vermindert, nachdem ein neues System der
Ventilation eingeführt worden war. 3 ) Ähnlich ist es mit unseren Haus¬
tieren. Bei der französischen Armee belief sich die Sterblichkeit in dem
Pferdestande bis zum Jahre 1836 auf 180—197 von 1000 Stück im
Jahre. Nach dem bis zum Jahre 1846 vollendeten Umbau der Ställe
verminderte sich die Zahl der Erkrankungen und Todesfälle in den
nächsten dreizehn auf 45 pro 1000, obwohl Veränderungen der Fütterung
und Haltung im übrigen nicht Platz gegriffen hatte. 2 )
Zu der Ventilierung muß freilich häufiges vollständiges Durch¬
lüften der Wohnung hinzukommen; letzteres ist natürlich die gründlichste
Ventilation, die in warmen Jahreszeiten jene ersetzen kann. Außerdem
1 ) Büchners Physiologische Bilder, S. 402.
*) Vergl. Schwarznekers Pferdezucht, 8. 514.
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Die Verbesserung der Luft in den Wohnräumen.
321
gibt es noch andere Mittel zur Verbesserung der Luft in den Wolm-
riiumen. Dahin gehört das Halten von Pflanzen, besonders von Blatt¬
pflanzen, das ich für außerordentlich wichtig auch vom hygienischen
Standpunkt aus halte. Das, was uusere Luft schlecht macht, ist ja
größtenteils die von unseren Organen und durch Lungen- und Haut¬
atmung ausgestoßene Kohlensäure; die Pflanzen aber pflegen Kohlen¬
säure einzuatmen. Hierin besteht der Kreislauf des tierischen und pflanz¬
lichen Lebens und die Einander-Ergänzung desselben. Wenn wir nun
in Räumen wohnen, in denen es keine Pflanzen gibt, kann von jenem
Kreislauf nicht die Rede sein. Daher empfiehlt es sich, möglichst viele
Pflanzen in den Wohnräumen zu halten. Künstliche Blumen, die heute
in so erschreckender Weise Mode geworden sind, sind nicht sowohl un¬
ästhetisch als unhygienisch, denn sie sammeln den Staub an, der dann
bei jedem entstehenden Luftzug aufgewühlt wird und in unsere Lungen
kommt. Es ist daher dringend anzuraten, von dieser blöden Mode ab¬
zuraten, und statt dessen in der künstlichen Wohnung eine Erinnerung
an die grüne Natur wachzurufen durch Aufstellung möglichst vieler
Blumen und Pflanzen. Auch hier sind uns die Engländer voran, deren
Blumenliebe zu ihren schönsten Eigenschaften gehört. Aber man sollte
meinen, daß gerade den Deutschen die Blumen am Herzen liegen müßten.
Er stelle Blumentische und Blumenetageren auf, und er habe einen
Strauß von Feldblumen und Gräsern auf dem Tische stehen. Sein Wolin-
raum sei halb Garten, halb Zimmer. Auf dem Speisetisch mögen mit
Wasser gefüllte Glasrinnen mit blühenden Blumen und zudem Blumen¬
vasen stehen. Wer den Raum hat, möge außerdem ein besonderes
Blumenzimraer haben. In England ist fast jede Villa mit einem Glas¬
haus verbunden, das mit Blumen angefüllt ist; Türen, die zeitweise offen
sind, führen unmittelbar in das „Glashouse“.
Im Schlafzimmer Blumen zu halten ist dagegen nicht angebracht;
denn in der Nacht nehmen die Pflanzen fast gar keinen Kohlenstoff aus
der Luft auf, eher noch geben einige solchen an die Luft ab. Dieses
gilt nicht nur von blühenden Blumen, sondern auch von Blattpflanzen.
Am Morgen sind alle Zimmerblumen zu besprengen, vermöge reich¬
licher Wasserzerstäubung; hierdurch werden nicht nur die Blumen er¬
quickt und ihre Atmungstätigkeit und Fähigkeit, Kohlensäure aufzu¬
nehmen, angeregt, sondern es wird auch die Zimmerluft gereinigt und
unreine Bestandteile, namentlich Staub, werden niedergeschlagen. Daß
in unseren Wohnräumen fortwährend eine beträchtliche Menge Staub
vorhanden ist, sieht man ja, wenn ein Sonnenstrahl ins Zimmer fällt.
Jenes Wasserzerstäuben muß daher von günstigem Einfluß sein und kann
zweckmäßig weiter ausgedehnt werden, derartig, daß namentlich Por¬
tieren, Gardinen, Tapeten, Teppiche gesprengt werden. Das trägt zur
Reinigung und Verbesserung der Luft bei, ähnlich wie das Sprengen
auf den Straßen. Für Tapeten bildet es sogar die einzig mögliche Art
der Reinigung, denn ausklopfen kann man dieselben nicht.
Außerdem müssen natürlich alle diese Staubträger, wie Polster¬
möbel, Portieren, häufig genug und gründlich genug ausgeklopft und an
die frische Luft gebracht werden; andernfalls wirbelt man bei jeder
Berührung eine Unmasse feinsten Staubes auf, der Gift für unsere
Lungen ist. 1 )
*) Die modernen Staubsaugapparate sind auch für Wohnräume durchaus zu
empfehlen.
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322
Aut-oreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Alles, was aus Holz besteht, namentlich die Dielen, muß möglichst
oft nicht nur abgestaubt, sondern gewaschen und gescheuert werden;
auch dies trägt sehr zur Reinigung der Luft bei. Ungestrichene Dielen
sind vom hygienischen Standpunkte aus am meisten zu empfehlen, denn
sie lassen Staub und Schmutz am meisten sehen und werden daher am
häufigsten gescheuert, während sich auf dem Parkett eine ungeheure
Masse von Staub und Schmutz anzusammeln pflegt. Parkett kommt der
eventuellen Trägheit unserer Mägde und Hausfrauen sehr zu statten,
aber unserer Gesundheit sehr wenig; etwas anderes ist es natürlich,
wenn es ungeheizt und ungewachst bleibt, so daß es alle paar Tage
gescheuert werden kann.
Wenn man all das, was hier in Erinnerung gebracht worden ist,
sich zu Nutzen macht und in das praktische Leben überführt, wird man
seiner Gesundheit und Lebensdauer einen festeren Grund gegeben haben.
Wer darauf achtet, welche entsetzliche Luft meist in den Wohnräumen
herrscht, wie eine wirklich reine Luft nur äußerst selten oder nie anzu¬
treffen ist, höchstens unmittelbar nach dem „Reinmachen“, wird sich
über die Krankheiten und Leiden, die in diesen Räumen sich breit
machen und von Ort zu Ort übertragen, nicht mehr wundern können.
Je unreiner die Luft, desto behinderter nicht nur die Atmung, und
schlechter die Ernährung und Reinigung des Blutes vermöge der
Atmung, sondern desto größer ist auch die Gefahr der Ansteckung.
Denn unsere Lungen haben zwar Vorrichtungen, um unreine Bestand¬
teile der Luft wieder auszustossen, aber auf die Dauer, und wenn die
Unreinheit zu groß wird, reichen diese Vorrichtungen nicht hin. Es
muß daher jeder unablässig auf die Verbesserung der Luft in seinen
Wohnräumen sinnen.
Autoreferate und MitteÜungen
aus der Praxis.
Die Zellmast in Theorie und Praxis.
Von K. Bornstein (Leipzig).
(Autoreferat des am 7. Februar 1911 in der Leipziger medizinischen Gesellschaft
gehaltenen Vortrages.)
Unter Zellmast versteht der Vortragende das Endergebnis einer
diätetischen Bestrebung, die darauf hinausläuft, die Zelle an Quantität —
durch Eiweißvermehrung — und Qualität — durch rascheren Abbau des
vorhandenen Zellmaterials und Ersatz durch neues — zu bessern und
funktionsfähiger zu machen. Im Gegensatz zur Fettmast ist die Zellmast
darauf gerichtet, in erster Reihe die Minderwertigkeit der Einzelzelle und
so des Zellstaates zu heben. Jeder minderwertige reparaturbedürftige
Organismus bedarf dieser Zellmast. Die einfachste Methode zur Er¬
richtung derselben ist Mehrzufuhr von Eiweiß, Milcheiweiß oder Pflanzen¬
eiweiß, nicht von Fleisch. Fleisch erhöht die Darmfäulnis und erhält
Zellreizstoffe. Seit 13 Jahren vertritt Referent als einer der ersten den
Standpunkt, den er durch verschiedene Stoffwechselversuche erhärtet hat,
daß eine Eiweißanreicherung des Organismus, der Zelle, daß eine Eiwei߬
mast (Zellmast) möglich und leicht zu erreichen ist. Der Hundeversuch
v. Voits, bei welchen auch nach großen Fleischzulagen keine Fleischmast
zu erzielen war, beweist für den Menschen nichts. Dieser Glaubenssatz
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
323
v. Voits muß nach den Untersuchungen des Vortragenden für die
Physiologie des Menschen fallen, wie auch die Annahme dessselben
Forschers, daß ein arbeitender Mensch 118 g Eiweiß pro die braucht, durch
die Praxis des Lebens und feststehende Forschungen widerlegt ist B. be¬
richtet im Zusammenhänge über seine in der Frage der Zellmast ange-
stellten Experimentalversuche mit abundanter Eiweißkost. Angewendet
wurden Milch- und Pflanzeneiweiße in Form von bewährten Eiwei߬
präparaten (Xu trose, Plasmon, das an organischem Phosphor reiche Sanatogen,
das in natürlicher Form hergestellte Pflanzeneiweiß: Lecithin - Eiweiß
(Dr. Klopfer), in einer Zulage von höchstens 50 g zur Normalkost.
Daß die gefundene Eiweißanreicherung auch wirkliche Zellmast, atmendes
Protoplasma bedeutet, beweist die Besserung der Funktionen des Organismus,
beweist die von dem Referenten konstatierte Erhöhung der Oxydations¬
kraft der Zelle. Es werden weniger organische Reste (organischer Phosphor
und organischer Schwefel) im Harn ausgeschieden. B. wendet sich ent¬
schieden gegen Versuche, die am untauglichen Objekte mit untauglichen
Mitteln, wie z. B. mit einer Fleischüberschwemmung, angestellt werden.
Derartige Versuche beweisen weder für die Zellmast noch gegen dieselbe
das mindeste.
Alle auch von anderer Seite in physiologischer Richtung angestellte
Forschungen haben die Schlußfolgerungen des Vortragenden bestätigen
können, so daß er berechtigt zu sein glaubt, die Lehre von der Möglichkeit
der Zellmast durch abundante Eiweißkost als feststehend betrachten zu
können. — Für die praktische Anwendung bietet sich in der diätetischen
Therapie ein weiteres Feld. Bei Anämie konnte auch ohne Eisen durch
Mehrzufuhr von Eiweiß ein Steigen des Hämoglobingehaltes konstatiert
werden. Bei den verschiedensten Magendarmkrankheiten, die ausnahmslos
einer Schonungsdiät bedürfen, ist diese Therapie die schonendste und
kräftigendste. Bei Ulcus ventriculi ist trotz quantitativ geringer Nahrungs¬
zufuhr eine ausreichende Eiweißzufuhr möglich, wodurch ein Eiweißverlust
des Organismus möglichst verhindert und auch die Krankheit selbst
rascher geheilt werden kann. Bei Tuberkulose ist diese Methode dringend
zu empfehlen. Bei Diabetes, wo bisher von den verschiedensten Seiten
vor allzureichlicher Eiweißzufuhr gewarnt wurde, ist der Vortragende
bereits vor 11 Jahren in einem Vortrage auf den 18. Kongreß für innere
Medizin aus Gründen der Zelleutrophie für eine Mehrdarreichung von
blandem Eiweiß — nicht Fleisch — eingetreten. Lamp6 (Frankfurt a. M.)
fand in zahlreichen Fällen, die er z. T. gemeinsam mit v. Noorden mit
Hafermehlkuren und reicher Eiweißzulage behandelte, eine große
Eiweißmast, und um so größer, je minderwertiger der Organismus
vorher war. Fleisch machte keine Eiweißmast. Die damals empfohlene
Therapie w urde hier unabhängig angewendet und erzielte eine unerwartete
Eiweißmast. Mastkuren sind in den allermeisten Fällen durch die
Zellmast erfolgreicher und menschenwürdiger zu ersetzen. Entfettungs¬
kuren sollen mit Zellmast — die Möglichkeit ist vom Vortragenden nach¬
gewiesen worden — kombiniert werden. Karelische und ähnliche Kuren
sind nur dort indiziert, wo Herz und Nieren ein energisches Eingreifen
unter Daueraufsicht dringend verlangen. Die vom Autor empfohlene
Zellrnastmethode ist einfach, überall anwendbar, sie vereinfacht bedeutend
die vornehmste aber zugleich schwierigste Helferin des Arztes. (Der
ausführliche Vortrag erscheint in der Zeitschr. für phys.-diät. Therapie.)
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Elektrokardiogramme bei Dextrokardie und Aortenaneurysmen.
Von Dr. Theodor Wohrizek (Prag-Franzensbad).
(Demonstrationsvortrag im Verein deutscher Arzte in Prag am 24. Februar 1911.)
W. demonstriert das Elektrokardiogramm eines Falles von Situs
visceruin inversus totalis. Die Kurve steht im Spiegelbild zu der einer
gleichzeitig abgeleiteten Kontrollperson. Dies ist mit ein Beweis für die
Richtigkeit unserer Auffassung des Erregungsablaufs im Herzen.
Demgegenüber zeigt das E. K. eines Falles von acquirierter Dextro¬
kardie (pleuroperikardiale Verwachsung und Schrumpfung, Tuberkulose
der Lunge, 20jähr. Mädchen, Röntgen bi ld), keine Veränderung des Er-
regungsablaufes. Die Kurve ist normal bis auf eine tiefgehende Veutrikel-
Initialschwankung (Zacke S oder Ip). Diese kann mit der Rechtslagerung
Zusammenhängen. Das E. K. hat keinen absoluten Typus. Gewiß wird
dessen Gestalt von der typischen Lage zu den Ableitungspunkten be¬
einflußt, wie beim Einzelindividuum an dem Unterschiede der Ableitungs¬
arten ersichtlich ist.
Anschließend zeigt W. Elektrokardiogramme und Röntgenbilder von
drei Fällen von Aneurysma der Aorta ascendens. 1. Von einem 44jähr.Manne,
Lues peracta, erhöhter Blutdruck. 2. Von einem 46jähr. Manne, Lues
peracta, erhöhter Blutdruck. 3. Von einem 35jähr. Manne mit hohem
Blutdruck, Plethora, Abusus bib. Im Falle 1 hohe R-(J.)Zacke. Aorten¬
geräusche. Im Falle 2 normale Kurve, reiner 2. Aortenton. lin Falle 3
normale Kurve, Aortengeräusche. Die Fälle sind markant, trotzdem fehlt
der Ableitungskurve eine besondere Charakteristik. W. will in Hinkunft
beobachten, ob die Entfernung des Aneurysmas von der Semilunarklappe
im Hinblick auf die relative Schlußfälligkeit derselben im E. K. zum
Ausdruck komme.
Der Hauptwert des E. K. liegt in der Deutung von Störungen des
Rhythmus und der Innervation, sonst ist es ein Juvans bei der Diagnosen¬
stellung und ein Anschauungsmittel. Autoreferat.
Vortrag in der wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Ärzte, Prag.
(Sitzung am 3. März 1911.)
Von R. v. Zeynek.
Es werden die von A. Selig und F. Ameseder im deutschen med.-
chem. Institute gewonnenen Aortenanalysen (z. T. in der Zeitschr. f. physiol.
Chemie publiziert) erörtert, wobei besonders darauf hingewiesen wird, daß
die Kalkeinlagerungen, ebenso die regelmäßig gefundenen Kalkseifen, nur
als ein sekundäres Symptom der Arteriosklerose zu deuten sind.
Damit müssen die Bestrebungen, durch * Antisclerosin“ und ähnliche
Präparate den Kalk zu entfernen, für die Heilung der Arteriosklerose
als verfehlte Bestrebungen bezeichnet werden; übrigens wäre es vom
physikalisch-chemischen Standpunkte höchst unwahrscheinlich, den ge¬
nannten Salzgemischen überhaupt die von manchen Autoren behaupteten
Wirkungen zuzuerkennen. Der Vortragende meint diesen Verkalkungs-
prozeß auf Grund der Analysen, die fortgesetzt werden, im Sinne von
Wells, Klotz und insbesondere Aschuff, als einen für den Organismus
wertvollen Prozeß bezeichnen zu müssen und appelliert an die klinische
Mitarbeit betreffend die Beschaffung möglichst eindeutigen Untersuch ungs-
materiales.
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Referate und Besprechungen.
325
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
K. Kawashima (Berlin), Über einen Fall von multiplen Hautfibromen
mit Nebennierengeschwulst. Ein Beitrag zur Kenntnis des sogen. Morbus
Recklinghausen. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 203, H. 1, S. 66,
1911.) Verf. beschreibt einen Fall von gleichzeitigem Vorkommen eines etwa
aprikosengroßen, graurötlichen Tumors der linken Nebenniere, der von dem
chrombraunen Gewebe von deren Marksubstanz ausgegangen war, zusammen
mit zahllosen hanfkorn- bis taubeneigroßen weichen Fibromen in der Haut,
hauptsächlich des Oberkörpers bei einer 33jährigen Puerpera. Die multiplen
Hautfibrome gingen von den Bindege websscheiden der Nerven aus; eine Be¬
teiligung der Nervenfasern konnte nicht nachgewiesen werden. Die Haut¬
anhangsgebilde und die Blutgefäße beteiligten sich sekundär an den fibro-
matösen Prozessen. Eine mucinöse Veränderung trat in den Hautfibromen
nicht ein, obwohl sie von der umgebenden Haut tinktoriell verschieden waren.
^Zahlreiche große Mastzellen kamen in den größeren Geschwulstknoten vor;
jedoch ließen sich keine sogen. Hüllplatteu nachweisen. Lymphbahnen und
Blutgefäße (letztere nur in den größeren Knoten) waren erweitert. Von
elastischen Fasern war das Fibromgewebe ganz frei. Bei der Nebennieren-
geschwulst handelte es sich um eine primäre atypische Hyperplasie und
Polymorphie der chrombraunen Zellen des Markgewebes mit Ausschluß der
fertigen Nervenzellen, bis zur Ausbildung riesengroßer vielkerniger Zellen.
Die Rinde war dadurch sehr komprimiert. Die Geschwulst hatte bösartigen
Charakter, da sie nur unvollständig abgekapselt und mit Blutungen durch»
setzt war.
Von der Auffassung ausgehend, daß die Erkrankung des chrombraunen
Gewebes als zur Recklinghausen’schen Krankheit gehörig gerechnet werden
solle, betrachtet Verf. das Vorkommen der chrombraunen Geschwulst des
Nebennierenmarkes als eine wichtige Teilerscheinung, nicht als ein zufälliges
Zusammentreffen. So erklären sich ihm wenigstens ungezwungen manche sog.
Symptome zweiter Ordnung (Ernährungsstörungen, gewisse Sehstörungen,
Kopfschmerzen, Krämpfe, depressive Zustände, sexuelle Veränderung). Die
Ursache ist nach Verf. wahrscheinlich in einer kongenitalen Anomalie oder
in einer Mißbildung in weiterem Sinne zu suchen. W. Risel (Zwickau).
J. Kirpicznik (Berlin), Ein Fall von tuberöser Sklerose, und gleich¬
zeitigen multiplen Nierengeschwülsten. (Virchows Archiv für path. Anat.,
Bd. 202, H.. 3, S. 358, 1910.) Verf. fand bei einem 30jährigen Mann, dem
die rechte Niere wegen einer kindskopfgroßen Geschwulst entfernt worden
war, auch die linke Niere von zahlreichen erbsen- bis taubeneigroßen weiß-
gelblichen bis graurötlichen Knötchen durchsetzt, ferner aber in der Hirn¬
rinde an einzelnen Stellen bohnengroße etwas derbere Herde, die nur für
den Finger, nicht für das Auge zu unterscheiden waren, und an der Wand
beider Seitenkammern gelbliche, leicht erhabene, z. T. sehr harte, liirsekorn-
bis erbsengroße Einlagerungen. Mikroskopisch erwiesen sich diese Herde
als bedingt durch eine erhebliche Gliawucherung, die gegen das umliegende
reaktionslose Gewebe im allgemeinen gut abgegrenzt war, ferner kamen darin
große atypische Zellelemente vor, die meist unbestimmten Charakters waren,
doch zu einem großen Teile eine Ähnlichkeit mit den Neurogliaastrozyten
hatten, wenn sie auch viel größer als diese waren, und endlich eigentümliche
kalkhaltige konkrementartige Bildungen. Gefäße und Nervenfasern waren
nicht nachzuweisen. Als das Wesentliche betrachtet Verf. das Vorkommen
der großen atypischen Zellen, die [er als Vorstufen sowohl der Ganglien¬
zellen wie der Gliazellen auffaßt, die aus einer noch unbekannten Ursache die
Fähigkeit verloren haben, es nach der einen oder anderen Richtung hin zu aus¬
gebildeten Elementen zu bringen, und bei denen dann in der Folge ein Über-
wiegen der vegetativen Funktionen sich geltend machte und zu einer atypi-
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Referate und Besprechungen.
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sehen Entwickelung dieser Elemente führte. Der Beginn dieser Entwicklungs¬
störung ist schon in die ersten Wochen zu verlegen.
Am Aufbau der Nierengeschwülste waren Rundzellen, Spindelzellen,
Epithelzellen, Bindegewebe, Fettgewebe, glatte, vielleicht auch quergestreifte
Muskeln, Gefäße, elastische Fasern beteiligt, also Elemente sowohl der Ur-
segmente wie des Mesenchyms und des Urnierenblastems. In diesem gleich¬
zeitigen Vorkommen einer Störung in der Entwicklung ektodermaler Zellen
(tuberöse Sklerose) und mesodermaler in den Mischtumoren der Nieren sieht
Verf. eine weitere Stütze dafür, daß die Entstehung der tuberösen Sklerose
in eine sehr frühe Entwicklungszeit zu verlegen sei. W. Risel (Zwickau).
T. Tsunoda (Berlin), Über das Vorkommen von Riesenzellen in amy-
loiden Organen und die Beziehungen zwischen dem ischämischen Infarkt
und der Amyloidose. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 202, S. 407,1910.)
Während bei lokalem Amyloid des Menschen Fremdkörperriesenzellen ein fast
konstantes Vorkommnis und auch bei experimentellem Amyloid 'wiederholt
gefunden sind, sind sie bei der allgemeinen Amyloidose des Menschen
außerordentlich selten. Verf. fand sie nur bei zwei von 35 untersuchten
Milzen und nur einmal in den Nieren bei 16 untersuchten Fällen, aber niemals
in anderen Organen. Diese Riesenzellen waren sicher als Fremdkörperriesen -
zellen, als mit phagozytärer Eigenschaft begabte Bindegewebs- oder Gefä߬
wandungszellen aufzufassen. Bei der lokalen und experimentellen Amyloidose
liegen offenbar die Verhältnisse für die Resorption der Amyloidsubstanz viel
günstiger als bei der allgemeinen Amyloiderkrankung. Hier bahnen sich für
gewöhnlich überhaupt keine Heilungsprozesse an, nur ausnahmsweise kommt
es dabei zu einer beschränkten Resorption des Amyloids durch Riesenzellen.
In einem ischämischen Infarkt einer sogen. Schinkenmilz sah Verf. die
Amyloidsubstanz infolge der Autolyse bei der ischämischen Nekrose ihre
spezifische Reaktion verlieren und ein hyalinähnliches Aussehen annehmen.
Es ist daraus aber nicht zu entnehmen, daß das Hyalin eine Vorstufe des
Amyloid bilde. Verf. schließt sich vielmehr der Anschauung an, daß das
Amyloid direkt, ohne vorherige Hyalinbildung entstehe; er konnte immer
sicher feststellen, daß im Anfangsstadium der Entstehung des Amyloids die
Bindegewebsfasern nie hyaline Degeneration zeigen, sondern es ist ein direktes
Übergehen der kollagenen Substanz in Amyloid nach Art einer Aufquellung
und Ablagerung der Amyloidsubstanz anzunehmen. Den Vorgang der
Amyloidbildung selbst denkt sich Verf. mit M. B. Schmidt als einen fer¬
mentativen Gerinnungsprozeß, bei dem in der Gewebslymphe befindliche
Eiweißstoffe gefällt werden, wobei -die entstehende starre Substanz sich in
den Gewebsspalten ablagert. W. Risel (Zwickau).
Bakteriologie und Serologie.
Klimenko (Petersburg), Bakteriologische Untersuchungen des Blutes
von keuchhustenkranken Kindern und von mit Keuchhusten infizierten Tieren.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Bei keuchhustenkranken Kindern
konnte Verfasser während der spasmodischen Periode des Keuchhustens keine
Bakteriämie beobachten. In seltenen Fällen tritt sie während der letzten
Lebenstage des Kindes in Erscheinung.
Experimente an Hündchen bestätigen die Beobachtungen. Der Keuch¬
husten muß auf Grund der bakteriologischen Untersuchung des Blutes als
eine lokalisierte Infektionskrankheit der Atmungswege angesehen werden.
Schürmann.
Müller (Stuttgart). Bakterien im Fleisch notgeschlachteter und kranker
Tiere. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 3/4.) In 46% der untersuchten
Fälle (50) ließen sich im Fleische Bakterien nachweisen; in 54% war das
Fleisch keimfrei. Bakterien der Koligruppe, dann anaerobe Bakterien, weiter¬
hin Streptokokken, Staphylokokken, Bacillus lactis aerogenes wurden ge¬
funden. Bakterien aus der Gruppe der Fleischvergifter ließen sich nicht
nachweisen. Es liegt die Annahme nahe, daß die gefundenen Bakterien nicht
imstande waren, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Schürmann.
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Referate und Besprechungen.
327
Liefmann u. Stutzer (Berlin), Beitrag zur Frage der antihämolytischen
Eigenschaften )des normalen Serums. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56. H. 5/6.)
Ira normalen Hammelserum sind antihämolytische Stoffe enthalten. Sie
konzentrieren sieh bei der Zerlegung des Serums in Globulin und Albumin
in dem Globulin. Die antihämolytischen Eigenschaften des Serums sind
durch die Komplementbindung nicht zu erklären. Die Wirkung des Hammel -
serums ist eine rein antikomplementäre. Das Globulin des Hammelserums
und das des Meerschweinchenserums scheinen sich gegenseitig unwirksam
zu machen, obwohl beide Globuline allein mit dem Meerschweinchenalbumin
eine Lösung der Hammelblutkörperchen bewirken. Schürmann.
Mayer (Nürnberg), Über Erfahrungen mit eincy Modifikation des Ab¬
schwemmungsverfahrens nach Lentz-Tietz von Malachitgrünagar auf Lack¬
musmilchzuckeragarplatten zur Untersuchung von Stuhlproben auf Typhus-
und Paratyphusbazillen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Gegenüber
den einfachen Ausstrichverfahren erzielte Verf. mit dem modifizierten Lentz-
Tietz’schen Abschwemmungsverfahren von Malachitgrünagar auf Milchzucker -
lackmusagarplatten günstige Resultate bei der Untersuchung von Typhus-
und Paratyphusbazillen enthaltenden Stühlen. Nur in einzelnen Fällen traten
Versager auf infolge des geringen Vorhandenseins von Typhus- resp. Para-
typhusbazillen. Ausstrich- und Abschwemmungsverfahren müssen mitein¬
ander kombiniert werden. In ausgetrockneten Stuhlproben können sich Para¬
typhusbazillen vier Jahre entwicklungsfähig erhalten. Schürmann.
Innere Medizin.
L. Ramond und Chiray (Paris), Gonorrhoischer Gelenkrheumatismus
und Meningokokkenserum. (Soeiete med. des hopitaux, 25. November 1910.)
In der Theorie sind die sog. Heilsera als spezifisch gedacht, indem das eine
Serum Schutz- und Heilkörper gegen diese, das andere gegen jene Krankheit
enthalte. In der Praxis hat man aber allerhand Heilwirkungen von ganz
heterogenen Seris gesehen, ja sogar normales Blutserum hat schon therapeutische
Dienste geleistet. Nun berichten Ramond und Chiray von 5 akuten bzw.
subakuten monoartikulären Trippererkrankungen, welche durch einmalige In¬
jektion von je 20 ccm Antimeningokokkenserum geheilt worden sind. Die
Schmerzen hörten fast sofort auf, die Gelenkergüsse resorbierten sich und
Beweglichkeit stellte sich ein. Dabei ist es gleichgültig, ob man die In¬
jektionen ins Gelenk oder neben das Gelenk oder in einiger Entfernung
davon macht.
Auch Pissavy und Chanoy hatten früher die gleichen Beobachtungen
gemacht. Die Patienten werden sich freuen oh dieser Wirkung, den Theore¬
tikern wird sie aber nicht recht in ihr System passen. Buttersack (Berlin).
Maurice Loeper (Paris), Intestinalkrisen bei Erkrankungen der Aorta.
Progres medical, Nr. 50, S. 659—661, 1910.) Eine beträchtliche Anzahl von,
Klinikern in Frankreich spürt dem Zusammenhang von Darmsymptomen mit
Erkrankungen (vornehmlich Sklerose) der Aorta nach. Dabei fand sich häufig
eine Koinzidenz dieser anatomisch nachweisbaren Veränderung mit schmerz¬
haften Krisen im Bereich von Magen und Darm, mit Darmkrämpfen, welche
bis zrum Darmverschluß führen können, mit akuten Diarrhöen, akuten Schleim¬
krisen (crises mucorrheiques), gelegentlich auch mit Darmblutungen.
Mit Recht macht Loeper auf die Schwierigkeit der Differentialdiagnose
aufmerksam. Ganz ähnliche Symptome finden sich bei einfach nervösen Zu¬
ständen, bei Diabetikern, Oxalurikern, Tuberkulösen, bei Pankreatikern, bei
Malum Pottii, bei Wurzelerkrankungen, Tabes, Myelitis und Meningo-Radiku¬
litis. Wenn man nicht Erweiterungen oder Veränderungen (inegalite oder
ixregularite) an der Aorta oder ihren Ästen tasten könne, bleibe die Diagnose
zweifelhaft. Diese Aortitis läßt L. übrigens nicht direkt auf die Bauchein-
Ä’eweide wirken, sondern durch Vermittlung der verschiedenen Nervenplexus,
über welche er so disponiert, daß das Ganglion solare für den Magen, das
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Referate und Besprechungen.
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Ganglion mesentericum superius für das Colon ascendens und den Dünndarm,
das Ganglion mesentericum inferius für das Colon transversum und descendens
verantwortlich ist.
Das klingt soweit ganz hübsch. Allein aussichtsreicher möchte es er¬
scheinen, die verwandten klinischen Bilder nicht bloß analytisch zu behandeln,
sondern anstatt differentialdiagnostischer Abgrenzungen das gemeinsame, das
synthetische Moment zu suchen. Dabei würde sich wahrscheinlich ergeben,
daß die anatomischen Veränderungen, in denen wir den Grund aller Pathologie
zu sehen gewohnt sind, ihrerseits die Ergebnisse einer langen Reihe von Pro¬
zessen darstellen, welche eich jedoch jenseits des Objektträgers abgespielt
hatten. Und doch kann nur ein Vogelstrauß sie deswegen, weil er sie nicht
sieht, als nicht vorhanden betrachten. In dem Satze: „Malheureusement, des
battements aortiques n’ont en eux-memes aucune valeur; Perethisme vasculaire
est chose banale et n’a aucun rapj)ort avec les lesions meine du vaisseau“ liegt
der Schlüssel des Irrtums der pathologisch-anatomischen Richtung, wie sie
Loeper vertritt. Physiologisch richtiger ist es, den Erethisme vasculaire
als tein Vorstadiüm der späteren Sklerose zu betrachten; und wer noch kon¬
sequenter denkt, wird dann dahin geführt werden, als äußerste bzw. erste
Läsion nicht eine solche irgendeiner anatomischen Zelle, sondern die Störung
in einer physiologischen Grundfunktion zu erkennen. Freilich, so weit reichen
unsere Mikroskope nicht. Aber die verwickelten Vorgänge in der lebendigen
Substanz wird ebenso wie jene im Universum, wenn überhaupt, nur das
Denken auflösen; die geschliffenen Gläser sind ihm nur Werkzeuge hierzu.
Buttersack (Berlin).
N. Ssaweljew, Zur Differential-Diagnose der Mitralstenose. (Virchows
Archiv für path. Anat., Bd. 202, S. 1, 1910.) Bei der Mitralstenose im
Stadium der Inkompensation ist der rechte Radialpuls stärker als der linke —
iebenso auch beim Aortenbogenaneurysma im Bereiche der Anonyma einerseits
und der Carotis comm. sin. andererseits. Die Differentialdiagnose wird noch
schwieriger, wenn das klinische Bild des Aorten bogen aneurysmas durch die
Lähmung des linken N. laryngeus recurrens kompliziert ist; dieselbe links¬
seitige Stimm ban dl ähmung ist auch bei Mitralstenose beschrieben.
Eine Differentialdiagnose wird dadurch erleichtert, daß der Unterschied
zwischen rechtem und linkem Radialpuls bei horizontaler Lage des Patienten
stärker hervortritt als in vertikaler Stellung; besonders noch, wenn man
die Kranken sich auf die rechte Seite legen läßt; beim Aortenaneurysma
fehlt dagegen dieser* Unterschied.
Verfasser erklärt sich dies daraus, daß bei der Mitralstenose der sich
vergrößernde linke Vorhof nach oben einen Druck auf den Aortenbogen
in der Gegend zwischen Anonyma und Carotis comm. ausübt; durch Ver¬
änderung der Lagerung des Kranken aus der senkrechten in eine wagerechte
wird dieser Druck des linken Vorhofes sehr gesteigert, damit wächst auch der
Unterschied zwischen den beiden Radialpulsen. Das ist aber nicht der Fall
bei dem Aortenaneurysma, wo bei Rückenlage des Patienten das umfangreiche
Aneurysma in der Richtung nach oben, nach der oberen Thoraxapertur hin
ausweichen kann.
Injektionsversuche an der Leiche zeigten, daß tatsächlich durch Ver¬
größerung des linken Vorhofes und Vermittelung der A. pulmonalis, die wie
federnd wirkt, ejn Druck auf den Aortenbogen ausgeübt wird, welchen man
durch Veränderung der Lage des Patienten aus der vertikalen in die hori¬
zontale steigern kann; es zeigte sich dabei weiter, daß der Druck des linken
Vorhofes und der Lungenarterie auf den Aortenbogen unterhalb der Gegend
zwischen dem Austritte der Art. anonyma einerseits und der Carotis comm.
Bin. und Subclavia sin. andererseits verstärkt wird, wenn man den Patienten
in Rückenlage bringt — mehr auf der rechten Seite liegend — mit etwas
erhobenen Hüften. Wenn an den Präparaten die Eindrücke zwar nur an
der Art pulmonalis vorhanden waren, so darf man doch annehmen, daß
an den betreffenden Stellen auch auf die anliegenden Teile, d. h. auf die
Aorta und den linken Vorhof ein Gegendruck ausgeübt werden muß.
W. Risel (Zwickau).
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Referate und Besprechungen.
329
W. Dewitzky (Moskau), Weitere Untersuchungen über chronische Ver¬
änderungen in den Herzklappen. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 202,
H. 3, S. 341, 1910.) Verf. beschreibt zunächst chronische Veränderungen an
den Aortenklappen, die sich in 10 Fällen (hauptsächlich bei Leichen an
zehrenden langdauernden Krankheiten oder bösartigen Geschwülsten ver¬
storbener Personen) fanden. Diese bald ausgesprochenen, bald unbedeutenden
Veränderungen lokalisieren sieh vornehmlich auf der hinteren Aortenklappe
derart, daß auf der ventrikulären -Oberfläche der Klappe, meist an der
Schließungslinie, manchmal auch etwas höher, sich eine dreieckige, recht
hart anzufühlende Verdickung befindet. Ihr Gipfel ist bald glatt, bald von
winzigen zugespitzten Auswüchsen bedeckt, die bei starker Ausbildung ein
fransenartiges Aussehen bekommen und recht fest auf der Unterlage haften.
Auf derselben Klappe kann man ein erhabenes fahlgelbes Plättchen bemerken,
das auf der Sinusseite sitzt und der Gegend der Schließungslinie entspricht.
Makro- und mikroskopisch charakterisieren sich die Veränderungen an der
hinteren Aortenklappe ziemlich einfach: Die an der Ventrikelfläche der
Klappe bestehen einmal aus feinen faserartigen Vorsprüngen (Auswüchsen),
dann aus einer vorquellenden Verdickung. Mikroskopisch erweisen sich diese
Massen als organisierte thrombotische Auflagerungen, die von zahlreichen
elastischen Fasern durchsetzt sind. Dabei sind mehr oder weniger aus¬
gedehnte Degenerationserscheinungen oder Nekrose in den anliegenden Schich¬
ten des eigentlichen Klappengewebes vorhanden. Es handelt sich um nicht
eigentlich entzündliche Prozesse, für die Verf. die Bezeichnung „Thrombo-
sclerosis valvularum“ vorschlägt. Die Plättchen an der Sinusseite der Klappe
sind der Atherosklerose der Intima der großen Gefäße gleichzusetzen.
In zwei andern" Fällen beobachtete D. an der Mitralis eine ungewöhn¬
lich starke diffuse. Verdickung, besonders im oberen Teile des Segels, d. h.
da, wo quergestreift Muskeln vom Vorhofe her in seine Masse übergehen.
Es handelt sich hier um eine Affektion der Muskulatur der Klappe, die sich
als eine Myokarditis durch eine Zunahme der Dicke der fibrösen Schicht
und Zugrundegehen der Muskelfasern und Ersatz derselben durch Binde¬
gewebe charakterisieren läßt.
Von zwei weiteren Fällen werden hyperplastische Verdickungen der
Semilunarklappen der Lungenarterie beschrieben, die wahrscheinlich einem
abnormen Ablauf der Bildung der Vorhofsscheidewand zuzuschreiben sind.
W. Risel (Zwickau).
Loeper und Esmonet (Paris), Pankreatin zur Therapie der Tuber¬
kulose. (Bulletin medical, Nr. S. 1107, 1910.) Klinische und anatomische
Untersuchungen haben ergeben, daß nicht selten bei Tuberkulösen das Pankreas
erkrankt oder wenigstens insuffizient ist. Die beiden Forscher haben daraus
Veranlassung genommen, einen Kausalnexus zu konstruieren, in welchem der
Pankreaserkrankung eine primäre und der Tuberkulose eine sekundäre Rolle
zugedacht wird. Von solcher Vorstellung durchdrungen begaben sie sich
auf den Weg des Experimentes bei Ratten „par ce que leur alimentation peut
etre assez analogue ä celle de Phomme“, und infizierten normale Tiere mit
Tuberkelbazilien und ebenso solche, welche mit Pankreatin vorbehandelt worden
waren. Diese Vorbehandlung hatte eine nicht unerhebliche Abmagerung der
Tiere zur Folge gehabt, so daß sie nach erfolgter Infektion leicht begreif¬
licherweise weniger an Gewicht verloren als die anderen. Immerhin erwiesen
sic sich im weiteren Verlaufe als Widerstandsfälliger: der Tod trat später
ein, und mehrere starben überhaupt nicht.
Diese Resultate bei Ratten erschienen Locher und Esmonet so er¬
mutigend, daß sie die Methode der Pankreatinisierung auch beim Menschen,
versuchten. Die Kavernen-Patienten magerten unter dieser Therapie schnell
ab und starben rasch, was man als Erlösung von schwerem Siechtum und,
somit immerhin als positiven Erfolg buchen kann. Bei den Kranken des
1. und 2. Stadiums dagegen seien die Ergebnisse ,,assez bons“ gewesen;
indessen machen Loeper und Esmonet außer Gewichtszunahme und Besse¬
rung des allgemeinen Befindens keine präzisen Angaben.
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Referate und Besprechungen.
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Solite einer die Sache nachmachen wollen, so gehe er 2, 3, sogar 4 g
Pankreatin pro die, ’in Einzeldosen von 0,25; aber er erinnere )sich dabei
an den Satz, welchen Brieux in seinem interessanten Drama Suzette der
Schlange in den Mund legt: ,,On n’a pas droit au malheur des autres“.
Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
R. Meyer, Die Erosion und die Pseudoerosion der Erwachsenen. (Arch.
für Gyn., Bd. 91, H. 3, 1910.) Seit Rüge und Veit ist die Anatomie, der
Erosion nicht systematisch bearbeitet worden. M. hat sich in gewohnter
Gründlichkeit dieser lohnenden Arbeit unterzogen und ist dabei zu schönen
Resultaten gekommen. Es wurden 75 Portiones mittels Serienschnitten unter¬
sucht; die Färbung wurde mit Muzikarmin vorgenommen, welches die
Sclileimepithelien rot färbt. Von den außerordentlich interessanten Befunden
können im Referat nur die Hauptresultate wiedergegeben werden. Zunächst
wird der Unterschied zwischen Erosion und Pseudoerosion von neuem defi¬
niert. Während bei ersterer das Oberflächenepithel verloren gegangen ist,
besteht bei letzterer an Stelle des normalen Plattenepithelüberzuges Zylinder-
epithel. Trotzdem hat aber M. eine Pseudoerosion bei Erwachsenen nie
ohne entzündliche Prozesse gesehen, auch nicht in den wenigen Fällen,
die als beginnende auf ge faßt werden durften und die übrigens sehr selten
anzutreffen sind; meist handelt es sich um ältere rezidivierende Prozesse,
wodurch die chronologische Deutung des ganzen Prozesses bedeutend er¬
schwert wurde. Das erwähnte Zylinderepithel, welches die Pseudoerosion
überzieht, ist niemals autochthon, sondern stets zugewandert, und zwar ent¬
weder von dem Zervikaloberflächenepithel, oder von den Zervikaldrüsen
oder von Drüsen, welche unter dem ursprünglichen Plattenepithel der Portio
sich neu gebildet hatten. — Wenn auch Reste kongenitaler Erosionen und
spätere Eversion der Zervikalschleimhaut die Entstehung von Erosionen
begünstigen mögen, so muß immer eine Entzündung mit vorausgehen. Die
Pseudoerosion der Erwachsenen ist ein erstes Heilungsstadium der
alten Erosion. Das von den genannten Stellen herstammende Schleim-
epithel regeneriert an Stelle des Plattenepithels, weil es durch seine natür¬
liche Beziehung zu zellenreicherem Stroma widerstandsfähiger ist gegen¬
über dem entzündlich infiltrierten Gewebe als das Plattenepithel, welches
erst nach erheblicher Abnahme der Entzündung sich wieder ausbreiten kann:
zweites Stadium der Heilung. Hierbei schiebt sich vom Rande der Pseudo -
erosion her oder auch von stehengebliebenen Plattenepithelinseln das Platten -
epithel unter dem Schleimepithel vor, zwischen ihm und dem Stroma, das
Schleimepithtd abhebend und abstoßend. Meist wächst dieses sich vorschie-
bende Plattenepithel in schnell sich schichtender Masse als breiter Saum
vorwärts, dringt als solcher schwer in die „Erosionsdrüsen“ ein, so daß ein
Teil derselben abgeschnürt wird und nur ein Teil langsam mit Platten -
epithel ganz erfüllt wird. Zuweilen wächst aber das Plattenepithel mehr
dem embryonalen ähnlich, nicht, geschichtet, sondern einreihig unter dem
Schleimepithel schnell vorwärts und füllt durch nachträgliche Schichtung
mit. Leichtigkeit alle, auch die tiefsten Verzweigungen der „Erosionsdrüsen“
aus; das ist sozusagen die solidere Heilung. M. vermutet, daß die zuletzt
genannten Plat.tenepithelien von aus der Embryonal- oder Kinderzeit her
liegengebliebenen Zellen herstammen. — Nie war eine Umwandlung von
Schleim- in Plattenepithel nachzuweisen, vielmehr blieb das unterminierte
Schleimepithel immer als solches unversehrt erkennbar obenauf, bis es degene¬
riert oder abgestoßen wurde. Metaplasie oder Prosoplasie spielen demnach
keine Rolle bei der Erosion und Pseudoerosion der Portio.
R. Klien (Leipzig).
Kaji (Halle), Zur ovariellen Ätiologie uteriner Blutungen. (Monat¬
schrift für Geburtsh. und Gyn., Bd. 32, S. 427.) Die Ätiologie uterin er
Blutungen steht seit einiger Zeit wieder im Vordergründe des Interesses,
nachdem Adler und Hitschmann gezeigt haben, daß im Endometrium nicht
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Referate und Besprechungen.
331
die Ursache der Blutungen zu finden ist. Theilhaber wollte das Myometrium
dafür verantwortlich machen, doch wurden seine Anschauungen von anderen
Nachuntersuchern verworfen. Nun hat K. auf Veranlassung von Veit die
Ovarien von 7 Frauen mit hartnäckigen Metrorrhagien mikroskopisch unter-
feucht und in allen 7 Fällen OvarialVeränderungen gefunden. Es handelte sich
dabei hauptsächlich um Verdickung der Albuginea und kleinzystische Degene¬
ration, während die zugehörigen Uteri, normal waren. Jedenfalls wird durch
diese Arbeit die Annahme gestützt, daß derartige Blutungen unter ovariellen
Einflüssen zustande kommen. Frankenstein (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
Bratz (Dalldorf), Die affektepileptischen Anfälle der Neuropathen und
Psychopathen. (Monatssehr, für Psych. u. Neurol., Bd. 29, H. 1 u. 2.)
B. weist auf die in erster Linie psychogen bedingten — daher der obige
Name — epileptoiden Erscheinungen bei unsteten Psychopathen hin. Das
Fehlen aller körperlichen hysterischen Erscheinungen spricht gegen die Ein¬
ordnung in diese Gruppe, andererseits bestehen sehr bedeutende Unterschiede
zur Epilepsie. Einmal treten die Erscheinungen meist nur bis zum dritten
Lebensjahr zehnt auf. ferner läßt sich eine Abnahme der Intelligenz nicht
naehweisen, besonders charakteristisch ist dann noch die Auslösung durch
seelische Aufregungen. Die Belastung dieser Individuen durch alkoholische
oder luetische Keimschädigung oder durch neuropathische Aszendenten ist
noch beträchtlicher wie bei der Epilepsie. Es finden sich ferner bei der
Hälfte der Fälle ausgesprochene spasmophile Symptome, die dagegen bei den
Epileptikern selten sind, ein Unterschied, der sich übrigens schon bei den
Konvulsionen der Kinder findet und die spätere Entwickelung zum Epilep¬
tiker oder Psychopathen mit epileptoiden Erscheinungen prophezeien läßt.
Ein Unterschied zur Epilepsie bedeutet weiterhin das Fehlen des Petit mal
(starrer Blick, Ablenkung der Bulbi, Verziehen des Gesichts, Ruck im
Arm). Von epileptoiden Symptomen konnte B. beobachten: die entweder
nur episodisch oder in jahrelangen Perioden (Pubertät) auftretenden Krampf¬
anfälle, welche sich durch das Fehlen der Aura, die geringe Tiefe des Be¬
wußtseinsverlustes, das Fehlen von Enuresis und von schweren Verletzungen
von den epileptischen unterscheiden, mit ihnen aber gemeinsam Zungenbiß
und Pupillenstarre haben; Schwindelgefühlsattacken und Ohnmachtsanfälle,
narkoleptische Anfälle, Dämmerzustände, die sich durch die kurze Dauer,
die nicht erhebliche Bewußtseinstrübung, den plötzlichen Ausbruch ohne vor¬
hergehenden Krampfanfall von den epileptischen unterscheiden; die bei den
echten Epileptikern seltenen tagelangen unmotivierten Verstimmungen und
Wutanfälle. Außer der Hysterie und der Epilepsie gibt es also psychogen be¬
dingte epileptoide Erscheinungen bei Psychopathen. Zweig (Dalldorf ).
Hinrichsen (Basel), Beitrag zur Kenntnis des epileptischen Irreseins.
(Allg. Zeitschr. für Psych.. Bd. 68, H. 1.) Wie H. an einer großen Reihe
von Fällen zeigt, kann das epileptische Irresein alle uns bekannten Zustands¬
bilder aufweisen. Mit Sicherheit ist dasselbe nur zu erkennen, wenn epilep¬
tische Autezedentien vorliegen. Doch gibt es sicher Fälle, in denen Anfälle
nie auf treten. Der Verdacht der epileptischen Natur sollte rege werden bei
mehrfachen kurzdauernden, durch deutliche Intervalle geschiedenen Anfällen.
Wichtig ist dabei der schnelle Eintritt der psychischen Störung und deren
schnelle Lösung, im psychischen Anfall der schnelle Wechsel zwischen Stupor
und Erregung oder zwischen Erregung, Verworrenheit und Luzidität, die
typischen epileptischen Halluzinationen, Angst, Suizid- oder Homozid-
neigungen sowie die partielle oder totale Amnesie. Wichtig ist, daß auch
k ata tone Zustandsbilder Vorkommen, ferner transitorische manische Zustände.
Auch unmotivierte Angstgefühle lassen an epileptische Äquivalente ohne
Bewußtseinsverlust denken, wie überhaupt Gleichgewichtsschwankungen der
Stimmung verdächtig sind. Erinnert sei auch an die Umständlichkeit während
der Psychose und an die nicht seltenen Größenideen. Zweig (Dalldorf).
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Referate und Besprechungen.
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O. Kern (Kenncnburg), Über das Vorkommen des paranoischen Sym-
ptomenkomplexes bei progressiver Paralyse. (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u.
Psych., Bd. 4, H. 1.) Die typische progrediente, zur Demenz führende Paralyse
bedingt stets einen Zerfall der Persönlichkeit, ein systematisierter, längere
Zeit festgehaltener Wahn setzt dagegen ein strenges einheitliches Persönlich-
keitsbewußtsein voraus. Im allgemeinen beobachtet man daher bei der typischen
Paralyse nur vorübergehende Wahnideen im Anfang der Erkrankung, wo die
erschwerte Auffassung zu Beeinträchtigungsideen führt oder indem bei erheb¬
lichem Betätigungstrieb die zwangsweise Beschränkung desselben zu einer
paranoischen Stimmungslage führt. Hierfür gibt K. zwei Beispiele. Aber
wie zwei weitere Krankengeschichten zeigen, ist auch die Kombination syste¬
matisierter paranoischer Ideen mit dem neurologischen Symptomenbild der
Paralyse möglich. Hier handelt es sich aber um stationäre Fälle, bei denen,
die Demenz eben lange ausbleibt, also ujn atypische Fälle. Prognostisch ist
dies nicht unwichtig. Die Unabhängigkeit des paranoischen Komplexes von
der Paralyse ergibt sich aus der Anamnese, welche die Existenz einer para¬
noischen Stiimnung9lage schon vor der Paralyse nachweist. Zweig (Dalldorf).
Landsberger (Göttingen), Lues cerebri und progressive Paralyse, ein
klinischer und anatomischer Beitrag. (Monatsschr. für Psych. u. Neur.,
Bd. 29, H. 2.) Der von L. beobachtete Fall zeigte klinisch ein außerordent¬
liches Schwanken der neurologischen Symptome und ein verhältnismäßig
spätes Auftreten der psychischen paralytischen Erscheinungen, anatomisch
die Kombination von Lues cerebri mit Paralyse, die sich auch aus den
klinischen Beobachtungen anne.hmen ließ. Anatomisch haben wir nach L.
in der Paralyse eine in ihrer Intensität herabgesetzte syphilitische Infiltra¬
tion vor uns, also nichts von den syphilitischen Prozessen scharf zu Son¬
derndes. Zweig (Dalldorf).
Schönhals, Über atypischen Ausfall der Wassermann’schen Reaktion
bei einem Fall von pathologisch-anatomisch sicherer Paralyse. (Monatsschr.
für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 2.) Bei einem sehr chronisch verlaufenden,
pathologisch-anatomisch sicher gestellten Fall von Paralyse fand S. im Blut
und in der Spinalflüssigkeit negative Wassermann’sche Reaktion, dagegen
positive Nonne'sche Phase 1 und beträchtliche Lymphozytose. Auch Plaut
fand bei den sehr langsam verlaufenden Fällen von Paralyse negative Wasser¬
mann’sche Reaktion. Zweig (DalldorR
F. Plaut (München), Die Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion
für die Psychiatrie. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 4, H. 1.)
P. läßt nur diejenigen Resultate als einwandsfrei gelten, welche mit der
Originalmethode gewonnen sind. Alle Stadien der Lues geben einen positiven
Befund im Blut, aber auch bei stärksten Graden nicht im Liquor. Ebenso
ist der Befund bei der Lues cerebri, so daß hier eine diagnostische Hilfe nur
bei klinisch für diese Erkrankung sprechenden Symptomen zu erwarten ist
oder in ätiologisch und therapeutisch sichernder Weise und den Verdacht
einer luetischen Gehirnerkrankung erregend gegenüber einer genuinen Epil.,
multiplen Sklerose usw. Bei der Paralyse ist mit ganz geringen Ausnahmen
sowohl Blut als Liquor positiv. Bei der Tabes schwanken noch die An¬
sichten. Die Untersuchung der Paralytikerfamilien ergab, daß in 61% die
Übertragung der Lues wenigstens auf ein Mitglied stattgefunden hatte.
31% der Kinder reagierte positiv, und es ließen sich häufig leichtere Stö¬
rungen auf intellektuellem und affektivem Gebiet als Folgeerscheinungen
einer kongenitalen Lues ,erkennen und behandeln. Zweig (Dalldorf)..
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Pels-Leusden (Berlin), Die Behandlung des Rhinophyms. (Ther.
Monatsh., Nr. 1, 1911.) P. empfiehlt zur Behandlung des Rhinophyms (Knollen¬
nase) die Stromeier’sche Dekortikation: Nach oberflächlicher Reinigung der
Haut durch Abputzen mit Äther und Alkohol und Desinfektion durch Ein-
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Referate und Besprechungen.
333
pinseln von 10%iger Jodtinktur wird von einem Einstich an der Basis des
Nasenrückens aus l%ige Novokain-Suprareninlösung in der Richtung nach
der Basis der Nasenflügel jederseits eingespritzt und danach von einem Ein¬
stich von dem einen Nasenflügel aus das subkutane Zellgewebe der Ober¬
lippe bis zu dem anderen hin infiltriert. Am Nasenrücken gehe man mit
der Infiltration bis dicht an das Periost heran. Beiderseits in der Gegend
des Canalis infraorbitalis errichte man ebenfalls noch ein Depot von Novokain-
Suprareninlösung. Danach wird die Nase durch Äthylchlorid zum Gefrieren
gebracht, nach Verstopfen der Nasenlöcher und Bedecken der Augen. Damit
die Pat. nicht zuviel von Äthylchloriddämpfen einatmen, kann man mit
irgendeinem undurchlässigen Stoff die Mundgegend gegen die Nase abschließen.
Man muß so lange aufsprayen, bis die Nase bis zum Knorpel gefroren ist,
ungefähr 4—5 Sek. Sie bekommt dabei die Konsistenz einer rohen Kartoffel.
Während dieser Zeit des Gefrierens pflegt dann auch die Novokainleitungs-
anästhesie einzutreten. Indem man den linken Zeigefinger in das eine ünd
den Daumen in das andere Nasenloch einführt, schneidet man mit einem scharfen
Messer unter Schonung des Knorpels der Nase diese so zurecht, bis sie eine
annehmbare Form besitzt. Auch in gefrorenem Zustand kann man die Fundi
der Talgdrüsen, die man mit dem benachbarten Bindegewebe in einer Dicke
von l l / 2 , höchstens 2 mm auf dem Knorpel sitzen läßt, gut unterscheiden.
Danach stopft P.-L. die Nasenlöcher mit Jodoformgaze beiderseits fest aus,
und komprimiert durch Aufdrücken von Gazekompressen für 10 Minuten,
die mit l°/oiger Novokain-Suprareninlösung angefeuchtet sind. Danach blutet
es in der Regel nicht. Die Nase wird nun mit sterilen Gazekompressen be¬
deckt, die mit Heftpflasterstreifen oder einer Schleuderbinde befestigt werden.
Der erste Verbandwechsel kommt in 3—4 Tagen. Das Ablösen der unmittelbar
der Wundfläche aufliegenden Gazelagen wird sehr vorsichtig durch Auf¬
sprayen von 3°/ 0 ig er Wasserstoffsuperoxydlösung bewirkt, um die zarte Epithel¬
schicht, die sich von dem Fundi der Talgdrüsen aus bildet, nicht zu verletzen.
Die Heilung nimmt nicht länger als 10—12 Tagen in Anspruch. S. Leo.
Augenheilkunde.
C. Horstmann, Die Ätiologie und Behandlung der Netzhautablösung.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 47, 1910.) Die Abhebung der Netzhaut von
der Innenfläche der Aderhaut erfolgt entweder durch einen Fliissigkeits-
erguß oder einen soliden Tumor. Sie wird mit Hilfe des Augenspiegels
diagnostiziert. Gewöhnlich findet man da die Abhebung im unteren Teil,
wenn sie auch an jeder Stelle eintreten kann. Durch die Schwere der
Flüssigkeit senkt sich aber der Erguß nach unten. Die subjektiven Symptome
bestehen in Sehstörungen. Im Gesichtsfeld zeigt sich eine schwebende Wolke.
Die zentrale Sehschärfe leidet, Metamorphosie macht sich bemerkbar. Die
Lichtempfindlichkeit erlischt. In frisch entstandenen Fällen kommt es oft
zur Zerreißung in der Äquatorgegend.
Da die Netzhaut mit der Aderhaut nicht verwachsen ist, kann eine
Ablösung nur bei Änderung des Glaskörperdrucks oder infolge einer aktiven
Abdrängung entstehen. Hauptsächlich beobachtet man den Vorgang bei
Kurzsichtigkeit höheren Grades, ferner bei Verletzungen. In jedem Falle
spielt aber die Erkrankung des Glaskörpers dabei eine Rolle.
Die Prognose ist quoad sanationem sehr ungünstig. Aus der partiellen
Ablösung wird zumeist eine totale. Oft kommt noch Linsentrübung hinzu.
Auch eine schleichend verlaufende Iridozyklitis mit nachfolgender voll¬
ständiger Erblindung und Phthisis bulbi wird, wenn auch seltener, beobachtet.
Die Therapie hat zunächst bei ganz frischen Fällen die allerdings
selten vorkommende Spontanheilung zu unterstützen. Sie hat einmal darin
zu bestehen, daß der Patient Rückenlage einnimmt, diaphoretische Mittel
(Pilokarpin, Natr. salicyl., Aspirin) und einen leichten Druckverband erhält.
Von antiphlogistischen Kuren, sowie Quecksilber- und Organpräparaten hat
Horstmann keinen großen Erfolg gesehen. Dagegen empfiehlt er die
subkonjunktivalen Kochsalzinjektionen.
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Referate und Besprechungen.
Führt diese Therapie nach mehreren Monaten nicht zum Ziel, so muß
ein operatives Vorgehen, das allerdings von zweifelhaftem Erfolg ist. ver¬
sucht werden. Es kommt dabei hauptsächlich darauf an, die subretinale
Flüssigkeit durch Skleralpunktion zu beseitigen und gleichzeitig subkon-
junktival 2—5%i£e Kochsalzlösung zu injizieren.
Die anderen -.angegebenen Verfahren, so vor allem das Deutschmann’sche,
das in GlaskÖrperdurchschneidung und Injektion einiger Tropfen mit physio¬
logischer Kochsalzlösung verdünnter und zerriebener Kaninchenglaskörper
in den Glaskörperraum besteht, bedürfen größter Vorsicht. F. Walther.
Höhl (Chemnitz', Rezidivierende multiple Augenmuskellähmung auf
gichtischer Grundlage. (Monatsschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 1.1 Der
Inhalt des Vortrags ergibt sich aus der Überschrift, die Richtigkeit der
Diagnose aus der Therapie. In der Literatur scheinen solche Fälle bisher
nicht erwähnt zu sein. Zweig (Dalldorf\
Medikamentöse Therapie.
F. Nitsche (Triest), Über ein neues Baldrianpräparat: Gynoval. (Klin.-
therap. Wochenschr., Kr. 36, S. 873, 1910.) Obwohl nicht Nervenspezialist,
hatte N. doch Gelegenheit, binnen einigen Monaten eine ganze Anzahl
von Fällen mit dem neuen Baldrianpräparate zu behandeln, über die er
hier kurz referiert. Das kann er auf Grund seiner Erfahrungen hervor¬
heben, daß das Gynoval eines der wirksamsten Baldrianpräparate zu sein
scheint und daß es, im Gegensatz zu manchen anderen derartigen Präpa¬
raten, im allgemeinen sehr gut vertragen wird. Man darf natürlich von der
Valeriana nicht Wunder erwarten, es ist und bleibt ein vorzügliches sympto¬
matisches Mittel, aber als solches leistet es häufig sehr gute Dienste. Versager
kommen selbstverständlich auch vor, wenn man sich aber darauf beschränkt,
nur solche Fälle mit ihm zu behandeln, die ihrer Natur nach dazu geeignet
erscheinen, dann wird man in der Regel auch einen entsprechenden Erfolg
erzielen. Neumaim.
F. Bönning (Darmstadt), Jodival, ein neues Jodpräparat mit 47°/ 0
Jodgehalt. (Med. Klinik. Nr. 49. 1910.) Die modernen Jodpräparate scheiden
sich als solche, dio wegen ihres geringen Jodgehaltes und der langsamen
Abspaltung des Jods für milde Jodkuren angezeigt sind, und solche, die in
gleicher Weise wie das Jodkalium eine energische Jodwirkung hervorrufen.
Zu dieser letzteren Gruppe gehört das Jodival.
Das Jodival besitzt aber außer seiner zuverlässigen kräftigen und
schnellen Jodwirkung noch merklich sedative Eigenschaften, die hauptsäch¬
lich in der Vertiefung der Atmung zum Ausdruck kommen, aber auch im
allgemeinen den Zustand der Patienten in beruhigender Weise beeinflussen.
Auf Grund seiner Beobachtungen kommt der Verf. zu folgenden Ergebnissen:
1. Jodival wird durchschnittlich gern und ohne Widerstreben genommen.
2. Jodival ist. trotz seines hohen Jodgehaltes fast frei von Neben¬
wirkungen, die man als Jodismus bezeichnen könnte.
3. Jodival übt eine kräftige Jodwirkung aus.
4. Auf die Atmung wirkt Jodival in beruhigender Weise ein. Neumann.
H. Altdamm, Einige bemerkenswerte Fälle von Arsazetinbehandlung
mit historischen und kritischen Bemerkungen. (Ther. Monatsh.. Nov. 1910.)
Das Arsazetin hat in folgenden 5 Fällen eine günstige Wirkung entfaltet
Im ersten verschwanden die pseudoleukämischen Tumoren schnell und das
Blutbild wurde fast wie ein normales, im zweiten bewirkte es die Heilung
des Diabetes insipidus und der demselben zugrunde liegenden Tuberkulose,
in dem dritten führte es eine Verkleinerung der Leberschwellung herbei, im
vierten die Heilung einer Psoriasis und im fünften eine bedeutende Besserung
eines Liehenausschlags. Man darf es nie bei Erkrankungen des Augeninnern
geben und soll erst durch kleine Dosen die Toleranz des betreffenden Kranken
prüfen; man verordne es daher innerlich in Tropfenform (4mal tgl. 0,05 g). $. Leo.
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Bücherschau.
335
Bücherschau.
Das Ödem, eine experimentelle und theoretische Untersuchung der Physiologie und
Pathologie der Wasserbindung im Organismus. Von Dr. Martin H. Fischer, Prof, der
Physiologie an der Universität Cincinnati (Ohio), vormals Prof, der Pathologie an
dem Oakiand College of Medicine, California (U. S. A.). Deutsch herausgegeben
von Karl Schnorr (Wien) und Wolfgang Ostwald (Leipzig). Dresden 1910.
Verlag von Theodor Steinkopff. 6 Mk.
Zur Erklärung des Auftretens von Odemen wurden bisher im wesentlichen
zwei Faktoren herangezogen, der Blutdruck und der osmotische Druck. Aber der
Blutdruck allein hat sich im Experiment nicht brauchbar erwiesen, es gelingt nicht,
mit einem Druck, der den im Organismus beobachteten um ein vielfaches übertrifft,
Odern zu erzeugen. Auch die osmotische Theorie hat nicht genügt: die beobachteten
Werte der Wasserverschiebung bei Odem entsprechen nicht den nach der Theorie
erwarteten; man sollte Membranen an den Zellen erwarten, die sich nicht nach-
weisen lassen, der Ersatz der Membranen durch Lipoide (Overton) ist ebenso
hypothetisch und erklärt nicht die gleichzeitige Aufnahme von Salzen. Trotzdem
steckt ein richtiger Kern in dieser Theorie, als sie die Ursache der Ödembildung
im Gewebe selbst sucht.
Fischer stellt die Frage: wieso vermag Protoplasma überhaupt Wasser zu
binden und wieso bindet es einen unter normalen Bedingungen annähernd konstanten
Betrag, deren Beantwortung allerdings die Ursache des Ödems ergiebt. Die wirk¬
same Kraft ist ihm die Quellung. Der mögliche Betrag des Quellungsdruckes ist
ein unvergleichbar viel höherer, als der des Blutdruckes oder des osmotischen
Druckes. Seine Versuche stellt er am Kreislauf isolierter oder toter Organe und
an einfachen Kolloiden (Fibrin, Gelatine) an; er findet:
1. Säuren und Basen befördern je nach Zusammensetzung an Konzentration
die Quellung.
2. Elektrolyte (besonders Anionen) wirken dieser Fähigkeit der Säuren und
Laugen entgegen, Nichtelektrolyte haben dieses Vermögen nicht.
3. Die Aufnahme und Abgabe von Wasser ist bis zu einem gewissen Grade
ein reversibler Prozeß.
Auf die Pathologie angewendet ergibt sich:
1. Odem ist die Folge der Erhöhung der Affinität von GewebskolloTden
gegenüber Wasser über die Norm (bei Gegenwart von Wasser).
2. Die Anwesenheit von Säure (oder Stoffen, die wie Säure wirken) setzt die
Affinität der Gewebe herauf.
Es kann sich dabei entweder um abnorm gebildete, oder um normal gebildete,
aber regelwidrig nicht entfernte Säure handeln.
Eine abnorme Anhäufung von Säure ist in allen Fällen von Ödembildung
nachweisbar (Milchsäure und Kohlensäure werden genannt). Im allgemeinen ent¬
spricht eine Herabsetzung der Sauerstoffaufnahme dem Nachweisburwerden von Säure.
Jeder chemische Eingriff, der die Bildung von Säure im Gewebe zur Folge
hat, bewirkt Ödem.
3. Elektrolyte wirken der Bildung von Ödem entgegen, Nichtelektrolyte tun
das nicht.
Es ist an dieser Stelle nicht möglich, weiter die Anwendung dieser Grund¬
gedanken auf einzelne pathologische Zustände zu erörtern. Auch das müssen wir
uns hier versagen, der möglichen Nutzbarmachung für die Physiologie nachzugehen,
von welcher Fischer gleichfalls Proben gibt. Aus diesen mag hier nur heraus¬
gehoben werden die hübsche Antithese von der Aufsaugung von Wasser im Darm,
welcher reichlich von sauerstoffarmem und kohlensäurereichem Blute durchströmt
wird (während der besser mit Sauerstoff versorgte Magen kein Wasser resorbiert),
gegenüber der Niere, welche Wasser absondert, während sie besonders rasch und
reichlich von sauerstoffreichem Blute durchströmt wird, aber schon die gering¬
fügigsten Störungen der Sauerstoffzufuhr mit Einstellung der Wasserabscheidung
beantwortet.
Aus dem Angeführten ergibt sich, daß das Buch Fischer’s eine grundlegende
Idee verfolgt und deshalb jedem denkenden Arzte eine Quelle der Anregung und
Belehrung bietet. Mehr als Spezialuntersuchungen auf eng begrenztem Gebiete
ergeben Untersuchungen aus der allgemeinen Pathologie dem Arzte am Kranken¬
bette die Möglichkeit, seinen vorliegenden Fällen neue Seiten abzugewinnon.
Trotz dieser starken Anerkennung können wir uns doch auch einigen Ein¬
wendungen nicht verschließen. So z. B. mag zugegeben werden, daß das bei
Kaninchen durch einseitige Haferkost („Säurediät“) erreichbare Odem durch Säuerung
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erklärt werden kann. Aber beim Menschen finden wir doch bei Mineralsäurevergiftung
nicht Ödem; ferner ist gegenwärtig doch das diabetische Koma derjenige Zustand,
in welchem allgemein die vermehrte Säuerung als die Ursache der pathologischen
Erscheinungen betrachtet wird, aber Ödeme gehören nicht zu den Grund-
symptomeu dieses Kranklieitsbildes. (Das Glaukom betrachtet Fischer als einen
Fall von Ödem des Auges; im diabetischen Koma ist im Gegensatz zum Glaukom
die Spannung des Augapfels oft außergewöhnlich herabgesetzt (Krause).
Die Ödem verhindernde, sogar Ödem wieder aufhebende Wirkung von Elektro¬
lyten wird an der heilenden Wirkung der Einspritzung von Natriumcitratlösungen
ins Auge bei Glaukom gezeigt. m Es wäre doch w ünschensw ert, daß der gleiche Effekt
noch bei andern Formen von Ödem nachgewiesen würde. Sonst scheint im allge¬
meinen die Frage näher zu liegen: Wie kommt es, daß die doch normal in den
Gewebssäften vorhandenen Elektrolyte nicht der Entstehung von Odem entgegen-
wirken?
Sehr plausibel scheint die Zurückführung des kachektischen und zirkulatorischen
Ödems auf Sauerstoffmangel und Säuerung (durch Kohlensäureanhäufung). Aber
schon beim entzündlichen Ödem wäre ein genaueres Eingehen auf den Chemismus
wünschenswert, um zu überzeugen. Vor ca. zwei Jahren beobachtete Schreiber dieses
einen Fall von multipler Neuritis mit wechselnden, zeitweise sehr starken und uni¬
versellen Ödemen, welche laut Sektion nur von der Neuritis abhängen konnten; sollen
diese ebenso gedeutet werden? Ferner die Fälle vom umschriebenen, sogenannten
Quincke’schen Ödem? Endlich scheint auch Fischer’s Deutung der Kochsalz¬
ödeme bei gewissen Formen von Nephritis nicht recht überzeugend, mindestens
nicht ausführlich genug begründet. Gerade diese „ Kochsalzödeme“ scheinen doch
sehr dafür zu sprechen, daß unter gewissen Umständen die osmotische Theorie zu
Recht bestehen könnte.
Diese Einwendungen sollen der Anerkennung des Buches keinen Eintrag tun,
sondern auf Stellen hinweisen, welche in einer späteren Auflage weiterer Ausführung
bedürfen. _ v. Criegern.
Kongresse und Versammlungen.
28. Kongreß für innere Medizin. Vom 19. bis 22. April wird zu Wiesbaden
unter dem Vorsitze des Herrn Geh.-Rat Prof. Dr Krehl (Heidelberg) der 28.Deutsche
Kongreß für innere Medizin tagen. Die Sitzungen finden im Neuen Kurhause
statt. Das Bureau befindet sich ebendaselbst Als schon länger vorbereiteter Ver¬
handlungsgegenstand steht auf dem Programm: Uber Wesen und Behandlung
der Diathesen. Referenten sind die Herren: H. His (Berlin): Geschichtliches
und Diathesen in der inneren Medizin. Pfaundler (München): Diathesen in der
Kinderheilkunde. Bloch (Basel): Diathesen in der Dermatologie. Mendelsohn
(Paris): Die Frage des Arthritismus in Frankreich. — Weitere Vorträge sind u. a.
angemeldet: Über Lungen leiden von den Herren: Bacmeister, Diesing,
Eberhart, Engel, Ott, Rothschild. — Über Herz und Gefäße von den
Herren: E. Albrecht, Oskar Bruns, Christen, Hering, Hess, Joachim,
Fr. Kraus, Lewinsohn, G. Nicolai, Ohm, Ruppert, Sperling. — Über
Stoffwechsel von den Herren: Armstrong, Brugsch, Graf, Emil Pfeiffer,
Reicher, Rolly, Stepp, von den Velden, Zuelzer.
Mitteilungen.
Das Deutsche Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen veranstaltet am
26. August 1911 eine Studienreise nach den Nordseebädern und von dort mit dem
„Meteor* der Hamburg-Amerika-Linie nach Norwegen. Die Reise soll ungefähr
3 Wochen dauern. Besucht werden (Änderungen Vorbehalten): Norderney (Aus¬
flüge nach Wahl nach Borkum oder Juist), Sylt, Wyk, Helgoland, Larvik, Sundefjord,
Christiania, Holmenkollen, Voksenkollen, Naes, Nomsdal, Merok, Baiholmen, Gud-
vangen, Stalheim, Flaemthal, Myrdal, Bergen. Preis der Reise von 395 Mk. an
je nach Wahl der Kabine.
Für die Pfingstwoche ist anläßlich des 5. Internationalen Kongresses für
Thalassotherapie eine achttägige Sonderreise nach Kolberg und einigen östlichen
deutschen Ostseebädern geplant. Besucht werden: Kolberg, Zoppot, Heia, Pili au,
Königsberg, Cranz, Kahlberg, Cadinen, Marienburg, Danzig. Preis ca. 85 Mk.
Die Internationale Hygiene-Ausstellung in Dresden soll am 24. und 25. Juni
besucht werden. Preis Berlin-Dresden-Berlin ca. 25 Mk.
Anfragen und Meldungen sind zu richten an das Deutsche Zentralkomitee
für ärztliche Studienreisen, Berlin W. 9, Potsdamerstr 134b.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
TortscDritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauBgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Pric.-Doz. Dr. o. ßritgm
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Leipzig.
Nr. 15.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
13. April.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Oie Akne und ihre Behandlung.
Von Dr. Gerhard Hahn, Breslau.
Der Ansicht vieler Praktiker, daß es sich bei der Behandlung
einer Akne um eine quantite negligeable handelt, steht der dringende
und vom kosmetischen Standpunkte aus mehr als berechtigte Wunsch
der Patienten nach schneller und gründlicher Beseitigung ihres Leidens
gegenüber. Leider gehört aber gerade die Akne zu den hartnäckigsten
Hauterkrankungen, was höchstwahrscheinlich auf die noch unaufge¬
klärten Zusammenhänge der Affektion mit Vorgängen des inneren Stoff¬
wechsels zurückzuführen ist. Auf diese noch etwas hypothetischen Bezie¬
hungen kurz einzugellen, halten wir im Interesse des besseren Verständ¬
nisses der Therapie für vorteilhaft.
An erster Stelle wäre hier auf die auch bei anderen Hautaffek¬
tionen beobachteten Wechselbeziehungen zu Störungen von seiten des
Darmtraktus hinzuweisen. Die Mehrzahl der an Akne leidenden
Patienten klagt über mehr oder weniger ausgesprochene Obstipation.
Wahrscheinlich bildet sich dadurch eine Art Autointoxikation infolge
erhöhter Eiweißfäulnis, wie sie z. B. Urinuntersuchungen Kapps (Thcr.
Monatsh. 1907) ergeben haben. Ob dieser Hypothese eine Berechtigung
zuzusprechen ist, mag hier nicht entschieden werden. Noch mehr in
das Bereich der Vermutung gehört der von zahlreichen Beobachtern
bestätigte Zusammenhang der Akne mit der Chlorose, wobei die wenig
durchblutete Haut als einer Infektion mit Eitererregern zugänglicher
angenommen wird. Daß die Versorgungsverliältnisse der Haut mit Blut
eine gewisse Rolle bei der Entstehung der Akne spielen, scheint auch
u. a. Finger anzunehmen, der das häufige Auftreten der Affektion
in der Pubertät auf Uberernährungszustände der Haut zurückführt,
wobei die ätiologische Rolle der sexuellen Abstinenz nicht näher be¬
sprochen werden soll. Ein Zusammenhang zum Genitalsystem kann
im allgemeinen aber nicht geleugnet werden, wie er u. a. aus dem
mitunter beobachteten, gleichzeitigen Auftreten von Menstruations-
anomalien hervorzugehen scheint.
Wie man auch immer über diese Theorien denken mag, klar er¬
wiesen ist lediglich der ätiologische Zusammenhang der Akne mit der
Hyperproduktion von Talg in den Talgdrüsen, deren Ausfühnmgsgänge
sich verstopfen und durch eine Art zystischer Erweiterung die berüch¬
tigten Knoten bilden, wobei natürlich auch Bakterien ihre Hand im
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338
Gerhard Hahn,
Spiele haben. Es besteht dann in den meisten Fällen der charakteristische
seborrhoische Zustand der Gesichts- und nicht minder meistens auch
der Kopfhaut, dessen energische Bekämpfung zu den ersten Aufgaben
der Aknebehandlung gehört.
Entfettung der meist glänzenden Haut, Beseitigung der oberfläch¬
lichen Verhornungsprozesse und Entfernung der lästigen Komedonen
sind also die Ziele einer erfolgreichen Aknetherapie. Bei geringfügigen
Erscheinungen genügen diesen Anforderungen gewöhnlich gründliche
Waschungen mit warmem Wasser und Seife, wobei man sich vorteilhaft
neben der Sapo viridis auch der sogennaten medikamentösen Seifen
bedient. Um aus der Zahl dieser einige besonders geeignete a-nzuführen,
seien folgende erwähnt:
Unna’s Natronseifen (Schwefel, Teer, Resorzin),
EichhofPs Schwefel-Resorzin-Teerseifen,
die WolfPschen Sapalkole mit Naphthol, Resorzin usw.
Die oberflächliche Schälwirkung der Seifen kann noch verstärkt
werden, indem man den Schaum über Nacht eintrocknen läßt und
am nächsten Morgen mit warmem Wasser abspült. Neben und gleich¬
zeitig mit den Waschungen erfreuen sich auch Abreibungen der Gesichts¬
haut mit spirituösen Lösungen (Resorzin V 10 V 2 °/ 0 » Thymol 74%’
Salizyl 1 / 4 —V 2 °/ 0 ) gToßer Beliebtheit; auch sie führen zu Erweichung
der Hornschicht und desinfizieren gleichzeitig die Haut in gründlicher
Weise.
Diese etwas oberflächliche Behandlung, die bei geringfügigen Er¬
scheinungen ausreicht, stellt im allgemeinen nur die Einleitung zu einer
energischeren Therapie dar, den sogenannten Schälmethoden, die wir
bei allen ausgebildeteren Formen der Acne vulgaris anwenden. Als
Medikament dieser Schälpasten kommen wieder vor allem der Schwefel,
das Resorcinum albissimum und Sapo viridis in Betracht, von denen
wir je nach der Schwere der Erscheinungen und der sorgfältig zu er¬
probenden Hauttoleranz mehr oder weniger starke Mengen unseren
Salben zusetzen. Neben dieser Abstufungsmöglichkeit in den Stärke¬
verhältnissen individualisieren wir auch die Dauer der Schälwirkung
genau, indem die Pasten erst kürzere, dann immer längere Zeit auf
den erkrankten Partien liegen bleiben. Auch die sorgfältige Anlage
der Verbände ist von großem Wert wie stets in der Dermatotherapie
und bei ausgedehnten Aknefällen selbst die Applikation einer Gesichts¬
maske nicht entbehrlich. Nach einer gründlichen Seifenwaschung appli¬
zieren wir also eine der üblichen Schälpasten z. B.:
Resorcin albiss. 1,0 Sulfur, depurat. 2,0
Sulfur, depurat. 2,0 , Acid. salicyl
Sapon virid. 0( er Tct. benzoes ää 1,0
Vaselin flav. ää ad 20,0 Vaselin flav. ad 30,0
(eventuell anfänglich in schwächerer Zusammensetzung und mit Zusatz
des milden Ungt. leniens)
und setzen die Haut 1—2 Stunden der Schälwirkung aus, deren Reiz¬
effekt dann durch Lanolin, Goldcreme oder
Zinc. oxydati
Bismut. subnitric. ää 1,0
Ungt. lenient.
Ungt. simpl. ää ad 20,0
gelindert werden kann. Die Schälprozedur wird unter ständiger Ver¬
längerung der Einwirkungszeit (ev. die ganze Nacht hindurch) fortge-
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340
Gerhard Hahn,
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Fassen wir nun noch einmal das Gesagte kurz zusammen, so ef-
gibt sich für die Behandlung der Akne folgendes Schema:
a) Bei leichteren Fällen: Waschungen mit Wasser und Seifen,
spirituöse Lösungen.
b) In stärker ausgebildeten Fällen: Schälkuren.
c) Bei schwerer Akne: Unnas Schälmethode.
Immer aber werden wir nur bei monatelanger Anwendung Erfolge
unserer Therapie sehen und nicht verfehlen, unsere Patienten auf die
Hartnäckigkeit ihres Leidens aufmerksam zu machen. Ist dann eine
wesentliche Besserung eingetreten, in günstigen Fällen eine Heilung
zu konstatieren, dann ist es unsere Aufgabe, die nur zu häufigen
Rückfälle zu verhüten. Regelmäßiges Waschen mit einer medizinischen
Seife, häufiges Abtupfen mit spirituösen Lösungen sollen der über¬
mäßigen Talgproduktion Vorbeugen, Vermeiden der häufigen manuellen
Berührung das Zustandekommen von Infektionen verhindern.
Neben dieser lokalen Therapie tappt die interne Therapie noch
recht im Dunkeln, kennen wir doch kein spezifisches Medikament, das
eine ausgesprochene Heilwirkung auf die Akne hätte. Natürlich wird
man einen Versuch mit Arsen machen, sei es in Form der Filul. asiat.
oder als Injektionen (Natr. arsenicos l°/ 0 . J / 4 —1 ccm täglich u. a.).
Die übrigen internen Aknemittel haben im Grunde genommen nur den
Zweck, die Verdauung zu regeln, so z. B. die u. a. von Lassar
empfohlene Bierhefe, die heutzutage auch in Form fabrikmäßig herge¬
stellter Präparate (Levurinose) verordnet wird. Ähnlich verhält es
sich mit der internen Schwefelmedikation, die z. B. Jessner empfiehlt.
Sulfur, praecip.
Eleosach. citr. ää 20,0
D. S. Dreimal täglich 1 Messerspitze.
Kapp empfiehlt die Verbindung von Schwefel und Menthol, von
dessen antifermentativer Wirkung er viel hält.
Sulfur, praecip. 1,0
Menthol 0,25
D. S. Als Dragees 2—3 täglich zu nehmen.
Auch das Ichthyol wird in Form von Kapseln (0,3—0,5 dreimal
täglich eine Kapsel) verordnet und soll nach Jessner u. a. einen
günstigen Einfluß auf die Verdauung haben. Lediglich die Regelung
derselben sucht man durch den Gebrauch richtiger Karlsbader oder
Marienbader Kuren zu erreichen, wobei man der Konstitution der
Patienten natürlich genügend Rechnung tragen muß. Endlich wäre
hier auch noch der Diätreglung zu gedenken, von deren Verordnung
häufig viel Redens gemacht wird, ohne daß es eine ausgesprochene
Akne-Diät gäbe. Die Vermeidung aller die Kongestion des Gesichts
befördernden Stoffe, Alkohol, Kaffee, Tee, heißer Speisen und Getränke,
wird ebenso wie mäßiger Fettgenuß (wenig Käse) und die Bevorzugung
vegetarischer Kost in geeigneten Fällen anzuraten sein. Andererseits
wird man auch gegen Unterernährung bei Aknekranken Vorgehen, ebenso
wie wir gleichzeitige Anomalien der Genitalorgane bekämpfen müssen.
Nie aber dürfte das Auftreten einer Akne im Pubertätsstadium den Arzt
veranlassen, seine Patienten mit dem Hinweis, daß der Geschlechts¬
verkehr Heilung bringt, in die Arme käuflicher Mädchen zu treiben,
wie es leider so häufig geschieht. Die Gefahren, die der Patient in
moralischer und gesundheitlicher Beziehung läuft, werden wohl kaum
durch die völlig unsicheren kosmetischen Erfolge aufgewogen.
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Die Akne und ihre Behandlung.
341
Zum Schluß sei ein Hinweis auf die Tatsache gestattet, |daß
einige Arzneimittel wie Jodkali und Brom gewisse akneartige Erschei¬
nungen hervorrufen, so daß bei einer plötzlichen Akneeruption immer
an derartige medikamentöse Nebenwirkungen gedacht werden muß.
Bei sehr hartnäckiger Akne hingegen ist der Gedanke an eine
disseminierte Hauttuberkulose häufig nicht von der Hand zu weisen,
weshalb in solchen Fällen stets auf sorgsame histologische Unter¬
suchung zu dringen ist. Erwähnen wir noch kurz eine pustulöse, mit
Narben abheilende Abart der Acne vulgaris, die sogenannte Acne
varioliformis oder necroticans, deren Therapie der üblichen Aknebehand¬
lung ähnlich ist, nur noch größeren Wert auf reichliche Desinfektion
legt, dann sind wir mit unseren Ausführungen am Ende.
Nicht selten ist mit der Acne vulgaris vergesellschaft eine Erkran¬
kunganderen Ursprungs, deren Therapie aber der Übersichtlichkeit halber
hier besprochen werden soll. Es ist dies die Rosacea genannte Affektion
der Haut, die auf hyperämische Zustände zurückzuführen ist und
nebenbei Hypertrophien der Nase und häufig Aknebildung aufweist.
Diese letztere wird in der oben beschriebenen Weise behandelt
werden, wobei sich bei leichteren Graden das Kummer fei d’sche Wasch¬
wasser Camphor. trit.,
Gummi, arabic. ää 1,5,
Sulfur, praeeip. 7,0,
Aq. calc. 40,0
MDS. Äußerlich, umzuschütteln und über Nacht aufzutragen
bewährt hat. In ausgebildeten Fällen greift man zu den starken Schäl-
pasten, die schon deshalb recht energisch wirken müssen, weil wir
auch die Hyperämie durch Zerstörung der obersten Hautschicht be¬
einflussen wollen. Freilich genügt diese Behandlung in Fällen hoch¬
gradiger Gefäßerweiterung nicht; hier muß die chirurgische Therapie
herangezogen werden. Skarifikationen, Elektrolyse in der Richtung
der Gefäßlumina, Galvanokaustik sind hier am Platze, ja bei Hyper¬
trophien (Rhinophyraa) regelrechte Gewebsabtragungen nicht zu ent¬
behren. Am vorteilhaftesten wird eine kombinierte Behandlung sein,
die auch die internen Zusammenhänge berücksichtigt. Solche bestehen
bei der Rosacea unzweifelhaft mit der Chlorose, mit Menstruations¬
anomalien, mit alten Erfrierungen. Auch die Diät muß in der oben
geschilderten Weise geregelt werden, besonders der Alkoholgenuß ein¬
geschränkt werden. Im übrigen ist nach Beendigung einer Kur der
Hauptwert auf die Prophylaxe zu legen und demgemäß die Einwirkung
schroffer Temperaturen (Luft, Wasser) streng zu vermeiden, anderer¬
seits sind heiße Waschungen anzuraten.
Das Asthma.
Von Franz C* R« Eschle. (Fortsetzung.)
Bronchiales Asthma.
Wie das wahre Asthma sich bald als Folge eines Nachlassens
der außerwesentlichen Herzleistung (der motorischen Leistung in weite¬
stem Sinne), bald ohne dieses lediglich als Regulationsstörung ein¬
stellen kann, so wird auch ganz im allgemeinen die Möglichkeit seines
Auftretens bald durch eine beträchtliche Veränderung in den lokalen
Verhältnissen der Sauerstoff Versorgung und des Stoffwechsels bedingt,
bald durch eine abnorme Erregbarkeit in den Bahnen und Zentren, die
das Atmungs- und Sauerstoffbedürfnis regulieren.
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342
Franz C. R. Eschle,
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Wenn wir nun unter den wichtigen Organen und Systemen —
andere hierher gehörige Störungen finden sich beiläufig unten er¬
wähnt. — speziell den Respirationsapparat ins Auge fassen, so ist es
eigentlich selbstverständlich, daß schon jede gröbere Behinderung
der außer wesentlichen Leistung (wie der Larynxstenose bis zur
kapillären Bronchitis) Lufthunger, also Asthma, verursachen wird.
Aber auch ohne dies kann die abnorme Erregbarkeit der
erwähnten Bahnen und Zentren der Ausdruck schon be¬
stehender organischer Läsionen sein, sie kann der Vorbote sol¬
cher, sie kann aber auch durch Irradiation oder durch
direkte Beteiligung sympathischer oder sensibler Nerven
auf dem Wege über die subkortikalen Zentren (also nicht
nur lediglich in der Großhirnrinde, dem Organ für die Bildung der
Vorstellungen und des bewußten Willens) entstanden sein — sie
kann sich in wahrem, mit objektivem Lufthunger und Zyanose
verbundenem Asthma oder auch in rein subjektiven) Beklem-
mungs- und Erstickungsgefühlen als Stenokardie äußern.
AVegcn der Abwesenheit einer primären (d. h. außerhalb der Attacke
zutage tretenden oder überhaupt vorhandenen) Störung der außerwesent¬
lichen Leistung einerseits, wegen des objektiven Lufthungers und der
unverkennbaren, wenn auch keineswegs völlig aufgeklärten Beziehungen
zum Respirationsapparat andrerseits hat man das Bronchialasthma von
jeher nicht nur dem kardialen, sondern auch von den andern Formen
des zentralen Asthmas abgesondert und es sozusagen als das Asthma
xca* Qoxqv betrachtet.
Die Tatsache, daß alle solche Anfälle entweder mit Katarrh be¬
ginnen oder, ohne daß ein solcher vorausging, mit katarrhalischen
Erscheinungen endigen, und daß alle sichtbaren Symptome schließlich
von einer Bronchiolitis abgeleitet werden können, wies dieser Form des
Asthma auch berechtigterweise die ihm eingeräumte Sonderstellung zu.
Vielfach spricht man auch von \„nervösem Asthmä 4 , doch kann dieser
Name leicht zur Verwechselung mit dem auf nervöser re9p. neurasthenischer Anlage
»entstehenden und unter eine ganz andere Kategorie fallenden ,,psychisehen
Asthma“ führen. Der Ausdruck „essentielles Asthma“, dem man noch häufig
begegnet, wäre, sofern er die Notwendigkeit der Annahme einer konstitutio¬
nellen Anlage und den Gegensatz zu den unten zu beschreibenden Formen
„symptomatischen Astlimas“ betonen will, akzeptabel, wenn er bei der
Wandelbarkeit des begrifflichen Inhalts der Bezeichnungen nicht zugleich
eine Stellungnahme zu der von Curschm ann aufgeworfenen Frage vindi-
zierte, ob es ein primäres — von diesem Kliniker eben als „essentielles“ be-
zeichnetes — Asthma gäbe, dessen Anfälle ohne jede Beteiligung der Schleim¬
haut der Luftwege ausschließlich durch einen Krampf der Bronchien oder,
wie manche meinen, durch einen Krampf des Zwerchfells bedingt wäre. 1 )
Biermer*), der die erste verdienstvolle Monographie über das Bron¬
chialasthma lieferte, wies darauf hin, wie es sehr wohl möglich sei, daß da,
wo dem Anfalle kein sichtbarer Katarrh vorausginge, die schon vorher be¬
stehende Bronchialfluxion hinreichen könne, um einen Bronchialkrampf her-
vorzurufen, wie andrerseits auch die Steigerung der exspiratorischen
Leistungen infolge hyperämischer Schwellung in den Bronchiallumina den
Spasmus der Bronchialinuskeln bedingen könne: er gibt aber auch schon zu,
daß auch ein dritter Kausalnexus möglich sei, indem Hyperämie resp. Katarrh
und Krampf Koeffente einer Erregung der exzitorischen (zentipetalen) Bahnen wären«
*) Vgl.A.Fraenkel, „ Asthma“ in Eulenburg’g Real-Enzyklopädie, 4. Aufl.,Bd. 2.
*) Biermer, Über Bronchialasthma. Volkmann’ß Sammlung klinischer
Vorträge, Nr. 12. Leipzig 1870.
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Das Asthma.
343
Schon Wintrich 1 ) konnte sich aber der bereits damals üblichen An¬
nahme eines Bronchialkrampfes deshalb nicht anschließen, weil er bei seinen
Versuchen Bronchialkontrakturen durch Reizung des Vagusstammes nicht er¬
zielte. Von den neueren Autoren ist namentlich Buttersack (1. c. p. 109ff.)
mit der Bronchialkrampftheorie des Asthmas nicht einverstanden. Auch ich
schließe mich seiner Ansicht an, daß die Lungenbl ähung im An falle
und die Sekretionsanomalien der Bronchialschleimhaut koordi¬
nierter Erscheinungen sind — Störungen des Organ- wie desZellen-
tonus resp. der Lungenehastizität einerseits, der spezifischen
Sekretionstätigkeit andererseits. Ich selbst gehe insofern vielleicht
noch weiter als Butter sack, als ich, gestützt auf den Nachweis Rosen-
bachs, daß dem Emphysem und den konsekutiven Broncliialkatarrhe häufig
eine angeborene Insuffizienz der Lunge zugrunde liegt (die sich übrigens
nicht selten in sogen. ,,Blausucht“ äußert), eine kongenitale Unzulänglichkeit
der gesammelten Konstitution als gemeinsame Ursache sowohl der übergroßen
reflektorischen Erregbarkeit im allgemeinen, als der eminenten Empfänglich¬
keit gerade dieses Systems für die reflektorische Beeinflussung im speziellen
anspreche.
Der Befund beim „bronchialen Asthma“ äußert sich in einer akuten
Lungenblähung („Lungenerektion“ naell S. v. Basch), in der Präva¬
lenz der Atmungsbehinderung in der Exspirationsphase (Biermer) —
gegenüber der meistens gleichmäßigen Verteilung der Dyspnoe auf beide
Respirationsphasen beim kardialen Asthma — und allen Symptomen
einer akutesten Bronchiolitis capillaris. In typischen Fällen finden
wir immer Pfeifen und Schnurren über den ganzen Thorax, Symptome,
die namentlich beim Asthma cardiacum fehlen, wo man neben dem
Knisterrasseln, dem Ausdrucke vorübergehenden Lungenödems in allen
schweren Fällen, nur selten schwache, gewöhnlich giemende Geräusche
über der Trachea hört.
Charakteristisch für den asthmatischen Katarrh ist ferner die
Produktion beträchtlicher Mengen eines zähen, den Wänden der kleineren
Bronchien fest anhaftenden Schleimes, der erst nach Abklingen des
Anfalls in Gestalt eines neben Pfröpfchen und gerinnselhaltigen, gewisser¬
maßen einen Ausguß der Bronchiolen darstellenden spiraligen Fäden
enthaltenden Sputums entleert wird, in dem sich auch meistens quamierte,
oft fadenförmig ausgezogene Epithelien und Charcot-Leyden’sche
Kristalle finden. 1
Im Gegensatz zu S. Goldschmidt (1. c.) und in Übereinstimmung mit
A. Fraenkel (1. c.) möchte ich betonen, daß Spiralen und Kristalle ungemein
häufige Bestandteile des Asthmasputums sind, aber durchaus mit dem eigent¬
lichen Wesen des Asthmaanfalles nichts zu tun haben. Die gegenteilige
Ansicht Goldschmidt’s, eines ebenso erfahrenen wie kritischen Beobach¬
ters, ist mir um so mehr aufgefallen, als er zw'ar nur Anfälle von perio¬
discher Atemnot, die durch keine Beteiligung des Herzens zum wirklichen.
Asthma zählt, aber andererseits doch Störungen, die ich mit Rosenbach
entschieden in die Kategorie der psychischen Pseudostenokardie verweise.
Auch der Ansicht Goldschmidt's kann ich mich auf Grund genauer und
vorurteilsloser Beobachtungen nicht anschließen, daß beim richtigen bron¬
chialen Asthma, dem Asthma xoef i^oyry mit allen Erscheinungen der Bron¬
chiolitis niemals Zyanose vorhanden sein solle.
Auch hier hat die Therapie die zwiefache Aufgabe, die Anfälle
abzukürzen und ihre Wiederholung nach Möglichkeit zu verhindern.
Wenden wir uns zunächst dem ersten Teil dieser Aufgabe zu,
so ist in erster Linie darauf Bedacht zu nehmen, daß der Kranke aus
l ) In^Virchow’s Handbuch der speziellen Pathologie und Therapie, Bd. 5,
Abt. 1, S. 190 ff. Erlangen 1854.
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Franz C. R. Eschle,
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den Kleidern und wenn nicht zu Bette, doch in einem gut gelüfteten
Krankenzimmer zur Buhe komme. Da er die horizontale Lage doch
fortwährend gegen die sitzende zu vertauschen suchen wird, sorge man
für einen bequemen Sessel und die erforderlichen weichen, weiten und
genügend gegen Erkältung schützenden Umhüllungen. Für ständigen
Zufluß frischer Luft ist zu sorgen und man darf den Krankenstuhl
gern in der Nähe des geöffneten Fensters plazieren, sogar in den kalten
Jahreszeiten, wenn das Zimmer ständig geheizt gehalten wird. Eine
etwas kühlere Temperatur der Außenluft und der Labemittel (unter
denen deshalb auch das Fruchteis zu bevorzugen ist), pflegt gewöhnlich
den Patienten angenehmer zu sein und auch tatsächlich besser zu be¬
kommen als das Warmhalten um jeden Preis, wie es oft für durchaus
notwendig gehalten zu werden scheint. Dieses verschiedene Verhalten
der verschiedenen Klassen der Asthmatiker gegen Wärme und Kälte
hat Rosenbach sogar oft dem kardialen Asthma gegenüber als diffe-
rentialdiagnostisches Hilfsmittel benutzt. Denn namentlich wenn man
zum ersten Male zu einem solchen Kranken gerufen wird, ist die
richtige Beurteilung des Zustandes doppelt schwierig, einmal, weil der
Zustand des Patienten eine eingehendere Untersuchung unmöglich macht,
dann aber auch, weil ja ein rein zerebrales Präludium den Komplex
von Lungen-Symptomen einleitet, wenn nicht ein Katarrh rlem Anfalle
vorausging. Es ist jedoch nicht möglich, für dieses Verhalten gegen
Wärme und Kälte Sätze aufzustellen, die ausnahmlos für alle Fälle
gültig sind, da ja auch bei schweren organischen Störungen am Herzen
die nervösen Erscheinungen im Vordergründe stehen können und die
Individualität alle Erscheinungen, vor allem aber den Einfluß der
Therapie, wesentlich modifiziert.
Ein altes mehr diätetisches Mittel gegen den bronchial-asthma¬
tischen Anfall besteht in dem Genüsse einer oder einiger Tassen recht
starken gesüßten Kaffees mit oder ohne Zusatz von Milch.
Unter den Arzneimitteln im engeren Sinne haben auch liier, wie
beim kardialen Asthma (s. d.) die Narkotika ganz berechtigterweise
den meisten Ruf. Von jeher beliebt war die Cannabis indica (zwei¬
stündlich 20 Tropfen der Tinktur). Neben dem Morphin und Chloral
wirken aber am sichersten das Chloroform und Belladonnapräparate.
Das Chloroform gibt man am besten entweder in der Form der
Aqua chloroformiata
oder als
Linctus Chloroformii Bou
chufc
Rp. Aquae destillatae
200,0
Rp. Chloroformii
2,5
Chloroformii qtts XX.
Spiritus vini
10,0
Fortiter conquassata sepone per
horam unam; tum decantha.
Mixtic adde
Sirupi Sacchari
300,0
D. S. Viertelstündl. 1 Eßlöffel. D. S. Halbstündl. 1 Eßlöffel.
Von der Belladonna kommt bald das Alkaloid, bald die Origina l -
droge, diese entweder für sich allein oder in passender Kombination
mit anderen narkotischen und krampfstillenden Mitteln in Anwendung :
Rp. Extracti Belladonnae
Seminis Strychni ää 0,2-5
Agae foetidae
Sacchari ää 2,5
Addendo
Chloroformii gtts 11.
M. f. pulvis. Divide in partes aequales
No. X.
S. Sstündl. 1 Pulver.
Rp. Sol. Atropini sulfurici (0,005) 10,0
Da ad vitrum denigratum,
cui ampla apertura.
S. 3stündl. 1 Spritze.
Rp. Morphini hydrochlorici 0,15
Tincturae Belladonnae q. s.
ad solutionem 15,0
Da' ad vitrum guttatorium.
S. 3 etündl. 15 Tropfen.
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Dan Asthma.
845
Auch wer nicht sehr geneigt zur Identifizierung von post und
propter ist, wird vom Nitroglyzerin und ebenso von dem noch aus
früheren Zeiten sich eines gewissen Rufes erfreuenden Kampfers (nament¬
lich in der unten angegebenen Kombination mit Chloral) unzweifelhafte,
sogar bisweilen überraschende Erfolge sehen.
Rp. Nitroglycerini 0,005 Rp. Chlorali hydrati triti
Olei Amygdalarum 5,0 Camphorae tritae ää 2,5
D. S. Viertelstündl. 20 Tropfen. Misce inter terendum, donec
massa olei instar fuerit.
D. S. 2 — 8 Tropfen in geeignetem
Vehikel zu nehmen.
Da- die Kranken, die sich oft in wahrer Todesangst befinden,
ohnehin verlangen, daß unaufhörlich etwas geschehe, empfiehlt sich
im großen und ganzen, sobald der Anfall sich in die Länge zieht, die
Ordination möglichst kleiner Quanta, häufiger Wechsel und die Bevor¬
zugung solcher Mittel, die in möglichst kurzen Intervallen gegeben
werden können. i
Diese Erwägung allein kann schon Anlaß werden, mit den narko¬
tischen Mitteln auch abwechselnd schleimlösende anzuwenden. Neben
der Senega-Wurzel und dem Liquor ammonii anisatus kommt nament¬
lich das (auch in dem seinerzeit berühmten Aubre’schen Geheimmittel
enthaltene) Jodkalium und, wo dieses nicht vertragen wird, die Lobelia
(als Expektorans und Narkotikum zugleich) in Betracht:
Rp. Tincturae Lobeliae 5,0 Rp. Tincturae Lobeliae 10,0
Aquae Laurocerasi 10,0 „ Opii 1,0
S. Sfcündl. 10 Tropfen. Aquae Cinnamomi
Spiritus Vini ää 20,0
D. S. Viertelstündl. 1 Kaffeelöffel.
(Formeln, die die übrigen erwähnten Mittel und auch das seit jeher
einen Ruf in der Asthma-Therapie behauptende Terpentin berücksichtigen,
finden sich in meiner Abhandlung über „Lungenemphysem und Volumen
pulmonum auctum“ in dieser Zeitschrift.)
Kann die Indikation, die Expektoration zu befördern, namentlich
nach Beendigung des eigentlichen Anfalls in den Vordergrund treten,
so ist es andererseits doch keineswegs irrationell, wenn jener als solcher
von bronchialem Asthma sicher erkannt ist, die aufgeführten Mittel
besonders neben oder in Verbindung mit narkotischen von vornherein
an wenden zu lassen.
In schweren Fällen gelingt es wohl bisweilen, den Anfall durch
ein Brechmittel zu kupieren. Man gibt innerlich viertelstündlich einen
Eßlöffel von Vinum stibiatum oder Vinum Ipecacuanhae, subkutan das
Apomorphin in l°/ 0 iger Lösung (1 ccm = 2 egr Apomorphin dürften die
angemessene Dosis sein) oder verordnet auch
Rp. Tartari stibiati 0,05
Rp. Tartari stibiati 0,3
Rp. Radicis Ipecacu¬
Radicis Ipecacu¬
Aquae destill&tae 50,0
anhae
3,0
anhae 2,0
Sirupi Althaeae 15,0
Tartari stibiati
0,15
M. f. pulvis.
M. D. S. Viertelstündl. 1 E߬
Oxymellis scilli-
D. S. Innerhalb einer
löffel bis zur Wirkung.
tici
30,0
halben Stunde in 2
Aquae destillatae 60,0
Portionen zu nehmen.
D. S. Alle Viertelstunde
1 Eßlöffel bis zu
drei-
maliger Wirkung.
Gegen den bronchialen Asthma-Anfall wendet man von altersher
und oft mit recht gutem Erfolg Räucherungen mit gut ausgetrockneten
Stramonium-Blättera an, die mit verschiedenen anderen Arznei-Sub-
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Franz C. R. Eschle,
stanzen (Opium, Belladonna, Cannabis indica, Kampier, Salpeter}'gemengt
sind. Der Patient bleibt 20—30 Minuten im raucherfüllten Zimmer,
das dann gut gelüftet werden muß. Asthma-Räucherkerzchen und
Asthma-Zigaretten erfüllen den gleichen Zweck. Wo sie nicht vorrätig
gehalten werden, ordiniere man nach den untenstehenden Formeln:
Rp. Fol. Belladonnae
„ Digitalis
, Stramonii
„ Lobeliae ää 10,0
Minutim concisa et
inter manus fricta
misce cum
Kali nitrici pul-
verati 10,0
Aquae guttis non-
nullis irrigatis.
S. Jeweils */* Kaffeelöffel
anzuzünden.
(Pulvis fumalis Cre-
voisier.)
Ebenso verbindet man mit der Anwendung der inneren Mittel,
schon damit der Kranke sieht, daß alles mögliche geschieht, zweckmäßig
die Applikation von Hautreizen, das Auflegen von Sinapismen auf
Riust, Vorderarme, heiße Hand- und Fußbäder. Die Anfälle von
bronchialem Asthma sind — im Gegensatz picht nur zu
allen stenokardischen Attacken psychischer Provenienz,
selbst bei Herzleidenden, sondern auch zu allen anderen
Erkrankungen — die einzigen Zustände, die wegen der
großen Qualen des Patienten ein gutes Maß von Poly-
pragmosyne nicht nur gestatten, sondern durchaus recht-
fertigen.
Um die Wiederkehr der Anfälle zu verhüten, also das Übel wirk¬
lich zu heilen, ist es zunächst wichtig, daß die Kranken alle Schädlich¬
keiten meiden lernen, durch welche nach ihrer persönlichen Erfahrung
solche Anfälle bisher hervorgerufen wurden. Die Instruktion des
Arztes in dieser Hinsicht muß ganz genau und möglichst erschöpfend
sein. Wie schon F. v. Niemeyer riet, nehme man auch keinen Anstoß
daran, daß die vermutete Ursache der Anfälle oft recht barock er¬
scheint und der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung voll¬
kommen unverständlich ist. Manche Kranken müssen z. B. nachts
Licht brennen haben, die Tür des Zimmers offen lassen, weil sie wieder¬
holt gerade beim Schlafen in einem dunkeln oder geschlossenem Zimmer
von den Anfällen heimgesucht wurden. Hier darf und muß man
also im Gegensatz zu den rein psychischen Formen des
Asthmas den Ideen der Kranken, eventuell auch seinen
Vorurteilen Rechnung tragen.
Alle Beachtung verdienen auch die Erfahrungen, die man bei
einzelnen Asthmatikern rücksichtlich der günstigen Einflüsse des Luft¬
wechsels machte. Doch läßt sich wenig vorausbestimmen, welch ein
Aufenthalt etwa, ob ein klimatischer Kurort, ob Seeluft, Gebirgsluft
usw. einen mildernden Einfluß im gegebenen Falle äußern werde. Es
bleibt das mehr Sache des Versuches. Zunächst wird man allerdings
denjenigen Kurorten den Vorzug geben, die durch ihr Klima und ihre
reine, namentlich staubfreie Luft einen günstigen Einfluß auf die
meistens vorhandenen Katarrhe der oberen Luftwege erhoffen lassen.
Rp. Fol. Strumonii 20,0
Kali nitrici 15,0
Radicis Althaeae 3,0
Pulverata misce cum
Aquae communis q. s.
ut fiat massa, e qua
candelae conicae No. X
formentur.
Siccatae dispensentur.
(Asthma-Räucherkerzen).
Rp. Fol. Stramonii 30,0
Conspersa
Extracti Opii 2,0
Antea solutis in
Aquae 10,0
Deinde siccata ad cigaretas
charteas convolvantur.
(Asthma-Zigaretten.)
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Original ffom
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Das Asthma.
847
Der Enthusiasmus, mit welchem seinerzeit die von Waldenburg
eingeführte Behandlung in pneumatischen Kabinetten, später
auch mittels transportabler Apparate von Ärzten und Publikum
aufgenommen wurde, hat allmählich einer mehr als nüchternen Kritik
dieses angeblichen Universalmittels Platz gemacht und es ist gegangen,
wie so oft: Die anfängliche Überschätzung hat auch hier einer offen¬
baren Unterschätzung der Methode Platz gemacht, die mindestens auf
das subjektive Befinden gerade dieser Asthmatiker im Gegensatz zu den
an psychogener Pseudostenokardie Leidenden entschieden vorteilhaft
einwirkt. A. Frankel gibt der pneumatischen Kammer vor den trans¬
portablen Apparaten den Vorzug und verordnet in geeigneten Fällen
täglich mindestens 1 —2 Stunden, und zwar mehrere Monate hindurch,
die Einatmung der auf 1 / 2 —1 Atmosphäre Mehrdruck komprimier¬
ten Luft.
Man hat dann weiter Kompressionsapparate konstruiert, die
dem Zwecke dienen, einen erhöhten Gasaustausch in den Lungen herbei¬
zuführen und vor allem die im Gefolge des asthmatischen Anfalles
auftretende Lungenblähung zu beseitigen oder womöglich deren Ent¬
stehung hintanzuhalten. Die „Atmungsstühle“ von Gerhardt,
v. Strümpell, Schreiber, Boghean und Steinhoff suchen bald
allein durch Thoraxkompressionen, bald im Verein mit dem Prinzip
der pneumatischen Apparate — aber stets auf mechanischem Wege
— dieser Aufgabe gerecht zu werden. Leider lernt der Patient auf
diese Art niemals, seine Atmung selbsttätig zu verbessern und kann
so auch nur vorübergehenden Nutzen von der Übung haben.
Diesem Ubelstande sucht der „Exspirator“ von L. Hofbauer 1 )
in Wien durch die Einleitung zwar* zunächst auch passiver, in der
Folge aber auch durch die Erziehung zu aktiver Zwerchfellexkursion
größeren Umfangs gerecht zu werden und auf diese Weise nicht nur
eine Vertiefung, sondern auch eine Umgestaltung der Atmung zu
erzielen. Und gerade darin, daß hier die Möglichkeit des Überganges
zu einer aktiven Gymnastik gegeben ist und der Patient durch das auf
variable Intervalle einzuhtellende Läutewerk des Apparates ganz von
selbst darauf geführt wird, das Verhältnis zwischen Inspirations- und
Exspirationsdauer zu beachten, dabei aber auch lernt, aktiv und spontan,
durch Kontraktionen der Bauchmuskulatur des Diaphragma hochzu¬
treiben und sich von dem anfänglich passiv diesen Mechanismus be¬
fördernden „Kompressorium“ zu emanzipieren, scheint mir ein un¬
verkennbarer Vorzug dieser Konstruktion zu liegen, wenn mir auch
persönliche Erfahrungen, auf Grund deren ich die anderweitig ge¬
meldeten günstigen Resultate bestätigen könnte, in dieser Hinsicht
noch abgehen.
Auch hydriatische Prozeduren werden gegen das Bronchial¬
asthma angewendet, besonders heiße Brustkompressen, heiße und wechsel-
warme Hand- und Fußbäder, Kreuzbinden, kalte Abreibungen, heiße
Vollbäder mit nachfolgendem kaltem Bauch- oder Nackenguß. Der
günstige Einfluß der Hydrotherapie läßt sich sowohl bezüglich der
Kupierung des einzelnen Anfalles wie auch hinsichtlich der Verhinde¬
rung einer Wiederkehr der Attacken (wenigstens für einige Zeit) nicht
Vgl. Hofbauer, Technik und Erfolge der Atmungsgymnastik beim Bron¬
chialasthma, Med. Klinik, Nr. 11, 1910. — Die physikalische Therapie des Asthma
bronchiale, Med. Klinik, Nr. 23, 1910. — Entstehung und Behandlung des Lungen¬
emphysems, Reichs-Med.-Anz., Nr. 25, 1910.
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34« Franz C. R. Eschle,
in Abrede stellen. Diese Wirkung erklärt sich physiologisch natürlich als
Folge einer Ableitung der Kongestion auf die Haut und dadurch be¬
dingte, ähnliche Abschwellung der Schleimhaut, wie sie auf anderem
Wege nach Atropin Verabreichung zustande kommt.
Die Glühlichtbäder, deren günstige Beeinflussung des bronchial-
asthmatischen Prozesses v. Strümpell beobachtete und beschrieb,
wirken wohl in doppelter Beziehung günstig: einmal durch die gleiche
derivatorische Einwirkung auf die Haut, wie sie soeben geschildert
wurde, andererseits aber auch durch den Einfluß, den die im Glüh-
lichtbade erzeugte trockene Hitze auf den Atmungsmechanismus aus¬
übt, einen Effekt, dem auch L. Hofbauer den wesentlich größeren
Anteil an der Wirkung zuschreibt. Jeder von uns hat ja an sich die
Erfahrung gemacht, wie dieser Autor ausführt, daß bei dem Eintritt
in einen erhitzten Raum sich reflektorisch eine bedeutende Verlängerung
der Ausatmungsdauer einstellt und so lange andauert, wie die Über¬
hitzung währt. In gleicher Art erzielt die Applikation des Glühlicht¬
bades eine protrahierte gleichmäßige Ausatmung; es wird eine Art
Atmungsgymnastik in die Wege geleitet, indem der Patient gezwunge¬
nermaßen seine Ausatmung länger andauern läßt und sich gewöhnt,
die antagonistisch wirkenden Muskelgruppen für eine größere Zeit¬
dauer auszuschalten.
Über die elektrische Behandlung gilt mutatio mutandis auch
hier das für das kardiale Asthma Gesagte.
Keineswegs aussichtslos ist eine individuelle Prophylaxis,
indem für das bronchiale Asthma die Abkömmlinge und Blutsver¬
wandten von Asthmatikern geradezu prädestiniert erscheinen, wenn
auch die von den einzelnen Autoren angegebenen Erblichkeits¬
ziffern in recht weiten Grenzen (von 10—90%) schwanken. Traube
sah in der skrofulösen Anlage ein prädisponierendes Moment; meine
persönlichen Erfahrungen stimmen mit denen A. Franke Ts überein,
daß eine nicht unerhebliche Zahl der Asthmatiker in ihrer Jugend
Rachitis durchgemacht hat, deren Spuren nicht nur in der Konfigu¬
ration des Thorax, sondern im ganzen Körperbau, meist schon ohne
daß der Betreffende sich entkleidet, deutlich zutage treten. Deshalb
kann wohl auch S. Goldschmidt mit Berechtigung von einem „Habi¬
tus asthmaticus“ sprechen, der meiner Erfahrung nach oft schon
bei 10—12 jährigen Kindern, namentlich solchen männlichen Geschlechtes,
unverkennbar ist. Gerade hier aber vermag die Prophylaxis durch
Bekämpfung der Neigung zu Katarrhen, d. h. vor allem durch Abhär¬
tung, ferner durch ein psychotherapeutisches Vorgehen gegen die über¬
triebene Empfindlichkeit und die zahlreichen Idiosynkrasien der Ge¬
ruchs-, Geschmacks-, Gefühls-, wie der sekretorischen und am Ver¬
dauungsakt beteiligten Nerven dieser Personen und namentlich durch
die Aufrechterhaltung des richtigen Gleichgewichts zwischen Großhirn¬
rindenfunktion und Nerven-Muskelapparat viel und um so mehr zu tun,
als die Prognose des bronchialen Asthmas erst mit zunehmendem Alter
— jenseits der Vierziger — respektive mit langem Bestehen der An¬
fälle ungünstig wird, in der Jugend und frühem Mannesalter aber
verhältnismäßig gut ist. Alle Reizmittel, besonders Tabak, Alkohol
und Kaffee, aber auch schon jeder Genuß von stärkerem Tee ist zu
vermeiden. Von Medikamenten hat sich am meisten das Arsen bewährt.
Man gibt am besten die Fowler’sche Solution Erwachsenen in einer
Verdünnung von 2:1 Aqua cinnamomi. Für jugendliche Personen be-
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Das Asthma.
349
rechnet man den Gelialt der Mixtur an Liquor kali arsenicosi auf
soviel Zwanzigstel, als das Kind oder der Adoleszent Lebensjahre zählt,
um dann immer während der Hälfte eines jeden Monats langsam von
dreimal täglich 1 Tropfen auf dreimal täglich 15 Tropfen mit der
Dosierung anzusteigen und in der anderen Monatshälfte von diesem
Maximum ebenso langsam wieder auf das Minimum von dreimal täglich
einem Tropfen herunterzugehen. In dieser Weise kann das Mittel ohne
jede Schädigung viele Monate lang fortgegeben werden.
Sonstige Formen von zerebralem Asthma bzw. subkortikaler Stenokardie.
Der typischen Form des zerebralen Asthmas, das sich durch die
eminente Beteiligung der Luftwege als'„bronchiales“ charakterisiert
und infolge der tonischen Veränderung im Respirationssystem und der
mit dieser Hand in Hand gehenden sekretorischen und mechanischen
Anomalie durch das Versagen der an der Aufnahme, dem Transport
und der Verarbeitung des Sauerstoffs zu oxygener Energie beteiligten
Apparate, also durch wahren Lufthunger gekennzeichnet wird, steht
eine andere Gruppe von Fällen rein symptomatischer Steno¬
kardie gegenüber, in denen auf Grund einer organischen Läsion
entweder auf dem Wege der Irradiation oder durch direkte
Beteiligung sympathischer oder sensibler Nerven — also
subjektiv, aber organisch bedingt — Gefühle, von Beengung,
Aggression, ja wahrer Todesangst ausgelöst werden, ohne
daß, abgesehen von der hiermit verbundenen Atmungsanoma¬
lie, in der Regel irgendwelche Symptome von Bronchiolitis
objektiv nachgewiesen werden könnten.
Man spricht deshalb auch von dieser Form der Stenokardie wohl
als von einem Asthma spastnodicum oder Asthma reflexivum, trotz¬
dem diese Bezeichnung schließlich auch für das echte Bronchialasthma
zuträfe.
Auch bei der symptomatischen Stenokardie ist also die Atmung
erschwert, aber im Grunde sind es nur Unlust- und Schmerzgefühle, nicht tat¬
sächlicher Sauerstoffmangel, durch die die Erscheinungen der beschleunigten
und vertieften Atmung in ihren verschiedenen Abstufungen bis zum schein¬
bar höchsten Grade des Lufthungers und der Herzangst, des „Gefühls eines
unüberwindlichen, zermalmenden Druckes, des Vergehens, des qualvollen lang¬
samen Erstickens, der Todesfurcht“ hervorgerufen werden, ,,die den Befallenen
aus dem Bette und ruhelos umhertreibt, die ihn zwingt, sich an die Um¬
stehenden anzuklammern und sie um Hilfe anzuflehen“ (0. Rosenbach).
Bei hochgradiger Stenokardie zeigen die Kranken neben der beschleunigten,
und vertieften Atmung einen kalten, klebrigen Schweiß, kalte Extremitäten,
ein verfallenes Gesicht, Herzklopfen, kleinen, oft unfühlbaren Puls; auch
werden sie von einem beständigen Drange zum Urinieren und zum Stuhlgänge
gequält. Wie wir das schon bei der kardialen Stenokardie — im Gegensatz
zum wahren Herzasthma (im engeren Sinne) — gesehen haben, arbeitet hier
die Atmungsmuskulatur verstärkt, aber nicht reflektorisch, sondern will¬
kürlich (wenn auch auf Grund reflektorischer Reize) verstärkt. Und neben
der abnormen Gestaltung der Atmung und Hand in Hand damit gehend,
der sekretorischen Funktion der Schleimhaut finden wir auch hier häufig
neben einem Tieferstehen des Zwerchfells, verstärktem Resistenzgefühl beim
Perkutieren während des Anfalls und mehr dumpfem Schall über der ganzen
Lunge eine gewisse Verlängerung des Exspiriums und Nebengeräusche, Rhonchi,
die aber mehr senor und brummend klingen und nicht den Charakter der
zischenden und pfeifenden, auf die Beteiligung der feinsten Bronchi in (den
Lungenläppchen hinweisenden Rhonchi sibilantes tragen. Auch sieht man
hier nie — oder mindestens nicht in der charakteristischen Weise wie bei
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360
Franz C. R. Eschle, Daa Asthma.
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objektiver Dyspnoe — das Heben der Nasenflügel und die Beteiligung der
Interkostal- und tieferen Halsmuskeln an der Atmung.
Während die Behandlung 1 des Anfalls hei allen Arten
der symptomatischen Stenokardie die Anwendung der glei¬
chen Mittel, also vor allem der verschiedenen Narkotika
und Antispasmodika erheischt, wie sie bei der Besprechung
des bronchialen und auch der beiden Formen des kardialen
Asthma erwähnt wurden, müssen natürlich die Vorbeugungs¬
maßregeln zur Verhinderung weiterer Attacken der Indicatio
causalis nach Möglichkeit Rechnung tragen, daneben aber auch
der oft unbeschreiblichen Angst vor der Wiederkehr des An¬
falls, der durch psychische Therapie und rationelle Atmungs¬
gymnastik erfolgreich begegnet werden kann.
So sind stenokardische Anfälle vor allem bei der Epilepsie be¬
obachtet und Rosenbach berichtet über eine ganze Reihe solcher,
wo sie gewissermaßen als Äquivalente der epileptischen Paroxysmen auf¬
traten. Ja, sie können hier den Charakter des wahren Asthmas an¬
nehmen. (Asthma epilepticum), ohne daß sich ein Grund für diesen
Wechsel der Erscheinungen oder ein Anhaltspunkt für eine organische
Läsion an irgendeinem Organe, speziell am Respirations- oder Zirku¬
lationsapparate, ergeben hätte. Die Patienten, die während der Dauer
von mehreren Minuten bis Stunden die Erscheinungen schwerster Beäng¬
stigung, fliegendem und keuchendem Atem bei völlig regelmäßiger
Herzaktion zeigen, fühlen sich aber im Gegensatz zu den von bronchialem
Asthma Befallenen schon sofort nach Beendigung des Anfalls völlig
wohl, wenn auch natürlich etwas ermattet. Nur selten schwindet im
Beginn des Anfalles das Sensorium oder dieses wird durch eine kurz
vorübergehende Störung des Bewußtseins wie heim petit mal, eingeleitet.
Es ist eigentlich selbstverständlich, daß hier in erster
Linie gegen das Grundleiden, die Epilepsie durch die üb¬
lichen hygienischen (Vermeidung von Reizmitteln, speziell
des Alkohols, kochsalzfreie Diät) und medikamentösen Ma߬
nahmen (Brom, Opium usw.) vorgegangen werden muß. Ich
kann dabei zu erwähnen nicht unterlassen, daß mir in dieser H insicht
besonders das Rose aber g’sche „EpileptoP (nach Angabe der Her¬
steller „Acidum amido-formicicum condensatum“), mit dem ich an dem
Epileptiker-Material der mir unterstellten Anstalt Versuche in größe¬
rem Umfange angestellt habe, recht gute Dienste zu leisten scheint.
Bei den [organischen Krankheiten des Rückenmarkes oder
Gehirns, speziell Tabes , transversaler Myelitis , progressiver Paralyse
ist die den stenokardischen Anfall zeitigende funktioneile
Störung, wie Rosenbach zuerst hervorhob, meistens das erste
Zeichen eines Gehirninsultes und schon längere Zeit, ehe dieser
für unsere derzeitigen Untersuchungsmethoden erkennbar wird, findet
sich neben Schwindelanfällen, Flimmern vor den Augen und Ohrensausen
ohne Veranlassung das Gefühl des Erstickens ein. Die Anfälle gehen
auffallend schnell vorüber, lassen aber gewöhnlich eine starke Depression
des Gemütszustandes zurück.
Nicht bloß von therapeutischer, sondern von eminent praktischer
Bedeutung für die Behandlung dieser Kranken ist die Darlegung Rosen-
bach’s, daß hier oft gleichzeitig Veränderungen am Herzen und
seinen Arterien bestehen, die dann aber meistens nicht Ursache
der Gehirnersoheinungen, sondern diesen häufig koordiniert
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Autoreferate und Mitteilungen aug der Praxis.
351
und als Zeichen allgemeiner Funktionsstörung des Proto¬
plasmas der stärker arbeitenden Apparate, nämlich des Ge¬
fäßsystems (arteriosklerotischer Prozesse) aufzufassen sind.
Bei allen diesen Leiden kann es sich also, wie das Bosenbach speziell
für die Tabes ausgeführt hat, bald um eine kardiale Form des Asthmas,
bald um eine typische Neuralgie in den Halsvenen, bald um eine Irra-
dation von den Interkostal- und Halsvenen auf den Plexus cardiacus
handeln.
Diese letzerwähnte Genese kommt wohl auch der — gleichfalls
zuerst von Rosenbach 1 ) beschriebenen — muskulären Foxtn der Steno¬
kardie zu, die oft zu Verwechselungen mit dem echten Astlima führt. 2 )
Hier werden 'neben den Narkoticis im Anfall die Mittel aus der Klasse
der Antirheumatika (richtiger Antimyalgika resp. Antineuralgika), z. B.
Antipyrin und Phenazetin in Dosen von */ 4 — 1 / 2 bis eventuell 1 Gramm,
die Applikation der Wärme, der faradische Strom und die energische
Massage der sich ausnahmslos vorfindenden schmerzhaften Druck¬
punkte am Brustbein, in den Interkostal-, Hals- und Schulterblatt¬
muskeln in Betracht. Bemerkenswert ist es, daß die Kranken nicht wie
die wirklichen Asthmatiker nur in sitzender Haltung Erleichterung
linden, sondern sich meistens in der Rückenlage und bei verhältnismäßig
niedrig gebettetem Kopf am wohlsten fühlen. Die Prophylaxis kann
mehr noch als durch Vermeidung großer Muskel ans trengungen und
Erkältungen viel gegen eine Wiederkehr der Anfälle auf Grund der
Beobachtung tun, daß das gewohnheitsmäßige lange Verharren in einer
sehr ungeeigneten Haltung (beim eifrigen Lesen, Rechnen, Schreiben,
Zeichnen usw.) recht beträchtliche Veränderungen im Tonus und im
Stoffwechsel der Brust- und Bauchmuskulatur und durch die daraus
resultierende Anomalie der Atmung wieder eine Beeinflussung der Inner¬
vation des Herzens zur Folge hat, die sich in Herzklopfen, Pulsarhythmie
und Angstgefühlen äußert. Man wird also vor allem auf die Bekämpfung
dieser Gewohnheiten auszugehen haben.
Autoreierate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über die Aussichten einer therapeutischen Beeinflussung der progressiven
Paralyse.
Von O. Fischer.
Es ist bekannt* daß die Paralyse gar nicht so selten zu Remissionen
neigt, die meist nur kurze Zeit, seltener auch länger andauern. Es ist
weiter bekannt, daß die meisten dieser Remissionen nach septischen Er¬
krankungen auftreten. Da nun andere Erkrankungen der Paralytiker
solche Remissionen nicht machen, so schloß F. daraus, daß das hierbei
wirksame Heilprinzip durch die bei den septischen Erkrankungen regel-
l ) Vgl. O. Rosenbach, Über myogene Pseudostenokardie. Therapie der
Gegenwart, Februarheft 1902. — Über die diagnostische Bedeutung und Behand¬
lung funktioneller Myopathien. Therapie der Gegenwart, Aprilheft 1903. — Außer¬
dem die Ausführungen desselben Autors in den schon zitierten „Krankheiten des
Herzens - , S. 360ff, in „Grundriß der Pathologie und Therapie der Herzkrankheiten - ,
8. 304 u. 312, sowie in „Nervöse Zustände - , S. 64—82.
•) Vgl. meine demnächst am gleichen Ort erscheinende Abhandlung über
Funktionelle Muskelerkrankungcn - .
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8ö2
Referate und Besprechungen.
mäßig auftretende Bin tleukozy tose dargestellt wird. Eine solcher Blut¬
leukozytose erzielte F. künstlich mit Nukleiuinjektioneu. Die ersten
derartigen Versuche wurden von 1907—1908 gemacht und die Resulate
in einer vorläufigen Mitteilung in der Prag. med. Wochenschr. publiziert.
22 Fälle wurden injiziert; davon bekamen 2 nur kurzdauernde Remissionen,
bei 2 Fällen dauerte die Remission 8 / 4 und 2 Jahre, aber die weitere
Verfolgung der Fälle zeigte, daß alle wiedererkrankt sind, ln einer
Kontrollserie unbehandelter Fälle kam es damals zu keinerlei Remission.
Weiter zeigte sich jetzt, daß sich die durchschnittliche Lebensdauer der
Nukleinfälle gegenüber den Kon trollfällen wesentlich verlängert hatte.
Die Lebensdauer der Nukleinfälle betrug 15, die der Kontrollfälle 7 Monate,
vom Eintritte der Kranken gerechnet.
F. berichtet jetzt über weitere Resultate bei etwas weniger fort¬
geschrittenen Fällen, die einem Sanatoriumsmaterial entstammen. Hier
traten unter 10 mit Nuklein behandelten Fällen 5 mal Remissionen auf,
in denen die Kranken geistig als vollkommen gesund gelten konnten und
von denen auch 3 wieder im Beruf tätig waren. Bei allen traten aber
wieder Rezidive auf, wenn auch dieselben bei 2 der Fälle nur ganz
leicht verliefen. Unter 10 Kon trollfällen kam es nur einmal zu einer
Remission und zwar nach einer langdauernden septischen Eiterung.
F.’s Technik bestand in Injektionen von Natr. nukl. (BöhringerJ
in steigenden Dosen von 3 g in 1 ö°/ 0 wässeriger Lösung subkutan
in Abständen von 3—5 Tagen. F. macht auf die Ähnlichkeit der Resultate
aufmerksam, mit denen die auf Veranlassung v. Wagner’s mit Tuberkulin
erzielt wurden, das auch Leukocytose und Fieber erzeugt.
Auch Donath erzielte mit Nuklein günstige Resultate bei der
Paralyse. Die Behandlung ist vollkommen gefahrlos und bei der bisher
so trostlosen Paralyse-Therapie immerhin ein Fortschritt
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
L. Martinotti (Bologna), Ober das Verhalten der Plasmazellen und
der Gefäße in den Lymphdrüsen nach Durchschneidung der Nerven. (Vir-
chows Archiv für path. Anat., Bd. 202, H. 3, S. 321, 1910.) Verf. faßt seine
Anschauungen über die Beziehungen der verschiedenen zelligen Komponenten
der Lymphdrüsen und der Plasmazellen folgendermaßen zusammen:
Die fixen Zellen (Endothelien des Retikulums und der Adventitia) in
der Lymphdrüse des Kaninchens haben die dauernde Fähigkeit, sich während
der verschiedenen Perioden ihrer Entwickelung direkt in bewegliche uni-
nukleäre Zellen umzuwandeln; die Größe wechselt je nach dem Alter, in
welchem die fixen Zellen waren, als die Umwandlung vor sich ging; bei
deutlich ausgesprochenem Wucherungsvermögen kann es zur Bildung sehr
zahlreicher Lymphozyten kommen.
Die 'verschiedenen uninukleären Zellen des lymphatischen Gewebes
können bei fortschreitender Entwickelung umgewandelt werden, indem das
unregelmäßige Chromatinnetz der kleinen Lymphozyten in eine mehr regel*
mäßige, häufig radförmige Anordnung verändert wird, allmählich zu großen
Lymphozyten mit hellem Kern und schließlich zu Uninukleären — alles ist
nach Herkunft und morphologischen Charakteren eine einzige Kategorie.
Die Plasmazellen stellen nur eine besondere Entwickelungsstufe dar,
welche die verschiedenen uninukleären Zellen annehmen können (von den
kleinen Lymphozyten bis zu den großen Uninukleären) unter dem Einflüsse
einer uns noch unbekannten Ursache und als Ausdruck eines progressiven
Prozesses, der die einzelnen Zellen betrifft.
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Referate und Besprechungen.
358
Die große Mehrzahl der Plasmazellen wird von Zellen gebildet, die an
Stelle der Adventitia liegen, diesen ähnlich sind, aber schon von vornherein
an ihrem Kern eine mehr oder weniger deutliche radiäre Struktur erkennen
lassen. Das sind die typischen Plasmazellen, alle anderen Varietäten sind viel
seltener. Warum die Adventitiazellen und die Lymphozyten mehr als die
übrigen Zellen ein solches Umwandlungsvermögen besitzen, ist noch unbe¬
kannt.
Es ist zu beachten, daß die Adventitiazellen vollständig denen der
Markstränge analog sind, welche ihrerseits ursprünglich als Endothelien des
Retikulums anzusehen sind. Diese letzteren haben die Fähigkeit, sich direkt
in mobile Lymphozyten umzuwandeln; al3 einzige Mutterzelle aller dieser
verschiedenen Formen kommt also nur die Endothelzelle in Betracht.
Andererseits bilden sich aber auch von den Zellhaufen in den Sinus Plasma¬
zellen.
M. stimmt also mit Maximow und Dominici überein, daß einerseits
die Lymphozyten und Uninukleären alle eine einzige Gruppe bilden, daß
aber die Plasmazellen sowohl von Adventitiazellen als auch von schon diffe¬
renzierten Lymphozyten entstehen können.
Die Einzelheiten der nach Durchschneidung der Nerven an den Lymph-
drüsen beobachteten Veränderungen lassen sich, in einem kurzen Referat
nicht wiedergeben. W. Risel (Zwickau).
M. Natus, Versuch einer Theorie der chronischen Entzündung auf
Grund von Beobachtungen am Pankreas des lebenden Kaninchens und von
histologischen Untersuchungen nach Unterbindung des Ausführungsganges.
(Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 202, H. 3, S. 417, 1910.) Nach der
Unterbindung des Pankreasganges beim Kaninchen folgt auf ein kurzes
Stadium, in dem Hyperämie, Exsudation und Extravasation von vorwiegend
mehrkernigen Zellen die Hauptveränderung sind, ein sehr langes, Monate und
Jahre währendes, in dem die wesentlichen Befunde zuerst in einer Ver¬
mehrung des interstitiellen und benachbarten Bindegewebes und der Kapil¬
laren, in einer Abnahme der spezifischen Parenchymzellen bis fast zum
völligen Schwund derselben, darauf in einer Abnahme dieses vermehrten Binde¬
gewebes und in einer Hyperplasie des übriggebliebenen Parenchyms bestehen,
deren Ergebnis stark von dem Bau des normalen Pankreas abweicht und von
Dauer ist
Es ist die Folge der Gangunterbindung also eine chronische Entzündung,
die sich an ein sehr kurzes Stadium akuter Entzündung anschließt.
Die theoretischen Ausführungen über die chronische Entzündung gehen
darauf hinaus, zu zeigen, daß das Nervensystem derjenige Organbestandteil
ist, an dem der Reiz angreift, und daß die Wirkung nicht so sehr von der
Natur des Reizes und dem Orte seines Angriffes abhängt als von seiner
Stärke und dem Erregharkeitsznstande des Nervensystems.
W. Risel (Zwickau).
Th. Mironescu, Ober die Beziehung des glatten Muskelgewebes zu dem
elastischen Gewebe. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 202, S. 144,
1910.) Zwischen glatter Muskulatur und elastischem Gewebe bestehen sehr
nalie Beziehungen. Bei der Muskulatur des Blutegels, in der muskulösen
Fußplatte der Weinbergschnecke, sind die einzelnen glatten Muskelzellen
von einer feinen elastischen Membran umgeben; am Magen des Frosches bilden
die feinen elastischen Fasern ein Netzwerk, in dessen engen Maschen die Muskel¬
zellen liegen. Auch in der Prostata von jungen Kindern lind von jungen
Schweinen findet man ein Netzwerk von elastischen Fasern, das die glatten
Muskelzellen umspinnt. Im Verdauungskanal des Menschen bildet das elastische
Gewebe einerseits feine Fasernetze zwischen den Muskelzellen, andererseits
stark entwickelte Netze um die Muskelschicht, so daß diese wie von einer
dicken elastischen Membran von den übrigen Geweben der Wand getrennt wird.
Diese allgemein verbreitete innige Mischung des elastischen Gewebes
und des glatten Muskelgewebes wie auch die eigenartige Anordnung der
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354 Referate und. Besprechungen.
beiden Gewebe beruht auf einer physiologischen Notwendigkeit. Die feinen
elastischen Fasern, welche zwischen die Muskelzellen dringen und so ein
Netzwerk um diese Zellen bilden, helfen durch ihre Elastizität den Muskel¬
zellen nach der Kontraktion zu ihren früheren Formen zurückzukehren.
Andererseits bilden die dicken elastischen Schichten, welche meistens die
Muskelschichten umwickeln, eine Stütze für die ganze glatte Muskulatur,
ünd durch die Beziehung dieser elastischen Schichten zu den feinen elastischen
Fasern, die zwischen den Muskel zellen liegen, koordiniert und reguliert sich
die Kontraktion der Muskeln. W. Risel (Zwickau).
H. Josephy (Rostock), Rote Blutkörperchen in der Epidermis. (Vir-
chows Archiv für path. Anat., Bd. 202, H. 3, S. 471, 1910.) Bei einem
elephantiastischen Penis fanden sich in der Epidermis und in den obersten
Schichten der Kutis einzelne, bis stecknadelkopfgroße, gelbrote bis rotbraune
Pünktchen: zusammenhängende Massen von Erythrozyten in den interepi¬
thelialen Räumen der Stachel Schicht, die mit Blutungen in dem direkt unter
dem Epithel liegenden Bindegewebe zusammenhingen. Ätiologisch kommt
wahrscheinlich die mit der Elephantiasis verbundene Störung der Strömung
im Lymphgefäßsystem in Betracht. W. Risel (Zwickau).
Psychiatrie und Neurologie.
Schröder (Zwiefalten), Entwickelungsstörungen des Gehirns bei Dem.
praecox. (Zeitschr. für die ges. Neurol. u. Psych., Bd. 4, H. 2.) S. fand in
einem Fall Verdoppelungen der Kerne der Purkinje’schen Zellen, sowie
synzitiale Veränderungen der Pyramidenzellen und spricht beide Befunde
als den Ausdruck der ererbten Minderwertigkeit des Gehirns an, ohne
welche eine Psychose überhaupt nicht entstehen kann. Die Dem. praecox
ist also eine degenerative Psychose, die ihren letzten Grund in einer ange¬
borenen Anomalie hat und nach Ganpp vielleicht nur ein Wiederauf -
flackern eines fötalen Erkrankungsprozesses bedeutet. Es erklärt sich hier¬
aus auch, daß der größte Teil dieser Kranken vor dem Einsetzen der eigent¬
lichen Psychose Anzeichen einer psychischen Abnormität aufweisen.
Zweig (Dalldorf).
Trömner (Hamburg), Über motorische Schlafstörungen (speziell Schlaf¬
tic, Somnambulismus, Enuresis nocturna). (Zeitschr. für die ges. Neurol.
u. Psych. Bd. 4, H. 2.) Unser Schlaf ist keine Funktionsebbe, sondern ein
aktiver, auf Hemmungswirkungen beruhender Vorgang, deren Funktions¬
zentrum subkortikal liegt und wahrscheinlich im Thalamus opticus zu suchen
ist. Der Schlaf ist also nicht als eine Folge der Ermüdung sondern als eine
Reaktion des Organismus gegen dieselbe aufzufassen. Die Insuffizienz der
Hemmungsvorrichtungen bewirkt Schlaflosigkeit. Die Hemmung erstreckt
sich abwärts auf spinale und sympatische Systeme, aufwärts auf kortikale
Funktionen. Die Ausschaltung der Rindenfunktion ist keine vollkommene,
sondern eine zirkumskripte, die fokale Erregungsfähigkeit bleibt erhalten.
Bleiben nun die sensorischen Felder erregbarer, so kommt es zu Träumen,
bleiben es die motorischen — und dies ist bei den besonders motorisch er¬
regbaren Kindergehirnen der Fall —, so kommt es zu motorischen Schlaf¬
störungen. Das einfachste Beispiel derselben ist das Schlafspreclien, das
sicher nicht die Wirkung von Träumen ist. Für das Gesprochene besteht
Amnesie. Kommt es zu Schlafhandlungen, so handelt es sich um Schlaf¬
wandeln, und zwar entweder um planlose Handlungen oder um planvolle
oder um Angsthandlungen. Die vielfach angenommenen Beziehungen zur
Epilepsie bestehen nicht, dafür spricht die Möglichkeit der hypnotisch sug¬
gestiven Erzeugung derselben sowie ihrer Unterbrechung durch Anruf, was
beides bei epileptischen Dämmerzuständen unmöglich ist. Die Schlafaffekt¬
handlungen sind unter dem Namen Pavor nocturnus bekannt, es besteht auch
für sie gewöhnlich Amnesie. Führt der zugrunde liegende Angsteffekt
nicht zu motorischen sondern zu sensorischen Entladungen, so kommt es zu
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Referate und Besprechungen.
355
dem meist sogar mit motorischer Hemmung einhergelienden Alpdrücken, dem
kataleptischen Halbschlai, waches Sensorium bei gehemmtem Motorium. Auch
diese Phänomene zeigen nicht eine neuropathische Belastung an. Ausgesprochen
ueuropathischer Genese sind dagegen die Zwangsimpulse meist rhythmischer
Natur (Schlaftic). Zu den motorischen Schlafstörungen rechnet T. auch
die lediglich durch die Eigenart des Schlaf Vorganges bedingten nicht orga¬
nischen Störungen der Reflexvorgänge, die Enuresis nocturna jenseits des
sechsten Vierteljahrs, die bei sexuell Inaktiven häufiger als alle paar Wochen
einmal auf tretende Pollution und die seltenere Encoprosis nocturna. Vier
Fünftel der von T. beobachteten Fälle boten keine Zeichen besonderer
geistiger oder körperlicher Schwäche, nur einer epileptische Momente. Bei
den Epileptikern ist Enuresis überhaupt viel seltener als allgemein ange¬
nommen wird. Auch der Zusammenhang mit kongenitalen Entwicklungs¬
hemmungen wird meist überschätzt. Es handelt sich hier mehr um ein
Akzidenz als um die Ursache. Eine wesentliche Bedingung scheint dagegen
eine abnorme Schlaftiefe zu sein. Durch hypnotische Suggestion konnte T.
48% heilen. Die ersterwähnten Störungen lassen sich ebenfalls durch hypno¬
tische Suggestion im Verein mit einer auf eine rationelle Lebensführung und
Stählung der Selbstbeherrschung gerichteten Allgemeinbehandlung bessern.
Zweig (Dalldorf).
Näcke (Hubertusburg), Einfluß von Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett auf den Verlauf einer vorher schon bestehenden chron. Psychose.
(Allg. Zeitschr.* Bd. 68, H. 1.) Eine ungünstige Wirkung konnte N. vom
Zusammentreffen weder hinsichtlich der Psychosen noch der Generations¬
phasen erkennen. Die Entbindungen gingen sogar schnell und mit geringen
Schmerzen vor sich, auch das Wochenbett verlief normal. Einen Zusammen¬
hang zwischen einem Generationsvorgang und Irresein sollte man nur an¬
nehmen, wenn bei jeder Gravidität oder jedem Wochenbett Irrsinn auf tritt.
Die Gravidität ist wohl nur der letzte Anstoß. Hereditäre Momente und
andere schädigende Einflüsse lassen sich meist nachweisen. Eine spezifische
Graviditätöpsychose gibt es jedenfalls nicht. Die ev. künstliche Frühgeburt
ist daher unbedingt zu verwerfen auch als prophylaktische Maßnahme, weil
keine Garantie besteht, daß man hierdurch seine Absicht erreicht und die
Frau vor weiteren Attaken bewahrt. Eher zu denken hat man an die Steri¬
lisation nach amerikanischem Vorbild, besonders bei chronisch degenerativen
Psychosen, und zwar in erster Linie im Interesse der Nachkommenschaft.
Das Stillen hat bei steter Aufsicht keine Bedenken, weil die Gefahr des
Kindermordes dann gering ist und die Schädigung des Kindes durch die
Milch einer geisteskranken Mutter, andererseits der Mutter durch das Stillen
unbewiesen, die Muttermilch ferner unersetzlich ist. Zweig (Dalldorf).
J. Wickmann (Stockholm), Über akute Poliomyelitis und Polyneuritis.
(Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 4, H. 1.) W. weist auf die neuritis-
ähnlichen Fälle der akuten Poliomyelitis hin, die leicht fälschlich zur Poly¬
neuritis gerechnet werden können. Es handelt sich aber um eine zentrale
Riickenmarkserkrankung. Dafür spricht vor allem die ungleichmäßige Ver¬
teilung der Lähmung auf die Muskeln. Differential-diagnostisch wichtig sind
die sensiblen zur falschen Diagnose führenden Reizerscheinungen, die Schmer¬
zen, die Druckempfindlichkeit der Nervenstärame. Gerade das letztere ist
ja für die Diagnose der Neuritis wichtig. Trotz der Druckempfindlichkeit
der Nervenstämme sind objektive Sensibilitätsstörungen selten. Auch dies
spricht für die Abtrennung von der Neuritis, weil Lähmung ohne Sensibili¬
tätsstörung bei letzterer nur durch eine Erkrankung lediglich der motorischen
Nervenfasern zu erklären wäre, bei der Annahme einer zentralen Ursache
aber keine Schwierigkeiten macht. Bei derartigen an Temper atu rsteigerun gen
sich anschließenden Krankheitsbildern, die man bisher als akute idiopathische
infektiöse Neuritis aufgefaßt hat, muß man also an die neuritisehe Form
der akuten Polyomyelitis denken. Zweig (Dalldorf).
30*
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356 Referate und Besprechungen.
Hirschfeld (Berlin), Die Wirkung des Vasotonins auf die Blutzirkula¬
tion im menschlichen Gehirn. (Monatsschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 1.)
Das per injectionem anzuwendende Vasotonin (ein Johimbinpräparat) setzt
durch Erweiterung der peripheren Blutgefäße den Blutdruck herab, ohne
die Herztätigkeit zu schädigen. An einem Pat. mit einem Schädeldefekt
ließ sich die gleiche Wirkung auch auf die Hirngefäße nachweisen. Für
seinen vorteilhaften Einfluß bei Arteriosklerosis cerebri liegen bereits Er¬
fahrungen vor, vielleicht wirkt es auch bei Geisteskrankheiten desselben
Ursprungs. Zweig (Dalldorf).\
Medikamentöse Therapie.
Ehrlich (Frankfurt a. M.), Die Salvarsantherapie. Rückblicke und
Ausblicke. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 1, 1911.) An Hand des enor¬
men Materials, welches E. durch Umfragen, sonstige private Mitteilungen und
ein Heer von Veröffentlichungen zur Verfügung steht, diskutiert der Erfinder
zusammen fassend die wichtigsten Hauptfragen der Wirkung seines Salvarsans.
Entgegen weitverbreiteten aber unbewiesenen Behauptungen (Hallopeau)
kann festgestellt werden, daß das Präparat nicht schädigend auf den opti¬
schen Apparat wirkt. Ein einziger Fall von beginnender Optikus-Atrophie
nach Salvarsanbehandluug ist E. bekannt geworden. Die betreffende Patientin
hatte aber vorher fast ein ganzes Jahr lang unter der Einwirkung anderer
organischer Arsenpräparate gestanden (Arsazetin und Enesol), welche eine
spezifische Überempfindlichkeit des Auges gegen Arsen hervorgerufen haben
konnten. Jedenfalls spricht dieser eine Fall gegenüber den vielen tausenden,
die ohne Schaden, ja zum Teil sogar mit Nutzen für den Optikus behandelt
worden sind, keine laute Sprache.
Die Schädigungen des Nervus acusticus, die in einigen Fällen von
frischer Syphilis nach Salvarsanbehandlung beobachtet wurden, sind nicht
Wirkungen des Arzneimittels, sondern Erzeugnisse nicht abgetöteber Spiro¬
chäten. Sie kommen nur bei niedriger Dosierung vor, die den Organismus
nicht genügend sterilisierte und verschwinden auf weitere spezifische Behand¬
lung auch durch 606. Gleiche Störungen sind auch nach erfolgreichen Queck¬
silberkuren beobachtet worden.
Die allgemeine Toxizität des Präparates ist eine sehr geringe. Daß
Todesfälle vorgekommen sind, spricht nicht dagegen, denn das Mittel ist
öfter bei fast Moribunden als Ultimum refugium angewandt worden. Fünf
Todesfälle werden eingehender diskutiert.
In vier von diesen Fällen wies die Sektion mehr oder weniger schwere
Veränderungen des Herzens nach. In einem fünften Falle kam es zwei
Monate nach der Injektion zum Exitus infolge eines chronischen Ikteruß
und Leberdegeneration. E. ist geneigt, diesen Ausgang als Folge einer chro¬
nischen Intoxikation durch Zersetzungsprodukte des Arsenobenzols aufzu¬
fassen, wie sie sich nach Injektionen von Emulsionen bilden können.
Alles in allem sind die Gefahren äußerst gering, wenn man die von
Ehrlich von Anfang an aufgestellten Kontraindikationen beobachtet (schwere
Herz- und Nervenerkrankungen, schwere kachektische Zustände auf nicht¬
syphilitischer Basis, fortgeschrittener Diabetes, und Nephritis) und wenn
man sich an die intravenöse Infusion hält.
Zum Schlüsse zeigt der Autor, daß trotz der vielen beobachteten Rezidive
der Gedanke an die Therapia sterilisans magna nicht aufgegeben werden darf.
Es kommt dabei vor allem auf die Dosierung an. Es wird im allgemeinen
ünterdosiert. Dauernde Heilungen sind viel schwerer konstatierbar als Rezidive
und nur durch seltene Fälle von neuer Akquisition eines Primäraffektes
nach Salvarsantherapie (bisher zwei Fälle) sicher darzutun. Jedenfalls ist
zu erstreben — wenn nötig durch wiederholte Salvarsaninjektion und durch
Kombination mit Quecksilber und Jodkalium —, negativen Wassermann und
endlich die vollständige Sterilisation des Organismus herbeizuführen.
R. Tsensclimid.
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Referate und Besprechungen.
357
Gottlieb u. Tambach (Heidelberg), Über Digipuratum. (Münchn. med.
Wochenschr., Nr. 1, 1911.) „Das Digipuratum besteht aus den gesamten wirk¬
samen Digitalisglykosiden in Form ihrer Gerbsäureverbindungen, die durch
ein chemisch sehr wenig eingreifendes Verfahren von den Eiweißstoffen,
Pektinstoffen, Saponinen usw. der Blätter befreit sind.“ Vor den Digitalis-
blättern, die ja von den älteren Präparaten am zuverlässigsten wirken, hat.
Digipuratum den Vorzug stärkerer Wirksamkeit, denn das Präparat ist auf
den Wirkungswert der am stärksten wirksamen Sorten von Blättern einge¬
stellt, wie sie nur wenige Standorte und einzelne Ernten hiervorbringen. Ein
wichtiger Vorzug ist auch der Wegfall vieler den Magen reizender Ballast¬
stoffe, welche ja die Anwendung der Fol. digitalis in manchen Fällen un¬
möglich machen. Endlich ist es im Gegensatz zu den älteren Digitalispräparateu
exakt dosierbar, indem es nach physiologischer Prüfung am Frosch herzen
eingestellt in den Handel kommt. Vor dem reinen Digitoxin hat es die leichte
Löslichkeit voraus und wird deshalb rascher und gleichmäßiger resorbiert.
R. Isenschmid.
E. Döbeli (Bern), Über die Empfindlichkeit verschieden alter Tiere
gegen die Opiumalkaloide. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 4,
1911.) Bekanntlich haben viele Ärzte eine große Angst vor der Verabreichung
von Opium (und Morphium) an Kinder, während andere es in unter Berück¬
sichtigung des Körpergewichts gleichen Dosen wie bei Erwachsenen verwenden,
ohne üble Folgen zu vermerken. Döbeli hat versucht, durch Experimente an
Kaninchen der Sache auf den Grund zu kommen und gefunden, daß saugende
lind mit Muttermilch genährte Kaninchen mehr als doppelt so empfindlich sind
gegen Tinct. opii, Pantopon und Morphium als ausgewachsene Tiere (die
Dosis auf das kg Körpergewicht berechnet), daß aber junge Tiere, die seit
einiger Zeit Vegetabilien gefressen haben, nicht empfindlicher sind als alte.
Er schließt hieraus und aus Beobachtungen an Kindern, daß nur Säuglinge,
nicht ältere Kinder eine besondere Empfindlichkeit für Opium Jiaben. Für
Kodein scheint die Empfindlichkeit in allen Altern die gleiche zu sein.
Fr. von den Velden.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Ad. Schmidt (Halle), Über die Behandlung der Bronchitis und ver¬
wandter Zustände mit trockener heißer Luft. (Therap. der Gegenwart,
H. 1, 1911.) Ähnliche Versuche sind schon früher, in der Meinung, durch die
heiße Luft die Bakterien der Lunge abtöten zu können, ausgeführt und
verlassen worden. Ad. Schmidt ward zur Wiederaufnahme derselben durch
die geringen Erfolge, die er vom künstlichen Pneumothorax sah, veranlaßt,
und erblickt den Zweck des Verfahrens in der Hyperämisicrung der Lunge.
Die Temperatur der (durch Chlorkalzium getrockneten) Luft ist, am Ein
atmungsrohr gemessen, 120—180°, in der Trachea 2° oder etwas mehr über
der gewöhnlichen Atmungsluft an gleicher Stelle, in Maximo 39,1° — höhere
Temperatur wird nicht vertragen. Die Vorwärmung der Luft geschieht am
besten in einem elektrisch geheizten Apparat.
Die Erfolge waren unsicher und zweifelhaft bei Asthma und Phthisis,
gut bei chronischen katarrhalischen Entzündungen des Kehlkopfs und der
Bronchien, in zweiter Linie bei Emphysem und Bronchiektasie.
Dem Referenten erscheint die vorherige Trocknung der Luft als eino
unnötige Komplikation. Die trockene Luft kühlt sich infolge der energischen
Verdunstung von den Schleimhäuten aus rascher ab als feuchte, man kann
also scheinbar heißere Luft atmen. Benutzte man Luft von gewöhnlicher
Feuchtigkeit, so brauchte man keine so starke Erhitzung und keinen Trocken¬
apparat, und in beiden Fällen käme die Luft gleich warm und gleich feucht in
die Bronchien. Bei früheren Versuchen (Nykamp und Schmid) fand man
sogar, daß bereits in der Trachea die Luft genau so feucht und kühl war wie
bei der Atmung gewöhnlicher Zimmerluft. Fr. von den L Velden.
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358 Bücherschau.
Schoenen (Troisdorf), Ein neuer Inhalierapparat. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 47, 1910.) Schoenen empfiehlt einen von Balke (Trois¬
dorf) konstruierten Trocken-Inhalierapparat, der es ermöglichen soll, die
Medikamente in gasförmigen Zustand in die Luftwege zu bringen und auch
hochsiedende schwerflüchtige Substanzen für die Inhalation verwendbar
zu machen. Als weitere Vorzüge bezeichnet er seine Einfachheit und Hand¬
lichkeit. Er hat den Apparat bei den verschiedensten Lungenaffektionen,
besonders bei Tuberkulose, Bronchitis foetida und Asthma, angewandt und
damit Pinenchlorliydrat, Menthol, Thymol, Eukalyptusöl und Duotal in¬
halieren lassen. Nur im Anfang inacht der Gebrauch des Apparates geringe
Schwierigkeiten. F. Walther.
Tifcchc (Davos-Dorf), Über einen im Hochgebirge (1500 m) mit Blut-
injektionen behandelten Fall von (progressiver perniziöser) schwerster Anämie.
(Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 2, 1911.) Hochgebirgsklima und
schwere Anämie bringt man sonst nicht gern zusammen, daß aber unter Um¬
ständen der Erfolg gut sein kann, zeigt vorliegender Fall. In den ersten
drei Wochen war gar keine Besserung zu bemerken, der Hämoglobingelialt
blieb 12% mul die Schwäche nahm eher zu. Als nun eine subkutane Injektion
von 100 ccm frischem (nicht defibriniertem) Menschenblut gemacht wurde,
hob sich innerhalb weniger Tage das Befinden und der Hämoglobingelialt
auf 33%. Schon wenige Tage darauf wurde die Kranke nach einer zweiten
Injektion entlassen, wobei sic sich in den nächsten Monaten so weit erholte,
daß sie wieder tätig sein konnte.
Jedenfalls ein ungewöhnlich günstiger Verlauf, aus dem man sich hüten
muß, weitgehende Schlüsse zu ziehen. Kaum fünf Wochen Hochgebirge,
dazu zwei homöopathische Blutinjoktionen hätten schwerlich genügt die
günstige Wendung herbei zuführen, wenn nicht die Ileilungstendcnz von vorn¬
herein stark gewesen wäre. Fr. von den Velden.
Bücherschau.
P. Rodari (Zürich), Lehrbuch der Magen- und Darmkrankheiten mit besonderer
Berücksichtigung der diätetischen und medikamentösen Therapie. Für praktische Ärzte
und Studierende. 2. völlig umgearbeitete und bedeutend erweiterte Auflage.
Wiesbaden 1910. Verlag von J. F. Bergmann. 521 S. 12 Mk.
Diese 2. Auflage gibt dem Leser das Wesentliche über den heutigen Stand
der Magen- und Darmkrankheiten, sowohl über Therapie, als auch Ätiologie, über
die pathologisch-anatomischen Veränderungen, über Symptomatologie, Diagnose
und Differentialdiagnose.
Im 1. Teil wird zunächst die allgemeine Diagnostik (Anamnese, Untersuchung
und Funktionspriifung) und Therapie, sowie die Einteilung der Magenkrankheiten
besprochen. Dann folgt der spezielle Teil, die akute, eitrige, toxische Gastritis.
Ulkus, Erosionen, Karzinom, Atonie und Ektasie, und die Neurosen. Der 2. Teil
behandelt den Darm und ist ähnlich angelegt. Im speziellen Teil wird zunächst
die akute und chronische Enteritis besprochen, dann folgen die Colitis membranacea,
die Typhlitis, die Darmgeschwüre, das Karzinom, die habituelle Obstipation, die
Neurosen und die Krankheiten des Mastdarms. Das Buch ist besonders dem
Praktiker sehr zu empfehlen. v. Schnizer (Höxter'.
F. Ruch, Comment on previent, comment on guerit le nervosisme? Genfeve, Atar. 16 S.
Der leidigen Nervosität werden bekanntlich viele Arbeiten gewidmet, und
doch hat F. Ruch es verstanden, diesem Thema neue Seiten abzugewinnen. Der
letzte Grund der fatalen Zeitkrankheit liegt im Fehlen einer gesunden, lebenswarmen
Philosophie. Wir befinden uns in einem Wirbel von Erscheinungen, wir bekommen
von allen Seiten neue Einzelheiten zugeführt, aber es fehlt uns das Vermögen, das
alles zu einer organischen Einheit zu verbinden; es fehlt uns die Muße, es zu
verarbeiten, philosophisch zu bewerten und zu ordnen. Daher die übertriebene
Schätzung des einzelnen Ereignisses, der Enthusiasmus 1890 für Tuberkulin, 1910
für Ehrlieh-Hata 606; daher schließlich der einseitige Egoismus und die Empfind¬
lichkeit gegen unangenehme Vorkommnisse. An Stelle der gesunden Traditionen
von Rücksicht auf den Nebenmenschen, von Ehrlichkeit, Einfachheit, Ordnung und
ökonomischer Einteilung ist die Befriedigung augenblicklicher egoistischer Gelüste
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Bücherschau.
369
getreten. Sie ist es, welche bei der Gatteuwahl die Höhe der Mitgift ausschlag¬
gebend sein läßt und die ethischen und intellektuellen Qualitäten vernachlässigt.
Kein Wunder, daß dann in Zeiten psychischer Not keine Reserven, keine Funda¬
mente vorhanden sind, auf welche man bauen könnte. Die Beschwerden werden
bei solchen Zufällen gewohnheitsmäßig ins somatische Gebiet übersetzt; tatsächlich
brauchen aber solche Patienten mehr eine moralische als eine physikalisch-chemische
Hilfe. Daß ein guter Freund, eine aufrichtig geliebte Gattin das beste Propby-
laktikum gegen nervöse Zufälle sind, daran denkt heutzutage kein Mensch, und die
moderne Wissenschaft lächelt darüber, weil mau an diesen Faktoren nichts messen
und wägen und nichts experimentieren kann; und doch ist die Geschichte und die
Erfahrung aller wirklichen Ärzte reich an Beispielen dafür. Man vergleiche z. B.
Mozart’s Leben, das bei allen äußeren Schwierigkeiten bis zuletzt einen sonnig-
heiteren Stempel trug, mit der düsteren Gemütsverfassung eines Beethoven!
Und noch vor kurzem hat Bismarck die Bedeutung eines harmonischen Familien¬
lebens, einer Hausfrau im alten Sinne gebührend gewürdigt, und dessen praktisch¬
psychologisches Genie werden wohl auch die eifrigsten Apostel der Exaktheit
gelten lassen.
Aus diesen Überlegungen heraus beantworten sich die Fragen nach der
Heilung wie nach der Vorbeugung nervöser Zustände in gleicher Weise. Eine
philosophische Betrachtungsweise, welche nicht bloß auf den Moment starrt, sondern
die Dinge im Zusammenhang mit vor- und rückwärts betrachtet, garantiert jene
aequa mens, jene Stabilität, welche im Psychischen ebenso wie im Physiologischen
der Ausdruck von Gesundheit ist. Wir gewinnen sie durch Selbsterziehung und
durch Anlehnung an Freunde, und wir vererben sie als wertvollstes Kapital auf
unsere Kinder und Enkel und geben ihnen damit eine Basis, auf welcher sie auch
in den wildesten Stürmen bald wieder ihr seelisches Gleichgewicht gewinnen können.
Buttersack (Berlin).
M. Wolf u. F. Fleischer. Nova therapeutica. Führer durch das Gebiet der
neueren Arznei- und Nährmittel zum Gebrauch für den praktischen Arzt. Berlin
1910. Vereinigte Verlagsanstalten Gustav Braunheck und Gutenberg-Druckerei A.-G.
611 S. 5 Mk.
Das Buch beabsichtigt dem Praktiker, und nur diesem, in regelmäßigen
Zwischenräumen alle neueren Arzneimittel hinsichtlich ihrer Anwendungsweise und
womöglich auch der Preise vorzuführen. Einmal wäre es von großem Vorteil, wenn
bei kommenden Auflagen und Ausgaben bei allen Arzneimitteln die Preise stünden,
was sich wohl unschwer erreichen ließe. Sodann sind die Geheimmittel und die
sog. Spezialitäten ausgeschlossen. Aber gerade dem Praktiker wird es sehr häufig
passieren, daß er namentlich in der besseren Praxis über eine Spezialität um Aus¬
kunft gebeten wird und wenn er sie vielleicht auch nie anwenden wird, wird es
ihm doch in manchen Fällen sehr lieb sein, sich über so etwas orientieren und
eventuell seinem Klienten klaren Wein einschenken zu können. Auch dies wäre
m. E. bei späteren Ausgaben nachzuholen. Die Arzneimittel sind in die allgemein
üblichen Gruppen eingeteilt. Am Schlüsse folgt ein Index und ein Krankheits¬
register. _ v. Schnizer (Höxter).
(Besprechung Vorbehalten.)
Carque, La base de toute reforme. La regeneration physique et mentale de
l'homme par la reforme alimentaire. Brüssel. Librairie de culture huwainc Paul
Nyssens. 92 S. 2 Fr.
0. Cruz, Memorias. Rio de Janeiro 1910. 292 S.
A. Erlandsen, Tabelle für die Bestimmung des Tuberkulin-Titers nach Ellermann-
Erlandsen. Würzburg 1911. Gurt Kabitzsch (A. Stübers Verlag). 90 Pfg.
E. Hailer u. W. Rimpau, Versuche über Abtötung von Typhusbazillen im Organismus.
1. Anwendung von Chologensubstitutionsprodukten der Methanreihe. Sonderabdruck
aus „ Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte“. Bd. 36, H. 3. Berlin 1911.
Verlag von Julius Springer.
S. Jeßner, Hautveränderungen bei Erkrankungen der Atmungsorgane. Aus Dr.
Jeßners Dermatologischen Vorträgen für Praktiker. Würzburg 1911. Kurt Kabitzsch
(A. Stübers Verlag). 54 S. 90 Pfg.
E. Neter, Elternbriefe über Kinderpflege und Erziehung. München 1911. Verlag
der ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 92 S. 1 Mk.
Otto Rigler, Dr. 0. Beck’s Therapeutischer Almanach. Unter Mitwirkung von
F. Walther. 38. Jahrgang. 1. Semesterheft. Leipzig 1911. Verlag von Benno
Konegen. 244 S. 2 Mk.
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atio
Krankenpflege .und ärztliche Technik.
F. Schilling, Taschenbuch der Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heilmethoden.
10. Jahrgang. Leipzig 1910. Verlag von Benno Konegen. 820 S. 3 Mk.
E. Ungermann, Über die Ursachen der natürlichen Pneumokokkenimmunität. Sonder¬
abdruck aus .Arbeiten aus dem Kaiserlichen GeSundheitsamte“. Bd. 36, H. 3.
Berlin 1911. Verlag von Julius Springer.
E. Ungermann, Tenth Annual Report of the New-York State Hospital for the care
of crippled and deformed Children. Albany 1910. G. B. Lyon Company, state printers.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Rotax-Typ D. (Ein Universal-Röntgen-Instrumentarium.) Auf einem an seiner
Rückseite mit einer Schutzwand und Bleiglasbeobaclitungsfen.ster ausgestatteten
fahrbaren Tisch sind außer einem Rotax-Intensiv-Funkeninduktor von 30 cm Funken¬
länge mit Kondensator, den gebräuchlichen Schaltern, Sicherungen und dem Ampere¬
nieter auch noch alle für Therapie in Frage kommenden Nebenapparate angebracht.
Eine parallele Funkenstrecke mit
Zugvorrichtung zum Messen der
Spannung, ein Mille-Ampöremeter
nach Deprez-d’Arsonval zum Messen
der Stärke des durch die Röhre
gehenden Stromes, eine Vorschalt-
Funkenstrecke zur Unterdrückung
des Schließungslichtes und eine
Alarm-IJhr nach Dr. Gocht mit
selbsttätigem Stromaussehalter zur
Minuten-Einstellung.
Ein Rotax-Unterbrecher ist vorne
am Boden des Schalttisches aufge-
häugt nnd kann ebenso wie alle
anderen Apparate von Standort des
Operateurs, der gegen die schädliche
Wirkung der Röntgenstrahlen ab¬
solut geschützt ist, bequem bedient
und reguliert werden.
Infolge der Montierung der ge¬
samten Apparate auf einen fahrbaren
Tisch kann das Instrumentarium
an jeder Stelle eines Zimmers, in
dem sich eine Steckdose befindet,
verwandt werden, ist überaus kom-
peudiös und bedarf lediglich zweier
Kabel zur Verbindung mit der an
einem Röhrenstativ oder in einer
Kastenblende befestigten Röntgen¬
röhre.
Der Rotax-Typ D kann für
Aufnahmen und Durchleuchtungen
aller Art (auch Aufnahmen mit ver¬
kürzter Expositionszeit) sowie zum
Anschluß von Hochfrequenz-Appa¬
raten Verwendung finden und reprä¬
sentiert sich auch als eine überaus
praktische Zusammenstellung für Röntgentherapie. Preis zum Anschluß an Gleich¬
strom von 65—150 Volt Spannung 1290 Mark. Bei Spannungen von 150—220 Volt
erhöht sich der Preis um 35 Mk.
Fabrikant: Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas“, Berlin N. 24.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
forts&rttte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegtrn
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rlgler in Darms tadt.
Nr. 16.
||
Erscheint wöchentlich rum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
- 1 Verlag von Georg Thieme, Leipzig. -
20. April.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Das Schiötz’sche Tonometer,
ein neues Instrument zur Messung des intraokularen Druckes.
Von Privatdozent Dr. H. Gebb, Greifswald.
(Nach einem im Medizinischen Verein zu Greifswald gehaltenen Vortrag.)
M. H.! Die Feststellung des intraokularen Druckes ist für den
Arzt von großer Bedeutung. Ich erinnere nur an das Krankheitsbild
des grünen Stars und die Wichtigkeit der Kenntnisse vom hydrostatischen
Druck des Auges ist zur Genüge dokumentiert.
Die Prüfung des intraokularen Druckes erfolgt fast ausschließlich
durch die sogenannte „digitaleTonometrie“, d. h. wir schätzen die Spannung
des Auges nach der Kraft, die notwendig ist; um mit den palpierenden
Fingern an der Bulbuswand eine Impression zu erzeugen. Die Höhe
der so gefundenen Spannung bezeichnen wir mit T —{— 1, T+2, T-|-3,
je nachdem der Druck nur wenig erhöht oder deutlich fühlbar oder sehr
intensiv ist.
So bequem diese Art der Untersuchung ist, so außerordentliche
Mängel haften der digitalen Tonometrie an. Ist z. B. ein Auge bretthart,
so wird man ohne Bedenken seine Spannung mit T-f-3 bezeichnen; jeder
Nachuntersucher wird diesen Befund bestätigen. Schwankend wird man
aber schon zwischen dem Befund T+1 und T-|-2, und direkt in Ver¬
legenheit kann der Arzt kommen, wenn er entscheiden soll, ob ein Auge
normal ist oder ob eine geringe Drucksteigerung vorliegt. Gewiß können
in einem solchen Fall anamnestische Erhebungen und gewisse klinische
Erscheinungen zur Klärung der Diagnose beitragen; immerhin bleibt
noch eine große Reihe von Fällen übrig, in denen der Augenarzt, auch
der erfahrenste, nicht in der Lage ist, eine definitive Entscheidung
zu treffen.
Zu dieser Unsicherheit der exakten Diagnosenstellung bezüglich
des intraokularen Druckes kommt noch ein zweiter sehr erheblicher Mi߬
stand, nämlich der, daß die digitale Tonometrie ausschließlich der Sub¬
jektivität des Untersuchers preisgegeben ist. Infolgedessen wechselt die
Entscheidung, ob die Tension eines Auges noch als normal oder als
leicht gesteigert zu bezeichnen ist, nicht nur von Klinik zu Klinik und
von Chef zu Assistent, sondern sehr oft auch bei ein lind demselben
Arzt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß zwischen einem normalen Auge
und einem solchen mit T-f-1 zahlreiche Zwischenstufen Vorkommen,
deren Spannung wir mit den palpierenden Fingern nicht unterscheiden
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362
H. Gebb.
und präzisieren können, sodaß also die Entscheidung ganz und gar der
Subjektivität des Untersuchers anheimgestellt ist und ferner, wer wäre
imstande, wenn es sich um eine Drucksteigerung handelt, nach Monaten
anzugeben, ob die Spannung leicht zugenommen hat oder ob sie etwas
zurückgegangen ist, obwohl diese Entscheidung vielfach von ausschlag¬
gebender Bedeutung für die Therapie und somit für die Erhaltung des
Sehvermögens ist
Alle diese geschilderten Mängel der digitalen Tonometrie be¬
schäftigten schon in den siebziger Jahren die Augenärzte, auch den Alt¬
meister der Ophthalmologie, Albrecht vonGraefe. Mit ihm setzte der
Versuch einer Verbesserung der Tonometrie ein, die darin gipfelte, den
intraokularen Druck instrumentell zu messen, und zwar ohne Eröffnung
des Augapfels. Es sollte ein Instrument geschaffen werden, das in der
Hand des Arztes zahlenmäßig den Druck des Auges angibt. Es ist dann
auch im Laufe der Jahre eine Anzahl von Apparaten konstruiert wor¬
den, von denen die bekanntesten das Fick’sche (1888) und das Makla-
kofPsche (1892) Tonometer sind. Wenn aber keines dieser Tonometer
eine größere praktische Bedeutung erlangt hat, so liegt das im wesent¬
lichen daran, daß das subjektive Moment sich bei keinem dieser Apparate
ganz ausschalten ließ, denn der Untersucher mußte bei all diesen Instru¬
menten mit der Hand einen Druck auf das Auge ausüben; infolgedessen
ließ die Genauigkeit der Messung meistens sehr viel zu wünschen übrig.
In letzter Zeit hat nun Schiötz (Christiania) ein neues Instrument
zur Bestimmung des intraokularen Druckes angegeben. Die Erfahrungen
mit diesem Tonometer sind bis jetzt zur größten Zufriedenheit der
Ophtalmologen ausgefallen. Auch an unserer Klinik werden seit etwa
*/ 2 Jahr die Bestimmungen des Augeninnendruckes nur noch mit dem
Schiötz’schen Tonometer ausgeführt und es dürfte daher angebracht sein,
über unsere bis jetzt gesammelten Erfahrungen kurz zu berichten.
Die Einfachheit in der Handhabung
des Schiötz’schen Tonometers birgt schon
einen großen Vorteil in sich. Der Arzt
kann ohne Assistenz die Bestimmung des
Druckes am Auge vornehmen. Der Apparat
(Fig. 1) setzt sich im wesentlichen aus
folgenden Teilen zusammen:
Ein ca. 6 cm langer, etwa
streichholzdicker Bolzen (aa),
der sehr leicht in einer Hülse (b)
gleitet, wird mit seinem unteren
Ende (aj auf die Hornhaut
gesetzt. Das obere Ende des
Bolzens (a) stößt gegen den
kleinen Schenkel eines Hebels,
während der längere Hebelarm
als Zeiger die Ausschläge an
einer Skala angibt. Um die
genannte Hülse (b) legt sich
eine zweite Hülse (c), an der
zwei Arme zum Festhalten des Apparats angebracht sind. Vor Beginn
der Messung bringt man an das obere Ende des Bolzens ein kleines
Gewicht (g), deren dem Apparat vier (5,5; 7,5; 10,0; 15,0 g) beigegeben
sind und die man entsprechend dem Druck des Auges wechseln muß.
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Das Schiötz’sche Tonometer.
363
Die auf diese Weise an der Skala gewonnenen Ausschläge geben uns
nicht direkt die Höhe des intraokularen Druckes in Millimetern Hg an,
vielmehr liest man denselben entsprechend dem gefundenen Ausschlag
des Zeigers an einem für die vier Gewichte genau berechneten Diagramm
(Fig. 2) ab.
Kurz vor Beginn der Messung träufelt man dem Patienten 1 —2
Tropfen einer 2°/ 0 Holocainlösung in den Bindehautsack. Der Kranke
legt sich am besten flach auf den Untersuchungstisch. Die Lider werden
mit Daumen und Zeigefinger der einen Hand auseinander gehalten und
mit der anderen Hand bringt man das Instrument auf das Auge resp.
die Hornhaut. Die Messung beider Augen nimmt etwa 1—2 Minuten
in Anspruch.
So interessant nun die Ergebnisse bei der Untersuchung kranker
Augen sind, so wichtig war es zunächst, einmal zu wissen, wie im nor¬
malen Auge der Druck mit dem Schiötz'schen Tonometer gefunden wird
und ob die so gewonnenen Resultate mit den bis jetzt vorliegenden
Werten, die durch manometrische Messungen gewonnen wurden, über¬
einstimmen. Denn nur in diesem Falle hatte das Instrument Anspruch
auf Brauchbarkeit resp. klinische Verwendung.
Normalerweise schwankt der intraokulare Druck zwischen 20 und
30 mm Hg, wobei geringe Abweichungen nach oben und unten noch
nicht als pathologisch zu bezeichnen sind.
Mit dieser Tatsache stimmen nun die bis jetzt vorliegenden Unter¬
suchungen mit dem Schiötz’schen Tonometer durchaus überein.
Schiötz 1 ) selbst gibt als normale Spannung des Auges auf Grund
vieler Hunderte von Messungen zwischen 15 und 25 mm Hg an.
Nach Stock 2 ) beträgt der intraokulare Druck am normalen Auge
zwischen 12 und 26 mm Hg.
In fast gleichen Grenzen schwankt die Tension des normalen Auges
nach den Untersuchungen Wegners 8 ) aus der Greifswalder Augenklinik.
Wegner fand 13 bis 30 mm Hg.
Die Gründe, weshalb am normalen Auge solche Unterschiede Vor¬
kommen, sind bis jetzt noch nicht festgestellt. Wie weit hier das Alter
des Patienten, die Refraktion des Auges und andere Momente eine Rolle
spielen, bedarf noch weiterer Untersuchungen.
Die Werte der von Schiötz, Stock und Wegner am normalen
Auge gefundenen Spannung stimmen also sehr gut miteinander überein
und decken sich außerdem fast vollständig mit der schon früher als
physiologisch gefundenen Tension des Auges.
Was nun zunächst für die Praxis wichtig und für die Leistungs¬
fähigkeit des Schiötz’schen Tonometers ausschlaggebend ist, das ist der
Umstand, daß durch das neue Instrument das subjektive Moment bei
der Untersuchung völlig ausgeschaltet ist, denn bei dem Schiötz’schen
Tonometer ist es im Gegensatz zu den früheren Instrumenten nicht mehr
notwendig, mit der Hand einen Druck auf die Bulbuswand auszuüben,
vielmehr lastet bei dem neuen Apparat ein durch ein Gewicht be¬
schwerter Stift auf der Kornea, so daß Schwankungen an der Skala, die
sich durch die drückende Hand niemals vermeiden lassen, beim neuen
Apparat nicht möglich sind.
*) Schiötz, Archiv für Augenheilkunde, Bd. 62.
*) Stock, Klinische Monatsblätter für Augenheilkunde, Bd. 48. Beilageheft.
a ) Wegner, Archiv für Augenheilkunde, 1910/11.
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364
H. Gebb, Das Schiötz'sche Tonometer.
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Dadurch, daß jetzt genaue zahlenmäßige Angaben in der Be¬
urteilung der Spannuugsverhältnisse möglich sind, gewinnt auch die
Sicherheit der Diagnosenstellung in den Fällen von vermeintlicher Druck-
steigerung ganz außerordentlich und weiter wird dadurch unsere Kenntnis
in dem Krankheitsbilde des grünen Stars erheblich gefördert.
Finden wir z. B. ein Auge mit verdächtigen Spannungsverhältnissen,
so wird uns die vorgenommene Messung an diesem Auge und der Ver¬
gleich mit dem anderen Auge sofort Aufschluß geben, ob eine Druck¬
steigerung vorliegt oder nicht. Ferner aber auch werden die gefundenen
Werte leicht die Entscheidung treffen lassen, ob wir in einem Fall
konservativ oder operativ Vorgehen sollen.
Wie außerordentlich wertvoll das Schiötz’sche Tonometer in der
Praxis ist, mag daraus erhellen, daß kein Tag vergeht, an dem das
Instrument an unserer Klinik nicht in Anwendung kommt.
Des weiteren mögen Ihnen einige Beispiele den großen Wert des
Schiötz ? schen Tonometers demonstrieren.
57 jährige Frau. Vor Jahren wegen eines Glaukomanfalls am rechten
Auge mit Erfolg operiert. Vor 1 / 2 Jahr Glaukomanfall am linken Auge.
Digitale Tonometrie: R normal, L T-J-3
nach Schiötz: R 25, L 60 mm Hg
5 Tage nach der Operation (lridektomie) R 24, L 30 mm Hg
1 Monat nach der Operation R 25, L 22 mm Hg
6 Monate später R 24, L 24 mm Hg.
Der Erfolg der Operation konnte hier zwar auch durch die digi¬
tale Tonometrie festgestellt werden. Das Wichtige dieses Falles aber
liegt darin, daß wir das Ergebnis der Operation mit Hilfe des SchiÖtz-
schen Tonometers zahlenmäßig feststellen können, und ferner lehrt das
Beispiel, daß von jetzt ab der weitere Verlauf des Krankheitsbildes —
auch von einem anderen Arzt — rein objektiv verfolgt werden kann.
Denn es kommt so häufig vor, daß die Kranken noch völlig beschwerde¬
frei sind, während eine ganz allmähliche Steigerung des intraokularen
Druckes eingesetzt hat.
Wie sehr die digitale Tonometrie gegenüber der exakten Angabe
des Schiötz’schen Tonometers zu Irrttimern Veranlassung gibt, ist aus
folgendem Beispiel ersichtlich.
Linkes Auge gesund. Am rechten besteht seit za. l / 4 Jahr eine
Cataracta complicata.
Digitale Tonometrie: Beiderseits Spannung normal
Nach Schiötz: R 33, L 26 mm Hg.
Die digitale Tonometrie fand den Druck an beiden Augen normal.
Das Schiöti’sche Tonometer aber zeigte uns ; daß an dem kranken Auge
doch eine Drucksteigerung bestand. Die Überlegenheit der instrumen-
tellen Tonometrie nach Schiötz über die digitale geht aus diesem Falle
klar hervor.
Werden von nun an die Untersuchungen in allen Fällen von Druck¬
steigerung resp. Verdacht auf Drucksteigerung mit dem Schiötz’sclien Tono¬
meter exakt durchgeführt, dann werden wir auch über das Krankheits¬
bild des grünen Stars noch sehr wertvolle Aufschlüsse erhalten. So
wissen wir bis jetzt noch gar nicht, wie hoch der intraokulare Druck
sein muß, um einen Glaukomanfall auszulösen. Folgende Kranken¬
geschichte ist in dieser Richtung von Interesse.
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Franz C. R. Eschle, Das Asthma.
365
56jährige Frau klagt seit 1 j 2 Jahr über Abnahme der Sehschärfe.
Vor wenigen Tagen nachts heftige Schmerzen am rechten Auge. Akuter
Glaukomanfall rechts.
Digitale Tonometrie: Beiderseits T-[-3
Nach Schiötz: R 55, L 48 mm Hg.
Wir sehen hieraus, daß an beiden Augen eine ganz erhebliche
Drucksteigerung besteht und obwohl der Unterschied in der Druck¬
steigerung nach Schiötz nur 7 mm beträgt, so genügt dieses Plus doch,
um an dem einen Auge einen Glaukomanfall zu erzeugen.
Sie werden aus den wenigen Beispielen den großen Wert des
Schiötz*schen Tonometers erkannt haben. Dadurch, daß jetzt der Arzt
in der Lage ist, die Spannung des Auges genau in mm Hg anzugeben,
ist das subjektive Moment bei der Untersuchung völlig beseitigt; aber
noch mehr, diese zahlenmäßige Feststellung des intraokularen Druckes
gibt dem behandelnden Arzt viel wertvollere Fingerzeige als die bis¬
herigen Bezeichnungen T-f-1, T —|— 2, T-(-3. Wenn Stock daher auf
Grund seiner mit dem Schiötz’scheu Tonometer gemachten Erfahrungen
verlangt, daß von jetzt ab in den Krankengeschichten die Bezeichnung
T -f- 1 usf. nicht mehr geführt werden dürfen, daß vielmehr zahlenmäßige
Angaben in mm Hg zu erfolgen haben, so müssen wir dies nach unseren
Untersuchungsergebnissen durchaus unterstreichen.
Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die Messung des intra¬
okularen Druckes nach Schiötz der digitalen Tonometrie weit überlegen
ist. und zwar sowohl in praktischer wie in wissenschaftlicher Hinsicht.
Das Asthma.
Von Franz C. R. Eschle.
(Schluß.)
Durch direkte Beeinflussung des Atmungszentrums oder durch
konsekutive Gehirnanämie kommt diejenige Form der Stenokardie zu
stände, die man als „Asthma dyspepticum u bezeichnet, weil sie durch
den Verdauungsakt herbeigeführt wird. Die Beklemmungsgefühle rühren
entweder von der mechanischen Belastung des Kreislaufs mit großen
Mengen von Verdauungsprodukten (Peptonen in weitestem Sinne) oder
von der Überflutung mit chemischen Substanzen her, die teils direkt
wirken, teils zu besonders starker Aufnahme von Sauerstoff nötigen,
oder sie sind nur die Folge der veränderten Blut Verteilung während
der Verdauungsperiode, die einen besonderen Zufluß zu den Abdominal¬
organen nötig macht und eine Art von relativer Gehirnanämie bewirkt.
Die Prophylaxis wird sich hier neben der Anwendung des Pepsins (am
besten als Pepsinum vor und nach jeder beider Hauptmahlzeiten einen
Eßlöffel) naturgemäß auf die Anwendung eines zweckmäßigen diäte¬
tischen Regimes (häufigere und kleinere Mahlzeiten, Bevorzugung einer
an Vegctabilien reichen, an leicht resorbierbaren Eiweißstoffen relativ
ärmeren Kost) beschränken, während im Anfall selbst, wenn dieser sich
sehr qualvoll gestaltet, unter Umständen von den oben aufgefülirten
Brechmitteln mit Erfolg Gebrauch gemacht werden wird. Nach Lauder-
Brunton 1 ) bringt die Ipekakuanha auch, abgesehen von dem Erbrechen
Nutzen (dreimal täglich 10 Tropfen der Tinktur).
*) Lauder Brunton, Pharmakologie und Therapie. Deutsch von Zech-
meister. Leipzig 1893. A. Brockhaus.
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366
Franz C. R. Eschle,
Vielfach werden neuerdings derartige Betriebsstörungen, wie die hier
besprochenen, als Autointoxikationen aufgeßtellt. Nach Rosenbach handelt
es sich aber bei diesen und allen anderen seiner Ansicht nach ganz fälschlich
als „Autointoxikationen“ bezeichnten Zuständen nicht um eine Vergiftung
durch die nachweisbar abnorm im Betriebe gebildeten Stoffe, sondern um
die (absolute und relative) Verminderung der Leistung, die davon herrührt,
daß der Organismus unter der Einwirkung abnormer Reize und unge¬
nügender oder ungeeigneter Materialzufuhr unvollkommen transformiert, also
weniger Energie als sonst oder anders beschaffene, für den normalen Betrieb
nicht geeignete Formen der Betriebskräfte entwickelt. Es kommt mit anderen
Worten nicht ein Plus sogenannter Toxine, sondern ein Minus von zweck¬
dienlichem Betriebsmaterial, aus dem ein Defizit von oxygener Energie resul¬
tiert, in Betracht.
Dies gilt auch für die eigentlichen Stoffwechselkrankheiten,
bei denen, wie bei der Chlolä'mie, dem Diabetes und der harn¬
sauren Diathese der Betriebsgewinn ungenügend bleibt, weil in¬
folge des Defekts in der organischen Maschine aus den vorhan¬
denen Spannkräften nicht der vollauf genügende Nutzeffekt von
Wärme und oxygener kinetischer Energie geschafft werden kann.
Das muß zur Verringerung der außerwesentlichen Leistung und
zum Stillstände der Maschine selbst führen, die sich nur durch
ihre Arbeit im Gange halten kann. Die abnorme chemische Pro¬
duktion ist nur eine äußere Erscheinung, die durchaus nicht als
direktes Maß der Veränderungen des inneren Betriebes, geschweige
denn als ihre Ursache betrachtet werden kann.
Übrigens gehören die Zustände, die wir als Asthma cholaemicum, dia -
beticum, uraemicum bezeichnen, in die Kategorie des richtigen, auf wahrem
Lufthunger beruhenden Asthmas. Beim arthritischen Asthma konkurrieren
wohl auch noch andere (reflektorische) Momente mit der Störung in der
Bildung der oxygenen Energie. Auch beim Diabetes ist häufig das Asthma
als kardial anzusehen. Gerade mit der Arteriosklerose und Schrumpfniere
bildet der Diabetes jene verhängnisvolle Trias, die nach Rosenbach ge¬
wissermaßen das Schlußergebnis einer familiären Unzulänglichkeit gegenüber
den Anforderungen des Lebens darstellt.
Zum Teil leicht läßt sich der Indicatio causalis bei denjenigen
Formen der Stenokardie genügen, die durch wirkliche Intoxikationen,
z. B. durch Blei (Asthma saturninum), aber auch schon durch den
übermäßigen Genuß von Tabak, Alkohol, Kaffee und ebenso durch
manche Infektionskrankheiten hervorgerufen werden. Schwieriger ge¬
staltet sich die Therapie des einzelnen Anfalls wie der ihm zugrunde
liegenden Betriebsstörung, wenn es sich um Bleivergiftung handelt,
da daß Asthma saturninum nach Analogie der eingangs dieses Ab¬
schnittes erwähnten Fällen bereits der Ausdruck der von H. Oppen¬
heim und anderen beschriebene Encephalitis satumina sein kann.
Bei den Stenokardien infolge leichterer Intoxikationen, die noch
keine anatomischen Veränderungen im Zentralnervensystem zuwege ge¬
bracht haben, handelt es sich um ähnliche Vorgänge wie bei der Ein¬
wirkung großer Kälte, die die von Landois (Korrespondenzbl.
f. Psychatrie 1866) und Nothnagel (Deutsches Archiv für klin. Med. III,
Seite 309) beschriebene Angina pectoris vaso?notoria bedingt. Hier, wo
ein Krampfzustand der kleinsten Hautarterien, der aber bisweilen sogar
auf die Radialarterien übergreift, das erste, dem. Gefühl der Steno¬
kardie vorausgehende Symptom des Anfalls ist, können die Kranken,
wegen der Blässe, Kälte und Gefühllosigkeit der Extremitäten und
der heftigen Oppression bisweilen das Bild einer schweren Erkrankung
daxbieten. Meiner Erfahrung nach findet das sonst gegen kardiales
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Das Asthma.
367
Asthma resp. Angina pectoris vera empfohlene Amylnitrit gegen diese
Form der Stenokardie mit mehr Erfolg Anwendung als dort, wo über¬
dies die Herzaffektion schon wegen seiner stark den Blutdruck er¬
niedrigenden Wirkung große Vorsicht verlangt. Man wendet das Amyl¬
nitrit in der Weise an, daß man 2—5 Tropfen auf ein Tuch gießenj
und die überaus rasch verdunstende Substanz einatmen läßt. Gerade
wegen .dieser Flüssigkeit und der dadurch erschwerten Dosierung hat
Solger den Vorschlag gemacht, das Mittel in der Menge weniger
Tropfen auf kleine Lymphröhrchen zu füllen, die der Patient dann
stets bei sich tragen kann, um im Augenblicke des Anfalls davon
Gebrauch zu machen. 1 ) Ich selbst verordne aus den erwähnten Gründen
ein Gemenge des Körpers mit Spiritus aethereus im Verhältnis von
1:4 und lasse davon 10—15 Tropfen inhalieren. Bleibt der Erfolg einmal
aus oder ist er nicht nachhaltig genug, so wird der Anfall in der Bett¬
wärme und unter gleichzeitiger subkutaner Verabreichung des Mor¬
phins in kleinen Gaben (0,005 g) bald beendigt sein. Vorbeugend ist
neben dem Schutz vor jeder intensiven Kälteeinatmung die Anwen¬
dung trockener Frottierungen und Bürstungen, bei noch jugendlichen
Individuen auch von Halbbädern und sonstigen abhärtenden Maßnahmen
zu empfehlen.
Die oben beschriebenen Beklemmungsgefühle des Asthma dyspep-
tikum, die durch den Akt der Verdauung an sich herbeigeführt werden
und oft eine Teilerscheinung der nervösen Dyspepsie bilden, steht der
von Rosenbach als Asthma abdominale bezeichnete Zustand gegen-,
über. Hierbei kann die Zwerchfellbewegung und die Erweiterung der
Lungen mechanisch durch die besonders starke Füllung der Unterleibs¬
organe beziehungsweise Luftansammlung in den Därmen behindert sein
(nach den Mahlzeiten ist ja auch unter normalen Verhältnissen die
Frequenz der Atmung unter Abnahme ihrer Tiefe gesteigert) oder es
kann eine solche Beeinflussung der Atmung bei abnormer Darmfüllung
auf dem Reflexwege in der Bahn des Vagus zu erfolgen. Bettruhe,
Kataplasmen auf den Unterleib, die Kombination der üblichen Narkotika
mit Mitteln aus der Reihe der sogenannten Karminativa (wie Tr. Valeri-
anae aetherea, Spiritus menthae piperitae), eventuell nach voraufge¬
gangener Verabfolgung eines Emetikums beseitigen in der Regel in
kurzer Zeit den Anfall, wie ein entsprechendes diätetisches Regime
die Obstipation, die ja an sich bei manchen’JMenschen, speziell bei
Hämorrhoidariern neben heftigen Schmerzen in Brust und Armen auch
Oppression und Angstgefühle zur Folge hat.
Sehr mannigfaltig sind ferner die Wege, der Indicatio causalis
zu genügen, bei den häufigsten Formen zerebraler Stenokardie, wie
sie gleichfalls durch eine Reflexaktion in der Vagusbahn bald von
der äußeren Haut (Asthma herpeticum), bald von den Schleim¬
häuten der Nase (Asthma nasale), seltener des Rachens (Asthma
tonsillare) oder| der Konjunktiva (Asthma conjunctivale) y Rosen¬
bach 2 ) recht häüfig vom Uro-Genitalapparat (das besonders im
Gefolge sich entwickelnder Myome auftretende Asthma uterinum, ferner
das Asthma nephriticum ), vom Darmtraktus aus, z. B. beim Vor¬
handensein von Gallensteinen 9 (Asthma cholclithiacum) , oder Eingeweide¬
würmern (Asthma vermiculare) ausgelöst werden.
*) Vgl. A. Fraenkel, „Angina pectoris* in EulenburgV'Real-Enzyklopädie,
4. Anfl., Bd. 4, 1907.
9 ) Vgl. Münchn. med. Wocbenschr., Nr,*20 u. 21, 1900,
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368
Franz C. R. Eschle,
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Sehr häufig genügt die Anästhesierung und Anämisierung dieser
Teile, um den stenokardischen Anfall zu mildern oder ihn. sogar (ohne
natürlich seine Wiederkehr zu verhüten) zu kupieren, wie das namentlich
beim konjunktivalen Asthma Rosenbach vielfach gelungen ist.
Was das Asthma herpeticum anlangt, so ist von jeher allen Be¬
obachtern der alternierende Wechsel zwischen Asthmaanfällen und gewissen
Dermatosen aufgefallen. Auf den Zusammenhang, namentlich von Wuche¬
rungen im Bereiche der unteren Nasenmuscheln mit stenokardi*
sehen Anfällen, wurde zuerst durch die Publikationen von W. Hack
in Freiburg i. B. die Aufmerksamkeit der Ärzte hingelenkt, wenn diesen
auch schon vorher die Koinzidenz — um nichts zu präjudizieren — mindestens von
Asthma und Nasen polypen keineswegs entgangen war. Der Überschätzung
der therapeutischen Eingriffe in Form des Brennens und Ätzens der Muscheln
ist natürlich bald die ebenso übertriebene Unterschätzung der nasalen Ätiologie
als unausbleibliche Reaktion gefolgt. Entgegen einem so bedeutenden Kenner
des einschlägigen Gebietes, wie ß. Gbldschinidt (vgl. 1. c.), muß ich mich
aber auf Grund persönlicher Erfahrungen zu dem Standpunkte bekennen,
daß tatsächlich ein rocht beträchtlicher Teil der Fälle reflektorischer Steno¬
kardie direkt von der Nasenschleimhaut, speziell den Muscheln ausgeht und
von hier aus auch therapeutisch erfolgreich in Angriff genommen werden
kann. Mit Recht Einschränkung erfahren hat nur die enthusiastische Verallge¬
meinerung und der Glaube, von diesem einen Punkt aus nun jedes Asthma kurieren
zu können. Auch brauchen es, wie schon oben angedeutet, durchaus nicht immer
operative Eingriffe zu sein, <die die Wiederherstellung annähernd normaler
Verhältnisse und das Zessieren der stenokardischen Anfälle anbahnen. Einer¬
seits ist von A. Fraenkel z. B. mit Recht darauf aufmerksam gemacht wor¬
den, wie präzis oft durch eine 5—10 p / 0 ige Kokainlösung, die mittels Watte-
bäuschchen in die Choanen eingeführt wird, der Anfall kupiert werden kann,
andererseits, wie häufig eine Behandlung durch Nasen Spülungen mit physio¬
logischer Kochsalzlösung, mit einem dünnen Stärkekleister oder einer (nicht
als Antiseptikum, sondern anästhesierend und anämisierend wirkenden) l%igen
Karbolsäure-Solution oder ganz milden Adstringentien neben Atemgymnastik
(zur Entwöhnung von der Mundatmung) und einem vorsichtig abhärtenden
Regime .nicht nur die lokale Affektion günstig beeinflußt, sondern auch
das Seltenerwerden und schlioßliche Schwinden der stenokardischen Attacken
bewirkt. Bei älteren Personen ist mit Abhärtungsversuchen natürlich wenig
zu erreichen, hier hat man mehr auf Schutz vor Erkältungen und eventuellen
schädlichen Beimengungen der Atmungsluft Bedacht zu nehmen. Für die
begüterten Klassen können in dieser Hinsicht klimatische Kuren in Betracht
kommen, die sich auch gegen die als „Heu- Asthma“ bezeichnete Abart der
nasalen resp. konjunktiven Stenokardie — das „Heufieber“ mit seinen indi¬
viduell variablen Symptomen beruht ja auf einem durch die Einwirkung
des Pol lens taubes oder vielleicht auch der Riechstoffe einiger Gramineen ver¬
ursachter Katarrh der Nasen-, Augen- und Respirationsschleimhaut — nament¬
lich in Form des Kuraufenthaltes im Inselklima am meisten bewährt haben.
Psychogenes Asthma (Kortikale Pseudostenokardie, Pseudoangina pectoris).
Ist es schon auffallend, wie stark alle nicht auf wahren Luft¬
hunger basierten asthmatischen resp. stenokardischen Anfälle, die wir
bis jetzt Revue passieren ließen und die doch alle mehr oder weniger
eine reale Unterlage haben, durch psychische Momente beeinflußt werden,
wie namentlich oft schon der freundliche Zuspruch des Arztes und
seine Versicherung der Abwesenheit jeder Gefahr, ja seine bloße Gegen¬
wart auf die Milderung des Oppressionsgefühles und der damit ver¬
bundenen Todesangst wirkt, so ist der Psychotherapie unstreitig der
erste Platz bei denjenigen Formen einzuräumen, bei denen die rein
subjektiven Beschwerden — und mögen sie noch so heftig imd quäl-
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Das Asthma.
voll sein — ausschließlich von der Großhirnrinde ausgehen, die
auf dem Wege von Urteilen und Schlüssen irgendwelcher dort zur
Perzeption kommender Unlustgefühle zu falschen Vorstellungen über
deren Ursachen und zu grundlosen Befürchtungen und bei der Irra¬
diation in das Wiliensgebiet zu verkehrten Handlungen gestaltet. Der¬
artige Resultate liegen bei Neurasthenischen und Hypochondern so oft
vor, daß die rein psychisch bedingte Pseudostenokardie vielleicht den
größten Raum unter den dem Praktiker vor die Augen tretenden Asthma¬
anfällen einnimmt.
Zwar wird es die Pflicht des humanen Arztes sein, durch eines
der erwähnten narkotischen Mittel (eventuell durch eine einmalige,
vorsichtig abgemessene Morphiuminjektion) auch hier eine Abkürzung
des immerhin recht schmerzhaften Zustandes herbeizuführen, aber mit
einer solchen in Infinitum fortgesetzten Hilfsbereitschaft bei jeder qual¬
vollen Situation kann dem Kranken nicht gedient sein. Das wesent¬
liche Bestreben aller Therapie muß in diesen Fällen darin
gipfeln, daß der Patient seine abnorme Erregbarkeit und
seine anormalen Vorstellungen durch den Willen unter¬
drücken und durch eine energische Selbstdisziplinierung
resp. aktiv, d. h. durch hemmende motorische Akte die
unzweckmäßigen, das Leiden steigernden aktiven, sich in
Bewegungen und Handlungen äußernden Maßnahmen zu ver¬
meiden lernt. Zu solchen motorischen Irradiationen gehört, wie Rosein¬
bach besonders hervorhorhebt, die Gewohnheit, die Hand auf die Herzgegend
zu drücken, beim Auftreten der unangenehmen Gefühle sofort die Lage
zu wechseln, ängstlich den Puls zu kontrollieren, sein Aussehen fortwährend
im Spiegel zu beobachten, bei Nacht das Bett zu verlassen oder wenigstens
die liegende Position immerfort mit der sitzenden zu vertauschen, kalte
Umschläge zu applizieren, Baldriantropfen, stärkende Medikamente und
Wein, womöglich in immer steigender Menge zu sich zu nehmen, be¬
ständig die Angehörigen um sich zu versammeln, den Arzt holen lassen,
die Fenster zu öffnen usw. Hier hat in der Tat die Erziehung zur
Selbstbeherrschung ein weites Feld. Aber erfolgreich wird die
Tätigkeit des Arztes erst dann, wenn es ihm gelingt, den
Patienten wirklich zu überzeugen, daß gerade durch seine
Erregung und mangelnde Selbstdisziplin, durch die eigen¬
artige Richtung seiner Aufmerksamkeit nicht nur die
Hyperästhesie und die Angstgefühle gesteigert, sondern
auch perverse motorische Innervationen eingeleitet werden,
die durch allgemeine Erhöhung der Erregbarke it auch
andere Organe in Mitleidenschaft ziehen.
So viel Nachsicht der Arzt anfangs zeigen darf, ehe er ein voll¬
kommen sicheres Urteil über den Zustand und auch das erforderliche
Maß von Vertrauen bei dem Patienten gewonnen hat, so viel Energie muß
er später an den Tag legen. Konsequente Strenge, unter Umständen sogar
eine gewisse Schroffheit im Beharren auf seinem Standpunkte ist ja selbst
in vielen Fällen nervöser Herzschwäche — und gerade hier — am Platze,
um die Kranken zunächst gegen ihren Willen und den ihrer in allzu
großer Ängstlichkeit befangenen Angehörigen auf den rechten Weg
zu bringen.
Namentlich heute ist das nicht immer ganz leicht, wo das Herumlaufen
bei allen möglichen wirklichen und vermeintlichen Spezialisten üblich ge¬
worden ist und die Diagnose einer Herzmuskelerkrajikung leider nicht nur
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Franz C. R. Eschle, Das Asthma.
so leicht gestellt, sondern auch dem Patienten bekannt und seinen Jiypo-
chondrischen Neigungen {damit eine reale Basis gegeben wird. Aus der¬
artigen äußeren, d. h. nichlt eigentlich in {der Natur des -Falles liegenden
Gründen kann sogar eine rationelle Behandlung in der Familie auf so viel
Schwierigkeiten stoßen, daß die Anstaltsbehandlung, lediglich von dem Ge¬
sichtspunkte (der Isolierung des Kranken aus, in Vorschlag gebracht wer¬
den muß. ,
Auf deT anderen Seite aber darf man nie vergessen, wie leicht
sich aus Störungen rein funktioneller Natur ganz allmählich
organische entwickeln. Ulnd deshalb i|st es nie zu unterlassen,
in allen solchen Fällen von Zeit zu Zeit iiümer wieder das Herz
gewissenhaft und gründlich zu untersuchen.
Wenn irgend möglich, muß der Patient, der sich gewöhnlich allen
Berufsgeschäften und jeder ernsthaften Tätigkeit zu entziehen sucht,
recht bald wenigstens einen Teil davon wieder aufnehmen, um allmählich
durch Steigerung der Anforderungen in den Stand gesetzt zu werden,
den Pflichten gegen sich selber und die Angehörigen wieder in vollem
Umfange nachzukommen. Je bestimmter der Arzt auf tritt, je mehr er
das Vertrauen des Kranken erwirbt, desto sicherer ist die Heilung, immer
vorausgesetzt allerdings, daß jeder Irrtum in der Diagnose aus¬
geschlossen ist.
Ist bei der Behandlung der psychischen Form der Stenokardie — auch
bei Herzkranken, wenn der Fall nichts mit organischer Herz¬
muskelerkrankung oder Sklerose der Kranzarterien zu tun hat —
nichts mehr geeignet, die Beschwerden der hypochondrischen, nervösen und
neurasthenischen Kranken zu verstärken und deren Unfähigkeit zu allen Leistungen
zu vergrößern, als wenn man ihren Glauben begünstigt, ihr Leiden er¬
fordere eine besondere Schonung, so ist doch ein Punkt von großer Wichtig¬
keit dabei zu berücksichtigen. Bekanntlich erscheinen Herzkranke — mag
nun das Leiden bereits erkannt sein oder nicht — sehr häufig als besonders
reizbar, schreekhaft, jähzornig, eigensinnig oder auch hypochondrisch. Und
doch tut man ihnen unrecht, wollte man sie als Menschen betrachten, die
sich nur nicht in der Gewalt haben. Die reflektorische Erregbarkeit erreicht
hier eben besondere Grade und es bedarf einer außergewöhnlichen Hemmung,
eines besonders starken Willenseinflusses, um die normale mittlere Erregbar¬
keit zu erzielen. In (solchen Fällen muß datier zwar langsam, aber ebenso
konsequent wie vorsichtig, mit der psychischen Schulung vorgegangen wer¬
den, die mit der Erzielung der Selbstbeherrschung auch hier eine Quelle
Unnützer Kraftverschwendung zu verstopfen trachtet.
Von Rosenbach, der immer auf die engen Beziehungen von Neur¬
asthenie und Arteriosklerose hinzu weisen Veranlassung nahm, ist (auch auf
die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung hingewiesen worden, ob —
namentlich bei Personen von der Mitte der dreißiger Jahre ab — die un¬
gewöhnliche Erregbarkeit ihren Ursprung nicht in einer besonderen Beschaffen¬
heit des Herznervensystems (des Vagusgebietes inklusive seiner zerebralen
Zentren und zentrifugalen Zufuhrbahnen, d. h. der Haut- und Sinnesnerven)
oder des Herzens selbst, namentlich der Aortenklappen oder des Anfangs¬
teils der Aorta habe. Hier muß man besonders vorsichtig mit allen physi¬
kalischen und somatischen Maßnahmen sein, die direkt auf eine Steigerung
der muskulären Leistung abzielt, denn die organische Angina pectoris verlangt un¬
bedingt Ruhe und Schonung, damit die Grenze der Leistungsfähigkeit nicht
zu früh erreicht wird.
Hingegen muß man mit erzieherisch-hygienischen Maßnahmen auch dann
energisch Vorgehen, wenn es sich zwar nicht um subjektive Beschwerden,
sondern um organische Veränderungen handelt, wenn man aber als Ursache
des Herzleidens eine falsche Richtung der ganzen Lebensweise festgestellt hat.
Bei Herzveränderungen durch übermäßige Fettanhäufung, bei zu luxuriöser
Lebenshaltung, bei ungenügender Bewegung, bei Alkohol- oder Nikotinmiß-
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Antoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
871
brauch u. dgl. gilt es, dem Patienten, der gewöhnlich mit Mitteln und Kuren
geheilt «ein will, aber seine Lebensweise gar nicht oder nur kurze Zeit unter¬
brechen möchte, zu zeigen, daß „nicht eine Wunderkur oder irgendein
mystisches akutes Verfahren“, wie Rosenbach sagt, „sondern nur eine totale
Änderung der Lebensweise und Anwendung aller Willenskraft“ dauernden
Erfolg garantieren kann.
Zum Schlüsse sei gegenüber den oft bei nervösen Leiden jeder
Art versuchten hypnotischen ,respektive suggestiven Maßnahmen (die
ich mit Rosenbach für identisch halte) besonders hervorgehoben, daß
sich durch solche zwar auch Gehorsam gegen die zweckmäßigen Anord¬
nungen des Arztes erzielen läßt, daß aber dann dadurch auch
nur für den Anfang und unter der Voraussetzung wirklicher Nutzen
geschaffen werden kann, daß auf diesem Wege Zeit für die Eroberung
der Persönlichkeit des Kranken, für die Gewinnung seines uneinge¬
schränkten Vertrauens gewonnen und die Wege, die hierzu führen,
erkundschaftet werden sollen. „Nicht der Befehl des Arztes,
sondern nur die feste eigene Einsicht in die Notwendigkeit
und Nützlichkeit des eingeschlagenen Weges ist für die
Gestaltung der Zukunft ausschlaggebend.“ (O. Rosenbach).
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Weitere Erfahrungen über Ehen und Nachkommenschaft tuberkulöser Frauen.
Von Petruschky.
(Nach einem auf der Tagung der ostdeutschen Gynäkologen in Danzig am 4. Februar 1911
gehaltenen Vortrage mit Lichtbildern.)
Der Vortragende ging nur kurz auf die bisher recht ungünstigen
Erfahrungen über den Verlauf der Gravidität bei tuberkulösen Frauen
ein und bedauerte, daß bei der bisherigen Diskussion dieses wichtigen
Themas eines der wichtigsten Hilfsmittel der modernen Wissenschaft, die
spezifische Therapie, fast vollständig unberücksichtigt geblieben ist. Der
Vortragende betrachtet es als Vorzug seines Materials, daß der Versuch,
auf dem Wege der spezifischen Therapie zu helfen, bereits seit 20 Jahren
in allen Fällen gemacht worden ist, die sich auch nur einigermaßen als
geeignet erwiesen, namentlich in denjenigen Fällen, in denen Sanatorien¬
kuren wegen der Kosten nicht in Betracht kommen konnten. In einigen
besonders schweren Fällen, in denen Sanatorienkuren noch unternommen
wurden, kamen diese leider schon zu spät. In einer ganzen Reihe von
Fällen, in denen Sanatorienkuren in Aussicht genommen wurden für den
Fall, daß die spezifische Behandlung allein nicht ausreichen sollte, war
es möglich, auf die Sanatorienkuren ganz zu verzichten und die spezifische
Therapie ohne Störung der häuslichen Tätigkeit der betreffenden Frauen
durchzuführen. Die Gewichtszunahme war in mehreren Fällen derart,
daß hernach ein Kampf mit Korpulenz sich ergab. Die Ergebnisse
werden durch eine größere Zahl von Lichtbildern der Mütter und ihrer
Kinder in verschiedenen Entwicklungsstadien erläutert.
Im ganzen erstreckte sich der Bericht auf 40 Fälle, die in folgende
Gruppen eingeordnet wurden:
1. Frauen mit „offener“ Lungentuberkulose (TB im Sputum)
welche teils vor, teils während der Gravidität, teils erst nach der Ent¬
bindung in Behandlung genommen werden konnten: 16 Fälle, von denen
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372
Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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5 starben, 3 zurzeit noch nicht abgeschlossen sind und 8 dauernd von
ihrer Lungentuberkulose befreit werden konnten (=50 °/ 0 ).
2. Mädchen mit offener Lungentuberkulose, welche nach Beseitigung
der Krankheitserscheinungen heirateten: 2 Fälle, von denen der eine
dauernd geheilt blieb und ein schon 9 jähriges Töchterchen besitzt, der
andere bereits vor Eintritt einer Gravidität einem schweren Rezidiv,
dem zu spät Beachtung geschenkt wurde, erlag.
Diese beiden ersten Gruppen ergeben zusammen 18 Fälle mit 9 Dauer¬
erfolgen (=50°/ o ). Von den 19 Schwangerschaften dieser 18 Fälle wurde
eine rechtzeitig durch Abort, artefic. unterbrochen, 7 Kinder starben bald
nach der Geburt, 11 (=58°/ 0 ) sind am Leben geblieben und soweit sie
durch die Kutanprobe mit Tuberkulin geprüft werden konnten, als
tuberkulosefrei befunden, wenigstens in den ersten Lebensjahren. 1 )
3. Frauen mit geschlossener Tuberkulose 9 Fälle, von denen einer
im direkten Anschluß an ein Wochenbett sich verschlimmerte und starb,
aber 8 Dauererfolge sich ergaben.
4. Von Mädchen mit geschlossener Tuberkulose heirateten nach erfolg¬
reicher Behandlung 13Fälle, von denen 10 Fälle gesunden Kindern das Leben
gaben, 3 noch nicht gravid wurden. Alle sind dauernd symptomlos geblieben.
Aus den beiden letzten Gruppen zusammen starben von 22 Fällen
nur 1 Fall (4,5°/ 0 ), 21 Dauerfolge wurden erzielt (95,5°/ 0 ), 6 der Mütter
haben bereits 2 gesunde Kinder geboren, 12 je eins, 3 noch keins,
eine hat einmal abortiert. Alle 24 lebend geborenen Kinder sind
bis jetzt am Leben geblieben (100°/ 0 ) und, soweit geprüft, frei von
Tuberkulose befunden worden.
Der Vortragende faßt seine Erfahrungen in folgenden Leitsätzen
zusammen:
I. Die anerkannten Gefahren der Ehe für Tuberkulöse sind:
1. Verschlimmerung der bestehenden oder Manifestwerden der bisher
latenten Tuberkulose bei der Frau.
2. Übertragung der Infektion
a) auf den Ehepartner (vom Vortragenden bisher nicht beobachtet),
b) auf die Kinder (nur in einem Falle beobachtet).
3. Vererbung
a) des Krankheitskeimes (selten),
b) der Disposition bezw. einer verminderten Widerstandsfähigkeit
gegenüber Tuberkulose.
II. Diesen Gefahren kann entgegengewirkt werden:
1. Durch rechtzeitige Unterbrechung der Schwangerschaft in Fällen,
wo der schädliche Einfluß der Schwangerschaft auf die Tuberkulose
sich frühzeitig geltend macht, z. B. durch Ausbleiben der normalen
Gewichtszunahme.
2. Durch frühzeitige Behandlung bezw. Heilung der Tuberkulösen
vor der Heirat
a) der Kinder und jugendlichen Mädchen,
b) der Bräute.
3. Durch den Heilungsversuch
a) bei der tuberkulösen Ehefrau vor der Konzeption (eventuell
unter Anwendung antikonzeptioneller Mittel),
b) während der bereits bestehenden Gravidität.
s ) Die späteren Wiederholungen der Kutanprobe ergaben positive Reaktion
in einem Falle bereits im 8 Lebensjahre (Vater leidet nur an offener Tuberkulose),
in 2 anderen Fällen im 6. bezw. 8. Lebensjahre-
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
378
4. Durch Beobachtung, diagnostische Tuberkulinpriifung und recht¬
zeitige Behandlung der den Ehen Tuberkulöser entsprossenen Kinder.
III. Als Behandlungsverfahren kommen gegenwärtig hauptsächlich in
Betracht das hygienisch-diätetische und das spezifische Heilverfahren
mittels Tuberkulinpräparaten; wenn möglich beide Verfahren in gegen¬
seitiger Ergänzung.
IV. Die Gravidität bildet an sich keine Kontraindikation gegenTuberkulin-
behandlung. Sie kann bei Vermeidung erheblicher Fieberreaktionen
ohne Gefahr für Mutter und Frucht durchgeführt werden. Autoreferat.
Weitere Mitteilungen über mechanische Erzeugung von Albuminurie und
Nephritis bei Tieren.
Von E. Fischl.
(Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Arzte Böhmens
in Prag am 17. Februar 1911.)
Der Vortragende knüpft an seine vor mehr als Jahresfrist an dieser
Stelle gemachten Mitteilungen an und berichtet über die Fortsetzung der
Versuche. Die Durchführung derselben an Hunden führte zu analogen
Ergebnissen wie bei Kaninchen. Die bei letzterer Tierart durchgeführte
Palpation der Nieren (ein- oder beiderseitig) ist ein schwerer Eingriff,
welcher sowohl momentane wie ziemlich lange andauernde Folgen hinter¬
läßt, die sich in starker Albuminurie, Ausscheidung von roten und weißen
Blutkörperchen, sowie von Nierenepithelien äußern und im histologischen
Nierenbilde als hochgradige Hyperämie und beginnende Hämorrhagie
charakterisieren.
Die von seiten des Beckenbodens und der Genitalorgane während
der Lordosieruog beobachteten Beflexerscheinungen sind für den Effekt
dieser ohne Belang, da sich derselbe auch in tiefer Aethernarkose
vollkommen gleich gestaltet, mithin als rein mechanisch angesprochen
werden muß.
Ebenso scheint der allgemeine Blutdruck ohne Einfluß zu sein, wie
Versuche mit künstlicher Herabsetzung desselben durch Chloralhydrat
und Bestimmungen seiner Höhe in den verschiedenen als wirksam er¬
kannten Positionen zeigten, die zum Teil mit hohem, zum Teil mit niedrigem
Blutdruck einhergehen.
Durch wiederholte Lordosierung läßt sich in ganz gesetzmäßiger
Weise Nephritis hervorrufen, die entweder zum Exitus führt oder ausheilt.
Histologisch zeigt sich hämorrhagische Entzündung mit Nekrose des
Harnkanälchenepithels, bei längerer Dauer des Prozesses auch Verbreiterung
der Interstitien und Neigung zu Schrumpfung.
Die onkometrische Untersuchung der Nieren während der ver¬
schiedenen als wirksam erkannten Positionen ergab als gemeinsames
Moment aller eine Stromerweiterung im Nierengebiete, die, da arterielle
Hyperämie auszuschließen war, mit Stromverlangsaraung identifiziert werden
konnte, welche ja günstige Bedingungen für die Filtration des Eiweiß
und den Austritt renaler Formelemente, sowie für die Bildung von
Cylindern schafft. Stauung scheint dabei nur insofern mitzuspielen, als sie
die Intensität der Ausschläge steigert, kann jedoch nicht das wesentliche
Moment sein, weil auch Positionen, welche eine Stase sicher ausschließen,
gleichsinnige Resultate geben.
Die Ausführungen werden durch Demonstration mikroskopischer
Präparate, Kurventafeln und der Versuchsanordnung bei den onko-
mctrischen Bestimmungen illustriert.
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374 Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Anaphylaxie und ihre Beziehung zur Dermatologie.
Von Dr. E. Klausner.
Von den grundlegenden Experimenten Richet’s und Portier’s
ausgehend, die an Hunden mit dem Extrakte aus Aktinetatentakeln bei
Reinjektion kleinster, normalerweise unschädlicher Mengen desselben
Erscheinungen hochgradigster Hypersensibilität hervorrufen konnten, die
sich äußerten in Dyspnoe, Diarrhöe und Erbrechen, einen Symptomen-
komplex, den Rieh et als anaphylaktischen bezeichnete, bespricht der
Vortragende das Wesen des sogenannten „Arthus’schen Phänomens“,
welches die Tatsache festgestellt hat, daß eiweißhaltige Flüssigkeiten, so
auch Serum, spezifische Hypersensibilität bei den einmal mit dem be¬
treffenden Serum vorbehandelten Tieren erzeugen können, welch letztere,
es handelt sich bei Arthus um Kaninchen, je nach der Art der Re¬
injektion, am stärksten nach der intravenösen Einverleibung des Serums
unter den Erscheinungen der Anaphylaxie erkrankten bzw. zugrunde
gingen. Smith hat den gleichen Symptomenkomplex, besonders also
Pulsbeschleunigung, Atmungsstörungen, Diarrhöen, tetanische Krämpfe
in gleicherweise bei Meerschweinchen hervorrufen können.
Später haben v. Pirquet und Schick vor allem für die Serum¬
krankheit und für das Phänomen der Vakzination nachgewiesen, daß mit
gewissen pathologischen Substanzen vorbehandelte Individuen noch lange
Zeit die Fähigkeit bewahren, auf eine wiederholte Einwirkung der be¬
treffenden Substanz rascher mit den Krankheitserscheinungen zu reagieren
und speziell den ganzen Reaktionsvorgang in kürzerer Zeit zu beenden.
Pirquet bezeichnet diese Erscheinung bei der Reinjektion beziehungs¬
weise Revaccination als allergische Reaktion. Als Erklärung diente den
Autoren die Ansicht, daß es sich bei der Allergie um eine Antigen¬
wirkung auf bestimmte antikörperartige Reaktionsprodukte des Serums
handelt.
Nicolle, Otto, Friedmann u. a. gelang es dann auch, den ana¬
phylaktischen Symptomenkomplex passiv auf das Tier zu übertragen.
Das Wesen der Anaphylaxie ist bis heute nicht völlig geklärt.
Während Wassermann annahm, daß die Anaphylaxie auf das Zusammen¬
treffen von Antigen mit Antikörpern beruhe, Wolff-Eisner der Ansicht
ist, daß es Körper bakterioly tisch er Natur sind, welche aus dem Antigen
endotoxinartige Körper freimachend, die anaphylaktischen Erscheinungen
bedingen, glaubt Friedberger im Anaphylatoxin, einem durch die Ein¬
wirkung von Antikörpern auf das Antigen entstandenen Abbauprodukte
von großer Giftigkeit, die auslösende Ursache für den anaphylaktischen
Shok gefunden zu haben.
Für die Dermatologie nun gewinnt die Lehre von der Anaphylaxie
großes Interesse durch Tatsachen, die geeignet sind, gewisse Hautaus¬
schläge, zu denen besonders die durch Arzneien bei gewissen dazu dis¬
ponierten Individuen erzeugten, gehören, und für welche man bisher die
„Idiosynkrasie“ verantwortlich machte, als anaphylaktische Reaktionen
des überempfindlichen Organismus erscheinen zu lassen, eine Auffassung,
deren Richtigkeit im Tierexperiment bestätigt werden konnte.
Schon früher haben Rieh et mit Apomorphin und Adducco mit
Kokain versucht, anaphylaktische Erscheinungen beim Tier hervorzurufen.
Allein diese mit bekannten chemischen Giften angestellten Versuche
waren nicht eindeutig und können deshalb nicht als beweisend betrachtet
werden.
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Referate und Besprechungen.
375
Von größerer Bedeutung war aber die von Rosenau und Anderson
gefundene Tatsache, daß es auch auf dem Wege der direkten Darm-
verfütterung, also nicht nur parenteral gelingt, Eiweißanaphylaxie bei
Tieren zu erzeugen. In diesen Versuchen war schon ein Hinweis gegeben
für die Erklärung gewisser Idiosynkrasien gegen bestimmte Nahrungs¬
mittel, Schweinefleisch, Fischfleisch, Muscheln, Hühnereiweiß usw., bei
denen manchmal Exanthem, Erbrechen und Diarrhöen als Zeichen einer
Überempfindlichkeit auftraten. Wolff-Eisner hat als erster auf den
Zusammenhang von Urticaria und Überempfindlichkeit hingewiesen.
Bruck hat dann experimentell den Nachweis erbracht, daß es sich in
diesen Fällen um Erscheinungen handelt, welche der Anaphylaxie gleich¬
gestellt werden müssen, indem es ihm gelang, die Anaphylaxie eines
Patienten gegen Schweinefleisch durch das Serum des betreffenden passiv
auf Meerschweinchen zu übertragen, an denen bei Injektion von Schweine¬
eiweiß anaphylaktische Symptome auftraten.
Bruck und Klausner haben in weiterer Folge im Tierexperiment
in eindeutiger Weise nachgewiesen, daß eine große Zahl der Arznei¬
exantheme auf einer Überempfindlichkeit der betreffenden Individuen
beruhe. Bruck konnte bei sogenannten Idiosynkrasien gegen Jodoform,
Antipyrin und Tuberkulin durch Injektion des betreffenden Patienten¬
serums an den Versuchstieren die charakteristischen Symptome der
Anaphylaxie hervorrufen, wenn er den so vorbehandelten Tieren Dosen
der genannten Medikamente injizierte, die an normalen Tieren keinerlei
Krankheitserscheinungen hervorriefen. Klausner hat diese Tatsachen
ebenfalls für Jodoform, Tuberkulin und Antipyrin experimentell voll¬
inhaltlich bestätigen können und weiterhin noch auf Jodkali erweitert
und auch hier im Tierexperiment positive Resultate im Sinne anaphylak¬
tischer Symptome bei den Versuchstieren erhalten. Vor kurzem hat
Wolfsohn in einem Falle von Jodüberempfindlichkeit bei Thyreoidismus
gleichfalls durch passive Übertragung auf das Tier den Beweis für die
Richtigkeit der Befunde von Bruck und Klausner gebracht.
Die Erklärung jener interessanten Tatsachen, welche uns eine ganz
neue Anschauung über das Wesen gewisser Hautkrankheiten eröffnen,
ist keineswegs einfach. Nach Bruck handelt es sich hierbei, und das
gilt vor allem für die Jodüberempfindlichkeit, um die Bildung körper¬
fremden Eiweißes, in diesem Falle in Form gewisser Jod-Eiweißver¬
bindungen, das nach Art echter Eiweißanaphylaxie den anaphylaktischen
Symptomenkomplex hervorzurufen imstande sein soll.
Referate und Besprechungen.
Allgemeines.
Rene Martial (Douai), Die Unterdrückung der Persönlichkeit. (La
grande Revue, 25. Februar 1911.) Die großen Männer und Forscher, welche
in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts den deutschen Genius ver¬
körperten, sind dahingegangen. Zwar haben sie uns ihr Handwerkszeug und
die Richtung des Forschens zurückgelassen, aber leider nicht auch ihren
Geist, ihr reines Streben nach Wahrheit, ihr großzügiges Denken, ihr Aner¬
kennen fremden Suchens, ihre Toleranz, ihre Ideale. In Frankreich, welches
uns ja im Guten und im Schlechten immer um einige Jahrzehnte voraus ist,
haben sich die Dinge noch schlimmer gestaltet, und der Spiegel, den der
geistvolle Arzt und Sozialhygieniker Martial seinen Landsleuten vorhält,
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376 Referate und Besprechungen.
erinnert durch seinen Freimut und seine Schärfe an Jesaias oder Abraham
a Santa Clara.
Die Menschheit von heute — so ungefähr ist sein Gedankengang —
ruht auf den Lorbeeren der großen Bahnbrecher und Pioniere der Kultur
aus und will nicht in dieser Ruhe gestört sein. Darum wird jeder, der etwas
Neues bringt, der neue Fragen aufwirft und neue Lösungen sucht, als ein
Störenfried (un fauteur de desordre) unterdrückt. Satte Leute brauchen
keine Ideale. Aber die unruhigen Köpfe, welche nach besserer Erkenntnis
dürsten und die im Kampf um die Weltanschauung oder auch nur um
Verbesserungen des Bestehenden bereit sind, ihr Leben zu lassen, sind voll
von Idealen, Idealismus, Initiative, Energie. Das ist natürlich für die beati
possidentes höchst fatal. Sie helfen sich aber dagegen nicht etwa dadurch,
daß sie den Idealen der Neuerer eigene Ideale entgegensetzen; sie haben ja
keine. Sie suchen vielmehr die Träger der neuen 4 Zeit unschädlich zu machen:
„On nie leur ceuvre, on refuse da la discuter, on en retarde, on en etouffe.
on en empeche la publication par touß les moyens possibles, quitte, plus
tard, a les voler, ä les piller, non sans les accuser de nullite et de pLagiat.
Drame scientifique, inconnu du public!“
Gegen die Masse bzw. Kaste derer, die die Wissenschaft gepachtet zu
haben vorgeben, kommen die einzelnen Dissidenters — Martial nennt sie
les des-adaptes, weil sie sich dem großen Haufen nicht anzupassen, einzu¬
gliedern verstehen — begreiflicherweise nicht auf. Gegen die geschlossene
Phalanx rennen sie vergebens an, und während die Mitglieder der Phalanx
einerseits unter sich selbst einer Verherrlichungsgesellschaft auf Gegen¬
seitigkeit gleichen, suchen sie den Vertretern der Weiterentwicklung durch
Epitheta, wie unangenehme Neuerer, Neurastheniker, Nörgler, unruhige
Geister, Umstürzler zu schaden; denn die große Masse läßt sich von den
Gelehrten, den offiziellen Führern der Wissenschaft, leicht betören; aber
„bien de savants n’ont pas d’esprit critique ni ne sont des gens crultives“.
Das Spiel scheint somit für die Männer der Ideale schlecht zu stehen,
und in der Tat klingen Martial’s Ausführungen gänzlich resigniert. Sie
können ihr ungastliches Vaterland verlassen und anderswo eine neue Heimat
und einen ersprießlicheren Wirkungskreis suchen, oder sie können sich in
sich selbst zurückziehen und da der Pallas Athene einen kleinen, aber har¬
monischen Tempel errichten, oder — sie können Schule machen. Und
in diesem letzteren liegen die Wurzeln des künftigen Sieges. Die Gegner
mögen wohl die Persönlichkeit lahm legen oder ihre Schriften auf den
Index setzen: frei entfaltet sich der Gedanke im Laufe der Zeit. Wie war
doch die Geschichte mit Galilei ? eppur si muove! und keine 100 Jahre waren
vergangen, da lehrten die Jesuiten auf der Sternwarte zu Rom die Galilei¬
sehen Gesetze! Mit welchen Schwierigkeiten der geniale Glisson, unser
großer Landsmann Andreas aus Wesel (Vesalius) usw. zu kämpfen hatten,
daran erinnern wir Heutigen uns nicht mehr. Den William Harvey
beschimpften seine Zeitgenossen als Zirkulator (= Marktschreier), und
Robert Mayer steckten sie gar in die Zwangsjacke. Und doch, wer ging als
Sieger aus all dem Leid hervor ? Die Idee, der göttliche Funke des Triebes
nach Erkenntnis. Ihrer wird keine weltliche noch geistige Macht auf die
Dauer Herr; denn sie gleicht der lernäischen Schlange: für jeden abge¬
schlagenen Kopf wachsen zwei neue.
So schmerzlich auch das vergebliche Ringen des Individuums ist:
Solange ein Land noch begeisterungsfähige Persönlichkeiten besitzt wie
Frankreich in Martial u. a., solange hat es keine Gefahr; solange sind die
Sätze noch falsch: ,,Leurs forces sont perdues, leur iniative ecrasee.
C’est compromettre du m&me coup la gloire et la prosperite de la nation.“
Allerdings, wenn keine Männer mit hohen Zielen und festem Charakter mehr
da sind, dann hat die Totenglocke der Nation geschlagen; denn „ce n’est
jamaiB par la diminution de l’intelligence, mais bien par l’affaissement du
caract&re que les peuples s'effacent de l’histoire“ (G. Le Bon).
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Referate und Besprechungen.
377
Suchen wir also die Abneigung gegen noch größere Erweiterung des
Horizontes als eine physiologische Erscheinung der Sättigung nach den ge¬
häuften Errungenschaften der letzten Dezennien zu begreifen. Die Mensch¬
heit als Organismus genommen muß all das Neue, das ihr zugeführt wurde,
erst einmal verdauen. Aber geben wir die Hoffnung nicht auf, daJ3 dann
so wohl diesseits wie jenseits der Vogesen „unangenehme Neuerer“ auf-
tauchen, welche mit antiker Charakterstärke für die ewigen Ideale kämpfen.
Buttersack (Berlin).
Innere Medizin.
Marcel Labb€ (Paris), Überernährung als ätiologischer Faktor der
Dyspepsie. (Gaz»etfce med. de Paris, Nr. 75, S. 1, 4. Januar 1911.) Den Ge¬
danken, welchen Labbe ausführt, hat Montesquieu schon vorweggenom¬
men und präzisiert in dem Satze: „Le souper tue la moitie de Paris, le diner
l’autre“ (Pensees et fragments inedits, Bd. I, Nr. 713, Seite 478). Gegenüber
der Frage nach dem Quäle der Speisen ist die andere nach dem Quantum
etwas in den Hintergrund getreten. Man darf aber das Wort Quantuün ?
nicht immer mit Wieviel? übersetzen, sondern zuweilen auch mit: Wie wenig?
In der Tat ahnt die Allgemeinheit gar nicht, mit wie wenig man auskommen
kann. Im Bestreben, sich möglichst gut und kräftig zu ernähren, stopft
man möglichst viel in sich hinein, als ob jeder Magen und Darm ein uner¬
meßliches und unverwüstliches Verdauungsvermögen besäße. Aber die Folgen
bleiben nicht aus. Anhäufungen des Fettes, Druck und Schwere im Bauch,
Flatulenz, Mattigkeit, belegte Zunge, übler Geruch aus dem Mund, Magen-
erweiterung, Leberschwellung, leichte Gelbfärbung der Haut und Schleim¬
häute, häufige Stühle von breiiger Beschaffenheit und üblem Geruch, dunkel
gefärbter Urin mit Bodensatz, Reizbarkeit, schlechter Schlaf, Hyperchlor-
hydrie mit Ulcusbildung, Pankreatitis, Leberzirrhose, Albuminurie, Nephritis
chronica sclerotica, Gicht, Nierensteine, asthmatische Anfälle: das sind so
ungefähr die Folgen, welche Labbe von der Überernährung gesehen hat.
Die Diagnose ist leicht, wenn man nur an den Zusammenhang der Dinge
denkt; und die Therapie ist einfach.
Aus eigener Erfahrung kann ich jedenfalls versichern, daß das All¬
gemeinbefinden, das Spiel der vitalen Funktionen sich mit der Reduktion der
Nahrungsmittel in der angenehmsten Weise hebt. „Die alte, aber sehr ver¬
kannte Wahrheit: Je weniger Bedürfnisse, desto glücklicher“ (Lich¬
te nberg) bezieht sich auch aufs Essen. Buttersack (Berlin).
R. Hertz u. S. Sterling, Psychischer Magensaft. (Arch. des maladies
du tube digestive, S. 579, Oktober 1910.) Die beiden Autoren hatten Ge¬
legenheit, bei einem gastrotomierten Patienten die Beobachtungen von Paw-
low zu kontrollieren und zu bestätigen. Der Geruch, Anblick, ja schon
das Erinnerungsbild eines Gerichtes genügten, um den Magensaft zu ver¬
mehren. Bratenduft bewirkte die Sekretion von 14 ccm mit einem Säuregehalt
von 3 ccm. Während des Kauens von Fleisch wurden 20 ccm (Säuregehalt
47), von Brot 19 (Säure 28) produziert.
Alkohol, Salzsäure-'Pepsiii usw. vermehrten den Magensaft wenig,
Kauen von Gummi gar nicht. Buttersack (Berlin).
Siegheim (Berlin), Über Syphilis des Magens. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, Nr. 4, 1911.) Pathologisch-anatomisch unterscheidet man bei der
Syphilis des Magens 1. Guinmata, als Zeichen der Spätsyphilis, solitär,
häufiger multipel auftretend. 2. Das Magengeschwür, das entweder aus
einem Gummaknoten hervorgeht, oder als rundes Geschwür auftritt und
seinen Ursprung in einer syphilitischen Endarteriitis findet. 3. Die luetische
Pylorusstenose, die einmal durch Verheilung spezifischer Ulcera oder fibrös-
hy per plastischer Vorgänge in der ßubmukosa und Muskularis entstehen, dann
aber auch auf gummöse Infiltration zurückgeführt werden kann.
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Referate und Besprechungen.
Die Diagnose des Leidens ist ziemlich schwer zu stellen, da keine charak¬
teristischen Symptome darauf hinweisen, und doch wäre dies in prognostischer
Hinsicht von großem Wert.
Therapeutisch empfahl Siegheim neben innerlicher oder rektaler Jod¬
verordnung eine energische Quecksilberkur in einer Dauer von drei Monaten,
worauf noch 2—3 Monate lang Jod fortgegeben werden muß. Die Diät
muß der betreffenden Erkrankungsform angepaßt werden.
Zum Schluß führt S. poch die Krankengeschichte eines Falles an,
der sich durch große Hartnäckigkeit und Malignität auszeichnete. Letztere
ergibt sich daraus, daß trotz vieler Kuren noch nach 16 Jahren ein schweres
Rezidiv auf trat. Die Wassermann’sche Reaktion war hier außerordentlich
stark positiv, zeigte also, daß noch aktive Lues bestand. F. Walther.
G. Küß, Verengerungen des Colon descendens im Bezirk des Beckens.
(Revue de Chirurgie, Nr. 8, 1910. ( ) Zu den Teilen des menschlichen Körpers,
welchen im allgemeinen wenig Beachtung geschenkt wird, gehört der unterste
Teil des Colon descendens, die Flexura sigmoidea und das Rektum. Und
doch sind diese Abschnitte häufig genug durch Verwachsungen in ihren
Funktionen behindert und machen dem Kliniker mancherlei Kopfzerbrechen.
Hat man erst einmal solchen Vorgängen seine Aufmerksamkeit geschenkt,
dann ist es nicht mehr allzu schwer, den Faden von entzündlichen Adnex -
erkrankungen, von Prostatitiden, periproktitischen Abszessen usw. zu Ab¬
schnürungen, Verengerungen und anderweitigen Funktionsstörungen des unter¬
sten Darmabschnittes zu spinnen, oder umgekehrt im konkreten Falle die
vorliegenden Beschwerden mit früheren entzündlichen Ereignissen in Zu¬
sammenhang zu bringen. Allerdings, oft genug waren diese so geringfügig,
daß sie sich gar nicht in das Bewußtsein des Patienten hineingedrängt
haben. Indessen, analoge sind ja von den Pleuren und anderen Peritoneal-
abschnitten her zur Genüge bekannt.
Therapeutisch plädiert G. Küß für ein radikales Vorgehen: Laparo¬
tomie, Entfernung des Uterus und der Adnexe, Freilegung des Rektums
usw. Er rühmt davon eine Restitutio ad integrum. Allein es wäre doch
vielleicht der Mühe wert, ein milderes, konservativeres Verfahren zu ersinnen.
In denselben Gedankengang gehört eine kurze Mitteilung von Ferd.
Gangitia.no (La Clinica Chirurgica, Nr. 44, 1910) betr. einen Patienten mii
traumatischer Leberzirrhose, welcher trotz Laparotomie starb. Bei der Ob¬
duktion fand man eine ausgedehnte chronische Peritonitis mit zahlreichen
Verwachsungen und Skleroseprozessen, hauptsächlich um die Milz und die
Venen. Hierin sieht er — und wahrscheinlich mit Recht — die Ursache des
starken Aszites. Aber für den Kliniker ist diese Erkenntnis von noch
höherem Wert, daß derlei chronische Entzündungen lange Zeit symptomlos
verlaufen können und erst, wenn sie eine gewisse Mächtigkeit erreicht und
überschritten haben, klinisch in die Erscheinung treten. Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
O. Foerster (Breslau), Über die operative Behandlung spastischer
Lähmungen mittels Resektion hinterer Rückenmarkswurzeln. (Ther. der
Gegenwart, H. 1, 1911.) Für den praktischen Arzt wird es genügen, darauf
hinzuweisen, daß so etwas gemacht wird, am häufigsten wegen Little’scher
Krankheit (angeborener Muskelstarre), ferner in einzelnen Fällen von Querläsion
des Rückenmarks, spastischer Spinalparalyse, Enzephalitis, Hydrozephalus.
Die besten Resultate sind bei der Little’schen Krankheit erzielt worden.
Fr. von den Velden.
G. R. White (Savannah), Bemerkungen über acht Fälle von Wund¬
infektion mit Bac. aerogenes. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 1, 1911.) Der
auch bei uns bekannte, wenn auch zum Glück selten zur Wirkung gelangende,
obgleich ubiquitäre Bazillus des malignen Ödems scheint in Amerika, besonders
in feuchten, tropischen oder halbtropischen Gegenden, gefährlich zu sein.
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Referate und Besprechungen.
379
Wh. fand ihn in seinen Fällen nie allein, sondern in Verbindung mit anderen,
Bakterien, zumal Proteus vulgaris. Es scheint, daß zur Entwickelung des
malignen Ödems die Anwesenheit abgestorbenen Gewebes nötig ist, Wh.’s Fälle
sind Schußwunden und schwere Knochenzertrümmerungen, außerdem ein
Schlangenbiß, bei dem das Tourniquet bis zum folgenden Tag gelegen hatte,
also ohnehin Gangrän des betr. Beines eingetreten wäre.
In schweren Fällen tritt innerhalb weniger Stunden Tod ein, unter
Entwicklung nur weniger Gasblasen in der Umgebung der infizierten Wunde.
In den typischen Fällen mit langsamerem Verlauf färbt sich die Haut rot¬
braun, bei Pulpation fühlt man Knistern im Unterhautgewebe und später wird
die Haut durch Gasblasen abgehoben. Das Wundsekret ist wässerig, rötlich
oder dunkel und meist übelriechend (woran nicht der Aerogenes sondern andere
Bakterien schuld sind). In diesem Stadium können ohne Schmerz und Blutung
Inzisionen ausgeführt werden. Die Muskeln sind zu einem Brei zerfallen und
von Gasblasen durchsetzt, die Blutgefäße geben nur etwas wässeriges Sekret
Von sich. Etwa die Hälfte der Befallenen ist verloren, die Entscheidung, ob
durch Amputation das Leben erhalten werden kann, ist eine schwierige. Im
übrigen sind multiple Inzisionen und reichliche, eventuell permanente Beriese¬
lung die beste Behandlung. Fr. von den Velden.
Kollier (Leysin), Sonnenkuren bei chirurgischer Tuberkulose. (Paris
medical., Nr. 6, S. 140—147, 1911.) Der therapeutische Einfluß des Lichtes
und insbesondere der Sonnenenergie ist heutzutage kaum noch jemandem un¬
bekannt. Aber trotzdem wird jeder mit Überraschung die Abbildungen der
kleinen Patienten vor und nach der Kur betrachten, wie sie der bekannte
Leiter der Leysinschen Sanatorien (1250, 1350, 1510 m über dem Meer) im
vorliegenden Aufsatz bringt. Alle möglichen Arten der Tuberkulose werden
da vorgeführt, und wtenn man über die Tuberkulin- und Serumwirkungen
verschiedener Meinung sein kann: über diese therapeutischen Erfolge kann
man nicht streiten. Die Kinder werden — natürlich ganz allmählich —
daran gewöhnt, mehr oder minder unbekleidet in der Sonne zu liegen und
frieren dabei offenbar nicht, während der Bewohner der Ebene, der das
Bild ansieht, sich angesichts der Schneefelder und Gebirgswände eines ge¬
linden Fröstelns kaum erwehren kann.
Die relativ geringe Bewertung, welche unsere Zeit für die Haut hat,
läßt die intensive Braunfärbung des Integuments mehr als amüsante Neben¬
wirkung beurteilen. Indessen, wer die enorme physiologische Bedeutung
der Haut erfaßt hat als eines Transformators der dauernd anprallenden
Energien unseres Milieus, wird unschwer zwischen dem mulattenhaften Aus¬
sehen des Patienten und dem geheilten tuberkulösen Ellbogen- oder Knie¬
gelenk eine Verbindungsbrücke konstruieren können, und er wird sich bei
weiterem Verfolgen des Gedankens an die Blaßgesichter unserer Großstadt-
bevölkerung erinnern, welche schon Platon als ecxtatpapqxtoc den frischen,
gesunden und sonnengebräunten f t Xiw[*evoi gegenüberstellte.
Buttersack (Berlin).
V. Pleth u. V. W. Pleth (Seguin, Texas), Anästhesie durch Chinin-
Injektion. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 1, 1911.) Vor dem Kokain hat
das Chinin den Vorzug, in den gebrauchten Mengen ungiftig, billig und
durch Aufkochen leicht sterilisierbar zu sein. Eine 0,5 °/ tJ Lösung von Chinin-
bisulfat oder -hydrobromid kann ohne genaues Nachrechnen der Dosis verwandt
werden. Vor der Einrichtung von Frakturen z. B. injizieren die Verfasser
einige Spritzen zu 5 ccm zwischen die Fragmente und in die Umgebung der
FVaktur, worauf die Operation schmerzlos von statten geht. Die anästhe¬
sierende Wirkung hält lange, bis zu mehreren Tagen an. so daß auch der
Nachschmerz verhindert wird. Deshalb eignen sich die Chinininjektionen
besonders zu Injektionen in die Nerven nach Amputationen: die einzelnen
Nerven werden isoliert und hervorgezogen und in sie und in den Operations-
Stumpf ca. 100 ccm der 0,5% Lösung injiziert. Eine schädigende Wirkung
auf die Gewebe wurde nicht beobachtet. Fr. von den Velden.
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Referate und Besprechungen.
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Waldow, Sparsame Verbände, vereinfachtes Verbinden. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 47, 1910.) Waldow empfiehlt an Stelle der teuren Binden¬
verbände Verbände mit Kollodium. Nach Bedecken der Wunde mit Gaze
legt er etwas Watte auf und darüber zwei Streifen Mull, die an ihren Enden
durch Kollodium auf der Haut, befestigt werden, ebenso an ihrem Kreuzungs-
punkt. Je nach der Körperstelle sind die Verbände natürlich zu modifizieren.
Die Mullstreifen müssen ziemlich straff angezogen werden. F. Walther.
Psychiatrie und Neurologie.
Felix Regnault, Psychische Therapie. (Progr. med., Nr. 49, S. 654,
1910.) Niemand wird auf die Idee kommen, daß die Strategie {nur feinen
Weg kenne, um zum Ziele zu kommen. Aber in der Medizin herrscht trotz
allen Lobpreisungen des Individualisierens ein fataler Hang zum Schemati¬
sieren. Wie beim Verschreiben eines Rezeptes, so muß man sich auch bei
der psychischen Beeinflussung seinen Patienten genau ansehen. Leute Von
mäßigen Geistesgaben sind der Suggestion zugänglich, sie lassen sich von
einer autoritativen Persönlichkeit willig ins Schlepptau nehmen. (Regnatilt.
bemerkt, daß es von solchen Wesen „un grand nombre“ gäbe.) Bei Gefühls¬
menschen wende man sich an die gemütlichen Qualitäten; da sei Überredung
angebracht. Auf Verstandesmenschen dagegen müsse man mit Vernunftgründen
einwirken; allein sehr richtig -fügt R. hinzu, daß auch die intelligentesten
Köpfe im Verlaufe langen Krankseins suggestibel werden, ein Umstand, dem
die katholische Kirche so manche „Bekehrung“ auf dem Totenbett verdankt.
Den Satz: „II faut täter un sujet avant d’entroprendre sa eure“ sollte
jeder Arzt über seinem Arbeitstisch eingraben. Aber er muß dabei eingedenk
sein, daß dieses Sondieren, dieses Auskundschaften in der Medizin wie in
der Kriegskunst täglich vorgenommen werden muß; denn hier wie dort ändert
sich die Situation von Stunde zu Stunde. Buttersack (Berlin).
J. Lhefmite (Paris), Die Narkolepsie. (Tribüne med., S. 789—794,
1910.) Gel ine au war der erste, der jenen eigentümlichen Zustand klinisch
fixierte, in welchem anscheinend gesunde Menschen mehr oder weniger plötz¬
lich von einem unwiderstehlichen Schlafbedürfnis befallen werden und dann
längere oder kürzere Zeit in tiefer Somnolenz daliegen. Das Bild wechselt
bei den verschiedenen Individuen, man kann es aber mit dem Wort: Hyper¬
trophie des Schlafes ziemlich gut charakterisieren. Dementsprechend sind
auch die vegetativen und animalen Funktionen verlangsamt, die Respirationen
sinken auf 10 bis 12, die Pulse auf 50 bis 60, die Pupillen sind erweitert
und reaktionslos, die Sensibilität herabgesetzt, mitunter einseitig erloschen.
Auf energische Reize antworten die Patienten einige Worte, fallen aber
sofort wieder in ihren tiefen Schlaf zurück; manche scheinen zu träumen.
Die Narkolepsie oder Hypnolepsic setzt entweder plötzlich, unvermittelt
ein, etwa während des Gehens oder Sprechens, oder mit einer kurzen Aura,
so daß z. B. ein Dachdecker noch Zeit fand, sich am Schornstein in Sicher¬
heit zu bringen. Die Dauer schwankt zwischen Sekunden und Stunden.
Liier mite bemüht sich, die Narkolepsie von simulierter Schlafsucht,
von Hysterie, Epilepsie, Psychopathien, vom Coma toxicum und von den Zu¬
ständen bei organischen Hirnerkrankungen abzugrenzen. Vielleicht wäre er
weiter gekommen, wenn er nicht die trennenden, sondern die gemeinsamen
Momente herausgehoben hätte; so begnügt er sich mit Iler allgemeinen Er¬
kenntnis, daß die Narkolepsie ein Ausdruck von psychopathischer Konstitution,
sei. Im Banne der deskriptiven Anatomie und der Morgagni-Virch ow’schen
Pathologie, daß jede Krankheit eine bestimmt lokalisierte Sedes morbi haben
müsse, bleiben seine Blicke wie hypnotisiert am Gehirn hängen. Daß /die
Zentralseele, d. h. unsere gesamten geistigen Funktionen durch „das har¬
monische Zusammenwirken und die gegenseitige Hilfeleistung aller Mitglieder
der Genossenschaft“ zustande kommen und von ihnen beeinflußt werden, wie
das Haeckel in seinem Vortrag über Zellseelen und Seelenzellen auseinander-
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Referate und Besprechungen. 381
gesetzt hat, zieht Lhermite nicht in den Kreis seiner Betrachtungen. Freilich,
solch ein Denken wird den meisten ungewohnt und unerlaubt Vorkommen, und
insbesondere die fleißigen Forscher, deren hübsche Farbe-Präparate die Allge¬
meinheit um so bereitwilliger anstaunt, je weniger sie damit anzufangen weiß,
dürften sich gegen solch eine Erweiterung des Horizontes sträuben. Aber
auf alle Fälle sind die Syndrome, welche Lhermite mitteilt, ungemein inter¬
essant und regen den Leser zu eigenem Nachdenken an. Die Analogie mit
dem Asthma liegt z. B. ungemein nahe. Vielleicht gehören dahin die An¬
wandlungen sekundenlangen Schlafens, von denen der größte Naturforscher
der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts gelegentlich mitten in einem wissen¬
schaftlichen Gespräch befallen wurde. Buttersack (Berlin).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
M. Pfaundler (München), Einiges über die Ernährung des gesunden
Säuglings.- (Therap. der Gegenwart, Nr. 1, 1911.) Es ist verkehrt, sich auf
den Instinkt der Brustkinder zu verlassen, denn schon sie neigen dazu, zu viel
zu trinken, wie auch bei Kälbern schwere Schädigungen durch Milchüber-
füttcrung festgestellt sind. Pf. berechnet den Muttermilch bedarf des Säug¬
lings im 1. Quartal auf 1 / 7| im 2. auf V 8 , im 3. auf Vs seines Körper¬
gewichtes.
Was die Ersatznahrung betrifft, so ist Pf. der xAnsicht, daß es schwer
sei, aus einer Kuh ein Weib, und fast so schwer, aus Kuhmilch Menschen-
inilch zu machen. ,,Die Bestrebungen, künstlichen Ersatz für Frauenmilch
herzustellen, sind ein neuzeitliches Korrelat für den Eifer der Alchymisten,
in der Retorte ein kleines Menschlein zu erzeugen.“ Neuere Erfahrungen
deuten darauf hin, daß die (relative) Schädlichkeit der Kuhmilch nicht sowohl
im Eiweiß, wie man bisher glaubte, als in der Molke liegt, doch ist mit
dieser Beobachtung bis jetzt nichts anzufangen. In Rücksicht auf die Qualität
der künstlichen Säuglingsnahrung sind wir ganz auf die Empirie angewiesen,
und was die Quantität betrifft, so möchte Referent auch die Beweiskraft
der Kalorienberechnung anzweifeln, da die Konstante der Ausnützung stets
eine Unbekannte in die Formeln hineinbringt. Dazu stimmt, daß ,.manche
Säuglinge bei knapper Kost dem Rechnungsergebnis zuwider ihr Auslangen
finden und ganz normal zu gedeihen vermögen. 4
Verdünnung und Zusatz von Kohlehydrat ist noch immer das Bewähr¬
teste, die Quantität bestimmt Pf. für den 2.—6. Monat so: Milch Vio des
Körpergewichts, Kohlehydrat 1 / l00 des Körpergewichts, Verdünnung auf ein
Liter, Teilung in fünf Mahlzeiten, von dem aber nur so viel getrunken wird,
als das Kind mag. Diese Mischung gibt indessen nur den Standard ab, von
dom nach Bedarf abgewichen wird. Als Kohlehydrat wird dünner Hafer¬
schleim oder Rohrzucker, Milchzucker, Nährmaltose, Soxhlets Liebigsuppe,
später auch andere Getreidemehle verwandt.
Für Pf. sind also die Milch- und Rahmgemenge nebst obligatem Barlow
sowie die Kindermehle, Pegnin usw., eine Verirrung gewesen.
Fi-, von den Velden.
A. Japha, Über die Anwendung rhythmischer Herzkompression beim
Wegbleiben der Kinder und ähnlicher Zustände. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 47, 1910.) Rhythmische Stöße auf den Brustkorb in der Zahl von 120
in der Minute, die die Herzgegend tief eindrücken, haben schon früher bis¬
weilen bei Synkope in der Narkose gute Erfolge erzielt. Japha hat sie in
verschiedenen Fällen bei Kindern angewendet, bei Kollapszuständen, bei
schweren Pneumonien und vor allem bei Glottiskrampf. Gewöhnlich ver¬
engerten sich zunächst die Pupillen, dann bekam das Gesicht mehr Farbe
und endlich erfolgte der erste xAtemzug. F. Walther.
Rugani, Urin- und Kotinkontinenz im Kindesalter. (Arch. intern, de
lar., Bd. 30, H. 3.) Inkontinenz wird vorzugsweise bei Adenoiden trägem be¬
obachtet und verschwindet mit deren Entfernung. Aber auch die Beseitigung
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Referate und Besprechungen.
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anderer raumbeschränkender Teile in der Nase kann das Leiden heilen. Auch
die Insuffizienz von Drüsenapparaten mit innerer Funktion wird als Ursache
angeschuldigt, und dementsprechend werden von Thyreoidin, Parathyreoidin,
Adrenalin, „Anuresin“ Erfolge berichtet. Daß auch die Erziehung und die
Suggestion Erfolge erzielen, wird leider nicht erwähnt; wer das berück¬
sichtigt, dem erklärt sich die Wirksamkeit organotherapeutischer Präparate
und anderer Medikamente von selbst. Arth. Meyer (Berlin)..
A. Barlocco (Genua), Einfluß des Diphtherietoxins auf die Fettspal¬
tung. (Annali dell’ Lstituto Maragliano, Vol. IV, Fascicolo quarto, S. 203 bis
211, Juli—August 1910.) Setzt man Diphtherietoxin zu neutralem öl oder zu
Öl, welches durch Zusatz von Soda neutral gemacht war, so tritt keine Spal¬
tung ein; wohl aber werden Lezithin Merck, Lezithin Afga und Monobutirin
Berthelot in der Weise gespalten, daß ziemlich erhebliche Quantitäten Säure
frei werden.
Die einzelnen Organe haben ein ganz verschiedenes Fettspaltungsver¬
mögen. Es scheint, daß dasselbe unter dem Einfluß des Diphtherietoxins zu-
nimmt; man kann dasselbe somit als positiven Katalysator ansprechen.
Buttersack (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
E. Lumpert (Basel), Zur Frage der rezidivierenden Prostatahypertrophie
nach Prostatektomie. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 3, 1911.)
Sektionsbericht eines Kranken, an dem wiederholt Prostatektomie ausgeführt
war und der an Urämie infolge von Harnverhaltung verstarb. Die Prostata
hatte sich vollständig regeneriert, und zwar durch ziemlich normales, nicht
etwa malignes Gewebe, obgleich nur ein kleiner Rest bei der letzten Operation
zurückgeblieben ‘war.
Auch bei der totalen Prostatektomie bleiben kleine Reste Prostatagewebe
zurück, die bei der starken Tendenz derselben zur Regeneration wieder zu
Blasenbeschwerden führen können; ist die Prostatektomie nur partiell, so
kann die Stenose sehr bald wieder eintreten. Für die Prostatahypertrophie
wird gewöhnlich ein entzündlicher Ursprung angenommen, sicherlich kann
sie aber auch durch Proliferation des Prostatagewebes eintreten.
Fr. von den Velden.
Zelenew, Zur Behandlung der Syphilis mit dem Ehrlich-Hata’schen
Arsenpräparat „606“. (Russische Zeitschrift für Haut- und Geschlechts¬
krankheiten, Bd. 19, 1910.) Neben den vielfachen Veränderungen, die unter
dem Einfluß des Dioxydiamidoarsenobenzols innerhalb der primären, kondy-
lomatösen und gummösen Periode vor sich gehen, hebt Verfasser die bemerkens¬
werte Tatsache hervor, daß große Lymphdrüsen des ersten und zweiten Stadi¬
ums durch lange Zeit hindurch unbeeinflußt bleiben und einige luetische
Affektionen, wie das Leukoderma, überhaupt unverändert bleiben. S.
konnte auch eine Reihe von Haut- und Schleimhautsyphiliden beobachten,
die jeder Behandlung mit Arsenbenzol trotzten. Schiess (Marienbad).
Bücherschau.
Hans Hahne (Hannover), Das vorgeschichtliche Europa, Kulturen und Völker.
Band 30 der Monographien zur Weltgeschichte. Bielefeld und Leipzig 1910.
Verlag von Velhagen & Klasing. 121 S. 4 Mk.
Der Arzt, insofern er sich darauf beschränkt, dem leidenden Individuum
Hilfe zu leisten, ist, wie dieses selbst, ein vorübergehendes Wesen. Diese Aufgabe,
welcher wir unser Leben gewidmet haben, ist schön, aber sie braucht uns deshalb
nicht völlig zu absorbieren. Wir können, ja wir müssen neben dem Einzelwesen
auch seine räumliche und zeitliche Umgebung in unseren Horizont fassen. Der
Arzt darf nicht bloß Anatom, er muß auch Philosoph sein, wenn er über den
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Büch erschau.
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Augenblick hinaus wirken, wenn er den Augenblick verstehen will. Das Bild des
Moments ist nichts, der Zusammenhang alles. Die Frage: Warum? ist der erste
Schritt zur philosophischen Betrachtungsweise, und wie endlos deren Gebiet sich
erstreckt, erfahren wir mit jedem Fortschritt mit neuer Gewalt.
Es will mir scheinen, als ob die Form, in welcher heutzutage Biologie und
Medizin betrieben werden, etwas einseitig bestimmte Richtungen bevorzuge.
Sicherlich haben viele Ärzte in der Tiefe ihres Herzens sich bei aller Hochachtung
mikroskopischer Studien eine stille Liebe für weitere Horizonte, für den unendlichen
Welleuscnlag der Zeit bewahrt und nur widerstrebend beugen sie sich dem Haiti,
welches uns die überlieferte Historie an den Königsgräbern der Pyramiden und an
den Ruinen von Babylon zuruft. Und doch ist es möglich, die Geschichte und
die Spuren des Menschengeschlechtes noch ungleich weiter zurückzuverfolgen und
die Überlieferung mittels greifbarer Dokumente zu kontrollieren und richtig zu stellen.
Es ist kein bloßer Sport, wenn die Archäologen den Boden durchwühlen nach
Resten ehemaliger Bewohner. Die Funde bilden in ihrer Zusammenstellung einen
Faden, au welchem wir die Kulturen und Schicksale längst dahingeschwundener
Völker verfolgen können. Und wie überraschend sind die Ergebnissei Nicht mehr
Indien und die Himalayatäler ergeben sich als Wiege unseres Geschlechtes, sondern
Mittel- und Südfrankreich. Die Dordogne und La Madeleine bergen die ersten
Spuren menschlicher Tätigkeit, und entsprechend den sich ändernden klimatischen
Verhältnissen schoben sich die Horden nach dem heutigen Mitteleuropa vor. Die
Forschung unterscheidet dann nach der Form der Verzierungen au ihren Gefäßen
die Band-Keramiker als die osteuropäische Gruppe, und die Tiefstich-Keramiker
der Ostseegruppe. Immer weiter wandernd erreichten die ersteren die vorderasiatischen
Länder; sie treten als Meder, Perser, Baktrer, Pursta in die Geschichte ein, auch
die Slawen und manche asiatische Stämme sind sprachgeschichtlich als (Ost-)Indo-
germanen aufzufassen.
Von der Ostseegruppe begegnen wir den Helden der Mykenischeu Periode,
den Griechen, den Skythen, den Pelasgern, Etruskern, Römern, Thrakern und
Kimeriern, sow’ie den hartnäckigen Feinden Roms an der unteren Donau, den Dakern.
Indessen nicht bloß auf tote Beweisstücke, auf Gefäßscherben, Gewandnadeln
und Schwertgriffe gründet sich diese Betrachtung. Auch die lebendige Beschreibung
jener Völker in Wort und Stein läßt erkennen, wo Völker indogermanischen
Stammes erschienen sind. Blond war Pallas Athene, goldhaarig, blauäugig nnd
wie aus Elfenbein ihre Haut. Blond und schlankgewachsen waren die berühmten
griechischen Schönheiten, hellhäutig und groß, mit langem, schmalem Gesicht die
Hindu und die Perser; blond und schlank waren die Helden Homers, und blond
und schlank Alexander der Große, dessen Mutter ja eine westindogermanische
Illyrierin war. In den Büsten aus der Zeit des Perikles und aus der Zeit der
Größe Roms erkennen wir unseren eigenen Typus wieder; und verrät nicht auch
das wärmere Interesse, der schnellere Herzschlag bei den Kämpfen jener Völker,
daß sie uns näher stehen, verwandter sind als die Häuptlinge der Mongolen, als
die Pharaonen oder die Sprossen Sem’s?
Wie das Dampfschiff und der Telegraph die einzelnen Erdteile räumlich
näher aneinanderfügen, so sehen wir, wie die stille, emsige Forschung der Archäologen
die einzelnen Zeitabschnitte unserer europäischen Welt zusammenrückt und verknüpft.
Nicht mehr stehen wir einem unbegreiflichen Chaos von Mythen, Sagen, Über¬
lieferungen und einseitiger historischer Berichte gegenüber, sondern wir vermögen
Jahrhundert für Jahrhundert politisch und kulturell zu verfolgen und gewinnen
dadurch allmählich auch einen Einblick in die psychischen Qualitäten jener Menschen
lange vor Beginn jeglicher Geschichte. Was sind wir Heutigen in diesem Strom
ohne Anfang und ohne Ende, in diesem ewigen Kommen und Gehen? Die Einzel¬
erscheinung ist nichts, der Zusammenhang alles. Buttersack (Berlin).
0. Pupini, Portorose in Istrien. Klimatischer Kurort, See- u. Solbad. Mit 12 Abb. u.
2 Kärtchen. Wien u. Leipzig. Verlag von A. Hartleben. 48 S. 1 Kr. = 1 Mk.
Der Verfasser dieses Buches ist bestrebt, durch dasselbe die allgemeine Auf¬
merksamkeit auf Portorose (Istrien) als klimatischen Kurort, See- und Solbad zu
lenken, seine Vorzüge auch in therapeutischer Hinsicht hervorzuheben und so Arzte
und Publikum auf diesen in jeder Weise als See- und Solbad bevorzugten Kurort
zu verwaisen. Durch seine Praxis als leitender Arzt des dortigen Sanatoriums
konnte er diesem, in der herrlichen Bucht von Pirano gelegenen, vor Winden und
plötzlichen Temperaturänderungen geschützten Kurorte seine Studien widmen und
auch durch Jahre baineologischen Beobachtungen obliegen.
Das Buch soll iu erster Linie ein Hinweis über den speziellen und eigen¬
artigen Wert dieses Kurortes für den Arzt sein, aber auch dem heilsuchenden
Publikum zur Orientierung dienen. Neumann.
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884 Bücherschau.
Sigm. Freud, Zentralblatt für Payohoanalyae. Medizinische Monatsschrift für
Seelenkunde. Wiesbaden 1911. Verlag von J. F. Bergmann. Jährlich 15 Mk.
Neben dem Jahrbuch für Psychoanalyse erscheint jetzt auch das Zentralblatt,
von dem Heft 1/2 vorliegt. Wer von den Eigentümlichkeiten der Freud’gchen
Methode noch keinen Begriff hat, dem ist zu raten, daß er sich wenigstens dieses
Probeheft ansieht. Es bringt zunächst einen kurzen Aufsatz von Freud selbst,
in dem sich der Satz befindet: „In ihren Anfängen war die psychoanalytische Kur
unerbittlich und erschöpfend. Der Patient mußte alles selbst sagen, und die Tätir-
keit des Arztes bestand darin, ihn unausgesetzt zu drängen. Heute sieht es freund¬
licher aus. Die Kur besteht aus zwei Stücken, aus dem, was der Arzt errät und
dem Kranken sagt, und aus der Verarbeitung dessen, was er gehört hat von seiten des
Kranken“. Man sieht daraus, daß Freud etwas Wasser in seinen Wein getan hat.
Es folgen Aufsätze von Adler über die psychische Behandlung der Trigeminus¬
neuralgie und von Pfarrer Pfister über den hysterischen Madonnenkultus, sowie
kürzere Mitteilungen und Besprechungen. Neben den Extremen, die alles „aus
einem Punkte“ erklären, kommen auch Gemäßigte zu Wort, die den Nachdruck
darauf legen, die krausen Gedankengänge des Kranken zu entwirren, um durch
deren Verständnis sich den Weg zu psychischer Beeinflussung zeigen zu lassen.
An mancherlei Kuriosis, die dieser psychoanalytischen Bewegung anhaften, fehlt
es natürlich auch hier nicht. Fr. von den Velden.
R. H. Chittenden, Ökonomie in der Ernährung. Deutsch von Suchier. München
1910. Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 60 Pfg.
Suchier, der uns vor einigen Jahren die interessante Broschüre über die
Ernährungsweise der Trappisten bescherte, hat sich das Verdienst erworben, da*
bis jetzt nur englisch vorliegende Werk Chittenden’s zu verdeutschen, daß in
knapper und anspruchsloser Form über seine großartigen Stoffwechselversuche be¬
richtet Er zeigt in einwandfreier, mit allen technischen Hilfsmitteln arbeitender
Weise die Richtigkeit dessen, was wir ja alle wissen, wenn wir es auch gewöhnlich
für uns behalten, weil es niemand gerne hört: Daß wir nämlich alle viel zu viel
und besonders zu viel Eiweiß verzehren, und daß wir bei Beschränkung auf das
Optimum uns an Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Beutel besser befinden würden.
Die von Chittenden gefundenen Zahlen (die Voit’schen Zahlen sind für Eiweiß
um die Hälfte, für stickstofffreie Nahrung bei körperlichen Arbeitern um 30%
bei geistigen um 60°/ o zu hoch) sind oft genug erwähnt worden und es soll hier
nicht näher auf sie eingegangen, sondern zum Studium des Heftchens angeregt
werden, das in seiner sachlichen temperamentlosen Weise Tatsachen von außer¬
ordentlicher Wichtigkeit bringt, die, wenn es gelänge, ihre praktische Beachtung
durchzuführen, das sogenannte irdische Jammertal zu einem relativ behaglichen
Orte machen könnten. - Fr. von den Velden.
Mitteilungen.
Ein Denkmal für Heinrich Curschmann. Am 6. Mai jährt sich der Tag, an dem
der ehemalige Ordinarius der speziellen Pathologie und Therapie der medizinischen
Fakultät an der Universität Leipzig und Direktor der medizinischen Klinik, Geh.
Rat Prof. Dr. med. Curschmann, infolge einer akuten Nierenentzündung mitten
aus seiner Tätigkeit heraus im noch nicht vollendeten 64. Lebensjahre plötzlich
und unerwartet durch den Tod abgerufen wurde. Allen denen, die als Kranke
oder als um das Wohl eines Angehörigen Besorgte Gelegenheit hatten, dem selbst¬
losen Menschenfreunde näher zu treten, wird seine vertrauenerweckende Persönlich¬
keit noch heute in voller Erinnerung sein. Aber auch seinen Schülern und Freunden
war er ein leuchtendes Vorbild unermüdlichen Schaffens und eines in seinem Berufe
ganz aufgehenden Forschers. Um nun seinem Andenken ein dauerndes Denkmal
zu setzen, sind seine speziellen Freunde und Schüler zusammengetreten: Und zwar
gedenken sie ihm im Krankenhause zu St. Jakob, als der vorwiegendsten Stätte
seines langjährigen und erfolgreichen Wirkens, seine Marmorbüste zu errichten.
Diese soll nach einem Entwurf Prof. Max Lange, Leipzig geschaffen werden,
und, entsprechend drei anderen schon aufgestellten Büsten von Wunderlich,
Wagner und Thiersch, im Rondel des Krankenhausgartens Aufstellung finden.
Die hierzu erforderlichen Geldmittel, ungefähr 5500 Mk., sollen durch freiwillige
Beiträge ehemaliger Schüler, Freunde usw. aufgebracht werden. Der Tag der
Enthüllung des Denkmals dürfte womöglich schon der 28. Juni, der Geburtstag
des Verstorbenen sein. -
Die Schriftleitung befindet sich jetzt in Darmstadt, Grüner Weg Nr. 86.
Alle für die „Fortschritte der Medizin“ bestimmten Sendungen bitte ich dorthin unter
meiner Adresse zu richten. Dr. Ri gl er.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
fortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
henusgegeben von
Prormor Dr. «. Hötttr Pric.-Dox. Dr. p. Erlegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 17.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark (I
für das Halbjahr. || 27, April.
- Verlag von Georg Thleme, Leipzig. :- ||
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Abstinenz oder Temperenz?
Von Dr. Abramowski, Kreisassistenzarzt, Gilgenburg (Ostpreußen).
Eine der brennendsten hygienischen Fragen ist zweifellos diejenige,
ob wir besser daran tun abstinent oder mäßig rücksichtlich des Alkohol¬
genusses zu leben. Der Alkohol hat zumal bei permanenter Zufuhr mit
vielen anderen Giften die Eigentümlichkeit gemeinsam, daß er nicht immer
in gleichen Organsystemen die wesentlichsten anatomischen Veränderungen
zu erzeugen braucht. Das geht aus den Folgen des chronischen Alkoholismus
hervor, bald zeitigt er eine Herzaffektion, bald eine Leber- oder Nieren¬
zirrhose, dann wieder ruft er eine Erkrankung des ganzen oder eines Teiles
des Zentralnervensystems hervor, oder er bedingt eine chronische Er¬
krankung des Intestinaltraktus, speziell des Magens. Wahrscheinlich
ist hierbei, daß der Alkohol, der auf mehrere Organe schädlich wirkt,
ein schon geschwächtes Organ schwerer lädieren wird als ein gesundes.
Wenn nun aber auch die Erkrankung eines Organs, das besonders affiziert
ist, das Krankheitsbild beherrscht, so lehren doch die klinischen Wahr¬
nehmungen und die Autopsien, daß niemals ein Organ allein verändert
ist, es zeigt sich vielmehr regelmäßig, daß bei demselben Individuum ein
weitverzweigter Komplex manigfaltiger, tiefer Schädigungen der ver¬
schiedensten Gewebe und Organe gleichzeitig vorkommt. Immer aber
übernimmt ein Organ oder eine Organgruppe sozusagen die Führerschaft.
Hierin liegt aber gerade sehr viel Verhängnisvolles; der regelmäßige,
mäßige Trinker sieht seine Leberschwellung, seine geringe Herzaffektion
als etwas nicht so Schlimmes an, zumal ihm ein gewisses Quantum, das
er täglich trinken darf, vom Arzte gewöhnlich erlaubt ist. Karlsbad
oder Nauheim wird das schon wieder gut machen, und man muß doch
als Mensch leben, man hat gesellschaftliche Verpflichtungen und darf
nicht zum Sektierer und Fanatiker herabsinken. Daß man aber auch
Nerven und Blutgefäße hat, erfährt man gewöhnlich erst, wenn es zu
spät ist. Auf diese Weise gehen unzählige Menschen, die regelmäßig
getrunken haben, ohne jemals Säufer gewesen zu sein, vor der Zeit
zugrunde. Der Laie ist eben über die Folgen des regelmäßigen Alkohol¬
konsums noch lange nicht genug unterrichtet, da die eigentliche Alkohol¬
bewegung sich gegen die Potatoren richtet; wäre er das, so würde er
sich in den meisten Fällen hüten, die scheinbare der Bierbank¬
simpelei oder des unschuldigen kleinen Weinfrühschoppens mit einem
oft frühzeitigen Ende zu bezahlen.
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Nach Fürer’s Versuchen zeigte sich, daß ein ganz geringer Rausch
die geistige Leistungsfähigkeit auf 24—26 Stunden beeinträchtigt. Nach
Ablauf dieser Zeit wird aber bei dem regelmäßig, wenn auch in kleinen
Quanten Alkohol genießenden Menschen in der Regel ein neuer Reiz
durch erneute Alkoholzufuhr gesetzt. Somit tritt eine Kumulativwirkung
ein, noch bevor die Störung des ersten Reizes ausgeglichen ist, wirkt
der neue Reiz ein; aber auch wenn dieses nicht der Fall ist, sondern
erst dann wieder eine neue Alkoholzufuhr .stattfindet, wenn der erst¬
genossene Alkohol gänzlich ausgeschieden ist, hält seine schädliche Wirkung
auf die Zelle noch lange Zeit an, so daß der neue, vielleicht nach einigen
Tagen applizierte Reiz doch immer eine noch nicht restituierte Zelle
trifft. (A. Bär, Über die Trunksucht, ihre Folgen und ihre Bekämpfung,
Berlin 1906). Auf diese Weise kommt es, daß bei der andauernden
Zufuhr kleiner Dosen Alkohol je nach den begleitenden äußeren Um¬
ständen und nach der individuellen Disposition alle Organe und Gewebe
des Organismus krankhafte Veränderungen erleiden, nur daß, wie gesagt,
diese Veränderungen gewöhnlich nur in bestimmten Organen oder Organ-
gruppen, entsprechend ihrer größeren Debilität, sinnfällig manifest weiden.
Bei dieser geringeren Organ- und GewebsWiderstandsfähigkeit überhaupt
spielt die Erblichkeit zweifellos eine große Rolle, die Disposition zu
Larynxkatarrhen, ein schwacher Magen, gichtische Veranlagung, leichte
Erregbarkeit des Nervensystems usw. sind erwiesenermaßen oft erblich.
Dieser Art erblich belastete Menschen sollten prinzipiell niemals Alkohol
— auch nicht in geringsten Mengen — zu sich nehmen, sie bilden die
erste Gruppe der unbedingt Ausscheidenden. Dann aber neigen auch
sehr viele Personen zu genannten und anderen Erkrankungen, ohne daß
Erblichkeit vorliegt, wobei ich besonders die durch Überarbeitung und
andere Insulte erworbene Schwäche des Nervensystems im Auge habe
Solche Menschen haben eine sehr geringe Resistenz gegen Alkohol, sie
sind intolerant gegen denselben. Sie bilden die zweite ebenfalls un¬
bedingt ausscheidende Gruppe.
Man kann es heute als eine unbestrittene Tatsache hinstellen, daß
die Trunksucht der Erkrankung an Tuberkulose den Boden vorbereitet,
aber nicht nur diese, sondern auch das mäßige, regelmäßige Trinken ist
zunächst einmal allen denjenigen zu untersagen, in deren Familie die
Schwindsucht erblich ist, denn eben jene erwähnte alkoholische Zell¬
imprägnation ist es, welche die Lunge noch weniger widerstandsfähig
macht, als sie es schon von Hause aus ist, auch diese kommen für
den mäßigen Alkoholgenuß ganz in Wegfall. Daher ist der Alkohol auch
in unseren Sanatorien verschwunden, oder sollte sobald als möglich
daraus verschwinden, wo es noch nicht der Fall ist. Aus demselben
Grunde sollten alle Personen, die in einer tuberkulösen Sphäre leben, als
Anstaltsärzte, Pflegepersonal usw. gar nicht trinken, da sie auch durch
mäßigen Alkoholkonsum leicht eine Disposition zu Pharynx- und Larvnx-
katarrhen erwerben können, und die so affizierten Organe die Empfäng¬
lichkeit für das spezifische Virus sehr erheblich erleichtern.
Für denjenigen, welcher Lues akquiriert hat, ist es unerläßlich, daß
er während der Kur ganz abstinent lebt, so sah Lang (Lang, Prophylaxe
und Therapie der Syphilis, Wiesbaden 1896) auch bei mäßigen Dosen
Alkohol noch nach Wochen und Monaten keine Spur einer Rückbildung,
ja im Gegenteil, sogar Verschlimmerung auftreten, bei solchen Patienten
war eine Heilung erst dann zu erzielen, wenn sie auf die Klinik ge¬
nommen wurden. Als Gegenstück führt der genannte Forscher an, daß
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Abstinenz oder Temperenz?
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nach Fernhalten aller irrationellen Lebensweisen, speziell jedes Alkohol¬
genusses, allein öfters völlige Heilung eintritt, ohne daß gleichzeitig eine
allgemeine Kur eingeleitet worden wäre. Es ist nicht unwahrscheinlich,
meint er, daß manche Erfolge, welche durch vegetabilische Mittel, durch
den kurgemäßen Gebrauch von Wässern und Bädern bei Erkrankungen
erreicht worden sind, die anderen Behandlungsmethoden getrotzt hatten,
auf die Befolgung strenger hygienischer Vorschriften, speziell auf gänzliche
Alkoholenthaltung zurückzuführen sind. Der Einwurf, daß ein solches
Vorgehen grausam wäre, man sollte den „ Verunglückten“ wenigstens die
Freuden eines mäßigen Alkoholgenusses belassen, ist ganz unberechtigt,
die Euphorie, welche mit der Abstinenz Hand in Hand geht, wird ihn
im Gegenteil sein Schicksal leichter tragen lassen. Aber auch im Hinblick
auf die im Hintergründe lauernden Nachkrankheiten der Lues ist es un¬
bedingt nötig, daß die Zellen des Organismus, speziell des Zentralnerven¬
systems, vor jeder Schädlichkeit bewahrt werden, besonders aber vor
einem so verhängnisvollen Gifte, wie es der Alkohol ist. Ich will es
mit der Heranziehung dieser uns am meisten angehenden Erkrankungen
genug sein lassen, man könnte dieses Kapitel noch weit ausbauen, jedoch
immer mit demselben Resultat, daß bei gänzlichem Alkoholfortfall die
Heilungsauspizien viel günstiger sind. Nur die Gicht will ich noch be¬
sonders erwähnen, schon damit die Arthritiker mich nicht der Ober¬
flächlichkeit zeihen, es ist eine ganz banale Empirie, daß Totalabstinenz
das souvräne Remedium hierbei darstellt.
Ich komme jetzt zu dem Hauptpunkt meiner Betrachtung: Tut
der ganz gesunde Mensch besser daran, Abstinent oder Temperenzler zu
sein? Diese Frage beantworte ich im Anschluß an die Meinung vieler
bedeutender Männer und auf Grund meiner eigenen Beobachtungen und
Erfahrungen mit einem uneingeschränkten ja und zwar aus folgenden
Gründen: Für die Ernährung hat der Alkohol das Bedenkliche, daß
selbst schon kleine Mengen die Ausnutzung der Nahrungsmittel ent¬
schieden herabsetzen (Hüppe, Handbuch der Hygiene, Berlin 1893).
Infolge dieses Umstandes ernähren sich enthaltsame Leute mit geringer
Nahrung besser als Alkoholiker mit reichlicher Nahrung und auf diesem
Umstande beruht ganz sicher die Mehrzahl der Mißverständnisse von
Nordländern über die Ernährung von Südländern und besonders auch
über die Ausnützung von pflanzlichen Nahrungsmitteln (Rubner). Auch
der geringste fremdartige Reiz bleibt nicht ohne Wirkung und ohne
Folgen, wenn er sich Tag für Tag gleichmäßig wiederholt. Er wird leicht
eine Gefahr und ist bereits eine solche, wenn eine physiologische Funktion
ohne seine Mitwirkung nicht mehr in exakter Weise vor sich geht, wenn
ohne den gewohnten Alkohol z. B. der Appetit nicht mehr ein so lebhafter
ist als mit demselben. Das ist aber bei außerordentlich vielen Menschen
der Fall, die beileibe keine Trinker sind; selbst dem vornehmen Russen
schmeckt keine Mahlzeit, wenn er nicht vorher ein „ Wässerchen“, einen
Wodtka trinkt. Bei uns geschieht das vielfach nach dem Essen. Für
die Erhaltung der körperlichen Gesundheit ist der Alkohol in keiner Be¬
ziehung notwendig. Man spricht vielfach von einer sogenannten physio¬
logischen Alkoholdosis, d. h. von einer Alkoholdosis, welche ohne jede
Schädigung dem Organismus einverleibt werden kann und keine patho¬
logischen Erscheinungen in demselben hervorruft. Als solche Dosis hat
man diejenige bezeichnet, welche in 24 Stunden genossen, im Organismus
vollkommen oxydiert und in keiner Spur im Urin mehr nachgewiesen
werden kann (Parnes und Wollovicz). Diese Dosis entspricht etwa
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J / 2 1 Rheinwein oder 1 1 Bier = 30—45 g absolutem Alkohol. Alle
Physiologen und Hygieniker stimmen aber darin überein, daß diese
Menge bei täglichem Genuß keineswegs eine physiologische ist, sondern
schon sehr wohl geeignet ist, erhebliche irreparable Schädigungen hervor¬
zurufen, sie bildet somit eine entschiedene Gefahr, und doch entspricht
dieses Quantum nur dem Konsum eines recht mäßig lebenden Menschen,
der Durchschnitt der männlichen Bevölkerung trinkt namentlich im
Sommer erheblich mehr, und kann das auch ruhig tun, ohne eine berufliche
oder gesellschaftliche Einbuße zu erleiden. Eine große Gefahr des
mäßigen Trinkens liegt auch darin, daß die Grenzen schwer festzusetzen
sind und oft nicht eingehalten werden, was ganz besonders bei gleich¬
zeitig unzureichender Ernährung und großen körperlichen Anstrengungen
der Fall zu sein pflegt. Der von den Blaukreuzlern gern gebrauchte
Satz: Mäßigkeit ist der erste Schritt zur Unmäßigkeit, hat daher viel
für sich oder vulgär au.sgedrückt, viele wissen nicht, wann sie „genug
haben“. Man gewöhnt sich auch tatsächlich an nichts leichter als an
das bloße Wassertrinken, weil schließlich wirklicher Durst doch nur durch
Wasser gelöscht wird (Hüppe).
Daß wir im Alkohol ein Nahrungsmittel zu erblicken haben, glaubt
heutigentags kein gebildeter Mensch mehr und ich will, anstatt lange
dabei zu verweilen, mich auf die Anführung der Worte von Krassewitz
und Rubner beschränken, von denen der erstere sagt: „Eine Substanz,
die ein Gift ist, kann nicht zugleich ein Nahrungsmittel sein“; und der
letztere: „Wegen seiner Nebenwirkungen auf dem Gebiete des Nerven¬
systems wird man ihn überhaupt nicht mit dem Namen Nahrungsstoff
bezeichnen dürfen“. Wenn trotz dieser Bekenntnisse noch immer breite
Volksschichten durch gewissenlose Interessenten durch Ausdrücke wie
„flüssiges Brot“ usw. irregeführt werden, wie das erst jüngst bei einer
Protestversammlung der Brauereibesitzer in München gegen die Erhöhung
der Biersteuer der Fall war, so liegt darin eine große Gefahr. Der
Redner war ein kaufmännischer Direktor, ein gebildeter Mann, wohl
sprach er pro domo, mußte vielleicht pro domo sprechen, immerhin aber
liegt doch eine bewmßte Irreführung des Publikums vor, die meines
Wissens nach nicht einmal aus dem gegnerischen 'Lager in gebührender
Weise beleuchtet worden ist. Völlig unbegreiflich aber, ja sträflich ist
es, w r enn selbst Ärzte dem Alkoholgenuß das Wort reden. Folgender
Seelenerguß eines in weitesten Kreisen sehr beliebten und gesuchten Arztes
sei als trauriges Kuriosum dafür angeführt:
„Diese Besprechung (die Besprechung bezieht sich auf das Opfern
einiger Stunden der Nachtruhe bei fröhlichem Becherklange) führt mich
auch gleich zu der Frage, wie steht es mit dem Alkoholgenuß an der
See, ist derselbe verboten oder gestattet? Die moderne Richtung neigt
ja entschieden mehr zur Enthaltsamkeit oder sogar in einigen Auswüchsen
zur Abstinenz und mit diesem Ausdrucke habe ich meinen Standpunkt
w^ohl gleich zur Genüge gekennzeichnet, Abstinenz von geistigen Ge¬
tränken zu predigen, ist überhaupt ein Zeichen mangelnder Erkenntnis
psychischer und physiologischer Vorgänge im menschlichen Organismus
wie aber auch der Lebenserscheinungen und Lebensbetätiguug der um¬
gebenden Allgemeinheit; fast jeder Abstinenzler ist oder wird seelisch
krank und körperlich schwach, weniger widerstandsfähig und schaffens¬
freudig wie ein Temperenzler, er ähnelt in mancher Beziehung einem
echten Potator“ usw. (Sanitätsrat Dr. Artur Hennig, Die wissenschaft¬
liche und praktische Bedeutung der Ostseebäder, Leipzig 1907). Als
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Abstinenz oder Temperen/.?
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ich diese Zeilen „mit einem heitern, einem nassen Auge“ (Hamlet) las,
stand es hei mir sogleich fest, daran keine Kritik zu üben. Der große
Unterschied zwischen dem gewöhnlichen nützlichen Nahrungsmittel und
dem stimulierenden Alkohol ist, daß das erstere anregt und nährt, das
letztere anregt und erschöpft (Bär). Man denke an die unter Einhaltung
strenger Manneszucht und Abstinenz vollbrachten großen Taten vieler Feld¬
herrn wie Cromwell und Gustav Adolf, die Buren, Nansen, Sven Heddin
und viele andere. Nicht Temperenz, sondern Abstinenz hatten sie auf
ihre Fahnen geschrieben, Sven Heddin sagt an einer Stelle von „Im
Herzen von Asien“, daß es ganz unmöglich gewesen wäre, die schier
übermenschlichen Anstrengungen bei dem geringsten Alkoholgenuß zu
überstehen. Jeder, der sich im Renn-, Ruder-, Rodel- oder sonstigen
Sport trainieren will, läßt zunächst den Alkohol beiseite. Noch viel mehr
gilt das von geistiger Arbeit, wer wirklich angestrengt zum Examen
arbeitet, wer viel und verantwortungsvoll sprechen muß, wird gewöhnlich,
wenigstens vorübergehend zum Abstinenten; daß es Männer gegeben hat
wie z. B. Goethe und Bismarck, die beides zu vereinigen gewußt haben,
ändert hieran nichts, das sind Titanen, mit denen wir uns nicht ver¬
gleichen können.
Daß der Alkohol bei schon bestehenden Krankheitszuständen in
der Hauptsache ganz zu verwerfen ist, haben wir gesehen, es bleibt
noch zu beweisen, daß er aber auch sehr wohl imstande ist, Krankheiten,
auch in kleinen Dosen, hervorzurufen. Das eigentliche Wesen der
Ätiologie der Arteriosklerose ist noch fast ganz in Dunkel gehüllt, daß
aber neben anderen Momenten die toxische Einwirkung des Alkohols
auf die Gefäßwand eine Rolle spielt, wenn auch vielleicht nicht die
Hauptrolle, ist als feststehend zu betrachten, ebenso feststehend ist es,
daß hierbei wieder gerade das regelmäßige Trinken, das sich in durchaus
mäßigen Grenzen halten kann, das hauptsächlich schädigende Moment
darstellt. Woher auch sonst die bei weiten größere Häufigkeit der Arterien¬
erkrankung beim männlichen Geschlecht? Die Säufer sind es nicht,
unter denen sie ihre Opfer fordert, denn diese werden meistens von
anderen interkurrenten Krankheiten hinweggefegt, ehe sie in dasjenige
Alter gelangen, in dem sich die genannte Krankheit in der Regel entwickelt.
Es ist ja auch nicht nur das Gift Alkohol ätiologisch beteiligt,
andere Gifte üben dieselbe Wirkung aus, so das Blei und das Mutter¬
korn. Ja selbst wenn die Beteiligung des Alkohols beim Zustandekommen
der Arteriosklerose noch nicht sichergestellt wäre, wie einzelne indessen
mit Unrecht immer noch behaupten, so täten wir doch gut, ihm suspekt
gegenüberzustehen, schon auf die Vermutung hin, daß er zur Entstehung
dieses so enorm verbreiteten Leidens beitragen könnte. Bestehende
Arteriosklerose, auch das ist gewiß, wird jedenfalls durch Alkohol sehr
nachteilig beeinflußt.
Daß mäßiges Trinken beim ganz gesunden und erblich nicht be¬
lasteten Menschen Tuberkulose erzeugen kann, es sei denn auf Grund
des langen Kneipensitzens in verbrauchter, infizierter oder zugiger Luft
und der damit Hund in Hand gehenden Aquisition von Katarrhen der
Luftwege, glaube ich nicht, die Erfahrung des täglichen Lebens spricht
keineswegs dafür.
Daß sich Gicht nicht sowohl bei Potatoren, als vielmehr bei den
regelmäßig, wenn auch nur bei den mäßig trinkenden Personen mit Vor¬
liebe einstellt, ist ja allgemein bekannt, ebenso wie es bekannt ist, daß
der Alkohol der schlimmste Feind des Gichtkranken ist, Gichtkranke
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Abmmowski, Abstinenz oder Temperenz?
selbst geben die schädliche Wirkung von Kneipereien regelmäßig zu.
Daß auch eine luxuriöse Lebensweise dazu kommen muß — Arthritis
divitum — wird in neuerer Zeit immer mehr und mehr in Abrede ge¬
stellt und wohl mit Recht. Der Alkohol ist es, welcher die vollständige
Oxydation der Eiweißstoffe hemmt und daher stammt der Überschuß
der Harnsäure im Blut. Versuche, welche Pfeifer an Gesunden an¬
gestellt hat, haben ergeben, daß nach einem Alkoholexzesse für mehrere
Tage die freie Harnsäure im Blut vermehrt ist, was mangelhaftes Zerstört¬
werden der in den Geweben gebildeten Harnsäure anzeigt. Der Alkohol
bringt also beim Gesunden die Verhältnisse des Gichtkranken hervor.
(Pfeifer, Bedeutung der Stoffwechselkrankheiten, Jena 1902).
Daß der Alkohol als Irritament beim Zustandekommen des Krebses
eine außerordentliche Rolle spielt, wobei das sich auf Dezennien er¬
streckende mäßige Trinken in Betracht kommt, unterliegt für mich keinem
Zweifel, da ich aber erst kürzlich eine Arbeit darüber in der „Zeitschrift
für Krebsforschung“, Bd. 10, H. 2, veröffentlicht habe, will ich mich
nicht an dieser Stelle wiederholen. (Disposition und Irritation bei Krebs.)
Daß ganz gesunde Nerven auch durch kleine Dosen Alkohol,
namentlich beim weiblichen Geschlechte, mn von Kindern gar nicht zu
reden, bei regelmäßigem Genüsse in kranke umgewandelt werden können,
weiß jeder Arzt und viele Laien haben es an sich selbst erfahren, oder
an ihrer Umgebung konstatieren können. „Ich glaube, es wird besser
sein, wenn ich das Trinken ganz lasse, es fällt mir doch etwas auf die
Nerven“ u. dergl. sind Geständnisse, die man alltäglich hören kann.
Es kann unmöglich meine Absicht sein, belehrend wirken zu wollen,
ich will nur einiges ins Gedächtnis zurückrufen und zum weiteren Nach¬
denken auf diesem Gebiete anregen, und so will ich es bei der Auf¬
zählung dieser wenigen Dinge bewenden lassen, jeder Kollege weiß, daß
man, wollte man bloß schreiben, um auch ausführlich zu sein, eine ganze
Bibliothek diesbezüglich exzerpieren könnte. Die sanguinische An¬
schauung, daß kleine Dosen Alkohol unschädlich sind, ist falsch, jeden¬
falls dann falsch, wenn diese Dosen regelmäßig genommen werden. Wenn
überhaupt etwas erlaubt ist, so ist es ein kleiner Ekzeß in alkoholicis
in großen Zeitabständen, aber auch nur dem ist es erlaubt, der die Kraft
hat, sich daran genug sein zu lassen; des guten Beispiels wegen fällt
aber auch dieses am besten weg.
Noch einige Worte über den Alkohol im allgemeinen, und zwar in
ethischer Hinsicht in bezug auf uns Ärzte. Der ärztliche Stand gehört
sicherlich zu denjenigen Berufsarten, welche viel Urteilskraft erheischen,
durch dauernden Alkoholgenuß wird die Urteilskraft aber niemals erhöht,
sondern immer geschwächt; er bewirkt aber auch Unterschätzung von
Wagnis und Gefahr, und gerade diese richtig abschätzen zu können,
bildet einen integrierenden Teil des ärztlichen Könnens. Sodann ruft
er unzeitgemäße Vertrauens- und Redseligkeit hervor und hat bei der
ärztlichen Schweigepflicht schon viel Unheil angerichtet. Schließlich be¬
wirkt der Alkohol Überschätzung der eigenen Person, w r as gewiß schon
mancher Kollege hat im Leben hart empfinden müssen. Wir Arzte sind
mit dazu berufen, das Kulturbanner, auf dem geschrieben steht: „Weg
mit dem Alkohol“, voranzutragen; hierzu ist aber in erster Linie das
eigene Beispiel notwendig. Es ist mir vielfach als Arroganz ausgelegt
wordeu und dennoch bleibe ich dabei, ein jeder, der ganz frei von Alkohol
ist, ist in eine höhere Kulturstufe eingerückt als derjenige, der ihn noch
nicht überwunden hat oder nicht überwinden will.
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Leo Guttmann, Über Bromglidine
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Aus dem Hermannhaus, Unfallnervenklinik der Sftchs. Baugewerks-Brufsgenossen-
schaft in Leipzig-Stötteritz, leitende Ärzte Dr. med. Otto Rigi er, Spezialarzt für
Nervenkrankheiten und Dr. med. Harting, Spezialarzt für Chirurgie und Orthopädie.
Uber Bromglidine.
Von Leo Guttmann, I. Assistenten.
Die Tatsache, daß den meisten Patienten die metallischen Bromsalze
bekannt sind, ist bereits an und für sich Anlaß genug, jeden vollwertigen
Ersatz, der zudem nicht die störenden Nebenwirkungen besitzt, zu begrüßen.
Ein solches Ersatzmittel ist „Bromglidine“, ein organisches Brom¬
präparat, bei welchem Brom an Eiweiß und zwar Pflanzeneiweiß locker
gebunden ist. Es wird in Form von Tabletten zu je 0,5 g gereicht,
wobei jede Tablette 0,05 g Brom enthält.
Erprobt wurde unter anderem das Präparat vom Geh. Med.-Rat
Prof. Dr. Eulenburg und auch vom Med.-Rat Dr. Alt in Uechtspringe
bei Epilepsie (cf. Med. Klinik Nr. 32, 1908).
Auf Grund dieser Erfahrungen entschlossen wir uns, das Präparat
auch im Hermannhause in Anwendung zu bringen. Die Dosierung er¬
folgte meist derart, daß 6—7 Tabletten im Laufe des Tages verteilt
wurden und zwar wurden am Vormittag 1 Tablette, am Nachmittage
2 Tabletten und vor dem Schlafengehen 3—4 Tabletten gereicht.
Vorwiegend wurde es in Fällen von Neurasthenie, Hysterie und
deren Mischformen, ferner bei Schlaflosigkeit, nervösen Angst- und Er¬
regungszuständen verabfolgt, aber auch bei nervösen Folgeerscheinungen
im Anschluß an organische Erkrankungen.
Die Erfahrungen, die mit Bromglidine gemacht wurden, sind durchaus
zufriedenstellende. Man muß hierbei den Umstand berücksichtigen, daß
es sich vorwiegend um Unfallnervenkranke, also um Patienten handelt,
die prinzipiell um ihrer Rente willen jede Besserung ihrer nervösen Be¬
schwerden mit Beharrlichkeit in Abrede stellten.
Trotzdem kam es doch vor, daß mehrere Kranke, die mit Brom¬
präparaten anderer Art keine Erleichterung erzielt hatten, in der Lage
waren, nach Bromglidine eine präzise Wirkung d. h. eine subjektive
Besserung zu bemerken und zuzugeben.
Andere sprachen wiederum spontan die Absicht aus, den Gebrauch
von Bromglidine auch außerhalb der Anstalt fortzusetzen.
Objektiv waren unsere Beobachtungen folgende: Die Ausscheidung
von Brom setzte gewöhnlich ira Laufe des ersten Tages bereits ein, es
wurde dann restlos ausgeschieden.
Die Harnmenge blieb unverändert, ebenso das spezifische Gewicht,
pathologische Bestandteile, deren Auftreten mittelbar oder unmittelbar
der Bromzuführung hätte zur Last gelegt werden können, wurden nicht
be#bachtet.
Bromakne trat nur selten und auch dann nur in geringem Grade
ein, eine Affektion der Schleimhäute ist niemals aufgetreten, ebensowenig
Appetits- oder Verdauungsstörungen. Blutdruck und Herzaktion, wie
auch der Puls blieben unbeeinflußt.
Wie schon oben erwähnt, ist die Anwendung von Bromglidine im
Hermannhause eine allgemeine gewesen und erstreckte sich auf fast alle
in Betracht kommenden Erkrankungen des Nervensystems. Die Anwendung
erfolgte mehrere Monate lang, gleichzeitig mit ähnlichen Präparaten.
Hierbei wurden wir von der Absicht geleitet, die einzelnen Brom¬
präparate durchzuproben bezüglich ihrer Anwendbarkeit auf die ver-
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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schiedenen Erkrankungen des Nervensystems, ihrer physiologischen
Wirkungsweise und der Möglichkeit, individuelle Besonderheiten zu be¬
rücksichtigen.
Aus der Fülle des Behandlungsmaterials seien einige Beispiele an¬
geführt.
1. Fall. Porzellanpacker B., 47 Jahre alt, klagte im Anschluß an
einen Sturz über Blutandrang nach dem Kopf, Schwindelgefühl, ständige
Unruhe und Schlaflosigkeit Kennt bereits die Bromsalze. Erhält nur
Bromglidine täglich bis 6 Tabletten. Von seinen Klagen verschwinden
Schlaflosigkeit und Unruhe.
2. Fall. Feldarbeiter Sch., 59 Jahre alt, leichter Schlaganfall,
Arteriosklerose. Klagt über Angstgefühl, Schlaflosigkeit aufregende
Träume. Patient ist bei den Visiten in stets weinerlicher, deprimierter
Stimmung. Es gelingt, unter Ausschluß aller anderen Sedativa, durch
Bromglidine ein merkliches Abklingen der subjektiven Beschwerden
herbeizuführen, ebenso genügenden Schlaf.
3. Fall. Maurer N., 25 Jahre alt, im Anschluß an eine Basis¬
fraktur, nervöses Herzklopfen, Blutandrang nach dem Kopf, Kopfschmerz,
Schwindel usw. Nach den üblichen hydrotherapeutischen Maßnahmen
wird nur Bromglidine verabfolgt, was zur Beseitigung der nervösen Be¬
schwerden vollkommen ausreicht.
4. Fall. Arbeiter Hermann R., 39 Jahre alt, hat 3 Unfälle er¬
litten. Ziemlich schwerer Neurastheniker, klagt speziell über Kopf¬
schmerzen, als ob ein Wurm im Kopf wäre, Zittern der Sprache, Gedanken¬
losigkeit, große Mattigkeit, Ängstlichkeit und Schmerzen in der linken
Brustseite, Appetit ist gut, Schlaf schlecht.
Setzt psychisch allen Behandlungsversuchen lebhaften Widerstand
entgegen.
Trotzdem objektive Besserung zu erkennen. Das Aussehen bessert
sich, das Körpergewicht steigt langsam und gleichmäßig von 63 auf 67 kg
und vor allem äußert er gegen Schluß der Behandlung wieder Arbeitslust.
Auch bei R. wurde von Medikamenten nur Bromglidine in An¬
wendung gebracht.
Das Resultat unserer mit Bromglidine gemachten Erfahrungen,
soweit wir bisher zu urteilen imstande waren, dürfte das sein, daß bei
Erstbehandlung von Neurasthenie, Hysterie usw. es durchaus empfehlens¬
wert ist, Bromglidine in Anwendung zu bringen.
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
_ 4
Über das Verhalten des Herz-GefäBsystems in zwei Fällen von Bradykardie
nebst kurzer Besprechung der neueren Untersuchungsmethodik.
Von E. Münzer, Prag.
(Nach einem am 17. März 1911 in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher
Arzte gehaltenen Vorträge.)
Der Vortragende bespricht anläßlich der Mitteilung zweier Fälle von
Bradykardie ganz kurz eine Reihe von Methoden, welche der Lösung be¬
stimmter Fragen in der Physiologie und Pathologie des Kreislaufs dienen.
Was die Krankenbeobachtungen betrifft, handelte es sich in dem
einen Falle um den bereits einmal in der Wiener klinischen Wochen-
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394 Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
durch die Nähe des Infektionsherdes eine spätere Verunreinigung zu be¬
fürchten war, zumal Niveaudifferenzen und die Richtung des Grundwasser¬
stromes in diesem Sinne günstig waren. Diese Befürchtung erwies sich
als gerechtfertigt. Bei den weiteren Untersuchungen blieb der chemische
Befund gleich. Die Keimzahl zeigte eine geringe, jedoch sich stets
steigernde Zunahme; bei der letzten Untersuchung stieg die Zahl plötzlich
auf etwa 3000; gleichzeitig trat Ammoniak und salpetrige Säure in großeu
Mengen auf.
Es konnte demnach in diesem Falle durch fortgesetzte häufige Unter¬
suchungen der Moment der Verunreinigung festgesteilt werden,
wie bei künstlichen Infektionsversuchen mit Prodigiosuskeimen. Die
Dauer der Durchsickerung der Schmutzstoffe für einen Streifen von
zirka 130 Schritt betrug fast 5 Wochen, was mit den bei künstlichen
Infektionen in den Bezirken der Berliner Wasserwerke erhobenen Werten
ziemlich übereinstimmt. (Ditthorn und Luerssen.)
Bemerkenswert ist das gleichzeitige Auftreten der gelösten Stoffe
(Ammoniak, Nitrite) und der suspendierten Stoffe (Bakterien) in der
letzten Wasserprobe. Die Bedeutung der örtlichen Besichtigung bei der
Beurteilung von Wasseranlagen wird betont.
Anknüpfend an diesen Fall werden die gegenwärtig maßgebenden
Kriterien der hygienischen Trink Wasserbegutachtung besprochen und
namentlich die Bedeutung des quantitativen Nachweises des Bakterium
coli betont. Autoreferat.
Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte.
(Sitzung am 22. Februar 1911.)
R. Rubesch demonstriert ein Präparat von Darmwandeinklemmung
in die seitliche Öffnung eines Dreesmann’schen Glasdrains. Es handelte
sich um einen Fall von diffuser Peritonitis als Folge einer durch direkte
Gewalt entstandenen subkutanen Darmruptur. Der Patient starb am
4. Tage nach der Operation infolge linksseitiger Pneumonie. Bei der
Sektion im gerichtlichen Institute (Prof. Dr. P. Dittrich) zeigte sich,
daß die Peritonitis gut beherrscht war. 130 cm oberhalb der Ileokökal-
klappe fand sich ein Teil der seitlichen Wand einer Ileumschlinge in
eine seitliche Oeffnung des Glasdrains hineingestülpt und zwar in der
Weise, daß das im Glasrohre befindliche Stück der Darmwand eine
kleine, kirschgroße, kugelige Blase von blutigroter Farbe bildete. Das
eingetretene Darmstück hatte einen Durchmesser von 15 mm. Ent¬
sprechend der Öffnung, durch welche die Darmwand in das Glasrohr
eingetreten ist, erscheint die Darmwand eingeschnürt. Mau kann den
Befund sehr gut mit dem einer inkarzerierten Litt reichen Hernie ver¬
gleichen. Diese konnte intra vitam nicht bemerkt werden, da sie am
Ende des Glasdrains saß. Es wäre zu einer Fistel gekommen. Um
solche Vorkommnisse zu vermeiden, empfiehlt R. die seitliche Öffnung
nicht nur kleiner zu wählen etwa 2—3 mm, sondern außerdem das Glas¬
drain mit einem aus poröser Gaze gefertigten Strumpf straff zu über¬
ziehen. Dadurch wird jede Inkarzeration unmöglich, ohne daß durch die
einfache Lage der Gaze der Eintritt von Exsudat beeinträchtigt wurde.
Daß diese so armierten Glasdrains sehr gut funktionieren, beweisen unter
anderen 2 in der letzten Zeit operierte Fälle: eine diffuse Peritonitis infolge
Appendizitis perforativa und eine diffuse Peritonitis infolge Perforation
eines Ulcus ventriculi. (Der Fall ist in der Wiener klin. Wochenschr.
veröffentlicht.)
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Referate und Besprechungen.
395
Experimentelle Untersuchungen über die Beeinflussung der Kreislauforgane
und der Atmung durch das Salvarsan.
Von Privatdozent Dr. Edmund Hoke, Prag-Franzensbad und Privatdozent Dr.
Julius Rihl, Prag.
(Vortrag, gehalten auf dem 28. Kongreß für innere Medizin 1911 in Wiesbaden.)
Verfasser haben im Institut für experimentelle Pathologie in Prag
(Prof. H. E. Hering) Untersuchungen über die Kreislaufwirkung des
Salvarsans angestellt.
Das Salvarsan und die früheren Präparate „Ideal“ und namentlich
„Hyperideal“ weisen große Unterschiede in ihrer Giftigkeit auf.
Die Giftwirkung des Salvarsans ist eine komplexe, ganz analog
wie bei anderen Arsenverbindungen. Mitunter tritt eine Atem Wirkung
hervor, da manche Tiere bei relativ hohem Blutdruck Atemstillstand
zeigten.
(Die ausführliche Mitteilung erscheint im Archiv für experimentelle
Pathologie und Therapie).
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
J. W. Milne (Aberdeen), Die Wirksamkeit des Aderlasses, ein Vor¬
schlag zu seinem häufigeren Gebrauch. (Practitioner, Bd. 85, Nr. 6.)
Milne wandte den Aderlaß zuerst bei Status epilepticus eines 17jäh-
rigen Mädchens an, nachdem alle gebräuchlichen Mittel versagt hatten. Das
Mädchen lag in starkem Schweiß mit gerötetem Gesicht, erweiterten Pupillen,
unregelmäßigem Puls und dilatiertem rechten Herzen, nach Entziehung von
600 g Blut hörten die Zuckungen alsbald auf, sie setzte sich auf, erkannto
die Umgebung, und fragte, was vorgehe. Obgleich Brom nicht weiter gegeben
wurde, blieb sie 3 1 /* Monate von den vorher wöchentlich eintretenden An¬
fällen verschont, die alsdann in milderer Weise wieder auftraten. Ein Jahr
später starb sie, von einem anderen Arzte behandelt, im Status epilepticus.
(Der Fall spricht für die Richtigkeit der Ansicht, daß sich beim epileptischen
Anfall giftige Produkte im Körper anhäufen. Ref.)
Bei einem zweiten Fall von Epilepsie (33jähriger Mann) entzog M.
Blut bis zur Ohnmacht, worauf die bisher alle drei Wochen ein tretenden
Anfälle ohne Bromgebrauch 3 Monate ausblieben. Als dann ein heftiger
Anfall ein trat, ließ M. im Zwischenraum von 8 Tagen zweimal zu Ader,
worauf die Anfälle 20 Monate ausblieben. Der hiernach eingetretene Anfall
ist der letzte beobachtete.
Weitere Beobachtungen betreffen Apopleptiker. Ein älterer Potator
mit degenerierten Arterien und Schrumpfniere klagte über Reizbarkeit, Ver¬
wirrtheit und Schwindel und sein Blutdruck war stark erhöht. Nachdem
800 g Blut entzogen waren, fühlte er sich wohl, hatte aber einige Tage
nachher eine leichte Hemiplegie. Ohne die Blutentziehung wäre sie wohl
tödlich verlaufen. Er lebte noch zwei Jahre, nachdem die Folgen der Hemi
plegie geschwunden waren, und starb im urämischen Koma.
Außer einem ähnlichen Falle hat M. einen 63jährigen Arteriosklerotikei
mit Blutentziehung behandelt, der an einem Aufregungszustand litt. Die
manische Erregung verschwand und ein gesunder Schlaf erfolgte.
M. ist der (auch vom Ref. geteilten) Ansicht, daß der Aderlaß an der
schlechten Indikationsstellung zugrunde gegangen ist und wieder in Ge¬
brauch genommen zu werden verdient. Fr. von den Velden.
J. Shelton Horsley (Richmond), Indikation und Technik der Blut¬
transfusion. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 1, 1911.) An dieser Stelle
wurde schon wiederholt auf die Versuche amerikanischer Arzte, die Blut-
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396
Referate und Besprechungen.
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transfusion neu zu beleben, aufmerksam gemacht. Es werden gute Erfolge
berichtet bei extremem Blutverlust, sei es infolge von Verletzung, sei es
infolge von Darmblutung bei Ruhr oder tuberkulösen Geschwüren; bei
Shock und Hämophilie, chronischer Eiterung, puerperaler Sepsis und Pellagra.
Zweifelhaft ist die Indikation bei malignen Tumoren, perniziöser Anämie
und Leukämie, wo nur die Aussichtslosigkeit den gefährlichen Versuch der
Bluttransfusion rechtfertigen kann.
Die Gefahren der Transfusion sind, wenn die Gefäßnaht verwandt wird,
nicht groß, am bedenklichsten ist die nicht immer vorauszusehende Hämo¬
lyse. Die. Technik besteht in Vernähung der Art. radialis des Gebers mit
einer Armvene des Empfängers mittels Matratzen naht, oder auch in Vernähung
von zwei Venen, die .technisch einfacher ist. Der Geber muß gesund und
frei von Syphilis und Arteriosklerose sein. Fr. von den Velden.
A. Leman, Die Bedeutung der Rivaltaprobe für die Unterscheidung der
Exsudate und der Transsudate. (Praktitschesky Wratsch, Nr. 16—18, 1910. 1
Verfasser untersuchte mittels der Probe 52 pathologische Flüssigkeiten, und
zwar 19 aus der Pleurahöhle und 33 aus der Bauchhöhle. Die Probe be¬
steht mach Jtivalta in folgendem: 200 ccm Wasser werden mit einigen
Tropfen Eisessig versetzt (auf je 100 ccm Wasser kommen zwei Tropfen Eis
cssig); in diese Flüssigkeit kommt nur ein Tropfen der zu untersuchenden
Flüssigkeit. Handelt es sich um ein Exsudat, so erscheint an Stelle des
heruntersinkenden Trjojpfens ein deutlicher weißlicher oder opaleszierender
Niederschlag. Die Transsudate geben diese Reaktion nicht. Diese Methode
soll nach Rival ta sicher und schnell eine Leberzirrhose von einer tuber¬
kulösen Peritonitis unterscheiden lassen.
Von den 19 Pleuraergüssen waren 16 Exsudate und 3 Transsudate
infolge von Stauung; von den 33 Bauchhöhlenergüssen waren 7 Exsudat*
“und 26 Transsudate. Die Pleural-Exsudate reagierten nach Rivalta positiv,
die Stauungstranssudate dagegen negativ. Ebenso reagierten die Transsudat 1
aus der Bauchhöhle negativ mit Ausnahme eines Falles, in dem es sich nete
einem Herzfehler (Mitralstenose) um eine serös-fibrinöse Peritonitis handelt*
letzteres wurde erst bei der Obduktion festgestellt. Zwei Fälle von Bauci
höhlenexsudäten reagierten ebenfalls positiv, in fünf Fällen von Neubil
düngen in der Bauchhöhle war die Reaktion bald negativ, bald «chwachoder
stark positiv. Die Ergebnisse standen anscheinend in Widerspruch mit kn
Angaben Rival ta’s, nach welchem Ergüsse infolge von Neubildungen negativ
reagieren. Es gelang aber bald die Ursache dieses Widerspruches aufzudecken
es stellt sich nämlich heraus, daß einen positiven oder sogar stark positiven
Ausfall solche Flüssigkeiten geben, denen reichlich Blut beigemischt ist
(z. B. ein Fall von Magenkarzinom mit Metastasen im großen Netz und Peri¬
toneum, ein zweiter von Peritonitis tuberculosa), während klare bernstem
gelbe Flüssigkeiten ohne Blutbeimengung stets negativ reagieren.
Verfasser kommt auf Grund dieser Erfahrungen zum Ergebnis, daß die
Ri val ta-Probe ein sehr wertvolles Mittel zur Unterscheidung der Trafl- 1
und Exsudate ist, das die anderen Verfahren (Bestimmung des spezifischen
Gewichtes, resp. des Eiweißes) weit übertrifft und sehr leicht auszuführen ist
I. Lechtman.
P. J. Sarnizyn, Die klinische Bedeutung der Cammidge’schen Pankreas
reaktion. (Praktitschesky Wratsch, Nr. 25—26, 1910.) Die Cammidge sehe
Pankreasreaktion wurde 20mal am Urin von acht gesunden Patienten, 30ÜmaJ
an 140 Patienten mit verschiedenartigen Erkrankungen uud 5 mal an Hunden
ausgeführt. 55 Fälle kamen zur Sektion. In etwa 75% der Fälle wies der
Ausfall der Reaktion eine vollkommene Übereinstimmung mit dem Charakter
der Erkrankung auf; nicht übereinstimmend war die Reaktion in 22% UD /j
ungewiß in etwa 4%. Die Camm idge’sche Reaktion wird bei der Mehrzahl
aller Pankreaserkrankungen beobachtet; dieselbe ist una.bhängig von ^ er
Schwere der Erkrankung. Die Reaktion fällt auch positiv aus bei anderen
Krankheiten und ausnahmsweise sogar bei völlig Gesunden. Der einmalige
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Referate und Besprechungen.
397
negative Ausfall der Reaktion spricht nicht gegen die Erkrankung des Pan¬
kreas; erst das mehrmalige Fehlen der Reaktion läßt eine gesunde Drüse ver¬
muten. Die in allen Fällen von positiver Reaktion auftretenden Kristalle
können nicht von einheitlicher chemischer Natur sein. I. Lechtman.
R. Oppenheim u. Ch. Le Coz, Häufigkeit der Tuberkulose bei Greisen.
(Progres med., Nr. 1, S. 5—8, 1911.) Zwischen Oktober 1900 und Dezember
1910 haben die beiden Ärzte des Altersheimes de la Maison departementale
de la Seine 260 Personen über 60 Jahre obduziert und 193mal deutliche
Tuberkulose gefunden. Bei 110 war sie offenbar nur ein abgelaufener Neben-
befund neben den Hauptkrankheiten der Hirnerweichung, des Krebses, Herz-
Nierenleiden, Pneumonie usw. Bei den Testierenden 83 handelte es sich um
aktive Tuberkulose.
Von diesen 83 waren 28 einer akuten Tuberkulose erlegen (davon 22
über dem 70. Jahr!), bei 18 ließ die Ausdehnung des Prozesses darauf
schließen, daß der Koch’sche Bazillus die Todesursache gewesen sei. Es
sind somit von den 260 Greisen 46 = 17,6% an Tuberkulose gestorben.
Es erhob sich nun die Frage, ob man die Diagnose schon bei Lebzeiten
stellen könne ? Die beiden Ärzte benützten, weil die Auskultation nicht
sicher genug zu sein schien, die Mantoux’sche Tuberkulin-Cutireaktion;
nur muß man bei Greisen 2—3 Wochen abwarten, ob nicht doch noch eine
positive Reaktion verspätet erfolgt. Von 1162 Greisen gaben 77% einen
positiven Mantoux. Von den zur Obduktion Gelangten hatten 96 die Probe
über sich ergehen lassen: 75 mit positivem Erfolg, davon 4 ohne daß tuber¬
kulöse Herde gefunden worden wären. Von den 21 negativ reagierenden
wiesen späterhin je 6 aktive und latente Tuberkulose auf; 9 waren tuberku¬
losefrei.
Als besonders bemerkenswert bezeichnen Oppenheim und Le Coz die
Tatsache, daß von 55 Patienten mit chronisch-deformierendem Gelenkrheuma¬
tismus 54 auf die Tuberkulinprobe positiv reagierten. Sie sehen darin ein
Zeichen für dessen tuberkulöse Natur. Im allgemeinen schließen sie aber
mit dem wenig befriedigenden Resultat, daß man bei jedem alten Menschen
an Tuberkulose denken müsse, daß sich diese Affektion aber nur sehr schwer
erkennen lasse. Just ebenso viel wußte man schon vor dem Erscheinen des
Aufsatzes. Die heutzutage übliche Vermengung von Tatsachen und von Hypo¬
thesen zeitigt eben nichts Präzises. Buttersack (Berlin).
Gard&re, Dilatatio ventriculi nach Peritonitis chronica. (These de
Lyon, Nr. 81, 1910. — Progres med., S. 13, 1911.) Den Autor haben die der-
maligen Theorien über das Zustandekommen der Magenerweiterung nicht
befriedigt; er führt deshalb die Peritonitis fibrosa und Verwachsungen in der
Gegend des Pylorus als neues Moment ein. Dieselben gehen der Hauptsache
nach von entzündlichen Prozessen in der Gegend der Gallenblase aus und
lassen sich sowohl anamnestisch in Form von Anfällen von ,,Gallensteinen“
als auch postmortal in Form von Strängen, welche Gallenblase, Pylorus, Duo¬
denum, Kolon umspim en, nach weisen.
Histologisch sind Mukosa und Submukosa nicht verändert; dagegen
zeigt die Muskularis entzündliche Veränderungen und das Peritoneum ist
verdickt. Die Diagnose ist schwierig. Präzise Symptome, Druckpunkte usw.
gibt es nicht; mau muß also per exclusionem operieren. Am ehesten läßt
sich noch der Nachweis einer Dilatation mit zeitweiligen heftigen Magen-
schmerzen, Magenperistaltik und Hypochlorhydrie verwerten.
Therapie: Ruhe, heiße Applikationen, fettarme Nahrung, wenig Flüssig¬
keit, keine schwerverdaulichen Speisen (ob leicht- oder schwerverdaulich,
hängt übrigens weniger von den Speisen als vom Patienten ab! Ref.), tägliche
Magenausspülungen. —
Die Deutung solcher Fälle erfordert freilich ein besonderes Geschick
in der diagnostischen Kombination. Allein es wäre ein fataler Irrtum, zu
glauben, sie w'ären deswegen seiten. Buttersack (Berlin).,
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398
Referate und Besprechungen.
Digit ize
Psychiatrie und Neurologie.
F. Strada, (Straßburg), Beiträge zur Kenntnis der Geschwülste der
Hypophyse und der Hypophysengegend. (Virchows Archiv für path. Anat.,
Bd. 203, H. 1, S. 1, 1911.) Verfasser beschreibt ausführlich vier Fälle von
Geschwülsten der Hypophysengegend: zunächst eine kankroidähnliche große,
im Infundibulum entstandene Plattenepithelgeschwulst des Hypophysenganges,
dann eine benigne, im Infundibulum entwickelte plurilokulär-zystisch papilläre
Plattenepithelgeschwulst des Hypophysenganges, eine blaßzeilige adenoma¬
töse Struma der Hypophyse mit maligner Entartung und eine anscheinend
aus einem großen Adenom der Hypophyse hervorgegangene große Struma¬
zyste. Daran schließen sich Erörterungen über die Beziehungen dieser Ge¬
schwülste zur Adipositas, zu Wachstumsveränderungen, zu Gen Halver ände-
rungen, zu den sekundären Geschlechtscharakteren, zu den anderen Drüsen
mit innerer Sekretion. Diese Auseinandersetzungen lassen sich in einem kurzen
Referat nicht wiedergeben. W. Risel (Zwickau).
A. Good (Münsingen), Die Sterilisierung von Geisteskranken und Blöd¬
sinnigen. (Schweizer Zeitschr. für Strafrecht, ref. im Korrespondenzbl. für
Schweizer Ärzte, H. 4., 1911.) Die Schweizer Irrenärzte haben 1905 ein¬
stimmig festgestellt, daß die Sterilisation Geisteskranker (durch Vasektomie
oder Röntgenstrahlen) aus sozialen Indikationen berechtigt sei, und sie ist
auch in der Schweiz (ebenso wie in Amerika) wiederholt ausgeführt worden,
lohne daß die Verantwortlichen mit dem Strafgesetz, das ihnen formell keinen
Rückhalt bietet, in Konflikt gekommen wären. Good schlägt nun vor, daß
in das Strafgesetzbuch Bestimmungen über die Berechtigung der Sterili¬
sierung auf genommen werden. Sie soll zulässig sein bei Geisteskranken,
auch Eheleuten, aber abhängig von der schriftlichen Zustimmung des Vor¬
mundes, wenn möglich auch des zu Sterilisierenden selbst, und von den über¬
einstimmenden Gutachten dreier Ärzte. Fr. von den Velden.
P. Beisele (Frankfurt a. M.), Über die Reaktion des Harnes bei Para¬
lyse mit Liquor Bellostii. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 1, 1911.)
Buten ko hat vor kurzem eine Reaktion des Harnes als für progressive Paralyse
spezifisch beschrieben. Die Nachprüfung an einem ziemlich großen Material
(über 100 Fälle) ergab, daß tatsächlich durch Kochen des Harnes mit einer
Lösung von Merkuronitrat in 94% der klinisch sichern Paralysefälle ein
grauer Niederschlag entstand, der weder mit dem Harn von Gesunden, noch
dem von sonstigen Kranken (auch nicht von Syphilitikern und Tabikern)
in gleicher Ijfarbe zu erzielen war. Der Autor nimmt an, daß es Abbauprodukte
aus der Hirnrinde der Paralytiker (Xanthinbasen oder Ptomai'ne) sind, welche
diese Reaktion verursachen.
Sollten sich die Beobachtungen B.’s auch für Fälle von beginnender
Paralyse bestätigen, dürfte die sehr einfache Methode bei der Frühdiagnose
dieser Krankheit sehr erwünschte Dienste leisten. R. Isenschmid.
Kühne (Kottbus), Die Bedeutung des Schrecks für die Entstehung von
Nerven- und Geisteskrankheiten. (Monatsschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29.
H. 1.) Der Schreck wirkt auf das Gehirn durch Ausschaltung der ganzen
Hirnrinde, auf [die Atmung und das Herz. Nach Berger bewirkt der Schreck
eine fast momentan einsetzende hochgradige Zusammenziehung der Gehirn-
gefäße mit nachheriger Erschlaffung derselben. Aus dieser plötzlichen Blut¬
leere erklärt sich das Abreißen der Gedankenkette, die Bewußtlosigkeit und
die Gesichtsblässe. Bei einem ganz gesunden Menschen mit vollwertigem
Nervensystem hinterläßt auch der stärkste Schreck keinen dauernden Schaden.
Es muß vielmehr eine Veranlagung zur Erkrankung bestanden haben, ent¬
weder angeboren durch neuropathische Veränderung oder durch die Neigung,
seelische Empfindungen in körperliche Erscheinungen umzuformen wie bei
der Hysterie oder erworben durch Syphilis, Alterserscheinungen oder Alko¬
holismus. Die infolge eines Schrecks möglichen Erweichungsherde im
Rückenmark beruhen auf den Beziehungen zwischen Hirnrinde und dem
durch die Rückenmarksnerven die Rückenmarksgefäße beeinflussenden Sym¬
pathikus. Zweig (Dalldorf).
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Referate und Besprechungen.
399
Adolf Baginsky, Zur Kasuistik der Poliomyelitis epidemica (Heine-
Medin’sche Krankheit). (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 4, 1911.) B. wirft
die Frage auf, ob wir es bei der Poliomyelitis epidemica wirklich mit dem¬
selben Krankheitsbild zu tun haben, wie es die frühere Poliomyelitis darstellt.
Er führt verschiedene Krankengeschichten ,an, aus denen er zwanglos drei
verschiedene Krankheitstypen zusammenstellen kann. Sie bewegen sich
zwischen den rein abortiven Formen bis zu den schwersten Bulbärlähmungen.
Wenn auch die anatomischen Befunde die Krankheit mit der früheren Polio¬
myelitis identisch erscheinen lassen, so ist der Begriff spinale Kinderläh¬
mung nicht mehr angebracht, finden sich doch auch zerebrale Läsionen.
B. regt zum Schluß an, sämtliche Fälle zu sammeln, um etwas Positives
über Ätiologie, Vorkommen u. a. dieser furchtbaren Erkrankung zu erfahren.
F. Walther.
F. Mörchen (Ahrweiler), Über degenerierte Frauen höherer Stände.
(Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 43, H. 1.) Im Anschluß an einige
größere Prozesse der letzten Zeit erörtert M. die psychologische und psy¬
chiatrische Eigenart der Angeklagten, welche einen bestimmten patholo¬
gischen Typus degenerierter Weiblichkeit erkennen lassen. Meist finden
sich degenerative Momente in der Aszendenz und Deszendenz. Die schon als
Backfisch den Typus der demivierge bildende tritt uns als eine intellektuell
dem Durchschnitt entsprechende, mit körperlichen Vorzügen reichlich aus-
gestattete, kokette, eitle und selbstbewußte Frau entgegen, die in den Kinder-
j ähren schlecht erzogen und verwöhnt, früh schlechten Einflüssen aus-
gesetzt war. Daneben zeigen sich in intensiver Abhängigkeit vom Affektleben
Neigung zu Ohnmächten und Krampfanfällen, auch krankhaft gesteigerte
Affektausbrüche. Auch als Erwachsene ist diese Frau auf dem Standpunkt
des Backfisches stehen geblieben und zeigt eine Mischung von naiver Un¬
schuld mit verdorbener Raffiniertheit. Erst die Ehe mit ihren Anforderungen
bringt meist die seelische Labilität dieser Personen aus dem Gleichgewicht,
und die psychiatrische Untersuchung konstatiert einen erheblichen Persön J
lichkeitsdefekt, der sich dokumentiert in dem Überwiegen der Triebhand¬
lungen, in der Inkonsequenz im Denken, in dem Mangel an Pflichtgefühl,
in dem Fehlen moralischer Impulse, die zur Unwahrhaftigkeit und zum In¬
trigieren führt. M. will von einem degenerativen Schwachsinn sogar sprechen.
An den Backfisch erinnert auch die eigenartige Sexualität, die sich auf einen
reichlichen Flirt beschränkt und oft sogar mit einem gewissen Abscheu vor
dem Geschlechtsverkehr verbunden ist. Vor Gericht will M. diese Frauen als
gemeingefährliche Geisteskranke aufgefaßt wissen, welche der Entmündigung
wegen Geistesschwäche, sowie der Internierung in einer geschlossenen An¬
stalt bedürfen, wo die vom Publikum als dämonische Naturen betrachteten
als gutherzige, leicht lenkbare Kinder sich zeigen, die das Leben mit seinen
erhöhten Anforderungen zugrunde richtete.
Prof. Alzheimer weist in einer kurzen Kritik der vorstehenden Arbeit
zunächst darauf hin, daß es ähnliche Typen in einer durch das Milieu modi¬
fizierten Weise auch in den niederen Bevölkerungsklassen gibt, ferner aber
vor allem auf die großen Schwierigkeiten, welche der psychiatrische Sach¬
verständige bei der Erreichung obiger Forderungen hätte, wenn es sich nicht
um sehr schwere Formen handelt. Der jetzige gesetzliche Begriff der Geistes¬
schwäche paßt auf diese Erkrankungen nicht. Im Vorentwurf zum neuen
Strafgesetzbuch wird der Begriff der erheblich geminderten Zurechnungs¬
fähigkeit auf die höheren Grade angewandt werden müssen.
Zweig (Dalldorf).
Heilig (Straßburg), Über Pigmenterythrozytose der Zerebrospinal¬
flüssigkeit. (Monatsschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 2.) Bei einer
Reihe von Fällen fand H. entweder Blutkörperchen allein (Erytrozytose)
oder im Verein mit Blutpigment (Pigmentery trozy tose) oder lediglich Blut¬
pigment (Pigmentose) im Liquor, je nach dem Alter und der Intensität des
Prozesses, der entweder in einer chronisch entzündlichen oder in einer Neu-
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Referate und Besprechungen.
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bildung bestehenden Erkrankung der Meningen zu suchen ist oder in tuber¬
kulösen Granulationsgewebe bei Wirbelkaries. Da die Beteiligung des ner¬
vösen Gewebes sich mehr durch Lymphozytose kundgibt, so gestattet also
die Zellenuntersuchung des Liquor unter Umständen die Entscheidung, ob
ein Tumor von den Meningen oder von der Gehirnsubstanz ausgeht.
Zweig (Dalldorf).
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Polyak (Budapest), Über die Prinzipien der intranasalen Chirurgie.
(Arch. internst. de laryng., Bd. 30, H. 3, 1910.) P. wünscht, daß unser intra-
nasales operatives Vorgehen in Einklang gebracht werde mit den allgemein-
chirurgischen Grundsätzen. Namentlich tadelt er die häufig wiederholten
Eingriffe, welche den Patienten anämisch und nervös machen. Alle nötigen
Eingriffe sollen in einer Sitzung geschehen, auch beiderseitige Affektionen
machen davon keine Ausnahme. Die Nebennieren-Präparate erlauben, die
Blutung meist auf ein Minimum zu beschränken. —
Tamponade disponiert zu Infektionen und ist daher für die meisten
Operationen zu vermeiden. Doch läßt sich dieser Grundsatz nur dann durch¬
führen, wenn man auf ambulantes Operieren allgemein verzichtet.. Jeder
Patient wird auf einige Tage in die Klinik aufgenonunen. Postoperative Blu¬
tungen werden im allgemeinen durch einen Suprarenin-Spray zum Stehen
gebracht, nur in 5 °/ 0 der Fälle wurde sekundäre Tamponade nötig.
So sehr diese Ausführungen dem Zuge der Zeit entsprechen, scheinen
sie dem Referenten doch der einschränkenden Kritik zu bedürfen. Intra¬
nasale Affektionen sind oft voneinander abhängig, derart, daß nach Beseiti¬
gung der einen die andere sich spontan zurückbildet. Wie weit dies der
Fall sein wird, ist häufig nicht von vornherein zu übersehen. Bei einzeitiger
Operation wird man daher Teile entfernen, die hätten stehen bleiben dürfen,
— ein Verfahren, das gesund-konservativen Grundsätzen widerspricht. Auch
die grundsätzliche Klinikaufnahme ist für viele Kranke mit erheblichem
pekuniären und sozialen Schaden verknüpft, dem entsprechende Vorteile nicht
gegenüberstehen. Referent führt seit 10 Jahren bei großem Material ende-
nasale Operationen ausschließlich ambulant aus und tamponiert nur bei Ein¬
griffen an der Nasenscheidewand. Mit verschwindenden Ausnahmen blieb
postoperative Hämorrhagie ganz ans oder war geringfügig. In sehr wenigen
Fällen wurde ärztliche Hilfe nötig, war in der Großstadt auch schnell zur
Stelle. Zugegeben ist, daß ängstliche und wohlhabende Patienten, namentlich
wenn sie mit zärtlich besorgten Angehörigen gesegnet sind, in der beruhigenden
Atmosphäre der Klinik sich nach einer Operation wohler fühlen. Aber den
Krankenkassen und den Minderbemittelten sollte man keine unnötigen Kosten
verursachen. Arth. Meyer (Berlin).
Baränyi (Wien), Die Wirkung des künstlichen Trommelfells. (Arch
intern, de lar., ßd. 30, H. 3.) Füllt man bei Patienten ohne Trommelfell und
Gehörknöchelchen, z. B. nach Radikaloperation, in die nach der Tube abge¬
schlossene Paukenhöhle einen Tropfen Quecksilber, so wird in demselben
Augenblick, in dem das Metall die Nische zum runden Fenster bedeckt, da<
Gehör erheblich verbessert. Besonders tritt das für die hohen Töne hervor.
B. führt daher das schlechte Gehör von Leuten ohne Trommelfell und Knöchel
chen darauf zurück, daß die Schallwellen beide Labyrinthfenster in der
gleichen Phase treffen; die imkompressible Labyrinthflüssigkeit hat dann
keine Möglichkeit auszuweichen und kann nicht in Schwingungen versetzt
werden. Normalerweise werden durch die Gehörknöchelchen die Wellen uiu
so viel stärker auf das ovale Fenster übertragen, daß dagegen die Luftwelleu.
welche das runde treffen, nicht in Betracht kommen. — Soll das künstliche
Trommelfell wirken, so muß cs das runde Fenster verschließen, das ovale da¬
gegen freilassen. Arth. Meyer (Berlin).
Kuhn (Kassel), Wiederbelebung durch Luftzufuhr. (Arch. intern, de
lar., Bd. 30, H. 3.) Im Anschluß an die Meltzer’schen Arbeiten tadelt Kuhn
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Referate und Besprechungen.
401
die gegenwärtigen Vorschriften für Wiederbelebungsversuche, insbesondere
die Anwendung des Sauerstoffapparates. Statt den Unterkiefer und die Zunge
wie in der Narkose hervorzuziehen, drückt man sie mit der Maske zurück.
Dem Samariter wird eine Überschätzung des Sauerstoffes anerzogen, als wäre
er ein spezifisches Heilmittel gegen Asphyxie; während doch die Zufuhr
gewöhnlicher Luft ganz ebensoviel leistet. Wichtiger als O-Zufuhr ist aber
die COo-Elimination. Das richtige Prinzip ist ausgiebige Lüftung der tiefen
Wege. Hierzu genügt unter günstigen Umständen die künstliche Atmung.
Weit sicherer aber wirkt Sauerstoff oder Luft, welche aus einer Bombe durch
einen dünnen Schlauch direkt in die tieferen Teile der Trachea eingelassen
wird. Meitzer hat nachgewiesen, daß es so gelingt, kurarisierte, mit Mor¬
phium usw. vergiftete Hunde fast beliebig lange am Leben zu halten. (Berl.
Klin. Woch. 1910, Nr. 13.) Der Schlauch, dünner als das Lumen des Kehl¬
kopfs, wird durch diesen hindurch bis in die Gegend der Bifurkation ein¬
geführt. Die Bombe kann auch durch ein großes Gebläse ersetzt werden.
So wird der „schädliche Raum“ im oberen Teil der Luftröhre ausgeschaltet
und eine gründliche Ventilation der Lunge bewirkt. Künstliche Atmung
unterstützt die Wirkung der Insufflation. Kuhn rät, statt des Schlauches
auch seinen „peroralen Tubus“ an zuwenden. Während so die Sauerstoff¬
zufuhr segensreich wirkt, hindert die jetzt gebräuchliche Anwendung mittels
Maske geradezu den freien Gasaustausch, welchen die künstliche Atmung
erstrebt. Arth. Meyer (Berlin).
Augenheilkunde.
E. Valude (Paris), Störungen an den Augen bei Frauen. (Bullet, med.,
S. 1185—86, 1910.) In der Pubertät, namentlich beim Erscheinen der ersten
Menses, treten häufig Insuffizienzerscheinungen seitens der Retina, der Ak¬
kommodation und der Augenmuskeln auf. Die ersten äußern sich in Licht¬
scheu. Tränen und schneller Ermüdbarkeit bei normaler Sehschärfe für nah
und fern; die Akkommodationsschwäche läßt sich durch Konvexgläser
bessern: die Muskelinsuffizienz betrifft hauptsächlich die Muse, recti interni,
woraus das Unvermögen zur Konvergenz resultiert.
Im geschlechtsreifen Alter begegnen wir der Menstruations-Iritis,
welche in leichten, kaum bemerkten Schüben schließlich zu ausgedehnten
Verwachsungen führen kann. Nicht minder fatal sind ähnliche Schübe am
Nerv, opticus, während der Herpes corneae menstrualis harmlos erscheint.,
Außerhalb der Menstruation, aber doch mit Vorgängen in der Genitalsphäre
in Zusammenhang stehend erscheinen die Skleritis und Episkleritis; man
trifft sie auffallend häufig bei Dysmenorrhoischen.
Bekannt ist die Retinitis albuminurica bei Schwangeren, auch ohne
daß ein Morbus Brighti vorliegt; weniger bekannt eine Neuritis optica,
welche, wenn nicht die Schwangerschaft unterbrochen wird, zur Sehnerven-
atrophic führt. Diese Therapie ist auch angezeigt bei der seltenen pro¬
gressiven Myopie.
Im Wochenbett treten Amaurosen auf, teils nach Embolie der Art.
centralis, teils nach Blutverlusten. Diese bedingen mitunter auch nur Heme¬
ralopien. Buttersack (Berlin).
Diätetik.
Deutscher Nahrungsmittelkongreß. (Med. Blätter, Nr. 1, 1911.) Dieser
Kongreß, der Mitte November in Berlin stattfand, war von den Fabrikanten
einberufen worden, um zu der bevorstehenden Revision des Nahrungsmittel¬
gesetzes Stellung zu nehmen. Danach müssen auch die folgenden Ausfüh¬
rungen Schloßmacher’s (Frankfurt) beurteilt werden. Der Referent sagte:
Das Nahrungsmittelgewerbe werde fortwährend beunruhigt. In den Arbeiten
des Reichstages nehmen die Abänderungs- und NeucrungsVorschläge der Re¬
gierung den größten Raum ein. Eine besondere Zuchtrute sei das Gesetz
über den Verkehr mit Nahrungsmitteln. Obwohl das Nahrungsmittelgesetz
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Referate und Besprechungen.
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es seinerzeit aus wohlerwogenen Gründen unterlassen habe, im einzelnen
festzulegen, was nicht nachgemacht oder gefälscht werden darf, und alles
weitere dem richterlichen Ermessen überläßt, so hat sich doch eine ganz ver
kehrte Anwendung des Gesetzes herausgebildet. Die Anzeigenden werden
durchweg als Sachverständige gehört, während die von dem Angeklagten
in Vorschlag gebrachten Sachverständigen als befangen abgelehnt werden.
Dazu kommt noch, daß die Überwachung des Nahrungsmittelgesetzes in
Deutschland in 25facher Weise gehandhabt werde. (In diesem Punkte kann
man Sch. beistimmen.) Auch das Unlauterkeitsgesetz ist für das Nahrungs-
mittclgewerbe von großer Bedeutung, vor allem das Gesetz zum Schutze
der Warenbezeichnungen, in dem auch der Ausstattungsschutz enthalten ist.
Eine Neuregelung des deutschen Warenzeichenrechtes ist dringend nötig. Der
jetzige Grundsatz, daß dem ersten Anmelder die Führung des Zeichens allein
zusteht, ermöglicht es, daß ein Gewerbetreibender weiten Gewissens seinen
Berufsgenossen geistiges Eigentum auf gewerblichem Gebiete stiehlt und
der Erfolg des Diebstahls noch geschützt wird. Auch das Nahrungsmittel¬
gewerbe ist gewillt, die beständig wachsenden Kosten der Arbeiter¬
versicherung als ein notwendiges Opfer zu tragen; sie verlangt aber eine
größere Rücksichtnahme bei dem weiteren Ausbau der Sozialpolitik. —
Dr. Popp erblickt die Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelkontrolle haupt¬
sächlich darin, daß das Gesetz keine Definition für die Ausdrücke „ver¬
fälscht“ und „nachgemacht“ gibt, sondern daß die Erklärung dieser Begriffe
dem Richter von Fall zu Fall überlassen wird. Die Ansichten der Sach
verständigen gehen infolgedessen sehr weit auseinander. Dazu kommt es,
daß die Sachverständigen einmal aus wissenschaftlichen, das andere Mal aus
gewerblichen Kreisen genommen werden. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
Oskar Kramer (Trenacen-Teplitz), Beiträge zur praktischen Therapie
der Darmsekretionsstörungen (Diarrhöe und Obstipation). (Klinj-therap.
Wochenschrift, Nr. 50, 1910.) Die 41° C warme Trinkquelle in Trenaceen-
Teplitz gehört zu den schwefelkalkhaltigen Quellen, die bei einem großen
Teil der Badegäste Obstipation verursachen und dadurch die gleichzeitige
Verabfolgung von Purgantien erforderlich machen.
Hierzu eignen sich die Gelonida Aluminii subacetici besonders
gut, weil sie neben der purgierenden Wirkung auch sonst sehr günstig auf
die Magen-Darmfunktion einwirken.
Zur Behebung leichter Obstipation kommen die Gelonida Aluminii
subaceti'ci Nr. I in Betracht, d. i. sulfathaltige, schwerlösliche, essig¬
saure Tonerde, deren Wirksamkeit als Purgans und Darmdesinfiziens pharma¬
kologisch-experimentell und klinisch von Blasius, Bickel, Aufrecht.
Dreuw u. a. erprobt worden ist.
Die praktische Verwendbarkeit dieses neuen, wissenschaftlich inter¬
essanten Präparates wurde dadurch außerordentlich erhöht, daß für seine
Darreichungsform ein durch Deutsches Reichspatent geschütztes Tabletten-
verfahren gefunden wurde, welches diese Tablette — Gelonid genannt —.
sobald sie den Magen erreicht hat, zu einem feinsten Pulver zerfallen läßt,
das bei seinem Vorrücken im Darmkanal ganz sukzessive zur Resorption ge¬
bracht wird.
Die Gelonida Aluminii subacetici durchziehen den Darmtraktus
ganz langsam und üben hierbei gleichzeitig eine deutlich desinfizierende
Wirkung aus; sie haben sich dadurch bei Obstipation, hämorrhoidalen Zu
ständen, bei Urticaria, die in gestörten Verdauungszuständen ihren Grund hat.
und zahlreicher auf parasitärer Grundlage beruhenden Darmleiden bewährt.
Die Gelonida Aluminii subneetiei kommen in dreifacher Form
zur Verwendung:
a) Gelonida Aluminii subacetici Nr. I, mild abführend, haben sich als
wirksamstes Mittel gegen Darmparasiten (Oxyuris verraicularis) erwiesen;
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Digiti;
Referate und Besprechungen. 403
b) Nr. II, leicht stopfend (bei Diarrhöen);
c) Nr. UI, stark abführend, sobald bei den indizierten Darmleiden
hartnäckige Verstopfung besteht.
Die Gelonida werden von der Firma Goedecke & Co., Berlin, in den
Verkehr gebracht. Neumann..
R. Gottlieb u. R. Tambach, Über Digipuratum. (Münchn. rned. Wochen¬
schrift. Nr. 1, 1911.) Da eine chemische Wertbestimmung der Digitalis un¬
möglich ist, sind alle Sachverständigen darin einig, daß für eine rationelle
Digitalistherapie die ausschließliche Verwendung physiologisch dosierter Digi*
talispräparate verlangt werden muß.
Der Forderung exakter Dosierbarkeit würden die reinen wirksamen Be¬
standteile der Digitalis natürlich am besten entsprechen. Doch erfolgt bei
dem wirksamsten von ihnen, dem Digitoxinum crystall., die Resorption vom
Magen oder vom Mastdarm aus zu ungleichmäßig. Die Wirkung des Digitalin
ist zu schwach .und vor allem nicht nachhaltig genug, und die gleichen Nach¬
teile besitzen die wirksamen Bestandteile anderer zur Gruppe der Digitalis
gehöriger Pflanzen, wie das Konvallamarin, Adonidin, Strophantin u. a.,
bei ihrer Einführung in den Magen. Alle rein dargestellten Glykoside
scheinen demnach nicht das gleich ungünstige Verhältnis von Resorbierbar¬
keit, Zerstörbarkeit und Ausscheidbarkeit zu besitzen wie die ursprünglich
wirksamen Bestandteile der Digitalis in ihrer, in der Pflanze selbst ent¬
haltenen Form. Gerade der Vergleich mit den rein dargestellten Glykosiden
zeigt, wieviel bei der stomachalen Digitalistherapie auf eine gleichmäßige
und gute Resorbierbarkeit des Präparates ankommt, und wie die Nachhaltig¬
keit der Wirkung von dem Verhältnis zwischen Resorption und Entgiftung
(Zerstörung und Ausscheidung) abhängt.
Damit der Erfolg bei der Einführung in den Magen rasch genug her¬
beigeführt werden kann, muß man ein Digitalispräparat von genügender
Wirkungsstärke und von guter Resorbierbarkeit anwenden. Damit der Erfolg
nachhaltig genug sei, dürfen die wirksamen Substanzen nicht allzu rasch
im Organismus zerstört resp. ausgeschieden werden. Weiterhin muß von
einem Digitalispräparat verlangt werden, daß es den Magen und Darm mög¬
lichst wenig belästige. Es wird immer Fälle geben, in denen besonder^
empfindliche Verdauungsorgane schon gegen die ersten Gaben, besonders
aber bei fortgesetzter Anwendung derart reagieren, daß die intravenöse Zu¬
führung gewählt werden muß. Die gewebreizende Wirkung der therapeu¬
tisch wertvollen Glykoside muß eben in Kauf genommen werden; bei der
Anwendung der Blätter kommt aber noch die Reizwirkung verschiedener
therapeutisch wertloser Substanz hinzu, die etwa 85—90% ihrer Trocken¬
substanz ausmachen; es sind zum größten Teil gleichgültige Ballaststoffe,
zum Teil sind sie aber auch, wie das zu den Sa.poninen gehörige Digitonin,
für die Magendarmschleimhaut direkt schädlich.
Da die Digitalisblätter sich bisher allen rein dargestellten Substanzen
als überlegen erwiesen haben, wird das Digipuratum vor allen Dingen mit
ihnen zu vergleichen sein. Das Digipuratum behält seine Wirksamkeit jahre¬
lang bei. Es wird auf den Wirklings wert stark wirkender Blätter eingestellt;
wie die gesamte IWirkungsstärke ist auch' der Digitoxingehalt stets der gleiche
und beträgt wie in gut wirksamen Blättern 0,38—0,40%. Das Digipuratum
ist ein Gemisch der Gerbsäure Verbindungen der Digitalisglykoside — Digitan-
noide — mit- überschüssiger Gerbsäure. Im Mittel verteilt sich die Wirksam¬
keit des Digipuratums zu 50—55% auf Digitoxin lind zu 45—50% auf die
anderen wirksamen Bestandteile. Vor den titrierten Blättern hat das Digi-
pnratum die gleichartige Zusammensetzung, die bedeutendere physiologische
Wirkungsstärke und das Fehlen von den Magen störenden Ballaststoffen
voraus.
Das Digipuratum vereinigt somit eine energische Wirksamkeit mit einer
relativ geringen Belästigung des Magens und Darmes.
Iu einer weitgehenden Befreiung von störenden Nebenbestandteilen liegt
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der Vorzug des Digipuratums. Es nähert sich dadurch dem Ideale der An¬
wendung reiner Substanzen, ohne jedoch, da die wirksamen Bestandteile
in ihm in einer leicht löslichen Form enthalten sind, den Nachteil ungleich¬
mäßiger Resorption zu besitzen, der dem reinen Digitoxin anhaftet.
Neumann.
Stopf- und Abführmittel. Für den Arzt, der mitten in der Praxis steht,
ist oft ein zuverlässiges Abführmittel wichtiger als eine geistreiche Hypo¬
these. Verhältnismäßig wenig bekannt ist noch immer das Phenol¬
phthalein. Man kann es entweder in Pulverform geben ä 0,1—0,3 g oder
in Verbindung mit Valeriana als Aper i toi, das in Tabletten und in Bon¬
bons im Handel ist. Das Mittel wird abends gegeben und wirkt tuto et
jucunde am nächsten Morgen. Zu den mancherlei Aposteln des Aperitol
gehört auch Ch. E. Bufck (Boston) in der deutschen Medizinalzeitung,
Nr. 48, 1910.
Für den umgekehrten Zweck empfiehlt H. Tennenbaum aus dem
K. k. allgemeinen Krankenhaus in Wien das Almatei'n, ein feines ziegel¬
rotes Pulver, welches durch die Einwirkung von Formaldehyd auf Häma-
toxylin entstanden ist. Er hat in 50 verschiedenartigen Formen von Durch¬
fällen mi't Einzeldosen mou 0,5 bis 1 g (2 bis 6 g pro die) gute Erfolge ge¬
habt. (Zentralbl. für innere Medizin, Nr. 13, 1909.)
Nebenbei bemerkt, kann Almatein auch als Ersatz für Jodoform an¬
gewendet werden.
Bei dieser Gelegenheit darf Ref. vielleicht an die alte Co torinde er¬
innern, deren Glykosid sich ihm teils in Form von Tinctura Coto (20—30
Tropfen), teils als Cotoin bzw. Paracotoin (0,1—0,2 g mehrmals) in der
täglichen Praxis immer wieder bewährt. Buttersack (Berlin).'
A. Zeller (Stuttgart), Über Cycloform — ein lokales Anästhetikum.
(Med. Klinik, Nr. 45, S. 1784, 1910.') Das Präparat kam als Streupulver
und als 5- und 10%igfc Salbe zur Verwendung. Im allgemeinen wurde
die Salbe bevorzugt, weil sich das Cycloform in Fett zum Teil löst und da¬
durch stärker anästhesierend wirkt. Für viele Fälle genügt die schwächere
Salbe. Bei größeren Wundflächen wurde aber auch häufig das Pulver auf¬
gestreut, das die angenehme Eigenschaft hat, daß es mit dem Wundsekret
keinen abschließenden Schorf bildet, sondern sich jederzeit leichtab¬
spülen läßt.
Die Fälle, bei denen das Cycloform gebraucht -wurde, waren einmal
Brandwunden, bei denen nach Abtragung der Blasen die Salbe aufgelegt
wurde, dann die schmerzhaften Rhagaden an den Händen beim chronischen
Ekzem, leichtere Fälle von Fissura ani, intertrigo, beginnender Dekubitus
und schmerzhafte Granulationen. Nach der Thermokauterisation von Hämor¬
rhoidalknoten beseitigte ein mit der Salbe bestrichener Tampon, in den
Anus gelegt, die heftigen Schmerzen des ersten Tages.
Die oft unerträglichen Schmerzen bei den Verdauungsekzemen bei
Kotfisteln wurden auf das günstigste beeinflußt, nur ist hier ein häufigerer
Verbandwechsel nötig als bei gewöhnlichen Wundflächen. Bei diesen hält
die anästhesierende Wirkung, die sehr rasch eintritt, 10—12 Stunden und
länger vor. so daß der Verband gut 24 Stunden liegen bleiben kann, bei den
Verdauungsekzemen muß er einigemal täglich gewechselt werden.
Das dankbarste Objekt sind wohl die chronischen Unterschenkel-
geschwüre. Hier wurde zunächst das Pulver aufgestreut. Die schmierig
belegten Flächen bekamen bald ein besseres Aussehen und nach einiger
Zeit bildeten sich frische, oft sehr üppige Granulationen. Wenn dieses Sta¬
dium erreicht ist, empfiehlt es sich, das Pulver wegzulassen oder wenigstens
nicht täglich anzuwenden.
Aber auch Ärzte und Schwestern haben sich des neuen Präparates
mit Vorteil bedient. Wenn durch zu vieles Bürsten die Haut der Vorder¬
arme sich rötete und einen brennenden Schmerz verursachte, so gab es kein
besseres Mittel als Cycloform. Eine abendliche Einreibung mit 5 °/o
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Referate und Besprechungen.
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Salbe genügt, um beide Erscheinungen bis zum folgenden Morgen ver¬
schwinden zu lassen.
Bei allen Versuchen wurden niemals die geringsten Reizwirkungen
beobachtet, geschweige denn, wie schon erwähnt, Resorptionserscheinungen.
Ein Versagen des Mittels kam kaum jemals vor, man muß nur daran fest-
halten, daß das Cycloform ein lediglich oberflächlich wirkendes Anästhe-
tikum ist. Auf solche Erkrankungen beschränkt, wirkt es aber vortrefflich
und kommt einem entschiedenen Bedürfnis entgegen. Neumann.
Allgemeines.
H. Pudor (Leipzig), Die Bedeutung des Wassers für Landschaft und
Städtebau. (Zeitschr. für physikal. u. diätet. Therap., Bd. 15, S. 29—32,
1910.) Man wird allmählich der Steinanhäufungen, Städte genannt, müde.
Wer es irgend machen kann, entzieht sich ihrem Einfluß, der nach Vampyr -
art blutsaugend wirkt, und flüchtet aufs Land. Denen aber, welche zu bleiben
gezwungen sind, wollen die Obrigkeiten in Wald- und Wiesengürteln u. dgl.
ein Surrogat für die Natur schaffen. Aber sie haben dabei das Wasser ver¬
gessen. Auf diesen Mangel macht Pudor im vorliegenden Artikel aufmerk¬
sam. Er betont neben dem ästhetischen Faktor besonders den hygienischen
und wird mit dem Hinweis auf die staub- und bazillenwegschwemmende
Tätigkeit des Wassers gewiß vielfach Verständnis finden.
Pudor’s Anregung verdient Beachtung. Denn Wasser gehört ebenso
zur „Natur“, wie Wälder, Berge, Vögel usw.; und -wenn jemand Gelegenheit
hat. für die Erhaltung von Seen, Ausgestaltung von Flußläufen und dgl.
einzutreten, werden es ihm seine Enkel danken. Buttersack (Berlin).
Kraut (Hamburg), VII. Deutscher Abstinententag, Augsburg. (Med.
Blätter, Nr. 46, 1910.) Kr. sprach über praktische Vorarbeit zum Gemeinde-
bestimmungsrecht. Das sog. Gemeindebestimmungsrecht (nicht zu verwechseln
mit der in der nordamerikanischen Union üblichen Lokaloption) will jeder
Gemeinde das Recht verleihen, über jedes Gesuch um Erteilung einer Kon¬
zession für Ausschank und Kleinhandel von geistigen Getränken innerhalb,
des Gemeindegebietes durch Abstimmung der volljährigen männlichen und
weiblichen Personen der Gemeinde eine Entscheidung zu treffen. 2. Durch
Abstimmung der volljährigen männlichen und weiblichen Personen der Ge¬
meinde eine grundsätzliche Entscheidung darüber herbeizufiihren, ob künftig
überhaupt Konzessionen für Ausschank und Kleinhandel innerhalb des Ge¬
meindegebietes erteilt werden sollen. Ein schon heute gangbarer Weg ist die
freiwillige Gemeindeabstimmung, die die auf Anlaß von Alkoholgegnern
innerhalb einer Gemeinde oder in größeren Gemeinden innerhalb eines Häuser-
Viertels, in dem um eine Konzession nachgesucht wird, darüber vorzunehmendc
Abstimmung, ob den Anwohnern die betreffende Wirtschaft erwünscht ist
oder nicht. S. Leo.
H. Rohleder (Leipzig), § 250, der Ersatz des § 175, in seinen event.
Folgen für das weibliche Geschlecht. (Reichsnied.-Anz., Nr. 3, 1911.) An¬
läßlich der von dem neuen Strafgesetzentwurf beabsichtigten Einbeziehung
des weiblichen Geschlechtes bei Bestrafung des homosexuellen Verkehrs defi¬
niert R. seinen Standpunkt dahin, daß abgesehen von dem nach R. bewiesenen
Eingeborensein des homosexuellen Triebes: 1. die Logik den Gesetzgeber dahin
führen sollte, wie die heterosexuellen Perversitäten, auch die homosexuellen,
also den § 175, resp. den § 250 des Entwurfes fallen zu lassen; 2. wird der
§ 250 Gesetz, so wird er in seiner Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf
das weibliche Geschlecht zu einer großen Reihe von Unzuträglichkciten in
der Rechtsprechung führen» und eine neue Prostitution großzüchten, eine
Prostitution, die bisher in Deutschland unbekannt war, die weibliche homo¬
sexuelle Prostitution und vielleicht auch ein weibliches Erprcssertum. Mit
dem Wegfall des § 175 würde das männliche Erpressertum wegfallen; wird
aber § 250 Gesetz, so werden wir eine weibliche Chantage erleben, die, obwohl
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Bücherschau.
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heterosexuell fühlend, aus pekuniären Gründen zu homosexuellen Handlungen
mit •wahren Urninden sich hingibt. Wenn weiter nach den Angaben ver¬
schiedener Forscher 25—50°/o aller Bordelldirnen sich homosexuell betätigen,
so kann man sich einen Begriff machen, in welchem Umfange strafbare Delikte
nach § 250 des Entwurfs die Gerichte beschäftigen werden. Denn infolge
des großen Bestandes der heterosexuellen weiblichen Prostitution im Deutschen
Reiche, des ausgedehnten Bordellwesens und der Verbreitung pseudohomo¬
sexueller Akte findet ein solcher Verkehr weit öfter zwischen Weibern als
zwischen Männern statt. S. Leo.
Bücherschau.
K. Loening (Halle a. S.), Medizinische Essays. 1. Bd., 1. Teil. Leipzig 1910.
Verlag von Benno Konegen. 240 S. 4,20 Mk.
Im Jahre 1876 schrieb Max Müller in seinen Essays (IV, S. 255): „Zu
wissen, welche Bücher man lesen muß und welche man ohne Schaden ungelesen
lassen kann, ist eine Kunst, die in dieser Zeit der literarischen Fruchtbarkeit jeder
wissenschaftliche Mann lernen muß“. Aus einem ähnlichen Gedankengang heraus
hat K. Loening dem Reiehs-Medizinal-Anzeiger eine Reihe von verschieden langen
Aufsätzen entnommen, von denen er offenbar wünscht, daß sie nicht in den Fluten
der täglichen Literatur untergehen. Es sind ihrer 48 aus allen Gebieten der Medizin;
mithin findet jeder Leser etwas, was ihm zusagt. Wenn es gestattet ist, auf zwei
Arbeiten speziell hinzuweisen, so wären es die von Hughes (Bad Soden) und
Heilbronn er (Utrecht). Der erstere betont, wie wichtig die Funktion des Zwerch¬
fells ist und wie sich durch methodische Übung dieses Muskels allerlei Störungen
im physiologischen Haushalt beheben lassen. Heilbronner verbreitet sich über
die autonomen Verstimmungen, Zustände, die im praktischen Leben häufiger Vor¬
kommen als man denkt, die aber von denen übersehen zu werden pflegen, welche
wähnen, jenseits der physikalisch-chemischen Untersuchungsmethoden gäbe es keine
Krankheiten.
Der Historiker des Jahres 1950 wird aus den Essays mit Interesse entnehmen,
welche Vorstellungen und Fragen uns Heutige bewegt haben. Buttersack (Berlin).
W. H. Becker, Therapie der Geisteskrankheiten für praktische und Nervenärzte.
• Leipzig 1911. Verlag von Benno Konegen. 112 S. 2,60 Mk.
Das Büchelclien will in erster Linie den Praktiker, der sich in der Behand¬
lung Geisteskranker ohne Anstalt behelfen muß, eine Übersicht über die Hilfsmittel
bieten. Ein langes Kapitel ist den chemischen Berukigungsmitteln gewidmet, von
denen B. die Hyoszin-(Skopolamin-)Morphiummischung wegen ihrer raschen und
sicheren Wirkung, und dem (relativen) Fehlen der Abstinenzsymptome allen anderen
vorzieht. Bemerkenswert ist, daß B. der Kastration in gewissen Fällen das Wort
redet und die Angst vor ihr als Humanitätsduselei bezeichnet, und zwar nicht nur
hei zu sexuellen Attentaten geneigten, sondern bei verbrecherischen Geisteskranken
überhaupt. In demKapitel über „spezifisch wirkende Medikamente“ bemüht sich B.,
Höflichkeit gegen die Autoren mit Skepsis zu vereinigen. Im Gegensatz zu vielen
Irrenanstalten und Sanatorien, in denen die „kräftige“ Ernährung allgemeines Haus¬
gesetz ist, gibt B. zu, daß eine durch mehrere Wochen geführte laktovegetabile
Diät den Reizzustand des Nervensystems erheblich herabsetzen könne. Kapitel
über die Behandlung von Dekubitus, Kotschmieren, Masturbation und Nahrungs¬
verweigerung, sowie ein Anhang über die Nomenklatur machen den Beschluß, in
dem sich der gute Rat findet, daß der Praktiker durch eine neue Aufstellung des
immer in Umordnung begriffenen psychiatrischen Museums sich nicht irre machen,
sondern getrost hei den in seiner Lehrzeit üblichen Einteilungen bleiben solle.
Fr. von den Velden.
A. Kunert (Breslau), Unsere heutige falsche Ernährung als letzte Ursache für die
zunehmende Zahnverderbnis und die im ganzen schlechtere Entwicklung unserer Jugend.
Selbstverlag. 32 S.
Die Broschüre, der eine kräftige Wirkung zu wünschen ist, steht auf dem
Boden von Röse’s Untersuchungen und agitiert für aus dem ganzen Korne her¬
gestelltes Brot, Obst und kalkhaltiges Wasser und gegen Weißbrot und Zucker.
K. erklärt es für Pflicht der Regierung, durch Errichtung einer Versuchsanstalt
für das Müllerei- und Bäckereigewerbe an der Brotreform mitzuarbeiten, da ja eine
völlige Klarheit über die Beschaffenheit des besten Brotes noch nicht herrscht und
die verschiedenen Reformbrote sich in den Haaren liegen. Es wird nicht allzu-
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407
schwer sein, ein vollwertiges Brot herzustellen; weit schwerer aber wird es sein
die Menschheit dazu zu bringen, daß sie sich davon nährt, nachdem einmal die
Nahrungsgewohnheiten bequemer und raffinierter geworden sind; auch ist nicht ab-
zuleugnen, daß, wer nioht hart körperlich arbeitet, Mühe haben wird, das kleien¬
haltige Brot richtig zu verdauen.
Sehr richtig ist der von K. zitierte Ausspruch des Physiologen Sir Michael
Förster: „Laien sollten endlich aus der Illusion gerissen werden, die Wissenschaft
sei imstande, in der Ernährungsfrage das entscheidende Wort zu sprechen, ln
Diätfragen beruht die meiste Kenntnis auf Erfahrung.“
Etwas übertrieben ist wohl die Behauptung K.’s, die Verheerungen, die heute
der Zucker unter der Volksgesundheit anrichte, seien fast noch schlimmer als die
des Alkohols. Sehr richtig aber ist die Feststellung, daß die Schulzahnkliniken
nur symptomatische Hilfe bringen und das Übel verkleistern, anstatt es an der
Wurzel anzufassen. Fr. von den Velden.
W. Huber, Die junge Frau. Betrachtungen und Gedanken über Schwangerschaft,
Geburt und Wochenbett. Leipzig 1910. Verlag von J. J. Weber. 207 S. 3 Mk.,
in Geschenkeinband 4 Mk.
Der Verfasser widmet sein Buch der jungen Frau und der Erhaltung ihrer
Gesundheit. Er lehrt sie den Bau ihres Körpers verstehen und die Tätigkeit ihrer
Fortpflanzungsorgane; führt sie ein in die Ehe, ihrem natürlichen Berufe entgegen;
begleitet sie durch die Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett; schließlich
unterrichtet er sie in der Pflege des Neugeborenen. Das Leitmotiv, das überall
durchklingt, ist das Bestreben, den an sich naturgemäßen Vorgängen ihren gesund¬
heitlichen Charakter zu sichern, vorbeugend Mutter und Kind vor Schaden und
vor Erkrankung zu bewahren. Der Verfasser nimmt es ernst mit der Aufgabe, die
er sich gestellt hat. Belehrend bald und bald beratend, spricht er in erschöpfender
Weise aus reicher Erfahrung. Dabei ist es ihm gelungen, den spröden Stoff in
eine gefällige, leicht faßliche Form zu kleiden. Niemals ermüdend, weiß er den
Leser zu fesseln und zu eigenem Denken anzuregen. Seine Ausdrucksweise ist
klar und bestimmt, seine Kritik sachlich. Aus dem Ganzen spricht ein hoher Grad
von Gefühlswärme, der persönlich wirkt, wie das beruhigende Wort eines guten
Freundes. Eine gewisse Ausführlichkeit in der Darstellung des Geburtsverlaufes
halten wir für sehr zweckmäßig besonders für solche Fälle, wo eine Entbindung
plötzlich erfolgt, oder wo in abgelegenen Gegenden mit mangelhaften Verkehrs¬
mitteln die nötige sachverständige Hilfe nicht rechtzeitig zu beschaffen ist; wo der
Ehegatte und die Umgebung oft ratlos dasteht und in der Angst des Herzens Vor¬
kehrungen getroffen werden, die mehr schaden können als nützen.
Alles in allem, ein gutes Buch, das niemand, weder der Laie noch der Fach¬
mann, unbefriedigt aus der Hand legen wird. Es sollte jeder Braut als hygienischer
Berater und Begleiter für das eheliche Leben mitgegeben werden. Wir wünschen
ihm die weiteste Verbreitung. R.
Br. Bosse u. W. Eliasberg, Der Dämmerschlaf oder die Skopolamin-Morphin¬
mischnarkose in ihrer Anwendung bei Entbindungen und Operationen. Volkmaun’s
Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 599/601. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr.
Barth. 2,25 Mk.
Die Verfasser sind entschiedene Anhänger der Dämmerschlafentbindung und
wollen von den von anderer Seite beobachteten Schädigungen von Mutter und
Kind nichts oder fast nichts gelten lassen. Ihre Erfahrungen sind zum größten
Teile nicht in der Priyatpraxis, sondern in einem Entbindungshaus gesammelt, wo
stets sachverständige Überwachung zu Gebote stand, was der Praktiker, der in ihre
Fußstapfen zu treten wünscht, nicht außer acht lassen sollte.
Auf die Einzelheiten der sehr ausführlichen Arbeit kann hier nur in be¬
schranktem Maße eingegangen werden, schon um den Eindruck zu vermeiden, als
könne man sich ohne eingehendes Studium an die Ausführung einer Dämmernarkose
wagen. Für den Praktiker ist es bis jetzt sehr störend, daß die Injektionslösung
frisch bereitet sein muß (nicht älter als 24 Stunden), und daß die eigene Herstellung
in Anbetracht der notwendigen feinen Wägung so gut wie ausgeschlossen ist.
Kontraindiziert ist die Dämmernarkose bei schlechten und unregelmäßigen Wehen
und bei beträchtlichen Kreislaufsstöningen, während Lungenkrankheiten weniger in
Betracht zu kommen scheinen; ferner bei allgemeinen Schwächezuständen und Fieber.
Der zweite Teil des Heftes beschäftigt sich mit der Skopolamin-Morphium-
injektion als Vorbereitung und Beihilfe der Inhalationsuarkose. Auch von diesem
Verfahren sind die Verfasser sehr entzückt; ein näheres Eingehen auf Einzelheiten
dürfte für den Praktiker zwecklos sein. Fr. von den Velden.
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Bücherschau.
Emilie Mieslinger u. K. Wirth (Wien), Die Krankenkost. Ein praktisches Hand¬
buch für Ärzte, Kranken- und Wohlfahrtsanstalten, Sanatorien, Pfiegepersonen,
Erziehungsanstalten und für die Familie. München 1910. Verlag von J. F. Lehmann.
2.50 S. 3,60 Mk.
Hier haben sich Arzt und perfekte Köchin zusammengetan, um das weite
Gebiet der Kochkunst für die verschiedensten Kranken ohne Betonung einseitiger
Theorien zu erschlichen; und zwar in einer reichen .Sammlung schmackhafter,
leichter und guter Rezepte, unter möglichster Vielseitigkeit und Abwechselung. Die
Art der Zubereitung ist keineswegs einseitig der österreichischen Küche entnommen.
Zunächst erfolgen Tabellen über die Verdaulichkeit der Speisen und Fette
und über den Eiweißgehalt der verschiedenen Milch-, Fleisch- und Käsesorten.
Dann wird das tägliche Brot des Kranken und Gesunden, die Temperatur der
Speisen und Getränke, Krankenzimmer und Krankenpflege besprochen. Nun folgt
die Nahrung der Kranken in speziellen Krankheitsfällen, also zunächst bei den
verschiedenen Magen- und Darmkrankheiten, Nahrungsmittel und Getränke für
Blutarme, Fiebernde, Gichtkranke, Herz-, Nieren-, Leber- und Gallensteinkranke,
für Blasenleidende, Lungenkranke, Konstipierte, Hämorrhoidarier, Hals- und Kehl¬
kopfleidende, Hautkranke. Endlich kommt die Ernährung der Schwangeren und
Wöchnerinnen, die Zubereitungsarten der Drüsensubstanzen, die Ernährung der
Zuckerkranken, der Kinder und Gesunden in kranken Tagen (Rachitis, Skrofulöse).
Im 2. Abschnitt wird die allgemeine Krankenkost besprochen; es folgt eine
reiche Anzahl guter Rezepte unter bestimmten Gesichtspunkten: Suppen, Saucen,
Eierspeisen, Gemüse usw. Am Schlüsse wird der Weck’sche Apparat besprochen,
dann kommt ein brauchbares Sachregister. v. Scnnizer (Höxter).
Neue Medikamente.
Adalin.
Chemische Bezeichnung: Bromdiäthylazetylkarbamid.
Formel: C 2 H ö \ /Br.
C, 2 CO. NH. CO. NH*
Chemische und physikalische Eigenschaften: Weißes, fast
geschmack- und geruchfreies Pulver von neutraler Reaktion. In kaltem
Wasser und Petroläther ist es sehr wenig löslich, leichter in heißem
Wasser, leicht in Alkohol, Azeton und Benzol. Bromgehalt ca. 33°/ 0 .
Indikationen: Als Sedativum bei Hysterie, Neurasthenie, Er¬
regungszuständen etc.; ferner bei Dementia praecox, Manie, senilen
Delirien, Chorea, Basedowscher Krankheit usw.; als Hypnotikum bei
Schlaflosigkeit im Anschluß an Endokard- und Myokarderkrankungen
infektiöser und arteriosklerotischer Natur, bei Spinalparalyse, Tabes, Gicht,
Diabetes mellitus, Blasen-, Becken-, und Nierenerkrankungen, Typhus,
Karzinom, schweren Anämien, Chlorose, Pneumonie, Tuberkulose in allen
Stadien usw.
Dosi'erung: Zur Erzielung einer sedativen Wirkung drei- bis
viermal täglich 0,25—0,5 g in kaltem Wasser; als Schlafmittel kurz
vor dem Zubettgehen eine einmalige Dosis von 0,75—1,0 g unter Nach¬
trinken von heißem Zuckerwasser oder dünnem Tee etc.
Verordnung: Am bequemsten in Tablettenform:
Rp. Tabl. Adalin 0,5 No. X.
Originalpackung Bayer. Preis M. 1.75.
Ferner als dispensierte Pulver h 0,25—1,0.
Literatur: Aus der 1. medizinischen Klinik der Königl. Charitö in Berlin:
Dr. Fleisch mann, Med. Klinik Nr. 47, 1910. — Aus Österreichers Privatanstalt für
Gemüts-und Nervenkranke, Nordend beiBerlin: Dr. Finkh, Med.KlinikNr. 47, 1910.—
Aus dem städt. Siechenhaus zu Frankfurt a. M. (Prof. Dr. Knoblauch): P. Schaefer,
Münch, med. Wochenschr. No. 51, 1910. — Aus der Direktorialabteilung des städt.
Krankenhauses Nürnberg (Prof. Dr. Müller): E. Scheidemantel, Münch, med.
Wochenschr. No. 8, 1911. — H. Hirschfeld, Berl. klin. Wochenschr. No- 8, 1911. —
Geh.-Med.-Rat Prof. Dr. A. Eulenburg, Med. Klinik No. 10, 1911.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
Fortschritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
henuBgegebea ron
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Dox. Dr. t>. Crleger»
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Dannstadt.
|| Bracheint wöchentlich xum Preise von 5 Mark
Nr. 18, lür das Halbjahr.
_ 11 =—: Verlag von Georg Thleme, Leipzig. =
4. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
w
Sehnenoperationen.
Von Dr. Gustav Muskat, Berlin, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie.
Die Sehnenoperationen lassen sich in Verlängerungen, Ver¬
kürzungen, Ersatz verloren gegangener Teile und Überpflanzungen
ein teilen.
Die Sehnen Verlängerung kommt überall dort in Frage, wo
durch eine zu starke Spannung Skeletteiie in einer falschen Stellung
zu einander fixiert werden. Bei jeder Kontraktur, sei sie nun auf
entzündlicher, paralytischer oder kongenitaler Basis entstanden, bildet
der verkürzte Muskel ein Haupthindernis für die Graderichtung. Bei
Luxationen entzündlicher, paralytischer, kongenitaler und traumatischer
Art verkürzen sich die Muskeln dadurch, daß ihre Insertionspunkte
einander genähert werden. So sind beispielsweise bei der angeborenen
Hüftverrenkung die Adduktoren erheblich verkürzt, da ihre Ansatz¬
punkte am Oberschenkel durch das Herauf rücken des Kopfes am Becken¬
knochen näher aneinander zu liegen kommen. Bei angeborenen Ver¬
renkungen am Kniegelenk, bei welchen der Unterschenkel mit dem
Oberschenkel einen nach vorn offenen Winkel bildet, ist der Muse,
quadriceps verkürzt und setzt den Repositionen ein großes Hindernis
entgegen. In ähnlicher Weise treten Verkürzungen bei schief geheilten
Knochenbrüchen und bei Verbiegungen z. B. bei Rachitis oder Ver¬
krümmungen der Wirbelsäule ein.
Die einfachste Methode zur Verlängerung derartig verkürzter
Sehnen war lange Zeit hindurch die unblutige Dehnung mit. der Hand.
Die erste maschinelle Vorrichtung stammt aus dem Anfänge des 16. Jahr¬
hunderts. Die einfachste operative Maßnahme besteht in der subku¬
tanen Durchtrennung der gespannten Sehne. Diese subkutane Opera¬
tionsmethode ist erst auf Umwegen erreicht worden, da zunächst eine
offene Durchschneidung in Anwendung kam. Infolge der zahlreichen
Mißerfolge durch Vereiterung der Wunden wurde dieses Verfahren’
ganz aufgegeben. Der erste, welcher systematisch die subkutane Durch-
schneidung der Achillessehne bei Klumpfuß anwendete, war der be¬
rühmte Chirurg Stromeycr, welcher im Jahre 1831 mit dieser Ope¬
ration der Vater der modernen orthopädischen Chirurgie geworden ist.
1 ) Muskat, Die kongenitalen Luxationen im Kniegelenk.
Chir., Bd. 54, H. 4, 1897,
Archiv für klin.
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Gustav Muskat,
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Mit Recht sagt Dieffenbach *) von ihm: „Das Verdienst der "Wieder-
einverleibnng der Sehnendurchschneidung in die Chirurgie war meines
Erachtens größer als die Entdeckung des Sehnenschnittes selbst; denn
es ist leichter, eine neue Entdeckung zu machen, als etwas Bekanntes,
welches als unbrauchbar angesehen worden, in seinem wahren Wert«
zu erfassen und der Wissenschaft neu und geläutert zurückzugeben.“
Die Durchschneidung kann entweder von innen nach außen, oder
von außen nach innen ausgeführt werden. Wählen wir als Beispiel
die am häufigsten ausgeführte Tenotomie der Achillessehne, so würden
sich die Operationsmethoden folgendermaßen gestalten: Durch einen
Assistenten wird der Fuß in möglichst starke dorsale Stellung gebracht
wodurch die Achillessehne angespannt wird. Von der medialen Seite
her wird ein spitzes leicht gebogenes Tenotom flach unter die Sehne
durch die Haut durchgestoßen. Zu vermeiden ist das Durchstoßen
durch die Haut der äußeren Seite. Liegt das Messer, welches man mit
der Fingerspitze kontrollieren kann, richtig, so wird es um 1)0° ge¬
dreht und durch kräftigen Zug durch die Sehne durchgezogen, ohne
die Haut zu durchtrennen. Das Klaffen der Sehne ist deutlich zu
fühlen und eine Überkorrektur nach der Dorsalseite ist ohne Schwierig¬
keiten nunmehr möglich. Das Messer wird jetzt wieder in flache Lage
zurückgedreht und vorsichtig herausgezogen. Eine Verletzung der Art.
tibialis post, ist so gut wie ausgeschlossen, wenn der Einstich ander
medialen Seite erfolgt.
Bei der anderen Operationsweise wird ein spitzes, gerades, schmales
Tenotom zwischen Haut und Sehne eingestoßen, und durch Drehung
um 90 Grad wird die Sehne von außen nach innen durchtrennt. Nach
den Erfahrungen die an der Hand einer außerordentlich großen AböW
von Operationen und später durch exakte wissenschaftliche experi¬
mentelle Arbeiten begründet sind, hat sich ergeben, daß die Lücke zwischen
den beiden durchschnittenen Sehnenenden zunächst durch Blut aus
gefüllt wird, und daß nach einigen Monaten an Stelle des Blutgerinnsels
sich ein sehniges Zwischenstück findet, das eine solide Verbindung
zwischen den beiden durchschnittenen Sehnenenden darstellt und makro¬
skopisch wie mikroskopisch große Ähnlichkeit mit den ursprünglichen
durchschnittenen Sehnen hat. Nach einzelnen Autoren geht die Neu¬
bildung von den durchschnittenen Sehnenstümpfen aus, während andere
das Bindegewebe zur Erklärung der Neubildung heranziehen und wieder
andere beide Entstehungsorte annehmen. Seggel 2 ) sagt: ..Der durch
Retraktion der Sehnenenden entstehende Defekt wird von einem Blut¬
erguß ausgefüllt. Dieser wird von den Elementen des Peritoneum ext
und int. aus organisiert und so zunächst die Verbindung der beiden
Sehnenenden wieder hergestellt. Sekundär findet dann ein Ersatz des
primären lnterprolationsgewebes durch eigentliches typisches Sehni¬
ge webe statt, indem vom sechsten Tage ab die Regeneration der Sel$ ?
einsetzt, zuerst in den tiefen ventralen Schichten, die infolge der hier
intakt gebliebenen Sehnenscheide unter besseren Ernährungsbedingung^
stehen als die dorsal gelegenen Elemente, über denen eine ausgiebig 1 '
Spaltung der Sehnenscheide stattgefunden. So wird sekundär das primäre
Ersatzgewebe durch Sehnenregeneration völlig zum Verschwinden
gebracht.“
x ) Dieffenback, Über Durchschneidung der Sehnen und Muskeln, 1841.
*) Seggel, Histologische Untersuchungen über die Heilung von Sehnen*
wunden und Sehnendefekten. Beitrag zur klin. Cir., Bd. 37, 1903.
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Sehnenoperationen.
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Wie sich die Sehnenneubildung bei der Auslegung von seidenen
Sehnen vollzieht, ist noch nicht völlig aufgeklärt. Wahrscheinlich bildet
sich durch den Reiz des Fremdkörpers ein jugendliches zellreiches Ge¬
webe, welches sich später in zellarmes Bindegewebe und schließlich
in echtes Sehnengewebe umwandelt. ■
Würden die Verhältnisse an allen Sehnen gleichmäßig so liegen,
so wäre eine Vereinigung durch Verletzung getrennter Sehnen nicht
erforderlich. Leider ist dies aber nicht der Fall. Volkmann machte
schon im Jahre 1882 darauf aufmerksam, daß Sehnen, die völlig isoliert
innerhalb langer synovialer Kanäle verlaufen, außerordentlich wenig
Tendenz zur Regeneration zeigen. Besonders gilt dies von den Sehnen
der Finger und Zehen, von den Sehnen des M. tibialis ant. und post,
und der M. peronei. Die Annahme, daß ein zu geringer Bluterguß in
diesen von Sehnenscheiden umgebenen Sehnen die Ursache der mangel¬
haften Neubildung wäre, ist durch Untersuchungen widerlegt, welche
den Beweis erbrachten, daß ein zu großer Bluterguß oft eher hinderlich
für die Verbindungsneubildung ist. Vielmehr dürfte eine zu frühzeitige
Verwachsung der Sehnenstümpfe mit dem umgebenden Gewebe als
Haupt Ursache anzusprechen sein.
So einfach die Tenotomie in dieser geschilderten Form ist
und so gute Erfolge sie aufzuweisen hat, so läßt sich doch ein
Einwand nicht von der Hand weisen, nämlich, daß es nicht ge¬
lingt, die Länge der künftigen Sehne zu bestimmen. Es ist oft
beobachtet worden, daß nach einer einfachen Tenotomie die be¬
standene Deformität in eine gegenteilige umschlägt. So hat Lange 1 )
einen Fall beschrieben, in welchem aus der Spitzfußstellung, die durch
Durchschneidung der Achillessehnen beseitigt wurde, eine Hackenfu߬
stellung entstanden war. Die Sehne des Wadenmuskels war durch die
Operation des Wadenmuskels zu lang geworden und die Dorsalbeuger
des Fußes hatten ein Übergewicht erlangt. Um diesen unangenehmen
und ungewünschten Nachwirkungen entgegenzutreten, hat Bayer 2 )
eine andere Methode angegeben. Gleichfalls subkutan wird die Sehne
an verschiedenen Stellen angeschnitten, aber nicht völlig durch trennt.
Bayer ging von dem Gedanken aus, daß es ausreichen müsse,
von der gedachten Mittellinie der Sehne die eine Hälfte oben am Muskel
nach der einen Seite, die andere unten am Kalkaneus nach der anderen
Seite einfach subkutan zu tenotomieren und die Lösung der Sehnen¬
hälften voneinander, die ja dank der Parallelfaserung durch Zug am
Kalkaneus spontan eintreten müsse, dem Redressement zu überlassen.
Die Durchschneidung der Sehnenhälften wurde in der Weise ausgeführt,
daß ein schmales Tenotoin .subkutan bis zur Mitte der Sehne vorge¬
schoben und die Sehnenhälfte von hinten nach vorn durchtrennt wurde.
Hübscher 3 ) gibt folgende Modifikation der BayeEschen plastischen
Achillotomie. Er schneidet den oberen Teil der Sehne rechts <und links,
je etwa ein Drittel ein, den unteren Teil der Sehne schneidet er zwischen
innerem und äußerem Drittel durch; nun löst sich beim Redressement
die Sehne in der Weise, daß das obere Ende in dem Spalte der unteren
seitlichen Teile liegt. Auf diese Weise erwartet Hübscher eine
*) Lange, Münch, raed. Wochenschr., Nr. 13, 1902.
*) Bayer, Eine Vereinfachung der plastischen Achillotenotomie. Zentralbl.
für Chir., H. 2, 1901.
•) Hübscher, Modifikation der Bayerischen plastischen Achillotomie. Zentralbl.
für chir. Orthopädie, Bd. 4, H. 12, 1910.
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schnellere und festere Verheilung als bei dem treppenförmigen Verfahren
von Bayer. Natürlich läßt sich dieses Verfahren erst bei etwas breiteren
Sehnen gut anwenden.
Die subkutanen Tenotomien werden außer bei der Achillessehne
auch bei dem Schiefhals (Durchtrennung der Sehne des M. stemocleido-
mastoideus), bei Hüftkontrakturen (Durchtrennung des M. tensor fasciae
latae unterhalb der Spina ant. sup.), und der Adduktoren am Becken¬
knochen angewendet.
Die subkutane Durchtrennung der Beuger des Unterschenkels im
Kniegelenk ist wegen der damit verbundenen Gefahr einer Verletzung
des N. peroneus zugunsten der offenen Durchschneidung von Lange 1 )
u. a. aufgegeben; doch wird die subkutane Tenotomie auch an dieser
Stelle noch angewendet.
An allen anderen Stellen tritt gleichfalls die offene Tenotomie
in Konkurrenz zu der subkutanen. Beim Schiefhals z. B. gewährt
die offene Durchschneidung einen weitaus besseren Überblick als die
subkutane. Lange empfiehlt dabei eine Durchtrennung am Ursprünge
des Muskels (Processus mastoideus), und hier dürfte ein subkutanes
Verfahren nicht empfehlenswert sein, da eine Verletzung des N. accesso-
rius zu befürchten ist.
Ebenso wie der Zwang entsteht, Muskeln und Sehnen zu ver¬
längern, kann die Notwendigkeit eintreten, zu lange Sehnen zu ver¬
kürzen. Wenn die Ansatzpunkte eines Muskels ununterbrochen von¬
einander entfernt sind, so wird sich der Muskel selbst verlängern.
Als Regel läßt sich der Satz aufstellen, daß bei jeder Deformität der
oder die Antagonisten des verkürzten Muskels abnorm verlängert sind.
Deshalb sind zu lang: Beim Spitzfuß die Dorsalflektoren, beim Klump¬
fuß die Pronatoren, der Extens. digit. und die Peronei, beim Plattfuß
der Tibialus anticus und posticus, bei den Kniebeugekontrakturen der
Quadrizeps, bei der Skoliose die Muskeln der konvexen Seite.
Ebenso kommen bei Lähmungen zerebraler und spinaler Form
Erschlaffungen und Verlängerungen vor. Eine weitere Art der Ver¬
längerung war schon oben als Folge einer Tenotomie erwähnt. An
Stelle der willkürlichen Verletzung kann eine unwillkürliche, durcli
ein Trauma hervorgerufene, treten.
Auch wenn bei Näherung zweier Knochenpunkte die Muskeln
sich nicht entsprechend verkürzen und spannen, kann eine Erschlaffung
und Dehnung dieser Muskeln eintreten.
Gemeinsam ist allen Arten der Verlängerung des Muskels der
Mangel an normaler Spannung. Die Leistungsfähigkeit des Muskels darf
nicht lediglich nach der Größe des Querschnittes beurteilt werden, son¬
dern auch nach der Spannung, in der er sich befindet. Die Arbeit, welche
ein gedehnter Muskel zu leisten hat, wird zunächst zur Spannung der
Sehne benutzt werden müssen, und nur der Rest wird zur eigentlichen
Bewegung verwendet werden können.
Die Behandlung derartig gedehnter Muskeln erfolgt durch lang
liegende Verbände oder Apparate. Durch die Operationsmöglichkeit
sind die Resultate verbessert worden.
Ein Herausschneiden eines Stückes aus der Sehne und Vernähen
der Reste kann theoretisch eine Verkürzung herbei führen, ist aber
*)jLange, Operationen an den Weichteilen, Muskeln, Sehnen usw. Handb.
d. orthopäd. Chir.
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Sehnenoperationen.
413
praktisch wenig empfehlenswert, da die Nähte oft nicht halten und
die Sehnenstümpfe wieder auseinander weichen. Lange empfiehlt, die
zu verkürzenden Sehnen mit einem Seidenfaden zu durch flechten, über
dem Seidenfaden je nach Bedürfnis in engere oder weitere Falten zu¬
sammenzuschieben und dann die Seidenfäden zu verknüpfen. Bei sorg¬
fältigster Asepsis und zeitweiliger Drainage sind die Resultate günstig.
Die Indikationen zum operativen Eingreifen werden überall dort ge¬
funden werden, wo eine Verkürzung bestimmter Muskeln notwendig
erscheint, diese aber durch Verbände oder Apparate nicht zu erreichen
war. Lange 1 ) berichtet über einen Fall von Sehnendurchschneidung am
zweiten und dritten Finger, die mit erheblicher Verlängerung {der Sehnen
verheilt war. Die Kraft in den Fingern war eine minimale. Durch
die bei der Operation vorgenommene Verkürzung der Sehnen durch
Fältelung wurde ein so günstiges Resultat erzielt, daß sieben Kilo¬
gramm mit dem gebeugten zweiten und dritten Finger gehalten werden
konnten, ohne daß eine gymnastische Behandlung erfolgt wäre.
Hoffa 2 ) hatte seinerzeit die Verkürzung des Tibialis ant. zur Be¬
kämpfung des Plattfußes empfohlen. Auch zur Feststellung des ge¬
lähmten Fußgelenkes wurde eine Raffung sämtlicher Sehnen ange¬
wendet, deren Enden nach sorgfältigster Vernähung abgetragen wurden.
Nach Vulpius 3 ) ist diese Sehnenoperation nicht so zweckmäßig und
in ihrer Wirkung nicht so andauernd wie die Versteifung des Gelenkes
durch Arthrodese. Das Sprunggclenk eignet sich wegen des ihm beim ,
Gehen dauernd zugenuiteten Wechsels zwischen Beugung und Streckung
nicht sonderlich zur Sehnenoperation, da die notwendige Festigkeit
durch dieses dauernde Spiel in Frage gestellt wird.
Der Ersatz von Sehnendefekten ist in systematischer Weise von
Gluck 4 ) in die chirurgische Technik eingeführt worden. Es lassen sich
auf drei verschiedene Arten Sehnendefekte beseitigen. Erstens, man
kann Sehnen- oder Faszienmaterial von dem Patienten selbst oder von
einem anderen Lebenden oder Toten benutzen (Lexer 5 ); zweitens, man
kann die Sehnenlücke durch Einheilung von Tiersehnen schließen; und
drittens kann man zu dem Verschluß des Sehnendefektes totes Material
verwenden. Kirschner 0 ) hat mit gutem Erfolge eine menschliche Sehne
an Stelle einer anderen eingeheilt, und es ist ihm auch gelungen, ein
gutes, funktionelles Resultat zu erzielen. Nur zeigten derartige Sehnen
die Neigung, sieh zu verlängern. Besser geeignet erwiesen sich ihm
Muskelfaszien, besonders die Fascia lata des Oberschenkels mit ihrem
stärksten Teile, dem Tractus ilio-tibialis (Maissiat'scher Streifen). Alle,
bisher mit körperfremden Material ausgeführten Sehnenplastiken sind
nach seinen Erfahrungen auch mit den Faszien ausführbar.
Nach den Empfehlungen von Lange ist die Seide das beste Material
zum Ersatz verlorengegangener Sehnenstücke. Die Seide muß in Subli¬
mat 1:1000 ausgekocht werden. Durch 48 Stunden hindurch muß eine
*) Lange 1. c.
8 J Hoffa, Lehrb. der orthopäd. Chir.
8 ) Vulpius, Die Sehnenüberpflanzung und ihre Verwertung in der Behandlung
der Lähmungen. Leipzig. Veit & Co.
4 ) Gluck, Ersatz isolierter Sehneustücke durch zusarnmengeflochtene Katgut-
fäden. Deutsche med. Wochenschr. 1884.
5 ) Lex er, Verein für wissenschaftliche Heilkunde, Königsberg. Deutsche
med. Wochenschr. Nr. 35, 1910.
•) Kirschner, Über freie Sehnen- und Faszientransplantation. Beiträge zur
klin. Chir-, Bd. 65, H. 2.
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414
Gustav Muskat,
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Drainage ausgeführt werden. Bei Ausfüllung eines Defektes zwischen
zwei Sehnen wird das periphere und zentrale Ende mit einem doppelten
Faden durchflochten. Die künstliche Sehnenverbindung besteht dann
aus vier Fäden, welche parallel nebeneinander liegen. Die größte Länge
der von Lange angewendeten künstlichen Sehnen beträgt 20—25 cm. Die
primäre Einheilung und die dauernde Erhaltung gelingt bei langen Sehnen
ebensogut wie bei kurzen. Die größte Gefahr besteht z. B. bei schweren
paralytischen Spitzfüßen durch den Spannungsdekubitus. Wenn z. B.
alle Dorsalflektoren gelähmt sind, und nur der Tibialis posticus und
Peroneus brevis zur Verfügung stehen, so werden diese Muskeln auf
die Vorderfläche des Fußes verlagert und durch seidene Sehnen ver¬
längert und am Os naviculare und cuboideum festgenäht. Dann können
diese Seidensehnen bei Herabsinken der Fußspitze nach Abnahme des
Verbandes die Haut durchschneiden. Eine weitere Gefahr, die sich aber
ebenso wie die erste vermeiden läßt, ist der sogenannte Knotendekubitus.
Nach den Ausführungen von Lange ist die von anderen Autoren gegen
die Seidenseime eingew^endete Gefahr der Faden Weiterung eine geringe.
Die Sehnenüberpflanzung, w r elche von Nikoladoni 1 ) in syste¬
matischer Weise zuerst angewandt wurde, ist im Laufe der Jahre von
Drohnik 2 ) und anderen zu einer technischen Vollkommenheit gelangt,
die es ermöglicht, verlorengegangene Funktionen durch Ersatz von seiten
anderer erhaltener Muskeln wieder herzustellen. Bevor eine Sehnen¬
operation angew'endet wird, muß die etwa vorhandene Deformität redres-
siert und beseitigt sein. Würde eine umgekehrte Reihenfolge der Ope¬
ration eintreten, so wäre die Gefahr vorhanden, daß die neu geschaffenen
Sehnenkörper durch das Redressement zu lang würden.
Die Technik der Sehnenverpflanzung muß nach der Art der Über¬
pflanzung in totale und partielle unterschieden werden. Totale Über¬
pflanzungen — Funktionsübertragung — tritt ein, wenn ein ganzer
Muskel mit seiner Sehne zum Ersatz eines anderen, in seiner Funktion
unfähigen, verwendet wird. Z. B. wenn der ganze Extensor hallucis
für den gelähmten Tibialis ant. als Ersatz verwendet w r ird. Durch einen
5—8 cm langen Schnitt werden die Sehnen des Tibialis ant., des Extensor
hallucis und des Extensor digitorum auf der Vorderseite des Unter¬
schenkels freigelegt. Die Sehne des Extensor hallucis w’ird quer durch-
t.rennt, das zentrale Stück gelüst und mit Seide durchflochten. Dieses
zentrale Stück wird nun in einen Schlitz des gelähmten Tibialis ant.
eingeführt und mit der Sehne dieses Muskels mittels der Seiden faden
fixiert. Das periphere Ende wird in einen Schlitz der Sehne des Extensor
digitorum eingenäht, so daß seine Funktion nicht, verloren ist. Nach
Vulpius 8 ) kann man diese Übertragung auch absteigende nennen. Eine
aufsteigende Übertragung würde statthaben, wenn die Sehne des ge¬
lähmten Muskels an der Sehne des funktionstüchtigen befestigt würde
Eine beiderseitige Überpflanzung wäre dann vorhanden, wenn die Sehne
des funktionsfähigen an das zerschnittene Ende des gelähmten Muskels
angeheftet würde. Hoffa 4 ) nannte die absteigende Überpflanzung die
aktive, die aufsteigende die passive, die beiderseitige die aktiv-passive.
*) Nikoladoni, Archiv für klin. Chir., ßd. 27.
_*) Drobnik, Über die Behandlung der Kinderlähmung mit Funktionsteilung
und Übertragung. Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 42.
s ) Vulpius, Die Sehnenüberpflanzung usw. Leipzig 1902. Veit & Co.
*) Hoffa, Lehrb. der orthopäd. Chir.
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Sehnenoperationen.
415
Friedrich 1 ) unterschied eine intraparalytische (absteigende) von einer
intrafunktionellen (aufsteigenden) Inplantation.
Eine partielle Sehnenverpflanzung ist eine solche, bei der nicht
die ganze Sehne, sondern nur ein Teil zur Überpflanzung auf die ge¬
lähmte Sehne verwendet wird. Diese „Funktionsteilung“ tritt z. B.
ein, wenn in dem oben angeführten Beispiele nicht der ganze Extensor
hallucis, sondern nur ein Teil auf die Sehne des gelähmten Tibialis aut.
verpflanzt wird. Die einfachste Form der Kraftübertragung von einer
funktionsfähigen Sehne auf eine gelähmte wäre die seitliche Anfrischung
mit folgender Vernähung; doch hat sich diese Methode wegen Mangel
der Haltbarkeit wenig bewährt.
Bei der periostalen Sehnenverpflanzung wird die kraftspendende
Sehne nicht an der gelähmten Sehne, sondern direkt an der Knochen¬
haut vernäht. Man ist dadurch in seinen Entschließungen viel freier,
als bei der vorher besprochenen Anheftung an eine andere Sehne.
Besonders wertvoll ist diese Methode, wenn eine künstliche Verlängerung
durch Seide möglich, und dadurch der Anheftungspunkt beliebig ge¬
wählt werden kann. Bei einer Lähmung des Tibialis ant. soll z. B.
der Extensor hallucis als Ersatzmuskel zur Verfügung stehen. Die
Sehne des Extensor wird auf der Mitte des Fußrückens durchschnitten,
das zentrale Ende mit Seide durch flochten und nach Spalt ung des
Periostes des ersten Keilbeins mit der umgebenden Knochenhaut vernäht.
Es ist dabei unbedenklich, die Wandung von Gelenkkapseln, Knorpel
und Bänder mit zu fassen, doch soll eine Verletzung des Gelenkes selbst
vermieden werden. Über der geknoteten Sehnenp^riostVerbindung wird
das vorher gespaltene Periost wieder vereinigt. Da die Sehnen gelähmter
Muskeln sehr mürbe und dehnbar sind, erscheint diese Art der An¬
heftung am Periost die sichere zu sein und nach den Versuchen von
Lange hält eine periostale Vernähung eine Belastung von 14—15 kg aus,
während eine Verbindung von Sehne mit Sehne nur eine Belastung von
2—3 kg aushält. Die Verlegung von Sehnen in Knochenriimen oder das
Durchziehen durch gebohrte Knochenkanäle kann unter Umständen die
Resultate der Operation noch verbessern. Sehr wesentlich ist strengste
Asepsis, die durch Kopf kappe und Mundbinden und Handschuhe gesichert
wird. Nach der Operation bleibt ein kleiner Drain in der Wunde liegen,
der nach 48 Stunden wieder entfernt wird.
Die Stellung, in welcher nach der Operation der fixierende Gips¬
verband angelegt wird, kann für die Funktion von größter Bedeutung
werden. Eine zu starke Überkorrektur kann später zu einem Schlotter-
gelenke führen, und damit den Erfolg der Operation illusorisch machen.
Die Spannung, in welcher sich die Muskeln befinden, ist von großem
Einflüsse auf die spätere Funktion. Lorenz 2 ,) hebt mit Recht dieses
Moment hervor und empfiehlt, bei paralytischen Deformitäten zunächst
das modellierende Redressement in korrigierter Stellung zu machen und
eine funktionelle Belastung von 3—4 Monaten anzuschließen. Am
Schlüsse dieser mehrmonatigen Periode haben sich nach seinen Erfah¬
rungen vielfach die vorher entspannten Muskeln ausgiebig erholt, so
daß eine Sehnentransplantation nicht mehr erforderlich erscheint.
l ) Friedrich, S. b. Vulpius.
*) Lorenz, Der Einfluß der Entspannung auf gelähmte Muskeln. Wiener
med. Wochenschr. Nr. 4, 1910.
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Dammann,
Weitere hervorragende Anhaltspunkte für die Technik und Indi¬
kationen hat Vulpius 1 ) gegeben.
Der Gipsverband muß mehrere Monate liegen bleiben und später
durch Apparate ersetzt werden. Massage und Gymnastik dürfen erst
frühestens nach einem Vierteljahr und dann nur mit größter Vorsicht
ausgeführt werden.
Die Indikation zur Sehnenverpflanzung liegt in der völligen oder
teilweisen Ausschaltung einer Muskelfunktion. Sie werden hervorgerufen
durch Veränderung der Muskeln oder Sehnen selbst oder durch Läh¬
mungen schlaffer oder plastischer Natur.
Das Hauptkontingent stellt noch immer die spinale Kinderlähmung,
deren epidemisches Auftreten in den letzten Jahren wieder eine Fülle
neuer Erkrankungen geschaffen hat.
Unter den Muskeln, welche mit einer Sehnentransplantation be¬
handelt werden, sind die des Kniegelenkes, des Fußgelenkes und des
Handgelenkes am ehesten geeignet. Rocker 2 ) läßt einen Beuger bei der
Überpflanzung der Beuger auf den Quadrizeps stehen, um eine Über¬
streckung des Knies zu verhüten.
Es ist dringend erforderlich, vor jeder Sehnentransplantation einen
genauen Operationsplan zu entwerfen, der je nach dem vorhandenen
benutzbaren Materiale anders sein muß.
Die lokale Behandlung von Gelenkrheumatismus und Gicht.
Von Dr. med. Dammann, Nervenarzt und Marinestabsarzt a. D. in Berlin-Schöneberg.
Seitdem im Jahre 1876 auf Grund der Forschungen von Kolbe
und Stricker die innere Medikation der Salizylsäure in die Therapie
des Gelenkrheumatismus eingeführt worden ist, hat sich dieses Medikament
eine dominierende Stellung bewahrt lind es wird mit einem gewissen
Recht als Spezifikum für die meisten Formen des Gelenkrheumatismus
angesehen. Man könnte es beinahe als Kunstfehler betrachten, wenn
der Arzt bei einem frischen Fall von Arthritis rheumatica nicht Salizyl
in der einen oder anderen Form verordnen würde, vorausgesetzt, daß
keine wichtige Kontraindikation gegen den Gebrauch dieses immerhin
ziemlich differenten Mittels vorliegt. Man hat sich im allgemeinen, um
die bekannten lästigen Nebenerscheinungen zu vermeiden, von der Dar¬
reichung reiner Salizylsäure entfernt und ist dazu übergegangen, die weniger
unangenehm wirkenden und besonders deu Magen weniger reizenden
Salze der Salizylsäure, insbesondere das Natronsalz zu verordnen.
In vielen Fällen wird diese innere Medikation bei gleich¬
zeitiger Bettruhe genügen, um eine Heilung zu erzielen, und man
kann die lokale Therapie auf warme Einpackungen der befallenen
Gelenke beschränken. Häufig jedoch wird man noch besonderer
örtlich anzuwendender Maßnahmen bedürfen um den Heilprozeß zu
beschleunigen und ungestört verlaufen zu lassen. Ja es wird sogar
eine ganze Anzahl von Fällen geben, bei denen — obwohl es sich
zweifellos um einen echten Gelenkrheumatismus handelte — die innerliche
Salizylbehandlung nahezu wirkungslos bleibt. Die begeisterten Anhänger
der Salizyltherapie gehen daher meiner Ansicht nach zu weit, wenn sie
x ) Vulpius, Die Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Leipzig 1910.
Georg Thieme.
2 ) Bock er, Endresultate der Sehnentransplantationen bei Quadrizepslähmung.
Arcb. f. klin. Chir., Bd. 91, H. 1.
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Die lokale Behandlung des Gelenkrheumatismus.
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meinen, daß durch die prompte Reaktion der Beschwerden auf die
Salizyldarreichung die Diagnose des echten Gelenkrheumatismus erst ge¬
sichert sei. Ich selbst sah eine ganze Anzahl von Fällen, bei denen
trotz großer Dosen Salizyl gar keine Besserung eintrat, und bei denen
ich erst später mit Antipyrin oder Salol (bei dem die Salizylwirkung
doch weniger hervortritt) einen Erfolg verzeichnen konnte.
Immerhin stehe ich jetzt seit einer Reihe von Jahren auf dem
Standpunkt, daß bei keiner Form des Gelenkrheumatismus, mag dieselbe
nun der Salizylbehandlung zugänglich sein oder nicht, die lokale Be¬
handlung vernachlässigt werden darf. Zunächst halte ich die warmen
Einpackungen, die Einwickelungen der Gelenke in Watte für sehr nützlich.
Das Auflegen von heißen Sandsäcken, die die Wärme gut halten, wird
von den Kranken meist sehr angenehm empfunden und hat nach meinen
Erfahrungen auch direkt günstige Wirkung auf den Heilprozeß. Von
heißen Bädern und Dampfbädern halte ich — wenigstens im akuten mit
Schwellungen verbundenen Stadium der Krankheit — weniger. Dagegen
ist wohl das allerbeste örtliche Heilmittel die Massage mit geeigneten
Präparaten. Auch die Massage ist, wie viele andere nicht medikamentöse
Heilmethoden, früher sehr vernachlässigt worden und hat erst in den
letzten Jahren wieder allgemeine Verbreitung erlangt. Wirkt schon die
einfache Massage mit Olivenöl oder Vaseline recht günstig bei rheuma¬
tischen Erkrankungen, so wird doch diese Wirkung noch erheblich ge¬
steigert, wenn man Einreibungsmittel verwendet, denen Salizylpräparate
in einer leicht von der Haut aufnehmbaren Form beigemengt sind. Dies
gilt besonders von dem Kacepe-Balsam, der als wirksames Prinzip den
Acetsalizyl-Mentholester in Verbindung mit Acetsalizyl-Aethylester ent¬
hält. Als Salbengrundlage ist Lanolinsalbe gewählt, die ja bekanntlich
ein vorzügliches Eindringen der beigemengten medikamentösen Stoffe in
die Haut hindurch gewährleistet.
Ich habe die Wirkung des Kacepe-Balsams in der Praxis besonders
in den langwierigen und hartnäckigen Fällen kennen und schätzen ge¬
lernt, in denen die innerliche Salizyl-Therapie nur einen mangelhaften
Erfolg hatte, bin dann aber dazu übergegangen, den Balsam in allen
Fällen von Gelenkrheumatismus anzuwenden.
Aus der Zahl der von mir beobachteten Krankheitsfälle möchte ich
nur einige wenige hervorheben.
1. Photograph Viktor N., 35 Jahre alt, hat bereits mehrmals an
akutem Gelenkrheumatismus gelitten und deswegen auch wiederholt längere
Zeit in Krankenhäusern zubringen müssen, da die Krankheit außer¬
ordentlich schwer auftrat und langwierig verlief. Das Herz ist trotz
der früher gegebenen sehr großen Salizyklosen intakt geblieben bis auf
eine gewisse nervöse Errregbarkeit desselben. Er kam in meine Be¬
handlung mit Schmerzen im linken Fuß- und Kniegelenk, die beide
mäßig stark geschwollen waren und ihm das Gehen sehr erschwerten.
Nach drei Tagen Bettruhe, innerlicher Salizyldarreichung (Natr. salicyl.
10:200, 3 stündlich 1 Eßlöffel) und 'warmen Einpackungen der betreffenden
Gelenke trat eine gewisse Besserung ein und der Kranke nahm trotz
meines ausdrücklichen Verbotes seine Tätigkeit wieder auf. Schon nach
zwei Tagen schwerer Rückfall mit Fieber, bedeutender Schwellung des
anderen (rechten) Kniegelenks und mäßige Schwellung des rechten Fu߬
gelenks. Sehr starke Schmerzen, die ein Auftreten zur absoluten Un¬
möglichkeit machten und trotz großer Dosen von Schlafmitteln die Nacht¬
ruhe erheblich störten. 14 Tage hindurch gab ich große Salizyklosen
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Dammann, Die lokale Behandlung des Gelenkrheumatismus.
ohne nennenswerten Erfolg. Auch die lokale Behandlung mit heißen
Sandsäcken und Jodpinselungen brachte nur vorübergehende Linderung.
Die Schwellung des rechten Kniegelenks nahm nur noch zu; der größte
Umfang über der rechten Kniescheibe betrug 45 cm gegen links 38 cm.
Ich verordnete nunmehr, nachdem auch Antipyrin acht Tage hindurch
ohne besonderen Erfolg gegeben worden war, Salol, und ließ mit ver¬
schiedenen der sonst gebräuchlichen Massagemitteln einreiben. Eine
langsame Besserung war zu konstatieren. Sodann ließ ich mit Kacepe-
Balsam massieren. Darauf deutlich merkbar, wenn auch ganz allmählich
Zuriickgehen der starken Schwellung, rasches Aufhören der Schmerzen,
die nach etwa acht Tagen völlig geschwunden waren. Eine mäßige
Schwellung und eine gewisse Schwäche im Kniegelenk blieh noch eine
Anzahl von Wochen bestehen, schwand dann aber auch unter fortgesetzter
Massage mit Kacepe-Balsam.
2. Redakteur K., 45 Jahre alt, hatte ebenfalls schon mehrmals
Gelenkrheumatismus überstanden, der allerdings meist ziemlich leicht
verlaufen war. Starker Neurastheniker. Er kam in meine Behandlung
mit mäßiger Schwellung des rechten Knie- und Fußgelenks. Nach Natr.
salicyl. (10:200, 3 stündlich 1 Eßlöffel) trat zwar erhebliche Besserung
ein, doch waren die Schmerzen trotzdem noch recht quälend, auch wollten
die Schwellungen nicht zurückgehen. Sorgfältig durchgeführte Massage
mit Kacepe brachte auch hier in kurzer Zeit erhebliche Besserung, so daß
der Patient nach einem Krankenlager von insgesamt vierwöchiger Dauer
als geheilt aus der Behandlung entlassen werden konnte.
3. Schriftsteller Paul B., 50 Jahre alt, leidet an häufig wieder¬
kehrenden leichten rheummatischen Beschwerden in beiden Kniegelenken,
sowie im rechten Schultergelenk, besonders bei Witterungswechsel, und
im Frühling und Herbst. Meist hilft er sich selbst durch ein rechtzeitig
genommenes russisch-römisches Bad. Er kam in meine Behandlung, weil
er infolge Überhäufung mit Arbeiten dieses Bad nicht hatte nehmen
können und sich nunmehr eine mäßige Schwellung und heftige Schmerzen
in den betreffenden Gelenken eingestellt hatten. Salizyl sowie jede andere
innere Medikation lehnte er ganz energisch ab, da sowohl sein Herz
wie auch sein Magen nicht ganz in Ordnung und recht empfindlich waren.
Zu Bettruhe und Einwickelungen bezw. Auflegen von heißen Sandsäcken
war er nicht zu bewegen, da er trotz der heftigen Schmerzen darauf
bestand, seine Arbeiten weiter fortzuführen und ohne Berufsstörung ge¬
heilt zu werden, obwohl ich ihm das Unzweckmäßige seines Verhaltens
deutlich vor Augen führte. Ich mußte mich daher in diesem Falle not¬
gedrungen darauf beschränken, täglich mehrmals mit Kacepe-Balsam
massieren zu lassen. Die Massage wurde von seiner Gattin sehr sorg¬
fältig und gewissenhaft ausgeführt, nachdem ich die nötigen Anweisungen
gegeben hatte. Es gelang schon in acht Tagen, den Kranken völlig
beschwerdefrei zu machen.
4. Frau Frieda H., 43 Jahre alt, ziemlich fettleibig, etwas nervös,
leidet häufig an rheumatischen Beschwerden und kam während eines
heftiger auftretenden Anfalls, der mit starken Schmerzen im rechten
Schultergelenk verbunden war, in meine Behandlung. Auch in diesem
Falle wurde jede innere Medikation abgelehnt, da „Salizyl giftig sei*,
und ich mußte mich, da auch diese Patientin nicht im Bett zu halten
war, auf Massage mit Kacepe-Balsam beschränken, die außerordentlich
angenehm empfunden wurde und schon nach wenigen Tagen Erfolg hatte.
Noch in einer Reihe von anderen Fällen hatte ich ähnliche Resultate.
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Hammer, Die Stellung der Weingeist-Enthaltsamkeit in der Jugenderziehung. 419
Wenn wir nach einer Erklärung dieser günstigen Erfolge mit
Kacepe-ßalsam suchen, so scheint mir, daß wir dieselbe der kombinierten
Wirkung der Massage und der perkutanen Salizylwirkung zuschreiben
müssen. Daß Massage allein mit einem indifferenten Mittel, wie z. B.
Olivenöl oder Vaseline imstande ist, den rheumatischen Prozeß günstig
zu beeinflussen, habe ich schon oben erwähnt. Diese günstige Wirkung
wird aber zweifellos erheblich erhöht, wenn man ein Präparat benutzt,
welches in einer leicht von der Haut aufzunehmenden Form Salizyl-
präparate enthält, die ihre spezifische Wirkung an Ort und Stelle aus-
üben können. Besonders wichtig erscheint es mir, daß wir mit Hilfe
des Kacepe-Balsams hierdurch auch in denjenigen Fällen eine Salizyl¬
wirkung erzielen können, in denen die innere Salizyldarreichung entweder
aus triftigen Gründen kontraindiziert ist oder vom Patienten abgelehnt
wird. Letzteres wird wenigstens bei den leichteren, weniger schmerzhaften
Fällen von Rheumatismus gar nicht so selten Vorkommen, da im Publikum
in weiten Kreisen eine Abneigung gegen Salizyl besteht, die durch über¬
triebene Schilderungen von den schädlichen Wirkungen desselben immer
wieder genährt wird, so daß viele Leute sich erst, wenn die Schmerzen
unerträglich werden, dazu entschließen können, Salizyl zu nehmen.
Angeregt durch die guten Erfolge bei Gelenkrheumatismus habe
ich Kacepe-Balsam auch bei Gicht angewandt in mehreren Fällen:
5. Kaufmann Richard P., 47 Jahre alt, leidet häufig an gichtischen
Beschwerden mit Schwellung der Gelenke der rechten großen Zehe,
sowie des rechten Fußgelenks. Die üblichen Medikamente sind im
allgemeinen erfolglos geblieben, so daß ich wiederholt Liqueur Laville
verordnete, nach dessen Gebrauch der Patient erhebliche Erleichterung
verspürte. Die von einem Masseur ausgeübte Massage mit Kacepe-Balsam
bewirkte ebenfalls in kurzer Zeit eine bedeutende Linderung der Be¬
schwerden, so daß der Kranke jetzt bei den geringsten Anzeichen von
Beschwerden in den Gelenken die Kacepe-Massage ausführen läßt.
Zum Schluß möchte ich noch bemerken, daß mir dieses Einreibungs¬
mittel auch bei Neuralgien, Migräne und Ischias recht gute Dienste ge¬
leistet hat. _
Die Stellung der Weingeist-Enthaltsamkeit in der Jugenderziehung.
Von Dr. W. Hammer, Berlin.
(Nach einem im Kieler Vereine abstinenter Studenten gehaltenen Vortrage.)
Unter Weingeist-Enthaltsamkeit verstehe ich im Rahmen dieses
Vortrages die Enthaltsamkeit von weingeisthaltigen Getränken, nicht
also die Enthaltsamkeit von jeglichem Alkohol, der sich ja in geringen
Spuren z. B. auch in manchen Brotsorten findet, unter Erziehung die
Ausbildung der guten und die Unterdrückung der schlechten mensch¬
lichen Anlagen, unter Jugend die ganze Zeit der Erziehung bis zur
selbständigen Ausübung eines Berufes, die bei Akademikern also etwa
25 Lebensjahre umfaßt. Zu den menschlichen Trieben, die in unseren
Zeiten und bei den Völkern unserer Entwicklungstufe nicht voll be¬
friedigt werden können, gehört der Fortpflanzung- und Liebestrieb, zu
den Gemißmitteln, die eine leichtere Überwindung der Enthaltsamkeit¬
gefahren ermöglichen, der Weingeist. Mit Mohnsaft, Kaffee, Tee,
Kakao, Haschisch, Koka, Pasta guarana, Mattee, Tabak gehört er zu
den Gemißmitteln, die in kleinen Mengen die Stimmung anregen, in
größeren Mengen jedoch betäubend, erschlaffend wirken und leicht an¬
gewöhnt werden können. Die Gewöhnung zeigt sich 1. dadurch, daß
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W. Hammer,
die anfänglich zur Erzielung eines bestimmten Erfolges nötige Gabengröße
nicht mehr ausreicht, um diesen Erfolg zu erreichen. 2. darin, daß eine
bestimmte Menge des Genußmittels leicht Lebensbedürfnis wird, sodaß
sehr starkes Unbehagen ein tritt, wenn das Mittel ausgesetzt wird.
Daß hier ein Zusammenhang zwischen dem Weingeistgenusse oder
der Annahme eines ähnlichen Betäubungsmittels einerseits und der ge¬
schlechtlichen Befriedigung andererseits besteht, zeigen Beobachtungen,
wie folgende:
1. Junges Mädchen, ausschweifendem Liebesverkehre ergeben, ge¬
langte zur Ehe, in der ihr der Verkehr mit mehreren Männern, zumal
mit zunehmendem Alter, erschwert war. Sie wurde nun Trinkerin und
erhielt auch gleichzeitig oft Schläge von ihrem Gatten. (Also Umsetzung
von ausschweifender sinnlicher Befriedigung in Betäubung durch Schläge
und Weingeistzecherei.)
2. Dame der ersten Gesellschaftskreise in Afrika war leidenschaft¬
lich dem Genüsse der Kolanuß ergeben. Auf einem Schiffe leitete ein
Kapitän die ursächliche Behandlung ein, wie er sich ausdrückte, um die
regelmäßige Beiwohnung zu umschreiben. Nach Einstellung des Ver¬
kehrs griff die Dame wieder zu dem Betäubungsmittel, das sie während
der Zeit ihrer geschlechtlichen Versorgung durch den Kapitän nicht
benötigte.
3. Forel, der weitbekannte Schweizer Nervenarzt, tritt einerseits
für größere Freiheit im geschlechtlichen Verkehre, andererseits für Wein¬
geistenthaltsamkeit ein.
4. Magnus Hirsch fei d, der Mitbegründer des wissenschaftlich¬
humanitären Komitees, betreibt seit vielen Jahren Aufklärungsarbeit im
Sinne des Eintretens für Beseitigung der Strafbestimmungen, die sich
auf den gleichgeschlechtlichen Verkehr Geschlechtsreifer beziehen und
ist gleichzeitig Guttempler und tätiges Mitglied dieses Ordens, in dem
er für völlige Weingeistenthaltsamkeit eintritt.
5. Der evangelische Pfarrer Baars-Vegesack-Bremen erkennt
keinerlei günstige Wirkungen des Weingeistes als Genußmittel an, be¬
treibt dabei eine weitgehende Empfehlung der Freigabe des außerehelichen
Verkehrs an Stelle des Dirnenverkehrs im Sinne des Bundes für Mutter¬
schutz, auf dessen Veranlassung Baars seine Vorträge hält.
Nicht nur an Einzelfällen, sondern besonders auch bei ganzen
Völkern zeigt sich die hemmende Wirkung des Weingeistes auf die
Liebesbetätigung uud der Eintritt für Vielweiberei und ähnliche Arten
der Liebesbetätigung gleichzeitig mit der Weingeistenthaltsamkeit.
6 und 7. Die skandinavischen Länder sind nicht nur Brutstätten für
Frauenrechtlerinnen, sondern gleichzeitig auch die Stätten weitgehender
Weingeistenthaltung und öffentlicher freier Verbindungen der Ge¬
schlechter, während die islamitischen Völkerschaften der Vielweiberei
und der Enthaltsamkeit vom Weingeist huldigen und
8. Völker auf sogenannter niedriger Kulturstufe, wie die Ein¬
geborenen in unseren Kolonien, sobald man die Vielweiberei und die
Frühehe zu beseitigen trachtet, einen starken Weingeist- und Tabak¬
verbrauch aufweisen.
9. Ähnlich war den alten Germanen nach Tacitus eine sehr strenge
Sittlichkeitauffassung eigen, während sie gleichzeitig dem Trünke und
dem Spiele leidenschaftlich huldigten.
Neben den chemischen Betäubungsmitteln, die die Nichtbefriedigung
des Liebestriebes zum Teil auszugleichen vermögen, gibt es noch andere
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Die Stellung der Weingeist-Enthaltsamkeit in der Jugenderziehung.
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Umsetzungsmöglichkeiten für den Geschlechtstrieb, von denen ich zu¬
nächst physikalische Betäubungsmittel erwähnen will: Heiße Dauer¬
bäder, kalte Übergießungen. Schläge, daneben aber auch Wettlauf,
Wettschwimmen, Höchstausbildung irgend einer Muskelgruppe mit den
zugehörigen Nerven. Endlich gelingt es häufig, durch seelische Be¬
tätigung einen Teil des Liebestriebs zu befriedigen oder mit anderen
Worten seelische Kräfte zur Eindämmung eines starken Liebestriebes zu
verwerten. Unter den seelischen Kräften spielen eine starke auf einen
Menschen gerichtete Liebesleidcnschaft, ferner die religiöse Inbrunst,
künstlerische, wissenschaftliche, sammlerische Betätigung, endlich die
Freundschaft eine Hauptrolle. Dementsprechend ist auch die Be¬
kämpfung des leidenschaftlichen Weingeistgenusses durch Einführung
von Ersatzbefriedigungen und durch Einleitung in den Gebrauch reli¬
giöser Heil- und Heiligungsmittel möglich und verhältnismäßig sicherer
als die ausschließliche Erregung von Haß und Abscheu gegen alles, was
mit dem Alkoholgenußmittel in Verbindung steht. Au Stelle der leiden¬
schaftlichen Vorliebe kann die leidenschaftliche Bekämpfung treten, wie
ja Haß und Liebe seelisch verwandte Gefühle sind, vielleicht ein und
derselbe Vorgang mit verschiedenen Vorzeichen. Mit Ausschaltung
des Alkoholgenusses allein ist demnach nicht viel gewonnen,
wenn nicht gleichzeitig dafür gesorgt wird, daß eine ver¬
hältnismäßig unschädliche Ersatzbefriedigung statt hat oder
daß seelische Kräfte in günstiger Weise einwirken, um für die günstigen
Wirkungen des Weingeistes Ersatz zu bieten.
Einen günstigen Einfluß erwarte ich nicht von der Beiwohnnng
unter Anwendung befruchtunghemmender Mittel, wie sie von dem Wein¬
geistgegner Forel empfohlen wird, oder gar von der Steigerung der
Freundschaft unter Männern bis zur gleichgeschlechtlichen Betätigung,
für die der Alkoholgegner Magnus Hirsch fei d Straffreiheit erkämpfen
möchte. Die Beiwohnung unter Anwendung befruchtunghemmender
Mittel führt meiner Erfahrung nach regelmäßig zur Beiwohnung ohne
diese Mittel oder zu reizbarer Nervenschwäche, wie sie auch bei Selbst-
befleckern beider Geschlechter meiner Erfahrung nach regelmäßig auf¬
zutreten pflegt. Hat aber die Bei Wohnung ohne Anwendung dieser
Mittel stattgefunden, dann ist Abtreibung mit Siechtum oder Tod der
M utter das traurige Ende. Wer in der Jugend abtreibt, wird später
unfruchtbar. An der Ostküste Afrikas gehen ganze Stämme dadurch
zugrunde, daß den jungen Mädchen der freie Verkehr mit Abtreibung
der Leibesfrucht zugestanden wird, die verheirateten Frauen jedoch in¬
folge der vorehelichen Abtreibung unfruchtbar bleiben und die Ge¬
wöhnung an Gleichgeschlechtigkeit untergräbt das gesunde Familienleben
durch Schwächung der seelischen Anziehungskraft der Geschlechter.
Dabei ist meiner Erfahrung nach die grobsinnliche gleichgeschlechtliche
Betätigung von Angehörigen des männlichen Geschlechts gefährlicher
als diejenige der Frauen, da der Mann die Herrschaft im Hause haben
soll und daher gefestigt und tatkräftig die Gattin leiten soll.
Der Weingeistgenuß hatte nun gerade die Wirkung, daß Männer¬
freu nd.schaften zwar oft in Trinkgelage ausarteten, daß bei diesen Freund¬
schaften die grobe gleichgeschlechtliche Betätigung auch nur in dem
Grade, in dem sie bei unbefriedigten Mädchen Regel ist, unterblieb, zu¬
mal an die Stelle der Selbstbefleckung und der gleichgeschlechtlichen
Umarmungen der Damen der Verkehr mit Freudenmädchen im Verein
mit dem Weingeistgenuß zu treten pflegte. Enthaltsamkeit selbst
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4‘22 Hummer, Die Stellung der Weiugcipt-Entkaltsamkeit in der Jugenderziehung.
vom mäßigen Weingeistgenusse bietet daher die große Gefahr,
daß andere Genüsse übertrieben werden. Mit der Einschränkung der
Zahl der Genüsse wächst die Gefahr, daß einzelne Lebensgenüsse ge¬
steigert, übersteigert und daher zu Ausschweifungen werden. Hat darum
die Enthaltsamkeit vom Weingeist für den Durchsclmittmenschen über¬
haupt. keine günstige Bedeutung? Ist Mäßigkeit das allein erstrebens¬
werte? Diese Krage möchte ich verneinen. Mäßigkeit, Meiduug jeden
Rausches ist vom Durchschnittmenschen ebenso zu fordern wie Ver¬
meidung jeden Zwanges zur Verbreitung des nicht einwandfreien Genu߬
mittels. Völlige Enthaltsamkeit ist hingegen von allen Trunksüchtigen
zu fordern, da erfahrungsgemäß größere Erfolge leichter durch Ver¬
breitung der Enthaltsamkeitforderung als durch die Forderung der
Mäßigkeit zu erzielen sind. In der Erziehung spielt das gute Beispiel
eine größere Rolle als Worte. Schon aus diesem Grunde bedürfen wir
zur seelischen und körperlichen Heilung der Trunksüchtigen beider Ge¬
schlechter eines ganzen Stabes Enthaltsamer, die nicht allein aus dem
Zwange heraus, andernfalls der Trunksucht und frühem seelischen und
körperlichen Tode zu verfallen, enthaltsam wurden, sondern die auch
ohne diesen Zwang sich der Weingeistenthaltsamkeit ergeben. Ferner
ist auch außerhalb des Kreises der Pfleger und Pflegerinnen in Ent-
gleistenaustalten aller Art eine Reihe weingeistentkaltsamer Männer und
Frauen sehr nützlich als Vorbilder, die durch keinerlei geldliche Vor¬
teile bewogen und ohne gesundheitlich zur Enthaltsamkeit gezwungen
zu werden, enthaltsam leben, ähnlich die Klosterinsaßen, die sich vom
grobsinnlichen Liebesverkehr fern halten, nicht nur ihre Kräfte in den
Dienst geschlechtlich Entgleister stellen, sondern auch sonst und auf
Gebieten, die dem Geschlechtlichen fernliegen, sich nützlich betätigen.
Sollen solche Enthaltsame nützlich wirken, so müssen sie sich besonders
hüten, in schlimmere Gewohnheiten zu verfallen, als sie die Gewöhnung
an geringe Mengen Weingeist darstellen, z. B. in die Sucht, die im
Alkoholgenusse Mäßigen mit Worten zu überfallen oder die leidenschaft¬
liche Weingeistschnüffelei, die ohne hinreichende wissenschaftliche Unter¬
lagen die Gefahren des mäßigen Weingeistgenusses übertreibt und dem
Weingeist ungünstige Wirkungen zuschreibt, die ihm bei nüchterner Be¬
trachtung nicht anzureclmen sind, oder gar von der Weingeistenthaltsam¬
keit sicli günstige Einwirkungen auf die Volksseele verspricht, deren
Irrtümlich heit eine einfache Betrachtung der weingeistenthaltsamen Völker
leicht erkennen lassen würde. Zu den Ausschweifungen, die Enthalt¬
samen drohen, rechne ich auch die Unterschätzung der arzneilichen Be¬
deutung des Weingeistes als Lösungsmittel für Arzneistoffe und als
Anregungsmittel für die Herzkraft, sowie als leichtes Betäubungsmittel
zur Beseitigung der seelischen Hemmungen vieler begattungsschwachen
Männer und Frauen. Schließlich ist ein Glas Weißwein ein mindestens
ebenso harmloses Mittel wie Schläge, um Begattungsschwachen beider
Geschlechter über die Störungen ihrer Nerven zeitweilig hinwegzubelfen
und viele Menschen werden den mäßigen Weingeistgenuß in zahlreichen
Fällen für weniger anstößig halten. Bedenklicher ist meines Erachtens
schon die dauernde Gewöhnung an das eine oder andere Reizmittel.
Doch gibt es auch bei der Gewöhnung Umstände, unter denen ich den
Wiskygenuß für das geringere Übel halte.
Wenn auch als gute Seite der Enthaltsamkeitbewegung anzusehen
ist, daß sie jede Art von Trinkzwang und die Auszahlung von Löhnen
und Gehältern in Form von Getränkezuständigkeiten, für die der Geld-
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Referate und Besprechungen.
423
wert auch auf ausdrückliches Verlangen nicht ersetzt wird, sowie die
Ausschweifungen und Verherrlichungen der Trunksucht entschieden und
nachhaltig bekämpft, so muß doch auch gegen die Ausschreitungen der
Bewegung, und zwar aus dem Kreise der Enthaltsamen selbst Stellung
genommen werden. Bei der in enthaltsamen Kreisen vielfach üblichen
Kampfesweise, in der jeder auch nur mäßig Weingeist Genießende als
nicht ernst zu nehmen, weil schon durch Alkohol umnebelt, hingestellt
wird, wenn er auch günstige Wirkungen des Weingeistes anerkennt,
hielt ich es für angemessen, daß auch einmal ein seit 21 Jahren selbst
weingeistenthaltsam lebender Arzt, ohne den Mißbrauch, der mit dem
Weingeistgenusse getrieben werden kann, zu verkennen, auch auf die
günstigen Seiten dieses Genußmittels hinwies, zumal in letzter Zeit sich
die Schreier mehren, die womöglich ohne selbst enthaltsam zu sein, und
ohne tieferes seelisches Verständnis besonders in Entgleistenanstalten,
die heute schon schwer unter jenen Enthaltsamkeitsstörungen leiden, die
infolge Nichtbefriedigung des Geschlechtstriebes aufzutreten pflegen, die
Weingeistenthaltsamkeit fordern, ohne gleichzeitig für geeigneten
Ersatz Sorge zu tragen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Hoger (Karlsruhe), Über die Zersetzung des Infusum digitalis durch
Mikroorganismen und seine Konservierung. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56,
H. 3/4.) Das Infusum Fol. digitalis wird durch die schon an den frischen
Blättern haftenden Luft- und Bodenbakterien und Schimmel verdorben. Zu¬
satz von 5—15°/o Alkohol hat sich als Konservierungsmittel sehr bewährt.
Schürmann.
Schöbl (Philadelphia), Über die Aggressinimmunisierung gegen Rausch¬
brand. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 3/4.; Meerschweinchen lassen sich
mit natürlichen Aggressinen gegen künstliche Rauschbrandinfektion immu¬
nisieren. An der Infektionsstelle finden sich noch längere Zeit virulente
Rauschbrandbazillen. Der Tod dieser Tiere wird nicht durch Infektion,
sondern durch typische Rauschbrandvergiftung herbeigeführt.
Schürmann.
Magnusson (Stockholm), Über eine für Europa neue Hühnerseuche.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Auf einem Gute starben ganz plötzlich
von einem Bestände von 202 Hühnern im Verlaufe von 14 Tagen 129 Hühner.
Die Sektion ergab Zeichen typischer Infektionskrankheit; kulturell wurden
Streptokokken gezüchtet sowohl aus dem Blute wie aus den Organen der
kranken Tiere. Bei Hühnern, Tauben, Sperlingen, Kaninchen, Mäusen und
Katzen folgt nach der Impfung eine tödlich verlaufende hämorrhagische
Septikämie, beim Hund und bei der Kuh ruft die Impfung nur lokale Er¬
scheinungen hervor. Unempfänglich erweisen sich Pferde, Schweine und
Meerschweinchen.
Vermutlich ist die Erkrankung hervorgerufen durch eine zufällige
Virulenzsteigerung einer sonst für Hühner ungefährlichen Streptokokkenform.
Schürmann.
Awerinzew (Petersburg), Zur Frage über die Krebsgeschwülste. (Zen¬
tralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Verfasser vertritt den Standpunkt, daß
die bösartigen Geschwülste durch Parasiten hervorgerufen werden, die den
größten Teil ihres Lebens im Kern der Zellen verbringen und nur zur Zeit
der Degeneration der Kerne aus demselben austreten. Diese Gebilde stehen
den Chlamydozoen nahe.
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Schürmann.
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424 Referate und Besprechungen.
Gerber (Königsberg), Ober Spirochäten in den oberen Luft- und Ver¬
dauungswegen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Eine interessante
zusammenfassende Darstellung der in den oberen Luft- und Verdauungs-
wegeii vorkommenden Spirochäten an der Hand guter Pliotogramme.
Schür mann,
Brun (Turin ), Einfluß der Produkte des thyreo - parathyreoidealen
Apparates auf die alexinischen Eigenschaften des Blutes. (Zentralbl. für
für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Eine Steigerung der Alexine im Blute geschieht
sowohl nach subkutaner Injektion als auch nach Verfütterung von Extrakten
der Glandulae parathyreoidcac. Nach 12 Stunden sind aber schon die
Alexinc wieder aus dem Blute verschwunden. Auch findet eine Steigerung
des phagozytären Vermögens der Leukozyten statt. Schürmann.
Galeotti u. Pentimalli (Neapel), Über die von pathogenen Hefen und
ihren Toxinen erzeugten Neubildungen. (Zentralbl. für Bakteriologie, Bd. 56,
H. 3/4.) Filtrate flüssiger Hefekulturen setzen keinerlei Neubildungen. Da¬
gegen erzielte man neben den gewöhnlichen Pseudotumoren auch Neubil¬
dungen von Epithelial- und Mesenchymalgewebe mit lebenden Kulturen und
mit den nicht sterilen Säften, die man mittels starken Druckes aus den Kul¬
turen oder Hefezellen herangezogen hatte. Der sterile Saft von Hefezellen,
der nach der Methode Büchner gewonnen wurde, hat keine Neubildungen
hervorgerufen.
Neoplasien wurden bei 3 Tieren durch das sterile Nukleoimoteid der
Blastomyzeten hervorgerufen. Die autolytischeu Produkte der Hefezellen
haben Neubildungen bei 5 Tieren (von 10) hervorgerufen. Schürmann.
Nießner (Bromberg), Die Verwendung der Überempfindlichkeit zur
Diagnose des Rotzes. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 56, H. 5/6.) Aus den
angeführten Versuchsreihen ergibt sich, daß sich die Anaphylaxie zur Dia¬
gnose der Rotzkrankheit nicht verwenden läßt. Schürmann.
Innere Medizin.
Alfred Jäger (Frankfurt a. M.j), Die Ursache der Krebserkrankung.
(Wiener klin. Wochenschr^, Nr. 50, 1910.) Die Arbeit Jäger’s entstammt der
bakteriologischen Abteilung der Höchster Farbwerke und ist ausführlicher
in der Zeitschrift für Krebsforschung niedergelegt. Hier sei an Hand der
vom Verfasser formulierten Leitsätze sein Gedankengang dargelegt; ihren
Ausgang nahmen die Untersuchungen von der Melanosarkomatose der
Schimmelpferde und den multiplen Mammatumoren der Hunde.
Der Chemismus einer Zelle ist nach drei verschiedenen Richtungen
wirksam: nutritiv, funktionell, proliferativ. Jede dieser Leistungen stellt ein
abgeschlossenes Zentrum zellulärer Tätigkeit dar, dessen stoffliche Basis hin¬
sichtlich' der Ernährung und der Zellteilung bei allen Zellen als gleich-
geartet anzusehen ist. Nur der funktionelle Leistungskern ist in seiner
Molekularstruktur für jede Zellart spezifisch entwickelt, gleichgültig, ob
diese ein „Sekret“ produziert oder nicht. Der Krebs stellt eine intrazelluläre
Stoffw T echselerkrankung dar, die sich lediglich in der stofflichen Basis des
für jede Zellart spezifisch entwickelten Funktionskerns abspielt, indem dieser
in seiner Molekularstruktur abartet, d. h. sich atypisch einstellt. Mit dieser
Abartung, der wir in der Pathologie bedeutsamerweise nur bei der Krebs-
genese begegnen, vollzieht sich ein prinzipiell gleicher stofflicher Wandel
im Funktionskern, wie er im Verlauf der Organogenese vor sich geht und
hier eine selbständige Zellwucherung auslöst. Dieses organogenetische Wachs¬
tumsprinzip ist der Zelle inhärent. Es muß daher mit der funktionellen Ent¬
gleisung, wie sie der Krebsgenese ursächlich zugrunde liegt — also bei er¬
neutem Wandel im Funktionskern —, von neuem wieder in Tätigkeit treten.
Die Zelle muß wieder anfangen, selbständig zu wuchern, ohne Rücksicht auf
wachstumregulierende Einflüsse im Organismus. Insofern bedeuten die Ge¬
schwülste ein Wiederaufleben organogenetischer Wirkungsweisen; es sind
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„Organoide“ im Sinne Eugen Albrechts. Zwischen dem Funktions- und
dem Proliferationskern der Zelle ist eine Wechselwirkung, ein chemischer
Reflex tätig, insofern eine stoffliche Verschiebung bzw. eine Abartung in
der Molekularstruktur des ersteren die stoffliche Basis des letzteren aktiviert.
Dieser Reflex ist nach Lage des obwaltenden Stoffmilieus nur auf fermenta¬
tivem Wege zu denken: Gerade aus der Abartung, der Verschiebung des
Funktionsstoffwechsels, resultiert das spezifische „Proliferationsferment“, das
den Chemismus des Proliferationskerns in seinem Ablauf auslöst. Die prin¬
zipiell gleiche intrazelluläre Störung bedingt gutartiges wie bösartiges
Tumor Wachstum. Die wirksamen Kräfte des letzteren sind nur graduell von
denen der benignen Wuchsform verschieden, indem eine geringgradige Ab¬
artling im Molekül des Funktionskerns nur eine geringe Quelle für das
..Proliferationsferment“, also einen geringen Impuls für die selbständige
Wucherungspotenz der Zelle bedingt. Umgekehrt sind mit einer umfang¬
reichen Störung in der Molekularstruktur der spezifischen Zellorganisation
auch die Faktoren einer gesteigerten Fermentbildung, also einer maximalen
Zell Wucherung gegeben. Die stoffliche Entgleisung des Funktionskerns,
wie sie für die Umwandlung einer vorher stets normalen Zelle zur Tumorzelle
ursächlich wirkt, kann verschiedene Ursachen htfben. Es ist meistens das
pathologische Stoffwechselmilieu langwieriger chronisch-entzündlicher Pro¬
zesse. wozu sich eine gewisse Disposition gesellt, die einmal in individueller
Veranlagung bedingt ist, des anderen in biologisch-kritischen Lebensperioden,
wie beginnende Seneszenz, Klimakterium. Die Entartung des spezifischen
Funktionskerns kann aber auch durch rein intrazelluläre, abnorme biologische
Bedingungen ausgelöst werden, ohne daß äußere irritative Umstände ihre
Hand im Spiele haben. Insofern ist die Ätiologie der krebsigen Entartung
keine einheitliche^ Dagegen liegt dem tumorbildenden Prozeß an sich, d. h.
der selbständigen, unbeschränkten Zellwucherung, ein unitarisches Prinzip
zugrunde: Die Destruktion des bei der Organogenese für jede Zellart in
jeweils ganz bestimmter Richtung herausgebildeten Funktionschemismus. Aus
dieser funktionellen Zellentgleisimg leitet sich das eigentliche Agens des
Wucherungsprozesses her: Das „Proliferationsferment“. Das, was den tumor-
bildenden Prozeß in seinem Wesen charakterisiert, die selbständige Zell-
wticherung, ist «also erst eine Folgeerscheinung in seinem Ursachenkomplex.
Nach alledem erkennen wir mit Sicherheit, daß der Krebs nimmermehr eine
infektiöse Erkrankung darstellt. M. Kaufmann.
Paul Cohnheim (Berlin), Experimentell-vergleichende Untersuchungen
über den klinischen Wert der neueren Magenfermentproben und die Wesens¬
einheit von Lab und Pepsin. (Boas' Archiv, Bd. 16, IT. 6. 1910.) Als Resümee
(warum nicht Ergebnis oder Zusammenfassung? Ref.) einer langen Versuchs¬
reihe stellt Colin heim fest, daß die Salzsäure- und Fermentabscheidung
nicht gleichmäßig steigt und fällt: insbesondere ist das Sekret des nüchternen
Magens irn Vergleich zum HOI-Gehalt enorm fermentreich. Lab und Pepsin
sind kongruent; kleine Differenzen in den Ergebnissen erklären sich aus den
Versuchs fehlem. Bei kongopositiven Magensäften geben die Pepsin methoden
von Hain merschlag, Mett-Nirenheim-Schif f, Fuld und Jacoby gleich¬
mäßig brauchbare, gut meß- und vergleichbare Resultate; bei kongo¬
negativen versagen die beiden letzteren, sie zeigen kein oder nur Spuren
von Ferment, wo nach Boas Lab und nach Hamm erschlag und Mett
Pepsin noch quantitativ gut bestimmbar ist, sind also weniger empfindlich.
Dazu ist die Rizin- bzw. Edestinlösung nur frisch brauchbar auf 4—5 Tage,
mil Chloroformzusatz auf 2 —3 Wochen; sie faulen schnell und geben dann
zu hohe Pepsinwerte. In praxi genügt die Boa.s'sche Labzymogenprobe, da
sie am einfachsten und empfindlichsten ist, und nach neueren Untersuchungen
Lab und Pepsin identisch sind. M. Kaufmann.
F. Poly, Klinische und experimentelle Erfahrungen über den Einfluß
des Wasserstoffsuperoxyds auf Hyperchlorhydrien und auf die Magensekre¬
tion. (Boas’ Archiv, Bd. 16, H. 6, 1910.) Poly berichtet über die Resultate,
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die er in 40 Fällen genuiner Hyperchlorhydrie durch Behandlung mit Wasser¬
stoffsuperoxyd nach den Vorschriften Petris erzielt hat. Die Patienten er¬
hielten jeden zweiten Tag nüchtern 300 ccm einer 1 / 2 %ig<‘ n Lösung von
Hydrogen, peroxydat. puriss. Merck mit einer Probefrühstücksemmel. Nach¬
dem 4—5 Dosen verabreicht waren, wurde 1—2 Tage ausgesetzt, nach Probe-
frühstück die HCl bestimmt, und je nachdem die Behandlung beendet oder
fortgesetzt. Nur wenigen Patienten mußte wegen Widerwillens und Übelkeit
das Mittel in Mandelmilch gegeben werden. In den Fällen mit geringer
Säurevermehrung (0,17—0,22°/o freie HCl) genügte meist eine 3—5malige
Darreichung, um die Beschwerden zu beseitigen und die Säurewerte auf
0,10—0,14°/o herabzudrücken: bei hochgradiger Hyperchlorhydrie (0,24 bis
0,36%) war es oft nötig, das Mittel lOmal, ja noch öfter zu geben; aber auch
hier waren die Resultate recht zufriedenstellend, indem bei konsequenter
Anwendung das therapeutische Ziel stets erreicht wurde. Auch die Dauer-
resultatc waren in den wenigen Fällen, wo sie kontrolliert werden konnten,
gut. Verf. empfiehlt demgemäß das H 2 0 2 aufs wärmste; zu rein therapeu¬
tischen Zwecken wird man allerdings nicht die von ihm zu Versuchszwecken
gebrauchte wässerige Lösung, sondern eine solche in Mandelmilch oder
Magnesium-Perhydrol-Tabletten (Merck) verwenden. M. Kaufmann.
Rajat (Vichy), Zur Frage der gesunden Typhusträger. (Bullet, ined.,
Nr. 104, S. 1203, 1910. — Le Centre ined., Dezember 1910.) Die Indikationen
von Vichy machen es begreiflich, daß dort eine Menge von Personen zu-
sammenstrümen, welche den gefürchteten Ebortli’schen Bazillus in sich be¬
herbergen. Aber trotzdem ist cs dort noch nie zu einer lokalen Epidemie,
nicht einmal zu einer autochthonen Infektion gekommen. 1863 gab es in
Vichy 3740 Einwohner und 17401 Kurgäste; gestorben sind in diesem Jahre
13 Personen an Typhus.
1910 kam unter 15315 Einwohnern und 103234 Fremden überhaupt
kein Todesfall vor.
Die Zahl der Erkrankungen betrug 1906 = 15, 1907 = 7, 1918 = 18,
1909 = 20, 1910 = 5; allein immer handelte es sich um Personen, welche
ihren Typhus aus Cannes, Nizza, Lyon, Fort-de-France, Algerie, Genua,
Laprugne. Paris usw. mitgebracht hatten. Also: trotz aller Einschleppung
des Typhuskeimes kommt es in Vichy nicht zu dessen Weiterverbreitung.
Zum Glück verläuft sich auch bei uns die bakteriologische Hochflut.
Indessen für rückständige Gemüter kann diese Notiz von Rajat immerhin
noch von Wert sein. Buttersack (Berlin).
Josef Koväts, Über die nicht operative Behandlung der narbigen Pylo¬
russtenosen. (Budapesti Orvosi ujsag, H. 33, 1910.1 Autor hat eine Patientin,
die an Ectasia ventriculi und Stenosis pylori litt, mit Fibrolysininjektionen
behandelt. Außerdem wurde ihr verordnet, viel Wasser zu trinken und sich
nach der Mahlzeit D/s Stunde auf die rechte Seite zu legen.
Die Kranke erholte sich sehr schnell, nahm 15 Kilo an Gewicht zu,
und die Magenfunktionen wurden wieder ganz regelmäßig.
K. schreibt diese günstige Wirkung dem Fibrolysin zu. Es lockert das
Narbengewebe, während die große Menge des verdünnten Mageninhalts,
durch die Körperlage begünstigt, die motorische Kraft des Magens ersetzt
und auf diese Weise den weich gewordenen Pyloms erweitert. Neumann.
Kirchheim (Köln), Klinischer Verlauf und pathologisch-anatomischer
Befund bei zwei Fällen von tertiärer fieberhafter Leberlues. (Deutsche ined.
Wochenschr., Nr. 4, 1911.) Die Temperatursteigerung bei fieberhafter Leber¬
lues soll nach Klemperer's Vermutung auf ulcerierende Gummata zurück¬
zuführen sein; was Rosenbach bezweifelt. Kirchheim berichtet nun über
zwei Fälle, hei denen das Fieber durch sekundäre Infektion entstanden war.
In beiden hatten sich in der Leberkuppe in unmittelbarer Nähe des Zwerch¬
fells nekrotische Gumma gebildet, die in einem Falle dieses durchsetzten,
im anderen es sogar perforierten. Durch Übergang auf die Pleura und den
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Referate und Besprechungen.
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rechten Unterlappen kam es hei dem ersten Falle zur akuten Pneumonie,
im anderen zu chronischer Entzündung des linken Unterlappens mit Bildung
eines abgekapselten basalen Empyems. Eine Lungenaffektion dürfte wohl
die Grundursache des Fiebers abgeben. F. Walther.
M. Sapegno, Neue Untersuchungen über die Pathologie des Atrioventri¬
kularbündels. (Arch. p. 1. scienze med., Bd. 34, Nr. 6, 1910.) Sapegno hat
im pathologischen Institut zu Turin an 34 Herzen, vorzüglich von Individuen,
die an Infektionskrankheiten oder schweren Vergiftungen gestorben waren,
das Atrioventrikularbündel untersucht. Er fand parenchymatöse Verände¬
rungen unter 12 Pneumonien dreimal, unter 3 Typhen einmal, unter 3 Ikteri-
schen einmal, ferner bei 1 diffusen Bronchitis, 1 Herzinsuffizienz bei Gibbus,
1 Chloroformtod, 1 Vagotomie; vermißt wurden sie in 3 Fällen von Sepsis
und 8 Fällen verschiedener Affektionen. Einen besonders ungünstigen Ein¬
fluß auf das His’sche Bündel haben also offenbar Erkrankungen der Lunge.
Jedenfalls steht fest, daß Infektions- und Intoxikationszustände, und zwar
besonders solche, zu denen besonders gern Herzlähmung hinzutritt, einen
unheilvollen Einfluß auf das Reizleitungssystem ausüben können und auch in
der Tat oft genug ausüben, indem sie parenchymatöse Degenerationen hervor-
rufen, und zwar solche, welche sowohl Fett- wie Lipoidreaktionen geben.
Beweist, dieser Befund einerseits immer mehr die Unabhängigkeit zwischen
His’schem Bündel und Myokard, so bringt er andererseits einen neuen Be¬
weis für den Zusammenhang schwerer Veränderungen des Reizleitungssystems
mit Herzinsuffizienz, Herzschwäche und Herzlähmung. M. Kaufmann.
Sonnenberger (Worms), Beitrag über die Verwendbarkeit des Albumini¬
meters nach Dr. Aufrecht. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1909.) Der
Albuminimeter nach Dr. Aufrecht ermöglicht es, unter Zuhilfenahme einer
Zentrifuge, in 2—3 Minuten Eiweiß in Harn, Blut und anderen Flüssigkeiten,
z. B. Transsudaten quantitativ zu bestimmen, während dies nach der bis¬
herigen Eßbach’schen 'Methode erst in 24 Stunden zu erreichen ist. Die Be¬
stimmung ist scharf und genügend exakt, ohne daß man dabei befürchten
muß, daß Temperatur- und Diehtigkeitsverhältnisse eine Rolle für Fehler¬
quellen spielen, wie dies bei der Eßbach’schen oft der Fall ist. Im Prinzip
ähnelt das Verf«'ihren dem Eßbach’schen insofern, als die Fällung des Ei¬
weißes gleichfalls durch eine Lösung von Pikrin- und Zitronensäure (jedoch
in einem anderen Mischungsverhältnisse) bewirkt wird.
Der Apparat kostet 2,50 Mk. (100 g Reagens dazu 1 Mk.) und kann
von der Firma Chem. Fabrik Goedecke & Oo., I^eipzig und Berlin N. 4
bezogen werden. Neiimann.
Psychiatrie und Neurologie.
Volland (Bethel-Bielefeld), Über Megalenzephalie. (Arch. für Psych-,
Bd. 47, H. 3.) Die Fälle vo>n Megalenzephalie, von denen V. einen schildert,
sind meist angeboren und stammen aus neuropatliisch oder hereditär belasteten
Familien. Zuweilen wird das Leiden vererbt. Die abnorme Gehirnentwicke¬
lung kann alle Teile betreffen oder auch nur das Großhirn, ebenso sind die
Schädelknochen dünn oder massiv. Manchmal findet sich Kombination mit
Hydrozephalus. Die Gehirntätigkeit ist oft ungestört, mitunter sind die
betr. sogar besonders intelligent, in anderen Fällen besteht Schwachsinn
verschiedenen Grades. Häufig besteht gleichzeitig Epilepsie. Die erhöhte
Labilität dokumentiert sich auch in einer besonderen Disposition zur Hirn-
schwellung, wodurch Motilitätsstörungen der verschiedensten Art, Konvul¬
sionen, Kopfschmerz, Schwindel usw. herbeigeführt werden. Nicht selten
sind gleichzeitige Veränderungen der Thymus, Schilddrüse, Nebennieren, die
ebenfalls als Störungen der Anlage aufzufassen sind. Die wenigen Fälle der
erworbenen Megalenzephalie stehen wahrscheinlich in ursächlichem Zu¬
sammenhang zur Rhachitis. Die Hydrozephalie unterscheidet sich durch
den quadratischen Schädel, der mächtig vorspringenden Stirn, dem kleinen
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Referate und Besprechungen.
Gesichtsschädel, der Zunahme beim Wachstum. Während die rhachitischen
Schädelvergrößerungen der Rückbildung fähig sind, besitzen die Hydro¬
zephalen gewöhnlich eine kürzere Lebensdauer. Zweig (Dalldorf).
A. Trapet (Grafenberg), Über Entwickelungsstörungen des Gehirns bei
juveniler Paralyse und ihre Bedeutung für die Genese dieser Krankheit.
(Arch. für Psychl., Bd. 47, H. 3.) In sechs Fällen fand T. ebenso wie schon
früher Entwickelungsstörungen des Gehirns, und zwar mehrkernige Purkinje -
sehe Zellen, z. T. in den verschiedensten Phasen der Teilung, ferner Ver¬
lagerung derselben in andere Zellschichten, bei einem Fall auch im Gro߬
hirn, Störungen im Schichtenaufbau, also Veränderungen, welche auf Be¬
einträchtigung der Entwickelung zurückzuführen sind. Die hereditäre Lues
schafft also durch ihre entwickelungshemmende Wirkung — auch andere
Ursachen haben die gleiche Wirkung — einen günstigen Boden für die sich
später, meist im zweiten Lebensjahrzehnt, entwickelnde Paralyse. Dies
ist die „ererbte Anlage“. Doppelkernige Ganglienzellen sind bei Gesunden
sehr selten, bei erwachsenen Paralytikern häufiger, wenn auch viel spär¬
licher als bei der juvenilen Paralyse. Dieser nur graduelle Unterschied be¬
rechtigt also wohl zu der Annahme, daß auch bei der Paralyse der Erwachse¬
nen Entwickelungsstörungen, also eine Disposition des Gehirns vorhanden
sind. Klinisch weist T. noch auf die schnell eintretende Demenz, sowie
auf die Häufigkeit der früh einsetzenden schweren motorischen Störungen
hin. Gleich zu Beginn der Erkrankung findet man in allen Fällen Unsicher¬
heit im Gang, oder Lähmung der Beine, oder starken Tremor beim Greifen.
Zweig (Dalldorf).
F. Wohlwill (Hamburg-Eppendorf), Zur Frage der traumatischen Para¬
lyse. (Arch. für Psych., Bd. 47, H. 3.) W. beschäftigt sich vor allem aus¬
führlich mit der Flrage der Auslösung einer Paralyse durch ein Kopftrauraa.
Daß lediglich durch ein Trauma ohne Lues eine Paralyse sich entwickeln
kann, wird jetzt allgemein abgelehnt, daß ein Trauma verschlimmernd wirken
kann, wird ebenso allgemein anerkannt. Über die Auslösung einer noch
latenten Paralyse durch ein Trauma sind die Ansichten geteilt. W. verglich
nun 59 Paralytiker mit einem Trauma in der Anamnese mit 133 Fällen nicht¬
traumatischer Erkrankung und fand weder in der zwischen Infektion und
Erkrankung liegenden Zejt, noch im Alter der Erkrankten, noch hinsichtlich
der Dauer des Verlaufs, noch hinsichtlich der Symptome irgendwelche Unter¬
schiede. Mit der Annahme der Auslösung der Krankheit durch den Unfall
ist daher große Zurückhaltung am Platze. Auf ein Trauma folg! eine Para¬
lyse vielmehr nur dann, wenn „der Organismus an und für sieh schon reif
für die Paralyse ist“. Zweig (Dalldorf);
S. Leibowitz, Zur Frage des induzierten Irreseins. (Arch. für Psych.,
Bd. 47, H. 3.) Induziertes Irresein ist die Übertragung eines psychotischen
Symptomenkomplexes, nicht aber einer 'klinischen Krankheitsform. Ist die
induzierende Psychose die paranoide Varietät der Dementia praec., so sind
die dieser Krankheit besonders eigentümlichen Symptome (Maniriertheit,
Stereotypien) nicht dauernd übertragbar, sondern bei hysterischer Disposition
höchstens temporär. Es entsteht dann durch die ledigliche Übertragung der
Wahnideen eine Krankheitsform im Sinne der Paran. chron.
Zwei# (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
P. Rohmer (Köln), Tuberkulose und Tuberkulintherapie im SäugUngs-
und frühen Kindesalter. (Archiv für Kinderheilk., Bd. 55, Heft 1 und 2.)
Der Verfasser faßt seine Ergebnisse folgendermaßen zusammen:
1. Die von Engel und Bauer empfohlene Methode der Tuberkulin¬
behandlung mit hohen Dosen ließ sich in allen Fällen ohne Schwierigkeiten
durchführen, jedoch stellte sich in den meisten Fällen bei fortgesetzter Ver¬
wendung hoher Dosen wieder Überempfindlichkeit gegen Tuberkulin ein.
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Referate und Besprechungen.
429
2. Der ungünstige Verlauf eines Falles von Säuglingstuberkulose
konnte, nicht beeinflußt werden.
3. Bei Kindern von 2—4 Jahren ergab sich klinisch eine eklatante
Heilwirkung auf skrofulöse .Symptome, anatomisch eine abnorm starke repara-
torische Bindegewebswucherung, speziell in der Umgebung von Lungenherden.
4. Dagegen waren wir auch nach langdauernder Behandlung nicht im¬
stande, die weitere Ausbreitung des tuberkulösen Prozesses zu verhindern,
welche sich in einem Falle durch das Manifestwerden einer Knochentuber¬
kulose, in einem andern durch einen malignen Verlauf im Anschluß an eine
Maserninfektion kundgab. —
5. Es hät dein Anschein, als ob in unseren Fällen gegenüber (der
günstigen Wirkung mäßiger Dosen die großen Tuberkulindosen auf das All¬
gemeinbefinden der Kinder einen nachteiligen Einfluß ausgeübt haben, so daß
bei weiteren Versuchen die Verwendung kleiner Dosen, vorläufig etwa bis
0,1 ccm zu empfehlen wäre. • Reiß (München).
H. Kokall (Brünn), Der Scharlach und dessen Weiterverbreitung. (Wien,
klin. Wochenschr., Nr. 52, 1910.) Kokall beschreibt 20 Fälle, in denen
Scharlachkranke trotz genügend langen Spitalaufenthalts nach ihrer Heim¬
kehr andere Individuen angesteckt hatten. Hier konnten also nicht mangel¬
haft desinfizierte Gegenstände die Infektion vermittelt haben, und es kommtT
als einzige Infektionsquelle der Mensch in Betracht, vor allem (im Inkuba-
tionsstudium, auf der Höhe und in der Rekonvaleszenz) die Mundhöhle : die
Ansteckungsmöglichkeit besteht jedenfalls länger als die übliche sechswöchige
Karenzfrist. Eine derart lange Isolierung läßt sich jedoch praktisch nicht
durchführen. Auch die Desinfektion der Mundhöhle ist sehr unsicher; man
könnt*, vielleicht an eine mechanische Erzielung der Keimfreiheit, etw r a wie
bei den Händen des Operateurs, denken. M. Kaufmann.
R. Gömez Ferrer, Über die Behandlung der Masern mit Kalisalpeter.
(La Crönica Med. de Valencia, 25. November 1910.) Der Pädiater der Uni¬
versitär, Valencia empfiehlt, auf Grund seiner Erfahrungen das Kalium nitri-
ciim bei Masern, das die Temperatur herabsetzt, die Heilung des Exanthems
und Enanthems beschleunigt und Komplikationen vorbeugt. Die tägliche
Dosis beträgt je nach dem Lebensalter 0,3—0,9, auf 3 4 Einzeldosen verteilt.
Schädliche Nebenwirkungen wurden nie Ix'obachlet. 17 Kurven zeigen die
günstig*’ Beeinflussung der Temperatur. M. Kaufmann.
L. Piesen, Die schulhygienische Bedeutung der lordot ischen Albu¬
minurie. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 1, 1911.) Piesen untersuchte in
3 Volks mul Bürgersehulk lassen (in Prag) im ganzen 147 Schüler von
9—15 Jahren auf das Auftreten lordotischer Albuminurie. Nach 10 -15
Minuten dauerndem lordotisehem Stehen bekamen (»1 ; 11,5" () Albuminurie,
nach lo Minuten Sitzen mit. über dem Kreuz verschränkten Armen 2S =
19.2° «. Ein solches Sitzen, wie es in manchen Schulen üblich ist, ist schul¬
behördlich zu verbieten. Die Disposition zur lordotischen Albuminurie ist
im selben Lebensalter um so grüßen, je länger das Kind ist; im übrigen
steigt sie mit dem Alter. Außerdem besteht eine Abhängigkeit von der
Beweglichkeit der Nieren. M. Kaufmann.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Fritz Lesser (Charlottenburg), Zubereitung und Anwendung von Ehr-
lich-hata 606. (Ther. Rundschau, Nr. 50, 1910.) Das Pulver ist in Wasser
leicht löslich. So, verlockend es nun wäre, das in Wasser gelöste Pulver ein-
zuspritzen, so muß man davon abraten. Die einfache Lösung erweist sich
zwar therapeutisch als sehr wirksam, und schwere syphilitische Ulzerationen
kamen rasch zur Heilung. Die einfache wässerige Lösung macht aber große
Schmerzen, da sie an der Injektionsstelle ätzend wirkt. Setzt man zu der
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Referate und Besprechungen.
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sauren wässerigen Lösung Natronlauge hinzu, so fällt allmählich das neu¬
trale Dioxydiamidoarsenobenzol aus, und man kann dann das Mittel als neu¬
trale Suspension injizieren. Man muß zu der sauren wässerigen Lösung
so viel Natronlauge hinzusetzen, als gerade ausreicht, um blaues Lackmus-
papier nicht mehr rot, und rotes nicht mehr blau zu färben. Bei 0,5 g des
in Wasser gelösten Pulvers sind etwa 0,36 ccm einer 20%igen Natronlauge,
hinzuzusetzen, um die neutrale Suspension zu erhalten. Setzt man zu der
neutralen Lösuaig mehr Natronlauge hinzu, so geht der Niederschlag in
Lösung, und es entsteht wieder eine klare. Flüssigkeit von alkalischer Reak¬
tion. Diese schwach alkalische Lösung wird von Alt zur Injektion emp¬
fohlen. Endlich/ kann ,,606“ auch in öliger Suspension injiziert werden. In
einem sterilen Mörser wird das Pulver äußerst fein zerrieben und allmählich
unter fortwährendem Umrühren entweder sterilisiertes Ol. olivarum, oder
Paraffin, liquid., oder Vasenol, Ol. amygdalar. oder Sesam öl zugesetzt. Auf
0,5 g des Pulvers rechnet man ca. 5 ccm der öligen Flüssigkeit. S. Leo.
J. Grosser (Berlin), Mammin-Poehl bei Harnblasenblutung infolge von
Papillomen. (Allgem. med. Zentral-Ztg., Nr. 4, 1911.) Mit dem Präparate
haben namentlich deutsche und russische Autoren günstige Resultate erzielt
al6 Spezifikum bei Uterusmyomen, als Styptikum bei Metrorrhagien jeglicher
'Art, bei nervösen Zuständen infolge von Hyperämiezuständen der Sexual-
organe weiblicher Kranker, als Sedativum und Antiphlogistikum. Verf. hat
nun das Präparat in drei Fällen multipler hämorrhagischer Papillome der
Harnblase bei Männern, die sich einem operativen Eingriff widersetzten
(zweimal täglich 0,3 subkutan), mit Erfolg angewandt, nachdem Styptizin,
Sekale und Ergotin ganz nutzlos gebraucht waren. Nach sechs Wochen traten
die Blutungen nur mehr sehr selten auf, schwanden völlig nach weiteren
sechs Wochen und sind innerhalb sechs Monaten nicht wieder aufgetreten.
v. Schnizer (Höxter).
Allgemeines.
Neues über die Schlafkrankheit in Togo. (Med. Blätter, Ther. Zentral-
blatt, Nr. 11, 1910.) Die im Kampfe gegen die Schlafkrankheit gemachten
Erfahrungen sind von besonderem Interesse, weil es sich bei ihr, wie bei der
Syphilis um eine chronische und gleichfalls durch verschiedene Arsenprä-
präparate erfolgreich zu behandelnde Protozöenkrankheit handelt; der Kampf
in Togo wird von Zupitza. und v. Raren geleitet. Im Isolierlager befanden
sich ca. 122 Fälle. Die Sterblichkeit betrug im Sommerquartal 4,9%, wovon
aber nur 3 = 2,1% auf die Schlafkrankheit entfielen. Behandelt wurde mit
Atoxyl, Arsacetin, Arsonophenvlglycin, Trypanrosan, Auripigment und Kollar
gol. Was das Atoxyl betrifft, so hat d,ie der anfänglichen Begeisterung
folgende pessimistische Auffassung wieder einer günstigeren Auffassung Platz
gemacht, freilich sind die Aussichten nur für die frühzeitig in Behand¬
lung kommenden Fälle günstig. In einigen dieser Fälle ist man sogar ge¬
neigt, eine Dauerheilung anzunehmen; sind aber bereits Gehirn- und Rücken¬
markserscheinungen vorhanden, so sind die Aussichten schlecht. Besser
noch als das Atoxyl hat sich -das Arsenophenylglvcin bewährt. Freilich
kann man auch mit diesem selbst mit einer Doppelinjektion der Krankheit
nicht Herr werden; auch die Dauer der Wirkung ist ungewiß; es sind auch
mehrere ernste Vergiftungserscheinungen mit Arsenophenylglycin beobachtet
worden; und zwei oder drei Todesfälle sind auf eine Intoxikation mit ihm
zurückzuführen; es scheint weniger die Menge des Mittels Einfluß auf die
Schwere der Vergiftung zu nehmen, als die rasche Wiederholung der In¬
jektion. Findet die folgende Injektion schon am nächsten Tage statt, so
wurde keine Intoxikation beobachtet. Wenn aber die gleiche Menge auf
4—6 Dosen innerhalb 10—15 Tagen in zweitägigen Pausen verteilt, so treten
ernsti Erscheinungen auf, so daß dieser Modus unter allen Umständen zu ver¬
mehren ist. (Wahrscheinlich findet bei diesem Modus eine Angewöhnung
der Protozöen an das Arsenophenylglyoin statt. Anm. d. Ref.) S. Leo.
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Bticherschau.
431
Bücherschau.
L. Krecke (München), Beiträge zur praktischen Chirurgie. Bericht über die
Jahre 1907, 1908 und 1909 aus der chirurgischen Privatklinik des Verfassers. Mit
50 Abbildungen. München 1910. Verlag von J. F. Lehmann. 532 S. 7 Mk.
Für den praktischen Arzt von besonderem Interesse ist der allgemeine Teil dieser
Beitrage, der sich mit der Desinfektion, Wundbehandlung und Anästhesie beschäftigt.
Krecke verwendet mit ganz verschwindende Ausnahmen keine eigentlichen
Antiseptika, weder zur Desinfektion, noch zur Wundreinigung und zum Wund¬
verband. Für die Händedesinfektion ist ihm die prophylaktische Antisepsis, d. h.
die Vermeidung der Berührung infektiösen Materials von besonderer Wichtigkeit:
fingerloses Operieren und Verbinden, Gummihandschuhe. Die Wundspülung hat
er ganz, den antiseptischen feuchten Verband beinahe ganz abgeschafft und nur
selten verwendet er imprägnierte Gaze. Verunreinigte Wunden werden nicht ge¬
reinigt, Schußkanäle als aseptisch angesehn. Die Haut wird ausschließlich durch
Bepinseln mit Jodtinktur sterilisiert. Das Tamponieren wird sehr eingeschränkt,
die Drainage geschieht vorzugsweise mit sog. Zigarettendrains, d. h. mit protektive
Silk umwickelten Gazedochten, die sehr wirksam drainieren und sich ohne Schmerz
und Blutung entfernen lasse*.
Nur die Inhalationsnarkose und die Lokalanästhesie sind — von seltenen
Fällen der ^Lumbalanästhesie abgesehen — in Krecke’s Klinik geduldet. Gewöhn¬
lich wird Äther mit offener Maßke, bei Kindern Chloroform verwendet, und zwar
ohne gleichzeitige Sauerstoffinhalation, Skopolamininjektionen werden nicht mehr
gemacht, nachdem zwei ihnen zuzuschreibende Todesfälle und einige Versager vor¬
gekommen sind; auch fallen die tagelangen Nachwirkungen (Durst) und mancherlei
unangenehme postoperative Erscheinungen gegen das Skopolamin ins Gewicht. Die
Lokalanästhesie ist in ausgedehntem Gebrauch auch bei größeren Operationen, und
zwar nur mit Novokain, mit Suprareninzusatz und in Form der Leitungsanästhesie.
Von besonderem Wert sind die Vorschriften, die Krecke für diejenigen gibt,
die unter mangelhaften äußeren Umständen und im Privathaus operieren müssen.
Er ist der Ansicht, daß sich auch unter diesen Umständen eine hinreichende Asepsis
verhältnismäßig leicht erreichen lasse und daß keinem ländlichen Operateur der
Mut zu sinken brauche, wenn er die Einrichtungen eines modernen Operations¬
saales betrachtet.
Diese Mitteilungen bieten auch dadurch ein besonderes Interesse, daß sie die
Richtungslinien zeigen, in denen sich die Chirurgie entwickelt.
Der Rest des Buches wird von einer reichen Kasuistik mit eingestreuten
allgemeinen Bemerkungen und Schlußfolgerungen gebildet. Fr. von den Velden.
W. Thorn, Die Laktationsatrophie des Uterus, speziell ihre Bedeutung für die
Propaganda des Stillens. Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 602/603.
Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 1,50 Mk.
Aus der Arbeit spricht eingehende Kenntnis des Gegenstandes und ein wohl¬
tuender Optimismus in bezug auf die Stillfähigkeit, die, wenn v. Bunge recht
hätte, nächstens unter unseren Augen erlöschen müßte. Th hält die Propapanda
für das Stillen für die beste Säuglingsfürsorge und für besser als neue soziale
Gesetze, durch die unfehlbar „viel Geld an Unwürdige vergeudet“ wird. Er ist
überzeugt, daß sowohl die körperliche als die soziale Unfähigkeit zum Stillen durch
sachgemäße Hilfe allmählich beseitigt werden könne, und zwar auch ohne die
Mutterschaftsversicherung, auf deren Verwirklichung — lief, möchte sagen: zum
Glück — vorerst keine Aussicht ist.
Die Menstruation während der Laktation ist zwar unerwünscht und unnatürlich,
gibt aber nach Th.’s Ansicht nur in den seltenen Fällen zum Entwöhnen Anlaß,
wo sie erhebliche körperliche Schädigung von Mutter oder Kind herbeiführt. Auch
die während des Stillens eingetretene Schwängerung stört, durchaus nicht immer
die Fortsetzung des Stillens. Daß der Schutz, die dieses gegen die Konzeption
gewährt, nicht sicherer ist, hängt größtenteils davon ab, daß nicht intensiv genug
und nicht ausschließlich gestillt wird. Als ein Mittel zur Verhinderung der Kon¬
zeption betrachtet Th. auch die von ihm vor 25 Jahren entdeckte Laktationsatrophie
des Uterus, einen physiologischen Zustand, der seinen Höhepunkt im 4. Monat des
Stillens erreicht und in 4—6 Wochen nach dem Entwöhnen in Rückkehr zu normaler
Größe des Uterus ausläuft. Dabei wird nur das Korpus klein, picht Zervix und
Ovarien, und es findet keine Bindegewebsneubildung statt, sondern der Uterus
kehrt völlig ad normam zurück. Die leichten Störungen im Befinden Stillender
werden vielfach, aber wohl mit Unrecht, dieser Degeneration zugeschrieben; sie haben
wohl immer existiert, aber man ist ihnen gegenüber heute weichlicher geworden.
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Bücherschau.
Th. glaubt nun, daß man renitenten. Müttern gegenüber in dem Hinweis auf
die antikonzeptionelle Wirkung des Stillens ein gutes Mittel zu dessen Empfehlung
habe, und weist auf den unzweifelhalten Zusammenhang zwischen der Abnahme
des Stillens und der Zunahme der absichtlichen Aborte hin. —
Leider bietet das Stillen in der halben Art, wie es meist getrieben wird,
durchaus keine Sicherheit gegen Konzeption, und tritt sie doch ein, so wird der
Arzt, der Sicherheit versprach, sicherlich nicht zum Paten gebeten werden.
Fr. von den Velden.
E. S. Laudon (St. Petersburg), Das Radium in der Biologie und Medizin.
Leipzig 1911. Akademische Verlagsgesellschaft.
Das Buch enthält etwas mehr als sein Titel verspricht, indem außer dem
Radium auch die Emanation in den Bereich besonders der therapeutischen Betrach¬
tungen gezogen ist.
Der Charakter des Werkes ist weniger ein explizierender, als ein referierender.
Letzterer macht sich auch den wertvollen, eigenen Arbeiten des Verfassers gegen¬
über geltend, die nur sehr zurückhaltend wiedergegeben werden. Die Kritik tritt
zurück, soweit sie nicht in der Auswahl der besprochenen Arbeiten zum Ausdruck
kommt. Auf beschränktem Raum wird eine große Vollständigkeit erreicht. Dadurch
ist dein Werke ein Leserkreis gesichert.
Der mit der Materie weniger Vertraute wird nicht immer finden was er sucht,
er muß zu diesem Zwecke die Original arbeiten eiuseben, oder ihre Kenntnis mit¬
bringen. Im physikalischen Teile sind die weittragenden Folgerungen erwähnt,
welche hinsichtlich der Theorie des Aufbaues der „Atome“ aus der Analyse der
radioaktiven Erscheinungen gezogen worden sind. Aber der Gedankengang der
Beweisführung wird nicht vorgeführt. Im Kapitel der therapeutischen Anwendungen
ist die Anführung mancher unbestätigt gebliebener oder infolge von komplizierter
Anordnung wenig beweiskräftiger Versuche entbehrlich; gerade hier werden die
meisten Leser mehr eine Heraushebung des wirklich dauernd für den Heilapparat
Gewonnenen, mehr schärfste Kritik wünschen. Das Kapitel über die Meßmethoden
ist gar zu knapp; die Anführung, daß es Uraneinheiten und Zerstreuungseinheiten
gibt, genügt nicht; ihr gegenseitiges Verhältnis sollte erörtert sein; der Streit
zwischen Volteinheiten und Macheeinheiten ist dem weitesten ärztlichen Publikum
bekannt, nur sind ihm die Begriffe, welche hinter den Namen stehen, nicht immer
geläufig.
Die Ausstattung durch den Verlag ist eine sehr ansprechende. (20 Figuren
im Text). v. Criegern.
E. Gero, Eheschließungs- und Trennungsfreiheit in Ungarn. 1 Krone.
Da der Arzt auch außerhalb seines eigentlichen Berufs oft um Rat gefragt
wird, zumal in rechtlichen Fragen, so kann ihm die Kenntnis nur nützlich sein,
daß Scheidungsbedürftige in Ungarn verhältnismäßig leicht Erfüllung ihrer Wünsche
linden; zumal für Katholiken kommt das in Betracht. Sie brauchen nur Ungarn
zu werden, was auch ohne Zeitverlust durch Adoption von seiten eines ungarischen
Bürgers geschehen kann; hat die Adoption ihren Zweck erfüllt, so kann sie ohne
weiteres wieder aufgelöst werden. In den Ehescheidungsgründen scheint die unga¬
rische Praxis sehr liberal zu sein.
Daß die Befreiung aus einer unerträglichen Ehe oft die schönsten thera¬
peutischen Wirkungen erzielt, mag es rechtfertigen, daß liier auf die Broschüre
aufmerksam gemacht wird. Fr. von den Velden.
F. Schilling, Die Mundkrankheiten (Stomatologie). Würzburger Abhandlungen,
Bd. 11, H. 2. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 85 Pfg.
Die reichhaltige und auf persönliche Erfahrung des Verfassers beruhende
Arbeit ist wegen der Menge der Einzelheiten zum Referat nicht geeignet. Besondere
Aufmerksamkeit ist den Zähnen gewidmet. Als Nachschlagewerk über dieses heimat¬
lose Kapitel der Medizin ist sie zu empfehlen. Fr. von den Velden.
Marcus Rabinowitsch (Charkow), Zur Frage über den Erreger der echten und
Sohutzpocken. Mit 6 Tafeln. Wiesbaden 1911. Verlag von J. F. Bergmann. 26 S.
In der aus dem Alexanderkrankenhaus zu Kiew hervorgegangenen, der
Universität Berlin gewidmeten Schrift wird unter dem Namen Strepto-Diplokokkus
ein Gebilde beschrieben, welches aus dem Pustelinhalt und dem Venenblut Pocken¬
kranker, aus der Milz und dem Herzblut Verstorbener, sowie aus Kuhpockenlymphe
gezüchtet wordep ist. Es steht dem Fränkel’schen Diplokokkus nahe, unterscheidet
sich jedoch in verschiedenen Punkten etwas von ihm. Verf. vermutet, „daß dieser
eigenartige Parasit in irgend einer engen Beziehung mit den echten und Schutz-
pocken stehen muß“. _Buttersack (Berlin).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang,
1911.
Tomcbrittc der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
hentusgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 19.
Erscheint wöchentlich znm Preise von 5 Mark
iflr das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =:
11. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die akute Magendilatation und der Verschluß des Duodenum
durch die Mesenterialwurzel.*)
Von Dr. C. Weinbrenner, Magdeburg.
M. H.! Ein Verschluß im Darmkanal stellt den Arzt meist vor
eine schwere Aufgabe. Einmal kann die Diagnose besonders in der Ab¬
grenzung des beginnenden Ileus von peritonitischen Prozessen kaum lös¬
baren Schwierigkeiten begegnen und auch dort, wo ein Verschluß deutlich
erkannt wird, ist es oft noch unmöglich, die Stelle des Hindernisses
klinisch präzise zu bestimmen. Dazu kommt eine Unsicherheit in der
Behandlung. Man versucht durch hohe Eingießungen usw. das Hindernis
zu überwinden. Hat man dies längere Zeit vergeblich versucht, so hat
man in der Regel auch den besten Zeitpunkt für die chirurgische Be¬
handlung damit versäumt. Um so wertvoller muß uns angesichts dieser
Schwierigkeiten die Kenntnis einer bestimmten Ileusform sein, die sich
dank einer Reihe guter Beobachtungen klinisch ziemlich scharf begrenzen
läßt und die dadurch eine hohe praktische Bedeutung gewinnt, daß sie
sich durch eine einfache und bestimmte Therapie wesentlich von den
anderen Ueusformen unterscheidet, d. i. die akute Magendilatation mit
Verschluß des Duodenum durch die Mesenterialwurzel.
Das pathologisch-anatomische Bild dieser Erkrankung hat schon im
Jahre 1863 Rokitansky in seinem Lehrbuch über pathologische Anatomie
gut skizziert, es scheint aber in der Folgezeit in Vergessenheit geraten
zu sein, bis Ende der 90er Jahre von mehreren Seiten einschlägige
Fälle mitgeteilt wurden, nachdem Schnitzler zur Heilung der in aus¬
gesprochenen Fällen stets tödlichen Komplikation die ebenso einfache
wie erfolgreiche Methode der Bauchlage empfohlen hatte.
In dem klinischen Symptomenkomplex, wie er einheitlich unter
der verschiedensten Nomenklatur, wie „akute Magenerweiterung“,
„Duodenaler Ileus“ und „arteriomesenterieller Verschluß“ beschrieben
wird, steht in erster Linie das Erbrechen. Damit tritt die Krank¬
heit fast ausnahmslos in Erscheinung; das Erbrechen setzt ver¬
schieden heftig ein, ist niemals fäkulent, sondern besteht durch den
permanenten Rückfluß von Galle in. den Magen aus galligtingierten,
später durch Blutbeimischung braun gefärbten wässrigen Massen. Die
Transsudation und die Gasentwicklung im Magen kann in kurzer Zeit
*) Nach einem am 23. März 1911 in der medizin. Gesellschaft zu Magdeburg
gehaltenen Vortrag.
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C. Weinbrenner,
einen erheblichen Grad erreichen. Die Patienten fühlen sich immer übel,
werden durch einen starken Durst gequält und klagen oft über ziehende
Schmerzen in der Magengegend. Meist sistiert der Abgang von Stuhl
und Winden. Objektiv ist bis auf sehr wenige Ausnahmen eine zu¬
nehmende Magendilatation nachweisbar. Der Leib ist in seinem oberen
Teil aufgetrieben, während die abhängigen Partien noch weich und
eindrückbar sind. Im weiteren Verlaufe folgt dann eine universelle
troinmelartige Auftreibung des Leibes, die sich mehr oder weniger
stürmisch vollzieht. Diese Dilatation des Magens kann in manchen Fällen,
wie Riedel nachgewiesen hat, schon in 24 Stunden in extremer Weise
fertig sein, die Temperatur ist gewöhnlich normal, dagegen wird der
Puls bald frequent und klein, der Patient kollabiert und geht ohne die
geeigneten therapeutischen Maßnahmen zugrunde.
Das pathologisch-anatomische Bild bei der Sektion ist dann folgendes:
Der Magen ist in hochgradiger venöser Stauung stark erweitert und
gespannt, füllt mitunter die Bauchhöhle bis zur Symphyse herab aus,
es besteht keine Peritonitis. Sekret oder Belag auf den Intestinis fehlen.
Die Dünndärme liegen kollabiert im kleinen Becken und üben einen
abnormen Zug an ihrem Mesenterium aus. Nach Aufhebung des Magens
zeigt sich das Duodenum ebenfalls stark erweitert bis zu der Stelle, au
der die Mesenterialwurzel über den horizontalen Schenkel hinwegzieht.
Hier ist das Duodenum verschlossen und zwar dadurch, daß die straff
gespannte Mesenterialwurzel mit der Arteria mesaraika superior das
Darmrohr im Sinne eines Strangulationsileus abklemmt.
Dieser pathologische Befund ist so einwandfrei und in so zahlreichen
Fällen erhoben worden, daß er keinen Zweifel mehr zuläßt, aber es ist
heute noch eine strittige Frage, wie der Mechanismus der Zerrung am
Mesenterium zustande kommt; ob diese geschilderte Strangulation aus
irgend welchen Gründen primär einsetzen kann, und wie wir dies ja
allgemein bei Ileus oberhall) der Verschlußstelle kennen, dann eine starke
Erweiterung des Duodenum zur Folge hat, an die sich sekundär auch
eine Erweiterung des Magens anschließt, oder ob es sich immer um eine
primäre Magenlähniung handelt, bei der der Mechanismus der Strangulation
dann in der Weise zustande kommen soll, daß bei zunehmender Dilatation
des Magens die Därme aus dem Bauchraume nach unten verdrängt
werden und unter gewissen anatomischen Voraussetzungen dadurch sowohl
wie durch direkten Druck des Magens das Aufhängeband des Darmes
angespannt wird, daß sich also bei fortschreitender Dilatation der Magen
noch selbst stranguliert. Die meisten Autoren neigen diesem Entstehungs¬
modus zu (Riedel, v. Herff, Stieda, Kausch, Garre, Zade, Lichten¬
stein u. a.), während die Ansicht von Wilms, der den Verschluß als
selbständiges Krankheitsbild bezeichnet, allmählich mehr zurückgedrängt
worden ist und erst durch neuere Beobachtungen von Land au-Rosen¬
thal, Teilhaber, H. Albrecht, von Ilaberer und einen Fall von mir
selbst, den ich vor 2 Jahren in der mitteldeutschen Gynäkologengesellschaft
besprochen habe, wieder eine Stütze gewonnen hat. Die Möglichkeit
der primären Srangulation des Duodenum wird verständlicher, wenn man
sich die anatomischen Verhältnisse an der Verschlußstelle vergegenwärtigt.
Es ist bekannt, daß die in der Wurzel des Mesenterium verlaufende
Arteria mesaraica superior in spitzem Winkel aus der Aorta entspringt
und mit der Aorta eine nach unten offene Gabel bildet, durch die der
horizontale Schenkel des Duodenum verläuft. Dieser Teil des Duodenum
ist wegen seiner Befestigung an der Wirbelsäule nicht imstande, einem
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Die akute Magendilatation usw. durch diejMeaenterialwurzel. 435
Druck auszuweichen und kanu bei einer Zerrung am Mesenterium so
an die Wirbelsäule gepreßt werden, daß seine Wegsamkeit unterbrochen
wird. Übt man z. B. an der Leiche über dem Promontorim am Mesen¬
terium einen geringen Zug in der Richtung der Beckenachse aus, so
kann man sich sehr einfach überzeugen, wie der vom Jejunum in das
Duodenum eingeführte Finger geschnürt wird. Ich könnte es mir nach
diesem Experiment, das ich an der Leiche wiederholt versucht habe, wohl
vorstellen, daß allein die Schwere des durch ausgiebige Entleerung kolla¬
bierten Darmes bei einer bestimmten Länge des Mesenterium und einer
besonderen Krümmung der Wirbelsäule in Rückenlage einen Zug aus¬
üben kann, der das Duodenum bis zu einem gewissen Grade zuzerrt, aber
ich kann mir nicht gut vorstellen, daß dieser Zug genügen sollte, außer
vorübergehendem Unbehagen und Übelkeit einen kompletten Verschluß
zu bewirken, wenn nicht durch andere Schädigungen die motorische
Suffizienz des Magens außerdem erheblich gestört ist, oder wenn nicht
sonst noch Faktoren hinzukommen, die den ins Becken hängenden Darm
zurückhalten oder die Zerrung am Mesenterium in anderer Weise nach¬
haltig unterstützen. Hierfür finden wir in der Literatur die verschiedensten
Anhaltspunkte. Landau und Rosenthal glauben z. B., daß der Zug der
ins kleine Becken hängenden Därme dadurch unterhalten und verstärkt
werden kann, daß die starkgefüllte Harnblase sich über den Becken¬
eingang legt. Im Falle Albrecht war es das stark geblähte Querkolon,
das durch Raumbeengung eine pathologische Straffung der Mesenterial-
wurzel herbeiführte. Interessant ist ein Fall von Hab er er, in dem
der in einem großen Bauchbruchsack festverwachsene Dünndarm einen
Zug ausübte und allmählich durch chronische Einschnürung des Duodenum
eine sekundäre Hypertrophie und Dilatation des Magens verursachte.
In meinem Falle war es eine Tamponade, die das Mesenterium fixierte
und anspannte.
Die Tamponade war wegen diffuser Wundbettblutung notwendig
geworden nach einer Adnexoperation mit folgender Fixation des Uterus
an die Bauchdecken. Der Tampon wurde über die Hinterfläche der
Gebärmutter hinabgeleitet und hatte zwischen dem Uterus und dem
scharf vorspringenden Promotoriuni eine Darmschlinge so fixiert, daß die
Straffung des Mesenteriums in einer dem Leicheuexperiment anologen
Weise zustande kam. Der Fall nahm einen außergewöhnlich stürmischen
Verlauf, der Magen war in kurzer Zeit enorm gedehnt und die Patientin
schüttete in kurzen Zwischenpausen große Mengen galliger aber nie
fäkulenter Massen aus. Der Verlauf erinnerte an eine stürmische Peritonitis,
der Puls wurde immer schlechter und frequenter (142), es trat ein
rapider Verfall ein; systematische Magenausheberungen und hohe Darm¬
eingießungen blieben ohne Erfolg, kurz der Fall sah gänzlich desolat
aus und machte den Eindruck, als ob in wenigen Stunden der Exitus
eintreten würde. Auffallend war nur die ausschließliche Beteiligung des
Magens an der Auftreibung des Leibes. Der Leib wurde nach jeder
Ausheberung des Magens weich und fiel ein, trieb aber sehr bald wieder
auf. In dieser äußerst prekären Situation versuchte ich noch die Um¬
lagerung der Patientin in Knieellenbogenlage und ich muß gestehen, daß
der Glaube an eine Hilfe durch diese Maßnahme recht schwach war.
Umsomehr überraschte mich der Effekt dieser Umlagerung. Die Patientin
hörte momentan auf zu brechen und äußerte sofort, sie fühle sich in
dieser Lage wohler und wolle so liegen bleiben. Nach etwa einer Minute
gingen viel Blähungen spontan ab, die Darmtätigkeit wurde in dieser
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C. Weinbrenner,
Lage noch weiter durch Eingießungen angeregt und als Patientin nach
3 / 4 Stunden umgelagert wurde, war der Leib flach und weich, der Puls
war kräftiger und ging in wenigen Stunden auf 110 zurück. Das Er¬
brechen hatte vollständig aufgehört, das Aussehen war günstig verändert
und abgesehen von etwas Aufstoßen erinnerte in den nächsten Tagen
nichts mehr an die schwere Störung, die ohne diese Lagerung binnen
wenigen Stunden den Tod sicher herbeigeführt hätte. In bezug auf
weitere Einzelheiten verweise ich auf die ausführlichere Beschreibung des
Falles in der Münchener medizinischen Wochenschrift 1909.
Wenn man diese Fälle einmal erlebt hat, so prägen sie sich so
ein, daß man aus dem Symptomenkomplex im Wiederholungsfälle recht¬
zeitig die Krankheit erkennt. Man gewöhnt sich daran, besonders bei
hartnäckigem postoperativen Erbrechen, diesen Verschluß durch die
Mesenterialwurzel differenzialdiagnostisch mehr zu berücksichtigen, was,
wie mir scheint, trotz der vielen Hinweise auf diese Komplikation noch
immer nicht genügend geschieht.
Vor einiger Zeit hatte ich Gelegenheit, einen zweiten Fall zu be¬
obachten, den ich Ihnen heute kurz mitteilen möchte:
Es handelt sich um eine 48 jährige Frau, die wegen absoluter Harn¬
verhaltung von zwei Kollegen wochenlang katheterisiert wurde. Erst
der dritte Arzt nahm eine vaginale LTntersuchung vor und fand als
Ursache der Harnverhaltung einen im Becken eingekeilten Tumor und
schickte mir den Fall zur Operation zu.
Nach der Einlieferung der Patientin stand die Harnblase zwei Finger
breit über dem Nabel und verursachte starke Beschwerden. Ich ent¬
leerte mit dem Katheter etwas über 2 Liter übelriechenden und zer¬
setzten Urin. Das Becken war von einem Myom ausgefüllt. Die hinter
der Symphyse hochgezogene Portio war nicht zu erreichen. Der Tumor
wurde durch Laparatomie entfernt und an dem Präparat ist noch die
Anpassung der Form an das kleine Becken gut zu erkennen. Das Myom
hatte sich vom Fundus aus spitzwinklig nach unten entwickelt und dabei
die Zervix lang aus und nach oben gezogen, lladikaloperation.
Am Tage nach der Operation klagte die Patientin über ziehende
Schmerzen in der Magengegend, hatte fortwährendes Aufstoßen und er¬
brach von Zeit zu Zeit gallige Massen. Das Erbrechen steigerte sich
und der Puls fing an zu klettern, während die Temperatur normal war.
Die Inspektion ergab nun einen sehr deutlichen Befund. In der Magen¬
gegend wölbte sich ein halbkugeliger Tumor vor, der nur der dilatierte
Magen sein konnte, während die abhängigen Partien des Leibes weich
und eindriickbar waren. Ich habe in diesem Falle von vornherein auf
Magenausheberung verzichtet und die Patientin in Knieellenbogenlage
gebracht. Der Erfolg war auch hier ein überraschend prompter; nach
etwa 1 / 2 Minute begann spontan eine lang andauernde Flatuleszenz, und
als nach etwa 5 Minuten die Patientin wieder umgelagert wurde, war
die Auftreibung des Magens vollständig verschwunden und die Patientin
fühlte sich ganz wohl. Die Auftreibung wiederholte sich im Laufe der
nächsten 24 Stunden noch 2 mal und wurde dann sofort und ebenso
prompt durch die Umlagerung wieder beseitigt. Der weitere Verlauf war
glatt und ungestört.
Ich bin in diesem Falle nicht in der Lage zu entscheiden, ob hier
ein primärer oder sekundärer Verschluß durch die Mesenterial Wurzel
vorlag. Sicher aber scheint mir zu sein, daß ein Verschluß vorhanden
war; das beweist, wenn auch retrospektiv, bei dem galligen nicht
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Die akute Magendilatation U9W. durch die Mesenterialwurzel. 487
fäkulentcn Erbrechen und der Dilatation des Magens der prompte Erfolg
der für solche Fälle spezifischen Lagerungstherapie. Den Effekt müssen
wir uns wohl so erklären, daß durch ein Herabsinken der Därme bei
der Umlagerung eine Entspannung des Mesenterium eintritt und daß
außerdem der Druck des gefüllten und dilatierten Magens auf das
Duodenum aufgehoben wird. Damit wird der Darm wieder wegsam und
der Magen entleert seinen Inhalt in ihn. Die einseitige Ansicht, daß der
Verschluß nur primär oder nur sekundär entstehe, kann ich nicht teilen.
Ich bin davon überzeugt, daß auch eine primäre Lähmung und
Dilatation des Magens einen duodenalen Verschluß hervorrufen kann.
Vielleicht ist dies auch der häufigste Entstehungsmodus. Es fragt sich
dabei nur, warum denn der Verschluß in manchen Fällen hochgradigster
Dilatation ausbleibt. Damit kommen wir zu der schwierigsten Frage
dieses Kapitels, für die ich Ihnen keine befriedigende Lösung zu geben
imstande bin. Zur Erklärung, warum nur in manchen Fällen die Mensen-
terialwurzel das Duodenum einschnürt, sind zwar anatomische Besonder¬
heiten der verschiedensten Art wie Lordose der Wirbelsäule (Schnitzler,
Kelling), eine bestimmte Länge des Mesenterium (Rokitansky,Müller,
Walzberg), besondere Formen des Duodenum (Schnitzler, Müller),
ein mehr horizontaler Verlauf der Pars inf. duod. über die Wirbelsäule
(Bäu ml er) Mesenterialmißbildung (Licht enstein) u. s. w. herangezogen
worden, aber alle diese Erklärungsversuche sind meines Erachtens
anatomisch noch zu wenig begründet, als daß sie bis jetzt die Frage in
befriedigender Weise beantworten könnten.
Es würde mich zu weit führen, wenn ich des näheren auf alle die
Momente eingehen wollte, die für eine Magendilatation ätiologisch sonst
noch in Frage kommen, aber ganz kurz möchte ich sie doch berühren.
In letzter Linie ist es ja stets eine Parese der Magenmuskulatur, die zur
Dilatation führt. Die Parese beruht auf einer Innervationsstörung, die zentral
oder reflektorisch auf dem Wege der Splanchnici zustande kommt. Am
häufigsten tritt die Innervationsstörung ein bei schädlichen Einflüssen in der
Bauchhöhle selbst, besonders bei operativen Eingriffen sehen die Chirurgen
vor allem bei Operationen in der Nähe des Magens, bei Gallenblasen-
Operationen und bei Operationen am Duodenum selbst, Magenlähmungen
gar nicht so selten. Aber auch bei Operationen und sogar geringfügigen
Eingriffen außerhalb der Bauchhöhle sind öfters Lähmungen beobachtet
und beschrieben worden und es ist sehr wahrscheinlich, daß wir in solchen
Fällen die Noxe weniger in dem Eingriff selbst als in der Narkose zu
suchen haben. Vielleicht spielt das Chloroform dabei eine besondere
Rolle. Ferner sind Fälle von akuter Magendilatation mit Verschluß des
Duodenum nach Genuß giftiger Speisen oder Uberfüllungen des Magens
beschrieben worden, bei Kompression des Leibes durch Schnüren nach
Anlegung von Gipskorsett, Rückenmarksverletzungen und anderen
Traumen; ferner nach erschöpfenden Krankheiten. So hat z. B. Bäumler
einen interessanten einschlägigen Fall beschrieben, bei dem der Symptomen-
komplex unmittelbar nach dem ersten Aufstehen nach überstaudenem
Typhus einsetzte und rasch zum Tode führte. Bemerkenswert ist auch
z. B. ein Fall von Schmorl, in dem nach einem Lachanfall plötzlich Er¬
brechen einsetzte und in kürzester Zeit zum Tode führte und wo die
Sektion als Ursache den mesenteriellen Verschluß ergab. In Anbetracht
der Schwere des akuten Krankheitsbildes und der einfachen Therapie
müssen wir es nach den bisher gesammelten Erfahrungen für ungemein
wichtig halten, in jedem Falle von akuter Magendilatation an die
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Möglichkeit eines duodenalen Verschlusses zu denken und dort, wo
methodische Magenausheberungen nicht zum Ziele führen, mit der geradezu
spezifischen Therapie der Umlagerung auf den Bauch oder in Knie¬
ellenbogenlage nicht zögern. Damit allein wird man sicher manchen
sonst verlorenen Fall retten. Jedenfalls wird man, selbst wenn einmal
die Dinge anders liegen sollten, mit der Umlagerung kaum Schaden
stiften können; ich glaube sogar mit Berechtigung auch bei anderen
Formen von Strangulationsileus vor einer Relaparatomie die Umlagerung
empfehlen zu können, da es auch dabei gelegentlich glücken kann, daß
durch die Verschiebung zerrende Adhäsionen entspannt oder gelöst werden.
Der 32. Balneologen-Kongreß.
Referent: Dr. Max Hirsch in Hermsdorf bei Berlin.
Der 32. Balneologen-Kongreß tagte vom 2.—6. März 1911 in Berlin
und war recht gut besucht. Dem eigentlichen Kongreß ging eine Be¬
sichtigung der neuerbauten zweiten medizinischen Klinik der Charite,
die unter Leitung von Kraus steht, vorauf. Die neue Klinik erregte
allgemeines Interesse, namentlich infolge ihrer wundervollen, höchst
modernen Einrichtungen hinsichtlich der Diagnostik und der Therapie,
die aus dem Krankenhause eine wahre Musteranstalt machen.
Die erste Gruppe der wissenschaftlichen Vorträge beschäftigte sich
mit der Erforschung des Radiums, über das zu Eingang des Kongresses
zwei Referate erstattet wurden, von denen der eine Referent, Marck-
wald (Berlin) das Radium in seinen Beziehungen zur Balneologie vom
physikalisch-chemischen Standpunkte erörterte, der zweite Referent,
Kionka (Jena), vom biologischen Standpunkt aus.
Marekwald (Berlin) machte besonders darauf aufmerksam, daß
für die Balneologie die Radiumstrahlen, welche eine kurze Lebensdauer
hätten, von Interesse wären, also die von der Urangruppe abstammenden
Radiumstrahlen, während die langlebigen Strahlen, deren Ursprung auf
das Thorium zurückzuführen ist, therapeutisch wertlos sind. Von den
Produkten des Radiums hätte man von seiten der Arzte bisher nur der
Emanation genügendes Interesse zugewandt, aber die Zerfallsprodukte zu
stark vernachlässigt, die sich mit der Radiuniemanation nach einiger Zeit
wieder ins Gleichgewicht bringen. Gerade bei den Messungen des
Radiumgehaltes etwa in einer Quelle sollte man diese Zerfallsprodukte
sorgfältiger beachten.
Aus Kionkas Referat ist besonders hervorzuheben, daß bei den
radioaktiven Mineralwässern zu unterscheiden ist, ob sie nur emanations¬
haltig sind oder ob sie Radiumsalze enthalten. Die physiologische Ein¬
wirkung des Radiums zeigt sich in einer thermischen Einwirkung auf
die Haut, die sich in allen Stadien von der einfachen hyperämischen
Rötung bis zu tiefgehenden Nekrosen zeigen kann. Ferner wirkt das
Radium auf tierische Fermente ein, auf das Lezithin und auf die Harn¬
säure, die es aus der schwerlöslichen in die leichtlösliche Form überführt,
eine Eigenschaft, die im Verein mit der Fähigkeit des Radiums, den
Purinstoffwechsel zu beschleunigen, für die Therapie der Gicht von
großer Bedeutung geworden ist. Hinsichtlich der Zuführung des Radiums
bezw. seiner Emanation in den Organismus steht Vortr. auf dem Stand¬
punkt, daß die Inhalationsmethode den besten Weg darstellt. Bei der
Inhalation trifft die Emanation in der Lunge auf eine große Blutgefä߬
oberfläche und kann so in großer Menge dem Körper zugefiihrt werden;
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Der 32. Balneologen-Kongreß.
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die Emanation verläßt auch auf dem Wege der Ausatmung wieder den
Körper. Ftir die Inhalationsmethode durch die in letzterer Zeit stark
verbesserten Emanatorien tritt auch Gudzent (Berlin) ein, der den Wert
der Radiumeinwirkung nicht nach den subjektiven Angaben beurteilt,
sondern nach dem Vorhandensein und Verschwinden der Harnsäure aus
dem Blute. Ebenso ist Plesch (Berlin) für Inhalatorien, der die Ansicht
vertritt, daß die Emanation, die in den Darm hineingelangt, von hier
aus in die Vena cava, das rechte Herz und in den Lungenkreislauf
kommt, von wo sie in die Lunge gebracht und hier ausgeatmet wird,
so daß sie gar nicht in den Körperkreislauf hineingelangt, also auf dem
Wege der Trinkkur genommen, dem Körperkreislauf gar nicht zugute
kommt. Für Emanatorien treten auch Fuerstenberg (Berlin) und Lach-
raann (Landeck) ein. Letzterer konnte nach weisen, daß von den hoch¬
radioaktiven Quellen nur wenig Wasser genügt, um verhältnismäßig
große Räume mit Emanation anzufüllen, so daß sich bei diesen Heilquellen
die Anlage von Emanatorien durchaus empfiehlt. Im Gegensatz zu diesen
Autoren treten Eichholz (Kreuznach) und J. Ruhemann (Berlin) für
die Darreichung per os ein, wobei ersterer Erfolge von dem Trinken
der Kreuznacher Quelle sah, letzterer von dem Genuß von radioaktivem
Gebäck. Was die Erfolge der Radiumbehandlung angeht, so drückt
sich Kionka sehr vorsichtig aus und sagt, daß man von Heilungen durch
die Radiumtherapie noch nicht sprechen könnte, sondern nur von einer Be¬
einflussung auf dieses oder jenes Symptom, während andere Autoren der
Radiumtherapie einen bedeutsamen Platz in der Behandlung der Gicht ein¬
räumen wollen und außerdem angeben, im Emanatorium eine schlaf-
befördernde Wirkung beobachtet zu haben; letzteres sagen namentlich
Fuerstenberg (Berlin) und Dreuw (Berlin).
Die zweite Vortragsreihe beschäftigte sich mit klimatischen
Fragen.
Dove (Göttingen) setzte die Grundlagen und Methoden heilklima¬
tischer Beobachtungen auseinander und betonte, daß für ärztliche Zwecke
die Mittelwerte der Temperatur, der Feuchtigkeit und anderer klimatischer
Faktoren eine geringere Bedeutung hätten als die Schwankungen und
daß dem Wind eine besondere Beachtung geschenkt werden müsse.
Zuntz (Berlin) behandelt ein ähnliches Thema, nämlich die Methodik
der Klimaforschung, die nicht nur an Ort und Stelle betrieben werden
kann, sondern auch das Laboratorium und das Experiment zu Hilfe
nehmen muß. Zu experimentellen Untersuchungen über klimatische
Fragen eignet sich der große Respirationsapparat, mit dessen Hilfe man
jedes Klima künstlich nachmachen kann. Frankenhäuser (Berlin) wies
auf die klimatischen Faktoren in ärztlicher Betrachtung hin, wobei es
auf die Einwirkung des Klimas auf den gesunden und den kranken
Menschen ankommt. Der Einfluß der klimatischen Reize auf den
Organismus äußert sich in Einwirkungen auf die Sinnesorgane, auf den
Gasstoffwechsel, auf die Wasserdampfabgabe, auf die Wärmeregulation
und den gesamten Kraft- und Stoffwechsel des Menschen.
Viel Interesse erregten die Themata aus der rein balneologischen
Gruppe. Zunächst machte Schulz (Greifswald) die Frage, ob die Kiesel¬
säure baineotherapeutische Bedeutung hat, zum Gegenstand einer durchaus
wichtigen Besprechung. Die Kieselsäure spielt in der Balneologie die
Rolle des Stiefkindes. Wiewohl sie einerseits im Organismus eine große
Bedeutung hat und auf verschiedene Organe des Körpers ihre Wirkungen
entfaltet, wie auf das Nervensystenl, den Verdauungskanal usw., wiewohl
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Max Hirsch,
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sie ferner in der Volksmedizin bei der Behandlung der Gicht und der
Harnsteine viel gepriesen wird und wiewohl sie andererseits gerade in
denjenigen Bädern, deren Wirkungsweise noch nicht genügend aufgeklärt
ist, in den Wildbädern, die erfahrungsgemäß auf die Harnsteine und die
Gicht günstig einwirken, in verhältnismäßig großer Menge vorkommt,
hat man sie bis jetzt in der Balneologie nicht genügend beachtet, so daß
der Vortragende mit Recht die Baineologen ermahnt, die Quellen an
Ort und Stelle hinsichtlich ihres Gehaltes an Kieselsäure eingehender zu
studieren. Ein anderer Bestandteil, der ebenfalls lange in den Quellen ver¬
nachlässigt wurde und erst in letzterer Zeit mehr zur Geltung gekommen
ist, ist der Kalk; deshalb war der Vortrag von Kisch (Marienbad) über
die therapeutische Bedeutung der erdigen Quellen von allgemeinem Inter¬
esse. Die erdigen Quellen kommen nach den Versuchen und Erfahrungen
des Vortr. für die Behandlung einer großen Reihe von Affektionen in
Frage, so bei Gicht und Harnsteinen, vor allem aber in denjenigen
Zuständen, in denen der Organismus an Kalksalzen arm ist, wie bei
Rachitis, Skrophulose, Diabetes, in der Gravidität und der Lactation.
Die Erfahrungen des Vortr. wurden durch Vollmer (Kreuznach) be¬
stätigt, der einen guten Einfluß der Kalkwässer auf Skrophulose und auch
auf Tuberkulose feststellte. — Allgemein in ihrer Bedeutung anerkannt
und in ihrer Wirkung auf den Organismus untersucht sind die Moor¬
bäder, deren Untersuchungsmethoden aber noch nicht so weit gereift
sind, daß man damit zufrieden sein könnte. Deshalb war der Vortrag
von Zörkendörfer (Marienbad) allen Zuhörern, die sich für Moorbäder
interessieren, von großer Wichtigkeit. In diesem Vortrag setzte er aus¬
einander, welche Bedingungen an ein gutes Moor geknüpft wären und
gab wertvolle Anhaltspunkte zur Begutachtung der Mineralmoore, soweit
sie therapeutisch in Frage kommen. — Von allgemein balneologischem
Interesse dürfte auch das Thema sein, das Hirsch (Hermsdorf bei Berlin)
anschnitt, nämlich die Frage der Einwirkung von Mineralwässern
auf die Motilität des Magens, die von ihm experimentell untersucht
wurde nnd zwar nach der von Bickel in die Balneologie eingeführten
Methode der Duodenaldauerfistel am Hunde. Die Versuche ergaben,
daß eine Parallelität zwischen dem Einfluß auf die Peristaltik des Magens
und des Darmes nicht vorhanden sei, so daß es falsch ist, von einer
Anregung des Magendarmtraktus zu sprechen, wie man oft hört, daß
ferner eine Gesetzmäßigkeit in den einzelnen Gruppen der Bäder nicht
existiert, so daß es bei der enormen Wichtigkeit, zu wissen, wie lange
es bei Trinkkuren dauert, bis das Mineralwasser den Magen verläßt,
notwendig ist, jeden Brunnen auf diese Eigenschaft zu untersuchen,
bevor man die individuellen Verhältnisse jedes Kranken nach dieser
Richtung hin studiert.
Auf dem Gebiete der physikalischen Therapie wurde eine Reihe
von wichtigen Fragen erörtert. Goldscheider (Berlin) sucht in seinem
Vortrage über die Wirkung der Kohlensäurebäder diese so oft be¬
sprochene Frage zu erklären, und man kann ohne Widerspruch be¬
haupten, daß sein Versuch als vollständig gelungen zu betrachten ist.
Bis jetzt war die Senator-FrankenhäusePsche Theorie über die physika¬
lische Einwirkung der Kohlensäurebäder die maßgebende. Dabei sind
aber die schon vor langer Zeit angestellten Versuche des Vortr. über
die chemische Einwirkung der Kohlensäure ganz außer acht gelassen
worden, die zu dem Resultate führten, daß die Kohlensäure auf die
Nervenendigungen in dem Sinne ein wirkt, daß sie eine Wärmeabgabe
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Der 32. Balneologen-Kongreß.
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der Haut verhindern. Wenn die Senator-Frankenhäuser’sche Theorie
zu Recht bestände, dann müßten die Luftbäder ebenso wirken wie die
Kohlensäurebäder. Das ist aber, wie jeder Praktiker weiß, nicht der
Fall. Die Ausführungen Goldscheider’s wurden durch anerkannte
Forscher auf dem Gebiete der Balneologie wie Kisch (Marienbad),
Fellner (Franzensbad) u. a. m. in allen Punkten bestätigt — Dreuw
(Berlin) konnte der Gesellschaft ein neues Massageprinzip vorführen,
mit dessen Hilfe es ihm gelungen ist, außerordentlich feine Vibrations¬
massage durch Anbringung seines Apparates an jeder Wasserleitung zu
erzielen und vor allem, was bis jetzt durch kein Verfahren möglich war,
jede Körperhöhle zu massieren. Das Dreuw’sche Prinzip dürfte wohl
dazu berufen sein, in der physikalischen Therapie eine große Rolle zu
spielen. — Determann (St. Blasien) wendet bei einer großen Reihe von
nervösen Affektionen das heiße Tauchbad an und zwar in einer
Temperatur von 37—45° C. und 4—8 Sekunden Dauer. Er ist der
Ansicht, daß das heiße Tauchbad keine stürmischen Reaktionen hervor¬
ruft und dabei einen starken Reiz auf die Funktionen ausübt, vor allen
Dingen die Muskelleistungsfähigkeit erhöht. — Bri eger (Berlin) empfiehlt
den von Winternitz (Wien) und seiner Schule in die Therapie eingeführten
Dampfstrahl gegen eine Reihe von Krankheiten und demonstriert den
von Fuerstenberg (Berlin) angegebenen Vapophor, der es ermöglicht,
jeden Dampfstrahl überall und bequem anzuwenden. — Grabley (Wolters¬
dorf bei Erkner) bespricht die unipolare Hochfrequenzbehandlung,
die sowohl reflektorisch als auch direkt einwirkt und durch Tiefenwirkung
eine Regulation des Blutdruckes und der Zirkulation hervorruft und
ferner eine schmerzstillende Wirkung, eine Reaktivierung des Gewebes
und einen Einfluß auf die Haut ausübt. — Eine lebhafte Kontroverse
entstand über die Frage der Nervenpunktlehre, über die Cornelius
in seinen Auseinandersetzungen über das Gebiet der Nervenpunktlehre
in ihren Beziehungen zur Balneologie sprach. Er erläuterte die Gesetze
der von ihm begründeten Nervenpunktlehre und betonte dabei die Be¬
deutung des bis jetzt vernachlässigten peripheren Anteils der nervösen
Leiden. Das baineologische Interesse der Nervenpunktlehre sieht Vortr.
darin, daß sie für die peripher-nervösen Einflüsse der Badekuren eine
Erklärung abzugeben imstande ist. Wiszwianski (Berlin) besprach die
Ziele und die Bedeutung der Nervenmassage für die Behandlung der
funktionellen Neurosen und hob vor allem die beruhigende Wirkung der
Nervenmassage auf die Nerven hervor, die der Vortr. für eine mechanische
ansieht, bei der eine Suggestion keine Rolle spiele. — Zimmermann
(Salzschlirf) tritt bei der Gicht für eine Kombination der Badekur mit
maschineller Gymnastik ein. — Gegenüber all diesen Fortschritten auf
dem Gebiete der physikalischen Therapie warnt in einem beherzigens¬
werten Vortrage Sieb eit (Flinsberg) vor der übermäßigen Anwendung
physikalischer Heilprozeduren in den Kurorten, bei denen man an erster
Stelle die natürlichen Heilschätze berücksichtigen solle.
Daß der enorme Fortschritt der Diagnostik auch die Balneologen
interessiert, dürfte klar sein. Aus diesem Grunde erfreuten sich die
Vorträge über die Herzuntersuchung mit Röntgenstrahlen von Levy-
Dorn (Berlin) und über die Röntgenopalpation von Schürmayer (Berlin)
eines großen Beifalls. Aus dem Vortrage von Levy-Dorn ist besonders
die Demonstration eines kleinen Apparates hervorzuheben, der es er¬
möglicht, exakte Fernaufnahmen des Herzens herzustellen, sowie die An¬
gaben, daß das Herz des gesunden Menschen so lang ist wie die Summe
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Max Hirsch,
von Handbreite und erstem Glied des Mittelfingers. — Aus dem Vor¬
trage von Sehürmayer interessierte besonders die Technik der Röntgen¬
palpation, die hauptsächlich darin besteht, daß man unter dem Röntgeno-
schirm und unter Kontrolle des Röntgenbildes die einzelnen Organe ab¬
tastet, wodurch man naturgemäß eine möglichst sichere 'Diagnose stellen
kann, da man die allbewährten Untersuchungsmethoden so mit der
Röntgendurchleuchtung kombiniert.
Krone (Sooden a. d. Werra) erörterte ein außerordentlich inter¬
essantes, in der Balneotherapie noch nicht genügend gewürdigtes Thema,
nämlich die Bedeutung der Psychotherapie in der balneologischen
Praxis mit besonderer Berücksichtigung der psychopathisch-anämischen
Zustände in der Pubertät und empfiehlt bei denjenigen Patienten, bei
denen wir die Diagnose „nervöses Leiden 44 stellen, vor Einleitung der
Therapie die Anwendung der Psychoanalyse. Dabei kommen oft Momente
zum Vorschein, die für die Entstehung von Krankheitszustäuden und
Symptomen verantwortlich zu machen sind. An der Han(J der in den
Soolbädern nicht selten vorkommenden Neurosen (Herzueprose, Pubertät)
zeigt er dann, wie ein Dauererfolg bei diesen Krankheitszuständen in
der balneologischen Praxis nur durch ein Zusammenarbeiten von Psycho¬
therapie und Balneotherapie erreicht werden kann.
Das Gebiet der Diät, die allmählich ihren gebührenden Platz in
den Bädern zu erhalten scheint, wurde durch die wichtigen Vorträge
von Bickel (Berlin), Selig (Franzensbad) und Max Senator (Berlin)
bearbeitet. — Bickel (Berlin) setzte die verschiedenen Arten der Mast¬
kur, die ja in der Kombination mit Badekuren sehr beliebt ist, auseinander
und zeigte die charakteristischen Merkmale der Eiweiß-, der Fett- und
der Mineralstoffmast. Letztere, die sich am besten in der Form der
Phosphorzufuhr ausführen läßt, wofür namentlich gewisse Lezithinpräparate
in Frage kommen, hat den großen Vorzug, daß sie im Körper auch
dann noch angesetzt wird, wenn der Körper ohnehin ein reichliches
Angebot an Nahrungsphosphor hat und auch dann, wenn der Körper
sich im Zustande der Fett- und Eiweißmast befindet. Das Lezithin findet
sein Depot in der Leber, die es dann dem Organismus weiter gibt.
Selig (Franzensbad) trat sehr energisch für eine reichliche Darreichung
von Zucker bei Zuständen von Herzschwäche ein, bei denen schon
die reine Zuckerzufuhr ohne jede medikamentöse Behandlung die Kräfte
steigerte. Selbst beim .Fettherzen soll man kein Bedenken tragen,
reichlich Zucker zu verabfolgen. Technisch läßt sich eine reiche Zucker¬
zufuhr am besten durch eine Dattelkur ermöglichen. — Der Vortrag von
Max Senator (Berlin) brachte neue Gesichtspunkte hinsichtlich der
Diät bei Erkrankungen der oberen Luftwege. Empirisch hat man
hier stets eine blande Diät empfohlen, und es hat sich gezeigt, daß diese
Erfahrung zu Recht besteht. Oft sind nämlich die durch Gefäßstörungen
hervorgerufenen Entzündungen der Nasenschleimhaut nichts anderes als der
Ausdruck einer allgemeinen Stoffwechselstörung. Der Schnupfen kann
auch mitunter das allererste Symptom bei gewissen Formen von Nieren¬
erkrankungen sein und schwindet nach kochsalzarmer Ernährung ohne
weiteres nur unter dem Einfluß eines diätetischen Regimes.
Leva (Tarasp) sprach über die Technik der von Strauß einge¬
führten kochsalzarmen Ernährung bei chronischen Nieren¬
entzündungen. Wichtig ist natürlich der Kochsalzgehalt der einzelnen
Nahrungsmittel. Da es leider keine guten Surrogate für Kochsalz gibt,
muß man sich mit Geschmackskorrigentien behelfen. Als solche komnvn
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Der j 2 . BalutoIugen-KongreÜ.
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nach den experimentellen Untersuchungen des Vortragenden am meisten
die Bromsalze in Frage.
Unter den Erkrankungen des Verdauungskanals dürfte der
Vortrag von Strauß (Berlin) viel Anregung geboten haben, der die Be¬
handlung des Magengeschwürs kritisch beleuchtete. In der Ernährung
stimmte der Vortr. den Lenhartz’schen Prinzipien bei, trat aber dafür
ein, daß man Kranke mit Magengeschwür recht lange behandeln und
beobachten müsse. Wichtig sei für eine zweckmäßige Therapie des
Magengeschwürs die Diagnose, wobei die Röntgenuntersuchung in ihrer
Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. — Hinsichtlich der Pathologie und
Therapie der chronischen Obstipation betonte Landsberg (Landeck)
mit Recht, daß es sehr wichtig sei, sich über die Ätiologie und den Sitz
der Verdauungsstörung klar zu werden. Zu diesem Zwecke kommen neben
den altbewährten Untersuchungsmethoden die Röntgendurchleuchtung
sowie die Kotuntersuchung sehr in Frage. Bei sorgfältiger Diagnostik
müsse es aber in jedem Falle gelingen, der chronischen Verstopfung
Herr zu werden, so sehr sie auch als Crux für Arzt und Patient ver¬
schrien ist. — Lennd (Neuenahr) ist bei der Therapie der Gallen¬
steine der Ansicht, daß man auf jeden Fall eine Entfernung der Steine
aus dem Körper erstreben muß und daß man sich nicht damit begnügen
dürfe, nur die Beschwerden zu heben.
W as die Krankheit der Lunge angeht, so haben beide Redner
über dieses Thema die wertvolle Unterstützung der klimatischen Be¬
handlung in der Therapie der Lungentuberkulose gebührend gewürdigt.
Wolff-Eisner (Berlin) empfiehlt aber in jedem Falle, dabei die Tuber-
kulinkur anzuwenden, besonders in den zahlreichen Formen von lar-
vierter Tuberkulose, die unter dem Bilde einer Anämie oder eines
Magenleidens sehr oft in balneologische Behandlung kommen. Brieger
(Berlin) betonte, daß die Mißerfolge bei der Tuberkulose gewöhnlich
darauf zurückzuführen sind, daß die Patienten in einem zu starken
Erschöpfungszustände sich dieser für den Körper durchaus nicht in¬
differenten Kur unterziehen und empfiehlt die Verbindung der Tuberkulin¬
kur mit roborierenden klimatischen und baineotherapeutischen Maßnahmen.
E. Jacoby (Charlottenburg) möchte die klimatischen Kuren als
wertvolle Unterstützungsmittel seiner Autotransfusionstherapie ansehen,
die darin besteht, durch zweckmäßige Lagerung das Blut aus dem
Körper nach den Lungenspitzen hin zu dirigieren, da die Hyperämisierung
der Lungenspitzen das Wesentliche in der Behandlung der Lungen¬
tuberkulose bedeutet.
Karo (Berlin) berichtete weitere Erfahrungen über die spezifische
Therapie der Nierentuberkulose und rühmt ebensolche Erfolge vom
Tuberkulin wie bei der Therapie der Lungentuberkulose. Bei Operationen
sieht man nach seinen Erfahrungen wesentlich mehr Rezidive als bei der
Tuberkulinkur, die noch dazu den Vorzug hat, nicht nur lokal zu wirken,
sondern auch die allgemeine Tuberkulose zu beeinflussen.
Einen höchst interessanten Beitrag über die Bildung und Auflösung
der Harnsteine lieferte Schade (Kiel), dessen Arbeiten auf dem Gebiet
der Kolloidchemie allgemeine Anerkennung gefunden haben. Vortr. ist
tler Ansicht, die er experimentell gestützt hat, daß Harnsteine durch Aus¬
fällung der Kristalloide und der Kolloide entstehen. Will man also
Harnsteine zur Auflösung bringen, dann sind zwei Wege möglich: die
Auflösung der Salze und die der Kolloide. Die Beeinflussung der ersteren
ist bekannt, die der Kolloide geht entweder durch Antiformin vor sich*
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
das man aber nicht in die Blase eines Lebenden bringen kann, oder
durch gewisse Fermente. Auch bei den Brunnenkuren kommen Kolloid¬
beeinflussungen vor, so daß man die Heilquellen nach dieser Richtung
hin an Ort und Stelle untersuchen müßte.
Von allgemeinem Interesse waren die wertvollen Ausführungen über
lokale Immunisierung und die dadurch geschaffene Therapie der Furunkulose,
deren theoretischen Teil der auf dem Gebiete der Immunisierungsfrage
im Vordergründe stehende v. Wasserman (Berlin) in seiner bekannten
geistreichen Art auseinandersetzte. Besonders betonte er, daß zum ersten
Male die örtliche, die histogene Immunität praktisch durch die Be¬
einflussung von Furunkeln mit Staphylokokkenextrakt versucht wurde,
deren Anwendung als Salbe und Kompresse Ledermann (Berlin) zum
ersten Male an Patienten erprobt hat und auf dem Kongresse nunmehr
raitteilte. Die Erfolge sind danach bei oberflächlichen Furunkeln durch
die bloße Anwendung des Präparates sehr gute, während bei tiefer¬
liegenden Furunkeln die Behandlung mit den Staphylokokkenextrakt mit
BiePscher Hyperämie und kleinen Inzisionen zu kombinieren ist. Der
kurativen Eigenschaft des Mittels geht auch eine immunisierende parallel.
Gelegentlich des Kongresses fand eine Demonstration des Emana-
toriums von A. Fuerstenberg, Ziegelstraße 18/19, statt sowie des Radium¬
institutes Königgrätzer Straße 105, in dem Sticker die Abteilung für
Geschwülste, Dreuw für Dermatologie und Pritzel für innere Krank¬
heiten leitet.
Der nächste Balneologen-Kongreß dürfte im April 1912 in Gemeinschaft
mit dem Internationalen Kongreß für Physiotherapie in Berlin tagen.
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Wissenschaftliche Gesellschaft Deutscher Ärzte in Prag.
Sitzung am 17. März 1911.
Sobotka stellt vor:
1. 12jähr. Knaben mit einer seit dem 4. Lebensjahre bestehenden
Hautkrankheit, die an Ausbreitung und Intensität dauernd zunimmt.
Status praesens: Die vorderen Wangenteile deprimiert, zarthäutig; an
Stamm und Gliedmaßen schuppende, nicht juckende, nicht exzematös
aussehende Herdchen verschiedener Größe, deren Grundeffloreszenz ein
anscheinend follikuläres Knötchen ist; am ganzen Genitale und einem
großen Anteile des linken Oberschenkels (Veränderungen am rechten
Oberschenkel viel geringer) blaurote Färbung, diffuses weiches Infiltrat,
im ganzen unscharf begrenzt und nicht erhaben, mit stärker ausgeprägten
Hautfurchen, Hornpfröpfchen in den Follikeln und bis vogelkirschgroßen
mit Hornmasse gefüllten lebhaft gelben Zysten. Histologisch: In den
jungen Herdchen basale Entzündung, in den großen alten Herden
elastisches Gewebe geschwunden, vom kollagenen Gewebe nur ein feines
Retikulum, darin eingelagert Infiltrat aus Lymphozyten, Fibroblasten,
Plasmazellen, uncharakteristischen Riesenzellen. Besonders wegen Hals¬
drüsennarben wurde Tuberkulid vermutet; doch physikalischer und rönt¬
genographischer Befund, Ergebnis der v. PirquePschen Probe und der
Alttuberkulininjektion negativ. Zu leukämischer oder pseudoleukämischer
Erkrankung stimmt weder das nur wenig vom normalen abweichende
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Blutbild noch der histologische Befund. Mycosis fungoides ist vielleicht
mit dem histologischen Bilde vereinbar, nicht mit dem klinischen. Alles in
allem offenbar ein mit Schwund des autochthonen Gewebes einhergehen¬
der Entzündungsvorgang aus der Gruppe der infektiösen Granulations¬
geschwülste; die Zystenbildung wohl sekundär. Klinisches Bild unter
allen Umständen ganz einzigartig.
2. 22 jähr. Mann mit Morbus Recklinghausen. Besonders bemerkens¬
wert ein Fibrom an der Schleimhaut der L Wange.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
F. Stolzenberg, über Hernia bursae omentalis mesocolica. (Virchows
Archiv für path. Anatomie, Bd. 201, S. 470, 1910.) Ein Fall dieser seltenen
Form von innerer Hernie wird genau beschrieben. Diese Hernien sind da¬
durch charakterisiert, daß die Bruchpforte von einem Loche in der Basis
des Mesocolon transversum gebildet wird, daß ein Bruchsack fehlt, vielmehr
der Raum des Netzes Bruchraum wird und daß Dünndarm ev. vergesell¬
schaftet mit dem obersten Kolonteil den Bruchinhalt darstellt.
Die Entstehung des Bruches ist, wie Untersuchungen an Föten lehrten,
darauf zurückzuführen, daß sich in der Basis des Mesokolon vor der Wirbel¬
säule, gewöhnlich ein wenig nach rechts von der Medianlinie, normalerweise
eine des Widerlagers entbehrende, frei quer herüber gespannte, meist sehr
zarte Membran befindet. Wird an dieser Stelle von unten her ein Druck
ausgeübt, so wird zunächst die zarte Membran nach oben in die Nische der
Magenkurve nach der Leberpfortengrube zu ausgebuchtet werden. Hat aber
die Dehnung einen gewissen Grad überschritten, so wird aller Wahrschein¬
lichkeit nach eine Dehnungsatrophie eintreten: Es wird ein Loch im Meso-
kolon entstehen; und dieses Loch liegt genau an der Stelle, an der in allen
bekannten Fällen die Bruchpforte gelegen ist. Ein glücklicher Zufall ließ
Verf. unter den untersuchten Föten einen finden, der das Stadium der be¬
ginnenden Perforation einer kleinen, nach oben drängenden Dünndarmschlinge
auf der Höhe einer kuppelförmigen Ausbuchtung des Mesokolon sehr schön
zeigte. Besonders günstig für die Entstehung der Hernie ist die Fötalzeit,
wo der relativ sehr kleine Bauchraum von den wachsenden Dünndarm-
schlingen fast bis zum Bersten ausgefüllt ist. Doch kann natürlich auch
in jeder Lebensperiode eine (oder mehrere) von unten andrängende Darm*
schlingen das Mesocolon transversum perforieren, möglicherweise veranlaßt
durch abnorm starke Bauchpresse, Blähung der Därme, Stauung des Inhaltes,
Darmsteifung. Eigentümlich ist, daß fast in allen bisher beobachteten Fällen
es sieh um Magenkranke handelte. W. Risel (Zwickau).
T. Tsunota, über das Vorkommen von Phagozyten in Lymphknötchen
bei der Wurmfortsatzentzündung. (Virchows Archiv für path. Anatomie.
Bd. 202, S. 122, 1910.) In den Lymphknötchen des Wurmfortsatzes kommen
mitunter eigentümliche große Phagozyten vor, die Verf. für eine Art von
Myeloblasten hält. Sie fanden sich unter 44 chirurgisch entfernten Wurm¬
fortsätzen nur bei 15 Fällen, und zwar bei 12 von akuter Epityphlitis
superficialis und bei 3 von rezidivierender Epityphlitis. Sie kommen auf¬
fallend oft kurz nach den Anfällen von akuter oder rezidivierender Epi¬
typhlitis vor; häufig ist auch eine gewisse Beziehung zwischen der Zahl
und Größe der Lymphknötchen einerseits und dem Vorkommen von Phago¬
zyten andererseits zu erkennen. Bei entzündlicher Vergrößerung der Knöt¬
chen sind die Phagozyten häufiger zu finden, natürlich abgesehen von den
Fällen, wo die Follikularsubstanz durch Nekrose und Eiterung zerstört ist.
In den Ausheilungsstadien sind die Phagozyten auch in nur mäßig ange¬
schwollenen Lymphdrüsen häufig. Im Blute oder in der Lymphe treten sie
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nicht auf: bei anderen zeitigen Elementen war von Phagozytose nichts fest¬
zustellen. Verf. glaubt danach, daß diesen eigentümlichen Phagozyten in
den Lymphknötchen bei gewissen Entzündungsprozessen eine den Organismus
schützende Rolle zukommt, ähnlich wie bei der Phagozytose der Lymph¬
knötchenzellen oder der Pulpazellen der Milz bei gewissen Infektionskrank¬
heiten. Diese Ansicht findet eine Stütze in der Feststellung, daß die Pha¬
gozyten kurz nach dem Epityphlitisanfall besonders häufig sind; ihre Funk¬
tion muß also wohl darin bestehen, die Entzündungsprodukte zu beseitigen.
Deshalb besteht wohl auch die Beziehung zwischen dem Vorkommen der
Phagozyten und dem Ausheilungsstadium, wo sie nach Resorption der Ent¬
zündungsprodukte besonders häufig sein müssen. W. Risel (Zwickau).
R. Stumpf, Über „Corpora amylacea“ der Lungen mit Riesenzellen.
(Virchows Archiv für path. Anatomie, Bd. 202, H. 1, S. 134, 1910.) In
einem Falle von chronischer Pneumonie bei multiplen Bronchiektasen fand
Verf. innerhalb dos karnefizierten Bezirkes zahlreiche geschichtete Körper¬
chen von der bekannten Beschaffenheit der Corpora amylacea mit großen
mehrkernigen Zellen in der nächsten Umgebung. Die Corpora amylacea gaben
in der Mehrzahl die typischen Amyloidreaktionen. Verf. schließt sich hin¬
sichtlich ihrer Entstehung der Anschauung an, die sie aus degenerierten und
abgestoßenen Alveolarepithelien zu rundlichen oder unregelmäßig geformten
Nestern verschmelzen läßt, die erst später amyloid entarten. Die vielkernigen
Gebilde in der Umgebung der Schichtungskörperchen sind nicht als Fremd¬
körperriesenzellen im engeren Sinne des Wortes aufzufassen. Die amyloide
Substanz in den Schichtungskörperchen der Lunge ist gleich oder ähnlich
derjenigen, welche sich in den lokalen Amyloidtumoren findet. Die Riesen -
zellen degenerieren nicht amyloid; vielmehr findet wahrscheinlich eine In¬
filtration der gebildeten Konkretionen mit amyloider Substanz statt. Eine
phagozytäre Tätigkeit der Riesenzellen ist nicht nachzuweisen.
W. Risel (Zwickau).
P. Prym, Fett im Markinterstitium der Niere. (Ein Beitrag zur Patho¬
logie der Nierenmarksubstanz.) (Virchows Archiv für path. Anatomie,
Bd. 196, S. 323, 1909.) Die Verbreiterung des Interstitiums der Nierenmark -
Substanz ist im Alter physiologisch. In sämtlichen Fällen über 60 Jahre
fand sich außerdem eine Fettablagerung im Markinterstitium. Diese Verände¬
rung wird bei Kindern nicht beobachtet, bei Erwachsenen gelegentlich, bei
Individuen über 50 Jahre in 94%■ Die Lokalisation des Fettes ist vor¬
wiegend perivaskulär. Fast in sämtlichen Fällen mit Veränderung der Mark-
substanz findet man Intimaverdickungen der kleinen und mittelgroßen Ge¬
fäße der Niere (unter 70 Fällen bei 60). Diese Intimaverdickungen müssen
aber nicht als Ursache der Fettablagerung angesehen werden, ebensowenig
allgemeine xVrteriosklerose. Warum diese Fettablagerung zustande kommt,
ist unklar; die Ursache liegt aber wahrscheinlich in geänderten Zirkulations-
bedingungen. _ W. Risel (Zwickau).
Bakteriologie und Serologie.
Manoiloff (St. Petersburg), Natürlicher Magensaft bei der Serodia¬
gnose der Syphilis. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, II. 5.) Verfasser hat in
seiner Arbeit versucht, .an Stelle des von Wassermann angegebenen Ambo¬
zeptors, der durch HammelblutkorpernlieneLnspritzung bei Kaninchen aus dein
Blutserum gewonnen wird, einen geeigneten Ersatz in Form von natürlichem
Magensaft zu finden.
Seine Versuche mit Magensaft als Ambozeptor sollen die gleichen
Resultate ergeben wie mit dem Wassermann’schen hämolytischen Ambo¬
zeptor. Schürmann.
Brudny (Wien), Ein Keimzählapparat. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57,
H. Ö.) Br. beschreibt einen neuen von ilnn hergestellten Zählapparat für
Keime auf Platten. Zu beziehen durch die Firma Fr. Hugershoff, Leipzig.
Schürmann.
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Referate und Besprechungen.
447
L. Gozony (Budapest), Die Infektionswege und natürliche Immunität
bei Spirochätosen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 6.) Eine perkutane In¬
fektion mit Spirochäten ist möglich; die Schleimhäute des Verdauungskanals
sind für Spirochäten nicht undurchdringlich. Rekurrenzspirochäten dringen
durch die Konjunktiva der Mäuse; ebenso sind die unverletzten Schleim¬
häute der Genitalien für Spirochäten durchgängig. Nach Versuchen des
Verfassers spielen bei der Immunität die Leukozyten eine große Rolle. Sie
geben wahrscheinlich einen für die Spirochäten giftigen Stoff ab.
Schürmann.
Scordo (Rom), Über die experimentelle Infektion der Ziege mit dem
Eberth’schen Bazillus. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 4.) Aus der Arbeit
geht hervor, daß Ziegen sowohl oral wie intravenös für die Typhusinfektion
empfänglich sind.
Die Ziegen bleiben mehrere Monate lang Bazillenträger. Die Typhus-
bazillen werden durch den Harn, die Fäzes und durch die Milch ausge¬
schieden und sie behalten ihre Virulenz. Ebenso werden die Typhusagglu-
tinine reichlich durch die Milch ausgeschieden. Schürmann.
Flu (Paramaribo), Studien über die im Darm der Stubenfliege, Musca
domestica, vorkommenden protozoären Gebilde. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57,
H. 6.) Eine ausführliche Beschreibung der in Paramaribo in einer Stuben¬
fliege gefundenen protozoären Gebilde mit guten Abbildungen.
Schürmann.
Fontana (Turin), Über die Verimpfbarkeit des Ulcus venereum auf
die Hornhaut. (Zentralbl. für Bakt.. Bd. 57, H. 5.) Verfasser ist es durch
eine Reihe von Versuchen gelungen, das Virus des Ulcus molle auf die
Kaninchenhornhaut zu verimpfen. Es bildete sich eine charakteristische
Keratitis mit Hervorrufung von Geschwüren. Schürmann.
Bertarefli u. Parankos (Parma), Ätiologische Untersuchungen über den
Pemphigus der Tropengegenden. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 6.) Impf¬
versuche von Haut auf Tier fielen bei Pemphigus negativ aus. Komplement -
ablenkung mit der Haut von Pemphiguskranken sowohl, wie mit luetischem
Leberextrakt als Antigen ergab ebenfalls ein negatives Resultat.
Schürmann.
innere Medizin.
W. Henwood Harvey, Die Ursache der Arteriosklerose. (Virchows
Archiv für path. Anat,, Bd. 196, S. 303, 1909.) Um zu prüfen, welche Rolle
die überanspannung der Arterien in der Ätiologie der Arteriosklerose spielt,
brachte Verf. eine vorübergehende Steigerung des Blutdruckes ohne An¬
wendung von Arzneimitteln dadurch hervor, daß er die Aorta junger Kanin¬
chen durch die Bauch wand mit den Fingern komprimierte. Die Kompression
wurde 3 Minuten lang unterhalten und täglich in Perioden von 5 bis zu
10 Tagen wiederholt. Es ergab sich, daß die Blutdrucksteigerung infolge
von wiederholten Kompressionen, auch wenn sie weder so groß noch so lange
andauernd ist, wie die infolge von Adrenalininjektionen, genügt, um eine
außerordentlich starke kalkige Degeneration dieses Blutgefäßes oberhalb der
Kompressionsstelle hervorzurufen. Die Arteriosklerose, welche andere Unter -
Sucher durch die Injektion von verschiedenen Arzneimitteln in die Blutbahn
von Tieren erzeugt haben, hat ihren Grund in dem gesteigerten Blutdrucke.
Es gibt keinen sicheren Beweis zur Unterstützung der Hypothese einer „spe¬
zifischen Toxämie“ durch Arzneimittel, noch einer lokalen Anämie auf Grund
eines Verschlusses der Vasa vasorum. Die degenerativen Veränderungen be¬
ginnen in dem Muskelgewebe der Arterie; im Anschluß daran kann es zu
einer Ablagerung von Erdsalzen kommen. Die Veränderungen im elastischen
Gewebe sind nach Verf. fraglos sekundär. Experimentelle Arteriosklerose
hat alle die Charaktere der mittelbaren oder sogen. Mönckeberg’schen Form
dieser Krankheit, wie man sie beim Menschen antrifft.
W. Risel (Zwickau).
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448 Referate und Besprechungen.
W. Simonowitsch (Petersburg), Aortitis luetica. (Russki Wratsch,
Nr. 37, 1910.) Bei Erscheinungen von Angina pectoris vera und Asthma
cardiale verum, die sich schon in mittlerem Alter kundgeben, ist immer
an eine spezifische Ursache und an eine spezifische Aortitis als anato¬
mische Grundlage zu denken. Schieß (Marienbad).
F. Tschistowitsch, Seltener Fall von bösartigem Adenom der Leber.
(Kasanski Medizinski Journal, Juni 1910.) Das eigenartig destruierte Paren¬
chym der Leber wies auch keine Spuren des normalen Baues mehr auf.
Knochenmark und Lymphdrüsen waren myeloid entartet. Nach Ansicht des
Verfassers war der bösartigen Entartung ein Stadium akuter Atrophie, die
lange vorher eingetreten war, vorausgegangen. Schieß (Marienbad).
F. Pineles (Wien), Über Brust- und Rückenschmerzen. (Wiener klin.
Rundschau, Nr. 15, 1910.) Über Brust- und Rückenschmerzen klagen
viele Kranke, und die Zalil der Leiden, an welche der Arzt dabei zu denken
hat, ist Legion. — Daß viele Infektionskrankheiten mit solchen vagen
Schmerzen beginnen, ist bekannt, aber es gibt auch bestimmte Berufs arten,
denen das chronische Brust- und Rückenweh erb- und eigentümlich ist.
Die Schuster, die Schneider und nicht zum wenigsten die an die
Maschine gefesselten Näherinnen, stellen liier das größte Kontingent. —
In der inneren Klinik spielt ferner der retrosternale Brustschinerz eine
große Rolle, so bei Asthma bronchiale, Miliartuberkulose, Aneurysma
der Aorta, Stenosen des Ösophagus und Pylorus, sowie bei Leu¬
kämie und Pseudoleukämie. — Zu denken hätte der Arzt ferner an die
verschiedenen Formen der Angina pectoris, auch der pleuritische
Schmerz der durch Rheumatismus der Brustmuskeln oder eine Peri¬
pleuritis vorgetäuscht werden kann, leitet oft auf den richtigen Weg zur
Diagnose. — Aus der großen Zahl der Möglichkeiten, die bei jenem Sym¬
ptome in Frage kommen können, mögen hier nur einzelne für die Praxis
besonders wichtige herausgehoben werden. — Ein Herpes zoster kündet
sich nicht selten an durch quälende Empfindungen in den Interkostalmuskeln,
die Gallensteinkolik strahlt oft in die rechte Brustseite aus, und bei
Frauen läßt der Schmerz in den seitlichen Partien des Thorax an Adnex -
erkrankungen und Lage Veränderungen des Uterus denken.
Steyerthal - Kleinen.
E. Boecker, Zur Kenntnis der primären Lungenkarzinome. (Virchows
Archiv für path. Anatomie, Bd. 202, H. 1, S. 38, 1910.) Eingehende Be¬
schreibung eines großen Tumors der Lunge, der sich als ein von dem Epi¬
thel der Ausführungsgänge der Bronchialschleimdrüsen ausgehendes Karzi¬
nom erwies, das z. T. wie ein Schleimadenokarzinom, mit Bildung größerer
Alveolen, z. T. wie ein gewöhnliches Adenokarzinom, z. T. wie ein Carci¬
noma solidum simplex aussah und innerhalb der Lunge weiter vordrang, in¬
dem seine Elemente einen Alveolus nach dem anderen einnahmen und aus-
kleideten. W. Risel (Zwickau).
F. Bialokur, Basedow-Symptome als Zeichen tuberkulöser Infektion
und ihre Bedeutung für Diagnose und Therapie der Lungenschwindsucht.
(Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 16, H. 6, S. 567, 1910.) B. fand unter seinen
tuberkulösen Lungenkranken relativ häufig gleichzeitig bestehende Basedow-
Symptome und ist der Ansicht, daß dieser Symptomenkomplex durch das
Tuberkulosegift hervorgerufen wird. Der ganze Habitus der Basedowiker
gleicht dem der Phthisiker. B. geht so weit, daß er bei Basedowkranken
ohne Duingenbefund die Schilddrüsenerkrankung für ein Zeichen latenter
Lungentuberkulose hält. Durch das Tuberkulosegift wird wahrscheinlich
die Schilddrüse vergrößert, ihre innere Sekretion vermehrt und durch letztere
wieder die Vitalität der Tuberkelbazillen erhöht. Bei ausgesprochenen Lungen¬
veränderungen wird das Befinden der Patienten durch die Basedow-Krankheit
ungünstig beeinflußt; vor allem fällt die Pulsbcschleunigung und der starke
Schweiß auf; eine mäßige Vergrößerung der Schilddrüse bleibt oft lange un¬
bemerkt. Die Behandlung der Basedow-Krankheit wirkt günstig auf den Ver-
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Referate uud Besprechungen.
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lauf der Lud gen tuberkulöse ein. So ließen nach Röntgenbestrahlungen und
vor allem nach Entfernung der Schilddrüse die Temperatur, Pulsbeschleu-
nigung, Angstgefühl, Schlaflosigkeit, Diarrhöen nach, und auch der Lunge-n-
befund begann sich zu bessern. An 10 Krankengeschichten werden diese
Wechselbeziehungen erläutert. v. Homeyer (Berlin).
F. Köhler (Holsterhausen), Erfolgkontrollen bei Behandlung der
Lungentuberkulose mit Serum-Marmorek. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 16,
H. 6, S. 577, 1910.) Köhler hatte im Jahre 1908 60 Phthisiker, meist etwas
vorgeschrittene Fälle, mit Serum-Marmorek behandelt und nun nach 2 Jahren
Umfragen über den Dauererfolg angestellt. Damals war nach der Serum-
bchandlung eine Besserung eingetreten in 22 Fällen, eine Verschlechterung
in 20 Fällen, während in 18 Fällen der Lungienbefund und das Allgemein¬
befinden Unverändert blieb. Nach 2 Jahren wahren von den 60 mit Serum
Behandelten: 33 tot, 7 arbeitsunfähig, 9 hatten oft ihre Arbeit unterbrechen
müssen und nur 11 waren noch erwerbsfähig; also 40 gänzliche Mißerfolge,
9 teilweise Mißerfolge und nur 11 befriedigende Erfolge waren durch die
Serumbehandlung erzielt. — Nach dieser Arbeit Köhler’s ist jedenfalls die
Behauptung Marmorek’s unzutreffend, daß das Serum gerade zur Behand¬
lung fortgeschrittener Fälle von Lungentuberkulose sieh eigne. Über die
Wirkung bei leichteren Fällen müssen weitere Versuche entscheiden.
v. Homeyer (Berlin).
W. Weddy-Poenicke, Über Tuberkulindiagnostik, -therapie und -prophy-
laxe in der ambulanten Praxis. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 16, H. 5,
S. 422, 1910.) Bei der subkutanen Tuberkulindiagnostik wendet Verf. eine
besonders milde Form an; nach mehreren kleinen, jedoch um Überempfind¬
lichkeit zu vermeiden, leicht ansteigenden Dosen von einigen tausendstel
Milligramm injiziert er eine Dosis von 2 /io mg, die ja gewöhnlich als An¬
fangsdosis gewählt wird, also z. B. 2 /iooo. Viooo» 8 /iooo> 2 /io mg. Hierdurch
wird eine zwar geringe, aber doch! deutliche Fieberreaktion erzielt und
gleichzeitig die Herdreaktion vermieden, die Verf. für bedenklich hält. Die
Konjunktivalreaktdon wurde als zu gefahrvoll nie angewendet. Der be¬
kannte Parallelismus der Kutanreaktion nach v. Pirquet und der subkutanen
Methode wird auch vom Verf. bestätigt. Für die Verwertbarkeit der Pirquet¬
reaktion in prognostischer Hinsicht betont er, daß die Schnellreaktion
(Maximum nach 24—36 Stunden) für aktive Tuberkulose spricht; bei Spät¬
reaktion (Maximum nach 3—4 Tagen) schließt er auf latente Tuberkulose;
negative Reaktion ist ein Zeichen von fehlender oder bei ausgesprochenen
Erscheinungen von Tuberkulose im Endstadium mit ungünstiger Prognose. —
Die Tuberkulinbehandlung dehnt Verf. auf l 1 /*—2 Jahre aus und wählt 2, 3,
ja 4—6 wochenlange Intervalle (letztere bei den höheren Dosen) zwischen den
einzelnen Injektionen; er beginnt mit Vioooo mg Alt-Tuberkulin und er¬
strebt als Enddosis 1 g. Für besonders wichtig hält er die prophylaktische
Tuberkulinbehandlung, vor allem jener Kinder mit positiver Pirquetreaktion,
die einen ausgesprochen skrofulösen Habitus aufweisen.
v. Homeyer (Berlin).
Berthold Schleisiek (Sülzhayn), Die Bedeutung der Appetitlosigkeit bei
Lungenkranken und ihre Behandlung. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 16,
H. 5, S. 489, 1910.) Verf. fand als Ursache der Appetitlosigkeit bei Lungen¬
tuberkulosen 1. Störungen im Chemismus des Magens, 2. latente tuberkulöse
Blinddarmprozesse, 3. die Wirkung der Toxine. Er machte bei allen seinen
Patienten Funktionsprüfungen des Magens entweder durch Probefrühstück
und Ausheberung oder, wo die Sonde kontraindiziert war, durch die Sahli’sche
Desmoidreaktion. Meist fand sich zu viel oder zu wenig Salzsäure, oft auch
gestörte Magenmotilität; gastritische Veränderungen bestanden nie. Bei
einigen Patienten, die anfangs nur über Appetitlosigkeit klagten, später aber
Beschwerden in der Blinddarmgegend bekamen, wurde durch Operation der
tuberkulös veränderte Appendix entfernt. Nach der Operation stellten sich
Appetit- und Gewichtszunahme wieder ein. Zum Nachweis, ob eine Druck-
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empfindlichkeit in der Blinddarmgegend auf einem tuberkulösen Prozeß
beruht, wird die probatorische Tnberkulininjektion empfohlen; danach werden
die Schmerzen, die oft früher nur auf Druck bestanden, spontan gefühlt.
Verf. empfiehlt daher, bei allen Lungenkranken mit Appetitlosigkeit regel¬
mäßig auf den Blinddarm zu achten. In den Fällen, bei welchen keine
Magen- oder Blinddarm Veränderungen bestehen, sieht er den Grund der Appe¬
titlosigkeit in der Wirkung der Toxine der Tuberkelbazillen, die ähnlich
wie bei der Reaktion auf eine probatorische Tuberkulininjektion neben dem
Fieber vor allem dyspeptische Beschwerden verursachen. Zur Kausalbehand¬
lung der Appetitlosigkeit wird die Tuberkulinkur empfohlen.
v. Homeyer (Berlin).
Follet u. Bourdintere (Rennes), Typhus-Pneumonie u. Typhus-Pleuritis.
(Progres med., Nr. 2, S. 17—19, 1911.) Die Vorstellung von einem Ens morbi
imprägniert noch immer die Gemüter; und als die Bakteriologie die einzelnen
Mikroorganismen entdeckte, war für viele das erforderliche jeweilige Ens
leibhaftig gefaßt. Es gibt eben Vorstellungen, die dem Menschengeschlecht
so inhärent sind, daß sie sich wohl in ihrer äußeren Schale, aber nicht im
Kern ändern können. In diesen Kreis gehört auch der Glaube, daß jeder
Bazillus seine eigene spezifische Krankheit hervorrufe. Das Herübernehmon
mikrobotanischer Einteilungen ins klinische Gebiet erfolgt um so leichter, je
bequemer die Manipulation ist und je mehr sie dem Zcitbedürfnis nach wohl¬
geordneten Registraturen nnd autoritativ geschützten Paragraphen entspricht.
Aber die Ansicht von dem Parallelismus der Mikrobien und der Krankheits¬
bilder ist falsch und kann nicht oft genug bekämpft und erschüttert werden.
Darum sei auf die beiden Krankengeschichten von Follet und Bourdiniere
hingewiesen, in denen der sog. Typhusbazillus einen Lungcnabszcß bzw. eine
Pleuritis purulent-a bewirkte.
Ein Verteidiger der Spezifität könnte allerdings sagen, es sei gar nicht
ausgemacht, daß der Eberth’sche Blazillus tatsächlich der Erreger des Typhus
sei. Aber damit würde er bei der heute herrschenden geistigen Konstitution
nicht viel Glück haben. Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
Apostolos G. Apostolides (Smyrna), Die Behandlung der Schädel-
Basisfrakturen mit wiederholten Lumbalpunktionen. (Therap. Rundschau,
Nr. 47, 1910.) Die Lumbalpunktion spielt eine wichtige Rolle in der
Diagnose; den wiederholten Punktionen kommt auch in schwereren Fällen
von Basisfrakturen ein heilender Einfluß zu. Ist die hierbei entleerte Flüssig¬
keit blutig tingiert, so kann mau fast mit Sicherheit einen Bruch des knöcher¬
nen Schädelgerüstes annelimen und darf die Punktion wiederholen; auch ist
es wichtig, eine größere Menge Flüssigkeit (30—90 ccm) abfließen zu lassen.
Eine weitere Vorsichtsmaßregel ist die, bei Vornahme mehrerer Punktionen
sie von unten nach oben zu verschieben, damit nicht durch eine akzidentelle,
der vorhergehenden Punktion zuzuschreibende Blutung eine Rotfärbung der
Punktionsflüssigkeit bewirkt wird. S. Leo.
Paul Glaessner, Marmorekserum bei der Behandlung der chirurgischen
Tuberkulose. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 16, H. 5, S. 454, 1910.)
72 Patienten, meist Kinder, erhielten in der chirurgischen Poliklinik der
Charite zu Berlin das Manmorek’sche Antituberkulose-Senim gewöhnlich per
rectulm — Kinder 5, Erwachsene 10 ccm — und wurden längere Zeit be¬
obachtet. Es wurde in 8—10tägigen Intervallen gegeben, durchschnittlich
etwa 20—30mal, in einigen Fällen aber auch bis zu 90 und mehr Injektionen.
Seine Anwendung brachte in keinem Falle irgendwelche Unannehmlichkeiten
mit sich. Gewöhnlich stellte sich bald nach der Injektion Müdigkeitsgefühl
oder Schlafbedürfnis ein. Einige Kinder bekamen im Anfang der Behandlung
Durchfälle. — Die zahlreichen mit dem Serum behandelten Fälle von Spina
ventosa lassen keinen Unterschied im Heilungsverlauf und -dauer gegen andere
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Behandlungsmethoden erkennen. Auch bei tuberkulösen Fisteln trat keine
deutliche Beeinflussung zutage. Günstiger scheint die Wirkung des Serums bei
tuberkulösen Drüsenschwellungen zu sein; diese bildeten sich bisweilen rascher
zurück, als wir das sonst gewohnt sind. Abszedierungen konnten nicht durch
das Serum verhütet werden. Im Gegensatz zu diesen bescheidenen lokalen
Erfolgen war der gute Einfluß auf das Allgemeinbefinden auffallend. Regel¬
mäßig wurde die Stimmung lebhafter, der Schlaf ruhiger, der Appetit besserte
sieb eklatant. Da die ambulant behandelten Patienten sich in denselben un¬
günstigen hygienischen Verhältnissen befanden, wie vor der Behandlung, so
dürfte diese Wirkung auf das Allgemeinbefinden der Serumbehandlung zu¬
zuschreiben sein. v. Homeyer (Berlin).
V. Chlumsky (Krakau), Die Moro’sche Salbenprobe bei der chirur¬
gischen Tuberkulose. (Wiener kl in. Rundschau, Nr. 14, 1910.) Der Cal-
mette’schen Reaktion zur Erkennung der Tuberkulose durch Instilla¬
tion einiger Tropfen verdünnter Alttuberkulinlösung in den Bindehautsack,
hat Pirquet die kutane Tuberkulinprobe — Impfung mit Alttuberkulin
— gegenübergestellt. Dazu ist vor ca. zwei Jahren durch Moro eine neue
Methode in Gebrauch gekommen. Dem Kranken wird eine Kleinigkeit Alt-
tuborkulinsalbe — Tuberkulin und Lanolin ana — in die Haut Gin¬
ge rieben, und zwar entweder in der Umgebung des Processus xiphoideus
oder in die Ellenbogenbeuge. Bei tuberkulösen Individuen zeigen sich dann
nach 12 Stunden evt. auch erst nach 5—6 Tagen kleine gerötete Bläschen,
die nach einigen Tagen wieder verschwinden. Das Verfahren ist bereits
von vielen ' Ärzten nachgeprüft und durchweg als praktisch und ungefähr¬
lich empfohlen. — Verf. hat bei 47 Patienten und 6 Assistenzärzten Ver¬
suche angestellt und kommt zu dem Schlüsse, daß die Moro’sche Probe
ziemlich empfindlich, aber nicht ganz zuverlässig ist und daß sie
sich besonders für Anfangsstadien der tuberkulösen Erkrankungen zur Kräf¬
tigung der Diagnose eignet. Steyerthal-Kleinen.*
Franz Ehrlich, Fibrolysfninjektionen zur Behandlung von Nabel- und
epigastrischen Hernien. (Archiv für Verdauungskrankheiten, Februarheft
1911.) Druckempfindlichkeit oder auch spontane Schmerzen bei kleinen Nabel -
und epigastrischen Hernien sind meist auf Verwachsungen der Bruchpforte
mit der Umgebung zurückzuführen. Da der typische Heftpflasterverband
durch Entspannung der Verwachsungen die Schmerzen beseitigt, muß auch
das Bindegewebe lockernde Fibrolysin bei solchen Brüchen wirksam sein, was
Verfassei in vier Fällen bestätigt fand.
Die Fibrolysinlösung wurde anfangs täglich, später alle 2—3 Tage an
beliebiger Stelle tief in die Bauchmuskeln injiziert und dann wegmassiert.
Nach wenigen Injektionen war der spontane Schmerz geschwunden, später
konnte auch durch Fingerdruck ein Schmerz an der Hernie nicht mehr aus¬
gelöst werden. Mitunter schien sogar die Bruchpforte zuzuheilen, was
sonst nur bei ganz jugendlichen Individuen wahrzunehmen ist. Neumann.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Kleinschmidt (Marburg), Der Einfluß der Hitze auf den Säuglings¬
organismus. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 9.) Der Einfluß der
Hitze auf den Säuglingsorgajrismus ist in letzter Zeit Gegenstand lebhafter
Diskussion geworden.
Lange Zeit wurde das Problem ausschließlich vom rein bakteriologischen
Standpunkte aus betrachtet. Die Ätiologie der sommerlichen Ernährungs¬
störungen in einer durch die Wärme begünstigten bakteriellen Zersetzung
der Nahrung zu seihen, war eine sehr bestechende Hypothese. Lief mann
kam auf Grund umfangreicher statistischer Untersuchungen zu der Ansicht,
daß es zur Infektion des Kindes nicht immer der zersetzten Milch bedarf*
sondern daß die Infektionsgelegenbeit in elenden Wohnungen, schmutzigen
Betten und Windeln bei ungenügender Pflege des Kindes durch vermehrte
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Bakterien Wucherung, im Sommer auch bei steriler Ernährung eine wesend
lieh erhöhte ist. Einen direkten Einfluß hoher Wärmegrade auf den Säugling
nahm zuerst in Deutschland Mtoinort an. Er fand in Dresden ganz bestimmte
Wohnungen, in denen die Säuglinge während der heißen Jahreszeit durch die
charakteristischen Erkrankungen der Verdauungsorgane bedroht waren.
Es handelt sich um schlecht ventilierbare Wohnungen, in denen die Be¬
wegung und Feuchtigkeit der Luft verhindert wurde. Nach Meinert stellt
die Cholera infantum eine der verschiedenen Erscheinungsformen des Hitz-
schlags dar. Rietschel und Finkeistein erkennen den schädigenden Einfluß
der hohen Wohnungstemperatur zwar an. gehen aber nicht so weit wie
Mein er t, der die gesamte Sommersterblichkeit als Hitzsehlag gedeutet
wissen will.
Verfasser stellt durch klinisch experimentelle Beobachtungen fest, wie
sich der Einfluß der Hitze auf den Säugling äußert, er setzte Säuglinge
hohen Temperaturen aus unter gleichzeitiger Anwendung von Stoffwechsel¬
versuchen.
Die Ergebnisse dieser Versuche lehren, daß mehrtägiger Aufenthalt im
Wärmezimmer (28—32° C) bei den Säuglingen regelmäßig zu Temperatur¬
erhöhung führt, diese ist l>oi ernährungsgestörten Kindern oft erheblich, aber
ohne besondere Nebenerscheinungen. Mangelhafte Luftbewegung und wech¬
selnde Luftfeuchtigkeit beeinflussen die Tempcraturverhältnissc der Kinder
iin Wärmeversuch. Die starke Schweißabsonderung führt selbstverständlich
zu Wasser Verlust., die tlrmmenge ist jedoch gering, so daß ein Ausgleich!
zustande kommt. Allgemeinbefinden und Stoffwechsel sind nach den Ver¬
suchen und Retentionswerten von Stickstoff, Phosphor und Chlor nicht gestört.
Störungen der Magendarmfunktion treten auch beim alimentär geschädigten!
Kinde bei einwandfreier Nahrung nicht ein.
Somit kommt Verfasser zu dem Schluß, daß die Hitze als solche picht
die direkte Ursache zum Sommerdurchfall und Hitzsehlag der Säuglinge ist.
Die Arbeit ist mit interessanten Kurven und guten klinischen Beobachtungen
ausgestattet. A. W. Bruck.
Stolte (Straßburg), Über das frühzeitige Sterben zahlreicher Kinder
einer Familie, (Jahrb. für Kinderheilk., Bd. 73, H. 2.) Die Kenntnis von
dem Vorkommen familiärer Häufung von Todesfällen bei Kindern erscheint
wichtig. Wenn auch für das einzelne, im gegebenen Falle erkrankte Kind
alle Mühe und Sorgfalt erfolglos ist, so kann die Würdigung der Ätiologie
für spätere Kinder Bedeutung haben.
Verfasser hat von diesem Gesichtspunkt die Todesfälle nach Alter und
Todesursache gruppiert. Er findet dabei 3 Arten:
1. Solche, die in den ersten Lebenstagen an Lucs zugrunde gehen. Hier
muß antiluetische Behandlung der Eltern stattfinden.
2. Solche, bei denen der frühzeitige Tod auf Degeneration zurückgeführt
werden muß. Bei dieser Gruppe ist allerdings der Arzt ziemlich machtlos.
3. Gruppe umfaßt die Kinder, welche sich durch Neigung zu Infektions¬
krankheiten auszeichnen. Hier sieht der Verfasser das Heil in einer rationellen
Ernährung, die die beste Prophylaxe bietet.
Man kann diese Ansichten nur billigen und ihre Verbreitung wünschen.
A. W. Bruck.
W. Pies (Charlottenburg), Zur Physiologie des Neugeborenen. (Monats¬
schrift für Kinderheilk., Bd. 9, H. 9.) Die Arbeit beschäftigt sich mit der
Dauer, der Größe und dem Verlauf der physiologischen Abnahme des Neu¬
geborenen. I ! ! •: I
Sie eignet sich weniger zuin Referat als zum Lesen im Original. Ver¬
fasser kommt nach eingehenden exakten Beobachtungen zu dem Resultat,
daß die Gewichtsabnahme und -Zunahme der Neugeborenen entsprechend dem
Verlauf der sogenannten Budin’schen Kurven unter einem spitzen oder aber
mehr rechtwinkligen Winkel derart verläuft, daß das Kind viel später, oft
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Referate und Besprechungen.
453
erst nach Wochen sein Anfangsgewicht erreicht. Eine zweite Abnahme oder
langdauernden Stillstand in dieser Kurve kann man nicht für physiologisch
halten. Pies faßt dies vielmehr als Einfluß der ungenügenden Nahrungs¬
aufnahme oder einer Infektion auf. A. W. Bruck.
W. Birk u. A. Orgler (Charlottenburg), Der Kalkstoffwechsel bei
Rhachitis. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 9.) Fast alle Versuche
über den Kalkstoffwechsol bei Rachitis sind bei Kindern angcstellt, die bereits
rachitisch Waren. Da wir aber annehmen, daß für das Zustandekommen
der Rachitis eine langdauernde Störung des Ivalkstoffwcchsels erforderlich ist,
müssen wir fordern, daß bereits vor dem Auftreten der klinischen Erscheinungen
von Rachitis eine Störung im Kalkstoffwechsol sich nachweisen läßt. Aus
den Stoff wechselversuchen geht hervor, daß bei den Versuchskindern in allen
Perioden der Kalkansatz weit unterhalb derjenigen Menge lag, die für die
ungestörte Entwicklung der Kinder unbedingt notwendig war. Es ist also
lange Zeit vor dem Auftreten der ersten klinischen Erscheinungen der Rachitis
die für die Rachitis charakteristische Störung des Kalkstoffwechsels vorhanden.
A. W. Bruck.
Birk u. Edelstein (Charlottenburg), Beiträge zur Physiologie des neu¬
geborenen Kindes. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 9.) Die Arbeit
stellt, einen Respirationsstoffwcchselversuch am neugeborenen Kinde dar und
ist als Fortsetzung der Arbeit von W. Birk gleichen Themas zu betrachten.
Die Verfasser kommen durch den Versuch zu dem Schlüsse, daß der
Gewichtsverlust bei weitem nicht durch Mekonium und Urin allein bedingt
wird. Der Hauptanteil der physiologischen Abnahme geschieht durch das
von der Haut und den Lungen abgegebene Wasser, sowie bis zu einem ge¬
wissen Grade durch eingeschmolzen cs Gewebe. A. W. Bruck.
Lust (Heidelberg), Über den Wassergehalt des Blutes und sein Ver¬
halten bei den Ernährungsstörungen der Säuglinge. (Jahrb. für Kinderheilk.,
Bd. 73, H. 1—2.) Das Blut djes Säuglings ist wesentlich wasserreicher als
das der älteren Kinder und der Erwachsenen. Nur in den ersten Lebens-
wochen ist der Blutwassergehalt geringer als beim Erwachsenen. Bei Er¬
nährungsstörungen sucht das Blut seine Konzentration möglichst konstant
zu erhalten. Erst bei starken Wasser Verlusten kommt es zu einer starken
Eindickung des Blutes.
Bei chronischen Ernährungsstörungen zeigt der Wassergehalt des Blutes
keine erheblichen Abweichungen von der Norm.
Die mit der Reparation einsetzende Wasserrctcntion des Gesamtorganis-
inus kommt auch dem Blute zugute.
Jeder durch die Einführung von kohlehydratreicher Nahrung hervor¬
gerufene Gewichtsanstieg ist von einer mehr oder weniger lang anhaltenden
Wasseraufnahme im Blute begleitet. Fehlt diese, so erscheint die Nahrung
als ungeeignet zur Anbahnung einer Reparation.
Die Arbeit, aus der ich einige wesentliche Resultate herausgegriffen
habe, ist ein wichtiger Beitrag zum Kapitel des Wasserstoffwechsels.
A. W. Bruck.
Menschikoff (Kosan), Zur Frage der Buttermilchernährung des Säug¬
lings. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 9.) Die Zahl der Theorien
über die Wirkungsweise der Buttermilch ist groß. Zunächst dachte man
daran, daß der Gehalt an Milchsäure die guten Erfolge, die heute kaum jemand
ernsthaft bestreiten kann, bedinge. Die Milchsäure sollte das Kasein vor
Fäulnis schützen, sollte abnorme Gärungen verhindern, sollte peptisch wirken;
die meiste Anerkennung aller Theorien fand die, daß der Hauptvorzug der
Buttermilch in ihrer Fettarmut bestehe. Ta da hatte diese Tatsache zuerst
herrorgehoben jund begründet. Durch Stoffwechselversuche bestätigt Ver¬
fasser die Angaben Tada’s, daß die Buttermilch und Magermilch im Stoff¬
wechselversuch als gleichwertig anzuse.hen sind. Die Überlegenheit der Butter¬
milch fetthaltigen Nahrungsgemischen gegenüber, beruht nicht auf ihrem
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Referate und Besprechungen.
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Gehalt an „Säure“, auch nicht hat sie darin ihren Grund, daß den Kindern
das fettspaltende Ferment in genügendem Maße zur Verfügung steht, sondern
wahrscheinlich ist die Ursache der Überlegenheit dieser Nahrung in ihrem
Reichtum an Kohlehydraten zu suchen. Denn diese sind besser ausnützbar
als die fetthaltigen Gemische. A. W. Bruck.
Psychiatrie und Neurologie.
Babinski (Paris), Normaler u. abnormer Radiusreflex. (Gazette med.
de Paris, Nr. 76, 11. Januar 1911.) Beklopfen des unteren Endes des Radius
bewirkt eine leichte Beugung im El len bogen gel en k; bei gesteigerten Reflexen,
z. B. bei Apoplektikern, gesellt sich noch eine Flexionsbewegung der Finger
hinzu. Es kommen jedoch auch Fälle vor, in welchen nur dieser letztere Reflex
ausgelöst wird, also Beugung der Finger ohne Beugung im Ellenhogcngolenk.
Auf Grund anatomischer Überlegungen macht Babinski es wahrscheinlich,
daß dann eine Veränderung im Halsmark und zwar im 5. Zcrvikalsegment
vorliege; denn hier Ix*findet, sieh das Zentrum für die Beugung des Vorder¬
arms während jenes für die Beugung der Finger im 7. Zcrvikalsegment zu
lokalisieren ist.
Autopsien konnte B. noch nicht machen; allein er fand diese „Inversion
du reflexe du radius“ bei Syringomyelie und bei Halsmarktumoren und nimmt
das vorderhand als klinische Bestätigung seiner Theorie. Buttersack (Berlin).
Lad. Haskovec (Prag), Bemerkungen über psychasthenische Zustände.
(Wiener klin. Rundschau, Nr. 13 u. 14, 1910.) Als psychasthenische Zu¬
stände bezeichnen die Franzosen die auf dem Grunde eines invaliden Gehirns
entstehenden Zwangserscheinungen. In der intellektuellen Sphäre
sind die eigentlichen Zwangsvorstellungen (Grübelsucht, Zweifelsucht,
Dipsomanie u. a.) allgemein bekannt. Die Angstzustände oder Phobien
fallen in das Emotionsgebiet, die verschiedenen Zwangssensationen da¬
gegen in die sensitive oder sensorische Sphäre. — Diesen obsedanten
Vorstellungen möchte der Verf. auch solche Zwangserscheinungen anreihen,
die sich auf motorischem und vegetativen Gebiete bewegen. In erster
Linie wären hierher zu rechnen der Tic convulsiv, der Schreibkrampf,
manche Zitterbcwegungen und endlich die bekannten Fälle von Torti-
eolis mental. — Interessant ist die vom Verf. beobachtete und unter dem
Namen Akathisie beschriebene Form der Zwangsbewegung. Die Kranken
sind von einem derartigen Drange, aufzustehon beherrscht, daß sie sich nur
mühsam niedersetzen können und immer gleich wieder aufspringen. Zuweilen
müssen sie sich mit voller Kraft am Tische festhalten, um nicht sofort wieder
aufzustehen, wenn sie einmal sitzen. — Das hier berührte und mit großer
Sachkenntnis beleuchtete Gebiet liegt dem praktischen Arzte gewöhnlich
ferner, die Folge davon ist. daß die geschilderten Fälle oft der Hysterie zu¬
gewiesen und damit in ein falsches Fahrwasser geleitet werden.
Steyerthal - Kleinen.
Vergiftungen.
W. H. Becker (Weilmünster), Ein Fall von Paraldehydvergiftung.
(Reichs-Med.-Anz., Nr. 25, 1910.) Patientin erhielt durch Versehen 15 g
Paraldehyd in zwei Gläsern Wasser verdünnt, so daß eine Ätzwirkung aus¬
geschlossen war. Darauf tiefes Koma, Milch-Kaffeeklistier. Nach drei Tagen
Genesung. Von einer Auspumpung des Magens wurde abgesehen, einerseits
wogen des fehlenden Paraldehydgeruches, anderseits wegen der Gefahr, in
der tiefen Narkose durch Einführung der Schlundsonde eine Schluckpneu-
monie zu erzeugen. Die Patientin hatte eine gewisse Intoleranz (nicht Idio¬
synkrasie) gegen Schlafmittel, indem sie bereits auf geringe Dosen in der
gewünschten Weise reagierte. Das mag in Zusammenhang mit dem ge¬
ringen Körpergewicht stehen. Bemerkenswert ist ferner die im Gefolge der
Intoxikation auftretende nephritische Reizung, die aber gutartiger Natur
war, und das Fehlen des charakteristischen Geruches. S. Leo.
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Bücherschau.
455
H. Viereck (Berlin), Die Gefahren des Leuchtgases. (Reichs-Med.
Anz., Nr. 25, 1910.) Bei sorgfältigem Umgang mit der Gasleitung darf es
überhaupt nicht zum Geruch nach Leuchtgas in der Wohnung kommen. Eine
jede bemerkbare Gasausströmung aber ist sofort ernst zu nehmen und gleich
abzustellen (durch Schließen des Haupthahns, sehr vorsichtiges Lüften ohne
Licht in der Nähe und sachgemäße Revision der Leitung). Ist die Leitung
dicht, so darf bei geschlossenen Gashähnen die Gasuhr ihren Stand in einer
Stunde nicht verändern. Mehr als die Hälfte aller Unfälle entsteht dadurch,
daß die Leitung abgeleuchtet wird, um die undichte Stelle zu finden. An
undichten Stellen bilden sich im Seifenwasseranstrich der Leitungsrohre
Blasen. Enthält die Luft unter 4% Leuchtgas, so tritt auch an offener
Flamme keine Entzündung ein, bei 8—28% (oder f>—20%) erfolgt die Ent¬
zündung plötzlich als Explosion, bei höherem Leuchtgasgehalt kommt cs
zur einfachen Entflammung. Nächst dem Ableuchten der Leitung kommen in
zweiter Linie unsachgemäße Installationen in Betracht. Diese Unfälle sind
gerade zu Umzugszeiten häufig. Man sollte es strengstens vermeiden, In¬
stallationen von Nichtfachleuten aailegen zu lassen, so kommt es,- daß z. B.
so viele Lampen an die Leitung angeschlossen werden, daß der Gasdruck
in der Hauptleitung zu gering wird. Zuzeiten geringen Druckes in der
Stadtleitung können einzelne Lampen ohne Gas bleiben und auslöschen.
Sobal'l dann wieder der Gasdruck steigt, strömt Gas aus. Gummischläuche
rutschen leicht ab, werden brüchig und zerreißen; man sollte sie daher
durch Metallschläuche ersetzen. Ferner kommen noch Rohrbrüche in Be¬
tracht. S. Leo.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Die hauptsächlichste Forderung der modernen Röntgentechnik liegt
in der Verkürzung der Expositionszeiten, wobei Schärfe und Struktur der
Bilder einwandfrei sein müssen. Die ständigen konstruktiven Verbesserungen
der Röntgenapparate haben die Erfüllung dieses Zieles größtenteils ermög¬
licht. Gleichzeitig war man aber auch bestrebt, die Benutzung von Ver¬
stärkungsschirmen diesen Zwecken nutzbar zu machen. Aber alle Versuche
in dieser Hinsicht scheiterten daran, daß die auf diese Weise angefertigten
Bilder mehr oder weniger Körnung zeigten, was zu fehlerhaften Deutungen
und Auslegungen Veranlassung geben konnte, zumal die Bilder dadurch
häufig verwaschen aiissahen. Auch war die mit Verstärkungsschirmen erzielte
Verkürzung der Aufnahmen noch nicht ausreichend.
Nach langer eingehender wissenschaftlicher Arbeit ist es gelungen,
init der Rotaxfolie — einem neuen Verstärkungsschirm — absolut korn-
lose Bilder von feinster Straiktur mit bisher unerreichter Schnellig-»
keit anzufertigen. Trotzdem ist der Preis der Rotaxfolie ein verhältnis¬
mäßig niedriger.
Es empfiehlt sich, bei Röntgenaufnahmen für jede Plattengröße eine
entsprechende Rotaxfolie vorrätig zu halten. Schneidet nämlich die Folie
nicht mit den Plattenrändern ab, so kennen sie leicht beschädigt werden
und dadurch zu fehlerhaften Aufnahmen führen. Man schafft sich also vor¬
teilhaft Serien der Rotaxfolie den Plattengrüßen entsprechend an, wobei
sich diese noch billiger stellen als bei Einzelbezug.
Bücherschau.
P. Rodari (Zürich), Lehrbuch der Magen- und Darmkrankheiten. Mit besonderer
Berücksichtigung der diätetischen und medikamentösen Therapie. 2. Auflage.
Wiesbaden 1910. Verlag von J. F. Bergmann.
Verfasser hat mit vollem Recht die 2. Auflage seines zuerst als „Grundriß
der medikamentösen Therapie der Magen- und Darmkrankheiten“ erschienenen
Werkes eine völlig umgearbeitete und bedeutend erweiterte genannt, denn
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456
Bücherscliau.
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sie erhebt sich an äußerem Umfang sowohl als an innerem Wert ungemein über
die erste. Das Ziel, das sich Rodari gesetzt: den Leser über den heutigen Stand
der Lehre der Magen- und Darmkrankheiten, über deren Pathologie und Therapie
in kurzer Fassung in allen wesentlichen Punkten zu orientieren, hat er ohne Zweifel
voll und ganz erreicht. Der Autor wendet sich in erster Linie an den praktischen
Mediziner und macht mit kluger Auswahl an einem sehr reichhaltigen Material
unter Vermeidung der schwebenden Probleme auf alles aufmerksam, was als unbe¬
stritten angesehen werden kann. In dankenswerter Weise hat Verfasser der
chirurgischen Behandlung überall den ihr gebührenden Platz eingeräumt. Leider
ist die Röntgendiagnostik etwas ins Hintertreffen geraten. Schiess (Marienbad).
Fr. Crämer (München), Das runde Magengeschwür. München 1910. Verlag
von J. F. Lehmann. 243 S.
Eine durchaus auf der Höhe der Wissenschaft stehende Abhandlung, die
vielleicht in der Wertung der vielen zitierten Autoren und ihrer Ansichten mehr
persönliches Urteil und Stellungnahme hätte zeigen sollen. Auch hätte es das
Werk sicher nicht weniger eindringlich gemacht, wenn es kürzer geschrieben wäre.
Wo soll der Praktiker die Zeit hernehmen, wenn er allein über das Magengeschwür
230 und mehr Seiten nachlesen soll? Und für Spezialisten ist es doch wohl kaum
geschrieben. Krebs (Falkenstein).
Rüssel H. Chittenden (New Haven), Ökonomie in der Ernährung. Deutsch von
Hofrat Dr. Suchier, Freiburg i. B. München 1910. Verlag der Ärztlichen Rund¬
schau (Otto Gmelin). 32 S.
Das Original ist vor 5 Jahren erschienen und weil bei uns nur wenig bekannt,
übersetzt worden. Ch. hat 27 Versuchspersonen, darunter 6 Universitätsprofessoren
im Alter von 25—47 Jahren während 6—24 Monaten mit 50 g Eiweiß, im ganzen
2000 Kalorien; 13 Soldaten bei teilweise angestrengtem Dienst 6 Monate lang mit
55 g Eiweiß, im ganzen 2500 Kalorien, endlich 8 Athleten (Universitätsstudenten)
mit 66 g Eiweiß, im ganzen 2730 Kalorien, ernährt. Alle haben sich bei dieser
Nahrungsweise sehr wohl befunden, einige der Geistesarbeiter so wohl, daß sie
nicht mehr davon abgingen. Verf. ist der Ansicht, damit den physiologischen
Beweis erbracht zu haben, daß alle wirklichen Bedürfnisse des Körpers mit weitaus
geringeren Mengen an Nahrungsmaterial, besonders an Eiweiß gedeckt werden
können, als die tägliche Gewohnheit, das übliche Herkommen und nicht zuletzt
die Lehrbücher vorschreiben. Er zieht den ganz plausiblen Vergleich, daß mit, dem
Verbrauch größerer Brennwerte die Maschine überheizt und ihr durch ein zu rasch
laufen zu viel zugemutet wird, daß es sich hierbei also nicht nur um eine Ver¬
schwendung, sondern um einen unnützen Energieaufwand seitens der verschiedenen
Körperorgane und -Gewebe handelt; die Schädigung besteht nicht nur in der
Paralysierung des Exzesses, sondern auch in der schädigenden Einwirkung der
zahlreichen überschüssigen Stoffe, die durch die Oxydation des Zuviel entstehen.
Verf. ist weit entfernt, dem Vegetarismus, Fruktivorismus oder sonst einem „ismus“
das Wort reden zu wollen, er will einfach zeigen, daß uns Gewohnheit und Sitte
viel zu viel essen lassen, und daß das Bedürfnis hierzu nur ein scheinbares ist,
dies aber zu jedes Nutz und Frommen jederzeit geändert werden kann. Das
Werkchen enthält recht viel Wahres. v. Schnizer (Höxter).
Mitteilungen.
Die Deutsche Gesellschaft für Volksbäder (Geschäftsstelle Berlin SW. 11, Bern¬
burger Straße 14) wird ihre diesjährige Hauptversammlung am 24. Mai in
Halberstadt abhalten. Folgende Vorträge sind bis jetzt angemeldet: Prof. Dr.
Jacob (Berlin), „Reinlichkeit und Hautpflege auf dem Lande“; Stabsarzt Dr.
Schemel (Berlin), „Bedeutung des Badens für die heranwachsende Jugend“; Stadt-
baumeister Sinn in g (Halberstadt), „Die öffentliche Badeanstalt in Halberstadt“.
Zahlreiche das Badewesen betreffende Fragen werden in der Nachmittagssitzung
behandelt. — Kürzlich ist der Gesellschaft das Vermögen des Berliner Vereins
für Volkshäder, der sich aufgelöst hat, von mehr als 21000 Mark als Oskar-
Lassar-Stif tung überwiesen worden; die Zinsen sollen zur Förderung des öffent¬
lichen Badewesens verwendet werden. — Von den Veröffentlichungen der ge¬
meinnützigen Gesellschaft, die den Mitgliedern kostenfrei zugehen, wird soeben
das Schlußheft des 5. Bandes versendet. Es enthält ein ausführliches Sachregister
über den vielseitigen Inhalt der bisher erschienenen Bände, das als wertvolles
Hilfsmittel für deren Benutzung zu dienen geeignet ist.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
fortscfcriue der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegebfln too
Professor Di. 0. Koster Prio.-Dox. Dr. o. eriegeni
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
I Bracheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 20. fflr da * Halb J ahr -
===== Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =====
18. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
28. Kongreß für innere Medizin, 19.—22. April 1911 in Wiesbaden.
Bericht von Dr. Krone, Badearzt, Sooden a. Werra.
Mittwoch, den 19. April, 1. Sitzung vorm. 9 Uhr. Vorsitzender:
v. Krehl (Heidelberg).
Der von etwa 600 Teilnehmern besuchte Kongreß wird durch den
Vorsitzenden v. Krehl (Heidelberg) eröffnet. Redner gedenkt zunächst
der im letzten Jahre Verstorbenen, unter denen er besonders v. Leyden,
Koch, Recklinghausen, Curschmann und Lehnhartz hervorhebt,
wobei er die Bedeutung jedes einzelnen für die Entwicklung der inneren
Medizin, sei es als theoretischen Forscher, sei es als begnadeten Be¬
obachter am Krankenbett, bespricht.
Die beiden Richtungen innerhalb der praktischen Medizin — die
Laboratoriumsmedizin und die Medizin am Krankenbett — stehen heute
nicht mehr im Gegensatz, beide ergänzen und vereinigen sich zu einem
Ganzen. Wir benötigen den Tierversuch, aber er wird immer nur ein
Ersatz für die Beobachtung am kranken Menschen sein. Hüten aber
muß sich der Praktiker vor scheinbaren Erfahrungen, die oft genug nur
Vorstellungen sind; und schwer ist es oft, Spekulation und Phantasie bei
den Beobachtungen auszuschalten. Hier ist eine gesunde Skepsis, die
ein Vorwärtsgehen trotzdem nicht aufhalten darf, am Platze. Richtig
beobachten ist ein Talent, die Verwertung der Beobachtungen eine Kunst.
Aufgabe des klinischen Lehrers ist es, die kritisch gesichteten Er¬
fahrungen den Schülern mitzuteilen, ihnen die Wege zu ihrer Ausnutzung
zum Wohle der kranken Menschen zu weisen und ihnen so eine feste
Richtlinie zu geben. Die feinsten Relationen, die sich am Krankenbett
zwischen Arzt und Patient entspinnen und die den Lernenden erst zum
Therapeuten machen, lassen sich nicht lehren, sie müssen als vornehme
Kunst selbst erworben werden.
Uber das Wesen und Behandlung der Diathesen.
His (Berlin), Geschichtliches und Diathesen in der inneren
Medizin. Gicht, Diabetes und Fettsucht, diese drei Krankheitsformell
bilden einen Verwandtschaftskreis, in dem sie alterierend immer wieder
auftreten. Uber ihre Herkunft herrscht noch ziemliches Dunkel — die
luxuriöse Lebensweise kann als ausreichende Erklärung nicht gelten,
eine Disposition muß auch hier den Boden herrichten. Die Latenz,
welche die harnsaure Diathese dabei durchmacht, ist nur eine scheinbare,
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Krone,
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denn schon im Kindesalter lind zwar von den frühesten Lebenstagen
an, treten in Gestalt von Hyperhydrosis, Ekzem, langdauernde Katarrhe
u. a. m. Erscheinungen auf, die auf diathetische Veranlagung hindeuten
und die sich im Pubertätsalter zu Störungen in der Blutbildung, Migräne,
Psoriasis u. a. m. auswachsen.
Diese Mannigfaltigkeit der Symptomgruppen zeigt, daß die Diathese
keine einheitliche Organkrankheit ist, sondern eine Konstitutionskrankheit.
Schon Galen nimmt an, daß das Wohlbefinden im Körper beruht
auf einem Gleichgewicht von warm, kalt, feucht und trocken; durch
physiologische Abweichungen von diesem Gleichmaß erklärt er die
Temperamente, in denen er schon eine Disposition für verschiedene
Krankheiten sieht. Der Hauptgedanke war, daß der Körper nur in
seiner Gesamtheit erkranken kann; die Konstitution bedingt den Verlauf
der Krankheit. Mit Virchow’s Zellular-Pathologie siegte dann das
organische oder Lokalisationsprinzip, indem nach Wunderlich Kon¬
stitutionsanomalien dadurch entstehen sollten, daß die einzelnen Körper¬
organe anormal funktionieren. Bencke wieder identifizierte Volumen
und Funktion der Organe und suchte Konstitutionsanomalien durch
Volumänderungen zu erklären, während Dissier den Satz aufstellt:
Die Diathese ist eine latente, krankhafte Anlage im Organismus.
Die Beobachtung in der Kinderheilkunde hat gezeigt, daß zum
Zustandekommen der Diathese eine Disposition da sein muß, da von
gleichgenährten Kindern die einen an Diathese erkranken, die andern
dagegen nicht. Rosenbach, Krauß und Martins haben das Kon¬
stitutionsproblem wieder aufgenommen. Nach ihnen bedingt nicht die
anatomische Schädigung eines Organs die Krankheit, sondern ihre
Funktionsstörung, die natürlich ihrerseits wieder auf die Funktion des
Gesamtorganismus einwirkt. So kann also bei einer verminderten oder
verstärkten Funktion eines einzelnen Organs eine Störung im Gesamt¬
stoffwechsel eintreten, und gerade die Forschungen der letzten Jahre
über die Drüsen mit innerer Sekretion haben manches Licht in das
Dunkel gebracht; besonders auch über die gegenseitige Beeinflussung
körperlicher Funktionsvorgänge auf das Nervensystem und umgekehrt.
So verstehen wir heute unter Diathese eine Krankheit, die auf
Veranlagung beruht und bei der der Organismus schon auf
physiologische Reize dank seiner Disposition mit Krankheits¬
erscheinungen verschiedener Art reagiert. Dabei ist nicht ein
Organ, sondern ein Organkomplex verantwortlich für die Entstehung,
und nicht anatomische Forschungen werden die Ursache aufdecken,
sondern weit eher chemische Untersuchungen.
Die derzeitige Einteilung der Diathesen: Arthritismus der Franzosen,
kindliche Diathesen, von denen noch nicht sicher festgestellt ist, wie sie
sich bei Erwachsenen auswachsen, Eosinophilie — wobei die Verwandt¬
schaft neuropathischer und chlorotischer Zustände mit den Diathesen
noch zweifelhaft ist — erscheint durchaus mangelhaft; eine Einigung
der verschiedenen Gruppen auf ätiologischer Basis ist anzustreben und
die Therapie wird sich dementsprechend vornehmlich der Aufgabe zu¬
wenden müssen, auf diätetischem Wege die Disposition günstig zu be¬
einflussen.
Pfaundler (München), Diathesen der Kinderheilkunde. Es
erkranken unter den gleichen hygienisch-diätetischen Bedingungen viele
Kinder ohne besonders nachweisbare exogene Momente und ohne, daß
es Alters und Art gemäß ist, an Krankheitserscheinungen, die wir unter
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28. Kongreß für innere Medizin.
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dem SammmClnamen „Skrofulöse“ zusammenfassen. Solche skrofulöse
Kinder sind Kinder mit abnormer Krankheitsdisposition. Von der An¬
sicht, daß Skrofulöse latente Tuberkulose sei, ist man zurückgekommen,
die Tuberkulose erwächst erst auf dem Boden solcher diathetischen
Disposition.
Wir unterscheiden zurzeit eine Trias kindlicher Diathesen: 1. Die
exsudative Diathese, die zunächst latent ist und deren erste Manifestationen
sich im 2.<—3. Lebensjehre entwickeln als exsudative Prozesse an Haut
und Schleimhäuten; 2. Status lymphaticus mit Schwellung lymphatischer
Gewebe und Ernähruugs- und Stoffwechselerkrankungen und 3. der in¬
fantile Arthritismus nach französischen Autoren. Alle drei sind nahe
miteinander verwandt und haben außer den genannten Manifestationen
Erscheinungen an Blutgefäßen, allgemein nervöse Zeichen und krampf¬
artige Phänomene häutig gemeinsam; und hinsichtlich des Auftretens,
des Verlaufes, der Verknüpfung und der Lokalisation können die
Manifestationen ätiologisch auf eine Basis gebracht werden, wobei das
Zusammenhängen der einzelnen Erscheinungen diagnostisch von Wert
sein kann.
Man hat mehrfach versucht, die Gesamtheit der einzelnen Er¬
scheinungen auf eine bestimmte Grundursache zurückzuführen, wobei
sich zwei Möglichkeiten ergaben: einmal die Annahme, daß infolge
Störung der Funktion eines bestimmten anfangs geschädigten Organs
des Gewebesystems — etwa der lymphatischen oder digestiven — die
Zusammensetzung des Blutes leide, wodurch die sekundären Schäden
ausgelöst würden; zweitens die Annahme, daß die Fern Wirkung auf dem
Wege nervöser Beeinflussung auf den Bahnen des animalen oder vege¬
tativen Systems statthabe. Diese Hypothesen sind noch völlig unausgebaut,
zum andern Teil wenig befriedigend, keinesfalls für die ungezwungene
Deutung aller zugerechneten Erscheinungen ausreichend. Die Grund¬
ursache ist auch in einer anlagemäßigen Minderwertigkeit der von der
Diathese befallenen Organe und Gewebe gesucht worden, da alle diese
Körperteile aus dem Mesentym herstammen.
Redner nimmt ein plurizentrisches System an. Daß die Diathesen
den Gesetzen der Vererbung folgen, hat er durch Anlegung von Stamm¬
bäumen feststellen können. Unter den Überträgern sind die weiblichen
Elemente, unter den Empfängern die männlichen überwiegend. Die
Funktionsstörungen entstehen aus dem Mißverhältnis einer angeborenen
funktionellen Minderwertigkeit und der Inanspruchnahme der Funktionen.
Darum empfiehlt Redner Vornahme von funktionellen Prüfungen im
Einzelfalle (z. B. auf Nahrungstoleranz).
Bloch (Basel), Diathesen in der Dermatologie. Es gibt
Familien, die häufig an Dermatosen — derselben Gruppe von Haut¬
krankheiten angehörend — erkranken und bei denen außerdem innere
Organerkrankungen bestimmter Art ohne erkennbare exogene Ursache in
wechselnder Abstufung aber in immer bestimmt wiederkehrender Grup¬
pierung auftreten. Dies muß auf arthritisch-diathetische Disposition
zurückzuführen sein. Die klinischen Erscheinungen äußern sich in ver¬
schiedenster Weise entsprechend dem Lebensalter und gewisser äußerer
Bedingungen. Sie beginnen im Säuglingsalter mit dem bekannten nässenden
Ekzem, später in Entzündungen der Nasenrachenschleimhaut übergehend,
äußern sich in der Pubertät in Kopfschmerzen, dem bekannten Akne¬
ausschlag, in Asthmaanfällen und beim Erwachsenen gesellen sich Migräne,
Neuralgien, Gallen-, Nierenkoliken, rheumatische und gichtische Be-
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Krone,
schwerden hinzu, um im Greiseualter mit Arterienverkalkung und stark
juckenden Hautauschlägen zu enden. Die Franzosen Brocq und Rap in
haben klinische Beobachtungen über das Alternieren zwischen Haut¬
erscheinungen und den genannten Erkrankungen innerer Organe gemacht,
indem sie ganze Generationen als behandelnde Arzte verfolgen konnten.
Von besonderem Interesse war für sie die Feststellung der außerordentlich
günstigen Wirkung einer jahrelang durchgeführten vegetarischen Diät.
Eine besondere Bedeutung für die Auffassung der ganzen Frage
bilden die sogenannten Idiosynkrasien, die sich oft in Form von Nessel¬
sucht nach Aufnahme gewisser Speisen oder Medikamente auf der Haut
zeigen. Nach Auffassung des Vortragenden handelt es sich bei diesem
Krankheitsbild um den sichtbaren Ausdruck einer von Hause aus ver¬
erbten Überempfindlichkeit (Anaphylaxie) der Haut. Diese Überemp¬
findlichkeit tritt besonders zutage, wenn dem Organismus artfremde
Eiweißstoffe zugeführt werden. Analog diesen Beobachtungen sind vielleicht
die verschiedensten Krankheitserscheinungen bei der Diathese als Über¬
empfindlichkeitsphänomen aufzufassen. So z. B. die bei Diabetes so
oft beobachtete Furunkulose, bei der der Zusammenhang zwischen der
diathetischen Stoffwechselanomalie und der Hautkrankheit besonders
zutage tritt.
Redner faßt seine Ausführungen dahin zusammen: Bei arthritischer
Diathese ist die Widerstandskraft der Haut herabgesetzt.
Mendelssohn (Paris), Zur Frage des Arthritismus in Frank¬
reich. Der Vortrag gibt eine Übersicht über die Auffassung französischer
Ärzte über Diathese. Die Erblichkeit spielt die Hauptrolle bei der Ent¬
stehung des Arthritismus; zum Arthritiker wird man geboren. Die Krank¬
heit setzt einen minderwertigen Organismus voraus, findet sich in jeden
Lebensalter, jedoch vorwiegend in den späteren Lebensjahren. Un¬
mäßigkeit, Überernährung, mangelnde Körperbewegung sowie nervöse
Überanstrengung sind nur Gelegenheitsursachen, haben aber naturgemäß
ein umso leichteres Spiel, je stärker die Disposition ausgeprägt ist. Der
ererbte Arthritismus kann unter Umständen das ganze Leben über latent
bleiben, bis er bei gewissen Gelegenheitsursachen plötzlich zum Vorschein
komm!
Über die Natur und das Wesen des Arthritismus gilt zurzeit die
Hypothese Boucliard’s als die herrschende: Die Diathese ist ein krank¬
haftes Temperament oder verlangsamte Ernährung. Durch diese Ver¬
langsamung entsteht eine Übersäuerung des Blutes und der Gewebs¬
flüssigkeiten, was aus dem Nachweis überflüssiger Harnsäure im Blut
und manchen Organen gefolgert wird. Die klinischen Formen sind sehr
mannigfaltig und die Symptome sehr polymorph. Der ganze arthritische
Zustand schwankt oft auf der Grenze von Normalem und Abnormen
und pendelt während des ganzen Lebens zwischen diesen beiden. „Das
Leben des Arthritikers ist oft auch seine Krankengeschichte k . Zurzeit
steht in der französischen Klinik fest, daß die Gruppe Arthritismus vor
allem aus der dystrophischen Trias: Gicht, Fettsucht und Diabetes be¬
steht; diesen schließen sich in sekundärer Weise Gallen- und Nieren¬
koliken, sowie nervöse Erscheinungen an. Der sogenannnte Neuro-
Arthritismus soll in der Ätiologie eine wichtige Rolle spielen.
Linser (Tübingen), Über die therapeutische Verwendung
von normalem menschlichen Serum. Mit dem subkutan oder intra¬
venös injizierten Serum normaler Schwangerer hat L. Urtikaria und
Kinderekzem mit gutem Erfolg behandelt, und zwar rezidivierte Fälle,
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28. Kongreß für innere Medizin.
461
die sich bisher jeder Therapie gegenüber negativ verhalten hatten. Auch
bei 5 Jahre lang bestehenden Pemphigus vulgaris, sowie bei chronischem
Erysipel sah Redner Heilung durch die genannten Injektionen.
Pick (Prag), Über Vererbung von Krankheiten. Redner
knüpft an die Mendel’ sehen Gesetze über Pflanzen Vererbung an und
demonstriert Vererbungsstammbäume, aus denen hervorgeht, daß sich
bei verschiedenen Mißbildungen (wie Haaranomalien) und Krankheiten
(Diabetes, ■ Augennervenerkrankung, Hämophilie), die bisher unerklärlichen
Vererbungsregeln wohl auch beim Menschen den Mendel’schen Ge¬
setzen folgen.
Armstrong (London), Die Radiumbehandlung der Stoff¬
wechselerkrankungen. Redner will durch Radiumemanation Nephritis
und Diabetes günstig beeinflussen dadurch, daß er durch die Radium¬
wirkung einmal den Eiweißgehalt und bei Diabetes den Zucker- und
Azetongehalt herabsetzt.
Haussen, Olav (Kristiania), Bericht über 55 Bluttransfusionen
bei Anämie. H. empfiehlt auf Grund seiner guten Erfolge die Blut¬
transfusion bei perniziöser Anämie.
In der sich an die bisher behandelten Themata anschließenden Dis¬
kussion macht zunächst Wein traud (Wiesbaden), auf dieTätigkeit der Niere
bei der Diathese aufmerksam, Umber (Altona) betont die Wichtigkeit
des Experimentes in der Diathesenfrage und verweist auf seine vor¬
jährigen Ausführungen. Die nephritischen Gichtiker retinieren weniger
Harnsäure, die Niere kann also nicht das ausschlaggebende Organ sein.
Otfried Müller (Tübingen), bestätigt die Linser’schen Angaben.
Bornstein (Leipzig), weist auf die Bedeutung des Alkohols als Diathesen-
schaffer hin. Kraft (Weißer Hirsch), glaubt, daß die einseitige Luxus-
konsumption eine Rolle zur Begünstigung der Diathesenentwicklung
dadurch spiele, daß ein Mangel an Mineralsalzen gegenüber einer Über¬
produktion an Säure im Körper entsteht. Löwenthal (Braunschweig),
kritisiert die Ausführungen Armstrongs und bezweifelt den günstigen
Einfluß der Radiumemanation auf Eiweiß- und Zuckerausscheidung, während
Lippert (Wiesbaden) die Angaben Armstrongs auf Grund eigener
Erfahrungen bestätigt; ebenso Reicher (Berliu), der mit Wohlgemuth
die glykolytisch-fermentlösende Wirkung im Emanatorium fesgestellt hat.
Umber (Altona), kann die Emanationswirkung durch Trinkkur bei
Diabetikern nicht bestätigen. His (Berlin), wendet sich ebenfalls gegen
die Ausführungen Armstrongs und bedauert, daß die Debatte nichts
zur Einigung der verschiedenen Diathesengruppen auf ätiologischer Basis
ergeben hat, indem er seine Mahnung, hierauf das Hauptaugenmerk in
der Diathesenfrage zu richten, dringend wiederholt.
Friedrich von Müller (München), Zur physikalischen Dia¬
gnostik. M. wünscht eine genauere Definition für die verschiedenen
Atinungsgeräusche unter Berücksichtigung der Tonhöhe. Der Eigenton
tier Lunge ist weit tiefer als die höheren Bronchial- und klingenden
Rasselgeräusche.
Päßler (Dresden), Das Krankheitsbild der permanierendeu
Tonsilleninfektion und seine Behandlung. Redner teilt das
Krankheitsbild in 3 Gruppen: 1. Tonsilleninfektion mit nur Lokal¬
erscheinungen. Objektiv einziges Symptom: Sekret und Beteiligung
der Lymphdrüsen. 2. Tonsilleninfektion mit allgemeinen Intoxikations¬
erscheinungen: Leicht erhöhte Temperatur, Kopfschmerzen, Schlafstörungen,
Unruhe, leichte Erschöpfbarkeit. 3. Tonsilleninfektion mit sekundären
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Krone,
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Organerseheinungen, zu denen er Sepsis, chronischen Gelenkrheumatismus*,
Myotitiden, Nephritidden und eventuell auch Appendizitis und Ulcus
ventriculi rechnet.
Die Beseitigung der chronisch permanenten Tonsilleninfektion ist
nur durch Totalexstirpation möglich.
v. Krehl (Heidelberg), steht als Diskussionsredner der von P. emp-
pfohlenen Therapie bei Gelenk- und Herzaffektionen skeptisch gegenüber.
Liidke (Würzburg), Über Darstellung und Wirkungsweise
von Partialgiften im Bakterien-Protoplasma.
Donnerstag, den 20. April, vorm. 0 Uhr.
Al brecht (Oeynhausen), Uber einseitige Druckänderung der
Lungenluft als Hilfsmittel für Diagnose und Therapie von
Herzerkrankungen. A. läßt sowohl verdünnte wie komprimierte Luft
ein- oder ausatmen, je nach der Beschaffenheit der Herzstörungen; er
hat auf diese Weise nicht nur Atmnngsstörungcn günstig beeinflussen
können, sondern auch die gestörte Herztätigkeit.
In der Diskussion berichtet Kuhn (Biebrich) über ähnlich gute
Erfahrungen, die er mit seiner Saugmaske gemacht hat. Mit der Unter-
druckatmung durch die Saugniaske verstärkt sich der physiologische Ein¬
fluß der Atmung auf die Zirkulation. Gerhard (Basel) hat experimentell
ähnliche Versuche wie Al brecht mit gutem Erfolge gemacht.
Hering (Prag), Die niouotope und heterotope Automatie
des Herzens. Mit Hilfe des Elektrokardiogramms läßt sich der Ur¬
sprung der Erregung des Herzes feststellen.
Fleischmann (Berlin), Die Erregbarkeit der Herznerven
bei kröpfigen und Schilddrüsen losen Tieren. Die Versuche an
kröpflgen und schilddrüsenlosen Tieren ergaben bei ersteren gesteigerte
Erregbarkeit, bei letzteren Puls Verlangsamung. Der scheinbare Wider¬
spruch zwischen Klinik und Tierexperiment besteht nach dem Ergebnis
der Untersuchungen nicht zu Recht.
Sperling (Birkenwerder), Uber Widerstände im Zirkulations¬
system und deren Beziehung zum Blutdrucke und zur Ent¬
stehung und Unterhaltung von Krankheiten. Die physiologischen
Widerstände im Kreislauf, die sich der Herzarbeit entgegensetzen, er¬
höhen sich unter pathologischen Verhältnissen. Durch die dadurch be¬
dingte Mehrarbeit des Herzens zur Überwindung dieser Widerstände
tritt eine allmähliche Insuffizienz des Herzens ein. Die Blutdruckmessung
vermag zahlenmäßig diese Widerstände anzugeben. Reder macht dann
noch besonders auf die Wichtigkeit der Verdauungsorgane als Wider¬
stand aufmerksam (Fettsucht, Verdauungsstörungen).
Hoke (Prag-Franzensbad) — Rihl (Prag), Experimentelle Unter¬
suchungen über die Beeinflussung der K reisl auf Organe und
der Atmung durch das Salvarsan. E>er Einfluß auf die Zirkulation
kennzeichnet sich in einer Drucksenkung, wobei nicht das Herz die alleinige
Ursache ist, sondern eine Verengerung des Gefäßtonus. Die Einwirkung
auf die Atmung zeigt sich in einer Dyspnoe. Die Wirkung ist eine
einfache Arsenwirkung.
Magnus-Levi (Berlin), Über die Haferkur bei Diabetes,
v. Noorden hat zuerst gefunden, daß der Hafer bei Diabetikern günstig
auf die Verminderung der Zuckerausscheidung wirkt. Es war bisher im
wesentlichen unerklärt, ob der erreichte Erfolg auf Eigenschaften der
Haferstärke beruhe, oder oh in der Hafergrütze ein besonderer Stoff
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28. Kongreß für innere Medizin.
463
enthalten sei, der die gute Verwertung des Zuckers herbeiführt. Man
hat an fermentartige Wirkungen gedacht, die vielleicht die innere Sekretion
der Bauchspeicheldrüse anregen. Das Vorhandensein eines solchen, die
Verwertung der Haferstärke begünstigenden Stoffes, hat Redner durch
Anreicheruugsversuche vergeblich zu finden gesucht. Andererseits hat
er Versuche mit reiner Haferstärke, die von allen anderen möglicher¬
weise wirksamen Stoffen des Haferkornes getrennt war, gemacht und
konnte zeigen, daß diese reine Haferstärke die gleichen günstigen Wirkungen
entfaltete wie die übliche Haferkost, sowohl in bezug auf die Zucker¬
ausscheidung, das Absinken der Übersäuerung des Blutes, wie der
Hebung des Allgemeinbefindens usw. Damit glaubt Redner erwiesen zu
haben, daß der günstige Erfolg der Haferkur tatsächlich auf einem ab¬
weichenden Bau der Haferstärke beruht. Mit diesen theoretischen Fest¬
stellungen ist zugleich die Möglichkeit gegeben, die Haferkur praktisch
nach verschiedenen Richtungen hin auszubauen und so das Los mancher
Diabetiker weiter zu erleichtern.
In der sehr lebhaften Diskussion teilt zunächst Biirker (Tübingen)
Beobachtungen über Oxydation des Traubenzuckers unter Einfluß des
Hafers mit, Blum (Straßburg) hob hervor, daß er mit Weizenmehl die
gleich guten Erfahrungen gemacht habe; er ist daher der Ansicht, daß
die einleitende Hungerkur die Hauptrolle spiele. Ebenso kann sieh
Grund (Halle) den Ausführungen von Magnus-Levi auf Grund seiner
Untersuchungen nicht anschließen, auch er hat mit Weizenmehl ähnliche
Erfahrungen gemacht. Auch Lüthje (Kiel) nimmt keine spezifische
Wirkung der Haferstärke an und warnt besonders vor einer kritiklosen
Anwendung der Haferkur, die er nur auf gewisse Fälle beschränkt
wissen will- Falta (Wien) macht auf das Heruntergehen der Azeton-
ausscheidung bei Haferkur aufmerksam und nimmt eine zpezifische Wirkung
des Hafers an. His (Berlin) nimmt eine vermittelnde Stellung ein, indem
er hervorhob, daß manche Fälle zweifellos auf Hafer besser reagieren
als auf andere Stärkesorten; er hält die Wirkungsweise für eine kombinierte.
Kaufmann (Wildungen) betont, daß man den Hafer nicht gleichzeitig
mit Kohlehydraten oder mit Fleisch und Eiern verabfolgen dürfe, da
dadurch nach v. Noorden die Zuckerausscheidung außerordentlich ge¬
steigert wird. Zwischen der Verabreichung von Hafer und anderen
Nahrungsmitteln müssen stets 2—3 Stunden liegen. A. Schmidt (Halle)
macht auf die Verschiedenheit der Aufsaugungsvorgänge der einzelnen
Stärkesorten im Darm aufmerksam; er führt sie auf die verschiedene
Größe der Stärkekörner zurück.
Im großen und ganzen wurde der unverkennbar günstige Einfluß
des Hafers bei der Ernährung des Diabetikers anerkannt und die Fort¬
setzung der Versuche in dieser Richtung als notwendig betrachtet.
von den Velden (Düsseldorf), Untersuchungen zum Stoffaus¬
tausch zwischen Blut und Gewebe. Redner konnte nachweisen, daß
durch lokale Kälte- oder Hitzeapplikationen, sowie durch adstringierende
Medikamente, auch wenn sie nur auf einen engbegrenzten Hautbezirk
aufgebracht waren, eine starke Fernwirkung im Sinne einer erhöhten
Gerinnbarkeit des Blutes ausgeübt werden kann. Er nimmt au, daß in
den Geweben ein gerinnungsbeförderndes Moment gelagert ist, das man
durch die genannten Applikationen in den Kreislauf hineinziehen kann.
Morawitz (Freiburg), Klinisches und Experimentelles über
Eisentherapie. M. hat die Reiztheorie — Anreizung der Hämoglobin¬
bildung durch Eisen — bei Chlorose einer Nachprüfung unterzogen und
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Krone, 28. Kongreß für innere Medizin.
zwar an Chlorotischen ohne typischen Blutbefund. Dabei hat er die
anreizende Wirkung auf das Knochenmark nicht feststellen können und
kommt daher zu dem Ergebnis: der Angriffspunkt des Eisens ist nicht
primär in den blutbildenden Organen zu suchen.
Gerhardt (Basel) bezweifelt als Diskussionsredner, daß die von M.
bezeichneten und beobachteten Fälle Chlorosefälle waren, er ist der An¬
sicht, daß es sich um latente Tuberkulose gehandelt hat.
KQniger (Erlangen), Über Pleuritiswirkung und Pleuritis-
behandlung. Die Tuberkulose, die sich im Anschluß an eine primäre
Pleuritis entwickelt, nimmt fast durchweg einen gutartigen Verlauf, weil
die Pleuritis einen heilkräftigen Einfluß auf den Verlauf der Tuberkulose
ausübt. Die Ruhigstellung der Lunge ist nicht der alleinige Grund
hierfür, denn zwischen Größe des Exsudates und Verlauf der Tuber¬
kulose ist keine Gesetzmäßigkeit festzustellen. Redner führt den Grund
auf chemische Beeinflussungen zurück und nimmt an, daß solche aus
dem Rippenfellexsudat günstig auf die Tuberkulose wirken. Er schließt
dies auch aus der günstigen Einwirkung der Autoserotherapie, d. h. eines
Verfahrens, bei welchem das Rippenfellexsudat des Kranken ihm selbst
wieder unter die Haut eingespritzt wird.
Stäubli (Basel-St. Moritz), Zur Pathologie und Therapie des
Asthma bronchiale. Die Ursache des Asthma ist eine konstitutionelle
Veranlagung; das krisenauslösende Moment ist die Psyche*. Klimatische
Verhältnisse im Hochgebirge spielen insofern eine Sonderrolle, weil bei
den Eingeborenen des Hochgebirges das Asthma unbekannt ist und
jugendliche Asthmatiker aus dem Tiefland oft schon uach wenigen Tagen
ihre Asthmakrisen ganz verlieren.
Diesing (Trebschen), Tuberkulose und Stoffwechsel. Eine
zu schnelle Verbrennung im Organismus sieht Redner als Ursache der
Tuberkulose an und empfiehlt den Schwefel als verbrennungshemmendes
Mittel in der Behandlung aller Formen der Tuberkulose.
Bacmeister (Freiburg), Experimentelle Lungenspitzen-
Tuberkulose. Redner hat experimentell dadurch, daß er die beim
Menschen durch die erste Rippe bedingte Raumbeengung und die da¬
durch hervorgerufene Zirkulations- und Ernährungsstörung bei Tieren
künstlich herstellte, den Bew’eis der Freund’schen Annahme einer mecha¬
nischen Disposition der Spitzen tuberkulöse erbracht. Er belegt seine
Angaben durch wohlgelungene Demonstrationen und glaubt durch seine
Experimente einen wesentlichen Beitrag zur Lehre der Ätiologie der
Tuberkulose erbracht zu haben; die Infektion geschieht nach seinen
Beobachtungen auf hämogenem, nicht auf ärogenem Wege.
Bruns (Marburg), Ausschaltung einzelner Lungenlappen zu
therapeutischen Zwecken. B. hat durch Unterbindung der Pulmonalis
einzelne Lungenlappen ausgeschaltet. Durch das Ergebnis seiner Ver¬
suche hat er zunächst die Annahme bestätigt gefunden, daß die durch
Atelektase eintretenden Veränderungen durch eine Blutarmut des
atelektatischen Gewebes bedingt sind. Als therapeutische Y\ irkung er¬
gab sich dann: Stockung der Lymphzirkulation durch Ruhigstellung
und dadurch Verhinderung der Weiterverbreitung des Krankheitsstoffes.
Der Lungenlappen wird trocken und verarmt an Sauerstoff, beides wirkt
hindernd auf das Wachstum der Tuberkelbazillen.
Diskussion zu den 5 vorgenannten Vorträgen: Jessen (Davos),
die Kompression der Lungen muß eine vollständige sein (artifizieller
Pneumothorax), die teilweise Kompression verschlechtert eher den Zustand.
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Siegfried Lissau, Die Heißluftbehandlung des akuten Gichtanfalles. 465
Rothschild (Soden i. T.) hat bei unstillbarer Hämoptoe durch künst¬
lichen Pneumothorax einen eklatanten Erfolg erzielt. A Schmidt (Halle)
hält den erniedrigten Sauerstoff für das wirksame in der Höhenluft bei
der Asthmatherapie. Zuelz er (Berlin) dagegen glaubt, daß dem niedrigen
Luftdruck der Löwenanteil beizumessen sei. Schöppner (Reichenhall)
will das Asthma als ein Symptom, nicht als eine Krankheit sui generis
angesehen wissen. Stintzing (Jena) bemängelt den von Königer
gebrauchten Ausdruck: primäre Pleuritis, er wünscht Zufügung eines
ätiologischen Adjektivs, da viele Pleuritiden von den Tonsillen ausgehen.
Bürgi (Bern), Uber die Wirkung von Arzneigemischen mit
besonderer Berücksichtigung der Diuretika. Bei Arzneigemischen
wird ein einfacher Additionsaffekt erzielt, wenn Arzneien der gleichen
Gruppe, d. h. solche, die den gleichen pharmakologischen Angriffspunkt
haben, gemischt werden. Bei Mischung solcher Arzneimittel, die ver¬
schiedene pharmakologische Angriffspunkte haben, entsteht ein Poten¬
zierungseffekt.
Hohlweg (Gießen), Uber die Bedeutung des Reststickstoffes
für die Nephritis und Urämie. Bei allen tödlich verlaufenden
Nephritiden konnte ausnahmslos eine Erhöhung des Reststickstoffes nach-
gewiesen werden, gleichgültig, ob urämische Zustände zu beobachten
waren oder nicht. Bei chronisch verlaufenden Nephritiden war diese
Erhöhung des Reststickstoffes dagegen nicht vorhanden. Der Anstieg
des Reststickstoffes ist für Urämie also nicht spezifisch. Für die Stellung
der Prognose gibt der Reststickstoff insofern eine Handhabe, weil er
als ein Zeichen für die Insuffizienz der Niere gelten kann.
St epp (Gießen),Fütterungs versuche mit lipoidfreier Nahrung.
Ohm (Berlin), Zur Lehre vom Venenpuls.
Loeb (Göttingen), Die pharmakologische Beeinflussung des
Sinus am Warmblüterherzen.
Stüber (Freiburg), Experimentelle Studien über die Gefä߬
wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion.
Christen (Bern), Die Stauungskurve des Pulses und das
Energie prob lern.
Strubell (Dresden), Uber opsonische Immunität.
(Schluß folgt).
Die Heißluftbehandlung des akuten Gichtanfalles.
Von M. U. Dr. Siegfried Lissau, Prag.
In der modernen Therapie nimmt die physikalische Behandlung
täglich an Einfluß zu. Gleichen Schritt mit dieser Entwicklung hält
die therapeutische Technik, welche den Schatz unserer physikalisch-
therapeutischen Behelfe in den letzten Jahren ganz bedeutend vermehrt
hat. Insbesondere die Thermotherapie hat ein reiches Inventar an Appa¬
raten und Hilfsmitteln aufzuweisen und in der Spannungsreihe von
Kalt bis Heiß gibt es ebensoviele Abstufungen als dazugehörige Behelfe.
Man braucht nur vom Eisbeutel ausgehend, über die Leiter’schen Kühl¬
schlangen, den Arzberger sehen Mastdarmkühler zum Prießnitz’schen
Umschläge und von diesem, gewissermaßen dem Nullpunkt unserer
Skala, aufwärtssteigend zum Kataplasma Leiievre, dem Thermophor
und endlich zum Heißluftkasten überzugehen und man wird gestehen,
daß schon diese oberflächliche Musterung von der Reichhaltigkeit unserer
thermo-therapeutischen Vorrichtungen genügend Zeugnis ablegt. In
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466 Siegfried Lissau, Die Heißluftbehandlung des akuten Uichtanfalles.
neuerer Zeit hat sich insbesondere die aktive Hyperämisierung mittelst
heißer Luft ein weites Feld in der Therapie erobert. In dieser Hinsicht
haben namentlich die Arbeiten von Bier und seinen Schülern, sowie die
durch ihn eingeführten Anschauungen über aktive und passive
Hyperämie neue Bahnen erschlossen. Das vornehmste und häufigst
angewandte Mittel zur Erzeugung der aktiven Hyperämie der Haut
ist wohl heutzutage der Heißluftapparat in seinen verschiedenen
Formen. Einen wesentlichen Fortschritt auf diesem Gebiete repräsen¬
tiert der durch Elektrizität geheizte Heißluftapparat mit Anschluß
an Gleich- oder Wechselstrom. Ich benütze seit etwa Jahresfrist den
Elektrotherm 1 ) (System Dr. Lindemann), welcher, sehr handlich
und sauber im Gebrauch, alle Nachteile eines mit Spiritus oder Gas
geheizten Apparates vermissen läßt, hingegen die Vorteile des elektri¬
schen Betriebes in jeder Richtung bietet.
Unter den Erkrankungen des Bewegungsapparates ist es besonders
der chronische Gelenkrheumatismus, welcher das größte Kontingent
der zur Heißluftbehandlung geeigneten Fälle stellt. Diese ist noch
ziemlich jungen Datums. Noch im Jahr 1898 sagt Lenhartz (Hand¬
buch der Therapie innerer Krankheiten von Penzoldt und Stintzing,
2. Aufl.) bei Besprechung des chronischen Gelenkrheumatismus folgen¬
des: „ Behandlung mit heißer Luft. Diese zuerst von Tallerman
empfohlene Methode ist noch nicht, genügend erprobt, um ein endgültiges
Urteil zu erlauben. Was ich selbst davon bei der Anwendung des Ver¬
fahrens in meinem Krankenhause gesehen habe, kann unbedingt zur
Fortsetzung ermuntern. Die Kranken ertragen hohe Wärmegrade bis
120° und 140° und erreichen nicht nur Nachlaß der Schmerzen, sondern
auffällig gebesserte Beweglichkeit in den vorher steifen Gelenken.
Heute, nach 12 Jahren, sind die Meinungen darüber einig, daß wir im
Heißluftverfahren ein mächtiges therapeutisches Agens besitzen, wel¬
ches uns bei den verschiedensten Gelenkerkrankungen wertvolle Dienste
leistet.
Eine besondere Stellung nimmt die thermische Beeinflussung im
therapeutischen Sinne beim akuten uratischen Gichtanfall ein. So wie
überall in der Heilkunst, findet man auch hier die Anwendung von
„Warm“ und „Kalt“ beinahe in gleicher Weise vertreten. Ich erinnere
nur an Thermophor und Kataplasma einerseits, die kühlende Bleiwasser¬
kompresse andererseits. Das sind individualisierende Details, welche
sich nach dem Einzelfalle und seinem individuellen Verhalten richten.
Aber im ganzen und großen scheint doch von altersher die Anwendung
der Wärme einen breiteren Baum einzunehmen als die der Kälte.
Pfeiffer in Wiesbaden warnt direkt vor der Kälte in Form von Eis
beuteln und Eisumschlägen, „da diese nicht nur durch Erfrierung in den
ödematös geschwollenen Teilen nekrotische Prozesse mit ihren Folgen:
Tophi- und Uratablagerungen, erzeugen, sondern auch direkt zur Bildung
von Niederschlägen von doppeltharnsaurem. Natron Veranlassung geben
können. Aus den Lösungen der Harnsäure in Alkalien schlägt sich durch
Abkühlung nämlich sehr leicht doppelthamsaures Natron nieder. Es
ist allerdings nicht zu leugnen, daß manche Gichtkranke von der An¬
wendung des Eises augenblicklichen guten Erfolg haben, doch darf
dieser augenblickliche gute Erfolg nicht verführen, das gc_ähnliche
*) Zu beziehen von der Firma Jakob Schneider, Berlin-Friedenau, Rubenß-
straße 15.
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3. Leo, Wiener Brief.
467
Mittel der Kälte zu empfehlen.“ Hiermit ist wohl deutlich gesagt, daß
man von der Kälte beim akuten Gichtanfall nichts Gutes zu erwarten
hat und der Wärme der Vorzug gebührt. Wenn auch hier und da die
Kälte rein symptomatisch durch Linderung des Schmerzes günstig zu
wirken scheint, was aber gewiß zu den Ausnahmen gehören dürfte,
so muß andererseits dem gesunden Menschenverstand einleuchten, daß
das Lösungsvermögen der Wärme als auch die den Stoffumsatz steigernde
Hyperämie, welche die Wärme begleitet, ätiologisch von eminentem Ein¬
flüsse auf die gichtischen Ausscheidungen sein müsse.
Als Beispiel für das eben Vorgebrachte will ich folgenden Fall
aus der Praxis anführen:
70jähriger rüstiger Herr von blühendem Aussehen, nie krank
gewesen, hatte vor zwei Jahren den ersten Anfall von Podagra. Die
Schmerzen und die Schwellung gingen damals unter Anwendung von
Ichthyol [und Burow’scher Lösung äußerlich, sowie Urizedin innerlich,
langsam zurück, bis die schließliche Anwendung warmer Bäder die
Heilung beschleunigte und zum Abschluß brachte. Am 5. Januar 1910
des Nachts abermals typischer Gichtanfall mit Schmerzen in der großen
Zehe, Schwellung des Metakarpo-Interphalangealgelenkes, starker Rö¬
tung der Haut. Am nächsten Morgen bietet der befallene Teil (das
typische Bild dar: Die ganze ergriffene Partie geschwollen, im Be¬
reiche derselben die Haut glänzend gespannt, hyperämisch, gegenüber
dem leisesten Druck sehr empfindlich. Der Vorschrift vieler Autoren
gedenkend, welche die Ruhigstellung des erkrankten Körperteiles im
akuten Gichtanfall verpönen und eher für mäßige Bewegung sind,
bescliied ich den Patienten poch am selben Tage zu mir in die Ordi¬
nation, was sich um so leichter durchführen ließ, als derselbe in meiner
nächsten Nähe wohnt. Auf den Stock gestützt, im Kommodschuh, er¬
schien der Patient bei (mir. Ich applizierte ihm ein Heißluftbad im
„Elektrotherm“ (20 Minuten bis zu einer Temperatur von 105° mit
gleichzeitiger Lichtschaltung). Unmittelbar nach dem Bad fühlte sich
Patient erleichtert und konnte ietwas kräftiger auftreten. Am Abend
waren die Schmerzen bereits minimal, am nächsten Morgen vollständig
geschwunden, die Schwellung stark zurückgegangen, ebenso die Rötung.
Nach einem weiteren Heißluftbad war Patient am nächsten Tage her¬
gestellt und konnte seinem Beruf im vollen Umfang nachgehen. Ich
kann daher nach dieser und anderen Erfahrungen der Heißluftbehandlung
der arthritischen Affektionen und besonders der akuten Gicht nur das
beste Zeugnis ausstellen.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von Dr. S. Leo.
Prof. Haberda sprach über die Ursachen und den Nachweis
des gewaltsamen Todes. In der Mehrzahl der Fälle ist die Ent¬
scheidung, ob ein natürlicher oder gewaltsamer Tod vorliegt, sehr leicht,
dennoch gibt es Fälle, in denen Täuschung möglich ist. Es kann sein,
daß jemand im Gehen, Stehen, auf dem Pferde sitzend, auf einem Gerüst
arbeitend, plötzlich stirbt und im Zusammen brechen sich Wunden schlägt,
ja selbst Schädelbrüche und Zerreißungen innerer Organe erleidet, die
als Ursache des Todes angesehen werden. Nur genaueste, unvoreinge¬
nommene Sektion kann den wahren Sachverhalt aufklären. Recht schwierig
kann die Entscheidung sein, ob spontane oder traumatische Hirnblutung
den Tod verursacht hat. Besonders leicht können Vergiftungen vorge-
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S. Leo,
täuscht werden, wenn der Tod im Anschlüsse an eine Mahlzeit auftrat.
Die dem Exitus unmittelbar vorausgegangenen Krankheitserscheinungen
festigen manchmal den Verdacht, ohne daß sie etwas beweisen. So
können z. B. Erbrechen, Krämpfe und Bewußtlosigkeit auch bei einer
rasch tödlich gewordenen Nephritis auftreten, die nicht selten zum plötzlichen
Tod führt Bei im Bette tot aufgefundenen Säuglingen, an denen sich
fast ausnahmslos akute Bronchitis oder Darmkatarrh als Todesursache
nachweisen hißt, können die Umstände des Todes den Verdacht zufälliger
gewaltsamer Erstickung verursachen, wenn z. B. die Kinder mit den Er¬
wachsenen in demselben Bett schlafen, oder, vom Bettzeug völlig zuge¬
deckt, aufgefunden wurden. Erfolgte das Absterben in Bauchlage, so
wird die besondere Verteilung der Totenflecke und die durch Hypostase
bedingte Blaufärbung des Gesichtes leicht zur Vermutung gewaltsamer
Erstickung führen, besonders wenn der Befund von Ecchymosen an den
Schleimhäuten und an den seröseu Häuten, wie dies leider noch immer
geschieht, als Beweis der gewaltsamen Erstickung angenommen wird.
Aber auch beim natürlichen Tode sind solche Befunde, wenn auch oft
recht unscheinbar und wenig auffallend, bei darauf gerichtetem Suchen
nachweisbar. Auch bei Leichen neugeborener Kinder, die anderwärts
gefunden wurden, können Mißdeutungen der Sektionsbefunde unterlaufen.
Abgesehen davon, daß die Effekte des Geburtstraumas (Blutungen
in die Schädeldecken und zwischen die Hirnhäute sowie in die Kopf¬
nicker) zur Annahme gewaltsamen Todes führen können, werden auch
recht oft die Zeichen einer durch intrauterine Asphyxie bedingten Schädi-
dung des Kindes übersehen. Der Obduzent darf nie den gewaltsamen
Tod eines Neugeborenen behaupten, wenn er nicht in zuverlässiger Weise
eine tödliche Geburtsschädigung — also den natürlichen Tod — ausge¬
schlossen hat. Die sog. Zeichen der Erstickung werden überschätzt, da
sie sich fast vollständig mit jenen decken, die den raschen, ohne Agonie
eingetretenen Tod anzeigen. Erstickung darf nur angenommen werden,
wenn auch die Ursache der Erstickung festgestellt ist. Auch Tod durch
Verblutung kann vorgetäuscht werden, besonders in faulen Leichen, denn
putride Fäulnis führt immer zur Ausblutung der Leiche. Überhaupt
erschwert die Fäulnis den exakten anatomischen Nachweis der Todes¬
ursache, besonders bei Wasserleichen. Da kann am ehesten der mikro¬
skopische Nachweis korpuskulärer Fremdkörper im linken Vorhof des
Herzens, die von den Lungen aus in die Blutbahn gelangt sind, zur
Feststellung des Ertrinkungstodes führen. Auf der anderen Seite kommt
es vor, daß gewaltsame Tötung übersehen und nicht erkannt wird. Tod
durch Luftembolie bei mechanischer Fruchtabtreibung mittels Ein¬
spritzungen in die Gebärmutter kann sich dem Nachweise entziehen,
wenn die Sektion der Leiche nicht von vornherein auf diesen Nachweis
eingerichtet ist. Auch Shoktod,Tod durch reine Hirnerschütterung, durch
Fettembolie und besonders Vergiftungstod können verkannt werden,
letzterer dann, wenn ein Gift zur Wirkung kam, das keine grobanatomische
Veränderung setzt, wie dies für Alkaloide gilt, oder wenn der Befund
unscheinbar ist und sich wie z. B. bei der Blausäurevergiftung oder der
akuten Alkoholvergiftung, i_ur durch seinen besonderen Geruch kund
gibt. Bei Vergiftungen durch Kohlenoxydgas oder durch Atzgifte liegen
charakteristische Veränderungen vor. Atzwirkung kann allerdings auch
durch agonale und kadaveröse Veränderungen an der Schleimhaut der
Schlingorgane und des Magens, vorgetäuscht werden. (Verein der Arzte
in Ober-Osterreich.)
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Wiener Brief.
469
Siegm. Erben stellt einen hysterischen Tänzerkrampf vor.
Im Sitzen merkt man nichts. Wenn der Pat. die Sprunggelenke bewegen
will, wind ein Klonus der Wadenmuskeln lebendig, der beim Sistieren
der beabsichtigten Bewegung wieder ruhig wird. So wie er sicli erhebt,
wird er zum unfreiwilligen Tänzer; dabei werden die Muskeln der Beine
hart, ihr Relief springt vor, Schweiß tritt auf, sein Puls erreicht sogleich
140 in der Minute und eine Tachypnoe von 45 stellt sich ein. Entlastet
man seine Wadenmuskeln durch eine Rumpfbeugung (die Körperschwere
fällt dann statt in die Ferse in den Großzehenballen), so hat der Klonus
freieres Spiel und das Tanzen wird zum grotesken Springen, wobei der
Pat. auch hinfallen kann. Ruhiger wird das Bild beim Gehen, in Hüften
und Knien herrscht da geordnete Funktion, nur in den Sprunggelenken
gibt es Abweichungen. Er kann nur mit den Fußspitzen auftreten und
der Gastroknemiusklonus produziert bei jedesmaligem Aufsetzen des
Fußes das hörbare Schleppern, bis endlich die volle Belastung des Stand¬
beines den Krampf überwältigt. Beide Beine zeigen Anästhesie, an der
Leistenbeuge geradlinig abschließend. Es handelt sich also um inter¬
mittierende Krämpfe eines Hysterischen; rhythmisch sind sie im Gegen¬
sätze zu den häufigeren arhytmischen Krämpfen der Hysterischen von
der Art der Chorea und der zwangsweisen Gesten. Dasselbe Bild wie
Erben haben Füratner und Nonne beschrieben und als „pseudospastische
Parese mit Tremor nach Trauma“ bezeichnet. Nonne bezeichnet den
Zustand als unheilbar, bei dem Patienten E’s. wurden die Kloni schwächer
und schließlich nicht mehr hinderlich bei leichteren Arbeiten. Von der
Schüttellähmung unterscheidet sich dieser Schütteltremor — Oppen¬
heim nennt ihn Pseudoparalysis agitans — durch das Fehlen von Kon¬
trakturen bei passiven Bewegungen und durch die intentionelle Steigerung
des Schütteins. Vom alkoholischen Tremor ist der „Sclnitteltremor“
dadurch unterschieden, daß letzterer besonders die unteren Extremitäten
betrifft, die Zitterbewegungen grobschlächtig und langsam sind, keine
Steigerung in den Morgenstunden besteht und Alkoholabstinenz keinen
hemmenden Einfluß übt. Schuster (Berlin) sagt, daß alle bisher be¬
schriebenen Fälle von Schütteltremor für Simulanten gehalten wurden.
Gegen diesen Verdacht spricht der anfängliche Schweißausbruch, und
die ungewöhnliche Tachykardie; auch spricht es gegen die Logik des
Simulanten, daß er mit der Fußspitze auftritt, während es leichter wäre,
mit voll aufgesetzter Sohle das starke Zittern hervorzubringen. Wie in
den meisten bisher beschriebenen Fällen, findet als sich auslösende Ursache
für den Schüttelkrampf ein schweres Trauma. Hysterisch wurde der
Pat. durch chronischen Alkoholmißbrauch — toxische Hysterie. Schon
zweimal war er durch Monate wegen chronischen Abusus und Tentamen
suicidii in der Irrenanstalt (Steinhof). Das Trauma bestand darin, daß
er durch Erde verschüttet und erst nach mehrstündiger Arbeit aus seinem
Grabe befreit wurde. Die rettende Feuerwehr labte ihn mit einer Flasche
Kognak. In derselben Nacht begann sein Schütteln. Solche Krämpfe
sind imstande, bei anderen hysterisch Disponierten infektiös zu
wirken. (K. k. Gesellschaft der Arzte.)
O. Schindler spricht über die „Behandlung des Xanthelasma
mit Radium“. Ira April 1910 nahm Sch. bei einer Pat., die an ausge¬
breiteten Xanthelasmen der Lider beider Augen litt und deshalb mehrfach
operiert wurde (wonach aber stets in der Nachbarschaft der Operations¬
narben Rezidiven auftraten), einen Xanthemherd in Behandlung. Es
wurde die betreffende Partie probeweise in einer Sitzung durch 15 Minuten
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S. Leo,
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mit 25 mg reinem Radiumbromid bestrahlt. Als sich die Pat. im Oktober
wieder vorstellte, war der betreffende Herd vollständig geschwunden.
Bei dem Sohne der Pat., der auch an Xanthem litt, nahm Sch? dieselbe
Prozedur vor. Es kommt nach intensiven Röntgen- und manchmal auch
nach Radiumbestrahlungen zu Hautatrophien und Telangiektasien. Da
aber die Xanthelasmen durch relativ geringe Dosen zum Schwinden ge¬
bracht werden können, sind hier Telangiektasien kaum zu befürchten.
Sollten sie aber doch einmal auftreten, so kann man sie durch Elektrolyse
zur Verödung bringen. Sch. stellt weiter eine Frau vor, die er wegen
Ulcus rodens der linken Stirnseite mit Radium (hohe Dosen) behandelt
hatte. Er erzielte eine hervorragend schöne Narbe. Zum Schutze des
Bulbus bei Radiumbestrahlung der Augenlider gibt Sch. einen ca. 3 mm
dicken, der Oberfläche des Bulbus angepaßten Bleispatel an, der zwischen
das behandelte Augenlid und den Augapfel eingeschoben wird. Der
Spatel ist mit einer dünnen Kautschukschicht überzogen, die den Bulbus
eventuell gefährdenden Sekundärstrahlen absorbiert. (Ophthalmologischc
Gesellschaft in Wien.)
Hecht und R. Köhler sprechen über Asepsis. Die Vortragenden
haben das Instrumentarium, das Naht- und Verbandmaterial der Klinik
v. Eiseiberg untersucht. Durch Sterilisieren im Dampf und durch
Kochen kann absolute Keimfreiheit erzielt werden. Milzbrandbazillen
z. B. werden durch 12 Minuten langes Kochen getötet. Zum Sterilisieren
von Gipsverbänden kann dem Gips Sublimat zugesetzt werden; ein
solcher Gips erstarrt etwas langsamer. Ein Auskochen von Instrumenten
durch eine halbe Minute genügt nicht zur Sterilisation. Die vor der
Operation zurechtgelegten Instrumente wiesen bei der Untersuchung
manchmal Luftkeime auf; es empfiehlt sich daher, die Instrumente kurz
vor der Operation auszukochen und mit einem sterilen Tuch zu bedecken.
Nach der Operation sind die im sterilen Bereiche benützten Instrumente
steril, in anderen Fällen mit den im Operationsfelde vorkommenden
Keimen infiziert. Empfehlenswert ist ein elektrischer Auskochapparat
zum raschen Sterilisieren der Instrumente während der Operation.
Apparate, die nicht ausgekocht werden können, werden durch 24stündige
Formoldesinfektion keimfrei. Das Nahtmaterial wird durch eine halbe
Stunde in einer Sublimatlösung 1:200 ausgekocht und in Sublimatalkohol
aufbewahrt. Die Hautdesinfektion wird an der Klinik in der WeLe
vorgenommen, daß der Operateur die Hände zweimal 5 Minuten lang
mit heißem Wasser und Seife bürstet, die Nägel reinigt, hierauf mit
Alkohol wäscht, mit Sublimatlösung abspült, abtrocknet und Operations¬
handschuhe anlegt. Durch die Waschung mit heißem Wasser und Seife
wird die Epidermis gelockert und es werden aus der Tiefe derselben
Keime nach oben gebracht; es empfiehlt sich daher, diese Waschung nur
ungefähr 3—4 Minuten vorzunehmen. Bei der Waschung mit Alkohol
durch 3 Minuten werden die Keime rasch vermindert. Die an der Haut
vorkommenden Keime sind meist Staphylokokken, Bakterien der Koli-
gruppe und grampositive Stäbchen, diese namentlich unter dem Nagelraum;
Staphylokokken finden sich fast nie. Absolute Keimfreiheit der Haut
ist nicht zu erzielen, daher ist die Verwendung von Gummihandschuhen,
die keimfrei gemacht werden können, empfehlenswert. Mundmasken aus
vier Mullagen halten alle Keime aus dem Munde und der Nase des
Operateurs zurück. Die Vorbehandlung der Haut des Pat. durch zwei¬
maliges Waschen mit Wasser und Seife, Alkoholsublimat und darauf¬
folgender Jodanstrich garantiert nicht die Keimfreiheit; letzterer macht
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Wiener Brief.
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jedoch die oberste Hautschicht steril. Um die Vorbereitungen für die
Operation abzukürzen, kann mau 1 / 8 °/ 0 ig e Sublimatlösung in 50°/ o igem
Alkohol verwenden, indem man das Operationsfeld mit derselben mittels
eines Tupfers energisch einreibt, wodurch nach einer halben Minute
Keimfreiheit erzielt werden kann. Bei der praktischen Erprobung hat
sich dieses Verfahren bewährt. Die Jodtinktur führt nicht direkt eine
Keimvermijiderung herbei, sondern sie gerbt nur die oberflächlichen
Hautschichten. Milzbrandbazillen werden selbst durch 24stündige Ein¬
wirkung der Jodtinktur nicht abgetötet. Wichtig ist die Abdeckung des
Operationsfeldes durch sterile trockene Tücher. Bezüglich der Verbreitung
der Keime durch die Luft kommt die Tröpfchen- und die Staubinfektion
in Betracht. Letztere hat für den Chirurgen eine geringere Bedeutung;
sie wird jedoch dort wichtig, wo eine Verstaubung septischen Materials
stattfindet, daher ist eine Trennung der Operationsräume für aseptische
und septische Operationen durchzuführen und die Anzahl der dort be¬
findlichen Personen tunlichst zu beschränken. (Gesellschaft der Arzte.)
Josef Kyrie sprach über Entwicklungsstörungen der männ¬
lichen Keimdrüsen im Jugendalter: K. untersuchte bei einer großen
Zahl früh verstorbener Kinder (110) die Testikel. Man gewinnt den Ein¬
druck, daß bei chronisch verlaufenden Krankheiten, vor allen bei solchen
infektiöser Natur (Tuberkulose) fast durchweg die Unterentwicklung des
Hodens konstatierbar ist. Das in seiner ganzen Anlage unterentwickelte
Organ ist schon vorhanden, wenn das Individuum von der betreffenden
Noxe betroffen wird. Beim Alterwerden des Individuums treten die
Erscheinungen gegebenenfalls markanter zutage; es läßt dann meist
schon das makroskopische Verhalten des Organs auf die Unterentwicklung
schließen; solche Hoden sind auffallend klein und derb in der Konsistenz,
wiederholt wurden Hoden von acht- bis zehnjährigen und älteren Knaben
konserviert, die bezüglich der Größe kaum die Maße des normalen Hodens
eines Neugeborenen überschreiten. Bei der großen Wichtigkeit der Keim¬
drüsen für den gesamten Organismus muß man annehmen, daß Störungen
in dem normalen Verhalten ungünstige Rückwirkungen auf den Gesamt¬
zustand auslösen. Solche Individuen sind gegenüber Individuen mit
normalen Organen minderwertig. Man kann sich vorstellen, daß Kinder
desgleichen Lebensalters und derselben Bevölkerungsklasse in einer be¬
stimmten Gegend so ziemlich den gleichen Schädlichkeiten ausgesetzt
sind; entwickelte, widerstandsfähige Individuen überstehen leichter die
gelegentlich vorkommenden Infektionen als gleichalterige unentwickelte;
daher erliegen die minderwertigen Kinder oft Infektionen, die normale
kaum treffen. Es findet also eine Art Selektion statt, durch die minder¬
wertige Individuen früh ausgeschaltet werden. (Gesellschaft für innere
Medizin.) _
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Kühnemann, (Straßburg), Über Kapselbildung beim Typhusbazillus.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 6.) Im Serum junger Tiere (Kaninchen)
bildet der Typhusbazillus Kapseln, als Ausdruck einer Schutzvorrichtung
gegenüber den antibakteriellen Eigenschaften des Serums. Bei jungen Tieren
besitzt das Serum geringe Schutzwdrkung und somit findet keine Schädi¬
gung der Vitalität des Mikroorganismus statt. Der Bazillus erzeugt infolge
der Reizwirkung des Serums eine Kapsel. Schürmann.
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Referate und Besprechungen.
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v. Loghem (Amsterdam), Über den Unterschied zwischen El Tor- und
Choleravibrionen, (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 4.) Versuche mit Pep¬
ton-Fleischwasserkulturen, z!u denen man eine sterile Aufschwemmung von
roten Ziegenblutkörperchen gegeben hat, zeigen, daß die El Tor-Stämme
in kurzer Zeit die Blutkörperchen hämolytieren, während die frischen Cho-
lerastämme sie intakt zu lassen scheinen. Ähnliche Versuche wurden ange¬
stellt mit Hammelblut, dem man etwas destilliertes Wasser zugesetzt hatte.
Diese rote Flüssigkeit wurde zu Peptonfleischwasser gesetzt. Choleravibrio¬
nen zeigen nach längerem Wachstum ein Oelbwerden des Nährmediums,
während El Torvibrionen nur ein leichtes Rotwerden des Mediums bedingen!
Schür mann.
Kühnemann (Straßburg), Zur Identifizierung des Bazillus faecalis
alealigenes. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 5.) Mittelst der von K. modi¬
fizierten Methode zur Darstellung von Geißeln bei Bakterien ist festgestellt
worden, daß der Bacillus faecalis alealigenes stets nur die Geißeln polar
trägt, daß also auf diesem Wege der Darstellung eine Unterscheidung von
den peritriden Typhusbazillen möglich geworden ist. Schürinann.
Guerrini (Mailand), Über die sogenannte Toxizität der Cestoden. (Zen¬
tralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 6.) Verfasser stellte aus Cestoden ein Nukleo-
proteid dar, das nach Injektion bei den Versuchstieren keinerlei Erschei¬
nungen auslöste. Es besitzt also das Nukleoproteid der Cestoden keine
Giftwirkung. Schürmann.}
Innere Medizin.
Livierato (Genua), Weiteres über die Magensaftanaphylaxie. (Zentral¬
blatt für Bakt., Bd. 57, H. 5.) Verfasser betrachtet die durch den Magensaft
der Magenkrebskranken hervorgerufene anaphylaktische Reaktion als für das
Magenkarzinom streng spezifisch. Die Reaktion ist nach seiner Ansicht
auf die Produkte der biochemischen Sekretion der Geschwulst und auf die
Zellprodukte der Geschwulst selbst im Magen zurückzuführen, „indem der
Magensaft selbst in minimaler Dosis, das Eintreten von anaphylaktischen
Erscheinungen bei den Tieren zu bewirken vermochte, die durch ein analoges
Gewebe (Mammakarzinom) sensibel gemacht waren“'. Schürmann.
G. Kobler (Sarajevo), Über die bei Obstipation auftretende Albuminurie
und Zylindrurie. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 15, 1910.) Bei zahlreichen
Patienten, die an mehr oder minder heftiger Obstipation litten, hat der
Verf. beobachtet, daß im Urin sowohl Eiweiß wie auch hyaline Zylinder
auftraten. Auch Harnzylihder ohne Eiweiß sind bei Obstipierten nicht
selten anzutreffen. Zur Erklärung dieses auffälligen Vorganges nimmt er
an, daß nervöse, reflektorische Vorgänge vasomotorischer Natur eine kurz¬
dauernde Ernährungsstörung der Nierenepithelien bedingen. Durch Tier¬
experimente ist es gelungen, jene klinische Tatsache zu bestätigen. Nach
Verschluß der Anal Öffnung ließ sich bei den Versuchstieren die Entstehung
hyaliner Zylinder ohne die geringsten Spuren von Eiweiß beobachten. Die
Tatsache ist beachtenswert und klinisch jedenfalls nicht unwichtig. In der
Praxis wird die Berücksichtigung der Darmverhältnisse manche Korrektur
der verhängnisvollen Diagnose Nephritis zur Folge haben. — Der Vorgang
selbst erinnert an die Albuminurie bei inkarzerierten Hernien, die
den Chirurgen seit ca. zwei Dezennien vertraut ist, auch die fugal'e
und die abdominell palpatorische Albuminurie .(Jul. Schreiber)
könnte vielleicht zur Deutung des seltsamen Phänomens herangezogen wer¬
den. (Ref.) Steyerthal-Kleinen.
F. Schilling (Leipzig). Die nervöse Diarrhöe. (Wiener klin. Rundschau,
Nr. 48, 1910.) Der Ausdruck nervöse DiaTrhöe (Trousseau), oder besser
gesagt psychogene Diarrhöe sollte derjenigen Art von Durchfällen Vor¬
behalten bleiben, die im Anschluß an ein psychisches Trauma bzw T . an eine
intensive Geistes- oder Gemütsevolution entstehen. Weder die sogen. Er-
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Referate und Besprechungen.
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kältungsdiarrhöen noch auch die toxischen oder endlich die kritischen Durch¬
fälle der Tabiker gehören hierher. — Charakteristisch ist für das Leiden,
daß bei Personen, deren Darm gesund ist, unter psychischen Emotionen
plötzlich eine größere oder geringer^ Zahl von dünnen Stuhlgängen,
5—10—15 etwa, unter lebhaftem Drang, Poltern, Gasabgang und Leibschmerzen
eintritt. Bei den meisten Fällen handelt es sich um reizbare Naturen mit ge¬
steigerten Reflexen. Der Anfall entsteht infolge starker Erregung der Nerven,
welche Motilität und Sekretion einleiten. An ein „Hineinschwitzen“ in den
Darm glaubt der Verf. nicht. — Die Behandlung muß in erster Linie eine
psyehiscdie sein. Irritative Naturen bedürfen einer diätetischen und physi¬
kalischen Allgemeinbehandlung. Neben Luftkuren, Trinkkuren, Gymnastik
u. a. empfiehlt ßch. die Dusche bei aufgehobenem Leibe im Halbbade. Ebenso
kommen Einpackungen, kühle Brausen oder Wechselduschen (35—20° C) in
Betracht. Steyerthal-Kleinen.
Merkurien (Charkoff), Die Wassermann’sche Reaktion bei Typhus und
Lepra. (Russki Wratsch* Nr. 27, 1910.) An einer größeren Reihe von
Patienten mit Lepra und Typhus wurde die Wassermann’sche Reaktion ge¬
prüft. Sie war b*ei Leprösen, speziell bei jenen, die die tuberöse Form auf-
wiesen. in der Mehrzahl der Fälle positiv, bei allen Typhuskranken negativ.
Schieß (Marienbad).
B. Buxbaum (Wien), Die Bäderbehandlung des Typhus. (Allg. Wiener
med. Ztg., Nr. 1, 1911.) Fehlerquellen, Mißverständnissen und Übertreibungen
gegenüber, die bei der Bäderbehandlung fieberhafter Infektionskrankheiten,
speziell des Typhus, noch vielfach vorkopimen, betont Buxbaum, daß der
thermische Heiz stets mit einem mechanischen, d. h. mit Frottieren im
Bade, verbunden werden muß. Die Haut muß Reaktion zeigen, d. h. rot
werden. Die Anfangstemperatur soll im allgemeinen 31—32° C betragen
und langsam heruntergehen, nur bei Innervations- und Zirkulationsstörungen
sind kältere lind kürzere Prozeduren angezeigt. Ferner ist die früher von
Einzelnen erhobene Forderung von 12—16 Bädern täglich durchaus zu ver¬
werfen. nicht die Temperaturherabsetzung ist die Hauptsache, sondern die
Besserung der ungleichen Wärmeverteilung, der Zirkulation und Innervation,
des Komas. Dementsprechend sind die Bäder je nach dem Auftreten dieser
Störungen zu verordnen, also 2 bis höchstens 3 Halbbäder täglich zu
geben. Zwischendurch können zur Erhaltung des Resultats 1—2stündlich
zu wechselnde Stammumschläge appliziert werden.
Die als Ersatz der Bäder empfohlenen Abreibungen und Einpackungen
sind als technische Variationen ein und desselben thermo-mechanischen Reizes
aufzufassen. Esch.
A. Caro (Berlin), Digitalis und Herzhypertrophie. (Inaugural-Disser¬
tation, Berlin, März 1910.) Die Zeiten sind vorüber, in welchen Doktor¬
dissertationen zu den Kabinettstücken der medizinischen Literatur gehörten;
indessen, es werden doch immer noch gelegentlich interessante und brauch¬
bare geschrieben. Dazu gehört die von Caro. Er hat die alte, unentschiedene
Frage wieder aufgenommen, ob fortgesetzte Digitaliszufuhr eine Hypertrophie
des Herzens bewirke, und indem er das Verhältnis des Herzgewichtes zu dem
der anderen inneren Organe, namentlich des Gehirns, verglich, kam er dazu,
diese Frage zu bejahen. Kumulative Erscheinungen wurden nicht beobachtet,
auch keine Veränderungen an den Gefäßen.
An den übrigen Organen fand sich keine Gewichtszunahme. Die Digi¬
talis wirkte somit elektiv auf das Herz bzw. auf dessen Muskulatur. Gerade
deswegen weil die anderen Organe keine oder nur spärliche Muskelfasern usw.
besitzen, eben darin liegt der Grund, daß sie sich nicht sichtbar veränderten.
Es ist aber nicht einzusehen, warum die elektive Wirkung der Digitalis sich
nur auf die kontraktile Substanz des Herzens beschränken soll. Kontraktions-
fähigkeit gehört schließlich als eine Grundfunktion des Lebens jeder Zelle
an; sic tritt uns in den systolischen und diastolischen Volumschwankungen
an Leber, Milz, Nieren, Gehirn usw. deutlich erkennbar gegenüber; im Myokard
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Referate und Besprechungen.
ist sie nur so stark ausgebildet, differenziert und hypertrophiert, daß sie uns
mikro- und makroskopisch sinnfällig wird. Wir werden mithin im Geiste
Caro’s Ausführungen erweitern und die Annahme wagen, daß die Digitalis
anregend auf die kontraktile Punktion bzw. Substanz unseres Organismus
wirkt, daß diese anregende Wirkung hauptsächlich am Herzmuskel, in welchem
sich die kontraktile Substanz gewissermaßen massiert, in die Erscheinung
tritt, daß sie aber auch an den übrigen Organen sich äußern muß, wofür ja
mancherlei Beobachtungen sprechen. I
Die prophylaktische Digitalisbehandlung zur Hebung des ganzen proto¬
plasmatischen Betriebs, zur Erhöhung des sog. Tonus findet in solchen Be¬
trachtungen ihre Berechtigung. Buttersack (BerlinK
A. Heincke, über Beziehungen des renalen Ödems zur Arteriosklerose.
(Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 196, S. 313, 1909.) Die Ausführungen
des Verf. gründen sich hauptsächlich auf die genaue Untersuchung eines Falles
von chronischer Glomerulonephritis mit schwerer Atherosklerose der Extremi¬
tätenarterien. Es handelte sich um ein chronisches Nierenleiden bei einem
29jährigen Mädchen, das sich im Anschluß aai eine eitrige Bursitis entwickelt
und mit akuter Affekiton der Glomeruli und des Kanälchenepithels be¬
gonnen hatte. Nachdem ein halbes Jahr lang das Bild der chronisch hydro-
pischen Nierenkrankiieit bestanden hatte, stiegen die bis dahin geringen Harn¬
mengen, zugleich mitSinken des Eiweißgehaltes, und die Ödeme verschwanden all¬
mählich völlig. Dieses klinischeBild des Überganges inSchrumpfniere wurde wäh^
rend der letzten, 4 Monate des Lebens beobachtet. Die Nieren waren von etwa,
normaler Größe, zeigten histologisch das Bild der beginnenden Schrumpfung:
die Rinde von narbigen Herden durchsetzt, beginnende Verödung der Glomeruli,
Schwund der Kanälchen. Die kleinsten Organarterien zeigten nicht die ge¬
ringsten arteriosklerotischen Veränderungen, auch die mittleren und größeren
Organarterien zeigten keine nennenswerten Veränderungen; im Gegensatz dazu
stand die enorme Veränderung der Intima der großen und mittleren Arterien
der Extremitäten mit weitgehender regressiver Metamorphose. Obwohl also im
Laufe von 14 Monaten an diesen Arterien sieh eine sehr hochgradige Arterio¬
sklerose entwickelt hatte, sind die kleinsten Organarterien völlig frei ge¬
blieben. Verf. glaubt danach, daß zwischen chronischer renaler Ödembildung
und dem Auftreten der Arteriosklerose bei Nierenkrankheiten Beziehungen der¬
art bestehen, daß die mit langdauernder Hydropsbildung einhergehenden Nieren¬
affektionen in kurzer Zeit zu besonders schweren und ausgedehnten sklero¬
tischen Arterienveränderungen führen.
In dieser Annahme wurde er durch das Ergebnis anderer Untersuchungen
bei Schrumpfnierenkranken jugendlichen Alters bestärkt. Trotz enormer Steige¬
rung des Blutdruckes bei diesen Kranken fand er entweder gar keine oder nur
ganz geringe arteriosklerotische Veränderungen an den großen und mittleren
Arterien. Bei keinem dieser Kranken hatte ein chronisch-hydropisches Vor¬
stadium bestanden. Dagegen fand sich bei einem anderen Falle von chronisch-
hydropischem, Nierenleiden nach 15 Monate dauernder Krankheit schwere
Sklerose der großen und mittleren Arterien mit ausgedehnter regressiver
Metamorphose, dabei wieder völliges Freibleiben der kleinsten Organarterien.
Es steht das Gefäßsystem bei den chronisch-hydropischen Nierenkrankheiten
zweifellos unter gewissen schädigenden Einflüssen, deren- Wirkung in der
Neigung zur Ödembildung zutage tritt. Neben der Blutdrucksteigeriuig kom¬
men für die Genese der Arteriosklerose bei chronischem renalen Hydrops
sicher noch toxische Schädigungen in Betracht. W. Risel (Zwickau).
Gabr. Delamare, Eine Pockenepidemie im XX. Jahrhundert. (La Trib.
med., Nr. 51, S. 805—807, 1910.) Uns Deutsche mutet die Nachricht von einer
Pockenepidemie wie ein Märchen aus fernen Zeiten oder fernen Landen an.
Und doch hat sich eine solche vom 29. Januar bis 22. März .1910 in Paris,
der Ville lumiere, abgespielt. Allzu heftig hat sie freilich nicht gewütet:
sic ergriff nur 42 Personen. Aber darunter 9 Todesfälle, will doch reichlich
viel erscheinen. Wesentlich Neues hat die Epidemie, die sich im großen
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Referate und Besprechungen.
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Ganzen auf das XVIII. Arrondissement, beschränkte, nicht gebracht. Be¬
merkenswert ist, daß von den 42 Erkrankten 34 Frauen, 7 Männer und
1 Kind war. Das rührt daher, daß die männlichen Individuen in der Schule
und beim Militär nochmals geimpft werden; die Frauen entgehen in den
Klosterschulen diesem Zwang. Von den 34 waren die meisten Wäscherinnen
und Wirtschafterinnen in häuslichen Betrieben. Buttersack (Berlin).
Tedeschi u. Napolikani (Parma), Experimentelle Untersuchungen über
die Ätiologie des „Sommerfiebers“. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 57, H. 3.) Im
Potale beobachtet man eine durch den Stich eines Zweiflüglers vermittelte
Erkrankung ,,das Sommerfieber“ (Pappatazifieber) genannt. Untersuchungen
ergaben, daß es sich um «ein filtrierbares Virus handelt; denn Injektion
filtrierten Serums löste bei Mensch und Aff© die gleichen Krankheits¬
symptome aus, wie sie beim Sommerfieber beobachtet werden.
Schürmann.
R. Kienböck (Wien). Radiotherapie der tuberkulösen Lymphome. (Arch.
für phys. Med. u. med. Technik, Bd. 5, II. 4, S. 246—260, 1911; Verlag von
O. Nemnich-Leipzig.) Zu den relativ spärlichen Mitteilungen über die Heil¬
wirkung der Radiotherapie auf tuberkulöse Lymphome fügt Kienböck einige
neue hinzu. Daraus geht hervor, daß sowohl lokal beschränkte Lymphome
wie allgemeine Lymphomatöse (Pseudoleukämie) sich — wenn nicht ganz, so
doch teilweise beseitigen lassen, vorausgesetzt, daß harte Röhren mit maxi¬
maler Oberflächendose verwendet werden. "Man darf ferner die zu behandelnde
Region nicht eng abdecken, sondern muß auch die evtl, im Umkreis liegenden,
noch nicht nachweisbaren Lymphome treffen. In der gleichen Weise sind
alle nachweisbaren Drüsen und suspekten Regionen zu bestrahlen; die Finsen¬
behandlung des Lupus gelingt mitunter erst nach radiologischer Beseitigung
der zugehörigen Lymphdrüsen.
Im Hinblick auf das kosmetische Resultat und darauf, daß die strahlende
Energie auch solche kleine Herde trifft, welche dem Messer des Chirurgen ent¬
gehen, verdient diese Methode alle Beachtung. Lymphome in Brust- und
Bauchhöhle sind von Röntgenstrahlen allerdings auch nur schwer erreichbar,
aber immer noch besser als auf chirurgischem Wege. Buttersack (Berlin).
Karl Grube (Bonn), Neuere Ansichten und Anschauungen über das
Wesen des Diabetes mellitus. (Reichs-Med.-Anz., Nr. 29, 1910.) Die Auf¬
fassung des Diabetes mellitus als einer Neurose, d. h. als hervorgehend aus
einer noch unbekannten Schädigung des Nervensystems, erklärt verschiedene
Erscheinungen der Krankheit am einfachsten. Einmal die Wirkung psy¬
chischer Einflüsse, dann das so häufige familiäre Auftreten der Krankheit
und seine Vererbbarkeit. Wir müssen dann auch eine scharfe Trennung
machen zwischen dem eigentlichen Diabetes mellitus und den verschiedenen
vorübergehenden Glykosurien, die durch die verschiedensten Giftstoffe her¬
vorgerufen werden. Daneben kommen auch Fälle von echtem Diabetes vor,
denen eine organische Schädigung des Nervensystems vorliegt. Auch die
alimentäre Glykosurie findet bei dieser Theorie ihre Erklärung. Die nervöse
Schwäche ist bereits angedeutet, aber sie bleibt latent, außer wenn eine Über¬
lastung des Stoffwechsels durch zu starke Inanspruchnahme der den Kohle¬
hydratwechsel versorgenden Organe und dadurch ihrer nervösen Zentren
eintritt. Der Unterschied zwischen der alimentären Glykosurie und dem
echten Diabetes ist nur ein quantitativer, kein qualitativer. Die Personen,
die eine Neigung zur ersteren haben, sind stets der Gefahr ausgesetzt, einen
echten Diabetes zu bekommen. S. Leo.
Der Kampf gegen die Pest in Bombay. (Med. Blätter, Ther. Zentral-
blatt, Nr. 11, 1910.) Das Gesundheitsamt in Bombay hat seit einigen Jahren
einen systematischen Kampf gegen die Ratten als Wirte des Pestbazillus
organisiert. Die Krankheit forderte in den letzten 14 Jahren mehr als
160000 Opfer, die höchste Ziffer wurde im Jahre 1903 mit 20788. die nied¬
rigste mit 5197 im Jahre 1909 erreicht. Dieser Rückgang der Sterblichkeit
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Referate und Besprechungen.
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ist hauptsächlich dem Feldzug gegen die Ratten zuzuschreiben. Nicht
weniger als 432658 Ratten wurden in den letzten Jahren getötet, von denen
91540 untersucht und 9000 als pestbehaftet befunden wurden. Der Krieg
mit den Ratten beginnt mit der Herrichtung des Köders; das sind kleine
Brotstticke, die mit einem im städtischen Laboratorium bereiteten Gift be¬
strichen, und in Zucker getaucht werden. Außer diesen Ködern sind nocli
7000 Fallen im täglichen Gebrauch, in denen Brotstücke, Kokosnüsse oder
andere Leckerbissen die Ratten anlocken. Auf diese Weise werden täglich
1800—2000 Ratten gefangen. Die Fallen werden jedesmal nach dem Gebrauch
sorgfältig gewaschen und desinfiziert. Jeder Bediensteter des Gesundheits¬
amtes erhält ein bestimmtes Häuserviertel zugewiesen, in dem er das Legen
der Fallen und Köder besorgt, und zwar bekommt er 300 Köder, die er
zwischen 5 und 7 Uhr nachmittags an den richtigen Stellen verteilt. Am
nächsten Morgen zwischen 6 und 8 Uhr sucht er wieder die Köder zusammen,
sammelt die toten Ratten und liefert die nichtbenutzten Köder im Amte
wieder ab. Bei den einzelnen Ratten wird genau die Nummer des Hauses
und die Örtlichkeit, wo sie gefunden wurde, aufnotiert, und der Ratte bei-
gefiigt, die dann in einer Zinnbüchse zur Untersuchung dem Laboratorium
eingeschickt wird. Wenn das Tier pestkrank befunden wird, so wird sogleich
eine Desinfektion des Hauses vorgenommen, und die Insassen des Hauses in
ein bereitstehendes Lager übergeführt. S. Leo.
W. A. Donskon, Splenomegalia cum cirrhosi hepatis atrophica. (Ka¬
sanski Medizinski Journal, Juni 1910.) Es wird die Ansicht vertreten, daß
der sog. Morbus banti nicht als selbständige Krankheit zu betrachten ist.
Schieß (Marienbild).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Br. Bosse u. WI. Eliasberg, Der Dämmerschlaf oder die Morphinskopo-
lamin-Mischnarkose in ihrer Anwendung bei Entbindungen und Operationen.
(Volkmann’s Sammlg. klin. Vortr. 599/601: Gyn. 215/217, 1910.) Verff.
empfehlen auf Grund ihrer Erfahrungen den Dämmerschlaf dem praktischen
Arzt zur Anwendung in der Geburtshilfe. Es werde bei Kreißenden zweier¬
lei erreicht: Herabsetzung des perzipierten Schmerzes und Auslöschung der
Erinnerung an diesen verringerten Schmerz. Was die Empfehlung erst prak¬
tisch wichtig macht, ist, daß sich die Verff. nicht an die zwar sehr feine,
aber auch sehr nmständliche, in der Praxis eben nicht durchführbare, auf
permanenter Überwachung und Prüfung der Merkfähigkeit beruhenden
Methode von Gauß gehalten haben, sondern sie haben sich an ein be¬
stimmtes Schema gehalten und die Überwachung der Kreißenden dem
niederen Hilfspersonal überlassen, ohne je etwas Schlimmes dabei erlebt zu
haben. Verwendet wurden ausschließlich frische, d. h. höchstens 24 Stun¬
den alte, selbstbereitete Lösungen des Merck'schen Skopolamins. Eine
1 ccm-Spritze enthielt 0,0003 Skopolamin und 0,01 Morphium. Die erste
Spritze wurde verabfolgt, wenn die Wehen deutlich und in regelmäßiger
Folge auftraten, frühestens bei fünfzigpfennigstückgroßem Muttermund. Die
zweite Spritze wurde nach 50 Minuten gegeben. Eine dritte, aber nur
halbe Spritze ca. 2 1 / 2 —3 Stunden später, wenn das überhaupt nötig war.
Bei protahierten Geburten wurde alle 3—4—5 Stunden je 1 / 2 Spritze
injiziert, sobald die Wehensehmerzen anfingen, lästig zu werden. In diesen
Fällen wurde also dann individualisiert, und es sei möglich, daß man bei den
späteren Spritzen vielleicht mit Vorteil das Morphium ganz weglassen oder
einschränken könne. — Im übrigen wurde zwar für Ruhe in der Umgebung
gesorgt, es wurden aber weder Brillen noch Antiphone angewendet. Nie
konnte an den 122 Fällen (darunter 119 Erstgebärende) eine Verzögerung der
Geburt nachgewiesen werden. Auch bei lange Zeit unterhaltenem Dämmer¬
schlaf bot das Befinden der Kreißenden nie Anlaß zu Besorgnis. In rund
10% ergaben sich Versager. In rund 20% der Fälle wurde subjektive
Schmerzlinderung erreicht, in 70% auch objektive. Tiefer Schlaf bis zur
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vollkommenen Amnesie trat in rund 30% ein. Daß gerade das nicht öfter
der Fall war. dürfte seinen Grund in der Art der Klientel haben, die in der
..Heimstätte 1 ' eine Zuflucht findet: fast nur unehelich geschwängerte Erst¬
gebärende. Im Privathause habe man in dieser Beziehung noch bessere
Resultate zu erwarten. Aber alle Gebärenden waren trotzdem des Lobes
und Dankes voll über die Geburtserleichterung, die ihnen geschafft worden
war. — An die besonders bei Personen mit leicht erregbarem Nervensystem!
oft auf tretenden Gesichts- und Gehörshalluzinationen, an das Irrereden müsse
sich Arzt Und Umgebung gewöhnen. — Von den geringfügigen Neben¬
wirkungen sei das Durstgefühl zu erwähnen, wogegen man aber getrost
trinken lassen könne. In 8^/ 0 traten zeitweise leichte Exzitationen ein,
selten Schwindel und Erbrechen. — Eine ungünstige Beeinflussung der
Bauchpresse ließ sich nicht nachweisen, denn 99% der^ Kreißenden hatten
Preßwehen, nur in 3% der Fälle wurde in der dritten Geburtsperiode eine
über die Norm hinausgehende Blutung beobachtet. Die jmerperale Morbi¬
dität betrug nur 7%. Auch betr. der Kinder waren die Resultate sehr
gute. Die beobachteten Asphyxien waren lediglich die Funktion einer
langen Austreibungsperiode, welchen Satz ja schon S e i t z aufgestellt hat,
und welcher ihn zu einer Rehabilitierung der sog. Erlösungszange führte.
— Von Kontraindikationen lassen Verff. gelten: beträchtliche Stö¬
rungen des Kreislaufes, also nicht kompensierte Herzfehler, schon sehr
beträchtliche Störungen der Atmung (bei einer Anzahl manifester Tuber¬
kulosen der Lungen wurde kein Zwischenfall erlebt), ferner schwere all¬
gemeine Schwächezustände, schweres Fieber, besonders bei bestehender Somno¬
lenz; primäre und event. auch sekundäre Wehenschwäche. — Die guten Er¬
fahrungen mit Morphiumskopolamin als Vorbereitung zur Allgemein-, Lum¬
bal- und Lokalnarkose für Operationen sind dieselben wie die anderer
Autoren. R. Klien (Leipzig).
H. Reibmayr (Wien), Beitrag zur Bewertung der bakteriellen Lochien-
und Blutuntersuchung (speziell mittels des Fromme’schen Lezithinverfahrens)
für die Diagnose und Prognose puerperaler Infektionen. (Archiv für Gynäk.,
Bd. 92, H. 3, 1911.) Der Fromme’schen Behauptung, das von ihm erfundene
Lezithinverfahren gestatte, virulente von avirulenten hämolytischen Strepto¬
kokken zu unterscheiden, sind bereits eine ganze Reihe von Forschern ent¬
gegengetreten, so auch R. Das einzige, was von den Fromme’schen Resul¬
taten zu recht bestehen bleibe, sei das, daß das Lezithinverfahren auf ver¬
schiedene Streptokokkenstämme in verschiedenem Grade entwicklungshem¬
mend wirke, woran z. T. die Reaktion, das Bouillonwachstum u. a. beteiligt
seien. Diese Erscheinung sei jedoch nichts weniger als auffällig, da für
eine Reihe anderer Bakterien und anderer Stoffe analoge Erscheinungen
längst bekannt seien. Auf keinen Fall aber stehe die Entwicklungshemmung
des Lezithins in einem Kausalzusammenhang mit der klinisch beobachteten
Schwere des einzelnen Sepsisfalles. Ferner weist R. zur Kritik der Fromme¬
schen sog. abgekürzten Lezithinmethode nach, daß das direkte Einträgen
der Lochien in die Bouillon bereits schwere Fehler für die Exaktheit der
Probe in sich birgt. Denn es können dabei gleichzeitig in den Lochien vor¬
handene saprophytäre Stäbchen doch einmal die Streptokokken überwuchern.
Auch die ungleiche Konsistenz der verschiedenen Lochien müsse die Resultate
beeinflussen, sodann die verschieden große Menge der in den verschiedenen
Lochien enthaltenen Streptokokken. — Wie bei anderen Nachuntersuchern, so
vermehrten sich auch bei R. gelegentlich von den schwersten puerperalen
Sepsisfällen stammende Streptokokken in den Röhrchen mit stärkster Lezi¬
thinkonzentration. Sogar die aus dem Blute gezüchteten Streptokokken er¬
gaben nie positive Resultate im Fromm e’schen Sinn! Mithin ist die
Lezithinmethode durchaus unbrauchbar quoad Prognose und Therapie. Wir
besitzen eben noch keine Methode, den Virulenzgrad zu bestimmen, anderer¬
seits spielt dieser nicht die einzige Rolle, sondern ebenso wichtig sind die
Widerstandsfähigkeit des befallenen Organismus im allgemeinen, die lokalen
Zustände der infizierten Organe im speziellen. Letzteres ist bereits seit
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Referate und Besprechungen.
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den Versuchen von Ivoch und Petrusky bekannt. Trotz alledem spricht
R. der systematischen Lochienuntersuchung auf der S c h o 11 m ü 11 e r’seher.
Blutagarplatte nicht jeden Wert ab. So sei der Befund einer völligen oder
fast völligen Reinkultur von Streptokokken sehr ernst. Auch zeige uns die
Blutagarplatte noch andere Erreger an, wie Staphylokokken, Kolibakterien
u. a. Negativer Befund von hämolytischen Keimen im Frühwochenbett lasse
mit großer Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Wochenbett schließen. Schwere
fieberhafte Erkrankungen im Wochenbett ohne positiven Befund an hämo¬
lytischen Streptokokken werden veranlassen, auf den Fall näher einzugehen,
eine Pyelitis, ein Typhus können so entdeckt werden. Auch auf anaerobe
Keime muß dann gefahndet werden. Natürlich seien auch die von Fromme
bezüglich der Selbstinfektion gezogenen Schlußfolgerungen hinfällig.
R. Klien (Leipzig).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
L. M. Pautrier (Paris), Soll man alle Hautkrankheiten behandeln?
Bulletin medical, Nr. 8, S. 61—66, 1911.) Ein enragierter Therapeut und Der¬
matologe wird gew r iß verächtlich lächeln, wenn einer die Frage aufwirft, ob
man alle Hautkrankheiten heilen soll. Warum auch nicht? — Die Antwort
darauf gibt Pautrieä* mit dieser Lehre, daß die Haut nicht bloß ein Organ
für sich, ein Überzug über die inneren Organe ist, sondern daß sie mit diesen
in innigem Wechselverkehr steht. In der Theorie stellt das wohl keiner in
Abrede, aber in der Praxis kümmern sieh nur herzlich wenige um diese physio¬
logische Erkenntnis. Das Mikroskop, die Histiologie und die Parasitenkunde
haben die Aufmerksamkeit zu einseitig auf das Gewebe der Haut eingeengt
und jene Beziehungen ungebührlich in den Hintergrund gedrängt. Tatsächlich
gibt es jedoch eine Reihe von Affektionen der Haut, welche mit solchen ver¬
schiedener innerer Organe abwechseln, so daß mit dem Auftreten von Ver¬
änderungen hier — die Symptome dort, verschwinden. In erster Linie sind es
pruriginöse Affektionen: Ekzem, Ekzema vesico -papulosum, Pruritus mit
Ekzem und Lichenbildung, Urtikaria, seltener Psoriasis, Liehen planus und
Furunkulose, welche mit Asthma, Krisen im Nasen- und Bronchialapparat,
Magendarmstör ungen, Leberkolik, intermittierender Albuminurie, Gichtan¬
fällen, Hämorrhoiden, Migräne, Neuralgien, Krämpfen (bei Kindern) alter¬
nieren. In solchen Fällen handelt es sich also letzten Endes um eine Ano¬
malie der Gesamtkonstitution, die Veränderungen der Haut sind nur lokale
Reaktionen.
Aber kommen denn solche alternierende Lokalisationen wirklich vor? —
Den früheren Ärztegenerationen waren sie wohlbekannt; sie haben jedoch die
Sache übertrieben, und so konnten Hebra und Kaposi mit den Auswüchsen
auch den berechtigten Kern über Bord werfen. Als dann im «Anschluß an
diese bedeutenden Männer das reine Spezialistentum sich entwickelte, wurden nur
noch die lokalen Affektionen beachtet; aber wie es den Patienten weiter erging,
ob sie an Asthma, Gicht usw. erkrankten, kümmerte die Dermatologen-Spezia-
listen nicht mehr, um so weniger, da zumeist nicht unerhebliche Zeiträume
zwischen den verschiedenen Erkrankungsformen liegen. Wer aber sein Augen¬
merk darauf richtet, wird solchen ,.Alternances“ — wenn nicht gerade oft-,
so doch nicht allzuselten begegnen. Pautrier teilt drei instruktive Kranken¬
geschichten mit, in denen Prurigo mit asthmatischen und haemoptoischen
Anfällen, Erythrodermie mit Kongestionen nach den Lungen und Nieren.
Ekzem mit bronchopneumonischen und nervösen Erscheinungen (Konvulsionen :
U/'ajähriger Junge) abwechselten, und sein Lehrer Brocq hat wiederholt münd¬
lich ujid schriftlich darauf hingewiesen. Pautrier hätte auch seinen großen
Landsmann Trousseau als Kronzeuge für seine Auffassung zitieren können:
im 1. Bande seiner Clinique medicale 1865, S. 191 erzählt er von einer Dame,
deren hartnäckige und quälende Bronchitis erst verschwand, als eine Urtikaria
auftrat. Nous erümes devoir respecter une eruption sans doute fort incommode
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Blich erschau.
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et fort opiniatre, raais d’ailleurs exempte de danger“. Das ist auch Pautrier’s
Standpunkt. Aber eigentlich doch nicht so ganz. Mit den dermatologischen
Hilfsmitteln freilich geht er nicht direkt gegen die betr. Hautaffektion los;
wohl aber sucht er sie durch Umstimmung der Konstitution zu beseitigen.
Was Pautrier in seinem Aufsatze bringt, ist nicht irgendeine „vor¬
läufige Mitteilung“ oder eine Frucht der heute üblichen spezialistischen
Forschungsmethode. Sie stellt vielmehr das Ergebnis einer ganz anderen
Denkweise dar, welche den Menschen nicht ‘mehr nach Maßgabe der deskriptiven
Anatomie an die einzelnen Spezialisten verteilt, sondern die seine Unteilbar¬
keit, seine körperliche und geistige Individuitas festhält. Sie ist somit
ein wichtiger Beitrag zu dem Kampf gegen das einseitige Spezialistentum,
der sich überall erhebt, und für die Einheit, der einzelnen lebendigen Er¬
scheinungsform, also für eine Auffassung, die nicht absolut neu ist, welche
vielmehr nEptftXofu'vtuv evtauxfov wiederkehrt und dann für eine Weile siegen
wird; denn „bald schon hat. sich gedreht wieder im Kreise das Glück.“
(Tibull, Elegien I, 5.) Buttersack (Berlin,).
Die Abortiv-Behandlung der Syphilis. In der Societe de Medecine de
Paris fanden zu Anfang Januar lebhafte Diskussionen über die Methoden und
Erfolge der Abortivbehandlung der Syphilis statt. Als Ergebnis wurde ein'
stimmig diese Resolution angenommen: Der Eifer, welchen die Kliniker auf
die Ersinnung eines Abortivverfahrens verwenden, ist zwar höchst anerkennens¬
wert. und in der Tat erscheint die Hoffnung berechtigt, daß diese Be¬
mühungen einmal von Erfolg gekrönt sein werden. Allein augenblicklich
existiert noch keine zuverlässige Methode. Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Alb. Salmon (Florenz), La fonction du sommeil; Physiologie, Psychologie, Pathologie.
Paris 1910. Vigot Fröres, Editeurs. 210 S.
Den mancherlei Versuchen, das Phänomen des Schlafens zu erklären, der
Vergiftungstheorie und den psychologischen Überlegungen fügt Salmon eine neue
Theorie hinzu. Ihm ist der Schlaf ein Sekretionsprodukt analog den Tränen, dem
Samen, Magensaft, Speichel, Urin, der Milch usw.; und zwar wird diese sekretorische
Tätigkeit angeregt durch die Produkte der regressiven Metamorphose, welche sich
während des Wachens bilden. „Les döchets (du mötabolisme organique) sont
justement les Stimuli les plus propres h exciter l’activite fonctionnelle des Organes
ömonctoires et des glandes k söcrötion interne prösident h la nutrition de nos tissus“
(S. -i9). Eine große Rolle spielen dabei die Organe mit innerer Sekretion, die
Thyreoidea, die Testikel, der Fett-Stoffwechsel und hauptsächlich die Zirbeldrüse
und die Winterschlnfdrüse. Salmon stellt sich offenbar vor, daß diese Organe
irgendwelche Stoffe bilden, welche auf die Großhirnrindenzellen wirken. Diese
sind ihrerseits im Nebenamt sekretorisch tätig und produzieren infolge dieses
sekretorischen Vermögens Chromatogen und die anderen, zur eigentlichen Nerven¬
tätigkeit erforderlichen Stoffe (S. 120/121), wobei auch die Frontallappen als Organ,
welches die Beziehungen zwischen Außenwelt und Aufmerksamkeit regelt (S. 207),
schlaffördernd und -hindernd mitwirken.
So ganz traut Verf. übrigens seinen Spekulationen selber nicht; denn er
schließt mit dem Satz: .Ne nous ötonnons donc pas si le sommeil .... ne consiste
pas, lui-meme, en une fonction de söcrStion" (S. 210). Buttersack (Berlin,).
Ad. Schüfe (Freiburg i. Br.\ Wesen und Behandlung der Achylia gastrica.
Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoff¬
wechselkrankheiten Herausgegeben von Prof. Dr. A. Al hu (Berlin). Bd. 2, H. 8.
Halle a. S. 1910. Verlag von Carl M&rhold. Preis 1,20 Mk.
Die von Einhorn begründete und namentlich von Martius weiter aus-
gebaute Lehre von der Achylia gastrica gehört mit zu den neuesten Errungenschaften
der modernen Verdauungspathologie. Die Tendenz der Albu’schen Sammlung,
dem ärztlichen Praktiker keine in Fluß befindlichen, sondern nach den ersten
Stürmen der wissenschaftlichen Diskussionen abgeklärten Materien durch Spezialisten
zur Darstellung zu bringen, ist auch in dem vorliegenden Heft, das zugleich den
zweiten Band beschließt, hinreichend gewahrt. Die allgemeine Verbreitung der
Kenntnis von der Achylie in weiteren Arztekreisen ist namentlich um deswillen zu
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Bücherschau.
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wünschen, weil sie trotz ihres relativ häufigen Vorkommens nur allzu oft verkannt
und in der Mehrzahl der Fälle als Symptom des Magenkarzinoms und nicht als Krank¬
heit sui generis gedeutet wird. Verf. erörtert zunächst den Begriff der Achylie, worunter
wir ein völliges oder nahezu völliges Außer-Funktion-Setzen der Magensekretion zu
verstehen haben, um dann kurz auf den historischen Werdegang der Frage einzu-
gehen. Das volle Verständnis für den Ablauf der pathologischen Vorgänge, wie
wir sie bei der Achylie finden, hat eine Erörterung der normalen Sekretionsverhält¬
nisse des menschlichen Magens zur Voraussetzung, die Verf. ganz im Sinn der
modernen Pawlow’schen und Bickel’schen Forschungen darstellt. Wir dürfen
danach annehmen, daß während des Kauaktes und angeregt durch den Geschmacks¬
reiz der Speisen, verstärkt durch den Appetit, die Drüsen der Magenschleimhaut Salz¬
säure und Pepsin abscheiden. Direkt nach dem Eintritt der Ingesta tritt ein Auf hören
der Drüsentätigkeit ein (Latenzstadium), aber die Speisen finden hier schon einen
verdauungstüchtigen Saft vor, durch den die Chymifikation eingeleitet wird. Die
alsbald entstehenden Verdauungsprodukte werden teilweise resorbiert und regen
ihrerseits die sekretorischen (und wahrscheinlich auch die motorischen) Apparate der
Magenwand zu weiterer Tätigkeit an. Ein mechanischer Reiz kommt von seiten der
Ingesta dabei nicht in Betracht. Die im letzten Satz enthaltene Anschauung des
Verf. dürfte wohl im Hinblick auf die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen
von Schiff erheblich zu modifizieren sein. Doch muß zugegeben werden, daß gerade
in der Verdauungsphysiologie Analogieschlüsse aus dem Tierexperiment auf den
Menschen nur mit Vorsicht gezogen werden dürfen. Am Schlüsse dieses Abschnittes
gibt Verf. noch einige Anweisungen über die Methodik der Magensaftuntersuchungeu.
Mögen sie in der Praxis recht beherzigt werden. Derjenige, der gewohnt ist alle
Krankheitserscheinungen unter dem Gesichtswinkel der pathologischen Veränderungen
zu betrachten, wird darüber erstaunt sein, wie wenig wir über das pathologisch-
anatomische Substrat bei der Achylie aussagen können. Meist finden sich frische
gastritische Prozesse, jedoch kommen aucn Fälle vor, die deutliche klinische Er¬
scheinungen machen, ohne daß die Sektion den geringsten Anhaltspunkt bietet.
Streng davon zu scheiden sind die neurogenen Achylien bei Neurasthenikern, die
mehr periodische Versiegungen der Magensaftproduktion darstellen. Verf. erörtert
alsdann die klinischen Erscheinungen, Diagnostik und Therapie der Krankheit.
Zum Schluß geht Verf. auf die Frage der sog. nervösen Dyspepsie ein. Als Anhaug
sind eine Reibe diätetischer Winke und Kochrezepte beigegeben, für die wir dem
Verf. besonders dankbar sein müssen.
Eine Frage, die in engem Zusammenhang mit der Achylie steht, kommt
leider nicht zur Sprache, ich meine ihr Verhältnis zu den gastrogenen Diarrhöen.
Doch ist dies mehr Aufgabe einer für Spezialisten berechneten Darstellung. Unan¬
genehm berührt der störende Druckfehler gleich im Titel. Auch sonst sind dein
Ref. eine Reihe von Verstümmelungen bekannterer Autorennamen aufgefallen.
Die Literatur ist im allgemeinen in ausgiebiger Weise herangezogen
K. Boas (Halle a. S.)
Wolfgang Weichardt, Über Anaphylaxie. Würzburger Abhandlungen, Bd. 11, H. 1.
Wiirzburg 1910. Curt Kabitzsch (A. Stüber’s Verlag). 19 S. Pfg.
Eine Studie über die Überempfiudlichkeit im Lichte moderner eiweißchemischer
Betrachtungsweisen, aus welcher erhellt, wie die Eiweißchemie auf dem Wege ist,
in bestimmte Gebiete der Zelltätigkeit einzudringen. Buttersack (Berlin).
Zuelzer, Innere Medizin, Bd. 1. (Aus den Leitfäden der praktischen Medizin,
herausgegeben von Ph. Bockenheimer, Bd. 3.) Mit 1 Tafel und 15 Abbildungen
im Text. Leipzig 1911. Verlag von Dr. Werner Klinkliardt. 320 S. 7,50 Mk.
Das Bedürfnis nach Sammlung angesichts der enormen Zersplitterung in der
medizinischen Literatur hat den Anlaß zur Herausgabe kurzer aber möglichst voll¬
ständiger, den jeweiligen Stand der Wissenschaft und Praxis repräsentierender
Leitfäden gegeben. In dem Leitfaden der inneren Medizin ist die schwierige Auf¬
gabe, kurz aber doch wissenschaftlich und erschöpfend ein großes Gebiet der prak¬
tischen Medizin zusammenzufassen, in ausgezeichneter Weise gelöst, so daß das Buch
dem Inhalt nach weit über den Rahmen eines Leitfadens hinausgeht. Der vor¬
liegende Band ist den Infektionskrankheiten und den Krankheiten der Zirkulations¬
und Respirationsorgane gewidmet, wobei nicht zu verkennen ist, daß der Abschnitt
über Herzkrankheiten — das Spezialgebiet des Autors — mit besonderer Liebe
bearbeitet ist. Hier treten am deutlichsten die Vorzüge des Zuelzer’sclien Werkes
hervor: die klare und stets objektive Darstellung des tatsächlich Erforschten und
die gesunde Kritik gegenüber dem noch Zweifelhaften. Schiess (Marienbad).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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Digitiz
V
29. Jahrgang.
1911.
Tomcfcritt« der meflizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. £riegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
|| Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
21. I das Halbjahr.
i ===== Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
25. Mai.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Alte und neue Anstaltsküchen in den Kliniken der Universität Gießen.
Von Dr. Wilhelm Sternberg, Spezialarzt für Ernährungstherapie in Berlin.
Vom gesamten Krankenhausbau ist kein Teil so wenig gepflegt in
theoretisch-literarischer Hinsicht und in praktisch-technischer Beziehung
wie die Küche. Und doch kommen für diesen Teil gerade die viel¬
seitigsten Gesichtspunkte in Betracht. Denn für die Küche haben nicht
weniger als sechs verschiedene Fachkundige tätig einzutreten, lind zwar
noch vor der Schaffung des Grundrisses. Das sind:
1. der ärztliche Direktor,
2. der Verwaltungsdirektor,
3. der technische Küchendirektor,
4. der Baumeister
5. gemeinsam mit dem Herdfabrikanten, schließlich
6. der Fachmann der Volkswirtschaftslehre.
Nicht mit Unrecht deutet die Sprache schon die Tatsache an, daß
Küche und Kost der Teil ist, welcher der besten Bewirtschaftung be¬
darf. Denn alle Sprachen reden von gutem und schlechtem Wirt in bezug
auf Küche und Keller, von Wirtschaft schlechthin, die sich gerade auf
Beköstigung bezieht, u. a. m. In der Tat ist die Küche das Ressort, das
die größten Ausgaben erfordert. So kommt es, das es gerade der Fach¬
mann der Volkswirtschaftslehre ist, Prof. Bernhard, welcher die von
mir angeregte Zentralisierung des Einkaufs der Rohmaterialien für alle
Krankenhäuser einer Gemeinschaft lebhaft befürwortet.
Wenn es richtig ist, daß für die Küche so viele und so verschieden¬
artige fachmännische Sachverständige in Frage kommen, dann verdient
kein Teil in der ganzen Heilanstalt so hohes besonderes Interesse wie
die Küche.
Um so bemerklicher muß sich dann aber eine gewisse Zurücksetzung
dieser Materie offenbaren. In der medizinischen Literatur und in der der
Baumeister hatte man bisher die Küche weniger berücksichtigt. Jetzt
ist freilich die Kochküche durch meine wissenschaftlichen Arbeiten in
ihr Recht der wissenschaftlichen Würdigung eingesetzt. Schon schickt
man sich an, eigene dezentralisierte Diätküchen, z. B. in der Berliner
Charit^ 1 ), in der medizinischen Universitätsklinik in Halle, Straßburg u. a. m.
*) Kraus, Gedächtnisrede auf E. v. Leyden am 24. Oktober 1910 im Verein
für innere Medizin. Deutsche raed. Wochenschr., S. 2059, 3. November 1910.
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Wilhelm Sternberg,
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den großen, allgemeinen Zentralküchen anzugliedern. Der Fortschritt von
früher zu heute zeigt sich da am deutlichsten, wo an demselben Ort nahe
beieinander Neubauten neben älteren Anstalten bestehen. Das ist in
Gießen der Fall. Die medizinische und die Frauenklinik der Universität
haben einen gemeinsamen älteren Küchenbau. Die Augenklinik hin¬
gegen ist eine nach ganz neuzeitlichen Gesichtspunkten errichtete Anstalt
mit eigener Küche. _
Küche
Verwaltung
Fig. 1.
Zwischen der medizinischen Klinik und der Frauenklinik befindet
sich der selbständige beiden Anstalten angehörige Küchenbau gegenüber
dem Verwaltungsgebäude. (Fig. 1.) So liegt die Küche in nächster Nähe
zu den Krankenräumen. 4 Stufen leiten zum Kücheneingang hinauf.
Ein längerer schmaler Gang (2,60 m breit, 5,7 m lang) führt zu zwei
Türen, welche Ausgabeschalter von 50 cm Breite tragen. (Fig. 2.) Da
jegliche Heizkörper fehlen, dürfte im Winter früh morgens um 7 Uhr
für die Gravidae, die um diese Zeit das Essen holen, die Temperatur in
diesem Ausgabegang mitunter niedrig sein, zumal sie leicht gekleidet sind.
Der Schaltertisch ist 95 cm hoch vom Boden entfernt. Niedriger wäre
er bequemer, um innen die schweren Gefäße heraufzuheben und außen
herunterzunehmen.
| Eingang in die Kochküche
y \ Tür (103)
{Schalter (50) Schalter
/ \
m-*
fö
crq
00
co
H
-< 2,60 m
Fig. 2.
Die eigentliche Kochküche, welche 3—400 Menschen, Kranke und ein¬
schließlich gesunde Beamte, etwa 90 an Zahl — unter ihnen 2 Apotheker,
11 Arzte, 3 Hebeammen, 26 Schwestern u. a. m. — täglich zu beköstigen
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Alte und neue Anstaltsküchen in den Kliniken der Universität Gießen. 483
hat, läßt sofort das eine erkennen, daß, mag auch der Bau an sich kein
neuzeitlicher sein, doch die Technik der Küche eine durchaus moderne
genannt werden muß. Davon zeugt die Reichhaltigkeit des Inventars.
Dieses besteht aus einem großen Kohlenherd, einem Wärmschrank, einem
Kartoffel-Dampfkocher, zahlreichen Dampfkochkesseln für Suppe, Fleisch,
Gemüse, Milch und Kaffee, und Kipptöpfen aus Rein-Nickel, geliefert
von Gebr. Roeder in Darmstadt. (Fig. 3.) Dazu kommen die neuen
Passiermaschinen zum Sieben. Die diätetische Küche muß in dieser
Anstalt in hohem Maße geübt werden. Das beweist der Reichtum an
Haarsieben, wie ihn gewiß keine andere Anstalt auf zu'weisen hat. Denn
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Wilhelm Sternberg,
diese Anstaltsküche verfügt über nicht weniger als 15—20 Siebe. Man
geht auch mit dem Plan um, einen Standmörser (A. Bertuch, Berlin)
anzuschaffen.
Die Nebenräume (Fig. 4) der Küche sind zahlreich und geräumig:
eine Speisekammer, ein Präparierraum für die kalte Küche, zwei Gemiise-
putzräume und ein Spülraum. In diesem Spiilraum wird aber nur das
Kochgeschirr gereinigt, während das Tafelgeschirr auf der Stationsküche
gespült wird. »
Fig. 4. Küchengebäude der medizin. Universitäts-Klinik in Gießen (Erdgeschoß).
Der Eintritt in die medizinische Klinik von zwei Stockwerken (Parterre
und 1 Stock) mit 7 Tee-Küchen erfolgt so, daß man über eine kleine niedrige
Treppe von 8 Stufen Höhe zum Korridor gelangt, von da unmittelbar
zur ersten Teeküche, wenn man 4 Stufen wiederum heruntersteigt. Die
Teeküche, selbst recht groß, besitzt einen Wärmeschrank für das Geschirr
und eine Spüleinrichtung. Dicht neben dieser ersten Teeküche liegt
das Arzte- und das Schwesternkasino. Solche Annäherung der Speise¬
räume an die Küchenräume ist äußerst vorteilhaft. In nächster Nähe
befindet sich auch der Aufzug, der zu den darüber gelegenen Stations¬
küchen führt. Diese räumliche Anordnung ist gleichfalls vorteilhaft.
Doch ist der Transport über der Treppe noch schneller und leichter,
sodaß er in Wirklichkeit dem Transport mittels des Fahrstuhls vor¬
gezogen wird.
Für die Transportierung der. Küche vom Kochhaus zur Stationsküche
der inneren Klinik wurden zuerst viereckige Holzkästen von C. Maquet,
Vereinigte Fabriken G- m. b. H., Heidelberg benutzt, zwecks Auf¬
nahme der Speisebehälter. Doch erwiesen sie sich für größere Behälter
zu klein, für kleinere zu schwer. Selbst die kräftigen Burschen klagten
über die Vergrößerung der Schwere durch das Gewicht der Transport¬
kästen. Dieser Übelstand machte sich hier um so empfindlicher geltend,
als die Frauenklinik, für welche die Küche ja gleichzeitig zu sorgen hat,
über keine einzige männliche Kraft verfügt. Daher erschwerten diese
Holzkästen, sonst recht brauchbar, den Betrieb in der eigentlichen Be¬
deutung des Wortes. Der Transport konnte demnach nur langsam er-
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Alte und neue Anstaltsküchen in den Kliniken der Universität Gießen. 485
folgen. Es dürfte sich das Aluminiumgeschirr seiner Leichtigkeit wegen
empfehlen, wie ich solches (Fig. 5) von W. J. Schmitz-Iserlohn, kenne.
Speise-Transporteimer. Menage mit Tragbügel. Menage mit Trageimer.
Die Frauenklinik hat 3 Stockwerke, 8 Teeküchen, besaß aber bis vor
kurzem keine Aufzüge. Der Küchentransport ging bisher folgendermaßen
vor sich. Die Speisen wurden aus der Küche geholt, wobei wiederum die
4 Stufen aus dem Kochhaus selber zu passieren waren. In der Frauenklinik
mußten die eine Stufe außen am Haupteingang B (Fig. 1), und dann noch
innen 7 Stufen überwunden werden. Deshalb hat man jetzt den der Küche
am nächsten gelegenen Punkt A (Fig. 1) zum Transport gewählt und einen
eigenen Eingang mit besonderer Tür deswegen gebaut. Hier befindet
sich innen ein großer Wagen, den man nun in 1 — 2 Minuten etwa zu
einem großen Fahrstuhl fährt. Später will man noch den Transport
weiterhin erleichtern, indem man die Straße pflastert und auf dem
kürzesten Wege außen aus dem Kochhaus in die Klinik die Speisen
transportiert. Die Anordnung ist folgende:
außen Fahrstuhl
Die Besichtigung der alten gemeinsamen Küche liefert dem Kenner
jedenfalls die Einsicht, daß selbst im veralteten Bau die Technik der
Küche, wenn auch schwerer als im modernen Neubau, so doch nicht
minder sicher durchgeführt werden kann.
Ein Gegenstück zum Alter und Bau der Küche der beiden Kliniken
ist die neuerbaute Küche der Augenklinik. Im September 1907 be¬
zogen, ist die neue Augenklinik der Universität bereits in der Zeitschrift
für Krankenanstalten, Heft 10, 1909, von Geh. Medizinalrat Professor
Dr. Vossius 1 ) beschrieben worden: „Die neue Universitäts-Augenklinik
in Gießen“.
Die Augenklinik umfaßt ein Hauptgebäude mit 4 Teeküchen, ein
Beamtenwohnhaus mit 2 Kochküchen für Verwalter und Werkmeister
und ein Isolierhaus mit 1 Teeküche.
Die Küche für den vierstöckigen Krankenbau befindet sich hier im
Hause selber und zwar zur ebenen Erde im Souterrain (Sockelgeschoß).
Das Verwaltungsbureau, das stets mit der Küche weitgehende Beziehungen
‘) Die Heilanstalt, 25. März 1909, Nr. 6.
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Wilhelm Sternberg,
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Alte und neue Austaltskuchen in den Kliniken der Universität Gießen. 487
zu unterhalten hat, liegt in der unmittelbaren Nähe der Küche und des
Kii che nein gangs. Sonst ist fast überall das Gegenteil der Fall. Ein
besonderer Eintritt führt von der Straße zum Verwaltungsbureau. (Fig. 6.)
Dicht neben dem Tor des Verwaltungsbureaus ist der Eintritt von außen
zur Küche. Dabei hat man die vorteilhafte Einrichtung geschaffen, für die
Lieferanten einen besonderen Eingang zu bauen. Auf ein Zeichen der außen
befindlichen Glocke wird die Tür geöffnet, sodaß der Lieferant selber mit der
Kochküche nicht in direkte Berührung tritt. Das ist unverkennbar ein großer
Vorzug. Das Eingangstor für Lieferanten führt zu einem kleinen Korridor,
in dem eine Tür zur Treppe abwärts unmittelbar in den darunter gelegenen
Kartoffelkeller leitet. So können Kartoffeln aus der Stadt von der Straße
sofort an ihren Bestimmungsort der Küche direkt geschafft werden, ohne
daß irgend welcher Straßenschmutz, ja ohne daß überhaupt eine einzige
Person die eigentliche Kochküche auch bloß betreten hätte. Diese bauliche
Anordnung ist für die Anstaltsküche sehr nachahmenswert.
Eine andere Tür des Korridors gestattet den Eintritt in die
Küche. Die erste Räumlichkeit ist das Küchenbureau. Ausgezeichnet
ist das Küchenbureau durch seine ungemeine Größe: 6,97X6,61. Dieser
Vorzug verdient gleichermaßen für den Bau von neuen Anstalten
deshalb besondere Beachtung, weil das Küchenbureau, seiner Be¬
stimmung nach als Abfertigungsraum und Magazin, mitunter viele
Personen zu gleicher Zeit und oft auch noch verschiedene Waren zu ein
und derselben Zeit zu beherbergen hat. Denn das Küchenbureau dient
der Abnahme, quantitativen Prüfung und Registrierung der gelieferten
M aren, wie ich 1 ) hervorgehoben habe. In diesem Raum befindet sich
der Vorrat an Brot und zugleich ein Eisschrank. In Verbindung mit
dem Bureau steht, durch eine Tür verbunden, seitlich der Vorratsrauni
mit Flaschenspind und Vorratsschränken, also die kleine Speisekammer.
Dann schließen sich an das Bureau in direkter gerader Flucht an: zu¬
nächst der Gemüseputzraum, darauf folgt erst die Hauptküche mit einer
eigenen Kühlzelle, unmittelbar neben der Kochküche.
Die Kochkiiche selbst, welche etwa 100—120 Kranke täglich zu be¬
köstigen hat und 80—40 Gesunde, ist recht geräumig. Die Beamten haben
hier nicht eine einzige besondere Familienküche, wie dies sonst üblich ist.
Denn das Beamtenwohnhaus liegt abgesondert für sich. Als vorbildliche
und mustergültige Einrichtung ist es anzusehen, daß man hier über drei
Feuerungen verfügt: Dampf-, Gas- und Kohlenfeuerung. Dieser Luxus
verdient um so mehr Beachtung, da es sich hier bloß um ein kleines
Krankenhaus handelt und überdies um eine Anstalt für Augenkranke
und nicht etwa für Magen- und Darmkranke. Trotzdem die Kranken
hier bezüglich ihrer Ernährung doch als Gesunde anzusehen sind, hat
man auf ihre Küche dennoch eine so weitgehende Rücksicht genommen.
Die Einrichtung von Gebrüder Boeder, Darmstadt (Fig. 7), besteht aus
6 Dampfkochkesseln für Suppe (100 1), Fleisch (100 1), Gemüse (125 1),
Kartoffeln (125 1), Milch (100 1), und Kaffee (60 1) und 2 Kipptöpfen
von Rein-Nickel, 1 Kaffeemaschine, 1 Kohlenherd zum Braten und 1 Gas¬
herd, nebst 1 Wärm tisch.
Was den Hauptteil der Kochküche anlangt, die Ausgabe, so ist
diese durch einen praktisch niedrigen Schalter gebildet. Die Höhe des
Ausgabeschalters vom Fußboden beträgt 0,70 m. Der Behälter ist freilich
nicht sehr groß, entsprechend der geringen Ausdehnung der Anstalt, Das
J ) ,Reform der Krankenhausküche“. Deutsche med. Presse Nr. 7, S. 53, 1909.
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488
Wilhelm Sternberg,
Fenster des Schalters hat eine Breite von 0,80 m ohne Fensterrahmen
und 1,05 m mit Fensterrahmen gemessen. Die Tiefe des Schalters beträgt
0,80 m. Nach außen führt er auf den Korridor. Auf der gegenüber¬
liegenden Seite dieses Korridors befindet sich der Fahrstuhl, wenn auch
nicht unmittelbar der Ausgabe gegenüber gelegen, so doch in größter
Nähe zu ihr. Das, was den Fahrstuhl besonders auszeichnet und was
äußerst zu rühmen ist, das ist seine Geräumigkeit. In anderen Kranken¬
häusern habe ich stets die Winzigkeit beklagen müssen. Der Baumeister
hat meist gar keine Vorstellung von dem wirklichen Umfang der Küchen¬
gefäße und der dadurch bedingten Notwendigkeit eines recht geräumigen
.Fahrstuhls. Deshalb ist es dankbar anzuerkennen, daß auch hierin ein
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URBANÄ'-C HAfflPATGR"'*'
Alte und neue Anstaltsküchen in den Kliniken der Universität Gießen. 489
Fortschritt zu verzeichnen ist. Der Fahrstuhl ist 82 cm tief, 1,20 cm breit,
85 cm hoch.
Ebenso ist die Einrichtung recht anerkennenswert, daß das Kasino
für die Arzte und das Kasino für die Schwestern in unmittelbarste Nähe
zur Küche gerückt ist. Beide Speisesäle befinden sich am Korridor
einander gegenüber gelegen, leicht erreichbar von der Ausgabe der Koch¬
küche. Somit ergibt sich folgende rationelle Anordnung (Fig. 8).
Fig. 8.
Ganz im Hintergründe abseits von der Kochküche gelegen ist die
Spülküche, welche eine moderne Spülmaschine mit elektrischem Antrieb
besitzt.
So sehr ich im allgemeinen die Anlage der Kochküche im eigenen
Hause empfehle, so wenig darf ich doch einen Übelstand verschweigen,
der sich aus dieser Lage mitunter ergibt. Das ist der Küchengeruch.
Auch hier soll sich der Kücliengeruch mitunter störend bemerkbar machen.
Die Küche ist hier zur ebenen Erde gelegen im Sockelgeschoß. Die
Krankenräume sind parterre, 1 und 2 Treppen. Die dritte Etage kommt
nur zur Reserve in Betracht. Mitunter hat man angeblich über Küchen-
geruch in der unmittelbar über der Küche belegenen Poliklinik zu klagen,
wenn gewisse Speisen, z. B. Linsen, zubereitet werden, lind die Fenster
geöffnet sind. Doch ist dies auch von der Witterung abhängig. Durch
moderne Ventilationseinrichtungeu ließe sich möglicherweise eine end¬
gültige Beseitigung dieses Übelstandes erzielen.
Die genaue Beschreibung der verschiedenen Kiichenanlagen, die
nicht etwa schablonenhaft für jeden Neubau passen, sondern infolge der
Größe, der Anforderungen und der örtlichen Lage stets besondere Ver¬
schiedenheiten auf weisen, kann den Baumeistern und den Internisten
Anregungen bieten, die nicht wertlos sein dürften.
Herrn Prof. Voit, dem Großherzogliehcn Hochbauamt in Gießen
und der Firma Gehr. Boeder in Darmstadt sage ich auch an dieser
Stelle ergebensten Dank für die Unterstützung.
28. Kongreß für innere Medizin, 19.—22. April 1911 in Wiesbaden.
Bericht von Dr. Kronr, Badearzt, Sooden a. Werra.
(Schluß).
Freitag, den 21. April vorm. 9 Uhr:
Hoffmann (Heidelberg), Zur Lehre von der hereditären
spinalen Ataxie. Das Vorhandensein einer Steigerung der Sehnen¬
reflexe kann nicht ohne weiteres die Diagnose Friedreich’sche spinale
Ataxie ausschließen.
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Krone,
Bittorf (Breslau), Experimentelle Untersuchungen über die
Ursache der nephritischen Blutdrucksteigerung. Mechanische
und chemische Theorie stehen einander gegenüber. B. hat die mechanische
Theorie dadurch nachgeprüft, daß er die Widerstände lokal in den Nieren¬
kapillaren erhöhte. Er erzielte Blutdrucksteigerung und nimmt daher
die mechanische Theorie als zu Recht bestehend an.
Fischler (Heidelberg), Zur Frage der internen und opera¬
tiven Behandlung der Typhlatonie und verwandter Zustände
(chronische Appendizitis, sog. Coecum mobile). Redner weist
darauf hin, daß die Schmerzen in der rechten Unterbauchgegend, von
denen manche Menschen oft heimgesucht sind, und die man gewöhnlich
als durch chronische Blinddarmentzündung oder Blinddarmreizung ver¬
ursacht, ansieht, mit der Erkrankung des Wurmfortsatzes meist gar nichts
zu tun haben, sondern von dem sogenannten Coecum mobile, wie Klose
es nennt, herrühren. Klinisch charakterisiert sich dieser Coecum mobile
1. durch sporadisch auftretende Schmerzen; 2. durch einen Tumor und
3. durch Obstipation. Redner nimmt an, daß diese Zustände durch eine
motorische Insuffizienz des Coekum auf katarrhalischer Basis (Typhlatonie)
hervorgerufen werden. Von der Klarstellung dieser Dinge hängt die
Therapie ab. Das mobile Coekum allein kann für die Zustände nicht ver¬
antwortlich sein, es muß außer dem mechanischen Moment noch ein
weiteres Moment hinzukommen. Wenn die Atonie, wie Redner annimmt,
dieses Moment ist, dann muß die Therapie eine interne und keine
chirurgische sein; und zwar eine kombiniert medikamentöse, diätetische
und mechanische.
In der Diskussion will Ewald (Berlin) dieTyphlitis in den Vorder¬
grund vor die Apendizitis gestellt wissen und damit die interne vor die
chirurgische Therapie. Curschmann (Mainz) weist auf eine analoge
Erkrankung auf der linken Bauchseite hin — (permobile flexura sigmoidea) —
hält die Ursache für kongenital und die Obstipatio für eine Folge, v. K reh l
(Heidelberg) möchte das Gebiet der chronischen Apendizitis in Unter¬
arten gegliedert wissen. H. Curschmann hatte in der Leipziger Klinik
bei konservativer Behandlung 4°/ 0 Todesfälle, dieselbe Zahl gibt Strecker
bei der gleichen Behandlungsweise für die militärärztliche Statistik an.
Dagegen geben die Chirurgen 20°/ o an. Der große Unterschied dürfte
auf den verschiedenen Unterarten beruhen. Es ist Aufgabe der modernen
Medizin, diejenigen Fälle schärfer diagnostisch zu umfassen und die
Unterarten zu charakterisieren, bei denen eine Operation unnötig ist.
Külbs (Berlin), Zur Physiologie der Magen Verdauung. K.
untersuchte die Magendarmfunktionen bei Raubtieren (Katzen) und konnte
eine gewisse Gesetzmäßigkeit zwischen Nahrungsaufnahme und Magen¬
tätigkeit feststellen. Wenn die offenbar gar nicht weiten Grenzen über¬
schritten, d. h. die Tiere unregelmäßig ernährt werden, kommt es leicht
zu Magenstörungen. Regelmäßige Ernährung schafft auch dann einen
Ausgleich, wenn der Magen sehr stark belastet, d. h. wenn nur eine
Mahlzeit täglich genommen wird.
Sick (Stuttgart), Zur Pathologie der Magenbewegung. 1. Bei
Hemmungen der Magenverdauung bildet sich unter dem Röntgenbild
eine besondere Gruppe heraus, ein Bild auf weisend, bei dem der Magen
seine individuelle Form verändert. Es sind dies Früherscheinungen der
Pylorusstenosen, sich darstellend in Gestalt von Wechsel zwischen Peri¬
staltik und Nachlassen des Tonus. (Ovoide Erschlaffungsform des Magens.)
Derartige Fälle trotzen von Anfang an der internen Behandlung und
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28. Kongreß für innere Medizin.
491
fordern einen chirurgischen Eingriff. 2. Die Antiperistaltik bei ausge¬
bildeten Stenosen ist in der Regel keine echte Antiperistaltik, sondern
ein Zurückfluten des Mageninhaltes nach Ablauf der rechtläufigen Wellen.
3. Die Untersuchung des Duodenum ist radioskopisch viel häufiger möglich
als bisher angenommen. 4. Der Füllungsdefekt im Pylorus ist nicht
immer sicher maßgebend für die Diagnose Magenkarzinom im Röntgen¬
bild, da er in einzelnen Fällen auch bei nervösen Magenstörungen vor¬
kommt.
v. Tabora (Straßburg), Über motorische Magenreflexe (nach
gemeinschaftlichen Untersuchungen mit Dietlen.) Magenperistaltik
und jeweilige Kontraktion des Pylorus machen die Magenbewegung aus
und stehen dabei unter dem Einfluß des Säure- und Fettreflexes. Redner
hat die Hemmungsvorgänge unter dem Röntgenbild mit folgendem Resultat
untersucht: Zusatz von Säure zu Wismutbrei vermehrt die Peristaltik
und verzögert durch Kontraktion des Pylorus die Entleerung. Ölzusatz
läßt die Peristaltik flacher werden und führt bald absoluten Stillstand
derselben herbei. Der Pylorus steht dabei offen. Diese Fettlähmung
dauert 2—3 Stunden, schon bei 20—30 ccm. Öl, gleichgültig, ob vor,
mit oder nach der Mahlzeit gegeben. Durch Weitergabe von kleinen
Dosen kann man dann einen Menschen tagelang peristaltiklos halten,
ihn also therapeutisch durch dauernde Gaben den Magen immobilisieren,
was besonders für die Ulkustherapie von Wichtigkeit ist.
In der Diskussion macht Ewald (Berlin) darauf aufmerksam, wie
gut die Ergebnisse von v. Tabora's mit der Wirkung der Ölkuren bei
Hyperazidität übereinstimmen. G. Klemperer (Berlin) hat klinisch
nicht die gleichen Erfahrungen, wie v. Tabora sie röntgenologisch be¬
obachtet hat, gemacht; er hat kein Sistieren der Peristaltik beobachten
können. Falta (Wien) tritt der Erklärung Sick's, daß bei der Pylorus¬
stenose eine Antiperistaltik nicht vorhanden sei, entgegen.
Winternitz (Halle), Über eine Methode zur Funktions¬
prüfung der Pankreas. Reder hat Ätylester, und zwar die mono¬
jodierten, zur Funktionsprüfung des Pankreas verwendet, da die gesunde
Bauchspeicheldrüse Jod abspalten kann, die erkrankte aber nicht.
Prym (Bonn), Milz und Verdauung. P. hat nach Exstirpation
der Milz weder Vermehrung noch Verminderung in der Verdauung
nach weisen können; er kann daher nicht an eine Beteiligung der Milz
an der Pepsinbereitung glauben und hält die Anschwellung der Milz
während der Verdauung noch für eine offene Frage.
Olbert (Marienbad) Morfin und Magenmotilität. Vortragender
hat Magenmotilitätsstörungen röntgenologisch festgestellt mit dem Er¬
gebnis, daß die Austreibungszeit aus dem Magen um das Dreifache ver¬
längert war. Von den 4 hierfür als möglich in Frage kommenden Gründen:
Muskuläre Lähmung, intermediärer Spasmus, Beeinflussung durch Super¬
sekretion und Pylorusspasmus nimmt Redner den letztgenannten Grund
als wahrscheinlich an.
Singer (Wien), Die Wirkung der Gallensäure auf die Darm¬
peristaltik. Die rektale Zuführung der Gallensäure ruft eine bedeutend
heftigere Peristaltik im Darm hervor, als die per os gegebene; das
wirksame dabei ist die Cholsäure, die vom Autor isoliert und in Form
von Zäpfchen und Klysmen appliziert durch die heftige Peristaltik eine
prompte und ausgiebige Deläkation hervorruft. Der Hauptangriffspunkt
ist im Dickdarm gelegen.
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Krone,
Nikolai (Berlin), Zur Lehre von der Extrasystole. Aus dem
Elektrokardiogramm wollen F. Krauß und Nikolai auf den Erregungs¬
ablauf des Herzens schließen; sie erreichen vom Herzen ein Basis-,
Spitzen- und Zentralkardiogramm.
Diskussion: A. Hoffmann( Düsseldorf): Über funktionelle Störungen
des Herzens gibt uns das Elektrokardiogramm Aufschluß, über die Herz¬
kraft nicht. Hering (Prag) auf den Ausgangspunkt der Erregung, auf
Ableitung und auf Lage des Herzens kommt es beim Elektrokardiogramm
an. Die Kontraktionsstärke des Herzens bringt das Elektrokardiogramm
nicht zum Ausdruck.
L. R. Müller (Augsburg), Anatomische und physiologische
Studien über die Darminnervation. Die physiologischen Inner¬
vationsgesetze sind trotz der großen Verschiedenheit der anatomischen
Nervenversorgung bei allen inneren Organen — auch im Darm — die¬
selben.
Determann (Freiburg-St. Blasien), Demonstration einer Modi¬
fikation meines Viskosimeters. D. hat sein bisheriges Prinzip mit
demjenigen des Heß’schen, unter Weglassung der Fehlerquellen des
letzteren (die Anwendung des hohen Druckes) vereinigt. Der Vorteil
des neuen Apparates liegt in der Möglichkeit des sofortigen Ablesens
und des Fortlassens des Sekundenmessers.
Schlesinger (Berlin), Ein Verfahren zur Hämoglobinometrie
sowie zur Kalorimetrie im allgemeinen auf Grund eines neuen
Prinzips. Alle bisherigen Methoden der Messung beruhen auf dem
Vergleich, wobei Fehlerquellen nicht zu vermeiden sind dank dem subjek¬
tiven Gefühl der Unsicherheit. Die Methode des Vortragenden beruht
auf einer Kontrastfarbenempfindling (Farbenumschlag), wodurch angeblich
Unterschiede bis zu \[%I Q bestimmt werden können.
Heß (Posen), Über das Kardiogramm und den zentralen
Puls des Menschen (Projektion von Kurven, die mit dem
Frank’schen Herztonapparat aufgenommen sind).
Rautenberg (Großlichterfelde), Die künstliche Durchwärmung
innerer Organe. Redner hat zunächst Herzkranke mit Diathermie —
d. i. Anwendung des elektrischen Stromes zur Wärmeerzeugung in inneren
Organen — in dem Gedanken, Hyperämie zu erzeugen, behandelt und
dabei den Eindruck gehabt, daß gute Wirkungen erzielt wurden. Die
Körpertemperatur zwischen den Elektroden ist dabei nachweislich ge¬
stiegen. Auch Erkrankungen der Lunge und der Niere wurden von
ihm mit Diathermie mit guten Erfolgen behandelt. Von Lungen¬
erkrankungen vornehmlich Bronchitiden und Bronchopneumonien, bei
denen eine gute und leichte Expektoration erzielt wurde; bei Nieren¬
kranken vermehrte Diurese — die Zunahme des Sedimentes, die bei
Gesunden nicht eintritt, kann differentialdiagnostisch von Wert sein.
Unangenehme Nebenwirkungen kamen niemals vor, wohl aber gute
symptomatische Erfolge ohne jedes Nebenmittel.
Stein (Wiesbaden) bestätigt in seinem Vortrag Zur Diathermie¬
behandlung die Erfahrungen, die Rautenberg gesammelt hat Er er¬
weitert das Indikationsgebiet auf akut gonorrhoische Affektionen, Neur¬
algien, akute Gichtanfälle und Muskelrheuma. Mit besonders gutem
Erfolg hat er die Diathermie mit der Emanationsbehandlung verbunden.
Als Ersatz für Emanatorien empfiehlt er Radiophorkompressen.
Diskussion: Schittenhelm (Erlangen) bestätigt z. T. die guten
Erfahrungen, Ben necke (Jena) berichtet über objektiv auf Diathermie
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28. Kongreß für innere Medizin.
493
hin beobachteten nachweisbaren Erfolg bei gonorrhoischer Gelenk¬
erkrankung. Warburg (Köln) hingegen hat in 3 / 4 Jahren unter Diathermie
fast gar keiue Erfolge gesehen, nur allein bei Neuralgien. Er warnt vor
der chirurgischen Behandlung mit Diathermie, da leicht Verbrennungen
und üble Narben Vorkommen. Schittenheim (Erlangen), sowie Stein
(Wiesbaden) und Bautenberg (Groß-Lichterfelde) führen die Ver¬
brennungen wie überhaupt die Mißerfolge auf eine unrichtige Anwendlings¬
methode zurück.
Engel (Düsseldorf), Über die mechanische Disposition zur
Pneumonie. Die Lunge beim Säugling ist im Verhältnis zum Thorax
zu groß. Die Rippeneindrücke, wie sie Schmorl als pathalogisch beim
Erwachsenen gefunden hat, sind beim Säugling physiologisch infolge der
zu großen Eindrücke der Weichteile durch deren zu große Ausdehnung.
Durch Sagittalschnitte von Säuglingslungen hat E. feststellen können,
daß die parazentrale Pneumonie sich auf dem Boden der permanenten
mechanischen Disposition entwickelt. Dabei hat sich herausgestellt, daß
die Säuglingspneumonien durchaus die rechte Seite bevorzugen, so daß
also der hintere Teil des rechten Oberlappens bei weitem am häufigsten
befallen wird. Die linke Lunge erkrankt an sieh viel seltener. Wird
sie befallen, so ist es aber nicht der Oberlappen, sondern ein bestimmter
Bezirk am Unterlappen, welcher hinter dem Herzen liegt.
Weintraud (Wiesbaden), Zur Wirkung der 2-Phenylohinolie
4-Karbonsäure (Atophan) bei Gicht. Das Atophan bewirkt eine
Harnsäureausscheidung, wie sie Redner noch bei keinem Mittel beobachtet
hat. Es kann sich nicht um vermehrten Nukleinzerfall dabei handeln,
sondern es muß eine Wirkung auf die Niere stattfinden, deren eine
Funktion — die Harnsäureausscheidung — elektiv vermehrt wird. Das
Mittel eignet sich zur Behandlung des Gichtanfalles. Harnsäure, die
man dem Gichtiker unter Atophandarreichung intravenös injiziert, wird
prompt ausgeschieden.
In der Diskussion erklärt sich Minkowski (Breslau) gegen die
Annahme einer Beeinflussung der Nierentätigkeit; er nimmt vielmehr an,
daß die Zusammensetzung des Blutes und Bindungsverhältnisse des Blutes
zur Harnsäure eine Rolle spielen.
Sonnabend, den 22. April, vorm. 9 Uhr.
von Bergmann (Berlin), Steigerung des Energieumsatzes
nach Hautreizen. In bezug auf die Messungen des Energieumsatzes
herrschen noch Unklarheiten. So ist es noch eine offene Frage, ob die
Wärmeregulation durch Steigerung der Oxydation an sich bewirkt wird,
oder durch Zittern und Spannung der Muskulatur, also durch den Muskel¬
tonus (physikalische Reaktion). Redner hat nun durch Senfbäder diese
physikalische Reaktion zu lähmen gesucht mit dem Resultat: Auch inner¬
halb der Behaglichkeitsgrenze treten chemische Regulationen durch Stei¬
gerung tfer Oxydation ein.
Retzlaff und Brugsch (Berlin), Blutzerfall, Gallenbildung
und Urobilin. Redner haben experimentell die Frage zu lösen gesucht:
Beruht die Urobilinurie auf hepatischer Insuffizienz oder auf Störungen
in Gallenblase und Darm? Sie beantvvorten die Frage dahin, daß im
Darm ein Zusammenwirken der Galle, der Darmbakterien und der Darm¬
fäulnis nötig Lt und daß die Leber die Fähigkeit besitzt, Urobilin zu
zerstören, nicht aber aus Urobilin Bilirubin zu bilden.
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494
Krone.
Kraft (Weißer Hirsch), Harnbefunde bei hämorrhagischer
Diathese. Redner liefert einen Beitrag zur Vererblichkeitsfrage bei
Hämophylie durch Demonstrierung eines Familienstammbaumes. Er
plädiert für eine Diät, die Rücksicht nimmt auf den Mineralstoffwechsel
bei Diathesen, wodurch er Anfälle günstig zu beeinflussen glaubt.
E. Pfeiffer (Wiesbaden), Wasserretention durch Natrium-
salze. P. konnte durch Versuche feststellen, daß sowohl das doppelt¬
kohlensaure Natron wie auch das Chlornatrium in gleichmäßiger Weise
eine erhebliche Wasserretention im Organismus herbeiführen. Er zieht
daraus den Schluß, daß die VidaPsche Ansicht, daß das Chlor beim
Chlornatrium die retentionswirksame Substanz sei, nicht mehr zu Recht
besteht, sondern daß es die Natriumsalze sind, denen diese Wirksamkeit
zuzuschreiben ist.
Rolly (Leipzig), Über den Stoffwechsel im Fieber und in
der Rekonvaleszenz unter besonderer Berücksichtigung der
Gas Wechsel untersuch ungen mit einem nach dem Reynault-
Reiset’schen Prinzip für klinische Untersuchungen gebauten
Respirationsapparate. Die Annahme einer qualitativen Änderung des
Stickstoffes im Fieber ist nach den Untersuchungen des Vortragenden
unhaltbar.
Schickele (Straßburg), Die Rolle des Ovariums unter den
innersekretorischen Drüsen. Extrakte des Ovariums haben die
Eigenschaft, das Blut zur Gerinnung zu bringen und intravenös injiziert,
den Blutdruck erheblich herabzusetzen. Redner nimmt an, daß das
Ovarium auch im Körper eine ähnliche entsprechende Rolle spielt,
woraus sich vielleicht die klinischen Erscheinungen erklären lassen, die
bei Frauen nach Ovarektomien, oder, wenn die Ovarien nicht in nor¬
maler Weise ausgebildet sind, auftreten. Aus dem Menstrualblut gelingt
es ebenfalls, einen analog wirkenden Extrakt zu gewinnen.
Lazarus (Berlin), Radiumemanation. Das Blut kann vom
Emanationsgehalt nur 1 j b absorbieren, wenn nicht durch künstlich ge¬
steigerte Blutüberfüllung der einzelnen Organe die Wirkung des Radiums
auf diese erhöht wird. L. demonstriert ein neues System, das nicht auf
Aspirierung von Wasser beruht, sondern die einzelnen Zerfallsprodukte
der Emanation dem Organismus direkt zuführt. Er kommt zu dem
Schluß: Es fehlt der Radiumtherapie noch die biologische wissenschaft¬
liche Grundlage.
Schreiber (Magdeburg^, Rückblicke und Ausblicke über
den heutigen Stand der Salvarsantherapie. Redner wendet sich
gegen die dem Salvarsan gegenüber von manchen Seiten gemachten Vor¬
würfe der neurotoxischen Wirkung. Seiner Ansicht nach lassen sich
alle bisher beobachteten Erkrankungen des Nervensystem auf luetischer
Basis erklären; das Salvarsan ist nicht schuld. Er empfiehlt auch die
Spinalflüssigkeit auf Wassermann zu prüfen; denn dorr, wo das Blut
negativ, die Spinalflüssigkeit aber positiv reagiert, sind zentrale Erkran¬
kungen des Nervensystems luetischer Natur anzunehmen. Bei Malaria¬
erkrankungen, die mit Salvarsan behandelt wurden, sind neurotoxische
Erscheinungen nie beobachtet worden.
Diskussion fand über Radium und Salvarsan wegen der vorge¬
rückten Zeit und der voraussichtlich endlosen Debatten nicht statt; der
Berichterstatter hatte jedoch den Eindruck, als ob bei einer ev. Diskussion
die Ausführungen Schreibers nicht widerspruchslos hingenommen worden
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28. Kongreß für innere Medizin.
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wären, denn in einzelnen Unterhaltungsgruppen erhoben sich immerhin
eine ganze Reihe gewichtiger Stimmen gegen das Salvarsan.
Lichtwitz (Göttingen), Über chemische Gleichgewichte im
Stoffwechsel.
Rahel Hirsch (Berlin), Zur Adrenalin Wirkung. Adrenalin¬
injektionen in die Körperdrüsen vorgenommen, bewirken starken Tem¬
peratu rabf all. Morphologisch bleiben die Organe dabei intakt, die Injektion
kommt also nicht der Exstirpation gleich. Es muß also das Adrenalin
einen unmittelbaren Einfluß auf die Wärmeproduktion haben.
Grafe (Heidelberg) und Graham (Otranto), Zur Frage der
Luxuskonsumption.
Warburg (Heidelberg), Beziehungen zwischen Konstitution
und physiologischer Wirkung.
Michaud (Kiel), Über den Kohlehydratstoffwechsel bei
Hunden mit Eck’scher Fistel.
Bürker (Tübingen), Die physiologischen Wirkungen des
Höh enklimas. B. berichtet über die Wirkungen des Höhenklimas, wie
er sie in Davos (Schatzalp) beobachten konnte. Versuchspersonen, die
in Tübingen längere Zeit beobachtet waren, wurden in Davos und dann
später wieder in Tübingen untersucht. Die Blutkörperzählung geschah
nicht nach Zeiß-Thoma, deren Zählkammer im Tiefland und Hochland
verschiedene Werte gibt, sondern mit einer von B. selbst konstruierten
Kammer. Das Ergebnis der Untersuchungen war folgendes: Das Höhen¬
klima hat entschieden eine Wirkung auf das Blut, dieselbe ist aber
nicht so groß, wie sie gewöhnlich angegeben wird. Die Blutkörperchen¬
vermehrung betrug im Durchschnitt 5°/ 0 , die Hämoglobinvermehrung
7 %. Der Vortragende sieht in der Steigerung des letzteren eine An¬
passung des Sauerstoff übertragen den Apparates an die verdünnte Luft
und an die kältere Atmosphäre. Auch im Tiefland zeigt sich in der
kälteren Jahreszeit eine Tendenz zur Vermehrung des Blutfarbstoffes.
In der Diskussion berichtet Schminke (Bad Elster), daß er am
eigenen Leibe eine Erhöhung der roten Blutkörperchenmasse um 8 °/ 0
im Hochgebirge konstatieren konnte. Kuhn (Biebrich) bemängelt die
Kntnahme aus der Fingerkuppe und die geringe Zahl von nur 4 Ver¬
suchspersonen. Stäubli (Basel-St. Moritz) glaubt, daß B's. Werte zu
gering sind. v. Krehl (Heidelberg) hält in Übereinstimmung mit den
Angaben seines Schülers Morawitz die bisherigen Zahlen für zu hoch;
die Entnahme aus der Fingerkuppe beanstandet er nicht.
Tornai (Budapest), Über erfolgreiche Behandlung der
Stauung im Pfortadersystem durch systematische Abbindung
der Glieder. An Stelle der venaesectio, die oft mehrfach wiederholt
werden muß, empfiehlt T. zur Verminderung der Stauung im Pfortader¬
system die einfachere Methode der systematischen Abbindung der Glieder.
Dadurch geht die Entleerung des Pfortadersystems gefahrlos vor sich,
die Arbeit des Herzens wird erheblich erleichtert, die große und harte
Leber wird auffallend kleiner und reicher und die Diurese wird günstig
beeinflußt.
Diskussion: Dangschat (Königsberg) hat in der Königsberger
Klinik gute Erfahrungen gemacht.*
Barr (Portland), Über Indikanurie. Indikan im Urin ist nicht
immer als pathologisch zu betrachten. Reflektorische Hyperchloridie zeigt
Indikan, nervöse jedoch niemals, ist für Differentialdiagnose wichtig.
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Referate und Besprechungen.
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Schieffer (St. Blasien), Ärztliche Erfahrungen über Ägypten.
Der Name Wunderland paßt für Ägypten in jeder Beziehung, nur nicht
in therapeutischer. Redner warnt besonders vor übertriebenen Hoffnungen
auf die Heilbarkeit von Nierenaffektionen in Ägypten. Da die große
Hitze und die Trockenheit doftseibst dem Körper viel Flüssigkeit ent¬
zieht, so empfiehlt Sch., jeden Nephritiker einer Nierenfunktions¬
prüfung zu unterziehen, ehe er nach Ägypten geschickt wird. Bei Gicht
und Neuralgie hat er die besten Erfolge gesehen. Für Lungenkranke
in vorgeschrittenem Stadium bedeutet Ägypten direkt eine Gefahr.
In der Diskussion macht v. Krehl (Heidelberg) darauf auf¬
merksam, daß noch keine einzige Krankengeschichte existiert, aus der
hervorgeht, daß Nephritiker in Ägypten geheilt worden sind, die unter
unseren klimatischen Verhältnissen nicht geheilt worden wären. Er ver¬
langt exakteklinischeKrankengeschichten. Schacht(Assuan-Baden-Baden)
verteidigt Ägypten; gibt zwar zu, daß die chronische Nephritis nicht
ausheilt, hebt aber die besseren Bedingungen hervor, unter denen
Nephritiker in Ägypten leben können.
Eichholz (Kreuznach), Uber die Resorption der Radium¬
emanation. Redner hat die Ausatmungsluft bei Trink- und Inhalations-
kuren untersucht, plädiert auf Grund seiner Ergebnisse für Trinkkuren
bei vollem Magen oder für Klysma. Die Einwendungen Plesch’s gegen
die Trinkkur, bei der nur der kleine Kreislauf mit Emanation gespeist
werden soll, hat Redner nachgeprüft und nicht bestätigt gefunden.
Diskussion: Gudzent (Berlin), Die Messung der Emanation in
der Ausatmungsluft gibt keinen Aufschluß darüber, vieviel ins Blut ge¬
gangen ist. Seine Blutuntersuchungen sprechen gegen die Trinkkur und
für die Inhalationskur. Dagegen wieder hat Engelmann (Kreuznach)
den Nachweis für die Trinkkur durch Blutuntersuchungen geführt.
Nenadovics (Franzensbad), Die Bedeutung der radioaktiven
Gasquellen von Franzensbad für den Internisten. N. empfiehlt
die ungemein einfachen und bequemen Gasbäder vornehmlich für Gicht
und Rheumatismus.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
A. Schwarz (Paris), Appendikuläre und renale Schmerzen. (Progres
med., 1910 u. Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 1, 1911.) In den Fällen, wo in
der Gegend der Appendix Schmerzhaftigkeit ohne nachweisbaren Entzündungs¬
herd besteht, soll man die Diagnose Appendizitis erst dann stellen, wenn
man andere Affektionen ausgeschlossen hat. Hinsichtlich der renalen Ano¬
malien empfiehlt Schwarz, nach Untersuchung der Niere dem Verlauf des
Ureters entlang einen Druck auszuüben, der den „oberen uretralen, Bazy’s
para-umbilikalen Punkt“ trifft und sodann durch rektales Tuschieren fest¬
zustellen, ob der „untere uretrale Punkt“, die Einmündungsstelle des Ureters
in die Blase, schmerzfrei sei. Erst wenn diese Punkte, ebenso wie die Niere
selbst, nichts Abnormes ergeben, seien renale Affektionen auszuschließen.
Die Richtigkeit dieser Lehre zeigt er an 2 Fällen, in denen von anderer
Seite Appendizitis angenommen worden war, während es sich in Wirklichkeit
um Nierensteinkolik bzw. Pyelonephritis handelte. Sch.’s Diagnose wurde
durch den Verlauf bestätigt. Esch.
Bittorf (Breslau), Herpes zoster und Nierenkolik. (Ein Beitrag zur
Kenntnis der Head’schen Zonen.) (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 7, 1911.)
Bittorf teilt einen Fall von Nierenkoliken mit, bei dem während eines sehr
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Referate und Besprechungen.
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heftigen langdauernden Anfalles ein Herpes zoster in dem Hautgebiete auf¬
trat, wo seit'einem halben Jahre stets Schmerzen gleichzeitig mit den Koliken
aufgetreten waren. Nach H e a d entsprechen nun einer Reihe innerer Organe
Zonen der Körperoberfläche, deren sensible Versorgung aus denselben Seg¬
menthöhen des Rückenmarks entspringt, durch die die sympathische Inner¬
vation dieser Organe geht. Im vorliegenden Falle fällt diese Zone gerade
in das die Nierenkrankheiten von H e a d als typisch bezeichnete Hautgebiet
(10. u. 12. Brustsegment).
Im Anschluß daran erinnert B. noch an andere Zonen, so vor allem an
die Innenseite des linken Oberarms und besonders die Ulnarseite des Vorder¬
arms und der Hand, wo bei gleichzeitig bestehender Aortensklerose Par-
ästhesien und Schmerzen auf treten können. F. Walther.
Al. Pissavy u. Gauchery (Paris), Hämorrhagische Nephritis als Er¬
öffnungssymptom des Typhus. (Gaz. med. de Paris, Nr. 77, 18. Januar
1911.) Die Bezeichnung Deotyphus hat die Vorstellung wuchern lassen, daß
der Typhusprozeß sich nur in der Gegend der Ileokökalklappe abspiele.
Daß er sich daneben oder ohne jeden Ileokökalprozeß auch anderweitig
lokalisieren könne, wird kaum noch in Erwägung gezogen; z. B. die Diagnose
Pneumotyphus wagen nur wenige zu stellen. Das ist bedauerlich; denn
man bringt dabei der Vorliebe für Organ-Diagnosen die Einheit der Ätio¬
logie zum Opfer. Pissavy u. Gauchery berichten in dankenswerter
Weise von 5 Fällen, in welchen akute, hämorrhagische Nephritiden das
Drama eröffneten; nur eine genaue klinische Beobachtung erwies späterhin
das Krankheitsbild als Typhus. Daß es sich dabei um sehr schwere Formen
handelte — 3 sind gestorben —, leuchtet ohne weiteres ein.
Buttersack (Berlin).
H. Krauß (Ansbach), Zur Therapie der Hämophilie. (Münehn. med.
Wochenschr., Nr. 46, 1910.) Auf Grund der Annahme, daß das Wesen der
Hämophilie in der Herabsetzung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes besteht
und der Erfahrung, daß artfremdes Serum die Gerinnungsfähigkeit erhöht,
schlägt K. vor, die Hämophilie mit tierischem Serum, wie es uns ja als
Diphtherieserum zugänglich ist, zu behandeln. Der Autor hat in zwei
Fällen durch subkutane Injektion von 1—2 ccm Diphtherieserum gute Er¬
folge erzielt und fordert zur Nachprüfung auf. R. Isenschmid.
A. W. Nikolski, Über den Rotz beim Menschen. (Medicinskoje Obosr.,
Bd. 18, 1910..) Zu den häufigsten und sichersten Symptomen des Malleus
gehört das frühzeitige Auftreten von Abszessen und charakterischen röt¬
lichen Flecken, unter denen sich im Laufe der Zeit kleine Eiterherde und
selbst große Abszesse bilden. Zur Diagnose gehört neben bakteriologischer
Untersuchung des Eiters auch die des Blutes. Als einfachste diagnostische
Methode ist die Kutanreaktion mit Mallein zu nennen. Eine zuverlässige
Therapie kennen wir bis jetz*t noch nicht. In allen schweren Fällen von
Rotz sollte die Vakzinetherapie nach Wright oder die Malleintherapie an¬
gewandt werden. Schieß (Marienbad)./
Chirurgie.
H. C. Riggs (Brooklyn), Metatarsalgie. (Amer. Journal of Laryng.,
Nr. 2, 1911.) Riggs erklärt in Übereinstimmung mit mehreren Vorgängern
die Metatarsalgie, über die soviel geschrieben worden ist, für eine Folge
zu engen Schuhwerks. Beim gesunden und richtig beschuhten Fuß legen
sich die vorderen Metatarsalköpfe flach nebeneinander auf den Boden, sobald
der Fuß belastet wird. Können sie sich infolge der Enge des Schuhwerks
nicht so legen, so entsteht ein heftiger Schmerz, dessen Entstehungsart man
freilich nicht kennt. Gichtfüße und schwache Nerven erschweren den Fall,
sind aber nicht die Hauptsache. Durch Ausziehen des Schuhs wird der
Schmerz sofort beseitigt. 80°/o der Leidenden sind Damen (nicht etwa Frauen),
die ja den meisten Wert auf kleine Füße legen (Schuhe mit hohen Absätzen,
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Referate und Besprechungen.
in welche der Fuß durch das Körpergewicht wie ein Keil hineingetrieben
und seitlich gezwängt wird, sind natürlich besonders schlimm).
Die Behandlung ist zuweilen mit dem Tragen weiter Schuhe schon be¬
endet, sonst hilft eine Bandagierung des Vorderfußes, dicke Sohlen oder
eine kleine Metallplatte unter der empfindlichen Stelle, Massage und Übung
des Fußes. Fr. von den Velden.
Wilh. Austerlitz (Klausenburg), Über praktisch wichtige Anomalien
der Artcria brachialis. (Die Heilkunde, ärztl. Standesztg., Nr. 5, 1911.)
Bei der Stillung einer profusen arteriellen Blutung ist es wichtig, auch
die Anomalien der Lagerung zu kennen. Von den Anomalien der Arteria
brachialis ist in erster Reihe die hohe Teilung hervorzuheben, wenn näm¬
lich die Arterie sich: nicht in deir Ellenbeuge, sondern beiläufig in der
Mitte des Oberarms, zuweilen sogar in der Achselhöhle sich in seine Äste
teilt, sie kommt etwa in 5—6% des Materials vor. Eine tiefe Teilung der
Arterien, am Unterarme, gehört zu den Seltenheiten. Selten ist bei einem
Individuum die Arterie auf beiden Extremitäten von normalem Verlauf;
gewöhnlich ist auf einer Extremität der 'Verlauf ein normaler, auf der anderen
Extremität abnormal. Meist ist es die Art. radial., die zu hoch zu entspringen
pflegt (80%), seltener die Art. ulnaris (20%)• Die hoch entspringende
Art. rad. geht dem Typus der brachialen Äste der Armarterie gemäß von
dem ulnaren Rande derselben aus, verläuft anfangs subfaszial, dann sub¬
kutan, und da sie sich in der Ellenbeuge mit den subkutanen Kubitalvenen,
namentlich mit der Vena median, cephal. kreuzt, kann sie beim Aderlaß
leicht verletzt werden. L i s f r a n c empfiehlt daher, den Unterarm bei der
Venäsektion stark zu pronieren, weil dann der Muse, brachiorad. zwischen
der Vene und der Art. radial, eindringt. Dieser Rat ist aber, wie schon
Hyrtl bemerkte, von wenig Nutzen, da die Art. radialis im Falle ihres
hohen Ursprungs ganz subkutan in der Eilenbeuge verläuft, des Lisfranc-
sche Rat kann also nur bei einem tiefen Ursprung der Art. radial. Nutzen
haben. Bei der oberflächlichen Lage der Art. radial, entspringt die Art.
recurr. radial, gewöhnlich aus der Arter. ulnaris. Die hoch entspringende
Art. ulnaris liegt nur oberflächlich, indem sie entgegen der Norm nicht
unter den Muse, pronat. teres, Flexor carp. radial., Palm. long. und Flexor
digit. subl. liegt, sondern über diese Muskel hinwegzieht. In solchen Fällen
entstammt die Art. interossea meist der Radialis. Wichtig ist ferner der
hohe Ursprung des Ramus volaris superfic. der Art. radial; in diesen Fällen
geht der oberflächliche Ast meist in der Mitte des Unterarms vom Stamme
ab, während der Stamm nicht unter den Sehnen des Muse, abduct. poll.
long. et extens. poll. brevis, sondern über ihnen in die „Tabatiere“ gelangt.
Ara Lebenden sind dann zwei parallele Radialpulse zu fühlen. Mit diesen
Anomalien vergesellschaftet ist die Erweiterung der sonst dünnen Art.
mediana. Die hohe Teilung der Art. brachialis kann bereits am Lebenden
diagnostiziert werden, weil der hoch entspringende Ast, meist die Rad.,
in der Ellenbeuge subkutan verläuft, daher über den Lacertus fibrosus die
Pulsation gefühlt wird. S. Leo.
H. P. Fairlie (Glasgow), Das Verhalten des Blutdrucks bei der Chloro¬
form- und Athernarkose mit Berücksichtigung des Schocks. (Practitioner,
Bd. 86, H. 2.) Fairlie hat die von Brown aufgestellte Behauptung,
daß Chloroform bei langdauernden Operationen weniger Schock hervorbringt
als Äther, durch Blutdruckmessungen nachgeprüft. Er fand, daß bei Chloro¬
formnarkosen der Blutdruck alsbald sinkt, aber gegen Ende der Operation
sich wieder hebt, während bei Äthernarkosen dieses Ansteigen ausbleibt.
Er ist deshalb der Ansicht, daß, wo starker Schock zu erwarten ist, z. B.
bei Laparotomien, Chloroform vorzuziehen sei. Fünf Diagramme, welche von
5 zu 5 Minuten das Verhalten des Blutdrucks und der Pulszahlen während
der Narkose angeben, illustrieren die interessante Arbeit.
Fr. von den Velden.
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Referate und Besprechungen.
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P. Michaelis (Kassel), Grossichs Desinfektion der Haut mit Jod¬
tinktur. (Reiehsmediz. Anz., Nr. 5, 1911.) Das Anwendungsgebiet der Jod-
tinkturdesinfektion ist fast unbegrenzt; Laparotomien — gynäkologische und
chirurgische — Operationen an den Extremitäten, das weite Gebiet der
Verletzungen, die ganze kleine Chirurgie, Tracheotomie, akute und chronische
Abszesse, auch weibliche Genitalien. Die Methode ist auch den praktischen
Ärzten zu empfehlen. M. geht in folgender Weise vor: Am Tage vor der
Operation nimmt Pat. ein Bad. Das Operationsgebiet wird rasiert und mit
einem sterilen Gazeverband versehen. Kurz vor der Operation wird niemals
Wasser in den Operationsbereich gebracht. In eiligen Fällen wird jede
mechanische Reinigung unterlassen. In weiter Ausdehnung wird die Haut
kräftig mit einem Jodtinkturenstrich versehen. Nun werden, falls dies
nicht am vorangehenden Tag geschehen ist, die Haare trocken abrasiert.
Nach einigen Minuten wird zum zweitenmal Jodtinktur aufgetragen. Dann
Abdeckung des Operationsgebietes. Nach der Operation wird die Nahtlinie
noch einmal mit Jodtinktur versehen und das überschüssige Jod durch
l°/oo Jodbenzin entfernt; darüber sterile Gaze. S. Leo.
G. Schwartz (Kolmar), Zur Technik der intravenösen Injektion größerer
Flüssigkeitsmengen. (Ther. Monatsh., H. 3, 1911.) Sch. macht aufmerksam,
daß die Technik Ider Injektion sehr einfach ist, und die neuen komplizierten
Apparate überflüssig sind, wenn man folgenden Punkt beachtet: Durch Hoch¬
lagern des Armes muß die Kubitalvene, in welche die Infusion gemacht wird,
höher als der Scheitelpunkt der Armvenenbahn (Vena subclavia) zu liegen
kommen, so daß in der Vene kein positiver Druck mehr herrscht. Die zu
infundierende Flüssigkeit läuft dann ohne Widerstand durch ihre eigene
Schwere in die Vene ein, so daß bei mittelstarker Kanüle die Infusion von
200 ccni nicht länger als 3—4 Min. in Anspruch nimmt. Vor der Infusion
muß auch bei eleviertem Arm die Vene durch Umschnürung des Oberarms
(am besten mittels Gummiband und Arterienklemme) sichtbar gemacht wer¬
den. Nach Einstich der Nadel in die Vene wird die Stauung durch Öffnung
der Klemme behoben und dann die Flüssigkeit infundiert. S. Leo.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
E. Engelhorn (Erlangen), Experimenteller Beitrag zur Frage der aszen-
dierenden weiblichen Genitaltuberkulose. (Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 3,
1911.) E. konnte bei 11 von 17 Versuchskaninchen ein spontanes Indiehöhe-
wandern des in die Scheide deponierten Karmins (in Form einer mit Karmin
vermischten Kakaobutterkugel) beobachten und zwar auf dem Schleimhaut¬
weg. Wurden die Tiere etwas später getötet, so konnte das Karmin im
Uteruslumen nicht mehr gefunden werden, dagegen in der Muskulatur und
in den subperitonealen Gewebspalten. Es erfolgte also die Wanderung ent¬
gegen dem normalen Sekretstrom. Ein gleiches könne mit den an sich un¬
beweglichen Tuberkelbazillen natürlich auch geschehen, zumal da diese, wie
E. ad hoc nachgewiesen hat, keineswegs durch das saure Scheidensekret ab-
getötet werden. R. Klien (Leipzig).
H. Fehling (Straßburg) Die Riickwärtslagerung der Gebärmutter in der
Tätigkeit des Hausarztes. (Die Heilkunde, ärztl. Standesz., Nr. 3, 1911.)
A. Behandlung der mobilen Rückwärtslagerung. Bei Virgines und jungen
Frauen erzielt man mit dem Pessar (Hodge) selten gute Erfolge. Bei den
engen Genitalien kommt es leicht zu Druckerscheinungen der Scheide. Fällt
der Uterus wieder nach hinten, so ist das wiederholte Aufrichten und Ein¬
fuhren des Ringes eine große Qual für das Mädchen. In solchen Fällen zieht
F. die Alexander-Ada mache Operation vor. Im Wochenbett soll jeder
Arzt die Frau nicht aufstehen lassen, ehe er untersucht hat, ob der Uterus
in der richtigen Lage ist, am besten im Verlaufe der zweiten Woche, weil
dann der Uterus leicht aufzurichten ist, und viel leichter ein Ring
hält, als wenn man das ganze Wochenbett ablaufen läßt, und zwar
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500
Referate -und Besprechungen.
Hodges oder Achterring nach Schultze; man muß die Frau vorbereiten,
den Ring mindestens ein Jahr lang zu tragen; ja nicht versprechen,
daß durch erneute Schwangerschaft und Geburt Heilung eintritt, weil
im Gegenteil die Retroflexio gewöhnlich wiederkehrt. Die Thomaspessare
kann F. nicht empfehlen. Im Klimakterium wird man selten therapeutisch
vorzugehen brauchen. B. Behandlung der fixierten Rückwärtslagerung. F.
warnt vor der Methode B. Schultze’s, die Adhäsionen vom Mastdarm aus
zu zerreißen. Man behandle die fixierte Rückwärtslagerung mittels Tampo¬
nade, Ichthyolglyzerin und Suppositorien; dann Jodölklystiere, heiße Spü¬
lungen usw. Ist die Empfindlichkeit und die Schwellung zurückgegangen,
dann paßt als Vorbereitung für die Aufrichtung die Belastungstherapie
(Scheidenkolpeurynther mit 1—2 kg Quecksilber gefüllt, eine Stunde liegen
lassen, dazu Beckenhochlagerung). Derartige Sitzungen wurden 20—25 ge¬
macht. Massage paßt nur dann, wenn der Uterus aufgerichtet ist und die
äußere Hand den Fundus nach vorn massiert, während die innere Hand das
Kollum nach hinten oben drückt. Die vaginale Massage verwirft F.
S. Leo.
W. Pescharskaja, Über die Blutveränderungen bei Fibromyoma uteri.
(Russki Wratsch, Nr. 4, 1911.) Die Untersuchungen werden vor der Operation,
alsdann 2 Wochen und 3 Monate nach der Operation vorgenommen. Es ließen
sich Veränderungen nach weisen, die sich durch die Blutverluste allein nicht
erklären lassen. Die Zahl der roten Blutkörperchen ist herabgesetzt, der
Prozentgehalt des Hämoglobins geringer, die Zahl der weißen Blutkörperchen
ist unwesentlich vermehrt. Hinsichtlich der letzteren ließ es sich nachweisen,
daß nach Entfernung der Geschwulst eine Vermehrung des Prozentgehalts
der Lymphozyten und eine Verminderung der vielkernigen Formen eintritt.
Die bei den Trägerinnen der Fibromyome im Blute auftretenden chemischen
Produkte wirken entweder direkt toxisch oder indirekt durch Veränderung
der Blutbeschaffenheit auf den Herzmuskel: in allen Fällen ließen sich
Funktionsstörungen des Herzens nachweisen. Schieß (Marienbad)..
J. Fresscott (Hedley), Haematoma of the Ovary, with Reports of 18 Cases.
(The Journ. of Obstetr. and Gyn. of the Brit. Emp., Nov. 1910.) Eine gar
nicht so seltene, aber recht unbekannte Erkrankung des Ovariums ist das
Hämatom desselben. Damit sind nicht die gewöhnlichen mit flüssigem
oder geronnenem Blute angefüllten G r a a f’schen Follikel oder Corpora
lutea gemeint, sondern meist größere, nicht immer an der Oberfläche ge¬
legene, mit braunem alten, wie Öl oder Teer aussehendem, z. T. körnig ge¬
ronnenem Blute gefüllte Hohlräume mit und ohne eigentlicher Wand. Stets
sind derartige Gebilde resp. die dieselben beherbergenden Eierstöcke mit der
Nachbarschaft verwachsen. H. hat binnen D/s Jahren 18 derartige
Fälle durch Autopsia in viva beobachtet. Die Pat. waren größtenteils un¬
verheiratet oder kinderarm, die verheirateten hatten im Durchschnitt nur
1,2 Kinder. Das Alter schwankte zwischen 24 und 53 Jahren. Das Haupt¬
symptom sind die entweder anfallsweise auf tretenden oder kontinuierlichen
Schmerzen im Becken. Öfter bestand auch gleichzeitig Dysmenorrhöe
und Myom. — Offenbar sind derartige Hämatome aus konfluierten Graaf-
schen Follikeln hervorgegangen, die, zu tief in der Ovarialsubstanz selbst
liegend, nicht nach außen platzen und ihr Blut, in die freie Bauchhöhle
entleeren konnten. Es spricht dies für eine gewisse Hypofunktion des
Ovariums. Außerordentlich leicht scheint das abgekapselte Blut infiziert
zu werden, und zwar vorwiegend mit dem Staphvlococcus albus. Das ist ein
relativ harmloser Parasit, er führt bloß zu den stets gefundenen peritoni-
tischen Verwachsungen. Werden dagegen mit Blut gefüllte G r a a f’sche
Follikel durch andere Bakterien, z. B. durch Streptokokken oder durch
Gonokokken infiziert, dann kommt es zu einer akuten Vereiterung des Häma¬
toms. — Die Diagnose auf die chronischen Ovarialhämatome wird sich
kaum je mit Sicherheit stellen lassen, da m'an bei der bimamiellen Unter-
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Referate und Besprechungen.
501
suchung nur einen mehr weniger verwachsenen Adnextumor findet. Die
Behandlung ist natürlich die Laparotomie und Exstirpation bzw. Resektion
der befallenen Adnexe. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
A. Pilcz (Wien.), Zur Prognose und Therapie der Paralysis progr.
(Zeitschr. für die ges. Neurol. u. Psych., Bd. 4, H. 4.) P. berichtet neuer¬
dings über 96 nach der Methode von Wagners mit Tuberkulin behandelte
Fälle. In einigen Fällen ist P. sogar bis 0,5 g Tuberkulin gegangen. Die
Gefahren, welche aus dem Bestehen einer latenten Tuberkulose entstehen
könnten, sucht P. zu entkräften einmal durch die erfahrungsgemäß geringe
Disposition der Paralytiker 'zu diesem Leiden, ferner durch seine Erfahrungen
an mehreren Hundert von ihm in dieser Weise behandelten Paralytiker,
zumal man bei halbwegs verdächtigen Fällen mit Dezimilligrammen vor¬
sichtig tastend beginnen wird. Die Resultate waren: 39,4% ließen eine Be¬
einflussung durch die Behandlung nicht erkennen, 60,3°/o zeigten eine gün¬
stige Beeinflussung, indem bei 23,2% ohne erhebliche Besserung der para¬
lytische Prozeß zum Stillstand gebracht und die übliche Progredienz aus-
geblieben oder zum mindesten verzögert wurde, bei 10,4% trat eine mehr
oder minder lange Zeit dauernde Gesellschaftsfähigkeit ein und schließlich
konnten 26,6% erwerbs- und dispositionsfähig gemacht werden, so daß einige
weiter in hohe Stellungen hinein avancierten, bei anderen z. Bj sogar die
Entmündigung wieder aufgehoben werden konnte. Wenn es sich auch heraus -
stellen sollte, daß es sich um Dauererfolge nicht handelt, so wäre das Ein¬
treten derartiger Remissionen immerhin schon als ein erheblicher thera¬
peutischer Erfolg aufzufassen. Ref. möchte trotz der wiederholten und
immer gleich günstig lautenden Publikationen aus der Wiener Klinik den
Hinweis nicht unterlassen, daß die Anwendung in der Praxis, von der sorg¬
fältigen bei der Tuberkulinbehandlung an und für sich schon nötigen Be¬
obachtung abgesehen, erst zu empfehlen sein wird, wenn auch anderwärts
gleiche Resultate erizielt werden, was bisher noch nicht geschehen zu sein
scheint. Aber die Methode verdient die größte Aufmerksamkeit.
Zweig (Dalldorf).
B. Pfeifer (Halle), Zur Lokalisation der kortikalen motorischen und
sensorischen Aphasie und der ideokinetischen Apraxie. (Journ. für Psych.
u. Neur., Bd. 18, H;. 1 u. 2, 1911.) Der von P. beobachtete Fall einer Cysti-
cercenerkrankung des Gehirns bestätigt die klassische Lehre von der Lokali¬
sation der sensorischen und motorischen Aphasie im Gegensatz zu den An¬
sichten einiger Autoren (v. Nissl, Marie). Für die kortikale sensorische
Aphasie ist die Djegeneration im Gebiet des hinteren Teils der linken ersten
Schläfenwindung samt den beiden Querwindungen und vielleicht auch eines
Teils der linken zweiten Schläfenwindung event. auch noch die des linken
Gyrus supramarginalis verantwortlich zu machen. Die Insel gehört jeden¬
falls, wie auch durch die izytoarchitektonischen Studien bestätigt wird,
nicht zur eigentlichen Sprachregion. Die Lokalisation der kortikalen moto¬
rischen Aphasie ist nicht auf das enge Gebiet der eigentlichen Broca’schen
Stelle beschränkt, sondern der Sitz derselben erstreckt sich auch auf die
ganze Pars triangularis, einen Teil der Pars orbitalis und auf die Übergangs¬
teile zur Insel. Die rechtsseitige motorische Apraxie ließ sich aus der Läsion
des linken Gyrus supramarginalis erklären, während die leichte sympathische
Dyspraxie der linken Seite auf die erhebliche Volumreduktion des Mark¬
lagers der linken motorischen Region und namentlich auch des Balkens
zurückgeführt werden konnte, mithin die L i e p m a n n'sche Auffassung von
der Lokalisation der motorischen Apraxie bestätigte im Gegensatz zu anderen
(Hartmann), welcher dem Fuß der zweiten Stirnwindung eine besondere,
wenn auch nicht ausschließliche Bedeutung für die motorische Apraxie bei-
maß. Diese Stelle war bei dem beobachteten Fall völlig intakt.
Zweig (Dalldorf).
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502
Referate und Besprechungen.
H. Vogt (Frankfurt a. M.)> Idiotia thymica. (Zeitschr. für die Er¬
forschung u. Behandlung des jugendl. Schwachsinns, Bd. 4, H. 5 u. 6.)
Unter den Ursachen des jugendlichen Schwachsinns spielt die Störung der
inneren Sekretion eine erhebliche Rolle. Die Intaktheit des Systems der
inneren Sekretion ist wahrscheinlich für die Reifung und Entwickelung
eines großen Teils der Körperorgane und vielleicht des ganzen Körpers
von sehr wichtiger Rolle. Die Erkrankung der Drüsen zur Entwickelungs-
zeit hat jedenfalls erhebliche Störungen im Gefolge. Erinnert sei hier an
den auf Schiiddrüsenmangel zurückzuführenden Kretinismus, auf den Mon¬
golismus und den Infantilismus, deren Ursache ähnlicher, wenn auch noch
unbekannter Natur sind. Experimente an Hunden haben nun gezeigt, daß
eigentümliche infantilistische, mit Knochenerkrankungen einhergehende Zu¬
stände auf die Thymus zu beziehen sind. Entfernt man jungen Hunden diese
Drüse, so kommt es nach einem Latenzstadium zunächst zu pastöser Ver¬
änderung der Haut, zu Fettleibigkeit und Wachstumshemmung und später
zu Abmagerung und Erschöpfung neben weiterer Wachstumsschädigung und
Bewegungsunsicherheit. Die Reflexe sind zunächst erhöht, später vermin¬
dert, die Sensibilität wird stumpfer, die Tiere lernen nicht ihren Wärter
kennen, vermögen sich nicht zurecht zu finden, sind auf ihrem Lager un¬
sauber und zeigen unersättlichen Hunger. Neben der Wachstums Veränderung
ist es also Wirkung auf das Gehirn. Wie chemische Untersuchungen ergaben,
handelt es sich um eine Säureüberladung des Körpers, indem die beim Wachs¬
tum freiwerdende Phosphorsäure und deren Verbindungen nicht unschädlich
gemacht werden. Die Säure bewirkt den Abbau des Kalkes und die Quel¬
lung der Kolloide im Gehirn, so daß es zur Volumen Vergrößerung des Ge¬
hirns kommt und im Verein damit zum Abbau. V. bringt ausführlich einen
klinischen Fall, welcher die Übereinstimmung mit den Beobachtungen am
Hund zeigt, so daß man also berechtigt ist, von einer Idiotia thymica in
diesen Fällen zu sprechen. Zweig (Dalldorf).
H. Willige (Halle), Über Paralysis agitans im jugendlichen Alter.
(Zeitschr. für die ges.. Neurol. u. Psych., Bd. 4, H. 4.) Es kommen sicher,
wenn auch selten, Fälle von Paral. agitans im jugendlichen Alter vor, aller¬
dings nicht vor dem 18. Lebensjahr, die sich bezgl. ihrer Symptome in nichts
von den Erkrankungen im höheren Alter unterscheiden. Ätiologisch spielt
neben den akuten Infektionskrankheiten, vor allem dem Typhus, die Ileredo-
familiarität eine Rolle, die sich im Gegensatz zu den präsenilen in der
Hälfte der ein wandsfreien Fälle findet, so daß man von einer Paralysis
agitans juvenilis familiaris sprechen kann. Erwähnenswert ist noch, daß
unter den Komplikationen mit anderen Nervenkrankheiten lediglich die
multiple Sklerose eine Rolle spielt. Zweig (Dalldorf).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
W. L. Jakimoff, Über die Veränderungen der hämo-leukozytären Formel
unter dem Einfluß des Ehrlich'schen Präparats. (Medicinskoje Obosrenje,
Bd. 18, 1910.) Die im Pasteur’schen Institut ausgeführten Untersuchungen
ließen J. zu folgenden Schlüssen kommen. Die Wirkung des Arsenobenzols
äußert sich, indem es einerseits auf das Blut selbst einwirkt und zunächst
die Leukozytenzahl vermindert, andererseits in der Einwirkung auf die blut¬
bildenden Organe, indem es hier zunächst hemmend wirkt — als Folge er¬
scheint dann die Leukopenie —, dajin aber erregend, indem es zur Hyper-
Leukozytose und Bildung von neuen jungen Elementen führt: die ^regene¬
rierende“ Wirkung des Arsenobenzols. Diese Erscheinungen stehen ohne
Zweifel mit dem Untergang von Blutparasiten in Zusammenhang, wobei
zweierlei Einwirkungen zu beobachten waren: die der Trypanolvse und der
Phagozytose. Schieß (Marienbad).
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Referate und Besprechungen.
503
Loeper, Desbouis, Duroeux (Paris), Natriumglykocholat als Reagens
auf Syphilis. (Progres med., Nr. 3, S. 31, 1911.) Eine Zeitlang mochte es
scheinen, als ob die alten Gegensätze der Humoral- und der Solidarpatho -
logie sich in der Zellularpathologie ausgeglichen hätten. Indessen, der
Schein trügt. Nachdem R. Virchow und Rob. Koch, welche in den
Zellen bzw. Bakterien mehr die solidaren Anschauungen zum Ausdruck
gebracht hatten, von der Bühne ider Wissenschaft abgetreten sind, bemächtigen
sich nun wieder humorale Vorstellungsformen der Gemüter. Nur macht man
sidh die Sache heute bequemer als früher. Während die alten Pathologen
mit vielem Fleiß und mehr oder weniger Scharfsinn so und so viele Humores
unterschieden hatten, operiert man heutzutage mit dem Begriff Serum und
vindiziert diesem — je nach Bedarf — bald diese, bald jene Änderung in
seinem ohnehin mysteriösen Aufbau.
Da liegt dann der Gedanke nahe l diese Änderung in Form von Reak¬
tionen exakt nachzuweisen. Die drei genannten Forscher glauben denn auch,
in einer Lösung von Natrium glykocholat 1:20 bis 1:50 das geeignete Reagens
gefunden zu haben. Bei der Intradermo-Injektion gaben von 63 Gesunden
bzw. anderweitig Erkrankten 85% keine Reaktion. Anders bei den Syphi¬
litikern: von den 10 Primäraffekten und von den 56 Sekundärformen rea¬
gierten alle, von den 15 Tertiären 14. Die Reaktion bestand in einem kleinen
Erythem, in einem linsengroßen Knötchen, in leicht gerötetem Ödem, oder in
in einer kleinen Ulzeration; sie erschien 18 bis 38 Stunden nach der Injek¬
tion und dauerte 2—5 Tage. Schmerz und Fieber waren — wenn überhaupt
vorhanden — gering.
Daß von 9 Tabikern bzw. Paralytikern nur 1 positiv reagierte, macht
die Sache vielleicht vielen verdächtig; ev. trägt aber diese Beobachtung
namentlich wenn sie an größere Zahlen sich bestätigt, zur Revision der
herrschenden ätiologischen Vorstellungen bei. Buttersack (Berlin).
Tschumakow, Zur Frage des versteckten Schankers (Ulcus molle fossae
navicularis urethrae). (Zeitschr. für Urologie, Bd. 5, H. 3, S. 217, 1911.)
Es werden die während dreier Jahre in dem Militärhospital in Lutzk
beobachteten 4 Fälle von verstecktem Schanker publiziert, während die Ge¬
samtzahl der Fälle von gewöhnlichem weichen Schanker 44 betrug. Den
Verfasser hat diese relativ geringe Anzahl sowie deren Wichtigkeit in dia¬
gnostischer Beziehung zur Mitteilung veranlaßt.
Was die Diagnose betrifft, so liegt die Verwechselung mit Gonorrhöe
nahe, da die Symptome denen der Gonorrhöe sehr ähnlich sind, wenn auch
das eigentümliche, bröckelige und zähe Aussehen des Eiters zur genauen
mikroskopischen Untersuchung auffordert. Letztere gibt das Bild von voll¬
ständigem Fehlen von Gonokokken bei Anwesenheit von Ducrey’schen Bazillen
in ungeheurer Anzahl. Mit dem Urethroskop findet man dann die Geschwüre
in der Fossa navicularis.
Für die Art und Weise der Entstehung des versteckten Schankers ist
die Beobachtung wichtig, daß in sämtlichen 4 Fällen auf dem Frenulum
äußere Ulcus molle-Geschwüre vorhanden waren, die sich von hier aus in
die Urethra fortpflanzen per continuitatem oder per contiguitatem, wobei
sie das Frenulum (Blutung aus der Arteria frenuli) oder die Fossa navi¬
cularis (Fistelbildung) perforieren. Endlich ist die Übertragung des Infek¬
tionsstoffes durch die tieferen Lymphgefäße möglich.
Komplikationen bei Lokalisation des Geschwürs am Frenulum sind
Blutungen aus der Arteria frenuli (bisweilen sehr hartnäckig), Perforation
des Frenulum, vollständige Zerstörung des Frenulum. Balanitis, Bubo.
Bei den Fällen des Verfassers haben sich zwei Fälle vom Frenulum
nach der Harnröhre per continuitatem, zwei Fälle per contiguitatem vom
Frenulum zur Fossa navicularis den Weg gebahnt. In zwei Fällen sind
Blutungen aus dem Frenulum, in einem Falle partielle Perforation, in dem
anderen vollständige Zerstörung des Frenulum eingetreten. In zwei Fällen
rechtsseitiger Bubo.
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Referate und Besprechungen.
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Bei richtiger Diagnose ist die Behandlung außerordentlich erfolgreich
in der Anwendung von Urethralsuppositorien mit Jodoform, noch besser
aber mit „Sozojodol'‘-Natrium. In einem Falle erwies sich beim Autor das
Jodoform als nicht ausreichend, während die Verordnung von Suppositorien
mit „Sozojodol“-Natrium den Ausfluß aus der Harnröhre zum Stillstand
brachte. Das „Sozojodol'‘-Natrium wurde nach Lampsakow in Form
von Suppositorien 1:10 angewandt. In dieser Form hält Verfasser das
„Sozojodol“-Natrium für versteckten Schanker ebenso wie bei äußeren Ge¬
schwüren, nur angewandt in Form eines Streupulvers, direkt für ein spezi¬
fisches Mittel gegen Ulcus molle. Neumann.
Vergiftungen.
A. Müller (Bielefeld), Ein Vergiftungsversuch mit Bromural. (Deutsche
med. Wochenschr., Nr. 8, 1911.) Daß eine ganze Anzahl der in den letzten
Jahren angepriesenen, teilweise recht beliebten und viel gebrauchten Be-
ruhigungs und Schlafmittel sich nicht absoluter Harmlosigkeit erfreuen
darf, ist wohl heute eine von allen Seiten anerkannte Tatsache. Auch der
Verf. konnte sich nicht immer von der Gefahrlosigkeit und einwandsfreien
Wirkung mancher neueren Schlafmittel überzeugen. Er verwandte infolge¬
dessen seit mehreren Monaten bei Aufregungszuständen auf neurasthenischer
oder hysterischer Grundlage das Bromural, das ihm schon häufiger ausge¬
zeichnete Dienste leistete und sich vor anderen Präparaten vorteilhaft durch
das Fehlen von Neben- und Nachwirkungen unterscheidet. Ein vor kurzem
von ihm beobachteter Fall spricht dafür, daß Bromural, selbst in großen
Dosen genommen, als unschädliches Hypnotikum anzusehen ist und aus
diesem Grunde mit gutem Gewissen auch unzuverlässigen Patienten zur
Verfügung gestellt werden kann.
Es handelte sich um eine 34jährige Ehefrau, bei der eine Retroflexio
uteri durch Einlegen eines Pessars korrigiert und damit die Rücken- und
Kreuzschmerzen angeblich beseitigt wurden. Gegen Schlaflosigkeit, fliegende
Hitze, Herzklopfen und viele andere vorgebrachte Beschwerden, die unschwer
als hysterische zu deuten waren, wurden Bromuraltabletten in der üblichen
Darreichung von drei Tabletten zu 0,3 pro die verordnet. Nach etwa zehn
Tagen bat die Patientin, die (Verordnung zu erneuern. Auf Grund des zweiten
Rezeptes gelangte sie dann in den Besitz einer zweiten Originalpackung,
deren Inhalt sie mit der Hälfte der ersten Verordnung — insgesamt 30
Tabletten — nach ihren späteren Angaben in Wasser auf löste und am Abend
zu Suizidzwecken einnahm. Erst am folgenden Mittag wurde M. auf Ver¬
anlassung der Angehörigen gerufen, die weniger der langdauernde, tiefe,
ihrer Ansicht nach „gesunde“ Schlaf, als die leeren Tablettengläser beun¬
ruhigten. Der Verdacht auf Selbstmordversuch wurde noch besonders da¬
durch bestärkt, daß die Frau vor einigen Wochen durch Leuchtgasvergiftung
infolge Öffnens der Gashähne schwer gefährdet war. Etwa 16 Stunden nach
dem Einnehmen des Bromurals war der Zustand keineswegs beunruhigend,
der Schlaf tief, im übrigen dem physiologischen völlig gleichwertig, die
Funktionen des Herzens und der Atmung waren in keiner Weise beein¬
trächtigt, die Reflexe waren vorhanden, die Sensibilität in mäßigem Grade
herabgesetzt; die Urinuntersuchung ergab keine abnormen Bestandteile, leich¬
ter knoblauchartiger Geruch war der Exspirationsluft beigemengt. Im Laufe
der nächsten 24 Stunden waren keine therapeutischen Gegenmaßnahmen
notwendig. Erst nach etwa 36stiindigem Schlaf reagierte sie auf Anrufen,
verlangte bald nach Flüssigkeitsaufnahme ; nach weiteren vier Stunden war das
Sensorium wieder vollständig frei, so daß sie spontan den Selbstmordversuch
in seinen Einzelheiten erzählen konnte. Sie schilderte den Dauerschlaf als
erquickend und wußte über unangenehme Nachwirkungen auch in den näch¬
sten Tagen nichts zu berichten. R.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
Oie chirurgische Behandlung der Basedow’schen Krankheit
Von I)r. Heinrich Klose, Erster Assistenzarzt der chir. Klinik zu Frankfurt a. M.
(Vortrag, gehalten in der Basedowsitzung des ärztl. Vereines zu Frankfurt a. M.
am 20. März 1911.)
M H.! Unsere heutige Diskussion über den Wert der chirurgischen
Behandlung der Basedow’schen Krankheit möchte ich mit der Er¬
innerung daran einleiten, daß hier in Frankfurt im Jahre 1884 zum'
erstenmal in Deutschland die Basedow’sche Krankheit chirurgisch an¬
gegriffen wurde. Es ist dann, wie Sie alle wissen, ein reicher Segen
von dieser Operation ausgegangen, aber alle theoretische Arbeit hat.
uns bis heute nicht über das eigentliche Wesen dieser vielgestaltigen
Krankheit aufgeklärt. Ich muß darum von vornherein betonen, daß
unsere gegenwärtigen Anschauungen über die Indikationen zu chirur¬
gischen Eingriffen bei M. B. zum größten Teil auf der Empirie,
zum kleineren auf den darüber herrschenden Theorien erwachsen sind.
Die Richtigkeit dieses Satzes spiegelt sich in der Geschichte wieder,
denn wir sehen, daß auf dem Höhepunkt der theoretischen Forschung
um das Jahr 1894 herum trotz der von maßgeblichen Chirurgen be¬
richteten reichen Erfolge, ein unverkennbarer Stillstand in der chirur¬
gischen Basedowbehandlung eintrat.
Erst die Fruchtlosigkeit all dieser spekulativen Bemühungen für
die interne Basedowtherapie führte dann in die jetzige, allgemein in ihren
Erfolgen anerkannte Ara der chirurgischen Basedowbehandlung, an
deren feinerem Aufbau neben Chirurgen, wie Kocher und Miculicz,
meinem Lehrer, Herrn Geheimrat Reim, ein Haupt verdienst zufällt.
Nun muß inan sieh eines Vorhalten: man darf und kann eine prak¬
tische Therapie nicht mit Bewußtsein treiben und empfehlen, ohne daß
man sie wenigstens retrospektiv einigermaßen mit einer theoretischen
Grundlage in Einklang bringt. Und da ist die neueste Auffassung,
von der heute die chirurgische Therapie nach bester Möglichkeit aus-
gidit, wohl die sogenannte toxische Kropftheorie, deren Urheber schon
Hehn bei seiner ersten Operation und deren eifrigste Verfechter Möbius
und Kocher sind. Die thyreogene Entstehung der Basedowerkrankung
kommt zustande durch eine vermehrte Zufuhr des normalen Schilddrüsen¬
sekretes in das Blut: die Hyperthyreoidisation. Es ist unzweifelhaft,
daß die künstlich hervorgerufene Hyperthyreoidisation, ich will lieber
sagen, die Mästung mit Schilddrüsentabletten viel Ähnlichkeit mit der
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506
Heinrich Klose,
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Basedow’schen KrankJieii hat. Aber diese Hyperthyreosis allein er¬
klärt nicht den Exophthalmus und auch die therapeutischen Erfolge,
die auf eine interne Herabininderung der Schilddrüsenfunktion gerichtet
sind, sind keineswegs derartig gesichert, daß man die Hyperthyreosis
als die einzig richtige Theorie ansehen könnte. Dieser Mangel hat dazu
Anlaß gegeben, neben der Hyperthyreosis noch eine Dysthyreosis
anzunehmen. Aber die Überschwemmung des Blutes mit einem patho¬
logischen Schilddrüsensekret ist uns in ihren letzten Ursachen noch ganz
unbekannt.
Sie sehen also, auch diese gangbarste Theorie befriedigt, unser chirur¬
gisches Denken nicht, überall noch große Lücken in der Erkenntnis!
Und es würde mir einiges Bangen bereiten, Ihnen mit apodiktischer
Gewißheit unsere Erfolge in der chirurgischen Behandlung der Basedow¬
schen Krankheit vor Augen zu führen, wenn ich Ihnen nicht wenigstens
noch in aller Kürze das Resultat jahrelanger experimenteller Unter¬
suchungen andeuten dürfte, die wir an unserer Klinik ausgeführt haben
und die uns eine Klärung der chirurgischen Fragen versprechen.
Das verhält sieh so: Man kann in der Tat mit menschlichem
Basedowschilddrüsen-Preßsaft, der sofort von der Operation weg
entnommen ist, beim Hunde eine typische Basedow’sehe Krank¬
heit erzeugen, indes eine beliebig große Menge von gewöhnlichem
Schilddrüsen- oder Struma-Preßsaft auch nicht die geringsten klini¬
schen Erscheinungen hervorruft. Ja diese spezifische Basedow-
reaktion beim Tier ist so fein und eklatant, daß man aus den
Einzelheiten herauszulesen vermag, ob eine Struma von unbekannter
Provenienz von einem Basedowkranken herstammt oder nicht. Die
Reaktion ist direkt ein Experiment um crucis, ein ausschlaggebendes,
differentia 1-diagnostisches Merkmal.
Mit dieser biologischen Tatsache ist der eindeutige Beweis ge¬
liefert, daß es sich bei der Basedow’schen Krankheit um eine Vergiftung
mit etwas qualitativ anderem handelt, als in der Schilddrüse präformiert
ist, daß die Basedow’sche Krankheit nicht auf einer Hyper¬
sekretion der gleichen Substanz beruhen kann. Es kommt hier
nicht darauf an, zu entscheiden, ob die Basedowstruma selber
dieses Gift erzeugt oder ob sie Anlaß wird, daß ein Gift dem
Körper nicht entzogen wird, jedenfalls ist für unser praktisches
Handeln damit das Verständnis gegeben, daß wir durch Entfernung
des vergiftenden oder nicht entgiftenden Schilddrüsenteiles den Kranken
heilen können. So ist das Fundament zu einer kausalen chirurgischen
Therapie gelegt. Nun bedenken Sie obendrein, daß in der Mehrzahl
der Fälle anfangs und auch späterhin nur ein Teil der Schilddrüse
erkrankt ist; das gilt vor allem für die Fälle, wo eine zystisch-degene¬
rierte oder einfach hyperplastische Schilddrüse plötzlich zum Basedow
führt. Wir dürfen nicht warten, bis die ganze Schilddrüse krank ist.
Unsere Ansichten über die Indikation zur Operation müssen datier
mit logischer Konsequenz so formuliert werden: Der Zeitpunkt der
Operation ist so früh als möglich zu legen, immer aber ist der Chirurg
von vornherein bei der Frage der Basedow!herapie hinzuzuziehen. Neuro¬
logen, Internisten und Chirurgen müssen in diesen Fragen zusammen ar¬
beiten. Je frühzeitiger die Operation, je ausgiebiger dieselbe, um so
sicherer und dauerhafter die Erfolge. Wir können diese Erfahrung direkt
zum Gesetz erheben. Eine Kontraindikation zu jedem operativen Schild-
drüseneingriff kennen wir nur dann, wenn der Morbus Basedow sich
mit leichtesten Myxödemsymptomen kombiniert.
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Die chirurgische Behandlung der Basedowschen Krankheit.
507
Die Frankfurter Klinik befindet sich mit der Empfehlung- der
radikalen Frühoperation, zu der wir durch reiche Erfahrung ge¬
drängt wurden, in Übereinstimmung mit allen erfahrenen modernen
• Chirurgen. Ich nenne nur Kocher, Bier, Garre und Küttner.
Wir wissen wohl, daß dieser Standpunkt im Gegensatz steht
zu der Meinung zahlreicher innerer Kliniker und Neurologen.
So empfiehlt Erb, der die chirurgischen Erfolge durchaus anerkennt,
nicht die Frühoperation: nur diejenigen Fälle, die schnell zu bedroh¬
licher Höhe ansteigen und diejenigen, welche sich bei einer längeren
Behandlung des internen Arztes gar nicht bessern, endlicli die rezidivie¬
renden und sich endlos hinschleppenden, will er dem Chirurgen überweisen.
In ähnlicher Weise sprechen sich Klempercr, sowie Eulenburg und
81 rümpcll aus. Beide sahen in unmittelbarem Anschluß an die Operation
den Tod eintreten; beide beobachteten Fälle, in denen die Operation
keinen Nutzen 'gestiftet. Strümpell rät darum nur in schweren Fällen
zur Operation. Eulenburg läßt sogar die Operation nur zu, wo die
Schwere der durch die Struma hervorgerufenen Lokalerscheinungen
den Eingriff rechtfertigt oder gebieterisch fordert. Nach ihm ist die
Basedowsche Krankheit noch in bezug auf Behandlung in gesichertem
Besitz des Mediziners, die chirurgische Behandlung* sei nur ein Not-
ausgang. Ich führe endlich noch die Worte von einem der besten
internen Kenner der Basedow'sehen Krankheit, von Buschau, an.
Warum, sagt er, werden nicht alle Fälle durch die Operation günstig
beeinflußt? Die Antwort liegt für ihn auf der Hand. Die operativ
erfolgreich behandelten Fälle, in denen die interne Behandlung mehr
oder weniger versagte, waren eben Fälle von sekundärer Erkrankung,
wo die Schilddrüsenerkrankung das Primäre war und die ungeheilt
gebliebenen solche von genuiner Basedowscher Erkrankung. Daß
Kocher, so sagt Buschau weiter, besonders günstige Resultate besser
als andere Chirurgen zu verzeichnen hat, ist eben durch die Verhältnisse
bedingt, da in der Schweiz, dem Lande der Kröpfe, kaum noch eine
normale Schilddrüse gefunden wird.
Ich glaube, diese inte nie rscits angeführten Gegenargumente sind
heute hinfällig. Es mag immerhin zugegeben werden, daß mancher
Basedow besser in der Privatpraxis als in der Klinik verläuft. Es
kann auch mal ein Basedow ohne jede Behandlung ausheilen, aber man
soll bei einem so furchtbaren Leiden, dessen Prognose wir nie Vorher¬
sagen können, die Behandlungsmethode ausüben, bei der von vornherein
nichts versäumt und nichts geschadet wird und durch welche die Mehr¬
zahl heilen. Auch andere Chirurgen haben in Gegenden, wo Kropf mit
Basedow seltener sind, gleich günstige Resultate wie Kocher, und Todes¬
fälle bei der Frühoperation sind durch die heutige Technik mit Sicherheit
zu vermeiden. Nun bedenken Sie ferner, daß wir bis heute über keine
größere, allen Ansprüchen genügende Statistik von Dauerheilungen
durch die interne Medizin verfügen, daß eine reccht beträchtliche
Zahl nicht operierter Basedowfälle nachweislich an ihrer Krankheit
zugrunde gehen. Bedenken Sie die Gefährlichkeit jener Operationen,
die an den schwerkranken Menschen mit schlechtem Herzen vorgenommen
werden müssen, wo selbst eine Lokalanästhesie wegen der Aufregung
nicht mehr vorgenommen werden kann, wo andererseits die Narkose
dem Kranken zum Tode wird. Sie würden sich dann dem Urteile des in¬
ternen Klinikers Kraus anschließen, „daß die Chirurgie es ist, welche an
erster Stelle berufen scheint, die Therapie des M. B. zu übernehmen und
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508
Heinrich Klose,
mehr und mehr zu einer operativen zu gestalten.“ Jene internen Kliniker,
die unseren radikalen Standpunkt der Frühoperation nicht teilen, sondern
erst eine indifferente oder kausale Therapie durchführen wollen, sehen
dann eine absolute Indikation zur Operation: 1. Wenn sich auch nur^
leichte Kompressionserscheinungen der Trachea einstellen. 2. Wenn
deutliche Erscheinungen von Herzmuskeldegeneration vorhanden sind.
3. Bei ganz akutem stürmischen Basedow, der mit fieberhaften Tempe¬
raturen, Delirien, schweren dyspeptischen Störungen und zunehmender
Kachexie verläuft. Wir Chirurgen stellen heute den durch die Erfolge
genugsam bestätigten Satz auf: Die Basedowsche Krankheit ist
vom frühesten Beginn an eine exquisit chirurgische Er¬
krankung.
Welches sind denn die Dauerresu 1 late der chirurgischen Behandlung ?
Diese Frage läßt sich statistisch einwandfrei nur beantworten, wenn
man das vorliegende, aus großen Kliniken entstammende Material nach
den gleichen Operationsprinzipien ordnet. Ich habe das getan und finde
nun, wie sie aus dieser Tabelle hier ersehen, von 298 Fällen:
191 = 64% geheilt (2—18 Jahre)
72 = 24% gebessert
7 = 3% ungeheilt
6 = 2% Rezidive
22 = 7% Gestorben.
Die Statistiken, die in Lehrbüchern und Referaten angegeben wer¬
den, sind noch bedeutend besser; da schwanken die Heilungsziffern
zwischen 65 und 76°/ 0 und die Mortalitätszahl beträgt im niedrigsten
Fall 5°/ 0 , bei Kocher sogar nur 1,3°/ 0 . Aber ich glaube, daß durch
die Inkongruenz des Materiales hier eine zu optimistische Färbung zu¬
stande gekommen ist. Jedenfalls entsprechen diese Zahlen unseren
Resultaten, wo wir es mit einem durchweg sehr schweren Basedow¬
material zu tun haben, das von einer Frühoperation weit entfernt ist.
Es ist nun wichtig, sich darüber klar zu werden, was Heilung
bei der Basedow’sehen Krankheit heißt und wie dieselbe von statten
geht. In vielen Fällen tritt der Erfolg der Operation unmittelbar
danach ein: man ist erstaunt, daß oft schon in den nächsten Stunden
der Exophthalmus schwindet, die nervöse Erregung weicht, wohltuender
Schlaf stellt sich ein, der Puls wird ruhig, der Appetit hebt sich.
Die schwer leidenden Kranken „sind wie neu geboren“. Riedel
spricht in diesen Fällen von einem sofortigen Aufblühen post ope-
rationem. Bei anderen vergeht erst einige Zeit, zuweilen ein halbes
bis ein ganzes Jahr, bis sich der volle kurative Effekt bemerkbar macht.
Bei diesen erst ällmählich heilenden Fällen schwindet nach unsern
Erfahrungen zunächst gewöhnlich das für die Kranken und ihre Um¬
gebung lästigste thyreotoxische Symptom; die nervöse Erregung, die
Schweiße, das Hitzegefühl und die subjektiven Herzpalpationen. Der
Exophthalmus, die objektiven Herzerscheinungen und der Blutbefund
gehen, wie auch Melchior aus der Küttner’schen Klinik berichtet, erst
später zurück. Ja, wir haben Fälle, in denen der Exophthalmus sich über¬
haupt nicht ganz zurückgebildet hat. Aber das Bestehenbleiben des Ex¬
ophthalmus bei sonst eingetretener Heilung darf nicht gegen die'Wirksam¬
keit der Operation ins Feld geführt werden. Denn dieser kosmetische De¬
fekt hindert die Kranken nicht an der wieder erworbenen Erwerbs¬
fähigkeit. Eine ungünstige Prognose geben allerdings etwaige schon
vor der Operation vorhandene Basedowpsychosen. Wir haben zwei solche
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Die chirurgische Behandlung der Basedowschen Krankheit.
50i)
schwere Fälle operiert, die Psychose ist dadurch auf die Dauer kauin
günstig beeinflußt worden. Beide Kranke sind aus dem sozialen Leben
endgültig ausgeschieden. Das ist wohl plausibel. Man muß hier die
Tatsache mit in Rechnung .ziehen, daß die Operation wohl die aus¬
lösende Ursache, aber nicht mehr die schon vorgeschrittene psychische
Degeneration beseitigen kann.
Auf einen Punkt möchte ich aufmerksam machen, der je nach
der Schwere des Falles mehr oder minder regulär beobachtet wird und der
zu besonderen Sorgen Anlaß gibt: ich meine die unmittelbare Reaktion
auf die Operation. Ich lege Kurven in Ihre Hand, aus denen Sie unsere
Sorgen ablesen können. Sie wissen, daß schon nach der Operation ge¬
wöhnlicher Strumen beunruhigende Erscheinungen beobachtet werden,
die man unseres Erachtens auf die Resorption von toxischem Kropfsaft
beziehen muß, nach anderen auch auf ein aseptisches Resorptionsfieber
oder auf leichte Wundinfektion. Nach Basedowoperationen können
diese Störungen die höchsten Grade erreichen: die Temperatur schnellt
bis auf 40° und mehr herauf, der Puls wird irregulär, jaktierend, die
Kranken kollabieren und verfallen in Delirien und Aufregungszustände.
Es bedarf oft der größten Mühe, um Kranke mit debilen Herzen über
diese beängstigenden Zustände hinzuschleppen. Bitte, betrachten Sic
darauf hin die herumgereichten Kurven!
Es erhellt aus diesen allgemeinen Angaben, daß der rhirurgische
Eingriff beim Basedow an und für sich kein einfacher, bei schweren
hin zugezogenen Fällen direkt gefährlich ist. Der psychische Shok, die
Kompression der Trachea, die Blutung aus den brüchigen Gefäßen sind
nicht gering zu achten. Dazu kommt, daß sich in unserer Gegend die
Kranken oft erst zur Operation entschließen, wenn sich Basedowkröpfe
mit Stenosen der Luftwege und ausgedehnten Herz- und Organverände¬
rungen kombinieren. Die Frühoperation ist darum nicht dringend
genug anzuratein. Aber wir haben allmählich gelernt, auch ausgedehnte
Stmmektomien beim vorgeschrittenen Basedow mit geringen Gefahren
durchzuführen. Kodier hat neulich eine fortlaufende Serie von 300
Operationen ohne Todesfall mitgeteilt.
Wenn nicht ein Sofortiger Eingriff unerläßlich ist, dann suchen
wir zunächst durch Ruhe, Kälteapplikationen, leichte Morphium- und
Digitalisdosen die Herz- und nervösen Erscheinungen soweit zum Rück¬
gang zu bringen, daß die Operation mehrere Tage später unter gün¬
stigeren Bedingungen vorgenommen werden kann. Zweitens operieren
wir unsere Basedowkröpfe nach Möglichkeit in lokaler Anästhesie mit
l ü / 0 iger Novokainlösung unter Adrenalinzusatz. Wir stehen in unserer
Klinik nicht auf dem Standpunkte der prinzipiellen Durchfüh¬
rung der Lokalanästhesie, weil eine länger dauernde Operation
in lokaler Anästhesie an die Psyche gerade der Basedow T -
kranken so starke Anforderungen stellt, daß eine Narkose, je nach
Bedarf, vorzuziehen ist. Wir verfahren dann gewöhnlich so, daß wir
nach einer gewissen Zeit zur Äthertropfnarkose greifen, von der dann
wenige Atemzüge genügen, um einen vielleicht, oft suggestiven, aber
immerhin genügenden Erfolg zu erzielen.
Nur einige wenige Worte über die Operationsmethoden. Es
gibt deren, allgemein gesagt, zwei: erstens die partielle Resek¬
tion oder Exzision der Schilddrüse, die als das Normalver¬
fahren bezeichnet werden muß, eventl. mit Ligierung einer Ar¬
terie der anderen belassenen Seite. Zweitens die Ligatur* der Schild-
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510 Heinrich Klose, Die chirurgische Behandlung der Basedowschen Krankheit.
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drüsenartcrien allein zur Herbeiführung 1 einer Schrumpfung. Die
Sympathikusresektion ist nicht nur theoretisch unbegründet, sondern
auch unwirksam und gefährlich!
Früher hat man grundsätzlich zuerst die Unterbindung von drei
Arterienstämmen vorgenommen, um dann bei den geschwächten Indi¬
viduen mit geringeren Gefahren die Resektion einige Zeit nachfolgen
zu lassen. Damals war die Hauptindikation für diesen Hcilplan die
Gefahr der Allgemeinnarkose. Heute machen wir die präliminare Li¬
gatur der Arterien bei Basedow nur noch recht selten, vornehmlich
dann, wenn eine Vergrößerung der Schilddrüse nicht recht augenfällig
ist: bei Formes frustus, bei Rezidiven, bei elenden Individuen und un~
vorherzusehenden unglücklichen Zufällen. Über das chirurgische Vor¬
gehen im besonderen lassen sich in Kürze kaum Angaben machen. Ob
man intrakapsulär oder extrakapsulär operiert, hängt ganz von dem
Einzelfall, von der Individualität und dem Geschick des Operateurs
ab. Stets muß man bestrebt sein, die Epithelkörperchen zu schonen.
Der Gefäßreichtum des Basedow kröpf es, die Zcrreißlichkeit derselben,
die Verwachsungen der äußeren Kapsel, die Unruhe der Kranken machen
die Operation häufig viel schwieriger, als die maligner Strumen, die
sich auch nicht in Schemata zwingen Lossen.
Pathologisch-anatomische Veränderungen spezifischer Art sind erst
in jüngster Zeit beschrieben. Es werden bei dem echten Basedowkropf
zwei Erscheinungen hervorgehoben: 1. eine hypertrophische Zirrhose
mit verdickten Blutgefäßwandungen und klaffenden Lichtungen. 2. Ver¬
änderungen der Parenchymzellen, die bald solide Zellhaufen bilden
wie bei der fötalen Schilddrüse, bald Alveolen, in denen eine lebhafte
Dcsquamierung stattfindet. Sie sehen aus den aufgestellten zahlreichen
Präparaten, daß diese Befunde nicht immer vorzuliegen brauchen.
Gestatten Sie mir noch zum Schluß ganz kurz eine aktuelle Frage
zu berühren, nämlich die Beziehungen der Basedowschen Krankheit
zur Thymuspersistenz. Plötzliche Todesfälle im Anschluß an Basedow¬
operationen, die eine hyperplastische Thymus als Todesursache ergeben,
sind ein gar nicht seltenes und erschütterndes Ereignis. Die meisten
Chirurgen lehnen daraufhin eine Basedowexzision, bei der eine Thy¬
mushyperplasie auch nur vermutet werden kann, strikte ab. Besonders
hat Capelle aus der Garre’sehen Klinik die Thymushyperplasie als
Indikator für die Gefährlichkeit der Operation hingestellt. Wir haben
auch neulich ein junges Mädchen operiert, das bald nach der Operation
unter Lufthunger und Hyperpyrexie zugrunde ging. Die Sektion
ergab eine Thymus von 45 g-Gewicht und flächenhafte, durch Druck
bedingte Blutergüsse auf dem Herzbeutel. Ich darf dabei vielleicht
in Ihr Gedächtnis zurückrufen, daß eine normale Thymus auf der Höhe
ihrer anatomischen Entwicklung im zweiten Lebensjahre 5—14 g wiegt.
Ich habe diese enorme Thymus teilweise einem Hunde als Preßsaft
injiziert und konnte bei ihm eine /schwere Basedowsche Krankheit
mit Ausgang in den Tod erzeugen. Eine normale Thymus können
Sie ohne jede Folge einem Hunde einspritzen.
Es ist damit das Fundament zu dem schon früher von uns aus
rein theoretischen Gründen ;vertretenem Standpunkt gelegt, daß die
Thymushyperplasie beim Basedow äußer einer etwaigen gefährlichen
Druckwirkung das Basedowgift nicht nur nicht kompensiert — wie
das von vielen angenommen wird — sondern potenziert. Dieser deletäre
Zusammenhang ist nun in der Tat auch durch die Klinik erwiesen
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Gerhard Hahn, Über parasitäre Hautaffektionen und ihre Behandlung. - r > 11
Garre in Bonn hat neulich als erster beim schweren Basedow die hyper-
plastische Thymus entfernt und die Krankheit wie mit einem
Schlage beseitigt. Uns ist dadurch fortan zur Pflicht gemacht, die
hyperplastische Thymus bei der Basedowschen Krankheit chirurgisch
mit an zugreifen und in jedem Falle während der Operation sich von dem
Zustande der Thymus zu überzeugen. Damit hat die chirurgische Be¬
handlung wieder einen guten Schritt vorwärts getan, denn wir dürfen
hoffen, künftig gerade die furchtbarsten Fälle, die einem elenden Tode
mit Sicherheit entgegengehen, zu retten und gesund zu machen.
Über parasitäre Hautaffektionen und ihre Behandlung.
VorPDr. Gerhard Hahn,'Breslau.
Wenn wir unter obigem Titel lediglich die Hautkrankheiten zu-
sammenfassen, welche dem Vegetieren tierischer Organismen in oder
nur auf der Haut ihren Ursprung verdanken, dann kommen für den
Praktiker vornehmlich zwei Krankheitsbihier in Betracht, die Pedikulosis
und die Skabies. Bezüglich der übrigen (Sandfloh, Cysticercus, Fi-
laria usw.) muß hei ihrem seltenen Vorkommen auf die Speziallehr¬
bücher verwiesen werden. Die Pedikulosis ist therapeutisch die bei
weitem einfacher zu beinflussende Affektion, weil es sich eben lediglich
um auf der Haut vegetierende Parasiten handelt, mögen dieselben
nun als Pediculi capitis, vestimentorum oder pubis auftreten. Nachdem
die Diagnose durch Nachweis der Tiere, oder der Nisse oder durch
jene eigentümlichen blauen Flecke gesichert ist (Tachcs bleues, Maculae
caeruleae), die einem spezifischen (Gift ihren Ursprung verdanken sollen,
gilt es, mit spirituösen Lösungen und Salben die Abtötung der Parasiten
zu erzielen.
Bei den Pediculi capitis erfreut sich seit alterslier das Petroleum
und der Sabadillessig (Acetum sabadillae) großer Beliebtheit. Und
mit Hecht; energisches Einreiben mit einer der beiden Flüssigkeiten
und Anlegen einer Kappe mit impermeablem Verbandstoff an 2— 3 auf¬
einanderfolgenden Abenden (am Morgen Kopf waschen) reichen ge¬
wöhnlich aus, um-alle Parasiten zu vernichten. In jedem Falle er¬
scheint. es ratsam, nach 2—3 Wochen die ganze Prozedur nochmals
zu wiederholen, um bei der Vernichtung der Parasiten ganz sicher zu
gehen. Ein Abschneiden der Haare läßt, sich meist vermeiden, freilich
ist es im Interesse rascher und gründlicher Beseitigung hei sehr langem
Frauenhaar oft nicht zu umgehen. (Plica polonica.) Gründliches Durcli-
kämmen mit Staub- oder anderen ganz engen Kämmen ist wochenlang
durchzuführen, um die Nisse zu entfernen, desgleichen auch eine gründ¬
liche Desinfektion aller mit dem Kopfhaar in Berührung gekommenen
Kleidungsstücke vorzunehmen. Neben den schon erwähnten Mitteln
kommen in zweiter Linie noch in Betracht :
5°/ 0 Naphtholöl (Kaposi)
oder
Balsam, peruviani
Alcohol absolut, ää
oder
Sublimatessig 1:300,0.
Gleichzeitig mit der antiparasitären Behandlung ist auch die Be¬
einflussung der mehr oder weniger ausgeprägten Hautreizungen (Ekzem,
Dermatitis, Pyodermie) nicht zu vernachlässigen. Im allgemeinen heilen
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512
Gerhard Hahn,
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diese Symptome, deren Auftreten besonders am Nacken den Verdacht
einer Pedikulosis nahelegt, nach Abtötung der Pedikuli schnell ab,
ebenso wie die sekundären, von der Infektion zerkratzter Hautpartien
herrührenden Drüsenschwellungen. Bei der Behandlung der Pediculi
pubis spielen die Hg-Salben die Hauptrolle, von denen wir lieber
statt des üblichen Ungt. cinerum, das stark schmutzt und leicht reizt,
unguent. Hydrarg. praecip. alb.
verordnen. Mit dieser Salbe w r ird ohne Anwendung übermäßiger Ge¬
walt die gesamte Genitalregion 3- 4mal eingerieben, wobei zur Ver¬
hütung 1 von Rezidiven auch versteckt liegende Teile (Crena ani, Nabel)
nicht vergessen werden dürfen. Je nach Befallensein müssen natürlich
auch andere behaarte Partien (Achsel, Oberschenkel) in derselben Weise
behandelt, werden. Während der Quecksilberbehandlung gelten die¬
selben Regeln wie bei Hinleitung einer antisyphilitischen Kur. d. h.
Vermeiden des Rauchens und gründliche Mundpflege; nur so werden
wir unsere Kranken vor der gar nicht so seltenen, höchst unliebsamen
Überraschung einer Stomatitis bewahren können. Nach drei- bis vier¬
maligem Hinreiben folgt dann ein gründliches Abbaden der Haut, die
nur, meist in gereiztem Zustande, der Applikation einer milden Salbe,
wie Zinc. oxydati
Amyl. ää 2,0
Ungt lenient. ad 20,0
oder einer Trockenpinselimg
Zinc. oxydati
Amyl.
Glycerin.
Spirit.
Aqua, ää ad 100,0
bedarf Nach einigen Wochen folgt dann eine weniger intensive Wieder¬
holung derselben Prozedur. In der Zwischenzeit kann man zwecks
Desinfektion mit einer Spirituosen Lösung zeitweise abtupfen.
Sublimat 0,5
Acet. sabadill.
» Spirit, ää ad 100,0.
Die Pediculi vestimentorum endlich, deren Sitz die Kleider sich
arg vernachlässigender Menschen sind, lassen sich nur bekämpfen durch
gründlichste Desinfektion aller Kleidungsstücke in strömendem Dampfe
usw. Daneben gilt es, die durch das Kratzen hervorgerufenen Läsionen
der Haut zu heilen, die mitunter recht ausgebreitet sind. (Pyodermie,
Furunkelbildung, hochgradige Ekzematisierung.) Neben Schwefelbädern
(Kal. sulfurat. Sol. Vlemingk 50- 100 g auf ein Vollbad) sind dann
Salben und Pinslungen wie beim Ekzem, gegebenenfalls auch Pflaster
zu verwenden. Immer ist bei dieser Affektion der Hauptwert auf die
Diagnoscnstellung zu legen, die mitunter nicht leicht ist und sorgsame
Untersuchung aller Kleidungsstücke erfordert.
Die prompte Diagnosenstellung spielt eine noch wichtigere Rolle
bei der zweiten Gruppe parasitärer Affektionen der Haut, der Skabies:
Man kann als Spezialist außerordentlich häufig die Beobachtung machen,
daß ein großer Teil der Skabiesfälle als Ekzem, Prurigo u. a. behandelt
wird und die Patienten nach wochenlangen schlaflosen Nächten in üblem
Zustande von Arzt zu Arzt irren, bis endlich einer auf Grund des
Kiankheitsbildes die richtigen Verordnungen trifft. Es mag daher
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Über parasitäre Hautaffektionen und ihre Behandlung.
513
bei der Wichtigkeit der rechtzeitigen Krankheitserkennung für die
Behandlung nicht unangebracht sein, auf die Erscheinungen der Krätze
näher hinzuweisen. Sehen wir von jenen einfachen, nur selten zur
Beobachtung gelangenden Fällen ab, die nach Einwanderung der Milben
nur die primären bläschenartigen Symptome auf weisen, dann kommt für
unsere Darstellung das Krankheitsbild in Betracht, wie es sich nach
Zerkratzung der Invasionsstellen der Milben darstellt. Bei einiger
Aufmerksamkeit konstatieren wir dann fast ausnahmslos die immer
wiederkehrende Lieblingslokalisation dieser Kratzeffekte an den Unter¬
armen, der vorderen Axillargegend, am Gesäß, am Penis und zwischen
Fingern und Zehen. Die Bevorzugung dieser Stellen, sowie die Angabe
der Patienten über das besonders starke Jucken während der Nacht
müssen unser diagnostisches Denken sofort auf die Annahme einer
Skabics hinlenken. Gesichert wird diese natürlich durch das Auffinden
typischer Milbengänge, was aber in vielen Fällen nicht gelingen will.
13a sind wir dann auf die Erkennung und Deutung des klinischen
Bildes angewiesen, die freilich bei sehr hochgradiger Ekzematisierung
der Häuf auch geübten Beobachtern Schwierigkeiten machen kann.
Die Therapie dieser parasitären Affektion ist nun deshalb nicht
ganz einfach, weil die Skabiesmilben die unangenehme Eigenschaft
haben, sich in die Haut einzugraben. Es ist deshalb unbedingt erfor¬
derlich, daß die zur Verwendung kommenden Medikamente energisch
in die Haut gerieben werden müssen. Wir raten also unseren Kranken,
an drei bis vier Tagen abends (eventl. auch früh) 30 bis 40 Minuten
den Körper einzureiben, wobei sehr empfindliche Hautpartien, wie das
Skrotum, mehr geschont werden müssen. Daraufhin wird ein gründ¬
liches Reinigungsbad genommen und von Kopf bis Fuß frische Wäsche
angezogen. Auch die Bettwäsche ist zu wechseln, ja bei Strohsäcken
sogar neues Stroh zu verwenden. Es mag überflüssig erscheinen, diese
Maßnahmen so breit zu erörtern; der Kundige weiß sehr wohl, wie
häufig Rückfälle lediglich auf ein Versäumnis nach dieser Richtung
hin zurückzuführen ßind. Sehen wir von der Anwendung der soge¬
nannten Schnellkuren ab, wie sie Hebra mit grüner Seife und der
später erwähnten Wilkinson’sehen Salbe vornahm — in ähnlicher Weise
wird sie noch heute nach Broca im Höpital St. Louis in Paris ge¬
braucht —, dann kommen als Medikamente in Betracht der
Balsam, peruvian.
Alcohol. absol. ää 50,0
der zwar vorzüglich wirkt, aber aus diskretionären Gründen für die
ambulante Behandlung wenig zu verwenden ist. Die von Kaposi
empfohlene ß- Naphtholsalbe:
/?-Naphthol 15,0
Cret. 10,0
Sapon virid 50,0
Axung. porc. 100,0
ist ein sehr brauchbares Skabiesmittel, nur leider nicht ganz unge¬
fährlich, weil sich nicht selten Albuminurie nach ihrer Anwendung
gezeigt hat. Die Urinkontrolle ist also genau durchzuführen, falls
man das Naphthol an wendet, aber auch sonst bei Applikation anderer
Salben unerläßlich .(vor und nach der Kur). Gibt es doch bereits eine
ganze Literatur über das Auftreten von Nierenreizungen bei Skabies.
Als vorzügliches Antiskabiosum hat sich mir stets die sogenannte
Wilkinson sehe Salbe bewährt:
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514 Gerhard Hahn, Über parasitäre Hautaffektionen und ihre Behandlung.
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Sulfur, praecip.
Ol. Ru sei aa 15,0
Sapon virid
Adip. benzoat ää 80,0
Cret. alb. ad 100,0.
Als Ersatz des Naphthols hat die pharmazeutische Industrie das Epi¬
carin eingeführt, das man besonders vorteilhaft in der Kinderpraxis
verordnen kann. Epiearin
Cret. alb. ää 10,0
Sapon virid 50,0
Adip. suill. 100,0.
Natürlich kann man auch die anderen Medikamente:
Styrac. 15,0
Oi. Rapar. 30,0
Spirit. 5,0 (darüber Schwefelpuder streuen)
oder
Kali carbonic. 25,0
Sulfur, praecip 50,0
Adip. 300,0 (Besnier)
verwerten, für Kinder in dementsprechend geringeren Dosen. Von ganz
neuen Präparaten kommt das Peruol (8 Tage lang anzuwenden) und das
Kudermol in Betracht; letzteres darf aber meines Erachtens weder
bei Frauen noch bei Kindern als Nikotinderivat verwandt werden.
Hat man nun seine Patienten mit einem der angegebenen Mittel
in der oben geschilderten Weise behandelt, dann entsteht die wichtige
Frage, ob damit auch wirklich die Skabies abgeheilt ist. Diese Frage
ist nicht immer ganz prompt zu beantworten; man führt zwar als
Kriterium das Auf platzen der Gänge an, sowie ferner das Aufhören
des Juckens. Beide Beweisgründe sind aber oft nicht stichhaltig, be¬
sonders nicht das Aufhören des Juckens, aus dem einfachen Grunde,
weil die Patienten fast immer noch über Jucken klagen. Freilich stellt
sich meistens das Jucken als Brennen dar, und nichts wäre törichter,
als auf die Klagen des Patienten hin sofort wieder antiskabiös vorzu¬
gehen. Im Gegenteil; wir fassen dieses postskabiöse Jucken lediglich
als einen Reaktionszustand der irritierten Haut auf und verordnen
demgemäß milde Schwefel- oder Kleiebäder, sowie Zinktrockenpinslungen
(vgl. Pedikulosis) oder Zinksalben. Blas eh ko empfiehlt
Epicarin 3,0
Glycerin 30,0
Spirit, ad 200,0.
Bei Ekzematisation der Haut muß natürlich nach den bereits be¬
sprochenen Regeln vorgegangen werden. Besteht schon vor Einleitung
der antiskabiösen Therapie ein Ekzem oder Neigung zu Furunkulose,
dann treten vor Einleitung der antiskabiösen Therapie die bei diesen
Affektionen üblichen Behandlungsvorschriften in Kraft; doch gilt dies
nur für sehr ausgeprägte Fälle, da 'bei leichterem Auftreten diese
Hautreizungen unter antiskabiöser Therapie heilen, die nur dann an¬
fangs mil etwas weniger intensiven Mitteln arbeiten muß.
Zum Schluß möge noch der Hinweis gestattet sein, daß es sich
bei der Skabies um eine sehr infektiöse Affektion handelt und demgemäß
bei Erkrankung eines Familienmitgliedes die übrigen genau untersucht
werden müssen. Am sichersten geht man in solchen Fällen mit pro¬
phylaktischer Behandlung ä tout prix.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
15
Autorelerate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Die Pathogenese der Hauttuberkulose.
Von F. Lewandowsky.
(Vortrag, gehalten in der Biologischen Sektion des ärztlichen Vereins Hamburg,
Sitzung vom 4. April 1911.)
Es soll versucht werden zu zeigen, inwiefern die neueren Forschungen
über Tuberkuloseimmunität unsere Anschauungen von der Pathogenese der
Plauttuberkulose beeinflussen müssen. Besonders zu berücksichtigen sind
dabei die experimentellen Untersuchungen über Plauttuberkulose bei Tieren.
Neben interessanten klinischen und anatomischen Einzelheiten haben diese
vor allem das verschiedene Verhalten des Organismus gegen wiederholte
Impfung mit TB ergeben, die relative Immmunität gegen Superinfektion.
In den Kreis der Betrachtungen zu ziehen sind ferner die Studien über
Tuberkulinreaktion, speziell die kutane, beim Menschen. Die beste Er¬
klärung für alle hierher gehörigen Erscheinungen liefert einstweilen die
lytische Theorie der Tuberkuloseimunität, die zuerst von Wolff-Eisner
formuliert wurde. — Bei jedem Fall menschlicher Hauttuberkulose sind
drei Fragen zu stellen: 1. Fand die Hautinfektion mit TB statt bei einem
tuberkulosefreien oder schon tuberkulösen Menschen? 2. Wenn bei einem
tuberkulösen, wie waren Zahl und Virulenz der infizierenden Bazillen?
3. Wenn bei einem tuberkulösen, wie war der Antikörpergehalt des
Organismus? Zahlreiche, besonders in früher Kindheit entstehende Lupus¬
fälle stellen primäre Hautinfektionen tuberkulosefreier Individuen dar.
Doch gibt es auch sichere exogene Tuberkulosen der Haut bei schon
tuberkulösen Menschen. Hier handelt es sich immer um Autoinokulationen.
Vielleicht spielt dabei die Immunisierung der Bazillen gegen die Anti¬
körper des Organismus eine Holle, wahrscheinlich sind aber analog den
Tierversuchen von Roemer quantitative Verhältnisse ausschlaggebend
(Angehen sehr massiger Infektionen auch bei tuberkulösen). Hämatogene
Hauttuberkulosen entstehen am häufigsten hei darniederliegender Anti¬
körperbildung, so nach den akuten Exanthemen (Negativwerden des
Pirquet während der Masern!) oder im letzten Stadium der Phthise als
miliare Hauttuberkulosen. Beachtenswert und durch die Lysintheorie
gut erklärt ist der bei der Hauttuberkulose hervortretende Gegensatz
zwischen Bazillenzahl und histologischem Tuberkulosebefund. — Die
,Tuberkulide“ sind als hämatogene Hauttuberkulosen aufzufassen, ver¬
ursacht durch Aussaat spärlicher TB bei Personen, mit hohem Anti¬
körpergehalt. Da die Bazillen in der Läsion rasch zugrunde gehen, ist
es ohne weiteres verständlich, daß der mikroskopische Nachweis meistens
mißlingt. — Zusammenfassend kann man sagen, daß für das Zustande¬
kommen der verschiedenen Tuberkuloseformen folgende drei Haupt¬
faktoren maßgebend sind: die individuelle Disposition, Zahl und Virulenz
der Bazillen, der Antikörpergehalt des Organismus. Autoreferat.
Die Notwendigkeit und Möglichkeit ambulanter Tuberkulinbehandlung durch
den praktischen Arzt.
Von Dr. Blümel, Halle a. S. (Medizinische Klinik Nr. 11, 1911.)
Die Gefahren der ambulanten Tuberkulinbehandlung bestehen:
1. In der unzureichenden Information der Arzte über die spezifische Be¬
handlung, ja über rationelle Tuberkulosebehandlung überhaupt. 2. In
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Referate und Besprechungen.
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der Unzuverlässigkeit der Patienten und Unzulängligkeit ihrer Ver¬
hältnisse. Daß die kausale Tuherkulosebehandlung ein Stiefkind der
ärztlichen Praxis ist, liegt z. T. an der Monopolisierung der Therapie für
die Heilanstalten, z. T. an einer nicht genügend exakten Diagnostik, die
die Krankheit zu spät erkennen läßt. Die spezifische Therapie muß mit
den hygienisch-diätetischen Heilfaktoren auch in der ambulanten Be¬
handlung kombiniert werden. Mißerfolge oder besser Schädigungen durch
Tuberkulin sieht man nur infolge Nichtbeachtung von Kontraindikationen
im Laufe der Kur und infolge falscher Methodik. Empfohlen wird die
Anwendung kleiner Dosen, ihre Wiederholung, solange sie noch wirken,
bei Steigerung Berücksichtigung der Temperaturkurve, des objektiven
Befundes, der Pulsfrequenz, des Körpergewichts, des Allgemeinbefindens.
In Betracht kommen für ambulante spezifische Behandlung nur fieberfreie
Fälle. — Die Tuherkulosebehandlung durch den praktischen Arzt ist
notwendig, weil erstens die Anstalten nur einen Bruchteil selbst der
besserungsfähigen Kranken aufnehmen können, zweitens in den üblichen
drei Monaten Kurzeit kaum eine Tuberkulose geheilt wird. Nur für
Anstaltsbehandlung geeignet sind diejenigen, die infolge ihrer häuslichen,
beruflichen und persönlichen Verhältnisse (Gleichgültigkeit, Unzuverlässig¬
keit) zu Hause nicht vorwärtskommen.
Zur Erlernung der Therapie werden Kurse in Lungenheilanstalten
und ärztliche Fortbildungskurse empfohlen. Nur gut ausgebildete Thera¬
peuten sollen die Behandlung üben. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
Alexandra Ingier, über obliterierende Mastitis. (Virchows Archiv für
patholog. Anatomie, Bd. 198, S. 338, 1909.) Eine Obliteration der Milchgänge
der Mamma scheint recht selten zu sein. Der beschriebene Fall wurde bei
einer 43jährigen Frau beobachtet; makroskopisch machte der Prozeß den Ein¬
druck eines derben, etwas höckrigen Tumors von 4X3 cm Durchmesser. Die
histologische Untersuchung ergab, daß man es mit einer über das ganze Drüsen¬
system (sowohl der Endbluschen, wie der Ausführungsgänge) verbreiteten Ent¬
zündung zu tun hatte, die in den verschiedenen Partien der Drüse verschiedene
Intensität sowohl der entzündlichen Infiltration als auch einer Zerstörung
des Parenchyms aufwies. Während an den Endbläschen eine mehr oder weniger
weit vorgeschrittene Degeneration der Epithelien zu finden war, die durch
einfache Druckatrophie von dem rings umgebenden Lymphozytengewebe zu¬
stande gekommen war, waren an den Ausführungsgängen verschiedene Pro¬
zesse wahrzunehmen: Zerstörung der Adventitia durch Lymphozyteninvasion,
die eine Verbreiterung und Auffaserung derselben herbeiführt, Proliferation
von jungem Granulationsgewebe in der Innenwand dieser Schicht, die wieder
zuerst zu Reizung und Proliferation des Epithels, danach zum Zerfalle des
letzteren führt. Niemals findet man dabei eine Erweiterung des Lumens oder
eine Zystenbildung; vielmehr geht mit der zunehmenden Proliferation des
Granulationsgewehes eine Verengerung des Lumens parallel, die schließlich
hei vollständiger Vernichtung des Epithels zu Obliteration durch Verwachsung
der epithellosen Ränder des Lumens führt. Die Verfasserin glaubt nicht, daß
der Prozeß hier durch eine Sekretstauung bedingt sei, sondern neigt mehr der
Annahme eines infektiösen Ursprungs zu. W. Risel (Zwickau).
J. Hornowski, Veränderungen im Chromaffinsystem bei unaufgeklärten
postoperativen Todesfällen. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 198,
S. 93, 1909.) In vier Fällen von unaufgeklärtem Tod nach operativen Ein-
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Referate und Besprechungen.
517
griffen (Laparotomie wegen Ileus durch alte Verwachsungen des Darmes,
Exstirpation einer geplatzten Tuben Schwangerschaft, Exstirpation eines Rek¬
tumkarzinoms, Strumektomie) fand Verf. die phäochrome Substanz der Neben¬
nieren nur schlecht färbbar. Er schließt daraus und aus einer Reihe von Ver¬
suchen an Kaninchen, die lange Zeit chloroformiert wurden, daß das Chloro¬
form auf das chromaffine System so einwirkt, daß cs größeren Bedarf
der den Organismus Ionisierenden Substanz hervorruft, bis es zu ihrer völligen
Erschöpfung und demzufolge zum Tode kommt. Das Chloroform erschöpft
das chromaffine System jedoch nicht auf einmal, sondern bei länger dauernder
unterbrochener Wirkung. Die Schmalheit, der Marksubstanz in der Neben¬
niere bezeichnet eigentlich die verminderte Anzahl von phäochromen Zellen
in dem Organismus, und somit wird auch die den Organismus ionisierende
Substanz viel leichter und schneller erschöpft: daraus lassen sich die Fälle
von Idiosynkrasie gegen Chloroform erklären. Das chromaffine System wird
um so eher erschöpft, je häufiger man das Chloroform in kurzer Zeit <ein-
wirken läßt. Daher werden solche klinisch beobachteten Fälle von plötz¬
lichem Tode bei Kranken, die während leiniger Tage nacheinander chloro¬
formiert wurden, begreiflich. Sogenannter postoperativer und operativer Chock,
der vollständig von Chloroformeinwirkung unabhängig ist und nur von dem
Reizzustand des chromaffinen Systems abhäijgt, beruht auf Erschöpfung der
den Organismus tonisierendeu Substanz. Ist der Organismus imstande, mit.
dem vergrößerten Verbrauche der ihn tonisierenden Substanz gleichen Schritt
zu halten, und zwar dadurch, daß er sie stets und in genügender Menge er¬
zeugt, was sich durch die auffällig dunkelbraune Färbung der phäochromen
Zellen der Nebenniere charakterisiert, so tritt der Tod nicht ein. Die deji
Organismus ionisierende Substanz wird um so leichter und schneller er¬
schöpft, je mehr Faktoren es gibt, die ihre Ausscheidung anregen. Darum
ist die vereinte Wirkung von Chloroform mul von starker Reizung des
sympathischen Systems für den Organismus sehr schädlich. Jedoch auch
in solchen Fällen tritt die Erschöpfung der den Organismus tonisierenden
Substanz nicht sofort ein, sondern erst nach einer gewissen Zeit. Die den
Organismus ionisierende Substanz wird von dem chromaffinen System abge¬
schieden, und zwar am schnellsten von jenen Zellen, die der Gefäßwand
anlicgen. Das verrät die schwache Färbung oder der vollständige Mangel
derselben, der sogar bei den Zellen, die um die Venen in der Marksubstanz
der Nebenniere herumgruppiert sind, Vorkommen kann. Die Versuche des
Verf. (weniger die Sektionsbefunde, deren Beweiskraft dadurch erheblich
beeinträchtigt wird, daß z. T. 14 1 15, 20 Stunden zwischen Tod und Sektion
lagen, d. h. eine so lange Zeit, daß eine brauchbare Färbbarkeit des chrom-
affinen Gewebes schon unter normalen Verhältnissen nur noch selten erzielt
wird, Ref.) lassen es wünschenswert erscheinen, in Fällen, wo sieh die-Todes¬
ursache durch die Sektion nicht festste!len läßt., immer das Verhallen des
chromaffinen Systems zu untersuchen. Man könnte vielleicht daran denken,
oh nicht. Injektionen von Extrakten aus dem Marke der Nebennieren in Fällen
von sog. postoperativem Chock für die Kranken günstig wären.
W. Risel (Zwickau).
Klausner (Prag), Übertragung von Antipyrinempfindlichkeit auf Meer¬
schweinchen. (Müuchn. med. Wochenschr., Nr. 3, 1911.) Je 5 ccm Serum
eines Patienten mit hochgradiger Überempfindlichkeit gegen Antipyrin wurden
drei Meerschweinchen eingespritzt. Nach 24 Slunden wurde dem einen Tiere,
uach 48 Stunden und nach’ 8 Tagen den beiden andern 0,3 Antipyrin < in verleibt.
Alle drei Tiere erkrankten an schwersten klonisch-tonischen Krämpfen. Die
beiden ersten gingen nach wenigen Stunden ein, das dritte erholte sieh. Kon¬
frontiere, welchen 5 ccm Semun eines normalen Menschen und die gleiche
Dosis Antipyrin injiziert worden war, ertrugen die Einverleibung ohne wesent¬
liche Störung. Es gelang in einem Falle, die auf diesem Wege erzielte Über-
empfindlichkeit eines Meerschweinchens durch Injektion seines Serums auf
ein weiteres zu übertragen. Idiosynkrasien gegen manche Arzneimittel zeigen
also der Anaphylaxie entsprechende Verhältnisse. R. Iscnschmid.
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Referate und Besprechungen.
H. Hildebrandt (Halle a. S.), Zur Frage der Resistenz und Überemp¬
findlichkeit des Tierkörpers gegenüber chemischen Agentien. (Ther. Monatsh.,
H. 3, 1911.’) H. schlägt vor, das Cholesterin nicht nur bei Malaria, sondern
auch bei Eklampsie zu versuchen, da auch hier hämolytische Prozesse Vor¬
kommen. Auch wienn man nicht auf dem Standpunkt steht, daß speziell der
Ölsäure eine Bedeutung beim Zustandekommen der hämolytischen Erschei¬
nungen bei der Eklampsie zukommt, so könnte doch ein Mangel an lipo-
philen Stoffen dabei eine Rolle spielen, dem Cholesterin entgegenwirkt.
S. Leo.
Innere Medizin.
Erb (Heidelberg), Zur Klinik des intermittierenden Hinkens. (Münchn.
med. Wochenschr., Nr. 47, 1910.) Als Ergänzung zu früheren Arbeiten über
das intermittierende Hinken teilt Erb mit, daß sich unter 50 Fällen seiner
Beobachtung 29 starke und enorme Raucher fanden, also 58% gegenüber
22,5%> ebensostarker Raucher in einer Reihe von 200 andern, nicht an Dys-
basie leidenden Patienten seiner Praxis, welche den gleichen Bevölkerungs-
kreisen angehörten. Auch die nicht auf die untern Extremitäten beschränkte
Arteriosklerose sah Erb besonders oft bei schweren Rauchern, so litten z. B.
von den 14 ,,enormen“ Rauchern, welche der Autor in allerletzter Zeit unter¬
suchte, nicht weniger als 12 an allgemeiner Arteriosklerose. Er neigt des¬
halb dazu, dem Nikotin für die Entstehung der Arteriosklerose eine be¬
sonders große Bedeutung zuzuschreiben.
An Hand einiger eigener und fremder Fälle führt E. an, daß auch
eine akute Arteriitis, welche mit. Schmerzen und manchmal mit Fieber ein¬
hergeht, zu einem Verschwinden der Fußpulse und zum vollen Bilde des
intermittierenden Hinkens führen kann. R. Tsenschmid.
Fern. Besan^on u. M. P. Weil! (Paris). Die Gewichtskurve bei Tuber¬
kulösen. (Bullet, med., Nr. 100, S. 1149—1152, 1910.) Die Gewichtskurve
bei Tuberkulösen verläuft im allgemeinen parallel dem klinisch-patholo¬
gischen Prozeß; aber eben nur im allgemeinen. Im einzelnen findet man
nicht selten am Ende einer Fieberattacke, noch bei hohen Temperaturen,
ein Ansteigen des Gewichts; und umgekehrt — als Vorbote d’une poussee —
bei scheinbarem Wohlbefinden eine Abnahme. So erscheint die Gewichtskurve
klinisch wichtiger als die Temperaturkurve; ähnlich bedeutungsvoll, aber
weniger leicht zu bestimmen, wären die Kurven der Chloridausscheidung und
der eosinophilen Zellen.
Das etwa ist der kurze Inhalt eines ziemlich langatmigen Artikels;
und auch das Wenige ist nicht sonderlich neu. Paul Er ma n pflegte über
derlei Arbeiten zu sagen: „La parole ne lui coüte rien parce qu'il n’est pas
distrait par la pensee.“ Buttersack (Berlin).
Waldvogel (Göttingen), Vom Gastrospasmus. (Münchn. med. Wochen¬
schrift, Nr. 2, 1911.) Der Gastrospasmus wird viel zu selten diagnostiziert.
Nicht nur bei Bleivergiftung, bei Nikotinabus und bei Arteriosklerose der
Bauchgefäße, sondern besonders als Symptom der Neurasthenie findet W.
diesen Zustand außerordentlich häufig. Wenn ein Patient über Druck und
Völle, oft schon sofort .nach der Nahrungsaufnahme und über Aufstoßen
reiner Luft klagt, während schwerere dyspeptische Erscheinungen fehlen, ist
vor allem an Gastrospasmus zu denken. Der Magen soll mit einer bestimmten
Menge von Kohlensäure (4 g Natr. bicarbonic. und 4 g Acid. tartaric. in je
100,0 Wasser) gebläht werden. Findet nun die Perkussion die große Kur¬
vatur, anstatt wie normal, in Nabelliöhe erheblich höher stehend, ist. die
Diagnose mit Sicherheit zu stellen, wenn die Anamnese schwerere organische
Ursachen für die mangelhafte Ausdehnungsfähigkeit (peritonitische Adhäsionen,
altes Ulcus) auszuschließen erlaubt. Die Therapie besteht in Atropin, 2- bis
3mal tägl. 1 / 2 mg, eventuell kombiniert mit Opium. R. Tsenschmid.
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Referate und Besprechungen.
519
F. Ploch (Osnabrück), Heilung einer ösophagusstriktur mit Fibrolysin.
(Deutsche med. Wochen sehr.* Js T r. 8, 1911.') Bei einer 34jähr. Pat. bestand eine
narbige Striktur des Ösophagus in der Höhe des Ringknorpels, deren Ursache
nicht zu ermitteln war. Es wurden ambulatorisch wöchentlich zwei intra¬
muskuläre Injektionen von 'Fibrolysin (je 1 Ampulle) entweder in die Glutäen
oder die Deltoidei ausgeführt. Nach 17 Einspritzungen war völlige Heilung
eingetreten. P. Walther.
A. D. Waloschin (Kronstadt), Zur Frage der Embolie mit parenchy¬
matösen (Leber-)Zellen. (Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 23 u. 24, 1911.) Ein
45jäJiriger Arbeiter sank beim Heben einer sehr schweren Last plötzlich unter
heftigen Ahdominalschmerzen zu Boden und lag eine halbe Stunde bewufitlos.
Nach 8 Tagen Exitus unter zunehmender allgemeiner Schwäche, Leibschmerz
und Atemnot. Temperatursteigerungen bis 38°. Die Sektion ergab unter
anderem Verstopfung der Kapillaren der oberen Mesenterialarterie mit nach¬
folgender eitriger Erweichung und teilweiser Nekrose einer Diinndarmschlinge.
Mikroskopisch wurden in den erwähnten Kapillaren und in den Nieren¬
gefäßen Leberzellen festgestellt. In der Leber selbst zeigten sich Verände¬
rungen wahrscheinlich alkoholischen Ursprungs. Am Elingang und Schluß
des Berichtes führt Verf. ausführlich die einschlägige Literatur an. Esch.
Studsinski, Über den Einfluß der Fette und Seifen auf die sekretorische
Tätigkeit des Pankreas. (Russki Wratsch, Nr. 2 u. 3, 1911.) Reines neu¬
trales Fett wirkt nicht auf die Sekretion der Bauchspeicheldrüse und sollte
auch nicht als spezifisches Mittel zur Anregung der sekretorischen Tätig¬
keit des Pankreas angewandt werden. Die im Handel vorkommenden Fette
regen durch ihren Gehalt an freien Fettsäuren die Sekretion des Pankreas
an. Reine Fettsäure, wie die Oleinsäure, wirkt in hohem Grade erregend,
auf die Sekretion der Drüse. Die Fettsäuren reizen die Schleimhaut des
Verdauungskanals und führen zu Entzündungen. In 1—10°/ 0 igen Lösungen
wirken Seifen sehr anregend auf die Sekretion des Pankreas.
Schieß (Marienbad).
Lipowski (Bromberg), Die Behandlung der chronischen Obstipation
durch Paraffineinläufe. (Münehn. med. Wochensehr., Nr. 50, 1910.) L. hat
durch Einläufe von physiologischer Kochsalzlösung in den Enddarm festge¬
stellt, daß bei chronischer Obstipation die Resorptionsfähgkeit der Diok-
larmschleiinhaut krankhaft gesteigert ist. Die abnorme Eindickung des In¬
halts, sein zähes Haften, die damit einhergehende anatomische Veränderung
der Schleimhaut sind nach dem Autor durch diese abnorme Resorptionsfähig¬
keit bedingt. Um diese zu bekämpfen, überzieht er die Schleimhaut mit
niedrig schmelzendem Paraffin, das bei Körpertemperatur Salbenkonsistenz
hat (hergestellt durch die deutsche Paraffin Vertriebsgesellschaft in Berlin).
Er rät, 200 g dieses Öls in flüssigem Zustand mittels erwärmten Schlauchs
und Trichters oder mittels Spritze abends einzuführen, worauf in der Regel
am folgenden Morgen eine halbfeste Entleerung erfolgt. Bei öfterer Wieder¬
holung der Prozedur soll, wie rektoskopiseh konstatiert wurde, die im Sinne
eines chronischen Katarrhs veränderte Schleimhaut normales Aussehen er¬
langen und die Resorptionsfähigkeit auf die Norm zurückgehen.
R. Isenschmid.
E. Schlesinger (Berlin), Pneumopessar für Hämorrhoiden und Anal¬
prolapse. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 6. 1911.) Das von ,Sc h l e s i nge r
konstruierte, von Rusch & Co., Rommelshausen-Stuttgart, hergcstellte
Pneumopessar besteht aus einem Nelatoiikat.het.er. der an dem einen Ende
einen dem beigegebenen Füllballon angepaßten Drehhahn trägt, und über
dessen anderes mit dem Lumen versehenes Ende ein Weichgummimantel ge¬
zogen ist. Dieser Mantel wird mit den beigegebenen Creme, nicht mit Öl,
eingefettet, nach Reposition der Hämorrhoidalknoten eingeführt und dann
aufgeblasen. Er kann Tag und Nacht getragen werden, hält die Knoten
prompt zurück, ja vermag infolge der ständigen Kompression sogar eine
Verklebung der Innenflächen der Knoten und völlige Verödung lierbeizu-
führen.
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F. Walther.
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520
Referate und Besprechungen.
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Gynäkologie und Geburtshilfe.
O. Büttner (Rostock), Anatomische und klinische Untersuchungen über
die Endometritis. (Archiv f. Gyn.. Bd. 92, H. 3, 1911.) Wenn man in der
Endometritisfrage weiter kommen wolle, müsse man klinische und anato¬
mische Untersuchung am selben Objekt kombinieren. Dies hat B. an einem
Material von 271 Ausschabungen getan, bei welchen sowohl der Menstrua¬
tionstypus wie der genaue Menstruationstermin bekannt waren, ß. fand, daß
die H i t s c h m a n n - A d 1 e r’sche Zykluseinteilung sogar noch weiter diffe¬
renziert werden müßte und zwar in die Menstruation, das .Postinenstruuni.
in ein Frühintervall (8.—13. Tag), in ein mittleres Intervall (14.—17. Tag),
in ein Spätintervall (18.—21. Tag) und als t>. Phase in das Prämenstruum.
Jede dieser Phase sei histologisch wohl charakterisiert. In den Intervall-
Perioden spielen sich hauptsächlich die Epithelregeneration und später die
Sekretbildung ab. das Prämenstruum sei charakterisiert durch die sekret¬
gefüllten Drüsenlumina und die büschelförmige Anordnung des Epithels,
dessen Kerne wieder mehr basalwärts stehen. In jeder menstruierenden
Uterusschleimhaut gehen, wie B. des weiteren feststellt, zahlreiche Zell-
individuen durch Pyknose zugrunde. Diesen Kernzerfall fand B. auch in
prämenstruellen Schleimhäuten, am Ende des Zyklus nahezu regelmäßig, und
im Postmenstruum bis zum 5. Tag. Es komme somit der Pyknose eine er¬
hebliche Bedeutung zu für die zeitliche Diagnose, die allerdings bereits
durch das allgemeine Schleimhautbild der einzelnen Phasen genügend ge¬
sichert sei. Doch könne das Fehlen oder Vorhandensein von Pyknose in
manchen Fällen wesentlich dafür mitbestimmend sein, ob man eine Blutung
als menstruelle oder als atypische aufzufassen hat. — Selbstverständlich
müsse der Norm eine gewisse Breite zugestanden werden, was für die rich¬
tige Beurteilung stärkerer Drüsenhypertrophien sehr wichtig ist. Eine solche
sei nicht pathologisch, sofern nur das allgemeine Schleimhautbild zeit-
entsprechend ist. Ein besonderes Kapitel ist der glandulär-zystischen Hyper¬
trophie des Endometriums (Endometritis fungosa) gewidmet, ein Zustand,
welcher durchaus wohl charakterisiert ist und als Krankheitsbild auf¬
recht erhalten werden muß. — B. führt dann noch aus, daß allen den sog.
endometritischen Prozessen in letzter Linie *Funktions- bez. Reizzustände
der Ovarien zugrunde liegen müssen, ebenso den bei ihnen vorkommenden
Blutungen, die also B. als echte Menorrhagien auffaßt. Diese ovariellen
Reize können sowohl heterochthoner wie autochthoner Natur sein, im letzte¬
ren Fall würde eine primäre Erkrankung des Genitalapparates vorliegen. —
Idiogene, d. h. selbständige Hypertrophien der Uterusschleimhaut dürften nur
zirkumskript im höheren Alter, z. B. als Schleimhautpolypen, Vorkommen.
R. Klien (Leipzig!.
H. Freund (Straßburg), Die nichtoperative Behandlung entzündlicher
Frauenkrankheiten. (Ther. Monatsh., H. 3, 1911.) Die wichtigste Aufgabe
bei der konservativen Behandlung entzündlicher Frauenleiden ist die Resorp¬
tion pathologischer Sekrete und angestauter Lymphflüssigkeit. Auch in sehr
alten Fällen, in denen das Beckenbindegewebe harte Stränge oder die Adnexe
derbe Knoten bilden, besteht diese Aufgabe. Man kann eine Resorption
durch direkte Entziehung, medikamentös durch Hitze und Kälte erreichen.
Das beliebteste Mittel ist der Glyzerintampon. Das Glyzerin ist derjenige
Stoff, der reichlich Wasser aufzunehmen imstande ist. Nur muß der Tampon
richtig angefertigt und eingelegt werden. Ein harter, zu großer Wattepfropfen
nimmt nicht genug Glyzerin an, verliert davon noch beim Einlegen und
kommt mit den Scheidewänden nicht in so ausgedehnte Berührung, daß er
aufsaugen kann; auch verursacht er leicht Brennen und Drücken. Er muß
am besten direkt vor dem Gebrauch aus sauberer Watte sehr locker und nicht
zu groß hergestellt und mit Glyzerin durch und durch getränkt eingeschoben
werden. Es resorbieren solche Körperabschnitte am besten, die gut mit
Lymphapparaten ausgestattet sind, besonders, wenn sie in breiter Ausdehnung
ungeordnet sind. Darum ist das Endometrium Oorp. uteri so gut zum Rcsor-
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Referate und Besprechungen.
521
bieren geeignet, der Hauptteil der Scheide und der äußere Überzug der
Portio vaginalis schlecht, weil das geschichtete Plattenepithel hindernd
wirkt. Nur das hintere Scheideugewölbe ist ebenfalls zur Resorption ge¬
eignet. Darum ist nur der Tampon richtig eingelegt, der hinter der Portio
der hinteren Fornix sich eng anschmiegt. Man bringt ihn in Rückenlage
oder besser in Sime’scher Seitenlage mit oder ohne Benutzung einer Halb-
rinne dorthin. Es ist nicht angezeigt, den Pat. selbst die Einführung zu
überlassen; denn sie kommen mit ihren Fingern meistens nicht bis ins
Scheidengewölbe, auch nicht unter Benutzung einer Tamponmaschine. Auch
Laien, Wärterinnen die Einführung zu überlassen, ist unrichtig. Im Ge¬
brauche der Gelatiuekapseln und der mit Medikamenten gefüllten „Ovula“
kann F. einen Ersatz der Tampons nicht erblicken. Als schmerzstillender
Zusatjz hat sieh 1—2°/„iger Ohloralhydrat bewährt; bei größeren Dosen
kann eine toxische Wirkung eintreten. S. Leo.
B. Krönig, Bemerkungen zur Prolapsoperation. (Archiv für Gyn.,
Bil. 92, H. 1, 1910.) K. legt der Beschaffenheit des Levator ani die größte
Bedeutung bez. der Prolapse bei. Klaffe der hintere Teil des Levatorspaltes
im kontrahierten Zustand nur etwa zwei Querfinger, dann komme man mit
der gewöhnlichen Hegar’schen Kolporrhaphie mit Perineoplastik aus. Klaffe
er aber meh r, dann müsse man die Levatorschenkel frei präparieren
und vernähen. In sehr schönen Tafeln wird abgebildet, wie man das
macht. Zugrunde gelegt sind den Abbildungen offenbar die denkbar gün¬
stigsten Fälle, wo man nämlich diese Schenkel kräftig entwickelt vor-
findet und wo ihre Vereinigung ohne Spannung möglich ist. In diesen
Fällen wird man allerdings die Prognose quoad Rezidiv gut stellen dürfen.
Sind aber nur dünne Muskelplatten vorhanden, die sich nur unter Spannung
in der Mittellinie vereinigen lassen (und die man wohl so und so oft gar nicht
wird herauspräpariren können, Ref.), dann stellt auch K. die Rezidiv -
Prognose schlecht. In diesen Fällen helfe von operativen Eingriffen höch¬
stens die Kolpokleisis mit Erhaltung des Uterus, aber auch nur vorüber¬
gehend. K. betont des weiteren, daß die Operation mit Präparation und Ver-
nähung der hinteren Levatorschenkel wegen der längeren Dauer und der
Nichtvermeidbarkeit toter Räume nicht vollkommen lebenssicher und infolge¬
dessen auch nur bei strenger Indikation anzuwenden sei. — Bei gleichzeitig
bestehender Retroflexion macht K. bei Frauen nahe oder im Klimakterium
nebenbei die Vaginifixur mit starker Raffung und Verlagerung der Blase,
bei Frauen im gebärfähigen Alter die Alexander-Adams’sche Operation,
ohne aber mit deren Erfolgen zufrieden zu sein, denn es wurden bis zu 33%
rezidiv. Bei Vorhandensein mehrerer Kinder komme die tubare Sterilisation
in Frage. Die Schaut a’sche Inter position hat K. bisher noch nie an -
gewendet, hat aber in von anderen operierten Fällen Rezidive, und zwar recht
schlimmer Art gesehen. Durchaus ablehnend verhält er sich endlich der
Totalexstirpation gegenüber, auch wegen der vielen nach derselben beobach¬
teten Rezidive. R. Klien (Leipzig).
H. Fiith, Die Behandlung unkomplizierter Blutungen, insbesondere über
die radikale Beseitigung der klimakterischen und präklimakterischen mittels
Korpusamputation. (Archiv für Gyn.;, Bd. 92, H. 1, 1910.) Ein großer Teil
der Menorrhagien sei zweifelsohne auf eine chronische H y perämie der
Beckenorgane zurückzuführen, wobei die chronische Obstipation eine
nicht zu unterschätzende Rolle spiele. In solchen Fällen deuten gewisse
Klagen der Pat. direkt auf eine ungleichmäßige Blut Verteilung hin: Klagen
über heißen Kopf, kalte Füße, leichtes Frieren. Bei solchen Frauen dürfe
inan Blässe des Gesichtes ohne Blutuntersuchung nicht auf Blutarmut be¬
ziehen. Therapeutisch sah F. hier von ein- oder mehrmaligen Sknrifika-
t io neu der Portio mit Entziehung von je 1—2 Eßlöffeln Blut einige
Tage vor Beginn der Periode gute z. T. andauernde Erfolge. Nebenher muß
ein allgemeines Regime der ungleichmäßigen Blutverteilung und der Obsti¬
pation entgegenarbeiten. — Bei Blutungen nervösen Ursprungs, z. B. bei
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Referate und Besprechungen.
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Frauen, die viel durchgemacht haben, deshalb aber noch lange nicht als
hysterisch bezeichnet werden dürfen, empfiehlt F. Ruhe, Styptika und
Digalen. — Bei dünner wäßriger Beschaffenheit des abgehenden Blutes
erwiesen sich Gelatineinjektionen oder -klysmen des öfteren von Nutzen. —
Hilft das alles nicht und handelt es sich dazu noch um arbeitende Frauen,
dann sei die von R i e c k empfohlene vaginale Korpusamputation
am Platze, eine bei weitem weniger eingreifende und ungefährlichere Opera¬
tion als die vaginale .Totalexstirpation. R. Klien (Leipzig).
Ph. Jung (Göttingen), Weitere experimentelle Beiträge zu der Möglich¬
keit einer aufsteigenden Genitaltuberkulose. (Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 3,
1911.) Der Streit, ob eine aufsteigende Genitaltuberkulose beim Weibe mög¬
lich sei, ist bekanntlich noch nicht entschieden. Da v. Baumgarten
die diesbezüglichen positiven Ergebnisse von Ben necke und Jung an-
zweifelte, weil die Versuchsanordnung nicht einwandfrei gewesen sei, hat J.
neue Versuche in der vorsichtigsten Weise angestellt, die wohl auch den
v. B a u m g a r t e n’schen Anforderungen genügen dürften. Diese Versuche
ergaben für das Kaninchen wiederum die Möglichkeit einer ansteigenden
Tuberkulose. So wurden Fälle beobachtet, in denen nach Infektion des
linken Uterushornes das rechte erkrankte, und andererseits wurde bei vor¬
sichtigstem Einbringen von frischem Perlsuchtmaterial in die temporär ab-
gebundeno Scheide ein Hinaufwandern der entstandenen Schleimhauttuber-
kulosc in die Uterushörner beobachtet mit folgendem Durchwandern des
Myometriums. Diesen Modus führt J. zurück auf die antiperistaltischen Be¬
wegungen des Uterus. Da diese auch beim Menschen Vorkommen, bestehe die
Möglichkeit, daß auch beim Menschen gelegentlich einmal die Tuberkulose
eine aufsteigende sei. Sehr gestützt wird diese Ansicht durch die Experi¬
mente von Engelhorn. R. Klien (Leipzig). .
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
G. Walcher (Stuttgart), Weitere Erfahrung in der willkürlichen Be¬
einflussung der Form des kindlichen Schädels. (Münchn. med. Wochenschr.,
Nr. 3, 1911.) W. zeigt uns, daß die Form des menschlichen Schädels sehr
wesentlich von einer Zufälligkeit abhängt, nämlich der Lage, die der Kopf
in den ersten Lebensmonaten eingenommen hat. Liegen dio Säuglinge beständig
auf dem Hinterkopf, so werden sie zu Kurzschädeln, liegen sic auf der Seite,
wird der Schädel dolichoccphal. Dauernde Rückenlage erzielt W. durch
Lagerung auf einem weichen Federkissen, während die Bettlade niedrig steht
und hohe, undurchsichtige Seitenwände hat, so daß der Blick des Säuglings
immer nach oben gelenkt wird. Ist das Kopfpolster hart, wählt das Kind
die Seitenlage, weil es ihm schwer fallen würde, seinen Kopf auf dem hin¬
teren Pole zu balanzieren. Steht, dazu die Bettlade hoch und an eine Wand
gelehnt, so daß sich die. Außenwelt, sozusagen seitlich vom Kinde befindet,
bleibt es dauernd in Seitenlage. Auf diese Wjeise hat der Autor die Schädel
mehrerer Kinder systematisch beeinflußt und tut an Hand von Messungen
und Abbildungen dar. daß es ihm gelang, auf diese Weise die Form der Schädel
sehr erheblich umzugestalten. Von zwei eineiigen Zwillingen mit bei der
Geburt gleichen Schädeln, ließ er den einen braehyeephal, den andern doli-
chocephal werden; ähnlich verfuhr er in vielen anderen mit einander ver¬
gleichbaren Fällen. Die. so gewonnene Schädelform scheint sich zu fixieren
und in den späteren Lebensjahren keiner wesentlichen Änderung zu unter¬
liegen.
Die Zahl und das Alter der W.’schen Erfahrungen ist noch zu gering,
um über jeden Zweifel erhaben zu sein. Sollten sie sich aber bestätigen,
würden die Anthropologen künftig a.Us den Schädelformen in erster Linie
die Beschaffenheit der Lager, welche die verschiedenen Rassen ihren Kindern
gaben und geben, erschließen können. Nachprüfungen werden unschwer Klar¬
heit schaffen. R. Isensclimid.
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Referate und Besprechungen.
523
R. Stern (Wien), Klinische Studien über die Zukunft nervenkranker
Kinder mit spinalen und zerebralen Lähmungen. (Jahrb. für Psych., Bd. 32,
H. 1 u. 2.) Die allgemeine, von Oppenheim und G o w e r s wohl vor allem
inaugurierte Ansicht, daß gelähmte Kinder in ihrer Widerstandsfähigkeit
gegenüber anderen krankhaften Prozessen geschwächt sind und leicht andere
Nerven- oder Organerkrankungen akquirieren, konnte S. an seinem sehr
großen Material (58 Seiten Krankengeschichten) nicht bestätigen. Abgesehen
von falscher Diagnose des ursprünglichen Leidens kommt die übliche An¬
nahme wohl daher, daß im allgemeinen nur über die später wiederum er¬
krankten Kinder berichtet wird. Die Nachforschungen führen S. zu pro¬
gnostisch wichtigen Erkenntnissen. Erkrankungen im höheren Alter sind
nach Überstehen des akuten Stadiums nicht ungünstiger. Unter den Sym¬
ptomen sind von übler Vorbedeutung einmal die zerebralen (50°/o der un¬
günstig verlaufenden zeigten Reflexsteigerung) u. a. infolge der Disposition
zur Epilepsie, sodann die Kombination mit Polyneuritis. Für die letztere
spricht eine langsam und schubweise ein tretende Lähmung und ferner ein
langes Stationärbleiben derselben mit späterer namhafter Besserung (nicht
durch Vorderhornerkrankung zu erklären). Die Gefahren der polyneuriti-
schen Komponente liegen vor allem in der Tendenz dieses Leidens zu Rezi¬
diven. Die Ausbreitung der Lähmung ist insofern wichtig, weil die Er¬
krankung nur einer Extremität günstig, das, wenn auch nur partielle Er¬
griffensein beider Arme ungünstiger, die totale Lähmung beider Beine noch
schlechter und die Kombination des letzteren mit einem Arm am infaustesten
ist. Von späteren Erkrankungen haben die Luxationen und Frakturen der
befallenen Extremitäten eine gewisse Bedeutung, welche wohl auf die Schlaff¬
heit der Gelenke, die Atrophie der Knoohen und die Ungeschicklichkeit zu
beziehen sind und lieben anderen Momenten eine Schonung des Gliedes vor¬
teilhaft erscheinen lassen. Bezüglich der untypischen Fälle sei nur daran
erinnert, daß die poliomyelitische Erkrankung eine Expansionsfähigkeit über
fast alle durch spinale Läsionen izu erzeugenden Krankheitserscheinungen
besitzt, und daß es keine spinalen Symptome gibt, die an sich ermächtigen,
eine poliomyelitische Erkrankung auszuschließen.
Unter den zahlreichen Fällen von zerebraler Kinderlähmung befand
sich kein einziger mit völlig normalen geistigen Fähigkeiten. Eine Progre¬
dienz im intellektuellen Verfall boten lediglich die Fälle mit Epilepsie, eine
in etwa 28°/o eintretende Komplikation. Es ließen sich aber auch Störungen
in der Willenssphäre und im Gemütsleben und Entwickelung von Psychosen
nachweiseil. Bei den infolge der Imbezillität Erwerbsunfähigen fällt das
Überwiegen der rechtsseitigen Parese auf. Recht häufig sind die posthemiple-
gischen Spontanbewegungen, welche aber die Prognose nicht trüben, vielmehr
meist nach einigen Jahren wieder aufhören. Bemerkenswert ist auch, daß die
Athetose sich meist nur bei den Fällen mit geringen Paresen findet,
daß ferner diese Kranken zu Willensstörungen neigen. Bezüglich des
Typus der Hemiplegie läßt sich ein großer Unterschied zu den zerebralen
Hemiplegien der Erwachsenen feststellen, indem bei den Kindern nicht die
Dissoziation der Lähmung eintritt, sondern die paarweise Lähmung einiger
Agonisten und Antagonisten und zwar besonders regelmäßig der Rotatoren,
Pronatoren und Supinatoren. S. weist dann noch auf eine weniger bekannte
•forme fruste“ der zerebralen Kinderlähmung hin, auf den Hemikranie-
typus. Anamnestisch erfährt man meist nur von Konvulsionen in der
frühen Kindheit und späteren meist in der Pubertät auf tretenden Migräne -
uifällen. Objektiv findet man eine einseitige Gesichtshypoplasie (an dem
häugenunterschied der Ohren oft gut erkennbar) meist mit einer Hypoplasie
der entgegengesetzten Brusthälfte, Arm und Hand, eine Hyperalgesie der¬
selben Kopfhälfte und eine Hypalgesie der alternierenden Extremitäten hin¬
sichtlich Schmerz und Temperatur.
Auch die mit infantiler zerebraler Lähmung Erkrankten zeichnen sich
durch eine gewisse Resistenz gegen andere Nerven- und Organerkrankungen
aus. Eine weitere Übereinstimmung mit den infantil spinal Gelähmten be
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Referate und Besprechungen.
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steht von der noch hypothetischen als identisch aufgefaßten Ätiologie abge¬
sehen. in der Neigung beider an Basedowoiden (Struma, leichtere Erregbarkeit,
weite Lidspalten, seltener Lidschlag, nie Protusio bulbi) zu erkranken und
die Tatsache einer besseren Prognose der im späteren Alter damit erkrankten
Fälle, was vielleicht zu der Annahme berechtigt, daß die Resistenz dieser
Individuen auf die infolge der vergrößerten Schilddrüse erfolgenden ener¬
gischeren Elimination toxischer und infektiöser Produkte zu beziehen ist.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß bei der Komplikation von
Morb. Basedow mit progredienten Nervenleiden, z. B. Tabes, das Struma in
50V« vermißt wird, während es im allgemeinen nur in 3% aller Basedow -
Fälle fehlt. Die 170 Seiten lange Arbeit enthält noch viel Interessantes.
Zweig (Dalldorf).
W. J. Maloney, Die Beziehungen der chemischen Zusammensetzung der
Muttermilch zu chronischer Diarrhöe und Ekzem der Säuglinge. (Practitioner.
Bd. H. 2.) Die häufige Überfütterung der Brustkinder behandelt M. mit
Rizinusöl und kurzdauerndem (2—5 Min.), aber häufigem (neunmal täglich)
Anlegen. Manche Kinder bringen es fertig, in der kürzesten Zeit zuviel zu
trinken, hier muß vor dem Anlegen etwas Milch abge3augt werden.
Ekzem der Rrustkinder kann in der Regel durch Abstollen der Über¬
fütterung und Regulierung der mütterlichen Diät und Körperbewegung ge¬
heilt werden. Ekzem sowohl als I) i a r r h ö e beruhen oft auf zu hohem
Fettgehalt der Muttermilch. Weicht dieser nicht der diätetischen Behandlung
der Mutter, so läßt man das Künd kurze Zeit an beiden Brüsten trinken,
da die Milch zu Anfang weniger fettreich ist. Der Laktosegehalt der Milch
scheint ziemlich unabhängig von der Ernährung und dem sonstigen Verhalten
der Mutier zu sein und keinen Einfluß auf Ekzem und Diarrhöe zu haben.
Zuweilen scheint letztere auf der Anwesenheit eines abführenden Körpers
in der Milch oder Überempfindlichkeit des Darmes zu beruhen. —
Man sieht also auch aus dieser Arbeit wieder, daß zwar Muttermilch
die beste Säuglingsnahrung ist, daß man aber mit der bequemen Regel, unter
allen Umständen die Milch der eignen Mutter für eine keiner Verbesserung
fällige Nahrung zu halten und das Kind nach Instinkt trinken zu lassen,
nicht anskommt. Fr. von den Velden.
Leede (Hamburg-Eppendorf), Hautblutungen durch Stauung hervor¬
gerufen als diagnostisches Hilfsmittel beim Scharlach. (Münchn. med.
Wochonsehr., Nr. 6, 1911.) Wird oberhalb der Ellenbeuge eine breite Gummi¬
binde auf 10—15 Minuten so fest, um den Arm gelegt, daß die Venen deutlich
hervortreten, die Hand bläulich wird, der Puls aber gut fühlbar bleibt, findet,
man nach Lösen der Binde an der zarten Haut der Ellenbeuge häufig feine,
petechiale Blutungen. Wie wohl Jeder bestätigen kann, der zu anderen Zwecken
am Arm die Stauung-sbinde angelegt hat. treten solche kleinere oder größere
Hautblutungen hei einzelnen Kranken der verschiedensten Art auf: besonders
konstant findet Leede diese Blutungen bei Scharlach, so daß er ein Aus¬
bleiben derselben als „fast sicheres Criterium gegen Scharlach'* in diagnostisch
schwierigen Fällen verwerten will. R. Isenschmid.
Baisch (München), Der Pemphigus syphiliticus der Neugeborenen.
(Münchn. med. Wochonsehr. Nr. 5, 191L.» Ein elendes mit Pemphigus bl äsen
bedecktes (Spirochäten Nachweis) neugeborenes Mädchen, bei welchem trotz
Salvarsanbehandlung der stillenden Mutter neue Eruptionen auftraten, wurde
in Abständen von 10 Tagen mit je 0,15 Arsenobenzol in neutraler Suspension
in die Glutaeen injiziert und dadurch Heilung der Hautaffektion und rasche
ZiiTiaiiUie des Körpergewichts erzielt — eine bei der schlechten Prognose
des Pemphigus der Neugeborenen bemerkenswertes Resultat. R. Isenschmid.
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Referate und Besprechungen.
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Psychiatrie und Neurologie.
J. Wedensky, Über die Methoden der ambulatorischen Behandlung des
Alkoholismus (vergleichende therapeutische Beobachtungen). Verh. des III.
Kongr. russ. Irrenärzte in SJ. Petersburg. Jan. 1910. (Psych. d. Gegeuw.,
Bd. 4, H. 44.) Vortr. hat ein Material von über 500 Fällen statistisch be¬
arbeitet, welche er in dem Ambulatorium für Alkoholiker des Moskauer
Kuratoriums für Volksnüchternheit im Laufe von zwei Jahren beobachtet
hatte. Alle Kranke wurden in drei Kategorien geteilt: die erste Gruppe
wurde mit allgemeiner Psychotherapie ohne Hypnose behandelt; es wurden
hier auch Medikamente meist zur suggestiven Wirkung verordnet. Die zweite
Gruppe wurde anfangs ebenso behandelt, jedoch zum Schlüsse der Behand¬
lung außerdem noch franklinisiert. Die dritte Gruppe wurde mit Hypnose be¬
handelt. Die Behandlung dauerte 5—6 Monate, mitunter auch ein Jahr.
Es wurden genaue Daten über jeden Patienten durch persönliche Visite des
Arztes gewonnen. Solche genaue Angaben über den weiteren Verlauf hat
Verf. über 230 Kranke erhalten können, davon 209 Männer und 21 Frauen.
Die Zahl der Besuche der Patienten war bei der Psychotherapie niedriger als
bei der Hypnose, die Frequenz der zweiten Gruppe höher als die der ersten.
Die besten Resultate zeigte die hypnotische Behandlung, bei welcher 25%
im Laufe eines Jahres nicht tranken, während aus der ersten Gruppe, die
mit Psychotherapie behandelt wurde, nur 14°/ 0 sich im Laufe des Jahres
enthalten konnten. Eine regelrechte Psychotherapie hätte vielleicht auch
bessere Resultate gehabt, wenn sie bei der ambulatorischen Behandlung
möglich wäre. Bei den bestehenden Verhältnissen erscheint die hypnotische
Behandlung für das Ambulatorium am geeignetsten. R.
Margulies, Pupillenanomalien bei Alkoholisten. (Arch. für Psvch.,
Bd. -17, S. 316, 1910.) Die Arbeit stützt sich in erster Linie auf 304 Kranken¬
geschichten von Alkoholikern, die iri der Königsberger Klinik seit 1904
Aufnahme fanden. Von den Ergebnissen sei folgendes angeführt: Tin Del.
trem. findet sich vorübergehend besonders dann erloschene bzw. träge
Pupillenrcaktion, wenn epileptische Anfälle den Zustand komplizieren. Ein
Zusammenhang zwischen Pupillenstörung und Alkoholepilepsie ist darum
sehr wahrscheinlich. Nach alkoholepileptischen Anfällen kann auch für
längere Zeit eine Herabsetzung der Pupillenrcaktion bestehen. Die Er¬
scheinung beruht wahrscheinlich auf einer toxischen Reizung der Hirnrinde.
Bei akuter Alkoholparanoia fand Verf. einmal einseitige Herabsetzung
der Reaktion kurz vor einem epileptischen Anfall, in einem anderen Fall
Trägheit der Lichtreaktion, ungleichmäßige Zusammenziehung des Pupillar*
ringes, Hippüs, der sich bei Ruhigstellung der Bulbi und bei Muskelanspan¬
nung verstärkte, ein Vorgang, den Verf. auf Rechnung von psychischen
Alterationen setzt.
In Fälleu von chronischem Alkoholismus, in denen der Korsakow’sche
Symptomenkomplex vorliegt, ist Pupillenstarre bzw. Trägheit nicht selten.
Hinsichtlich der Differentialdiagnose zwischen Dementia paralytica und Kor-
sakow scher Alkoholpsychose ist somit die Pupillenstörung nicht zu ver¬
werten. Die Untersuchung auf Lymphozytose und die Wassermann’sehe
Reaktion können in solchen Fällen von ausschlaggebender Bedeutung sein.
R.
Fr. Stapel (Göttingen), Das Verhalten der Pupillen bei der akuten
Alkoholintoxikation. (Monatsschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29. H. 3.)
Bei der akuten Alkoholintoxikation wurden Pupillendifferenz oder Form-
veränderuug nicht beobachtet. Die Licht- resp. Akkomodationsreaktion er¬
folgt träger hinsichtlich des Ablaufs und der Ausgiebigkeit. Bei psychisch
minderwertigen und invaliden Individuen treten diese Pupillenveränderungen
schon bei geringeren Alkoholdosen schneller, intensiver und nachhaltiger auf
als bei gesunden. Im pathologischen Rausch kann hochgradige Pupillenträg¬
heit bis Pupillenstarre auftreten, im normalen Rausch bei geistig Gesunden
Zweig (Dalldorf).
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52t} Referate und Besprechungen.
E. Sträußler (Prag), Beiträge zur Kenntnis des hysterischen Dämmer¬
zustandes. Über eine eigenartige unter dem Bilde eines psychischen „Pueri-
lismus“ verlaufende Form. (Jahrb. für Psych., Bd. 32, H. 1 u. 2.) Sieben
teils ausführliche, teils gedrängt wiedergegebene Krankengeschichten be¬
leuchten das durch die Überschrift gekennzeichnete Krankheitsbild. Im
Anschluß an ein stark gffektbetontes Ereignis (strafbares Vergehen, Ge¬
schlechtskrankheit usw.) entwickelt sich eine mit Bewußtseinstrübung ein¬
hergehende psychische Störung, bei welcher vor allem auffällt, daß die
Kranken in ihrem ganzen Verhalten in die früheste Kindheit zurückversetzt
scheinen. Sie reden ihre Umgebung mit d u an, der Wortschatz beschränkt
sich auf Interjektionen, sic hüpfen in kindlicher Weise umher, schließlich
bricht alles in plötzlicher Weise ab, nachdem eine gewisse psychische
Wachstumsperiode (u. a. kindlicher Agrammatismus) durchlaufen ist. Das
Nicht wissen wollen bleibt hier also nicht auf die strafbare Handlung z. B.
und auf das nächstliegende beschränkt, sondern zieht weitere Kreise. Die
Rückversetzung aus der peinlichen Gegenwart wird nicht in allen Einzel¬
heiten durchgefiihrt, es bleibt, vielmehr eine Reihe von angenehmen Vor¬
stellungskomplexen aus späterer Zeit erhalten. — Ein Fall ist noch be¬
sonders interessant, weil sich bei ihm nicht, wie es die Regel ist, nach der
Lösung dos Dämmerzustandes in kürzester Zeit der frühere geistige Besitz¬
stand wieder einfindet, sondern schwere Defekte bestehen bleiben. Bei äußer¬
licher Korrektheit im Benehmen und im Urteil weiß der Kranke wichtige
Ereignisse aus seiner Vergangenheit nicht mehr usw. Es scheint also eine
eigenartige hysterische über längere Zeit sich erstreckende, vielleicht auch
dauernde eigenartige Schwäche eintreten zu können. Differential-diagnostisch
ist die Dementia praec. wichtig mit ihren kindlich läppischen Äußerungen,
ihren manirierten Bewegungen. Dagegen spricht der hysterische Charakter
vor der Erkrankung und die beobachtete Rückkehr zum Habitualzustand.
Zweig (Dalldorf).
Pappenheim (Heidelberg). Über die Polynukleose des Liquor cerebrospin.,
insbesondere bei der progr. Paralyse. (Zeitschr. für die ges. Neurol. u.
Psych.. Bd. 4, H. 2.) Während sich im allgemeinen nur selten ini Liquor
der Paralyse eine Steigerung des Leukozytengehaltes findet, läßt sich Poly¬
nukleose verhältnismäßig häufig bei paralytischen Anfällen oder Exazerba¬
tionssteigerungen nachweisen. Die hierbei nicht selten beobachteten Tempe-
ratursteigerungen beruhen wohl auf der gleichen Ursache, nämlich auf der
plötzlichen Einwirkung einer größeren Menge des Paralysegiftes.
Zweig (Dalldorf).
Medikamentöse Therapie.
v. Szontagh (Budapest). Über Kalomel als Diuretikum. (Archiv für
Kinderheilk., Bd. 55, H. 1 und 2.) Der Autor empfiehlt Kalomel warm hei
der Behandlung der kardialen Wassersucht. Dreimal tägl. 0,1 Kalomel war
ihm oft von segensreicher unübertroffener Wirkung. Reiß (München).
Fanny Japh6 (Mitau), Über die Gewöhnung an die Narkotika der
Fettreihe. (Ther. Monatsh., Februar 1911.) Der Pharmakologe versteht
unter Gewöhnung die bei fortgesetztem Gebrauch eines Giftes immer ab¬
nehmende Reaktionsfähigkeit des Organismus auf dessen Wirkung, so daß
immer größere Dosen notwendig werden, um den gleichen Effekt auszulösen.
Ärzte und Laien dagegen verstehen unter der Gewöhnung ein allmählich ein¬
tretendes Bedürfnis des Organismus für ein bestimmtes Gift. J. geht nun
zuerst an der Hand der Literatur der Gewöhnung im pharmokologischen
Sinne bei den Narkotika der Fettreihe nach, (Veronal, Proponal. Hedonal,
Isopral etc.) und findet die Angaben widersprechend, und hat daher eigene
Untersuchung, speziell über die Gewöhnung bei Urethan und Medinal ange¬
stellt. Sie kommt zu dem Schlüsse, daß bei diesen Mitteln eine Gewöhnung
nicht eiiizutreten scheint, wenigstens nicht in einem erheblichen Maße.
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Bücherschau.
527
Dies ließ sieh bei Urethaai nur bei intravenöser Injektion sicher feststellen,
da die Nieren unter jeder anderen Applikation sehr herunterkamen; für das
Medinal auch’ bei subkutaner Injektion. S. Leo.
A. D. Nürnberg, Über das Pantopon (Sahli). (Russki Wratsch, Nr. 6,
1911.) In Fällen, die mit. krampfartigen Erscheinungen seitens des Magens
und Darmkanals einhergehen, ist das Pantopon den Mitteln, wie Opium,
Kodein. Morphium und Iciner Reihe der nur als Narkotika angewandten Mittel
vorzuziehen. Ulcus ventriculi und alle Fälle mit Hyperazidität bilden eine
Kontraindikation, wie es schon Rodari festgestellt hat. Vorsicht ist in
Fällen von organischen Erkrankungen des Nervensystems und bei erhöhter
Erregbarkeit geboten. Nebenerscheinungen von seiten der Zirkulations- oder
Respirationsorgane sind nicht beobachtet worden. Die Anwendung geschieht
per os, subkutan oder per rectum. Die Giftigkeit ist selbst bei großen Dosen
gering. Schieß (Marienbad}.!
W. Jakimow und N. Jakimowa, Über einen Versuch der Anwendung
des Arsenobenzols in Salbenform. (Nowoje w Medicine, Bd. 11, 1910.) Die
Versuche zeigten, daß zwar Veränderungen im Blutbilde auf treten, daß aber
die Wirkung weit hinter den nach der üblichen — intravenösen, intramusku¬
lären oder subkutanen — Applikation herbeigeführten Veränderungen im
Krankheitsbilde zurückbleibt. Die Versuche wurden mit einer 2%igen bzw.
6%igen mit Lanolin hergestellten Salbe angestellt, die den Versuchsobjekten
— mit Rekurrenzspirochäten und Trypanosomen infizierten Ratten 20 Min.
lang in die enthaarte Haut eingerieben wurde. Auf je 1 kg Körpergewicht
kamen 0,15—0,3 Arsenobenzol. Schieß (Marienbad).
W. Spindler, Über die Wirkung des Podophyllotoxin bei chronischer
Obstipation und bei Autointoxikation vom Darme aus bei Kindern. (Wra-
tschebnaja Gaseta, Bd. 49, 1910.) Nach Verf. wird das Mittel am besten als
Lösung in Alkohol abends gegeben: Podophyllotoxin 0,1—0,25, Spirit, vini
(70°) 10,0—25,0; 10—15 Tropfen, für Erwachsene 40—50 Tropfen in Wasser.
Bei dieser Anwendung hat S. hei chronischen Obstipationen und Darmintoxi¬
kationen gute Resultate gesehen. Schieß (Marienbad).
Bticherschau.
P. Th. Müller, Vorlesungen über Infektion und Immunität-gS. Aufl. Mit 21 Abb.
im Text. Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 451 S.
Das vorliegende Werk weist auch in seiner neuen dritten Auflage, die
innerhalb Jahresfrist notwendig geworden ist, wiederum alle jene großen Vor¬
züge auf, die Referent anläßlich seines Erscheinens in zweiter Auflage zu rühmen
Gelegenheit hatte. An erster Stelle möchte er auch diesmal die Tatsache hervor¬
heben, in welch streng sachlicher Weise M. den neuen und allerneuesten Ergeb¬
nissen auf dein Gebiete der Immunitätswissenschaft hier gerecht geworden ist und
wie knapp, klar und dabei doch das wesentliche erschöpfend einem dem Fache
fernersteheudeu er sie wiederzugeben vermag. Dies gilt in besonders hohem Maße
von dem musterhaften Kapitel über Anaphylaxie, wo es heute in dem Wiederstreite
der Meinungen und Deutungen wohl besonders schwer fallen mußte, zwischen hüben
und drüben die kritische Mitte zu halten und auch das oft erst halb gesicherte
lehrbuchmäßig zu verarbeiten. Gerade diese wirklich objektive Kritik, die rege
freudige Anteilnahme an allen neuen Ergebnissen, ihre klare, niemals den Boden
der Tatsachen verlassende Verwertung zu theoretischen Anschauungen ist es, die
dem Leser hei jeder neuen Auflage des Müller’schen Werkes heute besonders wohl¬
tuend zum Bewußtsein kommt, da auf dem Büchermärkte über die junge Wissen¬
schaft nur allzuoft Arbeiten als „Lehrbücher“ herausgebracht werden, die teils
ohne wirkliche Beherrschung und Verarbeitung des Stoffes wohl lediglich den Titel
eines Einpauckbuches verdienen, teils pro domo geschrieben, in all ihrer Einseitig¬
keit der Auffassung dem Zwecke eines Lehrbuches, objektiv feststehendes auch
objektiv und klar wiederzugeben, gar nicht gerecht werden. — So kann das Müller-
sche Buch auch in dieser dritten, wie oben angedeutet in ihrem altbewährten
Kähmen, wesentlich veränderten, ergänzten und in allen Teilen auf der Höhr der
Zeit stehenden Auflage nur freudig begrüßt werden. Seine großen Vorzüge sichern
ihm auch diesmaUdurchschlagenden Erfolg! H. Pfeiffer (Graz).
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Bücherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
Breitbach, Die Bromäthylnarkose. Dresden. Verlag von Zahn & Jaensch.
W. Buettner, Intermittierender Spasmus der beiden Magenpforten als Reflexneurose
bei Cholelithiasis. Berlin. Verlag von S. Karger.
0. Burwinkel, Die Herzleiden, ihre Ursachen und Bekämpfung. München. Verlag
der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 1,50 Mk.
Ad. Czerny, Uber die Bedeutung der Inanition bei Ernährungsstörnngen der Säuglinge.
Halle. Verlag von Carl Marhold. 1 Mk.
Aug. Dempwolff, Die Haftung und Lösung der Plazenta nach Untersuchungen mittels
des Straßmann'schen Phänomens. Leipzig. Verlag von Job. Ambr. Barth. 1,50 Mk.
Jul. Donath, Reflex und Psyche. Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
0. Dornblüth, Klinisches Wörterbuch. Leipzig. Verlag von Veit & Co. 5 Mk.
Fr. Erhardt, Die ketzerischen Betrachtungen eines Arztes. München. Verlag
der ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 2 .Mk.
Walther Ewald, Soziale Medizin. Berlin. Verlag von Julius Springer. 18 Mk.
Festschrift zur 40jährigen Stiftungsfeier des Deutschen Hospitals in New York.
New York. Verlag von Lemcke & Buechner, 30—32 West 27 th Street.
Franz Fischer, Erfahrungen bei einer Genickstarreepidemie. Leipzig. Verlag
von Joh. Ambr.r.Bartb. 75 Pfg.
Heinr. Higier, Die die Nenbildungen des Zentralnervensystems simulierenden Krank¬
heitszustände. Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
Ed. Hitschmann, Freud's Neurosenlehre. Leipzig und Wien. Verlag von Franz
Deuticke. 4 Mk.
S. Jeßner, Die praktische Bedeutung des Salvarsan für die Syphilistherapie
Würzburg. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 1,80 Mk.
K. H. Lang, Der Sauerstoffgehalt der natürlichen Wässer in Würzburg und Umgebung.
Würzburg. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag).
Friedr. Lange u. Martin Ulbrich, Erklärendes Handwörterbuch. Potsdam. Stiftungs¬
verlag. j 90 Pfg.
Hans Mück, Experimenteller Beitrag zur Wirkung des Trypsins auf die Gefäßwand.
Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
Phil. Neumann, Handbuch der Volksgesundheitspflege. München. Verlag der
Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 3 Mk.
Heinr. Offergeld, Über die Bewertung des sozialen Faktors in der Indikationsstellung
zur tubaren Sterilisation der Frau. München. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 85 Pf.
Herrn. Peters, Die neuesten Arzneimittel und ihre Dosierung. Leipzig. Verlag
von Franz Deuticke. 7,50 Mk.
W.Pfitzner, Situs-Übungen an der Leiche. Leipzig. Verlag von Franz Deuticke. 1 Mk.
Joh. Regen, Untersuchungen über die Atmung von Insekten unter Anwendung der
graphischen Methode. Bonn. Verlag von Martin Hager. 1,60 Mk.
Alb. Robin, Therapeutique Usuelle du Practioien. Paris. Verlag von Vigot
Freres, 23, Place de L’ecole de M^dicine.
Kurt v. Rohrscheidt, Medizinalarchiv für das Deutsche Reich. Band 1, Heit 2.
Berlin W. Verlag von Franz Vahlen, Linkstr. 16.
Ernst Sommer, Röntgen - Taschenbuch. Band 3. Leipzig. Verlag von Otto
Nemuich. 3 Mk.
Elliot Smith u. Marc Armand Ruffer, Pott sche Krankheit an einer ägyptischen
Mumie, aus der Zeit der 21. Dynastie. Gießen. Verlag von Alfred Töpelmann. 2 Mk.
Max Stolz, Die Sterilisation des Weibes. Leipzig. Verlag von Joh. Ambr.
Barth. 2,25 Mk.
Bernh. Teichmann, Rein sachlicher naturwissenschaftlicher Beweis für das Dasein
des Schöpfers des Weltalls. Erfurt. Verlag von Beruh. Teichmann. 60 Pf.
~ Verband der Fabrikanten von Markenartikeln, Zu den §§ 6, 7, 8 und 15 des Ent¬
wurfs eines Gesetzes gegen Mißstände im Heilgewerbe. Berlin C., Älexanderstr. 49.
Heinr. Vogt, Die Epilepsie im Kindesalter. Berlin. Verlag von S. Karger.
Denis G. Zesas, Das primäre Magensarkom und seine chirurgische Behandlung.
Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 Pfg.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang,
1911.
fortscbrlite der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prlv.-Dcz. Dr. o. eriegcrn
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt,
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 23. xr , — “"? jÄhr * r f . 8. Juni.
_ Verlag von Georg Thieme, Leipzig, =====
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Was leistet die konservative, was die operative Therapie der
eitrigen Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase?
Von I>r. Fr. Reinking in Hamburg.
(Nach einem am 28. März 1911 im Hamburger Ärzte-Vereiu gehaltenen Vortrag.)
Meine Herren! Die Lehre von den eitrigen Erkrankungen der
Nebenhöhlen hat in den letzten beiden Dezennien eine ganz außerordent¬
liche Förderung erfahren. Exakte anatomische Untersuchungen, genaue,
systematische Beobachtungen um Kranken, die Einführung neuer dia¬
gnostischer Methoden, neuer Medikamente, wie z. B. des Adrenalins,
haben zu einer Verfeinerung der Diagnosenstellung geführt, eine Ele¬
ganz und Präzision der Untersuchung und Therapie ermöglicht, die
man früher nicht geahnt hatte. Es ist Licht in das Dunkel gekommen,
das früher über Eiterungen der Nase, manche Formen orbitaler und intra¬
kranieller Entzündungen gebreitet war. Wie groß der Unterschied
zwischen einst und jetzt ist, dafür nur ein Beispiel:
Die Entfernung von Nasenpolypen, die eine häufige Folge¬
erscheinung der Nebenhöhleneiterung sind, wird im Lehrbuch der Chi¬
rurgie von Tillmanns in der 6. Auflage aus dem Jahre 1899 folgender-
ma ßen geschildert:
.Man verfährt um besten so, daß man die Zange zuerst an der Nasenscheide¬
wand auf den Boden der Nasenhöhle hinschiebt, um eventuelle Polypen zwischen
Muschel und Scheidewand zu entfernen, dann führt man die Zange zwischen die
untere und mittlere Muschel, endlich zwischen* die mittlere und obere Muschel und
.schließlich in die obere Nasenhöhle resp. an das Dach der Nasenhöhle. Gewöhnlich
werden gesunde Teile der Schleimhaut und nicht selten auch von den Muscheln
mit herausgerissen. Bei den weiter nach hinten sitzenden Polypen kann man sich
die Extraktion oft sehr erleichtern, wenn man den Finger vom Munde aus in den
Nasenrachenraum führt und den Polypen von hinten nach vorne in die Zange
hineindrückt. Nach dem Gebrauch der Zange muß man oft die Nasenhöhle mit
dein scharfen Löffel ausschaben, um besonders auch die kleinen, nicht faßbaren
Polypen zu entfernen. Die zuweilen bedeutende Blutung stillt man durch kalte
oder heiße Dusche oder besser durch Tamponade mit Jodoformgaze.
Sehr zweckmäßig ist sodann, wenn man, um Rezidive zu verhüten, nach
einigen Tagen unter Anwendung eiuer 10—20°/ o igen Kokainlösung in einer oder
in mehreren Sitzungen die Stielstellen der Polypen oder die ganze Nasenhöhle
galvanokaustisch leicht ausbrennt.“
Dann werden, um Rezidive sicher zu vermeiden und die kleinen Polypen
besonders in der oberen Nase sämtlich gründlich zu entfernen, als öfter erforder¬
lich Spaltung der äußeren Nase, temporäre Ablösung der Weichteile oder temporäre
Resektion der Nase in Vorschlag gebracht.
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Fr. Reioking,
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Heute denkt kein Arzt mehr daran, in dieser Weise vorzugehen,
die vor kaum 12 Jahren noch ernsthaft empfohlen wurde. Mit wenigen
Tropfen Kokain-Adrenalin, mit Reflektor, Nasenspekulum und einigen
Schlingen sind die Polypen mit Leichtigkeit in wenigen Minuten schmerz¬
los unter minimaler Blutung zu beseitigen. Die Behandlung der ätio¬
logisch in Frage kommenden Nebenhöhleneiterung sichert gegen Rezi¬
dive. Damals waren Rezidive die Regel, und so begreift man, daß
noch heute das Publikum bei der Diagnose Nasenpolypen schaudert.
Daran sind nicht nur die phantastischen Vorstellungen schuld, die sich
der Laie von Polypen macht, sondern vornehmlich die Erinnerung und
"Überlieferung jener so brutalen, blutigen und so häufig nutzlosen Ope¬
rationen. Um so größer ist dafür heute die Überraschung und Dank¬
barkeit der schnell und schmerzlos von ihren Polypen befreiten Patienten.
Ich habe mir nun das Thema gestellt, Sie mit den Leistungen
unserer modernen, gegen die Nebenhöhleneiterungen gerichteten thera¬
peutischen Methoden bekannt zu machen. Ich muß es mir dabei versagen,
auf technische Einzelheiten einzugehen. Ich werde Ihnen vielmehr
die Grundideen der gebräuchlichen Methoden mitteilen, Urnen neben
den Erfolgen die Gefaliren schildern, die die Behandlung mit sieh
bringen kann, und da von der Leistungsfähigkeit und den Gefahren
einer Behandlungsmethode die Indikationen sich ableiten, so werde ich
auch diese in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen.
Wenn ich nun die Eiterungen in akute und chronische einteile
— ich beschränke mich dabei auf die gewöhnlichen, nicht tuberkulösen,
nicht luetischen, nicht durch Tumoren unterhaltenen Eiterungen — so
bin ich mir wohl bewußt, daß eine so exakte Scheidung in praxi nicht
möglich ist. Für die Therapie liegen die Verhältnisse insofern ein¬
facher, als man subakute Eiterungen, solange in der Nase sekundäre
Veränderungen nicht eingetreten sind, wie akute behandelt, und falls
dies zu keinem Resultate führt, die für chronische Eiterungen indizierte
Therapie in Anwendung bringt.
Doch bevor ich zur Aufzählung der gegen die akuten Sinuitiden
eich lichtenden Behandlungsmethoden übergehe, möchte ich Ihnen kurz
die Frage beantworten, ob diese Entzündungen nicht einer spontanen
Heilung fähig sind. Diese Frage ist für eine große Zahl von Fällen
ohne Zweifel zu bejahen. Ich bin der festen Überzeugung, daß nur sehr
wenige Erwachsene während ihres ganzen Lebens von Nebenhöhlen-
eiterungen frei bleiben. Bei heftigeren Schnupfen an fällen, spez. bei
Influenzaattacken ist die Beteiligung der Nebenhöhlen fast konstant.
Neben der starken Sekretion, der Denkunfähigkeit, dem dumpfen Kopf
bestehen oft keine weiteren Beschwerden. Die akute Sinuitis heilt
gewöhnlich schnell und bleibt dann meist unerkannt. Indessen
sind auch zahlreiche Fälle, zuerst wohl von Avellis, diagnostiziert
und ihre spontane Heilung einwandfrei beobachtet worden.
Wenn bei andern Fällen die Heilung sich verzögert, die Sinuitis
chronisch wird oder gar zu Komplikationen führt, so liegt das daran, daß
bei einem gegen die Infektion oft wenig resistenten Individuum besonders
ungünstige anatomische Verhältnisse vorliegen, z. B. große gekammerte
Höhlen, schlechte Abflußbedingimgen für den Eiter. Erfahrungsgemäß
heilen akute Nebenhöhleneiterungen — von besonders malignen In¬
fektionen abgesehen — dann restlos aus, wenn der Eiter freien Abfluß
hat. Nur die Sekretstauung pflegt die Entzündung zu unterhalten
und zu Wand Veränderungen zu führen. Die Therapie hat demgemäß
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase.
m
di«* Aufgabe, das oft unter Druck stehende Sekret aus der Höhle fort¬
zuschaffen. entweder durch die Resorption anregende Allgemein¬
behandlung, oder durch Freimachen des Ostium der Höhle, die
den spontanen Abfluß ermöglicht oder durch Ausspülungen, soweit
dies angängig ist.
Manchmal gelingt es schon durch Bettruhe, Ableitung auf Haut
und Darm, die Heilung ,anzubahnen. Namentlich Abreibungen und
Schwitzprozeduren, zu welchen man Aspirin und schweißtreibende Tees
zu verordnen pflegt, sind ein außerordentlich wirksames Mittel zur
Bekämpfung der akuten Sinuitis. Von Brünings sind Kopflichtbäder
in die Therapie eingeführt worden, die gute Resultate gegeben haben.
Um den Abfluß der Sekrete nach der Nase zu erleichtern, empfiehlt
es sich, die entzündete Nasenschleimhaut durch Applikation von
Kokain-Adrenalin zur Abschwellung zu bringen. Die Ostien der Neben¬
höhlen werden dadurch frei, und es ist oft erstaunlich, wie reichlich
dann das Sekret abfließt. Demgemäß ist die Erleichterung des Kranken
oft prompt und nicht selten dauernd.
Über die toxische Wirkung dos Kokains und Adrenalins brauche
ich Ihnen nur weniges zu sagen. Bekannt ist, daß man bei Kokain
akute und chronische Vergiftungen beobachtet, daß an Kokain eine
ebenso schädliche Gewöhnung eintreten kann, wie sie bei Morphium
so häufig beobachtet wird. Akute Intoxikationen habe ich öfter gesehen,
doch nie solche ernsterer 'Natur. Speziell Todesfälle habe ich trotz
vieltausendfacher Anwendung nicht erlebt. Wenn man vorsichtig
in dem Gebrauch ist und die Pa tieft ten dazu anhält, in den Rachen
fließendes Kokain sogleich auszuspeien, so geht man sehr sicher. Die
Wirkung des Kokains in der Nase wird von keinem seiner Ersatzmittel
erreicht, und ich gebe ihm, wie die Mehrzahl der Rhinologen, den
Vorzug.
Die toxischen Wirkungen des Adrenalins sind Urnen auch wohl
bekannt; man kann durch häufig wiederholte Einspritzungen in die
Blut bahn Veränderungen im Gefäßsystem erzeugen, die denen bei Arte¬
riosklerose ähnlich sind. Nach länger fortgesetzten Einträu Hungen
in die Nase konnte Lermoyer beim Kaninchen hochgradige Hyper¬
trophie des Herzmuskels konstatieren. Von Intoxikationen bei nasalen
Operationen ist mir nur ein Fall von Frey bekannt, der nach Infil¬
tration bei einer Luc-Üaldwell-Operation einen Kranken an Hemi¬
plegie verlor. Der Fall will natürlich nicht viel besagen; das Mittel
ist in der für unsere Zwecke gebräuchlichen Menge als harmlos zu be¬
zeichnen. Ich habe nie eine Intoxikation gesehen und halte das Mittel
für äußerst wirksam und empfehlenswert.
Von sonstigen bei akuten Nebenhöhleneiterungen in Anwendung
gebrachten therapeutischen Maßnahmen nenne ich Ihnen nocli das Saug¬
verfahren, für welches besonders Sonder mann und neuerdings Walb
lind Horn aus der Bonner Klinik plädieren. Ich bin kein Anhänger
dieses Verfahrens. Beim Ansaugen erhöht sich die bereits starke Hyper¬
ämie der Nasenschleim häute, was den Sekretabfluß keineswegs begün¬
stigt; manchmal kommt e« gar zu Blutungen. Wenn Horn über
gute Resultate berichtet, so liegt das meines Erachtens nur daran,
daß die akute Sinuitis spontan und unter den andern therapeutischen
Maßnahmen heilt. Bei chronischen Eiterungen hat sie ihn völlig im
Stieb gelassen.
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Ebenso rate ich nicht, bei Nebenhöhleneiterungen die Stauung
mittels der Halsbinde anzuwenden. Erstens würde auch hier die ver¬
stärkte Hyperämie der Nasenschleimhaut den Abfluß des Sekretes hin¬
dern und zweitens aber beraubt uns die schmerzstillende Wirkung der
Stauung eines wertvollen Indikators einer drohenden Komplikation.
Die Verhältnisse liegen hier ähnlich, wie beim Ohr; auch bei dessen!
Entzündungen hat man die Stauung fast allgemein als gefährlich ver¬
worfen.
Ein brauchbares therapeutisches Verfahren zur Entfernung des
Sekretes aus den entzündeten Höhlen besitzen wir in dem Ihnen allen
bekannten PolitzeEschen Verfahren. Es gelingt dadurch manchmal,
nicht geringe Mengen Eiter auszublasen.
Für die Mehrzahl der Fälle, akuter Sinuitis reichen die empfohlenen
Maßnahmen aus, die Heilung herbeizuführen. Manchmal jedoch ver¬
zögert sie sich und verlangt besondere therapeutische Maßnahmen.
Besonders für die Kieferhöhle sind die Heilungsbedingungen viel¬
fach nicht sonderlich günstig. Oft besteht ein starkes Mißverhältnis
zwischen der Größe der Höhle und der Größe des Ostium maxillare;
dieses liegt hoch über dem Boden der Höhle, so daß Sekretstauung
und Retention hier häufiger zu stärkeren Beschwerden und zu
Chronisch werden der Eiterung, wenn nicht gar zu Komplikationen
führen Bei der leichten Zugänglichkeit der Höhle wird deshalb allge¬
mein bei stärkeren Beschwerden die eitrig erkrankte Kieferhöhle punk¬
tiert und das Sekret ausgespült. Der Erfolg ist meist eklatant. Manch¬
mal schon nach einer oder wenigen Spülungen versiegt die Eiterung.
Wir besitzen in der Punktion und Ausspülung der akut erkrankten
Kieferhöhle ein hervorragendes Mittel zur Heilung derselben.
Nur fragt es sich, sind diese Kieferspülungen nicht gefährlich ?
Gewiß hat man hin und wieder einmal Unglücksfälle dabei erlebt.
Doch lassen sie sich durch geschickte Technik mit großer Sicherheit
vermeiden. Spült man vom unteren Nasengang, so kann es passieren,
daß man mit der Nadel, falls der untere Teil der Kieferhöhle eng ist,
nicht nur die nasale, sondern auch die faziale Wand durchsticht. Bläst
man nun Luft durch oder spült man gar, so entsteht ein Emphysem
oder eine Infiltration der Wange, die zur Abszedierung führen kann.
Senkt sich die orbitale Wand tief nach abwärts, so kann man, ,wie
Haje k es erlebte, selbst bei der Punktion vom unteren Nasengang
mit der Orbita in Konflikt kommen. Noch leichter kann dies passieren,
wenn man vom mittleren Nasengang punktiert und die Spitze der
Nadel nicht nach unten penkt. Daß man aber auch vom mittlerem
Nasengang aus die faziale Wand durchstoßen kann, beweist ein Fall,
den B. Frankel mitgeteilt hat. Derartige Vorkommnisse sind bei
geschickter Handhabung der Punkt ionsnadel sehr selten. Vor allem
sollte man es sich zur Regel machen, nach Einführung der Nadel
leichte hebelartige Bewegungen auszuführen; man fühlt dann leicht,
ob sich die Spitze in einem Hohlraum befindet. Bläst man dann noch
zuerst Luft ein, so kann man wohl ein Emphysem erzeugen, aber keine
gef ahrbringende Infiltration.
Dieses Lufteinblasen in Nebenhöhlen, das sieh zumal bei Kiefer¬
punktionen zur Entfernung der Flüssigkeit regelmäßig an die Spülung
anschließen soll, hat in einigen Fällen zu merkwürdigen Störungen
geführt. M. Schmidt erlebte nach Lufteinblasung in eine linke, hintere
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase.
:»5W
Siebbeinzelle momentanes Zusammensinkcn des Patienten mit kompletter
Lähmung der linken Körperhälfte. Die Lähmung verschwand nach
mehreren Stunden. Kümmel sah nach Lufteinblasung in die Stirnhöhle
zweimal langdauernde Bewußtseinsstörung, einmal eine transitorische
Hemiplegie. Ebenso erlebte Kayser in Breslau im Anschluß an eine
Kieferspülung vom untern Nasengang aus Ohnmacht mit Krämpfen und
36s1iindiger Bewußtlosigkeit. Brühl behandelte einen 26jährigen Mann,
sonst gesund, mit normalem Nervensystem, wegen einer Sinuitis fron-
talis. Beim Lufteinblasen in die Stirnhöhlen klagte der Patient plötzlich,
daß es ihm schlecht würde, daß er schlecht sehe und bald darauf trat
beiderseitige komplette Blindheit ein. Die Pupillen reagierten, der
Augen befund war negativ, so daß man eine Störung jenseits der
Vierhügel annehmen mußte. Am folgenden Tage stellte sich langsam
das Sehvermögen wieder ein.
Was zu diesen Störungen geführt hat, ist schwer zu sagen. Daß
etwa Luft durch Dehiszenzen im Knochen in die Schädelkapsel einge-
drungeiL sei, ist nicht sehr wahrscheinlich. Brühl’s Fall kam zur
Operation: der Knochen der Hinterwand der Stirnhöhle erwies sich
als absolut intakt. Wahrscheinlich handelt es sich um hysterische
Störungen; es ist nur auffallend, daß sie sich immer gerade an die
Lufteintreibungen angeschlossen haben.
Trotz dieser Zufälle kann man die Kieferspülungen als ein recht
harmloses, aber äußerst wirksames Mittel zur Beseitigung der Eiterung
bezeichnen, Ich habe wohl über 1000 Punktionen, meist vom mittleren
Nasengang ausgeführt und davon viel Nutzen, niemals Schaden gesehen.
Zu den Spülungen pflege ich eine dünne Borsäurelösung zu ver¬
wenden, ohne dabei der Borsäure eine besonders wirksame Polle zu
vindizieren. Die Hauptsache ist die Entlastung der Schleimhaut vom
Eiter. Manche Autoren verwenden bei den Kieferspülungen Silbersalze,
Höllenstein, Protargol, Argyrol. Wirklich augenfällige Erfolge habe
ich selbst von diesen .Medikamenten nie gesehen.
Infolge der Kieferspülungen heilen nun die akuten Eiterungen,
soweit es nicht schon zu stärkeren Wand Veränderungen oder gar Durch¬
brüchen gekommen ist, meist recht schnell. Auch dentale Empyeme
heilen nach Entfernung der erkrankten Wurzeln zum Teil unter Spü¬
lungen aus Nur ein kleiner Prozentsatz heilt nicht und bei ihnen
kommen dann die operativen Methoden in Anwendung, die wir zur
Heilung der chronischen Eiterungen gebrauchen.
Was die Stirnhöhle betrifft, so genügen bei akuten Entzündungen
im allgemeinen Anwendung von Kokain-Adrenalin, Lufteinblasungen,
Schwitzprozeduren, öfter aber bietet die Länge des Ductus nasofron-
talis, sein oft durch frontale Siebbeinzellen eingeengtes Lumen, keine
günstigen Abflußbedingungen für den oft massenhaft gebildeten Eiter.
Je größer das Mißverhältnis zwischen den Dimensionen der Stirnhöhle
und der Weite des Ausführungsgangs ist, desto geringer sind die Chancen
einer spontanen Heilung. Die Therapie hat vor allem die Aufgabe,
den Duktus wegsam zu machen. Gelingt das auf konservativem Wege
mit Kokain und Adrenalin nicht, so sieht man sich häufig gezwungen,
die Hindernisse für den Abfluß operativ zu beseitigen. Vor allem
ist hier die Resektion des vorderen Teils der mittleren Muschel zu
nennen, ein harmloser Eingriff, der meist eine außerordentliche Ent¬
lastung der Stirnhöhle zuwege bringt. Meist, aber nicht immer. So
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hat Hajek statt, der einfachen Amputation des freihängenden Teils
der mittleren Muschel die sogen, hohe Amputation derselben empfohlen.
Er reseziert dabei die mittlere Muschel noch über ihren Ansatz hinaus.
Ich selbst habe es mir zur Regel gemacht hei der Amputation mit der
Sonde zu kontrollieren, ob der Eingang zur Stirnhöhle frei ist und
habe mich vielfach nicht mit der Resektion des vorderen Endes der
mittleren Muschel begnügt, sondern sogleich die vorderen, erfahrungsge¬
mäß stets miterkrankten Siebbein zellen ausgeräumt. Die Fälle, in denen
auch dann noch der Abfluß des Sekretes ungenügend bleibt, sind dann
verschwindend selten. Kann man wirklich Sonde und Spülröhrehen
in die Stirnhöhle einführen, so pflegt man auch hier zu spülen. Manch¬
mal erregt, dies heftige Stirnschmerzen und man verzichtet dann besser
darauf. Gewöhnlich wird es gut vertragen und der Erfolg tritt dann
schnell ein. Mindestens 99 0 0 der akut erkrankten Stirnhöhlen heilen
unter dieser Therapie.
Nur eine sehr geringe Zahl von Fällen, die besonders stürmisch
einsetzen und bei denen die Beschwerden in ihrer Heftigkeit auf die
genannten Maßnahmen nicht bald zurückgehen, verlangt eine andere
Behandlung. Man muß dann die Stirnhöhle von außen angehen. Ent¬
weder trepaniert man die Stirnhöhle an einer kleinen Stelle über dem
Augenbrauenkopfe, oder aber, falls bereits "WandVeränderungen nach¬
weisbar oder Komplikationen eingetreten sind, führt man die sogen.
Radikaloperu tion der Stirnhöhle aus, über deren Leistungsfähigkeit
ich bei der Besprechung der Therapie chronischer Stirnhöhleneiteruiigen
mich verbreiten will. Nur eins möchte ich hier noch sagen: Man tut
im Stadium heftiger akuter Entzündung gut, sich möglichst mit der
einfachen Trepanation zu begnügen, da die sogenannten Radikal Ope¬
rationen hier keineswegs ungefährlich sind. Sollte unter einfacher
Trepanation die Eiterung nicht versiegen, so hat man doch den Vor¬
teil, daß inan einen Nachlaß der heftigen akuten Entzündung ruhig
abwarten und hiermit die Prognose der großen Operation verbessern kann.
Was schließlich die akuten Entzündungen der Siebbeinzellen
und der Keilbeinhöhle betrifft, so heilen sie meist unter konservativer
Behandlung, unter Kokain-Adrenalin-Applikation, Schwitz Prozeduren,
Politzem. Bei besonders ungünstigen anatomischen Verhältnissen ist
man manchmal gezwungen, Abflußhindemisse zu beseitigen, deviierte
Septen gerade zu stellen, stark entwickelte oder blasig aufgetriebene
mittlere Muscheln zu resezieren. Die bei weitem überwiegende Mehr¬
zahl der akuten Eiterungen der Siebbeinzellen und der Keilbeinhöhle
heilt unter dieser Therapie, nur bei einem verschwindend kleinen Teil
ist die Eröffnung dieser Hohlräume erforderlich. Auf die Wirksam¬
keit dieser Maßnahme werde ich nachher zurückkommen.
Manchmal zieht sich die Heilung der akuten Sinuitiden trotz
sachgemäßer Behandlung länger hin, namentlich bei skrophulösen, tuber¬
kulösen oder sonst in ihrer Konstitution geschwächten Individuen. Hier
ist- vielfach ein Ortswechsel von Nutzen. Die wachsende Resistenz,
die veränderten Zirkulat io ns Verhältnisse bringen manchmal noch eine
Heilung zuwege, wo die lokale Behandlung versagte. Es ist das eine
Tatsache, die man auch bei so vielen anderen Krankheiten fest¬
stellen kann.
Fasse ich die Leistungen der Behandlung akuter Nebenhöhlen¬
eiterungen kurz zusammen, so kann man wohl sagen: Die übergroße
Mehrzahl der Fälle heilt unter einer relativ harmlosen konservativen
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase.
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Behandlung; in einer kleinen Zahl von Fällen sind kleinere endonasalc
Eingriffe erforderlich, die Heilung einzuleiten; nur eine verschwindend
kleine Zahl heftig einsetzender oder schnell zu Komplikationen füh¬
render Fälle macht eine größere Operation nötig. Hie Prognose deckt sich
dann im wesentlichen mit der Prognose der operativ behandelten chro¬
nischen Eiterungen.
Wenn ich Ihnen nunmehr über die Leistungen unserer modernen
therapeutischen Methoden bei chronischen Nebenhöhleneiterungen re¬
feriere, so muß ich vorweg bemerken, daß nicht alle chronischen Eite¬
rungen gleich-wertig in prognostisch-therapeutischer Hinsicht sind. Es
sind drei Gruppen von Erkrankungen zu unterscheiden:
1. Sinuitiden mit rein eitrigem oder schleimig-eitrigem Sekret mit
hypertrophischen Prozessen im Naseninnem.
2. Eiterungen der Nebenhöhlen mit Atrophie des Naseninnem.
3. Nebenhöhleneitemngen mit Atrophie des Naseninnem und Bil¬
dung fötider Borken.
Die weitaus größere Zahl der Fälle gehört zur ersten Gruppe
und sie ist auch deshalb bei weitem die wichtigste, weil gerade diese
Fälle zu Komplikationen Veranlassung geben, die in den Fällen von
Sinuseiterungen bei atrophischem Naseninnem höchst selten sind. Das
gravierende dieser Fälle liegt in der Erschwerung des Sekret.abflusses
durch Polypen und Hypertrophien, ferner durch Septumdeviationen,
blasig aufgetriebene Muscheln etc. Diese Hindernisse für den Eiter¬
abfluß sind es, die in erster Linie zum Chronischwerden der Sinuitiden
geführt haben, und sie zu beseitigen ist erste Bedingung. Daß es heute
leicht und schmerzlos gelingt, habe ich bereits eingangs erwähnt. Nur
die Hämophilie macht solche Eingriffe gefährlich. Die Anamnese be¬
wahrt einen gewöhnlicli vor Eingriffen bei solchen Individuen und
wenn man es sich zum Prinzip macht, nur jeweils eine Nasenseite gn-
zugreifen, so haben die Blutungen meist keine Bedeutung; ich habe
öfter starke Hämorrhagien, wie einen Exitus gesehen.
Die Zahl der Fälle chronischer Nebenhöhleneiterungen, die nach
Beseitigung der Abflußhindernisse heilt, ist nicht ganz gering. Man
braucht nur die Vorsicht zu wahren, das ins Cavum nar. sich ergießende
Sekret mehrmals täglich durch Nasenspülungen beseitigen zu lassen,
um schätzungsweise etwa 20—30°/ 0 der Fälle heilen zu sehen, manch¬
mal allerdings erst nach Jahren.
Die große Mehrzahl heilt jedoch nicht so ohne weiteres aus. Die
Schleimhautauskleidung der Höhlen ist entweder degeneriert, in seltenen
Fällen gar uloeriert, oftmals verlegt die geschwollene Schleimhaut selbst
das Ostium und so muß man "vielfach die Höhlen selbst operativ angehen,
um sic zur Ausheilung zu bringen. Nur Spülungen, die vorzugsweise
bei Kiefer- und Stirnhöhleneiterungen in Anwendung gebracht werden,
bringen öfter wesentlichen Nutzen. Besonders günstig wirken sie bei
Kieferhöhleneiterungen mit käsigem Inhalt. Gewöhnlich schon nach
einer Ausspülung bleibt hier die Highmorshöhle völlig frei von Sekret.
Andere Kiefereiterungen heilen nur nach häufig wiederholten Spü¬
lungen, ebenso Eiterungen der Stirnhöhle. Daß diese ohne präliminare
Resektion der mittleren Muschel und Ausräumung vorderer Siebbein¬
zellen nur in relativ seltenen Fällen möglich ist, habe ich schon vor¬
her erwähnt. Aber diese Spülungen helfen nur in einem Teil der Fälle,
die ich auf beiläufig 30°/ 0 beziffern möchte. (Schluß folgt.)
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Digit ize
536 P. Seliger, Der pathog. Kolibazillus u. seine Beziehungen z. Zentralnervensystem.
Der pathogene Kolibazillus und seine Beziehungen zum Zentral¬
nervensystem.
Von Dr. med. P. Seliger, Kgl. Kreiswundarzt a. D., Schmiedefeld
(Kreis Schleusingen).
Joch mann (Zeitschr. für ärztl. Fortbild., 1911, Nr. 8, S. 225 u. f.)
behandelt die Krankheitserscheinungen des Zentralnervensystems infolge
akuter Infektionen. Die Krankheitserscheinungen (1. c. 226) können in
zweierlei Art zustande kommen. Einmal dadurch, daß nur die von den
Erregern gelieferten Toxine, nicht aber die Erreger selbst zum Gehirn
und Rückenmark Vordringen und dort mit gewissen Zellen eine Ver¬
bindung eingehen, die für diese Zellen verderblich ist oder aber, daß die
Erreger selbst zu dem Zentralnervensystem wandern und dort ihre krank¬
machende Wirksamkeit entfalten. Diese letztere Gruppe interessiert uns
hier. Gelegentliche Störungen gibt er an, machen im Zentralnervensystem
Typhus und Diphtherie. Wir wollen nun hier erweisen, daß gerade auch
der Kolibazillus recht häufig gelegentliche Störungen verursacht. Hier
ist zunächst die immer noch strittige Frage zu erörtern, unter welchen
Umständen der fast saprophytisch lebende Keim pathogen wird. Moll
(Prager med. Wochenschr. Nr. 39, S. 501 u. f.) sagt: Warum das Bact.
coli, welches in der Regel ein Darmparasit ist, in einzelnen Fällen schwerere
Erkrankungen der Blase hervorruft und von dort aus eine schwere
Allgemeininfektion (Koliseptikämie) herbeiführt, ist noch völlig unklar.
Nach Lindemann (Med. Klinik, S. 1255, 1910) wird der Schutz gegen
das Bakterium in erster Linie durch die lebenden Epithelzellen geliefert.
Am einfachsten dürfte sich auch der Übertritt der Bakterien in die
Darmwand und weiterhin die Umgebung derselben erklären lassen, wenn
sich entweder an umschriebener Stelle oder auf größere Strecken hin
im Darm Veränderungen vorfinden würden, die zu einer Unterbrechung
der Kontinuität der Darmschleimhaut geführt haben. Der Kolibazillus
wird erst bei der Durch Wanderung der Darm wand virulent. Weiter er¬
wähnt er die Stauungen des Darminhalts, seien sie nun bedingt durch
mechanische Störungen, Volvulus, Imagination oder durch entzündliche
Veränderungen (Ileusparalytikus). Die Wichtigkeit des Darmepithel¬
schutzes habe ich schon 1901 (Über den Shock von Dr. Seliger,
Prager med. Wochenschr., 26, S. 9 u. 10, 1901) betont.
Jede Verletzung des Mastdarmcpithels an der Grenze der Prostata
und höher hinauf hatte in Wredens experimentellen Untersuchungen
eine Zystitis zur Folge. Bei der Infektion der Harnwege kann der
Kolibazillus des Darmtraktus eine Rolle spielen, indem er vom Mastdarm
aus durch den Lymphstrom in die Blase gelangt. (Fejes, Deutsche
med. Wochenschr., S. 1607, 1910). Das Moment der Darmparalyse, Ko-
prostase, Stauung zieht sich durch alle meine Arbeiten wie ein roter Faden,
und habe ich zuerst dasselbe ausddicklichst betont und statistisch nach¬
gewiesen. (Siehe Prager med. Wochenschr., 33, S. 6, 1908, Separatabdruck.)
Denys und von den Bergh führen (Deutsche med. Wochenschr.,
H. 6, S. 160, 1910) die pathogene Wirkung des Kolibazillus auf eine
Läsion der Darm wand zurück, welche die Resorption des Toxins er¬
möglicht, dieses ruft wiederum Hyperämie und eine Desquamation des
Epithels hervor und bedingt dadurch eine stärkere Resorption des Bazillus
resp. seines Produktes. — Nachdem wir so versucht haben, zu zeigen,
unter welchen Umständen der Bazillus pathogen wird, erübrigt es sich
auch, Beweise für seine Affinität zum Zentralnervensystem darzubringen.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
537
Hier bitte ich zunächst meine Arbeit (Prager med. Wochenschr., 26, S. 14,
1901, Separatabdruck) nachzusehen, die Aufklärung gibt über den Zu¬
sammenhang der so häufig auftretenden Konvulsionen der Kinder mit
Darmreizung. Bakterienfund von Koli im llirnserura. — Auch Moll
(1. c. S. 502 u. f.) erwähnt infolge Kolizystitis Kolimeningitis (Bact. col.
commune im Eiter auf dem Hirn). Ich erwähne ferner die Polyneuritis
und Korsakowsche*Psychose bei Koli-Pyelitis in der Gravidität von
Dr. Semon-Danzig. (Med. Klinik, S. 1185, 1909.) Raskoi (Med.
Klinik, S. 1876, 1910) erwähnt infolge Koliinfektion der Harnwege bei
Kindern die häutig vorkommenden eklamptischen Anfälle. Lindemann
(1. c. S. 1254) fand bei Säuglingen eine durch B. coli verursachte Lepto-
meningitis, ferner (S. 1256 1. c.) sah er infolge von Kolisepsis Kopfweh,
Benommenheit, Delirien und Krämpfe. Gerade die sogenannten Darm¬
krämpfe der Kinder bei großer Flatulenz und Meteorismus der Därme
scheinen hier ihre Erklärung zu finden. Jedenfalls sind Beweise genug
fiir die hohe Affinität des pathogen werdenden Kolibakteriums zu dem
Zentralnervensystem erbracht und hierauf hinzuweisen sollte der Zweck
dieser Zeilen sein.
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
über die Wirkung der Ringer- und Kochsalzlösung auf den Kreislauf.
Von Dr. Selig, Franzensbad.
(Vortrag in der Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher Arzte in Böhmen am
5. Mai 1911.)
Die Wiederbelebung des isolierten Säugetierherzens durch Ringer-
sche Lösung, speziell die Tatsache, daß eine solche Wiederbelebung auch
lange Zeit nach dem Tode noch möglich ist, legte den Gedanken nahe,
die Wirkung der Rin geloschen Lösung am lebenden Herzen zu studieren.
Im Institut für experimentelle Pathologie (Prof. Dr. Hering in Prag)
wurden von Selig an 25 Kaninchen und Katzen die Versuche mittels
intravenöser Infusion vorgenommen. Die Ringerlüsung wurde auf 40° C
erwärmt, der Blutdruck am Kymographion verzeichnet. Die Ringerlösung
entfaltete beim normalen Kreislauf keine besondere blutdrucksteigernde
Wirkung, hingegen ist eine deutliche Beeinflussung des vor der Infusion
tief gesunkenen Blutdruckes nach Verblutung, Kalziumchloridinfusion
oder subkutaner Curareinjektion, nach intravenöser Infusion von 50 ccm
Ringerlösung zu beobachten gewesen.
In zwei Kaninchen versuchen war bei Verwendung von Ringerlösung
älteren Datums Thrombenbildung im rechten Vorhof und Ventrikel
nachzuweisen. Meist war während des Experimentes die Diurese ver¬
mindert. Der Kalziumgehalt der Ringerlösung konnte für die Thromben-
bildung nicht verantwortlich gemacht werden, nachdem selbst bei stark
erhöhtem Kalziumgehalt der Ringerlösung (0,04°/ o CaCJ 2 statt 0,02°/ o )
keine Thromben bei der Sektion nachweisbar waren. Höhere Konzen¬
trationen von CaCl 2 hatten eiue Diuresehemmung zur Folge, welche
aber nicht auf die Bhitdrucksenkung durch Kalzium, sondern auf eine
Schädigung des Nierenepithels zu beziehen ist.
Die weiteren Untersuchungen galten der Prüfung des Kochsalzes
auf den Kreislauf. Aus den Tierversuchen ergab sich, daß schon beim
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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normalen Kreislauf nach intravenösen Ö,9°/ 0 igen Kochsalzlösungen der
Blutdruck bedeutend anstieg, speziell war bei vorher tief gesunkenem
Blutdruck nach intravenöser Infusion von 10—25 ccm 0,9°/ 0 iger Koch¬
salzlösung der Blutdruck mitunter in 3 Minuten fast auf das Dreifache
des Anfangswertes angestiegen und hielt sich durch längere Zeit auf
gleichem Niveau. Bei fast allen Experimenten konnte verfolgt werden,
daß schon geringe Kochsalzmengen imstande sind, den Blutdruck zu er¬
höhen. Diese Beobachtung scheint auch praktisches Interesse zu gewinnen,
insofern, als es überflüssig erscheint, durch abnorm große Fliissigkeits-
werte das erlahmende Herz mit Widerständen zu belasten.
Bemerkenswert war die Beobachtung, daß häufig die durch Kalzium¬
infusionen entstandenen oft hochgradigen Pulsunregelmäßigkeiten, sowie
die Schwankungen im Blutdruck durch Kochsalzinfusionen beseitigt
werden konnten. Es scheint dem Kochsalz unter Umständen eine regu¬
latorische Wirkung auf das Herz zuzukommen.
Neben der Wirkung des Kochsalzes wurde auch jene einer 2—5°/ 0 igen
Traubenzuckerinfusion studiert.
Auch der Zucker entfaltet speziell bei vorher tiefstehendem Blut¬
druck eine bedeutende Blutdrucksteigerung, welche aber von der des
Kochsalzes übertroffen wird.
Die Riuger’sche Lösung ist infolge ihrer dem Blutserum analogen
Zusammensetzung imstande, Herz und Gefäße wiederzubeleben und ihre
Tätigkeit für einige Zeit zu unterhalten, eine spezifische pharmakologische
Wirkung scheint jedoch derselben infolge des antagonistischen Ver halten s
der einzelnen Salze nicht zuzukommen. ”
Experimentelle Untersuchungen über den Einfluß von Typhusexsudaten
auf den Kreislauf.
Von Privatdozent Dr. Edmund Hoke, Prag-Franzensbad.ß
(Vortrag, gehalten in der wissenschaftlichen Gesellschaft Deutscher Arzte in Böhmen
am 5. Mai 1911.)
Werden Kaninchen mit Typhusbazillen interpleural infiziert,f|so
gehen sie in 24—36 Stunden zugrunde. Das Exsudat enthält ein Gift,
welches rapid blutdrucksenkend wirkt. Die Analyse der Blutdruck-
senkung (Einfluß der Aortenabklemmuug, der Trigeminusreizung, der
dyspnoischen Vagusreizung, der peripheren Splanchnikusreizuug) ergab
einen hauptsächlich zentralen Angriffspunkt des Giftes. Das Herz
wird wenig oder gar nicht geschädigt, dagegen kommt es zu einer fort¬
schreitenden Gefäßlähmung. Therapeutisch empfiehlt sich ganz besonders
eine intravenöse Adrenalininjektion.
(Die ausführliche Mitteilung erscheint in der Wiener klinischen
Wochenschrift.)
Über die chirurgische Behandlung des Magengeschwürs.
Von Primarius Dr. Franz Fink, Karlsbad.
(Autoreferat nach einem Vortrag.)
Der Vortragende bespricht an der Hand seiner eigenen operierten
60 Fälle die chirurgische Behandlung des Magengeschwürs. Zum Ver¬
gleich zieht er die mit der internen Behandlung erzielten augenblicklichen
und Dauererfolge heran und betont die Wichtigkeit der letzteren.
Bei der Beurteilung der chirurgischen Behandlung geht er von
dem bei der Operation gemachten pathologisch-anatomischen Befund aus.
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Referate und Besprechungen.
539
Von diesem Gesichtspunkt aus teilt er die Fälle in solche des akuten
und des chronischen Stadiums. Zum erstem Stadium zählen 17, zum
zweiten 45 Patienten. Er bespricht weiter den bei der Operation er¬
hobenen Befund, das bei den einzelnen Stadien eingeschlagene Operations-
Verfahren, die augenblicklichen und die Dauerresultate. Bei den unmittel¬
baren Erfolgen konnte er ein günstiges Resultat in 83,33°/ 0 verzeichnen,
ein Mißerfolg war bei 16,66°/ 0 eingetreten. Durch die Umfrage bezüglich
des Dauererfolges wurde festgestellt, daß ein gutes Resultat in 83,67°/ 0 ,
eine Besserung in 6,12°/ 0 , ein ungünstiges Resultat in 10,20°/ o eingetreten
war. Zum Schluß zieht er einen Vergleich zwischen seinen Resultaten
und den anderer Chirurgen.
Im allgemeinen erklärt sich der Vortragende als Anhänger der
Gastroenteroauastomose und ist nur unter bestimmten Indikationen für
die Resektion.
Referate und Besprechungen.
i
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
W. Jonske, Untersuchungen zur Frage des Vorkommens latenter Tuber¬
kelbazillen in den intermuskulären Lymphdrüsen generalisiert tuberkulöser
Rinder. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 198, S. 563, 1909.) Die
Untersuchungen des Verf. sind wuchtig für die sanitätspolizeiliche Beurteilung
des Fleisches tuberkulöser Tierle. Es zeigte sich, daß in den untersuchten
4 Fällen in den intermuskulären Lymphdrüsen generalisiert tuberkulöser Rinder
sich zuweilen tuberkulöse Herde nackweisen lassen, die auch der eingehendsten
makroskopischen Untersuchung verborgen bleiben. Latente Tuberkelbazillen
scheinen nach den Versuchen des Verf. in den genannten Lymphdrüsen nicht
aufzutreten; denn in allen Fällen, in denen sich im Tier verseuche Tuberkel¬
bazillen bemerkbar machten, konnte auch histologisch der Nachweis der Tuber¬
kulose erbracht werden. In keinem, der untersuchten Fälle konnte eine Über¬
einstimmung der sämtlichen intermuskulären Lymphdrüsen eines Tieres fest¬
gestellt werden. ,W. Risel (Zwickau).
Münter, Ober Hyalin im Magen und Darm, sein Vorkommen, seine
Bedeutung und Entstehung. (Virchows Archiv für path. Anat., Bd. 198,
S. 105, 1909.) Die Untersuchung zunächst eines Falles von primärer Pneumo¬
kokkenphlegmone des Magens — im weiteren noch 30 anderer Fälle meist
pathologischer Veränderungen des Magens — führte Verf. zu dem Schlüsse,
daß Hyalin — wohl kein einheitlicher Körper — in den verschiedenen Organen
hei verschiedenen Erkrankungen aus verschiedenen Elementen und bei ver¬
schiedenen Ursachen entstehe. Hyalin kommt im Magen und Darm vor, haupt¬
sächlich in Form der hyalinen Körperchen, seltener als hyaline Umwandlung
von Blutgefäßinhalt und -wandung. Während die eigentlichen Russeirschen
Körperchen intraepithelial (in Krebszellen) gelagerte, ziemlich seltene Gebilde
darstellen, verdienen die weit häufigeren, im Bindegewebe der Schleimhaut
gelegenen, gewöhnlichen hyalinen Körperchen auch aus historischen Gründen
die Benennung nach Russell nicht; will man diese Gebilde mit einem Eigen¬
namen kennzeichnen, so käme nur der von Wilson Fox in Betracht. Diese
gewöhnlichen (Fox’schen) hyalinen Körperchen entstammen im Magen den
azidophilen Zellen. Eine Entstehung aus Plasmazellen lehnt Verf. für diese
Fälle ab, hält sie dagegen bei Erkrankungen anderer Organe, z. B. bei Rhino-
sklerom für erwiesen. Die azidophilen Zellen läßt er aus neutrophilen ige-
lapptkernigen Leukozyten sich entwickeln, vermutlich nach Aufnahme von
roten Blutkörperchen und durch Verarbeitung ihres Hämoglobins, unter dem
Einflüsse verschiedenartiger Bedingungen (wie Infektion, thermischen Ein¬
flüssen, mangelhafter Blut Versorgung). Eine Umwandlung von Mastzellen,
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540
Referate und Besprechungen.
sei es ditekt, sed es indirekt nach. Umbildung zu azidophilen Zellen, findet
nach Ansicht des Verf. nicht statt. Die hyalinen Körperchen, auch im
Magen, wenn auch inkonstant, und spärlich vorkommend, treten relativ häufig
in großen Mengen auf, bei Atrophie der Magenschleimhaut, namentlich im
Falle von perniziöser Anämie, bei Leberzirrhose und in Polypen; weniger
konstant, wenn auch hier zuweilen sehr intensiv, ist eine Vermehrung bei
Phlegmone und Krebs, noch inkonstanter bei Geschwüren und proliferiereuder
Entzündung beschrieben worden. W. Risel (Zwickau).
E. Hoffmann u. L. Halberstädter, Histologische Untersuchungen einer
durch Filaria volvulus erzeugten subkutanen Wurmgeschwulst. (Virchows
Archiv für path. Anat., Bd. 196, S. 84, 1909.) Veranlassung zu den Unter¬
suchungen ergab ein bei einem etwa 30 jährigen Neger aus Bakunda *(im
Kamerungebiet) exzidierter Tumor. Der Mann litt seit ungefähr 10 Jahren
an Hautgeschwülsten, die nur an den Füßen Neigung zur Uleeration zeigten.
Der Tumor selbst war mit der Haut verwachsen, aber gegen die Unterlage,
verschieblich ünd saß oberhalb der rechten £>pina scapulae. Das Ergebnis
der Untersuchungen läßt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Es gibt bei Negern im subkutanen Gewebe Geschwülste, welche von
einer Anzahl von Wurmexemplaren verschiedenen Alters und wohl auch ver¬
schiedenen Geschlechtes gebildet werden. Es handelt sich dabei um Filaria
volvulus. Die Tumoren sind eigenartig gebaut, indem ihr größter Teil von
einer starken bindegewebigen Kapsel umschlossen ist., während außerhalb
jüngere kleine Wurmexemplare und Embryonen gelegen sind, und zwar allem
Anschein nach frei im Gewebe und nicht in Blut- oder Lymphbahnen. Die
Embryonen lassen eine Hülle nicht erkennen und liegen gewöhnlich in ge¬
krümmten und verschlungenen (Acht- oder Schleifen-»Formen; die Würmer
selbst sind zu einem wirren Knäuel verschlungen. Innerhalb der Kapsel
finden sich reife, mit Eiern und Embryonen erfüllte weibliche Würmer und
allem Anscheine nach Querschnitte eines Männchens. Neben den lebenden
Würmern sind auch abgestorbene Exemplare verschiedenen Alters vorhanden,
denen vielfach kappenfönnig Riesenzellen aufsitzen, die sie allmählich zu
verzehren scheinen. Die ausgeschlüpften Embryonen wandern aktiv im Gewebe
umher und scheinen die Kapsel durchbohren zu können. Besonders wichtig
ist. <*s, daß die Embryonen auch bis in den Papillarkörper wandern können,
weil hierdurch die Möglichkeit einer Übertragung durch Stechinsekten nahe-
gelegt wird. Weitere Untersuchungen werden lehren müssen, ob die Embryonen
aueh in Blut- oder Lymphgefäße gelangen und verschleppt werden können,
so daß neue Tumoren durch Transport auf dem Gefäßwege entstehen oder
ob multiple Tumoren durch multiple Infektion zustande kommen.
W. Risel (Zwickau).
H. Liefmann und M. Stutzer, Die antihämolytischen Eigenschaften des
normalen Serums. (Medicinskoje Obosrenje, Bd. 18, 1910.) Das normale
Hammelserum zeigt antihämolytische Eigenschaften, die namentlich beim
frischen Serum deutlich ausgeprägt sind, während sie durch Erwärmen ab-
geschwacht erscheinen. Bei der Spaltung des Hammelserums in Globulin
und Albumin konzentrieren sich diese Eigenschaften im Globulin. Die
antihämolytische Wirkung des Hammelserums ist nicht als eine „antireaktive“
zu bezeichnen; durch die Reaktion der Komplementbindung kann s"ie nicht
erklärt werden. Schieß (Marienbad).
Innere Medizin.
A. Clerc (Paris), Nebennieren- und Hypophysistherapie bei Insuffi¬
zienz des Herzens. (Progr. raed., Nr. 52, S. 692—693, 1910.) Die Neben¬
nieren und die Zirbeldrüse (diese wenigstens im Lohns posterior) enthalten
Substanzen, welche im großen ganzen der Digitalis an die Seite zu stellen
sind. Seit 1905 hat nuaai dieselben in immer ausgedehnterem Grade bei
Herzkranken angewendet. Die Resultate sind im allgemeinen befriedigend.
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Referate und Besprechungen.
541
wenn auch im einzelnen die Urteile der Experimentatoren und Kliniker aus¬
einandergehen.
■ Will man eine Dauerwirkung erzielen — also etwa bei Insufficientia
cordis chronica, bei Myokarditis chronica — so ist Hypophysisextrakt vor¬
zuziehen: in Fällen von akuter Herzschwäche dagegen sind die Neben¬
nierenpräparate — Adrenalin in intravenöser Injektion — angezeigt.
Bezüglich der Form der Anwendung empfehlen die Autoren, Hypo¬
physis in Pulvern ä 0,1—0,4 zu geben; davon läßt man alle 6 Stunden
1 Pulver nehmen. Parisot gibt 0,5 g ein oder zweimal pro die.
Nebennieren = Adrenalin appliziert man intravenös entweder
nach Kot he: 20 Tropfen der Stammlösung von 1:1000 auf 1 Liter physio¬
logischer Kochsalzlösung (hiervon 500—1200 ccm); oder nach John: 6 ccm
physiologischer Kochsalzlösung enthaltend 0,2—1,0 der 1 °/ 0 o Stammlösung.
Subkutan injiziert man Adrenalin entweder 1—3 ccm der l°/ on Lösung, oder
250—500 ccm physiologischer Kochsalzlösung mit 1 ccm der Stammlösung.
Per os kann man 10—20 Tropfen der Stammlösung geben fünf- bis sechsmal
im Tag Gefährliche Nebenwirkungen seien dabei nicht vorgekommen,
Vielleicht ist es dem einen oder andern von Interesse zu hören, daß
E. Merk (Darmstadt) Hypophysis oerebri siccata in Pulver- und Tabletten¬
form (ä 0,1) in den Handel bringt, von denen man täglich 3—9 Stück zu
geben hat. — Von Merck’s Extract. glandulae suprarenalis kann man
5—7 ccm einer l 0 / 0 ,igen Lösung zwei- bis dreimal täglich subkutan inji¬
zieren, vom Trockenpräparat (Pulver oder Tabletten ä 0,1 g) gibt man zwei
bis dreimal 0,1—0,3.
Die anderen großen Firmen stellen natürlich ähnliche Präparate her.
Buttersack (Berlin).
H. Werner (Hamburg), Über moderne Malariatherapie. (Ther. Monats¬
hefte, H. 3, 1911.;) Die von Koch betonte Forderung der Wasserlöslichkeit
der Chininpräparate gilt heute nicht mehr als unerläßlich, weil auch wasser¬
unlösliche Präparate wie die Chininbase und das Chinintannat gute anti-
parasitäre Wirkungen enthalten. Zu unterscheiden von der Löslichkeit der
Präparate ist ihre Fähigkeit, sich im Wasser, bez. im Magen des Pat. zu
öffnen. Der stark bittere Geschmack des Chinins zwingt zur Verabreichung
des Medikaments in Form von Kapseln, Perlen usw. An solche Präparate
muß man die Forderung stellen, daß sie, in Wasser gebracht, innerhalb
weniger Minuten sich öffnen. Es wird dies erreicht durch Quellmittel,
bezw. durch eine die Öffnung erleichternde Falzung der Kapseln. Die
einem Gramm Chinin hydrochlor. entsprechende Menge des Alkaloids, also
etwa 0,8 g stellen für die Tagesdosis bei innerer Darreichung das Optimum
der Wirkung bei erwachsenen Personen dar. Für Kinder rechnet man 0,1
für das 1. Jahri und für jedes der nächsten Jahre eine Steigerung der Tages-
dosis um 0,1 bis zum 10. Lebensjahr. Was die Chinindarreichung betrifft,
so empfiehlt W. die Nocht’sche Methode. Sie verlangt die in Abständen
von 2 Stunden durchzuführende fünfmalige Wiederholung der Einzelgabe
von 0,2 g Chin. hydrochlor., und zwar für 8 Tage. Die ungeschlechtlichen
Parasiten und das Fieber sind gewöhnlich schon nach 2—3 Tagen aus dem
peripheren Blute verschwunden: um aber ein Rezidiv zu vermeiden, muß
nach diesen 8 Tagen eine durch 2—3 Monate sich erstreckende Chininnach¬
behandlung sich anschließen; so daß zwischen je 2 aufeinanderfolgende
Chinintage Pausen von steigender Länge eingeschoben werden. Die Verab¬
folgung des Chinins geschieht am besten innerlich. In einer Reihe von
schwersten Fällen ist jedoch innere Medikation zunächst unmöglich, da der
Pat. nicht schlucken kann. Hier muß man Chinin intravenös injizieren,
am besten gleichzeitig mit Kochsalzinfusion. W. injiziert 1V 2 g Urethan-
chinin in 200 ccm physiologischer Kochsalzlösung in die Vene. Die sub¬
kutane und intramuskuläre Verabreichung des Chinins treten an Bedeutung
hinter die besprochenen Methoden zurück. S. Leo.
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542
Referate and Besprechungen.
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Gynäkologie und Geburtshilfe.
E. Landsberg (Halle), Untersuchungen über den Gehalt des Blutplasmas
an Gesamteiweiß, Fibrinogen und Reststickstoff bei Schwangeren. (Ein Bei¬
trag zur Frage der Beziehungen zwischen Leukozytenzerfall und Entstehung
fibrinbildender Substanzen und deren Bedeutung für die Schwangerschafts¬
niere und Eklampsie.) (Archiv für Gyn., Bd. 92, H. 3, 1911.) L. berichtet
nach einem geschichtlichen und methodologischen Abriß über seine Ver¬
suche an 18 Schwangeren vom 6.—10. Monat, 10 Kreißenden und 6 Neu¬
geborenen, 8 Nichtschwangeren und 1 Schwangeren mit Ödemen und Albu¬
minurie. Seine Schlu ßfolger ungen sind folgende: Der Gesamteiweißgehalt
ist bei Schwangeren und Kreißenden etwas geringer als bei Nichtschwangeren,
bei den Neugeborenen niedriger als bei den Müttern. Der Fibrinogengehalt
ist bei Schwangeren etwas höher als bei Nichtschwangeren, bei Kreißenden
noch höher als bei Schwangeren, bei Neugeborenen selbst niedriger als bei
Nichtschwangeren. Eine Steigerung der Fibrinogenmenge bei Eklamptischen
gegenüber normalen Kreißenden ist nicht nachgewiesen. Bei dem unter¬
suchten Fall von Schwangerschaftsniere war der Fibrinogengehalt nicht ver¬
mehrt. Hingegen zeigte die Reststickstoffmenge eine sehr starke Erhöhung.
Die im Kreislauf befindlichen Leukozyten haben mit der Fibrinogenbildung
nichts zu tun. — Als Entstehungsort für das Fibrinogen kommen in Betracht
die Leber einerseits, andererseits die lymphoiden Organe, und zwar besonders
das Knochenmark. Eine stärkere Beteiligung der Leukozyten bei der Fibrin-
fermentbildung ist äußerst zweifelhaft. Jedenfalls kann die Behauptung
als widerlegt angesehen werden, daß zur Fibrinfermentbildung ein stärkerer
Zerfall von Leukozyten, vornehmlich der polynukleären, erforderlich ist,
wofür bekanntlich Dienst lebhaft eingetreten ist. Im Gegensatz zu dieser
Anschauung gewinnt eine andere immer mehr an Boden, daß die Blut¬
plättchen für das Zustandekommen der Gerinnung von der grüßten Be¬
deutung sind. Gegen eine vornehmliche Beteiligung der vielkernigen Leuko¬
zyten bei der Gerinnung sprechen auch die Erfahrungen bei manchen Infek¬
tionskrankheiten; obwohl bei diesen die vitdkernigen Leukozyten in starker
Minderheit sind, besteht eine sehr beträchtliche Steigerung der Gerinnungs¬
fähigkeit und der entstehenden Fibrinmenge. Die Lehre von Dienst, eine
Hyperleukozytose und einen plötzlichen Zerfall der Leukozyten als Ursache
für die Schwangerschaftsniere bzw. die Eklampsie anzusehen, kajm also L.
nicht als richtig anerkennen. Ebensowenig sei es berechtigt, aus der throm¬
boseerzeugenden Wirkung von Plazentarsaftinjektionen den Schluß zu ziehen,
daß das Fibrinferment den wesentlichen Faktor bei der Entstehung der
Eklampsie ausmache. R. Klien (Leipzig).
v. Deschwanden, Pantopon-Skopolamin in der Geburtshilfe. (Korre-
sponden?;blatt für Schweizer Arzte, H. 4, 1911.) v. D. hat bei mehreren Gebä¬
renden auf Injektion von Pantopon (0,02 —0,04) allein oder mit Skopolamin
Beruhigung einlreten sehen, bei der folgenden Narkose wenig Äther gebraucht
und einen einige Zeit nach Beendigung der Narkose dauernden Ruhezustand
beobachtet. Unangenehm waren aber die Nachgeburbsblutuugen, die so regel¬
mäßig eintraten, daß ein Zusammenhang amzunehmen ist. Dem Referenten
scheint die Mitteilung insofern interessant., als sie die Aussicht eröffnet, anstelle
des noch wenig gekannten Skopolamins das Pantopon zu setzen, das ja nichts
ist als das zuverlässigste Stück der Materia medica, das Opium in inji¬
zierbarer Form. Fr. von den Velden.
A. A. Anufrien, Ober die Veränderungen der Milz während der Gravi¬
dität. (Russki Wratsch, Nr. 39, 1910.) Während der Schwangerschaft ver¬
größert sich das Gewicht und der Querdurchmesser der Milz. Die Gewichts-
Schwankungen sind recht bedeutend. In vivo läßt sich die Vergrößerung
der Milz bei Schwangeren nicht feststellen. Bei Obduktionen von Graviden,
die plötzlich an einer interkurrenten Krankheit starben, konnte sie nach-
gewiesen werden. Unter Umständen kann die Milzvergrößerung zur Ruptur
des Organs führen. Schieß (Marienbad).
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Referate und Besprechungen.
543
Psychiatrie und Neurologie.
Toulouse (Paris), Psychologische Studien über H. Poincarg. (Gazette
medicale de Paris, Nr. 79, S. 38, 1911.) Wenn irgendwo ein neues Tier oder
ein neuer Bazillus entdeckt wird, dann stürzen sich die Gelehrten mit Eifer
auf sein Studium; aber an psychologische Analysen noch lebender bedeutender
Männer wagt sich selten jemand heran. Um so dankenswerter sind die
Enquetes medico-psychologiques sur la superiorite intellectuelle, welche Tou-
louse unternommen hat. Auf Zola und Berthelot, welche er 1896 in der
Revue scientifique bzw. Revue de psvehiatrie 1901 behandelt hat, folgt nun
eine Studie über den Mathematiker und Physiker Poincare, der ja auch
uns Deutschen hinlänglich bekannt ist. Natürlich läßt sich eine Analyse
nicht noch einmal analysieren; es seien deshalb nur einige bemerkenswerte
Charakterziige herausgehoben. Poincare erscheint zerstreut wie New¬
ton, besitzt dabei jedoch (bzw. eben deswegen) eine große Aufmerksamkeit
und Zentrierfähigkeit; er vermag 11 Zahlen zu merken, wenn man ihm
je zwei in der Sekunde vorspricht. Im Kopfrechnen und in Mnemotechnik
leistet er Erstaunliches. Ein einmal eingeleiteter Ideengang läuft mit irre-
sistibler Gewalt ab; nur besondere Gewaltmittel, z. B. Musik unterbrechen,
ihn. Aber völlig zum Stillstand läßt er sich auch dadurch nicht bringen,
so daß Poincare außerstande ist, im Anschluß an seine Arbeiten ein Konzert
mit vollem Genuß zu hören. Mühe machten ihm seine Arbeiten nicht im
Geringsten; die Gedanken fügen sich beinahe von selbst aneinander, ohne
daß er beim Beginn genau wüßte, in welcher Weise und in welcher Richtung;
er ist sich dieses Vorgangs, den er trajvail inconscient nennt, wohl bewußt.
Auch bei P u r k i n j e h und D o n d e r s begegnen wir der Tätigkeit des
Unterbewußtseins. und es ist gewiß kein Zufall, daß Werner v. Siemens
fast die gleiche Schilderung von seinem inneren Schaffen gibt, auch er
kannte jenes ,,halb träumerisch grübelnde, halb tatkräftig fortstrebende Ge-
dankenleben, welches sich nie vollständig verdrängen ließ und mir vielfach
den Genuß der Gegenwart verkümmert hat“.
Schade, daß wir Deutsche die große Zeit unseres Vaterlandes in den
70er und 80er Jahren vorübergehen ließen, ohne an den historischen Inkar¬
nationen des Geistes der Nation ähnliche psychologische Analysen zu ver¬
suchen. Buttersack (Berlin).
C. v. Economo (Wien), Über dissozierte Empfindungslähmung bei Pons¬
tumoren und über die zentralen Bahnen des Trigeminus. (Jahrb. f. Psych.,
Bd. 32, H. 1 u. 2.) Der beobachtete und sezierte Fall bot folgende Erschei¬
nungen. Pat. spürte als erstes mit dem rechten Fuß die Wärme des Wassers
nicht, einige Tage später merkte er eine Gefühlsabstumpfung an der linken
Stirn, zwei Wochen darauf eine, linksseitige Fazialisparese, bald darauf
leichte Parästhesien an der rechten oberen Extremität und subjektive Ohr-
gerausche auf dem linken Ohr. Bei der Aufnahme fand man die linke Pupille
enge.- als die rechte, motorische und sensible Parese des linken Trigeminus,
Fazialisparese links, Thermanästhesie und Analgesie am Körper rechts,
taktile und Tiefensensibilität (beiderseits intakt, sensible Reflexe rechts herab¬
gesetzt. Augenbewegungen frei bis auf eine leichte Parese des linken Ab-
duzens. Schwindel beim Lagewechsel, an der oberen Extremität beiderseits
leichte Ataxie, Patellar- und Achillessehnenreflex beiderseits klonisch, beider¬
seits Ataxie, links mehr als rechts. Es entwickelte sich am linken Auge
eine Keratitis suppurativa und später hatte Pat. starke Schmerzen in der
ganzen rechten Körperhälfte. Infiltration der linken Lungenspitze. Der
Exitus trat unter meningitischen Erscheinungen ein. Die Diagnose lautete
auf Ponstuberkel in der linken Haube in der Eintrittshöhe des Trigeminus.
Die Sektion bestätigte dies völlig. Der beschriebene Befund gestattet die
Erkenntnis, daß die von der Syringomyelie her bekannte dissoziierte Emp¬
findungslähmung des Temperatur- und Schmerzsinnes zustande kommen kann
durch eine Läsion der lateral vom Abduzens befindlichen Teile der Schleife,
während die medial von ihm gelegenen Faserbündel der Schleife die Leitung
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544
Referate und Besprechungen.
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der taktilen und Tiefensensibilität besorgen. Zentrale Schmerzen gelten im
allgemeinen für ein Thalamusläsionen charakterisierendes Symptom. Wie
der Fall aber beweist, können dieselben auch durch Läsion der Schmerzbahnen
unterhalb des Thalamus ausgelöst werden. Aus den z. T. experimentellen
Versuchen über die zentralen Trigeminusbahnen schließt E., daß eine unge¬
kreuzte die Geschmacksempfindungen, eine gekreuzte die taktilen Empfin¬
dungen des Trigeminus leite. Das Ende derselben bilde der Nucleus arcuatus
im Thalamus. Zweig (Dalldorf)...
A. Fuchs (Wien), 1. Scoliosis hysterica. 2. Atrophie bei zerebraler
Hemiplegie. 3. Medianusverletzung. (Jahrb. für Psych., Bd. 32, H. 1 u. 2.)
1. Bei einem 22jähr. Studenten entstand über Nacht ein beim Sprechen auf-
tretender Krampf (Tic) im Fazialis- und Akzessoriusgcbiet und am Abend
desselben Tages ebenfalls plötzlich schiefe Haltung des Oberkörpers in
skoliotischer Art, wobei die Hüfte der einen Seite so weit hinaufgezogen
wird, daß der Fuß nur noch mit der Spitze dcjii Boden berührt (Station
hachee). In der Bauchlage mit überhängendem Kopf gelingt es, den größten
Teil der Deviation wieder auszugleichen. Bei langem Bestand kann durch
Torsion der Wirbelkörper usw. eine wirkliche Skoliose zustande kommen.
Eine instruktive Abbildung charakterisiert das seltene Leiden besonders gut,
dessen hysterische Natur durch die plötzliche Entwickelung bis zur vollen
Höhe auch trotz des Fehlens hysterischer Stigmata unzweifelhaft ist.
2. Im Anschluß an ein in der Jugend erfolgtes Trauma mit Bewußt¬
losigkeit, Oberkiefeibruch und Lähmung einer Körperhälfte entwickelte sich
bei allmählicher Besserung des Beins und bleibender Lähmung der oberen
Extremität — keine Sensibilitätsstorung — eine Atrophie der letzteren.
Charakteristisch für die zerebrale Natur der Atrophie ist das elektrische
Verhalten: die Nervenstämme sind faradisch und galvanisch normal erregbar
und auch im Bereich der Muskulatur, so weit dieselbe vorhanden ist, fehlt
jede Spur einer quantitativen und qualitativen Veränderung . Die Extremität
ist kühler und zyanotisch, an der Hand besteht auffallend starkes Schwitzen.
Ferner hat sich eine Asymmetrie beider Thoraxhälften entwickelt und die
radiologische Untersuchung zeigt, daß an der Atrophie auch alle Knochen
der betr. Körperhälfte beteiligt sind.
3. Charakteristische, motorische und sensible (Anästhesie, trophische
Störungen) (Erscheinungen durch einen Eisensplitter, welcher wie ein Projektil
von der Eintrittsstelle aus bis an den Medianus vorgedrungen ist und hier
wohl eine neuritische Leitungsunterbrechung hervorgerufen hat.
Zweig (Dalldorf).
Elschnig (Prag), Über tabische Sehnervenatrophie. (Med. Klinik, Nr. ( J,
1911.) E. steht bezüglich der Syphilisbehandlung auf dem Standpunkte
der modernen Sy philidologen, die eine mindestens zwei- bis vierjährige inter¬
mittierende Quecksilber-Jodbehandlung notwendig erachten. Unter den an
Sehnervenatrophie erkrankten (44) ist nur einer, der dieser Forderung ge¬
nügte. Diese Tatsachen legen dem praktischen Arzte die Pflicht nahe, bei
der Nachschau von Luetischen auf die Pupillen mehr zu achten und unter
allen Umständen bei eintretenden Pupillenstörungen fortgesetzt intermit¬
tierende Luesbehandlung einzuleiten. Die Erfahrung mit der Wassermann-
schen Reaktion haben gelehrt, daß — abgesehen von der Syphilis einblee —
auch der weiche Schanker sehr häufig die Eingangspforte für den Syphilis-
erreger ist. Durch die neue Ehrlich-Hatatherapie wird der Primäraffekt
und die erste (Manifestation .der allgemeinen Syphilis in überraschend schneller
und vollkommener Weise beseitigt. Es steht nach E. sehr zu befürchten,
daß gerade diese Individuen in Analogie mit den Fällen ohne Behandlung
oder mit nur kurzer Quecksilberbehandlung auch das Material für die
metaluetischen Erkrankungen darstellen. (Aus dieser letzten Behauptung
spricht teilweise eine in Prag scheinbar endemische Animosität gegen Ehr¬
lich. Anm. d. Ref.) S. Leo.
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Referate und Besprechungen.
545
H. Hermes (Bonn), Über Adalinwirkung bei Neurosen und Psychosen.
— A. Pelz (Königsberg), Über das neue Sedativum und Hypnotikum Adalin.
(Zeitschr für die ges. Neurol. u. Psych., Bd. 4, H. 3/4.) Beide Autoren be¬
richten nach der Erfahrung an mehr als 140 Fällen übereinstimmend über
gute Resultate in kleinen Dosen, als Sedativum — 0,25 mehrmals täglich —
und als Hypnotikum — 0,5—1,5 — bei nervösen Schlafstörungen sowie bei
leichten Erregungen Geisteskranker mit Ausnahme ängstlicher Zustände bei
Melancholie. Nebenerscheinungen werden nur von P. in zwei Fällen in Ge¬
stalt von leichtem Schwindel (der ,aber auch schon vorher bestand) und
leichter Eingenommenheit des Kopfes erwähnt und ausdrücklich auf das
Fehlen aller anderen unangenehmen Nebenwirkungen hingewiesen. Auch von
Patienten, welche Brom nicht vertragen, wird das Mittel — eine Bromharn-
stoffVerbindung — ohne Beschwerden genommen. P. beobachtete Gewöhnung,
welche eine Steigerung in der Dosis zwecks hypnotischer Wirkung erforder¬
lich machte, H. nicht* Das Mittel, das in weißen Pulvern oder Tabletten in
den Handel kommt (Fr. Bayer & Co*, Elberfeld), ist in warmem Wasser
etwas mehr löslich als in kaltem, ist geruchlos und hinterläßt einen leichten
bitteren Geschmack. Genuß von heißem Wasser nach der Einnahme soll die
Wirkung noch steigern. — Da Adalin von einer großen Reihe von Autoren
andernorts bereits stets in der gleichen Weise als unschädlich und wirksam
gelobt wird, scheint einer Anwendung in der Praxis nichts mehr ?m Wege
zu stehen. Manche Autoren sind bereits bis zu Dosen von 2 g und darüber
gegangen ohne schädliche Folgen. Zweig (Dalldorf).
K. Krause (Berlin), Über Neurosen nach Blitzschlag. (Monatsschr. für
Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 3.) Es können sich als Folge eines elektrischen
Traumas, gleichviel ob infolge technischer oder atmosphärischer Elektrizität,
die verschiedenartigsten psychischen und nervösen Symptomenbilder ent¬
wickeln (Bewußtseinsstörungen verschiedener Stärke, Lähmungen stets ver¬
bunden mit sensiblen Störungen, isolierte sensible Lähmungen, lokale vaso¬
motorische Störungen, traumatische Neurasthenien und Hysterien, Geistes¬
krankheiten selbst mit Verblödung, Sehstörungen und Hörstörungen). Auch
der Ausgang ist außerordentlich variabel und die Prognose unberechenbar
und unabhängig von der Schwere des Traumas. Zwei vorher bereits nervöse
Individuen wurden sogar in ihren nervösen Erscheinungen durch die Blitz-
Wirkung gebessert, vielleicht infolge spezifischer Wirkung der elektrischen
Entladung auf die Nervensubstanz oder die Gefäße. Überhaupt ist es wohl
unrichtig, das funktionelle psychogene Moment zu sehr oder gar allein zu
berücksichtigen, es dürfte sich vielmehr hier sowohl wie bei den im Ge¬
folge einer Commotio cerebri entstehenden traumatischen Neurosen um feinere
histologische Prozesse handeln, z. B. nur mikroskopisch sichtbare Blut-
austritte mit Zell Zertrümmerungen und feinen Veränderungen der Nerven¬
fasern und ähnliches. Zweig (Dalldorf).
Bauer (Wien), Untersuchung über die Abschätzung von Gewichten
unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen. (Zeitschr. für die
ges. Neurol. u. Psych'., Bd. 4, H. 2.) Praktisch wichtig ist aus dieser aus¬
führlichen Arbeit, daß normale Rechtshänder Gewichte meist links, Links¬
händer rechts überschätzen. Auf diese Weise läßt sich oft latente Links¬
händigkeit feststellen. Zweig (Dalldorf).
Kaufmann (Halle), Über die Nachteile der Arbeitstherapie bei akuter
Geisteskrankheit. (Allg. Zeitschr. für Psych., Bd. 68, H. 2.) Bei akuten
Geisteskrankheiten ist im allgemeinen Bettruhe am empfehlenswertesten.
Bei Muskelarbeit werden vermehrte Ermüdungsstoffe erzeugt, die auf das
erkrankte Gehirn ungünstig wirken. Zweig (Dalldorf).-
Mör.kemöller (Plildesheim), Das Zucht- und Tollhaus in Celle. (Allg.
Zeitschr. für Psych., Bd. 68, H,. 2.) Auf die außerordentlich interessante,
die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts schildernde Arbeit bezgl. Aufnahme,
Art der Verpflegung, Beurteilung der Erkrankung, Entlassung usw. sei hier
nur kurz hingewiesen. Zweig (Dalldorf).
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546
Referate und Besprechungen.
Alzheimer (München), Über eigenartige Krankheitsfälle des späteren
Alters. (Zeitschr. für die ges. Neurol. u. Psych., ßd. 4. H. 2.) Es handelt
sich um Psychosen, welche zur Gruppe der senilen Demenz gehören, sich von
derselben aber klinisch und anatomisch abgrenzen lassen. Hier interessiert
nur das erstere. Im präsenilen Alter bis zum 40. Jahr zurück kommt es mit
raschem Einsatz und schneller Entwickelung zu einer tiefen Verblödung und
Herdsymptomen aphasischer, apraktischer und agnostischer Natur. Gegen
arteriosklerotische Störung sprechen das Fehlen diesbezgl. Gefäßverände¬
rungen sowie von Schwindel- und apoplektiformen Anfällen, ferner die all¬
mähliche Entstehung der Verblödung und der Herdsymptome ohne Insulte.
Es handelt sich vielleicht um eine besonders schwere Form der senilen Er¬
krankung. Zweig (Dalldorf).
Hais, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Br. Bosse, K. Spangenberg (Berlin), Über Stridor laryngis et tracheae.
(Reichsmediz.-Anzeig., Nr. 5, 1911.) Die Autoren wollen auf die Wichtigkeit
der durch die Thymus verursachten Atembeschwerden „Stridor thvmicus“
hinweisen. Die Behandlung des Stridor congenitus ist von der Schwere
des betreffenden Falles abhängig. Im allgemeinen handelt es sich um Ge¬
räuschbildungen ohne Nebenerscheinungen. Treten indessen Suffukationg-
zustände auf, sei es ohne ersichtlichen Grund, sei es durch Komplikationen,
wie Tracheobronchitis, Pertussis, die stets sehr zu fürchten sind, so wird
man nicht zögern, zur Operation zu schreiten, zumal plötzliche Todesfälle
auch aus scheinbar blühender Gesundheit heraus meist im Bad oder während
einer Narkose nicht gerade selten beobachtet worden sind. S. Leo.
P. Manasse (Straßburg i. E.), Über Nasenstenosen. (Die Heilkunde.
Ärztl. Standesz.j Nr. 6, 1911.) Die Klagen, mit denen die Pat. zum Arzte
kommen, sind gewöhnlich höchst charakteristisch; sie können nicht durch
die Nase atmen, sprechen durch die Nase und schlafen sehr unruhig. Dazu
kommt ein chronischer Schnupfen, katarrhalische Zustände im Rachen und
Larynx. Wichtiger aber ist, daß derartige Individuen leichter schwere in¬
fektiöse Erkrankungen dieser Gegend acquirieren, weil der Staub, Bakterien
und sonstige Schädlichkeiten nicht oder nicht in genügender Weise von der
Nasenschleimhaut abgefangen wird. Charakteristisch für diese Pat. ist
auch die Physiognomie, die Pat. halten den Mund halb geöffnet, der
Unterkiefer ist herabgesunken, die Nasolabialfalten sind verstrichen, die
Kranken haben einen teilnamslosen, oft geradezu blöden Gesichtsausdruck.
Der Oberkiefer ist in der Frontalebene verschmälert, im sagitalen Durch¬
messer erhöht, und erhält die Form eines gotischen Spitzbogens. Höchst
unangenehm ist die Mundathmung bei Säuglingen, weil dadurch das Saug-
geschäft sehr erschwert wird. Häufig sind Komplikationen von seiten des
Gehörorganes. Oft sind diese so überwiegend, daß die Pat. lediglich ihret¬
wegen den Arzt aufsuchen und erst bei genauem Examen geben sie Sym¬
ptome seitens der Nase an. S. Leo.
Augenheilkunde.
R. Kerschbaumer, Über Therapie des Trachoms. (Die Heilkunde, ärztl.
Standeszeitung, Nr. 1, 1911.) Von großer Bedeutung für die Behandlung
des Trachoms ist der allgemeine Ernährungszustand des Kranken. Während
bei kräftigen, sonst gesunden Leuten ein sichtbarer Erfolg der Behandlung
konstatiert werden kann, ist das Augenleiden bei schlechtgenährten, anämi¬
schen, syphilitischen oder tuberkulösen Personen bei der gleichen Behandlung
ein sehr hartnäckiges. Fallen diese erschwerenden Umstände weg, so tritt
bald Besserung ein. Von Einfluß sind auch die hygienischen Verhältnisse:
feuchte, dumpfe, schlecht ventilierte Wohnungen, Aufenthalt in rauchigen
staubigen Lokalitäten wirken schädlich. Das schwierigste Kapitel ist die
Prophylaxe. Der erste Schritt ist eine lückenlose Schuluntersuchung; denn
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Referate und Besprechungen.
• r >47
die Schule ist der beste Gradmesser zur Beurteilung der Verbreitung der
Conj. granul. Die Stadt Königsberg galt lange Zeit als immun für
Trachom Kuh nt unternahm eine genaue Sch ul Untersuchung und es
mußten 8,26 ü /o der Kinder vom Schulbesuch ausgeschlossen werden. Ähn¬
liche Verhältnisse vermutet Kerschbaumer in W i e n und er verlangt
auch hier eine genaue Untersuchung. Es mußten also folgende Maßnahmen
getroffen werden: 1. Muß eine Zentralstelle zur unentgeltlichen ambula¬
torischen und stationären Behandlung zur Zeit der stärksten Sekretion ge¬
schaffen werden. 2. In Schulen, Fabriken, Werkstätten, Internaten, Er¬
ziehungsanstalten. Versofgungshäusern, Armenanstalten müssen periodische
Augemintersuchungen stattfinden. 3. DieTrachomcrkrankungen sollen anzeige¬
pflichtig sein. 4. Die Bevölkerung soll über die Gefährlichkeit des Leidens
und die Maßnahmen zur Verhütung der Weiterverbreitung belehrt werden.
,'). Endlich sollte den Kranken gesetzlich die Behandlungspflicht aufgelegt
werden. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
H. Boruttau, Das Verhalten der wichtigsten therapeutisch angewendeten
organischen Jod- und Bromverbindungen im Tier- und Menschenorganismus.
(Zeitsehr. für experiment. Pathol. und Ther., Bd. 8, S. 418. 1910.) Neben
anderen Halogeneiweißkörpern, teils solchen, die das Halogen nur locker oder
nur fest gebunden enthalten, wurden auch das Jodglidine und Bromglidine
berücksichtigt. Die Ergebnisse betreffen die Ausscheidung, die Art der
Resorption, des Transportes im Blute, sowie endlich die Ablagerung des Jods
und Broms in den Organen.
Es fand sich, daß bei allen Arten Jod- und Bromeiweiß das Jod und
Brom zum allergrößten Teile als Alkalisalz im Harn zur Abscheidung ge¬
langt. Die Ausscheidung des Jods ist ebenso schnell beendet wie die Auf¬
nahme von Jodalkalien, verläuft aber in gleichmäßigerer Form, indem offen¬
bar die Resorption weniger schnell erfolgt. Verdammgsversuche zeigten,
daß sowohl durch den Magensaft wie auch durch den Pankreassaft Jod- bzw.
Brompeptone gebildet werden und das Halogen als solches bzw. Halogen-
wasserstoffsäure oder Halogenalkali im Magen nur wenig, im Darm erst
mit der Resorption der Verdauungsprodukte vollständig resorbiert wird.
Die Ablagerung von Jod in den Organen erfolgte bei allen untersuchten
Verbindungen nach einer bestimmten Reihenfolge derselben; an der Spitze
steht die Schilddrüse und das lymphatische System, dann folgen die Aus¬
scheidungsorgane, Niere und Lunge usw. Vorhandensein von Jod im Nerven-
und Fettgewebe war gelegentlich, wenn auch in geringen Mengen, auch bei
Jodkali- und Jodglidinedarreichung zu konstatieren, sie reichte auch bei
Verbindungen, denen besonders ausgesprochene Lipo- und Neurotropie des
Jods zugeschrieben wird, keine höheren Werte als in den erwähnten Organen,
soweit es sich um therapeutisch verwendbare Verbindungen handelt. Nur
subkutan injiziertes Jodfett bildet wirkliche, sehr langsam einschmelzende
„Joddepots“.
Ganz anders als das Jod verhält sich das Brom; es verdrängt nach
W y ß in den Flüssigkeiten und Organen das Chlor und setzt sich teilweise
an dessen Stelle, um nach Aussetzen langsam wieder ausgeschieden zu wer¬
den. In Form von Bromglidine an das Nahrungsmittel „Lezithin-Eiweiß“
gebunden, gelangt es schnell zur Resorption und wird ebenso allmählich
allsgeschieden wie bei allen anderen Bromverbindungen. Neumann.
B. J. Wiljamowski, Die therapeutische Bedeutung des Jodivals. (Prak-
titscheski Wratsch. Nr. 5, 1911.) Das Jodival besitzt als wesentlichen Vor¬
zug eine besonders gute Verträglichkeit von seiten des Magens. Ferner treten
bei Jodivalanwendung die Symptome des akuten Jodismus weniger auf als
bei den Jodalkalien, was durch die gleichmäßigere Ausscheidung zu er¬
klären ist.
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Referate und Besprechungen.
Das Jodival wird infolgedessen auch von solchen Personen gut ver¬
tragen, die andere Jodpräparate, vor allem die Jodalkalien, nicht nehmen
können. Der Verf. beschreibt mehrere Fälle eingehend, in denen die bisherige
Jodmedikation ausgesetzt werden mußte; darauffolgende Jodivalkuren wur¬
den anstandlos wochenlang vertragen. Die Jodwirkung tritt nach Jodival -
darreichung prompt ein — es handelte sich um Resorption von Exsudaten,
um Asthma bronchiale, Arteriosklerose, Angina pectoris, Periostitis, inter¬
mittierendes Hinken usw.
Ferner wurde das Jodival in der Kinderpraxis, und zwar bei Skrofu¬
löse angewandt: es wurde gleichfalls vorzüglich vertragen, die skrofulösen
Ekzeme verschwanden bald und die Drüsenschwellungen gingen sehr schnell
zurück. R.
Rosendorff (Berlin), Über Erfahrungen mit Vasotonin. (Ther. Monatsh.,
Nr. 3, 1911.) In 16 Fällen von Blutdrucksteigerung wurde nur in 6 Fällen
eine Verminderung teils der Blutdrucksteigerung, teils der subjektiven Be¬
schwerden, teils beides erreicht. Ein solcher Erfolg betraf nur die leichteren
Fälle; bei solchen kann man also einen Versuch machen, doch ist in keinem.
Fall das Resultat mit Sicherheit vorauszusagen. Unangenehme Nebenerschei¬
nungen kommen gelegentlich vor. Zur Bekämpfung des Asthma bronchiale
hat sich das Mittel nicht sehr erfolgreich erwiesen. S. Leo.
Isabolinskaja-Lasarewa, Über die Wirkung des Fibrolysins bei Taubheit
nach entzündlichen Prozessen am Mittelohr. (Wratschebnaja Gaseta, Nr. 49,
1910.) In Zwischenräumen von 1—2 Tagen wurden die Injektionen in Fällen
von Taubheit nach Otitis media und chronischen Katarrhen vorgenommen.
In 2 Fällen, in denen Otitis media vorausgegangen war und in einem Fall von
subakutem Katarrh konnte Besserung festgestellt werden. In Fällen mit Er¬
krankung des Labyrinthes war Besserung von vornherein nicht zu erwarten.
Schieß (Marienbad).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Hanken (Kiel), Zur Kenntnis der Gefahren hydrotherapeutischer Pro¬
zeduren für den Säugling. (Ther. Monatsh., H. 3, 1911.) Beim Säugling
kann schon das gewöhnliche Reinigungsbad mit warmen Wasser wie auch der
mit stubenwarmen Wasser ausgeführte Umschlag um die Brust, ebenso wie
eingreifendere Prozeduren, z. B. die Senfeinwicklung, bedrohliche Zufälle,
sogar Kollapse schwerster Art auslösen. Tritt ein Kollaps bei hydrotherapeu¬
tischen Prozeduren auf, dann wird er am wirksamsten durch wiederholte
Kampf erinjoktionen, Wärmeflaschen und Sauerstof finhalationen bekämpft.
Ätiologisch kommt die exsudative Diathese in Betracht. S. Leo.
Christen (Bern), Über Inhalationstherapie. (Münchn. ined. Wochenschr.,
Nr. 50, 1910.) Durch die Inhalation soll den Schleimhäuten Wärme zuge-
führt werden. Nur, wenn die Inhalationsluft viel nicht kondensierten Wasser¬
dampf enthält, der bei seiner Kondensierung Wärme abgibt, kann die Wärme-
Wirkung bis in die Bronchien dringen. Das Wasser als solches gelaugt im
Momente, wo es sich kondensiert, in der feinsten Verteilung an die Schleim¬
häute. Mit der Inhalation wird zweckmäßigerweise Atemgymnastik ver¬
bunden, nicht nur, weil die Lungen bei tiefer Atmung am besten durchblutet
werden, sondern auch, weil der Luftstrom die Sekrete in den Luftwegen fort-
bewegen hilft, dies natürlich nach Maßgabe seiner Geschwindigkeit. Es ist
deshalb zweckmäßig, wenn di© Inspiration langsam, die Exspiration rasch er¬
folgt. was durch Anbringung eines leichten Hindernisses für die Einatmung
zu erzielen ist. Schließlich soll die Inhalation auch zur Applikation dampf¬
förmiger Medikament© dienen können.
Dies alles glaubt der Autor am besten durch einen äußerst einfachen
Apparat zu erreichen: in einen Erlenmeyerkolben mit doppelt durchbohrtem
Pfropfen (am besten aus künstlichem Kork, ,,Suberit“) münden 2 Glasröhre.
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Referate und Besprechungen.
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1. ein winklig gebogenes Atmungsrohr, das nur wenig in den Hals des
Kolbens hineinragt, 2. ein gerades Rohr, dessen unteres Ende den Spiegel
des warmen Wassers eben berührt, während das freie, äußere Ende eine
becherförmige Ampulle trägt, in welche ein mit dem flüchtigen Medikament
getränktes Schwämmchen eingeführt wird. R. Isenschmid.
M. Kochmann (Greifswald), Der Kalkstoffwechsel in seiner Abhängig¬
keit von der Nahrung. (Ther. Monatsh., Februar 1911.) 1. Woher nimmt
der Organismus den Kalk, den er in großen Mengen bei einer bestimmten
Nahrung auszuscheiden gezwungen ist (vorwiegende Fleischnahrung)? Wir
werden auf das Skelett als die Quelle des phosphorsauren Kalks hingewiesen.
2. Warum veranlassen Eiweiß, Fett und wahrscheinlich auch die Kohlen¬
hydrate-. eine Zerstörung des Knochengewebes, wozu wird der Kalk in solchen
Mengen gebraucht? Der Kalk dient als Grundlage des Aufbaues in den
Knochen und Zähnen, um diesen Gebilden Festigkeit und Härte zu verleihen.
Er muß außerdem in jedem Gewebe, in jeder Zelle vorhanden sein, damit
diese lebensfähig bleiben. Beim Abbau der Nahrungsstoffe entstehen ferner
Schlacken, die ausgeschieden werden müssen. Der Kalk scheint nun die Auf¬
gabe zu haben, diese Schlacken zum Teil wenigstens unschädlich zu machen.
Die aus den Fetten freigewordenen Fettsäuren werden teilweise mit Kalk ge¬
bunden zu fettsaurem Kalk; stickstoffhaltige Substanzen können ebenso als
ungiftige Verbindungen ausgeschieden werden (karbaminsaurer Kalk). Bei
Säure vergift u ngen wird der Kalk im vermehrtem Maße ausgeschieden, ebenso
bei Diabetes. Bei der Oxalsäurevergiftung ist es sogar möglich, eine tödliche
Vergiftung durch Kalkzufuhr aufzuheben. S. Leo.
E. Weide (Dresden», Erfahrungen mit Eiweißmilch. (Ther. Monatsh..
Februar 1911.) Die Eiweißmilch (Kasein -j- Fett — Molke) wurde bei
Durchfall erprobt, der zu mehr oder minder schweren Ernährungsstörungen
geführt hatte, also bei Dyspepsien, Dekompositionen. Intoxikationen und
parenteralen Infektionen. W. kann sie nur loben. Vielleicht wird sie ein¬
mal der „beste Ersatz für Muttermilch“ wenigstens bei Ernährungsstörungen,
die vorwiegend mit Diarrhöen einhergehen. Ein großer Vorzug ist jeden¬
falls die Haltbarkeit. Die Nachteile der Eiweißmilch sind der hohe Preis,
schlechtes Aussehen und Geschmack. Man muß den Geschmack dieser grün¬
lichen flockigen, sauer schmeckenden Milch mit einem ordentlichen Löffel
Zucker korrigieren. S.. Leo.
Vergiftungen.
Kumita, Über die örtlichen, durch Bleisalze im Gewebe hervorgerufenen
Veränderungen. Ein Beitrag zur Lehre von der Verkalkung. (Virchows
Archiv für path. Anat., Bd. 198, S. 401, 1909.) Verfasser beschäftigte sich mit
dem Studium der Gewebsschädigungen, weldhe sich bei der subkutanen Ein¬
spritzung eines Bleisalzes (l°/ 0 ige Lösung von Plumbum aeeticum), der ein¬
zigen Einverleibungsart, die eine genaue Bestimmung der Dosis gewährleistet,
unmittelbar an dem Applikationsorte des Giftes bei Kaninchen entwickeln. Es
zeigte sich, daß sich im Bereiche der Injektion regelmäßig eine bald mehr dif¬
fuse, bald mehr knotige Induration bildet, und daß das Gewebe im Gebiete
dieser umfangreichen Anschwellung steinhart wird (schon nach 2—3 Tagen).
Die eigentliche Ursache dieser unterhalb der Injektiousstelle beobachteten Ver¬
härtung ist. darin zu suchen, daß das von der Bleilösung getroffene Gewebe
der Verkalkung anheimgefallen ist. Ob die Einspritzung in das Stratum
6ubcutaneum oder in die Muskelsubstanz gemacht war, blieb sich insofern
gleich, als die derbe Anschwellung in der Mitte des reaktiv veränderten Ge¬
webes einer, erstaunlich hohen Grad erreichte. Vor dieser innerhalb weniger
Tage sich abspielenden Metamorphose und neben ihr her geht eine entzündliche
Reaktion von ansehnlicher Ausdehnung. Unter deren Einflüsse entwickelt sich
im subkutanen, noch reichlicher im intermuskulären Bindegewebe sehr bald
eine lebhafte Zell- und Gewebsneubildung, die auf dem Wege narbiger Um-
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550
Bücherschau.
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Wandlung erstaunlich rasch zum Abschlüsse gelangt. Im Gegensätze dazu
verfallen die ungleich empfindlicheren Teile des Substrates, die kontraktilen,
Elemente, schon frühzeitig scholliger Zerklüftung und dann weitreichender
Nekrose der entstandenen Trümmer. Indem sich die letzteren sehr schnell
mit Kalksalzen imprägnieren, kommt es zur Bildung von zahllosen balken-
und spießförmigen Gebilden, die in die granulationsgewebsartige Grundlage
massenhaft eingestreut, dem ganzem Bilde ein ebenso charakteristisches, wie
ungewohntes Aussehen verleihen. Wurde den Tieren wiederholt von der Blei-
lösung eingespritzt, so traten örtlich keine anderen Erscheinungen auf als
die eben beschriebenen, die sich nur mit der Dauer des Versuches allmählich
steigerten; dagegen trat bald die Erscheinung einer Allgemeinvergiftung ein;
die Tiere magerten ab und gingen ausnahmslos, spätestens während der
7. Woche, an Erschöpfung zu Grunde. Bei einem Kaninchen (getötet am
31. Tage nach 30 Einspritzungen von 1,5 g der einprozentigen Lösung) fanden
sich eigentümliche, mit weißlicher Verfärbung verbundene Verdickungen der
Magenwand, die sich als Verkalkungen erwiesen, die Verfasser darauf zurück¬
führt. daß bei einer Injektion der Magen von der Kanüle getroffen sei.
W. Hisel-Zwickau.
Slowzow, Die chemischen Veränderungen innerhalb der Leber bei der
Phosphorvergiftung. (Russki Wratseh, Nr. 4, 1911.) Mit der Verkleinerung
der Leber bei der Phosphorvergiftung geht gleichzeitig eine Verminderung
der Eiweißsubstanzen und eine Vermehrung des Fettbestandes des Organs
einher. Von ersteren ist es namentlich das in Wasser lösliche Nukleoproteid
der Leber, das sich in ganz besonderem Maße vermindert; die zurückbleiben-
den Eiweißsubstanzen erscheinen reicher an Phosphor und Xanthinkörpern,
woraus zu schließen wäre, daß die Xanthin- und Nukleingruppen bei der
gelben Leberatrophie länger der zerstörenden Einwirkung des Giftes Wider¬
stand leisten. Bei der akuten gelben Leberatrophie bleibt das proteolytische
Ferment quantitativ unverändert, die Peroxydase ist vermindert, das amylo¬
lytische Ferment jedoch erscheint vermehrt. Schieß (Marienbad).
Bücherschau.
Riedels Berichte — Riedels Mentor. Das vorliegende Werk — mit diesem Namen
kann man die diesjährige 55. Auflage des Riedel’schen Mentors mit Fug und Recht
wegen ihrer Reichhaltigkeit und Gediegenheit bezeichnen — ist für die Ärztewelt
ganz besonders aus dem Grunde interessant, weil es außer den mehr für Apotheker
und Chemiker bestimmten wissenschaftlichen Arbeiten und analytischen Mitteilungen
eine neue Abteilung „Pharmako-therapeu tische Übersieht über die wichtigsten Ver¬
öffentlichungen der medizinischen Presse“ enthält, die zwar keinen Anspruch auf
Vollständigkeit machen kann und machen will, aber für den vielbeschäftigten prak¬
tischen Arzt, der nicht täglich die umfangreiche Fachliteratur studieren kann, als
Nachschlagewerk zur Orientierung sehr wertvoll ist. Wir weisen besonders auf die
Artikel SaLvarsan und Skopolamin hin. In einer Abhandlung über Gonosan und
seine Ersatzpräparate wird eine Frage von größter Wichtigkeit behandelt; das von
der Firma J. D. Riedel, A.-G., hergestellte bewährte Antigonorrhoikum Gonosan
wird seitens vieler ,Aftererfinder“ nachgeahmt, und diese Nachahmungen ent¬
halten, wie durch einen unparteiischen, vereideten Gerichtschemiker nachgewiesen
wird, zum größten Teil statt 20°/ o Kawaharz nur ein alkoholisch-wässeriges Extrakt
mit wenigen Prozent Harz, und statt des ostindischen Sandel hol zöles sehr oft Mischungen
desselben mit minderwertigen Oien und Balsamen! Dieser schreiende Übelstand
wird durch die falsche Sparsamkeit sehr vieler Krankenkassen, welche die Ärzte
zwingen wollen, diese höchst minderwertigen Ersatzpräparate zu verordnen, noch
bestärkt! Wo bleibt da das Wohl der Patienten?
Die Lektüre der Riedel’schen Berichte, die kostenlos übersandt werden, kann
dringend empfohlen werden. Das vielseitige Werk bringt eine Fülle von An¬
regungen und kann den bekannten Merk’sehen Jahresberichten als gleichwertig
zur Seite gestellt werden. Neumann.
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Bücherschau.
551
B. Salge (Freiburg), Therapeutisches Taschenbuch für die Kinderpraxis. Fischers
therapeutische Taschenbücher, Nr. 1. 5. verbesserte Auflage. Berlin 1911. Verlag
von H. Kornfeld. 178 S. 3,50 Mk.
Das sehr praktisch mit Papier durchschossene Büchelchen gibt zuerst die
Ernährung und Behandlung des Säuglings, dann die Behandlung der Kinder in
verschiedenen Krankheitsfällen nach Gruppen geordnet; fernerhin Tabellen über
Längenwachstum, Schädel-, Brustumfang, Gewicht, über den Kalorienwert der
wichtigsten Säuglingsnahrung, eine Übersicht über Anstalten zur Unterbringung
körperlich schwacher Kinder, am Schlüsse 104 Kochrezepte und ein Register,
leider fehlt eine Inhaltsübersicht, die die Orientierung in dem so praktischen
Büchelchen wesentlich erleichtern würde. v. Schnizer ^Höxter).
E. Bleuler, Die Psychanalyse Freud’s. Verteidigung und kritische Bemerkungen.
Sonderabdruck aus dem Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologisehe
Forschungen. Bd. 2. Leipzig und Wien 1911. Verlag von Franz Deuticke. 110 S.
An des Verf. Darstellungsweise — er unterschreibt keineswegs alle Ansichten
und Lehren Freud’s — fällt vor allem die absolut ruhige und sachliche Darstellung
der Eiuwände, Widerlegungen und Entgegnungen auf, und dies wirkt von vorn¬
herein äußerst sympathisch. V T erf. betont mit Recht, daß die Freud’schen Lehren
von vielen angegriffen werden, die sie garnicht vollständig kennen oder begriffen
haben. Die Arbeit muß von denen, die das teilweise erst neu zu rodende Gebiet
kennen, gelesen werden, sie ist so kurz garnicht zu referieren. Interessant ist
jedoch das Resumö, das hier kurz im Auszug folgen soll. Fast alle Angriffe auf
Freud, außer den Hei 1 bronner’s, beruhen meist auf theoretischer und praktischer
Unkenntnis der Tiefenpsychologie und treffen deshalb nicht wirklich die Sache.
Die meisten Angriffe fußen auf des Meisters Stellung zur Sexualität, die ganz un¬
wissenschaftlich mit ethischen Motiven bekämpft wird. Der wesentliche Teil der
Lehren stützt sich logisch auf sichere Tatsachen, so daß man sie Ms richtig an¬
nehmen muß. Dann ist manches darin gar nicht neu, sondern nur in einen Zu¬
sammenhang gebracht. Ein Teil ist allerdings Hypothese, aber diskutable, äußerst
fruchtbare Hypothese. Daß nun in der Nenarbeit der Schule manches zu proble¬
matisch, zu früh verallgemeinert oder direkt falsch ist, ist keineswegs befremdlich.
v. Schnizer (Höxter).
Sigmund Strassny (Wien), Schmerzlinderung bei normalen Geburten. Volkmann’s
Sammlung klinischer Vorträge, Neue Folge Nr. 590/591. Gynäkologie Nr. 212/213.
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth.
In außerordentlich übersichtlicher und fleißiger Weise hat Verf. sämtliche
Schmerzlinderungsmethoden zusammengestellt und mit Literaturnachweisen belegt.
Als Grundidee schwebt dem Verf. die Negation vor, d. h. er stellt sich auf den
Standpunkt, daß keine der vielen Methoden mit Sicherheit Schädigungen für Mutter
oder Kind vermeidbar erscheinen lassen, daß es demnach nicht angebracht ist, die
normale Geburt — einen physiologischen Akt —. durch Schmerzlinderungsmethodeu
gefährlicher zu gestalten, immerhin wird der Versuch, die Gefährlichkeit der ein¬
zelnen Methoden gegen einander abzuwägen, viel Anregung für den geben, der von
dem Wunsche durchdrungen, seinen Patientinnen die Geburtsschmerzen zu lindern,
nach einer möglichst ungefährlichen Methode Umschau hält So bespricht er
die verschiedenen Arten der Chloroform- oder Ätherinhalation, die Anwendung des
Amylen, Bromaethvl, Äthylchlorid, Stickstoffoxydul-Sauerstoff und ähnliche Mittel.
Die Verwendung von Chloral, der Alkaloide auch in Verbindung mit Skopolamin
wird ausführlich dargelegt, ebenso wie die Lumbalanästhesie und die Sakralmethode.
Nicht einmal die lokale Anästhesie, die Anwendung der Hypnose und die Ver¬
wendung der Elektrizität zur Verminderung des Wehenschmerzes sind vergessen.
Die Arbeit ist ebenso dankenswert für den Praktiker als auch wichtig für
jeden, der noch weiterhin die Schmerzlinderung normaler Geburten bearbeiten will.
Frankenstein (Köln).
F. Dumstrey, Die Körperpflege des Kulturmenschen in gesunden und kranken Tagen.
Leipzig. Helios-Verlag Franz A. Wolfson. Br. 2,80 Mk., geh. 4 Mk.
Seitdem vor 55 Jahren Bock durch sein Buch vom „gesunden und kranken
Menschen“ versuchte, in Laienkreisen das Verständnis für die Ursachen der Krank¬
heiten, ihre Vorbeugung und Heilungsmöglichkeiten zu erschließen, hat sich immer
mehr die Überzeugung durchgerungen, »daß es leichter ist, einer Krankheit vor-
zuheugen, als sie zu heilen, und daß gerade hinsichtlich der Gesundheit ein jeder
mehr oder weniger seines eigenen Glückes Schmied ist.
Dumstrey gibt in seinem Buche auf Grund einer langjährigen ärztlichen
Praxis mit warmem Herzen die Leitlinien, nach denen der Kulturmensch seine
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55‘2
Büchersch&u.
Körperorgane behandeln muß, wenn er seinen Körper gesund erhalten will. Seine
Verhaltungsmaßregeln für Herzkranke und Arteriosklerotiker sind sehr lesenswert,
ist doch die Arteriosklerose, die Verkalkung der Blutgefäße, das Gespenst der
überernährten und überreizten Kulturmenschen.
Den Magen- und Darmkranken ist ein besonderes Kapitel gewidmet, sie
erhalten Aufklärung darüber, welche Diät sie einzuhalten haben, um die Ver¬
dauungsorgane zu schonen und wie sie die Möglichkeit finden, ohne Arznei¬
mittel, denen der Verfasser prinzipiell feindlich gegenüber steht, ihrem Magen und
Darm Widerstandskraft zurückzugeben. Besonders reizvoll liest sich das Kapitel
über das Geschlechtsleben des Kulturmenschen, in dem der Verfasser frei von
falscher Prüderie, aber überaus dezent, dieses schwierige und wichtige Gebiet der
Körperpflege mit dem warmen Herzen eines menschenfreundlichen Arztes erörtert.
Der Nervenschwäche und der Schlaflosigkeit ist ein anderes Kapitel gewidmet.
Die Pflege des Haares, der Haut und der Zähne findet eingehende Erörterung.
Den 8 Kapiteln des Werkes folgen 19 Merkblätter, die schnell und gewissenhaft
für viele Fälle plötzlicher Erkrankung Rat erteilen. Das Buch will nach seiner
ganzen Anlage als ein treuer Freund und Ratgeber in jeder Familie angesehen
sein. W.
Krankenpflege und ärztliche Technik.
Ein neues Modell der elektrischen Heißluftdusche „Fön“ nach Med.-Rat Dr. A.
Frey. Ein neues Modell der zu zahlreichen therapeutischen Zwecken ebenso
wie in der Krankenpflege überhaupt allgemein benutzten und wegen ihrer Vorzüge
geradezu unentbehrlich gewordenen elektrischen Heißluftdusche „Fön“ wurde soeben
von der Elektrizitäts-Gesellschaft „Sanitas“ fertiggestellt.
Dieser nach Angabe des Med.-Rat Dr. A. Frey kon¬
struierte Apparat zeichnet sich vor allem durch seine
fabelhafte Leichtigkeit (950 Gramm) und die dadurch
sowie durch einen sehr praktischen Handgriff bedingte
Handlichkeit aus. Durch den Einbau eines sehr starken
Präzisions-Motors in den Apparat wird einmal ein sehr
kräftiger Luftstrom erzeugt, dann aber auch die größt¬
möglichste Betriebssicherheit gewährleistet und damit jede
Raparaturbedürftigkeit ausgeschlossen.
Durch einen Doppelrohransatz läßt sich der „Fön“
jederzeit sofort in einen „Fön-Duplex“, Wechseldusche
mit Momentumschaltuug, zum Abwechseln der Applikation heißer und kalter Luft
verwandeln.
Vereinigte der bisher gebräuchliche Apparat schon sehr zahlreiche Vorzüge
in sich, so sind die neuesten Verbesserungen gewiß danach angetan, dem „Fön“
bei seinem billigen Anschaffungspreis und den minimalen Betriebskosten in Arzte-
kreisen eine noch steigende Verbreitung zu sichern.
Mitteilungen.
Oberstabsarzt a. D. Berger, Berlin-Friedenau, hat im April d. J. die unter
Mitleitung des Nervenarztes Dr. Förster und des praktischen Arztes Dr. PI achte
stehende „medizinisch literarische Zentralstelle“, Charlottenburg, Kant¬
straße 19, ins Lebeu gerufen. Das Institut will in erster Linie den wissenschaftlich
arbeitenden Kollegen zur Erreichung und Bemeisterung der medizinischen Literatur
aller Sprachen und bei der Erledigung der literarischen Hilfsarbeiten behilflich
sein, fernerauch allen sonstigen Stellen, welche für wissenschaftliche Zwecke
literarisch geschulter Ärzte l>edürfen, also den Fach- und Tageszeitungen, Biblio¬
theken, Verlagsanstalten usw. seine Kräfte zur Verfügung stellen. Die „med.-lit.
Zentralstelle“ hat sich das Ziel gesetzt, im Laufe der Zeit auf Grund ihrer speziellen
Tätigkeit, ihres Archivs und ihrer direkten Beziehungen zu der Autorenwelt sich
eine wissenschaftliche Bedeutung als Sammel- und Fundstelle auf dem Gebiete
der medizinischen Literaturkenntnis zu erobern.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Torncftriite der llkdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegebea tod
Professor Dr. 0. Köster Prio.*Doz. Dr. o. Erlegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
1
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark i
Nr. 24.
lür das Halbjahr.
:-Verlag von Georg Thieme, Leipzig. = |
15. Juni.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Was leistet die konservative, was die operative Therapie der
eitrigen Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase?
Von Dr. Fr. Reinking in Hamburg.
(Nach einem am 28. März 1911 im Hamburger Ärzte-Verein gehaltenen Vortrag.)
(Schluß.)
Wie steht es nun mit den Leistlingen der chirurgischen Be¬
handlung ?
Die Zahl der gegen chronische Kiefereiterungen gerichteten Ope-
rationsmethoden ist sehr groß; ich könnte Ihnen ohne weiteres drei¬
ßig bis vierzig auf zäh len. Ich kann sie Ihnen unmöglich alle referieren
und beschränke mich auf folgendes:
Noch sehr beliebt ist, ihrer einfachen Ausführbarkeit wegen,
die Eröffnung vom Proc. alveolaris nach Cowper. Die Leichtigkeit
der Technik ist aber auch die Stärke der Operation; ihre Leistungs¬
fähigkeit ist gering. Zwar verschwinden Fötor, Neuralgien bald,
der Eiter nimmt schnell an Menge* ab, aber wohl in der Hälfte der
Fälle bleibt ein Best der Eiterung bestehen. Die Öffnung gestattet
eben keinen ständigen Abfluß des Eiters; zudem ist das stete Tragen
des Obturators oder das häufige Dilatieren höchst lästig für den
Kranken.
Wenig empfehlenswert erscheint mir auch die Anlegung einer
persistenten Öffnung über den Zähnen in der fossa canina. Auch
sie bringt meist keine schnelle Heilung. Einige Operateure lassen
ihre Kranken dicke Prothesen tragen, transplantieren an die Stelle
der mit der Kürette entfernten Kieferhöhlenschleimhaut Epidermis-
lappen. Heilt die Eiterung dann nach langer Zeit, Monaten und Jahren,
so ist es gar nicht so ganz leicht, die Öffnung zu schließen. Daß die
langdauernde Behandlung die Kranken viel Zeit, Geld und Nerven -
kraft kostet, ist klar. Ich halte diese Operationsmethode heute nicht
mehr für berechtigt und sie hat auch nur noch sehr wenige Ver¬
teidiger.
Von Wert sind m. <E. die Operationsmethoden, die es sich zum
Ziel setzen, eine breite, dauernde Verbindung zwischen Nase und Kiefer¬
höhle herzustellen. Das läßt sich intranasal unschwer bewerkstelligen.
Ich selbst pflege die untere Muschel dabei stets zu erhalten, wenn sie
nicht vergrößert ist. Ist für dauernden Abfluß nach der Nase ge¬
sorgt, so heilen eine sehr große Zahl, wohl an 75—80°/ 0 der chro-
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Fr. Reinking,
nischen Eiterungen ohne weiteres Zutun, höchstens daß man genötigt
wäre, noch einige Male zu spülen. Die isolierten Kieferempyeme geben
dabei erheblich bessere Prognose, wie die mit Eiterungen der anderen
Höhlen komplizierten Fälle.
Heilen die Höhlen nach Anlegung der breiten Verbindung nach
der Nase nicht, so ist das ein Zeichen erheblicherer Veränderungen
der Kieferhöhlenwand und hier haben die Luc-Caldwell’sche Operation
und ihre Modifikationen einzutreten. Der Gang der Operation ist der,
daß von der Fossa canina aus eine breite Öffnung angelegt wird, die
eine gute Übersicht der Höhle während der Operation gewährt, daß
dann die degenerierte Schleimhaut entfernt und nun eine dauernde
breite Öffnung nach der Nase geschaffen wird. Schließlich wird dann
die Öffnung nach dem Munde durch Naht geschlossen. Es ist nun
erstaunlich, wie schnell die Eiterung versiegt, wie gering die Sekre¬
tion der kurettierten Kieferhöhle ist, so daß der Patient sie kaum ge¬
wahr wird. Im allgemeinen nach 14 Tagen ist der Patient soweit,
daß er aus der Behandlung entlassen werden kann; er braucht weder
zu spülen, noch sonst etwas zu tun. Die Zahl der Heilungen nach
dieser Operation taxiere ich bei Fällen von isolierter Kieferhöhlen-
eiterung auf 98—99 °/ 0 . Eine bemerkbare, aber nur wenig belästigende
Sekretion bleibt in seltenen Fällen bei konstitutionell geschwächten
Patienten zurück. Die Operation hat also den Vorzug, recht sicher
zum Ziel zu führen, keine lästigen Folgezustände zu hinterlassen,
speziell keine Fistel nach dem Münde zu schaffen. Dabei ist die
Operation ungefährlich, ich habe bei schätzungsweise etwa 120 Ope¬
rationen nie ernste Folgen gesehen, einigemal blutete es stark, aber
nie bedenklich. Je exakter man die Operation ausführt, desto geringer
die Reaktion, desto schneller der Erfolg. Dabei ist der Eingriff in
Lokalanästhesie selbst ambulant ausführbar.
Selbstverständlich sind kariöse Zähne zu beseitigen, falls sie für
den Zahnarzt irreparable Veränderungen aufweisen. Dagegen möchte
ich der Auffassung entgegentreten, als müsse in jedem Falle der ätio¬
logisch schuldige Zahn geopfert werden; ich bin der Überzeugung,
daß bei sachverständigem Zusammenarbeiten von Zahn- und Nasen¬
arzt solch ein Zahn oft erhalten werden kann.
Wie steht es nun mit der Indikation bei chronischen Kieferhöhlen¬
eiterungen ? Ich bin kein Freund wochen-, monate- und jahrelang durch¬
geführter Spülungen. Ist nicht (nach 8—14 Tagen eine wesentliche,
an Heilung grenzende Besserung eiügetreten, so pflege ich bei der
Leistungsfähigkeit und Harmlosigkeit der operativen Therapie für diese
zu plädieren. Namentlich für Patienten, die schnell ihre Erwerbs¬
fähigkeit wieder haben wollen, die aus räumlichen Rücksichten den
Arzt nicht regelmäßig konsultieren können, ist die Operation ein Segen.
Der fast absoluten Sicherheit des Effektes halber bevorzuge ich per¬
sönlich die Luc-CaldwelPsche Operation und rate Ihnen angelegentlich,
wenn Sie Ihre Kranken schnell und sicher von der Kieferhöhleneiterung
heilen wollen, so operieren Sie sie nach Luc-Caldwell.
Auch bei der Behandlung der chronischen Stirnhöh leneite-
rung ist die erste Aufgabe, die Nase von Polypen und Hypertrophien
frei zu machen, um den Abfluß des Sekretes zu ermöglichen. Meist
ist die Resektion (des vorderen Endes der mittleren Muschel nicht zu
umgehen. Hajek empfiehlt sie für alle Fälle, ich selbst habe, wie ich
schon obeD sagte, mit gutem Erfolg die Ausräumung der bei Stirnhöhlen-
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase.
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eiterung so gut wie stets miterkrankten vorderen Siebbeinzellen gleich¬
zeitig ausgeführt. Der Prozentsatz der Fälle, in denen es nicht gelingt,
die Stirnhöhle für Sonde und Spühlrohr zugänglich zu machen, wird so
noch beträchtlich kleiner. Durch die nun leicht ausführbaren Spülungen
gelingt es, einen Teil der chronischen Stimhöhleneiterungen zu be¬
seitigen. Wie lange man da mit Spülungen behandeln will, ist Ge¬
schmackssache. Ich selbst bin kein Anhänger einer monatelang fort¬
gesetzten Spülbehandlung mittels des Röhrchens. Ist der Abfluß ge¬
sichert und hat eine vielleicht 14-tägige tägliche Spülung picht zur
Heilung geführt, bestehen aber außer der abnormen Sekretion keine
besonderen Beschwerden, keine Kopfschmerzen, keine Eingenommenheit,
so lasse ich die Kranken das in die Nase sich ergießende Sekret etwa
zweimal täglich durch Nasenspülung entfernen und kontrolliere die
Nase von Zeit zu Zeit, um den Zugang zum Sinus front, frei zu halten.
Die Kranken selbst zu Hause mit dem Stirnhöhlenröhrchen spülen zu
lassen, empfehle ich nicht. Es geht meist nicht ohne Verletzung der
geschwollenen sulzigen Schleimhaut ab, die Asepsis wird nicht ein¬
gehalten und der Erfolg ist keine Verbesserung, sondern im Gegenteil
häufig* eine Zunahme der Beschwerden. Bei einfach abwartendem Ver¬
halten sieht man manchmal doch nach langem Bestände die Sinuitis
ausheilen.
Es gibt nun, wie Sie wissen, eine ganze Anzahl operativer Me¬
thoden, die sich die Heilung der Stimhöhleneiterung zum Ziel gesetzt
haben; unmöglich, sie alle aufzuzählen. Ich beschränke mich auf fol¬
gendes :
Auch bei der Stirnhöhle hat man versucht, durch intranasale Ope¬
rationen eine breite Abflußöffnung herzustellen, ein Verfahren, dessen
gute Wirksamkeit ich für chronisch eiternde Kieferhöhlen betonte.
Namentlich gedecke Fraisen sind von einigen Operateuren zu Hilfe
genommen worden. Indessen ist es nicht ganz unbedenklich, mit Fraisen,
so dicht an der Schädelbasis im Dunkeln zu arbeiten. Dann verengern
sich die Öffnungen gewöhnlich, allen Bemühungen zum Trotz, schnell.
Unmöglich ist es natürlich, die degenerierte Schleimhaut von der Nase
her zu entfernen. Alles in allem, eine gefährliche, unsichere, verwerf¬
liche Operationsmethode, von der ein amerikanischer Arzt gesagt hat,
daß sie sich zwar an Leichen gut ausführen lasse, daß aber für Lebende
die Gefahr besteht, zur Leiche zu werden.
Dann hat man versucht, von einer kleinen Öffnung in der vor¬
deren Stirnhöhlenwand aus, die degenerierte Schleimhaut zu entfernen
und dann die Höhle nach außen oder nach der Nase zu drainiert. Die
Methoden sind ungenügend, weil es unmöglich ist, von einer kleinen
Öffnung aus, eine z. B. durch Septen abgeteilte Stirnhöhle auszuräumen.
Die Eiterung rezidivierte also häufig und einer der Autoren, Luc,
hat seine Methode aufgegeben, weil er allzuhäufig letale Folgeerkran¬
kungen nach seiner Operation sah, von 36 Operierten starben 6.
Kuh nt resezierte die ganze Vorderwand und deckte damit die Stirn¬
höhle völlig auf, so daß er sie exakt von Schleimhaut befreien konnte.
Dann ließ er die Höhle veröden, indem er die Vorderwand auf die Hinter¬
wand aufheilte. Bei flachen Höhlen erzielte man so durchaus befriedi¬
gende Resultate. Aber bei tiefem Orbitalrezessus versagt die Methode.
Wenig angenehm ist für die Kranken die langdauernde Drainage
nach außen.
J ansen resezierte die untere Wand, um von hier aus die Stirn-
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Fr. Reinking,
höhle auszuräumen. Die anatomische Unmöglichkeit, dies exakt zu
bewerkstelligen, zeigte sich jedoch in zahlreichen Rezidiven, die Nach¬
operationen benötigten.
Riedel ging nun radikal vor und resezierte Vorder- und Unter¬
wand der Stirnhöhle, so daß stets eine völlige Verödung bzw. Auf¬
hebung der Stirnhöhle erzielt wurde. Die Methode ist sehr sicher und
eignet sich gut für kleine Stirnhöhlen, bei denen kaum eine nennens¬
werte Entstellung ein tritt. Aber bei großen Stirnhöhlen ist die Ent¬
stellung oft schauderhaft.
Besonders verdient gemacht um die operative Therapie der Stirn¬
höhleneiterung hat sich Killian, auch er reseziert Vorder- und Unter¬
wand. aber er schont den margo supraorbitalis und beugt damit einer
allzustarken Entstellung vor. Zugleich empfahl er prinzipiell eine
breite Verbindung der Wundhöhle mit der Nase herzustellen durch
Ausräumung der vorderen Siebbeinzellen nach Resektion des Proc. fron-
talis des Oberkieferbeins. Die Methode führt in der großen Mehrzahl
der Fälle, wohl bei ca. 90°/ 0 zur völligen Heilung und der kosmetische
Effekt ist bei Stirnhöhlen mittlerer Größe recht befriedigend.
Andere Operateure haben osteoplastisch die Stirnhöhle eröffnet,
um Einstellungen sicher zu vermeiden, aber allgemeine Aufnahme haben
ihre Methoden nicht finden können. Sie sind kompliziert und nicht
sicher genug bezüglich der Heilung der Eiterung; ich versage es mir,
sie Ihnen hier zu schildern
Von italienischer Seite, von Citelli ist versucht worden, die von
der Vorderwand eröffnete, von Schleimhaut befreite, gut granulierende
Stirnhöhle mit Paraffin auszugießen und es ist ihm das in einem Falle
gelungen. Ich glaube jedoch nicht, daß diese Methode allgemeinere
Anwendung finden wird. Meist versucht man, die nach den anderen
sicheren Operationsmethoden eingetretene Defiguration später zu korri¬
gieren, durch Paraffineinspritzung, durch Fettinplantation. Sieben-
mann in Basel machte sich mehrfach die Beobachtung zu Nutze, daß
doppelseitige Stirnhöhlenoperation weniger entstellen, wie einseitig aus¬
geführte und hat sogar aus kosmetischen Rücksichten die 2. gesunde
Stirnhöhle operiert. Die Stirn erscheint dann gleichmäßig abgeflacht.
In den Fällen, wo die Nasenwurzel sich stark gegen die Stirn ab¬
setzte, hat er die Nase mit gutem Erfolg operativ rückwärts ver¬
lagert. Hinsberg bildete nach einer stark entstellenden Riedel’schen
Operation durch Transplantation eines Rippenknorpels einen neuen Margo
supraorbitalus und erzielte dann durch Paraffineinspritzung ein leid¬
liches Resultat.
Nicht ganz selten sieht man nach Stirnhöhlenoperationen Stö¬
rungen in der Motilität des Auges; namentlich die Ablösung der Troeh-
lea des obliquus superior verursacht vielfach die Entstehung von Doppel¬
bildern. Meist gehen die Störungen nach wenigen Wochen spurlos
vorüber, ich habe aber doch in einigen Fällen dauernde Störungen ge¬
sehen. Einmal sah ich bei einem Patienten mit hohem Orbitalrezessus
der Stirnhöhle nach Jüllian’scher Operation den Bulbus dauernd nach
oben verlagert.
Dann sieht man hin und wieder einmal nach den Radikaloperationen
Neuralgien, und ich selbst habe einmal eine Frau operiert, die wenige
Wochen nach ihrer Entlassung an heftiger Trigeminusneuralgie er¬
krankte. Ich resezierte selbst den supraorbitalis und supratrochlearis.
Später wurde ihr von chirurgischer Seite erst der erste, dann der zweite
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase. 557
Ast an der Schädelbasis reseziert. Ich habe sie dann aus den Augen
verloren.
Die Badikaloperation ist durchaus kein harmloser Eingriff und
es steht fest, daß sie in einer nicht geringen Zahl von Fällen, etwa 50
sind publiziert, zum Tode geführt hat. Ich selbst sah zwei Fälle
im Anschluß an die Operation an Meningitis zugrunde gehen, ohne
daß bei der von kompetentester Seite ausgeführten Operation ein Ver¬
sehen gemacht worden wäre. Ich bin nicht der Meinung Gerbers
und Löwes, daß die Operation nicht mehr Gefahren mit sich bringe
wie jede andere. Selbst Killian hat Todesfälle gesehen. Hajek,
der über 40 Fälle mit Glück operiert hatte, verlor kurz hinterein¬
ander zwei Patienten und dabei waren diese Fälle nicht einmal be¬
sonders schwer oder schwierig.
Nun haben wir ja gewiß gelernt und mit der wachsenden Erkennt¬
nis sind die Resultate besser geworden. Aber die Operation für absolut
harmlos zu erklären, geht doch nicht an.
Wir haben also in der ßadikaloperation der Stirnhöhle ein Mittel
in der Hand, die meisten Stimhöhleneiterungen in befriedigender Weise
zu heilen, jedoch nicht, ohne daß uns hin und wieder einmal — viel¬
leicht in 2—3 °/ 0 der Fälle ein postoperativer Todesfall begegnete.
Wie steht es nun mit der Indikationsstellung?
Sie werden nach obigen Auseinandersetzungen verstehen, daß ich
selbst die radikalen Operationen nur sparsam anwende; nur da, wo
wirklich erheblichere Beschwerden bestehen, Kopfschmerzen, dauernde
Eingenommenheit, drohende Komplikationen, führe ich sie aus. Be¬
stehen Komplikationen, so ist sie gar nicht zu umgehen. Aber eine
Heilung der Stirnhöhleneiterung ä tout prix zu erzwingen, halte ich
nicht für richtig. Ich begnüge mich damit, den Eiterabfluß durch
intranasale Freilegung des yAusführungsganges nach Möglichkeit zu
erleichtern. Ich spüle auch wohl kurze Zeit, aber heilt die Eiterung
nicht und bestehen, abgesehen von dem freien Eiterfluß, keine Be¬
schwerden, so lasse ich nur die Nase zweimal täglich durch Spülungen
reinigen und kontrolliere den Kranken alle paar Wochen einmal. Das
ist für den Kranken lebenssicherer als wenn er radikaloperiert wird,
und eine nicht geringe Zahl der Fälle heilt schließlich aus.
Komplikationen sind bei freiem Eiterabfluß kaum zu befürchten.
Ich habe bei einem sehr großen Material siebenmal Exitus letalis ge¬
sehen, darunter zweimal postoperative Todesfälle. Zweimal führten
Hirnabszesse, dreimal Meningitis zu Tode. Alle waren vorher unbe¬
handelt. Also in der Prophylaxe liegt das Heil, aber im allgemeinen
nicht in radikalen Eingriffen, vielmehr genügen meist kleinere intra¬
nasale Eingriffe. Nur wo es nicht gelingt, durch intranasale Therapie
die Eiterstauung zu beseitigen, da sollte die radikale Operation vor¬
genommen werden.
Ich komme nun zur Besprechung der chronischen Eiterungen der
Siebbeinzellen, die zu Hypertrophien geführt haben. Auch hier ist
natürlich das erste Postulat die Freilegung der Ostien durch Beseitigung
der Polypen, Hypertrophien, Korrektur hochgradig deviierter Septen,
Resektion stark blasig ausgebildeter Muscheln. Bei der Abtragung
der Polypen ist die sogen. Evulsionsmethode besonders zu empfehlen.
Es werden dabei die Polypen nicht durch festes Zuschlingen des Drahtes
einfach abgeschnitten, sondern nur durch mäßiges Anziehen ange¬
schlungen und dann von ihrer Insertion abgerissen. Manchmal folgen
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Fr. Reinking,
dabei kleine Knochenstückchen, so daß die Siebbeinzellen geöffnet werden
und der Eiter sich dann nach außen ergießt. Läßt man nun pach
Beseitigung aller Abflußhindernisse die Kranken ihre Nase durch Spü¬
lungen mit Emser oder Salzbrunner Wasser regelmäßig von dem ins
Cavum nariuin geflossenen Sekret befreien, so kommt es in einem Teil
der Fälle, etwa 20 °/ 0 , zu kompletter Ausheilung. In der Mehrzahl
allerdings rezidivieren die Polypen, die Abflußbedingungen verschlech¬
tern sich, die alten Beschwerden treten wieder von neuem auf. So sieht
man mitunter Leute, die 20 mal und öfter wegen Nasenpolypen operiert
worden sind und geradezu daran gewöhnt sind, alle halbe Jahre mal
den Nasenarzt aufzusachen, um sich ihre Nase wegsam machen zu lassen.
Li solchen Fällen sollte man gegen die erkrankten Siebbeinzeilen selbst
Vorgehen.
War bei der Radikaloperation der Kieferhöhle das Prinzip durch
Anlegung einer persistenten breiten Lücke für ständigen, ungehinderten
Sekretabfluß nach der Nase zu sorgen, bei der Stirnhöhle, sie nach
Möglichkeit zur Verödung zu bringen, so erstreben wir bei den Sieb¬
beinzellen eine möglichste Beseitigung des Höhlencharakters der Zellen.
Im Prinzip gehen wir so vor, daß wir die untere und mediale Wand
und die trennenden Septen fortnehmen, und, soweit angängig, die er
krankte Schleimhaut beseitigen. Daß man sich hierbei Beschränkungen
auferlegen wird, ist klar, wenn man bedenkt, daß man dicht an der
Schädelbasis arbeitet, vom Endokranium nur durch eine dünne Platte
getrennt, dicht an der Lamina cribrosa, durch die die Fila olfactoria
von Dura- und Lymphscheiden umgeben vom Schädelinnem zur Nase
ziehen. Hier sind die Infektionsmöglichkeiten des Schädelinnem 60
massenhaft gegeben, daß es eigentlich wunder nehmen sollte, daß
Meningitiden nicht öfter zur Beobachtung kommen. Gelegentlich ein¬
mal hört man von polch einem Fall, ich selbst sah einen von autori¬
tativer Seite operierten Patienten prompt an Meningitis zugrunde gehen.
Aber die Fälle sind doch recht selten. Ich selbst habe viele Hundert
Operationen am Siebbein ausgeführt, ohne je einen Exitus zu erleben.
Hin und wieder ßieht man einmal eine stärkere Blutung, manchmal
Fiebersteigerungen oder eine lakunäre Angina infolge des Eingriffes,
aber diese Störungen trugen nie einen ernsteren Charakter. *
Eines erreicht man nun sicher durch diese sogen. Ausräumung
der Siebbeinzellen: man beseitigt jegliche Eiterstauung; d. h.
Kopfschmerzen, Eingenommenheit des Kopfes und die Gefahr sekun¬
därer Infektionen der Orbita und des Endokraniums sind behoben. Aber
die Beseitigung der Eiterung (selbst ist nur dann vollständig, wenn
die nun breit bloßliegende Schleimhaut der medialen und oberen Sieb¬
beinzellenwand noch regenerationsfähig ist. Anfangs, gleich nach der
Operation pflegt die Absonderung recht reichlich zu sein, um dann
langsam zu versiegen. Manchmal, in einem kleinen Teil der Fälle,
bleibt eine gewisse Neigung zu Borkenbildung bestehen, doch können
die Kranken sie durch Spülungen meist leicht beherrschen. Hin und
wieder sieht man anfangs noch die Schleimhaut größere Polypen bilden,
doch pflegt auch dies bald zu schwinden.
Zwei Arten von Siebbeinzellen mm sind intranasal nicht genügend
erreichbar: erstens weit nach vorn vorgeschobene sogen, frontale Sieb¬
beinzellen, denen auch mit stark abgebogenen Zangen nicht beizukommen
ist, und zweitens orbitale Siebbeinzellen, das sind solche Zellen, die
lateral sich oft weit über die Orbita erstrecken, sich manchmal nasal-
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Die eitrige Erkrankung der Nebenhöhlen der Nase.
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wärtö flaschenförmig verengernd. Die Leistungsfähigkeit der intra¬
nasalen Operation ist also beschränkt. Immerhin sind diese Art von
Zellen nur in einem mäßigen Prozentsatz vorhanden und dann pflegen
in einem Teil der Fälle nach Eröffnung der übrigen Siebbeinzellen auch
die orbitalen und frontalen zu heilen.
Man kann nun auch von außen das Siebbein ausräumen. Man
umkreist mit bogenförmigem Schnitt den inneren Augenwinkel und
reseziert dann den Proc. front,, ossis maxill. oder aber man hebelt den
Orbitalinhalt von der medialen Orbitalwand ab und geht durch die
Papierplatte ins Siebbein iein. Geht man so von außen vor, so sind
auch frontale und orbitale Zellen sicher erreichbar, ebenso, wie ich
gleich hier hinzusetzen will, die Keilbeinhöhle, deren vordere Wand
leicht entfernt werden kann. Wird der Schnitt am Auge sauber ver¬
näht, so ist die Entstellung gleich Null. Die Resultate dieser äußeren
Operationen sind recht gut. Ohne Schwierigkeiten kann man in einer
Sitzung alle Zellen ausräumen und die Kranken somit recht schnell
der gewünschten Heilung entgegenführen.
Es heißt nun die Indikationen der intranasalen und der äußeren
Siebbeinoperationen präzisieren: Ich bin der Meinung, daß man in der
übergroßen Mehrzahl der Fälle auf intranasalem Wege zu befriedigen^
den Resultaten gelangt und daß die äußere Operation nur für beson¬
ders hartnäckige Eiterungen reserviert bleiben sollte, sowie für hef¬
tigere akute Nachschübe chronischer Eiterungen, die zu Komplikationen
zu führen drohen. Natürlich wird man bei sekundären Infektionen
der Orbita oder des Schädelinnern von außen ins Siebbein eingehen,
weil der Überblick exakter, die Ausräumung des Siebbeins leicht in
einer Sitzung ausführbar und der sekundäre Eiterherd selbst von der
äußeren Wunde leicht freigelegt werden kann. Nur bei Mukozelen
des Siebbeins genügt häufig die intranasale Operation. So konnte ich
selbst eine 80jährige Frau intranasal von einer Mukozele befreien.
Bei kariösen Zerstörungen der Papierplatte ist aber der Weg von außen
gewiß der sicherere, [wenn es auch zweifellos technisch möglich ist,
einen subperiostalen Orbitalabszeß von der Nase her zu eröffnen.
Ich gehe über zu den chronischen Eiterungen der Keilbeinhöhie
und brauche hier nicht mehr besonders auszuführen, daß die Entfernung
von Abflußhindemissen für den Eiter erste Bedingung ist. Meist tut
man gut, hierbei gleich das hintere Ende der mittleren Muschel abzu¬
tragen. Man kann dann das Ostium sphenoidale sich leicht zu Gesicht
bringen, eventuell die Keilbeinhöhle .ausspülen. Indessen führen die
Ausspülungen nur selten zum Ziele, selten auch versteht sich ein
Kranker zu Wochen- und monatelangem Spülen. Aber nach ausgiebiger
Freilegung des Ostiums und bei regelmäßiger Reinigung der Nase, die
der Patient selbst vornehmen kann, heilt ein erheblicher Prozentsatz
im Laufe der Zeit.
Vielfach ist das Ostium jedoch sehr enge, das Sekret dickflüssig,
der Abfluß trotz Freilegung des Ostiums nicht unbehindert. Man kann
nun das Ostium ßphenoidale leicht erweitern, indem man den in der
Nase freiliegenden Teil der Vorderwand ab trägt. Das ist mit schlanken
Zangen und Stangen unschwer zu bewerkstelligen. Indessen haben
diese Öffnungen eine erstaunliche Neigung, sich zu verengern, und so
ist man in den letzten Jahren, besonders auf Ha jek’s Empfehlung hin,
mehr und mehr dazu übergegangen, nicht nur den nach der Nase zu
freiliegenden Teil der Vorderwand, die Pars nasalis, abzutragen, son-
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Fr. Reinking,
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dem auch nach Ausräumung der hinteren Siebbeinzellen den die Keil¬
beinhöhle von 4 /iesen trennenden Teil der Vorderwand zu entfernen.
Man erzielt so eine große Öffnung, die man leichter freihalten kann.
Ist die Keilbeinhöhle lege artis breit eröffnet, so heilt ein großer Teil
der Fälle bald aus, nämlich diejenigen, deren Schleimhaut noch rück¬
bildungsfähig ist. Ist sie es nicht, ßo trübt das die Prognose etwas:
Kopfdruck, Kopfschmerzen, Gefahr der Komplikationen sind zwar be¬
seitigt, aber die Schleimhaut sezerniert weiter, wenn auch in vermin¬
dertem Maße. Die Schleimhaut mit der Kürette exakt zu entfernen,
ist nicht ganz ungefährlich. Man bedenke, daß der Sehnerv, der Sinus
cavernosus und die in ihm liegenden Nerven und die Carotis interna
von oft nur papierdünnen Knochen begrenzt sind, daß Dehiszenzen!
nicht ganz selten sind. Man hat empfohlen, die geschwollene, degene¬
rierte Schleimhaut mit Pinzetten vorsichtig abzulieben, indessen ist
auch das nicht immer möglich, und so bleibt in einem Teil der Fälle
eine gewisse abnorme Sekretion bestehen. So ist die Keilbeinhöhlen-
eiterung quoad sanationem completam prognostisch nicht so günstig,
wie die der anderen Nebenhöhlen.
Daß man den Sinus sphenoidalis auch von außen nach Ausräumung
der Siebbeinzellen leicht breit eröffnen kann, habe ich bereits oben
gesagt. Diese Methoden kommen dann in Anwendung, wenn Stirnhöhle
und Siebbeinzellen von außen operiert werden. Die Keilbeinhöhle wird
dann zugleich miteröffnet. Es bliebe noch zu erwähnen, daß man
nach breiter Eröffnung der Kieferhöhle den Sinus sphenoidalis auch
von dieser aus genügend freilegen kann. Ich halte diese Methode jedoch
für wenig empfehlenswert, weil das aus der Keilbeinhöhle kommende
Sekret nun frei in die Kieferhöhle fließen und deren Heilung erheblich
verzögern kann.
Nur auf eine Komplikation möchte ich noch kurz eingelien, auf
die retrobulbäre Neuritis optica infolge von Nebenhöhleneiterungen,
die ja bekanntlich dann eine gute Prognose gibt, wenn sie frühzeitig
erkannt und zweckentsprechend, d. h. ätiologisch behandelt w r ird. Onodi
hat vorzüglich das Verdienst, die anatomischen Beziehungen des Seh¬
nerven zu den Nebenhöhlen klargelegt zu haben. Der Sehnerv kann
der Keilbeinhöhle der entsprechenden Seite dicht anliegen, kann sie
sogar, von dünnem Knochen umscheidet, frei durchziehen. Er kann
aber auch mit einer der hinteren Siebbeinzellen in enge Nachbarbezie¬
hungen kommen, wenn diese sich über die Keilbeinhöhle nach hinten
hinwegschiebt, ja Onodi hat Präparate beschrieben, bei denen die Stirn¬
höhle der betreffenden Seite mit ihrem orbitalen Teil so weit nach!
hinten sich erstreckte, daß sie den Sehnerven erreichte. Es liegt also
in solchen Fällen die Möglichkeit einer sekundären retrobulbären Neuritis
optica auch bei einer Stirnhöhleneiterung vor. Besonders wichtig ist
aber auch die Tatsache, daß die Keilbeinhöhle oder eine Siebbeinzelle
der andern Seite über die Mediane sich hinwegschiebend dem Sehnerv
der Gegenseite angelagert sein kann. Wie wichtig diese Feststellungen
für die Behandlung der Neuritis optica retrobulbaris ist, ist evident;
unser Können ist durch die Fortschritte der Anatomie erheblich ge¬
wachsen.
Uber die Leistungen unserer Therapie bei Eiterungen mit Atrophie
des Naseninnem ohne Fötor kann ich mich kurz fassen. Es ist von
vornherein verständlich, daß hier nicht leicht Abflußhindernisse be¬
stehen. Nur da, wo atrophische und hypertrophische Prozesse neben-
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562
H. Seemann,
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halte ich es für wichtig, die Meinen intranasalen Eingriffe nicht zu
sehr zu häufen, lieber wenige, aber energische Eingriffe zu machen.
Die ständige Wiederholung Meinerer Eingriffe kostet den Kranken nicht
nur Zeit, Blut und Geld, sondern auch eine Menge Nervenkraft. Also:
Beruhigung des Kranken und wenige, aber energische und wirksame
Eingriffe! Handelt man nach diesem Prinzip, so verlieren die Neben¬
höhleneiterungen "für den Patienten ihren Schrecken und die Behandlung
gehört dann zu den dankbarsten Aufgaben des Bhinologen.
Beiträge zur Behandlung des Diabetes.
Von Dr. med. H. Seemann, Berlin.
Trotz der enormen wissenschaftlichen Arbeit, welche seit Generationen
aufgewandt wurde, um den Ursachen des Diabetes mellitus auf die Spur
zu kommen, sind wir in der Erkenntnis der Ätiologie der Zuckerkrankheit
noch recht weit zurück. Wir haben lediglich eine Anzahl von Hypothesen,
welche mit größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit Aufklärung zu
bringen bemüht sind. Allerdings konnte gerade auf diesem Gebiete die
experimentelle Pathologie Triumphe feiern. Es gelang, experimentell
bei Tieren Diabetes hervorzurufen und den Zusammenhang zwischen der
Erkrankung bestimmter Organe und Diabetes nachzuweisen. Mering
und Minkowski waren die ersten, welche nach Pankreas-Exstirpation
Glykosurie beobachteten und damit feststellten, daß wenigstens eine
gewisse Gruppe von Diabetes auf Funktionsstörungen im Pankreas bezw.
Aufhören der Funktion desselben zurückzuführen seien. Weitere Versuche
ergaben jedoch das unerwartete Resultat, daß nur die völlige Entfernung
dieser Drüse die typische Form des Diabetes mellitus erzeugte, nicht
aber die Unterbindung des Ausführungsganges derselben. Auf Grund
dieses Resultates stellte Lepine die Theorie auf, daß das Pankreas
unter normalen Umständen ein glykolytisches Ferment produziere, das
die Aufgabe habe, den Blutzucker zu zerstören, daß es also im Grunde
das Fehlen einer inneren Sekretion sei, das als Ursache der Krankheit
anzusehen sei. Wenn nun auch eine endgültige Klärung dieser Frage
noch immer der Zukunft Vorbehalten sein muß, so gab diese Theorie
doch Anlaß zur Anbahnung einer kausalen Therapie, die ja doch schließlich
das Endziel aller Versuche im Laboratorium sein soll.
In einer umfangreichen Arbeit führt O. Baumgarten den Nach¬
weis, daß eine Reihe von Abbau- und Oxydationsprodukten des Zuckers
vom diabetischen Organismus gut verwertet werden. Aus diesen Ver¬
suchen schloß er nun, daß es dem Diabetiker an einem Ferment fehle,
das es ermöglicht, das intakte Zuckermolekül zu zerlegen, um dann die
Abbauprodukte oxydieren zu können. Ob nun diese Ansicht zu Recht
besteht oder nicht, mag dahingestellt sein. Immerhin ist dadurch ein
Weg gezeigt worden, den die Therapie mit einem gewissen Erfolge ein¬
geschlagen hat.
Selbstverständlich wird nach wie vor neben der medikamentösen
Behandlung des Diabetes die hygienisch-diätetische Therapie eine hervor¬
ragende Stellung einnehmen. Auch wird mancher Arzt noch gerne Opium
verordnen, das nach den übereinstimmenden Angaben einer Anzahl von
Autoren sehr wohl imstaude ist, die Zuckerkrankheit günstig zu be¬
einflussen. Die Opiumbehandlung hat allerdings schwerwiegende Nach¬
teile. Sie kann naturgemäß nur vorübergehend angewandt werden, und
selbst dann wird man nur selten die schädlichen Nebenwirkungen ganz
vermeiden können, die dieses Gift auf den menschlichen Organismus ausübt.
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Beiträge zur Behandlung des Diabetes.
563
Demgegenüber haben wir in der Hefe, deren Anwendung bei der
Diabetes-Therapie durch die oben erwähnte Arbeit Baumgarten’s an¬
geregt wurde, ein Mittel, welches es uns ermöglicht, den Zuckergehalt
des Diabetikers herabzusetzen, ohne das Allgemeinbefinden im geringsten
nachteilig zu beeinflussen. Die Wirkung der Hefe ist folgendermaßen
zu erklären: Sie enthält ein zuckerspaltendes Ferment, die Zymase, welche
den aus Kohlehydraten entstandenen Zucker in seine Abbauprodukte
zerlegt, sodaß dadurch auch dem Diabetiker die Ausnutzung der Kohle¬
hydrate auf diesem Umwege ermöglicht wird. Dabei ist natürlich schwer
zu entscheiden, ob die Spaltung des Zuckers in unserem Organismus auf
dieselbe Weise erfolgt wie im Reagenzglase und ob das mit der Nahrung
verabreichte Enzym lediglich eine Spaltung des Zuckers im Darmtraktus
bewirkt oder auch im Organismus selbst seine Wirksamkeit entfaltet.
Die Hefe, dieses Abfallprodukt der Brauindustrie ist bekanntlich
schon seit langer Zeit in den Arzneischatz eingeführt. Insbesondere
rühmt man die vorzüglichen Erfolge dieses Mittels bei Furunkulose,
Hautkrankheiten und verschiedenen Verdauungsstörungen. Dabei hat
sich die völlige Unschädlichkeit der Hefe gegenüber dem Organismus
herausgestellt. Neuerdings haben außerdem noch zahlreiche Versuche
den erheblichen Nährwert der Hefe nachgewiesen und die Industrie zu
einer viel intensiveren Ausnutzung dieses Abfallproduktes veranlaßt.
Für die Behandlung des Diabetes mit Hefe kommt es nun vor allen
Dingen darauf an, das wirksame Ferment derselben in möglichst unver¬
mischter Form zu geben, um so durch möglichst kleine Dosen ein Maximum
der Wirkung zu erzielen. Diese Aufgabe ist durch die seit längerer Zeit
bekannten Fermozyl-Tabletten in zweckmäßigster Weise gelöst worden.
Zunächst wurden von verschiedenen Autoren, insbesondere von
Brugsch (1909) Versuche bei künstlichem Diabetes an Hunden vor¬
genommen, welche einwandsfrei bewiesen haben, daß mit der Darreichung
der Tabletten eine erhebliche Abnahme des Zuckergehaltes hervorgerufen
wurde. Auch beim Menschen wurde von verschiedenen Ärzten eine sehr
günstige Beeinflussung des Diabetes durch die Fermozyltabletten be¬
obachtet, ja in verschiedenen Fällen ein Schwinden der Zuckerausscheidung
auf lange Zeit hindurch festgestellt.
Bei den von mir angestellten Versuchen, über die icli im folgenden
einzeln Gerichte, handelt es sich um ambulante Patienten, wie sie der
praktische Arzt in seiner Sprechstunde zu behandeln immer wieder Ge¬
legenheit hat. Eine genaue Kontrolle der zugeführten Kohlehydrat¬
menge ist natürlich in diesen Mengen nicht möglich. Ich beschränkte
mich daher bei den von mir behandelten Zuckerkranken darauf, ihnen
im allgemeinen die bisher genommene Kost unverändert zu lassen, da¬
neben aber die Fermozyl-Tabletten zu geben. Von den Tabletten wurden
3 mal täglich 3 Tabletten am Tage verordnet, nach der Mahlzeit zu
nehmen. Zur Untersuchung benutzte ich eine Mischung des innerhalb
von 24 Stunden gesammelten Urins, um ein möglichst einwandfreies,
von zufälligen Schwankungen unbeeinflußtes Resultat zu haben. Die
quantitative Zuckeruntersuchung erfolgte mittels des Polarisationsapparates.
Außerdem w T urde der Urin noch auf Albumen, Azeton und Azetessig-
säure geprüft. Um wenigstens annähernd eine Übersicht über die tägliche
Aufnahme von Kohlehydraten zu haben, veranlaßte ich die Patienten,
die an einem Tage genossenen Mahlzeiten genau aufzuschreiben. Ich
lasse im folgenden ganz kurz zusammengefaßt die kurzen Kranken¬
berichte selbst sprechen:
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1. N. H., 63 Jahre alt, früherer Postbeamter. Leidet seit 4 Jahren
an Zuckerkrankheit, er war deshalb bereits vom 7. 1. 1910 bis 3. 2. 1910
im Krankenhaus gewesen. Beginn der Hefebehandlung am 24. 10. 1910.
24. 10. 1910 1,2 \ 6. 11. 1910 0,6 °/°
28. 10. 1910 0,7 „ 11. 11. 1910 0,6 „
2. 11. 1910 0,5 „ 21. 11. 1910 0,5 „
Kein Eiweiß, kein Azeton oder Azetessigsäure. Mahlzeiten eines Tages:
morgens: 1 Tasse Kaffee, ein halbes Milchbrot; vormittags 2 Stullen mit
Schmalz; mittags: 1 Teller Suppe mit Rindfleisch und Bratkartoffeln; nach¬
mittags: 1 Tasse Kaffee, 1 Schmalzstulle; abends: 2 Stullen, 1 Flasche Bier.
2. R. M., 62 Jahre, Handschuhmacher.
30. ID. 1910 0,7 °/ 0
4. 11. 1910 0,0 „ ^
von jetzt aber nur noch 3 mal täglich 2 Tabletten, danach wieder Ansteigen
des Zuckergehaltes: 7. 11. 1910 0,4°/ 0
3. K. Sch., 59 Jahre. Seit 2 Jahren zuckerkrank.
2. 11. 1910 0,5 °/ 0 11. 11. 1910 0,0 °/ 0
6 . 11. 1910 0,5 „ 18. 11. 1910 0,0 „
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Beiträge zur Behandlung des Diabetes.
565
4. Frau H., 63 Jahre alt, seit 8 Jahren zuckerkrank, lebt ziemlich
diät, morgens eine Kommisbrotschnitte, abends 1 Schrippe.
21. 10. 1910 6,0°/ 0 28. 10. 1910 5,4% 6. 11. 1910 2,5%
hat sich dann der Behandlung entzogen.
5. Frau L., Kaufmannsgattin, leidet schon seit vielen Jahren an
Zucker, 54 Jahre alt.
21. 9. 1910 2,5 %
23. 9. 1910 1,5 „
28. 9. 1910 0,9 *
3. 10. 1910 0,7 „
9. 10. 1910 3,0 „
10. 10. 1910 0,9 %
17. 10. 1910 3,1 „
28. 10. 1910 1,3 „
31. 10. 1910 2,5 „
9. 11. 1910 0,9 „
11. 11. 1910 1,4 %
14. 11. 1910 1,7 *
18. 11. 1910 2,5 „
21. 11. 1910 1,1 „
6. H. G., Pensionär, 56 Jahre. Diabetes aufgetreten nach einem
Betriebsunfall, der einen Schädelbruch zur Folge hatte.
25. 11. 1910 4,7 % 7. 12. 1910 4,5 %
28. 11. 1910 5,2 „ 14. 12. 1910 2,5 „
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566
H. Seemann, Beiträge zur Behandlung des Diabetes.
7. M. L., Händler, 48 Jahre alt.
9. 12. 1910 2,8 °/ 0 16. 12. 1910 0,7 °/ 0
12. 12. 1910 1,0 „ 24. 12. 1910 0,5 „
Hält keine besondere Diät ein, ißt vielmehr sogar morgens 1 Löffel
voll Honig zur Regelung des Stuhlgangs. Die Ehefrau leidet ebenfalls
an Diabetes.
S. YJZ. -f6. 2<
Betrachtet man die Resultate der Fermozylbehandlung in den vor¬
liegenden 7 Fällen, so fällt dabei auf, daß die Patienten in recht ver¬
schiedener Weise auf die Darreichung des Mittels reagierten. Fünf der
untersuchten Fälle zeigten eine deutliche Abnahme des Zuckergehaltes
im Urin, der sofort nach Beginn der Behandlung einsetzte und während
der Dauer derselben anhielt. Zwei jedoch verhielten sich refraktär gegen
die Zufuhr des Fermentes. Es war von vornherein zu erwarten, daß
nicht in jedem Falle ein günstiges Resultat eintritt, denn ohne Zweifel ist
es auch nicht immer die gleiche Ursache, welche zur Zuckerausscheidung
geführt hat, und man kann nicht erwarten, daß die verschiedenen Formen
des Diabetes auf die gleiche Therapie reagieren. Bei der als Fall 5 an¬
geführten Frau L. handelte es sich um eine sehr nervöse Frau, welche
schon vor der Behandlung einen sehr schwankenden Zuckergehalt auf¬
wies und auf jede seelische Erregung mit einer manchmal recht beträcht¬
lichen Steigerung des Zuckergehaltes antwortet. Fall 6, bei welchem die
Ursache des Diabetes aller Wahrscheinlichkeit in dem erlittenen Trauma
zu suchen ist, verhält sich vollkommen refraktär. Bei den übrigen
5 Fällen ist jedoch eine prompte Verminderung der Zuckerausscheidung
zu konstatieren, trotzdem an der Zufuhr der Kohlehydrate nichts geändert
wurde. Es geht demnach aus den angestellten Versuchen deutlich hervor,
daß wir in dem Präparat ein Mittel besitzen, das in geeigneten Fällen
die Zuckerausscheidung erheblich herabsetzt, und das es uns ermöglicht,
eine Diabetesbehandlung ohne die lästigen strengen Diätvorschriften durch¬
zuführen. Irgend welche unangenehmen Nebenerscheinungen habe ich
in keinem Falle beobachtet, vielmehr befanden sich die Patienten dauernd
wohl und nahmen das Mittel gern.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 567
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über die (acholitische) hämolitische Gelbsucht.
(Bericht mit Demonstration der Kranken.)
Von Professor Ignatowski, Odessa.
(Zweiter Kongreß Russischer Therapeuten. Petersburg, 21. Dezember 1910.)
Beide vom Autor beobachteten Fälle acholitischer Gelbsucht ge¬
hören der primären Form der Krankheit an, dieselbe wurde zuerst von
Minkowski im Jahre 1900 beschrieben, und von den französischen
Autoren Vidal und Chauffard und ihren Schülern näher studiert.
Infolge verhältnismäßiger Seltenheit, und fast völligem Mangel an patho¬
logisch - anatomischem Material, unbekannter Pathogenese, ist diese
Krankheitsform von großem Interesse.
Nach Prognose und Verlauf unterscheidet sich dieselbe von der
primären, erworbenen, und von der sekundären, hämolitischen Gelbsucht.
Die sekundäre Form dieser Krankheit ist als zum Komplex der
Symptome der Folgen der Malaria, der Sepsis, des Krebses und der
Syphilis gehörig, anzusehen. Die acholitische sekundäre Gelbsucht, in
vielen ihrer Erscheinungen der primären angeborenen Krankheitsform
ähnlich, unterscheidet sich aber wesentlich von derselben durch den
Verlauf und hauptsächlich durch den Ausgang, welcher hier in direktem
Zusammenhang zu der primären Erkrankung steht.
Die primäre erworbene Krankheitsform hat sich noch nicht genügend
auskrystallisiert und verläuft oft unter dem Bilde der perniziösen Anämie.
Beide vom Autor beobachteten Erkrankungen sind typische Fälle
der primären angeborenen hämolitischen Gelbsucht, die Kranken stehen
im Alter von 20—21 Jahren, in einem Falle entwickelte sich die Krankheit
gleich bei der Geburt, in dem andern — im Alter von drei Jahren.
(Die Großmutter litt an derselben Krankheit).
Die Klagen der Kranken sind wenig charakteristisch, außer einer
Abmagerung in einem Fall wurden keine bedeutenden Störungen be¬
obachtet. Objektiv eine allgemeine scharf gekennzeichnete Gelbsucht,
ohne Symptome von Gallenintoxikation. Der Urin enthielt keine Gallen¬
pigmente, doch konstant Urobilin. In beiden Fällen Splenomegalie. Die
Leber war zeitweise vergrößert. Die Funktion der Leber nach Be¬
urteilung der Verdauungsprobe mit Levulose herabgesetzt. Eine Ver¬
schlechterung der Krankheit wurde infolge physischer und psychischer
Übermüdung, kalter Bäder, Infektionen und Verdauungsstörungen be¬
obachtet.
Morphologie des Blutes.
1. Verringerung der Erythrozyten, dementsprechend Abnahme des
Hämoglobins.
2. In großer Anzahl Makro- und Mikrozyten, einzelne Polychro-
mathophile, nur bei Verschlechterung, selten Hämotoblasten.
3. 9°/ 0 rote Blutkörperchen, eigentümlicher basophiler Kernigkeit,
nur sichtbar bei Färbung lebenden Blutes. Solche Elemente wurden bei
dieser Krankheitsform zuerst von Chauffard beschrieben.
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568
Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Diese Kernigkeit ist auf fixierten Präparaten bei Färbung mit May-
Grünwald-Giemsa nicht bemerkbar. Von solcher Kernigkeit sind haupt¬
sächlich Polychromathophile. Die Stabilität solcher Elemente zu Kochsalz¬
lösungen ist bedeutend größer als die der übrigen Erythrozyten.
4. Die Zahl der Leukozyten ist normal, die leukozytäre Formel
unverändert.
5. Der Zerfall der roten Blutkörperchen ist die Folge angeborener
Brüchigkeit der Erythrozyten, dies findet den Beweis darin, daß die
roten Blutkörperchen von 0,8—0,7°/ 0 Kochsalzlösungen zerstört werden,
in der Norm wirken erst hämolitisch 0,45°/ o NaCl-Lösungen.
6. Das Serum bei hämolitischer Gelbsucht ist gelbgefärbt, diese
Färbung wird hauptsächlich und vielleicht ausschließlich durch Urobilin
bewirkt. Das Serum solcher Kranken enthält keine Isolysine, doch wirkt
solches Serum stärker auf ausgewaschene Blutkörperchen der Kaninchen
als das normale.
Von besonderer Bedeutung sind die Bestandteile der Nahrung, doch
ist diese Tatsache bis jetzt in der Literatur nicht erwähnt worden.
Bei Ernährung mit Milchkohlenhydraten nimmt die Menge des
Urobilins im Urin und im Fäzes bedeutend ab, bei gemischter Nahrung
wird eine Zunahme desselben und das Maximum wird bei Fleischnahrung
beobachtet.
Beim Vergleich des Eiweißes verschiedenen Ursprungs des in der
Milch enthaltenen (Kasein), des pflanzlichen (Roborat), des tierischen
(Fleischpulver), ergab die größte Menge Urobilins das tierische Eiweiß
und bewirkte zugleich eine bedeutende Verschlechterung im Allgemein¬
zustande des Kranken.
Die Menge Urobilins im Urin ist nicht von der Menge desselben
in Fäzes abhängig, bisweilen wurde sogar das ungekehrte Verhältnis
beobachtet, daraus geht vielleicht hervor, daß hier keine Bildung des
Urobilins aus Gallen Bilirubin, welches in den Därmkanal tritt, stattfindet.
Der Erkrankung liegt folgendes zugrunde:
Angeborene Brüchigkeit der Erythrozyten, infolge dessen sich eine
Menge Blutpigments bildet, welches in Urobilin übergeht. Urobilin wird
nicht von der Leber zerstört, sondern zirkuliert im Organismus und
wird in der Haut abgelagert, infolge funktioneller Schwäche der Leber
(mangelhafte Ausscheidung der Levulose), oder infolge übermäßiger An¬
sammlung von Urobilin.
Die Splenomegalie ist als die Folge der erhöhten Tätigkeit der Milz
und die Reizung derselben durch Bruchteile der Erythrozyten anzusehen.
Die Ursache der angeborenen verminderten Resistenz der Erythrozyten
ist unbekannt, vielleicht ist dieselbe durch anormale Funktion des
Knochenmarks bedingt.
Der Verlauf der primären angeborenen Gelbsucht ist von sehr
langer Dauer, die Prognose ad vitam ist günstig, doch läßt sich die
Möglichkeit der Entwickelung akuter zu Tode führenden Anämie nicht
ausschließen. Wie aus der Arbeit des Autors zu ersehen, ist eine zweck¬
mäßige Diät von großer Bedeutung. Die Anwendung von Arsenik¬
präparaten wirkt günstig auf die Zusammensetzung des Blutes ein.
Autoreferat.
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Referate und Besprechungen.
569
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Moeller, Fortschritte der Tuberkulinbehandlung. (Berl. Klin., Nr. 271,
1911.) Nach einem [kurzen Überblick über die spezifische Tuberkulosebehand¬
lung wird eine ausführliche Zusammenstellung der Tuberkulinbehandlung
gegeben und die Wirkung des Tuberkulins im Körper erörtert. Der Verf.
tritt energisch für die ambulante Tuberkulinbehandlung ein, die „fast
ebenso gute“ Erfolge erzielt, wie die in den Heilanstalten ausgeübten Tuber¬
kulinkuren, und fordert die Errichtung von besonderen Stationen für die
spezifische Behandlung der Tuberkulösen in den Städten. Schließlich emp¬
fiehlt Verf. noch die von ihm hergestellten Tuberoidkapseln (Bazillenemul¬
sion, Thimotein und ameisensaures Kalzium) zur Behandlung derjenigen
Fälle, in denen eine Scheu vor dein Einspritzungen besteht oder diese zur
Bildung schmerzhafter Anschwellungen führen. Die per os zu nehmenden
Tuberoidkapseln eignen sich besonders zur Behandlung von Kindern mit ge¬
schlossener Drüsen tuberkulöse, von tuberkulösen Schwangeren, von Initial¬
fällen und von larvierter Tuberkulose (Chlorose). Häufig gelingt auch die
Entfieberung durch Tuberoid in fieberhaften Fällen von Tuberkulose.
Sobotta (Görbersdorf).
A. Knopf (New York), Licht- und Schattenseiten antituberkulöser Be¬
strebungen in den Vereinigten Staaten. (New Yorker med. Wochenschr.,
Nr. 11, 1910.) Ebenso wie Jacobi beklagt auch Knopf die Auswüchse
der modernen „Phthisiophobie“. In den Vereinigten Staaten gebe es neben
der privaten auch noch eine staatliche und städtische 1 . So ist z. B. im-
Jahre 1901 tuberkulösen Einwanderern bezw. Besuchern der Eintritt in das
Land gesetzlich verboten worden, und zwar nicht nur mittellosen, die ja
ev. der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen würden, sondern auch vermögen¬
den Personen. Auch letztere werden deportiert, wenn ihre Krankheit „ent¬
deckt“ wird. „Wer j«e Zeuge solcher Deportation eines in Amerika vielleicht
bereits 2—3 Jahre ansässigen Menschen gewesen ist, dem wird das Grausame
und fast Unmenschliche dieses Gesetzes einleuchten.“ Zudem ist es unwissen¬
schaftlich, die Ansteckungsgefahr der Tuberkulose derjenigen der Pocken,
der Pest usw. gleichzusetzen (vgl. hierzu die Feststellungen von Rüge,
Köhler, Winternitz usw., nach denen sogar bei Ehegatten, von denen
der eine tuberkulös ist, der andere Teil in ca. 90% der Fälle nicht ange¬
steckt wird. Ref.).
K. möchte an Stelle dieses Gesetzes ärztliche Untersuchung und ev.
Zurückhaltung Tuberkulöser in den Aus Wanderer häfen Vorschlägen.
Von Ausflüssen „städtischer“ Phthisiophobie erwähnt K. die örtlichen
Widerstände gegen Errichtung von Sanatorien, Kliniken, Dispensorien, Frei-
luftschulen für Tuberkulöse. „Es sollte mehr für Bekanntwerden der Tat¬
sache gesorgt werden, daß der geschulte und gewissenhafte Tuberkulöse
keine Gefahr für seine Umgebung bildet.“ Ais grausamstes Beispiel von
Phthisiophobie ist das in Oklahama erlassene Gesetz zu bezeichnen, wonach
tuberkulösen Ärzten die Konzession zur Praxis verweigert wird. Ihm steht
als Beispiel übertriebener „Phthisiophilie“ die in Nebraska obligatorisch
gemachte Serumtherapie der Tuberkulose gegenüber, wonach die Kranken
also einem „noch völlig im Entwicklungsstadium befindlichen Verfahren“
von Staats wegen ausgeliefert werden.
Zum Schluß gibt K. einen Überblick über die in den Vereinigte^
Staaten vorhandenen Einrichtungen zur Bekämpfung der Tuberkulose. Er
plädiert u. a. für Weiterführung des Baus von „Hospital-Sanatorien“, die
unseren Heimstätten für vorgeschrittene Fälle entsprechen. Sein Lobes-
hymnus auf die Anzeigepflicht der Tuberkulose dürfte dagegen wohl
keiner allgemeinen Zustimmung begegnen. Esch.
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570
Referate und Besprechungen.
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Lee empfiehlt bei der Behandlung der Lungentuberkulose im Anfang
Dauerinjektionen mit Antisepticis. Dabei sind, um sie wirksam zu gestalten,
folgende 3 Punkte zu berücksichtigen: 1. sie müssen volle 24 Stunden (nur
mit Ausnahme der Mahlzeiten) fortgesetzt werden; 2. die Inhalationsmaske
muß so leicht sein, daß sie Tag und Nacht getragen werden kann und die
Respiration nicht hindert; 3. die angewandte Lösung muß so konzentriert
als möglich sein. Verf. behandelt seit 4 Jahren alle Lungentuberkulosen
im Anfang so und hat damit so gute Resultate erreicht, daß er hofft, seine
Methode werde weiter beachtet. Er wendet die an den Ohren zu befestigende
Maske von Burney Yeo an, die einen Schwamm enthält auf den man
6—8 Tropfen folgender Lösung träufelt: Acid. carbol. 8/3, Cresot. 8,0, Tinct.
jodi 4,0, Alcoholäther (5%) 4,0, Chloroformalcohol (35,0:100,0) 8,0. Vor¬
sicht! Die Ränder der Maske dürfen nicht damit befeuchtet werden. Der
Geruch des Mittels ist ganz angenehm. Der Husten wird ohne Sedativa
und Expectorantia, ebenso wie die Expectoration ganz erheblich erleichtert!
und vermindert. Die Lösung reizt nicht und ruft keine Hämorrhagie hervor.
Tritt Hämoptyse auf, so setzt man dem Mittel am besten Terpentin zu.
Wesentlich ist die dauernde Inhalation, die der Kranke in der ersten Woche
am besten im Bett vornimmt. v. Schnizer (Höxter).
Fr. Waugh empfiehlt bei der Pneumonie oder Bronchopneumonie der
Greise Strychninarseniat und hat davon rasche Hebung der darniederliegenden
Sensibilität und günstige Beeinflussung aller Funktionen der Verdauung,
Respiration und der nervösen Zentren gesehen. Er gab l /s Milligramm V*-
oder Vistündlich bis Izum gewünschten Erfolg, d. h. bis zur Hebung des All¬
gemeinzustandes und bis zur Besserung der Respiration und Zirkulation, im
ganzen pro Tag, je nach dem einzelnen Fall, 1—6 Milligramm. (Bull, gener.
de th6r., Nr. 4, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Oppenheim und CrGpin haben bei der Pneumonie der Greise hohe Dosen
Kampferöls (3—4 g Kampfer pro dosi) unter strenger Beobachtung der
Aseptik mit großem Erfolg vorn am Bauch injiziert: Verminderung der
Dyspnoe, Hebung der Kräfte und des Allgemeinzustandes, Zunahme der
Diurese und Abfall der Temperatur sind die unmittelbare Folge. Intoxika¬
tionserscheinungen wurden nie beobachtet. Daneben Herztonika und feuchte
Einwickelungen des Thorax. Mortalität 43°/o statt 57—65°/o- (Bull, gener. de
ther., Nr. 4, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
H. Sahli (Bern), Ausbau der Sphygmobolometrie oder energetischen
Pulsdiagnostik. (Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 72, S. 1, 1911.) Wenn
die Sphygmomanometrie und Tonometrie die Druckwerte, die Sphygmographie
den Druckablauf in der (menschlichen) Arterie feststellen, so bemüht sich
die Sphygmobolometrie um den Arbeits-, den „Energie“-Wert der Puls-
welle, der nach bestimmter Formel zu berechnen ist. Sahli hat den dies¬
bezüglichen Apparat (Firma Büchi & Sohn in Bern) neuerdings bedeutend
verbessert. Das Genauere der sphygmobolometrischen Untersuchung und Aus¬
wertung ist im Original einzusehen. H. Vierordt (Tübingen).
Max Vogel (Basel), Hämophilie und Blutgerinnung. (Zeitschr. für
klin. Medizin, Bd. 71i S. 224^) Bei einem 10jährigen Bluter, dessen 9- und
13jährige Brüder normale Gerinnungszeit zeigten, während ein 12jähriger
deutliche Verzögerung ohne hämophile Eigenschaften aufwies, wurde eine
Gerinnungszeit von 88 Minuten beobachtet. Der Kranke litt übrigens bloß
an Gelenk- und Hautblutungen. Das aus einer gelegentlichen Kniegelenks -
blutung entnommene Blut wurde nur durch frisches Menschen- und Kanin¬
chenblut zur Gerinnung gebracht. Frisches Serum, Diphtherieserum, Chlor-
kalzium, Phenol, Glykokoll, Traubenzucker und auffallenderweise auch
Organextrakt (Leber und Niere des Kaninchens) ließen das Blut nach
248tündiger Einwirkung noch flüssig, während in Fällen eigentlich ange¬
borener Hämophilie Organextrakte rascheste Gerinnung zu bewirken pflegen.
Intravenös injizierte Organextrakte zeigten, obwohl sie in vitro starke Be-
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Referate und Besprechungen.
571
schleunigung der Gerinnung des normalen Blutes bewirken, beim Kaninchen
keinen merkbaren Einfluß.
Die zurzeit beste Hypothese, S a h 1 i’s Annahme einer ungenügenden
Thrombokinasebildung durch die erkrankte Gefäßwand (Referat Fortschritte,
Seite 384, 1905), reicht übrigens nach Vogel nicht für alle Fälle aus,
wenigstens nicht für den vorliegenden, zu den erworbenen zu rechnenden.
H. Vierordt (Tübingen).
K. Kottmann (Bern), Zur Physiologie und Pathologie der Schilddrüse.
Mitteilung 1—3. (Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 71, S. 344, 362, 369, 1910.)
1. Anna Lidsky, Beeinflussung der Blutgerinnung durch die
Schilddrüse. Bei Basedowkranken fand sich in der Mehrzahl der Fälle
(78%) eine Verzögerung der Gerinnung (verbesserte H. Vierordt’sche Methode
und KoaguloViskosimeter, vergl. Fortschritte, S. 373, 1910), dagegen normale
Gerinnung in einem von Kocher ein Jahr vorher mit bestem Erfolg ope¬
rierten Fall. Außerdem ergab sich eine ganz auffallend geringe Koagula-
tionsbildung. Schilddrüsenpräparate verzögerten bei Tieren die Gerinnung
aufs deutlichste. Hingegen izeigte sich bei allerlei Affektionen mit Ausfall
der Schilddrüsentätigkeit, Cachexia strumipriva, Zwergwuchs, Hypothyreosis,
eine starke Beschleunigung mit stärkerer Gerinnselbildung.
2. Kottmann (u. Lidsky), Fibringehalt des Blutes im Zu¬
sammenhang mit der Schilddrüsenfunktion. Während der an drei
Männern und drei Frauen bestimmte Fibringehalt normalerweise 0,226%
betrug, wurde bei Basedowkranken weniger, 0,13 bis 0,18% gefunden, bei
einem, allerdings leichten Fall 0,216%. Thyraden (620 g) setzte bei einem
Hunde den Fibringehalt innerhalb 18 Tagen auf 0,173% herab und bei
Myxödem ermittelte man 0,34 und 0,39%; also bedeutende Erhöhung. Bei
diesen Befunden kommt nach des Verfassers Ansicht beim Morbus Basedowi
ein verminderter, bei Myxödem ein verzögerter Abbau des Fibrins in Frage.
3. Kottmann (u. Lidsky), Schilddrüse und Autolyse. Die
Autolyse wurde mit frischer Leber eines zuvor gesunden, verunglückten
Mannes und frischer Kaninchenleber unter Benzoesäurezusatz im Brutschrank
bei 38° angestellt unter Verwendung von Serum und Schilddrüsenpräparaten
und der (nicht mehr koagulable) Reststickstoff bestimmt. Nach siebentägiger
Autolyse betrug bei der Menschenleber der Rest-N. mit Normalserum 29,3%
des Gesamt-N., mit Basedowserum 37,5; nach dreitägiger Autolyse bei
Kaninchenleber mit Normalserum 15,6, mit Basedowserum 36,0%.
H. Vierordt (Tübingen).
Chirurgie.
A. Fromme (Göttingen), Zur Frage der chirurgischen Behandlung von
Typhusbazillenträgern. (Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 107, S. 578.)
Die Beziehungen zwischen Typhus und der Pathologie des Gallen-
Systems sind lange bekannt; nur über ihr Wesen bestand Unklarheit. Nach
klinischen und tierexperimentellen Feststellungen darf heute als erwiesen
gelten, daß es sich zumeist nicht um eine aszendierende Entzündung, sondern
um eine auf dem Blutweg zustande kommende Infektion der Galle handelt.
Diese Infektion kann naturgemäß zur Gallensteinbildung Veranlassung
geben; ihre Hauptbedeutung liegt jedoch in dem Umstand, daß die Er¬
krankten zu Typhusbazillenträgern und damit zu einer großen Gefahr für
ihre Umgebung werden. Denn die Gallenblase bildet — das wissen wir
aus den Versuchen von Förster und Kayser — eine Brutstätte der
Typhuskeime. Da eine medikamentös-diätetische Behandlung der Bazillen¬
träger erfahrungsgemäß zu einem Dauererfolg nicht führt, hat man operative
Maßnahmen in Vorschlag gebracht, deren Bedeutung allerdings noch leb¬
haft bestritten wird.
Nach einer vergleichenden Zusammenstellung der einschlägigen Lite¬
ratur berichtet Verf. über 4 in der Göttinger Klinik vorgenommene Chole¬
zystektomien bei Bazillenträgern, welche wegen Gallensteinerkrankung zur
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572
Referate und Besprechungen.
Operation kamen. Eingehende bakteriologische Untersuchungen vor und
nach der Operation ergaben in 3 Fällen — 1 Fall ging am 5. Tag nach der
Operation an einer Pneumonie zugrunde —, daß die Typhuskeime im Stuhl
schließlich verschwanden. Allerdings zeigte sich die interessante Beobach¬
tung, daß noch wochenlang mit dem Sekret der Drainage Typhusbazillen
ausgeschieden wurden — ein Beweis, daß nicht nur die Gallenblase, sondern
auch die Gallengänge Typhuskeime enthalten. Ob daher in allen Fällen
durch die Operation Heilung erzielt wird, steht dahin; jedenfalls können wir
sie nur bei der Cholezystektomie, nicht bei den konservativen Gallenblasen-
Operationen erwarten. Kayser (Köln).
P. Ewald (Hamburg-Altona), Über Myositis ossificans nach Traumen,
bei Frakturheilungen und Arthropathien. ^Deutsche Zeitschr. f. Chir., Bd. 107,
S. 316.) Eine Fülle von Theorien sucht uns eine Erklärung für die eigen¬
artigen Erscheinungen von Muskelverknöcherung, wie sie nach Brüchen, Ver¬
letzungen und bei nervösen Erkrankungen beobachtet wird, zu geben. Des
Rätsels Lösung ist jedoch noch nicht gefunden. Läßt man die Fälle reiner
Myositis ossificans Revue passieren, so finden sich folgende prädisponierende
Momente: Traumen; Quetschung oder Zerreißung dicker breiter Muskeln oder
starke Hämatombildung; fast in allen Fällen liegen ferner die erkrankten
Muskeln in der Nähe von Gelenken, sie überbrückend oder an die Gelenk¬
kapsel ansetzend. — Auf diese letzte Tatsache, welche bisher in der Litteratur
nicht hervorgehoben ist, legt Verf. entscheidendes Gewicht. Er nimmt an,
daß, abgesehen von den bisher unerklärten Fällen, bei denen in der dicken
Adduktorenmuskulatur unabhängig vom Periost sich echte Verknöche¬
rungen einstellen, außer der periostalen Reizung und dem subperiostalen
Bluterguß der Gelenkflüssigkeit, welche aus einem Kapselriß in die Ge¬
webe tritt, eine wesentliche ätiologische Bedeutung insofern zukommt, als
sie ossifizierende Eigenschaften besitzt. Pathologisch-anatomisch spricht für
diese Annahme die Beobachtung, daß in etwa 10% aller Fälle im Innern der
Verknöcherung sich eine Zystenbildung findet, deren Inhalt ab und zu in
der Literatur direkt als ,,synoviaähnlich“ bezeichnet wird.
Über die physiologischen und chemischen Eigenschaften der Synovia ist
bis jetzt wenig bekannt; würde die ossifizierende Wirkung der Synovia er¬
wiesen, so liegt es nahe, diese Erfahrung durch Injektion von Gelenkflüssig¬
keit bei Pseudarthrosen therapeutisch zu verwerten. Experimentelle Beweise
seiner Theorie kann Verf. nicht bringen. Bei Versuchen an Kaninchen, denen
er subkutan den oberen Kniegelenkrezessus mit feinstem Messer eröffnet
hatte, wurde Knochenbildung nie beobachtet; allerdings bewiesen diese nega¬
tiven Erfahrungen insofern nichts, als das Kaninchen mit Wahrscheinlichkeit
ein ungeeignetes Versuchsobjekt darstellt. Wir sind somit auf gelegent¬
liche im Sinne der Hypothese verwertbare Operationsergebnisse angewiesen.
Kayser (Köln).
W. Kraatz, über die Behandlung des typischen Radiusbruches. (Dtsch.
Zeitschr. für Chir., Bd. 106, S. 270.) Verf. berichtet nach einleitenden Be¬
merkungen über die Genese des typischen Radiusbruches über die Er¬
fahrungen, welche in der Königsberger chirurgischen Universitätsklinik mit
dem auf dem Chirurgenkongreß 1906 von Lexer demonstrierten Ver¬
band (Kongreßverhandlungen 1906, S. 162) gemacht sind. Unter 300 bis
jetzt der Behandlung unterzogenen Fällen fand sich: in 13,6% radiale Ver¬
schiebung, 8,1% geringe Supinationsbeschränkung über 5°, Beugung und
Überstreckung ohne wesentliche Störungen in 78,7%, Arbeitsfähigkeit, voll¬
kommen, bei 97,7%, beschränkt bei 2,7%, völlig behindert bei 1,8%.
Beim Vergleich mit Serien nach anderen Behandlungsprinzipien behan¬
delter Fälle ergibt sich, daß sich die Methode in trefflicher Weise be¬
währt hat. Kayser (Köln).
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Referate und Besprechungen.
573
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
St. Thursfield (London), Über einige Kinderkrankheiten. (Pract., Bd. 86,
H. 2.) Amerikanische Beobachtungen bestätigen, daß der Kinderskorbut
(Barlow’sche Krankheit) gewöhnlich auf dem Gebrauch von „Kindernahrung“
oder mit Hitze sterilisierter Milch beruht, daß er aber ausnahmsweise auch
bei Brustkindern und solchen, die mit ungekochter Milch ernährt werden,
vorkommt. In diesen Fällen ist die Ursache dunkel, sie scheint in ererbten
Eigentümlichkeiten des Kindes zu liegen (wie ja auch zuweilen bei der
Rachitis!). Auffallend ist die Seltenheit der Krankheit bei der überaus
weiten Verbreitung verkehrter Ernährung.
Intussuszeption bei Kindern wird mehr und mehr als chirur¬
gische Krankheit angesehen, die Versuche der Reduktion mit Eingießungen
oder Lufteinpumpen sind meist vergeblich und schuld an der hohen Morta¬
lität der zu spät vorgenommenen Operation. Die Anamnese ist meist charak¬
teristisch — plötzliches Erbrechen aus scheinbar völliger Gesundheit, Besse¬
rung, dann wieder Unruhe des Kindes und nach einigen Stunden blutiger
Stuhl — während dagegen der örtliche Befund nur selten typisch ist, selbst
wenn in Narkose untersucht wird. Der wurstähnliche Tumor erscheint erst
in einem Stadium, in dem die Diagnose bereits gestellt sein sollte. Typisch
ist, daß Temperatur und Puls trotz der schweren Erkrankung meist bei¬
nahe normal sind. Die Operation soll sich auf Lösung der Intussuszeption
beschränken und möglichst kurz dauern. Fr. von den Velden.
P. Bözy (Toulouse), La paralysie infantile et la Möningite cöröbro-
spinale. (Archives medicales de Toulouse, Nr. 22, 1910.) Zwischen der
zerebrospinalen Meningitis, der epidemischen Kinderlähmung und der spora¬
dischen Kinderlähmung bestehen allerdings noch nicht ganz geklärte Zu¬
sammenhänge. Man muß zweifelsohne zugeben, daß es klassische Fälle von
Zerebrospinalmeningitis gibt, die vom Rhinopharynx ausgehen, sich auf
Serumbehandlung bessern, und die man den epidemischen und kontagiösen
Krankheiten zuzählen muß, ferner, daß das klinische Bild der spinalen Para¬
lyse einem vollkommen begrenzten Typ entspricht, den der Praktiker, am
häufigsten, erst lange nach seinem Beginn begegnet; häufig unter der Form
epidemischer Herde; endlich ist es einwandfrei, daß man häufig gemischte
Typen, epidemische und sporadische Fälle zu sehen bekommt, bei denen das
graue Mark mehr weniger affiziert ist, oft unter Teilnahme der Meningen
und der Nerven. Praktisch sind daraus folgende Konsequenzen zu ziehen.
Einmal ist ausgiebiger Gebrauch vojn der Frühdiagnose und der Sero-
therapie zu machen, nicht zu vergessen die neuerdings von Hutinel 4
studierten Fälle von Anaphylaxie. Dann müssen alle sporadischen und
epidemischen Fälle all dieser Krankheiten anzeigepflichtig werden, ferner
muß die Desinfektion der Nase und des Rachens namentlich bei Ansamm¬
lungen junger Leute (Kasernen) Allgemeingut werden. Und endlich müssen
auch alle Fälle von Poliomyelitis anzeigepflichtig werden.
v. Schnizer (Höxter).
P. Dilg, Beitrag zur Kenntnis der angeborenen Pylorusstenose der Säug¬
linge und deren Behandlung. (Deutsche Zeitschr. für Chir., Bd. 106, S. 301.)
Verf. berichtet über ein elf Wochen altes Mädchen, das von den ersten Tagen
an erbrochen und seit drei Wochen vergeblich mit Magenspülungen und
Nährklistieren behandelt war. Bei Eröffnung des Leibes zeigt sich eine
ballonartige Erweiterung des Magens und Umwandlung des Pylorus in einen
etwa IV 2 cm dicken, starren Zylinder. Gastroenterostomia antecolica. Nach
anfänglichem guten Verlauf Tod an Entkräftung am dritten Tag.
Genetisch ist die Veränderung, welche sich mikroskopisch lediglich als
ausgesprochene Hypertrophie der Muscularis erwies;, als Entwicklungsstörung
aufzufassen: bemerkenswert ist im Sinne eines familiären Auftretens, daß
das erste Kind der Mutter 7V 2 Jahr vorher an den gleichen Erscheinungen
zugrunde gegangen war.
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574
Referate und Besprechungen.
Trotz seines operativen Mißerfolges spricht sich Verf. auf Grund der
kritischen Verwertung der Kasuistik dahin aus, daß in solchen Fällen nach
kurzem Versuch mit Spülungen und diätetischen Maßnahmen bei nicht so¬
fortigem Stillstand der bedrohlichen Erscheinungen die Gastroenterostomie
vorzunehmen ist. Kayser (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
J. Lehmacher (Köln), Bakteriologischer Befund bei der Meningitis
cerebrospinalis epidemica. (Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 71, S. 288,
1910.) Von Ende März 1907 bis Frühjahr 1910 kamen in Köln Fälle von
epidemischer Zerebrospinalmeningitis vor, über welche teilweise von Matthes
•und Hochhaus berichtet ist (Referat Fortschritte, S. 392, 1909). L. fand
(Lumbalpunktion!) andere Mikroorganismen, als den WeichselbaunTschen
Meningokokkus in stetiger Steigerung 1907 in 11%, 1908 in 14,8, 1909 in
55,5 %, insgesamt bei 118 Fällen in 19,49%. Keine Mikroorganismen in
6 Fällen, Pneumokokken fünfmal, Influenzabazillen zweimal, Meningokokken
und Pneumokokken zweimal, Diplobazillus Friedländer einmal usw. In
zwei Fällen vom Jahr 1909 bestand eitrige Otitis mit Meningokokkenbefund.
Auffallend war in nicht wenigen Fällen der wechselnde Befund trotz Be¬
obachtung genau derselben Technik. L. wird zur Ansicht gedrängt, daß
bei der Kölner Epidemie der Erreger kein einheitlicher gewesen sei, wenn
in fast 20% der Fälle andere Mikroorganismen als der Weiehselbaum’sche
festgestellt wurden. H. Vierordt (Tübingen).
A. R. Douglas (Lancaster), Die Schwachsinnigen, ihre öffentliche Stel¬
lung und ihr Einfluß auf die Zukunft der Rasse. (Practitioner, Bd. 86, H. 2.)
Eine bewegliche Klage über den betrübenden Zustand, daß die Irrenhäuser
und Asyle nicht hinreichen, um die Schwachsinnigen zu internieren, daß
sie infolgedessen eine öffentliche Gefahr sind, sich ungehindert fortpflanzen
und durch zeitweiligen Aufenthalt in den Gefängnissen, deren zahlreichste
Bevölkerung sie bilden, zwar Kosten machen, aber genau so herausgehn, wie
sie hineingekommen sind. Der Schwachsinn beruht in allererster Linie auf
Heredität, der Alkoholismus ist mehr Symptom und Folge als Ursache, und
die hereditäre Syphilis spielt eine sehr geringe Rolle. Besserungs-, Zwangs¬
erziehungsanstalten und dergleichen hält D. für zwecklos, ja insofern für
schädlich, als sie den Schwachsinnigen einen Firnis verleihen, der ihn
schwerer erkennbar und doppelt gefährlich macht. Nur eine Gesetzgebung
kann helfen, die die Fortpflanzung der Schwachsinnigen unmöglich macht;
ja D. möchte sogar alle Angehörigen von Schwachsinnigen vom Heiraten
ausschließen.
D. glaubt, daß, wenn man den Dingen weiter ihren Lauf läßt, Englands
Weltmachtstellung bedroht sei. Er kann sich insofern beruhigen, als es
auf dem Kontinent nicht besser aussieht. Übrigens sieht er kommen, daß
die Sentimentalität die Überhand behalten und auf lange Zeit alles beim
alten bleiben wird. Fr. von den Velden.
O. Fischer (Prag), Über die Aussichten einer therapeutischen Beein¬
flussung der progr. Paralyse. (Zeitschr. für die ges. Neurol. u. Psych.,
Bd. 4, H. 4.) Bereits 1903 hat F. mit dem in letzter Zeit von Donath
wieder angewandten Natr. nucleinic. Versuche an Paralytikern gemacht.
Wie sich nunmehr übersehen läßt, hat die Durchschnittsdauer der nichtbe-
handelten Fälle 7 Monate, der behandelten Fälle 15 Monate betragen. Es
ließen sich sehr weitgehende Besserungen erzielen, doch Rezidive nicht ver¬
meiden. F. hat neuerdings die Versuche an einem leichter erkrankten und
früher zur Behandlung kommenden Material mit größeren Dosen wieder
aufgenommen. Von 10 behandelten Fällen hatten 5 weitgehende Remissionen
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Referate und Besprechungen.
575
bis zum Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit, bei allen trat allerdings wieder
ein Rezidiv ein; unter den nichtbehandelten, an Zahl gleichen Fällen weist
nur einer eine weitgehende Remission auf. Die beobachteten natürlichen
„Heilungen“ der Paralyse (im klinischen Sinne) ermuntern zu weiteren Ver¬
suchen in ähnlicher Richtung. Die bisherigen Erfahrungen mit Salvarsan
sind keine guten, wie sich auch erwarten ließ, da es sich ja bei der Paralyse
nicht mehr um einen syphilitischen Prozeß handelt. — Für die Praxis ist
die Methode nach Ansicht des Ref. noch nicht empfehlenswert.
Zweig (DalLdorf).
Ph. Jolly (Halle), Zur Prognose der Puerperalpsychosen. (Münclrn.
med. Wochenschr., Nr. 3. 1911.) Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und
Lactation disponieren bekanntlich zu geistigen Störungen. Fast jede Form
der Psychose kann dabei zum Ausbruch kommen. Die Prognose hängt natür¬
lich vor allem von der Art der Erkrankung ab. Der Praktiker wird aber nur
in den wenigsten Fällen dazu gelangen, eine psychiatrisch klinische Diagnose
zu stellen — ganz abgesehen davon, daß die Klassifikation der Psychosen
überhaupt noch zu einem großen Teil des festen Bodens entbehrt. So er¬
scheint es mindestens praktisch gerechtfertigt, daß uns der Autor, der den
weiteren Verlauf von 79 Fällen über 10 Jahre nach dem Ausbruch der Störung
ermittelt hat, die Resultate zunächst ohne Rücksicht auf die Diagnose mitteilt.
Dauernd geheilt sind 46% der Fälle, im ersten Jahr gestorben oder mit
oder ohne Intermission chronisch geworden sind über 40%, die wenigen
Übrigen mit Defekt geheilt oder nur vorübergehend wieder erkrankt.
Günstig wirkten auf die Prognose: akuter Beginn der Störung und be¬
sonders Ausbruch infolge einer Infektion. Die erbliche Belastung mit Psy¬
chosen usw. schien den endgültigen Ausgang nicht zu beeinflussen, wirkte
aber ungünstig auf die Dauer der Krankheit. Dagegen verlief der Fall in
der Regel ungünstig, wenn schon früher ohne äußeren Anlaß eine vorüber¬
gehende Störung aufgetreten war. 45 von den dauernd oder vorübergehend
geheilten Frauen haben in der Folge wieder geboren, nur bei 6 trat dabei ein
Rezidiv auf. R. Isenschmid.
Vergiftungen.
Gutheil berichtet über einen tödlich verlaufenen Fall von Bleivergiftung
nach reichlicher Anwendung von Liq. Burowi bei einer ausgedehnten 'Ver¬
brennung durch den elektrischen Strom; während die Brandwunden günstig
beeinflußt wurden, verschlimmerte sich der Allgemeinzustand: Konstipation,
Gastralgien. Erbrechen, ganz wie bei Ulcus; nach drei Wochen Zittern der
Hände und Bleisaum. Ausschaltung des Mittels und Anwendung von Gegen¬
giften konnte den fatalen Ausgang nicht auf halten. v. Schnizer (Höxter).
von Notthaft (München), Über medizinale Jodvergiftung mittels Jod-
glidine. (Monatsh. für prakt. Dermal., Bd. 51, Nr. 8.) Verf. kann auf
Grund seiner Erfahrungen dem uneingeschränkten Lobe der Jodglidine nicht
zustimmen. Das Präparat, bei dem das Jod an nukleinfreies, reizloses,
Pflanzeneiweiß gebunden ist, wirkt im allgemeinen gut, aber langsamer als
die Jodalkalien, ruft weniger oft Intoxikationserscheinungen hervor, wenn
auch Akne, Koryza und nervöse Störungen nicht selten beobachtet wurden,
und ist nicht geschmacklos, wie von einigen behauptet, sondern besitzt einen
ziemlich scharfen, an Senf öl erinnernden Geschmack. Zwei Fälle von Jodis¬
mus mit nervösen Erscheinungen, in dem einen Falle Nervosität, Schlaflosig¬
keit, Zittern der Hände, absoluter Appetitmangel, in dem anderen Falle
Brennen der Fußsohlen mit völliger Aufhebung der Schweißsekretion,
Kribbelgefühl im Rücken usw., werden besonders beschrieben.
Carl Grünbaum. Berlin.
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Bücherschau.
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Bücherschau.
A. Martin (Berlin), Die vaginalen Methoden in der Geburtshilfe und Gynäkologie.
(Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 605, Gynäkologie Nr. 220.)
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ainbr. Barth. 20 S. 75 Pfg.
Eingehende Beschreibung und Kritik der verschiedenen Methoden in Form
eines Referates von dem letzten Gynäkologenkongreß in St. Petersburg, das aber
auch dem praktischen Arzt, der sich über die heute so aktuelle Frage unterrichten
will, eine gute Orientierung gibt. Werner Wolff (Leipzig).
Bruno Bosse und Wladimir Eliasberg (Berlin), Der Dämmerschlaf oder die
Skopolaminmorphin • Mischnarkose in ihrer Anwendung bei Entbindungen und Operationen.
(Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 599/601, Gynäkologie Nr. 215/217.)
Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 75 S. 2,25 Mk.
Recht interessante, instruktive und kritische Arbeit an großem Material mit
eingehender Literaturübersicht, die kein Gynäkologe oder Operateur unbeachtet
lassen dürfte, aus der aber auch der praktische Arzt manche Anregung und An¬
weisung zur Anwendung dieser so einfachen Methode empfangen dürfte.
Werner Wolff (Leipzig).
M. Hirschberg (t) (Frankfurt a. M.) f Operative Behandlung des Asthma. (Volk¬
mann’s Sammlung klinischer Vorträge Nr. 604, Chirurgie Nr. 169.) Leipzig 1910.
Verlag von Joh. Ambr. Barth. 23 S. 75 Pfg.
Sehr interessante Arbeit, in der Verf. an der Hand eines ihm vorliegenden
Falles von Asthma von einem ganz neuen Standpunkt betrachtet: in seinem Zu¬
sammenhang mit der Rachitis. Auf welch einfache Weise Verf. dann seine Patientin
durch Anlegung eines Brustbeingelenkes von ihren Beschwerden befreite, das möge
jeder sich dafür interessierende Kollege in dem Aufsatz selbst nachlesen.
Werner Wolff (Leipzig).
Arthur Keller (Berlin), Die Lehre von der Säuglingsernährung, wissenschaftlich
und populär. 6. Heft der Ergebnisse der Säuglingsfürsorge. Leipzig und Wien 1911.
Verlag von Franz Deuticke. 86 S. 3,50 Alk.
Verf. gibt in seiner Arbeit eine kritische Zusammenstellung aller der über
Säuglingsernährung erschienenen wissenschaftlichen ausländischen und populären
deutschen Schriften und der offiziellen Merkblätter, und zeigt dabei die überall
herrschende Uneinigkeit selbst iu den wichtigsten Fragen. Mann kann nur wünschen,
daß seine Anregung, ein einheitliches, für das ganze Reich geltendes Merkblatt zu
schaffen, recht bald von Erfolg gekrönt sein möge, vor allem aber möchte ich darum
dies Buch allen den Kollegen recht angelegentlich zur Lektüre empfehlen, die in
Fürsorgestellen oder Vereinen zum Säuglingsschutz ein gewichtiges Wort zu diesem
Thema mitzureden haben. Werner Wolff (Leipzig).
H. Bräuning (Stettin), Neuere Untersuchungen über Diabetes insipidus. (Würz¬
burger Abhandlungen, Bd. 10, H. 2.) Würzburg 1910. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s
Verlag). 20 S. 85 Pfg.
Verf. sucht in seiner Arbeit die Aufmerksamkeit lediglich auf ein Symptom
des Diabetes insipidus zu richten, das uns erst die Untersuchungen der letzten
Jahre kennen gelehrt haben, nämlich die mangelhafte konzentrierende Kraft
der Nieren bei dieser Krankheit, allerdings ein Merkmal, das mehr für den Kliniker
und Spezialisten, als für den Praktiker Wert hat. Werner Wolff (Leipzig).
A. Hellwig, Gerichtsassessor (Berlin-Friedenau), Gerichtliche Medizin und Feuer¬
bestattung. Berlin 1910. Adler-Verlag, G. m. b. H. 21 S.
Verf. kommt, auch unter Berufung auf andere Autoren, vor allem mit Rück¬
sicht auf die nach der Verbrennung nicht mehr nachzuweisenden Giftmorde, zu
folgenden, die ganze Broschüre charakterisierenden Schlüssen: „Die kriminalistischen
Bedenken, die man gegen die Zulassung der Feuerbestattung erheben muß, sind
m. E. so schwerer Natur, daß man nur dringend wünschen kann, daß die Feuer¬
bestattung in Preußen und den anderen Ländern, in denen sie noch nicht zugelassen
ist, auch künftig nicht gestattet werden möge, so wünschenswert dies auch sonst
im hygienischen Interesse wäre. Ja, man muß weiter sogar fordern, daß diese Be¬
stattungsart auch in denjenigen Ländern, in denen sie schon eingeführt ist, bald¬
möglichst wieder verboten werde, so große Schwierigkeiten dies auch im einzelnen
machen wird 111* _ Werner Wolff (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
Tortscbriite der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. o. Cricgern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Ri gl er in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
------
Nr. 25.
für das Halbjahr.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
22. Juni.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der Frauenabteilung des neuen Krankenhauses Köln-Kalk.
Über den gegenwärtigen Stand der Placenta praevia-Therapie.
Von Dr. Kurt Frankenstetn, Köln.
(Nach einem im ärztlichen Verein Köln gehaltenen Vortrage.)
Unter den Kapiteln der geburtshilflichen Therapie, die durch
das Eindringen chirurgischer Verfahren in die Geburtshilfe in den
letzten Jahren wesentlichen Änderungen ausgesetzt war, spielt die
Placenta praevia-Therapie eine besondere Rolle. Wenn durch die Ein¬
führung chirurgischer Entbindungsverfahren schon in den anderen
Kapiteln eine Trennung der häuslichen und der klinischen Geburtshilfe
Platz gegriffen hat, so liegt gerade für die Placenta praevia die Ge¬
fahr vor, daß durch das Überhandnehmen chirurgischer Maßnahmen
in der Therapie dieser Abnormität die Mehrzahl der Placenta praevia-
Fälle der häuslichen Geburtshilfe entzogen werden könnten. Es ist'
an der Zeit, daß der Praktiker zu diesen neuen Methoden Stellung
nimmt, um sich nicht durch ruhiges Zusehen einen großen Teil seines
geburtshilflichen Materials aus den Händen nehmen zu lassen.
Die Therapie der Placenta praevia schien zu einem gewissen Ab¬
schlüsse gelangt. Die Erfolge, die mit der Wendung nach Braxton
Hicks und der Metreuryse erzielt wurden, schienen die Allgemeinheit
zu befriedigen, als im Jahre 1908 Seilheim und Krönig unabhängig
voneinander, aber fast gleichzeitig den Vorschlag chirurgischen Ein¬
greifens bei der Placenta praevia machten. Während Seil heim die
extraperitoneale Sectio empfahl, schlug Krönig klassische Sectio cae¬
sarea für diese Fälle vor, nachdem schon seit Anfang der neunziger
Jahre diese Behandlungsmethode von amerikanischen Gynäkologen ange¬
wandt worden war, sich in Deutschland aber nicht hatte einführen
können. Diese Vorschläge fanden sofort „begeisterten“ Widerspruch,
dem am prägnantesten Martin in einem offenen Briefe Ausdruck gab.
Die weitere Folge war eine ausgiebige Diskussion dieser Vorschläge
in der gynäkologischen Spezialliteratur und hatte den wesentlichen
Erfolg, daß fast sämtliche Kliniken Deutschlands größere Arbeiten
veröffentlichen ließen, die unter Zugrundelegung ihres Materials ihre
Methoden und die damit erzielten Resultate darlegten. Unter Berück-,
sichtigung dieser zahlreichen Arbeiten aus den Jahren 1908, 1909 und
1910 ist es wohl nunmehr möglich, einen sicheren Standpunkt in der
Frage der Behandlung der Placenta praevia zu gewinnen.
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Kurt Frankenstein,
Wenn wir die Vorschläge von Krönig und Seilheim unseren
Betrachtungen zugrunde legen wollen, so müssen wir wohl eingestehen,
daß theoretisch durch diese Verfahren das gesteckte Ziel erreicht werden
muß, ebenso wie vielleicht durch die von Bumm und Döderlein
propagierte Sectio caesarea vaginalis bei Placenta praevia. Um mich
nicht in Einzelheiten zu verlieren, möchte ich diese drei Methoden als
die chirurgischen Behandlungsmethoden der Placenta praevia bezeichnen
und nach Möglichkeit gemeinsam behandeln.
Wie gesagt, theoretisch schien es möglich, auf diesem Wege eine
Verbesserung der Placenta praevia-Therapie herbeizuführen. Wir
müssen Sellheim zugeben, daß es sich bei den Geburtsbestrebungen
bei Placenta praevia sozusagen um ein unphysiologisches Verhalten
handelt, bei dem die Geburtsbestrebungen an sich Mutter und Kind in
höchste Lebensgefahr bringen können. Denn durch die Ansiedelung
der Placenta im unteren Gebärmutterabschnitt muß es ja bei Schwanger¬
schafts- oder Geburtskontraktionen des Uterus leicht zu Verschiebungen
zwischen Uteruswand und Ei kommen, wodurch der intervillöse Raum
eröffnet und mütterliche Gefäße bloßgelegt werden. Dadurch muß
es zu mehr oder weniger starken Blutungen kommen, die sich bei jeder
neuen Zusammenziehung der Gebärmutter wiederholen können. Das
Mißverhältnis, das durch die Dehnung des unteren Gebärmutterab¬
schnittes unter der Geburt und der in diesem Teile der Gebärmutter
sitzenden Plazenta entsteht, muß im Laufe des Geburtsvorganges immer
größer werden. Darauf beruht an und für sich die Hauptgefahr der
Placenta praevia, nämlich Blutungen vom Beginn der Geburt meistens
bis zum Blasensprung, eventuell auch in der Nachgeburtsperiode,
die Gefahr von Zervixrissen, endlich die Gefährdung des Kindes durch
zu große Verkleinerung seiner Atemfläche, Ablösung oder Kompression
größerer Plazentaabschnitte und Kompression der Nabelschnur.
Die chirurgischen Methoden suchen diese Gefahr, die durch die
Komplikation an sich begründet ist, dadurch zu umgehen, daß die
normale Dehnung des unteren Gebärmutterschnittes während der Ge¬
burt vollständig ausgeschaltet wird. Die Sectio caesarea classica sucht
dieses Ziel dadurch zu erreichen, daß das Kind durch Eröffnung des
Corpus uteri entwickelt wird. Der Sellheim’sche Vorschlag geht
dahin, durch die extraperitoneale Sektio das Kind zu entwickeln und
die Ansiedelungssteile der Plazenta direkt von oben zugänglich zu
machen. Die Sectio caesarea vaginalis erreicht das Gleiche durch
Spaltung des unteren Gebärmutterabschnittes von unten.
Diesen theoretischen Vorzügen gegenüber werden wir etwas
genauer auf die praktischen Bedingungen eingehen müssen. Erstens
müssen wir uns die Frage vorlegen, ob die chirurgischen Entbindungs¬
verfahren bei Placenta praevia durchaus nötig sind. Die bisherigen
Resultate waren, wie Krönig erwähnt, 6—10°/ 0 mütterliche und 61
bis 8G°/ 0 kindliche Mortalität. Mir scheint das etwas übertrieben zu
sein, denn wenn man die gerade in den letzten Jahren veröffentlichten
Statistiken durchsieht, findet man, daß die mütterliche Mortalität von
6—lÖ°/ 0 etwas hoch gegriffen ist. Die meisten Autoren berechnen
eine Mortalität von gegen 5°/ 0 , und auch die kindliche Mortalität ist
etwas niedriger durch die Einführung der Metreuryse geworden. Wir
werden später auf diesen Punkt noch genauer zurückkommen. Nach
dem bisher vorgelegten Material läßt sich die Frage nicht ohne weiteres
beantworten, ob es wirklich gelingen wird, durch die Einführung der
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chirurgischen Ent bindungsmethoden in die Praxis die mütterliche Mor¬
talität noch wesentlich zu bessern. Die Möglichkeit liegt nahe, daß
die kindliche Mortalität gebessert wird; es ist aber nicht von der
Iiand zu weisen, daß dies auf Kosten der mütterlichen Mortalität
geschehen wird. Wenn wir aber bedenken, daß es sich gerade bei
Placenta praevia häufig um vielgebärende, kinderreiche Mütter handelt,
so werden wir doch die Präge nicht übergehen können, ob der Einsatz
des mütterlichen Lebens zur Rettung des kindlichen etwas zu hoch
sein dürfte. Auch ist zu bedenken, daß es sich in vielen Fällen von
Placenta praevia um nicht ausgetragene, noch nicht lebensfällige Kinder
handelt, oder solchen, die durch die Komplikation an sich schon außer¬
ordentlich gefährdet sind. Konnte doch Doranth an einem umfang¬
reichen Material zeigen, daß die Blutung bei Placenta praevia nur in
■32,1 °/ 0 am Ende der Schwangerschaft eintritt.
Zweitens wollen wir es uns nicht verhehlen, daß die praktischen
Verhältnisse der Durchführung der chirurgischen Entbindungsverfahren
meist diametral entgegen sind. Gewiß besteht die Möglichkeit, in der
Hauspraxis auch größere geburtshilfliche Operationen durchzuführen,
falls der Geburtshelfer über die nötigen operativen Einrichtungen und
Fähigkeiten verfügt, wie die von Rühl veröffentliehtep beiden Fälle
zeigen, der unter den kleinsten Verhältnissen im Bauernhause 2 schwere
Fälle von Placenta praevia durch vaginale Sektio retten konnte. Ich
möchte aber dem Praktiker nicht raten, dieses Vorgehen nachzuahmen
und würde mich selbst nur unter den dringendsten Umständen berufen
fühlen, im Privathause derartige Operationen auszuführen. Sehen wir
also von der Möglichkeit ab, schlimmstenfalls die chirurgischen Ent¬
bindungsverfahren bei Placenta praevia im Privathause zu machen,
so würde der Praktiker verpflichtet sein, jeden Fall von Placenta praevia
an eine Klinik oder das nächste Krankenhaus abzugeben. Das ist
meiner Meinung nach undurchführbar und auch nicht nötig. Gewiß
wird es immer Fälle geben, die am besten schon mit Rücksicht auf die
Zeit, die dem Praktiker zur Verfügung steht, im Krankenhaus Behand-
lug finden, ob dies aber die Mehrzahl der Fälle sein dürfte, ist wohl
doch fraglich.
Weiterhin spricht aber auch folgende Überlegung dagegen. Ln
den überwiegend meisten Fällen wird zuerst der Praktiker zur Blutung
bei Placenta praevia gerufen. Von der Behandlung dieser ersten Blu¬
tung hängt einmal die Prognose, andererseits aber auch die Mögliche
keit der therapeutischen Beeinflussung dieser Anomalie nach der Über¬
führung in ein Krankenhaus ab. Die Fälle, bei denen eine stärkere
Blutung auftritt, ohne daß die Weichteile genügend vorbereitet sind,
sind ja eigentlich außerordentlich selten. In den meisten Fällen finden
wir bei stärkeren Blutungen den Halskanal schon für 1 oder 2 Finger
durchgängig, so daß der Praktiker in der Lage sein wird, durch die
weiter unten zu besprechenden Maßnahmen die Entbindung im Hause
mit gutem Erfolge durchzuführen. Der Umstand, daß es sieh in der
überwiegenden Mehrzahl dieser Anomalien um Mehrgebärende handelt,
bei denen der untere Gebärmutterabschnitt leichter zu dilatieren ist,
kommt hier auch in günstiger Weise zur Geltung. Ich sehe keine Not¬
wendigkeit ein, diese Fälle der allgemeinen Praxis zu entziehen. Ande¬
rerseits dürfte der Praktiker aber auch bei diesen Fällen in einem ge¬
wissen Widerspruch zum Kliniker kommen, weil er zur Stillung der
Blutung, oder um einer Wiederholung der Blutung vorzubeugen, die
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Kranke für den Transport wird tamponieren wollen, wodurch die Ent¬
bindungsmöglichkeiten für den Kliniker gewissermaßen beschränkt wer¬
den. Ich glaube nicht, daß viele Kliniker den Mut haben werden,
tamponiert eingelieferte Fälle von Placenta praevia der klassischen
Sektio zu unterziehen. So blieben gerade für diese Methode nur die
Fälle übrig, die nach der ersten Blutung zur Beobachtung ohne Tampo¬
nade ins Krankenhaus eingeliefert worden sind. Wir werden auf diesen
Punkt noch zurückzukommen haben.
Endlich möchte ich nicht verhehlen, daß wir auch bei den Kli¬
nikern bisher keine rechte Einigung haben erzielen können, welche
Fälle von Placenta praevia durch die Schnittentbindungsmethode und
nur durch diese gerettet werden köimen. Bayer hat den Versuch ge¬
macht, die Indikation der Sectio caesarea theoretisch zu umgrenzen,
indem er meinte, daß nur in den ganz seltenen Fällen von Placenta
praevia totalis, bei denen der Halskanal vollständig erhalten und das
Os internum ganz geschlossen ist, mit Rücksicht auf die Blutungen
in der Nachgeburtsperiode und nach Ausstoßung der Placenta eine
strikte Indikation zum Kaiserschnitt gegeben ist. Selbst diese vorsich¬
tige Indikationsstellung hat vielfachen Widerspruch erfahren und das
allgemeine Urteil lautet etwa folgendermaßen: Es besteht die Mög¬
lichkeit, daß einzelne wenige Fälle von Placenta praevia nur durch
den Kaiserschnitt gerettet werden können. Die Auswahl dieser Fälle
ist aber enorm schwer, und es besteht die weitaus größere Gefahr, daß
Frauen, die mit einem viel weniger eingreifenden Verfahren gerettet
werden können, der Sectio caesarea unterworfen werden.
Die gleichen Einwände, die ich hier für die Sectio caesarea vor¬
bringe, gelten auch für den extraperitonealen Kaiserschnitt nach Sell-
heim. Ebenso konnte die Sectio caesarea vaginalis sich bei den meisten
Gynäkologen auch unter den denkbar günstigsten Anstaltsverhältnissen
keinen Eingang verschaffen, da selbst so hervorragende Vertreter der
operativen Richtung, wie Krönig, Henkel und andere, die Schwierig¬
keiten dieses Eingriffs gerade bei Placenta praevia scheuen. Wie wir
aus den ausgezeichneten Untersuchungen von Aschhoff wissen, hält
sich die Placenta praevia häufig in ähnlicher Weise wie bei der Tubar-
gravidität nicht an die Gebärmutterschleimhautmuskelgrenze, sondern
wächst dissezierend in die Muskulatur des unteren Gebärmutterab¬
schnittes hinein und splittert diesen sozusagen auf. Es ist infolge¬
dessen oft unmöglich, ehe Blutstillung bei der Sectio caesarea vaginalis
in 4 er diesem Verfahren charakteristischen Weise durch Anziehen der
Schnittränder des Halskanals und des unteren Gebärmutterabschnittes
zu bewirken; da es oft nicht gelingt, in diesem morschen Gewebe
Faßinstrumente anzubringen. Dadurch wird die Nahtversorgung der
Schnittwunde in Frage gestellt und die Technik und die Aufmerksam¬
keit des Operateurs einer derartigen Belastungsprobe unterworfen, daß
selbst Bumm unter 12 derartig behandelten klinischen Fällen einen
an Verblutung verloren hat. Die Zukunft wird zeigen, ob die Ver¬
suche Bumm’s, diese Gefahr durch Anlegung des Momburgschen
Schlauches zu umgehen, oder das Vorgehen von Solms, der die Para-
metrien und die unteren Abschnitte des Ligamentum latum temporär
abklemmte, die Gefahr des vaginalen Kaiserschnittes bei der Placenta
praevia verringern werden.
Ich glaube, durch meine bisherigen Ausführungen gezeigt zu haben,
daß die Schnittentbindung bei Placenta praevia zur Umgehung der
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Über den gegenwärtigen Stand der Placenta praevia-Therapie.
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Dilatation des unteren Gebärmutterabschnittes bei Entleerung des
Uterus sich für die Hauspraxis gar nicht, für die Anstaltsbehandlimg
nur in einigen seltenen Fällen eignet. Ich möchte nochmals betonen,
daß diese Ansicht das Resume aus der Placenta praevia-Literatur der
letzten 3 Jahre ist, der ich mich persönlich unbedingt anschließen muß.
Es bleiben demnach für die Behandlung der Placenta praevia eigentlich
nur 3 Methoden übrig, die, je nach Lage des Falles angewandt, geeignet
sein dürften, diese schwierige Geburtskomplikation in günstiger Weise
zu Ende zu führen. Es sind dies die Blasensprengung, die kombinierte
Wendung nach Braxton Hicks und die Metreuryse.
Vor allem aber müssen wir hervorheben, daß sich die Resultate bei
der Placenta praevia wesentlich bessern lassen dürften, wenn wir die
besonders schweren Fälle mit uneröffneten Weichteilen so wenig wie
möglich exspektativ behandeln. Zweifel hat zuerst darauf aufmerk¬
sam gemacht, daß die Mortalität der Mütter besonders dadurch belastet
ist, daß die Frauen zu spät, mehr oder weniger ausgeblutet, in die
Klinik eingeliefert werden, oder mit. anderen Worten, daß die Ent¬
bindung eben erst bei halb verbluteten Frauen ausgeführt werden konnte.
Es liegt auf der Hand, daß der geringste Blutverlust dieser Frauen
bei der Entbindung selbst die Katastrophe herbeiführen kann. Den
gleichen Nachweis führt Füth in seinen Arbeiten, die sich auf das
Material der allgemeinen Praxis stützen. Wir müssen hervorheben,
daß wir zur Besserung der Mortalität hier weiden den Hebel einzusetzen
haben. Wir werden nach Sicherstellung der Diagnose bei Placenta
praevia und besonders bei den Fällen von Placenta praevia totalis nicht,
wie bisher, empfehlen dürfen, die Frauen exspektativ zu behandeln,
es sei denn, daß wir sie ohne weiteres in Krankenhausbeobachtung
halten können. Dies ist die einzige Möglichkeit, wo man einer Wieder¬
holung der Blutung mit Ruhe entgegensehen kann. In anderen Fällen
aber wird man gut daran tun, die Frauen so früh wie möglich, d. h.,
wenn sie so wenig Blut wie möglich verloren haben, zu entbinden,
damit sie den unvermeidbaren Blutverlust und die Anforderung
der Entbindung ohne Schaden überstehen. Wir werden dies um so
leichter tun können, als wir in vielen Fällen wegen frühzeitiger Blu¬
tung bei Placenta praevia in der Schwangerschaft das Schicksal der
Kinder werden vernachlässigen dürfen. Sollte aber exspektatives Ver¬
halten mit Rücksicht auf die Schwangerschaftszeit und das Leben
des Kindes begründet sein, so wird auch der Praktiker auf Überfüh¬
rung in ein Krankenhaus dringen müssen.
Nachdem wir der Kürze halber die Schnittentbindungsverfahren
bei Placenta praevia etwas kursorisch behandelt haben, werden wir
bei den bisher üblichen Entbindungsverfahren, bei denen wir die Blu¬
tung ich möchte sagen auf mechanischem Wege zu stillen versuchen,
etwas ausführlicher besprechen dürfen.
Zunächst die Blasensprengung. Diese läßt sich nur in einer
beschränkten Anzahl von Fällen mit Erfolg zur Ausführung bringen
und zwar vorwiegend bei den Fällen von tiefem Sitz der Placenta
bei Placenta praevia marginalis oder lateralis. Weitere Vorbedin¬
gungen sind, daß die Geburt schon im Gange, der Zervikalkanal mehr
oder weniger erweitert, das Becken normal ist und das Kind in Gerad-
lage liegt. Die Wirkung der Blasensprungeng in diesem Falle müssen
wir uns folgendermaßen vorstellen. Solange das Ei intakt ist, werden
durch die L teruskontraktionen die oben erwähnten Verschiebungen
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zwischen Ei und Gebärmutterwand hervorgerufen; sobald aber die
Blase gesprengt ist, rückt der vorliegende Kindesteil fest in das untere
Uterin-Segment ein und drückt die hier angesiedelte Placenta fest gegen
die Gebärmutterwand an, so daß die Blutung zum Stillstände kommt.
Diese Kompression der Plazenta zwischen vorliegendem Teil und Gebär¬
mutterwand erfolgt besonders stark gerade während der Wehen, d. h.
gerade während des Zeitpunktes, bei dem bei unverletztem Ei der vor¬
liegende Mutterkuchen weiter von der Gebärmutter wand abgelöst werden
könnte. Wir unterstützen demnach durch die Blasensprengung einmal
die natürlichen Geburtsbestrebungen und stillen durch diese Maßnahme
auch in vielen Fällen die Blutung. Die Geburt kann, wenn ein Erfolg
erzielt wird, den Naturkräften überlassen werden.
Da diese Methode aber nur bei leichteren Fällen von Placenta
praevia, und gut vorbereiteten Weichteilen Erfolg zu haben pflegt,
werden wir vielfach mit ihr allein nicht aus kommen. Aus diesen Über¬
legungen heraus entstand die kombinierte Wendung von Braxtor
Hicks, die ja bekanntlich darauf beruht, daß bei nur für zwei Fingei
durchgängigem Zervikalkanal das Kind durch äußeren Handgriff auf
den Steiß gewendet und mit den inneren zwei Fingern ein kindlicher
Fuß heruntergeholt wird. Diese Methode verwendet zur Kompression
des vorliegenden Mutterkuchens den kindlichen Steiß. Sie ist der Blasen-
Sprengung dadurch überlegen, daß wir an dem heruntergeholten Fuß
eventuell eine Handhabe haben, um die Kompression der Plazenta
nach unserem Gutdünken durch Zug- oder Gewichtsbelastung zu ver¬
stärken, so daß wir es sozusagen in der Hand haben, die Quelle der
Blutung zu verstopfen. Ich habe aus der Durchsicht der Literatur
der letzten Jahre die Überzeugung gewonnen, daß in vielen Anstalten,
ganz besonders aber in poliklinischen Betrieben, die doch am meisten
den Verhältnissen der Praxis Rechnung tragen, diese Methode am aller-
häufigsten angewendet wird.
Natürlich ist sie nicht ganz frei von technischen Schwierigkeiten.
Die Wendung an und für sich, d. h. die Umdrehung im Uterus, ist,
da ja wohl fast stets bei stehender Blase operiert wird, leicht; große
Schwierigkeiten kann aber das Durchleiten des Fußes durch den nur
für zwei Finger durchgängigen Zervikalkanal machen. Verschiedene
kleine technische Hilfsmittel, wie Anhaken der Zellen mit einer Kugel¬
zange, Durchdrücken des Fußes durch den Halskanal vom Seheiden-
gewolbe aus, und andere, sind geeignet, auch diese Schwierigkeit zu
überwinden. Gelang es doch sogar besonders geübten Geburtshelfern,
die kombinierte Wendung nur mit einem Finger auszuführen.
Es ist ganz selbstverständlich, daß die Extraktion des Kindes
bei unerweiterten Weichteilen einen schweren Kunstfehler darstellt,
denn die Aufsplitterung des unteren Gebärmutterabschnittes durch den
tiefen Eisitz prädisponiert den unteren Halskanal und den unteren
Gebärmutterabschnitt zu Einrissen, so daß tödliche Verletzungen der
Mutter bei der Extraktion des Kindes unvermeidlich sind. .Es gilt
ja dieserhalb als Schulregel, nach Ausführung der kombinierten Wen¬
dung nur einen so starken Zug anzuwenden, daß die Blutung steht,
die Geburt des Kindes aber den Naturkräften zu überlassen.
Natürlich involviert dieses Vorgehen einen Hauptnachteil dieser
Methode, nämlich, daß die kombinierte Wendung zwar für die Mütter
von segensreicher Wirkung sein kann, für das Kind aber macht, wie
Sellheim sagt, der Geburtshelfer bei diesem Vorgehen „nicht einen
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Über den gegenwärtigen Stand der Placenta praevia-Therapie. 583
Finger krumm“. In der Tat ist die kindliche Mortalität bei diesem
Vorgehen enorm groß, die 60—80%, die Krönig angibt, bestehen für
die kombinierte Wendung zu Recht. Das kindliche Leben wird bei diesem
Verfahren dadurch gefährdet, daß bei der Wendung selbst die Plazenta
erheblich weiter abgelöst werden, wodurch die Atemfläche des Kindes
unter das zum Leben nötige Minimum verkleinert werden kann. Ferner
kommt man bei der Wendung leicht in verhängnisvolle Kollision mit
der Nabelschnur und endlich wird die Verkleinerung des Uterusinhaltes
nach der Wendung die Verbindungen zwischen Plazenta und Uterus¬
wand in zu ausgedehntem Maße lösen können. Es ist aber möglich,
daß die Gefahr für die Kinder durch vorsichtige Manualhilfe hei Geburt
der Schultern und des Kopfes verringert wird.
Wenn wir auch an dieser Stelle nochmals auf die verschiedene
Wertung des mütterlichen und kindlichen Lebens hin weisen und in
Betracht ziehen, daß ein großer Teil der Placenta praevia-Kinder noch
nicht ausgetragen ist, so dürfen wir uns nicht verhehlen, daß dies der
schwächste Punkt der ganzen Methode ist. Es ist aber andererseits
fehlerhaft, wenn die Vertreter der chirurgischen Ära in der Geburts¬
hilfe die Erfolge, die mit der Metreuryse gerade für die Kinder erzielt
worden sind, mit Stillschweigen übergehen. Diese besteht bekannter¬
maßen in der Einführung eines Gummiballons in den Uterus und be¬
zweckt die Stillung der Blutung durch Andrücken der Plazenta an
die Uteruswand mittels dieses eingeführten und mit Flüssigkeit auf-
gefüIlten Ballons. Zu gleicher Zeit dient der Ballon zur Anregung
der Wehen und zur Beschleunigung und Abkürzung des GeburtsVer¬
laufs. Diese Methode wurde zuerst von Maeurer in die Geburtshilfe
eingeführt und weiterhin von Dürssen und der Küstner’schen Schule
ganz besonders propagiert. Die Erfolge, die an der Küstner’schen
Klinik nach den Arbeiten von Hannes erzielt wurden, sind schlagend.
Die Mortalität der Kinder konnte auf 43% herabgedrückt werden.
Pfannenstiel hat nach Abzug der lebensunfähigen Kinder eine Mor¬
talität von 20—23%. Natürlich ist zur Erreichung derartiger Resultate
eine absolute Beherrschung der Technik dieses Verfahrens notwendig.
Der leider zu früh verstorbene Pf annenstiel hat mit präziser Gründ¬
lichkeit gerade diesen Punkt behandelt, und ich glaube dieses Ver¬
fahren am besten mit seinen Worten schildern zu können :
„Der Ballon wird am besten im Spekulum nach Hervorziehen des
Muttermundes eingeführt, nachdem erforderlichenfalls die Zervix mit
Dilatatoren hinreichend erweitert ist. Zur Einführung des Ballons
gehört eine bestimmte Zange; dieselbe soll lang genüg sein, eine Becken-
krümmung haben und an den Innenflächen glatt sein. Man sucht
das Ei zu sprengen und den Ballon in das Ei zu legen. Wenn letz¬
teres nicht gelingen will, 60 kann der Ballon auch unter das Ei in das
Uterus Cavum gelegt werden, ohne daß dadurch ein stärkeres Ablösen
der Plazenta zu befürchten ist. Nur muß die Blase gesprengt sein.
Man sprengt das Ei am besten mittels der mit dem Ballon armierten.
Zange. Man muß darauf Bedacht nehmen, die dünnste Stelle der
Plazenta in der Nähe des Muttermundes zu finden, erforderlichen¬
falls direkt die Plazenta durchbohren. Der Ballon ist in der Regel
mit 500 ccm sterilisierter Kochsalzlösung zu füllen und durch einen
Gewichtezug mit einem Kilo zu belasten. Der Ballon darf nicht nach
einiger Zeit wieder willkürlich entfernt werden, wie das vielfach ge¬
schieht, sondern es soll die Spontangeburt des Ballons abgewartet werden.
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weil dann der Muttermund derartig* erweitert ist, daß die Geburt sofort
beendigt werden kann, was in der Regel durch innere Wendung und
Extraktion geschehen wird.“
Wenn wir die Publikationen der Anhänger der Metreuryse lesen
und wenn wir selbst die nötige Erfahrung gesammelt und die für diese
Manipulation geringe technische Geschicklichkeit erlangt haben, nimmt
es uns Wunder, daß diese Methode immer noch nicht, wenigstens an
sämtlichen Kliniken, Eingang gefunden hat; ja, daß sogar Krönig
sagen kann, daß die Methode ihm nicht das geleistet hat, was ihre
Anhänger versprochen haben.
Obwohl ich persönlich dieses Verfahren bei Plaoenta praevia bevor¬
zuge, so will ich seine Nachteile, deren es doch eine ganz erheb¬
liche Anzahl hat, nicht verschweigen. Einmal wird der Methode zum
Vorwurf gemacht, daß sie komplizierter wie die kombinierte Wendung
ist. Das muß ich unbedingt bestreiten, denn zu beiden Verfahren gehört
eine gewisse Übung. Zweitens wird ihr die Abhängigkeit des Geburts¬
helfers von seinem instrumentellen Material vorgeworfen, im Gegen¬
satz zur kombinierten Wendung, die ohne instrumenteile Hilfsmittel
ausgeführt werden kann. Das ist in der Tat der Hauptnachteil der
Methode, der für die Klinik nicht in die Wagschale fällt, für die Praxis
im Hause dagegen einer genauen Besprechung bedarf. Einmal ist die
Aufbewahrung eines Gummiballons, so daß dieser zur Zeit, wo er ge¬
braucht- wird, intakt ist, für den Praktiker mit gewissen Schwierig¬
keiten verknüpft. Der Vorschlag Zweifels, den Ballon in sterili¬
siertem Glyzerin aufzuheben, ist der einzig zweckmäßige und, soviel
.ich weiß, ist dieser Vorschlag für den Praktiker schon in der Literatur
verwertet worden, indem angegeben worden ist, daß man in einem
Konservenglas mit sterilisiertem Glyzerin den sterilen Ballon fertig
zum Mitnehmen bereitstehen haben kann. So aufbewahrt, hält sich
der Ballon jahrelang, wie ich mich selbst davon überzeugt habe. Ich
benutze zu diesem Behufe ein mit sterilem Glyzerin gefülltes Weck-
sches Konservenglas.
Des weiteren wird der Methode die erhöhte Gefahr der Luft¬
embolie vorgew’orfen. Infolge der Nachbarschaft der Plazentarstelle
mit der Scheide, und da bei Einführung des Ballons die Plazentar¬
haftstelle wohl fast stets gestreift wird, befürchtet man, daß die in
den Falten des zusammenge falteten Ballons ein geführte Luft beim Auf¬
blähen des Ballons in die eröffne ten mütterlichen Gefäße ein ge preßt
werden und so der Tod der Frau an Luftembolie hervorgerufen weiden
kann. Die Erfahrung spricht dagegen. Es sind bei Ausführung der
Metreuryse nicht mehr Todesfälle an Luftembolie vorgekommen, als
bei der kombinierten Wendung, und ob sich diese Fälle bei der Schnitt-
entbindung ganz umgehen ließen, erscheint ebenfalls fraglich.
Ferner wird der Metreuryse eine erhöhte Infektionsgefahr vorge¬
worfen; das Zustandekommen der Infektion entspricht ja dem Zu¬
standekommen der Luftembolie, nur daß statt der Luft Keime an die
Plazentarstelle gebracht werden. Daß natürlich die Einführung des
Ballons unter allen aseptischen Kautelen zu erfolgen hat, hat Pf annen-
stiel schon präzise ausgedrückt. Es wird sich manchmal nicht ver¬
meiden lassen, einzelne Keime aus der Vagina oder der Vulva mit
heraufnehmen. Aber ist denn diese Gefahr bei der Metreuryse größer,
wie bei der kombinierten Wendung? Ich persönlich möchte diese Frage
mit einem strikten „Nein“ beantworten.
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Weiter wird der Metreuryse zur Last gelegt, daß es nach der
Geburt des Ballons von neuem bluten kann. Diese Möglichkeit müssen
wir zugeben, obwohl sie deswegen sehr selten sein wird, weil in vielen
Fällen sich das Kind bei der langsamen Geburt des Metreurynters
von selbst in Geradlage einstellt und der vorangehende Teil die Stelle
des Metreurynters einnimmt. In einigen Fällen kann allerdings gerade
infolge der Metreuryse das Kind in eine Schieflage gebracht werden
und darin auch nach der Geburt des Ballons bleiben. Dann wird sich
allerdings die Blutung wiederholen. Da es sich aber meistens um Mehr¬
gebärende handelt, so gelingt es, wie ich mich selbst häufig überzeugt
habe, in diesen Fällen leicht, durch äußere Wendung eine Geradlage
herzustellen unnd den vorliegenden Teil von außen ins Becken zu
imprimieren. Der Vorwurf, daß bei der Metreuryse nach Ausstoßung
des Ballons stets noch ein zweiter intrauteriner Eingriff vorgenommen
werden muß, entspricht also nicht ganz den Tatsachen. Andererseits
dürfen wir nicht vergessen, daß es sich dann um einen intrauterinen
Eingriff bei vollständig erweiterten Weichteilen handelt, der technisch
leicht und für Mutter und Kind weniger gefährlich ist, als die bei
wenig erweiterten Weich teilen vorzunehmende Wendung nach Brax-
ton Hicks.
Endlich finde ich als Bedenken gegen die Metreuryse angeführt,
daß die Einführung des Ballons eventuell eine weitere Ablösung der
Plazenta herbeiführen soll und daß die Blutung nicht immer nach
Ausführung der Metreuryse steht. Beides möchte ich bezweifeln. Ich
sehe sogar in dem Ausspruch Krönig's einen direkten Selbstwider-
spi*uch, wenn er behauptet, daß die Blutung nach der kombinierten.
Wendung immer stünde, nach Ausführung der Metreuryse nicht immer
In dem einen und dem anderen Falle ist das Prinzip der Blutstillung
gleich, die Möglichkeit einer Kompression der blutenden Stelle durch
Gewichtsbelastung am Ballon oder am herabgeholten Fuß genau die¬
selbe, im Gegenteil, ich möchte annehmen, daß der Braun’sche Gummi¬
bai Ion infolge seiner Konfigurabilität die Blutung sicherer stillen muß,
als der unebene Steiß des Kindes.
Stellen wir diesen Nachteilen der Metreuryse deren Vorteile
gegenüber. Zunächst ist hier anzuführen, daß die Metreuryse für fast
alle Fälle von Placenta praevia paßt, ja, daß sogar in Fällen, in denen
wir die kombinierte Wendung noch nicht ausführen können, der Metreu¬
rynter sich schon einlegen läßt. Denn auch bei engerem Zervikal-
kanal läßt sich meistens, durch Anwendung von Metalldilatatoren der
Zervikalkanal so weit eröffnen, daß die mit dem Ballon armierte Zange
eingeführt werden kann. Zweitens wird die Metreuryse noch Kinder
retten können, die bei der kombinierten Wendung zugrunde gehen.
Das auf den Fuß gewendete Kind geht ja eben häufig lediglich infolge
dieses Eingriffs, weil wir an die Wendung die Extraktion nicht an¬
schließen können und dürfen, zugrunde, während die Metreuryse nur
die Kinder wird nicht retten können, welche lebensunfähig sind, oder
durch die Gefahren der Placenta praevia selbst zu viel gelitten haben,
d. h. die Kinder, bei denen der Ballon die tief inserierende Nabelschnur
komprimiert, und endlich die verbluteten Kinder, bei denen wegen
Placenta praevia totalis bei Einlegen des Ballons durch das Plazentar¬
gewebe eingegangen werden und größere kindliche Plazentargefäße er¬
öffnet werden mußten. Die Kinder, die infolge dieser Umstände zugrunde
gehen, müssen bei der kombinierten Wendung aus den gleichen Gründen
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586 Kurt Frankenstein, Uber den gegenwärtigen Stand der Placentit praevia-Therapie.
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ihr Leben lassen. Daß schließlich diese Methode sich auch in der
geburtshilflichen Hauspraxis in geeigneter Weise durchführen läßt,
hat Füth-Koblenz an seinem allerdings kleinen Material im Jahre
1907 gezeigt, dem wir ja durch seine Arbeit aus dem Jahre 1896 den
ersten Hinweis auf die bedeutend ungünstigeren Verhältnisse bei Pla-
centa praevia in der ländlichen Außenpraxis iin Vergleich zu der
Anstaltspraxis verdanken. Wir müssen also die Metreuryse als die
zurzeit vollkommenste Behandlungsmethode der Placenta praevia
ansehen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich noch einige Bemerkungen
über die Tamponade bei Placenta praevia machen. Die Autoren der
letzten Jahre nennen diese Methode die schlechteste und erkennen sie
als selbständige Behandlungsart der Placenta praevia mit Recht über¬
haupt nicht mehr an. In der Tat gelingt es 'ja niemals, mittels der
Scheidentamponade eine direkte Kompression der blutenden Stelle zu
erzielen, sondern wir versuchen durch Ausstopfung der Scheidengewölbe
die unteren Gebärmutterabschnitte gegen den vorliegenden Teil a-nzu
drücken, was bei stehender Blase in vollkommener Weise niemals ge¬
lingen kann. Es wird also mit der Tamponade sozusagen eine Art
Vogel-Straußpolitik getrieben, die Blutung wird nicht gestillt, sondern
nur das Blut daran gehindert, nach außen zu treten. Das in und über
dem Tampon sich ansammelnde Blut ist ein vorzüglicher Nährboden
für etwa vorhandene Keime, die auch bei aseptischen Tamponadematerial
von der Vulva und den unteren Abschnitten der Vagina in die Höhe
genommen werden können. Würde man hier den. spontanen Geburts¬
verlauf abwarten, so würde die Vermeidung einer Infektion der tief¬
liegenden Plazentarstelle in den meisten Fällen nur einen Glückszufall
darstellen. Aus diesen Überlegungen entspringt die Verurteilung der
Tamponade als selbständige Behandlungsmethode.
Und doch zeigt die genaue Durchsicht der neuesten Literatur,
daß in vielen Fällen, die der Krankenhausbehandlung zugeführt wurden,
zunächst wegen der ersten starken Blutung tamponiert werden mußte.
Wir werden uns auch hier die Frage vorlegen müssen, ob die Tamponade
nicht besser durch die Kolpeuryse, d. h. durch die Einführung des
weichen Gummiballons in die Scheide in ausreichender Weise ersetzt
werden kann. Dieser Vorschlag ist mehrfach in den Publikationen
der letzten Jahre zu finden. Uber die praktische Durchführbarkeit
habe ich selbst als Assistent Erfahrung gesammelt. Auch in diesem
Falle also glaube ich, daß die Anwendung des Gummiballons eine
Besserung der Therapie bei Placenta praevia herbeiführen wird. Ich
brauche kaum hinzuzufügen, daß die Einführung des Kolpeurynters
in die Vagina keine technischen Schwierigkeiten bereitet.
Die Ubereicht über die Placenta-praevia-Literatur der letzten Jakre
hat. also in kurzen Zügen folgende Behänd lungsnormen ergeben : Bei
jeder Placenta praevia soll nach Sicherstellung der Diagnose die Geburt
eingeleitet werden, auch wenn die erste Blutung steht, falls nicht
die äußeren Umstände es gestatten, den Fall ohne Einleitung einer
Therapie der nächsten geburtshilflichen Krankenhaus-Abteilung zur
dauernden Beobachtung zu überweisen. Nötigenfalls ist die Blutung
für den Transport durch Ausführung der Kolpeuryse temporär zu
stillen, falls der behandelnde Arzt es nicht vorzieht, den Fall alleine
im Hause zu erledigen. In letzterem Falle kommt in erster Reihe
die sachgemäße, nach den Vorschriften von Pfannen stiel ausgeführte
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Hugo Stettiner, 40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. 587
Metreuryse in Betracht, die für die überaus größte Zahl der Placenta
praevia-Fälle ausreichend ist. Nur in den Fällen, wo das Instrumen¬
tarium nicht zur Hand ist, die Umstände aber das sofortige Eingreifen
des Arztes verlangen, sollte die kombinierte Wendung nach Braxton
Hi cks angewandt werden.
Auch für die Anstalspraxis kommt in erster Beihe die Metreuryse
in Frage, während die Schnittentbindungsmethoden nur für einige wenige
Fälle geeignet sein dürften. Durch diese Maßnahmen wird es wohl
gelingen, die Mortalitätsziffern der Mütter und der Kinder bei Placenta
praevia noch weiter herabzudrücken.
40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin vom 19.-22. April 1911.
Berichterstatter: Dr. Hugo Stettiner, Berlin.
Der 40. Chirurgenkongreß, dessen Präsenzliste die stattliche Zahl
von 1038 Teilnehmern aufweist, wurde von Rehn (Frankfurt a. M.),
dem derzeitigen Vorsitzenden, mit einer Feier zum Andenken an den
100. Geburtstag v. Langenbecks (9. November 1910), zu welcher die
Angehörigen des Altmeisters der Chirurgie erschienen waren, eröffnet.
Das erste Hauptthema betraf die Desinfektion der Hände
und des Operationsfeldes, sowie die Wundbehandlung. Über
erstere referierte Küttner (Breslau) auf Grund von 210 Antworten
nach Umfrage. Die mangelhafte Desinfizierbarkeit der Haut ist eine
Tatsache, mit der gerechnet werden muß. Sie hat ihren Grund darin,
daß die Zeit, welche man zur Desinfizierung verwendet, nicht
ausreicht, um mit Hilfe unserer Antiseptika Keimfreiheit zu erzielen.
Wirkungsvollere Desinfektionsmittel sind bisher nicht gefunden. Die
neueren Quecksilberpräparate (auch nicht das Sublamin) übertreffen
in keiner Weise das Sublimat. Die Formalinpräparate haben sich nicht
bewährt. Schnellere Abtötung der Bakterien scheinen dagegen die Phe¬
nolpräparate, im besonderen die Halogenderivatc des Phenols hervor¬
zurufen. Ein zweiter Weg, da der chemische nicht zum Ziele führt,
ist der mechanische, welcher ein Festhalten der in der Haut befind¬
lichen Bakterien bewirken will. Die besten Resultate gibt die reine
Alkoholdesinfektion, welche auch zugleich die einfachste Methode ist
und überall durch Verwendung des leicht erreichbaren Brennspiritus
ange wendet werden kann. Bekanntlich findet sie auf «der Bruns’schen
Klinik (Tübingen) ohne vorhergehende Seifenwaschung statt. Sie leistet
mindestens das gleiche, wie die Fürbringer sehe Methode. Keimfreiheit
wird auch durch sie nicht erzielt. Wem die alleinige Waschung mit
Alkohol unsympathisch, möge eine Heißwasserseifenwaschung voran-
gehen lassen, aber auf den Alkohol den Hauptwert legen, auch wenn
er nach Für bringer eine Sublimatwaschung folgen läßt. Der Seifen¬
spiritus schließt in der Umfrage schlecht ab. Das Heusner’sche Jod¬
benzin, besonders nach Zusatz von Paraffinöl, hat sich ebenfalls be¬
währt, tritt aber zur Desinfektion des Operationsfeldes hinter der
Anwendung der Jodtinktur, für welche sich 187 von 210 Chirurgen
ausgesprochen haben, zurück. Die Gefahr des Jodekzems läßt sich
vermeiden, wenn man sich mit Ö°/ 0 iger Jodtinktur begnügt und
stets ein frisches Präparat an wendet, da der in älteren Präparaten frei-
werdende Jodwasserstoff reizend wirkt. Ferner ist das Abwaschen des
Jods von der Haut nach der Operation wichtig. Waschen mit Seife
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und Wasser, bzw. Vollbad ist möglichst auf den Tag vor der Operation
zu verlegen. Der dritte Weg zur Erreichung möglichster Keimfreiheit
ist der der Bedeckung mit undurchlässigen Stoffen: Für das Operations¬
feld ist durchsichtiger Gummistoff, welcher mit Mastix befestigt wird,
empfohlen worden, aber noch nicht viel angewandt. Die verschiedenen
Präparate, welche die Haut mit einer undurchlässigen Masse beziehen
(Chirol, Chirosoter, Mastisol, Dermagummit, Gaudanin usw.) haben
keine allgemeine Anerkennung gefunden, während die Gummihandschuhe
in den dauernden Besitzstand des Chirurgen übergegangen sind und bei
septischen Operationen von fast allen Chirurgen, bei aseptischen von
einer großen Anzahl benutzt werden. Zur Sterilisation hat sich die
Dampfsterilisation am besten bewährt. Jedenfalls können zurzeit fol¬
gende drei Dinge als bleibende festgestellt werden: 1. Die Desinfek¬
tion des Operationsfeldes mit Jodtinktur. 2. Die Alkoholdesinfektion
der Hände und 3. die Anwendung der Gummihandschuhe. In der Dis¬
kussion betont Kocher (Bern), daß der experimentelle Beweis des
Vorzuges der Jodtinktur, dessen desinfizierende Kraft er in eigenen
Versuchen nicht gefunden hat, noch aussteht, während Steinmann
(Bern) auf eine Arbeit Walthers über die bakterizide Wirkung der
Jodtinktur hinweist, v. Öttingen (Berlin) betont, daß Jodtinktur
und Schmutz, was auch Lauenstein (Hamburg) hervorhebt, Feinde
seien und arges Ekzem hervorrufen könnten, weshalb die Methode
der Desinfektion mit Jodtinktur für den Krieg ungeeignet sei. Er
empfiehlt Mastisol. Eine ähnliche Harzlösung empfiehlt auch Hcusner
(Barmen). Letzterer empfiehlt ferner zur Drainierung an Stelle der
leicht zerbrechlichen Glasdrains solche aus Aluminiumspiralen. König
(Greifswald) macht darauf aufmerksam, daß die braune Farbe der
Jodtinktur oft störend, wie z. B. bei Angiomen wirke. Seine Ver¬
suche, an Stelle der Jodtinktur Thymolspiritus zu verwenden, sind
noch nicht abgeschlossen. Thöle (Hannover) glaubt nach seinen Ver¬
suchen nicht, daß es der Jodwasserstoff sei, welcher die Ekzeme mache,
sondern meint, daß die Idiosynkrasie des Patienten hierbei die Haupt'
rolle spiele. Jungengel (Bamberg) hat einen Apparat konstruiert,,
um Joddämpfe in statu nascondi auf die Haut zu bringen. Heinecke
(Leipzig) hat Jodtinktur nicht nur zur Desinfektion des Operationsfeldes,
sondern auch mit gutem Erfolge zur chemischen Desinfektion der
Wunden selbst benutzt. Er warnt davor, Darmschlingen mit der Jod¬
tinktur in Berührung zu bringen, weil dadurch leicht unerwünschte
Adhäsionen entstehen können, eine Warnung, der sich Rehn (Frank¬
furt a. M.) anschließt, während Ho ff mann (Karlsruhe) über Anwen¬
dung von Jodtinktur bei eitrigen Prozessen der Bauchhöhle mit gutem
Erfolg und ohne Nachteile berichtet. Dreyer (Breslau) hat in Kanin¬
chengelenke Staphylokokken und Jodtinktur* injiziert und sah bei den
ohne letztere behandelten Gelenken Eiterung auf treten, bei den anderen
unterbleiben. Zur Frage des Gebrauchs von Handschuhen hat Thöle
(Hannover) Versuche gemacht. Er stellte fest, daß die keimzurückhal¬
tende Wirkung der Alkoholdesinfektion am längsten bei trockner unbe¬
deckter Hand vorhält, etwas weniger lange bei mit trockenen Gummi¬
handschuhen bedeckten, am kürzesten bei Anwendung feuchter Hand¬
schuhe. Blumberg (Berlin) empfiehlt zum Auskochen der Handschuhe
Kettennetze. Er bevorzugt Gummihandschuhe mit etwas rauher Ober¬
fläche. E. Israel (Berlin) betont die Wichtigkeit der glatten Haut
der Hände des Operateurs zur tadellosen Asepsis. Daher verwendet er
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bei Anlegung von Gipsverbänden zur Schonung der Hände wildledeme
Handschuhe. Nötzel (Saarbrücken) kommt bei Besprechung der Wund¬
behandlung infizierter Wunden zu dem Schlüsse, daß die chemi¬
schen Antiseptika einen Einfluß auf die Heilung nicht ausüben. Weder
.Jodoform noch seine Ersatzpräparate, noch auch Perubalsam seien den
sterilen Gazen überlegen. Auch die Bakteriologie habe uns vorläufig
im Stiche gelassen. Entfernung des Schmutzes durch Anfrischung
mit Wasser und Schere, offene Wundbehandlung, kapilläre Drainage,
Entspannungsschnitte, Anlage von Gegenöffnungen führten hier eher
zum Ziele. Nicht missen möchte er das Jodoform bei der Behandlung
der Tuberkulose. Gegen Pyocyaneus-Eiterung hat sich Iso form bewährt.
Das zweite Hauptthema betraf den Morbus Basedowii.
Th. Kocher (Bern) zeichnete das Krankheitsbild nach dem reichen
Schatze seiner Erfahrungen. Stets zeigen sich krankhafte Veränderungen
der Schilddrüse mit Vermehrung der Sekretion und Steigerung des
Jodgehaltes* des abgesonderten Sekretes. Experimentell kann man beim
Tiere die Krankheit durch Einspritzung von Schilddrüsensaft, Schild¬
drüsensubstanz oder Thyreojodin hervorrufen. Unabsichtlich hat
man beim Menschen durch Jodverabreichung dieses Experiment aus¬
geführt. Neben der Vergrößerung der Schilddrüse ist das Blutbild
ein charakteristisches (Leukopenie mit spezieller Verminderung der
polynukleären Neutrophilen, zuweilen verbunden mit einer absoluten
resp. prozentualen Lymphocytose). Hierzu gesellt sich als ein Zeichen
der gegenseitigen Wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion Adrenalin-
ämie. Dieser Blutbefund allein läßt die Diagnose auf Hyperthyreosis
stellen. Beim Morbus Basedowii kommt ferner eine Beschleunigung
des Stoffwechsels hinzu. Die sogenannten Pseudofälle, die von der
Norm abweichenden Fälle sind dadurch bedingt, daß das Schilddrüsen¬
sekret in der einen Reihe der Fälle mehr auf den Sympathikus wirkt,
wodurch Exophthalmus, Tachykardie und Glykosurie das Krankheits¬
bild beherrschen, in anderen Fällen mehr den Vagus reizt, wobei dann
die eben genannten Symptome fehlen können, dagegen Verdauungsstö¬
rungen und das typische Blutbild vorhanden sind. Ätiologisch kommen
hauptsächlich folgende Momente in Betracht: 1. Heftige Gemütser¬
schütterungen, 2. übermäßige Jodzufuhr bei Schilddrüsenerkrankungen
(auch bei Struma maligna). 3. Infektionskrankheiten (im besonderen die
Bakterientoxine der Influenza und des Gelenkrheumatismus), 4. Verände¬
rung der Funktion der Geschlechtsdrüsen (häufiges Auftreten z. Z. der
Pubertät, der Gravidität, des Wochenbettes). Die Behandlung des Mor¬
bus Basedowii soll eine chirurgische sein, und zwar ist möglichst eine
Frühoperation als die gefahrlose und Erfolg versprechende anzustreben.
Kocher selbst hat in 535 Fällen 721 Operationen mit 17 Todesfällen
<3,1 °/ 0 Mortalität) ausgeführt. Von den Gestorbenen erlagen 3 der
Narkose, 3 einer Nephritis, 3 infolge einer Thymus persisteus, 2 einer
Embolie und 6 einer Pneumonie. Thymustod hat Ko eher bei 5 weiteren
Fällen, die nicht zur Operation kamen, beobachtet. Zum Schlüsse warnt
Kocher noch einmal vor der Jodzufuhr bei Erkrankungen der Schild¬
drüse und hebt die günstige Wirkung der Zufuhr von phosphorsaurem
Kalk und überhaupt der Kalksalze hervor. A. Kocher jun. (Bern)
beschreibt die Beziehungen des histologischen zum klinischen Bilde.
Akut auf tretende Fälle haben wenig Colloid, typische Basedowformen
zeigen Zylinderzellenwucherung, atypische Formen unregelmäßige poly¬
morphe Zellenwucherung mit Desquamation des lymphoiden Gewebes.
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Der Jodgehalt ist bei Basedow sehr wechselnd, noch weit mehr, als boi
gewöhnlichen Strumen. Experimentelle Untersuchungen über die
Basedow’sche Krankheit hat Klose (Frankfurt a. M.) an Hunden ange¬
stellt, denen er Preßsaft von menschlicher Basedow-Schilddrüse injizierte.
Intravenöse Jodkalieinspritzungen rufen dasselbe Krankheitsbild hervor.
Er kommt daher zu folgenden Schlüssen: Morbus Basedowii und Hyper-
thyreodismus sind etwas qualitativ Unterschiedliches. Der Morbus
Basedowii, eine Vergiftung mit anorganischem Jod, ist eine D 3 T sthyreosis.
Sie besteht darin, daß die Schilddrüse nicht imstande ist, das Jod als
Jodothyreodin aufzuspeichern, sondern es in einer Form deponiert, welche
leicht anorganisches Jod frei werden läßt. Garre (Bonn) betont, daß
unter den Basedowfällen eine Gruppe besteht, die sich durch die per¬
sistierende Thymus als besonders schwer kennzeichnet. Er hat 65 Fälle
von Basedow operiert und darunter 2 Todesfälle mit persistierender
Thymus zu verzeichnen. In zwei weiteren Fällen hat er durch Thy-
raektomie gute Resultate erzielt, welche sich im besonderen durch Rück¬
bildung des Kocher’schen Blutbildes zeigte, v. Eiseisberg (Wien)
hebt die soziale Indikation zur Operation des Basedow hervor.
Die chirurgische Therapie feiert Erfolge, sei aber auch gefährlich. Er
hat unter 71 Fällen 6 Todesfälle zu verzeichnen. 23 Fälle sind völlig
geheilt mit Ausnahme des Exophthalmus. Die ungeheilten zwei Fälle
sind mit Operationsmethoden behandelt, die heute nicht mehr angewendet
werden. Auch Küttner (Breslau) hat gute Resultate und zwar Dauer¬
resultate zu verzeichnen, 33,2°/ 0 Heilungen, 36°/ 0 weitgehende Besse¬
rungen mit voller Arbeitsfähigkeit, 16,6% gebesserte, 13,8°/ 0 ohne
dauernden Erfolg (z. T. unvollständig operierte), 17,3% Todesfälle.
Auch er hebt hervor, daß der Morbus Basedowii eine chirurgische Erkran¬
kung sei und plaidiert für die Frühoperation. Hildebrand (Berlin)
hat unter 100 Basedowfällen 5 Todesfälle, darunter 2 Thymustodesfälle
erlebt. Er empfiehlt, vor der Operation durch Aufnahme des Elektro¬
kardiogramms sich von der Funktion des Herzmuskels zu überzeugen.
Halstead (Baltimore) spricht über Auftreten und Verhütung von Teta¬
nie nach Entfernung, bzw. Schonung (durch vorsichtiges Präparieren) der
Epithelkörperchen. Uber serologische experimentelle Untersuchungen bei
Morbus Basedowii berichtet Wolf sohn (Berlin). Schulze (Berlin) hat im
Röntgenbilde die Thymus dargestellt und unter 20 Fällen 18 mal, unter
9 Todesfällen 8 mal ihre Persistenz nachgewiesen. Gegegenüber Riedel
(Jena), welcher das Schreckgespenst des Thymustodes ironisiert, hebt
Garre (Bonn) noch einmal die Bedeutung der Thymus persistens hervor.
Heidenheim (Worms) berichtet über einen Fall von Myxödem, in
welchem er durch tägliche Darreichung von 0,1 Thyreojodin gute Er¬
folge erzielte. Nach Implantation eines Basedowkropfes blieb das Be¬
finden drei Monate hindurch gut. Dann trat ein Rezidiv auf, so daß
wiederum Thyreojodin gereicht werden mußte. Jetzt genügte aber die
selbe Dosis alle Übertage, um das Wohlbefinden der Patientin zu
erhalten. Im Anschluß hieran berichtet Martens (Berlin) über einen
Fall, in welchem er bei Lähmung beider nn. recurrentes und dadurch
bedingter Atemnot den rechten Laryngeus nach dem Vorschläge
von Grabower durchschnitten und dadurch ein Ab weichen de.«
Stimmbandes nach außen und Linderung der Atemnot erzielt habe.
Dollinger (Budapest) hat in besonders schweren Fällen von Exoph¬
thalmus mit seinen unangenehmen Folgeerscheinungen die laterale
Knochenwand der Orbit entfernt und dadurch ein Ausweichen des
Bulbus auch nach der Seite ermöglicht.
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Das dritte Hauptthema betraf die freien Transplantationen
(Lexer-Jena) und neue Wege der plastischen Chirurgie (König-
Greifswald). Da es sich hier um mehr technische Fragen handelt,
sei dem Wunsche der Redaktion gemäß hierauf nicht ausführlich ein¬
gegangen. Der erste Redner besprach die Hautverpflanzungen, bei
welchen die Autoplastik die zuverlässigsten Resultate gibt, da bisher
kein einwandfreier Beweis geliefert ist, daß fremde, wenn auch art-
gleiche Epidermis, mit Ausnahme der fötalen, anheilt, die Schleim¬
hauttransplantationen unter Vorstellung eines Falles von Implan¬
tation des von der Serosa entblößten Wurmfortsatzes in einen Defekt
der Harnröhre (in gleicher Weise auch von Streißler (Graz) ausge¬
führt.), die Fettransplantationen zur Unterpolsterung eingesunkener
Stellen im Gesicht, zum Ersatz der amputierten Mamma, zur Verhin¬
derung von Knochen Verwachsungen untereinander und mit der Dura,
die Gefäßtranöplantationen einmal zum Ersatz resezierter Gefäße
(Fall von Lexer, Ersatz der Arterie durch die V. saphena) — auch
nur als Autoplastik mit Erfolg verwendbar — zweitens als Ersatz
röhrenförmiger Gebilde (bei Hypospadia perinealis zuerst vom Refe¬
renten und anderen, jetzt von v. Eiseisberg-Wien aus der V. saphena
und Bakes-Brünn aus der V. basilica ausgeführt), als Drainage bei
Hydrozejphalus, drittens als Ersatz für Nervendefekte (Muskeln und
Nerven sind zur Autoplastik nicht geeignet), die Faszien und Periost-
verp flanzungen, die freien Sehnentransplantionen, unter
denen mehrere gelungene Fälle zum Ersatz der durch Eiterung zerstörten
Fingersehnen allgemeines Interesse beanspruchen, die Knochen-, Knor¬
pel- und Gelenktransplantationen. Erstere werden aus mit Periost
gedecktem lebenden Knochen, mit Vorsicht auch aus Leichenknochen
vorgenommen. Ein Fall von v. Haberer (Wien) zeigt, daß auch hier
die Autoplastik den Vorzug verdient. Küttner (Breslau) hat gute
Erfolge mit Transplantation des oberen Femurendes aus der Leiche
erzielt. Stieda (Halle) fand noch nach 12 Jahren bei totem Knochen
keine Umwandlung in lebendigen Knochen. Zur Knorpeltransplantation
eignet sich am besten die Rippe, doch kann man auch, wie Schmieden
( Berlin) betont, Knorpel ohne Perichondrium transplantieren. En der-
len (Würzburg) fügt dem bekannten Lexer’schen Falle zwei weitere
gelungene Fälle von Kniegelenktransplantation hinzu. Die Organ¬
transplantationen bieten, wie Lexer ausführt, vorläufig wenig gün¬
stige Aussichten. In Betracht kommt hier nur die Homoplastik. Ge¬
lungen ist sie bei Organen mit innerer Sekretion. Die klinischen Symp¬
tome, welche dazu Veranlassung geben, besserten sich zunächst. Später
aber scheint eine Resorption eingetreten zu sein. Die Organtransplan¬
tation mittels Gefäßnaht ist bisher nur autoplastisch geglückt. Viel¬
leicht geben hier experimentelle Untersuchungen mit Parabiose usw.
Anregungen zur Ausschaltung der Fehlerquellen. Auf die experimen¬
tellen Versuche von Schöne (Marburg) über Transplantationen mit
artgleichem und artfremdem Gewebe, von Rehn (Jena) über freie
Gewebsplantation, welcher u. a. die Anwendung des Horn als Knochen¬
ersatz empfiehlt und die zahlreichen kasuistischen Mitteilungen sei hier
nur hingewiesen. Einen weiteren Fortschritt in der plastischen Chirurgie
verspricht das von Fritz König (Greifswald) inaugurierte und von
ihm und Hohmeier (Greifswald) durch zahlreiche Experimente erprobte
Verfahren der Verlötung und Überbrückung. Dasselbe besteht darin,
daß Stückchen der Faszia lata oder ähnlichem Gewebe über defekte
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oder unsichere Nahtstellen gelegt und mit einer dichten fortlaufenden
Katgutnaht befestigt werden. Beim Menschen hat sich das Verfahren
bewährt zur Sicherung der Urethralnaht bei Hypospadie, der Blasen¬
naht bei Sectio alt.a, der End- zu Endvereinigung nach Resectio recti
und kann weiter bei perforierten Magengeschwüren, bei Darmnähten u. a.
verwendet werden. Hohmeier betont namentlich auch die gelungenen
Experimente zur Schließung von Defekten der Luft- und Speiseröhre
durch Überbrückung.
Das vierte Hauptthema betraf die Frage der chronischen Appen¬
dizitis, das Coecum mobile und die Obstipation. Wilms (Heidel¬
berg) glaubt, daß wir verschiedene Krankheitsbilder fälschlich unter dem
Begriffe der chronischen Appendizitis zusammenfassen. Neben den Ver¬
wachsungen im Gebiete des Wurmfortsatzes, des Zökums und Colon
ascendcns, neben den Knickungen und Drehungen am Zökum bis hin au 1
zur Flexura hepatica, welche einen Darmverschluß herbeiführen können,
finden wir in einer Anzahl der Fälle (30°/ 0 der Fälle, die wir als
chronische Appendizitis operieren) nichts weiter, als ein Coecum mobile,
(las die Störungen hervorruft. In einer Anzahl von Fällen, nämlich
wenn der Wurmfortsatz mit kurzem Mcsenteriolum hinter dem Darm¬
lumen liegt und von dem langen nach unten ziehenden Zökum gezerrt,
wird, werden wir durch die Appendektomie durch Beseitigung dieses
Zügels Heilung erzielen, weil die Zerrungsschmerzen nunmehr aufhören.
In anderen Fällen aber ist der Appendix völlig frei, das Zökum dagegen
sehr beweglich und erweitert. Wie das Röntgenbild lehrt, bleibt der
Darminhalt 24—48 Stunden im Zökum; wie das Tierexperiment zeigt,
handelt es sich um Spasmen, um antiperistaltische Bewegungen, unter
denen der Inhält im Zökum stagniert, eine Drehung und Zerrung
desselben und des Mesenteriums (Schinerzattacken) herbeigeführt wird,
zu denen sich entzündliche Prozesse gesellen. Das klinische Bild
besteht also ähnlich dem der chronischen Appendizitis in Sehinerzan-
fällen und Obstipation. Zur Differentialdiagnostik ist der lokale Be¬
fund, welcher das erweiterte Zökum bei Berührung als eine gurrende
Geschwulst nach weisen läßt, und das Röntgenbild unbedingt erfor¬
derlich. Therapeutisch soll man in diesen Fällen, wenn die interne
Therapie im Stiche läßt, neben der Appendektomie die retroperitoneale
Fixation des Zökums vornehmen, womit Wilms in 75 °/ 0 der Fälle
Heilung, d. h. Beseitigung der Schmerzen und der Obstipation erreicht
hat. Auch die Raffung des Zökums kommt für eine Anzahl von Fällen
in Betracht und bei sehr großem Zökum eine Ausschaltung desselben
durch Anastomose zwischen Ileum und Colon transversum. Nicht be¬
einflußt werden durch die Operation diejenigen Fälle, in denen die
Schmerzen psychogener Natur sind. Beschränkten sich die Ausfüh¬
rungen von Wilms auf das Zökum und Colon ascendens, so sprach
de Quervain (Basel) zur chirurgischen Behandlung schwerer
Funktionsstörungen des Dickdarms überhaupt. Er betont die
Schwierigkeit der Diagnose und die Wichtigkeit des Röntgenbildes,
durch welches das lange Verweilen der Bismutmasse im oberen Teile
des Dickdarms nachgewiesen wird. Die Kolopexie, die Anlegung eines
Anus praeternaturalis sind ungenügende bzw. verstümmelnde Opera¬
tionen. Die Ausschaltung des ganzen Dickdarms hat durch Rückstau¬
ung zu mannigfachen Störungen und sekundären Operationen (wie
Riedel-Jena mitteilt, in einem von ihm beobachteten Falle zu neun
schweren Nachoperationen) geführt. Größere Dickdamresektionen haben
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gleichfalls (speziell bei Gemüsekost und Gemütsbewegungen) zu schweren
Störungen Anlaß gegeben. De Quervain führt daher jetzt in solchen
Fällen, wenn die Operation notwendig ist, die Ileo-transversostomie aus,
durch welche auch die Obstipation beseitigt wird. Stierlin (Basel)
erläutert die von Wilms und de Quervain ausgeführten Operationen
und ihre Erfolge an Röntgenbildern, welche nach 4, 8, 12, 24 bis 48
Stunden aufgenommen, vor der Operation das allzu lange Verweilen
des Bismuts im Zökum und Kolon zeigen, was nach der Operation
aufgehört hatte. Sonnenburg (Berlin) mahnt zur Vorsicht bei der
Deutung der Röntgenaufnahmen. Er hält ein bewegliches Zökum eher
für einen Vorteil. Wohl kann das Krankheitsbild der chronischen
Appendizitis durch einen Katarrh des Zökums oder eine Kolitis vor¬
getäuscht werden. Aber das Coecum mobile will er als Krankheitsbild
nicht anerkennen. Auch Dreyer (Breslau) hält das Coecum mobile
nicht für etwas Krankhaftes und betont gleich Fromme (Berlin) die
Wichtigkeit eines beweglichen Zökums für die Gravidität. Körte
(Berlin) fürchtet, daß nach den Ausführungen Wilms wieder das Bild
der Typhlitis stercoralis auf leben könnte. Operationen bei chronischer
Appendizitis führt er nicht allein auf Schmerzen hin aus, sondern nur,
wenn deutliche akute Anfälle beobachtet sind. In demselben Sinne
spricht sich auch Sprengel (Braunschweig) aus, welcher betont, daß
die Bewegung durch den Darm desto schneller ist, je beweglicher
derselbe ist. Alexander (Leipzig) weist darauf hin, daß man oft
bei als durch chronische Appendizitis bedingten Schmerzen bei gynä-
kologischer Untersuchung Schwellungen der sympathischen Ganglien
findet. In diesen Fällen kann man durch Massage Heilung erzielen*
Klose (Frankfurt a. M.) hat auch das Krankheitsbild des Coecum
mobile, wie auch Rehn (Frankfurt a. M.) beobachtet. Er be¬
tont die Bedeutung mechanischer Momente, besonders der Torsion,
welche die Beschwerden veranlassen. Daher empfiehlt es sich, das
Zökum und das ganze Oolon ascendens an der seitlichen Bauch wand
zu fixieren. In ähnlicher Weise könnte eine chirurgische Behandlung
der Enteroptose überhaupt vorgenommen -werden. Arthur Sohle'
singer (Berlin) will in einem Teil der Fälle die Beschwerden als durch
Enteroptnse bedingt auffassen. Sie können dann durch Tragen von Heft¬
pflasterbinden beseitigt werden. Voelcker (Heidelberg) zieht der
Fixation des Zökums die Raffung desselben durch von Tänie zu
Tänie ausgeführte Raffnähte vor.
Im Anschluß daran berichtet Goebell (Kiel) über Beseitigung
durch Houst.on’sche Klappen verursachten Obstipation durch Anle¬
gung von Klemmen im Proktoskop. Hof mann (Offenburg) teilt seine
in 150 Fällen gewonnenen Erfahrungen über das Rovsing’sehe Symptom
mit. Es besteht zu Recht, hat. aber keine pafhognomische Bedeutung für
Appendizitis. Stierlin (Basel) spricht über die radiographische Dia¬
gnostik der Ileozökaltuberkulöse und andere ulzerative und indurative
Dickdarmprozesse. Die betreffenden ergriffenen Darmpartien werden
von den Stuhlmassen schnell durcheilt. Infolgedessen befinden sich bei
Röntgenaufnahmen nach 5 bis' 6 Stunden an diesen Stellen keine Bismut¬
massen, während die gesunden Stellen Doch leicht Bismutschatten auf¬
weisen. (Schluß folgt).
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
E. Sachs (Königsberg), Zur Frage der prognostischen Bedeutung des
Übertritts von Keimen ins Blut. (Münchn. med. Wochenschr., S. 348, 1911.)
Bekanntlich ist die prognostische Bedeutung des Nachweises von pathogenen
Keimen im Blute bei Puerperalfieber noch sehr umstritten. S. kommt nun
auf Grund der neuesten Literatur und durch Beobachtung geeigneter Fälle
zu dem Schlüsse, daß der Übertritt von Keimen ins Blut auf mechanischem
Wege und durch Resorption zustande kommen kann. Mit den mechanisch
verschleppten und den im Stadium der „akuten Resorption“ eingedrungenen
Keimen wird der Organismus leicht fertig. Der Keimnachweis im Blute
im Stadium der „chronischen Resorption“ ist dagegen prognostisch sehr
ungünstig. Frankenstein (Köln).
Uhlenhuth (Groß-Lichterfelde), Die Chemotherapie der Spirillosen.
(Med. Klinik, Nr. 5, 1911.) „Das Verdienst gehört dem Vorgänger, wenn es
auch der Nachfolger besser macht.“ 1 ) Gegen diesen alten arabischen Spruch
haben sich Ehrlich-Hata vergangen, indem sie die Untersuchungen von
Uhlenhuth und seinen Mitarbeitern über den Einfluß des Atoxyls — der
Muttersubstanz von 606 — auf Spirillosen mit Stillschweigen übergehen.
Tatsächlich war die experimentelle Grundlage für die organische Arsen-
therapie der Spirillosen bereits gelegt, als Ehrlich sich der Angelegenheit
zuwendete. Man kann über die dermaligen Erfolge dieser Therapie denken,
was man will: den entscheidenden Gedanken, die wesentliche Konzeption wird
man Uhlenhuth nicht abstreiten dürfen, wenn es auch seine Nachfolger
besser machen sollten. Tatsächlich legt Uhlenhuth allenthalben eine
besonnene Kritik, das Zeichen des wahrhaft wissenschaftlichen Denkens,
an den Tag. Er glaubt nicht au eine Therapia sterilisans magna mit einer
Spritze, erkennt vielmehr in der Propagation solcher Illusionen eine soziale
Gefahr, weil die Betreffenden dann leichtsinnig gegen sich und andere werden.
Die große Anzahl der Rezidive gibt ihm zu denken und mag wohl mit die
Vorstellung gezeitigt haben, daß die Arsenpräparate gar nicht direkt auf
die Spirillen wirken, sondern indirekt, indem sie die Körperzellen zur Pro¬
duktion keimtötender Stoffe anreizen. Ich halte diesen Gedanken für ebenso
genial wie den anderen, das Arsen in organischer Verbindung anzuwenden,
und wünsche nur, daß Uhlenhuth in ruhiger Forschung ihn erfolgreich
ausbauen möge. Buttersack (Berlin).
Innere Medizin.
R. Debr£, La mgningite cör£bro-spinaIe proIongSe ä forme cachectisante.
(These de Paris, 8. Februar 1911.) Es ist ein Verdienst von Debre, auf
Meningitisformen hinge wiesen zu haben — man vergl. auch seinen Aufsatz
in der Presse medicale, September 1910 —, welche nicht glatt in Heilung
oder Tod ausgehen, sondern bei denen die Krankheit nach glücklich über¬
standenem akuten Stadium noch weiterglimmt und bald zu gelegentlichen
Exazerbationen führt, bald eine mehr stille, kachektische Form annimmt.
Klinische Zeichen dafür sind allerlei Atrophien, psychische Störungen.
Paresen der Sphinkteren, Alterationen des Allgemeinbefindens: schließlich
sogar intellektuelle und sensorielle Insuffizienzen.
Die Lumbalpunktion fördert einen Liquor cerebro-spinalis zutage,
welcher reich an Lymphozyten, aber keimfrei ist.
Pathologisch-anatomisch finden sich allerlei Verdickungen und Trü¬
bungen der Hirnhäute, über Gehirn und Rückenmark, Verwachsungen, welche
*) Job. Ludw. Burckhardt, Arabische Sprichwörter oder die Sitten und
Gebräuche der neueren Agyptier, erklärt aus den zu Kairo umlaufenden Sprüch-
wörtern. Weimar 1834. Nr. 494.
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Referate und Besprechungen.
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zu Abkapselungen führten, Ödem und Hydrozephalus, Entzündungen im
Wurzelgebiet, an den Intervertebralganglien, ja sogar polyneuritische Er¬
scheinungen. —
Ohne Zweifel sind diese Mitteilungen überaus lehrreich. Allein außer
den Fällen, welche gelegentlich der Obduktion „exakt“ durchforscht werden
können, kommen glücklicherweise auch solche vor, bei welchen das Leben
erhalten blieb und welche mithin der „exakten“ Forschung entgehen. Hier
bleibt nichts übrig, als die Methode deo* Analogie heranzuziehen und mit
Residuen zu rechnen, welche zwar den Bestand des Organismus nicht be¬
drohen, aber doch zu Änderungen im Spiel der Funktionen führen. Da diese
Änderungen im Verlaufe des Lebens nicht immer in gleicher Weise sich be-
merklich machen, vielmehr erst allmählich sinnfällig in die Erscheinung
treten, so wird der biologisch denkende Arzt gut tun, bei allen Patienten,
welche seine Hilfe wegen Störungen im Nervensystem suchen, an derlei
weitzurückliegende Schädigungen zu denken. Daß sich dieses Prinzip auch
auf die anderen Organe bzw. Systeme übertragen läßt, leuchtet ohne weiteres
ein: manche Streitfrage, z. B. aus dem Gebiete der Ätiologie und Therapie,
würde darin ihre Erledigung finden. Buttersack (Berlin).
N. Cahn (Berlin), Beitrag zur Erklärung der Hypertrophia cordis
bei Nephritis. (Wiener klinische Rundschau, Nr. 21/27, 1910.) Die Elastizität
ist ein Faktor, welcher in der Physiologie in befremdlicher Weise übersehen
worden ist. Aber soweit meine Erfahrungen reichen, erkennen ihn die
meisten schnell an, sobald sie darauf aufmerksam gemacht worden sind,
obwohl keinerlei geistreiche Hypothese oder mystische Vorstellung damit
verbunden ist. N. Cahn hat es unternommen, die Bedeutung der Elastizität
im Krankheitsbilde der sog. Nephritis auf Grund klinischer Beobachtungen
und experimenteller Versuche zu studieren und kommt dabei zu dem Resul¬
tat, „daß bei der Nephritis im Blute Toxine kreisen müssen, welche die Elasti¬
zität der Gewebe beeinflussen, indem sie den Koeffizienten herabsetzen und
wahrscheinlich auch den Index“. Es würde sich daraus dann die Auffassung
ableiten lassen, daß das, was wir Nephritis nennen, nicht sowohl eine Lokal-
eckrankung der Nieren, sondern eine Allgemeinerkrankung darstellt, deren
Lokalisation in den Nieren nur ein Glied in der Kette der pathologischen
Vorgänge ist; und in der Tat hat es berühmte Kliniker gegeben, welche
solch eine Anschauungsweise vertraten.
Die C a h n’sche Abhandlung enthält eine Reihe feiner Beobachtungen
und Bemerkungen, z. B. daß die Elastizität des Körpers nicht an eine be¬
stimmte Gewebsart gebunden sei, sondern sich aus der (Spezial-)Elastizität
verschiedener Gewebselemente mit verschiedenen Elastizitätskoeffizienten zu-
sammensetze. Auf diese Weise bleibe dauernd ein bestimmtes elastisches Opti¬
mum gewährleistet.
Im Lichte einer solchen Betrachtungsweise erscheinen die bisher
üblichen chemischen und physikalischen Theorien der Hypertrophie des
linken Herzens bei Nephritis eng und unzulänglich. Gewiß hatten sie seiner¬
zeit ihre Berechtigung: wenn wir sie heute kritisch betrachten, so kommt
darin nur der Fortschritt, die Erweiterung des wissenschaftlichen Horizontes
zum Ausdruck (K. E. v. B a e r). • Buttersack (Berlin).
Garrod (St. Bartholomew’s Hospital), Auskultation von Gelenken.
(The Lancet, 21. Januar 1911.) Mit einem biaurikulären Stethoskop, dessen
Hördose einen Kautschuk Verschluß trägt, kann man so ziemlich alle Ge¬
lenke auskultieren und auf diese Weise auch geringfügige Rauhigkeiten
der Gelenkflächen, Sklerosen der Gelenkbänder usw. erkennen, welche sich
sonst dem klinischen Nachweis entziehen und trotzdem dem Pat. Beschwerden
verursachen.
Die Methode der Gelenkauskultation ist nicht gerade neu; ich selbst
bediene mich ihrer mit Vorteil bei Kreuzschmerzen und Rückensteifigkeit.
Allein man vernimmt doch gern wieder ihr Lob: denn schon Empedokles
gestattete, „zweimal auszusprechen, was schön ist“. Buttersack (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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J. Nicolas u. Favre (Lyon), Syphilis und Tuberkulose. (Bull. med.,
Nr. 12, S. 115, 1911.) Auch; 'der ernsteste Forscher wird sich dem Humor
nicht entziehen können, der in den Arbeiten der beiden Forscher von Lyon
liegt. Zuerst hatten eie festgestellt, daß die histiologische Untersuchung
keine sichere Entscheidung zwischen Syphilis oder Tuberkulose bringe, wenn
es sich um zweifelhafte Affektionen der Haut oder Schleimhäute handle.
Darauf probierten sie es mit den Tuberkulinproben nach Mantoux, Pir¬
quet, R. Koch; allein auch eie bringen nicht die gesuchte Klarheit:
einerseits reagieren syphilitische Affektionen beinahe ebenso wie tuberkulöse,
andererseits stellen sich auch bei reinen Syphilitikern jedes Stadiums auf
Tuberkulininjektionen beträchtliche Temperaturschwankungen ein.
Sollten diese Mitteilungen sich bestätigen, was vorerst noch unwahr¬
scheinlich ist, dann wäre die moderne Forschung in eine fatale Situation
geraten, aus welcher sie sich bloß durch die Annahme retten könnte, daß im
Grunde jeder Mensch gleichzeitig ein bißchen tuberkulös und ein bißchen
syphilitisch sei. Buttersack (Berlin).
O. v. Fürth und C. Schwarz, Über die Hemmung der Adrenalinglykos-
urie durch Pankreaspräparate. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 4, 1911.)
Die von Zuelzer entdeckte und sogar therapeutisch verwertete Tatsache,
daß die Injektion von Pankreaspräparaten die Adrenalinglykosurie hemmt,
war allgemein als Folge einer ganz spezifischen Organwirkung des Pankreas
gedeutet worden. Fürth und Schwarz haben dagegen feststellen können,
daß die intraperitoneale Injektion von Terpentinöl oder Aleuronat die Adre¬
nalinglykosurie ebenso prompt hemmt. Die gemeinsame Wirkung der intra¬
peritonealen Injektionen von Pankreasgewebe einerseits, von jenen indiffe¬
renten Stoffen andererseits beruht auf einer Schädigung der Nierentätigkeit
durch den peritonealen Reiz: wir finden eine Verminderung der N- und CI*
Ausscheidung, und ebenso wie für diese Stoffe wird die Niere auch für die
Zuckerausscheidung insuffizient, während der Blutzucker steigt. Aber nicht
nur für die intraperitoneale, sondern auch für die intravenöse Pankreaszufuhr
brauchen wir eine spezifische Pankreaswirkung nicht, da wir wissen, daß
Schädlichkeiten der verschiedensten Art imstande sind, die Adrenalinglyko¬
surie zu hemmen, so Fieber, Diuresenhemmung, Injektion von Witte-Pepton,
Hirudin usw. M. Kaufmann.
A. Weichselbaum, Über die Veränderungen des Pankreas bei Diabetes
mellitus. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 5, 1911.) Verf. hat bei 183 Diabe¬
tikern und einer noch größeren Anzahl von Nichtdiabetikern das Pankreas
untersucht und kommt auf Grund dieser Untersuchungen zu dem Schlüsse,
daß die anatomische Ursache des Diabetes in Veränderungen der Langer haJiß-
schen Inseln zu suchen ist. Und zwar kann man je nach der Art dieser Ver¬
änderungen drei Formen des menschlichen 'Diabetes unterscheiden: Die erste
ist durch hydropische Degeneration der Inseln oder durch eine aus letzterer
entstehende Atrophie derselben charakterisiert. Diese Form bevorzugt das
jugendliche Alter und trägt klinisch meist einen schweren Charakter. Die
zweite Form ist durch eine \ r on einer chronischen interstitiellen Pankreatitis
abhängige Sklerose und Atrophie der Inseln charakterisiert. Sie bevorzugt
das höhere Alter und ist sehr fiägfig mit Sklerose der Pankreas arteriell,
meist einer Teilerscheinung allgemeiner Arteriosklerose, verbunden. Meist
besteht dabei eine Lipoinatose des Pankreas. Diese Fälle sind gewöhnlich
gutartig. Die Arteriosklerose spielt bei ihrer Entstehung wahrscheinlich
eine Rolle. Die dritte Form ist durch hyaline Degeneration der Inseln
charakterisiert; sie ist meitet mit der zweiten Form kombiniert; jedoch sind
diese Fälle weniger gutartig. M. Kaufmann.
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Referate und Besprechungen.
507
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Donald hat in 16 Fällen frühzeitiger Menopause infolge chirurgischer
Intervention einen Extrakt des Corp. luteum vom Ovarium der Kuh
(0.3 dreimal täglich) angewandt und in 7% der Fälle eine erhebliche Milde¬
rung der Beschwerden festgestellt. Der Erfolg war um so besser, je früher
die Behandlung einsetzte; in alten Fällen blieb er ganz aus. Ebenso verzeich-
nete er bei ungenügender Menstruation günstige Ergebnisse: Zunahme hin¬
sichtlich Dauer und Quantität. (Les nouv. remedes, Nr. 5, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
M. Makkas, Hernia uteri inguinalis bilateralis. (Deutsche Zeitschr.
für Chir., Bd. 106, S. 401.) Eine 47 jährige Frau geht mit beiderseitigem
Leistenbruch der Bonner chirurgischen Klinik zu; links findet sich ein über
gänseeigroßer prall elastischer nicht reponierbarer Tumor (Diagnose: Netz¬
hernie); rechts eine walnußgroße reponible Geschwulst. Bei der Operation
zeigt sich, daß im linken Bruch Ovarien, Tube und ein ca. 6 cm langes
Uterushorn, im rechten Bruch das rechte Uterushorn liegt, von welchem
ein 7—8 cm langer bleistiftdicker Strang zum rechten Uterushorn hin-
zieht. Reposition der Organe. Vernähung der Bruchpforten. Die gynäko¬
logische Untersuchung wies an Stelle der Scheide einen Blindsack nach,
welcher sich 7—8 cm einstülpen ließ.
Einseitige inguinale Uterushernien finden sich in der Literatur in
27 Fällen: die Doppelseitigkeit der Hernie stempelt den Fall, nach den stati¬
stischen Feststellungen des Verf., zu einem Unikum. Kayser (Köln).
Hall empfiehlt beim Erbrechen der Schwangeren als wirksamstes Mittel
(ohne Rezidive) das Validol (0,3—0,5 l /s Stunde vor jeder Mahlzeit), gleich¬
gültig ob das Erbrechen reflektorischen, neurotischen oder toxämischen Ur¬
sprungs ist. Notwendig ist dabei die Einhaltung allgemeiner hygienischer
Regeln, namentlich die Offenhaltung des Leibes (Purgative, Laxantien oder
rektale Applikationen). Bei Fällen reflektorischen Ursprungs leisten außer
Sedativa auch Morphiumsuppositorien, Laudanumumschläge oder die Eisblase
gute Dienste. Gelegentlich sieht man auch von Menthol 1,0: 60,0 Aq. und
30,0 Spir. vini) gute Erfolge, es ist aber unangenehm zu nehmen. Audi
3,5 Tropfen Chloroform auf Zucker bringen in manchen Fällen Besserung.
(Les nouv. remedes, Nr. 4, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Max Henkel (Jena), Über die Wechselbeziehung zwischen Uterus und
Ovarien, ein Beitrag zur Behandlung gynäkologischer Blutungen. (Münchn.
med. Wochenschr., S. 337, 1911.) H. versucht der Frage näher zu treten,
welche Wechselbeziehungen zwischen Ovarien und Uterus die menstruellen
Blutungen beeinflussen können. Er spricht dabei lediglich von den nicht
primären Blutungen (Polypen, Myomen usw.) und schließt auch die durch
Erkrankungen des Gesamtorganismus bedingten Blutungen aus.
Vielmehr handelt es sich hier um Ovarialveränderungen, oft nicht
direkt anatomischer Natur, welche die menstruelle Blutung beeinflussen
können. Wenn zu viele Follikel sich zugleich entwickeln oder zugleich
ihre Tätigkeit einstellen, können unregelmässige Blutungen eintreten. Eine
Vergrößerung der Ovarien kann ebenso Dysmenorrhöe hervorrufen, wie eine
Hypoplasie der Organe. Derartige Beobachtungen lassen sich oft erheben.
Auf diesen Punkt werden wir also zu achten haben. Wie weit H.
therapeutisch mit diesen Erfahrungen seinen Patienten hat nützen können,
wird er unter Darlegung seines Materials zu beweisen haben.
Frankenstein (Köln).
F. Falk u. O. Hesky (Wien), Ammoniak-, Aminosäuren- und Peptid¬
stickstoff im Harn Gravider. (Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 71, S. 261,
1910.) Der Stickstoff des Harns Gravider zeigt gewisse Abänderungen, und
zwar eine relative Vermehrung gegenüber dein nicht schwangeren Zustand.
Die Steigerung kann bis auf das 2—3fache der Norm gehen und findet
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Referate und Besprechungen.
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sich beim Aminosäurenstickstoff in 73°/ 0 , beim Peptidstickstoff in 76%
der Fälle. Nach der Entbindung sinkt der Peptidstickstoff rasch bedeutend
unter die Norm herab, nur bei Eklamptischen bleibt er oft noch stark ver¬
mehrt und nimmt ganz allmählich ab. Die Vermehrung des Aminosäuren-N.
ist auf Leberschädigung, die des Peptid-N. vielleicht auf gesteigerte Aus¬
fuhr gepaarter aromatischer Säuren zurückzuführen.
H. Vierordt (Tübingen).
E. Roth (Hamburg, früher Dresden), Weitere Erfahrungen über die
Eklampsiebehandlung nach Stroganoff. (Münchn. med. Wochenschr., S. 247,
1911.) R. hat sich einer sehr dankenswerten Aufgabe unterzogen, als er
die Eklampsiebehandlung nach Stroganoff an 50 Fällen der Dresdener
Klinik nachprüfte. St. verzichtet bekanntlich auf das Accouchement force,
sondern behandelt symptomatisch. Er schaltet alle äußeren Reize aus
(Dunkelzimmer, Ruhe, Reinigung und Untersuchung in Narkose) und
gibt nach einem genauen Schema bei Übernahme der Behandlung 0,015
Morphium, nach 1 Stunde 2,0 Chloralhydrat, nach 3 Stunden 0,015 Mor¬
phium, nach 7 Stunden 2,0 Chloralhydrat, nach 1,3 und 21 Stunden je
1,5 Chloralhydrat. Falls ein leichter Eingriff die Beendigung der Geburt
ermöglicht, wird dieser vorgenommen.
Die Erfolge waren in Dresden recht befriedigend (8% mütterliche,
18,6% kindliche Mortalität).
Jedenfalls können wir sagen, daß das Accouchement force für die
erfolgreiche Behandlung der Eklampsie nicht unbedingt nötig ist. Gerade
für den Praktiker wird die Eklampsiebehandlung nach Stroganoff gute
Dienste leisten. Frankenstein (Köln).
A. Rose (New York), Weibliche Frigidität und die Therapie derselben.
(New Yorker med. Wochenschr., Nr. 11, 1910.) Die bei 45% der Frauen be¬
stehende Frigidität ist, wie Rose ausführt, der häufigste Grund zur un¬
glücklichen Ehe. Über ihre Entstehung sagt er mit Paul folgendes: Die
durch die Jahrhunderte kultivierte Anschauung, daß der Geschlechtstrieb
die sündige Veranlagung der Menschen, die Erbsünde schlechthin darstelle,
konnte nicht ohne Folgen für die Geschlechtsempfindung des Weibes bleiben.
Die durch Generationen geübte Zurückhaltung (in der es noch dadurch be¬
stärkt, wird, daß es für die Folgen des Kopulationsaktes fast allein aufzu¬
kommen und alle Gefahren der Fortpflanzung zu tragen hat) muß nach den
Gesetzen der Vererbung die Veranlagung selbst beeinflussen. Dazu kommt
noch die Einwirkung der Zivilisation und Überkultur und besonders die damit
im Zusammenhang stehenden Nervenstörungen.
Therapeutisch würden gegen Sterilität, die ja oft durch Frigidität be¬
dingt ist, von alters her C0 2 -Bäder angewandt (z. B. Emser Bubenquelle“).
R. hat dafür das trockene CO a -Bad eingeführt: Indem die Patientin,
ohne sich zu entkleiden, in einem metallenen Badekasten Platz nimmt, läßt
sie das Gas aus einem gewöhnlichen, flüssige C0 2 enthaltenden Zylinder
bis zur Brusthöhe einströmen. R. sehiebt die mit dieser Einrichtung bei
Frigidität, Amenorrhoe, Neurasthenie und Hysterie erreichten Erfolge vor
allem der Wirkung der CO* auf Zirkulation und Nervensystem zu. Esch.
W. Hammer (Berlin), Über Vaginismus. (Deutsche Ärztezeitung, Nr. 23,
1910.) Im Gegensatz zu Walthard (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 39,
1909), der den Vaginismus als eine „Phobie“ hingestellt hatte (die man
durch Überzeugung der Frau von der Irrtümlichkeit dieser Phobie, durch
Entspannung der Beckenausgangsmuskeln mittels bewußter Spannung der
Bauchmuskeln, endlich durch „Erziehung zu einem gesunden Stoizismus“
beseitigen könne), spricht Hammer sich dahin aus. daß eine Hauptursache
für den Vaginismus in der Selbstbefleckung liege. Bei Überreizung infolge
derselben zeige sich überempfindlichkeit der äußeren Schamteile, Schmerz¬
haftigkeit des Hymens, Unempfindlichkeit der inneren Teile. Freude beim
Gedanken an Schmerzzufügung. Grauen beim Gedanken an die Kohabitation.
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Bücherschau.
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Als ..seit Jahrhunderten bewährte“ Gegenmittel empfiehlt er: 1. beide Gatten
mögen sich zur Ruhe begeben ohne die Absicht der Kohabitation; 2. bei
Schmerzwollustvorstellungen tatsächliche Zufügung unschädlichen Schmerzes;
3. Thure-Brandt’sche innere Massage usw., vor allem aber Unterlassen der
Selbstbefleckung.
H. hat seine Hinweise veröffentlicht, „weil zahlreiche Ärzte auf diesem
Gebiete völlige Laien sind“. Esch.
Bücherschau.
Fr. Erhard (Frankfurt a. M), Gesundheitslehre für Ärzte und andere gescheite
Leute. München 1911. Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 90 S.
Man kann die dermalige Medizin mit einem ausgedehnten Maulwurfsbau
vergleichen, in welchem jeder Einzelne seine Stollen möglichst tief zu treiben sucht.
Aber je besser ihm das gelingt, um so weiter entfernt er sich von den andern und
von dem gemeinsamen Ausgangspunkt. Es ist eng und dumpf und dunkel da
unten und nur mit Widerstreben kriecht der eine oder andere nach. Fr. Erhard
führt uns statt dessen aus dem Bereich dunkler Hypothesen an das helle w r arme
Licht des realen Lebens, und so sehr haben wir uns an das düstere, halbdunkle
Zwielicht verworrener, sich gegenseitig widersprechender Spekulationen gewöhnt,
daß wir uns zuerst die Augen reiben müssen, ehe wir uns da oben wieder zurecht
linden. Freilich, was er da vorträgt, ist alles viel zu natürlich, zu selbstverständlich,
als daß man es geistreich nennen könnte. Mirabeau würde darin seinen Wunsch
erfüllt sehen: „Nous voulons faire des mödecins utiles, et non des m^decins propres
a briller dans les cercles.“ Was würde aus den wissenschaftlichen Vereinen, Kon¬
gressen usw'., wenn nur noch der gemeine Menschenverstand gepredigt würde?
Sie sind allerdings unumgänglich erforderlich; denn der Fortschritt ergibt sich
nur als Resultat divergierender Meinungen. Aber von Zeit zu Zeit ist es doch an¬
gezeigt, daß man sich aus dem Gewühl des Kampfes und aus der Tiefe der Stollen
an die Oberfläche begibt und von einem erhöhten Standpunkt eine neue orientierende
Übersicht gewinnt. Die Schrift von Erhard ist in gleicher Weise amüsant wie
horizont-erweiternd geschrieben. Ich kann sie jedem zur Lektüre empfehlen gemäß
der Einladung des Horaz an Torquatus: ,.Und dem Staube der Akten, wenn der
Klient dir die Tür bewacht, entschlüpfe nach hinten!“ Buttersack (Berlin).
Boruttau und Mann, Handbuch der gesamten medizinischen Anwendung der
Elektrizität einschließlich der Röntgenlehre. Bd. 1. Leipzig 1909. Verlag von
W Klinkhardt. 599 S. 30 Mk.
Das vorliegende Werk gibt zum ersten Male die rein wissenschaftliche und
die medizinisch-praktische Elektrizitätslehre in einheitlicher Darstellung. Es ist
dabei Rücksicht darauf genommen, den praktischen Gesichtspunkten ebenso wie
der Vollständigkeit in der Darstellung des Gebietes gerecht zu werden. Das Be¬
dürfnis nach einem solchen Werke dürfte wohl im Hinblick auf den großen Aus¬
bau, den das Gebiet in den letzten Jahren sowohl in theoretischer wie namentlich
in therapeutischer Beziehung gefunden hat, von niemandem geleugnet werden. Da,
wo es notwendig ist, ist bis auf die letzte Grundlage der Elektrophysik und
Elektrochemie in knapper und anschaulicher Form zurückgegriffen worden und es
ist gerade durch diese schätzenswerten Ausführungen auch dem physikalisch weniger
gebildeten Arzt möglich, sich überall über die Grundlage bestimmter Vorgänge zu
orientieren. Die reine Theorie und der Hinweis auf die mathematischen Formeln
und Gesetze ist dabei auf das Notwendigste beschränkt. Den Inhalt des 1. Bandes
Bildet die Darstellung der Grundlagen aus der physikalischen Elektrizitätslehre,
Elektrostatik, Magnetismus, Elektro-Magnetismus, Elektrolyse, Thermo-Elektrizität,
elektrische Messungen, elektromagnetische Induktionen, Wechselströme, elektrische
Schwingungen und elektrische Wellen, die elektrischen Entladungen in Gasen.
Dieser Abschnitt ist von Starke in Greifswald. Den 2. Abschnitt bildet die Dar¬
stellung der physikalischen Chemie und Elektro-Medizin von Bredig, der namentlich
eine Theorie der Lösungen, elektrische Endosmose und Kataphorese, eine Dar¬
stellung über das Wesen der Kolloide u. a. enthält. Der wichtige Abschnitt über
die physikalisch-chemische Theorie der elektrischen Nervenreizung ist von Nernst
geschrieben. Auf diese Grundlage hauen sich nun die Darstellungen der allgemeinen
medizinischen Elektrotechnik und Elektrophvsiologie auf, die Darstellung der bio¬
elektrischen Erscheinungen und der physiologischen Wirkungen der Elektrizität.
Pie Veränderungen dieser letzteren Faktoren bilden den ersten Teil der Elektro-
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«00
Bücher schau.
Pathologie, diese Kapitel sind von Boruttau. Den Schluß des umfangreichen
Bande» bildet die Darstellung der Schädigungen der Elektrizität von ßattelli.
Die Einteilung läßt zwei wesentliche Eigenschaften des Werkes erkennen, einmal
die Absicht, einen klaren Aufbau des ganzen gewaltigen Gebietes zu geben, und
dann die Einzelheiten des Gebietes selbst für die praktischen Bedürfnisse dar¬
zustellen. Das Werk wird in der Hand keines Arztes, der mit Elektrizität zu
arbeiten hat, fehlen können. H. Vogt (Frankfurt a. M l
0. Rigler (Darmstadt), G. Beck8 Therapeutischer Almanaoh. 38. Jahrgang.
1. Semesterheft. Leipzig 1911. Verlag von B. Konegen. 228 S. 2 Mk.
Dieser Almanach bringt in zweckmäßiger Anordnung eine Übersicht über die
wichtigsten therapeutischen Errungenschaften des verflossenen Jahres. Aus der
Hochflut der Publikationen ist mit großem Verständnis das ausgewählt worden, was
eine wirkliche Bereicherung unserer Erkenntnisse vorstellt, und das ist auch mit
genügender Ausführlichkeit dargestellt, sodaß sich das Büchlein weiterhin besonders
für praktische Ärzte bewähren wird. W. Guttmanu.
Wilhelm Hagen, Über akute chirurgische Infektionskrankheiten. (Würzburger
Abhandlungen, Bd. 10. H. 12.) Würzburg 1910. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Ver¬
lag). 38 S. 85 Pfg.
Fortbildungsvortrag, der unter Berücksichtigung auch der neuesten thera¬
peutischen Lehreu seinen Zweck wohl erfüllt. Werner Wolflf (Leipzig).
Otfried Müller u. E. Veiel, Beiträge zur Kreislaufphysiologie des Menschen. 1. Teil.
Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 606/608. Leipzig. Verlag von Joh. Ambr. Bartl).
Diese Beiträge stellen das Ergebnis der seit längerer Zeit methodisch ange-
stellten Versuche in der Tübinger Klinik dar. Wasser-, C0 2 - und O-Bäder sind
dazu benutzt worden, um die Grundlagen zu teilweise neuen Anschauungen zu bilden
In Kürze seien die Schlußfolgerungen zusammeugefaßt:
1. Auch beim Menschen gibt es einen ausgesprochenen Antagonismus zwischen
äußeren und inneren Blutgebieten.
2. Erweitern sich die Gefäße der Peripherie, so kontrahieren sich die des
Innern und umgekehrt.
3. Bei der Bestimmung des Blutdrucks der größeren Arterien ist aber weniger
zu fragen nach dem jeweiligen Gefäßkaliber des Splanchnikusgebiets (Bauch¬
höhle), als danach: wie verhält sich dessen Tonus.
4. Ist dieser erhalten, so kann trotz zunehmender Weite bzw. Füllung der
von ihm versorgten Gefäße der Blutdruck in der Peripherie steigen (kalte Bäder).
5. Steigt der Tonus der Splanchnikusgefäße und verengern 9ich diese außer¬
dem, so steigt naturgemäß der Blutdruck umsomehr.
6. Sinkt dagegen der Tonus und erweitern sich die Splanchnikusgefäße, so
sinkt auch der Blutdruck der größeren Arterien der Peripherie.
7. Die Gefäße der Peripherie des menschlichen Körpers reagieren auf
thermische Reize „vom Scheitel bis zur Sohle“ gleichsinnig (kleine Anomalien
ausgenommen), d. h. sie verengern sich alle oder erweitern sich — je nach dem
Reiz — in gleicher Weise (siehe unter 11).
8. Auch die Gefäße des Gehirns besitzen vasomotorische Nerven.
9. Auch sie reagieren im allgemeinen umgekehrt, wie die Gefäße der äußeren
Bedeckungen. Doch ist vor einer schematischen Auffassung, besonders bei psychi¬
schen Zustandsveränderungen, zu warnen.
10. Die Hirngefäße spielen im allgemeinen Haushalt der Blutverteilung
quantitativ keine sehr große Rolle.
11. Die Gefäße der gesamten Körperoberfläche kontrahieren sich bei einem
äußeren Kaltreiz, und erweitern sich bei einem Warmreiz.
12. Dettweiler’s Auffassung „Abhärtung ist nichts anderes als die Reiz¬
empfänglichkeit gewisser Hautstellen durch sehr allmähliche, die wirkliche Aus¬
lösungsschwelle nicht übei sch reitende Gewöhnung abzustumpfen und dadurch die
gewohnte Bahn gewissermaßen außer Übung zu setzen“, läßt sich heut bis zu einem
gewissen Grade experimentell nachweisen.
Interessant bei diesen Darlegungen der Verfasser ist ihr Eingeständnis: „Trotz
an wachsender Erkenntnis ist und bleibt die Therapie eine Kunst und nicht der
pathologische Physiologe .... wird je imstande sein, in kranken Tagen wirksam
einzugreifen, sondern allein der zwar biologisch geschulte, aber vor allen Dingen
empirisch erfahrene und feinfühlig tastende Arzt.“
Die hervorragende Arbeit wird noch manchen Streit entfesseln untF verdient
besonders von allen hydrotherapeutisch arbeitenden Ärzten — trotz des manchmal
wenig präzisen Ausdrucks — im Original gelesen zu werden. Krebs (Falkenstein).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
?ort$cbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her&usgegeben von
Professor Dr. 8. Köster Prio.-Doz. Dr. o. eriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von ft Mark
Nr. 26. I T a f 29. Juni.
] =—r Verlag von Georg Thieme, Leipzig. = ||
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Psychologie des einzigen und des Lieblingskindes.
Von Dr. J. Sadger, Nervenarzt in Wien.
Der Titel meines heutigen Themas „Zur Psychologie des einzigen
und des Lieblingskindes" ist im Grunde viel zu enge gefaßt. Denn für
das Verständnis solcher Kinderseelen ganz unerläßlich ist, vorerst die
jeweiligen Eltern zu erforschen. Oder schärfer präzisiert: Die Psycho¬
logie des einzigen wie des Lieblingskindes fängt bei der Psychologie der
Eltern an. Und wer erkennen will, warum sich jene einzigen Spröß-
linge so eigenartig und, wie ich gleich vorwegnehmen will, in der Kegel
gar so unglücklich entwickeln, der muß zunächst die Seelen ihrer Väter
und Mütter studieren.
Um den Dingen gleich ins Herz zu greifen, jene Kinder sind da¬
durch vor allem gefährdet, daß sie buchstäblich die Geliebten ihrer Eltern
werden, zumal des andersgeschlechtlichen Teils, in selteneren Fällen je¬
doch auch beider oder nur des gleichgeschlechtlichen Partners. Es ent¬
wickelt sich meist von allem Anfang ein regelrechtes Liebesverhältnis
mit unbegrenzter Zärtlichkeit, ewigem Kosen und unendlicher Liebe, ja
sogar das Grobsinnnliclie mangelt da nie, wenn man auch nicht gerade
direkt an Blutschande zu denken braucht. Besonders exponiert sind einzige
oder Lieblingsknaben, weil der Vater auch dann, wenn er sein Töchter¬
lein noch so innig liebt, doch meist infolge seines Berufes viel weniger
um dieses zu sein vermag, als die zur Kindespflege bekanntlich von Natur
vorbestimmte Mutter. Beiden Eltern gemeinsam ist häufig der Umstand,
daß sie die Kiudeszeit künstlich zu verlängern trachten. Die Mädchen
z. B. müssen weit über das entsprechende Alter ganz kurze Böcke, die
Buben zunächst das geschlechtslose Kleidchen fast bis zur 1. Elementar¬
klasse tragen und itiindestens ebensolang, nicht selten noch darüber ganz
lange Locken, bis sie zum Gespött der Kollegen werden. Wieder andere
Eltern ziehen noch die 13, 14jährigen Jungen gern auf den Schoß oder
auf die Knie, vielleicht noch unter lebhaftem Bedauern, daß sie nicht
mehr klein sind, wie damals, da die infantilen Perversitäten der p. t. Eltern
als Vater- oder Mutterliebe so hoch in Kurs standen. Sämtliche Kinder
haben die Neigung, mehr Liebe zu verlangen, als ihnen die Großen ge¬
währen können. Einzige oder Lieblingskinder jedoch werden durch die
Verziehung von seiten beider Eltern in diesem Verlangen geradezu un¬
ersättlich gemacht. Die ganze Welt hat nicht soviel Liebe als solch ein
Geschöpf im Laufe seines Erdenwallens zu konsumieren vermag. Nimmt
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602
J. Sadger,
man dazu, daß jene Kinder meist von Haus aus verstärkte Erotik auf¬
weisen, das Belastungssymptom der enorm gesteigerten Geschlechtsbedürf¬
tigkeit, so begreift sich sofort, daß sie zu den verschiedenen Psychoneurosen,
auf welche ich hier nicht näher eingehe, besonders disponiert sind, frei¬
lich auch noch zu anderen Formen, von denen ich später handeln werde.
Gehen wir nunmehr dem individuellen Einflüsse nach, den Vater
oder Mutter auf den Sprößling ausüben, so darf man immerhin behaup¬
ten, die Liebe des erstem ist wie die des Mannes überhaupt weit simpler
geartet, weshalb ich sie kürzer besprechen kann. Die Wirkung auf die
Tochter wird gewöhnlich erst in der Pubertät offensichtlich, wenn die
notwendige Ablösung vom Vater schlecht gelingt. Das Mädchen
verhält sich entweder in der Wahl des Künftigen dermaßen kritisch, daß
sie überhaupt nicht zum Heiraten kommt, oder, wenn sie schon wählt,
bloß den vom Vater dringendst Empfohlenen, nicht aber einem wirk¬
lichen Herzenszug folgend. Und sie bleibt dann auch in der Ehe immer
eine „kalte Natur“, die bestenfalls ihre hausfraulichen, sowie Mutter¬
pflichten sorgfältig, ja überpeinlich erfüllt, dem Mann aber nie die Geliebte
wird. Stirbt vollends der Vater, welcher diese Ehe zusammengehalten,
daun kommt es nicht selten zu Scheidung und Trennung, weil der einzige
Kitt nun hinweggefallen.
Etwas anders gestaltet sich dieses Bild, wenn der Vater nicht selber
seine Tochter zu einer Ehe drängt, sondern, wie dies auch gar nicht selten
vorkommt, ihre Liebe dauernd für sich beansprucht und ihre Jugend
ruhig verkümmern läßt, zumal wenn sein Weib ihm schon früh gestorben.
Mitunter steht schon zu Lebzeiten der Mutter seine Liebe zur Tochter
in vollem Saft. Das junge heranblühende Mädchen gefällt ihm begreif¬
licherweise um vieles besser, als seine eigne schon welkende Frau. Ist
er nun vollends Witwer geworden, so entpuppt er sich als der ausge¬
sprochene Liebhaber seiner Tochter 1 ), welcher jeglichen Freier ingrimmig
haßt und durch sein direkt abweisendes Betragen in der Regel auch glück¬
lich zu verscheuchen verstellt. Da ist keiner ihm gut genug für sein
herrliches Mädel, jeder soll sich womöglich auf der Stelle erklären, sonst
habe er in seinem Haus nichts zu suchen, und weil man die Katze doch
nicht im Sacke zu kaufen Lu3t hat, zieht jeder mögliche Bräutigam sich
vor dem knurrenden Alten zurück. Diese Väter sind völlig blind dafür,
daß ihre Töchter allmählig verkümmern. „Das Mädel hat noch immer
Zeit genug zu heiraten, wenn ich nicht mehr bin“, ist die beliebte egoisti¬
sche Phrase, mit der man ein Weib um seine Zukunft betrügt.
Ist schon der Vater geradezu eifersüchtig auf seine Tochter, so die
liebende Mutter auf den einzigen Sohn noch hundertmal mehr und —
weit raffinierter. Vorausgeschickt muß werden, daß abgesehen von jenen
doch seltenen Fällen, wo der Mann sein Weib in der Brautnacht gleich¬
zeitig schwängert und mit Gonokokken infiziert, gewöhnlich die Frau
schuldtragend ist, wenn sie nicht mehr als 1 Kind besitzt. Warum nun
mögen so viele Frauen nicht mehr als eins? Der vorgeschützte Grund,
sie wollten die Beschwerden der Schwangerschaft und Entbindung nicht
nochmals durchmachen, ist ganz durchsichtig ebenso Wind, als die an¬
gebliche Sorge um die materielle Sicherstellung ihrer Sprößliuge. Die
wahre Ursache liegt weit tiefer. Es sind das fast ausnahmslos solche
Frauen, die zum Manne keine rechte Liebe haben oder wenigstens zu
*) Liebhaber natürlich mit gehemmtem Sexualziel.
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Zur Psychologie des einzigen und des Lieblingskindes.
603
dem eigenen Gatten, und denen der Geschlechtsverkehr, zumindest wieder
mit diesem Mann, so gut wie keinen Genuß gewährt. Solche Gattinnen
unterdrücken früher oder später ihre normale Sexualität, sofern sie sie
überhaupt noch in die Ehe mitgebracht haben, und ziehen sich auf das
so beliebte „Mutterglück“ zurück, d. h. die Betätigung von Perversionen
aus ihrer eigenen unvergessenen Kindheit. Am häufigsten auf die Anal-
und Urethralerotik, in zweiter Linie noch auf die Schau- und Exhibitions¬
lust. Man sehe diesen Frauen nur zu, wie eifersüchtig sie ihr Mutter-
recht wahren, die wenig appetitlichen Verrichtungen der Kinderpflege
selbst zu besorgen. Wie sie sich von niemanden nehmen lassen, ihre
Kleinen von den Spuren des Stoffwechsels zu säubern, wie sie ihr nacktes
Fleisch küssen, oft an den allerintimsten Partien, und dann vor dem
Gatten und aller Welt das vielbeliebte Paraderoß reiten der hohen und
reinen Mütterlichkeit. Was solch eine Frau mit aller Kraft ihrer Seele
anstrebt, ist protrahierte Mutterlust. Um auf ihre Perversitäten
bei dem eigenen Kind nicht allzurasch verzichten zu müssen, trachtet
sie z. B., es möglichst lange von der analen Selbständigkeit zurückzu¬
halten und weit über das physiologische Alter hinaus noch selber auf
den Topf zu setzen. Daneben tätschelt oder sülllägt sie es gern auf das
womöglich nackte Gesäß, auf welches sie ehedem mit wahrer Inbrunst ihre
Küsse drückte. Ihre Exhibitionslust offenbart sich darin, daß sie an¬
geblich aus pädagogischen Gründen, um das unschuldige Kind ja nicht
aufmerksam zu machen, sich ungeniert vor ihm aus- und anzieht, auch
lialbentblößt wäscht, ja sogar auf den Topf geht. Besonders raffiniert
sind jene Mütter, die den Toiletten Wechsel untertags just dann bei un-
versperrter Türe vornehmen, wenn sie glauben, daß der heranwachsende
Sohn sie überraschen könnte. Ähnliche Überraschungen finden auch statt,
wenn sie mit Vorliebe die Klosettür abzuriegeln „vergessen“.
Ich bin hier unversehens in ein weiteres, neues Kapitel geraten.
Die vorbesprochnen Mütter erziehen ihre Kinder nicht zum Kampf ums
Dasein, sondern einzig und allein zu ihrem Liebhaber, ausschließlich für
sich und ihre meist uneingestandenen Lüste. Den Liebhaber, welchen sie
immer gesucht und auch im Ehemann nicht gefunden haben, den soll der
Sohn ihnen jetzt ersetzen, zumal wenn der Gatte noch früh gestorben. 1 )
Dem Heranwachsenden redet sie gerne ein, daß sie, die alleinstehende,
haltlose Frau, einen Helfer und Beschützer brauche, und hindert ihn meist
mit glänzendem Erfolg, sich einen eigenen Hausstand zu gründen. Aber
schon viel früher baut ihre stets rege Eifersucht vor. Nicht einmal in
die Schule schickt sie ihn gerne, weil er da bloß schlechtes Beispiel sehe
und Kinderkrankheiten nach Hause schleppe. Viel besser sei ein mög¬
lichst langer Haus-Unterricht, von einem erfahrnen Pädagogen erteilt.
Auf der Ga«se darf jener mit Altersgenossen natürlich nicht spielen, weil
keine Gesellschaft ihr gut genug ist. Ganz besonders aber erheischt sein
Wohl, ihn frühzeitig vom Weibe fernzuhalten. Immer wieder gibt sie
ihrem Liebling zu hören, er solle sich nicht wegwerfen, sich beileibe
nicht etwa eine Krankheit holen. Oder einem anständigen Mädchen
gegenüber: „Kompromittiere dich nicht, sonst mußt du sie heiraten!“
und ähnliche Wendungen. Überhaupt stellt sie alle Erotik gern als etwas
Lächerliches und Verwerfliches hin und erzählt mit Nachdruck, wie die
Damen sich über jene amüsieren, die ihnen den Hof machen, und
die Männer rein zum besten halten. Verliebt sich der Sohn aber trotz-
*) Natürlich handelt es sich auch liier um Liebe mit gehemmten Sexualziel.
51*
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604
J. Sadger,
dem ernstlich oder denkt er die Geliebte gar heimzuführen, dann wird
mit eins die typische Schwiegermutter lebendig, der kein weibliches
Wesen auf Erden genügt für die Trefflichkeit ihres einzigen Kindes. An
jeder hat sie da etwas zu mäkeln und jene zu freien, wäre direkt ein
Unglück. Bleibt jede doch hinter dem Ideal zurück, auf das ihr Sohn
einen Anspruch besitzt und welches im Grunde bloß eine einzige auf Erden
erfüllt: sie selber nämlich, was sie freilich auszusprechen sich hütet.
In den Kindern entstehen durch diese Erziehung besondere Charakter¬
eigentümlichkeiten, welche für das Leben oft verhängnisvoll werden. Auf
einiges wies ich schon früher hin, vor allem die Gefahr, daß ihre in der
Regel schon konstitutionell verstärkte Erotik sich durch die Verziehung
ganz maßlos steigert und jene in der Liebe unersättlich werden, was den
Boden zu der Psychoneurose pflügt. In der Regel gelingt die notwendige
Ablösung von den Eltern überhaupt nicht mehr und die SprÖßlinge jagen
zeitlebens einem Ideale nach, das einzig nur für das Kind existierte: der
Sohn unablässig dem besonders hohen und vornehmen Weib, natürlich
der Mutter, wie er sie in zartester Jugend geschaut, die Tochter hin¬
wieder einem Urbild der Männlichkeit, dem Vater nachgebildet, wie er
ihr mit drei Jahren so herrlich erschienen. Das kaon soweit gehen, was
ich aus Geständnissen von Kranken weiß, daß vornehme Damen, Damen
von Welt, für sie den Geschlechtsreiz völlig verlieren, ihnen viel zu hoch
stehen für die Intimitäten des Ehelebens. Diese Männer bleiben dann
höchstens für Mädchen aus dem Volke potent, wenn nicht gar bloß für
Dirnen. Daß mit solchen unsterblichen Kindheitseindrücken die Bedin¬
gungen einerseits für psychische Impotenz, andrerseits zur natura frigida
gegeben, liegt auf der Hand. Und hier stehen wir vor der vielleicht
wichtigsten, allerhäufigsten und schwersten Konsequenz, die das einzige
oder Lieblingskind trifft: es läuft um vieles größere Gefahr, eine psy¬
chische Impotenz zu akquirieren oder, wenn’s ein Mädchen, eine natura
frigida zu werden, die in der Liebe ganz unempfindlich bleibt, als ein
Sproß aus kinderreicher Familie. Je mehr die Eltern ihre Liebe auf ein
Einziges konzentrieren, je mehr ein Partner, vom Gatten enttäuscht, das
Kind nunmehr zum Gotte erhebt, desto dräuender wächst dann diese
Gefahr. Befördert wird sie ferner noch dadurch, daß der wohltätig korri¬
gierende Einfluß sowohl der Geschwister wie der Altersgenossen teils
überhaupt fehlt, teils häufig künstlich ferngehalten wird. Nichts Ärgeres
kann einem Kind begegnen, als die stete Gesellschaft von großen Leuten,
zumal von solchen, die es ständig verzärteln. Eine Reihe von Geschwistern
wirkt schon darum allein wohltätig, weil sie die Liebe der Eltern ver¬
teilt, die Väter und Mütter außer stand setzt, ihre ganze brünstige, ver¬
hängnisvolle Neigung auf ein einziges zu werfen.
Ehe noch die Verlötung an Mutter oder Vater die Impotenz des
Sohnes oder die sexuelle Anästhesie der Tochter erzeugt, haben beide
schon andere schwere Folgen von der elterlichen Zärtlichkeit davon¬
getragen. Wir wissen, eine der wichtigsten Aufgaben, an die das Fort¬
schreiten der Kultur gebunden, ist die Sublimierung des Sexualtriebs,
in erster Linie seiner perversen Formen, die ja beim Kinde noch ganz
normal sind. Diese unbedingt nötige Sublimierung mindestens aufgehalten,
zum Teil sogar verschüttet zu haben, ist das Verdienst solch liebender
Eltern. Auch ein Kind, das gar nicht bewußt erzogen wird, entwickelt
allmählig von selber Ekel- und Schamgefühl und moralische Vorstellungen.
Eine gute Erziehung kann dies nur vertiefen, eine schlechte jedoch —
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Zur Psychologie des einzigen und des Liebliugskindes.
605
und die schlechteste ist die verliebter Eltern — jene Selbstentwicklung
auch dauernd hemmen. Viel leichter als gar nicht erzogene Kinder be¬
halten solche Liebesobjekte ein großes Stück Perversität für das ganze
Leben, wobei noch obendrein das Abbiegen des Geschlechtstriebs ins
normale Geleise beträchtlich erschwert ist. Auch von dieser Seite also
wird der Boden zur Impotenz und Anästhesia sexualis schon früh be¬
ackert. Nimmt man dazu, daß solche Nachkommen in eminentester Weise
den * nachträglichen Gehorsam“ für die Worte ihrer Eltern aufweisen,
zumal für die absprechenden Bemerkungen der Mutter in Sachen der
Erotik, so wird mancher verblüffende Charakterzug jetzt gut verständlich.
Eine Perversität, die im Säuglings- und ersten Kindesalter einfach
normal ist und eine notwendige Übergangsstufe zur physiologischen Sexual¬
entwicklung, heischt hier noch eine besondere Besprechung: ich meine
den Autoerotismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Ganz
kurz sei die Masturbation abgetan. So häufig, ja beinahe regelmäßig
diese mindest in der Jugend nachzuweisen ist, will mich doch bedünken,
daß die solitäre Onanie bei einzigen sowie den Lieblingskindern eine
ausnehmend bedeutsame Rolle spielt, vielleicht darum, weil für deren
Masturbationsphantasien dauernd nur ein einziges Objekt existiert: die
eigenen Eltern. Wichtiger jedoch erscheint mir ein anderes. Wir wissen,
das Kind hat normalerweise zwei allererste Sexualobjekte: sich selbst und
die Mutter (bei Mädchen eventuell auch noch den Vater). Mit beiden
muß es fertig werden, soll die physiologische Geschlechtsentwicklung keine
Störung erfahren. Just die Überwindung dieser beiden primären, auf die
Dauer aber ungeeigneten Liebesobjekte ist bei einzigen sowie Lieblings¬
kindern bedenklich gehemmt, ja, bleibt nicht selten vollständig aus. Von
dem Autoerotismus wissen wir heute, daß seine Persistenz bei entsprechen¬
den organischen Vorbedingungen zur Dementia praecox zu führen ver¬
mag, was zunächst von Freud, dann von Abraham ausgesprochen wurde,
und worauf ein beginnender Hebeplirene mit noch unversehrter Intelligenz,
den ich in diesem Sommer behandelte, ganz von selber verfiel. Die zweite
Gefahr, zu welcher dann freilich auch wieder eine Disposition gehört,
ist das Umschlagen in dauernde Homosexualität.
Ich will hier gleich dem Einwand begegnen, daß auch Kinder aus
kinderreichen Familien an psychischer Impotenz, Dementia praecox und
Homosexualität erkranken. Das ist sicher ganz richtig und soll durch¬
aus nicht bestritten werden. Ich behaupte hier lediglich, daß einzige,
sowie Lieblingskinder in diesen drei Punkten noch mehr gefährdet, gerade
durch ihre exzeptionelle Stellung in der Familie, vor allem durch die
Überzärtlichkeit der Eltern besonders disponiert sind für jene obgenannten
Affektionen.
Ich wüßte meinen kurzen, ganz flüchtigen Ausführungen, die nicht
mehr sein wollen, als eine Anregung, kaum besser zu schließen, als mit
den Worten eines modernen Schriftstellers: „Man soll den Kindern so¬
viel Freiheit wie möglich wahren, man soll sie ihrer Wege gehen lassen,
sie weder ängstlich behüten, noch in eine bestimmte Richtung drängen.
Wenn die Erwachsenen einmal die Kinder in Ruhe lassen werden, erst
dann ist das Zeitalter des Kindes gekommen’“ 1 )
*) Dr. Fritz Wittels „Die sexuelle Not“, S. 104.
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606
P. Seliger,
Beitrag zur Ätiologie der peritonealen Sepsis bei nicht den Darm
perforierenden Verletzungen.
Von Dr. P. Seliger, Sckmiedefeld.
Ein junger Mann, 16 oder 17 Jahre alt, stets gesund gewesen, er¬
hielt in der Nacht vom 17. zum 18. April ds. Jahres einen Stich mit
einem Messer in die linke untere Bauchgegend. Er lag 1 Stunde im
Freien mit heraushängenden Därmen und noch eine weitere Stunde ver¬
ging, ehe er in das Krankenhaus zu Schleusingen kam, wo Dr. Müller
die ganz durchstochenen Dünndärme vernähte, reponierte und die Bauch¬
wunde schloß, später im weiteren Verlaufe wieder öffnete und einen
Gazetampon einlegte. Am 21. früh Exitus, Kot war nicht in der Bauch¬
höhle, kein Eiter und keine Spur von Exsudat. Temperatur stieg nicht
über 38° C., Meteorismus war ziemlich stark, Anurie bestand nicht. Be¬
wußtsein stets ungetrübt und bis zuletzt erhalten, Krämpfe nicht vor¬
handen. Es bestand dagegen dauernd Stuhl- und Flatusverhaltung, Puls
vom 2. Tage an beschleunigt: 120 allmählich bis 150 steigend. Anfangs
kräftig, allmählich schwächer werdend, am Ende Herzkollaps. Die von
mir ausgeführte Obduktion ergab, daß die Därme paralysiert und aus¬
gedehnt waren, die Serosa stark gerötet und ihres Endothels beraubt.
Kein Tropfen Exsudat, die Nähte hatten ausgezeichnet gehalten, keine
Spur von Kot in der Bauchhöhle. Um die Nähte herum fand sich
blauschwärzliche, nußfarbige Verfärbung der Serosa. Fettige Degenera¬
tion des Herzens. (Stets gesund gewesen.)
Exikrise.
Dies war das ausgesprochene Bild der hämorrhagischen Peritonitis,
der peritonealen Sepsis (Wegner). In allen meinen Arbeiten habe ich
die Bedeutung der Darmparalyse hervorgehoben und den Einfluß auch
auf das Herz durch akute Verfettung (Lenhartz). Das ganze Bild ent¬
spricht einer Vergiftung (Treves) und wie die akute Phosphorvergif¬
tung das Herz schnell verfettet, so tut dies auch das septische Gift.
Lennander betont die hoffnungslose Prognose der Fälle, in denen die
Seröse gerötet und ihres Endothels beraubt ist (hier wohl durch die
Kälte erzeugt nach Wegner) und die Därme paralysiert und ausgedehnt
sind, während die Eitermenge nur unbedeutend ist gegenüber den Fällen,
in denen die Serosa der Därme, obwohl in Eiter gebadet, doch blaß und
glatt ist. — Die größte Gefahr ist nach Len n an der in einer rasch ein¬
tretenden Veränderung in dem Dünndarminhalt und in den Darmwandun¬
gen zu suchen, wodurch die Giftigkeit des ersteren vermehrt wird und
zu gleicher Zeit die Darmwände so verändert werden, daß sie einen Durch¬
gang oder ein Durchwachsen der Mikroben nicht mehr verhindern können.
Die Folge einer Darmparalyse wird also vermehrte allgemeine Intoxi¬
kation durch Resorption eines giftigen Darminhaltes und vermehrte all¬
gemeine Infektion durch Übergang der Darmmikroben in die Lymph-
und Blutzirkulation sein. Auch die Dannparalyse ist hier durch die
intensive Abkühlung der Därme entstanden (Wegner). Als am gefähr¬
lichsten von allen (Lennander) betrachtet man die trockenen unter
schweren Allgemeinsymptomen verlaufenden Peritonitiden. Die Allgemein¬
infektion (die Intoxikation) beherrscht das Krankheitsbild. Auf Grund
der lebhaften Resorption kann sich ein nennenswertes Exsudat nicht
bilden, das, was sich möglicherweise findet, ist fast als eine Kultur eines
oder mehrerer Mikroben zu betrachten. Bei der trockenen Peritonitis
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Beitrag zur Ätiologie der peritonealen Sepsis usw.
607
hat Lennander nicht selten den Eindruck gehabt, daß sich die Infektion
und Entzündung längs der subserösen Lymphbahnen verbreitet, genau
wie bei den Erysipel der Haut. Deshalb nennt er das Krankheitsbild
Erysipelas peritonei. Durch die Austrocknung, auch durch die Mani¬
pulationen bei der Operation stirbt ein Teil der 1 Endothelzellen ab. Stets
ist es von Gewicht, daran zu denken, daß die Bakterien sich an den
Serosaflächen sammeln, zur Untersuchung muß man deshalb an der Serosa
abgeschabtes Gewebe anwenden. Über die Bedeutung des Bacterium
coli ist er noch nicht orientiert, wenn er es auch für virulent und pyogen
hält. Hier handelt es sich um Kontinuitätsinfektion, indem die Mikroben
längs der Lymphbahnen der Darmwand durch die Darmwand in die
Peritonealhöhle hineinwachsen. Es kann sich um Monoinfektionen und
Polyinfektionen handeln. Im Herzblut eines Falles fand er einen Strepto¬
kokkus und ein Stäbchen, das dem Bact. coli commune glich. Ich habe
nachgewiesen, daß beim Durchwandern durch die Darmwand das Bact.
coli commune pathogen wird und seine Virulenz sich steigert. Nach den
neueren Forschungen (Glimm) ist das Bact. coli der Hauptkeim und
wird die Entstehung einer Peritonitis nicht durch die Hemmung, sondern
durch die Beschleunigung der Resorption unterstützt. P eis er stellte bei
bakterieller Infektion des Peritoneums methodische Blutuntersuchungen
an. Er stellte fest, daß 4—6 Stunden nach der Infektion — meist wurden
Kulturen von Bact. coli gebraucht — eine erhebliche Hemmung der Bak¬
terienresorption eintritt. Ist der Körper schon zu sehr geschwächt, um
die Resorptionsverzögerung noch herbeizuführen, werden die herbeieilen¬
den Phagozyten und Alexine schon im Körper verbraucht (z. B. durch
während des Versuchs noch injizierte Bakterienmengen direkt in die
Blutbahn), so kommt es zu ungemessener Vermehrung der Bakterien in
der Bauchhöhle; der Körper geht unter den Erscheinungen peritonealer
Sepsis schnell zugrunde. Es wäre wichtig, jeden gut beobachteten Fall
peritonealer Sepsis genau zu untersuchen und aufzuklären.
Unser Fall zeigt jedenfalls deutlich, welche wichtige Rolle das
Serosaendothel spielt bei der Beschleunigung der Resorption. Ist es ge¬
schädigt, so fällt eben die Resorptionshemmung fort. Was die Tempe¬
ratur in unserem Falle betrifft, so habe ich in meinen früheren Arbeiten
schon ausgeführt, daß gerade bei diesen Fällen von peritonealer Sepsis
subnormale Temperaturen beobachtet worden sind, jedenfalls öfters keine
Temperaturerhöhungen. Es kann zweckmäßig sein, hier daran zu er¬
innern (Lennander), daß Wallgreen bei seinen Einimpfungsversuchen
in die Peritonealhöhle mit höchst infektiösen Streptokokken an Kaninchen
Temperatursteigerung nicht anders beobachtete, als in den Fällen, in denen
kleine Dosen angewendet wurden, d. h. in denen die Serosa Zeit zu einer
kräftigen Reaktion bekam. Die schlechteste prognostische Bedeutung
bat ein rascher Puls bei tiefer Temperatur. Der kleine, weiche, schnelle
Puls zeigt eine hochgradige allgemeine Intoxikation an. Differential¬
diagnostisch könnte hier (Treves), wenn keine äußere Wunde vorhanden
ist, eine Vergiftung in Betracht kommen, weshalb die genaue Kenntnis
dieser Krankheit so wichtig ist, bei der so häufig vorkommenden Anurie
durch Beteiligung des Peritonealüberzuges der Blase könnte auch an ein
schweres Blasenleiden oder Nierenleiden gedacht werden (Glimm).
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603
Hugo Stettiner,
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40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie
zu Berlin vom 19—22. April 1911.
Berichterstatter: Dr. Hugo Stettiner, Berlin.
(Schluß).
Neben den vier Hauptthemen kamen Fragen aus fast allen Gebieten
der Chirurgie zur Erörterung. Zur Prophylaxe der operativen
Meningitis berichten Leischner und Denk (Wien) über ihre Unter¬
suchungen mit Urotropin, welches im Liquor cerebrospinalis als Formal¬
dehyd ausgeschieden wird und dadurch demselben eine wenn auch geringe
bakterizide Wirkung verleiht, v. Bramann (Halle) berichtet über seine
Erfahrungen mit dem Balkenstich, welchen er in 53 Fällen ohne
einen auf die Operation zurückzuführenden Todesfall bei Hirntumoren,
Hydrooephalus internus, Turmschädel, einigen Fällen von Epilepsie und
Lues cerebri angewendet hat. 18 Fälle wurden sichtlich gebessert;
in einer großen Anzahl weiterer Fällte schwand die Stauungspapille.
Payr (Königsberg) berichtet über 18 Ventrikeldrainagen bei Hydro¬
zephalus mit sieben Todesfällen, meist verursacht durch zu schnelles
Abfließen der Flüssigkeit. Er verfügt über drei Dauerresultate, in
denen sich die Intelligenz, Sprache und Allgemeinerscheinungen be¬
deutend gebessert haben. Auch ein vierter Fall ist günstig beeinflußt.
Er hat sein zuerst angegebenes Verfahren modifiziert. Er stellt durch eine
über eine präparierte Arterie gezogene Vena saphena eine Verbindung
mit der Vena, facialis communis oder Vena jngularis interna her. Seiner
Ansicht nach ist der Balkenstich mehr für plötzliche hohe Druck¬
steigerung, sein Verfahren für Ableitung größerer Flüssigkeitsmengen
geeignet. Kausch (Schöneberg) empfiehlt ein energisches Vorgehen
mit wiederholten Ventrikelpunktionen, das sieh ihm in zwei Fällen
bewährt hat. Uber operative Heilung der genuinen Epilepsie
durch ausgedehnte osteoplastische Resektion mit Exzision der Hirn¬
rinde berichtet Zimm er mann (Dicsöszentmarton). Unter vier Fällen
hat er drei Heilungen und eine Besserung zu verzeichnen.
Röpke (Jena) stellte einen Patienten vor. bei welchem er mittels
osteoplastischer Operation zwei extramedullär und einen intramedullär
liegenden Rückenmarkstumor mit Erfolg entfernt hat. Martens (Ber¬
lin) fand in einem Falle eine das Rückenmark komprimierende Exostose
als Ursache für eine vollkommene Lähmung. — Zur Beseitigung
der C'rises gastriques sind eine Reihe operativer Eingriffe ver¬
sucht. Exner (Wien) hat mit Erfolg die Durchschneidung des Vagus
oberhalb des Zwerchfelles vorgenommen. Clairmont (Wien) führte
die Durchschneidung des 5.—9. Interkostalnerven aus, erzielte aber
nur einen vorübergehenden Erfolg. Gul ecke (Straßburg) sah in drei
von fünf Fällen nach Ausführung der Förster'schen Operation eine
bedeutende Besserung. Er spricht sich für ein einzeitiges Vorgehen
aus. Förster (Breslau) betont die Berechtigung seiner Operation bei
Crises gastriques, wenn auch die Resultate verschieden sein werden,
wie auch das Krankheitsbild kein einheitliches sei! Bei Littlescher
Krankheit hat Gümbel (Charlottenbürg) unter acht Fällen viermal
gute Erfolge gehabt. Auch Clairmont (Wien) berichtet über günstige
Erfolge bei spastischen Lähmungen.
Aus dem Gebiete der Chirurgie der Brustorgane zeigte Lexer
(Jena), wie er bei einem 27jährigen Mädchen einen Ersatz für die
durch Verätzung mit Schwefelsäure stenosierte Speiseröhre gebildet.
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40. Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.
609
Kr brachte eine Jejunumschlinge vom Magen bis zur Höhe der Mamma
unter der Haut zur Einheilung, bildete dann vom Jugulum bis zur
Öffnung der Jejunumschlinge einen Hautschlauch durch Umkreinpe-
lung und vereinigte diesen mit dem nach außen geleiteten Ösophagus
oberhalb der Kiavikula. In ähnlicher Weise sind Wullstein (Halle)
und Kumme 11 (Hamburg) vorgegangen. Unger (Berlin) berichtet über
gelungene Tierversuche mit Resektion des kardialen Teiles des Öso¬
phagus und Wiedervereinigung von Speiseröhre und Magen an anderer
Stelle. Heyrowskv ( Wien) hat. in ähnllicher Weise beim Menschen
operiert. Schlesinger (Berlin) empfiehlt zur Überdrucknarkose nach
amerikanischem Vorschläge das Einführen eines dünnen Katheters in
die Bronchien. — Schuhmacher (Zürich) erläutert die anatomisch-
topographischen Verhältnisse der Lungenarterien und ihrer Verzwei¬
gungen und berichtet über seine Tierversuche, Lungenschrumpfung durch
Lnterbindung von Pulmonalarterienästen zu erzeugen. Tiegel (Dort¬
mund) hat bei Hunden und Kaninchen die Lungenvenen durch ein
engende Silberdrahtligaturen verengert, wodurch eine Bindegewebsver¬
mehrung in der Lunge entsteht, ln einer weiteren Versuchsreihe, in
welcher der Einfluß dieser Verengerung auf eine experimentell erzeugte
Tuberkulose festgestellt wurde, zeigte sich ein auffallendes Zurück¬
bleiben der Entwickelung und Ausbreitung der Tuberkulose in der be¬
treffenden Lunge. Sauerbruch (Zürich) empfiehlt diese Venenverenge-
ning gleich der von ihm vor geschlagenten Unter bin düng der Art. pulmonalis»
hei Lungentuberkulose zur Hervorrufung von Lungenschrumpfung. Beide
Operationen sind leichter auszuführen als die Exstirpation. Über die
Entfernung eines Lungen lappe ns bei käsiger Pneumonie berichtet Müller
(Rostock). Das Kind, welches den Eingriff zunächst gut überstand,
starb drei Wochen später an tuberkulöser Meningitis. Auch Kümmell
(Hamburg) führte die Totalexstirpation eines Lungenlappens aus. Der
Patient starb nach acht Tagen an einer Pneumonie. Körte (Berlin)
hat. bei Bronchiektasen durch Exstirpation des betreffenden Lungen-
lappens gute Dauerresultate erzielt. Friedrich (Marburg) hat in 28
Fällen wegen Tuberkulose die Thorakoplastik mit neun Todesfällen
ausgeführt und in einer großen Anzahl gute Besserung gesehen, über
Dekompressionsoperationen am Thorax berichtet Klapp (Berlin).
Er hebt noch einmal die Wichtigkeit der völligen Beseitigung des
Periosts (durch Thermokauter oder rauchende Salpetersäure) behufs
Vermeidung einer erneuten Verknöcherung hervor, wogegen Seydel
(Dresden) Zwischenlagerung von Muskelpartien empfiehlt. Klapp sah
in einem Falle von Albuminurie, welche durch Druck des verknöcherten
stark deformierten Thorax auf die Niere bedingt war, jene durch aus¬
gedehnte Rippenresektion schwinden.
Über Stich Verletzungen des Herzens und die sich daran
knüpfenden Fragen berichten Hesse (Dresden) auf Grund von sechs
Fällen, von denen er fünf als geheilt vorführen konnte, Hesse (St.
Petersburg). Wilnis (Heidelberg) und Fuchsig (Schärding), welcher
einen transdiapliragmatischen Weg zur Freilegung des Herzens
empfiehlt.
Aus dem Gebiete der Abdominal Chirurgie sei zunächst der
Mitteilungen von Friedrich (Marburg) über die Inkubationszeit
der peritonealen Infektion gedacht. Es ergab sich, daß acht Stunden
nach der Infektion die Allgemeininfektion auf tritt, so daß nur bis
zu dieser Zeit entferntes Material im Tierversuch noch lebensrettend
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610
Hugo Stettiner,
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wirken könnt«. Für die offene Behandlung der Bauchhöhle bei Ent¬
fernung entzündlicher Tumoren tritt Fabricius (Wien) ein.
Höhne (Kiel) berichtet über die Vorbehandlung des Bauchfells
zum Schutze gegen peritoneale Infektion mit 50 ccm l°/ 0 igen
Kampferöls. Unter 78 Fällen ist keiner an Peritonitis gestorben. Bor-
chard (Posen) empfiehlt am Schlüsse einer Operation 100 ccm steriles
Olivenöl in die Bauchhöhle einzuspritzen. Dasselbe wirkt anregend
auf die Peristaltik. Adhäsionen sind, wie auch Müller (Rostock) hervor¬
hebt, nach diesen Einspritzungen nicht beobachtet worden. Henle (Dort¬
mund) berichtet über das zur Anregung der Peristaltik empfohlene
Hormonal, welches sich ihm bei postoperativer Darmlähmung be¬
währt hat, wenn er auch eine Dauerwirkung, wie sie von interner
Seite bei habitueller Obstipation festgestellt ist, nicht erzielt hat. Er
empfiehlt die intravenöse Einspritzung von ca. 20 ccm, eventuell auch
prophylaktisch in Verbindung mit Pantopon. Im Anschluß an die
Injektion ist oft Temperatursteigerung bis 39° unter Schüttelfrost be¬
obachtet. Ebenso stellt Dencks (Rixdorf) die alle anderen Mittel über¬
ragende, die Peristaltik anregende Wirkung des Hormonais fest, die
er in 20 Tierversuchen und fünfzigmal beim Menschen erprobt hat.
Die Wirkung ist mitunter eine nachhaltige. Auch er hat nach intra¬
venöser Injektion Fieber, sonst aber keine Nebenerscheinungen beo¬
bachtet. Auch Borchardt (Berlin) und Goldmann (Berlin) sprechen
sich günstig über das Mittel aus. Ziilzer (Berlin) empfiehlt die An¬
wendung des Hormonais auch bei Ileus, einmal zur Stellung der lokalen
Diagnose, zweitens aber auch zur Vermeidung von unnötigen Ope¬
rationen. — Uber die pharmakologischen Grundlagen für eine
intravenöse Adrenalintherapie bei der Peritonitis hat Holz¬
bach (Tübingen) Tierversuche angestellt, aus denen sich ergibt, daß
die blutdrucksteigernde Wirkung des Adrenalins durch direkte Beein¬
flussung der Substanz der peripheren Gefäße bedingt- ist, und daß
diese so stark ist, daß dadurch die ungünstige Herzwirkung aufgehoben
wird. Da aber die Adrenalinwirkung nicht von Dauer ist, so hat
therapeutischen Wert nur eine intravenöse Dauerinfusion. Zur Be¬
kämpfung der Blutdrucksteigerung bei Peritonitis und Infektionskrank¬
heiten leistet sie gute Dienste. Auch Neu (Heidelberg) hebt die gün¬
stige Wirkung des Adrenalins, wenn dieses in großer Verdünnung ge¬
geben wird, hervor. Die Indikation bei Peritonitis bedarf noch ge
nauerer Klarstellung.
Eine längere Diskussion entspann sich im Anschluß an den Vor¬
trag von Neudürfer (Hohenems) über Ulcus duodeni. Vortragender
glaubt, daß dasselbe häufiger ist, als allgemein angenommen wird
(achtmal unter 73 eigenen Beobachtungen), und auch leichter zu dia¬
gnostizieren sei. Charakteristisch sind das Auftreten des Schmerzes
frühestens drei, meist erst sechs Stunden nach der Hauptmahlzeit,
monatelanges Freibleiben von allen Beschwerden, in einer Anzahl von
Fällen periodische Blutungen ohne Auftreten von Hämatemesis. Objek¬
tiv findeü sich, abgesehen von Hyperchlorhydrie, keine nachweisbaren
Veränderungen des Magens, ein charakteristischer Schmerzpunkt rechts
und über dem Nabel unter der Mitte des M. rectus. Er selbst hat fünf
Fälle von Ulcus duodeni vor der Operation diagnostiziert. Die Therapie
soll bei Versagung der internen Therapie eine chirurgische sein und
in Anlegung einer Gastroenterostomie mit Verengerung des Pylorus
bestehen. Die Mortalität der Operation beträgt l°/ 0 . Er selbst hat
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611
einen Todesfall, einen Mißerfolg wegen nicht genügender Verengerung
des Pylorus zu verzeichnen, während die andern Fälle dauernd geheilt
sind. Haudeck (Wien) hat in letzter Zeit elfmal die Diagnose auf
Ulcus duodeni mit Hilfe der Röntgen strahlen gestellt. Charakteristisch
sind das Liegenbleiben einer kleinen Bismutmenge an umschriebener
Stelle des Duodenums, die im Verhältnis zu den Beschwerden geringe
Motilitätsstörung des Magens und die Druckempfindlichkeit an be¬
stimmter Stelle. Auch v. Eiseisberg (Wien) tritt für die chirurgische
Behandlung des Ulcus duodeni ein und betont, daß die Gastroenterostomie
nur bei Pylorusstenose erfolgreich sei und sonst durch die von ihm
angegebene unilaterale Pylorusausschaltung, bei Verdacht auf Kar¬
zinom durch die Resektion zu ersetzen sei. Seine Resultate sind gute,
ebenso wie die von Bier (Berlin), He nie (Dortmund), Melchior (Bres¬
lau). Kümmel 1 (Hamburg) hat das Ulcus duodeni nur selten be¬
obachtet und glaubt, daß Fälle ihm zugezählt werden, die noch als
Ulcus pylori zu bezeichnen seien. Mehr technische Fragen werden
von Girard (Genf), welcher zur Verengerung des Pylorus die um¬
gekehrte Mikulicz’sehe Plastik, zur Ausschaltung eines im Magen ge¬
legenen Ulcus die künstliche Schaffung eines Sanduhrmagens empfiehlt,
und Katzenstein (Berlin) erörtert. Derselbe schlägt, eine Seidennaht
zur Vermeidung des circulus vitiosus bei Gastroenterostomie vor. Ferner
berichtet er über Versuche, durch Herabsetzung des Antipepsingehaltcs
des Blutes typische progrediente, zur Perforation führende Ulcera hervor¬
zurufen. Wendel (Magdeburg) zeigt ein eigenartiges Präparat von
operativ entferntem Nebenmagen. Uber die motorische Funktion
des Sphinkter pylori nach querer Magenresektion hat
Kirsch ner (Königsberg i. Pr.) Versuche angestellt, die zu
dem Resultat geführt haben, daß trotz Durchtrennung der
Vagusfasern Sphinkter und Antrum ihre normale Tätigkeit beibe¬
halten. Außerdem zeigten sie zum ersten Male, daß auch ein Chemo-
reflex ex duodeno besteht, indem bei saurer Reaktion des Duodenum¬
inhaltes die Magenentleerung sistiert. Über Pylerusresektion wegen
Pylorospasmus berichtet Manasse (Berlin). Auf die Gleitbrüche
des Dickdarms lenkt Sprengel (Braunschweig) die Aufmerksamkeit.
Sie entstehen, meist als äußere Leistenbrüche, durch Herabgleiten eines
Dickdarmteiles mit zu kleinem oder fehlendem Mesenterium. Nach
Spaltung des Bruchsackes oder des bedeckenden Peritoneums muß eine
Reposition en masse oder, falls diese nicht angängig, eine Resektion
vorgenommen werden. Wendel (Magdeburg) berichtet über operative
Entfernung von sechs primären Lebertumoren, wobei sich in einem
Falle die Unterbindung eines Astes der Arteria hepatica als sehr segens¬
reich erwiesen, ein Vorgehen, das auch von v. H aberer (Wien) empfohlen
und mit Erfolg verwendet ist. Wullstein (Halle) empfiehlt ein neues
Verfahren zur Freilegung der Leber, dessen Notwendigkeit von Loebker
(Bochum) und Rehn (Frankfurt a. M.) bestritten wird. Tietze (Breslau)
berichtet über charakteristische Augenhintergrundverändernngen, ähn¬
lich dem Bilde der Retinitis albuminurica, bei Leberverletzungen. Auch
Marquard (Hagen) hat solche beobachtet. Weitere Mitteilungen über
Leber Verletzungen und Leberrupturen machen Finsterer (Wien) und
Hesse (St. Petersburg). Franke (Rostock) hat experimentelle Unter¬
suchungen über die Ablenkung des Pfortaderkreislaufes durch Anasto-
mosenbildung zwischen Vena portae und Vena cava gemacht und gleich
Jerusalem (Wien) befriedigende Resultate erzielt. Franke (Heidel-
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Hugo Stettiner,
berg) gibt, eine Darstellung der von der Gallenblase zum Pankreas
ziehenden Lymphgefäße und Arnsperger (Heidelberg) bespricht die
entzündliche Genese des Ikterus. Kausch (Schöneberg) referiert
über seine Methoden zur Herstellung von Gallen weg- und Pankreas-
Darm Verbindungen, welche eine Infektion der ersteren durch Darm-
inhalt verhindern und sich ihm in einer Reihe von Fällen bewährt
haben. Reichel (Chemnitz) hebt die Vorteile des einzeitigen Vor¬
gehens bei Dickdarmresektionen hervor. Günstige Erfahrungen mit
dem SprengeFschen Bauchquersc.hnitte bespricht Bakes (Brünn). Zur
Therapie des Mastdarmprolapses bei Kindern gibt Bauer (Breslau)
einen Apparat an, welcher gewissermaßen eine Verlängerung des Stei߬
beines darstellt und sich ihm in sechs Fällen bewährt hat. Hof mann
(Offenburg) empfiehlt bei Mastdarm verfall der Frauen ein Pessar,
welches in die Vagina eingeführt mit Silherdraht befestigt wird. Drees¬
mann (Cöln) exstirpiert die Hämorrhoiden von einem ringförmig um
den Anus angelegten Schnitt ohne Schleimhaut Verletzung.
Über Verschluß der Art. tibialis antica durch Endarte-
riitis bei freier Tibialis postica, wobei sich die Gangrän vorn auf
der Mitte des Unterschenkels lokalisierte, und welcher zur Ampu¬
tation nach Gritti führte, berichtet Riedel (Jena). Zur VVietingschen
Operation hat Coenen (Breslau) experimentelle Untersuchungen an¬
gestellt, aus denen hervorgeht, daß eine Umkehrung des Blutstromes,
wie sie durch die arteriovenöse Anastomose bei arteriosklerotischem
Brande erstrebt wird, nicht möglich ist. Bier (Berlin) betont dem
gegenüber, daß mit der Wieting'sehen Operation nicht eine völlige
Umkehrung des Blutstromes, sondern nur die Leitung des arteriellen
Blutes durch die eine Vene erstrebt wird, während die anderen Venen
in alter Weise das Blut ableiten sollen. Er hat mit der Operation gute,
allerdings nur vorübergehende Resultate gesehen. Unger (Berlin) hat
die Wieting’sche Operation bei Hunden ausgeführt lind Wirbelbildung
an den Venenklappen, die zu Thrombose führten, beobachtet. Oft wird,
wie auch in zwei von ihm beobachteten Fällen, die Ausführung der
Operation an der zu weit gehenden Endarteriitis scheitern. Auch Riedel
(Jena) hat bei der Amputation eines Falles, welchen er zuerst nach
Wieting zu operieren versucht, sämtliche Gefäße thrombosiert gefunden.
Rehn (Frankfurt a. M.) stellt weitere Mitteilungen Wielings über die
Operation in Aussicht, über seine Erfahrungen, welche er mit Drosse¬
lung großer Gefäßstämme vor ihrer völligen Unterbindung im
Sinne Jordans gemacht, berichtet Srnoler (Olmütz). Er hat unter
neun Unterbindungen der Carotis communis und einer der Iliaca com¬
munis siebenmal gedrosselt, dreimal sofort unterbunden. Zwei von
den letzten bekamen schwere Halbsoitenlähmungen, während von den
ersteren sieben vier keine Erscheinungen zeigten, drei bald nach der
Operation starben. Er empfiehlt eine von ihm zu dem Zwecke ange¬
gebene Klemme. Uber zwei gelungene Fälle von Gefäßnaht der
Art. femoralis nach traumatisch entstandenem Aneurysma berichtet,
v. Bramann (Halle). Auch Küttner (Breslau) teilt eine gelungene
Naht bei Aneurysma infolge Schrotschusses mit. über einen erfolgreich
behandelten Fall von kindskopfgroßem Aneurysma nach Stich berichtet
auch Heller (Königsberg). Schmieden (Berlin) betont die Schwierig¬
keiten der Gefäßnaht in der menschlichen Chirurgie gegenüber dem
Experimente, da man am Orte der Not operieren müsse, und es oft mit
arteriosklerotischen Gefäßen zu tun ha Ix*. Zur Behandlung der Varizen
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613
empfehlen Hesse und Schack (St. Petersburg) die saphenofemorale
Anastomose, eine Transplantation der Vena saphena in die Oberschenkel¬
vene und sie haben in einer Anzahl von Fällen gute Resultate, wenn auch
wegen des jungen Alters der Fälle noch keine Dauerresultate erzielt.
Lauen stein (Hamburg) demonstriert die Extraktion der Varizen.
Hackenbruch (Wiesbaden) betont, daß man durch Klopfen auf die
Venen die Klappenschlußunfähigkeit derselben nachweisen könne.
Katzenstein (Berlin) hat mit gutem Erfolge die Varizen in die Mus¬
kulatur (M. sartorius) hineingelegt, um ihre Entleerung durch die Mus¬
kelkraft zu bewirken. Stieda (Halle) erinnert an die guten Erfolge
mit dem Spiralschnitte. Heinecke (Leipzig) erwähnt das Auftreten
von Thrombosen der oberen Extremität durch bloße Erschütte¬
rungen, wie besonders bei Fehlsohlägen. Müller (Rostock) betont die
Benignität der Thrombosen der oberen Extremität gegenüber der Mali¬
gnität der der unteren.
Uber die Reposition veralteter traumatischer Hüftge¬
lenks Verrenkungen spricht Dollinger (Budapest). Er hat unter
22 Fällen siebzehnmal arthrotomiert. Fünfmal mußte reseziert werden,
zwölf mal führte er die blutige Reposition aus, die er in der Mehr¬
zahl der veralteten Fälle empfiehlt. Kocher (Bern) meint, daß man
in vielen Fällen auch mit der unblutigen Reposition zum Ziele kommen
wird. — Uber gute Erfolge mit Injektion von Jodtinktur bei akuter
eitriger Gelenkentzündung berichtet Drever (Breslau), während
v. Eiseisberg (Wien) auch allein durch die Punktion in einzelnen
Fällen Heilung erzielte, und Mertens (Zabrze) ölige Jodtinktur zur
Einspritzung empfiehlt, v. Saar (Graz) betont, daß man bei kompli¬
zierten Frakturen in einer Anzahl von Fällen, in welchen man früher
die sofortige xYmputation vornahm, durch völliges Auseinanderklappen
der Fraktur und sekundäre Naht die Opferung des betreffenden Gliedes
verhindern kann, wie es ihm in sieben von zehn Fällen gelungen, während
in den drei andern die sekundäre Amputation erforderlich war. Einen
praktischen Extensionsapparat für die Behandlung der Frakturen
demonstriert K aisin (Flore ffe-Namur). Caro (Hannover) betont,
daß die funktionelle Behandlung der Frakturen des Unter¬
armes durch Benutzung derselben Schienenhülsenapparate mit geringen
Modifikationen für mehrere Patienten hintereinander und durch reich¬
liche Verwendung von Heftpflasterverbänden sehr verbilligt werden
kann. Böttger (Großburgk) empfiehlt praktische, einzugipsende Zellu¬
loidringe, mit Hilfe deren sich leicht ein Gipsfenster aussparen läßt.
Ludloff (Breslau) beschreibt die Art der Aufnahmen des Röntgen¬
bildes zur Beurteilung einer Kalkaneusfraktur in halbkniender
Stellung des Patienten.
Semeleder (Wien) demonstriert, in welcher Weise das Körper¬
gewicht durch Verlegung des Schwerpunktes zur Korrektion von Be¬
lastungs-Deformitäten verwendet werden kann. Heusner (Barmen)
empfiehlt die Verwendung der Spiralschiene zur Behandlung des
Klumpfußes.
Th öle (Hannover) gibt einen kurzen Überblick über die Behand¬
lung der Kieferbrüche mittels moderner Schienenapparate und erörtert
ihre Vorzüge gegenüber den älteren.
Zur Uranoplastik empfiehlt Schoemalzer (’s Gravenhage) bei
ganz jungen Kindern, möglichst am ersten Lebenstage, eine Modifikation
der Brophy’schen Operation, welche darin besteht, daß durch sub-
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614 Hugo Stettiner,
muköse Durchmeißelung der vertikalen Platte der Kieferhälften die
horizontalen Kieferstücke genähert und durch Seidenknopf nähte aneile
ander befestigt werden, während die Lippenplastik und Vereinigung
des weichen Gaumens erst später vorgenommen wird.
Zur Frage der Behandlung der bösartigen Neubildungen berichtet
Werner (Heidelberg) über die Erfahrungen des Samariterhauses. Alle
angegebenen Mittel, wie das Antimeristem von Otto Schmidt, die
Doyen’schen Präparate, Coley’s Toxin, Fermentinjektionen, Salvarsan-
einspritzungen oder andere Arsenpräparate sind keine Spezifika und
geben keine sichere Heilung. Die moderne chirurgische Therapie mit
dem elekrtischen Lichtbogen, die es oft noch ermöglicht, im Gesunden
zu operieren, wo es mit dem Messer nicht gelingt, die kombinierte
Methode mit offener Wundbehandlung und Bestrahlung der Wunde
mit Röntgen- und Radiumstrahlen leistet mehr. Alle die andern Mittel
kommen in inoperablen Fällen erst nach diesen in Betracht. In ähn¬
licher Weise spricht sich Czerny (Heidelberg) aus. In Fällen von
Sarkom hat er mit Salvarsaneinspritzung (intravenöser und lokaler)
günstige Beeinflussung gesehen, wie auch Dreyer (Breslau) bei malignen
Lymphomen. Bier (Berlin) betont seine pessimistische Auffassung,
betreffend Auffindung eines spezifischen Mittels. In einem Falle von
Gesichtskarzinom hat ihm Borgelatine gute Dienste geleistet und den
Fall der Heilung zugeführt. Über Auftreten von Karzinom nach Trauma
berichtet de Ruyter (Berlin), welcher ein solches im Anschluß an
eine Hoden Verletzung beobachtet hat. Stammler (Hamburg) berichtet
über die Meiostagminreaktion, welche in 73% der Fälle positiv
ausfiel und ebenso verwendbar ist wie die von Freund angegebene
Methode, was auch von Kelling (Dresden) bezüglich der ersteren,
von Kuntze (Wien) bezüglich der zweiten bestätigt wird.
Zur Frage der Narkose teilt v. Fedoroff (St. Petersburg) zu¬
nächst seine günstigen Erfahrungen mit 530 intravenösen Hedonal-
narkosen mit, bei ‘welchen er nur achtmal Zyanose, die rasch beseitigt
werden konnte, sonst keine üblen Zwischenfälle beobachtet hat. In
einer 0,75°/ 0 igen Lösung wurden etwa 0,04 Hedonal pro Kilo Körper¬
gewicht eingespritzt. Erbrechen und Übelkeiten wurden nicht beobachtet.
Ähnlich sah Kümmel 1 (Hamburg) in 90 Fällen von intravenöser
Äthernarkose keine Nachteile, aber sehr viel Vorteile. Die Narkose
wird in zehn Minuten erreicht und dauert 2 A / 4 Stunden. Verwendet wur¬
den 200—300 ccm 5°/ 0 iger Äther-Kochsalzlösung. Thrombosen werden
durch Nachströmen lassen reiner Kochsalzlösung vermieden. Auch Hage¬
mann (Greifswald) spricht sich günstig über die intravenöse Äther¬
narkose aus, wenn er auch in einem Falle vorübergehende Albuminurie
und Hämaglobinurie auftreten sah. Clairmont (Wien) will infolge
der Unruhe, die er beim Tierversuch mit dieser Art der Narkose be¬
obachtet hat, dieselbe beim Menschen nicht angewendet wissen, sondern
lieber bei der Skopomorpliin-Äthernarkose bleiben. Wendel (Magde¬
burg) empiehlt die intravenöse Äthernarkose speziell für das Druck¬
differenzverfahren, wogegen Rehn (Frankfurt a. M.) gerade auf den
ruhigen Verlauf der Inhalationsnarkose aufmerksam macht. Put¬
mann (Hörde) hat gute Erfolge zu verzeichnen und König (Greifswald)
hebt die Vorzüge der intravenösen Methode bei Gesichtsoperationen
hervor. — v. Bruun (Tübingen) berichtet über günstige Erfahrungen
in 500 Fällen mit Panlopon-Skopolamin, womit in einem Fünftel der
Fälle eine ausreichende Narkose (4 cg Pantopon und 8 dmg Skopolamin),
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in einem weiteren Fünftel mit Zuhilfenahme der Kreislaufverkleine¬
rung eine solche erzielt wurde, während in den andern Fällen nocli
Darreichung von Äther erforderlich war. Er warnt, gleich Pfeil-
Schneider (Schoenebeck a. E.), vor der Kombination von Skopolamin
mit Chloroform. Auch Brüst lein (Kiel) hat in 200 Fällen sehr günstige
Resultate mit Skopolamin-Pantopon gesehen, während Neuber (Kiel)
die Vorteile des Pantopon vor dem Morphium nicht anerkennt und
häufiger Erbrechen sah als nach Skopomorphin. Er betont übrigens
noch einmal, daß letztere Mischung bei längerem Stehen leide und
daher möglichst frisch zu verwenden sei. Heidenhain (Worms) warnt
vor allen Injektionsnarkosen. Kausch (Schöneberg) wendet in vollster
Zufriedenheit die Skopomorphin-Äther-Tropfnarkose an, ist mit
Pantopon nicht zufrieden. Bier (Berlin) rühmt die Morphin-Atropin -
Äthernarkose. — Mertens (Zabrze) empfiehlt die Isopral-Chloro-
formnarkose, welche in Einspritzung von soviel Zehntel Gramm Iso-
pral als der Patient. Kilo wiegt, gelöst in gleicher Menge Äther und 25
bis 50 ccm Alkohol, in den Darm eine Stunde vor Beginn der Narkose be¬
steht. und deren Vorteile hauptsächlich in dem Fortbleiben des Exzitations¬
stadiums, dem geringen Chloroformgebrauch und den fehlenden Nach¬
erscheinungen bestehen. Eber rektale Äthernarkose mit 1 Liter
5%iger Ätherlösung nach vorangegangener Pantopon-Sko polaminin jek-
tion berichtet Arnd (Bern). Rehn (Frankfurt a. M.) bezweifelt die
Vorteile dieses Verfahrens. Neu (Heidelberg) demonstriert einen Appa¬
rat zur Stickoxydul-Sauerstoffnarkose. Uber weitere Erfahrun¬
gen mit Extraduralanästhesie bei Hämorrhoidal-, Douglasabszeß-,
Rektal-, Harnröhren- u. a. Operationen berichtet Läwen (Leipzig).
Ritter (Posen) erreichte beim Tiere totale Anästhesie durch Injektion
einiger Kubikzentimeter 5°/ 0 iger Kokainlösung, ein Verfahren, das
beim Menschen nicht verwendbar ist. Müller (Rostock) tritt für die
Allgemeinnarkose ein, die Allgemeingut der Ärzte bleiben muß. Bei
Gesichtsoperationen ist die perorale Intubation nach Kuhn zu empfehlen.
Braun (Zwickau) beschreibt die örtliche Anästhesierung des
N. trigeminus und ihre Anwendung bei Operationen und die Oberkiefer-
resektion. Hertel (Berlin) berichtet über 15 nach der Braunsehen
Methode ausgeführte Operationen an Oberkiefer und Zunge. Die Infil¬
tration darf keine oberflächliche sein, sondern muß tief bis an die
Schädelbasis und die Wirbelsäule herangehen. Bier (Berlin) hebt die
Wichtigkeit einer korrekten Technik für die Lokalanästhesie hervor.
Zum Vorsitzenden für das Jahr 1912 wurde Gar re (Bonn) gewählt.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
A. Jacobi (New York), Tuberkulose in der Sprechstunde. (New Yorker
med. Monatsschr., Nr. 12, 1910.) Die übertriebene „Aufklärung“ der Be¬
völkerung mit ihrer einseitigen Betonung der Ansteckungsgefahr der Tuber¬
kulose, der Notwendigkeit der Anstaitsbehandlung, der Wertlosigkeit der
Medikamente, hat wie Jacobi sehr mit Recht betont, zu den traurigste«
Folgen, namentlich für die wenig Bemittelten geführt. Ein Klimawechsel
kommt für sie überhaupt nicht in Betracht, Anstaltsbehandlung bedeutet für
sie meist nicht viel mehr als eine zeitweilige Abwesenheit von ihrer Häus¬
lichkeit, die durch Behörden und philautliropisierende Gesellschaften und
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Referate und Reeprechungen.
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Wohltäter erzeugte Ansteckungsfurcht der Umgebung, die künstlich gestei¬
gerte Skepsis gegen die Wirksamkeit auch bewährter Medikamente haben nur
der Angst und der Sorge Vorschub geleistet.
So lange es Arme gibt, die in engen, schlecht gelüfteten Räumen un¬
gesunde Arbeit tun, dabei Mangel an Nahrung und Bewegung in guter
Luft haben und die gewöhnlichsten hygienischen Regeln vernachlässigen,
wird es Aufgabe des Praktikers bleiben, bei der Arbeiterkrankheit Tuber¬
kulose mit spärlichen Mitteln und unter großen Schwierigkeiten seine Dienste
zu leisten. Einfache Gesmndheitsregeln und Diätverordnungen,
dabei auch die so oft belächelte Arzneibehandlung müssen immer
noch den Hauptkampf führen.
Wenn auch die Tuberkulose nicht nach Analogie der Malaria geheilt
werden kann — der Sero-, speziell der Tuberkulintherapie steht Verf. mit
Recht skeptisch gegenüber, für die ambulante Praxis kommt sie aber über¬
haupt nicht in Betracht — so kann der Arzt doch die Bronchialschleimhaut
beeinflussen, den Husten, die Schlaflosigkeit, die Nachtschweiße mildern,
die Widerstandskraft heben, „es dem Kranken behaglich machen“. Daß aber
auch Genesung sehr häufig ist, das beweisen die zahlreichen Sektionsbefunde
ausgeheilter Tuberkulose bei an andern Affektionen Verstorbenen. „Zudem
kostet eine Unze Guajakol 22 Cents, ein Heilstättenbett aber 500—5000
Dollars!“
J a c o b i geht sodann auf die Experimentalforschungen von B r u n o w,
Isnard, Büchner, Bertr and, Schüller usw. ein und berichtet von
seinen guten Erfahrungen mit einer Kombination von Guajacol carbon. und
Arsen, nicht ohne einen Seitenhieb auf die „räuberischen Captains of In-
dustry“ im Hinblick auf den früheren „Patent“preis des Guajakols (Duotals)
von 4 Dollars pro Unze. Er hat es auch zeitweise durch Benzosol, Styracol,
Thiocol ersetzt, ohne auf die übrigen 120 (!) ähnlichen Präparate Rück¬
sicht zu nehmen. Außerdem weist er auf die Wichtigkeit von Atmungs¬
und Körpergymnastik und hydrotherapeutischen Maßnahmen hin.
Zum Schluß verbreitet er sich über die Unsicherheit der Tuberkulin-
diagnostik, speziell der Pirquet’schen Reaktion, und über die zuweilen mit
Tuberkulose verwechselte interstitielle Pneumonie oder chronische Lungen-
Schrumpfung, bei der es sich um zirrhotische Prozesse mit verschiedenen
Graden von Bronchiektasie handelt. Bei Fehlen bronchitischer Komplikation
sind die Fälle husten- und fieberfrei. Esch.
Bernheim (Nancy), Verlangsamte Entfieberung. (Revue de medecine,
31. Jahrg., Nr. 1, S. 1—25, 1911.) Die klassischen Temperaturkurven, die
wir bei Typhus, Masern usw. gelernt haben, treffen nur für einen Teil der
Fälle zu. Den fieberlosen Darmtyphen oder Scharlacherkrankungen stellt
Bernheim andere Fälle gegenüber, in welchen noch lange nach Ablauf
der charakteristischen Symptome das Fieber ungebührlich lange — bis zu
Monaten — fortdauerte. Er hat das hauptsächlich nach Typhus, Paratyphus,
akutem Gelenkrheumatismus, Erysipelas, Pneumonie und Pleuritis beobachtet
und erklärt es aus einer Persistenz der Mikroben oder ihrer Toxine.
Ohne Zweifel muß etwas derartiges vorliegen. Es ist nur die Frage,
ob gerade die Mikroben der eben überstandenen Krankheit die Ursache des
Weiterfieberns sind. Allzu leicht verfällt man dem Irrtum, anzunehmen,
daß der soeben akut erkrankte Mensch zuvor ganz gesund gewesen sei. Das,
was wir Gesundheit nennen, definiert man zumeist besser mit: Freisein von
Beschwerden, als mit: Integrität der Organe und ihrer Funktionen. Dieser
Gedanke schwebte schon Broussais vor, als er schrieb: „On est malade
avant que les tissus soient älteres.“ (Examen des doctrines medicales, IX,
642.) Sobald wir uns erinnern, daß keine Alteration, welche uns trifft —
sei sie groß oder klein —, abheilt, ohne Spuren zu hinterlassen, daß in der
Tat die Anatomen diese Spuren in allen möglichen Formen demonstrieren,
nur daß wir sie zumeist als mehr oder minder harmlosen „Nebenbefund“
registrieren und deshalb weiter nicht bewerten: sobald wir uns an das alles
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Referate und Besprechungen.
617
erinnern, wird es uns leicht begreiflich sein, daß jede neue Erschütterung,
jede neue Infektion die alten, latenten Spuren wieder auffrischen kann. Wie
also etwa an das eigentliche Pockenfieber das Eiterungsfieber anschließt,
so können sich an alle Infektionskrankheiten neue Reizungen alter tuberku¬
löser Herde, pleuritischer, peritonitischer, perikarditischer Stränge usw. an-
schließen, und diese Reizungen sind in ihrem Verlauf natürlich nicht mehr
abhängig von der vorhergegangenen Krankheit.
In dem Vorhandensein solcher latenter Herde finden dann auch die
mannigfaltigen, vielumstrittenen Erkrankungsursachen, wie Erkältungen, ihre
Aufklärung: ein Mensch mit intakten Nieren, mit intakten Pleuren wird
niemals infolge einer Erkältung, Durchnässung, Erschütterung eine Nephri¬
tis oder Pleuritis bekommen, wohl aber einer, der hier seinen Locus minoris
resistentiae hat.
Sieht man die Bernhei m’schen Krankengeschichten darauf hin durch,
so findet man fast bei allen unschwer derlei frühere Läsionen.
Buttersack (Berlin)
H. Schirokauer (Berlin), Untersuchungen über den Eisenstoffwechsel.
(Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 68, S. 303.) Es besteht noch keine einheit¬
liche Auffassung über das Schicksal der einzelnen einverleibten Eisen¬
präparate im Körper, auch nicht darüber, ob eine Differenzierung derselben
von Bedeutung ist, ob ,,einfache“ Eisenverbindungen, unorganische oder
Albuminate leichter assimiliert werden, als hochorganisierte Verbindungen,
Blut, Hämatogen, Bioferrin, rohes Fleisch usw. Sch. kommt zunächst nach
seinen Experimenten an Tieren und jugendlichen Individuen zum Schluß,
daß schon im Magen eine gleichartige Veränderung aller Eisen Verbindungen
stattfindet: ein Teil wird in eine ionisierte Form umgewandelt; das Eisen
in Form von Eisenchlorid geht mit den Peptonen des Mageninhalts eine
lockere Verbindung ein, die, im Darm' alkalisiert, dann direkt resorbiert
werden kann. Das durch die Magenverdauung nicht verarbeitete Eisen wird
vielleicht durch die Trypsinverdauung direkt in alkalisches Eisenpeptonat
umgewandelt. Demnach wäre es ziemlich gleichgültig, in welcher Form
das Eisen dem Körper geboten wind; doch ist es denkbar, daß eine einfache
Eisenverbindung, etwa Ferrum reductum, rascher den Magen reizendes Eisen-
chlorid bilden kann, bevor es an Pepton gekettet wird, als dies bei den kom¬
plizierteren, erst vom Pepsin zu verändernden Eiweißkörpern der Fall ist.
H. Vierordt (Tübingen).
Ed. Stierlein (Basel), Das Coecum mobile als Ursache mancher Fälle
sog. chronischer Appendizitis und die Erfolge der Cöcopexie. (Deutsche
Zeitschr. für Chir., Bd. 106, S. 407.) Die umfangreiche Arbeit gibt einen
Niederschlag der Anschauungen, welche in der Baseler Klinik über das von
Wilms (Dtsch. med. Wochenschr., Nr. 41, 1908; Zentralbl. für Chir., Nr. 37,
1908) gezeichnete Krankheitsbild’des „Coecum mobile“ in genetischer, klini¬
scher, diagnostischer und therapeutischer Beziehung bisher gewonnen sind.
Sie basieren auf 61 Fällen.
Die mitunter sehr heftigen Beschwerden sind durch Abknickung und
Achsendrehung eines abnorm langen beweglichen Zökums bedingt; eine pri¬
märe oder sekundäre Typhlatonie oder eine andere im Dickdarm, namentlich
an der Flexura lienalis vorhandene Obstipationsursache spielen sekundär
eine Rolle. Das Symptomenkomplex setzt sich aus folgenden Erscheinungen
zusammen: chronische, meist hochgradige Verstopfung, gelegentlich mit kur¬
zen Diarrhöen verbunden; intervallär auftretende, in der Gegend des Colon
ascendens lokalisierte, durch krankhafte Kontraktion des Zökums bedingte
Kolikattacken, meist ohne Temperatursteigerung; ein in der Zökumgegend
liegender ballonartiger schmerzhafter Tumor. Die Diagnose wird durch direk¬
ten Nachweis der abnormen Beweglichkeit ev. der abnormen Größe und
Atonic des Zökums und seiner verlangsamten motorischen Funktion gestellt.
In 9 Fällen von Appendektomie ohne Cöcopexie wurden 2 geheilt (mit
fortbestehender Obstipation), 3 gebessert, 5 blieben unbeeinflußt. Von 43
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Referate und Besprechungen.
Fällen von Cöcopexie, bei denen bis jetzt eine Beurteilung des Dauerresultats
möglich ist, wurden 75% geheilt, 16% gebessert, 9% blieben ungeheilt.
Von den 52 im ganzen operierten Fällen, bei denen die Cöcopexie einge¬
führt wurde, gehörten 25% dem männlichen, 75% dem weiblichen Geschlechte
an, und zwar 67% dem 15. bis 25. Lebensjahre. Kavser (Köln).
Faisans (Paris), Chronische Appendizitis kann Tuberkulose Vortäu¬
schen. (Bulletin medical, Nr. 9, S. 73—77, 1911.) Die schönen Zeiten der
typischen Krankheitsbilder sind vorüber, oder: die diagnostische Kunst wird
immer feiner. Wer hätte je gedacht, daß eine Blinddarmentzündung mit
Lungentuberkulose verwechselt werden könnte ? Und doch kommen solche
Fälle in der besseren Praxis nicht allzuselten vor. Die Erscheinungen der
Abmagerung, der Mattigkeit, der Kurzatmigkeit, Brustschmerzen, Tempe¬
raturschwankungen, Nachtschweiße, Husten, ja sogar allerlei abnorme Zeichen
über den Lungen deuten auf beginnende Schwindsucht hin, und doch handelt
es sich in Wirklichkeit um chronische Appendizitis. Die Diagnose ist aller¬
dings nicht leicht zu stellen, namentlich deshalb, weil die Patienten zumeist
— absichtlich oder unabsichtlich — durch ihre anamnestischen Angaben und
subjektiven Beschwerden den Arzt nicht auf die richtige Fährte führen. Es
bleibt also nichts übrig, als den betr. Kranken zu beobachten und festzu¬
stellen, daß die vermeintliche Schwindsucht, keine Fortschritte macht, daß
dagegen gelegentlich Unterleibsbeschwerden auftreten.
Die Therapie ist selbstverständlich: man nimmt die Appendix heraus.
Buttersack (Berlin).
Nils B. Koppang, Fibrolysin bei Peritonitis chronica adhaesiva. (Norsk
magazin for laegevidensk&ben, Nr. 2, 1911.) Koppang beschreibt einen
Fall von Peritonitis chronica adhaesiva. Die Patientin war an Appendizitis
operiert worden und fühlte nachher ständig Schmerzen in der Ileokökal-
region. die Menstruation verlief immer sehr schmerzvoll und zwang zu
mehrtägigem Bettlager. Defäkation sehr unregelmäßig, oft bis zu acht
Tagen verzögert..
Es wurden 60 Fibrolysininjektionen gemacht, dreimal wöchentlich eine
Ampulle mit einer Pause von zwei Wochen nach den ersten 20, und vier
Wochen nach den folgenden 20 Injektionen. Als Nebenwirkungen traten
öfters Kopfschmerzen und Übelkeit auf, die bald wieder verschwanden.
Nach der ersten Serie der Injektionen erfolgte die Defäkation wieder täg¬
lich, am Schluß der Behandlung waren die Schmerzen gänzlich verschwunden.
Neu'nranji.
Daxenberger (Regensburg), Zur Behandlung des Diabetes mellitus mit
Magnesium-Perhydrol und Kalkkasein. (Medico, Nr. 6, 1911.) Vorläufige
Mitteilung über Versuche, die Verfasser unabhängig von anderen mit Ma-
gnesiumperhydrol bei Diabetes angestellt hat. Er ließ das Mittel dreimal
täglich in Mischung mit gleichen Teilen Kalkkasein 4—6 Wochen lang
nehmen, bei mäßiger Einschränkung der Kohlehydrate, reichlicher Gewäh¬
rung von Milch und Haferstoffen und Verabreichung von Sauerstoffwasser
als Getränk. Die Wirkung äußerte sich immer zunächst im Sinken der
Zuckerausscheidung (in einem Falle ging sie von 6% auf 1%, in anderen
Fällen von 4 auf 1% oder von 3 auf 0,2% zurück.) Zugleich nahmen
Menge und spezifisches Gewicht des Urins ab, dieser wurde bald neutral
oder schwach alkalisch, »eventuelle Azidose verschwand, gewöhnlich auch
Azeton. Das Durstgefühl ließ nach. Hand in Hand damit besserte sich
das Allgemeinbefinden. Bei hartnäckigem Diabetes wurden zuweilen auch
günstige Erfolge von längerer Zeit verabreichten Arsengaben, im Wechsel
mit oder nach der Magnesiumkur, gesehen. Auf die Zuckerausscheidung
scheint auch ein Tee aus Preiselbeerblättern, sowie Preiselbeerkompott, das
wegen seines Zitronensäuregehaltes bei Durst gern genommen wird, günstig
zu wirken. Neumann.
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Referate und Besprechungen.
619
v. Stürmer, Ober die Behandlung der Zuckerharnruhr. (Münchii. med.
Wochenschr., Nr. 49, 1910.) Bei Stoffwechselkrankheiten, darunter auch
beim Diabetes, wurden schon früher Versuche mit Sauerstoffeinverleibung
angestellt, in neuerer Zeit verwendete man hierzu die Superoxyde und
speziell, das Magnesiunisuperoxvd, das bei Berührung mit gewissen leben¬
den Geweben und mit Säuren Sauerstoff abspaltet. Viele der im Handel be¬
findlichen Magnesiumsuperoxyde entwickelten indessen nur so geringe Mengen
von Sauerstoff, daß keine Wirkung eintreten konnte.
Verfasser hat nun an sich selbst das Merck sche Magnesium-Perhydrol
verwendet. Er nahm dreimal täglich 0,5 g nach dem Essen und bemerkte,
daß der Meteorismus, welcher Anfälle von Brustbeklemmung hervorgerufen
hatte, gänzlich verschwand und der Zuckerprozentsatz zurückging, trotzdem
keinerlei Diät eingehalten wurde. Er hat den Versuch wiederholt mit den¬
selben Resultaten angestellt und ist der Ansicht, daß bei innerlichem Ge¬
brauch eines zuverlässigen Magnesiumsuperoxyds der Zuckergehalt bis auf
ein Minimum reduziert werden kann, ohne daß man die Ernährung des
Kranken durch Diät beeinträchtigt. Außerdem wird der Urin unter dem Ein¬
fluß des Mittels alkalisch und .dadurch die Azidose beseitigt. Das Magnesium -
Perhydrol hat nach Ansicht des Verfassers einen hinreichenden Sauerstoff¬
gehalt, um beim Diabetes eine günstige Wirkung auszuüben. Neumann.
C. Dopter (Paris), Umtaufung des Malta-Fiebers. (Paris medical, Nr. 9,
1911. ) Der englische Botschafter in Paris hat an den französischen Minister
der auswärtigen Angelegenheiten ein Schreiben gerichtet, in welchem er
die Bezeichnung: Maltafieber für ungenau erklärt. C. Dopter bemerkt
hierzu, daß in der Tat die damit gemeinte Krankheit an allen Gestaden des
Mittelmeeres vorkomme, aber mit ganz besonderer Vorliebe eben in Malta.
In Malta habe seinerzeit die englische Mediterranean fever commission ihre
Studien gemacht; in Malta habe Bruce den Micrococcus melitensis entdeckt,
und in England sei heute noch die Diagnose: Malta fever üblich. —
Wenn auch fraglich bleiben muß, ob sich Termini technici durch
obrigkeitliche Verfügungen einführen bzw. ausschalten lassen, so muß doch
darauf hingewiesen werden, daß die Bezeichnung: Mediterranean fever schon
181(> von Burnett gewählt worden ist und daß sie besser mit den Tat¬
sachen übereinstimmt, als die: Malta fever; denn die Krankheit kommt ebenso
wie auf Malta, auch auf Minorca, Port Mahon, auf den Jonischen Inseln
usw. vor. Buttersack (Berlin).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Daiber (Geßlerhausen, Westpr.), Jodipineinspritzungen bei Scharlach.
(Med. Klinik, Nr. 10, 1911.) Die Veröffentlichung Daiber’s liefert einen
weiteren bemerkenswerten Beitrag zur Anwendung des Jodipins bei akuten
Infektionskrankheiten.
Seine Versuche bei Scharlach bestätigen die zuerst von Potheau ge¬
machte Feststellung, daß fieberhafte toxische Infektionen auf Jodipinein¬
spritzungen mit Teraperaturabfall und Besserung des Allgemeinbefindens
reagieren.
Unter den mitgeteilten zwölf Krankengeschichten sind zehn Fälle mit
günstigem Verlauf. Zwei Fälle mit letalem Ausgang sind wegen zu später
Anwendung des Jodipins für die Beurteilung der Wirkung nicht ma߬
gebend, lehren aber, bei bösartigen Epidemien die Kranken möglichst früh
und vor dem Ausbruch des Exanthems einzuspritzen. Das Jodipin scheint
die Vorgänge, die bei der Infektionskrankheit günstigenfalls zur Heilung
führen, anzuregen. Neumann.
C. Cattaneo (Parma), Zur Verwendung des Bromurals in der Kinder¬
praxis. (Rassegna di Pediatria, Nr. 10, 1910.) Das Bromural wurde in
der Ivinderpraxis als Sedativum bei Keuchhusten und verschiedenen Arten
von Krämpfen angewandt. In 17 unter 18 Fällen wurde durch Bromural
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Referate und Besprechungen.
allein sehr bald eine Verminderung der Hustenanfälle und eine Linderung
des Hustens erreicht. Wegen seiner völligen Unschädlichkeit kann man
auch kleinen Kindern verhältnismäßig große Dosen geben.
Ferner wurde das Mittel in 10 Fällen von Laryngospasmus und
Eklampsie mit gutem Erfolg verwandt; bei rachitischen Kindern mit Laryngo¬
spasmus gibt man zweckmäßig gleichzeitig Phosphor.
Endlich verwandte der Autor das Bromural noch in einigen Fällen
von Epilepsie, doch kommt es hier nur als Symptomatik um in Frage.
Für die Unschädlichkeit des Mittels spricht am besten, daß ein Kind
von 14 Monaten 1,5 g Bromural pro die ohne jeden Nachteil vertrug. R.
Um nässende Kinderekzeme zunächst zum Trocknen zu bringen, emp¬
fiehlt Galewsky (Dresden) Trockenpinselung mit:
Rp. Zinc. oxyd.
Tale.
Glycerin, aa 20,0
Spir. dilut.
Aq. dest. aa 10,0.
Auch feuchte Verbände, besonders mit 1 / 4 —V 2 °/ 0 igem Resorzin, sind
recht wirksam. Nach Trockenwerden des Ekzems erweist sich Lenigallolpaste
(V 4 — 10%) als ausgezeichnetes Mittel. (Med. Klinik, Nr. 47, 1910.)
Psychiatrie und Neurologie.
Brustein, Die Anwendung des Lichtes bei nervösen und psychischen
Erkrankungen. (Russki Wratsch, Nr. 48/49, 1910.) Die anregende, toni-
sierende Wirkung auf das Zentralnervensystem, die Einwirkung des Lichts
auf den Stoffwechsel und Zusammensetzung des Blutes, der Einfluß auf die
Blutverteilung (Erweiterung der Hautgefäße), auf Wachstum und Regene¬
ration der Gewebe, die Möglichkeit, /die Leistungsfähigkeit der Drüsen
(Nieren) zu steigern, schließlich der Einfluß auf den psychischen Zustand
und die anästhetischen Eigenschaften des Lichtes sind die Momente, welche
für die Verwendung des Lichtes zur Behandlung von psychischen und ner¬
vösen Erkrankungen maßgebend sind. Schieß (Marienbad).
Raviart, Hannard u. Gayet, Paralysie g€n€rale conjugale. (Echo med.
du Nord, Nr. 50, 1910. — Bull, med., Nr. 11, S. 104, 1911.) Im Departe¬
ment du Nord gibt es zwei Asyle: Eines in Armentieres für Männer, eines
in Bailleul für Frauen. Die drei Forscher haben sich nun der Mühe unter¬
zogen, die Listen seit 1871 auf die mit Paralyse in Zugang gekommenen
Patienten durchzusehen, und zwar nur auf die Verheirateten. Unter den in
Betracht kommenden 1820 Männern und 609 Frauen fanden sich nur 16 Ehe¬
paare. Aus anderen Quellen konnten sie noch neun in gleicher Weise er¬
krankte Ehepaare ausfindig machen. Sie verfügen somit über 25 Fälle von
Paralysis conjugalis. Natürlich huldigen auch sie der Lehre von der syphi¬
litischen Ätiologie der Tabes und Paralyse; allein damit will die Tatsache
nicht recht zusammenstimmen, daß verhältnismäßig selten Ehepaare er¬
kranken. Sie helfen sich dieser Sachlage gegenüber damit, daß sie neben der
Lues noch besondere auslösende Momente postulieren, wie Alkoholismus,
Trauma, Heredität, Überarbeitung, Elend, Tätigkeiten, welche zu Kopfkon¬
gestionen führen. Aber da drängt sich dann die Frage auf: Könnten diese
Faktoren nicht ihrerseits allein die Paralyse oder Tabes hervorrufen ? Die
syphilitische Anamnese ist ja doch nicht immer mit der nötigen Exaktheit
bewiesen. Buttersack (Berlin).
Sapatsch-Sapotschinski, Zerebrospinale Anästhesie, Crises gastriques auf
Basis von Tabes dorsalis. (Russki Wratsch, Nr. 31, 1910.) Die in der
Chirurgie viel angewandte Lumbalanästhesie mit Tropakokain brachte Ver¬
fasser auf den Gedanken, sie bei Patienten mit Crises gastriques zu ver¬
suchen. Zunächst nahm er die Lumbalanästhesie bei einem Patienten vor.
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Referate und Besprechungen.
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der überaus qualvolle, in der Regel 2—3 Wochen andauernde Anfälle hatte,
die von Schleim- und Gallerbrechen begleitet waren. Es gelang dadurch,
nicht nur die Schmerzen zu lindern, sondern eine dreiwöchentliche anfall-
freie Pause herbeizuführen. Bei erneutem Anfall wurde mit gleichem Er¬
folg lumbal injiziert. Nach folgender Quecksilber-, Jodkalium- und Atoxyl-
behandlung erholte sich der Patient und wurde arbeitsfähig. — Bei drei
anderen Patienten wurde mit denselben günstigen Resultaten lumbal in¬
jiziert.
Die Erfolge gaben Veranlassung, das Verfahren auch bei solchen Patien¬
ten anzuwenden, die auf Basis Tabes dorsalis über mannigfache Beschwerden
klagten und bald kurze, bald längere Anfälle von Crises gastriques hatten.
Angewandt wurde eine 3%ige sterile Tropakokainlösung. Mehr wie
2 ccm wurden nie injiziert, nachdem vorher ein entsprechendes Quantum
Zerebrospinalliquor abgelassen war.
Die Lumbalanästhesie verdient zweifellos als die Crises milderndes
Mittel Beachtung, besonders in Fällen, in denen Morphium geringe oder
keine Wirkung ausübt. Ihre schmerzlindernde Wirkung berechtigt zu der
Annahme, daß die Crises auf krampfhafter Reizung des Zentralnerven¬
systems beruhen. Neumann.
Becker (Weilmünster), Eine ungewöhnlich starke Reaktion auf An¬
wendung der Methode Toulouse-Richet bei einem alten Epilepsiefall. (Allg.
Zeitschr. für Psvch., Bd. 68, H. 2.) Toulouse-Richet ersetzt die Chlor¬
salze der Nahrung bei Epileptikern ganz oder teilweise durch Bromnatrium.
B. konstatierte bei einem hiernach behandelten Fall bei täglicher Darreichung
von 1V 2 g Bromnatrium .als Salzersatz beim Essen eine Verminderung der An¬
fälle, aber auch eine ständige Abnahme des Körpergewichtes sowie eine
zunehmende Reizbarkeit und psychische Verschlechterung, so daß er bezgl.
der oberen Grenze der als Salzersatz substituierten Bromdosis pro die ein
Heruntergehen unter die von ihm angewandte, hinter der französischen An¬
weisung schon erheblich zurückstehenden Menge rät und wegen der event.
ausbrechenden Erregungszustände vorerst die Anwendung nur in Anstalten
empfiehlt. Zweig (Dalldorf).
Augenheilkunde.
Tischner, Ober Röntgentherapie bei Lidkarzinomen. (Klin. Monatsbl.
für Augenheilk., April 1911.) In dieser, mit der bekannten Sorgfalt aus-
gearbeiteten klinischen Studie, die alle Arbeiten aus Axenfelds Klinik aus-
zeichnet, kommt T. zu folgendem Ergebnis in Anschluß an 5 Fälle: „Wir
haben in den Röntgenstrahlen bei Lidkarzinomen ein bequem anzuwendendes
Mittel, das bei zuverlässigen kontrollierbaren Patienten in einem hohen
Prozentsatz ausgezeichnete Heilung bringen kann und das gerade in der
Augenheilkunde verdient, mehr in Anwendung gebracht zu werden, als es
augenblicklich geschieht, weil wegen der komplizierten Struktur der Lider
die plastischen Operationen immer nur relativ Gutes leisten können.“
F. Enslin (Berlin).
B. Heymann (Breslau), Mikroskopische und experimentelle Studien über
die Fundorte der v. Prowazek-Halberstädter’schen Körperchen. (Klin. Monats¬
blatt für Augenheilk., April 1911.) H. hatte 1909 den Beweis erbracht, daß
die Prowazek-Halberstädter’schen Epitheleinschlüsse für Trachom nicht spe¬
zifisch sind, sondern in noch reichlicherem Maße auch bei anderen Bindehaut -
leiden, besonders bei der Blennorrhoe der Neugeborenen gefunden werden.
In einer größeren Arbeit gibt er jetzt weitere Ergebnisse seiner Studien.
Mikroskopische Untersuchungen an 281 Fällen führen ihn zu dem Schluß,
daß sich die Prowazek-Haiberstädter schen Körperchen außer bei Trachom
meist frühen Stadiums auch bei gonokokkenhaltigen und gonokokkenfreien
Konjunktivitiden von Säuglingen und einer Wöchnerin sowie in dem gleich¬
falls gonokokkenhaltigen und gonokokkenfreien Genitnlsekret der Eltern
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622 Referate und Besprechungen.
•
solcher Säuglinge und dem gonokokkenfreien Genitalsekret jener Wöchnerin
fanden, obschon bei ihnen allen eine Infektion mit trachomatösem Virus
ausgeschlossen erscheint. — Im zweiten Teile der Arbeit beschreibt H. seine
Tierversuche. Er hat infektiöses Material auf Affen (Meerkatzen und Pa¬
viane) verimpft. Hierbei hatte von fünf verschiedenen Konjunktivitiden, die
von zweifellosem, wenig oder gar nicht behandelten Trachomen stammten,
nur ein einziges positiven Impfaffekt. Aber auch hier waren die klinischen
Erscheinungen relativ gering und der mikroskopische Befund überaus spär¬
lich. Sechs Augensekrete blennorrhoischer Neugeborener und ein Augen¬
sekret einer an nicht trachomatöser Konjunktivitis leidenden Wöchnerin er¬
zeugten bei Pavianen und Meerkatzen Konjunktivitiden verschiedener Giftig¬
keit und Dauer, zumeist unter ausgesprochener, manchmal trachomähnlicher
Beteiligung der Follikel und bewirkten das Auftreten der Prowazek-Halber -
städter’schen Körperchen. Zweifellos trachomatöse Symptome wurden
nicht beobachtet. Bei Verimpfung des krankhaften Konjunktivadsekretes
von Affenauge zu Affenauge oder bei sekundären Selbstinfektionen des un-
geimpften Auges kamen dieselben Erscheinungen wie mit dem menschlichen
Sekret zustande. Sieben Genitalseknete von sechs Erwachsenen, bei denen
anamnestisch die Existenz der Körperchen im Genitalapparat vermutet wor¬
den war, erzeugten bei der Verimpfung auf die Konjunktiva von Meerkatzen
und Pavianen analoge klinische Erscheinungen, wie die einschlußhaltigen
Konjunktivalsekrete und bewirkten da« Auftreten der Prowazek-Halberstädter-
schen Körperchen. ,,Soweit ist mit aller Bestimmtheit zu sagen, daß den
Impfeffekten, die wir mit den Augen- und Genitalsekreten erzielt haben,
ein gemeinsames Virus zugrunde liegen muß, das in ganz ähnlicher Weise
wie das gonorrhoische Gift von den mütterlichen Genitalien intra partum
auf das Kind übertragen wird.“ Ist dieses Virus nun mit dem des Trachoms
identisch ? H. glaubt gerade durch seine Tierexperimente eine Stütze für die
Ansicht zu finden, da es sich um zwei verschiedene Virusarten handelt.
F. Enslin (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Buß, Über günstige Heilwirkung des Jodipins bei schwerer Syphilis.
(Ther. Monatsh., H. 12, S. 676, Dezember 1910.) In einem Falle von
schwerer Nierensyphilis mit Alkoholismus wurden wöchentlich zweimal 10
bis 12 g 2f)°/ 0 iges Jodipin subkutan injiziert. Die Urinmenge, die im An¬
fang nur 400—600 ccm betrug, nahm ßchon nach wenigen Injektionen be¬
trächtlich zu und blieb nach der Behandlung stets zwischen 2500 und
3000 ccm. Albuminurie und Ödeme verschwanden vollständig. Die Heilung
war dauernd. — In einem zweiten Falle syphilitischer Erkrankung des
Rückenmarks mit Erscheinungen der syphilitischen Spinalparalyse und der
sogenannten Pseudotabes syphilitica, wurden ebenfalls Jodipininjektionen ge¬
macht. Patient, der ohne Hilfe weder gehen noch stehen konnte, war nach
Abschluß der Behandlung imstande, seinen Beruf als Schiffsführer wieder
aufzunehmen. — Ferner wurde eine chronische Arthritis nach vorausgegange-
ner Syphilis durch Jodipininjektionen nahezu geheilt.
Von den Jodpräparaten scheint das Jodipin das allerbeste zu sein.
Es wird bei subkutaner Einverleibung erst allmählich resorbiert und langsam
ausgeschieden, die Kranken bleiben daher unter einer langanhaltenden Jod¬
wirkung, auch treten keine Magenstörungen und sehr selten Jodismus auf.
Neumann.
Nathan (Berlin), Fibrolysin bei der Behandlung von Harnröhrenstrik-
turen. (Zeitschr. für. Urol., H. 9, 1911.) Nathan hat in 14 Fällen von
Harnröhrenstrikturen, bei denen vorherige Sondenbehandlung nur geringen
Nutzen hatte, Fibrolysin angewandt. In der Regel wurde dreimal wöchent¬
lich eine Injektion in die Glutäen gemacht, meistens genügten 10—15 In*
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Referate und Besprechungen.
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jektionen. Nathan hält die intramuskulären Einspritzungen für die ein¬
fachste und sicherste Applikation des Fibrolysins, unangenehme Neben¬
wirkungen hat er in keinem Falle gesehen.
Die Erfolge waren mit Ausnahme von zwei Fällen, in denen es sich
um sehr alte, lang bestehende Strikturen handelte, gut und dauernd. Vielen
Patienten konnte die Urethrotomia interna erspart werden. Besonders be¬
achtenswert waren die Erfolge bei traumatischen Strikturen. Neumann.
Medikamentöse Therapie.
F. Ploch (Osnabrück), Heilung einer ösophagusstriktur mit Fibrolysin.
(Deutsche raed. Wochensehr.. Nr. 8, 1911.) Der dauernde Erfolg der Fibro-
lysinbehandlung in einem Falle von narbiger Stenose des Ösophagus be¬
stätigt aufs neue die narbenlösende Wirkung des Fibrolysins. Patientin
konnte nur flüssige Nahrung ohne Beschwerden schlucken, schon dünnbreiige
Speisen wurden nach dem Schluckakt zum Teil wieder in dem Mund zurück-
gebracht. Zweimal wöchentlich eine Fibrolysininjektion.
Nach 12 Injektionen passierte ein Trousseauscher Schlunddilatator
von lö mm anstandslos, während vorher bei einem solchen von 7 mm schon
blutige Einrisse stattfanden. Eine wesentliche Zunahme des Körperge¬
wichtes waren die sichtbaren Folgen und Erfolge der Behandlung. Nach
17 Einspritzungen wurde die Patientin als geheilt entlassen. Nebenwirkungen
hat Autor, abgesehen von einem laugigen Geschmack im Munde, weder in
diesem noch in anderen Fällen der Fibrolysinanweudung gesehen. Die In¬
jektionen sollen möglichst in ein dickes Muskelbündel erfolgen. Neben den
Glutäen haben sich besonders die Deltoiden zur Injektion geeignet ge¬
zeigt. Neumann.
Langes (Ginüntl), Beitrag zur Wirkung des Fibrolysins. (Therap.
Monatsh., Nr. 2, 1911.) Bei einer Patientin, welche an Gallensteinen operiert
worden war, traten zwei Jahre später jedesmlal vor Eintritt der Menses
kolikartige Anfälle von Schmerzen in der Leber-Gallenblasengegend auf. Die
Menses setzten mit profuser Diarrhöe ein, dann folgte Besserung der Schmer¬
zen. In der Gegend der Gallenblase war eine T-förmig eingezogene Narbe
sichtbar, die sich nicht abheben ließ.
Nach zwölf Injektionen von je 2,3 ccm Fibrolysinlösung trat kein
einziger Kolikanfall mehr auf, die Menses wurden wieder regelmäßig, auch
die vor der Operation bestehenden, prämenstruellen Beschwerden verschwanden
ganz. Der Erfolg blieb dauernd. Neumann.
H. Boruttau (Berlin), Über das Verhalten der organischen Halogen¬
verbindungen im Organismus. (Zeitsehr. für exper. Path. u. Ther., Bd. 8,
H. 2. 1910.) Die Jodausscheidung der organischen Jodpräparate hält etwas
länger an als bei den Jodalkalien; das Maximum der Ausscheidung ist
gegen die Jodalkalien etwas hinausgeschobeu. Die Jodalkalien werden am
schnellsten, offenbar schon im Magen resorbiert, vielleicht auch etwas von
den Jodeiweißkörpern. Die größte Menge oder das Gesamtjod der organi¬
schen Jodverbindungen gelangt im Darm zur Resorption; bei den Jodfett¬
säurekalkseifen wohl langsamer als bei Jodeiweißverbindungeu und beim
Jodival. Jodfette scheinen manchmal schlecht oder gar nicht vom Verdau-
ungskanal aus resorbiert zu werden.
Nach Jodfett^äurekalkseifen- und Jodivalcingabe wird ein weit größerer
Anteil des Jods im Blute in anorganischer Form, als in organischer Bindung
transportiert. Wahrscheinlich gilt dies für alle organischen Jodverbindungen.
Bei jeder Form der Jodtherapie, Jodalkalien oder organischen Jod¬
verbindungen, wird prozentisch am meisten Jod in der Schilddrüse und den
lymphoiden Organen zurückgehalten, darnach in den Ausscheidungsorganen,
Lunge und Nieren. Weniger retinieren die Muskeln und Knochen. Die
Neuro- und Lipotropie ist. so weit vorhanden, relativ unbedeutend: nur
subkutan injiziertes Jodfett bedeutet wirkliches Joddepot. Die nähere Unter-
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Bücherschau.
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suchung des Vorganges der Jodretention in den lvmplioiden Organen und der
Jodbindung in der Schilddrüse einerseits, sowie der spezifischen Jodan-
ziehung kranker Organe andererseits, dürfte den sichersten Weg bilden, über
die physiologische und therapeutische Jodwirkung etwas Zuverlässiges zu
erfahren. R.
L. Moschetti (Turin), Ein neues Mittel zur Behandlung der akuten
Gonorrhöe. (Medicina nuova, Bd. 2, Nr. 1, 1911.) Wenn die Gonorrhöe
nicht der Abortivbehandlung -zugänglich ist, pflegt der Verfasser sie im
ersten Stadium nicht durch Injektionen (wegen der damit verbundenen Reiz¬
wirkung). sondern durch innerliche Medikation zu behandeln. Er bediente
sich auch hierzu des Diplosais, welches im Gegensatz zu anderen für den
gleichen Zweck indizierten Mitteln keine Magenstörung verursacht. Von den
21 Fällen, die der Verfasser mit Diplosal behandelte, gingen 8 allein durch.
Diplosal und wenige später applizierte Injektionen (Protargol, Kalium¬
permanganat) in Heilung über — in einem Falle wurde überhaupt außer
Diplosal kein Medikament angewandt — während in 11 Fällen noch nach
dem Diplosal Balsamika gegeben wurden. In allen Fällen betrug die Tages¬
dosis 3 g Diplosal. Neumann.
Fritz Snoy (Davos-Platz), Natrium hyposulfurosum als Jodabwasch¬
mittel. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 4, 1911.) Die wenig angenehmen
Nebenerscheinungen der Hautdesinfektion mittels Jodtinktur, nämlich die
schwierige Entfernung des Jodanstriches und die zuweilen auftretenden
Ekzeme können vermieden werden, wenn man als Abwaschmittel das Natrium
hyposulfurosum anwendet. Bringt man dieses in möglichst konzentrierter
Lösung mit Jodtinkturflecken in Berührung, so verschwinden diese außer¬
ordentlich rasch. Der Haut oder der Wäsche nachteilige Folgen hat Snoy
nicht beobachtet. F. Walther.
Bücherschau.
Hans Much, Die Immunitätswissenschaft. Eine kurz gefaßte Übersicht über die
Immunotherapie und -Diagnostik für praktische Ärzte und Studierende. Mit 5 Taf.
u. 6 Textabb. Würzburg 1911. Kurt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 262 S. 7.20 Mk.
M. bat es in diesem neuesten Werk meisterhaft verstanden, die Immunität*
Wissenschaft dem Nichtspezialisten nahezubringen, sie ihm verständlich zu machen.
Neben der Theorie ist die Technik insoweit berücksichtigt, daß die Experimente
zwar nicht ohne weiteres nachgemacht werden können, daß aber ihr Wesen und
ihr Gang klar vor Augen tritt. Neben der diagnostischen Seite ist der therapeu¬
tischen volle Gerechtigkeit widerfahren, leider nur, daß die Immunotherapie vor
der Hand noch auf recht wenige Krankheiten beschränkt ist. Dafür w-erden Aus¬
blicke eröffnet, aber auch Illusionen zerstört. Ein längerer Abschnitt ist den Be¬
ziehungen der einzelnen Infektionskrankheiten zur Immunitätswissenschaft gewidmet.
Das Buch sei warm empfohlen. R. Klien (Leipzig).
Hans Eppinger. Allgemeine und spezielle Pathologie des Zwerchfells. Suppl. zu
H. Nothnagel’s spez. Path. u. Therapie. 1911. Mit 31 Textabb.
Erst in jüngster Zeit hat man sich eingehender mit der Physiologie des
Zwerchfelles beschäftigt. Die Ergebnisse haben naturgemäß sofort die Aufmerk¬
samkeit der Kliniker auf sich gezogen und sind für die Pathologie verwertet worden.
Es ist daher freudig zu begrüßen, daß E. die gesamte Materie einer eingehenden
Bearbeitung und Darstellung unterworfen hat. Nach den der Anatomie, der Phy¬
siologie und der allgemeinen Pathologie gewidmeten Kapiteln bespricht E. kurz die
angeborenen, sodann ausführlich die erworbenen Erkrankungen des Zwerchfells.
Einen breiten Raum nehmen dabei die Hernien und die entzündlichen Erkrankun¬
gen ein, also die Pleuritis diaphragmatica und vor allem die verschiedenen (6) Arten
der subphrenischen Abszesse. Das Schlußkapitel ist den nervösen Krankheiten des
Zwerchfells gewidmet, der Zwerchfelllähmung, dem tonischen Krampf, dem kloni¬
schen und endlich der Neuralgia phrenica und der Herz’schen Phrenokardie. Eine
äußerst wertvolle Zugabe ist ein wohl mehr als 300 Nummern enthaltendes Literatur¬
verzeichnis. R. Klien (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang«
1911.
fomcbritu der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 0. Küster Prto.*Doz. Dr. o. erlesen»
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
1
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
-
Nr. 27. 1
für das Halbjahr.
6. Juli.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig.
Originalarbeiten und Sammelberichte,
lieber seeklimatische Kuren im Kindesalter.
Von Dr. Helwig, Ostseebad Zinnowitz.
(Nach einem Vortrag).
M. Id.! Wenn ich es unternehme, vor Ihnen über Seeklimakuren
für das Kind zu sprechen, so wollen Sie bedenken, daß über dies Gebiet
Veröffentlichungen noch kaum vorliegen. Sie dürfen daher ebensowenig
wissenschaftliche Deduktionen wie statistische Krankengeschichten er¬
warten, lediglich sich bescheidene Erfahrungstatsachen vortragen lassen,
wie sie sich dem in der Arbeit für die Jugend stehenden Praktiker
dar bieten. 1 )
Daß diese für unser persönliches wie das allgemeine Wohl so
wichtige Frage noch so wenig bearbeitet w'orden ist, erklärt sich einmal
aus der Tatsache, daß das Seeklima gegenüber dem Seebad überhaupt
erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit an Bedeutung gewinnt, sowie
aus der naheliegenden Überlegung, daß nur in geschlossenen Anstalten
sich maßgebliche Beobachtungen über die Wirkung klimatischer Kuren
überhaupt ansteilen lassen.
Während Dänemark mit seinen vielen Küstenheimen, wie auch
Frankreich und England mit ausgezeichneten Einrichtungen gleicher
Art vorangegangen, hat in unserem Vaterland eigentlich erst das letzte
Jahrzehnt mit den Seehospizen und verschiedenen privaten Anstalten
eingesetzt.
Zunehmende Beobachtung lehrte die Bedeutung klimatischer An¬
regungen als Heilmittel für kindliche Schwächezustände erkennen, stei¬
gende Erfahrung die besondere Eignung des Seeklimas bei richtiger
Anwendung seiner Heilkräfte. Während früher allein die Waldkurorte
neben südlichen Gebirgslagen die Zufluchtsstätte erschöpfter Kinder
waren, die Solebäder für Skrophulöse und chirurgische Tuberkulosen
hevorzugt wurden, nimmt auf Grund der ausgezeichneten Wirkungen
„moderner 4 * Seekuren an Kindern die Zahl der seefreundliehen Kinder¬
ärzte stetig zu. Und während noch vor Jahren eine mehrmonatige
Sommerkur als ein großer Entschluß der Eltern zu bezeichnen war,
ist heute ein von vornherein auf Jahre festgesetzter Aufenthalt keine
Seltenheit mehr. Denn man hat sich auf Grund vielfacher einwandfreier
*) Das Buch von Häberlin, „Die Kinderseehospize und die Tuberkulose
bekämpfung“ lag mir zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit nicht vor.
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Helwig,
meteorologischer Beobachtungen 1 ) in Ärztekreisen von der Auffassung
freigemacht, als ob der Seewinter kälter und rauher sei, sieh vielmehr
überzeugt, daß sich an den deutschen Küsten beider nördlicher Meere
eine große Anzahl für Winterkuxen geradezu geschaffener Kurorte
finden, denen meist nur noch mangels Nachfrage die nötigen Ein¬
richtungen für einen regulären Dauerbetrieb, insonderheit für die an¬
spruchslosere Kinderwelt fehlen.
Und so hat wenigstens für uns Reichsdeutsche die Riviera wie die
sonnige Adria selbst für Winterkuren, soweit sie abhärtend, festigend
wirken sollen, ihre Bedeutung verloren.
Zum Verständnis der mit ihm zu erzielenden Wirkungen bedarf
es einer zusammenfassenden Betrachtung des Seeklimas, ohne bei der
Kürze der Zeit auf die Geschichte der Seebäder einzugehen.
Die Seeluft ist nach Röchling die „vollkommenste Art der Land¬
luft“. Ihre charakteristischen Eigenschaften sind ihre Reinheit, ihr
hoher Feuchtigkeitsgehalt, ihre relative Temperaturkonstanz, sowie die
Lichtfülle und die lebhafte Bewegung. Die einen bezeichne ich als seda¬
tive, die andern als irritierende Faktoren. Der noch vielfach geglaubte
Salzgehalt ist ebensowenig vorhanden wie derjenige an Ozon von nach¬
weislicher Bedeutung. Die exakten Untersuchungen der Sylter Ex¬
pedition vom Jahre 1908 2 ) konnten trotz vieler Versuche bereits 15 m
vom Strande und bei direktem Seewinde aus Westen von der Stärke 6
der Beaufort’schen Skala keinen Halogengehalt nachweisen. Nur bei
heftigem Sturm mag der zerstäubte Gischt mit Sandkörnchen ver¬
mengt die Luft vorübergehend salzhaltig machen, bei einer Witterung,
welche für Kurzwecke kaum in Frage kommen dürfte.
Der Ozongehalt ist ohne Bedeutung, weil ja jede Tiefatmung das
Blut genügend mit Sauerstoff sättigt, lediglich ein Zeichen für die
Reinheit der Luft an organischen Fäulnisprodukten.
Eine absolut reine Luft gibt es natürlich nur fern auf dem Meere
oder einsam gelegenen Inseln sowie auf hohen Bergesgipfeln. Die Nabe
menschlicher Siedelungen sorgt dauernd für ihre Verunreinigung mit
Staub, Rauch, Bakterien. Praktisch jedoch sind Inselbäder nahe dem
Kontinent, ebenso wie Küstenbäder mit einem das Hinterland abschlie
ßenden und als Filter wirkenden Waldgürtel gleichzustellen, sofern nicht
luftverderbende Fabrikanlagen und dergleichen gröbere Verunreini¬
gungen verursachen.
Nach Fischer nimmt der Keimgehalt mit der Entfernung vom
Festlande stetig ab, wenn der Wind aus 1200 Seemeilen nur über Wasser
weht, und Lüdeling fand in Helgoland und Misdroy die gleichen
Werte für die Reinheit der Luft von Staubteilchen. Andererseits ergaben
die Untersuchungen Lindemann's in Zoppot, als Beweis für die reini¬
gende Wirkung des Seewindes an einem Orte, welcher einen Tag für
den Verkehr gesperrt war, in 100 Liter Luft nur 2500 Keime, auf dem
dicht mit Menschen besetzten Seestege 4500, also einen recht, geringen
Unterschied, gegenüber dem Keimgehalt der Stadtluft von 100000 bis
500000. demjenigen von Fabrikräumen und Turnsälen von 500000 bis
1000000.
Der hohe Feuchtigkeitsgehalt, welchen die ständig in Bewegung
befindliche Wasserfläche, vermehrt durch Waldbestände, der Luft ver-
i --
0 Siehe auch Röchling, Winterkuren an der Ostsee.
ä ) An welcher Verfasser tei 1 nehmen durfte.
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Über deeklimatische Kuren im Kindesalter.
627
leiht, bedingt eine bessere Wärmeleitung unter Verminderung der
Wasserdampfabgabe, d. h. eine Abhärtung ohne Abkühlung, unterstützt
durch die hautgefäß-reizende Wirkung des Seewindes. Zugleich wirkt
sie ini Verein mit der Reinheit reizmildernd auf entzündete Schleim¬
häute der trocknen Bronchitiker und Asthmatiker.
Die relative Tempera tu rkons tanz, das Fehlen krasser Temperatur¬
stürze ist ein weiterer schonender Vorzug, bedingt durch die Tiefen-
Wärmespeicherung und langsame Abgabe der Meeresfläche, woraus eine
zeitliche Verschiebung der Jahreszeiten sowie ein weit milderer Winter
resultiert. Diese Konstanz ist neben ihren hohen Feuchtigkeitswerten
der große Vorzug der Seeluft gegenüber jeder anderen, insonderheit der
Gebirgsluft. Es fallen die raschen, speziell den Katarrhalikern gefähr¬
lichen Abkühlungen weg.
Diesen Faktoren, welche die reizmildernden Komponente der See-
klimawirkung darstellen, stehen die irritierenden, Seelicht und Seewind,
gegenüber.
Die Belichtung, deren Bedeutung gerade die letzten Jahre für
die verschiedensten Krankheitserscheinuiigen gezeigt, ist in ihrer Kraft
am Meeresgestade erhöht, scheint zugunsten ihrer grün-gelben Licht-
und ultravioletten chemisch-wirksamen Strahlenbündel gesteigert zu
sein* wie die objektiv nachweisbare, rasch ein tretende Überbelichtung
photographischer Platten (Röchling) sowie die weit schneller er¬
folgende und viel kräftigere Überreizung der oberen Hautschichten
und der Bindehaut des Auges beweist, bedingt durch den Reflex des
weiten Wasserspiegels und der breiten weißen Strandfläche.
Der Seewind aber, welcher seinen schnellen Wechsel dem ständigen
Ausgleich zwischen Meer und dem rasch abkühlenden Erdboden ver¬
dankt, derart, daß „am Tage kühlere Luft vom Meere zum Lande
strömt, erwärmt emporsteigt, nachts die kühlere Luft der Erde zum
Meere absinkt“ (Böchling), ist schon durch seine Reinheit und seinen
Feuchtigkeitsgehalt dem Landwind überlegen, auch als gemischter oder
Küstenwind (Röchling, Nikolas).
Die Eignung eines Seebades als Kurort richtet sich nach der
vorherrschenden Windrichtung und -Stärke in den einzelnen Jahres¬
zeiten sowie nach dem Grade des Windschutzes, ist also bedingt durch
seine Lage, Verlaufsrichtung der Küste, Entfernung vom Festlande
und dergleichen.
Es ist also das Seeklima ausgezeichnet gegenüber dem Waldkliina
durch seinen größeren Gehalt an irritierenden Faktoren, gegenüber dem
Höhenklima aber an sedativen, hat jedoch beiden gegenüber den Vorteil
gleichmäßigerer Temperaturen und höherer Feuchtigkeitsgrade. In
dieser Vereinigung therapeutisch verwertbarer Möglichkeiten liegt seine
überragende Bedeutung.
Was nun die Charakteristik der beiden deutschen Meeresküsten
anlangt, deren Klima wir nach der Aufstellung von Weber-Glax
als „mittelfeuchtkühl“ bezeichnen, so ist von vornherein einem auch
Ln der Ärztewelt weit verbreiteten Irrtum entgegenzutreten. Die
frühere Verwendung der Seebäder mit fast ausschließlicher Betonung
des kalten Seebades konstruierte einen generellen Unterschied zwischen
der Nordsee und der Ostsee und erhob den Grad des Salzgehaltes zum
Maßstab ihrer Dignität als Kurorte. Diese eingefleischte Auffassung
sowie das tatsächliche Empfinden stärkeren Windeinfalls mangels
Windschutzes in den Nordseebädern, welche zudem meist insulare sind,
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828 Helwig,
veranlaßt** die Bezeichnung* „stark“ und „schwach“ als charakteristi¬
schen Unterschied beider Meere.
Wie unberechtigt dies Urteil in dieser allgemeinen Fassung ist,
geht deutlich aus folgenden Erwägungen hervor. Wie schon früher
betont, richtet sich die empfundene Stärke des Windes nach den ver¬
schiedensten Momenten, insonderheit nach dem mehr oder weniger großen
Mangel an Windschutz, sei es durch hohe Dünen, Waldbestände oder
künstliche Anlagen, sowie nach der Verlaufsrichtung des Strandes zu
den herrschenden Winden. Wir wissen, daß es bereits unter den Nord
seeinseln ganz beträchtliche Unterschiede gibt (vergl. Sylt und Föhr!),
ein Blick auf die Karte der buchtenreichen, gefalteten Ostseeküste
macht die Beobachtungen der allergrößten Unterschiede an dieser, ja an
dicht beieinander gelegenen Kurstationen begreiflich.
Die Dreiteilung 1 ) in Sommerfrischen für kräftige Konstitutionen,
d. h. Orte mit heftigen Winden und starkem Licht, aber mit mangeln¬
dem Schutz, als solche mit kräftigen Faktoren, aber ausreichendem
Schutze und in tatsächlich milde Bäder in einschneidenden Buchten
oder mit hohen Dünenwaldungen, die eigentlichen Winterkurorte, gibt
einen Maßstab für die Beurteilung der Ostseebäder als Kurorte.
Die letztere Gruppe aber als Paradigma der Ostsee aufzusteilen,
ist nicht angängig; haben doch die meteorologischen Beobachtungen
die Zunahme der Windintensität von West nach Ost, von Helgoland
nach der sainländischen Küste, für den Sommer erwiesen, so daß die
östlichen Ostseebäder für die Saison zeit als positiv windiger zu be¬
zeichnen sind, als manche Nordseekurorte. So bleibt der generelle
Unterschied nur insofern zu Recht bestehen, als man sich an unbe¬
waldeten Gestaden der Wirkung der irritierenden Faktoren nicht so
leicht nach Belieben entziehen kann, sie also tatsächlich auf das Indi¬
viduum stärker einwirken; und daß bei der Auswahl eines Kurortes
vor allem die Frage nach der Widerstandskraft des Patienten und der
Dosierbarkeit der anregenden Faktoren zu entscheiden ist, um zu stür¬
mische und nachhaltig ^schädliche Wirkungen ausschalten zu können.
Diese Wirkungen wissenschaftlich festzulegen, wurden die Sylter
Expeditionen (1903 und 1906) unternommen, wel(die eine allgemeine An¬
regung des Stoffumsatzes ergaben neben Sinken des Blutdrucks, dazu
während der ganzen Dauer des Seeaufenthaltes unter Seebadwirkung
vermehrt, eine „Herabsetzung des respiratorischen Quotienten, also eine
Erhöhung der im Körper zurückgebliebenen Sauerstoffmenge im Ver¬
hältnis zu der ausgeatmeten Kohlensäure“, lde“) sieht darin seine
schon früher angenommene Intraorganoxydation bestätigt. Während
diese Expeditionen keinen deutlichen Einfluß auf die Veränderung* der
Blutwerte nach weisen konnten — es handelte sich um ältere Versuchs¬
individuen —, fanden Nicolas für Hämoglobin, Häberlin und ich
selbst für dieses und die Zellen ganz beträchtliche Zahlerhöhungen.
Ich konnte durchschnittlich 930000 Blutkörperzunahme - unter auf¬
fälligem Absinken der Zahl innerhalb der ersten Tage bei 1 / 3 der Fälle,
und zwar denjenigen, welche sich anfänglich am meisten angegriffen
zeigten — und nicht unbeträchtliches Schwanken der Hämoglobinwerte
feststellen. Zugleich zeigten sich bei langen Beobachtungen in immer
*) Siehe Margulies, Der Heilwert der Ostsee. 4. internationaler Kongreß
für Thalassotherapie, Abazzia 1908.
*) lde. Die qualitative Stoffwechselveränderung im Seeklima. Zentral bl. für
Thalassotherapie 1911.
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Uber seeklimatische Kuren im Kindesalter.
629
wiederkehl ender Weis? die gleichen Erscheinungen von Schrumpf ungs-
und Neubildungsprozessen der ©lutelemente, und zwar immer analog
dem objektiven Gesamteindruck 1 ). Kinder reagierten immer stärker
als Erwachsene. Die neuesten in purinfreier Ernährung unter allen
Kautelen unternommenen Sei bst versuche*) bestätigten die früheren Be¬
funde und stellten noch fest, daß die Resistenz des Blutes gegen Salz¬
lösungen sich in den ersten 5—6 Tagen verringert, um sodann auf
Normalw r erte anzusteigen, daß die farblosen Zellen anfänglich zu
nehmen unter allmählichem Rückgang, und im Verhältnis der farb¬
losen Zellen zueinander zur Zeit der tiefen Allgemeinwirkung eine
verschieden st arke Verschiebung ein tritt: die Spezialgekörnten werden
seltener, die azidophilen und Lymphozyten scheinen vermehrt, je nach
der Tiefe der Allgemein Wirkung findet eine mehr oder weniger leb¬
hafte Einschwemmung von (Früh- bzw. unreifen Zellen statt.
Der Blutdruck sinkt, meist gleichsinnig mit der Pulszahl, um
erst langsam auf meist geringere Mittelwerte anzusteigen.
Wie weit es sich bei der Einwirkung des Seeklimas auf den Orga¬
nismus um rein vasomotorisch bedingte Effekte oder zugleich um Reize
eines infolge erhöhten Verbrauchs veranlaßten inneren Zerfalls Neubil¬
dungszentren des Blutes handelt, läßt sich zurzeit nicht entscheiden. Nach
meinen Untersuchungen und im Einklang mit den Kuhn’sehen Befunden
mit der Saugmaske :J und den gleichen Ergebnissen bei Tuberkulin- und
Atoxylmedikation, bei Gift Wirkung und nach Aderlässen handelt es
sich nicht um eine primäre Sauerstoff Verarmung wie im Gebirge 4 ),
wohl aber um eine sekundäre. Die mächtige und ständige Erweiterung
der Hautgefäße mit dem konsekutiven Wärmcverlufit dürfte erhöhten
Zellzerfall veranlassen — ich fand in dieser Periode freies Hämoglobin
im Serum — und dieser erst wirkt nach vielfachen Befunden anderer
Forscher reizend auf das Knochenmark. Daß nicht die Zirkulations¬
änderung allein von Bedeutung ist, sondern eine wirkliche Neubildung
vorliegt, dafür spricht das anfängliche Sinken der Zahl der spezial-
g'ekörnten Zellen in ihrem Verhältnis zu den lymphozytären Formen
der weißen Blutkörper, sowie die Stetigkeit des Anstiegs, auch oft
nach Entfernung aus dem Seeklima.
Jedenfalls haben wir es bei Seeklimakuren um einen Eingriff
in das Ge triebe des Blutes und seine Bildungsstätten zu tun, der um so
tiefer ist, je größer der wirksame Reiz war, und dessen Effekt von
der Höhe der Widerstandskraft abhängig sein muß 5 ).
Interessant sind in dieser Beziehung Mauvel’s Versuche an Meer¬
schweinchen, bei welchen ein Wind von 12 km in der Stunde die körper¬
liche Ausgabe um 1 / 6 steigerte, dafür aber den Körper so lebhaft an¬
regte, daß das Mehr an aufgenommener Nahrung das Mehr an ver¬
brauchter Energie überwog, und demgemäß das Wachstum erheblich
zunahm.
*) Helwig, Die Beziehungen zwischen Seeklima und Blutbildung. Zeitachr.
für Balneologie 1909.
*) Helwig, Referat beim 5. internationalen Thalassokongreß, Kolberg 1911.
*) Kuhn, Die ausschlaggebende Bedeutung der verminderten Sauerstoff¬
spannung der Gewebe für die Anregung der Blutbildung. Deutsche med. Wochen¬
schrift 1909.
4 ) Zuntzusw., Höhenklima und Bergwanderungen. F. Müller, Einfluß deä
Höhenklimas auf die Blutbildung. Zeitschr. für Balneologie 1910.
R ) Siehe Helwig, Der Einfluß des Seeklimas auf das Blutbild. Balneologen-
kongreß 1910. Med. Klinik 1910.
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Helwig,
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W ir haben darin lediglich eine Bevstätigung der empirischen Tat¬
sachen zu sehen. So wie der tägliche Stoffwechsel in einem Auf- und
Abbau von Zellmaterialien besteht, wird dieser Zerfall und Wieder¬
aufbau im Seeklima bei der nachgewiesenen Stoffwechselanregung ein
weit höherer sein, hinsichtlich der Ansprüche, welche der wirksame
Reiz an den betroffenen Organismus stellt. Daß er diese erfüllen kann,
daß der Anbau den Abbau decken kann, ist Bedingung, damit kein
Rückgang erfolgt; zu Zwecken der Kur, d. h. um einen positiven Er¬
folg zu erzielen, bedarf es einer überschüssigen Reaktionstätigkeit,
welche allein durch richtige Dosierung und Dosierbarkeit der vorhan¬
denen Reize möglich ist. So kommt es, daß für den einen das gleiche
Seeklima tatsächlich ,,zu stark“ war, welches bei einem anderen, weniger
empfindlichen Körper sich als ,,zu schwach“, als wirkungslos erwies.
Die individuelle Anlage, der Konstitutionsbegriff fällt also für die
Indikation dieses oder jenes Kurortes weit mehr in die Wagschale als
die Bedeutung des einen oder anderen Heilfaktors.
Die Gewichtszunahme, auf welche in Laienkreisen so viel Wert
gelegt wird, sollte für den Arzt in der Beurteilung des Kurerfolges
nicht ausschlaggebend sein. Wenn auch eine gelungene Apposition
neuen Körpermaterials früher oder später sich in Gewichtsverschiebung
äußern muß, so soll man doch nicht vergessen, daß bei offensichtlicher
Erholung und Kräftigung des gesamten Menschen oft genug in den
ersten Wochen und Monaten ein Körpergewichtsanstieg nicht eintritt,
dagegen meist nach Heimkehr der Kinder, sowie daß andererseits die
hie und da bei ungeeigneter Kost erzielte Fe 11 ge wich ts Zunahme im
Binnenlande wohl immer schnell wieder verschwindet. Die innere orga¬
nische Kräftigung muß das Ziel einer vernünftigen Seekur sein. So
zeigen unsere Kinder zumeist eine deutliche Fett Verbrennung unter
Sinken des Körpergewichts in der ersten Woche, deren Paradigma ein
Fall ist, welcher blaß, aufgeschwemmt und matt eintraf, bei stetig
gleichem Gewicht aber rapid in den Umfängen verlor unter Ausbildung
straffer Muskulatur und steter Steigerung der Kraft und Frische, bei
starker Zunahme aller Blutwerte.
Es mußte bei diesen allgemeinen Fragen länger verweilt werden,
weil sie ja die Grundlage für jedes therapeutische Handeln, insonderheit
auch für die Indikationsstellung des binnenländischen Arztes abgeben.
Auch für die zeitlichen Indikationen, über welche noch gar nichts
bekannt ist, sind diese Grundbegriffe im Zusammenhalt mit meteoro¬
logischen Tatsachen als entscheidend anzusehen.
Nach dem Gesagten muß die Frage: Wann sollen wir ein Kind
in ein bestimmtes Seeklima schicken? folgende Punkte berücksichtigen:
1. die klimatische Eigentümlichkeit des aufzusuchenden Kurortes,
2. die zeitliche Verteilung der Kurfaktoren,
3. das vorliegende Leiden.
Es müßte also ad 1. der Verlauf der Küste zu den herrschenden
Winden, sowie die Lage des Badeortes selbst zu diesen bekannt, es müßte
die Frage nach der Notwendigkeit des Windschutzes geklärt sein. Es
lassen sich ja alle Abstufungen von Kurorten entsprechender Qualitäten
finden, und innerhalb dieser wieder so gut wie immer eine zeitweise
Änderung im Genuß der Heilfaktoren durchführen. Deshalb ist auch
die Lage des bewolinten Hauses, ob auf oder hinter der Düne bzw. in
Waldanlagen versteckt, durchaus nicht ohne Belang. Wir unterscheiden
ja mit Recht nach Barbier das ,.Klima marin“ und „maritime“.
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Über seeklimatische Kuren im Kindesalter.
631
Was die zeitliche Eignung der Seebäder anlangt, so ist, um auch
hier aus Eigenem zu schupfen, wohl so viel zu sagen, daß der aus nahe¬
liegenden Gründen zumeist, gewählte Hochsommer durchaus nicht immer
die günstigste Zeit hinsichtlich der klimatischen Erfolge zu sein scheint 1 ).
Wenn diejenige Jahreszeit, in wacher die irritierenden Faktoren vor¬
herrschen, als die ,,kurkräftigste“ bezeichnet werden muß, umgekehrt
bei deren Fehlen als „mildeste“, so ist der vielfach trübe und kühle
□nd oft von Landwinden bestrichene Juli dem meist sonnigen, warmen
Juni mit seinen kräftigen Seewinden nachzustellen, wie man denn
nicht selten die Beobachtung machen kann, daß Kinder, welche im Mai
und Juni auffallend aufgeblüht waren, im Hochsommer sichtlich an
Körperfrische zurückgingen. Es ist eben ein Unterschied, ob wir ein
kräftiges Kind während seiner kurzen Sommerferien lediglich zur Auf¬
frischung an die See schicken, oder ob wir einem schwachen Kinde die
günstigsten Bedingungen für eine Kräftigung von Grund auf schaffen
wollen.
Und während im Frühherbst die sedativen Momente vorwiegen
dürften, ist die Winterkur als die abhärtendste und wohl bei dem
Mangel an Sonne weniger vom Standpunkt äußerer Effekte, als viel¬
mehr von dem einer tieferen Veränderung, einer vollständigen Um¬
wertung für Dauer kuren vorzuziehen. So können wir beobachten,
daß ein tropideres Kind sich im Frühjahr prächtig erholt, im Hoch¬
sommer äußerlich etwas nachläßt, am Ende des Winters aber als ein
gleichsam „völlig neuer Mensch“ ins Elternhaus zurückkehrt, können
aber auch den Fall erleben, daß ein erethisches, hoch reizbares Kind
durch zweitägigen mehrstündigen Aufenthalt am sonnigen und win¬
digen Strande hochgradig überreizt wild bis zu ataktischen Bewegungen,
um im Waldschutz oder im Seeherbst sich ausgezeichnet zu erholen,
können andererseits verstehen, daß man an windigen Plätzen hie und
da gezwungen ist, erregbare Frauen wegen maniakaliseher oder melan¬
cholischer Anzeigen schleimigst aus der Seeluft zu entfernen.
Was nun das Leiden anlangt, um deswillen das Seeklima einer
anderen Umgebung vorgezogen wird, so müssen wir uns vor allem
darüber klar sein, daß es sich, so deutlich das Krankheitsbild auch sein
mag, für uns quoad therapiam gleichsam nur um Körperschwächen
handelt. Wir dürfen uns nicht einbilden, mit dem immer gleichen,
a priori gegebenen Heilmitteln direkt die Krankheit anzugehen; richtig
aufgefaßt — und diese Klarheit ist dringend nötig, um Enttäuschungen
zu vermeiden — regen wir einzig und allein den Körper in seinem Stoff¬
wechsel an, geben ihm Impulse, welche er je nach seiner Gesamtanlage
langsamer oder schneller, gründlicher oder oberflächlicher zu seinem
Heile, zur Behebung vorhandener Schwächezustände verarbeitet. Beim
Kinde drängt sich dem Seetherapeuten die Bedeutung der Konstitutions-
frage’ 2 ) noch weit dringender auf. Und hierin mag ein Unterschied
in der Tätigkeit des Binnen landarztes und seines maritimen Kollegen
gesehen werden. Während jener naturgemäß das vorliegende Leiden
zu beseitigen trachten muß, hat dieser die ihm gegebenen Heilfaktoren
in sinngemäßer, nur quantitativ abgestufter Dosis zu verwenden.
Daß die anämische Verfassung, sei sie hypoplastischen oder kon-
sumptiven Ursprungs und alle auf ihr basierenden Schwäche- und Folge-
l ) Siehe auch Röchliug, Winterkuren an der Ostsee. Stettin 1899.
*) Siehe Helwig, Seeklima und Konstitutionserhöhung. Jahresbericht des
Privatkinderheims Hubertusburg, Ostseebad Zinnowitz 1908.
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Helwig,
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zustande nach dem früher Gesagten leicht behoben werden. I>edarf
keiner weiteren Begründung; auch klinisch deutliche „Anämie" ohne
objektiven mikroskopischen Befund (wohl als Zirkulationssehwäche oder
eine mit. unseren diagnostischen Hilfen nicht zu eruierende Blutabnor-
inität zu deuten) erfährt immer baldige Besserung. Zu ihr gehört der
unter dem Bilde der „Schulmüdigkeit“ einhergehende anämische Sym-
ptomenkomplex 1 ), dessen nervöse Äußerungen oft so gänzlich mißver¬
standen werden, sowie die Enurese, gewisse Magendarmaffektionen usw.
Die fließenden Grenzen zwischen anämischen und nervösen kind¬
lichen Schwächezuständen, deren ursächlicher Zusammenhang selten ganz
zu leugnen ist, macht auch deren günstige Beeinflussung durchaus plau¬
sibel, wenn auch meist eine längere Kurdauer und peinlicheres Dosieren
dazu gehört, als zur Beseitigung unkomplizierter anämischer Störungen.
Daß selbst stark ins Psychische hinüberspielende nervöse Affektionen
der Kinder durch Besserung der körperlichen Grundlagen günstig be¬
einflußt werden können, ist bekannt.
Während über Epilepsie genügende Beobachtungen noch fehlen,
scheint bei hyst rischen Krampfzuständen unter sachgemäßer Umgebung
die allgemein ' Körperentfaltung ausgezeichnet zu wirken. Chorea minor
wird stets günstig beeinflußt.
Eine hervorragende Rolle in der Seetherapeutik kommt dem Asthma
zu. Daß diesem „Symptomenkomplex, welcher hervorgerufen wird durch
die heterogensten Reizzustände der Respirationszentren, also keine
Krankheit sui generis ist (Brügelmann), in der reizmildernden feuch¬
ten Luft bei der gleichmäßigeren Temperatur am Meeresgestade die
testen Heilmöglichkeiten entstehen, ist von vornherein klar. Es heißt
nur, einmal die Reizquellen peinliehst vermeiden und dabei muß
uns der Windschutz besonders gegen Ost und Nordost ein wertvoUer
Bundesgenosse sein —, des weiteren ater Haut und Schleimhäute gegen
Erkältungsneigung zu festigen. Der Erfolg ist freilich unendlich ver¬
schieden. Während der eine mit dem Betreten der Meeresküste sein
Leiden dauernd los ist, erkrankt der andere durch Erkältung oder einen
anderen Reiz neuerlich an See oder nach der Heimkehr. Deshalb for¬
dern die Asthmatherapeuten in den Seebädern 2 ) neben der allgemeinen
klimatischen immer eine exakte örtliche Behandlung aller zugänglichen
Reizpunkte. Jedenfalls kommt zurzeit für kindliche Asthmatiker einzig
und allein das Seeklima mit seinen vorzüglichen Wirkungen in Frage.
Daß rachitische, insonderheit spätrachitische Kinder bei der stär¬
keren Oxidation in der Seeluft, gegenüber der vorherigen allzu großen
„Domestikation“ (Hansemann) eine allgemeine Kräftigung ihres
Knochengewebes erfahren, bedarf ebensowenig einer Begründung w T ie
die Festigung eines juvenil weichen Knochensystems.
Erkältungsgeneigte, ewig anfällige Kinder mit ihren immer wieder¬
kehrenden katarrhalischen Affektionen in allen Gebieten des Atmungs¬
traktes gehören an See und nirgend anders hin. Dann sind sie —
natürlich bei nicht zu rasch abgebrochenen Kuren im Winter gegen
Erkältungen gefeit.
Das Hauptkontingent für Seeklimakurcn an Kindern stellt die
Skrofulöse bzw. Tuberkulose. Mag man die Skrofulöse als tuberkulös
oder nicht ansehen, mag man sieh für die skrofulöse Diathese auf den
1 ) Helwig, Neuere Untersuchungen über die Wirkung des Unterrichts auf
den kindlichen Körper. Intern. Archiv für Schulhygiene, April 1911.
2 ) v. Hartog, Szezö, Ide.
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Über seeklimatische Kuren im Kindesalter.
633
Boden der Soltmann’sehen Auffassung einer ,,toxischen Tuberkulose 1 )
stellen, immer leuchtet ein, daß die allgemeine Anfeuerung des Orga¬
nismus. der kräftige Blutstrom, der rege innere Stoffwechsel den Kör¬
per in seinem Kampfe gegen seine Feinde stärken, daß, in der nachweis¬
baren raschen Bluterneuerung das beste Heilmittel gegen toxische Zu¬
stände gegeben sein muß.
So gehören alle Prophylaktiker unbedingt an die See, und zwar
auf lange Zeit; so sollten Sie, meine Herren, bei jedem Fall eines
plötzlich ohne nachweisbaren Organbefund zurückgehenden Kindes eine
seeklimatische Kur in Frage ziehen. Fast immer gelingt es nachträg¬
lich dem Badearzte, in früherer oder späterer Zeit die deutlichen An¬
zeichen einer etattgefundenen tuberkulösen Infektion nachzuweisen. In¬
sonderheit scheint, mir die vielfach gefundene Schallkürzung auf einer
Spitze, welche bei genauer Untersuchung sich auf den ganzen Ober¬
lappen erstreckt und auskultatorisch nur mit abgeschwächtem oder
verschärftem Atem, nie mit katarrhalischen oder infiltrativen Erschei¬
nungen einhergeht, gleichsam eine atelektatische Form der „Spitzenaffek¬
tion“, auf einer Schwellung der Drüsen am Lungenhilus zu beruhen.
Und die vielfach mit anämischer und chlorotischer Blutbeschaffenheit
vergesellschaftete Spitzeninfiltration der Entwicklungsjahre, welche so
leicht über dem dominierenden Blutbefunde übersehen wird, gehört zum
Zwecke einer allgemeinen Konstitutionsaufbesserung unbedingt an das
Meeresgestade.
Und zwar dürfen wir heute kein Bedenken mehr tragen, deutliche
infiltrative und katarrhalische Prozesse, zumal der Frühperiode, an die
nördlichen Meere zu schicken. Es mehren sich die warnenden Stimmen,
welche in der verweichlichenden Atmosphäre der Rivierakurorte, in
Rücksicht auf die Gefährdung bei Rückkehr in das kühlere Frühjahr
unserer Breiten, eine ernste Gefahr sehen. Nur hinfällige Tuberkulöse
dürften im Süden am besten, dann aber auf Jahre hinaus, aufgehoben sein.
Nachdem der Nachweis vorliegt, daß der Seewinter zumal in wald-
geschlitzten Kurorten weit milder ist als im Binnenlande, läßt sich kein
Bedenken gegen die Behandlung der Lungentuberkulose an den nörd¬
lichen Meeren aufrecht erhalten. Nach Nicolas 2 ) waren beim gleichen
Krankenmaterial die Dauererfolge der seebehandelten Tuberkulosefälle
statistisch weit besser als die gleichen aus den binnenländischen Heil¬
stätten. Während Sie also Frühfälle unbedenklich, und zwar zeitig
an das Meer schicken können, ist man heim zweiten Stadium geteilter
Meinung. Wie mich eigene Beobachtung lehrte, kommt es aber auch
bei ihnen nicht einzig auf die lokale Ausdehnung des Prozesses, als
auf die Regenerationsiahigkeit des Organismus und die richtige Aus¬
wahl des Kurortes an.
Die außerordentlichen Heilkräfte des Meeres bei chirurgischer
Tuberkulose aber sind leider noch viel zu wenig bekannt. Hier liegen
eine große Menge ausgezeichneter Erfolge vor, und ich selbst habe
Fälle schwer fistulöser Gelenker kr an klingen behandelt, welche mit denk¬
bar bester Funktion und in verhältnismäßig kurzer Zeit geheilt sind.
Freilich gehören lange Monate, meist Jahre dazu, aber der Erfolg ist
auch so, wie er mit keiner anderen Methode zu erreichen ist 3 ). Die
r ) Soltmann, Skrofulöse und Tuberkulose der Kinder. Deutsche Klinik, 1kl. 7.
“> Nicolas in den Verhandlungen des 4. internst. Thalassokongresses 19ü8.
3 ; So spielt heute, einer meiner Patienten mit der ehemals amputationsreifen
Hand recht geschickt Klavier.
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Franzosen sind uns mit ihren Dauerkuren bei örtlicher Tuberkulose
bei weitem voraus. Freilich scheint neben der Allgemein Wirkung hier¬
bei der lokalen Sonnenbehandlung mindestens die Hälfte des Verdienstes
zuzukommen. Und die „soziale Indikation“ Garres zur Operation
käme nicht mehr in Frage, wenn, wie Soltmann es schon seit langem
fordert 1 ), durch reichliche Gründung spezieller Kinderheime am See¬
gestade allen Erkrankten, auch des niederen Volkes, zeitig günstige
Bedingungen zur gänzlichen Ausheilung gegeben würden.
Nur eines der üblichen Leiden, die rheumatische Diathese, möchte
ich als im allgemeinen für das Seeklima nicht geeignet ausnehmen.
Nur im Spätsommer, noch besser im frühen Herbst, können meiner Er¬
fahrung nach rheumatische Kinder ohne Gefahr, ja mit bestem Erfolg,
sich im Seeklima erholen.
Was nun in Kürze die Behandlung an See anlangt, so muß also
vor allem berücksichtigt werden, daß das rechte Verhältnis zwischen
Beizgröße und Widerstandskraft walten muß, zumal in der ersten, der
sogenannten Akklimatisationszeit.
Es versteht sich danach von selbst, daß jedes kränkliche, zur Er¬
holung geschickte Kind ärztlicher Kontrolle während der Dauer des
Aufenthaltes zu unterstehen hat, welcher völlig freie Hand zu lassen
ist. Aus der Entfernung läßt sich eine solche Kur nicht leiten.
Denn wenn die reaktiven Kräfte des Körpers dem Beiz nicht genügen
können, dann erfolgt kein Ersatz der zerstörten Zellen, und ein Zu¬
stand akuter Blutarmut muß die Folge sein, wie ihn der Badearzt
oft genug zu sehen bekommt. Innere Unterernährung mit all den be¬
kannten Erscheinungen zunehmender Anämie, Schwindel, Herzklopfen,
Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Kopfdruck stellen sich ein. Es leuchtet
ein, wie schwierig die Klimafrage sich gestalten kann, wie nur der
Haus- und Kurarzt, Hand in Hand wirkend, das Beste zum Wohle des
Kindes bestimmen können, es ergibt sich aber auch daraus eine scharfe
Kritik der üblichen Haltung der Kinder am Seegestade, welche die
Unvernunft der Eltern durch eine Nervenüberreizung büßen müssen,
die sie die übrigen elf Monate daheim in der Kinderstube oder noch
mehr in der Schule launig, matt und arbeitsunfähig macht, ein Zu¬
stand, der das arme Kind und seine Eltern quält und vom Hausarzte
dann als ein mangelnder Erfolg d es Seeklimas angesproehen wird.
So schreibt Grawitz aus seiner reichen Erfahrung: „Die anregende
Wirkung der Sonnenstrahlen ist mir seit langem bei Kindern auf ge¬
fallen, die in Sommerferien unablässig und nur wenig bekleidet
am Strande spielen und damit allzulange den Bestrahlungen ausgesetzt
sind. Diese Kinder kehren zwar sehr gebräunt und äußerlich gesund
aussehend in die Heimat zurück, zeigen aber starke Erregungszustände
des Nervensystems, so daß die beabsichtigte- Erholung und Erfrischung
keineswegs erreicht ist.“ Er rät daher, die Kinder in der Mittagszeit
nicht an den Strand zu schicken und empfiehlt die Ostseebäder, „welche
durch ihre schöne Verbindung von Wald und See mit Hecht ihren aus¬
gezeichneten Ruf als Kinderbäder erworben“.
Für reizbare Kinder kommt im Anfang mehr das Waldklima in
Frage und erst allmählich das „Clima marin“ in vorsichtigem „Ein-
schleichen“, womit ich auch bei den zartesten und jeder Behandlung
daheim trotzenden Körpern die besten Erfolge erzielen konnte.
*) Soltmann, Skrofulöse und Tuberkulose der Kinder. Deutsche Klinik, Bd. 7.
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Über seeklimatische Kuren im Kindesalter.
635
'Während bei Erwachsenen im allgemeinen der Apposition neuen
Körpermaterials seltener Bedeutung zugemessen werden dürfte, muß
solche bei Kindern, zumal zarterer Konstitution, während der Seekur
an gestrebt werden. Daß dies nicht mit Eiweißüberfütterung bei der
ohnehin anfänglich erregenden Wirkung des Klimas geschehen soll,
sondern entsprechend dem Wärmeverlust mit Fettdarreichung und reich¬
licher Kohlehydratzufuhr 1 ), bedarf keiner Begründung; ebensowenig,
daß alle Reizmittel, um welche der Arzt daheim oft genug nicht herum¬
kommt, wegfallen müssen. Eine vernünftige Liegekur spielt beim See¬
aufenthalt eine große Rolle, zumal die anfängliche degenerative Ein¬
wirkung, wie sie sich im Blutbefunde wie auf psychischem Gebiete
dokumentiert, alle verfügbaren Kräfte in Anspruch nimmt, und diese
kann vor allem bei schwachen Kindern mit geringem Reaktionsver¬
mögen nicht anders ausgeglichen werden. Das kalte Seebad stellt eine
Steigerung der besprochenen klimatischen Wirkung dar, ist aber chok-
artiger, vorübergehend intensiver. Diese beruht bei der Kürze der An¬
wendung auf rein physikalischen Kräften, nicht auf dem Salzgehalt
und richtet sich nach der Temperatur, der Bewegung des Wassers sowie
des Badenden, nach den Graden der Außenluft und in der Nachwirkung
nach dem individuell höchst verschiedenem nötigen Maß an Ruhe. Es
bedeutet einen gewaltigen Eingriff in den Körperhaushalt, für welchen
nicht jeder Organismus die nötigen ausgleichenden Reservekräfte besitzt,
und der beim einen außerordentliche Erfrischung, beim anderen zu¬
nehmende langdauernde Schwächezustände mit anämischen Blutbefunden
zur Folge hat.
Wir glauben daher nur allzu recht zu haben, wenn wir bei Kindern
und chlore tischen Mädchen nur mit äußerster Vorsicht diesem gewal¬
tigen Kur mittel entgegentreten, und nur nach längerer Gewöhnung an
die Heilfaktoren des Seeklimas kalte Seebäder, abgestuft vom Unter¬
tauchen bis zu minutenlangem Baden, jedoch nie über fünf Minuten,
nehmen lassen, unter häufiger Kontrolle des Blutbildes, welches mir in
Übereinstimmung mit dem Gesamteindruck einen sicheren Maßstab für
die positive oder negative Wirkung des kalten Bades abzugeben schien.
An dieser Stelle muß nachdrücklichst vor einer noch viel schlim¬
meren Form des kalten Seebades gewarnt werden, der man überall am
Strande der Ostsee begegnet. Die Kinder spielen im Badeanzüge an der
Wassergrenze und gehen oft den ganzen Tag ins Wasser und wieder
heraus in dauernder Abwechslung. Welch enormer Wärmeverlust damit
verbunden ist, dessen angreifende Wirkung durch die starke Besonnung
vergrößert wird, bedarf keiner Erwähnung, und jede wirkliche Er¬
holung ist unmöglich. Was daheim als Wahnsinn betrachtet werden
würde, hier soll es erlaubt sein, wo ohnehin starke Reize den Körper
an fassen. Es ist wohl anzunehmen, daß hierauf, wie überhaupt auf
imsinnigen Kurgebrauch, der vielfach geringe Erfolg von Seekuren
zurückzu führen ist, für welche dann diese selbst verantwortlich ge¬
macht werden. Ich habe mehrere Fälle, welche fünf und sechs Jahre ohne
Erfolg die Ostsee besucht, durch vernünftiges Verhalten sich ausge¬
zeichnet erholen sehen.
Es ist also ersichtlich, welche vorzüglichen Heilkräfte im Klima
unserer deutschen Meere schlummern, und wie es nur aufmerksamer
*) Gmelin, Die während einer Seebadekur notwendigen diätetischen und
hygienischen Maßnahmen. 4. internationaler Thalassokongreß, Abazzia 1908.
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S. Leo.
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Beobachtung bedarf, sie zum Heile leidender Kinder anzuwenden. Sachs
des Hausarztes ist es, nicht nur zeitig ihre Aufnahme zu veranlassen,
sondern auf Grund der Erkenntnis der gleichsam erst sekundären Wir¬
kung auf vorhandene Krankheitszustände das Publikum zur Einsicht
zu erziehen, daß sich eine Umgestaltung konstitutioneller Anlagen,
gleichsam eine ,,Neuauflage“ des kindlichen Körpers nicht in wenig
Wochen erreichen läßt. Es kann deshalb nicht oft genug der Furcht
vor dem rauhen Seewinter entgegengetreten werden. Ist dieser ohne¬
hin als faktisch milder aus dem meteorologischen Tatsachenmaterial
erwiesen, so haben 25jährige Beobachtungen der Hamburger Seewarte
uns gelehrt, daß der so gefürchtete Ostseewinter nach Zahl der Tage
mit einem Mehr an milderen Süd- und Südostwinden gegenüber der Nord¬
see mit ihrem Plus an Nordost- und Ostwinden überwiegt, wobei für
viele Seebäder der natürliche Schutz der weitausgebreiteten Dünen¬
waldungen die etwas niedrigeren Temperaturen des Ostseewinters gegen¬
über der Nordsee völlig ausgleicht, so daß sich also an beiden Meeres¬
küsten eine ganze Reihe ausgezeichneter Winterkurstationen findet,
wenn natürlich auch bei weitem nicht alle Kurorte als solche zu be¬
zeichnen sind. Die Wichtigkeit der Dauerkuren wird klar, wenn wir
bedenken, daß in der kindlichen Konstitution der Gesamtcharakter für
das ganze Leben fundiert ist.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von Dr. S. Leo.
Paul Clairmont und Martin Haudek sprachen über die Be¬
deutung der Magenradiologie für die Chirurgie. Die Vortragenden
verglichen jedesmal bei über 100 Fällen den Wert der rein klinischen
Untersuchung mit der radiologischen, indem sie die klinische Diagnosen¬
stellung der radiologischen Untersuchung vorangehen ließen. Sie sagen:
Die radiologische Untersuchung erwies sich als außerordentlich brauchbar
für die Lokalisation eines extraventrikulären Tumors oder Druckpunktes,
für die Diagnose einer grob anatomischen Wandläsion im Magen, einer
beginnenden oder voll entwickelten Pylorusstenose, eines Sanduhrmagens;
sie ergibt oft wichtige Anhaltspunkte für das Bestehen eines Ulkus oder
Karzinoms durch die Prüfung der Motilität oder Auskunft über die
Resezierbarkeit eines Neoplasmas. Nach wie vor sind für die Diagnose
von Magenerkrankungen sämtliche klinischen Methoden in Anwendung
zu bringen, die bestätigt, ergänzt oder korrigiert werden durch die Be¬
funde der radiologischen Untersuchung. In der Diskussion wies Gott¬
wald Schwarz daraufhin, daß wir in erster Linie den Fortschritt der
Magenradiologie Hermann Rieder, der die Wismutmethode geschaffen
hat, verdanken, und daß wir dem chirurgisch-klinischen Standpunkt der
Radiologie viel verdanken, aber in röntgenologischer Beziehung nichts
erfahren haben, was wir nicht schon seit Jahren als gesichertes Gut
der Radiologie betrachten durften. Sch. stimmt mit Clairmont darin
überein, daß bei ambulatorischen Verhältnissen oft die Röntgenuntersuchung
allein zu weitgehenden diagnostischen Schlüssen berechtigt. Dies, gilt
für viele gesicherte, oft wiederkehrende Befunde, insbesondere für die
Fälle, wo die Röntgenuntersuchung ein normales Organhikl ergibt.
Andrerseits weist Sch. auf die Notwendigkeit der Wiederholung der radio¬
logischen Untersuchung hin. Gerade als Röntgenologe einer internen
Klinik hat Sch. Gelegenheit gehabt zu lernen, wie wichtig auch nach
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Wiener Brief.
637
der ersten Durchleuchtung noch die nachträgliche klinische Beobachtung
und die neuerliche und mehrfache Durchleuchtung werden kann. Sch.
zeigt Röntgenbilder, die bei einem und demselben Kranken zuerst an¬
scheinend einen hochgradig destruktiv veränderten, später und endgültig
aber einen normalen Magen zeigten. Er möchte daher sagen: Die Rönt¬
genologie isoliert betrieben, ist bezüglich des Magens ungenügend. In
Verbindung mit der Chirurgie ist sie von größtem praktischen Wert für
beide. Das Optimum der Erkenntnis erwachse aber aus der Zuziehung
der Erfahrungen der internen Klinik. — Emil Schütz findet den Haupt¬
gewinn der praktischen Anwendung der Radiologie in der Diagnose
folgender chirurgischer Erkrankungen des Magens: Karzinom, Ulcus
callosum, und bei Folgezuständen des Ulkus. Bezüglich des Magen¬
karzinoms ist zu sagen, daß in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle,
die uns zu Gesichte kommen, die Merkmale dieser Erkrankung so in
die Augen springende sind, daß wir das Magenkarzinom im allgemeinen
zu den am leichtesten diagnostizierbaren Magenerkrankungen rechnen
können. Die Röntgenuntersuchung kommt nur dort in Betracht, wo
kein Tumor palpabel ist und der Mageninhalt keine spezifischen Eigen¬
tümlichkeiten darbietet. In solchen Fällen scheint der Radiologie recht
häufig der Nachweis des Tumors zu gelingen. Es ist dies allerdings ein
gewaltiger Fortschritt, über dessen praktische Bedeutung wir uns jedoch
nicht täuschen dürfen, denn auch damit ist die ersehnte Frühdiagnose
nicht erbracht. Aus den chirurgischen Statistiken geht hervor, daß die
meisten Fälle von nicht palpablem Tumor mit positivem Salzsäurebefund,
bei denen radiologisch ein Neoplasma nachzuweisen war, nicht mehr
radikal operiert werden konnten, während die Fälle von palpablem Tumor
für die Resektion am günstigsten waren. Hier handelte es sich eben um
verschiedene anatomische Formen des Karzinoms oder um verschiedene
Lokalisation. Pylorustumoren werden eher tastbar, erzeugen früher Be¬
schwerden und bieten günstige Chancen für die Resektion, während die
am Korpus sitzenden Tumoren sehr häufig verborgen bleiben, trotzdem
sie sich durch ein rasches Wachstum und Neigung zu Metastasen aus¬
zeichnen. Wir können also hier nur von einer relativen Frühdiagnose,
nicht von einer solchen im eigentlichen Sinn sprechen; von einer solchen
müssen wir für das Magenkarzinom dasselbe verlangen, wie für jede
andere Erkrankung; soweit hat es die Radiologie hier nicht gebracht.
Der Erkennung des Magenkarzinoms im Frühstadium stellen sich auch
deshalb Schwierigkeiten entgegen, weil es sich in den meisten Fällen
durch ein Stadium der Latenz auszeichnet. Boas sagt: Die Malignität
der Intestinalkarzinome ist nicht bloß im Neoplasma, sondern auch in
der Latenz des Wachstums begründet. Vorläufig liegt die Bedeutung
der Radiologie für die Diagnose des Magenkarzinoms darin, in zweifel¬
haften Fällen das Vorhandensein eines Tumors sicherzustellen; weiter
in der Möglichkeit der radiologischen Diagnose des Ulcus callosum;
nicht nur deshalb, weil die Diagnose Ulkus bis jetzt auf recht schwachen
Füßen stand, sondern auch wegen der engen Beziehungen des Ulcus
callosum zum Karzinom. Payr hat berichtet, daß in 26°/ 0 der Fälle,
Küttner sogar in 31°/ 0 von reseziertem Ulcus callosum histologisch
krebsige Umwandlung nachzuweisen \yar; Payr bezeichnet daher die
Frühoperation des Ulcus callosum als Frühoperation des Magenkarzinoms;
denn gewiß kann man die Frühdiagnose des Ulcus callosum als Früh¬
diagnose des Magenkarzinoms bezeichnen. Von Wichtigkeit ist ferner
die Radiologie für die Diagnose des Sanduhrmagens. Für die übrigen
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S. Leo,
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Magenerkrankungen leistet die Radiologie entweder ebensoviel als die
anderen Methoden oder sie leistet gar nichts. Das erstere gilt für die
Größe, Lage und Formveränderungen, die Atonie, die gewöhnlich als
die eigentliche Domäne der radiologischen Diagnostik bezeichnet werden,
ferner für die Diagnose der Pylorusstenose und der motorischen In¬
suffizienz; das letztere für die Bestimmung der sekretorischen Funktion,
endlich für das große Heer der übrigen Erkrankungen des Magens, der
Neurosen, funktionellen, psychogenen und reflektorischen Erkrankungen,
die ja die weitaus überwiegende Mehrzahl der Magenerkrankungen bilden.
Siegfried Jonas hebt hervor, daß er gelegentlich einer Reihe von
Durchleuchtungen chlorider Magengeschwüre fand, daß 1. der epigastrische
Druckpunkt zumeist außerhalb des Magenbildes zu liegen kommt,
also dem Ulkus selbst nicht entspricht und daß 2. der epigastrische
Druckpunkt einem tief gelegenen Organ (Ganglion coeliacum oder hier
liegenden Drüsen) angehören muß; daß er verschwindet, wenn mau durch
Hebenlassen des Kopfes am liegenden Pat. die Muskelwand der kon¬
trahierten Recti zwischen die untersuchenden Finger und die tieferen
Organe bringt. 3. In einer Reihe von Fällen fand sich ein Druckpunkt,
der seine Zusammengehörigkeit mit dem Magen dadurch bewies, daß er
sich mit ihm beim Eindrücken des Unterbauches nach oben bewegte,
ein Druckpunkt, der somit auf das Ulkus selbst bezogen werden durfte.
Da nun dieses selbst (nach Lennander) nicht druckempfindlich ist, so
müßte für diese Druckempfindlichkeit das mitergriffene Peritoneum
(Perigastritis) verantwortlich gemacht werden. Da somit der epigastrische
Druckpunkt allein, als auch bei Neurosen und Cholelithiasis vorkommend,
für die Diagnose des Ulcus ventriculi (bei Fehlen sonstiger Symptome)
nicht maßgebend sein darf, so erscheint der Nachweis eines im Bereiche
des Magens liegenden zweiten Schmerzpunktes für die Diagnose des
Ulkus wichtig. Für die Differentialdiagnose des Ulkus der Pars
pylorica gegenüber der Cholelithiasis macht J. folgende Erwägung:
Während sich im radiologischen Bilde die Pars pylorica, deren kleine
Kurvatur der Hauptsitz der Ulzera ist, sehr wenig verschieblich erweist,
kommt der Leber eine respiratorische Verschieblichkeit von zirka zwei
Querfingern zu. Man bestimme also am liegenden Pat. die unterste
Grenze der druckempfindlichen Zone, drücke sodann zwei Querfinger
tiefer (hier also jetzt ohne Schmerz), lasse nun den Pat. tief inspirieren
und den Atem auf der Höhe des Inspiriums einhalten; tritt nun an die
Stelle der früher schmerzfreien Zone Druckempfindlichkeit, dann kann
es sich *— abgesehen von allgemeiner Druckempfindlichkeit der Leber —
nur um den Gallenblasendruckpunkt handeln, weil nur die Leber, nicht
die Pars pylorica respiratorisch erheblich verschieblich ist. (K. k. Ge¬
sellschaft der Arzte.)
Prof. Adam Politzer hielt einen Vortrag: Anatomisches und
Klinisches zu den Labyrintheiterungen. Von 18, infolge otitischer
Komplikationen letal verlaufenen, klinisch genau beobachteten Fällen
ergab die anatomische Untersuchung in 10 Fällen gröbere anatomische
Veränderungen im Labyrinthe, während in 8 Fällen trotz tiefgreifender
Veränderungen im Mittelohre keine entzündlichen Strukturveränderungen
im Labyrinthe nachweisbar waren. Die Labyrinthpräparate zeigen folgende
Veränderungen: 1. Durchbruch der beiden Labyrinthfenster und Ein¬
dringen des Eiters in die Labyrinthhöhle. 2. Fistelöffnungen an den
Bogengängen und an der inneren Trommelhöhlenwaud. 3. Zerstörung
der häutigen Gebilde des Labyrinths und des Cortischen Organs. 4. Ein-
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Wiener Brief.
639
Schmelzung der Knochenwände der Labyrinthhöhle und des Modiolus
der Schnecke mit Durchbruch in den inneren Gehörgang. 5. Endzündliche
Veränderungen im inneren Gehörgang und eitrige Infiltration des Hör¬
nerven. 6. Bindegewebs- und Knochenneubildung in der Schnecke als
Resultat einer älteren abgelaufenen Entzündung im Labyrinthe. Als
otitische Komplikation mit letalem Ausgange werden angeführt: Menin¬
gitis, Extraduralabszeß, Kleinhirnabszeß, Schläfenlappenabszeß und Sinus¬
thrombose. Nach der Statistik der Klinik Politzer wird der letale
Ausgang bei den otifcischen Komplikationen in der Hälfte der Fälle durch
die vom Labyrinthe ausgehende Meningitis herbeigeführt, und zwar geht
die Infektion vorzugsweise von der Schnecke aus. P. verwirft daher
die Operationsmethode, die sich auf die Abtragung der Bogengänge
und Eröffnung des Vorhofs beschränkt, und befürwortet als wichtigste
Forderung die operative Ausräumung der Schnecke, da nur dadurch der
gefährliche Eiterherd im Labyrinthe ausgeschaltet wird. Bei tiefem
Extraduralabszeß ist die von Jansen-Neumann vorgeschlagene Ab¬
tragung der hinteren Pyramidenwand und die Eröffnung des Labyrinthes
von der medialen Seite angezeigt. Bei den ohne zerebrale Komplikationen
bestehenden Labyrintheiterungen hingegen empfiehlt P. die Abtragung
der Promontorialwand und die breite Eröffnung des Vorhofes und der
Schnecke und die gründliche Ausräumung derselben. Diese Methode
hat den Vorteil, daß eine Verletzung des Nervus vacialis gänzlich aus¬
geschlossen ist. (K. k. Gesellschaft der Arzte.)
Alfred Jungmann stellt aus der Heilstätte für Lupuskranke
eine Anzahl von Patienten, die mit Radium behandelt wurden. Die
Anstalt verfügt derzeit nur über zwei Radiumträger, von denen der eine
30 mg reines Radiumbromid enthält, der zweite beiläufig doppelt so
stark beschickt ist. Die Träger sind in der Weise hergestellt, daß
das Radiumpulver durch einen Firnis an eine darunter liegende Platte
fixiert und das Ganze in einer verdünnten Aluminiumkapsel eingeschlossen
ist. Die eine von den Kapseln hat die Form eines runden, dicken
Bleistiftendes von s / 4 cm Durchmesser, die zweite, stampiglienartige
Kapsel, hat eine quadratische Fläche von l x / 2 cm Seitenlänge. Bei einem
solchen Bau des Radiumträgers ist bereits von vornherein eine Filtration
gegeben, indem die Alphastrahlung, die normalerweise die Hauptpartie
der Radiumstrahlung ausmacht, schon durch dünne Flächen absorbiert
wird. Zur Wirksamkeit gelangen nur die stärker penetrierenden ß und
y-Straklen. Wir bedienen uns auch sonst, um verschieden tiefe Wirkungen
zu erzielen, der Einlage von Filtern und geben zwischen Metall und
Gewebe meist auch noch eine Papierschichte, die den Zweck hat, die
für die Therapie unerwünsche Sekundärstrahlung zu beseitigen. Was
die Dosierung anlangt, so ist sie bei dem einmal gegebenen Radium-
träger von der Zeitdauer der Applikation abhängig. J. stellt nun Fälle
von Epitheliom der rechten Wange, Epitheliom am linken Nasenflügel,
serpiginösem Hautkarzinom vor, die geheilt entlassen wurden. Ferner
ein ausgebreitetes Ulcus rodens der ganzen Nase bis um die Nasen¬
flügelränder reichend, um beide innere Augenwinkel und an der linken
Wange bis zur Jochbeinregion sich fortsetzend. Krankheitsdauer 9 Jahre.
Vor 8 Jahren war an einer chirurgischen Station, das damals nur am
linken Nasenflügel sitzende Karzinom exstirpiert und hierauf plastisch
gedeckt worden. Einige Monate später trat Rezidive ein. Röntgen
hatte keinen Erfolg. Hierauf wurde Radiumbehandlung eingeleitet,
der gesamte Erkrankungsherd erhielt 60 Minuten Bestrahlung. Seither
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Referate und Besprechungen.
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blieb der größte Teil ausgeheilt. Ferner stellte J. ein zweites schweres
Ulcus rodens der unteren Nasenpartie, das bereits einen großen Teil
beider Nasenflügel, insbesondere rechts vom Septum zerstört hat.
Krankheitsdauer 9 Jahre. Vor 2 Jahren wurde in der Provinz
Paquelinisation vorgenommen. Auch hier hatte Röntgen keine be¬
friedigenden Resultate erzielt, so daß zu Radium geschritten wurde.
Damit Heilung. Endlich stellt J. Fälle mit Kombination von Röntgen-
und Radiumbehandlung vor. (1. Karzinom der Zunge mit Metastase am
Halse rechts; Heilung. 2. Karzinom auf dem Boden von Lupus), und
zwei mit Radium geheilte Lupusfälle.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Zlatogoroff (St. Petersburg), Über die Aufenthaltsdauer der Cholera¬
vibrionen im Darmkanal des Kranken und über die Veränderlichkeit ihrer
biologischen Eigenschaften. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 1.) Nach der
Genesung der Kranken können noch Cholerabazillen in den Exkrementen
nachgewiesen werden (93 Tage). Im menschlichen Körper kann der Cholera¬
vibrio seine Agglutinationsf&higkeit vollkommen einbüßen. Tierexperimente
bestätigen diese Beobachtung des Verfassers. Von der Flora der Umgebung
hängt oft das Verschwinden der Vibrionen aus dem Darmkanal ab. In den
Exkrementen außerhalb des Organismus können die Vibrionen ihre Lebens¬
fähigkeit bis zu 9 M 0113 -! 611 erhalten, wenn sie ohne Luftzutritt aufbewahrt
werden. Jeder Vibrio, der aus den Exkrementen während einer Epidemie
gewonnen ist, muß, auch wenn er nicht agglutiniert, Anlaß zum Verdacht
auf Cholera geben. Schürmann.
Zweifel (Leipzig), Bakteriologische Untersuchungen von rohem Hack¬
fleisch mit besonderer Berücksichtigung der Bazillen der Paratyphusgruppe.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 2 .) Aus dem rohen Hackfleisch konnte
Verfasser 23 paratyphusähnliche und 6 typhusverdächtige Stämme
isolieren, die nach Verfütterung bei Tieren keine Krankheitserscheinungeu
hervorriefen. In einer Fleischsorte fanden sich Maden, Koli und Proteus -
bazillen und allerlei Kokken. Fliegen sollen nach Ansicht des Verf. walu-
scheinlich ihre Eier und zugleich andere Keime abgelagert haben. Aus
alledem ergibt sich, daß in Krankenhäusern, Wirtschaften und Metzgereien
alle Lebensmittel verschlossen aufbewahrt werden müssen, und daß durch
polizeiliche Vorschriften auf Abschließen der Lebensmittel gegen pathogene
Infektionen gefordert wird. Verfasser empfiehlt den Genuß rohen Fleisches
ohne Bedenken.
Die Gefahr einer Bandwurminfektion durch rohes Hackfleisch wird
vom Verf. nicht erwähnt. — Es ist hygienisch nur zu bedauern, wie man
den Genuß von rohem Fleisch anpreisen kann. Schürmauii.
Rosenblat (Bern), Vergleichende Untersuchungen über neuere Färbungs¬
methoden der Tuberkelbazillen, nebst einem Beitrag zur Morphologie dieser
Mikroorganismen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Die Färbungs-
methoden von Gasis, Ziehl, Much, Gram wurden vom Verf. ange¬
wandt. Verf. kommt zu dem Schluß, daß die klarsten und deutlichsten
Bilder der Tuberkelbazillen mit der ZiehTschen Färbung erhalten werden.
Sie bietet jedenfalls viel geringere Fehlerquellen bei Mischinfektion und
steht auch im quantitativen Nachweis der Gram’schen Färbung nicht nach.
An Schnelligkeit und Einfachheit übertrifft sie alle übrigen Methoden. Die
Much’sche Methode ist gut anwendbar bei Studien von Reinkulturen von
Tuberkelbazillen; bei Mischinfektionen führt sie leicht zu Irrtümern. Di©
Much’schen Granula hält Verf. für Zerfallsprodukte der Bazillen, die nach
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Referate und Besprechungen.
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Verlust ihrer säurefesten Membran sich nicht mehr homogen färben lassen
und deshalb gekörnt erscheinen.
Die kombinierte Färbung nach Z i e h 1 und Gram gewährt uns einen
besseren Einblick in die feinere Struktur des Tuberkelbazillus als die neuen
Verfahren von Much oder Gasis. Schiirmann.
Ascoli (Mailand), Die Präzipitindiagnose bei Milzbrand. (Zentralbl.
für Bakt., Bd. 58, H. 1.) Verfasser gibt eine Thermopräzipitin-
m e t h o d e für die Milzbranddiagnose an, die es dem Praktiker erleichtert,
mittels der Präzipitationsmettoode bei verdächtigem Vieh den Milzbrand rasch
zu diagnostizieren. Schürmann.
Krogh (Berlin), Eine neue Methode zur Chromatinfärbung. Zentralbl.
für Bakt., Bd. 58, H. 1.) 1. Färbung mit polychromen Methylenblau; ab¬
spülen mit Leitungswasser; 3. in 2%iger Chromsäure beizen 1—15 Minuten;
4. abspülen; 5. in 5°/oig er Gerbsäurelösung differenzieren; 6. abspülen;
7. absol. Alkohol, Xylol, Kanadabalsam. Die Methode hat sich am besten
zur Färbung von Schnitten des Zentralnervensystems bewährt.
Schürmann.
Innere Medizin.
Livierato und Crossonini (Genua), Untersuchungen über die tuberku¬
lösen Exsudate beim Menschen in ihren Beziehungen zur Immunität. (Zentr.
für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Die tuberkulösen Exsudate besitzen eine deutliche
prophylaktische und schützende Wirkung gegen die akute Tuberkulin Vergif¬
tung bei Tieren. Bei einigen derselben fällt die Agglutinationsreaktion positiv
aus (1:10), spezifische Präzipitate ließen sich selten nachweisen. Die Ver¬
suche über das opsonische Vermögen lassen keine Schlußfolgerungen zu.
Schürmann.
A. G. Reid, Die Behandlung der akuten Pneumonie. (Practitioner,
Bd. 86, H. 2.) Reid tritt mit Entschiedenheit für die Blutentziehung ein
und ist aus praktischen und anatomischen Gründen überzeugt, daß Blut¬
entziehung am Thorax die Kongestion der Lunge vermindert. Wichtig ist es,
den richtigen Moment zu treffen, nämlich den dritten oder vierten Tag,
gerade vor der Krisis. R. zieht dem Aderlaß das Ansetzen von 2—^3 Blut¬
egeln und das Nachbluten lassen während V g Stunde vor, und zwar an der
Stelle der Dämpfung. Die subjektive Wirkung wird stets vom Kranken
dankbar anerkannt, und von der objektiven ist R. überzeugt.
Damit hätten wir eine Rückkehr zu einem früher allgemeinen Ver¬
fahren, das so gründlich schlecht gemacht worden ist, daß man heutzutage
die größte Mühe hat, Blutegel überhaupt aufzutreiben. Zum Glück kann
man sich mit Schröpfköpfen helfen, die aus jedem Wasserglas leicht zu
improvisieren sind. Fr. von den Velden.
S. Steriopulo, Ober die diagnostische und prognostische Bedeutung der
Tuberkulinproben bei Tuberkulose. (Medicinskoje Obosrenje, Bd. 20, 1910.)
Prognostisch ist die Tuberkulinprobe von verhältnismäßig geringer klini¬
scher Bedeutung. Das Fehlen der Reaktion ist in einem Fall von nach¬
gewiesener Tuberkulose von schlechter Prognose. Im allgemeinen ist die
Reaktion in den Anfangsstadien der Tuberkulose schärfer ausgesprochen.
In einzelnen Fällen wird die Reaktion bei Besserung des Zustaudes inten¬
siver, bei Verschlechterung weniger deutlich ausgesprochen.
Diagnostisch kommt bekanntlich nur der negativen Reaktion eine Be¬
deutung zu. Bei Kindern im Alter zwischen 3—7 Jahren ist sowohl der
positive als der negative Befund von klinischem Wert. Schieß (Marienbad).
H. Eppinger u. L. Hofbauer (Wien), Kreislauf und Zwerchfell. (Zeit¬
schrift für klin. Medizin, Bd. 72, S. 154, 1911.) Die Verfasser geben ihrer
Studie folgende „Zusammenfassung“: Hochstand des Zwerchfells veranlaßt
verbesserten Blutabfluß aus den unteren Extremitäten dadurch, daß hierbei
das Foramen venae cavae möglichst weit wird. Beim Tiefstand des Zwerch
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Referate und Besprechungen.
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felis hingegen veranlassen die sehnigen Ausstrahlungen der Zwerchfell -
Schenkel eine Abklemmung der Vene, mithin eine Beeinträchtigung des
Blutabflusses. Nützlich wird das inspiratorische Tiefertreten des Zwerch¬
fells für den Blutabfluß aus den Bauchorganen (durch Druckwirkung auf
Leber und Lebervenen). H. Vierordt (Tübingen).
R, Bernert (Wien), Vorkommen von Aortenaneurysmen hn jugendlichen
Alter und nach akutem Gelenkrheumatismus. (Zeitschr. für klin.. Medizin,
Bd. 69, S. 121.) Zu den Ursachen des Aortenaneurysmas, zumal in den
ersten Jahrzehnten des Lebens, muß auch der akute Gelenkrheumatismus
gezählt werden, da er nicht etwa bloß zu diffuser Erweiterung des Anfangs -
teils der Aorta (A r n s p e r gjer), sondern auch zu mehr zirkumskripter,
einem Aneurysma sacciforme, führen kann. Als wichtigsten ätiologischen
Faktor nimmt auch Bernert die Syphilis an, wie denn in dem Aufsatz
alle für das Aneurysma in Betracht kommenden ätiologischen Momente be¬
sprochen sind. H. Vierordt (Tübingen).
K. F. Wenckebach (Groningen), Beobachtungen bei exsudativer und
adhäsiver Perikarditis. (Zeitschr., für klin. Medizin, Bd. 71, S. 402, 1910.)
Bei exsudativer Perikarditis erweist sich das Einblasen von Luft, ungefähr
die Hälfte der Menge des abgelassenen Exsudats, als nützlich in betreff
der Atmung, Diurese, Häufigkeit der Rezidive.
An 3 Fällen wird gezeigt, daß ein „dynamisch“ (durch Einfluß der
Atmung) verursachter Pulsus paradoxus mit vergrößerten Ausatmungswellen
auch ohne perikardiale oder andere Verwachsungen auftreten kann, daß aber
der mechanisch verursachte Pulsus paradoxus während der Atmungspause
die größten Pulswellen zeigt.
Hinsichtlich der Diagnose der Pericarditis adhaesiva hält W. den
Pulsus paradoxus für bedeutungslos (vergl. o.); er legt aber Gewdcht auf
das Ausbleiben der inspiratorischen Vorwärtsbewegung, die sogar leichter
Einziehung Platz machen kann. Umgekehrt besteht bei ergiebiger Vor¬
wärtsbewegung der Brustwand keine Adhäsion. H. Vierordt (Tübingen).
Silberberg (Odessa), Intravenöse Periplocininjektionen. (Russki Wr,
Nr. 46, 1910.) Die Ursache der bei Periplocin beobachteten Verlangsamung
ist in der erregenden Wirkung auf den intrakardialen hemmenden Apparat
zu suchen. Die Wirkungen in den einzelnen Stadien entsprechen den bei
Strophantin und Digalen beobachteten. Charakteristisch für Periplozin ist
die bedeutende und mehr allmählich auftretende Verstärkung der Kontrak¬
tionen des ausgeschnittenen Herzens. Indem es die Herztätigkeit stärkt,
steigert es die Diurese, beseitigt die hydropischen Erscheinungen. Die
Steigerung des Blutdrucks ist besonders deutlich bei Herzfehlern; bei Myo¬
karditis ist die Ausgleichung der arythmischen Pulsation besonders auf¬
fallend. Die Wirkung des Periplocins zeigt sich schon wenige Minuten nach
der Injektion. Die Injektionen sind schmerzlos, eine kumulative Wirkung ist
nicht beobachtet worden. Mittlere Dosis ist 0,001. Gegenüber dem Digalen
hat das Periplocin den Vorzug?, daß es auch bei sklerotisch veränderten
Venen anzuwenden ist. Schieß (Marienbad).
Chirurgie.
D. W. Harrington (Milwaukee). Die chirurgische Behandlung der
Naevi, Warzen und Hautzysten. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 3, 1911.)
Ganz ohne Narbe können diese Schönheitsfehler, deren Beseitigung so häu¬
fig dem Arzt entgeht und allerlei unzünftigen Spezialisten zufällt, nicht
entfernt werden, doch gelingt es, Narben herzustellen, die nach einem Viertel -
jahr nur schwer zu entdecken sind, wenn man sauber und mit dem Messer
operiert. — Kaustika sind weniger geeignet, da die Tiefenwirkung nie ge¬
nau bestimmt, werden kann, zumal die Reaktion der Haut auf die Ätzung
individuell sehr verschieden ist. WeT sauber mit Messer und Nadel um-
zugehen weiß, kann leicht tadellose Resultate erreichen, wenn er — unter
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Referate und Besprechungen.
043
lokaler Anästhesie — die Exkreszenz mit einem feinen Haken stark empor-
hebt, mit zwei leicht gekrümmten, in der Spaltrichtung der Haut ver¬
laufenden Schnitten umschneidet (wobei zu beachten ist, daß bei behaarten
Naevi tief genug geschnitten werden muß, um die Haarwurzeln zu entfernen)
und die Wunde mit zwei feinen Näthen schließt. Wenn der Naevus groß
ist oder an einer Stelle sitzt, wo dfte Haut straff ist, wie an Kinn, Nase,
Stirn und Wange, ist es vorteilhaft, die Haut durch einen Schnitt in zwei
Schichten zu zerlegen, deren obere siph auf der unteren verschiebt. Verband
mit Watte aus Collodium elasticum, Entfernung der Nähte nach 3—4 Tagen.
Kleine Atherome sind häufig mit der Haut verwachsen und reißen bei
der Bemühung, sie davon abzupräparieren, aus. H. rät deshalb, nach einem
Schnitt über die Mitte der Zyste deren Boden mit einem Häkchen zu fassen
und sie daran herauszuziehen, was gewöhnlich leicht gelingt.
Fr. von den Velden.
Haberer (Wien), Zur Frage der Knochenzysten, zugleich ein Beitrag
zur freien Knochentransplantation. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 4.)
Nach kurzem Rückblick auf die Erfolge der Knochentransplantation in
neuester Zeit teilt Verf. einen Fall von Zyste im Oberarm mit, dessen
Defekt er durch eine Fibula deckte, die er bei Resfektion eines Oberschenkels
bei Fungus genu tbc. gewonnen hatte; die Plastik wurde in der Weise aus-
geführt, daß er das Köpfchen der Fibula als Oberarmkopf in die Gelenk¬
pfanne des Schulterblattes und den durchsägten angespitzten Teil der Fibula
in die Markhöhle des Restes des Oberarmes einfügte; der Wundverlauf war
ein guter, die Patientin wurde drei Wochen später geheilt entlassen. Am
zehnten Tage wurde mit aktiven und passiven Bewegungen begonnen, die
nach und nach das Resultat hatten, daß Pat. den Arm bis auf den Kopf
legen konnte. Nach Verlauf von vier Monaten seit der Operation ist die
Funktion stets besser geworden und ist (eine deutliche Kallusbildung an
der Einpflanzungsstelle der Fibula in den Humerus nachweisbar; soweit
wäre wohl der Erfolg garantiert; interessant ist, daß auch die Fibula deut¬
lich an Dickenwachstum zugenommen hat, wie das R. B. ergibt. Nach
einer Beschreibung des mikroskopischen Bildes, der den Fall in das Ge¬
biet der Ostitis fibrosa verweist, verbreitet sich Verfasser über die Streit¬
frage der Entstehung der Knochenzysten; die früher allseitig vertretene
A.nsicht der Entstehung der Zysten aus Tumoren, Sarkomen ist verwerflich
und schematisch, da einwandsfreie Fälle beobachtet sind, die keine Spur
eines Sarkoms aufweisen; es gibt drei Entstehungsarten:
1. Zyste entstanden aus der Ostitis fibrosa,
2. Zyste entstanden aus einem Tumor,
•'). Zyste entstanden aus der Kombination beider obigen Erscheinungen.
Vorschütz.
Kausch (Schöneberg-Berlin), Beiderseitige Resektion oder einseitige
Exstirpation des Kropfes. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 4.) Nach
kurzem Überblick über die verschiedenen Methoden der Operation zur Ent¬
fernung (1er Kröpfe, wendet sich Verfasser vornehmlich zwei Methoden der
beiderseitigen Resektion oder einseitigen Exstirpation des Kropfes zu. —
In Deutschland und auch in anderen Ländern wird im allgemeinen die
letztere von Kocher angegebene Methode angewandt. Die von Mykulicz
angegebene beiderseitige Resektion hat kaum außer durch Riedel eine
besondere Vorliebe gefunden. Verfasser verficht nun in breiter Auseinander¬
setzung die Vorzüge der Mykulicz’schen Methode vor der Kocher’schen und
hebt besonders einmal die absolute Sicherheit der Schonung von N. recurrens
und der Epithelkörperchen hervor, abgesehen von kosmetischen und anderen
kleinen Vorteilen; die der Methode anhaftenden Nachteile wie stärkere
Blutung. Unmöglichkeit der Anwendung bei totaler Erkrankung einer Seite
weiß er zu zerstreuen. Nach Luxation der Struma, die er in Äthernarkose
nach vorheriger Darreichung von VeronaI, Skopolamin, Morphium ausführt,
wird ein Keil aus den beiden seitlichen Lappen herausgeschnitten, sodaß ein
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Referate und Besprechungen.
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innerer und äußerer Teil stehen bleibt; der Schnitt darf nicht bis durch
die ganze Dicke des Organs geführt werden; beide übrig gebliebenen Reste
werden nun durch Kapseln’ähte vereinigt. Durchschnittlich wird ein reichlich
großer Rest zurückgelassen, der stets größer ist, als die normale Schild¬
drüse. Für die ersten Tage legt Verf. rechts und links ein Gumniidrahi
ein; die Muskeln werden mit Katgut, die Haut fortlaufend mit Seide genäht.
Die beiderseitige Resektion sollte die Operation der Wahl sein.
Vorschütz.
Friedei (Stendal), Defekt der Wirbelsäule vom 10. Brustwirbel an ab¬
wärts bei einem Neugeborenen. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 4.)
Verfasser beschreibt einen Fall von angeborenem Defekt der Wirbelsäule»
vom 10. Brustwirbel abwärts: gegenüber dem kräftig entwickelten Ober¬
körper bestand eine starke Beeinträchtigung des Unterkörpers. Der Fall
gehört wohl in das Gebiet der Sirenenbildung und sind die Einzelheiten im.
Original nachzulesen. Vcirschütz.
Psychiatrie und Neurologie.
Bardet, Traitement de l*insomnie. (Bull, gener. de tlier., Nr. 11. 1911.)
3 Ursachen. 1. digestiven Ursprungs. Meist infolge anormaler Gärungs-
vorgänge, oft bei einem alten hyperchlorhydrischen Individuum mit Pylorus -
stenose als Milchsäurefermentation: plötzliches Erwachen nach regelrechtem
Einschlafen, fast immer zur selben Stunde, gegen 1—2 Uhr morgens, mit
unangenehmem Gefühl im Epigastrium, einer gewissen Unruhe, 2—3 Stunden
lang. Manchmal handelt es sich auch besonders um eine Hypersekretion
des sauren Magensaftes. Der Schlaf pflegt im Bett nicht wiederzukommen ;
der Kranke liegt gewöhnlich und verschlimmert so seinen Zustand. Ein
Hypnotikum ist kontraindiziert, denn der Kranke verschlimmert durch Rei¬
zung seines Magens nur seinen Zustand. Hier empfiehlt sich am besten:
Reine Kreide 5,0, Magnes. 2,0, Bismut. subnitr. 0,5, Dos x. 1 P. in etwas
Wasser. Meist genügt 1 P., selten ist nach einer Stunde ein zweites nötig.
Hält die Unruhe an, so setzt man dem Pulver am besten 2—5 cg Opium za,
was völlig zur Bewerkstelligung des Schlafes genügt. Bei forcierter Ver¬
dauung genügen auch zur Beruhigung deß Magens und Erzielung des Schlafes
5—8 Tropfen Validol.
2. Neuropathischen Ursprungs: durch Unruhe, geistige Überanstrengung:
infolge von Neurasthenie. Die Wirkung einer Allgemeinbehandlimg tritt
manchmal zu spät auf, oder die Ursache ist nicht ohne weiteres zu entfernen.
Dann ein Hypnotikum, dessen Wahl allerdings nicht immer leicht: es soll
rapid, nicht zu lange und ohne störende Nebenwirkungen Schlaf bringen. Da
ist in erster Linie Chloral 1,0: Erwachen mit dumpfem Gefühl und Magen -
Störungen. Auch Sulfonal, Trional und Tetronal reizen zu sehr lokal und
üben auf die nervösen Zentren einen zu intensiven Reiz aus. Auch das
Veronal hat bei manchen Leuten zu unangenehme Nebenwirkungen. Besser
ist das Medinal, 3—5 cg, das einen rapiden, ruhigen Schlaf ohne Nebenerschei¬
nungen bringt. Es ist wasserlöslich und läßt sich namentlich bei Irren intra -
muskulär injizieren. Da eine allzulange hypnotische Medikation schädlich
wirkt, ist nebenher eine allgemeine sedative Medikation indiziert.
3. Infolge von Schmerzen. Hier eignet sich in erster Linie das Hypnal
zugleich Hypnotikum und Analgetikum; dann ganz besonders bei Neuralgien
und Zahnschmerzen das Trigemin, jetzt das beste Mittel. Es kann auch in
Verbindung mit Morphium gegeben werden. Dosis 0,5—1,0. Formel: Aq.
dest. 90,0, Tinct. Menth. 30,0, Trigemin 7,5, Sir. spl. 30,0. 1 Kaffeelöffel
= 0,5. v. Schnizer (Höxter).
E. Mattauschek (Wien), Die Erfolge der Salvarsanbehandlung bei
Nervenkrankheiten. (Zeitschr. für die ges. Psych. u. Neur., Bd. 4, H. 5.)
Die-luetisch bedingten Erkrankungen des Nervensystems stellen ein dank¬
bares Gebiet der Salvarsantherapie dar. Hirnnervenstörungen nach Salvar-
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Referate und Besprechungen.
645
sanbehandlung sind nur in der Frühperiode der Syphilis beobachtet worden,
und scheinen eine besondere Form der Syphilisrezidive darzustellen. Sie
sind wie alle anderen luetischen Hirnnervenaffektionen der Behandlung mit
Hg oder Salvarsan zugänglich. Irreparable Störungen bei Spätformen wer¬
den naturgemäß nicht mehr beeinflußt. Das Hauptanwendungsgebiet sind
jene Erkrankungsformen, bei denen die Spirochäten noch eine Rolle spielen,
also Gehirn- und Rückenmarkssyphilis. Gerade in manchen alten Fällen,
wo Hg und Jod versagt haben, hilft es oft noch, es ist auch bzgl. des Ein¬
tritts der Wirkung an Schnelligkeit den erstgenannten Mitteln überlegen.
Günstig wirkt es auch bei tertiärer oder latenter Lues mit schweren neur-
asthenischen Erscheinungen. Es ist dies besonders wuchtig, weil diese Neur¬
asthenien nicht selten die Vorläufer destruktiver Prozesse sind. Nur in
3 Fällen sind bei echt syphilitischen Nervenkrankheiten bisher Schädigungen
beobachtet worden, die nicht auf die falsche Methode zurückzuführen waren.
Gewarnt, wird vor der Anwendung bei Hirndruck. Auch Todesfälle sind
beobachtet, von denen einige sicher der Methode zur Last fallen. M. hat
bisher 69 Fälle ohne Schädigung behandelt, davon waren 31 echt syphilitische.
4 scheiden wegen zu kurzer Beobachtung aus. Von den Testierenden 27
wurden 16 wieder voll berufsfähig, 3 dauernd, 4 vorübergehend gebessert,
nur in 4 Fällen blieb jeder Erfolg aus. Tabiker und Paralytiker ohhe
Komplikationen vertragen im allgemeinen die Salvarsanbehandlung gut. In
vorgeschrittenen Stadien von Paralyse ist abzuraten, ebenso bei Anfalls-
Paralytikern. Bei initialen Paralysen ist ein Versuch gestattet. M. konnte
sich bei keinem seiner 16 sicheren Paralysen von einem Erfolg überzeugen.
Bei der Tabes berichtet die überwiegende Mehrheit der Beobachter gute
Erfolge. Es handelt isich dabei hauptsächlich um die Beseitigung von
Symptomen, welche nicht auf den degenerativeu Veränderungen beruhen,
sondern Reiz- oder Lähmungserscheinungen darstellen (Ataxie, Sensibilitäts-
störungen, Pupillenstörungen, Reflexe), Hebung des subjektiven Befindens
und des KräftezustandeS war ein weiterer therapeutischer Effekt. Auch
Verschlimmerungen bei initialen und vorgeschritteneren Fällen sind beo¬
bachtet, aber die guten Erfahrungen überwiegen. Von 12 Tabesfällen konnte
M. 5 [günstig beeinflussen. Für die neurologische Praxis hält M. trotz aller
Mängel die intramuskuläre Anwendung von Lösungen (nicht Suspensionen)
für am meisten empfehlenswert, weil die Dauerwirkung größer ist und die
Alterationen des Blutdrucks oft die größte Vorsicht bedingen. Große Dosen
wirken nicht besser als mittlere, bei Fällen, welche sich gegen die letztere
refraktär verhalten, ist eine Reinjektion zwecklos, eine Wiederholung der
Injektion sollte nicht vor 8 Wochen gemacht werden. Mehr empfiehlt sich
bei therapeutischen Mißerfolgen eine Kombination mit Hg und Jodkuren.
Vorbehandlung mit Atoxyl ist eine Kontraindikation. Sehr ausführliche
Literaturangabe. Zweig (Dalldorf).
V. Kafka (Prag), Über Zytolyse im Liquor cerebrospinalis. (Zeitschr.
für die ges. Neur. u. Psych., Bel. 5, H. 2.) Die Zellen des Liquor verändern
sich hinsichtlich ihrer Zahl und ihrer Gestalt schon innerhalb der ersten
2 Stunden beträchtlich, so daß die Untersuchung derselben möglichst frisch
stattfinden muß. Die Ursache liegt wohl in den Zellen selbst.
Zweig (Dalldorf).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
S. B. Wermel u. M. J. Karl in. Einige Beobachtungen über die Wir¬
kung des Ehrlich’schen Präparats. (Medicinskoje Obosrenje, Bd. 20, 1910.)
Bei der Anwendung von ,,606“ ist die Technik der Zubereitung und die
Art der Anwendung von ausschlaggebender Bedeutung. Von den bisher
üblichen Methoden entspricht der idealen Forderung — zu gleicher Zeit die
einfachste, am wenigsten schmerzhafte und am schnellsten zum Ziele führende
zu sein — keine einzige. Die intravenöse Injektion gibt wohl schnelle und
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Referate und Besprechungen.
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günstige Resultate, ist aber kompliziert und führt wohl am ehesten zu
Komplikationen. Die intramuskuläre Injektion der Emulsion sowohl als der
Lösung ist schmerzhaft, Zubereitung recht kompliziert, Wirkung sehr lang¬
sam. Verfasser geben der Injektion nach Blaschko den Vorzug.
Ohne Zweifel ist das Präparat als ein für Lues spezifisches Mittel
anzusehen. Inwieweit die vorgeschlagene zweimalige Anwendung — einmal
intravenös und nach einigen Tagen subkutan — ausreichen wird, muß die
Erfahrung lehren.
Mit Rücksicht auf die augenfällige Besserung des Allgemeinzustandes
unter dem Einfluß des Präparates ist die Frage berechtigt, ob das Präparat
nicht in Fällen, in denen große Dosen von Arsen gute Dienste leisten, anzu-
wenden wäre.
Von den an der Hand sehr genau geführter Krankengeschichten mit*
geteilten Fällen erscheint besonders bemerkenswert ein Fall von gummöser
Meningitis bei einer 29jährigen Frau, die auf Quecksilber wiederhole
mit ulzeröser Stomatitis reagierte, bei der Jod gar keine Wirkung zeigte.
Eine einmalige Injektion von 0,5 führte eine a u f f a 11 e n d e, von Tag zu
Tag fortschreitende Besserung herbei. Bei der progressiven Paralyse war
nur in einem Fall eine wesentliche Besserung zu beobachten.
Schieß (Marienbad).
W. A. Merkurieff u. S. M. Silber. Die Anwendung der Gonokokken¬
vakzine bei Gonorrhöe. (Russki Wratsch, Nr. 6, 1911.) In der überwiegen¬
den Mehrzahl der Fälle sahen Verf. ausgezeichnete Erfolge bei der An¬
wendung der Gonokokkenvakzine und sind geneigt, die Fälle, bei denen
sich der ursprüngliche Zustand wieder eingestellt hat, auf mangelhafte
Technik zurückzuführen. Die Beobachtungen beziehen sich auf 35 Fälle.
Bei der Vakzination beobachtet man eine Schmerzhaftigkeit an der
I-njektionsstelle, die nach einer V 2 —2 Stunden auf tritt, oft sehr deutlich
ausgesprochen ist Und 24—48 Stunden anhält. Ab und zu war auch ein
Infiltrat nachzuweisen, das etwa eine Woche an hielt. Diese Erscheinungen
hängen von der Größe der injizierten Dosis ab. 2—3 Stunden nach der
Injektion stieg die Temperatur auf 39,5° um nach 24 Stunden wieder zur
Norm zurückzukehren. Verf. hatten den Eindruck, als zeigten die mit be¬
sonders erhöhter Temperatur einhergehenden Fälle viel größere Tendenz
zur raschen Heilung. In einem Falle stieg die Temperatur bei der zweiten
und dritten Vakzination auf 40°. Etwa 14—36 Stunden nach der Vakzina¬
tion zeigt sich eine Abnahme der Sekretion sowohl als eine Verminderung
der Gonokokkenzahl selbst bis zu völligem Schwund derselben. Bei der
Untersuchung des Blutserums, die nach der Methode der Komplement¬
bindung gleichzeitig mit der Bestimmung des opsonischen Index vorgenommeu
wurde, war kein Anwachsen der Antikörper nach der Vakzination festzu-
Stellen.
Bei gonorrhoischer Arthritis und Epididymitis war recht bald ein
Schwinden der Schmerzhaftigkeit und eine Verminderung der Geschwulst
zu beobachten. Schieß '(Marienbacf).
Medikamentöse Therapie.
A. Campbell Stark (London), Über einige Anwendungen des Salizyl¬
säuren Natrons. (Practitioner, Bd. 86, Nr. 3.) Das salizylsaure Natron
zeichnet sich vor anderen Salzen der organischen Säuren dadurch aus, daß
es im Körper nicht zu Wasser und Kohlensäure verbrannt wird; es zirku¬
liert teils unverändert, teils als freie Salizylsäure, teils in Verbindung
mit Körpern der Harnsäuregruppe und wird rasch durch Blase und Darm
und mit der Galle, dem Speichel und Schweiß ausgeschieden (wobei es
offenbar allerlei mitreißt, was Ider Körper gern loswerden möchte).
St. verwendet es mit Vorteil bei akutem Nasenkatarrh (wo es aber,
nach des Verf. Erfahrung, nicht bei jedermann angenehm wirkt), und zwar
in sehr kleinen Dosen, 0,1—2 vierstündlich, in wenig stärkeren Dosen bei
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Bücherschau.
647
„Influenza“ iiach einem merkuriellen Abführmittel (ähnlich wie Haig,
der aber viel größere Dosen Salizylsäuren Natrons gebraucht). Bei den
unerklärten Fiebern, die besonders bei Kindern zum Leidwesen der Dia¬
gnostiker nicht selten sind und nach St.’s Ansicht häufig auf Darmtoxinen
beruhen, hat er von einigen Gran (0,06) gute Erfolge gesehen, ebenso bei
leichteren puerperalen Fiebern. Bei Diarrhöe und Erbrechen der Kinder
nennt er es „beinahe ein Spezifikum“, er gibt z. B. einem Kinde von 9 Monaten
aller 2—4 Stunden 0,12 Natr. salic. Bei den mit hohen Blutdruck verbun¬
denen Zuständen wirkt es erfahrungsgemäß rasch, und zwar auch in kleineren
Dosen als Haig sie gebraucht, St. gibt nur vierstündlich 0,2. Die schmerz¬
stillende Wirkung zeigt sich nicht nur beim Gelenkrheumatismus, sondern
auch bei mancherlei anderen Schmerzen. Vielfach wird das Natr. salic.
als den Nieren schädlich angesehen, was aber St. bezweifelt, da sehr selten
bei Gelenkrheumatismus Nephritis ein tritt trotz der enormen und fortge¬
setzten Dosen. Er verwendet es getrost bei akuter Nephritis, Zystitis und
Gonorrhöe. Auch bei Mumps hat er es wirksam gefunden. —
Kurzum, St. hält es für ein beinahe universelles Mittel, was ja auch
das Publikum durch seine Vorliebe für Aspirin anerkennt. Von den Ge¬
fahren sagt er nichts, sie mögen bei den von St. verwandten kleinen Dosen
gering sein. Aber es ist nicht zu vergessen, daß höchstwahrscheinlich seit
Einführung der Salizylsäure in die Behandlung des Gelenkrheumatismus die
Klappenfehler häufiger geworden sind. Fr. von den Velden.
Meyer empfiehlt Natr. salicyl. als Munddesinfizienz: es wirkt vor
allem antiseptisch, schmerzstillend und beeinflußt die Kongestion günstig.
Es ist deshalb besonders geeignet als prophylaktisches Gurgelwasser bei
fieberhaften Eruptionen, ferner indirekt bei Affektionen der Mandeln und
des Pharynx und wirkt in der Form eines kleinen getränkten Wattebausches,
namentlich nach Zahnextraktionen, schmerzstillend und beschleunigt die
Heilung. (Bull, gener. de ther., Nr. 12, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Eine gute chirurgische Seife gibt Lemaire an: Marseiller Seife 20 Teile,
90° Spiritus 10 Teile. Glyzerin 10 Teile, Formoi 1 Teil, Tinct. Eucalypti
9,5 zürn Parfümieren. (Bull, gener. de ther., Nr. 5, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Bücherschau.
W. Kruse (Königsberg), Allgemeine Mikrobiologie. Die Lehre vom Stoff- und
Kraftwechsel der Kleinwesen. Verlag von F. C. W. Vogel. Leipzig 1910. Preis
brosch. 30 Mk., geh. 32,50 Mk.
Wie Verf. in der Einleitung ausführt, stellt das vorliegende Werk in ge¬
wissem Sinne die 4. Auflage des Flüggeschen Handbuches der Mikroorganismen
dar, kann aber doch im Hinblick auf das definitive Ausscheiden des Herausgebers
und seines Mitarbeiterstabes als eine durchaus selbständige Leistung des bekannten
Königsberger Bakteriologen betrachtet werden. Der erste Teil des Handbuches,
dem in kurzem die Kapitel von den Infektionskrankheiten und der Immunitäts¬
lehre folgen soll, ist hauptsächlich chemisch-hygienischen Problemen gewidmet, die
Verf. mit hervorragender Sachkenntnis, gestutzt auf umfangreiche Literaturstudien,
behandelt. Auf Einzelheiten einzugehen ist hier nicht der Ort. Ref. muß sich
daher mit der Aufzählung • der einzelnen Abschnitte begnügen. Kap. 1: Bau der
Klein wesen und mikrochemisches Verhalten; Kap. 2: chemische Zusammensetzung
der Kleimvesen; Kap. 3; Die Nährstoffe der Kleinweaen; Kap. 4: Weitere Be¬
dingungen der Ernährung; Kap. 5: Die Stoffwechselvorgänge im allgemeinen;
Kap. 6: Umwandlungen der Kohlehydrate im Stoffwechsel; Kap. 7: Wandlungen
der Alkohole, Fette und Fettsäuren; Kap. 8: Wandlungen der Glykoside und
aromatischen Körper; Kap. 9: Wandlungen der Eiweißkörper; Kap. 10: Wandlungen
einfacher Stickstoffkörper; Kap. 11: Wandlungen des Schwefels; Kap. 12: Wand-
Inneren anderer anorganischer Stoffe; Kap. 13: Die Wege des Sauerstoffs und die
Beziehungen des Stoff- und Kraftwechsels; Kap. 14: Fermente (Umsatzstoffe);
Kap- 15; Farbstoffe der Kleinwesen; Kap. 16: Gifte der Kleinwesen; Kap. 17:
Angriffe-, Reiz- und Impfstoffe; Kap. 18: Veränderlichkeit und Stammesgeschichte
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Bücberschau.
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der Kleinwesen. Aus dieser kurzen Aufzählung geht bereits die Fülle de* ver¬
arbeiteten Materials hervor, dessen kritische Sichtung und Beherrschung an jeder
Stelle nicht nur den hygienischen, sondern auch den chemischen Fachmann verrät.
Vielleicht wäre es zweckmäßiger gewesen, dem Kapitel 18 einen anderen Platz
anzuweisen, etwa an zweiter Stelle, da es sich prinzipiell empfiehlt, zunächst da»
Allgemeine zu erledigen. Freilich wären einige Wiederholungen nicht zu umgehen
gewesen, die sich aber durch kurzen Hinweis auf die spätere Darstellung oder Petitdruck
hätten auf einMinimum reduzieren lassen können. Vielleicht ließe sich diesem Wunsche
der Kritik bei einer etwa sich notwendigmachenden Neuauflage Rechnung tragen.
Vom linguistischen Standpunkt durchaus billigenswert ist das Bestreben, Fremd¬
worte soweit als angängig durch unser geliebtes Deutsch“ zu ersetzen. Leider
hat sich Verf. nicht entschließen können, dieses Bestreben bereits im Titel durch¬
zuführen, obwohl er im Text stets von Kleinlebewesen spricht und die Bezeich¬
nung „Mikroorganismen“ nach Möglichkeit zu vermeiden bemüht ist. Principiis
obsta! Die genannten Ausstellungen fallen bei einem Standardwerk, wie es das
Werk des Verf. im besten Sinne ist, nicht ins Gewicht. Es wird sicher seinen Weg
machen und kann des lebhaften Interesses aller naturforschenden Kreise sicher
sein. Nach dem vorzüglichen Eindruck dieses ersten Bandes kann dem ganzen
Werke nur die günstigste Prognose gestellt werden. Es kann als Enzyklopädie
dem Besten, was wir auf diesem Gebiete haben, getrost an die Seite gestellt werden.
K. Boas (Halle).
(Besprechung Vorbehalten.)
Bibliographie des Sciences Medicales. Paris. J. B. Bailiiere & Fils, Editeurs.
Catalogue Methodique par Ordre AlphabHique. 198 S. 1 Fr.
Bing, Aphasie und Apraxie. Klinische Vorlesung. Würzburger Abhandlungen
aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin, Bd. 10, H. 11. Würzburg 1910.
Curt Kabitzsch (A. StubeFs Verlag). 24 S. 85 Pfg.
6ehe & Co., Aktiengesellschaft. Handelsbericht Dresden 1911.
Jessen, Über den künstlichen Pneumothorax in der Behandlung der Lungentuber¬
kulose und die Grenzen dieses Verfahrens. Würzburger Abhandlungen aus dem
Gesamtgebiet der praktischen Medizin, Bd. 11, H. 7. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch
(A. Stuber’s Verlag). 23 S. 85 Pfg.
May. Die Ansichten über die Entstehung der Lebewesen. Kurze Übersicht nach
Volksvorträgen. Leipzig 1909. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 81 S. 1,50 Mk.
Medizinalarchiv für das Deutsche Reich. Zeitschrift für Rechtsprechung und
Verwaltung auf dem Gebiete des Gesundheitswesens. Herausgegeben von Kurt
v. Rohrscheidt. 1. Jahrgang, 1. Heft. Berlin 1910. Verlag von Franz Wählern
160 S. Jahrgang (4 Hefte) 12 Mk.
E. Merck'« Jahresbericht, Über Neuerungen auf den ßebieten der Pharmako-
Therapie und Pharmazie. 24. Jahrgang. Darmstadt 1911.
Müller, Der Küngelrhythmus der Herztöne, die Kyniklokardie. (Der sogenannte
Pendelschlag des Herzens). Samlung klinischer Vorträge Nr. 623/624. Innere Medizin
Nr. 197/198. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 50 S. 1,50 Mk.
Pöch, Die geographische Verbreitung der Pest um die Wende des 19. und 20. Jahr¬
hunderts. Mit 2 Karten.
Tandler, Laboratoriumsbuch für den klinischen Chemiker. Laboratoriumsbücher
für die chemische und verwandte Industrie, Bd. 11. Mit 10 Abbildungen im Text-
Halle a. S. 1910. Druck und Verlag von Wilhelm Knapp. 122 S. 4,80 Mk.
Verhandlungen der 10. Jahresversammlung des Deutschen Vereins für Schul-
gesundheitspflege am 1. und 2. Juni 1909 in Dessau. Sonderabdruck aus dem 9. Jahr¬
gang der Zeitschrift Gesunde Jugend. Leipzig und Berlin 1909. Druck und Verlag
von B. G. Teubner. 168 S. 4 Mk.
Weiser, Reflexionen und Vorschläge bezüglich der chirurgisch-zahnärztlichen Kiefer¬
prothesen. Deutsche Zalmheilkunde in Vorträgen. Begründet von Adolph Witzel.
Heft 15. Mit 38 Textabbildungen. Leipzig 1911. Verlag von Georg Tliieuie.
36 S. 1,20 Mk.
Wladimiroff, Zur Ätiologie der Fibromyome. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 621.
Gynäkologie Nr. 227. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 28 S 75 Pfg.
Zentralblatt für die gesamte Therapie. Begründet von Prof. Dr. Heitler.
*28. Jahrgang, 1910. Verlag von Oscar Coblentz, Berlin und Moritz Perles. Wien.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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Fr. Rolly und M. Blumstein,
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Bronchien vorzuliegen braucht. Man kann sich nun vorstellen, daß
durch irgendeine Gelegenheitsursache die Bakterien nach der Bunge
zu wandern und daselbst eine Entzündung hervorrufen, oder aber auch,
daß sie auf dem Blutwege von anderen Organen her in die Lunge
gelangen.
Unter den prädisponierenden Ursachen der Lungenentzündung
ist bei unserem Materiale vor allem der Einfluß eines raschen Tempe¬
raturwechsels bemerkbar. Die Häufigkeit der Erkrankungen im 1. und
2. Quartal des Jahres und die relative Seltenheit im 3. wird sehr schön
durch die folgende Tabelle erläutert.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
1905
24
15
22
19
16
16
6
fl
12
9
13
5
1906
13
16
24
37
23
19
8
7
5
8
17
18
1907
40
25
23
25
27
14
10
8
13
t
15
10
1908
42
46
22
23
15
13
15
ü
13
15
30
10
1909
32
33
25
31
22
13
9
10
13
17
7
6
Summa 151
135
116
135
103
75
48
48
56
56
82
49
Aus diese* Tabelle ersehen wir, daß im 1. Quartal 401 (38°, 0 ).
im 2. Quartal 313 (29,9 0 / 0 ), im. 3. Quartal 147 (14°/ 0 ) und im 4. Quartal
187 (17,8°/ 0 ) Fälle von Pneumonie vorgekommen sind. Auf das 3. Quar¬
tal fallen somit nur 1 / 7 sämtlicher Pneumoniefälle und in das erste
Halbjahr mehr als 2 / 3 , in das zweite Halbjahr nur 1 / 3 .
An Lungenentzündungen, welche sicher auf ein Trauma zurück*
zu füll reu sind, konnten wir fünf unter unseren Fällen beobachten.
Indessen dürfte die Zahl derselben vielleicht doch etwas größer ge¬
wesen sein, namentlich mit Rücksicht darauf, daß bei vielen Kranken
eine Anamnese wegen Benommenheit des Sensoriums oder aus anderen
Ursachen nicht zu erlangen war. Zwei von diesen fünf Patienten
erlitten einen heftigen Stoß gegen eine Thoraxseite, und es entwickelte
sich bei dem einen schon nach 2 3 / 4 Stunden an der Stelle der Kon¬
tusion eine Pneumonie; hei dem andern war die Zeit zwischen dem
Stoß und dem Beginn der Pneumonie nicht genau festzustellen. Bei
dem dritten Falle (Pneumonie zum dritten Male) setzte die Erkran¬
kung nach Hmfallen auf der Straße, bei dem vierten nach einem
Sturze von der Treppe ein. Bei dem fünften Patienten soll das Auf¬
heben eines schweren Steines sofort Schmerzen in der Seite und die
Lungenentzündung verursacht haben.
Auch das xAlter scheint einen gewissen Einfluß auf die Morbidität
zu haben, insofern die größere Zahl unserer Erkrankungen in das
Alter von 21—30 Jahren fällt.
Lebensalter
Zahl
der Fälle
bis 10 Jahre
46 d.
h. 4,4»/„
on
11 bis 20 Jahren
210
, 21,1 .
a
21 , 30 ,
274
. 26,1,
A
31 , 40 „
192
. 18,3.
A
41 * 50 „
140
, 13,8,
51 * 60 „
105
. 10,1,
über 60 Jahre
81
, 7,7,
Fast die Hälfte unserer Fälle sind in einem Alter zwischen
11—30 Jahren von der Pneumonie befallen worden, während das spätere
Alter weniger 1>eteiLigt war. Die Ursache des geringen Vorkommens
der Krankheit im Kindesalter dürfte darin liegen, daß die meisten
Kinder im hiesigen Kinderkrankenhause verpflegt wurden.
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Klinische Beobachtungen bei kruppöser Lungenentzündung.
651
Von der Erkrankung wurde das männliche Geschlecht 2 3 / 5 mal
häufiger als das weibliche heimgesucht, insofern unter unseren 1048
Fällen 783 Männer und 245 Frauen sich befanden. Diese Erschei¬
nung kann darin ihren Grund haben, daß die Männer infolge ihrer
Tätigkeit mehr äußeren Schädlichkeiten, wie Erkältung, Überanstren¬
gung usw. ausgesetzt sind als die Frauen. Für diese Annahme würde
auch die Beobachtung von Grisolle sprechen, nach welcher die Zahl
der Pneumonien in den Gegenden, in welchen die Frauen dieselbe
Arbeit verrichten als die Männer, bei beiden Geschlechtern dieselbe
sein soll.
Leute, welche Lungenentzündung schon einmal durchgemachi
haben, scheinen mit dem Überstehen der Krankheit eine größere Dis¬
position zu derselben erworben zu haben, als solche, welche noch nicht
daran erkrankt waren. Unter unseren Fällen hatten 159 (14,2 °/ 0 ) die
Pneumonie mehrmals überstanden, unter diesen drei sechs- und vier
fünfmal. Unter den 46 pneumoniekranken Kindern haben acht (17,4°/ 0 )
die; Erkrankung mehrmals durchgemacht.
Der Verlauf der Rezidive war meist leicht und nur selten mit
Komplikationen verbunden, was sich auch schon aus der relativ geringen
Zahl der Mortalität bei den wiederholt Erkrankten ergibt, worauf wir
später nochmals eingehlen (werden. Es liegt nahe, anzunehmen, daß durch
das Uberstehen einer Pneumonie sich einerseits ein Locus minoris
resistentiae in der Lunge gebildet hat, wodurch das Eindringen
der Infektionserreger begünstigt wird, andererseits scheint aber hier¬
nach eine spezifische Veränderung des Organismus (Allergie) ein¬
getreten zu sein, infolgedessen der letztere bei einer erneuten Erkran¬
kung leichter der Infektionserreger Herr wird (s. u.) als bei der ersten.
Gelegentlich haben wir auch ein epidemisches Auftreten der Pneu¬
monie in einer Familie oder sogar gleichzeitig in mehreren gesehen.
Was nun die klinischen Erscheinungen bei der Krankheit
betrifft, so setzte die Entzündung bei 59 (4°/ 0 unserer Fälle) akut
mit einem heftigen Schüttelfrost ein. Andere Patienten hatten im
Anfang nur Seitenstechen oder Bruststechen, Husten und leichtes
Frösteln, bei andern konnte über die ersten Krankheitssymptome etwas
Sicheres nicht in Erfahrung gebracht werden. Meist am zweiten Krank¬
heitstage zeigte sich das bekannte Sputum croceum, in welchem die
Pneumonieerreger reichlich nachgewiesen wurden. Bei Oberlappenpneu¬
monien, bei Pneumonien von alten Leuten, bei solchen, welche mit
Delirium tremens kompliziert waren, wurde das Sputum auch ganz
vermißt.
Weiterhin sahen wir in der Minderzahl der Fälle die Krank¬
heit mit Erbrechen, Diarrhöe, starker Atemnot, meningitischen Erschei¬
nungen, bei Kindern oft mit Krämpfen beginnen.
Einen langsamen Beginn, insofern als der eigentlichen Erkran¬
kung ein mehrtägiges Unwohlsein vorausging, sahen wir nur in sel¬
tenen Fällen. Verschiedentlich w-ar bei den Patienten schon gleich
im Anfang ein Status typhosus ausgeprägt, so daß die Diagnose gegen¬
über Typhus oder einer anderen schweren Infektionskrankheit nicht
gestellt werden konnte, bis dann nach einigen Tagen erst die In¬
filtration eines oder mehrerer Lungenlappen perkutorisch und auskul¬
tatorisch nachgewiesen werden konnte.
Nach dem Temperaturanstieg folgt bekanntlich bei der Pneu¬
monie eine Febris oontinua, selten eine Febris remittens, noch seltener
55 *
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65*2
Fr. Rolly und M. Blumstein,
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sahen wir eine unregelmäßige Fieberkurve mit Intermissionen des
Fiebers usw. Der Rückgang der Temperatur zur Norm erfolgte unter
unserem Material in Form einer Krisis in 270 Fällen. Bei der weit
größeren Anzahl also erfolgte ein lytischer Temperaturabfall. Es kriti¬
sierten von unseren 1048 Fällen 243 Kranke (89°/ 0 ) zwischen dem
4.—10. Krankheitstage und 103 (38°/ 0 ) am 7. und 8. Krankheitstage.
Diese Tatsachen ergeben sich noch aus folgender Tabelle:
Es erfolgte ein
kritischer
Abfall der Temperatur:
Tag
Zahl
Tag
Zahl
1
—
2
1
3
12
4
21
5
33
6
30
7
58
8
45
9
36
10
20
11
15
12
1
13
6
14
2
15
1
16
—
17
3
20
1
Summa
161
109
Ein deutlicher lytischer Temperaturabfall, welcher 2—3 und mehr Tage
dauerte, war 267 mal bei unseren 1048 Patienten vorhanden. Bei 176
Kranken (66°/ 0 ) setzte die Lysis zwischen dem 6. und 10. Krank¬
heitstage und bei der Mehrzahl der übrigen am 8. und 9. Krank¬
heitstage ein.
Pseudokrisen wurden 14 mal von uns beobachtet, darunter je fünf¬
mal am 7. und 4. Krankheitstage.
Der Sitz der Pneumonie war in 52,6°/ 0 der Fälle rechts, in
38,1 °/ 0 links und in 9,3°/ 0 beiderseitig, und zwar befand sich die Infil¬
tration in 72,8 °/ 0 im rechten Unterlappen, in 0,9°/ 0 im Mittellappen, in
11,4°/ 0 im rechten Oberlappen, in 4,3 °/ 0 im rechten Unter- und Mittel¬
lappen, in 2,5 °/ 0 im rechten Ober- und Mittellappen, in 2,19% im
rechten Ober- und Unterlappen, und in 8,6 °/ 0 auf der ganzen rechten
Lunge. Von der linken Lunge waren befallen der Oberlappen bei 3,7 °/ 0f
der Unterlappen bei 26,4°/ 0 und die ganze linke Lunge bei 8 °/ 0 . Beide
Lungen waren in 9,3°/ 0 , beide Unterlappen in 3,1 °/ 0 , beide Oberlappen
in 1,1 °/ 0 , ein Unterlappen und ein Oberlappen in 1,0°/ 0 der Fälle affiziert.
Anders lokalisiert war die Erkrankung bei 4,1 °/ 0 . Die Unterlappen
beteiligten sich infolgedessen in ungefähr 8 / 4 der Fälle an der Erkran¬
kung und am geringsten wurde der Mittellappen ergriffen.
Die Pulsfrequenz war bei allen Patienten sehr beschleunigt
und es scheint dieselbe bei vorgerückterem Alter von einer gewissen
prognostischen Bedeutung zu sein, da unter unserem Materiale von
den Kranken, welche das 60. Lebensjahr überschritten hatten und deren
Pulszahl in der Minute 120 überstieg, 94°/ 0 starben.
Die Anzahl der Atemzüge nahm verhältnismäßig gewöhnlich mehr
als die des Pulses bei den Pneumonikern zu. Während bei dem Ge¬
sunden 4,5 Pulse auf einen Atemzug kommen, sank diese Zahl bei unsern
Pneumonikern gelegentlich sogar unter 2.
Eine Vergrößerung des Herzens wurde während des fieberhaften
Verlaufs der Krankheit verschiedentlich beobachtet, ein unregelmäßiger
Puls dabei in sechs Fällen; bei zwei von diesen zuletzt genannten
Kranken verlief die Pneumonie letal.
Interessant ist auch die Beobachtung, daß zwei Patienten bei
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Klinische Beobachtungen bei kruppöser Lungenentzündung.
653
vorher scheinbar noch ganz leidlichem Pulse bei Defäkationsversuchen
plötzlich starben.
Bei gar nicht so wenigen Patienten war im Beginn der Erkrankung
die Feststellung einer Leukozytose im Blute differentialdiagnostisch
besonders gegenüber Typhus abdominalis von großer Bedeutung, da der
objektive Nachweis der Lungeninfiltration bei diesen Patienten nicht
in den ersten Krankheitstagen zu erbringen war. In beinahe 1 j ii der
untersuchten Fälle konnten wir auf festen Nährböden (Agar) im Blut
(20 ccm) die Pneumokokken nach weisen, bei Verwendung von flüssigen
Nährböden (Nutrosebouillon usw.) hatten wir in fast 90 °/ 0 positive
Resultate.
Bei den weitaus meisten Fällen belästigten Brustschmerzen,
Schmerzen bei der Atmung und Husten die Kranken sehr, doch fehlten
diese Symptome auch manchmal, besonders bei alten Individuen und
Deliranten. Von Erscheinungen des Gehirns und seiner Häute beob¬
achteten wir Kopfschmerzen, Delirien, Nackensteifigkeit, Krämpfe (letztere
besonders bei Kindern), Bewußtlosigkeit; ja verschiedentlich waren diese
Symptome so stark, daß die Differentialdiagnose gegenüber Meningitis
cerebrospinalis nicht leicht war.
Erwähnen möchten wir hier der Seltenheit wegen noch einen
Fall von halbseitiger Lähmung als Komplikation bei einer Pneumonie.
Derselbe kam zur Sektion und es wurde daselbst keine Veränderung
der Hirnarterien oder Blutung, sondern nur ein starkes ödem des Gehirns
als Ursache der Haemiplegia sin. gefunden. In der Literatur sind nur
einzelne Fälle von kurzer vorübergehender Lähmung bei Pneumonie
bekannt, deren Ursache scheinbar in einem derartigen ödem des Ge¬
hirns gesucht w T erden muß.
Bei 339 unter unseren 1048 Pneumonie-Fällen (32,1 °/ 0 ) wurde
Albumen im Urin nachgewiesen. Bei den meisten Patienten war diese
Albuminurie, welche offenbar auf einer toxischen Schädigung der Nieren
beruht, zugleich mit dem Aufhören des Fiebers verschwunden und hatte
keinen weiteren Einfluß auf die Prognose und den Verlauf der Erkran¬
kung. In vielen Fällen haben wir auch eine verminderte Ausscheidung
von Kochsalz durch den Harn konstatieren können. Eine Peptonurie
wurde in der Mehrzahl der Fälle während der Erkrankung naciige-
wiesen.
Bei 132 Patienten (12,5°/ 0 ) sahen wir einen Herpes in der Um¬
gebung des Mundes, der Nase oder der Wange, auch das Augenlid,
und die Kornea wurden gelegentlich von einem solchen befallen.
Unter den Komplikationen der Pneumonie ist die häufigste die
Pleuritis; sie ist sicher noch öfter vorhanden, als sie klinisch nach¬
weisbar ist. Uber die Häufigkeit des Vorkommens derselben bei unse¬
rem Materiale gibt die folgende Tabelle Aufschluß:
Mann.
Weib.
Zu-
samm.
in°/ 0
Männ. j
Weib, f
Zu-
sarnni. f
Mortalit
in °/o
Pleurit. sicca
54
24
78
7,4
32
16
48
61,5
, terosa
33
14
47
4,4
14
5
19
40,4
„ purulenta
56
5
61
5,9
35
5
40
65,6
Es ergibt sich hieraus, daß am häufigsten von uns die Pleuritis
sicca, seltener eine Pleuritis purulenta und am seltensten die Pleuritis
serosa beobachtet wurde.
Bei 13 Patienten ging die Pneumonie in Lungen abszesse über
(1,2 °/ 0 der Fälle). Von diesen starben 4 (30,7%), 9 wurden voll¬
kommen geheilt.
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654
Fr. Rolly und M. Blumstein,
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Ein Ausgang der Krankheit in Lungen gang rän erfolgte bei
4 weiblichen Individuen, welche sämtlich daran starben.
Bei 5 männlichen und 6 weiblichen Individuen folgte auf die
akute kruppöse eine chronische interstitielle Pneumonie. All dies?
Patienten wurden geheilt, bei 2 von ihnen hatte sich die Erkrankung
im Anschluß an einen Lungenabszeß entwickelt.
Eine seröse fibrinöse imd eitrige Perikarditis konnten wir unter
unserem Materiale bei 15 (1,4 °/ 0 ) nach weisen. Es starben von diesen
11 (also 73,3%).
Bei 14 Patienten (1,4%) wurde eine frische Endokarditis, bei
5 (0,5%) eine Myokarditis im Verlauf der Krankheit nachge wiesen.
Es starben von den ersteren 4 (Mortalität also 28,6%) und von der
letzteren 2 (40%). Als Komplikation der Pneumonie trat 7mal eine
durch Pneumokokken bedingte Meningitis auf, 4 von diesen starben.
Bei 33 Patienten (3,1%) wurde wählend der Erkrankung Deli¬
rium tremens beobachtet, es starben von diesen 11 (33,4%).
Bei 47 Pneumonikem (4,5%) sahen wir eine akute Nierenent¬
zündung, deren Entstehung direkt auf die Pneumokokken resp. deren
Toxine zurückzuführen war. Es starben von denselben 9 (19,2 %).
78 unserer Eälle waren mit Ikterus kompliziert, und 12 von
diesen gelangten zur Sektion. Bei allen 12 wurden bei der Sektion
die Gallengänge durchgängig gefunden, weshalb der Ikterus wohl nicht
auf eine mechanische Behinderung des Gallenabflusses, sondern auf
eine durch die Pneumonieerreger oder deren Toxine hervorgerufene
Schädigung der Leberzellen zurückzuführen ist.
Da von 78 31 (39,8%) der mit Ikterus komplizierten Pneumonie¬
fälle starben, so ist die Anwesenheit von Gallenfarbstoff im Urin ein
prognostisch ungünstiges Zeichen. Prognostisch aber ganz ungünstig
scheinen die Fälle zu sein, bei welchen Eiweiß und Gallenfarbstoff
gleichzeitig im Urin nachweisbar sind. Bei 40 unserer Patienten war
dies der Fall und die Mortalität betrug bei denselben 50%. Uber
sonstige Komplikationen, welche wir bei Pneumonie beobachteten, gibt
folgende Tabelle Aufschluß.
Name der Krankheit
Mann.
T
Weib. f
Zusarnm.
t
Angina katarrhalis u. folicul.
17
—
8 1
25
1
Otitis media
6
—
4 —
10
—
Ophthalmia metastic.
—
—
1 1
1
1
Parotitis
4
1
2 —
6
1
Plegmonöse Strumitis
1
— «
— —
1
—
Sepsis (d. h. mit Metastasen)
14
11
2 1
16
12
Papillitis
—
—
1
1
—
Die Prognose der Pneumokokkensepsis ist, nach dieser Tabelle
zu urteilen, sehr schlecht, da die Mortalität bei unserem Material 75° 0
beträgt. Auch eine metastatische Panophthalmitis mit tätlichem Aus¬
gang haben wir beobachtet. Als seltene Komplikation der Pneumonie
ist eine doppelseitige Neuritis des N. opticus und eine dadurch l>edingte
Atrophie der Sehnerven und bleibende Verminderung der Sehschärfe
auf % zu erwähnen. Uber den Ausgang der übrigen Komplikationen
gibt die angeführte Tabelle hinreichend Aufschluß.
Von den chronischen Krankheiten, an welchen unsere Pneumoniker
außer der Lungenentzündung litten, seien folgende von uns hier an¬
geführt.
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Klinische Beobachtungen bei kruppöser Lungenentzündung.
655
Name der Krankheit
Mann.
t
Weib.
T
Zusmm.
t
Adipositas
5
4
4
3
9
7
Anämie und Chlorose
4
1
1
—
5
1
Arteriosklerose
16
11
8
5
24
16
Bronchitis chronica
5
2
2
1
7
3
Dystrophia musculorum pro¬
gressiv. ac.
1
1
1
1
Diabetes mellitus
1
—
1
—
2
—
Emphysema pulmon.
6
4
2
2
8
6
Epilepsie, Hysterie
—
—
4
—
4
—
Lues
8
2
7
4
15
6
Nephritis chronic.
1
1
—
—
1
1
Pachymeningitis cervicalis
ch ronic.
2
2
2
2
Paralysis agitans
1
1
—
—
1
1
Tabes dorsalis
2
2
—
—
2
2
Tuberculosis pulmon.
22
2
6
2
28
4
Vitia cordis
11
3
6
2
17
5
Aus dieser Tabelle geht u. a. hervor, daß die Prognose der Pneumonie
durch ein gleichzeitig bestehendes Emphysem (Mortalität 75 °/ 0 ), ferner
durch Herzfehler (Mortalität 30° 0 ) und Arteriosklerose (Mortalität
36,6 °/ 0 ) verschlechtert wird. Bei denjenigen Patienten, welche an einer
Herzaffektion schon von früher her litten und die Pneumonie über¬
standen, w r ar der Verlauf sehr protrahiert; die Krankheit dauerte bei
denselben durchschnittlich 40 45 Tage; die Deferveszenz war lytisch
und trat meist erst nach dem 10. Krankheitstage ein.
Die Tuberkulose hatte bei unseren Fällen keinen wesentlichen
Einfluß auf den Ausgang und Verlauf der Pneumonie.
Da vor verschiedenen Autoren (z. B. Aufrecht) angegeben wurde,
daß die Mortalität der Pneumonie in den einzelnen Jahren sehr ver¬
schieden hoch sein soll, so sei die folgende Tabelle hier angeführt, aus
der zu entnehmen ist, daß die Schwankungen der Mortalität in
den einzelnen Jahren bei unseren Kranken nicht sehr groß ge¬
wesen ist.
Mortal.
Mortal.
Zusaram.
Gesamt-
mortalit. in°o
1 905 134 26 19,4 32 7 21,9 166 33 19,9
1906 137 38 27,7 58 16 27,6 195 54 26,3
1907 165 34 20,6 52 15 28,8 217 49 22,5
1908 178 42 28,4 75 18 24,0 253 60 23,7
1 909 169 47 27,9 48 14 29,2_217 61 27,3
.Summa 783 187 23,8 265 70 26,4 1048 257 24,1
Einen ganz hervorragenden Einfluß auf den Ausgang der Pneu
monie hatte das Alter der Patienten, worüber die folgende Tabelle
Aufschluß gibt:
Lebensalter
Mann.
t
Weib.
»
t
Zu-
samm.
t
Gesamt-
mortalit. in°/o
bis zum 10. Jahre
29
2
17
1
46
3
6,5
8,8
von 11 bis 20 Jahren
155
17
55
3
210
20
, *21 . 30 „
214
22
60
7
274
29
10,1
, 31 r 40 „
150
40
42
10
192
50
25,8
, 41 „ 50 r
103
32
37
18
140
50
36,3
, 51 „ 60 r
75
33
30
13
105
46
44,1
über 60 Jahre
57
41
24
18
81
59
74,0
CO
00
187
265
70
1048
287
24,1
Diese Tabelle zeigt, daß die Mortalität mit steigendem Alter
allmählich zunimmt, um in einem Lebensalter von über 60 Jahren fast
75 0 o zu erreichen. Jedoch ist auch im hohen Greisenalter eine Lungen-
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656 Rolly u. Blumstein, Klinische Beobachtungen bei kruppöser Lungenentzündung.
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entzündung nicht als absolut letal zu bezeichnen, insofern wir mehrere
75—80 jährige Patienten, ja sogar eine 87 jährige Patientin durchkommen
sahen. Von denjenigen Patienten, welche das 30. Lebensjahr nicht
überschritten hatten, starben nur 9,8%; von den Patienten über
30 Jahre 39,5%.
Die Mortalität betrug bei der einseitigen Pneumonie 21,6%, bei
einer doppelseitigen 48,3%; sie war also im letzteren Falle fast 2 1 / 2 mal
so groß als bei einseitiger Pneumonie. Die rechtsseitigen Oberlappen¬
pneumonien hatten eine Mortalität von 21,4%, die linksseitigen von
21,3%. Die Mortalität der Unterlappenpneumonien war viel geringer.
Sie betrug 10,3% bei einer Affektion des rechten und 11,1% bei einer
solchen des linken Unterlappens. Bei Pneumonien, bei welchen die
ganze rechte Lunge affiziert war, betrug die Mortalität 45,4%, während
bei solchen mit linksseitigem Sitz sie nur 40,9% ausmachte. Es ist
möglich, daß dieser Unterschied der Mortalitätsziffern zwischen rechts*
und linksseitiger Pneumonie durch das größere Volumen der rechten
im Vergleich zur linken Lunge seinen Grund hat.
Wie oben schon hervorgehoben, war die Mortalität bei den Pneu¬
monie re zid iven bedeutend niedriger als bei der Gesamtzahl der übrigen
erstmalig Erkrankten, insofern von den 159 Patienten, welche wieder¬
holt an Pneumonie erkrankten, nur 22 (= 13,8% gegenüber 24,1%
der durchschnittlichen Mortalitätszahl) gestorben sind. Auch die Kom¬
plikationen waren bei den Patienten mit Pneumonierezidiven nicht so
zahlreich als bei den übrigen Lungenentzündungen, was deutlich aus
folgender Tabelle hervorgeht.
Pleurit.
sicca
Pleurit.
exsudat
Empyem Abszeß
Endocar-
ditis
Sepsis
Neph¬
ritis
Ikterus
Peri¬
card.
Alle Erkrankte
Wiederholt Er¬
7.1°/»
4,4 »io
5,9 »io
1.2°io
l,3°/o
1.6 »io
4,5 »/„
V»/o
l,4°lo
krankte
2,5°/,
3,1 °/ 0
2»/o
!,3»/„
1.3 »io
1.3»/.
0,6'»i„
2 »io
0»/o
Es wird demnach durch das einmalige Überstehen einer Pneu¬
monie, wie oben schon erwähnt, der Organismus wohl leichter von
dieser Krankheit wieder befallen, aber es scheinen irgend welche "\ er-
änderungen im Körper durch den ersten Krankheitsprozeß vor sich
gegangen zu sein, welche einen leichteren Verlauf der Rezidive be¬
dingen. Der Organismus reagiert also offenbar auf eine erneute In¬
fektion anders als bei der ersten Erkrankung, was wir als Allergie
bezeichnen möchten.
Was nun das Bestehen eines Herpes für den Ausgang der Pneu¬
monie bedeutet, so können wir w r ohl für die Männer die Angaben ver¬
schiedener Statistiken bestätigen, insofern auch bei unseren Fällen bei
Männern mit Herpes die Mortalität geringer war als bei solchen ohne
denselben. Unter den Frauen jedoch starben ebensoviele mit als ohne
einen Herpes.
Bezüglich der Therapie möchten wir kurz erwähnen, daß die
große Mehrzahl der Pneumoniekranken nur mit Brustprießnitz ohne
sonstige Medikamente, behandelt wurde. Bei starker Benommenheit
verordneten wir kalte Abwaschungen oder halbstündige kalte Ganz¬
packungen und Eisblase auf den Kopf. Von Antipyretizis und Voll¬
bädern haben wir gänzlich abgesehen. Subkutane Injektionen von
Pneumokokkenserum haben bei unseren Patienten keinen Nutzen gehabt.
Bei Kranken über 30 Jahren und besonders bei Potatoren gaben
wir gleich im Anfang der Erkrankung Digitulispräparate; zeigten sich
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658
R. Schimucke,
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histologischen Befunde bei der Aortitis allein schon die luetische Ätiologie
erkennen zu können, es hielten jedoch Marchand und Chiari auf dem
Naturforschertag in Kassel diese histologischen Befunde nicht für ge¬
nügend spezifisch, als daß daraus allein auf die luetische Natur der
Prozesse geschlossen werden könnte.
Ein weiterer Beweisweg ist der, daß man in den Krankheitsherden
bestimmte charakteristische Krankheitserreger nachweist.
Wright und andere Autoren glaubten nun in dem Gewebe der
Aortitis Spirochäten nach weisen zu können, einer strengeren Kritik
konnten jedoch diese Befunde nicht Stich halten. Ein dritter Beweis
ist das Tierexperiment. Ich habe nun die Sektionsprotokolle der mit
Lues infizierten Affen, Kaninchen usw. durchgesehen und habe bis auf
eine Bemerkung Siegels, der bei seinen mit Lues infizierten Kaninchen
Rauhigkeiten und Auflagerungen auf der Intima sah, nichts gefunden,
was auf luetische Veränderungen der Aorta Bezug hätte.
Es liegen nun zwei Arbeiten von Wiesner und Bruns vor, welche
meines Erachtens fast den Wert des Experiments haben. Beide Autoren
untersuchten unabhängig voneinander die Aorten syphilitischer Neuge¬
borener und fanden in diesen Veränderungen der Advenditia und Media,
die den Veränderungen bei der Aortitis Erwachsener entsprechen, Ver¬
änderungen, welche sie bei den Aorten nicht luetischer Neugeborener
stets vermißten. Da nun beim Neugeborenen andere ätiologische Momente,
wie Bleivergiftung, andere Infektionen usw., die ja bei Erwachsenen
ätiologisch in Frage kommen könnten, ausgeschlossen sind, so liegt, falls
sich diese Befunde weiter bestätigen, hier ein exakter Beweis für die
ätiologische Rolle der Lues für die Aortitis vor.
Am meisten ist in dieser Frage von der statistischen Beweisführung
Gebrauch gemacht worden. Die Statistik nun gibt schlagende Zahlen¬
beweise für den Zusammenhang zwischen Aortitis und Lues. Ja sie
zeigt uns auch wie überaus häufig derartige Erkrankungen sind; so fand
Heller in Kiel unter 400 Leichen 3,45% Fälle von Aortitis und nur
2°/ 0 von Lues des Gehirns. Es waren sonach die Erkrankungen der
Aorta häufiger als die luetischen Erkrankungen des Zentralnervensystems.
Chiari fand unter 27 Luesfällen 16 mal und unter 44 Paralitikern 21 mal
Aortitis. Zu ähnlichen Resultaten kamen die meisten Kliniker. Ich er¬
innere nur an den Zusammenhang von Aortenerkrankungen und Tabes,
auf den schon vor langer Zeit die StrümpelPsche Schule aufmerksam ge¬
macht hat. Neuerdings ist die Wassermann’sche Reaktion zur Beurteilung
der ursächlichen Rolle der Syphilis herangezogen worden. Donath fand
unter 27 Fällen von Aorteninsuffizienz dieselbe in 85,5°/ 0 positiv, Citron
in 17 Fällen 10 mal, Schulz in 12 Fällen 11 mal, Dennecke in
13 Fällen 12 mal, und in einem negativen Falle in der Anamnese Lues,
Grau hatte in 23 Fällen 22 mal positive Wassermann’sche Reaktion.
Ich habe in den letzten Jahren 14 Fälle von Aortitis behandelt und
fand in 13 Fällen entweder anderweitige luetische Erkrankungen oder
in der Anamnese Lues oder positive Wassermann’sche Reaktion.
Es unterliegt hiernach keinem Zweifel, daß die Lues eine enorme
Rolle als Krankheitsursache der Aortitis und des Aortenaneurysmas
spielt und daß in jedem Falle von Insuffizienz oder Stenose der Aorten¬
klappen an die spezifische Natur dieser Erkrankung gedacht werden
muß. Es steht aber ebenso fest, daß nicht die Lues allein diese Prozesse
hervorruft, so hat Ziegler auf die Kokkeninfektion als Ursache der Aortitis
hingewiesen. Die wichtigste Rolle spielt aber neben der Lues die rheu-
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Beiträge zur Ätiologie und Therapie der Aortitis.
659
matische Infektion. Es liegt ja nahe, daß bei einer rheumatischen Er¬
krankung der Aortenklappen auch das benachbarte Gewebe der Aorta
leicht in den Entzündungsprozeß hineingezogen werden kann. Dazu
kommt, daß wir bei Aorteninsuffizienz sehr häufig hohe Blutdruckwerte
haben, und daß es unter diesen starken mechanischen Einwirkungen zu
Dilatationen und Aneurysmen der Aorta kommen kann. Es haben denn
auch wiederholt französische Autoren auf den Zusammenhang zwischen
Aortenaneurysma und rheumatischer Infektion hingewiesen und letzthin
sind von Zimmer und von Bernert 3 Fälle von Aneurysmen bei jungen
Leuten in den Jahren zwischen 20 und 30 als Folge einer rheumatischen
Endokarditis nachgewiesen, wo jede luetische Infektion ausgeschlossen
war. Ich selbst habe eine Aorteninsuffizienz nach Rheumatismus durch
Jahre hindurch beobachtet mit einem systolischen Blutdruck von 200 R. R.
und habe im Laufe der Jahre sich eine Dilatation der Aorta ausbilden sehen.
Für die Therapie ist eine scharfe Diagnose, welche die ätiologischen
Verhältnisse berücksichtigt, ein unbedingtes Erfordernis. Haben wir
Insuffizienz oder Stenosenerscheinungen an den Aortenklappen oder eine
Dilatation der Aorta, so wird es sich bei der Differentialdiagnose im
wesentlichen um folgende drei Krankheitsursachen handeln, einmal um
Rheumatismus, dann um Arteriosklerose und als häufigste und wich¬
tigste um Lues. In einigen Fällen wird mau kaum zu einer absoluten
Sicherheit kommen, da ja auch ein Luetiker eine Arteriosklerose haben kann,
ohne daß dieselbe ihre Ursache in der luetischen Infektion zu haben braucht.
Meist wird sich jedoch besonders unter Zuhilfenahme der Wasser-
mann’schen Reaktion und der Röntgenphotographie die Ursache nach-
weisen lassen. Für Aortitis luetica spricht Lues in der Anamnese,
fehlende rheumatische Erkrankung, anderweitige luetische Erkrankungen,
positive Wassermann’sche Reaktion, ferner mittleres Lebensalter.
Ich habe gefunden, daß die röntgenologische Untersuchung weitere
differentialdiagnostische Anhaltspunkte gibt. Einmal zeigt das Herz bei
Arteriosklerose und bei rheumatischer Insuffizienz mehr die
charakteristische Entenform, der Bogen holt weiter nach links aus,
während bei Aortitis luetica und Aneurysma häufig das Herz
normale Form und Lage zeigt. Es kommt eben bei einer unkom¬
plizierten Aortenerkrankung nicht zu einer ausgedehnten Hypertrophie
des linken Ventrikels. Ein weiteres Hauptunterscheidungsmerkmal ist
folgendes:
Bei Aortitis und Aneurysma lueticum ist der Rand des
Aortenschattens niemals so scharf wie bei arteriosklerotischer
Dilatation und bei der Dilatation und Elongation der Aorta
infolge von rheumatischer Aorteninsuffizienz. Es zeigt vielmehr
der Aortenschatten zackige und unregelmäßige Konturen, welche in
manchen Fällen sich bis zu deutlichen Ausbuchtungen (Aneurysma
sacciforme) vorwölben.
Ist die luetische Natur des Prozesses erkannt, so müssen
wir eine antiluetische Therapie einleiten, und zwar besonders
energisch in den Fällen, bei denen der Patient noch nicht
genügend behandelt worden ist, oder die Wassermann’sche
Reaktion noch positiv ist und daher anzunehmen ist, daß noch frische
Entzündungsherde vorhanden sind. Die Kur muß im Anfang wegen
der Gefahr der zu raschen Einschmelzung luetischer Produkte
vorsichtig begonnen werden, aber später um so energisch er
fortgesetzt und häufig wiederholt werden. Will man Salvarsan
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660
Referate und Besprechungen.
anwenden, so soll man erst eine Inunktionskur vorausschicken,
und dann nur Dosen von 0,1 injizieren, da bei größeren Dosen
eine große Lebensgefahr besteht, worüber in allerneuester Zeit Martius
aus dein Ehrlich’schen Institut berichtet hat. Ich wende in Bad Elster
vorzugsweise die Inunktionskur an und lasse die Patienten täglich früh
ein Bad von 34° C. nehmen, dann 3—4 g Ungt. ein. einreiben, am
7. Tage ist Ruhetag. Nach Ablauf der vierwöchigen Kur bekommen
die Patienten täglich einen Monat lang x / 2 —1 g Jodkali. Von dieser
Therapie habe ich nie einen Schaden, dagegen recht gute Erfolge gesehen.
Der Prozeß kommt häufig zum Stillstand, das Herz wird leistungs¬
fähiger, Schmerzzustände und Angina pect, verschwinden.
Daneben haben streng diätetisch-hygienische Vorschriften zu gehen.
Verbot von Alkohol, Kaffee, Tee, Tabak, Fernhalten von anstrengender
Berufstätigkeit und körperlichen Anstrengungen. Bei Beobachtung all
dieser Faktoren ist die Prognose nicht ungünstig. Der beste Beweis
hierfür ist der, daß unter meinen Patienten mit Aortitis zwei ein Alter
von 65 resp. 67 Jahren erreicht haben. Es kommt eben alles darauf
an, die luetische Natur des Prozesses früh zu erkennen und energisch
zu behandeln. Wenn dieses in jedem Falle geschieht, so hat die medi¬
zinische Wissenschaft wiederum einer häufigen und weitverbreiteten
Krankheitserscheinung der Syphilis ihre Schrecken genommen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Predtjetschensky (Moskau), Weitere Untersuchungen über den Fleck¬
typhuserreger. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Verf. hat aus dem Blute,
dem Sputum, dem Urin Flecktyphuskranker mehrfach ein Stäbchen ge¬
züchtet, daß er als den Erreger des Flecktyphus anspricht. Es ist also an-
zu nehmen, daß die Übertragung auf Gesunde durch Unsaüberkeit und un¬
genügenden Schutz vor den Ausscheidungen der Kranken erfolgt.
Schürmann.
R. Müller (Kiel), Mutationen bei Typhus- und Ruhrbakterien. (Zentral-
blatt für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Typhus und gewisse Pseudodysenteriebakterien
wachsen auf Satamnoseagar unter Bildung von Tochterkolonien, die ein neu¬
artiges und zwar das typischste Kulturmerkmal dieser Bakterien ist.
Schürmann.
Rusznyäk (Budapest), Untersuchungen über die Wirkungsweise des
Antityphusserums. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Das Antityphusserum
behält seine schützende Eigenschaft auch nach der Absorption der Agglu-
tinine, Lysine und Tropine aus dem Serum. Es behält auch seine Wirkung,
wenn das Komplement gebunden ist. Aus der peritonealen Flüssigkeit ver¬
schwinden die Bakterien; sie sind zu finden an der peritonealen Oberfläche,
am Omentum, in den Leukozyten, in den Endothelzellen. Das Peritoneum
nimmt aktiv an der Verteidigung teil. Schürmann.
Betegh (Fiume), Vergleichende Untersuchungen über die Tuberkulose¬
erreger der Kaltblüter. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58. H. 1.) Frosch-, Fisch-.
Blindschleichen- und Schildkrö'tentuberkelbazillen können unter sich nicht
als artverschiedene, sondern nur als an verschiedene Tiergattungen angepaßte
Varietäten einer selbständigen Art betrachtet werden. Schürmann.
Cannata und Mitra (Palermo), Einfluß einiger Milchfermente auf
Vitalität und Virulenz verschiedener pathogener Mikroorganismen. (Zentral -
blatt für Bakt.. Bd. 58, H. 2.) Einige Milchfermente besitzen eine antibakte-
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rielle Wirkung gegenüber Typhusbazillen, Paratyphus, A.- und B.-Bazillen,
Dvsenfceriebazillen, Staphylococcus aureus; es widerstehen dieser antibak¬
teriellen Wirkung eine Zeitlang das Bakterium coli, der Bac. fluorescenz;
es entziehen sich ihr der Proteus vulgaris, der Prodigiosus und der Pyo-
cyaneus. Die antibakterielle Eigenschaft der Fermente beruht nicht auf
der Bildung von chemischen Substanzen. Es erschweren die Fermente die
Entwicklung einiger pathogener Keime durch die Erscheinung vitaler Kon¬
kurrenz und nicht durch Stoffwechselprodukte. Schürmann.
F. Dervieux (Paris), Wert der mikrochemischen Reaktionen auf Blut
und Sperma. (Gaz. med. de Paris, Nr. 79, S. 33, 1911.) Die exakte For¬
schung ist natürlich nur dann exakt, wenn die Prämissen richtig sind. Man
kann also die Fundamente nicht oft genug auf ihre Sicherheit prüfen, und
wer* an scheinbar feststehenden Sätzen rüttelt, verdient mehr den Titel
eines wissenschaftlichen Mannes, als wer auf einer nicht in allen Teilen
festgefügten Basis sein Spekulationsschloß in die Luft hinauftreibt. So geht
Dervieux mit den verschiedenen Reaktionen auf Blut (van Deen und
Meyer) und auf Sperma (Florence — Jodjodkali, Barberis — Pikrin¬
säure) scharf ins Gericht. Er erklärt sie für gänzlich überflüssig und irre¬
führend: ,,si elles sont positives, ou n’en peut rien conclure; si elle3 sont>
negatives, on n’en peut davantage rien conclure.“
Unwillkürlich denkt man dabei auch an andere Reaktionen, welche
mit dein Zauberwort der Exaktheit heutzutage die Gemüter berückt haben.
Buttersack (Berlin).
Innere Medizin.
W. J. Karlin, Ein Fall von Noma post Dysenteriam mit Ausgang in
Heilung. (Medicinskaje Obosrenje, Bd. 21, 1910.) Mitteilung eines Falles von
Noma, der eine Reihe von Eigentümlichkeiten aufwies. Während die Er¬
krankung sich am häufigsten bei Kindern im Alter von 3—5 Jahren und
im Anschluß an Masern einstellt, handelt es sich hier um einen Fall von
Noma bei einem 14jährigen Knaben, der zunächst Erscheinungen der Dysen¬
terie bot. auf die übliche Medikation sich nicht recht erholen wollte und
bei dem zwei Wochen später Zeichen von Noma festgestellt werden konnten.
Am Kinn rechts von der Mediallinie, etwa 1 cm unterhalb der unteren Lippe
ein Geschwür von rundlicher Form mit schmerzhaften kallösen Rändern;
keine Schleimhautbhitungen. Lokale Therapie bestand im Auskratzen der
Zerfallsprodukte mit dem scharfen Löffel, Auswaschen der Wunde mit Kali
hypermang.; Jodoform in die Wundränder; stündliches Spülen mit Borsäure.
Ausgang in vollkommene Heilung. Drei Wochen später an der Stelle des
Geschwürs eine kaum sichtbare Narbe. Der Allgemeinzustand läßt nichts
zu wünschen übrig. Schieß (Marienbad).
Kelsch, Zur Epidemiologie der Genickstarre. (Bull, med., Nr. 10,
S. 8991, 1911.) Die Bakteriologie hat vielfach die Geister so sehr infiziert
und das Mikroskop hat den Horizont so sehr eingeengt, daß alle übrigen
Faktoren hinter dem Bazillus zurücktreten bzw. verschwinden. Demgegenüber
betont Kelsch, daß die Meningitis immer nur in räumlich und zeitlich
abgegrenzten Epidemien aufgetreten sei und daß man, wenn der Bazillus die
einzige Ursache wäre, das Erlöschen der Epidemie nicht begreifen könne.
(Er greift damit einen Gedanken auf, welchen schon 1666 Sydenham gegen
die reinen Kontagionisten ins Feld führte: in einer volkreichen Stadt müßten
sich dann immerfort Leichen auf Leichen häufen, bis schließlich niemand
mehr übrig wäre. Ref.)
Im Hinblick auf die Erfahrungen der Epidemiologie argumentiert K.
etwa so: die Geschichte der Seuchen ist die Geschichte des Bazillus. Da die
Bazillen dauernd vorhanden sind, so kann das Ausbrechen bzw. das Erlöschen
einer Seuche nur von der Qualitätsveränderung, d. h. der größeren oder ge¬
ringeren Virulenz der Keime abhängen. ,,Ce sont les variations que les con-
tages subirent au cours des temps; toute l’epidemiologie pivote autour de
cette donnee.“
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Referate und Besprechungen.
062
Von diesem Standpunkt aus dreht er die Lehre von den gesunden
Bazillenträgern und deren Ansteckungsfähigkeit herum: Nicht, weil irgend¬
ein Meningitiker in mehr oder Ininder mysteriöser, jedenfalls nicht exakt
nachgewiesener Weise seiner Umgebung die Meningokokken appliziert, ent¬
steht eine Epidemie, sondern weil der ubiquitäre Bazillus, der in ungezählten
Menschen nistet, aus irgendwelchen Gründen virulent wird, deshalb erkranken
so und so viele davon. „La cause ä proprement parier reside essentiellement
dans l’exaltation temporaire de l’activite des germes. L’autogenese ouvre
l’epidemie, mais eile en assure en outre le developpement ulterieur.“ Also:
die Bazillenträger sind nicht die Folge einer Epidemie, sondern sie gehen
ihr vorher; aus ihnen rekrutieren sich dann die Opfer der Seuche. Lächerlich
ist es deshalb, zu glauben, es lasse sich eine Epidemie durch Isolieren der
Erkrankten bekämpfen; man müßte konsequenterweise die gesamte bazillen-
tragende Bevölkerung isolieren, und das ist leichtbegreiflicherweise un¬
möglich. —
Ohne Zweifel ist diese Betrachtungsweise von K e 1 s c h geistreich und
bestechend; aber sie ist nicht ganz neu. Schon in früheren Zeiten haben
französische, englische, italienische, russische Forscher ähnliche Auffassungen
vertreten, und wenn K e 1 s c h mit scharfen Worten gegen die deutschen als
einseitige Bazillenjäger und Kontagionisten vorgeht, so verrät er damit nur.
daß sich seine Kenntnisse einseitig auf die literarischen Erzeugnisse dessen,
was man gemeinhin als die Koch’sche Schule bezeichnet, beschränken. Tat¬
sächlich gibt es auch diesseits des Rheins noch andere Strömungen. So
sagt z. B. Sticker in seinem klassischen Buch über die Pest: „Jede Pest-
epidemie erlischt von selbst. Sie hört zu bestimmter Zeit auf, ob man etwus
wider sie veranstaltet \vie in Europa oder ob man ihr gelassen zusieht wie
in der Türkei.“ (II. Band, S. 247.)
Der Begriff der Virulenzsteigerung, wie ihn Kelsch verwendet, ist
scheinbar einleuchtend und bequem; aber er erinnert doch zu sehr an den
Nisus formativus und sonstige Qualitates occultae, mit denen die mittel¬
alterlichen Kollegen operierten. Auch bei mäßig scharfem Denken wird
man sich fragen: Wodurch ist denn diese Virulenzsteigerung bedingt? Da
mögen dann die verschiedenartigsten Faktoren mitspielen, Feuchtigkeit-
Wärme, Mißwachs und dergl. Die Ursache des Kommens und Gehens einer
Epidemie braucht aber nicht einmal immer in gesteigerter Virulenz zu liegen:
sie kann auch bloß von dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der er¬
forderlichen Mittelglieder zwischen Bazillus und Mensch abhängen. So
wissen wir heute von der Pest, daß ihr Erscheinen und ihr Erlöschen abhängt
vom- Gedeihen und der Erschöpfung der pesttragenden und -übertragenden
Tiere, speziell der Mäusegeschlechter und der Flöhe, und bei näherem Zu¬
sehen dürfte noch bei anderen Seuchen die Bedeutung der Zwischenwirte oder
Zwischenglieder erhellen.
Aber wenn Kelsch der deutschen Schule den Vorwurf macht, sie sei
blind ausschließlich auf den Bazillus erpicht, so kann man ihm das zurück-
geben. Denn er rechnet nur mit den Variations incessantes du moteur patho¬
gene, nicht aber mit entsprechenden Vorgängen im Menschengeschlecht.
Für den Anatomen freilich mögen die Menschen von heute und die zur Zeit
von Goethe, Newton und Thomas von Aquino gleich sein; für den
Physiologen sind sie es aber nicht, und für den Psychologen noch weniger.
Da nun das, was wir Krankheit nennen, am letzten Ende eine Reaktions-
leistung des Organismus ist, so empfiehlt es sich, bei derlei allgemeinen
epidemiologischen Betrachtungen den Faktor: Mensch nicht als Konstante,
sondern als variable Größe in Rechnung zu stellen. Ist die Konstitution
schon bei den einzelnen Zeitgenossen verschieden, wie kann man dann an-
uehmen, daß sie bei den sich folgenden Geschlechtern immer gleich sei ?
Eine Zeitlang mochte es scheinen, als ob mit dem Bazillus das Ens
morbi gefaßt wäre. Aber je mehr die bakteriologische Ära in die historische
Ferne rückt, um so klarer wird, daß sie nicht der letzte Schlüssel zum Ver-
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ständnis der Epidemiologie ist und auch für uns Heutige wird schließlich
der Spruch Omar-i-Khaj jam gelten.
..Als ich noch in der goldenen Jugend stand,
Schien mir des Daseins Rätsel fast bekannt.
Doch jetzt, am Schluß des Lebens, seh ich wohl.
Daß ich von allem nicht ein Wort verstand.“
Buttersack (Berlin).
Chirurgie.
Felten (Halle), Über Blasenhernien. (Arch. für klin. Chir., Bd. 94,
H. 1.) Die Blasenhernien sind nicht, selten eine Komplikation der anderen
Hernien, sie können also extraperitoneal, paraperitoneal und intraperitoneal
Vorkommen, je nachdem Peritoneum der Blasenkuppe sich an der Einstülpung
in die Bruchpforte beteiligt. Meist bietet sich die Blasenhernie als eine
derbe, schwielige Fettgeschwulst dar, die nicht selten bei Unkenntnis
lädiert wird. Auch inkarzeriert mit nachfolgender Gangrän kann die Blase
als Inhalt des Bruchsackes Vorkommen. Eine exakte Naht, die jede Gefahr
einer darauffolgenden Peritonitis oder Urininfiltration ausschließt, ist unbe¬
dingtes Erfordernis. Disponierend für die Blasenhernie muß die vorher
bestehende Divertikelbildung angesehen werden. Vorschütz.
Riem (Berlin), Über das Schicksal von eingenähten Silberdrahtnetzen
zum Verschluß von Bruchpforten. (Arch. für klin. Chir., Bd. 93, H. 4.)
Bei übergroßen Hernien, wo die Muskulatur größtenteils geschwunden ist
und es an geeignetem Deckmaterial der Bruchpforte fehlt, hat man Silber¬
drahtnetze nach Göpel-Witze l eingelegt. Im allgemeinen sind die Er¬
folge bezüglich der Rezidive in den ersten Jahren gute und alle Autoren
wissen Gutes zu berichten; nur Kausch beobachtete einen Fall, wo
nach fünf Jahren ein Rezidiv eintrat und das Netz total zertrümmert
war; Verfasser hat nun die Fälle der Klinik von Geheimrat Körte
im Röntgenbilde untersucht, vornehmlich Fälle, die vor mehreren Jahren
(5—8 Jahren) operiert waren und es zeigte sich hier die interessante Beobach¬
tung, daß bei elf Fällen die Netze mehr oder minder lädiert und verschoben
waren. Liegt die Operation erst ein Jahr zurück, dann sind die Resultate
noch glänzende und von 35 Fällen sind 89°/ 0 völlig geheilt. Die günstigen
Erfolge sind bedingt durch die Durchwachsung des Netzes mit Bindegewebe.
Das Drahtnetz kann jedoch dauernd nicht als Verschlußdecke der Bruchpforte
dienen, weil durch die allmähliche Oxydation des Silbers die Drähte arrodiert
und gebrochen werden. Nunmehr liegt die Gefahr vor, daß die wandernden
Drahtstücke in der Nachbarschaft wichtiger Organe großen Schaden anrichten
können. Es würde somit die Drahtnetzimplantation ihre Indikation nur für
dekrepide ältere Leute angewiesen erhalten, während bei jüngeren Leuten
man von der Trendelenburg’schen Knochenplastik Anwendung machen soll.
Vorschütz.
Glickmann (Kasan), Über die kombinierte Hedonal-Chloroformnarkose.
(Wratschebnaja Gaseta, Nr. 45, 1910.) Die kombinierte Hedonal-Chloroform¬
narkose stellt eine sehr glückliche Kombination dar. bei der ein viel ruhigerer
Schlaf erzielt wird als bei allen anderen Formen der Narkose. Das Exzi¬
tationsstadium ist, wenn überhaupt vorhanden, nur sehr gering ausgesprochen.
Erbrechen während oder nach der Narkose tritt hier seltener als bei der
Chloroformnarkose auf. Unangenehme Erscheinungen von seiten der Respi-
rations- oder Zirkulationsorgane hat Verf. nicht beobachtet. Das Indika¬
tionsgebiet für die Anwendung der Hedonal-Chloroformnarkose ist insofern
breiter, als es auch in Fällen jnit nicht ganz einwandfreier Herztätigkeit
angewandt werden darf. Schieß (Marienbad).
A. Polenow, Die intravenöse Hedonalnarkose. (Wratschebnaja Gaseta,
Nr. 45, 1910.) Mitteilungen über die* Resultate bei der in 60 Fällen ange¬
wandten intravenösen Hedonalnarkose. Der Vorschlag, das Hedonal zur
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intravenösen Narkose anzuwenden, geht von Prof. Krawkow aus.
Die Vorzüge liegen darin, daß der Blutdruck fast unverändert bleibt, ein
ruhiger Schlaf erzielt wird und daß keine beängstigenden Erscheinungen,
kein Erbrechen und nur geringe Zyanose beobachtet werden. Es scheint,
als wenn sich diese Art der Narkose ganz besonders für mit Arteriosklerose
einhergehenden Fälle und bei Beteiligung des Peritoneums eignete.
Schieß (Marienbad)
Gynäkologie und Geburtshilfe.
L. Heidenhain (Worms), Ätiologie und operative Therapie der Prolapse
des weiblichen Genitales. (Berliner Klinik, H. 27Ö, März 1911.) H. schließt
sich bekanntlich im allgemeinen der Halban - Tändle r’schen Auffassung
der Prolapse als Hernien des Beckenbodens an. Zu dieser Ansicht führten
ihn lediglich klinische Beobachtungen: Zunächst sei der Levator¬
spalt oder der Hiatus genitalis bei der normalen Frau dicht hinter dem
Scheideneingang stets mit aller wünschenswerten Deutlichkeit und Leichtig¬
keit bei jeder vaginalen Untersuchung zu fühlen, meist als kleine längs¬
gestellte Ellipse. Die Ränder des Spaltes seien als kräftige runde Muskel -
Wülste zu fühlen, welche beiderseits dicht neben der Symphyse entspringen,
den untersten Teil der Scheide eng umfassen und im Zentrum tendineum
des Dammes enden. Sie kontrahieren sich, wenn man das Gesäß anheben
läßt. Diesem Levatorspalt vorgelagert ist das zweite bilateral symme¬
trische System, das Diaphragma urogenitale. Es ist das eine, den
Durchlaß unter dem Schambogen verkleinernde derbe, bindegewebige
Platte mit einigen kleinen aufgelagerten Muskelchen (Constrictor cunni).
Dieses Diaphragma wird durch eine Geburt stets so gut wie zerstört. Aber
auch der Levatorspalt erleide typische Veränderungen, meist werde bei Spon¬
tangeburten auf der dem Hinterhaupt entsprechenden Seite die vordere An¬
satzstelle des Levatorschenkels an der Symphyse abgesprengt. Bei atypischen
Zangen würden meist beide Schenkel zerrissen, der Hiatus klaffe in¬
folgedessen auf Handbreite, ähnlich nach der Hebosteotomie selbst mit
nachfolgender Spontangeburt. Ferner fand H. bei Operationen von Pro¬
lapsen stets, daß die vordersten Levatorbündel nie mehr am Centrum
tendineum, sondern mehr rückwärts am Sphinkter ani selbst inserierten.
Da auch die neben der Symphyse entspringenden Fasern verschwunden sind,
habe der Levatorspalt bei Prolapsen nicht mehr die Gestalt einer schmalen
Ellipse, sondern die eines V, oft eines V mit abgestumpfter oder abgerundeter
unterer Spitze. Die seitlichen Levatorschenkel tangieren nur noch die
Vagina, umschließen sie nicht mehr eng. Infolge Verschwundenseins der
vordersten, zum Centrum tendineum ziehenden Levatorbündel legt sich die
hintere Scheidenw r and, der die vordere Mastdarmwand nun unmittelbar anliegt,
in den verbreiterten Spalt hinein. Alles, was gleiten kann, fällt nun all¬
mählich durch diese Bruchpforte von oben nach unten vor, zunächst Blase
und Scheide, auch Rektum, endlich der Uterus, und zwar alles lediglich
durch den Druck von oben her. H. legt kein Gewicht auf die ursprüngliche
Lage des Uterus. Das erste, was in den klaffenden Hiatus der Schwere nach
hineinsinkt, sei die direkt darüber liegende Blase, diese ziehe die vordere
Scheidenwand und endlich den Uterus nach sich. Dadurch wird der Uterus
natürlich in Retroversion gezogen. Die Zystozele an sich müsse, weil nie
leer, die Bruchpforte immer mehr ausweiten. Die Erschlaffung der Liga¬
mente, welche sich bei jiedjem ausgebildeten Vorfall finde, sei stets erst eine
Folge des Prolapses. — Diese Ansichten stimmen im großen und ganzen
auch mit denen von Krönig und Pankow überein. Was nun die The¬
rapie anlangt, so operiert H. seit 10 Jahren die Prolapse so, daß er ledig¬
lich den muskulösen Beckenboden wiederherstellt, d. h. er sucht sich
nach Abpräparierung der gesamten hinteren und zum Teil seitlichen Scheiden -
wand bis zum Vaginalgewölbe die seitlichen Schenkel des Levators auf,
was ihm stets gelungen sei, und vernäht diese ein Stück weit in der
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Mittellinie, d. h. vor dem Rektum, miteinander mittels unresorbierbarer
Fäden. Von der hinteren Vaginalwand wird höchstens ein kleiner Teil rese¬
ziert. Vorn wird eine gewöhnliche Kolporrhagie mit Blasenraffung gemacht,
aber auch nur ein sichelförmiges Stück Schleimhaut auf der einen Seite
reseziert. Die Erfolge waren ganz ausgezeichnete: auf 38 Fälle
(26 unvollkommene und 12 vollkommene Prolapse) nur 2 Rezidive;
von den Frauen sind 27 über 3, 9 über 2 Jahre beobachtet. Der Uterus,
an dem H. nie eine Lagekorrektur oder Fixation vorgenommen hat, lag in
allen Fällen hoch oben, kam auch beim Pressen nicht herunter. Von 4 Frauen,
die nach der Operation wieder entbanden, hatten 2 Rezidiv, was aber nicht
Wunder nehmen könne. Das ginge bei anderen Prolapsoperationen ebenso.
Jedenfalls könne es bei der H. sehen Operation niemals Geburtshindernisse
geben. — H. bemerkt noch, daß man bei der Operation totaler Dammrisse
den durchrissenen Sphinkter ani wesentlich leichter finde, wenn man die
Insertion des Levators am Sphinkter beachte und freilege.
R. Klien (Leipzig).
F. Bardachzi (Prag), Zur Röntgentherapie der Uterusmyome. (Münclin.
raecl. Wo&henschr., S. 2184, 1910.) B. berichtet über 6 Fälle, bei denen
profuse Myomblutungen durch Röntgenbehandlung zum Stillstände gebracht
werden konnten. In allen 6 Fällen handelte es sich um messerscheue Patien¬
tinnen, bei denen fast ausnahmslos auch ein Ivleiiierwerden der Tumoren
festzustellen war. Interessant ist, daß in mehreren Fällen nach den ersten
schwächeren Bestrahlungen stärkere Blutungen auftraten, die sich einmal
nur durch Gelatineinjektionen beherrschen ließen. B. hebt ebenfalls die
Langwierigkeit der Röntgenbehandlung hervor.
Wenn B. es als pflichtgemäß hinstellt, auf Grund der Erfolge „die
vielfach noch unbedingt ablehnende Haltung“ gegen die Röntgenbehandlung
aufzugeben, so ist dem nicht ohne weiteres beizupflichten. Ref. möchte be¬
tonen, daß die Röntgentherapie in keiner Weise dem operativen Vorgehen
gleichzustellen ist. Denn die Operation greift das Übel an der Wurzel
an; die Röntgenbestrahlung wirkt nur direkt auf die Ovarien, ist also der
Kastration gleichzustellen. Ausfallserscheinungen sind bei dem Röntgen-
verfahren unvermeidbar. Frankenstein (Köln).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
P. S. Medowikow, Über die Häufigkeit der Tuberkulose im Kindes¬
alter. (Russki Wratsch, Nr. 52, 1910.) Tuberkulöse Veränderungen können
anatomisch schon bei 3 Monate alten Kindern nachgewiesen werden. Hier
beträgt die Häufigkeit der tuberkulösen Affektionen 3%, wächst allmählich
heran, erreicht mit dem 3. Lebensjahr eine Häufigkeit von 41%, geht jetzt
zurück bis 27% (7.—9. Lebensjahr), um von dann ab wiederum in die Höhe
zu gehen.
In 33% aller Fälle waren bei einem sehr reichhaltigen Sektions-
material Veränderungen tuberkulöser Natur bei Kindern nachzuweisen. In
21% der Fälle waren nur die Lymphdrüsen affiziert. Unter den an akuten
Infektionskrankheiten zugrunde gegangenen Kindern waren tuberkulöse Ver¬
änderungen in 22,7% der Fälle nachzuweisen. Als Eingangspforte müssen
in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Atmungswege angesehen
werden. Die Ursache der ungeheuren Verbreitung der Tuberkulose im Kindes -
alter ist bei den ärmeren Be Völker ungsk lassen namentlich in den hygieni¬
schen Verhältnissen zu suchen. Schieß (Marienbad).
H. Schnitzer (Kükenmühle-Stettin), Die Mitwirkung des Psychiaters
bei der Fürsorgeerziehung. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 5,
H. 1.) Die Fürsorgeerziehung sollte eine wirksame Handhabe abgeben, um
Kinder und Jugendliche vor geistiger und körperlicher Verwahrung zu
schützen. Man hat bisher den Segen dieses Gesetzes verkümmert, ind<*m
man seine Bestimmungen weniger als Prohibitivmaßregel angewandt hat.
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Referate und Besprechungen.
sondern, bei weitem zu spät, mehr als Strafe bei bereits eingetretener Ver¬
wahrlosung und sodann durch die Vernachlässigung der psychisch Abnormen,
wohin die meisten „schwer Erziehbaren“ gehören. Bei diesen mindestens
die Hälfte aller darstellenden handelt es sich nicht so sehr um die eigent¬
lichen Geistesstörungen als um eigenartige Mischzustände. Bei allen krank
haften Störungen sind wohl mehr als das allerdings noch nicht völlig zu
übersehende Milieu angeborene degenerative Einflüsse wirksam. Besonders
wichtig ist das Studium der Gesamtpersönlichkeit, und man darf hier nicht,
von Schwachsinn im landläufigen Sinne sprechen, wenn man die betreffenden
als geistig minderwertig bezeichnet. Wir treffen hier z. B. mitunter in
erster Linie nur einen Mangel ethischer Vorstellungen und Empfindungen
mit meist sehr frühzeitigen kriminellen Neigungen (Tierquälereien, Nieder
trächtigkeiten an Spielkameraden schon vor der Einschulung). Wichtig sind
ferner die Störungen des Affektlebens, sei es einseitig in Form abnormer
Stimmungsschwankungen, sei es umfassender als allgemeinere Schwäche (Er¬
müdbarkeit, Zerfahrenheit, Neigung zur Träumerei. Zwangsvorstellungen).
Gröbere Intelligenzstörungen findet man bei einer Gruppe passiver Elemente,
die willenlos und urteilsschwach sich zu kriminellen Handlungen verleiten
lassen. Schon vor der Einleitung der Fürsorgeerziehung sollte man alle
untersuchen und ev. infolge der Notwendigkeit wiederholter Explorationen
in Beobachtungsstationen, die als Adnexe an Irren- und Idioten- sowie an
Erziehungsanstalten zu denken wären, genauer beobachten und die schwereren
Formen in die ersteren, die milderen in besondere Abteilungen der letzteren
unterbringen. Hem Psychiater fällt hierbei also schon eine bedeutende Auf¬
gabe zu, in seine Hände müßte man aber auch zum Teil die Ausbildung
der speziellen Erzieher legen. Zweig (Dalldorf).
L. W. Aksenow (Petersburg), Über 360 mit Moserschem Serum be¬
handelte Scharlachfälle. (Wratschebnaja Gaseta, Nr. 49/50, 1910.) Sicher
ist, daß das Serum die Zahl der Komplikationen speziell der Nephritisfälle!
reduziert. Die Komplikationen treten um so seltener auf, je früher das
Serum eingeführt wird. Das Serum muß so früh als möglich, jedenfalls
nicht später als am vierten Tag — namentlich bei Kindern bis zum fünften
Lebensjahr — angewandt werden. Die wiederholte Anwendung des Serums
hat sich als nutzlos erwiesen. Was die einzuführenden Mengen anbetrifft,
so gibt die Anwendung von 150 die besten Resultate hinsichtlich der Mor¬
talität und der Häufigkeit der Komplikationen. Als die sichersten Folgen
der Serumanwendung werden Temperaturabfall, Verkürzung der Krankheits-
dauer, Besserung des Allgemeinbefindens und der Pulsqualitäten hervor -
gehoben. Zu den gefürchteten Nachteilen gehört in erster Linie das hämor¬
rhagische Erythem, das Verfasser in 39% aller Fälle beobachtet hat.
Schieß (Marienbad).
Psychiatrie und Neurologie.
L. Krewer. Zur Diagnostik der Hirnlues. (St. Petersburger med.
Wochenschr., Nr. 45, 1910.) Nach Verfasser ist die Diagnose Hirnlues
sichergestellt, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: epileptifornie
Anfälle bei Erwachsenen, die bis dahin nie an solchen Anfällen gelitten
haben: Auftreten der Anfälle ohne vorausgegangene Aura; schnelles Auf¬
einanderfolgen der Anfälle, die sich nur auf einzelne Muskelgruppen, ein¬
zelne Körperteile oder eine bestimmte Körperhälfte beziehen; das Bewußt¬
sein ist während der Pausen nicht ganz frei und während der Anfälle nicht
ganz erloschen; den Anfällen folgen vorübergehende Lähmungen. Voraus¬
gesetzt wird endlich, daß ein berechtigter Verdacht auf eine vorausge¬
gangene luetische Infektion besteht. Schieß (Marienbad).
J. A. Sicard (Paris), Zur Behandlung des Morbus Basedowii. (Journ.
de med. de Paris, Nr. 51, 1910 u. Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 1, 1911.)
Unter xAnftihrung mehrerer tödlich verlaufener Operationsfälle betont Sicard,
daß der Internist trotz der modernen operativen Ära an erfolgreicher Behand-
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Referate und Besprechungen.
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Jung des Basedow nicht zu verzweifeln brauche. Außer der Serumbehandlung,
speziell dem Blut thyreoidektomierter Ziegen („Hämoto-Ethyreoidin“) und
der Elektrizität empfiehlt er auf Grund seiner Erfahrungen alternierende
Behandlung mit Chinin (1,5—2,0), Natr. salic. (2,0—4,0), Chlorkalzium (3,0— 4,0
täglich) bei salzarmer Diät. Außerdem hydrotherapeutische Maßnahmen.
Als neueste, noch weiter zu verfolgende Therapie hat er mit Erfolg
Chinininjektionen in die hypertrophierten Drüsenlappen versucht. (Zweimal
wöchentlich 0,5—1 ccm Quinforme Lacroix.) Vor Jodbehandlung warnt er.
Über Radiotherapie fehlt ihm eigene Erfahrung. Esch.
M. Resnikow u. S. Dawidenkow (Charkow), Ausfallssymptome nach
Läsion des linken Gyrus angularis in einem Fall von Schädel- und Gehirn¬
verletzung. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 4, H. 5.) Ein
Bauer wurde 1904 durch eine Kugel am Kopf verwundet. Eine anfängliche
Lähmung der rechten Seite ist schnell verschwunden, auch die anfänglich
schlechte Sprache hat sich wieder gebessert. Im allgemeinen wurde er immer
stumpfer, doch traten plötzlich auch sehr heftige Erregungen auf, derent¬
wegen er in die Anstalt kam. Auf der linken Seite des Kopfes entsprechend
dem Gyrus angularis im hinteren oberen Teil des Temporal- und unteren Teil
des Parietalbeins fand man einen Knochendefekt, dessen Grund Pulsation
zeigte. Bei der Operation fand sich unter der Narbe eine Zyste. Aus dem
neurologischen Befund ist charakteristisch die Störung der Sehsphäre, Hör-
sphäre und Hautmuskelsphäre (Hemianopsie, amnestische Aphasie, Astereo-
gnosis, amnestische Farbenblindheit). Bzgl. der Astereognosis (Erkrankung
der Parietalwindung ev. im Verein mit den benachbarten Windungen) kann
man sagen, daß ihre Vereinigung mit residuären Motilitäts- oder transito¬
rischen Sensibilitätsstörungen für einen mehr den Zentral Windungen sich
nähernder» Herd spricht, ihr Zusammentreffen mit residuärer scharf ausge¬
sprochener Hautmuskelanästhesie und transitorischen Paresen für eine mehr
zentrale Lage, also Gyrus supramarginalis, die Komplikation mit aphasischen
Störungen für die Grenze zwischen Gyrus supramarginalis und den Tempo¬
ralwindungen, schließlich für Erkrankung des Gyrus angularis die gleich¬
zeitige Anwesenheit von Hemianopsie, Alexie (fehlt hier; Pat. war Analpha¬
bet) und kortikaler Ophthalmoplegie. Auch die für die Erkennung der
Erkrankung des Gyrus iangularis sehr wichtige amnestische Farbenblind¬
heit deutet ein Übergreifen auf iden Gyrus occipitalis an. Ferner waren
Merkfähigkeit und Gedächtnis erheblich gestört. Z*weig (Dalldorf).
K. Frankhauser (Stephansfeld), Geschwisterpsychosen. (Zeitschr. für
die ges. Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 1.) Auf die Arbeit sei lediglich ihrer
kasuistischen Wichtigkeit wegen verwiesen. F. bringt in Krankengeschichten
4Ü Gruppen von Geschwistererkrankungen an Dementia präcox, manisch-
depressiven Irresein, Erkrankungen im Rückbildungsalter und degenerativen
Psychosen. Seine psychiatrischen Ansichten, die z. B. eine Einteilung der
Dementia präcox in Sinnen-, Gefühl-, Willen- und Verstandesdemenz befür¬
worten, dürften kaum Anerkennung finden, ebensowenig recht viel anderes.
Seine Schlußfolgerungen bzgl. der Vererbungsmechanismen widersprechen
der bisherigen Erfahrung und sind z. T. sicher falsch. Zweig (Dalldorf ).
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Preobraschenski (Moskau). Die Bedeutung der Behandlung der Eusta¬
chischen Röhre bei dironischer und rezidivierender Otorrhöe. (Zeitschr. für
Ohrenheilk., Bd. 62, S. 135, 1910.) Chronische Mittelohreiterungen werden
mit Vorliebe rückfällig, wenn nach der ersten Erkrankung dauernde Löcher
im Trommelfell Zurückbleiben, oder wenn chronisch-katarrhalische Zustände
in der Nase und im Rachen vorhanden sind. Aber auch ein chronischer
Katarrh der Ohrtrompete kann den Anstoß zum Wiederaufflackern
einer versiegten Mittelohreiterung geben. Hierauf weist P. besonders ein¬
dringlich hin und fordert, was freilich von seiten der Ohrenärzte, wenigstens
in Westeuropa, wohl schon immer geschehen ist, daß auch die erkrankte
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Referate und Besprechungen.
Ohrtrompete bei Mittelohreiterungen mit behandelt werde. Er schlägt dazu
Bougierung und Massage der Tuba Eustachii vor; auch Saugbehandlung
vom Gehörgange her oder Lufteintreibungen mittels Katheters und Einfüh¬
rung von Heilmitteln in die Ohrtrompete sind gegebenen Falles anzuwenden.
Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Tubenkrankheiten als Ursache von
Rückfällen chronischer Mittelohreiterungen und auf die Notwendigkeit, auch
die erkrankte Ohrtrompete zu behandeln, ist gewiß berechtigt, namentlich
dem Nichtfacharzte gegenüber; warum aber P. erst nach einer 1—2 Monate
fortgesetzten erfolglosen Behandlung der Pauke allein zur Mitbehandlung
der Tube überzugehen rät, ist nicht recht ersichtlich. Namentlich wird man
bei chronischem Katarrh der Schleimhaut der Nase uud des Rachens nicht
bloß diese von vornherein mit behandeln, sondern auch die Schleimhaut der
Tube, deren isolierte Erkrankung — ohne Mitbeteiligung der Schleimhaut
in der Nachbarschaft, also in der Pauke oder im Nasenrachenraum — übrigens
kaum Vorkommen dürfte. Richard Müller (Berlin}.
Alejandro del Rio (Santiago), Neunzehn aus den Luftwegen mittels
Tracheobronchoskopie entfernte Fremdkörper. (Zeitschr. für Ohrenheil k..
Bd. 62, H. 1, 1910.) A. del Rio hat im Jahre 1905 in Killian’s Klinik in
Freiburg die Methode der direkten Untersuchung der Luftwege kennen gelernt
und seitdem in seiner Heimat 19mal Gelegenheit gehabt, das Erlernte prak¬
tisch zu erproben.
Es handelte sich in allen Fällen um Kinder, meist um kleine Kinder:
nur ein Mädchen, die älteste Patientin, war 17 Jahre alt. Uie Fremdkörper
waren 7 Stecknadeln, 1 Bleistifthülse von 3,4 cm Länge und 7 mm Durch¬
messer, 9 Wassermelonenkerne und 2 Bohnen. Die Stecknadeln waren 5 cm
lang und trugen einen runden Glasknopf von 6—8 nun Durchmesser; solche
Nadeln müssen wohl in Chile sehr im Gebrauch sein. Die Kerne waren etwa
1—1,5 cm lang und 0,5—0,8 cm breit. Sitz des Fremdkörpers war die Luft¬
röhre 9mal, der rechte Hauptbronchus 3mal, der linke 4mal, Luftröhre und
rechter Bronchus lmal; in 2 Fällen war eine genauere Ortsbestimmung nicht
möglich.
Bei einem Knaben von 7 Jahren gelang die Entfernung der aspirierten
Stecknadel nicht; er starb an Erstickung, und bei der Sektion fand sich die
Nadel im rechten Bronchus. Tödlich war der Ausgang auch bei einem
3jährigen Mädchen, das an Lungenentzündung einging, trotzdem daß die
Nadel aus dem rechten Bronchus herausgezogen worden war. In allen übrigen
Fällen gelang es, den Fremdkörper zu entfernen und die kleinen Patienten
zu heilen.
Das sind schöne Früchte deutscher Wissenschaft im fernen Auslande.
Richard Müller (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
E. St. Faust (Würzburg), Über das Crotalotoxin aus dem Gifte der
nordamerikanischen Klapperschlange (Crotalus adamanteus). (Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharmakologie, Bd. 64, S. 244. 1911.) Faust,
dem es bereits geglückt ist, das Gift der Kobra (Ophiotoxin) und der
Kröte (Bufotalin) zu isolieren, hat aus dem Gift der nordamerikanischevii
Klapperschlange das Crotalotoxin dargestellt. Die in eiweißfreiem und
wirksamem Zustand gewonnene Verbindung ist pharmakologisch und toxiko¬
logisch der wichtigste Bestandteil des Klapperschlangengifts und ist die
Ursache wahrscheinlich aller (Nerven-, Zell-, Blut-) Wirkungen dieses Gifts.
Die drei genannten Stoffe sind Sapotoxine und in ihrer Zusammensetzung
nahe verwandt. Es ist interessant, daß ,,bei zwei phylogenetisch, wahrschein¬
lich nahe verwandten Tierarten — Amphibien und Reptilien —“ die wirk¬
samen Stoffwechselprodukte ihre Giftwirkung anscheinend durch eine ge¬
meinsame Muttersubstanz haben. E. Rost (Berlin).
M. Gelbart (Basel), Über den Einfluß der Digitalis auf frisch ent¬
standene Klappenfehler. (Arch. für exper. Path. und Pharm., Bd. 64, S. 16<.
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Referate und Besprechungen.
669
1911.) Cloetta hatte 1908 in Versuchen an Kaninchen mit künstlich nach
Rosenbach erzeugter Aorbeninsuffizienz gefunden, daß die längere Zeit
mit Digitalis (Digitalisinfus, Digalen) behandelten Tiere eine geringere
Herzvergrößerung aufwiesen, als sie an Vergleichstieren ohne kontinuier¬
liche Digitalisbehandlung auftrat. Verf. führte an der Baseler medizinischen
Klinik entsprechende Versuche an Kaninchen mit Aortenklappendurchstoßung
und Digitaliseinspritzung aus. Bei den 7 Versuchstieren war die Hyper¬
trophie des Herzens nicht geringer als bei den 7 Vergleichstieren. Die
Digalentiere waren aber im ganzen munterer und zeigten in geringerer Zahl
Hydrops; hieraus schließt Verf., daß bei ihnen die Kompensation begünstigt
gewesen sei.
Ob tatsächlich dieser Befund auf die regelmäßige Digalenzufuhr
zurückzuführen ist, muß bei der Schwierigkeit, den experimentellen Eingriff
(Aortenklappendurchstoßung) und seine Folgen zu beherrschen, und bei
der geringen Zahl der verwendeten Tiere bezweifelt werden; eine Verall¬
gemeinerung und Übertragung auf die Klappenfehler beim Menschen läßt
er jedenfalls nicht zu. E. Rost (Berlin).
O. Hensel (New York), Die physiologische Wirkung und Einstellung
der Digitalis. (American Medicine, Nov. 1910.) Digitalis wirkt auf den
Pneumogastrikus zentral und peripher ein, veranlaßt Kontraktion der peri¬
pheren Blutgefäße unter gleichzeitigem Anstieg des Blutdrucks und ver¬
engert wahrscheinlich auch die Koronargefäße. Die Hauptwirkung erstreckt
sich indessen auf die Zunahme der Empfindlichkeit, Kontraktionsstärke
und des Tonus des Herzmuskels bei unbedeutender Verringerung des Lei¬
tungsvermögens. Da die Droge in gewissen Fällen direkt schädlich wirken
kann, so sollte der Zustand des Herzmuskels immer sorgfältig untersucht
w r erden. Bei gestörter Leitfähigkeit [ist Digitalis kontraindiziert, bei Koronar-
sklerosc kann sie mit Diuretin kombiniert werden.
Die wirksamen Bestandteile der Droge Digitoxin, Digital in und Digi¬
talein sind in der Droge an Tannin gebunden. Volle Digitalis Wirkung kann
nicht durch Verordnung -nur eines Glykosides erzielt werden. Für die
Wirksamkeit der Droge spielen Herkunft, Sammeln, Trocknen und Auf¬
bewahrung eine große Rolle. Bei der Zubereitung des üblichen Infus um,
das indessen nicht die Gesamtheit der Glykoside enthält, kommt viel auf
die Gewissenhaftigkeit der Zubereitung an. Nachdem es mit Hilfe des
physiologischen Versuches gelungen ist, eine exakte Wertbestimmung von
Digitalispräparaten vorzunehmen, so wird die beste Zubereitungsform ein
bei niedriger Temperatur getrocknetes und mit Hilfe des Tierversuches ein¬
gestelltes Extrakt sein.
Ein solches Extrakt, das außerdem frei von Digitonin und wert¬
losen Ballaststoffen, liegt im Digipuratum vor. Die Erfolge des Verf. in
Klinik und Privatpraxis waren ausgezeichnet. Magenstörungen fehlten völlig,
der Einfluß auf Puls und Diurese trat schneller ein als bei amderen Prä¬
paraten. Bei richtiger Auswahl der Fälle fehlten kumulative und toxische
Wirkungen, Ödeme, Aszites und Magenstörungen verschwanden schnell da¬
nach. Falls man eine vasokonstriktorische Wirkung vermeiden will, kann
man es mit Diuretin kombinieren. Bei Koronarsklerose mit Anlage zur
Angina pectoris hat sich folgende Verordnung sehr bewährt:
Rp. Digipurati 0,1 Rp. Digipurati 0,1
Natr. nitros 0,12 oder Diuretini 0,6
M. f. pulv. M. f. pulv.
S. 3 mal tägl. 1 Pulver. S. 3 mal tägl. 1 Pulver.
Zur Beseitigung von Dyspnoe mit fehlender Diurese empfiehlt Verf.
folgende Formel:
Rp. Dionini 0,015—0,03
Digipurati. 0,1
Diuretini 1,0
M. f. pulv.
S. 4 mal tägl. 1 Pulver.
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670
Referate und Besprechungen.
Glaser, Über Anogon, ein neues Mittel der Hg-Therapie der Syphilis.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 6, 1911.) Das Anogon, das Quecksilber-
oxydulsatz der Dijodparaphenolsulfosäure hat einen Quecksilbergehalt von
50°/o und einen Jodgehalt von 30% und wird von der Chemischen Fabrik
von Trommsdorf in Aachen hergestellt. Zur subkutanen Injektion wird eine
10 0 / 0 ige Lösung in Ol oliv, verwandt. Die Injektionen selbst werden aller
ö—8 Tage in einer Zahl von durchschnittlich 8—10 vorgenommen. Dann sind
die luetischen Erscheinungen meist verschwunden. Was die Rezidive angeht,
so können sie mit dem Präparat ebensowenig verhütet werden, wie mit allen
anderen. Die Injektionen sind meist nicht schmerzhaft. Infiltrate treten auf,
dagegen keine Abszedierungen. Die Wassermann’sche Reaktion wurde nach
Beendigung der Kur stets negativ. F. Walther.
Diätetik.
D. Bulkley (New York). Nutzen der Diät bei Hautkrankheiten. (Med.
Record, Nr. 4, 1911.) Der Autor litt seit einiger Zeit an unerträglichem
Hautjucken an den Händen und papulovesikulösen Eruptionen. Als alle
Mittel, innerliche wie äußerliche, nichts halfen, entschloß er sich zu einer
strengen Diät, und lebte 5 Tage lang nur von Reis (in Wasser gekocht),
Brot, Butter und Wasser. Der Effekt war überraschend: schon nach
24 Stunden ging das Jucken und die Schwellung zurück, und am 4. Tage
war alles abgeheilt und jede Spur verschwunden. Als B. aber wieder
zur gewöhnlichen gemischten Nahrung überging, traten die Krankheits-
erscheinungen von neuem auf, verschwanden jedoch prompt mit der Rück¬
kehr zur strengen Diät.
Natürlich ergeht sich Bulkley auch in ätiologischen Spekulationen
und sucht die materia peccans in Toxinen, welche beim Abbau des Eiweißes
entstehen sollen. Dann würde es sich um eine Stoffwechselanomalie handeln
und man müßte versuchen, durch Pankreatin oder sonstige Mittel die Ano¬
malie zu beheben. Es könnte sich aber auch um eine abnorme Reizbarkeit
der Haut handeln; dann wäre die Therapie in dieser Richtung zu entwickeln.
Buttersack (Berlin).
R. Kolisch, Kohlehydratkuren bei Diabetes. (Med. Klinik, Nr. 10, 1911.)
Das ganze Wesen der KohLehydratkunen gipfelt in der Lösung der Frage,
wie man es ermöglichen kann, dem Diabetiker nutzbringend Kohlehydrate
zuzuführen. Richtungslinie für die Diabetikerkost ist vor allem das Nali-
rungsbedürfnis des Organismus, und zwar das Minimum der Nahrung, mit
welchem der Kranke auskommt, ferner die Wahl derjenigen Kost, bei welcher
das Maximum an Kohlehydraten vertragen wird. Hierzu kommt die Vor¬
schrift, die niedrigste notwendige Eiweißmenge zu verabfolgen. Denn die
Toleranzgröße für Kohlehydrate richtet sich nicht so sehr nach der Art und
Menge der zugeführten Kohlehydrate, sondern sie ist vielmehr abhängig von
der Zusammensetzung der Nahrung, die außer den Kohlehydraten gereicht
wird, speziell von den gleichzeitig zugeführten Eiweißkörpern.
Eine Arbeit von Kolisch und Schumann - Leclerq über die
Kohlehydrattoleranz der Diabetiker erbrachte den experimentellen Beweis,
daß, wenn gleichzeitig die Eiweißzufuhr reduziert wurde, die weitere Zufuhr
von Kohlehydraten keine entsprechende Steigerung, ja in einzelnen Fällen
sogar eine bedeutende Herabsetzung der Glykosurie bewirkte. Die älteste, der
Kohlehydratkuren ist die Milchkur, besonders geeignet in Fällen von schwe¬
rem jugendlichen Diabetes, ferner bei Komplikation des Diabetes mit Nephri¬
tis, schwerer Arteriosklerose, Fieber und gewissen Magen-Darmstörungen.
Ferner die Kartoffelkur und neuerdings die von v. Noorden in die Praxis
eingeführte Haferkur, bei welcher übrigens das Auftreten von Ödem, welches
auf eine toxische Komponente mit großer Wahrscheinlichkeit schließen läßt,
sehr interessant ist. K. empfiehlt schließlich noch strenge vegetabilische Diät,
welche die einzige Kohlehydratkur darstellt, welche ohne Schwierigkeit
längere Zeit durchgeführt werden kann. Leo Guttmann (Leipzig - ).
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Referate und Besprechungen.
671
Allgemeines.
Girardeau (Paris), Leber und Galle in Tausend und eine Nacht.
(These de Paris, 1910. —-* Paris medical, Nr. 12, S. 5, 1911.) Die früheren
Jahrhunderte und Jahrtausende waren anatomisch und physiologisch nicht
so gut unterrichtet, wie wir Nachkommen von Vesal, A. v. Haller und
Jo h. Müller. Da ist es interessant, wie sie die einzelnen Organe bewer¬
teten. Auf Rat von Gilbert hat Girardeau die Ausgabe der Märchen
von Tausend und eine Nacht von M a r d r u s auf das Vorkommen der Worte
Leber, Galle und Gallenblase durchgesehen und gefunden, daß eine große
Anzahl von Personen offenbar an familiärer Cholämie litt. So ist
Schahzaman gelb von Hautfarbe, hat abends schwarzumränderte Augen,
leidet an biliärer Neurasthenie und wird schließlich durch Scheherazade von
seinen melancholisch-hypochondrischen Zuständen befreit. Bei anderen wer¬
den die Erkrankungen des Darms und der Leber noch deutlicher mit den
uns geläufigen klinischen Symptomen gekennzeichnet.
Offenbar benützten der oder die Dichter ihre an Sumpffieber leiden¬
den Zeitgenossen als Vorbilder; denn diese Krankheit war seit je in der
Gegend von Bassora, Bagdad, Mossul, Mesopotamien, Assyrien und Chaldäa
einheimisch. Buttersack (Berlin).
A. Abrahams, Athletik und Medizin. (Practitioner, Bd. 86, Nr. 3.)
Abrahams, der selbst ein hervorragender Sportsmann gewesen ist, glaubt,
daß der durch athletische Übungen angerichtete Schaden stark übertrieben
wird. Eine vor 40 Jahren angestellte Umfrage bei 300 größeren Sports -
leuten ergab, daß nur 17 glaubten, sich dadurch geschadet zu haben, die
übrigen gaben entweder an, daß sie nie irgendeinen Schaden empfunden
oder daß sie ihrem körperlichen Befinden genützt hätten. Es ist sicherlich
richtig, daß in allen Klassen die meisten von Natur mehr zur körperlichen
als zur geistigen Tätigkeit neigen und daß der geistige Arbeiter der oberen
Klasse sich in einem chronischen Zustand von Auflehnung gegen die Um¬
stände befindet, die ihn zwingen, sich für geistige Dinge zu interessieren.
Bei diesen bildet dann der Sport ein erwünschtes Gegengift.
Dei* einzeln tätige Sportsmann kommt selten in die Lage, sich ernst¬
lich zu schaden, denn er hört schon auf, wenn er seiner Erschöpfung nicht
mehr Herr werden kann (Ausnahmen kommen vor, Ref.), anders steht es
mit den Angehörigen einer Mannschaft, z. B. einer Bootsbesetzung: Hier muß
der einzelne weiterrudern,, und wenn er dabei zugrunde geht. Deshalb ver¬
wirft A. den Rudersport für jüngere Leute, speziell für Schulen. Dazu
kommt, daß Ruderer leichter am Herzen erkranken als Läufer (Ref. hat
indessen bei jugendlichen Rennfahrern total ruinierte Herzen gesehen).
Daß Athleten zur Arteriosklerose neigen sollen, hält A. in Überein¬
stimmung mit anderen für einen Irrtum, allerdings sind ihre Arterien fühl¬
barer als bei anderen, aber nur auf Grund von Hypertrophie der Muskularis.
Ihr Blutdruck ist allgemein niedrig und der Puls dikrotisch.
Der der Athletik zugeschriebene Schaden ist vielmehr vielfach den
unvernünftigen Trainieren anzurechnen, dem Vertilgen möglichst großer
Mengen Fleisch, dem Dursten, der Trockenfütterung usw.
Im Zusammenhang damit bespricht A. die verschiedenen Arten der
Zimmergymnastik und erklärt einen Vormittag der Woche mit Golfspiel
hingebracht für nützlicher als eine Stunde täglich Hantelübungen oder
dergleichen, teils wegen der Zimmerluft, teils wegen der Monotonie und
Langeweile.
Für den Sports!mann finden sich in der Arbeit noch viele interessante
Punkte, die hier übergangen werden müssen, so die sehr richtige Bemerkung,
daß der das beste leistet, der seine unangenehmen Empfindungen überwindet
und ihnen zum Trotz weitermacht. Sportsleistungen sind in erster Linie
Leistungen des Willens und Charakters. Fr. von den Velden.
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672
Bücherschau.
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Bücherschau.
Mme. Curie, Die Radioaktivität. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. B.
Fink eiste in. Mit 1 Porträt, 7 Tafeln und ca. 200 Figuren. 1.—3. Lieferung.
Leipzig 1911. Akademische Verlagsgesellschaft in. b. H. Jede Lieferung 3 Mfc.
(Gesamtumfang ca. 8 Lieferungen.)
Als vor noch nicht 15 Jahren die ersten Nachrichten über die Radioaktivität
bekannt wurden, wurden bald so viele und eigenartige Vermutungen daran gebunden,
daß dem nüchternen Menschen dabei komisch zumute wurde.
Mittlerweile hat sich gezeigt, daß die Anwendung der Radioaktivität für die
Therapie von großer Bedeutung war, die in der großen Zahl der Radiumpräparate
einen beredten Ausdruck findet.
Nun gar die Tatsache mannigfacher Teilerfolge bei Krebs, Lupus und anderen
Erkrankungen. Diesen Ergebnissen gegenüber, die im ganzen noch keinen einheit¬
lichen Überblick gewähren, muß es als ein Ereignis in der Literatur begrüßt werden,
daß die berufenste Persönlichkeit, Mme. Curie selbst, in 2 Bänden eine umfassende
Darstellung der „Radioktivitftt* zu geben versucht, die für alle Zeiten als ein
grundlegendes Werk wird angesehen werden. Schon die ersten 3 Lieferungen dieses
Werkes, die bisher vorliegen und denen in schneller Folge weitere sich anschließeu
werden, berechtigen zu diesem keineswegs überschwenglichen Urteil; kein Autor
wird Mme. Curie’s Werk vernachlässigen können, zumal es nicht bloß die eigenen
Forschungen, sondern das ganze Gebiet der Radioaktivität ausführlich berück¬
sichtigt. Mz.
Neter (Mannheim), Elternbriefe. München. Verlag der Ärztlichen Rundschau
(Otto Gmelin).
Der Verfasser, der uns schon manches wertvolle Büchlein beschert hat. gibt
uns in seinen jüngsten Elternbriefen ein Werkchen, das manchen Säugling vor
schlimmen Schaden bewahren könnte, möchte die Mutter nur den Inhalt gauz in
sich aufnehmen und zum Nutzen ihres Kindes auwenden. Was mir an den Briefen
das Wesentlichste zu sein scheint, ist die Art, wie N. nicht medizinisches Wissen
einem Laien zu übermitteln sucht, sondern nur zu vernunftgemäßem Denken immer
wieder auffordert, zu eiufacher, natürlicher Kinderpflege und Erziehung mahnt.
_ Reiß (München).
Jadasohn, Autoreferat. Medizinisch-pharmazeutischer Verein Bern. 6. Sommer*
sjtzung, 12. Juli 1910. Separatabdruck aus dem Korrespondenzblatt für Schweizer
Ärzte, Nr. 34, 1910.
Jadasohn, Autoreferat. Demonstration. Medizinisch-pharmazeutischer Bezirks¬
verein Bern. 5. Wintersitzung, 31. Januar 1911. Separatabdruck aus dem Korre*
spondenzblatt für Schweizer Ärzte, Nr. 13, 1911.
Jadasohn, Dermatologische Klinik. Schweizerischer Ärztetag, zugleich 76. Ver¬
sammlung des ärztlichen Zentralvereins Bern. 11.—13. Juni 1909. Separatabdruck
aus dem Korrespondenzblatt für Schweizer Ärzte, Nr. 21, 1909.
Kolle, Neue Syphilis-Übertragungen auf Kaninchen. Mit vielen Demonstrationen
und Projektionen. Seiffert, Über Serumdiagnostik der Syphilis. Medizinisch-pharma¬
zeutischer Bezirksverein Bern. Protokoll der 5. Wintersitzung, 18. Januar 1910
im Bakteriologischen Institut. Separatabdruck aus dem Korrespondenzblatt für
Schweizer Ärzte, Nr. 12, 1910.
Kongresse und Versammlungen.
Der Internationale Gynäkologenkongreß in St Petersburg 1910 hat Berlin als Ort
seiner nächsten Tagung 1912 und Herrn E. Bumm als Vorsitzenden derselben be¬
stimmt. Herrn Bum in steht ein Organisationskomitee zur Seite, bestehend aus den
Herren Döderlein, Mangiagalli, A. Martin u. v. Ott. Zum Generalsekretär
ist E. Martin, Berlin N., Artilleriestraße 18, gewählt. Während ihrer jüngsten
Tagung in München hat die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie die Einladung
zu diesem Kongreß angenommen und ihre Mitwirkung zugesagt. Das Organisations¬
komitee hat beschlossen, den Kongreß auf den 31. Mai bis 2. Juni 1912 nach Berlin
einzuberufen. Als Diskussionsthema ist die Peritoneale Wundbehandlung aufgestellt
worden. Die weiteren Arbeiten sind im vollen Gange. Es sind schon alle nationalen
gynäkologischen Gesellschaften zur Mitarbeit aufgefordert, so daß zu hoffen ist. es
werde die Anregung zur Beteiligung in die weitesten Kreise der Fachgenossen ein-
d ringen. __ _
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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674
Wilhelm Sternberg,
nämlich bloß von dem einseitigen Gesichtspunkt der äußeren Medizin
auch in der inneren Klinik die Sauberkeit und Unsauberkeit lediglich vom
sanitär-hygienischen Standpunkt. Aber die Physiologie der Ernährung
vergißt, wie ich 1 ) bereits hervorgehoben habe, die Sauberkeit und Un¬
sauberkeit auch im gewöhnlichen Sinne, in der ästhetischen Be¬
deutung, also die Sauberkeit der Küche, die Appetitlichkeit und Un-
appetitlichkeit, ins Auge zu fassen. Dabei weist schon die Bezeichnung
„Sudelei“ für Unsauberkeit auf die Küche hin. Denn die Ausdrücke
„Sudelei“, „sudeln“, hängen mit „sieden“ = Kochen zusammen.
In genau derselben Weise beschränkt noch die innere Medizin einseitig
wiederum bloß auf den einen Gesichtspunkt der äußeren Medizin zwei
andere mit dem Wesen der Sauberkeit zusammenhängende Phänomene.
Das sind die weniger leicht faßbaren Begriffe: Schmutz und Fremdkörper.
Es sind aber all diese feineren, weniger objektiven und minder in die
Augen springenden, dafür jedoch recht komplizierten Begriffe der inneren
Medizin: Sauberkeit, Schmutz, Fremdkörper, von besonderer Wichtigkeit
für die Erregung eines bedeutsamen Allgemeingefühls der inneren Klinik,
nämlich des Juckgeftihls. Wenn die Ergründung des Wesens dieses All¬
gemeingefühls noch nicht im entferntesten mit der Lösung des Problems
des anderen Unlustgefühls, der Schmerzempfindung, wetteifern kann, so liegt
dieser Tatsache dieselbe prinzipielle Einseitigkeit zugrunde. Denn das
Juckgefühl erscheint als ein im Vergleich zum Schmerzgefühl weniger be¬
deutsames Phänomen; es ist ja eben der zeitlich und wesentlich graduelle
Vorläufer des Schmerzes. Das Jucken ist ein so subjektives Symptom, daß
wir seine ursächlichen Bedingungen objektiv viel weniger in der Lage
sind zu erkennen als die des Schmerzes. Und doch ist es nicht nur das
häutigste und wichtigste Zeichen aller Hautkrankheiten, sondern wegen der
beregten Minutiosität das Vorgefühl und Initialsymptom sogar recht zahl¬
reicher Erscheinungen, die erst viel später mit Schmerz einsetzen, und
das Prodromalstadium sowie das Frühsymptom der verschiedensten Leiden.
So kommt es, daß das Jucken als Initial Symptom dem Praktiker doch
einen weit wichtigeren Wegweiser abgeben kann als der Schmerz und
manches andere Krankheitszeichen. Drum verlohnt es sich schon, dem
Wesen der Juckreize nachzugehen.
Charakteristisch für die Erregung des Kitzelgefühls ist, wie ich 2 ) bereits
ausgeführt habe, die Geringfügigkeit in der Intensität des Reizes. Schon
die bloße Anwesenheit überhaupt aller neuen, ungewohnten Fremdkörper
jeglicher Art, die sich äußerlich auf der Haut befinden, wenigstens an den
besonders empfindlichen Stellen der Haut, und auf gewissen Schleimhäuten,
genügt, um Jucken und Kitzelgefühl zu erzeugen. Dabei hat man unter
„Fremdkörper“ all das zu verstehen, was sich außen auf der Haut und
gewissen Schleimhäuten befindet, ohne hierhin zu gehören. Das ist Schmutz
jeder Art. Die Definition von Schmutz ist, wie ich 3 ) bereits angegeben
habe, die, daß wir Schmutz all das nennen, was sich irgendwo befindet,
wo es nicht hingehört. Bisher sah man aber in der Wissenschaft nach Ma߬
gabe der äußeren Medizin als Fremdkörper bloß die fremden Körper an,
die sich innerhalb der Gewebe oder innerhalb der Hohlorgaue befinden.
Die Küche im Krankenhaus, Stuttgart, F. Enke, 1908, S. 177. — Die Küche
in der modernen Heilanstalt, Stuttgart, F. Enke, 1909, S. 51. — Die Küche in der
klassischen Malerei, Stuttgart, F. Enke, 1910.
*) Die Kitzelgefühle, Zentralbl. für Physiol., 1910, Bd. 23, Nr. 24. — Kitzel
und Juckempfindung, Zeitschr. für Sinnesphysiologie, 1910, Bd. 45, S. 55.
*) Die Küche in der klassischen* Malerei, Stuttgart, F. Enke, 1910.
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Zur Physiologie des Kitzelgefühls.
675
In diesem Sinne handeln Wölfler und Lieblein 1 ) in ihrem Werke:
„Die Fremdkörper des Magen- und Darmkanals des Menschen“ die
Fremdkörper ab. Im Sinne der Chemie und Biologie spricht man so auch
von „artfremdem“ Material. Das, was die äußere Medizin „Fremdkörper“
nennt, ist das, was die innere Medizin, wenigstens hier, „Schmutz“ heißt.
Unter Schmutz oder Fremdkörper der Haut und gewisser Schleimhäute ist
all das zu verstehen, was sich außen auf der Haut und gewissen Schleim¬
häuten niederläßt, ohne hierhin zu gehören. So vermag alles Ungewohnte
Kitzelgefühl zu erregen; es erzeugen Schmutz, Unsauberkeiten, Fremd¬
körper schon Jucken. So kann schon die bloße Veränderung der Temperatur
an den am meisten verborgenen und geschützten, daher kitzligsten Körper¬
stellen Juckgefiihl hervorbringen. Diese kitzligsten Körperstellen sind
einmal der Mund, wie ich 2 ) nachgewiesen habe, und sodann die Genitalien.
In Franzensbad werden sterilen Frauen Bäder in der Weise ver¬
abfolgt, daß die Frauen, ohne sich zu entkleiden, in die leere Vertiefung
eines kleinen Grabens steigen, in die heiße Luft, von unten nach oben
aufsteigend, geleitet wird. Selbst wenig empfindliche Männer fühlen bei
dieser Prozedur in voller Kleidung doch recht bald und deutlich ein
intensives Kitzelgefühl und zwar zuerst und zumeist in der Gegend des
Skrotums.
Wie leicht und fein der Reiz sein kann, ja sein muß, zur Erregung
der Juckempfindung, das beweist die Tatsache, daß allein die mechanische
Fortbewegung der Schmarotzer auf der Haut doch schon ausreichen kann,
um das Jucken hervorzurufen, ohne auch nur die geringste Verletzung
der Haut zu erzeugen. Merkwürdigerweise ist diese Tatsache der Literatur
auch der Hautärzte entgangen. Neisser 3 ) erwähnt sie nicht einmal.
Auch die Dermatologie hebt eben bloß die gröberen Ursachen des
Juckgefühls hervor, wie das energische Bohren der Krätzmilbe, den dadurch
bedingten entzündlichen Vorgang in der Haut u. a. m.
Allein eine einzige, sehr leicht zu wiederholende Beobachtung ge¬
nügt, um die Tatsache der subtilen Reizung zu erläutern. Läßt man
Perlen von Gasblasen, etwa Luft, am Körper aufsteigen, so hat man ein
deutliches Kitzelgefühl. Die Ausführung dieses Versuchs ist sehr leicht
und höchst einfach, wenn man im Bade einen Schwamm, dessen Poren
mit Luft angefüllt sind, unmittelbar am Körper so ausdrückt, daß die
Gasblasen im Wasser aufsteigen der Körperoberfläche entlang. Die An¬
wesenheit der Gasblasen am Körper allein übt noch nicht den Kitzelreiz
aus, wie man sich leicht im Kohlensäurebad überzeugen kann, wenigstens
nicht an den schon abgestumpften Körperteilen. Bloß die zarte Be¬
wegung des feinen Reizmittels kitzelt.
So kommt es auch, daß schon Varicen der 'Haut Hautjucken her-
vorrufen, oder daß Hämorrhoiden, die eben ins Lumen des Darmrohrs
liervorragen, Pruritus ani bedingen, daß die Anwesenheit von Zucker bei
Diabetikern außen an den Genitalien Pruritus pudendi verursacht, u. s. f.
Ebenso kann auch schon die bloße Gegenwart von Salz an der äußeren Haut
heftiges Juckgefiihl bedingen. Die Tatsache ist bekannt, daß man beim
Trocknen des feuchten Körpers an der Sonne nach einem Bade in der
See, selbst schon in der Ostsee, mitunter heftiges Jucken empfindet, so
daß der Betreffende sich blutig kratzt. Der Volksmund nennt diesen
J ) 46. Teil der Deutschen Chirurgie, 1910.
9 ) Kitzel- und Juckempfindung. Zeitschr. für Sinnesphysiologie, Bd. 45, S- 56.
a ) A. Neisser, Über das Jucken und die juckenden Hautkrankheiten. Deutsche
Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts, 10. Bd., 2. Abt., Dermatologie, 1905, 2. H.
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676
Wilhelm Sternberg,
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Zustaud „roten Hund“ oder .Bluthund“. Plutarch 1 ) erklärt sogar den
erhöhten Sexualtrieb und die gesteigerte Fortpflanzungsfähigkeit der Mäuse
auf Seeschiffen mit der Annahme des Kitzelreizes durch die Gegenwart
von Salz an den Genitalien* slxog 6 t [täXXov ifjinoitTv Tfjv äXfivgida zoig
fiOQioic o } 6a%ri<Sfiovg xccl Ovvt^OQfjäv tcc £aja ngog rovg am•dvaaf.iovg.
.Die mit Salz beladenen Schiffe haben viel Mäuse. Die wahr¬
scheinlichste Ursache hierfür ist die, daß das Salz an den Zeugungsteilen
ein heftiges Jucken verursacht und die Tiere zur Begattung anregt“.
Es ist recht bezeichnend, daß dieser Ausdruck, o6a^rjt:fiag, den Plutarch
verwendet, soviel bedeutet wie das Jucken vor dem Zahnen der Kinder:
Pruritus mordax, Pruritus ante dentitionem.
Und in der Tat erklärt Hippokrates 2 ), ebenso Plato 3 ) die Emp-
pfindung der Kinder beim Zahnen mit der Annahme, daß es sich auch
hier um ein Kitzelgefühl handelt. Hippokrates gebraucht denselben
Ausdruck odatyafiog: Ilgög 6t za a6ov%a(pvtiv ngoaüyovair ovXiav odu'Sia-
fioi, anaa/.ioiy nvgtzoi.
Plato nennt das Gefühl geradezu ein Kitzelgefühl: Kvia/t6g } xvi ( ag.
Diese Bezeichnung stammt, wie ich 4 ) bereits hervorgehoben habe, von
xvifro/ucn = titillor ich werde gekitzelt, ich empfinde Juckgcfühl, Passivuni
von xvigto, xvaco, xvaiw kitzeln. In Wirklichkeit ist die Empfindung
des Zahnens als Kitzelgefühl anzusehen. Ebenso wie das Jucken in jenen
Fällen durch die Anwesenheit von Fremdkörpern zu erklären ist, ebenso
ist auch das Jucken des Zahnfleisches beim Zahnen zu erklären, genau
so auch das Jucken beim Haarwechsel der Tiere, beim Wachsen des
Geweihes oder des Bartes und beim Federwechsel der Vögel.
Höchst merkwürdigerweise ist die Tatsache, daß das Zahnen Jucken
und Kitzeln verursacht, in der gesamten Pädiatrie, Zahnheilkunde und über¬
haupt in der Medizin noch niemals anerkannt worden. Die altbekannte
Erfahrung, daß das Reiben des Zahnfleisches die unruhigen Kinder beim
Zahnen beruhigt, ist wissenschaftlich bisher gar nicht erklärt worden, sie
war gar nicht erklärbar. Nicht einmal die Frage ist bisher aufgeworfen,
wie ich 5 ) dargelegt habe, warum das Zahnen die Kinder beunruhigt,
warum das Reiben des Zahnfleisches ihnen sichtliches Behagen ver¬
schafft. Ebensowenig ist die Tatsache in der modernen exakten Physio¬
logie, in der Theorie und in der Literatur der Veterinärmedizin oder
der Zoologie bekannt, daß der Federwechsel der Vögel tatsächlich Jucken
verursacht. Und doch — wie seltsam! — finden sich diese Beobach¬
tungen schon in der Literatur des klassischen Altertums verzeichnet.
Das Bemerkenswerteste dabei ist der Umstand, daß die Kenntnis und
Beschreibung vom Nichtmediziner herrührt. Plato 6 ) ist es wiederum,
der zugleich diese beiden Beobachtungen zusammenfaßt.
Im „Phädros“ heißt es nämlich folgendermaßen von der Seele, die
mit einem Vogel verglichen wird:
„Sie wallt hierdurch auf und sprudelt in ihrem ganzen Sein, und
was den Zahnenden an den Zähnen widerfährt, w r enn diese soeben
*) Was bedeutet das Sprichwort T Bei Salz und Kümmel?“ T!ve? ot TiEo't dka
xa\ xiiapcv ev cp xa'i Sid ti tov £Xa 0-sW i r:otrjT7j; z\r.z\. Mor. 685e 4. lll’OBAHMA I.
Quiicstionum convivalium üb. V.
■) Aphor. III, 25.
3 ) Phaedr. 251 c.
4 ) Kitzel- und Juckempfindung. Zeitsehr. für Sinnesphyaiol. 1910, Bd. 45, S. 54.
®) Die Kitzelgefühle, Zentralbl. für Physiologie, Bd. 23, Nr. 24. S J>68.
•) XXXII, 251 c.
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Zui i’li} aiulugic de» KitzelgefühU.
677
hervorbrechen, nämlich ein Jucken und Schmerz am Zahnfleische, eben
dieses Nämliche widerfährt auch jeder Seele, welche ein Gefieder zu be¬
kommen anfängt, sie wallt auf, empfindet Schmerz und wird gekitzelt,
indem sie ihr Gefieder bekommt“.
TiuO'og tisqI xovg oöovxag yiyv&xai, oxav clqxi (pvwoi, xvijaig xs xal dya~
vdxxq<Ug txsqI xd ou/.or, xaviov Srj nsnovtttv rj toi nxsQoyvtlv ccQ^ofifvov
lpv%i\. geX ts xal ctyuvaxxsX xal yaqy uXigsx ai (fvovöa xd nxfQce.
Beide Vorgänge, der des Zahnens und der des Feder Wechsels, sind
im physiologischen Sinne genau die nämlichen, soweit die Reizung des
Juckens durch sie in Betracht kommt. Daher sind gerade die beiden
Prozesse für die Erkenntnis des Wesens der Juckempfindung äußerst
dankbar.
Das Zahnen bezeichnet die subjektive Empfindung des Kindes be¬
trächtliche Zeit vor dem definitiven Durchbruch des Zahns, dessen Bildung
längst zuvor erfolgt ist.
Die Entwicklung der Milchzähne beginnt ja schon sehr früh, bereits
im fünften Monate des Fötallebens. Aber erst sechs Monate nach der
Geburt beginnt der Durchbruch. Die wachsende Zahnwurzel „schiebt“ die
bereits fertige Krone allmählich vor und übt einen leichten Reiz auf die
Dontalzweige des Trigeminus aus. Tatsache ist, daß das Kind beim
Zahnen verstimmt ist, unruhig wird und auch schlechter schläft. Die
subjektive, dem Kinde lästige Empfindung tritt ein, geraume Zeit bevor
der eigentliche Durchbruch bevorsteht. Diese Empfindung ist an eine
ganz bestimmte und relativ kurze Phase des Wachstums gebunden.
Ebenso ist es mit dem Federwechsel. Dreierlei Beobachtungen sind
hierbei festzuhalten. Die subjektive Empfindung ist auch hier an eine
ganz bestimmte Zeit gebunden. Auch hier ist es nicht der unmittelbare
Durchbruch, der die subjektive Empfindung auslöst. Den größten Juck¬
reiz übt vielmehr die nach Art eines Fremdkörpers wirkende Hebung
der alten Feder durch die neue Anlage der neuen Feder aus:
Alle Feder
Dann beobachtet man wenigstens die größte Sucht des Vogels, sich zu
putzen. Die alte Feder sitzt da noch ganz fest, so daß der Vogel bequem
fliegen kann. Freilich läßt sich doch die alte Feder jetzt schon leichter
herausziehen. Später, wenn die alte Feder sich immer mehr lockert,
läßt offenbar der Juckreiz nach. Wenn sich die neue Feder vollständig
gebildet hat, innerhalb der Haut wächst und die alte Feder „schiebt“, dann
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678
Wilhelm Sternberg,
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wird durchaus nicht mehr irgend welche subjektive Empfindung aus¬
gelöst. So knapp und verhältnismäßig begrenzt ist die Zeit des Juckens,
so exakt tritt sie ein, daß der Kenner am vermehrten Putzen des Vogels
sofort erkennen kann, daß der Vogel jetzt bald, in etwa 8 Tagen, „mausern*
wird. „Mausern“, mutare, heißt Federn wechseln und wird übertragen auf
das Haaren der Tiere und das Häuten der Krebse. „Mausig“ heißt das
Tier, wenn die Mause vollbracht ist, so daß es für die Jagd, aktiv und
passiv reif wird. Der Zeitpunkt des Juckens ist hier ebenfalls gerade
nicht der allerletzte Moment des definitiven Durchkommens der neuen
Feder, etwa kurz vor dem unmittelbaren definitiven Durchbruch durch
die Haut.
Auch wenn man dem Vogel eine Feder ausreißt, tritt bei diesem
künstlich angeregten Federwechsel Kitzelgefühl ein. Aber hier beob¬
achtet man gleichfalls diese Juck-Empfindung nicht etwa unmittelbar nach
dem Ausreißen der Feder. Vielmehr ist auch hier der Zeitpunkt des
Juckens — und das ist in doppelter Beziehung höchst bemerkenswert —
ein ganz bestimmter. Verhältnismäßig recht spät nach dem Ausreißen,
etwa 8 Tage nachher, tritt das Jucken ein. Andererseits aber zeigt es
sich lange vorher, bevor die neue Feder außerhalb der Haut erscheint.
Der Zeitpunkt ist also unter physiologischen Umständen regelmäßig
konstant der gleiche. Er tritt nämlich dann ein, wenn sich die Ersatzfeder
bei der Bildung anlegt und entsteht. In der Haut befindet sich die Feder
schon zuvor. Das wissen wir aus den Untersuchungen von Dr. Heinroth 1 ).
Es kann also nicht etwa die Bewegung der wachsenden Feder innerhalb
der Haut sein, welche das Jucken verursacht, etwa analog der Bewegung
der Krätzmilben in den Gängen innerhalb der Haut. Dabei wächst die
Feder bei manchen sehr großen Vögeln im Verlauf von einem Tage
einige Millimeter bis gegen 2 cm, wie wir ebenfalls aus den Unter¬
suchungen von Dr. Heinroth 2 ) wissen. Nach seinen Beobachtungen
beträgt das Wachstum der längsten Schwingen bei mittelgroßen Vögeln
im allgemeinen 7 mm pro Tag, ganz im Anfang und am Ende ist das
Wachstum etwas verlangsamt. Ersetzte ausgerissene Federn, deren Her¬
vorsprossen gewöhnlich erst nach 14 Tagen bis 8 Wochen beginnt, haben
eine geringere Wachtumsgeschwindigkeit. Der Ersatz der Federn findet
stets aus derselben Papille statt, von welcher auch die ausfallende Feder
erzeugt war.
Demnach müßte es unter physiologischen Bedingungen das allererste
Ablösen der Haut unterhalb der alten noch festsitzenden Feder sein, was
den Kitzelreiz ausübt. Man sollte doch das Gegenteil eigentlich an¬
nehmen, daß die Tiere sich dann besonders zu putzen und zu krabbeln
anfangen, wenn die neue Feder die alte „schiebt“. Das ist aber
nicht der Fall. In dieser Zeit beobachtet man keine Besonderheiten
im Putzgeschäft. Vielmehr beginnt das Jucken, kurz bevor die alte
Feder anfängt, lose zu werden. Das Jucken tritt also ein, wenn die
neue Feder noch tief unten sitzt und eben erst anfängt, zu keimen.
Auch der Haarwechsel beim Haarwild, die Geweihbildung und das
Hären der anderen Tiere veranlaßt Juckempfindung. Ebenso ist es be¬
kannt, daß der^Bart des Mannes, der von neuem wieder wächst, nach-
*) Verlauf der Schwingen- und Sch w an zm aus er der Vögel, Sitzungsbericht
der Geaellschaft Naturf.-Freunde, Berlin 1898, Nr. 8, S. 95—118.
2 ) Beobachtungen über die Schnelligkeit des Federwachstums. Ornitholog.
Monatsber., 1906, Nr. 7—8.
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Zur Physiologie des Kitzelgefühlö.
679
dem man ihn eine Zeit hatte regelmäßig rasieren lassen, Kitzelempfindung
herbeifiihrt. Das ist der Fall, wenn die Barthaare bereits die Hautober¬
fläche verlassen haben. Den gewerblichen Barbieren ist diese alltägliche
Erfahrung ganz geläufig.
Der minimale Reiz des Juckgefühls bedingt den unwiderstehlichen
Drang, den minimalen Juckreiz durch das stärkere Kratzen zu übertönen
und damit, wenigstens für den Moment, zu beseitigen. Jucken führt zur
Sucht des Kratzens, Reibens oder Schabens. All diese Tatsachen sind
in der Praxis des täglichen Lebens längst allgemein bekannt, so daß man
sie sogar für den übertragenen Sinn verwendet. So heißt es im Horaz 1 ):
Hätte das Schicksal ihn für die jetzigen Zeiten gesparet,
Wiird er sich vieles gewiß ab reiben und alles beschneiden,
Was am Vollendeten wuchert als Auswuchs, auch wenn er dichtet,
Oft sich kratzen den Kopf und die lebenden Nägel benagen.
Si foret hoc nostrum fato dilatus in aevum,
Deteretet sibi multa, recideret omne, quod ultra
Perfectum traheretur, et in versu faciendo
Saepe caput scaberet, vivos et roderet ungues.
Deshalb sollte man den subjektiven Angaben und Vermutungen
von Patienten über den Zusammenhang ihres Juckens mit ganz minutiösen
und höchst subtilen Veränderungen doch nicht mehr mit dem üblichen
herablassenden Mißtrauen begegnen. Neißer 2 ) berichtet von einem der
gebildetsten Männer, der noch dazu ein vorzüglicher Anatom und Histologe
war, daß er im Auschluß an Morphiumgebrauch unerträgliche Juck¬
erscheinungen zeigte. „Dieser Mann, der auf dem Gebiete der Histologie
und Biologie die vorzüglichsten Arbeiten geliefert hatte, war nicht davon
abzubringen, daß das eminente, über Nacht einige Zentimeter betragende
Wachsen seiner Körperhaare seinen Juckzustand verursache. Tag für Tag
legte er dem behandelnden Arzte Dutzende von mikroskopischen Präpa¬
raten derartig gewachsener Haare vor und sah unter dem Mikroskop diese
Haare, die nichts weiter als Schmutz und Wollfetzen waren.“ — In einem
anderen Fall holte ein Patient von Neisser, der sich viel mit der Zucht
von Kakteen beschäftigte, immerfort „kleine Tierchen“ und „Kaktus¬
stacheln“ aus seiner Haut heraus, weil er dieselben als die Ursache
seines Juckens ansah.
Es liegt nahe, daß man derartige Fälle für Psychosen hält oder für
eine fast zur Psychose ausartende „Parasito-Phobie“, wie ja Einhorn 8 )
auch die Appetitlosigkeit als eine „Phobie“ aufgefaßt hat und „Sito-
Phobie“ nennt, während ich 4 ) im Gegenteil geneigt bin, die moderne
Überschätzung der Alkohol-Abstinenz als eine Alkohol-Phobie anzusehen.
Spricht man ja auch tatsächlich sogar von Manie, z. B. Kratzmanie
beim Kratzen, Fingerlutschen, Nägelkauen, was Jolly als Symptom für
Masturbation ansah.
Allein es ist doch nicht zu vergessen, daß es gerade die minimalen
Intensitäten der Reize, nach der positiven und negativen Seite, sind,
welche das Kitzelgefühl erregen. Der Kitzel stellt das Gefühl dar,
*) Sat. I, 10, 68—71: Rechtfertigung des über Lucilius gefällten Urteils.
“) A. Neisser, Über das Jucken und die juckenden Hautkrankheiten. Deutsche
Klinik am Eingänge des 20. Jahrhunderts, 10. Bd., 2. Abt., Dermatologie, S. 33—34.
3 ) Einhorn, Zeitschr. für phys. u. diät. Therapie, 5. Bd., 1902, S. 187 und
1911, S. 64.
4 ) Die Übertreibungen der Abstinenz, Würzburg 1911, 2. Aufl., S. 64.
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Heinrich Pudor,
Digit ize
6>'U
welches uns gewissermaßen die Überschreitung einer Grenze, der Schneide
des Messers oder der Zunge der Wage, und das Verlassen des physio¬
logischen Nullpunktes warnend und mahnend meldet. Der Kitzel ist
ein wahres Vorgefühl. Daher sind die Reize der Kitzelempfindung durch
manche Besonderheiten ausgezeichnet. Mit der einen einzigen Aus¬
nahme der Kälteempfindung vermögen alle Qualitäten des Tastsinns
gerade in geringster Intensität, Jucken zu erregen, wie sie in stärkerer
Intensität Schmerz verursachen. Dabei ist die Intensität der Emp¬
findungsgröße im Gegensatz zur Intensität der Reizgröße zeitlich und
räumlich ausgedehnt. Das aber hat die Kitzelempfindung doch noch
vor der des Schmerzes voraus, daß sie nicht bloß durch äußere Reize,
sondern überdies auch durch resorptive, innere, hämatogene erregt werden
kann. Solche Bevorzugung des Kitzelgefühles macht diese Empfindung
— in teleologischem Sinne — besonders geeignet zur Verwendung für
die Fälle, in welchen der objektive Bedarf zur Entleerung der Hohl¬
organe des Körpers von Fremdkörpern oder zur Füllung der körper¬
lichen Hohlorgane mit Fremdkörpern durch subjektives Bedürfnis mög¬
lichst früh und möglichst unwiderstehlich angezeigt werden muß. Denn
so wirkt der Kitzel im biologischen Reich in Wirklichkeit als wahre
Anziehungskraft, wie die Kraft der Affinität in der Chemie oder des
Magnetismus in der Physik.
Hygiene des Schulzimmers.
Von Dr. Heinrich Pudor, ^Leipzig.
Auf dem Besitztum der Lady Lilford in Dropmore in England be¬
findet sich ein Schulhaus, das, mitten in einem alten, von hohen Bäumen
umstandenen Park gelegen, eher den Eindruck eines Landhauses macht,
als den einer Schule. Das Dach reicht bis tief auf die Fenster des ein¬
stöckigen, aber in Quer- und Einbauten sich behaglich ausdehnendcn
Gebäudes herab, das selbst etwas erhöht liegt, und dessen Mauern dicht
mit Schlinggewächsen, die auch den hohen Kamin hinaufklettern, be¬
wachsen sind.
Der Vorteil eines derartigen Schulhauses liegt nicht nur darin, daß
es der eisigen Gemütskälte des Häusermeeres der Großstadt entrückt ist
und viel mehr Landluft und Waldluft in sich aufnimmt, — sondern, daß
auch innerhalb des Hauses, im Schulzimmer eine ganz andere Atmo¬
sphäre herrscht — und der Blick zum Fenster hinaus auf das Grün der
Bäume, statt auf Steinmauern fällt. Und wenn die Fenster geöffnet
werden, strömt nicht nur Paradiesesluft herein, sondern auch Friede und
Stille herrscht draußen und nur Vogelgesang ertönt da, wo in der Stadt
ödes Pflastergeräusch und Straßenspektakel zu den Ohren dringt.
Die Hygiene des Schulzimmers müßte also eigentlich damit anfangen,
daß man die Schulen der Großstadt entrückt uud in den Wald hinaus
verlegt, wie es zu einem kleinen Teil in den Charlottenburger Schulkinder¬
gärten und in der dortigen Waldschule ja schon geschieht. Und in der
Tat müssen wir uns nicht fürchten, diesen Schritt „Los mit der Schule
von der Stadt“ zu tun und die Schulen frischweg aufs Land zu ver¬
legen. Plante der verstorbene Geheim ratAlt hoff doch sogar eine Berliuer
Walduniversität im Grünewald — ein Gedanke, der neuerdings von
Richard Nordhausen im „Tag“ wieder aufgenommen wurde — und
denkt Frankfurt ernstlich daran, seine Universität in die weitere bäum-
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Hygiene des Schulzimmers.
681
reiche Umgebung zu legen. Und Hamburg wird es zweifellos ebenso
machen. Aber die Schulen, die Gymnasien und Bürgerschulen, die Töchter¬
schulen und Volksschulen, sie gehören aufs Land hinaus, in den Wald
hinein, in einen hellen zwar, nicht dunklen, Birken- und Buchenwald.
Wozu hätten wir denn sonst unsere glorreichen Verkehrsmöglichkeiten,
wenn nicht unsere Kinder in erster Linie davon profitieren sollten, derart,
daß sie in zehn Minuten der Großstadt-Enge entrückt sind und auf dem
Lande, wo allein sie gedeihen und aufblühen können, heranwachsen, um
dort die ersten Saatkörner des Wissens und der Bildung zu empfangen.
Dann eben erst wird die wichtigste Bedingung eines hygienischen
Schulzimmers erfüllt sein, daß es nämlich frische Luftzufuhr erhält und
daß ländlicher Friede und Waldesluft hineinströmen. Treffend sagt
R. Nord hausen in seinem jüngst erschienenen Buch „Zwischen vierzehn
und achtzehn“ (bei Fritz Eckardt, Leipzig) „unsere Gefangenschaft in den
Steinschluchten der großen Städte ist einstweilen offenbar noch natur¬
widrig und rächt sich bitter an unseren mißhandelten Organen. Auf
dem Asphalt der sogenannten Kulturemporen erschöpft sich der Einzelne
schon in jungen Jahren, rascher steigen die Geschlechter ins Grab. Ohne
den ununterbrochenen Zustrom vom Lande, ohne die unverbrauchte Kraft
der Provinz, lägen die prunkenden Straßen bald verödet und Wüsten¬
sand überrollte sie.“
Wo aber und so lange die Schulen, Gymnasien und Universitäten
noch nicht auf dem Lande und im Walde liegen, gilt es, sich zu helfen,
so gut man kann, das heißt den Wald und die Wiese in die Stadt
und in die Schule und ins Schulzimmer zu bringen, wie wir es
ja ähnlich zu Weihnachten mit den Tannenbäumen und zu Pfingsten mit
den Maien machen. Wir müssen die Schulhäuser so bauen, daß die
Zimmer breite Fenster und breite Fensterbretter haben, auf denen Raum
für ausgiebige Blumen-, Schlingpflanzen- und Staudenkultur bleibt. Und
nahe dem Fenster müssen Bäumchen von Myrthen, Zimmerlinden, Azaleen
und Rhododendren stehen und in der Mitte des Zimmers große Aquarien
und Terrarien von Grün umstanden: Nun können wir Anschauungs¬
unterricht treiben! Nun können wir ins Leben selbst hineingreifen! Und
die Pflege der Pflanzen bietet mannigfache Gelegenheit zur Bildung
moralischer Fähigkeiten. All das ist mehr wert, als Wandbilder und
Kunstblätter, denn es ist die Quelle, das Leben,, der Ursprung, während
die Kunst erst aus zweiter Hand kommt. An ihrem Platze ist auch sie
berufen, Gutes zu wirken, aber man gebe ihr eine besondere Stätte, ein
besonderes Zimmer.
Und dann ausgiebigste Ventilationseinrichtungen, hohe Zimmer, keine
Tapete, sondern getünchte oder hell gemalte Wände, desgleichen hell ge¬
beizte Möbel und Gestiihle. Denn Licht ist das erste und letzte Wort,
das die Hygiene spricht und helle Farben, nicht dunkle Farben allein
können das Gemüt des Kindes sympathisch stimmen. Und dies ist das
Wichtigste, auch in hygienischer Beziehung: aus dem Schulzimmer muß
es dem Kinde wie Freude entgegenblicken, das Auge soll leuchten, wenn
es eintritt; Ludwig Richter und von Schwind müssen bei dem neuen
Schulhaus und den neuen Schulziramern Pate stehen. Dann ist unsere
Jugend in guten Händen.
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682
Referate and Besprechungen.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
J. Höhn (Bad Radein), Neuere Arbeiten auf dem Gebiete der Arterio¬
sklerose. (Die Heilkunde. Ärztl. Standeszeitung, Nr. 7, 1911.) Ein uraltes,
fast schon vergessenes Mittel ist wieder zu Ehren gekommen: der Aderlaß.
Bur winkel empfiehlt ihn bei vollblütigen Arteriosklerotikern mit hohem
Blutdruck, aber auch bei beginnender Arteriosklerose. Bei Apoplexie ist der
ausgiebige Aderlaß jedenfalls das beste Mittel, das wir besitzen. Ein eben¬
solcher Umschwung hat sich in bezug auf den Genuß alkalischer, diure-
tisch wirkender Mittel vollzogen. P i 1 c z empfiehlt bei Gehirnarteriensklerose
reichlichen Genuß alkalischer Wässer. Kranke, welche gegen kohlensäure-
reiche Getränke besonders empfindlich sind, können sie ruhig nehmen, wenn
sie die Vorsichtsmaßregel befolgen, die Flaschen unverkorkt stehen zu
lassen und sie öfters zu schütteln. Falls eine Blutdrucksteigerung nach Auf¬
nahme von Mineralwässern überhaupt eintritt, dürfte ihr keine andere Be¬
deutung innewohnen, als der nach Aufnahme von Speise und Trank über¬
haupt mitunter auftretenden Drucksteigerung. Dieser Umstand ist auch der
Grund, daß wir alle irgendwie in erhöhtem Maß Muskelarbeit erfordernde
Verrichtungen, die eine besondere Gefäßerregung zur Folge haben können,
z. B. das Kegelspiel bei Personen mit nicht intaktem Gefäßsystem, gerade
nach den Mahlzeiten unbedingt verbieten. Wenn wir, insbesondere bei Aorten-
sklerose. um dem Herzen nicht zu viel Arbeit zuzumuten, auch keine sehr
großen Flüssigkeitsinengen zuführen sollen, insbesondere keine zu großen
Einzeldosen, so dürfen wir die tägliche Flüssigkeitsmenge anderseits nicht
zu sehr einschränken, um nicht eine Verdickung der Säfte herbeizuführen.
S. Leo.
Enrico Martini (Turin) und Young (New York), Appendix-Studien.
(La clinica chirurg., Nr. 1, 1911 und Med. Record, Nr. 5, 1911.) Martini,
Privatdozent und Assistent am Turiner Krankenhaus, hat 100 Wurmfortsätze
untersucht, und zwar je 50 bei solchen, die an Infektionskrankheiten, und
solchen, die an anderen Krankheiten gestorben waren. Bei den letzteren
fanden sich in mehr als der Hälfte chronische Entzündungen und dergl.,
bei den ersteren dagegen wiesen sämtliche Wurmfortsätze akute oder chro¬
nische Reizzustände a,uf. Zumeist schien es, als ob die akuten Entzündungen
sich auf chronische aufgepfropft hätten.
Eine höchst fatale Beobachtung hat Young gemacht: Er fand bei
einem Patienten zwei Wurmfortsätze; der eine war 7 cm, der andere 9 cm
lang; beide waren eitrig infiltriert, der eine davon bereits perforiert. Also
ein weiteres Moment für Überraschungen bei dieser proteusartigen Erkran¬
kung. (Journal of the amer. med. Association, 1911.)
Buttersack (Berlin).
R. Bayeux (Paris), Der Magensaft im Hochgebirge. (Bulletin medical,
Nr. 16. S. 162, 1911.) Bayeux hat* einem Hund eine Magenfistel angelegt
und nach Vorstudien in Chamonix in das Laboratorium auf dem Mont
Blanc hinauftragen lassen. Dort stellten sich folgende Veränderungen ein:
1. Abnahme des Gesamtquantums des Magensaftes; 2. Verminderung bzw.
Verlangsamung der verdauenden Kraft; 3. die Gesamtazidität erwies sich
als unverändert.
Bayeux erklärt damit die bekannte Anorexie, welche sich bei Luft-
schiffern wie bei Bergsteigern einstellt, und welche im Hochgebirge zu
einer gewissen Vorliebe für Zitronensaft, Essig, Gewürze und sonstige Dinge,
welche „den Magen anregen“,'führt. Buttersack (Berlin).
R. Kolisch, Behandlung des chronischen Darmkatarrhs. (Med. Klinik,
1911.) Bei der Aufstellung einer rationellen Kostordnung für den chronischen
Darmkatarrh ist Berücksichtigung folgender Momente notwendig: Lokalisa¬
tion des katarrhalischen Umstandes (Dünndarm, Dickdarm), die Mitbetei-
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Referate und Besprechungen.
683
ligung der Nachbarorgane, Magen, Leber, Pankreas und endlich die Störungen
der Nahrungsausnutzung. Nach dem Vorbilde der Mageninhaltsuntersuchung
lassen sich die Funktionen des Darmes und der mit ihm verbundenen Ver¬
dauungsdrüsen mit Hilfe der Schmidt’schen Probediät am Krankenbett leicht
mit Sicherheit feststellen. Diese Diät wird vom gesunden Darm unter allen
Umständen leicht bewältigt und ergibt als Standarddiät vergleichbare Resul¬
tate. Befund, welcher Bindegewebsreste und Sehnenreste enthält, weist immer
auf eine Störung der Mageuverdauung hin und wird von Schmidt als
Bindegewebslienterie bezeichnet. Bei allen hierher gehörigen Formen der
Darmerkrankung — sogen, gastrogenen Darmstörungen nach A. Schmidt —
muß dem therapeutischen Eingriff eine genaue Magenfunktionsprüfung voran-
gehen. Da es sich meist um achylische und anazide Zustände handelt, ist
die Modikation mit Azidolpepsintabletten sehr bequem. Bei schweren Formen
von Atonie oder sonstigen Motilitätsstörungen des Magens als Ursache der
gastrogenen Diarrhöe leisten Magenausspülungen vortreffliche Dienste.
Bei Fäulnis der Eiweißkörper empfiehlt sich Einschränkung derselben,
jedoch nicht kritiklos, da nach Strasse r die Eiweißnahrung ein physio¬
logisches Anregungsmittel für die Salzsäuresekretion darstellt.
Finden sich im Stuhl nach Probediät Reste von Muskelgewebe, so
deuten diese immer auf eine Störung der Dünndarmverdauung hin, vielfach
aber auch auf eine mangelhafte Funktion des Pankreas, besonders wenn man
schon makroskopisch unverdaute Muskelstücke im Stuhl wiederfindet. Sehr
gute Hilfsmittel zur Diagnose der fehlenden Pankreasverdauung im Darme
sind die Sahli’sche Glutoidprobe und die A. Schmidt’sche Kernprobe, zum
Nachweis von Trypsin im Stuhle ist das von M ü 11 e r-S c h 1 e c h t ange¬
gebene Verfahren ein ganz sicheres und jeden Zweifel ausschließendes.
Therapeutisch kommt bei diesen Umständen die Verabreichung von Pankreas
in Betracht. Sehr gute Pankreaspräparate sind Pankreatin (Rhenania) und
das Pankreon (eine Verbindung des Pankreatin mit Tannin).
Reste des Kartoffelbreies, als dritter Bestandteil des nach Probediät
entleerten Stuhles, sind immer pathologisch und zeigen eine Störung der
Dünndarm Verdauung an.
Fäulniswidrig wirken Milch, Yoghurt, in gewissem Sinne auch die
Adstrigentien (Tannin und seine Derivate) und das Bismut, aber auch der
Zucker, speziell der Milchzucker.
Da hiernach die diätetische Therapie die souveräne Behandlungsmethode
des chronischen Darmkätarrhs darstellt, unterzieht Verf. die einzelnen Grup¬
pen der Nahrungsmittel einer eingehenden Betrachtung. Er macht insbeson¬
dere aufmerksam auf die eigenen günstigen Erfahrungen bei Ausspülungen
des Darum mit heißem Karlsbader Sprudel 40—50° C, was ev. gleichzeitig
bestehender Cholelithiasis zugute kommt. Medikamentös empfiehlt er Bism.
carbon. 5,0, Ol. Ricin. 30,0, Mixt. gumm. 70,0. S. 3 Eßlöffel täglich.,
Leo Guttmann (Leipzig).
A. E. Barker (London), Die verbesserte Diagnose und Prognose der
Dickdarmkrebse. (Practitioner, Bd. 86, H. 2.) Bekanntlich gehören die
Dickdartnkrebse, was Rezidive betrifft, zu den günstigeren Krebsen, und
die Fälle sind nicht selten, daß es bis zum Tod durch Rezidiv Jahre dauert.
Für die frühzeitige Diagnose stellt B. folgende Regeln auf: jeder im mittleren
Alter Stehende, der gelegentlich Koliken an einer bestimmten Stelle hat, soll
untersucht werden, ehe man ihn abführen läßt. Verstopfung mit Diarrhöe
wechselnd oder gar Abgang von Schleim und Blut verstärken den Verdacht
auf Karzinom. Findet man bei der Palpation weder einen Tumor noch ge¬
blähte Darmschlingen, so muß die Untersuchung in Narkose wiederholt wer¬
den. Schließlich bleibt das Sigmoidoskop und die Röntgenuntersuchung
nach Aufnahme von Wismutbrei, auch ist in Anbetracht der Wichtigkeit
einer frühen Diagnose eine Probelaparotomie durchaus gerechtfertigt.
Wenn irgend möglich, soll man den Anus praeternaturalis vermeiden
oder nur als vorläufig benutzen (Verf. hat erlebt, daß ein Kranker sich
nur unter der Bedingung operieren ließ, daß man keinen Anus praeterna-
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684
Referate und Besprechungen.
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turalis anlege, lieber wollte er an der Operation sterben, was dann auch in
Erfüllung ging).
Einige Paradefälle, die wirklich ganz erstaunlich sind, sind der Arbeit
beigefügt. Fr. von den Velden.
Chirurgie.
M. Lewandowsky, Erfolgreiche Trepanationen ohne Befund. (Ther.
Monatsh., April 1911.) Im Anschlüsse an einen eigenen Fall von Pseudo -
tumor kommt L. auf die von Reich ardt gegebene Erklärung einer Hirn¬
schwellung. Reieh&rdt bezeichnet damit eine besondere Art der Volumen -
Vergrößerung des Gehirns, die keine Folge ist von Hyperämie, Hirnödem,
Hydrozephalus, sondern die durch eine Veränderung der Protoplasmamassen
des Gehirns gekennzeichnet ist, derart, daß das Gehirn für den Schädel zu
groß ist. Beim Lebenden ist es überhaupt nicht möglich, diese Diagnose zu
stellen. Selbst in Fällen, die geheilt sind, wird man schwer einem Hydro¬
zephalus oder eine Meningitis serosa ausschließen können. Für Meningitis
serosa spricht der Befund einer deutlichen Lymphozytose der Zerebrospinal¬
flüssigkeit, ferner sowohl für Hydrozephalus wie für Meningitis serosa, aber
gegen reine Hirnschwellung der Nachweis sehr vermehrter Flüssigkeits-
rnenge in der Zerebrospiualhöhle. Allen drei Prozessen, wenigstens im
floriden Stadium, gemeinsam ist der Nachweis gesteigerten Hirndruckes,
der aber bei Hirnschwellung später aufzutreten scheint als bei der Mening.
serosa, wo er das primäre Symptom bildet. Für die Praxis ergibt sich die
Regel, nicht auf jedes Herdsymptom, sei es auch noch so deutlich, sofort zu
trepanieren; insbesondere trügerisch sind die Jackson’schen einseitigen epi¬
leptischen Krämpfe. Meist verlaufen alle Erkrankungen, die einen Tumor
Vortäuschen können, etwas akuter als die typischen Tumorfälle, aber in den
meisten Fällen bleibt die Unterscheidung Tumor oder Pseudotumor unmög¬
lich ; sie ist um so unsicherer, je weniger bestimmt die Lokalsymptome
sind. Über die Therapie, d. h. die Berechtigung einer Trepanation, sind die
Autoren nicht einig; L. hat in dem vorliegenden Falle durch Trepanation
Heilung erzielt. S. Leo.
Miyake (Fuknoka, Japan), Über ausgedehnte Darmresektion mit einer
kurzen Bemerkung über die normale Länge des Jejuno-lleum beim Lebenden.
(Arcli. für klin. Chir., Bd. 93, H. 3.) Verfasser hat bei einem 57jährigen
Patienten wegen Tuberkulose in der Ileozökalgegend 238,5 cm Darm rese¬
ziert, wovon 13 cm auf den Dickdarm kommen. Gegenwärtig sind 30 Fälle
von Darmresektion von Uber 2 Meter bekannt. Die bisherige Zulässigkeits¬
grenze betrug etwa 2 Meter; aber 3 Fülle von Dünndarmausfall über 500 cm
lassen diese Grenze nicht mehr als absolut sicher erscheinen. Normal ist die.
Länge des Dünndarmes verschieden angegeben. Nach D r e i k e soll die
mittlere Länge 632 cm betragen; jedoch soll sie bei den einzelnen Menschen
verschieden sein. Axhausen, der bei einer 18jährigen Patientin 475 cm
gangränösen Darmes resezierte, ließ 125 cm zurück, er meint, daß die obere
Grenze des Zulässigen 4 /s der Länge betrage. Die Tierexperimente haben
bisher nicht zu einem einigenden Resultate geführt. Als Ursachen großer
Resektionen werden angegeben: innere Einklemmungen, Darm- und Mesen¬
terialtumoren, Darmprolapse, appendizitische Gangrän und Tuberkulose. Die
mit Glück Operierten leiden eine Zeitlang an Verdauungsstörungen, Appetit¬
losigkeit, Diarrhöen, Abmagerung.
Nach den Messungen des Verf. am Lebenden ist die Durchschnittslänge
666,7 cm. Die Stoffwechseluntersuchungen des operierten Patienten ergaben
einen täglichen Verlust an Stickstoff 29,84°/o und Fett 31,7% gegenüber
normalen Resorptionsverhältnissen von Kohlehydraten. Vorschütz.
P. Glaessner (Berlin), Der angeborene Schiefhals und seine Behandlung.
(Ther. Monatsh., April 1911.) Was die Behandlung betrifft, so besteht die
unblutige in aktiven oder passiven Übungen, adressierenden Manipulationen,
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die eine Dehnung des verkürzten Kopfnickers bezwecken. Sie kommt nur
für leichte Fälle in Betracht, bei denen die Schiefhaltung des Kopfes eine
ganz geringe, unauffällige ist, und wo der verkürzte Kopfnicker nur eine
relativ geringe Spannung aufweist. Zur Unterstützung dient eine passende
Lederkrawatte. Sind diese Bemühungen nicht von Erfolg begleitet, so quäle
man die kleinen Patienten nicht länger, sondern entschließe sich zu
blutigem Vorgehen. Findet sich eine Portion des Muskels besonders hoch¬
gradig gespannt, tritt dieser Strang bogen seiten artig am Halse vor und läßt
er sich gut umfassen, so übt G. die subkutane Durchtrennung des Muskels;
die Methode hat nur den Nachteil einer längeren, unbedingt notwendigen
Nachbehandlung der Möglichkeit einer Rezidive. In den übrigen Fällen wird
von einem 2—3 cm langen Längsschnitt aus, der zwischen den beiden Muskel-
ansätzen von der Klavikula etwas schräg nach oben und hinten geführt wird,
oder von einem der Spaltrichtung der Haut entsprechenden Schrägschnitt
der Kopfnicker freigelegt und die Muskelfasern exstirpiert. S. Leo.
Thomas Jonnesco (Bukarest), Die allgemeine Rachianästhesie. (Deutsche
med. Wochenschr., Nr. 9, 1911.) Jonnesco sucht die Gegner einer all¬
gemeinen Rachianästhesie zu widerlegen. Die Methode besteht in der Punk¬
tion des Wirbelkanals entweder zwischen 1. und 2. Dorsalwirbel (Kopf,
Hals, Gliedmaßen, Thorax) oder zwischen 12. Dorsal- und 1. Lendenwirbel
(untere Körperhälfte) und in Injektion von Stovain und neutralem Schwefel-
sauren Strychnin. Er hat dabei einige Änderungen vorgenomraen. Er ver¬
wendet jetzt die von Racowitza hergesteilten gepaarten Ampullen, deren
eine das sterilisierte Stovain in fester Form und die andere die titriierte
wäßrige Strychninlösung enthält. Man aspiriert von letzterer z. B. 1 ccm
und bringt ihn in die erste Ampulle, wo die Lösung rasch vor sich geht.
Auch die Mengen der Injektionsstoffe hat er geändert. Für Erwachsene be¬
trägt die Maximaldosis des Stovains für die untere Körperhälfte 6 cg, für
Kinder 1—4 cg, für die obere Körperhälfte beträgt die Maximaldosis bei
Erwachsenen 2 bis höchstens 3 cg, bei Kindern l U —2 cg. Die Maximaldosis
des Strychnins beträgt jetzt in der oberen Körperhälfte bei Erwachsenen 1 mg,
bei Kindern V 4 —Vs mg, in der unteren Körperhälfte bei Erwachsenen 2 mg,
bei Kindern Vs—I mg. Natürlich müssen die Dosen individualisiert werden.
Den Patienten läßt J. nach der Einspritzung nicht mehr in sitzender Stel¬
lung, sondern legt ihm horizontal oder selbst in Beckenhochlagerung.
Im ganzen sind mit dieser Methode bis jetzt 5907 Fälle anästhesiert
worden* Einen Todesfall hat er nicht beobachtet. Auch sonstige Neben¬
wirkungen und Organschädigungen kamen nicht vor. Kontraindikationen
gibt, es nicht. Von Wichtigkeit ist es, daß die Anästhesie immer nur auf
den Körperteil beschränkt bleibt, wo die Einspritzung gemacht ist. J. glaubt,
daß die Rachianästhesie wegen ihrer Einfachheit, Gutartigkeit und Über¬
legenheit die Inhalationsnarkose bald verdrängen wird. F. Walther.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
J. Bartel u. Edm. Herrmann (Wien), Die weibliche Keimdrüse bei
Anomalie der Konstitution. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33,
H. 2, S. 125—135, 1911.) Es ist ein fataler Nachteil der deskriptiven Ana¬
tomie, daß sie die Organe herauslöst und dann bei ihrer näheren Betrach¬
tung die Zugehörigkeit und die Beziehungen zu dem botr. Organismus ver¬
gißt. Vielleicht klingt es ketzerisch, w T enn jemand behauptet, die Lebern,
Milzen, Gehirne usw. seien nicht in jedem Organismus gleichwertig; aber
vom biologischen Standpunkt aus kann .man solch einen Gedanken meines
Erachtens wohl ins Auge fassen.
Ich halte es für ein — weit über die Tagesfragen hin ausgehendes
Unternehmen Bartels, feinere anatomische Studien (unter Berücksichtigung
auch angeblich nebensächlicher Abweichungen) über Konstitutionsanomalien,
insbesondere über den Status thymico-lymphaticus unternommen zu haben.
Welcher Arzt kennt sie nicht, jene so leicht erkrankenden, so wenig wider-
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Referate und Besprechungen.
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standsfähigen Figuren mit der blassen, schwammig-weichen Haut, dem wohl-
entwickelten Panniculus adiposus, der Hyperplasie in den verschiedensten
Abschnitten des lymphatischen Apparates, den geschwollenen Hals- und
Achseldrüsen, den vergrößerten Follikeln im Nasenrachenraum, am Zungen-
grund, am Darm, der vergrößerten Milz, der persistierenden Thymus, der
engen Aorta, dem Tropfenherz usw. Nun, dieser Status lymphaticus ist
keine Krankheit, bei welcher sich eine Sedes morbi im Sinne von Mor¬
gagni und Virchow aufzeigen ließe. Es sind vielmehr sämtliche
Organe daran beteiligt, und je genauer man zusieht, um so deutlicher tritt
diese Erkenntnis zu Tag. Aus den im vorliegenden Aufsatz mitgeteilten
Untersuchungen der Ovarien von 119 weiblichen Wesen ergibt sich, daß
auch diese Organe sich am Status lymphaticus beteiligen und zwar durch
eine besondere Größe und Formanomalie bei glatter Oberfläche mit Biiule-
gewebshyperplasie und Störungen des Follikelapparates. Sie reihen sich so¬
mit den sonstigen Nebenbefunden ein, welche manche Anatomen — die
Grenzen ihres Gebietes überschreitend — für „belanglos“ erklären, welche
aber in ihrer Summierung eben die Konstitutionsanomalie ausmachen.
Solche Arbeiten sind nicht bloß an sich interessant, sondern auch
als Zeichen der Zeit, welche des fortgesetzten Analysierens müde ist und
wieder das Bestreben fühlt, die einzelnen Bruchstücke wiederzuvereinigen.
Diese Beobachtung eröffnet (eine erfreuliche Perspektive in die Zukunft;
denn nur Analyse und Synthese zusammen, wie Ein- und Ausatmen, machen
das Leben der Wissenschaft (Goethe). Buttersack (Berlin).
Kroenig (Freiburg), Einige moderne Behandlungsmethoden der Blu¬
tungen in der Geburtshilfe und Gynäkologie. (Ther. der Gegenwart, Nr. 1,
1911.) Aus dem Vortrage, der als für Fortbildungsbedürftige gehalten man¬
cherlei bekanntes bringt, sei nur einzelnes hervorgehoben. Blutungen in¬
folge von Zervixriß kann man durch die Momburg’sche ;Taillenschnürung
mit Schlauchgummi zum Stehen bringen, doch tritt dabei zuweilen
solcher Schock auf, daß der Schlauch alsbald entfernt werden muß. Das
Gauß’sche Aortenkoinpressorium (Tournhjuet) ist nach Kr.'s Erfahrung für
die Klinik sehr brauchbar, für die Praxis aber zu unhandlich, auch kann
es der Geburtshelfer nicht immer mit sich herumfiihren. (Die manuelle
Aortenkompression, die auch bei Operationen und Nachblutungen nach den¬
selben gute Dienste leistet, erwähnt Kr. ebensowenig wie die Kompression
des Uterus gegen die Symphyse, beide Verfahren sind für den Praktiker
brauchbar, Ref.)
Die von einzelnen schon lange erkannte Wahrheit, daß Menorrhagien
häufig nicht dem Uterus, sondern den erkrankten Ovarien zuzuschreiben
sind, ist neuerdings auch offiziell anerkannt worden, was eine Abnahme de«
Kürettierens zur Folge hatte, das ja in diesen Fällen eine bloße Symptom -
behandlung ist und nur vorübergehend, wenn überhaupt, wirkt. Kr. lobt
hier die Wirkung der Röntgenbehandlung, mit der es gewöhnlich gelinge,
Blutungen einzuschränken, ebenso wie bei der gleichartigen Behandlung
der Myome (die Wirkung wird wohl darauf zurückzuführen sein, daß die
Ovarien teilweise außer Funktion gesetzt werden, Verf.). Die Röntgen¬
behandlung der Myome hat vor der Operation den Vorzug, daJ3 sie ambulant,
durchgeführt werden kann, auch scheinen die Ausfallserscheinungen bei
„Röntgenklimax“ viel weniger unangenehm zu sein als nach Kastration.
Das Verfahren ist bis jetzt schwierig und teuer und für Kassenkranke nicht
geeignet.
Die Metrorrhagien bei beginnender Geschlechtsreife und Chlorose hat
Kr. mit Erfolg durch Schwitzbäder und 3—4 Wochen Bettruhe behandelt., also
wohl durch eine chemische Umänderung der Körpersubstanz.
Fr. von den Velden.
•
L. Seitz (Erlangen), Blutungen in den ersten Monaten der Schwanger¬
schaft und ihre Beziehungen zum Abortus. (Miinchn. med. Wochenschr.,
S. 177, 1911.) Die Frage, ob man bei Blutungen in den ersten Schwanger-
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Referate und Besprechungen.
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schaftsmonaten zuwarten oder eingreifen soll, ist oft schwer zu lösen. Ist
der Muttermund bereits durchgängig oder das Fruchtwasser abgegaaigen, dann
ist die Entschließung zur Ausräumung einfach. Schwieriger ist dies bei
geschlossenem Muttermunde. Bei lange dauernden Blutungen von mäßiger
Stärke dürfte es am besten sein, nicht zu lange mit der Ausräumung zu
warten. S. fand aber bei Durchsicht von mehr als 25000 Geburtsgeschichten,
daß in ca. l°/o der ausgetragenen Schwangerschaften in den ersten Monaten
atypische Blutungen bestanden hatten. Dennoch wird es in vielen Fällen
möglich sein, die Schwangerschaft trotz atypischer Blutung zu erhalten,
besonders wenn ein Trauma die Blutung verursacht hat. Ganz besonders
gut werden Blutungen im dritten und vierten Monate ertragen.
Frankenstein (Köln).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Calmette, Breton und Couvreur (Lille), Die Wassermann'sc he Reaktion
bei Neugeborenen. (Soc. de Biologie, 18. Febr., 1911.) In der Zeit vom
8. Dezember 1909 bis 24. Augtist 1910 sind in der Entbindungsanstalt von
S e c 1 i n (Depart. du Nord) 103 Frauen niedergekommen. Bei allen hat man
mit dem Blut der Nabelschnur die Wassermann’sche Reaktion angestellt und
87tmal negative, 16 positive Resultate erzielt. In 8 von diesen 16 Fällen war
weder beim Vater, noch bei der Mutter, noch beim Kinde klinisch irgend¬
ein Anhaltspunkt für Syphilis vorhanden, wohl aber fanden sich solche bei
den übrigen 8. Anstatt nun die Diskrepanz dieser beiden je achtköpfigen
Serien aufzuklären, preisen die Autoren die Feinheit der Reaktion und die
Möglichkeit, daß man daraufhin bei Mutter und Kind eine antisyphilitische
Kur einleite.
Die Wassermann’sche Reaktion scheint sonach bereits neben dem Gesetz
von der Erhaltung der Energie als absolute Wahrheit gebucht zu sein.
Buttersack (Berlin).
E. Aschenheim (Heidelberg), Über den Aschegehalt in den Gehirnen
Spasmophiler. (Monatsschr. f. Kinderheilk., Bd. 9, H. 7.) Die Spasmophilic
wird von einer großen Anzahl Autoren als eine Störung im Stoffwechsel der
Salze aufgefaßt.
A.’s Untersuchungen erstrecken sich auf fünf Kinder und geben Ana¬
lysen normaler, anodisch übererregbarer, latent spasmophiler und manifest
spasmophiler Kindergehirne. Tierexperimentell wurden die Untersuchungen
von Looser so vorgenommen, daß Tiere künstlich durch Nebenschilddrüsen-
exstirpation tetanisch gemacht und die Gehirne der getöteten Tiere dann
untersucht wurden. Diese Versuche Looser’s bilden eine Ergänzung der
Arbeit Aschenheim’s.
Als Resultat der noch recht spärlichen Versuchsreihe ergibt sich für
Aschenheim, daß bei der klinischen, wie bei der experimentell erzeugten
Spasmophilie (resp. Tetanie) eine Störung im Stoffwechsel derjenigen Salze
besteht, die nach unserem heutigen Wissen für die Bewegungsfunktionen
wichtig sind, d. h. der Alkalien und Erdalkalien. Letztere sind meist ver¬
mindert, es können jedoch die Alkalien auch vermehrt sein. Das wichtige
und typische für die Spasmophilie ist nach Aschenhei m’s Annahme,
das Verhältnis von Alkalien zu Erdalkalien, resp. ihren Salzen.
Wird der Gehalt des Zentralnervensystems an jenen Salzen geändert
und eine Vergrößerung des Quotienten Alkalien : Erdalkalien herbeigeführt,
so wird der Svmptomenkomplex der Spasmophilie ausgelöst.
A. W. Bruck.
Beck (Frankfurt a. M.), Kardiospasmus im Säuglingsalter. (Monatschr.
für Kinderheilk., Bd. 9, Nr. 10.) Vor 2 Jahren lenkte Göppert die Auf¬
merksamkeit auf den Kardiospasmus als eine Ursache des habituellen Er¬
brechens der Säuglinge.
Beck berichtet über 2 im Frankfurter Kinderheim von ihm beob¬
achtete Fälle.
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Referate und Besprechungen.
Es handelt sich nach Göppert bei dieser Erkrankung um eine dem
Pylorospasmus pathologisch gleichwertige Erscheinung von seiten der Kardia.
Auch hier kommt es infolge Krampfes eines Schließmuskels zur schwersten
Abmagerung des Kranken.
Verfasser weist auf eine gewisse Ähnlichkeit des merkwürdigen Wür-
gens mit dem Wiederkäuer hin.
Die Ätiologie ist unklar.
Die Prognose ist bei richtiger Therapie gut. Diese besteht nach Beck
in systematischer Sondenfütterung pder zeitweiliger alleiniger Ernährung
vom Darm aus. Der Krampf verschwindet nach 1—2 Wochen, wenn in so
langer Zeit keinerlei Reiz die Ringmuskulatur der Kardia getroffen und
zur Kontraktur angeregt hat. A. W. Bruck.
E. Moro u. L. Kolb (München), Über das Schicksal von Ekzemkindern.
(Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 8.) Verff. verwandten das Material
der Münchner Poliklinik des Hanner’schen Kindcrspitals aus den Jahren
1902—1907. Sie fanden idie Neigung zu reaktiver Entzündung jeder Art
oft noch im Schulalter ausgesprochen, ferner eine Labilität des Gefäßnerven-
systems, Neigung zu Kopfschmerz, Ohnmacht, Frostbeulen, Schweiße, plötz¬
licher Farben Wechsel. Bei den Geschwistern der Ekzemkinder zeigte sich
ein sehr zahlreiches Vorkommen exsudativer Dermatosen, sowie ihr nahezu
vollständiges Fehlen in den Familien der Kontrollfälle. Asthma bronchiale
und Idiosynkrasie gegen Hühnereiweiß umfaßte ausschließlich die Gruppe
der Ekzemkinder.
Drei wichtig scheinende Punkte sind durch die Arbeit von Moro u.
Kolb nach Meinung der Verfasser geklärt:
1. Die mangelhafte Begründung der Bezeichnung Arthritismus für die
in Rede stehende Konstitutionsanomalie. Eine Häufigkeit und Bedeutung
gichtischer Zustände in der Aszendenz der Ekzemkinder besteht nicht.
2. Die allzu einseitig betonte Gefahr der Übernährung als allslösender
Moment für das Erscheinen des Säuglingsekzems.
3. Die Häufigkeit der spasmophilen Erscheinungen der Säuglinge mit
exsudativer Diathese.
Die Verfasser sprechen die Vermutung aus, daß es sich bei diesen
beiden Erkrankungen Spasmopholie und exsudativer Diathese möglicherweise
nur um verschiedene klinische Ausdrucksformen ein und derselben Diathese
handele. A. W. Bruck.
Psychiatrie und Neurologie.
E. Jentsch (Obernigk), Die Genialitätslehre Lombroso's. (Reichs-Med. -
Anzeiger, Nr. 7, 1911.) Man wird Lombroso’s Ansicht beipfliehten können,
daß das Genie nicht, wie es stets bisher verstanden worden ist, den höchsten
Typus der menschlichen Entwicklung vorstellt. Es bezeichnet im besten Falle
eine höhere Staffel in einer oder mehreren bestimmten Richtungen der Fort¬
entwicklung der menschlichen Spezies. Dies gilt nicht nur für die patho¬
logischen Genies, sondern wahrscheinlich auch für die „harmonischen“, von
denen übrigens gar manche wohl erst „harmonisch“ geworden sind, nachdem
sie diesen ganzen Sachverhalt intuiert hatten. Eine gewisse monoideistische
Einseitigkeit wird auch ihnen anhaften, eine Einseitigkeit, die als Gemein¬
gut das menschlichen Genus nicht wünschenswert wäre. Lombroso selbst
vertrat die Ansicht, daß die Veredlungsfähigkeit der menschlichen Spezies
so unbegrenzt sei, daß die Menschheit der Genies einst wird entraten können.
Gegenwärtig ist dies sicher nicht der Fall. Die Natur wieder erschafft die
kostbaren Prototypen der Spezies in sinnreicher Weise psychisch und soma¬
tisch abnorm, in ganz ähnlicher Weise wie sie auch sonst ihre abnormen
Typen erschafft, wenn sie Generationen auslöscht, alte Spezies variiert und
neue bildet. So erhalten die Genies starke evolutive Tendenzen .neben ein¬
zelnen regressiven oder pathologischen, zeigen sich also phylogenetisch als
echte Durehgangstypen. Bei stärkerer Gleichgewichtsstörung kann das Krank-
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Referate und Besprechungen.
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hafte stärker nach außen hervortreten; viele Geniale sind das ganze Leben
wenigstens nie ganz gesund, aber auch die übrigen leiden unter ihrer Sonder-
Organisation und Disharmonie, wiewohl sie sich oft leidlich, manchmal sogar
gut mit ihr abfinden lernen. S. Leo.
W. Bullard, Mongolismus. (Boston med. and surg. journal, 12. Januar,
1911.) Der Mongolismus ist eine Entwicklungsanomalie, welche hauptsächlich
im englischen Sprachgebiet bearbeitet worden ist. Die Betreffenden er¬
scheinen ihrem Aussehen nach jünger als sie in Wahrheit sind. Sie sind
Brachykephalen mit abgeplattetem Hinterkopf und wenig intelligentem Ge¬
sichtsausdruck, unstetem Blick, halbgeschlossenen Lidern. Das Gesicht ist
breit, die Nase abgeplattet, die Oberkiefer vorspringend. Mienenspiel fehlt.
Die Haut ist fein, schuppt sich leicht; die Schleimhäute sind reizbar,
daher die Häufigkeit von Rhinitis und Blepharitis. Die Zunge liegt zurück,
hat eine schmale, dünne Spitze und Querfurchen in den beiden vorderen
Dritteln. Der harte Gaumen ist unregelmäßig gebildet, ebenso stehen die
Zähne nicht ordentlich in der Reihe. An der Schilddrüse nichts Besonderes.
Die Gelenke, namentlich die Hüften, sind abnorm schlaff; die Hände
und Füße kurz und stämmig. Der Bauch springt etwas vor; Nabelbrüche
sind nicht selten. Die geistige Entwicklung ist zurückgeblieben, aber nicht
so stark wie bei Kretincn, Idioten oder Myxödematösen.
Wodurch das Syndrom bedingt ist, weiß man nicht.
Butter sack (Berlin);
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Schmiegelow (Kopenhagen). Beitrag zur operativen Behandlung der
Hypophysenleiden. (Zeitsehr. für Ohrenheilk., Bd. 62, H. 1, 1910.) Kopf¬
schmerzen, Akromegalie, Störungen der Sehkraft und Lichtscheu, Rück¬
bildung der Geschlechtsdrüsen, allgemeine Zunahme des Hautfettpolsters,
Veränderungen des Haarwuchses; das sind die Symptome, die auf das Vor¬
handensein einer Geschwulst des Hirnanhangs, der Hypophysis cerebri, hin-
deuten. Früher nur Gegenstand der Behandlung durch den inneren Kliniker
und den Nervenarzt, sind diese Geschwülste in neuerer Zeit auf radikalere
Weise durch den Chirurgen angegriffen worden. Anfangs suchte man der
Hypophyse von vorn her am Boden der vorderen Schädel grübe entlang bei¬
zukommen, später versuchte Horsley das gleiche seitlich von der Schläfen -
gegenc! her am Boden der mittleren Schädelgrube entlang, schließlich führte
1906 Schloffer die ,,transnasale“ Methode ein, bei der sich der Operateur
nach seitlicher Umklappung der äußeren Nase durch Abtragung der Nasen-
muscheln und der Nasenschcidenwand Platz im Innern der Nasenhöhle schafft,
um von hier aus sich durch das Keilbein hindurch an die Hypophyse heran¬
zuarbeiten.
Die Hauptgefahr bei diesem Vorgehen liegt in der starken Blutung,
die zu Kollaps, aber auch zu Aspirationspneumonie mit tödlichem Ausgange
führen kann. Hirnhautentzündung ist gleichfalls als Ursache des Todes
nach der Operation mehrfach vorgekommen.
Aus der Literatur werden 13 Fälle angeführt, in denen der Hypo¬
physentumor auf transnasalem Wege operativ angegriffen wurde. Das Er¬
gebnis war Heilung oder Besserung der Beschwerden in 6 Fällen und sechs¬
mal tödlicher Ausgang (2 Meningitis, 2 Hirnödem, 1 Aspirationspneumonie,
1 Todesursache unbekannt); in einem Falle ist das Operationsresultat nicht
angegeben.
Des weiteren wird über 2 Fälle berichtet, die auf ,,endonasalem“
Wege, d. h. ohne Aufklappen der äußeren Nase, operiert und gebessert
wurden.
Die Geschwülste waren Adenome, Sarkome. Zysten und einfache Hyper¬
plasien der Drüse.
Schließlich heilt Sch. einen von ihm selbst beobachteten und operierten
Fall mit. Bei der 27 Jahre alten Kranken hatte sich in den Pubertätsjahren
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Referate und Besprechungen.
Akromegalie eingestellt. Im 23. Lebensjahre gesellten sich Kopfschmerzen
hinzu, 1 Vs Jahr später entwickelte sich eine Schwäche der Sehkraft des
rechten Auges, die zur Erblindung führte. Im April 1910 fing, nachdem
die Menstruation schon seit IV 2 Jahren aufgehört hatte, auch das linke
Auge an schwächer zu werden. Im Röntgenbild sah man eine starke Aus¬
höhlung des Türkensattels.
Operation am 21. April 1910. In Narkose perorale Intubation: Schlund
und Mundhöhle wurden mit Gazestücken fest ausgestopft, die Tamponade
blieb während der ganzen, 1 l f s Stunden dauernden Operation in Chloroform -
narkose bestehen; glücklicherweise trat kein Erbrechen auf! Die Nase,
wird durch einen Schnitt auf der rechten Seite gelöst und nach links über-
geklappt. Abmeißeliuig des Processus nasalis des Oberkiefers, Emporhebung
des rechten Nasenbeins. Die knorpelige Nasenscheidenwand wird nach links
hinübergedrängt, das knöcherne Septum wird abgetragen; die Sinus sphe-
noidales werden eröffnet, die Crista sphenoidalis wird entfernt. Die hintere
Wand der Sinus sphenoidales, hier papierdünn, wird mit der Sonde einge¬
drückt, und dann wird die Knochen platte Stück für Stück mit dem scharfen
Löffel abgetragen, so daß eine 1 qcm große Öffnung entsteht. Die nunmehr
freiliegende Hypophyse wird punktiert, es entleert sich blutig seröse Flüssig¬
keit; dann werden mit dem scharfen Löffel weiche Gewebsmassen heraus -
geholt. — Die Blutung wurde während der Operation durch Betupfen mit
Adrenalin-Tampons in mäßigen Grenzen gehalten. Die Hypophyse und die
Nase wurden mit Jodoformgaze ausgestopft, dann wurde die äußere Nase in
ihre Lage zurückgebracht und wieder festgenäht.
Nach der Operation trat Besserung ein. Die Kopfschmerzen verschwan¬
den und die Sehschärfe des linken Auges hob sich auf 6/6. Die Körper¬
wärme war freilich immer etwas erhöht, sie stieg am 12. Mai 1910 auf 40,4,
und bald darauf trat unter Krämpfen der Tod ein.
Die Leichenöffnung ergab als Todesursache Hirn ödem. Die Hypophyse
stellte einen bräunlichen Tumor von 3—4 cm Durchmesser dar; die Unter¬
suchung stellte ein Adenom fest. — Die Öffnung im Keilbein hätte, wie die
Obduktion ergab, ruhig noch erheblich größer gemacht werden können,
ohne daß die Sinus cavernosi verletzt worden wären. Dann wäre auch eine
wirkliche Herausnahme des Tumors oder doch eines großen Teils möglich
gewesen, und damit würden die Aussichten für den Ausgang des Eingriffes
wesentlich günstiger geworden sein. Richard Müller (Berlin).
Federschmidt (Nürnberg), Wandern einer Getreidegranne durch die Tube
in die Paukenhöhle. (Zeitechr. für Ohrenheilk., Bd. 62, S. 365, 1911.) Mit¬
teilungen über das Durchwandern von Fremdkörpern durch die Ohrtrompete
sind in der Literatur spärlich. Einmal wird von einem Zigarrenkistennagel
berichtet, den der Patient 4 Jahre vorher verschluckt haben wollte, ein
anderes Mal von einem Stück der Rachenmandel, die operativ entfernt worden
war. Das Durchwandern durch die Tube hatte keine Erscheinungen gemacht.
Im vorliegenden Falle handelte es sich um einen polnischen Schnitter,
der Ende März 1910 mit heftigen Ohrenschmerzen erkrankte, die nach dem
Halse zu ausstrahlten; dabei hatte er Kopfschmerzen, als wenn ihm der
Kopf zerspringen wollte. Dies dauerte einige Tage, dann stellte sich Aus¬
fluß aus dem linken Ohr ein, und die Schmerzen schwanden. Am 25. April
trat er in klinische Behandlung, der Ausfluß war Übeln Geruchs und reich¬
lich. Am 9. Mai fiel nach dem Ausspülen des Ohres, von dessen Trommel¬
fell die unteren zwei Drittel fehlten, in der Tiefe ein längliches, weißes
Gebilde auf, das sich von der Ohrtrompetenmündung her nach vorn oben
ausspannte. Es wurde mit einem Züngelchen gefaßt und aus der Tube, in
der es noch mit seiner größeren Hälfte steckte, herausgezogen: ein 2 cm
langes Stück einer Getreidegranne, an der Grundlinie 2 mm, an der Spitze
1 mm breit. Die Eiterung versiegte rasch nach Entfernung des Fremdkörpers.
Der Mann konnte über daß Eindringen der Granne nichts angeben.
Wahrscheinlich ist sie in die Nase eingeatmet worden und dann in den Nasen¬
rachenraum gelangt; dort, auf dem Muse, levator veli palatini liegend, wurde
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.Referate und Besprcch ungen.
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sie mit jeder Zusammenziehung dieses Muskels weiter gegen, die Ohrtrom¬
petenmündung und schließlich in diese hineingeschoben. Das Tubenostium
stellte hier einen von vorn nach hinten klaffenden weiten Spalt dar, wo¬
durch das Eindringen begünstigt wurde. Richard Müller (Berlin).
Augenheilkunde.
M. Zade (Heidelberg), Die Bedeutung der Immunitätslehre für die
Augenheilkunde. (Reichs-Med.-Anzeiger, Nr. 8, 1911.) Es gibt eine echte
Diphtherie der Bindehaut, hervorgerufen durch den Löffler’schen Diphtherie-
bazillus. und hier ist das Behring’sche Serum am Platze. Allerdings gibt
es verschiedene Mikroorganismen, die gelegentlich das klinische Bild einer
Diphtherie hervorrufen (Streptokokken, Gonokokken). Bei ersteren wäre
daran zu denken, ein Streptokokkenserum anzuwenden. Bei tuberkulösen
Bindehauterkrankungen wendet man allgemein das Tuberkulin an. Die Be¬
mühungen bei Hornhauterkrankungen auf immunisatorischem Wege Erfolge
zu erzielen, sind bisher leider nicht von durchschlagendem Erfolge ge¬
wesen. Römer wollte ein wirksames Pneumokokkenserum hersteilen gegen
»las Ulcus serpens corneae. Es wird heute nur zu prophylaktischen Zwecken
empfohlen. Bei der Spaltung des Ulcus nach S a e in i s c h kommen auch
immunisatorische Vorgänge in Betracht. Bei Tetanus des Auges soll man
das Tetanusantitoxin versuchen. Bei senilem Katarakt empfiehlt Römer
die Verfütterung von Linsensubstanz. Der Glaskörper nimmt so gut wie gar
nicht an der allgemeinen Immunisierung teil. Auch klinisch sind wir gegen
Glaskörperinfektionen so gut wie machtlos. Bei Tuberkulose der Uvea erzielt
man mit Neutuberkulin Erfolge. Auch die sympathische Ophthalmie hat man
versucht, serotherapeutisch zu beeinflussen, indem man das Serum solcher
Personen, die entweder eine Ophthalmie überstanden hatten oder frisch daran
litten, einspritzte. Der Erfolg war jedenfalls nicht eklatant. S. Leo.
Sowinski, Zur Behandlung der blennorrhoischen Affektionen mit Vak¬
zinen. (Russki Wratsch, 1910.) Günstige Resultate konnte Verfasser mit
der Anwendung von Vakzineinjektionen bei chronischen und subakuten
Fällen von Blennorrhoe erzielen. Die Einspritzungen werden in Pausen von
5—11 Tagen vorgenommen. Konstant waren die Temperatursteigerungen,
die im Anschluß an die Injektionen auftraten und bis auf 38,8° gingen. Für
akute Fälle von Blennorrhoe ist die Therapie ungeeignet.
Die Beobachtungen beziehen sich anf 22 Fälle.
Schieß (Marienbad').
Villard berichtet einen sehr seltenen Fall von Augenmuskellähmung
nach Genuß verdorbener Austern, die bei einem jungen Manne 24 Stunden
nach dem Genuß mit Diplopie und heftigen Kopfschmerzen einsetzte, den
Sphinkter, rect. externus, ciliaris u.- ,a. Muskel betraf und nach 3 Tagen
auf eine andere Desintoxikationskur wieder schwand. Während bei 4 anderen,
die ebenfalls von diesen Austern gegessen hatten, teilweise recht ernste
Magendarmerscheinungen auftraten, fehlten diese hier gänzlich: Kein Ikte¬
rus, keine Urtikaria, absolut keine Intoxikationserscheinimgen von seiten
des Magens; plötzlicher Eintritt ohne Präliminarsymptome. (Bull, gener.
de ther., Nr. 12, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
E. Wehrli (Frauenfeld), Der praktische Arzt und die nach v. Dungern-
Hirschfeld vereinfachte Wassermann’sche Reaktion. (Schweiz. Rundschau für
Medizin, Nr. 12, 1911.) Wehrli hat an 42 Fällen die vereinfachte Methode
nach v. Düngern- Hirschfeld nachgeprüft und kommt dabei zu dem
Resultat, daß sie der Original- Wasser mann’schen Reaktion ebenbürtig ist.
Besondere Vorteile biete das v. Dungern’sche Syphilisdiagnostikum dem
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Referate und Besprechungen.
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Spezialisten, der oft initiale Tabes und Paralyse zur Beobachtung bekommt,
und bei der nicht selten luetischen Keratitis parenchymatosa und Iritis usw.
rasch über die Ätiologie informiert sein muß. Beschreibung eines solchen
Falles, bei dem die Diagnose Iris- und Hornhauttuberkulose sehr nahe lag,
der sich aber durch stark positive Reaktion nach der Dungern’schen Methode
als syphilitisch erwies. — Besonders empfindlich zeigt sich das Diagnosti-
kum gegenüber metaluetischen Prozessen. Neumann.
O. Roth (Zürich), Über die Modifikation der Wassermann’schen Reak¬
tion nach v. Düngern. (Korrespondenzblatt für Schweizer Ärzte, Nr. 8,
1911.) Vergleichende Prüfung der Wassermann’schen Reaktion und der ver¬
einfachten Methode nach von Düngern bei 40 Patienten ergab zunächst,
daß die Dungern’sche Reaktion niemals positiv ausfällt bei negativer Wasser-
mann'scher Reaktion. Dagegen scheint die vereinfachte Reaktion 6twas
weniger empfindlich zu sein als die Originalmethode. Da aber niemals fälsch¬
lich positive Resultate erhalten wurden, glaubt Autor das neue Diagnostikum
überall da empfehlen zu können, wo kein größeres serologisches Institut in
der Nähe ist. R.
H. Sawada (Halle a. S.), Zur Salvarsantherapie der Syphilis. (Reichs- •
Med.-Anzeiger, Nr. 6, 1911.) Primäraffekte werden zweckmäßig schon vor
Ausbruch der Sekundärerscheinungen, falls die Diagnose durch den Nach¬
weis der Spirochaeta p. bzw. durch -f- Wassermann feststeht, damit .behandelt.
In der Regel reinigen und überhäuten sie sich in wenigen 'Tagen und heilen
unter Hinterlassung einer mehr oder weniger indurierten Narbe, auch ohne
örtliche Behandlung. Trotzdem wird diese (womöglich Exzision oder ener¬
gische Kauterisation) in jedem Falle angezeigt sein. Die Erscheinungen der
Sekundärperiode werden in kurzer Zeit zuän Schwinden gebracht; Roseola
sowie papulöse, besonders kleinpapulöse, lichenoide Exantheme scheinen am
hartnäckigsten zu sein. Die Roseola schwindet oft langsamer als nach
Hydrargyrum, die Papeln hinterlassen oft Pigmentierungen, die manchmal bei
schon — Wassermann noch eine mäßige Hyperämie aufweisen. Gerade diese
hartnäckigen Pigmentierungen sind oft für den behandelnden Arzt deshalb
unangenehm, weil dem Pat. schwer klarzumachen ist. daß die Testierenden
Flecke, die er immer noch für einen ominösen Ausschlag hält, unter Um¬
ständen nur Folgen der Arsentherapie sind. Geradezu frappierend sind die
Wirkungen des 606 auf Schleimhautaffektioneii. Besonders dankbar sind die
Pat. mit schwerer Zephaläa, die tatsächlich meist schon am Tage der
Injektion von ihrem Kopfschmerz befreit sind. Die exsudativen Prozesse der
Lues (nässende Papeln, pustul Öse Exantheme) gelangen in wenigen Tagen
zur Austrocknung. S. injiziert intramuskulär die alkalische Lösung. S. Leo.
Heuck und Jaff€ (Bonn): Weitere Mitteilungen über das Ehrlich’sche
Dioxydiamidoarsenobenzol (Salvarsan). (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 6,
1911.) Die Verff. berichten ihre Erfahrungen über die Salvarsantherapie
an der Bonner Klinik für Hautkrankheiten. Sie kommen zu dem Schlüsse,
daß das Salvarsan bereits bei einmaliger, mehr noch bei zweimaliger Appli¬
kation in allen Stadien, ausgenommen die sog. metasyphilitischen Erkran¬
kungen, einen bedeutenden, die Quecksilberwirkung erreichenden, wenn nicht
sogar übertreffenden Einfluß ausübt. Als Applikationsart verwandten sie.
mit. Vorliebe die intraglutäale Injektion einer schwach alkalischen, leicht
trüben Lösung nach Alt oder die intravenöse Injektion nach Weintraud.
Wirklich gefährliche Nebenwirkungen haben sie nicht beobachtet. Ein
häufigeres Auftreten frühzeitiger Nervenerkrankungen hat vorläufig noch
nicht, mit Bestimmtheit festgestellt werden können. Das Ideal der Storili-
satio magna ist noch nicht erreicht, wie das langsame Verschwinden der
Wassermann’schen Reaktion und das Auftreten der Rezidive zeigt. Am
schnellsten negativ wurde die Reaktion bei primärer Lues, positiv blieb sie
bei tardiver kongenitaler Lues. Recht zweckmäßig erscheint die Kombination
des Salvarsans mit Quecksilber, besonders als Abortivbehandlung einer frischen
Infektion und ferner bei Spätsyphilis, wo das Salvarsan allein keine Um¬
änderung der Wassermann’schen Reaktion zustande bringt. F. Walther.
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•Referate und Besprechungen.
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Medikamentöse Therapie.
E. Döbeli (Bern), Über die Empfindlichkeit verschieden alter Tiere
gegen die Opiumalkaloide. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 8.)
Döbel i faßt seine Untersuchungen folgendermaßen zusammen:
Klinische und toxikologische Beobachtungen machen eine besondere
Empfindlichkeit gegen Opium nur für Säuglinge, nicht aber für ältere
Kinder wahrscheinlich. Säugende Kaninchen, die sich nur von Muttermilch
nähren, sind gegen Tinct. opii, Pantopon und Morphium auf das Kilogramm
Körpergewicht berechnet, mehr als doppelt so empfindlich wie die ausge¬
wachsenen Tiere. Etwas ältere Tiere dagegen zeigen diesen Medikamenten
gegenüber genau die gleiche Empfindlichkeit wie ausgewachsene. Für das
Kodein ist die Empfindlichkeit aller Altersstufen die gleiche.
A. W. Bruck'.
Dornblüth (Wiesbaden), Morphiumentziehung mittels Opium und Pan¬
topon. (Deutsche med. Wochenschr., Kr. 15, 1911.) Bisher hatte Dorn-
blütli die Morphiumentziehungskur durch Ersatz des Morphiums durch Opium
ausgeführt, das er dann gleichfalls langsam entzog. Er erzielte damit auch
sehr befriedigende Resultate, die Methode hatte nur den Nachteil, daß sie
außerordentlich lange Zeit in Anspruch nimmt. Die Einführung des Pan¬
topon in den Arzneischatz bedeutete daher eine große Erleichterung, kann
dieses doch einmal subkutan appliziert werden und weiter, was noch viel
wichtiger ist, es kann damit ein Schnelleres Ansleigen der Dosen vorgenommen
werden. D. verfährt nun in der Weise, daß die Kranken Bettruhe verordnet
bekommen, reichlich Milch erhalten, sowie daß ihnen Bäder von 34° C, und
längerer Dauer verabreicht werden. Bei gewohntem Gebrauch von mehr als
1,0 g M. injiziert er dreimal täglich 2 ccm einer 2%igen Pantoponlösung
mehrere Tage hindurch. Außerdem erhält der Pat. 3—4—5 mal täglich Pan-
topontabletten. Vom vierten Tage der Kur ab kann man dann mit Einver¬
ständnis der Kranken ganz mit den Injektionen aufhören. Allerdings sind
dann oft bis zu 30 Tabletten innerhalb 24 Stunden erforderlich. Tn ganz
schweren Fällen war außerdem abends noch eine Gabe Veronal oder Medinal
nötig. Irgendwelche nennenswerte Beschwerden hat er bei dieser Methode
nicht beobachtet. Das Allgemeinbefinden wird unter Vermeidung der be¬
kannten Euphorie günstig beeinflußt. Der Appetit ist gut, höchstens die
obstipierende Wirkung ist etwas störend, kann aber durch Abführmittel
leicht bekämpft werden. E. Walther.
A. Rosenberg (Berlin), Das Zykloform, ein Analgetikum in der laryngo-
logischen Praxis. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 9, 1911.) Rosenberg
verwendet das Zykloform in der Laryngologie hauptsächlich bei der Dysphagie
in Pulverform, kann doch der Patient unter Umständen die Insufflation an
sich selbst vornehmen. Er führt den nach unten sehenden Schnabel des
Pulverbläsers über den Zungengrund hinweg und hat. beim Aufblasen dann
die Garantie, daß das Pulver wenigstens auf den Larynxeingang gelangt.
Die Schmerzlosigkeit hält dann oft 1 —3 Tage an. Irgendwelche unan¬
genehme Nebenerscheinungen hat er nie beobachtet. F. Walther.
Hesse (Düsseldorf), Jodival in der Luestherapie. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 10, 1911.) Hesse wendet das Jodival einmal im Anschluß
an eine Hg-Kur an, dann bei subjektiven Beschwerden sekundär Luetischer
und endlich bei der tertiären Lues. Die Tabletten, von denen dreimal täglich
2 Stück gegeben werden, wurden fast ausnahmslos gut vertragen. Er be¬
richtet über einen sehr günstig beeinflußten Fall von Papeln, wie über die
Heilung einer plötzlich aufgetretenen Faszialislähmung binnen 6 Tagen. Am
günstigsten wirkte das Präparat aber auf die tertiären Hautaffektionen ein.
H. berichtet über 22 derartige Fälle. F. Walther.
Minus hat in über 600 Fällen Nitroglyzerin (0,00065 viermal täglich
etwas vor der Zeit, wo der Druck steigt, also 7,30, 11,30, 4,30 und 7,30, etwa
zwei Wochen lang) als Prophylaktikum bei tuberkulösen Hämoptysen mit
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Erfolg angewandt. Das Mittel kann auch längere Zeit gegeben werden. Es
wirkt, indem es den Blutdruck im Gefäßsystem herabsetzt. (Les nouv. renied.,
Nr. 4, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Etienne gibt bei dem hartnäckigen ermüdenden Husten der Tuberkulose
mit Erbrechen (Ernährungsstörungen!) mit Erfolg 0,1—0/2 Menthol in 150,0
Gummischleim, 1 Eßlöffel nach jeder Mahlzeit. Schon nach wenigen Tagen
tritt eine erhebliche Beruhigung in den Hustenanfällen ein. Allmählich
geht man in der Dosierung zurück und gibt das Mittel nur noch, um An¬
fällen vorzubeugen. Gerade bei diesem Husten kann nebenher, namentlich
bei Frauen, auch eine psychische Behandlung notwendig werden, da er nicht
selten, namentlich in Anstalten, sozusagen psychisch infektiös ist. (Bull,
gener. de ther., Nr. 4, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
P. Zuccarelli (Korsika, Bastia), Korsika als Kurort. (Annales de la
Soc. d’hydrologie medicale de Paris, 56. Jahr#., S. 29—35, 1911.) Je mehr
Zweifel laut werden, ob die Riviera für Kranke ein geeigneter Aufenthalt
sei und je weiter Madeira, Teneriffa usw. entfernt sind, mit um so größerer
Bereitwilligkeit wird sich die Aufmerksamkeit der Insel Korsika zu-
wenden, die ja in erreichbarer Nähe liegt.
Zwar muß man vorausschicken, daß für Komfort noch wenig getan ist
und daß anspruchsvollere Menschen nur in Ajaccio, Vizzavona und einigen
anderen Orten sich befriedigt fühlen. Aber vom klimatischen Standpunkt
aus betrachtet, stellt Korsika geradezu eine ideale Station dar. Am Meer
erstreckt sich bis zu 100 m Höhe ein wunderbares Winterklima; Ajaccio,
ile Roussc, Porto Vecchio, Saint-Florent und das Tal von
Regino sind die ev. in Betracht kommenden Orte. Eine Gegend mit See¬
klima in mittlerer Höhe (100—600 m Höhe) haben wir in Corte,
C-auro, Saintc-Marie-Sicche, Servione, Orezza. Und schließlich bieten
sich im Inneren der Insel Orte mit Gebirgs- und Hoehgebirgseharakter:
Oalucuccia (850 m), Sa ihh-Pierre -de -Venaceo (800 m), Pineta mit
seinen Wäldern (740 m), Picdicroce (640 m), Vizzavon a (1050 in). —
Auch Mineralquellen aller Art gibt es da: Eisen in Orezza; Schwefel und
Kalk in Puzzichelo; Schwefel und Natrium in P i e t r a p o 1 a (55°),
G u a g n o (49°), B a r a c c i (48°), G u i t c r a (45°), Caldaniccia (34°);
Kalziumbikarbonat in Ornaso; indifferente Quellen in Der za (11°. —
70 mg im Liter).
So vereinigt Korsika so ziemlich alle Heilfaktoren für jede Krankheit,
von Verstauchungen, Neuralgien, Hautleiden bis zur Schwindsucht. Aber
in der Kultur ist die Insel leider noch weit zurück, und die Korsikajiisiche
IJnglücksgöt.tin, xupvia ar r l} treibt ihr Wesen noch heute wie zu den Zeiten
Plutarchs. Buttersack (Berlin).
Hugo Bach, Die Einwirkung des ultravioletten Quarzlampen!ichtes auf
den Blutdruck und Bemerkungen über seine therapeutische Verwendung bei
Allgemeinerkrankungen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 9, 1911.) Bach
hat von der Quarzlampengesellschaft Hanau am Main die stärkste Quarz¬
lampe (3,5 Ampere — 220 Volt, über 3000 Kerzen Lichtstärke) zu Unter¬
suchungen angewandt, um die Einwirkungen des ultravioletten Quarzlichtes
auf den Blutdruck festz'usiellen. Die Bestrahlungen wurden in einer Ent¬
fernung von 1—2 m von der Lichtquelle und in einer Dauer von 5 bis höch¬
stens 15 Minuten vorgenommen. Anfangs wurde der ganze Körper bestrahlt,
später, als es sich herausstellte, daß auch Teilstrahlungen genügten, nur
Rücken oder Vorderseite -des Rumpfes. Besonders unangenehme Nebenwir¬
kungen kamen nicht zur Beobachtung. Im ganzen wurden an 29 Personen
150 Bestrahlungen vorgenommen. Auf der Haut trat, aber nur nach der
ersten Lichtung ein Erythem auf. Die Resultate der Untersuchungen sind
nun folgende:
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1. Die Bestrahlungen, und zwar nicht nur des ganzen Körpers, sondern
auch Teilbestrahlungen setzen den Blutdruck herab.
2. Sie . üben eine beruhigende, erfrischende und belebende Wirkung auf
den Gesamtorganismus aus.
3. Sie sind bei genügenden Vorsichtsmaßregeln trotz stärkster Licht¬
quelle völlig unschädlich und werden auch von schwächlichen Patienten und
bei niederem Blutdruck gut vertragen.
Die Kontrolluntersuchungen vor und nach einem Zimmerluftbad ohne
Quarzlichtbestrahlung haben ergeben:
4. daß ein Zimmerluftbad allein den Blutdruck nicht herabsetzt, sondern
ihn auf gleicher Höhe erhält oder steigert.
Was nun die Erklärung dieser Wirkung anbetrifft, so dürfte sie nach
Behring in einer Steigerung des Stoffwechsels zu suchen sein. Außer dem
lokalen Hautreiz beeinflussen die Strahlen direkt den Chemismus des Blutes
und der Gewebszellen. Die Wirkung, kann mit der eines Sonnenbades im
Hochgebirge verglichen werden. F. Walther.
J. Plesch (Berlin), Zur biologischen Wirkung der Radiumemanation.
(Deustche med. Wochenschr., Nr. 11, 1911.) Plesch hat Versuche ange¬
stellt, um zu ergründen, ob das Blut zur Radiuraemanation eine spezifische
Affinität hat und gefunden, daß dies nicht der Fall ist. Die Emanation ver¬
hält. sich also wie ein indifferentes Gas. Für die physiologische Wirkung
der Emanation gilt der Satz, daß die vom Blute absorbierte Menge um so
größer sein wird, je höher die Tension in der Einatraungsluft ist. Analog
den Verhältnissen beim Stickstoff läßt sich für die Emanation annehmen,
daß die Sättigung des Organismus mit Emanation um so gründlicher sein
wird, je länger sich der Aufenthalt in emanationsreicher Luft gestaltet,
über das Schicksal der Emanation im Organismus lassen sich vorläufig nur
Vermutungen aufstellen. Wichtiger dagegen ist es, zu wissen, wie lange
sich die Emanation im Körper hält. Dies kommt auf die Zirkulationsge¬
schwindigkeit an. Buhiges Verhalten des Individuums bedingt, ein längeres
Verweilen der Emanation, stärkeres Bewegen eine raschere Entgasung. Über
die wirksame Dosis ist noch nichts Genaueres bekannt, nur so viel stellt
fest, daß zu einer genügenden Durchdringung des Organismus mit Emanation
ein stundenlanges Verweilen im Enianatorium erforderlich ist.
Bei der Trinkkur liegen die Verhältnisse anders. Da wird dem Körper
zwar nicht so intensiv Emanation zugeführt, dafür entfaltet dieselbe aber
eine viel länger anhaltende Wirkung. Freilich wird bei der Trinkkur nur
eine Wirkung auf Blut, Lunge und Leber ausgeübt.
Es empfiehlt sich also wohL'eine kombinierte Emanations-Inhalations -
Trinkkur. F. Walther.
Allgemeines.
Michaut (Paris), Köhlerglaube und Skeptizismus in der Medizin.
(Gazette mcd. de Paris, Nr. 83, S. 67/68, 1911.) Es ist nicht von ungefähr,
daß dermalen in der französischen medizinischen Literatur die psychischen
Seiten mehr betont werden, und zwar nicht in Form von Studien über ver¬
hältnismäßig gleichgültige Abweichungen im funktionellen Betrieb des ner¬
vösen Zentralapparates; es sind vielmehr die Menschen selbst, welche die
Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und zwar nicht die vollständig ausge¬
glichenen, für Laboratoriumszwecke präparierten, sondern die vom Sturm
des Lehens Gepeitschten. Man hat jenseits der Vogesen erkannt, daß die
Psychologie des Gesunden und die des Kranken ganz verschiedene Dinge sind
und daß der letztere für Einflüsse zugänglich ist, welche beim anderen an¬
scheinend wirkungslos abprallen. So betont Michaut das Bedürfnis
des Patienten zu glauben., und zwar sei es nur der Glaube, welcher den
Mitteln ihre Heilkraft verleihe; ,,il n’v a que la foi qui sauve“. Die che¬
mische Konstitution sei Nebensache. Damit erklären sich die Heilerfolge
bei derselben Krankheit mit den verschiedensten Mitteln und damit die alte
Erfahrung, daß viele Mittel nur helfen, solange sie noch neu sind.
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Referate lind. Besprechungen.
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Wer freilich auf die ephemeren Wortführer starrt und sich von den
makro- und mikroinechanischen Vorstellungen unseres Zeitabschnittes hypno¬
tisieren läßt, der wird für derlei Imponderabilien nur ein mitleidiges Lächeln
haben. Wer aber seine Zeitgenossen im ganzen betrachtet, und das Wieder¬
erwachen des religiösen Sinns — wenn auch oft in wunderlicher Form —
beachtet, und auf seine Wurzeln verfolgt, der wird bald bemerken, wie das
Pendel der Entwicklung allmählich aus der physikalisch-chemischen Rich¬
tung wieder mehr in die kritische und späterhin mystische Richtung um-
kehrt. Aufsätze, wie der vorliegende, sind Anzeichen dafür, daß im Kreis¬
lauf der Jahre auch die Heilkunde ihren Charakter ändern wird, daß sie
die Definition von Bouillaud als zu eng empfindet: ,,la medecine, en
un mot, est la mccanique, la physique et la chiraie de l’econoinie vivante“,
daß sie vielmehr auch wieder Verständnis gewinnt für den ewig wahren
Satz: „Dein Glaube ist groß; es geschehe dir, wie du willst,' 4 (Matth. XV, 28).
Buttersack (Berlin)*
L. Sofer, Beiträge zur Rassenphysiologie und Rassenpathologie. (Polit.
anthropolog. Revue, Bd. 8. Nr. 7, 1909, Bd. 9, Nr. 10, 1911, Bd. 10, Nr. 1,
1911.) Der Autor will in einer Reihe von Artikeln die Rassentheorie natur¬
wissenschaftlich fundieren. Besonders beschäftigt er sich mit der Physio¬
logie und Pathologie, der nordischen Rasse (Kennzeichen: Langköpfigkeit,
Blondheit, blaue Augen, fälschlich auch arische Rasse genannt), und der
alpinen Rasse (Brcitsehädel, brünett, dunkle Augen); jene bewohnt den
Norden Deutschlands, diese den Süden. Im besonderen stellt S. den Satz
auf: Der Habitus phthisiens (paralyticus) ist das pathologische Spiegelbild
der nordischen Rasse, der Habitus apoplecticus das pathologische Spiegel¬
bild der alpinen Rasse. Das heißt nicht, daß die Phthise ein Privilegium
(odiosum) der nordischen, und die Schlagflüssigkeit ein solches der alpinen
Rasse ist. Beide pathologischen Erscheinungen kommen bei beiden Rassen
vor, aber die nordische ist schon durch ihren anatomischen Körperbau für
die Tuberkulose prädestiniert, die alpine für die Gefäßkrankheiten. Der
schmächtige Brustkorb bei der nordischen Rasse beeinträchtigt die Ent¬
wicklung der Llingo, besonders der Spitzen, die eine. Lieblingsstelle für die
Ansiedlung der Tuberkelbazillen sind; einem schmächtigen Thorax ent¬
spricht aber auch ein schmächtiges Herz, das gerade für die Tuberkulose
auf die Dauer ungünstig wirkt. Je länger die Extremitäten, um so größer
ist ferner die Arbeit des Herzens. Da aber das Herz an und für sich hier
schwächer ist, so kann es der größeren Arbeit um so weniger genügen;
um so blutarmer werden die Lungen sein, um so rascher sich der Ivrankheits-
prozeß entwickeln. Die alpine Rasse mit ihrem breiten Brustkorb, gut ent¬
wickelten Herzen, kürzeren Beinen kann der Tuberkulose größeren Wider¬
stand leisten. (Vgl. Fr. Tutsch, k. k. Gesellseh. d. Ärzte, Wien, 8. April
1910.) Der apo piek tische Habitus (mittlere Größe, Fettansatz, breite Brust,
kurzer gedrungener Hals) ist gleichsam eine Verzerrung des alpinen Typus.
Die Neigung zu Gehirnblutungen rührt davon her, daß die massive Gehirn-
entwicklung eine reiche Gefäßverteilung mit sich bringt, die wiederum eine
breite Angriffsfläche für Schädlichkeiten aller Art darstellt. Damit ver¬
gesellschaften sich Verdauungsstörungen, eine Herabminderung der Energie
der inneren Oxydation, die mit der Neigung dieser Rasse zum Fettansätze
zusammenhängt. Der Autor geht auch dem Zusammenhänge zwischen Rasse
und Krebs nach. Berücksichtigt man die Dichtigkeit der Krebszone in der
Schweiz, ihren Zusammenhang mit der süddeutschen und alpenländischen
einerseits, mit der norditalienischen anderseits, endlich die relative Häufig¬
keit. des Krebses bei den Juden, so ergibt sich der Schluß, daß die alpi'ne
Rasse eine erhöhte. Empfänglichkeit für den Krebs aufweist. Die Ursache
dieser erhöhten Empfänglichkeit ist bei unserer Unkenntnis der eigentlichen
Natur des Krebses nicht ganz klar. Jedoch weist der Umstand, daß nacli
Prinzing das Plus der Krebsfälle seinen Sitz hauptsächlich in den Ver¬
dauungsorganen hat, darauf hin, daß die Verdauungsorgane (s. o/) bei der
alpinen Rasse einen Ort des geringeren Widerstandes darstellen. S. Leo.
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
TortscDritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. v. eriegtrn
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
Nr. 30,
27. Juli.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus der Heilanstalt Dösen in Leipzig.
Über die mongoloide Idiotie.
Von Dr. 0. Uehnu
(Nach einem Vortrage mit Demonstration in der medizinischen Gesellschaft zu Leipzig.)
Im letzten Jahrzehnt beschäftigte sich die Forscherarbeit von
Psychiatern und Kinderärzten ganz besonders eingehend mit den Formen
der Idiotie. Dadurch sind wir heute imstande, eine ganze Anzahl von
Formen der Idiotie zu unterscheiden, wobei das Zusammenwirken der klini¬
schen Betrachtungsweise und der Hirnanatomie besonders zustatten kam.
Ich will im folgenden auf eine Form der Idiotie eingehen, welche man
charakteristischer weise als mongoloide Idiotie hervorgehoben hat.
Die ersten Beschreibungen stammen von Engländern (Langdon-Down
und Fraser-Mitchell). In Deutschland beschäftigten sich mit dieser
Krankheitsform in besonderem Maße Neu mann und Kassowitz, später
Weigandt und Vogt.
Was die Häufigkeit der Erkrankung betrifft, ist es auffallend,
daß dieselbe in England und in den skandinavischen Ländern erheblich
häufiger vorzukommen scheint, als in Deutschland. So werden in England
unter 100 Geistesschwachen zirka 5 °/ 0 , in Deutschland 1 °/ 0 Mongoloide
berechnet. Einzelne Autoren bekommen allerdings erheblich höhere Prozent¬
zahlen, so Meitzer, der einzelne Symptome im Verhältnis zum ganzen
Krankheitsbild zu überschätzen scheint.
Über die Ätiologie der Krankheit ist uns außerordentlich wenig
bekannt. Hereditäre Belastung spielt nach den bisherigen Erfahrungen
keine Rolle, ebensowenig sind Störungen während der Schwangerschaft
und Geburt nachzuweisen. Die Kinder kommen mit dem ausgesprochenen
Zeichen der mongoloiden Idiotie zur Welt und unterscheiden sich dadurch
von vornherein von ihren Geschwistern; die Krankheit ist demnach an¬
geboren, im Gegensatz zu vielen anderen Idiotieformen. Es ist zu be¬
merken, daß konstitutionelle Erkrankungen von Seite der Eltern wie
Syphilis, Tuberkulose, ätiologisch ohne Bedeutung sind. Auffallend ist,,
daß in vielen Fällen das Alter der Mutter bei der Geburt dem Klimakterium
nahe steht, während junge Mütter und Erstgebärende selten sind. Ferner
sind die Mongoloiden sehr häufig, nach Angabe einzelner Autoren in mehr
als der Hälfte der Fälle, die Letztgeborenen kinderreicher Familien. Die
Erzeugung von mehr als einem Mongolen in einer Familie ist sehr selten.—
Es ist anzunehmen, daß es sich bei unserer Krankheitsform um eine ge¬
hemmte embryonale Entwicklung handelt.
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O. Kcli ui
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Die körperliche Entwicklung der Kranken geht verlangsamt
vor sich. Die Ossifikation tritt verspätet ein, insbesondere ist die Ver¬
knöcherung des Schädels zurückgehalten. Das Längenwachstum ist er¬
heblich geringer wie normal. Die Sprache bleibt auf einer niedrigen
Stufe stehen, das Erscheinen der Zähne pflegt verspätet zu sein. Parallel
damit geht eine sehr langsame geistige Entwicklung, welche nach einiger
Zeit zum vollkommenen Stillstand führt.
Im Folgenden sollen kurz die bemerkenswertesten Symptome der
Erkrankung angeführt werden. Die Skelettform zeigt die Neigung,
die Ausbildung der Knochen ins Kurze, Gedrungene und Derbe zu be¬
günstigen. Das Längenwachstum der Knochen ist zugunsten des ßreiten-
wachstums benachteiligt. Besonders deutlich ist diese Erscheinung an
den Händen, welche sehr klein sind und kurze derbe Finger zeigen.
Auffallend kurz entwickelt erscheinen die zweiten Phalangen. Der Schädel
ist verhältnismäßig klein und breit, die Nähte bleiben lange offen; der
Jochbogen ist prominent, die Nasenwurzel sehr breit und niedrig; die
Zahnstellung erscheint sehr häufig unregelmäßig. Die Gelenke zeigen
eine auffallende und charakteristische Weichheit. Im Zusammenspiel der
Muskulatur tut sich eine Erschwerung zu feineren Leistungen kund. Die
Haut ist derb und erscheint häufig verdickt. Ein ausgeprägter Epikanthus
gehört zu den charakteristischen Merk mahn. Die Nägel sind oft dys¬
trophisch. Durch den Epikanthus erhalten die Augen das geschlitzte
Aussehen. Die Zunge ist dick und breit, sie zeigt ausgeprägte tiefe
dicke Querfurchen und trägt den Charakter der sog. Lingua serotalis.
Die Nasenlöcher pflegen nach vorne aufgeschlitzt zu sein.
Was die Zirkulation betrifft, so fühlt sich bei den Kranken die Haut
der Extremitäten kalt an und erscheint zyanotisch. Sehr häufig bestehen
angeborene Herzfehler; der Blutdruck ist nach den Erfahrungen einzelner
Autoren herabgesetzt Die Nasenschleimhäute neigen zu chronisch¬
entzündlichen Prozessen, die Lungen zu tuberkulösen Erkrankungen.
Nach Hoppe ist der Arbeitsumsatz und das Kalorienbedürfnis normal,
während in der LTmsetzung der Kalksalze Störungen bestehen.
In psychischer Beziehung ist zu erwähnen, daß die Sprache stockend
und stotternd zu sein pflegt; außerdem besteht regelmäßig ein Schwach¬
sinn erheblichen Grades, welcher die Kranken auf eine Intelligenzstufc
zwischen Idiotie und Imbezillität stellt. Es bestehen Störungen der Auf¬
fassung, der Begriffsbildung, des Urteils, ferner des Gedächtnisses und
der Merkfähigkeit. Die Kenntnisse sind infolge der Bildungsunfähigkeit
sehr gering. Charakteristisch ist die Neigung zu Imitationen. Sehr häutig
begleiten sie ihre Ausdrucksbewegungen mit Grimassen. In einzelnen Fällen
finden sich mehr oder weniger ausgeprägte katatonische Erscheinungen.
Die Diagnose gründet sich auf die Hauptmerkmale, den mongoloiden
Typus, die Entwicklungsstörung und den angeborenen Schwachsinn.
Die Differentialdiagnose erscheint dem Myxödem und dem
Kretinismus gegenüber manchmal schwierig. Sie beruht im wesentlichen
auf folgenden Merkmalen: Der Mongolismus ist angeboren, die Schwei߬
absonderung und der elektrische Leitungswiderstand der Haut normal.
Die Zunge ist rissig und zeigt Unregelmäßigkeiten der Papillenbildung. Die
Thyreoidin-Therapie ist wirkungslos. Beim Myxödem und Kretinismus
werden die Kinder normal geboren. Die Schweißabsonderung der Haut
fehlt, der elektrische Leitungswiderstand derselben ist erhöht. Die Zunge
zeigt keine Zeichen von organischen Veränderungen, das Thyreoidin
wirkt spezifisch.
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Über d ie inongoloide Idiotie.
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Eine Therapie ist bei der mongoloiden Idiotie erfolglos. Was
die Prognose betrifft, ist zu erwähnen, daß nur etwa 10°/ 0 der Kranken
älter als 25 Jahre werden. Die Todesursache ist in den meisten Fällen
Lungentuberkulose.
Die Hirn-Anatomie läßt ein geringes Gewicht und eine mangelhafte
Entwicklung dieses Organs konstatieren. Es besteht eine mangelhafte
sekundäre Gliederung der Windungen. Von Einzelnen wurde Kleinheit
der Brücke gefunden. Charakteristische Veränderungen der Hirnrinde
bestehen nach den bisherigen Untersuchungen nicht.
Die demonstrierten Fälle werden im folgenden kurz angeführt:
1. 14jähr. Knabe. Ätiologie: Frühgeburt. Entwicklung: Stets schwächlich,
Gehen mit 4 Jahren, Sprechen mit 5 Jahren, mit 12 Jahren Masern und
Nasenkatarrh. Seitdem Infiltration einer Lungenspitze. Mit 13 Jahren
zweite Dentition. Schulunterricht ohne Erfolg. Status: Körperlänge 122 cm.
Fontanelle nicht geschlossen, Schädel klein und breit, Zähne unregel¬
mäßig gestellt, Schlitzaugen, chronischer Nasenkatarrh, Zunge breit und
rissig, Weichheit der Hiift- und Kniegelenke, sodaß die Beine hinter dem
Kopf gekreuzt werden können. Finger kurz, die beiden kleinen Finger
gebogen, stotternde Sprache; schwachsinnig, geringer Wortschatz, minimale
Scbulkenntnisse, schüchtern, gutmütig, bei Erregungen öfters unrein mitUrin.
Wassermannsche Reaktion im Blutserum negativ. Thyreoidin ohne Erfolg.
2. 16jähr. Knabe. Ätiologie: Unbekannt. Entwicklung: Bei der
Geburt nicht voll entwickelt, Gehen mit 2, Sprechen mit 5 Jahren; schlief
mit offenem Mund wegen Nasenpolypen, blieb von Anfang an geistig
zurück, war körperlich stets unbeholfen. Schulfortschritte sehr gering.
Mit 14 Jahren Masern und Nierenentzündung. In dieser Zeit an 1 Tage
8 Krampfanfälle. Status: 147 cm groß; derbe Extremitäten; Finger kurz,
Breitechädel, niedere Stirne, breite Nasenwurzel, Hautbedeckung dick.
Epikanthus, geschlitzte Augen, chronischer Nasenkatarrh, vorstehende
Backenknochen, Zunge breit und rissig. Linke Lungenspitze zeigt ver¬
kürzten Schall und verschärftes Exspirium. Mangelhafte Aussprache,
Linkshänder, manuel ungeschicklich; schwachsinnig.
3. Mann, 32 Jahre alt. Ätiologie: Vater Schnapstrinker, 3. Kind
unter 13 Geschwistern, wovon 10 in frühem Alter gestorben sind. Ent¬
wicklung: Bei der Geburt sehr klein, Gehen mit 3 Jahren, mit 1 Jahre
.Kinderkrämpfe*. Verlangsamte Entwicklung. Status: 134 cm lang,
Körpergewicht 46 kg. Kleiner breiter Schädel, kurze derbe Extremitäten,
geschlitzte Augen, Epikanthus, geschlitzte Nasenlöcher, Zunge derb mit
Querrissen, unregelmäßige Zahnstellung, Herzfehler, starke Mamma,
abnorme Behaarung in der Lendengegend, Hypospadie. Hochgradiger
Schwachsinn, kann nicht schreiben und lesen; Gedächtnisschwäche, zu¬
traulich, harmloser Spaßmacher.
Als bemerkenswert an den 3 Fällen, von denen der letzte am
charakteristischsten ist, erscheint die abnorme Kleinheit bei der Geburt
(1. Fall Frühgeburt), ferner in 2 Fällen das Erscheinen gehäufter Krampf¬
anfälle (im Fall 2 im Anschluß an Masern — Nierenentzündung).
Ätiologisch ist im Fall 3 das Schnapspotatorium des Vaters bemerkens¬
wert. Die körperliche und geistige Entwicklung machte in sämtlichen
Fällen nur sehr geringe Fortschritte, bis zum frühen Eintritt vollkommenen
Stillstands. In sämtlichen Fällen besteht die typische Vereinigung an¬
geborener mongoloider körperlicher Entartung mit Schwachsinn. Fall 3
ist durch sein für die Mongolen verhältnismäßig hohes Alter (32 Jahre)
bemerkenswert. Die Prognose ist für sämtliche Fälle absolut ungünstig.
- 59*
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Leo Loci»,
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Tui)
Das Krebsproblem.*)
Von Dr. Leo Loeb, Philadelphia.
(Rede in der Society of Biological Research Wörter in Washington am 0.4. 1910.)
Deutsch von Dr. v. Boltenstern, Berlin.
Man kann das Krebsproblem betrachten vom Standpunkt des Arztes,
welcher sich damit aus praktischen Rücksichten befaßt, welcher wissen
will, wie er dem Krebs Vorbeugen, ihn heilen kann, auf welche Weise
Krebs die Gesundheit des Patienten in Mitleidenschaft zieht, und vom
Standpunkt des Forschers, des Biologen, welcher mit den Lebenserschei¬
nungen sich beschäftigt. Von dem Studium dieser hofft er eine tiefere
Erkenntnis über eine der wichtigsten Eigenschaften der lebenden Materie
zu gewinnen, über ihr Vermögen, zu wachsen und zu proliferieren.
In dieser natürlich nur kurzen und sehr unvollständigen Studie will
ich den Versuch machen, das Krebsproblem nach beiden Richtungen hin
zu betrachten, mich indes nur auf einige wenige Punkte dieses viel¬
seitigen Problems beschränken.
Zuerst nun in Kürze das Problem vom Standpunkt dos Arztes.
Jedes Organ des menschlichen Körpers kann vom Krebs ergriffen
werden, doch bestimmte Organe werden sehr viel häufiger beteiligt als
andere. Zuerst besteht eine lokale Schwellung, eine Vergrößerung. Häufig
durchbricht der Krebs die Oberfläche des Organs, und ein Teil des Ge¬
webes wird vernichtet. Früher oder später werden andere Teile des
Körpers, besonders die Lymphdrüsen, Leber und Lunge, der Sitz ähnlicher
Tumoren, und zuletzt geht der Patient in kachektischem Zustande zugrunde.
Der Krebs ist nicht auf eine besondere Menschenrasse beschränkt.
Er wird bei allen Rassen gefunden, wenn auch mit sehr ungleicher
Häufigkeit. So werden die Eingeborenen im tropischen Afrika nur
selten befallen. Dasselbe gilt von den Eingeborenen aller tropischen
Länder. Auch in den verschiedenen Teilen Europas tritt der Krebs mit
ungleicher Frequenz auf. So wird der Krebs in den das Mittelmeer
begrenzenden Ländern und Ungarn weniger häufig gefunden, als z. B.
in der Schweiz und in Dänemark, wo der Krebs gemeiner ist, als anderswo
in Europa.
Die Frage erhebt sich, ob diese Unterschiede in der Krebsmorbidität
primär mit der Rasse Zusammenhängen oder ob sie von den äußeren
Verhältnissen, unter denen die Rasse lebt, abhängig sind. Diese Frage
ist nocht nicht hinreichend beantwortet. Doch scheint es mir, als ob
Amerika, wo die verschiedensten Rassen eingewandert sind, für ein solches
Studium besonders günstige Bedingungen bietet. Insofern als der Krebs
beim amerikanischen Digger häufiger vorkommt, als beim afrikanischen
Neger, mag es verständlich sein, daß Umgebung und Lebensbedingungen
die wesentlichsten Faktoren sind. Sehr wahrscheinlich in der Tat sind
diese Faktoren von großer Bedeutung. Andrerseits muß man in Betracht
ziehen, daß eine Rassenmischung stattgefunden hat, so daß in diesem Falle
die Wirkung des Rassenfaktors nicht ganz ausgeschlossen werden kann.
Wir finden auch, daß in verschiedenen Ländern verschiedene Organe
ungleich häufig befallen werden. Das ist sicherlich in großem Umfange
durch verschiedene vorherrschende Gewohnheiten bedingt. Lippenkrebs
wird nur bei Leuten, welche rauchen, häufig gefunden. Und in ähnlicher
Weise kann der Krebs anderer Organe in bevorzugter Verbreitung fest-
Aus Interstate medical journal, Bd. 17, Nr. 6, 1910.
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Das Krebsproblem.
701
gestellt werden, wenn man die verschiedenen Gewohnheiten verschiedener
Volksschichten betrachtet.
Andere Schwankungen finden wir im Auftreten des Krebses
hinsichtlich des zeitlichen Faktors. In den Ländern, in welchen alle
Todesfälle statistisch verzeichnet werden, ist eine konstante entschiedene
Zunahme der Häufigkeit des Krebses bemerkt worden. In den Ver¬
einigten Staaten starben 1850 an Krebs 90 Personen auf 1 Million Ein¬
wohner, während 1900 die Sterblichkeitsziffer auf die Million Einwohner
430 betrug. In Deutschland betrug die Zunahme der Krebssterblichkeit
von 1870—1895 annähernd 115°/ 0 , während die Bevölkerungszunahme
in derselben Zeit nur 23°/ 0 erreichte. Eine ähnliche Zunahme ist in
anderen Ländern beobachtet.
Diese Zunahme ist sehr überraschend, weil die Sterblichkeit bei
gewissen anderen Krankheiten, besonders bei Tuberkulose und den
Infektionskrankheiten im engeren Sinne des Wortes, beständig gesunken
ist. Diese Zunahme ist nun von einigen Forschern nur als scheinbare
bezeichnet und als hauptsächlich abhängig von einer besseren Erkennung
der Krankheit erklärt — eine Interpretation, gegen welche indes ge¬
wichtige Ein wände erhoben werden können. Wie dem auch sei, ein
Zweifel kann nicht bestehen an der weiten Verbreitung und der großen
Bedeutung dieser Krankheit.
Während des größten Teils des 19. Jahrhunderts bestand das Krebs¬
studium vorzugsweise in einem mikroskopischen Studium der verschiedenen
Tumoren, ihrer Ursprungsart und der Wege, auf welchen der Krebs im
Körper sich ausbreitet. Diese Studien führten zu höchst interessanten
Beobachtungen. Vorerst mag eine Erklärung gewisser technischer Aus¬
drücke erfolgen.
Unser Körper besteht aus Zellen und gewisse Zellarten tun sich
zu größeren Gemeinschaften, zu Geweben zusammen. Die morphologische
und chemische Eigenart der Zellen verschiedener Gewebe ist verschieden.
Die Zellen, welche die Haut und bestimmte innere Organe bedecken,
nennt man Epithelien und die anderen Zellen, welche unterhalb der
Epithelschicht gelegen sind und die verschiedenen Gewebe verbinden,
nennt man Bindegewebe. Normalerweise ist die Anordnung der ver¬
schiedenen Gewebe und die Grenzlinie zwischen ihnen ganz genau be¬
stimmt. Beim Studium der frühen Krebsstadien z. B. beim Hautkrebs,
sieht man, daß diese bestimmte Anordnung verloren gegangen ist, daß
die Epithelzellen, welche die Außenschichten der Haut bilden, nach abwärts
in die darunterliegende Bindegewebsschieht hinein zu wachsen beginnen.
Dieses Wachsen nach unten ist in der Regel auf einen sehr kleinen
lokalisierten Raum beschränkt. Während in der normalen Plaut die Ab-
grenzungslinie zwischen Epithel und dem darunterliegenden Bindegewebe
scharf ist, werden beim beginnenden Krebs beide Ge websarten vermischt.
Das Epithel dringt abwärts in das Bindegewebe ein, sekundär beginnt
das umgebende Bindegewebe ebenso zu proliferieren, und so entsteht eine
Schwellung, eine geschwulstähnliche Masse. Die wachsenden Kpithel-
zellen machen vor keinem entgegentretenden Gewebe Halt. Sie sind
imstande, Knorpel und Knochen zu zerstören und können die Wand der
Lymphkanäle und Blutgefäße durch dringen. Mit dem kreisenden Blut
oder der Lymphe können sie in die verschiedensten Teile des Körpers
gelangen, z. B. in die Lymphdriisen oder die Leber. Hier werden die
Tumorzellen zurückgehalten, beginnen oft wieder zu proliferieren und
bilden einen an dem primären Sitz gebundenen geschwulstähnliohen Tumor.
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Leo Loeb,
Zuerst wachsen die Krebszellen im Innern des Lumens der Lymph- und
Blutgefäße, aber sehr bald durchbrechen sie die Wandung nach außen,
und eine Geschwulst entsteht in dem Organ selber. Solche sekundäre
Geschwulst nennt man einen metastatischen Tumor.
Das Tumorwachstum hängt also von der Aktivität der Zellen ab,
welche an einer beschränkten Stelle zu Krebszellen umgewandelt und
später in andere Teile des Körpers verstreut sind. Ganz anders ist es
bei Infektionskrankheiten, in welchen nicht die Körperzellen, sondern
die Mikroorganismen im Körper zerstreut werden und an verschiedenen
Stellen neue Zellen zur Proliferation bringen. In der Regel nimmt der
Krebs nur von einer Stelle des Körpers seinen Ausgang. Doch ge¬
legentlich kann auch eine gleichzeitige Zellproliferation an verschiedenen
Körperstellen, in verschiedenen Teilen eines Organs stattfinden, z. B.
kommt es gelegentlich vor, daß multiple Stellen der äußeren Haut gleich¬
zeitig krebsig entarten. In anderen Fällen kann Krebs gleichzeitig in
verschiedenen Organen des Körpers auftreten.
Die gleichen Veränderungen wie an der Haut können in den meisten
anderen Geweben eintreten und man bezeichnet die verschiedenen Tumoren
nach den Geweben, von denen sie ausgegangen sind. So wird ein Krebs,
welcher seinen Ausgang vom Epithelialgewebe nimmt, Karzinom, ein vom
Bindegewebe ausgehender Sarkom genannt. Im großen ganzen behält
ein Tumor durchaus seine morphologischen und chemischen Charaktere.
Doch sind gewisse Schwankungen in der Eigenart der Zellen beobachtet,
und sehr bemerkenswerte Schwankungen werden wir Gelegenheit haben,
später zu erwähnen.
Das sind die wesentlichsten Ergebnisse, wie sie das mikroskopische
Studium des menschlichen Krebses während der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts geliefert hat. Im großen ganzen lassen diese durch
das andauernde mikroskopische Studium zuwege gebrachten Daten zwischen
verschiedenen Tumorarten unterscheiden entsprechend der Verschieden¬
artigkeit der Gewebe, in welchen die Proliferation ciusetzt. Doch spielt
eine sehr große Zahl verschiedenster Faktoren bei diesen Wachstums¬
erscheinungen mit und bei rein morphologischer Beobachtung können
unmöglich diese unbeständigen Faktoren auseinandergehalten werden.
Da so eine exakte Lösung des Problems unlösbar wurde, setzte eine
Periode ein, in welcher hypothetische Spekulationen anstelle wirklicher
Tatsachen sich geltend machten. Diese Zeit, welche noch nicht ganz
überwunden ist, hat eine große Reihe hypothetische Erklärungen hervor¬
gebracht, welche in der großen Mehrzahl nicht gerade begründet sind
und nur noch historisches Interesse haben. Sie sind oft auf eine be¬
schränkte Anzahl von Beobachtungen basiert und daher in keiner Weise
berechtigt, auf die sehr komplizierte Wirklichkeit angewendet zu werden
Um die wechselnden Faktoren so viel wie möglich auszuschalten,
mußten dieselben Methoden angewandt werden wie zu diesem Zweck
in anderen Wissenszweigen — man griff zum Experiment. Und um
derartige Experimente ausführen zu können, mußte man auf tierische
Tumoren zurückkommen.
Das Auftreten von Tumoren ist bei den verschiedensten Klassen
der Vertebraten beobachtet. Doch ihre Häufigkeit schwankt sehr stark
je nach der Tierart. Um einige Beispiele anzuführen, so sind Tumoren
bei Meerschweinchen außerordentlich selten und fast so selten bei Kaninchen,
sehr gewöhnlich sind sie bei Hunden, weißen Mäusen und Ratten. Man
hat behauptet, daß wildlebende Tiere weniger dazu neigen, von Tumoren
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Das Krebsproblem.
703
befallen zu werden als Haustiere. Das ist indes nicht unbedingt be¬
wiesen. So sind scheinbar Tumoren bei den grauen Ratten und auch
Mäusen verhältnismäßig gewöhnlich, und Tumoren sind auch bei wilden
Tieren in zoologischen Gärten beobachtet. Nach der Art verhalten sich
die bei Tieren gefundenen Tumoren ebenso wie die beim Menschen.
Aber es ist bemerkenswert, daß gewisse Tierspezies Tumoren auf¬
weisen, welche mehr oder weniger für die Spezies, der sie angehören,
charakteristisch sind. So ist bei weißen Ratten der Bindegewebskrebä
verhältnismäßig gemein, während bei weißen Mäusen Epithelialkrebs der
Brustdrüse vorherrscht. Beim Rindvieh in den Vereinigten Staaten ist
das Karzinom des inneren Augenwinkels die typische Krebsform, während
in Europa diese Art des Krebses selten oder wenigstens nicht überall
auftritt.
Krebs ist auch bei Vögeln, Reptilien, Amphibien und Fischen be¬
obachtet. Indes sind bei kaltblütigen Tieren Tumoren im ganzen selten.
Um tiefere Einsicht in das Tumorwachstnm zu gewinnen, mußte
man experimentelle Studien mit Tiertumoren vornehmen. Dies Studium
wurde erleichtert durch die Entdeckung, daß es unter gewissen Be¬
dingungen möglich ist, einen Tumor von einem Tier auf ein anderes zu
übertragen. Dies kann sehr leicht bei Mäusen und Ratten ausgeführt
werden und wirklich ist auch die Mehrzahl der Versuche an diesen
Nagetieren unternommen. Jedoch können Tumoren auch bei anderen
Tieren fortgepflanzt werden. Um einen Krebs von einem Tier auf das
andere zu übertragen, verimpft man ein ganz kleines Teilchen des Tumors
unter die Haut der Maus oder Ratte, und wenn die Impfung mit Erfolg
geschehen ist, beginnt der Tumor zu wachsen und wird dem bloßen
Auge in einer, je nach dem verwendeten Tumor, zwischen einer Woche
und einigen Monaten schwankenden Zeit, sichtbar. Die Schnelligkeit des
Wachstums schwankt also bei verschiedenen Tumoren. Der Impfprozeß
ist kaum schmerzhafter als eine Subkutaninjektion, wie sie der Arzt
häufig zu therapeutischen Zwecken macht, und das folgende Tumor¬
wachstum ist mit. keinerlei Schmerzempfindung verbunden. Wenn der
Tumor zu beträchtlicher Größe angewachsen ist, wird die Maus in der
Regel chloroformiert. Was ist nun nach der Verimpfung des ganz
kleinen Tumorteilchens eingetreten? Die Zellen im Zentrum des Stückes
sterben gewöhnlich ab, aber die peripheren Zellen, welche durch die
Säfte des Wirtes ernährt werden, bleiben am Leben, beginnen bald durch
Mitose sich zu teilen und geben zur Entstehung einer neuen Tumor¬
bildung Anlaß. Absolut notwendig ist die Verimpfung \ebender Tumor¬
zellen auf das zweite Tier, sonst sind die Ergebnisse negativ. Die Zahl
der verimpften Zellen indes kann sehr gering sein, und eine einzige
injizierte Zelle kann in gewissen Fällen für eine erfolgreiche Impfung
ausreichen. In dieser Beziehung unterscheidet sich demnach die Krebs¬
übertragung erheblich von der Übertragung gewöhnlicher Infektions¬
krankheiten, bei welchen nicht die Körperzellen, sondern nur die Mikro¬
organismen von einem Organismus auf den anderen übertragen zu werden
brauchen. Beim Krebs müssen Zellen übertragen werden. So wird es
leicht verständlich, warum es nicht gelingt, den Tumor einer Spezies bei
einer anderen für einige Zeit zum Wachstum zu bringen. Es ist z. B.
nicht möglich, einen menschlichen Krebs oder Krebs vom Hunde bei der
Maus zu erzeugen, ebenso wenig kann der Mäusetumor auf das Meer¬
schweinchen übertragen werden. Selbst bei relativ nahe verwandten
Spezies wächst der Tumor nicht, so nicht die Rattentumoren bei einer
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Leo Loeb,
Maus, wenigstens nicht für längere Zeit, wenn auch für eine kurze; son¬
dern sehr schnell geht er zurück und verschwindet. Dies Verhalten der
Tumoren ist leicht verständlich, wenn man in Betracht zieht, daß die
Tumortransplantation die Übertragung von Tumorzellen darstellt, und
diese Tumorzellen behalten alle die Eigenarten der Spezies, welche die
normalen Zellen eines Organismus besitzen. Wir müssen annehmen, daß
die chemische Struktur der Tierproteide je nach der Spezies verschieden
ist, und daß diese spezifischen Proteide gewissen, in den Körpersäften
zirkulierenden Substanzen sich anpassen, wie sich der Schlüssel dem
Schlüsselloch anpaßt. Jedes Gewebe findet demnach sein Nährmaterial
in den Tieren derselben, aber nicht einer anderen Art. So mag bei der
Transplantation von Haut von einem Meerschweinchen auf ein anderes
diese sehr lange Zeit, ja dauernd am Leben bleiben. Und wenn wir
dieselbe Haut auf ein Kaninchen oder eine Taube transplantieren, bleibt
sie zwar auch am Leben und zeigt gleichfalls eine kleine Zunahme in
der Zahl der Zellen für wenige Tage, doch nach dieser kurzen Vorperiode
stirbt sie unweigerlich ab. Krebszellen verhalten sich in dieser Hinsicht
gerade so wie gewöhnliche Gewebszellen. Verschiedene Krebsarten sind
zudem nicht gleich empfänglich für Wirtswechsel. So kann ein bei
Hunden gefundenes Sarkom auch auf den Fuchs übertragen werden, welcher
eine verschiedene, wenn auch nahe verwandte Spezies darstellt. Anderer¬
seits sind Mäusekarzinome als sehr empfänglich für Differenzierungen nach
der Eigenart des Wirtes gefunden. Ein Tumor z. B., welcher bei einem
amerikanischen Stamm weißer Mäuse entstanden ist, wächst mit viel
größerer Schwierigkeit bei weißen Mäusen, welche aus Europa stammen.
Solche Differenzen sind leicht verständlich, wenn wir die Möglichkeit
in Betracht ziehen, daß die chemische Zusammensetzung des Zellproto¬
plasmas in verschiedenen Stämmen derselben Spezies verschieden ist, daß
solche Differenzen im Charakter der Zellen einen entsprechenden Unter¬
schied in den zirkulierenden Nährstoffen der Zellen bedingt und dieser
Unterschied in den Nährstoffen das Wachstum von gewöhnlichen Zellen,
und insbesondere von Tumorzellen, erschwert. Sehr häufig ist die Spezi-
fizität in der Anpassung zwischen Körperzellen und ernährenden Körper¬
flüssigkeiten noch ausgesprochener, und die Mehrzahl der Tumoren kann
erfolgreich nicht transplantiert werden, selbst auf Tiere derselben Spezies
und desselben Stammes. Aber solche Tumoren, welche bei anderen
Tieren derselben Spezies, desselben Stammes nicht wachsen, können ge¬
deihen, wenn sie auf dasselbe Individuum transplantiert werden, bei
welchem der Tumor entstanden ist. Das beweist eine noch feinere An¬
passung zwischen Tumorzellen und Körpersäften und stimmt sehr wohl
mit der neuen wichtigen Entdeckung v. Düngern’s überein, nach welcher
auf biochemischem Wege eine Unterscheidung auch zwischen bestimmten
Individuen derselben Gattung gelingt. Individuen derselben Spezies
unterscheiden sich demnach in ihrer chemischen Struktur und reagieren
deshalb in verschiedener Weise gegenüber ihren eigenen transplantierten
Zellen und die transplantierten Zellen anderer Individuen derselben
Gattung.
Nun wollen wir voraussetzen, daß uns die Transplantation von
Tumorzellen auf eine Anzahl von Individuen derselben Spezies gelungen
ist. Was wird aus diesen Tumorzellen, wenn sie eine zeitlang in ihrem
neuen Wirt T gelebt haben? Geht ihre Proliferationskraft nun allmählich
zurück, und gehen sie gleichzeitig mit dem Individuum, in welchem der
Tumor entstanden ist, zugrunde? Versuche haben unwiderleglich dar-
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Das Krebsprob lern.
705
getan, daß das nicht der Fall ist. Von der zweiten Generation können
solche Tumorzellen auf eine dritte und vierte übertragen werden usw.
bis ins Unendliche. Dies gilt sowohl für Bindegewebs- wie für Epitelial-
tumoren, beide wurden in anderen Individuen lange Zeit am Leben er¬
halten. Sie überlebten die Tiere, in welchen der Krebs entstanden war.
So bestand ein Tumorfall in Kopenhagen mehr als 10 Jahre lang, und
während dieser Zeit pflanzten sich die Zellen andauernd zu ganz außer¬
ordentlicher Zahl fort. Alle anderen transplantierbaren Tumoren verhalten
sich ebenso. Das ist eine Tatsache von größter biologischer Bedeutung.
Um sie recht zu würdigen, muß man sich einige fundamentale An¬
schauungen der Biologie vergegenwärtigen. Bei den vielzelligen Tieren,
den Metazoen, von denen die Vertebraten eine Gruppe bilden, unter¬
scheiden wir zwei Zellarten, Keimzellen, Eier und Spermatozoen, welche
die Art fortsetzen, und alle anderen Zellen, somatische Zellen genannt.
Die Zellen der Haut, der Muskeln, die Nervenzellen usw. sind somatische
Zellen. Nun wissen wir, daß die somatischen Zellen mit dem Individuufn,
dessen Teil sie darstellen, zugrunde gehen, während die Keimzellen nicht,
notwendigerweise mit dem übrigen Körper absterben, sondern die Eigen¬
schaft besitzen, neue Individuen unbegrenzt zu erzeugen. Während also
die Keimzellen die Möglichkeit der Unsterblichkeit besitzen, müssen die
somatischen Zellen als hoffnungslos dem Tode verfallen angesehen werden.
Bezüglich der einzelligen Tiere, der Protozoen, betonte Weißmann ihre
potentielle Unsterblichkeit, insofern ein Individuum direkt in andere sich
teilt, auf welche sein Protoplasma übergeht, ein Vorzug, welcher die
Kontinuität ihres Körpers gewährleistet. Später kamen andere Forscher,
wieMaupas, Hertwig, Calkins u. a. zu verschiedenen Schlüssen. Sie
bemerkten, daß bei der Fortpflanzung eines bestimmten Protozoenstammes,
z. B. Pararaäcien, diese Organismen nicht konstant ihre Lebensfähigkeit
behielten, sondern nach einer Periode aktiver Teilung die Protozoen
Entartungszeichen zu bieten beginnen, und ohne Konjugation zweier
Individuen der Stamm Gefahr läuft, auszusterben. Diese späteren Forscher
waren also der Meinung, daß die Protozoen ebenso wie die Metazoen
dem Tode unterliegen, und daß nur ein gewisser Teil ihres Protoplasmas,
welches sich mit Protoplasmateilen eines anderen Individuums derselben
Rasse verbindet, dem Tode entgeht, unsterblich ist. Dieser letzte Teil
entspricht dem Keimprotoplasma der Metazoen, während sie den Proto¬
plasmarest, welcher zugrunde geht, als den somatischen Teil des Metazoen¬
körpers homolog betrachten. Wenn wir etwas näher auf die Beweise
zugunsten der Auffassung, daß die somatischen Zellen der Metazoen
notwendigerweise sterblich sind, eingehen, so finden wir, daß sie auf
hypothetische Überlegungen begründet sind, und daß kein überzeugender
Beweis erbracht ist dafür, daß die somatischen Zellen nicht unbegrenzt
leben können. Die experimentelle Tumorforschung hat Tatsachen zutage
gefördert, welche sehr entschieden auf den Trugschluß hin weisen, daß
nämlich, wenn auch nicht alle, so doch sehr viele der somatischen Zellen
in dem für die Keimzellen allgemein anerkannten Sinne potentiell un¬
sterblich sind. An einen anderen Schluß zu denken erscheint schwer,
wenn wir finden, daß die Tumorzellen nur eine besondere Art
somatischer Zellen unbegrenzt Perioden von langen Jahren hindurch
sich fortpflanzen, nachdem die Auflösung in dem Körper eingesetzt hat,
von dem die Mutterzellen, welche zur Entstehung der Tumorzellen die
Veranlassung geben, einen integrierenden Teil ausmachen, und besonders,
wenn wir in Rechnung ziehen, daß bis jetzt noch nicht das geringste
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C. Brexendorff,
Zeichen für eine abnehmende Wachs*nmsonergic dieser Tumorzellen sich
ergeben hat. Weiterhin gilt dieser Schluß ebenso für Bindegewebe, wie
für Epithelialzellen, und er ist wahrscheinlich ebenso giltig für den Knorpel
und für gewisse andere Zellen.
Unter den Umständen, unter welchen Tiere heute existieren, hören
in der Tat ihre somatischen Zellen zu der Zeit zu leben auf, wenn das
Nervensystem und das Herz ihre Tätigkeit einstellen. Das kann überdies
nur das Resultat von ungünstigen umgebenden Zuständen sein, welche
zurzeit des Todes des Tieres vorliegen, und wenn man von einem alten
oder sterbenden Individuum auf ein junges derselben Art die Gewebe
transplantieren würde, so würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach am
Leben bleiben. Zum gleichen Schluß gelangen neuere Versuche über
das Leben der Protozoen. Es scheint, daß, wenn auch von früheren
Forschern die Periode des Niederganges und Todes bemerkt ist, Nieder¬
gangsperioden, aus welchen manchmal durch Konjugation eine Erholung
erfolgen kann, nicht auf der Protoplasmastruktur der einzelligen Organismen
beruhen, sondern durch ungünstige Umstände in der Umgebung ver¬
ursacht werden, durch Mangel an richtiger Nahrung und vorzüglich durch
Mangel an dem geeigneten Wechsel in der Ernährung. Der älteren An¬
sicht können wir also auf Grund wichtiger Beweise die andere Auffassung
entgegensetzen, daß viele somatische Zellen wie auch viele Protozoen eine
potentielle Immortalität besitzen, und daß zugunsten des sterblichen Tier¬
individuums diese somatischen Zellen ihre Immortalität opfern.
(Fortsetzung folgt).
Ein Beitrag zur therapeutischen Anwendung des Jodivals.
Von Dr. C. Brexendorff, Hamburg.
Im Laufe des letzten Jahres habe ich eine ganze Reihe von Fällen,
die für eine Jodtherapie geeignet erschienen, systematisch mit Jodival
behandelt. Es sei mir gestattet, in Kürze über meine Erfahrungen zu
berichten.
Jodival, a-Monojodisovalerylharnstoff, bildet weiße, schwach bitter
schmeckende Kristalle, fast unlöslich in kaltem Wasser, leichter löslich
in heißem Wasser, Äther und Alkohol. Es enthält 47°/ 0 Jod. Das
Jodival passiert den Magen ungelöst und unzersetzt, erst im Dünndarm
löst es sich als Alkalisalz und wird resorbiert. Das Jod spaltet sich
allmählich ab, so daß der Körper längere Zeit unter Jodwirkung steht.
Die Atisscheidung beginnt bereits nach sehr kurzer Zeit (12 Minuten,
nach Bröking) 1 ). Während aber z. B. bei Jodkalium die Ausscheidung
des Jods durch den Harn zu 73,4°/ 0 in die ersten 12 Stunden fällt,
werden bei der Jodivalinedikation in den ersten 12 Stunden nur 65,11 °/ 0
des aufgenommenen Jodgehalts, in der 13. —24. Stunde 24,81% gegen¬
über mir 12,5% beim Jodkalium ausgeschieden (Bröking). Beendet
ist die Jodausscheidung des Jodival nach 72 Stunden, die des Jodkalium
bereits nach 60 Stunden. Hieraus ist ersichtlich, daß die Jodival-
medikation gegenüber dem Jodkaliuin die Vorteile der schnelleren Re¬
sorption und der langsameren und gleichmäßigeren Ausscheidung bietet.
Infolge des längeren Verweilens des Jods im Organismus bei Jodival-
gebrauch erzielt man also mit geringeren Dosen des Mittels eine ebenso
kräftige Wirkung als mit höheren Gaben der Jodalkalien.
') Zeitsclir. für exper. Pathologie u. Therapie, H. 1, 1910.
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Ein Beitrag zur therapeutischen Anwendung des Jodivals.
707
Jodival wurde angewandt in Fällen von Arteriosklerose, bronchialem
Asthma und sekundärer und tertiärer Lues. Zur Illustration lasse ich
einige der behandelten Fälle mit kurzer Krankengeschichte hier folgen.
1. Wächter H., 70 Jahre alt, leidet an häufig auftretenden Schwindel¬
anfällen und Eingenommensein des Kopfes. Alle sichtbaren Gefäße stark
geschlängelt. Puls ziemlich hart, am Herzen der 2. Aortenton etwas
verstärkt.
Diagnose: Arteriosklerose.
Nachdem ich erst Jodkalium gegeben hatte, dieses aber nicht ver¬
tragen wurde, es traten nach wenigen Tagen bereits Schnupfen, Akne
und Magenbeschwerden auf, ließ ich Jodivaltabletten nehmen; wegen der
Empfindlichkeit des Patienten gegen Jod begann ich mit täglich einer
Tablette und stieg erst, als keinerlei Nebenerscheinungen eintraten, nach
4 Tagen auf 2 und weiteren 3 Tagen auf 3 Tabletten. Nach 12 tägigem
Jodivalgebrauch deutliche Besserung. Nach 20 Tagen subjektives Wohl¬
befinden ohne Beschwerden. Auch der Puls hatte von seiner ursprüng¬
lichen Härte verloren. Nach vierwöchigem Gebrauch des Jodivals war
auch bei diesem gegen Jodalkalien empfindlichen Patienten keinerlei
Erscheinung von Jodismus auf getreten.
2. Maler G., 52 Jahre alt, klagt über anfallsweise auftretende Kopf¬
schmerzen, verbunden mit Schwindel, häufig wiederkehrende Katarrhe der
Luftwege, Verstopfung, Atemnot bei geringen Anstrengungen. Patient
befindet sich in ziemlich kümmerlichem Ernährungszustand. Organbefund
bis auf eine geringe Hypertrophie des linken Ventrikels und leicht ver¬
stärktem 2. Aortenton ohne Besonderheiten. Zeichen von Bleiintoxikation
fehlen.
Diagnose: Arteriosklerose.
Außer einigen Allgemeinvorschriften verordnete ich Jodivaltabletten.
anfangs 3 mal täglich 1 Tablette, nach weiteren 2 Wochen 1 Tablette
täglich. Das subjektive Befinden des G. besserte sich wesentlich in ca.
2 Wochen; aber auch objektiv war ein Rückgang der Erscheinungen zu
konstatieren: Abnahme der katarrhalischen Geräusche über der Lunge,
Regelung des Stuhlgangs, Gewichtszunahme. Ich ließ noch längere Zeit
täglich eine Tablette weiternehmen. Beschwerden seitens des Magens,
Appetitmangel traten nie auf. Patient fühlt sich seit ca. einem halben
Jahr dauernd wohl.
3. Tischler G., 62 Jahre alt, leidet schon seit mehreren Jahren an
Husten und Auswurf. Zeitweise verschlimmerte sich sein Zustand, es
traten Anfälle von Asthma auf. Über den Lungen, besonders den ab¬
hängigen Partien, finden sich reichliche katarrhalische Geräusche, Schnurren,
Giemen, Rasseln, nirgends Dämpfung oder Höhlensymptome. Die sicht¬
baren Arterien geschlängelt, hart fühlbar. Herz und Nieren ohne Befund.
Ernährungszustand wenig gut.
Diagnose: Arteriosklerose, chronische Bronchitis.
Ich verordnete, nachdem verschiedene Expektorantien ohne rechten
Erfolg genommen waren, Jodivaltabletten. Anfangs 3mal täglich, später
2 mal täglich 1 Tablette. In kurzer Zeit (ca. 8 Tagen) wurde der Husten
geringer, der Auswurf leichter und weniger reichlich. Das Allgemein¬
befinden besserte sich sichtlich. In 4 Wochen nahm Patient 7 Pfd. zu.
4. Aufseher P., 75 Jahre alt, kam zu mir mit einer starken Bron¬
chitis; außerdem waren alle Zeichen einer ziemlich hochgradigen Arterio¬
sklerose vorhanden: harter Puls, harte, geschlängelte Arterien; Schwindel¬
anfälle, Kopfschmerzen.
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70K C. Brexendorff, Ein Beitrag zur therapeutischen Anwendung des Jodivals.
Unter Jodivalbehandlung, 3 mal täglich 1 Tablette, besserte sich
nicht nur die Bronchitis, Abnahme und leichtere Expektoration des
anfangs sehr zähen Auswurfs, sondern auch die subjektiven Beschwerden
seitens der Arteriosklerose wurden geringer: Kopfschmerz und Schwindel
verschwanden völlig. Patient erhielt daraufhin noch längere Zeit Jodival.
Zunächst täglich 2, dann täglich 1 Tablette. Eine störende Neben¬
wirkung, Magenbeschwerden, Jodschnupfen, ist niemals beobachtet worden.
Seit nunmehr 6 Monaten haben sich keine der oben genannten Be¬
schwerden gezeigt.
5. Tischlermeister W., 69 Jahre alt, leidet seit 17 Jahren an Asthma.
In den letzten 2 Jahren sind besonders häufige und heftige Anfälle auf¬
getreten. Patient ist infolgedessen in einem recht kümmerlichen Er¬
nährungszustand. Verschiedene Expektorantia und Narkotica wurden
teils ohne, teils mit nur geringem Erfolge genommen, nur häufige Gaben
von Morphium waren imstande, dem Kranken etwas Linderung zu ver¬
schaffen. Da Jodkalium schlecht vertragen wurde, machte ich einen
Versuch mit Jodival. Nach 14tägigem Gebrauch der Jodivaltabletten,
3mal täglich 1 Tablette, ließen die Anfälle sichtlich nach, sowohl in der
Häufigkeit, wie auch in der Stärke. Die Expektoration ging leichter
von statten. Patient verbrachte die Nächte wieder im Bett, nachdem er
früher tagelang nur im Lehnstuhl hatte sitzen können. Der Appetit
besserte sich, das Aussehen wurde frischer. Bis jetzt kein Rückfall.
6. Straßenbahnführer K., 38 Jahre alt, leidet an Kopfschmerzen
und zeitweise auf tretendem Schwindelgefühl. Hat vor 15 Jahren einen
Schanker gehabt, in den nächsten Jahren 2 mal Schmierkur durchgemacht.
Sonst immer gesund. Organbefund ohne Besonderheiten. Drüsen¬
schwellungen nirgends mehr vorhanden. Appetit und Verdauung gut.
Schlaf öfter gestört durch Kopfschmerzen.
Da ich die Beschwerden für spät luetische Erscheinungen ansprach,
machte ich einen Versuch mit Jodivaltabletten. Bereits nach 8 Tagen
ließen die Kopfschmerzen nach, nach weiteren 2 Wochen waren sie ganz
verschwunden. Schwindelgefühl war nicht wieder aufgetreten. Patient
fühlt sich seitdem dauernd wohl.
In allen Fällen, in denen Jodival von mir angewandt wurde, trat
eine Wirkung ein, wie man sie schneller und ausgiebiger auch mit
anderen Jodpräparaten wohl nicht erreicht hätte. Erwähnen möchte ich
noch die bei verschiedenen Kranken mit chronischer Bronchitis beob¬
achtete sedative Wirkung der Jodivaltabletten. Die Atmung wurde
ruhiger und ausgiebiger. Die Expektoration leichter, die Patienten selbst
fühlten sich ruhiger, infolgedessen wurde auch der Schlaf besser.
Was aber besonders hervorgehoben zu werden verdient, ist die
gute Verdaulichkeit und Verträglichkeit der Jodivaltabletten. Bei keinem
einzigen der von mir mit diesem Mittel behandelten Patienten traten
Erscheinungen von Jodismus auf, Akne, Schnupfen, Appetitlosigkeit oder
Magenbeschwerden, obwohl einige bereits vorher die Jodalkalien vergeb¬
lich genommen hatten. Ich kann die Angaben Wil j am owsk is 1 ) in
diesem Punkte nur bestätigen. Der Grund für diese gute Verträglich¬
keit liegt wohl in der langsameren und gleichmäßigeren Ausscheidung
des Präparats, welche Eigenschaft mich auch mit einer geringeren Dosis
die gleichen Wirkungen erzielen ließ, als wie mit größeren Dosen der
Jodalkalien. Nur bei einer Patientin, die den Geschmack der Tabletten
*) Praktitscheski Wratsch 1911, Nr. 5.
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Referate und Besprechungen.
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perhorreszierte und diese daher ungelöst nahm, kam es einige Male zu
Erbrechen und leichtem Druckgefühl im Magen. Jedoch ist in diesem
Falle eine andere Ursache nicht mit voller Sicherheit auszuschließen.
Bekanntlich geben fast alle Tabletten und ebenso Kapseln, die unzerkaut
geschluckt werden, bei empfindlichen Patienten Magendrücken etc., daher
werden die modernen Tabletten leicht zerfallbar hergestellt. Um den
etwas bitterlichen Geschmack der Jodivaltabletten ganz zu vermeiden
läßt man empfindliche Patienten die Tabletten trocken auf die Zunge
legen, dann auf der Zungenspitze in einem Schluck Wasser die Tabletten
zergehen und mit mehr Flüssigkeit hinunterspülen.
Auf Grund meiner Beobachtungen komme ich zu dem Schluß, daß
wir in dem Jodival ein Jodpräparat besitzen, welches in seiner prompt
einsetzenden Wirkung auf den Organismus den Jodalkalien völlig gleich¬
wertig, in der guten Verträglichkeit, im Ausbleiben toxischer Erschei¬
nungen, den Jodalkalien aber entschieden überlegen ist.
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
P. Philosophow, Über Veränderungen der Aorta bei Kaninchen unter
dem Einflüsse der Einführung von Quecksilber-, Blei- und Zinksalzen in
die Ohrvenen. (Virchow’s Archiv für path. Anat., Bd. 199, S. 238, 1910.)
Bei Versuchen an jungen Kaninchen erhielt Verf. nach wiederholten intra¬
venösen Injektionen von Kalomelol (einer ungiftigen Hg-Verbindung in
löslicher Form) (15 Versuche von 3—10tägiger Dauer), von Sublimat (4 Ver¬
suche von 3—21tägiger Dauer), von Hyrgol (1 Versuch), von Plumbum
aceticum (3 Versuche von 6—28tägigcr Dauer) und von Zincum aceticum
(3 Versuche von 9—21 tägiger Dauer) schon nach 3—4 Tagen unter dem Ein¬
flüsse der intravenösen Kalomelolinjektionen Schädigungen der Aortenwand
in Form von kleinen Nekrosen des Muskelgewebes der Media, die in allen
Schichten derselben zwischen den elastischen Lamellen verstreut waren,
sich hauptsächlich aber unmittelbar unter der Intima lokalisierten. Im
weiteren Verlaufe flössen die einzelnen nekrotischen Stellen zu mehr oder
minder bedeutenden langgestreckten Streifen zusammen. Durch den Blut¬
druck entstanden dann kleine Einsenkungen an der inneren Oberfläche der
Aorta mit erhabenen Rändern als erste makroskopische Veränderung. Lag
der Herd tiefer, so entsprachen den nekrotischen Stellen an der inneren Ober¬
fläche mit Unebenheiten bedeckte Plaques; bei sehr stark ausgeprägter
Nekrose von mehr diffusem Charakter erstreckten sich die Veränderungen
über die ganze Media. Die veränderten Stellen neigten sehr zur Verkalkung.
Ganz gleichartige Veränderungen fanden sich bei den Versuchen mit Sublimat.
Hyrgol und den anderen Salzen schwerer Metalle. Überall begann der Prozeß
in der Media mit dem Auftreten von kleinen nekrotischen Herden, im weiteren
Verlaufe bekam der Prozeß einen mehr diffusen Charakter und führte zur
Bildung von Aneurysmen; oder er behielt den herdartigen Charakter und
führte zur Entstehung von verkalkten Herden, die vom übrigen Gewebe
scharf abgegrenzt waren und in denen sich Kuorpclzellen bildeten. Diese
herdartigen Veränderungen unterschieden sich durchaus nicht von den herd-
artigen Affektionen der Media, die nach Injektionen von Adrenalin, Adonidin
und verwandten Präparaten in der Kaninchenaorta beobachtet worden sind.
Daraus, daß auch nach Injektionen von Diphtherietoxin bei Kaninchen ganz
analoge Veränderungen auftreten, schließt der Verfasser, daß das Studium
der Adrenalin- und verwandten Erkrankungen beim Kaninchen von ganz
gewaltiger Bedeutung nicht nur für das Studium der senilen Verkalkungen
der Gefäße, sondern auch für deren Affektionen bei Infektionskrankheiten
ist. Er schließt weiter daraus, daß er durch Substanzen, die mit einer
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Referate und Besprechungen.
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Steigerung des Blutdruckes nichts zu tun haben, ebenso starke Veränderungen
dier Aorta mit ebenso großer Neigung zur Verkalkung erhielt wie durch
Adrenalin, daß die Theorie, welche die Adrenalinveränderungen als Folge
der häufigen Blutdrucksteigerungen ansieht, unrichtig ist. Er glaubt, daß
ein unmittelbarer Einfluß der Gifte auf die glatte Muskulatur und das
elastische Gewebe des Gefäßes stattfindet, daß hier eine gewisse elektive
Wirkung besteht, derjenigen ähnlich, die die Toxine der Infektionskrank¬
heiten mit besonderer Intensität auf das Herz und die Nieren des erkrankten
Organismus ausüben. W. Risel (Zwickau).
Innere Medizin.
D. G. Isserson, Vergleichende Bewertung der einzelnen Methoden zur
Bestimmung der motorischen Tätigkeit des Magens. (Russki Wratsch, Nr. 46,
1910.) Issersohn untersuchte die einzelnen Methoden zur Prüfung der
motorischen Eigenschaften des Magens auf ihre diagnostische Bedeutung
und ist zu folgenden Ergebnissen gelangt. Salol, Jodipin und Jodoform sind
als Indikatoren für die motorische Tätigkeit des Magens am wenigsten genau
und diagnostisch durchaus nicht verwendbar. Zum Nachweis grober Stö¬
rungen in der Motilität des Magens infolge Pylorusstenose bedient man sich
am zuverlässigsten der Probeabendmahlzeit nach Boas-Strauß. Ein¬
fach, für klinische Zwecke zuverlässig und für die Prüfung der motorischen
Kraft des Magens verwertbar ist die Elsner'sche Methode. Die Son¬
dierung des Magens 7 Stunden nach der L e u b e - R i e g e l’schen Mittags¬
mahlzeit oder 2 Stunden nach dem Probefrühstück von Ewald-Boas
läßt den Grad der Motilitätsstörung erkennen. Die Methode nach Schläpfer
ist ungenau und zu subjektiv und bei Anwesenheit von Galle oder Blut im
Magen unbrauchbar. Ebensowenig ist nach Verf. die Ein ho rn’sche Methode
in der Praxis zu verwenden. Bei jedem Verdacht auf Hypersekretion oder
gestörte Motilität sollte der Magenuntersuchung nach dem Probefrühstück
die Sondenuntersuchung früh nüchtern vorausgehen. Die motorische Tätig¬
keit des Magens verdient ebensoviel Beachtung wie die sekretorische.
Schieß (Marienbad).
R. v. Fellenberg (Bern), Knieellenbogenlage bei Ptosis gewisser Bauch¬
organe. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 7, 1911.) Es wird
angenommen, daß der postoperative Ileus zuweilen dadurch zustande kommt,
daß die nach dem kleinen Becken zu gesunkenen Dünndarmschlingen die
Radix mesenterii spannen und dadurch das Duodenum an der Stelle, wo
es unter der Radix mesenterii durchtritt, komprimieren und verschließen
(„arteriomesenterialer Magen Verschluß“). In diesen Fällen erfolgt rasche
Erleichterung durch Knieellenbogenlage, welche die Passage im Duodenum
wieder herstellt.
Diese Erfahrung machte sich v. F. bei einer Kranken zunutze, die
2 Stunden nach der Mahlzeit regelmäßig Schmerzen in der Magengegend
mit Übelkeit und zuweilen Erbrechen bekam (typisches Magengeschwür,
hört man die Anhänger der pathognomonischen Zeichen sagen). Er ließ
hei dem Auftreten dieser Symptome Knieellenbogenlage für einige Minuten
einnehmen, worauf unter Gurren sich der Widerstand und Schmerz löste.
Auch prophylaktisch bewährte sieh das Verfahren, v. F. ist der Ansicht,
daß die nach unten und der Mittellinie dislozierte Niere die Symptome
hervorrief, diese Dislokation dürfte .aber eher ein Indikator allgemeiner
Enteroptose als an sich wichtig gewesen sein.
v. F. ist nun der beachtenswerten Ansicht, daß die Knieellenbogenlage
auch bei anderen Lageverschiebungen der Eingeweide sich mit Vorteil ver¬
wenden ließe: Magensenkung, mechanischem Ileus, Hydronephrose, ja, daß
sie vielleicht sogar bei Gallenstcinkoliken den Durchtritt des Steins er¬
leichtern könne. Vielleicht könnte sie sich auch bei in Entwicklung be¬
griffenen Magen- und Duodenalgeschwüren durch zeitweilige Aufhebung
der Blutzirkulationsstörung, die doch sicherlich an der Nekrose beteiligt
ist, nützlich erweisen. Fr. von den Velden.
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711
N. J. Polubojarinow (Petersburg), Über die Bedeutung des Pankreas
für den Purinstoffwechsel. (Russin Wratsch, Nr. 51, 1910.) Bei gesunden
Hunden steigert das nukleinsaure Natrium die Diurese und in den meisten
Fällen auch die Stickstoffausscheidung, ohne auf die Ausscheidung der
Körper der Harnsäurereihe einen Einfluß auszuüben. Bei der Pankreas
beraubten Hunden ist die Ausscheidung der Purinkörper durch den Harn
vermehrt, was mit dem Zerfall der Nukleinbestandteilc der Gewebe bei der
allmählich fortschreitenden Abmagerung der Tiere wahrscheinlich im Zu¬
sammenhang steht. Bei operierten Hunden äußerte sich die Wirkung des
nukleinsauren Natriums in anderer Weise: die Ausscheidung der Purinkörper
durch den Harn war vermehrt, die Harnmenge blieb unverändert, während
der Gesamtstickstoffgehalt des Harns bedeutend geringer werde. Somit übt
das Pankreas keinen wesentlichen Einfluß auf den Purinstoffwechsel aus.
Schieß (Marienbad).
Hayo Bruns, Über Ankylostomiasis. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 9,
1911.) Br. gibt eine kurze zusammenfassende Übersicht über die Ankylosto-
miasis. Es gibt zwei Arten: das Ankylostoma duodenale und ajnericanum.
Letzteres ist in Deutschland noch nicht mit Sicherheit beobachtet worden. Der
Parasit lebt nur im Darm des Menschen. Während die sogen, jungen Larven
für den Menschen nicht infektionsfähig sind, können die eingekapselten
Larven zu neuen Infektionen führen. Man unterscheidet zwei Infektions -
möglichkeiten, entweder durch den Mund oder durch die unverletzte Haut.
Gerade letzterer früher als unwahrscheinlich erachtete Modus hat große Be¬
deutung, kommen doch die Grubenarbeiter mit ihren entblößten Körpern in
innige Berührung mit dem Schmutz und Schlamm der Grubenbaue. Da die
Larven eine große Widerstandsfähigkeit gegen alle chemischen Schädlich¬
keiten besitzen, ist man von einer Desinfektion der Grubenbaue zurückge¬
kommen und sieht als wichtigsten Punkt, der Bekämpfung der Ankylosto-
miasis die möglichst frühzeitige Erkennung der Wurmbehafteten an. Die
sicherste Methode ist wohl der mikroskopische Nachweis der Ankylostomaeier
in den Fäzes.
Bei Massenuntersuchungen hat sie aber sicherlich Nachteile, insbe¬
sondere wenn die Eier nur in spärlicher Anzahl in den Fäzes vorhanden sind
und wenn man bedenkt, daß es sich um die Kontrolle von 350000 Bergleuten
handelt. Es sind daher noch andere Methoden a-ngegeben worden, so die
von Tclemann, die darin besteht, daß die Fäzes durch Zusatz von Äther
und Salzsäure einen Homogenisierungsprozeß unterworfen und dann zentri¬
fugiert werden. Dadurch wird das Auffinden der Eier wesentlich erleichtert.
Um das Auftreten von Larven direkt zur Diagnose verwerten zu können, hat
man nach Loos die gesamten Fäzes mit Tierkohle verrieben und das Ge¬
misch in den Brutschrank gestellt. Nach 5—6 Tagen kann man die ent¬
standenen Larven mit Wasser Ausziehen und im Zentrifugat leicht nach*
weisen. Unter 9849 Untersuchungen wurden 598 mal durch das Mikroskop
1550mal durch das eben genannte Kulturverfahren Wurmträger festgestellt.
Was die einzelnen Verfahren anbetrifft, so hält Bruns das mikrosko¬
pische für das einfachste, aber von geringer Empfindlichkeit, das kulturelle
für das empfindlichere aber umständlichere, das Telemann'sche Zentri-
fugatverfahren steht etwa in der Mitte.
Was nun die Resultate anbelangt, die durch die bisherigen Verfahren
erzielt worden sind, so ist seit dem Jahre 1903, wo auf 115 Zechen mehr
als 14000 Wurmbehaftete vorhanden waren, eine Abnahme der Zahl bis zum
Jahre 1909 von fast 95% erzielt worden. Es kann jetzt angenommen werden,
daß in den rheinisch-westfälischen Kohlengruben die Krankheit nahezu er¬
loschen ist.
Was die Therapie anbetrifft, so ist das Farnkrautextrakt wohl das
sicherste Mittel, das in einer zweimaligen Dosis zu 10 g an zwei hinterein-
anderfolgenden Tagen gegeben wird. Absolut sicher wirkt es nicht, man
schätzt die Zahl der Erfolge einer einmaligen Kur auf 60—75%. Die Kur
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Referate und Besprechungen.
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muß wiederholt werden und führt dann meist zum Ziele. Nicht unerwähnt
darf bleiben, daß das Mittel nicht unschädlich ist. Unter ungefähr 40000
damit Behandelten sind 5 Erblindungen vorgekommen. F. Walther.
Chirurgie.
V. Thyrode (Boston), Indications from a medical standpoint for opera¬
tives procedures in the presence of chronic gastric Symptoms. (Boston ined.
a. surg. journ., Nr. 14, 1911.) Verf. gibt seinen Untersuchungen folgende
interessante übersichtliche Schmerztabelle bei:
Lokation
1 Duodenal¬
geschwür
|
Epigas tri um
etwas nach rechts
Magengeschwür
Epigastrium
Gallenstein¬
erkrankungen
(gastr. Symptome)
Unter den Rippen
rechts und
Epigastrium
Chronische
A ppendizitis
i'gastr. Symptome)
Epigastrium
u. häufig rechtes
Hypochondrium
Radiation |
Rechte Seite
Linke Seite
1 Brustkorb rechts
und Rücken
Im untern
Abdomen
Zeit
2—3 Stunden
nach der Mahlzeit
Unmittelbar bis
zu 2 Stunden
nach dem Essen
Zu irgend einer
Zeit, aller oft un¬
mittelbar nach
dem Essen
Zu irgend
einer Zeit
Sensative
Bezirke
Manchmal tief im
Epigastrium, aber
nicht konstant.
Rechte Sub-
skapulargegend
oberflächlich
Meist immer aus¬
gesprochen am
Sitz des
Geschwürs,
lokalisiert
Bei ungeschick¬
tem Zugreifen in
gekrümmter Hal¬
tung kann unter
dem rechten unte¬
ren Rippenrand
neben den Schmer¬
zen ein spasmodi¬
scher Atemstill¬
stand in Inspira¬
tion stattflnden
Über Mc Burney’s
Punkt; manchmal
diffuse Empfind¬
lichkeit im Epi¬
gastrium
Einfluß
der
Nahrung
Besserung beson¬
ders bei Fett¬
nahrung: Milch,
Rahm, Oel u. auch
bei Alkalien
Bei Sitz im Fundus
gewöhnlich Ver¬
schlimmerung, ev.
Erleichterung
wenn Sitz am
Pylorus
V erschlimmerting,
häufig Nausea
Für gewöhnlich
keine
Erleichterung.
Verf. faßt seine Indikationen dahin zusammen: 1. unmittelbare Opera¬
tion und Zurückwemen jeder inneren Behandlung nach einer Probediät, wenn
beträchtliche Schmerzen und innerhalb von 2 Wochen keine ausgesprochene
Besserung. 2. Operation empfohlen und nur bedingungsweise Behandlung,
das Risiko betonend, bei Fällen, die gebessert, aber nicht gänzlich geheilt,
durch Diät in wenigen Wochen, die noch Schmerzen und eine lokale Empfind¬
lichkeit in irgendeinem oberen Quadranten und an McBurney s Punkt zeigen.
3. Operation kommt nicht iäi Frage in Fällen, wo der erste Anfall rapid und
vollständig geheilt wurde durch Diät in 2 Wochen, oder in Fällen, wo kon¬
stitutionelle Krankheiten eine Kontraindikation für chirurgische Eingriffe
bilden. Demonstration an 16 Fällen. v. Schnizer (Höxter).
Eichmeyer (Halberstadt). Beiträge zur Chirurgie der Choledochus und
Hepaticus einschließlich der Anastomosen zwischen Gallensystem und Inte-
stinitis. (Arch. für klin. Chir., Bd. 94, H. 1. 1911.) Verf. teilt an dem
außerordentlich großen Material der Kehr'schen Klinik die Erfahrungen der
operativen Eingriffe bei 316 Operationen am Gallensystem mit; hiervon be¬
trafen 134 Eingriffe den Choledochus resp. Hepaticus. Es ist bei der reich¬
haltigen und ausführlichen Arbeit nur möglich, kurze Angaben zu machen
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Referate und Besprechungen.
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und müssen mehrere Einzelheiten zwecks Orientierung im Original nach
gelesen werden. Die Mortalität bei den unkomplizierten Fällen betrug 9,4%,
wobei auf die Operationen .am Choledochus und Hep&ticus 3,8%, auf die Ana-
stomosen zwischen Gallensvstem und Intestinis 0% entfallen. Nach Dar¬
legung der Symptome der klinischen Bilder bespricht Verf. die pathologisch-
anatomischen Veränderungen am Gallensystem, und ich will nur die sog.
Steingeschwülste hervor heben, die sehr leicht den Eindruck eines ausgedehnten
Karzinoms erwecken können; solche Steingeschwülste entstehen durch Kalk-
ablagerung in der verdickten Wand. Steinrezidive wurden in 13 Fällen
beobachtet, manchmal auftretende Koliken brauchen nicht Steinrezidive zu
sein, sondern sind durch Verwachsungen oder Abknickung des Choledochus
und Hepaticus bedingt. Sehr lehrreich und instruktiv wird alsdann die
Operationstechnik besprochen. Iin allgemeinen gilt bei Cholelithiasis die
Zystektomie mit Dränage der tieferen Gallengänge als Normalverfahren.
Auch hier verweise ich bezüglich Einzelheiten auf die Originalarbeit und
frühere Veröffentlichungen von Kehr selbst und seinen Schülern. Um
schweren Verletzungen der großen Gallengänge zu begegnen, sollte bei der
Ektomie stets die Art. cystica upd Ductus cysticus sorgfältig isoliert wer¬
den; nur totale Exstirpation des Cysticus bewahrt vor Steinrezidiven. Bezüg¬
lich der Anastomose zwischen Gallengängen und Intestinis nimmt Kehr
sehr gern den Magen im Gegensatz zu Kocher, der dieses Verfahren als das
ungeeignetste hält. Als Nahtmaterial wird bei versenkten Nähten Katgut,
bei Anastomose dünnste Seide gebraucht. Zur Prophylaxe einer cholämischen
Nachblutung wird fünf Tage vor der Operation Calc. chlorat. puriss. 1,5 per
os oder 3,0 in Klysma dreimal täglich gegeben. In der Nachbehandlung ist
eine Magenblutung mit Erfolg durch Magenspülung zu behandeln. Dränage¬
röhren und Tamponade werden meistens nach 14 Tagen entfernt, auch läßt
Kehr nach dieser Zeit seine Patienten aufstehen. Vorschütz.
H. Michaelis (Königsberg), Prodromalerscheinungen der puerperalen
und postoperativen Thrombose und Embolie. (Münchn. med. Wochenschr.,
S. 27, 1911.) Nachdem die. Gültigkeit des M a h 1 e r’schen Zeichens von den
neueren Autoren allgemein bezweifelt w r orden ist, sucht M. an der Hand von
8 Krankengeschichten ein anderes Prodromalsymptom für puerperale und
postoperative Thrombosen festzulegen. Er sieht dies in dem Auftreten von
subfebrilen Temperaturen, ca. 37,6—37,9 in axilla. Natürlich ist zur Fest¬
stellung dieses Symptoms eine exakte und häufige Temperaturmessung nötig
(M. verlangt viermalige Messung). Ref. sieht gerade in dem Hinweis auf
exakte Temperaturbestimmung den Hauptwert der Arbeit. Das Auftreten
subfebriler Temperaturen beim Einsetzen thrombotischer Prozesse ist w r ohl
schon häufiger betont worden. Frankenstein (Köln).
Rokitzky, (Petersburg), Über partielle und zirkuläre Darmplastik aus
der Haut. (Arch. für klin. Chir., Bd. 94, HJ. 1, 191 li) Verf. will an der
Hand einiger von ihm operierter Fälle die alte Nelaton-Jeannet’sche Methode
zum Verschluß von Darmfisteln wieder zur Geltung bringen. Die Methode
besteht darin, daß die aus der Nachbarschaft der Fistel herauspräparierte
Haut von rechts und links übler die Fistel gestützt und sorgfältig vernäht
wird. Bei einem Knaben, dem wegen Invagination ein Teil des Dick- und
Dünndarmes reseziert war, wurde folgende Operation mit gutem Resultate
ausgeführt. Die beiden Öffnungen des Dünn- und Dickdarmes in der Haut
fielen in einen großen, beide Öffnungen in sich fassenden ovalen Hautschnitt.
Nun wurden von rechts und links die Hautränder umgeschlagen und durch
exakte Naht vereinigt; alsdann wurden durch Längsspaltung der Faszie der
Musculi recti letztere über der vorigen Naht mit ihren seitlichen Rändern
vernäht und hierüber die vorher durchgeschnittenen Faszienränder vereinigt;
die Hautnaht bildete den Schluß; vor dieser plastischen Operation war eine
Enteroanastomose von einem seitlichen Schnitt aus gemacht worden. Das
Resultat war ein gutes; auch aus der Klinik Prof. Biondi’s in Siena sind
sechs solcher Fälle mit gutem Resultat veröffentlicht werden. Vorsehütz.
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J. Stumpf (VVürzburg), Der Bolusverband, ein neuer steriler Wund¬
verband. (Mtinchn. med. Wochenschr., Nr. 11, 1911.) Verfasser tritt neuer¬
dings für die wiederholt von ihm. befürwortete Bolustherapie ein, nachdem
es gelungen ist, ein für äußere Anwendung geeignetes, den Forderungen der
Sterilität genügendes Bolusverbandmaterial (Bolusverbandschläuche und
Boluskornpressen von E. Merck, Darmstadt) herzustellen.
Die Bolusbehandlung ist besonders bei Quetsch-, Biß- und Schürf¬
wunden angezeigt, selbst wenn die Wunden schon infiziert und zu Aus¬
gangspunkten phlegmonöser Prozesse geworden sind. So konnte ein schwerer,
komplizierter Unterschenkelbruch mit erheblichen Weichteilzertrümmerungen
bei völliger Absprengung eines 4 cm langen Stückes der Tibia durch Bolus*
anwendung so vorzüglich gestaltet werden, daß gar keine Temperatur¬
erhöhung beobachtet wurde, und schon nach 8 Tagen zur Immobilisierung
im Gipsverbande geschritten werden konnte. Bei Transplantationen fiel zu¬
nächst auf, daß auch die Bänder großer übertragener Hautteile in toto
erhalten wurden und schon in ungewöhnlich kurzer Zeit völlig fest waren.
Allerdings ist zur Erzielung günstiger Besultate ein häufiger Verband¬
wechsel unerläßlich. Zum Schlüsse betont Stumpf die absolute und un¬
eingeschränkte Unschädlichkeit der Bolustherapie bei jedem Grade und bei
jeder Dauer der Anwendung. B.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Simon (Frankfurt a. M.), Zur Influenzameningitis. (Monatschr. für
Kinderheilk., Bd. 9, Nr. 10.) Eine nicht seltene Begleiterscheinung der In¬
fluenza bildet eine entweder durch Influenzabazillen oder durch Erreger
anderer Art bedingte Zerebrospinalmeningitis.
Simon gibt die Krankengeschichten von 2 an Influenzameningitis
gestorbenen Säuglingen im Alter von 7 und 8 Monaten.
Die bakteriologische Untersuchung der Lumbalflüssigkeit, sowie der
Lunge, des Ohr- und Pleuraeiters ergab ein sehr kleines grainnegatives Stäb¬
chen in Beinkultur mit allen für den Influenzabazillus charakteristischen
Eigenschaften.
Beim ersten Kind nimmt Verfasser an, daß die Infektion der Hirnhäute
vom primären Herd in der Lunge, vielleicht auch vom Ohr atisgegangen ist,
bei dem zweiten Fall dürfte die Infektion der Meningen von der Gelenk-
eiterung ihren Ausgang genommen haben.
Simon stellt dann die Literatur sämtlicher einwandfreier Fälle von
Influenzameningitis zusammen. Er findet 41 Fälle, davon betrafen 27 das
erste, G das zweite Lebensjahr. Gestorben sind im ganzen 37 (90%)» in den
beiden ersten Jahren 31 (91%) im ersten Lebensjahr 26 (96%).
A. W. Bruck.
F. D. Rumjanzew, Über die allgemeine Serumbehandlung des Scharlach
und über die spezielle nach Moser. (Praktitschesky Wratsch, Nr. 31—35,
1910.) In dem städtischen Kinderkrankenhause zu Petersburg wurde die
Serumtherapie in 194 Fällen von Scharlach angewendet. Von diesen Fällen
waren mittelschwer 49, schwer 81 und sehr schwer 69. Von sämtlichen für
die Behandlung des Scharlachs empfohlenen Seren weist das nach Moser
hergestellte den grüßten Effelct auf, obwohl auch das polyvalente eine ge¬
wisse Heilwirkung besitzt. Die Wirkung des Serums äußert sich am auf¬
fälligsten in der Herabsetzung der Temperatur und Besserung des Allgemein¬
befindens und dementsprechend in einem leichteren Verlauf der weiteren
Krankheitsperiode. Die Serumkrankhe.it bildet zwar einen gewissen Nach¬
teil. hat jedoch auf den Verlauf des Scharlach keinen Einfluß. Am zweck¬
mäßigsten wird das Serum in den ersten Tagen injiziert, ohne daß eine be¬
deutende Verschlimmerung der Krankheit abgewartet wird. Da die ver¬
schiedenen Seren eine ungleiche Aktivität besitzen, wäre es wünschenswert,
daß die bakteriologischen Institute - so lange nicht andere Methoden der
\\ ertbemessung ausgearbeitet sind , das Serum (vor seiner Freigabe) in
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den örtlichen Kinderkrankenhäusern einer Prüfung auf seine Wirksamkeit
unterziehen. Der günstige therapeutische Effekt des M o s e r‘scheu Serums
darf jedoch nicht diejenigen Maßnahmen in den Hintergrund drängen, die
geeignet sind auf prophylaktischem Wege die Morbidität und Mortalität an
Scharlach herabzusetzen. Es kommt vorwiegend in Betracht die materielle
und hygienische Assanierung der niedersten Volksklassen, die den größten
Prozentsatz der Scharlacherkrankungen liefern. J. Lechtman.
Goworow, Zur Frage der viszeralen Syphilis bei Kindern. (Medi¬
zinskoje Obosrenje, Bd. ;73, 1910.) Die Syphilis ist im kindlichen Alter
meist hereditär. Die viszerale Syphilis der Kinder ist keine häufige Er¬
scheinung; dieselbe bietet oft ein diagnostisch unklares Bild, so daß ein
jeder Fall genau analysiert werden muß hinsichtlich der Symptomatologie
aller Erkrankungen derselben Art. Die meisten hereditär-syphilitischen
Kinder haben ein hellgraues, (erdfarbenes Aussehen. Das syphilitische Granu¬
lom bei den Kindern gibt ein anderes Bild als dasjenige bei Erwachsenen.
Veränderungen im Endothel, wie in der Adventitia der Gefäße, sind bei
Kindern, selbst im gummösen Stadium selten. Verf. beobachtete 5 Fälle
viszeraler Syphilis bei Kindern im Alter von 6—13 Jahren: 2 Fälle von
Lebergummen, 2 Fälle von Amyloidleber und 1 Fall parenchymatöser Nephri¬
tis und Gumma der Schläfengegend mit Übergang auf das Gehirn.
J. Lechtman.
E. Weide (Dresden), Ein Fall von Erythrodermia desquamativa.
(Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 8.) Weide beschreibt einen Fall
von Erythrodermia aus dem Dresdner Säuglingsheim, der sich an die von
Leiner zuerst beobachteten Hauterkrankungen anschließt, und der eine
eigenartige universelle Dermatose der Brustkinder darstellt, die eine Sonder¬
stellung gegenüber der Dermatitis exfoliativa Ritter einnimmt.
A. W. Bruck.
Herbst (Rummelsburg), Leukämie mit Schädeltumoren bei einem ein-
iährigen Kinde. (Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 8.) Der Sym-
ptomenkomplex des in dieser Abhandlung beschriebenen Krankheitsbildes
entspricht, wie Herbst selbst angibt, ganz dem des typischen Chloroms,
nur fehlte bei der Sektion die Grundfärbung der Tumoren. Es handelte
sich um einen jungen Säugling, der anfangs nur durch seine Blässe und sein
schlechtes Gedeihen selbst an der Brust auf fiel. Ein Grund zur Blut-
untersuehung war nicht da. Im 12. Lebensmonat bekam das Kind ein
heftiges grippöses Fieber mit eitrigem Nasenrachenkatairh. Im weiteren
Verlaufe stellen sich Schwellungen im Gesicht, an den Extremitäten ein;
die im Gesichte wachsen. Unter zunehmender Schwäche und Blässe tritt der
Tod ein (nach 4 Wochen).
Die klinische Diagnose wurde mit der typischen Lokalisation der An¬
schwellungen an den Schädel und Gesichtsknochen, sowie durch den leukä¬
mischen Blutbefund sichergestellt.
Taubheit und Blindheit, die sonst beschrieben sind, waren bei dein
Kinde nicht vorhanden. Es bestand nur einige Tage leichtes Fieber; Appetit
und Stuhl waren gut bis zum Tode.
Über die Ursache der Erkrankung, die während der Grippe manifest
wurde, wdssen wir nichts.
Therapeutisch wurde bei dem jungen, dürftigen Kinde, da nichts zu
erwarten schien, nichts vorgenommen, auch auf Röntgenstrahlen verzichtet.
Das Blutbild war wegen des Vorherrschene einkerniger, ungranuliertcr
Elemente durchaus lymphatisch.
Herbst weist darauf hin, bei verdächtigen Anschwellungen im Ge¬
sicht oder am Schädel an diese bösartige Krankheit zu denken und das Blut
wiederholt zu untersuchen, „denn in einem frühen Stadium der Erkrankung
braucht dieses noch nicht leukämisch verändert zu sein“. A. W. Bruck.
Iwan Wickmann (Stockholm), Über größere Serumdosen bei Diphtherie.
(Monatsschr. für Kinderheilk., Bd. 9, H. 8.) Wickmann teilt seine Er*
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fahrungen über ein großes Material klinisch beobachteter Fälle mit. Aus
seinem reichen Material geht hervor, daß er 52 mit 5—10000 IE., 18 mit
12—35000 IE. injizierte.
Die 18 mit größeren Dosen behandelten Fälle waren die vom klini¬
schen Standpunkt schwersten. Von diesen 18 starben 4 und zwar 3 im
akuten Stadium. Bei 2 von den Verstorbenen, die am 4., bezw. 7. Krank¬
heitstage aufgenommen wurden, bestand offenbar schon bei der Aufnahme
Blutdrucksenkung, der 3. wurde am 3. Krankheitstage aufgenommen. Auch
bei ihm entwickelte sich bald die Druckerniedrigung. Bei diesen war also
nach den Untersuchungen von Fritz Meyer auch bei größeren Dosen
keine Rettung mehr zu erhoffen. Die Überlebenden hatten durchschnittlich
12000—35000 IE. erhalten.
Von Nebenwirkungen war sehr wenig zu sehen. In 3 Fällen zeigte
sich eine spärliche, bald verschwindende Urtikaria.
Wickm ann ist der Ansicht, daß die größeren Dosen einem Teil,
unter anderer Behandlung wahrscheinlich tödlicher Fälle, über das akute
Stadium hinweg helfen, und daß der weitere Verlauf sich günstiger als mit
kleineren Dosen gestaltet. A. W. Bruck.
J. Bauer (Düsseldorf), Die Scharlachthyreoiditis. (Monatsschr. für
Kinderheilk., Bd. 9, H. 10.) Bauer berichtet über drei Fälle von Scharlach -
thyreoiditis, die sich im Verlaufe von sehr milden, fast komplikationslosen
Scharlacherkrankungen einstellten. Für die entzündliche Natur sprach nach
Meinung- des Verfassers der Umstand, „daß wenigstens in zwei Fällen die
Schwellung konstant blieb, was natürlich bei einer einfachen Hyperämie
ausgeschlossen wäre“. —
Bauer rät, diesen Schilddrüsenerkrankungen größere Aufmerksamkeit
zu schenken, da basedowoide Erkrankungen sich dann möglicherweise auf
eine entzündliche Thyreoidenanschwellung zurückführen lassen.
A. W. Bruck.
W. Wernstedt (Stockholm), Über Pertussis (beziehungsweise pertussis-
ähnlichen Husten) und spasmophile Diathese. (Monatschr. für Kinderheilk.,
Bd. 9, H. 7.) Das häufige Auftreten von Konvulsionen bei keuchhusten-
kranken Kindern, die jn dem Al|ter stehen, das zu spasmophiler Diathese
disponiert, ferner die Ähnlichkeit des Spasmus glottidis mit der sog. Reprise
des Keuchhustens, lassen einen Zusammenhang zwischen Keuchhusten und
spasmophiler Diathese denken. Wernstedt prüfte, von dieser Überlegung
ausgehend, die galvanische Nervenerregbarkeit der hustenden Kinder. Aus
der Untersuchung ging hervor, daß ein typischer Zusammenhang zwischen
der Intensität des Hustens und dem Maß der galvanischen Nervenerregbar¬
keit existierte. Die ausgeprägtesten Pertussisfälle reagierten auch für die
schwächsten Ströme bei Anodenöffnung und Kathodenöffnungszuckung.
A. W. Bru,bk.
Ohrenheilkunde.
Zange (Straßburg), Chronische progressive Schwerhörigkeit und Wasser-
mann’sche Seroreaktion. (Zeitschr. für Ohrenheilk., Bd. 62., H. 1. 1910.)
Zange hat bei 70 Kranken mit progressiver Schwerhörigkeit, für die sieh
keine sichere Ursache feststellen ließ, die Wassermann’sche Seroreaktion
angestellt. Bei 41 Untersuchten handelte es sich um reine labyrinthäre
Schwerhörigkeit, bei 29 um Steigbügelankylose oder um „Mischformen“.
Von den 41 labyrinthär Schwerhörigen zeigten 33 völlig negative Reak¬
tion. Unter 8 Kranken mit Stapesankylose fand sich keiner mit positivem
Wassermann, obwohl einer zweifellos ein syphilitisches Individuum war;
frühere Quecksilberkuren dürften hier zu dem negativen Ausfall geführt,
haben. Bei den 21 Schwerhörigen, deren Leiden klinisch als „Mischform“
aufzufassen war, fiel die SeroreaMion nur in einem Falle positiv aus: hier
waren andere Anhaltspunkte für erbliche Lues vorhauden, und die Sero-
reaktion lieferte nur eine Bestätigung dieser Diagnose.
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Referate und Besprechungen. 717
Einen direkten Beweis für die syphilitische Natur des Ohrenleidens
vermag die Wassermann’sche Reaktion in keinem Falle zu liefern. Sie be¬
sagt bei positivem Ausfall nur, daß der betreffende Schwerhörige auch
syphilitisch ist. Sie kann aber im Verein mit anderen klinischen Zeichen,
die auf einen Zusammenhang der Schwerhörigkeit mit Lues hinweisen, eine
wertvolle Bestärkung unserer Vermutung bieten.
Wenn von anderer Seite auf Grund des Ausfalles der Wassermann’schen
Reaktion angenommen wurde, daß die Syphilis für labyrinthäre (nervöse)
Schwerhörigkeit und sogenannte Otosklerose ätiologisch eine erheblich
größere Rolle spiele, als man bisher geglaubt habe, so tritt dem Zange
bestimmt entgegen. „Man wird nur unter derartig Schwerhörigen gelegent¬
lich mit Hilfe der Wassermann’schen Reaktion ein syphilitisches Individuum
mehr entdecken als seither.“ Richard Müller (Berlin.).
H. Frey (Wien), Zum Mechanismus der Gehörknöchelchenkette. (Arch.
internat. de laryng., Bd. 31, ,H. 1.) Vergleichend-anatomische Untersuchungen
haben ergeben, daß die Verbindung zwischen Hammer und Ambos eine ganz
verschiedenartige ist. Manchmal ist es eine knöcherne, manchmal eine fibröse
Ankylose, bei anderen Arten eine losere bindegewebige Verbindung. Niemals
aber kommt ein echtes Gelenk vor; zwischen den Knorpelflächen existiert
kein freier Gelenkraum und auch kein Meniskus, wie er beschrieben wurde.
Wenn nun bei nah verwandten Arten sehr verschiedene anatomische
Verhältnisse sich finden, so kann man doch nicht annehmen, daß ihnen auch
verschiedene Mechanismen der Tonübertragung entsprechen. Es kann also
von einer Gelenkfunktion keine Rede sein, vielmehr — so nimmt Frey an —
funktionieren die Hörknöchelchen als eine starre Masse. Er weist auch die
Theorie Helmhotz’ zurück, welcher das Hammer-Ambos-Gelenk mit
der Sperrvorrichtung des Uhrschlüssels vergleicht (so daß bei der Einwärts -
bewegung der Sperrzahn des Hammers den des Ambos mitnähme, während
er ihn bei der Auswärtsbewegung losließe). Wenn in diesem angenommenen
Mechanismus ein Schutz (des Labyrinths gegen brüske Luftverdichtungen
in der Pauke gesehen wird, so erklärt F., daß ja noch genügend andere Vor¬
richtungen existieren, welche diesen Schutz sicherstellen. — Den Hauptteil
der Helmholtz’schen Theorie, wonach Schwingungen der Knöchelchen
als Ganzes, und nicht etwa ihrer Moleküle, den Schall übertragen, kann
F. nur bestätigen, er leugnet nur eine Bewegung der einzelnen Knöchelchen gegen
einander. Arth. Meyer (Berlin).
Botella (Madrid), Über Bezold’sche Mastoiditis. (Arch. internat. de
laryng., Bd. XXXI, H. I 1 .) Verf. hat 13 Fälle dieser Affektion beobachtet,
deren Begriff er freilich etwas wteiter fiadßt, als es gewöhnlich geschieht.
Während im allgemeinen nur [Durchbrüche an der Innenwand der Mastoid-
spitzc hierher 'gerechnet werden, faßt er alle die Fälle zusammen, in denen
der Abszeß an der Warzenfortsatzspitze überhaupt durchbricht, und bei
denen sich Abszedierung zwischen den Muskelinsertionen entwickelt. Dies
kann sowohl bei akuten als chronischen .Eiterungen geschehen. Auf den
Ort des Durchbruchs kann man schon aus der Lokalisation der Schwellung
Schlüsse ziehen. Zür Diagnose wird das L u c’sche Zeichen vielfach für
pathognomonisch gehalten: Bei Druck auf den Abszeß entleert sich Eiter
durch den Gehörgang; bei positivem Ausfall ist es auch von großem Wert,
jedoch beweist der negative nichts. Fazialislähmung bei B e z o 1 d’scheü
Mastoiditis ist ein sehr ernstes Symptom und erheischt sofortigen Eingriff.
Arth. Meyer (Berlin).
Menier, Beethoven’s Ohrenleiden. (Arch. internat. de laryng., Bd.
XXXI, H. 1.) Schon mit 27 Jahren wurde Beethoven von dem tückischen
Leiden befallen, das allmählich wachsend sein Leben vergiftete, ihn in
seinem Schaffen behinderte und durch nie ruhende subjektive Geräusche ihn
auch die Stunden der Muße nicht genießen ließ. Am 29. Juni 1801 (nicht,
wie Verf. schreibt, 1800) berichtete er zum erstenmal darüber an seinen
Freund Wegeier und schrieb, wie insbesondere das Gehör für hohe Töne
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Referate und Besprechungen.
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gelitten habe. Bei der Sektion fand sich eine Atrophie beider N. acustici.
Aus diesen Tatsachen läßt, sich mit, Sicherheit die Diagnose auf eine Er¬
krankung des Hörnervenapparats stellen; es ist unverständlich, wie M. von
Sklerose — einer Krankheit des schal leitenden Apparats, bei der gerade die
tiefen Töne zuerst leiden — sprechen kann. Ein in der Jugend durch-
gemachter Typhus scheint die Ursache gewesen zu sein. Bekannt ist, wie
der Meister durch sein Leiden dann zuerst als Dirigent unmöglich wurde,
später der Geselligkeit inlehr und mehr entfremdet wurde. Wer staunend
bewundern will, wie menschliche Größe sich über ein unvermeidliches Ver¬
hängnis erheben kann, dem sei die Lektüre der Briefe Beethoven’s, soweit
sie auf sein Leiden sieh beziehen, empfohlen. Arth. Meyer (Berlin).
Brünings (Jena), Anwendung der Tracheobronchoskopie und der Öso¬
phagoskopie. (Zeitschr. für Ohrenheilk., Bd. 62, H. 2., 1910.) In dem Zeit¬
raum vom 1. November 1909 bis zum 1. November 1910 Avurden an der
Wittmaack’schen laryngologischen Klinik in Jena 59 Patienten endoskopisch
untersucht. Nicht weniger als 9 Fremdkörper wurden auf endoskopischem
Wege extrahiert; von weiteren Operationen seien erwähnt: Durchbohrung
eines fast vollständigen trichterförmigen Verschlusses des subglottischen
Raumes und allmähliche Erweiterung der Stenose durch regelmäßige auto-
skopische Bougierungen, Abtragung eines großen, auf den Stimmlippenrand
übergreifenden Papilloms, direkte Punktion einer Kehlkopfzyste, Spaltung
der hinteren, narbig geschrumpften Kehlkopfwand mit langgestieltem Skal¬
pell, galvanokaustischer Tiefenstich und zwei direkte Paraffininjektionen
bei Stimmbandlähmungen.
Die Berichte über die einzelnen Eingriffe lesen sich teilweise beinahe
romanhaft spannend, so die Schilderung der Extraktion eines Fremdkörpers
aus der Speiseröhre bei einem 41 Jahre alten, an chron. Kardiospasmus
leidenden Glasarbeiter; der Fremdkörper bestand aus einem Gummisaug¬
hütchen mit daran befindlicher, etwa 20 mm dicker Glaskugel und einem
an das Ganze angebundenen, 8 cm langen, fingerdicken Gummischlauch —
ein wohl einzig dastehender Fremdkörperfall!
Brünings hat sich um den Ausbau 'und die 'Propagierung der schönen
neuen Untersuchungsmethjoden, die wir Killian verdanken, große Ver¬
dienste erworben. Eime ganze Reihe von lebensrettenden Eingriffen sind
mit ihrer Hilfe bereits ausgeführt worden. Dank dem Verständnis der Ärzte¬
schaft in der Umgebung Jena’s sind der Klinik eine große Zahl von ge¬
eigneten Erkrankungsfällen zugeführt worden. Ein Hinweis auf diese neuen
Methoden, die einen wahren Fortschritt in der Medizin bedeuten, dürfte
auch an dieser Stelle nicht unangebracht sein. Richard Müller (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
Eugen Seel u. Albert Friederich (Stuttgart) unterziehen in einer Ab¬
handlung (Med. Klinik, Nr. 23 u. 24, 1911) „Über die Ursachen ungleichmäßiger
und minderwertiger Wirkung einiger Arzneien, besonders bei deren Verordnung in
Tabletten“ auch Salipyrin ,,Riedel“ und dessen Ersatzpräparat „Pyrazolonuin
phenyldimethylicurn salicylicum“ vergleichender Untersuchungen.
Salipyrin gehört zu denjenigen wortgeschützten Präparaten, die schon
vielfach durch unvernünftig zusammengesetzte Ersatzmittel in ihrem guten Rufe
geschädigt wurden; so ist z. B. schon lange bekannt, daß bei Verabreichung einfach
hergestellter Gemische molekularer Mengen von Antipyrin und Salizylsäure nicht
nur die Nebenwirkungen der letzteren, wie unangenehme Beeinflussungen der
Magenschleimhaut usw., sondern sogar ICollapszustände beobachtet wurden- Bei
der Verwendung von Pyrazolon. phenyldimethyl. salicyl. = salizylsaurem Antipyrin,
sind Nebenerscheinungen obiger Art auch schon, jedoch seltener, beobachtet worden:
ob dies auf ungenügende Reinigung, Veränderung bei unzweckmäßiger Aufbewahrung
(Gelbfärbung) oder auf Substanzen zurückzuführen ist, die bei der Untersuchung
des Präparates nach den vom Arzneibuche gegebenen Vorschriften nicht nachzu¬
weisen sind, ist nicht festgestellt worden. Uber das Originalpräparat Salipyrin
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„ Riedel“ und die daraus hergestellten Tabletten sind ungünstige Beobachtungen
aus der Literatur nicht bekannt, dagegen viele sehr günstige Erfahrungen vou
Autoren, wie: Zurhelle, v. Mosengeil, Kayser, Orthmann, Beuttner, Gold¬
mann, Lubowski usw.
Die untersuchten Original - Salipyrin - Tabletten entsprachen ihren physi¬
kalischen und chemischen Eigenschaften vollkommen; sie waren weiß, gleichmäßig
und leicht zerbrechlich, zerfielen sofort in Wasser und lösten sich in 50°/oigem
Alkohol leicht unter Zurücklassung einer geringen Menge Quellungsmittel (Stärke).
Eine Schachtel von Ersatz-Tabletten dagegen enthielt gelbe, schwerer zerbrechliche
Tabletten von ungenauem Gewicht, schwer löslich in 50°/ o igem Alkohol; vor allem
zerfielen sie überhaupt nicht in Wasser. Derartige Tabletten, welche wegen ihrer
Härte, die auf unrichtige Aufbewahrung zurückzuführen sein dürfte, im Digestions¬
apparat entweder gar nicht resorbiert werden und denselben wie Kirschkerne passieren,
oder nur langsam und teilweise gelöst werden, sind in der Wirkung bedeutend
minderwertiger; auch liegt bei solchen die Gefahr nahe, daß bei etwaiger späterer
Lösung und Resorption eine kumulative oder sonst schädliche Wirkung eintritt, da
die größte Einzelgabe nur 2,0 g und die größte Tagesgabe nur 6,0 g beträgt.
Es wird von den Verff. dringend empfohlen, derartige Tabletten nur in gut
schließenden Glasröhren zu verordnen, damit diese nicht feucht und dann trocken
und hart werden, wie dies in Papier- oder Schachtel-Packung geschieht. Der Arzt
verschreibe von Salipyrin die Originalröhre Riedel, wobei auf die Einprägung des
Garantiezeichens der Fabrik in die einzelne Tablette zu achten ist. Die Verordnung
der Originaltabletten ist namentlich dann angezeigt, wenn man der Wirkung des
Mittels ganz sicher sein will oder wenn nach Einnahme des Salipyrin-Ersatzes
Nebenerscheinungen beobachtet wurden, wie sie z. B. von v. Mosengeil und
Berliner veröffentlicht wurden.
O. Loeb u. R. v. d. Velden (Göttingen), Über die Grundlagen der in¬
ternen Therapie mit Jodfettsäurederivaten. (Ther. Monatsh., April 1911.)
Es gelang den Autoren durch Verbindung mit lipoidlöslichen Körpern das
Jod in den Geweben zur Speicherung zu bringen, die nach Verabreichung
von Jodalkalien jodfrei bleiben (Gehirn, Fett, Knochenmark). Sie nennen
den Körper Lipojodin und haben ee in 40 Fällen verordnet. Sie rühmen
dem Präparate das Freisein von Jodismuswirkung nach. S. Leo.
Gegen Schnupfen: Natr. salicyl. 80,0, Pulv. Doweri 3,5, Ol. Menth,
gtt. I. Div. in part. aeq. XX. In etwas Wasser genommen, tritt schon eine
Stunde nachher Besserung ein: Verminderung der Sekretion, freierer Kopf.
Alle 3 Stunden 1 Pulver während des akuten Stadiums, später zwei- oder
dreimal täglich. v. Schnizer (Höxter).
Petit (Beaumont) behandelt den Schluchzer seit Jahren ebenso einfach
wie erfolgreich, indem er einen Kaffeelöffel Puderzucker so rasch als mög¬
lich trocken, ohne Wasserzusatz, verschlucken läßt. Der Erfolg tritt sofort!
ein. sollte dies nicht der Fall sein, so hebt eine Wiederholung den Krampf..
Wirkung* wahrscheinlich reflektorisch. (Bull, gen er. de ther., Nr. 13, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Bücherschau.
6. Beck, Therapeutischer Almanach. 38. Jahrgang. Leipzig 1911. Verlag von
Benno Konegen. 2 Mk.
Wer sich die Mühe nimmt, in dem handlichen Büchlein zu blättern, wird
vieles Bemerkenswerte finden, er wird es nicht aus der Hand legen, ohne besonders
Brauchbares angestricben zu haben. Aus dem reichen Inhalt nenne ich nur das
Kapitel, das über Narkose handelt und in gedrängter Kürze auf alle neuen kom¬
binierten Methoden hinweist. Im Kapitel Frauenkrankheiten wird vieles dem prak¬
tischen Arzte Wichtige mitgeteilt, so z. B. die Anwendung lokaler Anästhesie bei
kleinen gynäkologischen Eingriffen.
Alles in Allem eine wertvolle Bereicherung des therapeutischen Wissens für
jeden Arzt. Reiß (Müucheu).
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Bücherschau.
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A. Ladenburg, Wissenschaftliche Vorträge. Zweite, vermehrte Auflage. Leipzig
1911. Akademische Verlagsgesellschaft m. b. 11. 5 Mk., geb. 6 Mk.
Eine große Reihe wertvoller und interessanter Vorträge, die zum Teil das
Gebiet der Chemie betreffen, hat der bekannte Forscher und akademische Lehrer
in diesem Buch zusammengefaßt.
Der Wert des Buches liegt nicht allein in der gemeinverständlichen Darstellung,
die über die Leistungen der bekannten Popularisatoreu hinausragt, sondern ist be¬
gründet durch die Themen, die vorgetragen werden; sie lassen die Absicht erkennen,
die Ergebnisse der exakten Forschung für die Gestaltung eines allgemeinen Welt¬
bildes zu verwerten.
Wird die exakte Forschung in den Aufsätzen über .Die Fundamental begriffe
der Chemie“, .Die chemische Konstitution“, .Die Beziehungen zwischen Atom¬
gewichten und den Eigenschaften der Elemente“ und einigen weiteren Vorträgen
dieser Art gepflegt, so erweitert sich die Darstellung in den Aufsätzen über .Die
vier Elemente des Aristoteles“, über .Die Spektralanalyse und ihre kosmischen
Konsequenzen“, über .Das Zeitalter der organischen Chemie“, bis diese Art Lad en-
burg’s in seiner berühmten Kasseler Rede über .Den Einfluß der Naturwissen¬
schaften auf die Weltanschauung“ ihren Höhepunkt erreicht. Die Erregung, die
dieser Vortrag einst hervorgerufen, zittert in dem Epilog zur Rede noch nach.
Die neue Auflage, eine Volksausgabe, ist durch vier neue Aufsätze bereichert
worden, die ganz in dem Rahmen der früheren Vorträge stehen: Eine Gedächtnis¬
rede .Kekul£ und seine Bedeutung für die Chemie“, ferner ein Vortrag über
.Synthese“ und über .Einige neuere chemisch-technische Entdeckungen“, zuletzt
über die .Theorie der Lösungen“, dieses durchaus .aktuelle’ Thema.
Allen den Naturwissenschaftlern, die in der Arbeit ihres Spezialfaches nicht
das letzte, höchste Ergebnis aller Forschung sehen, werden diese Vortrilge Laden-
burg’s neue Richtung geben können. Mz.
A. Righi, Kometen und Elektronen. Deutsch von M. Iklö. Leipzig 1911.
Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. 8°. 04 S.
Die mit einer Literaturangabe versehene Schrift spricht vom Standpunkt des
Physikers über mancherlei neue Anschauungen und stellt manchen nützlichen Ver¬
gleich an.
Das Kapitel vom Strahlungsdruck klingt beispielsweise dahin aus, daß irgend
welche Körper, sofern ihre Dimensionen genügend klein sind, von der Sonne nicht
angezogen, sondern abgestoßen werden und sich von ihr mit zunehmender Ge¬
schwindigkeit entfernen, statt auf sie zu fallen.
Die Konstitution der Kometenschweife bedingt nach neueren Anschauungen,
daß dieselben hauptsächlich aus Staub bestehen. Der Strahlungsdruck auf Gase
bewirkt ferner, daß ein Molekülga3, welches von der Strahlung in den Schweif
eines Kometen getrieben worden ist, Stöße und Störungen erfährt, so daß sich die
Richtung seiner Geschwindigkeit ändert und es den Schweif wieder verläßt. Über¬
haupt dürften wir nur einen Teil des Schweifes hei den Kometen erblicken und
zwar den leuchtenden. So kann die Erde auch ohne Gefahr durch die peripherischen
Teile eines Kometenschweifes durchgehen, wie es sich wahrscheinlich bei der Be¬
gegnung mit dem Halley'scheu ereignete. E. Roth.
Erwin Erhardt, Die in der Chirurgie gebräuchlichen Nähte und Knoten in historischer
Darstellung. Mit 38 Abbildungen. Volkmann’s Sammlung klinischer Vorträge
Nr. 580/581, Chirurgie Nr. 165/166. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth.
89 S. 1,50 Mk.
Wenn Verf. in der vorliegenden Skizze versucht .ein Bild über die Ent¬
stehung und Entwicklung der ehemals und noch heute in der Chirurgie gebrauchten
Nähte und Knoten zu gehen, so dürfte diese Zusammenfassung der größtenteils
aus den Urtexten gewonnenen Stellen vor allem diejenigen interessieren, denen
Geschichte und Entwickelung unserer Kunst nicht gleichgültig ist.“
Werner Wolff (Leipzig).
Adolph Kohut, Ärzte als Philosophen. Berlin NW. Berlinische Verlagsanstalt
In geistreicher Weise plaudert Kohut, dem wir schon eine ganze Reihe
ähnlicher Aufsätze und Schriften verdanken, über dieses interessante Thema. Von
Aristoteles bis Haeckel läßt er die Philosophen-Mediziner vor uns vorüber-
ziehen; ihre Lehren in scharfen Umrissen mit kurzen Proben skizzierend. So
dürfte dieser Essay eine recht anregende Lektüre nach des Berufes profanen An¬
strengungen sein. Michaelis.
Druck von Emil Herrmano senior in Leipzig.
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29. Jahrgang,
1911.
fomcbrim der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
berausgegeben von
Profmor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. c. Crlegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 31.
Brsoheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark |
für das Halbjahr. ! 3 # ÄUfiTUSt.
—— Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ... = jj
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung der Eklampsie.
Von Professor Dr. Kayser, Köln.
Die Abstammung des Wortes „Eklampsie“ ist nicht sichergestellt.
Ob wir es aber von sy^a^noj — aufblitzen, von Xdfxipoixai — sich zu-
sammenraffen, oder von btXaxTigsiv = mit den Füßen hintenausschla-
gen ableiten; jedenfalls bezeichnen wir mit dem Ausdruck anscheinend
nur das Symptom der plötzlich auftretenden, mit Bewußtlosigkeit ein¬
hergehenden, (schnell aufeinander folgenden klonischen oder tonisch-
klonischen epilepsieartigen Krämpfe. Schon lange galt freilich das Leiden
als schwere Allgemeinerkrankung; Unklarheit herrschte nur über die
Pathogenese. An die Stelle der alten Vorstellungen des Hippokrates
und Gralenus 1 ), welche den Grund der Erkrankung in einer abnormen
Blutfülle oder Blutleere während der Schwangerschaft suchten, trat
Ende des 18. Jahrhunderts die Hypothese einer Reizwirkung, welche
unsere Altvoderen völlig beherrschte. So sah Osiander 2 ) die nächste
Ursache der Konvulsionen in der Schwangerschaft und Geburt in einer
„Irritation des Uterus und Hirn- und Rückenmarksaffektion“, Busch 3 )
in einer „Verstimmung der Ganglien durch den Eintritt der Geburt,
gleichsam einer Verstellung der Wehentätigkeit“. Auch die exakten
Forschungen unserer Zeit, welche uns in den anämischen und hämorrhagb
sehen Nekrosen der Leber, den schweren Veränderungen der Nieren,
den Erweichungen und Blutungen im Gehirn ein für die Krankheit
charakteristisches scharf umrissenes pathologisch-anatomisches Bild
kennen lehrten, haben uns ein Verständnis für die Wesensart des Leidens
nicht gebracht. Wir dürfen sogar sagen, daß unser heutiges auf siche¬
rem Grund stehendes ätiologisches Wissen bereits den alten Geburts¬
helfern geläufig war. Denn ob wir von der Plazenta oder vom Fötus
ausgehende Gif Wirkungen, primäre Störungen der Nieren- und Leber¬
funktion, die durch die Kompression der Ureteren erzeugte Spannung
im Nierenbecken, eine Anhäufung von faserstoffgebendem Material
• im Blute der Schwangeren, eine Milchsäure Vergiftung als Ursache der
Eklampsie ansprechen, ob wir zwischen einer E. toxica und E. refleetoria
l ) Knapp, Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 14, H. 1.
2 j Osiander, Handbuch der Entbindungskunst, 2. Aufl., 3. Bd., S. 66.
8 ) Busch, Lehrbuch der Geburtskunde, 1842, 4. Aufl., S. 153.
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Kayser,
unterscheiden 1 ): als einzige, jedem Zweifel entrückte Tatsache steht
auch für uns doch nur die Erkenntnis fest, daß Eklampsie und
Schwangerschaft eine untrennbare Einheit bilden, daß die Eklampsie
eine Eolge der Schwangerschaft ist. Auf therapeutisehern Gebiet ist
allerdings — und diese Wandlung hängt mit der Übertragung chirur¬
gischer Prinzipien auf die Geburtshilfe zusammen —* ein völliger Um¬
schwung unserer Anschauungen eingetreten. Trotz der aus theoretischen
Erwägungen schon längst mit logischer Gewalt sich ergebenden Forde¬
rung rascher Geburtsbeendigung bis zu Beginn des Jahrhunderts ein un¬
sicheres Tasten, ein zaghaftes Abwarten des Gcburts- und Krankheits¬
verlaufs; in unserer Zeit ein zielbewußtes beschleunigtes Vorgehen, das
jüngst so nachdrücklich betont wurde, daß man es für einen Kunstfehler
erklärt hat, eine Eklamptische spontan gebären zu lassen (Fehling).
Dieses Bestreben, das Leiden in möglichst aktiver Weise anzugreifen,
ist vielfältigem Widerspruch begegnet. Zunächst auf Grund der auf ur¬
alter Beobachtung beruhenden Erfahrung, daß viele Fälle von Eklampsie
bei der abwartenden Behandlung ausheilen. Aus der Beobachtung, daß
mancher ältere Arzt über eine Anzahl durchaus guter Erfolge der
Eklampsiebehandlung verfügt, erklärt sich das gerade von älteren Thera¬
peuten geforderte Festhalten an dem abwartenden Prinzip. Man hat
ferner darauf hingewiesen, daß die aktive Therapie des Leidens spezia-
listisch geschulte Hilfe und günstige Operationsverhältnisse verlangt,
während die abwartende Behandlung auch in dem kleinen Kämmerlein
des armen Mannes, in welcher ein operatives Vorgehen schwer überwind¬
baren Schwierigkeiten begegnet, geübt werden kann.
Vor allem hat man aber die Gefahren der forcierten Entbindungen
hervorgehoben und betont, daß manches mütterliche Leben, dessen
Rettung vielleicht bei Durchführung der alten Behandlungsmaximen
gelingt, der Therapie zum Opfer fallen würde. Wer kritisch die ein¬
schlägige Literatur, zumal aus dem Beginn der jetzigen Behandlungs¬
ära prüft, wird sich der Bedeutung dieser Befürchtung nicht verschließen
können.
Und doch kann diesen Einwänden bei Berücksichtigung der allge¬
meinen Erfahrungen eine unser Handeln grundsätzlich bestimmende
Bedeutung nicht mehr beigemessen werden.
Gewiß gibt es zahlreiche Fälle, welche einer abwartenden oder
sagen wir besser einer nichtoperativen Behandlung zugänglich sind.
Hierher gehören zunächst — und ich streife damit die wichtige Frage
der Prophylaxe — die eklampsieverdächtigen Fälle.
Die albuminurische Schwangere hat, auch wenn Beschwerden fehlen,
dauernd zu Bett zu liegen. Reize jeglicher Art Art sind von ihr fern¬
zuhalten. Die Ernährung sei eine blande, hauptsächlich eine Milchdiät.
Schwere Speisen und Getränke (Alkohol, Kaffee) sind verboten. Die
Diurese ist durch leichte Diuretika, bei kleinerem Puls am besten durch
Digitalis, anzuregen. Diese Behandlung ist bis zum Schwinden des Ei¬
weißes (tägliche Urinuntersuchung!) bzw. bis zum Eintritt der Geburt
fortzusetzen. Es gilt als Regel, die Geburt — am besten durch Ab-
*) In neuester Zeit ist von Seil heim (Zentralbi. für Gyn., 1910, Nr. 50) die
früher bereits von Bolle (Zeitschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 46, S. 334) aufgestellte
sog. mammäre Theorie der Eklampsie, welche die hypothetische Giftquelle in die
Mammaaktion verlegt, wieder aufgenommen worden. Er glaubt in einem Fall durch
Einspritzung einer 7,5 °/ 0 Jodkaliumlösung in die Mamma, in einigen anderen durch
Amputation der Mamma einen Heilerfolg erzielt zu haben.
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Die Behandlung der Eklampsie.
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lassen des Fruchtwassers — in Gang zu bringen, falls trotz dieser Be¬
handlung schwerere Symptome fortbestehen oder ein treten. Dieser
Sprengung (der Blase kommt außer der wehenerregenden .Wirkung die
Bedeutung zu, daß sie durch Aufhebung der Zerrung des unteren Eipols
während der Wehe mit Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Beizquelle
ausschaltet.
Auch nach Ausbruch der Krankheit ist für den Praktiker, wel¬
cher nur ab und zu in die Lage kommt, eine Eklampsie zu behandeln,
bei dieser Behandlung ein gewisser Schematismus geboten.
Er stellt zunächst .dje Schwangerschaft an den Stand der Geburt
fest. Er überzeugt sich von dem Eiweißgehalt des eventuell vorsichtig
mit dem Katheter entnommenen Urins; er prüft den Puls und beobachtet
die Schwere und die Zeitdauer des einzelnen eklamptischen Anfalls so¬
wie die Länge der Pausen, in welchen die Anfälle wiederkehren.
Daß die Entbindung sofort vorzunehmen ist, wenn sie auf leichte
Art beendet werden kann, war schon längst Gesetz. Ist der Mutter¬
mund dagegen geschlossen, fehlt eine fördernde Wohltätigkeit, so sind
nach erfolgtem Blasensprung zunächst alle Reize auszuschalten (Ver¬
dunkelung des Zimmers, Vermeidung von Geräuschen, Erschütte¬
rungen usw.).
Weiterhin sind die Anfälle durch Narkotika zu unterdrücken. Von
der früher gebräuchlichen, bis zur Beendigung der Geburt fortgesetzten
dauernden Chloroformnarkose, .welcher zweifellos manches Leben ge¬
opfert worden ist, sind wir völlig abgekommen. Die Chloroformnarkose
leistet aber heute noch gute Dienste in Form der intermittierenden Be¬
täubung, welche nur beim Auftreten der den Anfällen vorausgehenden
Vorboten (allgemeine Unruhe, fibrilläre Zuckungen der Gesichtsmus-
keln, weite Pupillen!) einsetzt und die Krämpfe bis zu einem Zeit¬
punkt. da eine ungefährliche Entbindung möglich ist, unterdrückt.
Auch die Darreichung von Morphium, entsprechend der von Veit emp¬
fohlenen Vorschrift (mehrmals hintereinander 0,02 Morphium!) ist in
den Hintergrund getreten. Jedenfalls wiederhole man die Injektion
erst dann, w r enn das Weitwerden der Pupillen darauf hinweist, daß
eine Morphiumwirkung nicht mehr vorhanden ist. Wir bevorzugen die
von Stroganoff 1 ) ausgearbeitete Methode, Morphium und Chloralhy-
drat (in Klysma) in bestimmten Dosen und zu genau festgelegter
Zeit zu geben. Der Wert der Behandlung ergibt sich aus Stroganof f’s
Statistik-), welche bei 360 Fällen 6,6°/ 0 mütterliche und 21,6 ü / 0 kind¬
liche Mortalität feststellen konnte.
Weitere Maßnahmen der exspektativen Behandlung zielen darauf ab,
eine Entgiftung des Körpers herbeizuführen. Von diesem Gesichtspunkte
aus suchte man früher durch langdauernde heiße Bäder (37—40° C;
20 Minuten Dauer), eine kräftige Schweißentwicklung zu erzielen. In¬
jektionen von Pilokarpin haben sich als ein sehr gefährliches Mittel
erwiesen, welches keine Verwendung mehr findet. War schon die Vor¬
stellung, durch den Schweiß den supponierten Giftstoff zu eliminieren,
eine hypothetische, so darf jetzt die Unwirksamkeit und die mitunter
eintretende krampfsteigernde Wirkung der heißen Bäder durch die prak¬
tische Erfahrung als erwiesen gelten; die forcierte Diaphorese kommt
daher jedenfalls heute als Heilfaktor nicht mehr in Betracht. Eine
0 Stroganoff, Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 12, H. 4.
a ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 379.
61*
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Kay Be r,
erhöhte Bedeutung hat dagegen der schon früher viel geübte Aderlaß
(einmalige Blutentziehung von 500 ccm oder mehrere in einstündiger
Pause wiederholte Aderlässe) gewonnen. Bei Zyanose, drohendem Lun¬
genödem kupiert er mitunter die Gefahr und leitet die Besserung ein.
Der Flüssigkeit*; Verlust- wird zweckmäßig durch Infusion physiolo¬
gischer Kochsalzlösungen, welche man mit Rücksicht auf die bekannten
Kochsalzschädigungen des Körpers bei Nierenkranken durch 4—7°/ 0 ige
Traubenzuckerlösungen [Kausch 1 )] ersetzen kann, ergänzt (subdermal,
intravenös oder per Klysma, zumal in Form der rektalen Dauerin¬
stillation) 2 ). [ | I ;
Eine Reihe weiterer unterstützender allgemein bekannter Ma߬
nahmen halte sich der Praktiker immer gegenwärtig. Bei Beginn eines
Anfalles ist zwischen die Zahnreihen ein Gummikeil oder ein um¬
wickelter Löffelstiel zu bringen, um die Zunge gegen Biß zu schützen.
Um das Hinabfließen von Schleim und Speichel zu vermeiden, ist der
Kopf tief (eventuell über den Rand des Bettes) zu lagern. Bewußt¬
losen Kranken ist keine Flüssigkeit per os zu reichen. Bei dauernder
Zyanose empfiehlt sich die Inhalation reinen Sauerstoffs (1 Liter pro
Minute), künstliche Atmung in Verbindung mit Herzmassage, Ab¬
klatschen des Rumpfes mit kalten Duschen, Injektion von Kampfer,
Digalen (subkutan oder intravenös).
Mit dieser zu wartenden, wenn auch gewiß nicht untätigen Methode
gelingt es, wie bereits gesagt, in einer Anzahl von Fällen die Leiden
wirksam zu beeinflussen; freilich nur in recht seltenen Fällen mit
Erhaltung der Schwangerschaft. Büttner 8 ) hat aus einer Zahl von
238 Eklampsiefällen Mecklenburgs aus den Jahren 1892—1899 berech¬
net, daß nur in 7,1 °/o der Fälle die Krämpfe sistierten, ohne daß es zu¬
nächst zur Geburt kam. In diesen Fällen lagen meist nur mehrere
Tage, in vereinzelten Fällen bis zu acht Wochen, zwischen der Er¬
krankung und dem Eintritt der Geburtswehen. Eine praktische Be¬
deutung können daher diese vereinzelten Beobachtungen nicht bean¬
spruchen.
In manchen Fällen schwinden die Krämpfe oder zeigen doch eine
geringere Stärke. Eine kräftige Wehentätigkeit setzt ein. Die Geburt
wird spontan oder mit leichtem geburtshilflichen Eingriff (Kristeller-
sche Expression, Wendung, Zange) beendet; ein reichlicher dünn¬
flüssiger heller Urin wid abgesondert; das Bewußtsein kehrt lang¬
sam wieder; die Krankheit geht in Genesung über.
In anderen Fällen bleibt jedoch diese Besserung aus. Die Haut
bleibt heiß und trocken, die Abnahme des spärlichen Urins steigert sich
bis zur Amurie. Die Krämpfe dauern, wenn auch in geringerer Stärke,
fort. Die Frequenz des kleinen fliegenden Pulses nimmt zu. Die Geburt
wird zwar überstanden. Das Koma dauert jedoch fort. Die Kranke geht
zugrunde. Die Autopsie ergibt den völligen oder teilweise Obduktionsbe¬
fund, den wir, wie bereits erwähnt, als einen durchaus typischen kennen,
meist in Verbindung mit einer schweren Schluckpneumonie. Wenn wir
auch noch nicht wissen, innerhalb welcher Zeit im Einzelfall die Ver¬
änderungen sich ausbilden, so legen diese Fälle uns doch immer die vor-
*) W. Kausch, Deutsche med. Wochenschr., 1911, Nr. 1.
*) Zieht man eine Azidose des Blutes als ätiologisches Moment mit in Betracht,
so kann man Alkalien in Dosen einer 1 % Sodalösung dem Körper zuführen.
*) Büttner, Über das Wesen und die Behandlung der Eklampsie, Volkmann’s
Hefte, H. 208, 1905.
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Die Behandlung der Eklampsie.
725
wurfsvolle Frage nahe: Hätten sieh die krankhaften Erscheinungen bis
zu der letalen Höhe ausgebildet, wenn der Geburtsverlauf ein rascherer
gewesen wäre ?
Schließlich sehen wir aber Fälle, bei denen oft mitten aus relativem
Wohlbefinden heraus ein plötzlicher unerwarteter zum Tod führender
Kollaps einsetzt, ohne daß die Obduktion einen wesentlichen, den Tod
erklärenden Befund ergibt.
Bei drei Frauen, bei welchen ich den unerwarteten Eintritt (des
plötzlichen Exitus letalis zu beobachten Gelegenheit hatte, ohne sie
entbunden zu haben, handelte es sich um kräftige Frauen von 20—23
Jahren, welche anscheinend ohne bedrohliche »Schädigung der Lungen
und des Herzens aufgenommen wurden, so daß ein zunächst abwartendes
Verfahren nach den früheren Prinzipien der Klinik eingeschlagen wurde. •
Bei zwei Frauen trat der Tod im Beginn eines neuen eklamptischen
Anfalles ein; nur eine Frau ging im Anfall zugrunde. Diese Frau, eine
20 jährige I p., wurde bewußtlos nach einem der Angabe der Angehörigen
nach nicht sehr schweren Anfall aufgenommen. Die Untersuchung er¬
gab: I Sch. L., Mm. dreimarkstückgroß; Blase gesprungen; Kopf fest
in 'Beckenweite; Puls voll, regelmäßig, 78 in der Minute. Nach einer
halben Stunde war der Mm. so erweitert, daß eine Zangenapplikation
nach Anlegung zweier Inzisionen in die Zervix möglich erschien. In
dem Moment, als die Patientin gehoben wurde, um auf das Querbett
gelegt zu werden, erfolgte plötzlich ohne Eintritt eines neuen Anfalles
der Exitus. Die Obduktion ergab außer den charakteristischen, aber
nicht hochgradigen Veränderungen an Leber und Nieren in keinen Fall
einen Anhalt für den plötzlichen Tod.
Wer dieser niederschmetternden Erfahrung, anscheinend leicht er¬
krankte Frauen in der Blüte ihrer Jahre plötzlich zugrunde gehen zu
sehen, mehrmals gegenübergestanden hat, dem prägt sich das Gefühl
der Unzulänglichkeit seines Könnens auf das tiefste ein. Das sind die
Fälle, w T elche uns immer wieder das Auf geben des exspektativ-konser-
vativen Prinzips gebieterisch nahelegen.
Die nächstliegende, sich mit elementarer Gewalt aufdrängende Frage
ist natürlich: War die bestehende Lebensgefahr nicht zu erkennen ?
Über die Möglichkeit, die Gefahr der Eklampsieerkrankung früh¬
zeitig festzustellen, hat man seit langem lebhaft diskutiert. Daß dasi
Verhalten des Pulses, die der Temperatur, der Charakter der Anfälle,
das Koma, die Respiration, die Mitbeteiligung der Niere, dem Kundigen
im allgemeinen wichtige Anhaltspunkte geben können, ist imbestritten.
Auch das Absterben des Kindes ist als ein prognostisch in günstigem
Sinne zu verwertendes Ereignis anzusehen. Mitunter versagen aber er¬
fahrungsgemäß all diese Beobachtungen. Staude 1 ) hat vor kurzem als
Anhalt für die Prognose die Gefrierpunktsbestimmung des Blutes heran¬
gezogen. Bei etwa 30 Fällen konnte er zeigen, daß die Fälle, hei denen
der Gefrierpunkt zwischen 0,56—0,61 schwankte, mit Ausnahme eines
Falles günstig verliefen, daß aber die Fälle mit einmal Gefrierpunkt
zwischen 0,61 bis zu 0,78 fast alle tödlich verliefen. Eigene Erfahrungen
in dieser Hinsicht stehen mir nicht zu Gebote; ich finde auch in der
Literatur keine Bestätigung der Staude’sehen Ausführungen.
Wir dürfen somit wohl sagen: w r ie wir bei der Perityphlitis nicht
in der Lage sind, im Einzelfall mit Sicherheit die genaue pathologisch -
f ) Staude, Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 47.
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Kayser,
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anatomische Diagnose und damit die Ge fahren breite der Erkrankung
festzustellen, ebensowenig können wir bei der Eklampsie die in dem
Toxizitätsgrad liegende Gefahr im Einzelfalle mit Sicherheit präzi¬
sieren. Daraus ergibt sieh in praktischer Hinsicht ohne weiteres der
Schluß — und damit beantwortet sich die weitere Frage nach der Be¬
deutung der abwartenden Behandlung —, daß wir die Fälle nicht indivi¬
dualisieren können, sondern grundsätzlich rascheste Entbindung an¬
streben müssen, wenn wir nicht immer wieder dem quälenden: Zu spät!
gegenübergestellt pein wollen.
Diese Empfindung wird besonders dem Beobachter lebendig werden,
welcher über ausgedehntere Erfahrungen der Frühentbindung bei der
Eklampsie in klinischer Beziehung verfügt. Denn schon zu einer Zeit,
da wir den Nutzen und die Bedeutung des aktiven Verfahrens noch
nicht statistisch beweisen konnten, hat man auf die subjektive Über¬
zeugung und den unmittelbaren Eindruck der Wirkung der forcierten
Entbindung hingewiesen. 1 ) Allerdings müssen wir die Schnell-Entbin-
dung von der rechtzeitig vorgenommenen Frühentbindung streng unter¬
scheiden. Nur auf letztere kommt es an. Nur bei dieser können wir
selbstverständlich die gleich günstige Wirkung erwarten, wie wir sie bei
rasch verlaufenden Spontangeburten zu sehen gewöhnt sind. An Stelle
der Zyanose tritt eine frische Böte des Gesichts; der unregelmäßige
jagende Puls wird regelmäßig, gut gespannt. Die stockende Atmung
wird gleichmäßig, ruhig. Die Kranke verfällt nun zum Teil infolge der
Wirkung der angewandten Narkotika in ruhigen Schlaf. Die Haut
beginnt, zu dünsten; reichliche Mengen hellen Urins werden spontan
oder mit dem Katheter entleert.
Diese Erscheinungen werden im allgemeinen regelmäßig beob¬
achtet. Sie treten, wenn auch nicht in ihrer Geschlossenheit, sogar
bei den Fällen in Erscheinung, welche nach der Entbindung zugrunde
gehen. Denn auch die Frühentbindung bedeutet selbstverständlich kein
radikales Heilmittel der Eklampsie. Ein Teil der Fälle geht unter
wiederhölten Anfällen, welche kürzere oder längere Zeit nach der
Entbindung von neuem auftreten, zugrunde; bei einem anderen Teil
tritt der Tod ohne Wiederkehr der Krämpfe ein. Das Irrtümliche der
früheren Ansicht, daß mit dem Sistieren der Krämpfe die Patientin
gerettet sei, ist uns heute völlig bekannt. Analog den gewiß seltenen,
bei denen die Eklampsie ohne einen einzigen Anfall letal verlief — es
sind etwa 20 solcher Beobachtungen bekannt — zeigt uns gerade eine
neuere Statistik, daß von 123 Fällen 20% ohne Wiederkehr der An¬
fälle nach Entleerung des Uterus zugrunde gingen.
Diese Erfahrungen beeinträchtigen aber in keiner Weise den gene¬
rellen Eindruck, daß die Kraft des supponierten Giftes mit der Be¬
endigung der Geburt zunächst gebrochen ist und daß es erst einer ge¬
wissen, vielleicht der Aufspeicherung des Giftstoffs dienenden Zeit
bedarf, ehe neue bedrohliche Symptome auftreten.
Ein Verständnis für diese wenn auch in einzelnen Fällen nur
vorübergehende Besserung zu gewinnen, ist auf Grund unserer heutigen
Vorstellungen über die Genese des Leidens wohl möglich. -
*) Bumm schrieb schon 1903 (Münchn. med. Wochenschr., S. 891): „An
Stelle der früheren Unsicherheit und des Gefühls, daß es bei der Eklampsie mehr
auf den Zufall als auf die Therapie anksim, trat das Bewußtsein, mit dem raschen
Entbinden einen sicheren Standpunkt und ein wirklich erfolgreiches Mittel gewonnen
zu haben.“
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Die Behandlung der Eklampsie.
727
Was erzielen wir durch die Entbindung?
Die Ureteren und Nieren werden entlastet. Die Funktion des Herzens
und der Lungen erfährt infolge des Fortfalls der durch Hochdrängung
des Zwergfells bedingten Atmungsbehinderung eine wesentliche Er¬
leichterung. Die erfahrungsgemäß das Befinden verschlechternden
Wehen sistieren. Vor allem aber: die Quelle, welche die Giftstoffe
ständig in den mütterlichen Körper schichtet, d. h. das Ei, wird
eliminiert.
Ein theoretisches Raisonnement. Es zeigt jedoch, daß ;wir mit
der grundsätzlichen sofortigen Entbindung den verschiedensten Indi¬
kationen genügen und es gewinnt bei Berücksichtigung der bis jetzt
vorliegenden, zumal vergleichenden Statistik besonderes Interesse. -
Die Angaben über die Erfolge der Frühentbindung sind allerdings
noch auseinandergehende; ich lasse es dahingestellt, inwieweit wir diese
Differenz sich aus der nicht strengen Auseinanderhaltung von Sehnell-
und Frühentbindung erklärt. Bei der Vergleichung größerer Serien er¬
geben sich jedoch sehr bemerkenswerte Beobachtungen. Die mütterliche
Mortalität der Eklampsie beträgt beim abwartenden Verfahren durch¬
schnittlich 25%. Im Gegensatz hierzu fand Jan Horn 1 ) bei dem
Material der Gebäranstalt in Christiania, daß bei einer konsequenten
Durchführung der aktiven Behandlung die Mortalität bis 16,6 % sank.
Bumm konnte an seinem Material die Mortalitätsziffer auf 2—3%
herabdrücken.
Hammerschlag 2 ) berechnet aus einem Beobachtungsmaterial von
235 Fällen, welche früh entbunden wurden, eine Sterblichkeit von 13,5
bzw. 11%.
Besonders illustrativ sind die unter einheitlicher Beobachtung und
Behandlung gemachten und ganz bestimmte Geburtsstadien registrie¬
renden Angaben Winters 3 ). Unter 89 Fällen von Eklampsie, welche
bei den ersten Wehen ausbrach, wurde bei 8 Fällen nicht eingegriffen
(frühere Zeit), Mortalität 40%; bei 19 Fällen die Entbindung bei voll¬
ständig erweitertem Muttermund vorgenommen, Mortalität 31%; bei
32 Fällen schon in der Eröffnungsperiode entbunden (Inzision, Metreu-
ryse, kombinierte Wendung und Belastung), Mortalität 25%; bei
30 Fällen die Frühentbindung so schnell als möglich vörgenommen, Mor¬
talität 10%.
Dazu kommt ein Moment, welches bei der bisherigen Behandlung
keine Beachtung fand: die Rücksicht auf das Kind.
Statistische Angaben über die bei der Frühentbindung beobach¬
tete kindliche Mortalität, deren Sinken a priori wahrscheinlich ist,
finden sich bisher nur vereinzelt. .Wenn wir aber nur die Angabe
Simrock’s, der an dem Material der Bonner Klinik ein Herabgehen
der kindlichen Sterblichkeit von 40,7 auf 24,4% feststellen konnte,
zu den durch die Statistik gegebenen Daten über die mütterliche Mor¬
talität in Beziehung setzen, so spricht sich in diesen Zahlen eine der¬
artige Überlegenheit der modernen Therapie vor der exspektativen Be¬
handlung früherer Zeit aus, daß trotz der Einwände auch einzelner
Kliniker (Pfannenstiel, Runge, Fritsch) ein Festhalten an den
J ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 1121.
a ) Lehrbuch der operativen Geburtshilfe, 1910, S. 438.
*) Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, 1910, S. 616.
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728 Kayser, Die Behandlung der Eklampsie.
alten Prinzipien heutzutage nicht mehr als berechtigt angesehen werden
kann.
Bei dieser Indikationsstellung hat naturgemäß die Frage: Welche
Entbindungsmethoden gestatten uns in jedem Geburtsstadium in relativ
ungefährlicher Weise die sofortige Entbindung? — eine sehr aktuelle
Bedeutung.
Bei vorgeschrittener Geburt und genügend erweitertem bzw.
manuell oder durch Inzisionen genügend zu erweiterndem Muttermund
ist das Entbindungsverfahren, falls nicht eine Verengung des Beckens
vorliegt, ohne weiteres gegeben : Zange; Wendung und Extraktion; Fu߬
oder Steiß- bzw. einfache Extraktion. Bei totem Kind Perforation oder
Embryotomie. Ich hebe hervor, daß diese, wenn es sich, wie zumeist,
um unreife Kinder handelt, auch bei nicht völlig erweitertem Mutter¬
mund, zumal bei Mehrgebärenden, sich durchführen lassen.
Bei geschlossenem oder nicht erweiterungsfähigem Muttermund
kommen in Frage: Die Dilatation mit dem Steiß (bei Kopflage nach
vorausgegangener Wendung), der abdominale Kaiserschnitt, die Erwei¬
terung mit dem Kolpeurynter, die Dilatation nach Bossi und der vaginale
Kaiserschnitt.
Die zum Teil enthusiastischen Empfehlungen des einen oder anderen
Verfahrens haben eine Hochflut von Veröffentlichungen gezeitigt, deren
Würdigung im einzelnen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich ist.
Noch ist auch über Wert und Bedeutung der Methoden kein abschlie¬
ßendes Urteil gewonnen. So werden auch die folgenden sich an die
mehrjährige Beobachtung eines großen Materials der Universitätsfrauen¬
klinik der Charite sich an lehnenden Ausführungen, wenngleich sie die
allgemeinen Erfahrungen nicht unberücksichtigt lassen, doch auch
subjektiven Charakter tragen.
Die Dilatation mit dem Steiß des in Beckenendlage liegenden
oder auf den Fuß gewendeten Kindes stellt ein früher viel geübtes,
Verfahren dar. Noch im Jahre 1909 wird es von Bumm empfohlen!.
Es ist für den Arzt, der die spezialistische Technik nicht beherrscht
oder unter ungünstigen äußeren Verhältnissen arbeitet, leicht ausführ¬
bar. Trotzdem kann es heute eine große Bedeutung nicht mehr be¬
anspruchen. Gewiß ist die Keilform, welche der Kindskörper in dieser
Lage abgibt, an sich zur Weichteildehnung sehr geeignet. Die Erwei¬
terung gelingt aber doch, wenn ßie nicht in einer für die Mutter ge¬
fahrdrohenden Weise forciert wird, zumeist nur in einer so langen Zeit,
daß w T ii* von vornherein mit einem Absterben des Kindes rechnen müssen.
Bei der Leistungsfähigkeit der heutigen Dilatationsmethoden erscheint
es aber, wie bereits betont, nicht mehr zulässig, auf die Erhal¬
tung wenigstens des lebensfrischen Kindes zu verzichten. Zu¬
dem katnn das Verfahren durchaus nicht als gefahrlos für die
Mutter angesehen werden: recht häufig tritt nach den zur Wen¬
dung notwendigen Manipulationen selbst in tiefer Narkose eine
starke Kontraktion der Zervix auf, welche die Entstehung von Zervix-
rissen begünstigt. Wir sahen wiederholt derartige tiefe Risse bei
Eklamptischen, welche von technisch wenig geschulter Hand auf diese
Weise entbunden, der Klinik zugeführt wurden. Vor allem gestattet das
Verfahren aber die Entbindung in vielen Fällen nicht in der im Interesse
der Mutter gebotenen kurzen Zeit. (Fortsetzung folgt.)
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Leo Loeb, Das Krebsproblem.
729
Das Krebsproblem.
Von Dr. Leo Loeb, Philadelphia.
(Rede in der Society of Biological Research Worker in Washington am 9. 4. 1910.)
Deutsch von Dr. v. Boltenatern, Berlin.
(Fortsetzung.)
Wir behaupten, die Tumorzellen können sich offenbar unbegrenzt
von Generation zu Generation fortpflanzen. Wir haben auch behauptet,
daß im Laufe dieser Fortpflanzung keine Abnahme ihrer Wachstums¬
energie Platz greift. Weist dies nicht darauf hin, daß die Wachstums¬
energie ein unvariabler Faktor ist, welcher unter allen Umständen konstant
bleibt? Das ist aber nicht der Fall. Die Energie des Tumor Wachstums
kann experimentell verändert werden, sie kann gesteigert und verringert
werden. Eine Steigerung der Wachstumsenergie tritt fast unmittelbar
ein, wenn wir einen primären Tumor, welcher spontan bei einem Tier
entstanden ist, auf ein anderes Individuum transplantieren. Im Laufe
der ersten, zweiten, und manchmal auch noch der dritten Generation
gewinnt der Tumor eine oft ganz bedeutende Wachstumsschnelligkeit.
Wir sehen dennoch, daß der Ursprungstumor verhältnismäßig langsam
wächst, und daß bei den Tieren, bei welchen alle die Bedingungen vor¬
liegen, welche die Umwandlung der normalen Gewebszellen in Turmor-
zellen gestatten, die Wachstumsenergie dieser Tumorzellen geringer ist
als in anderen Tieren, bei welchen nicht besondere, für die Bildung von
Tumoren günstige Verhältnisse bestehen. So zeigt die die Wachstums¬
energie darstellende Kurve ein Optimum nach den ersten Generationen,
nach welchen sie annähernd konstant bleibt, obwohl auch Schwankungen
eintreten können, welche überdies sehr bald ausgeglichen werden. Welches
ist nun die Ursache dieser typischen Änderung, welche im Laufe der
ersten Transplantation Platz greift? Ist sie abhängig von einem hemmenden,
durch das ursprünglich vom Tumor befallene Tier ausgeübten Einfluß,
einem hemmenden Einfluß, welcher bei anderen Tieren der gleichen
Spezies mangelt? Das ist nicht die richtige Erklärung. Man kann
zeigen, daß wir imstande sind, die proliferierende Kraft der Tumorzellen
anzuregen, ohne sie selbst auf ein anderes Tier zu transplantieren, nur
indem man ein Stück des Krebses exzidiert und an eine andere Stelle
desselben Individuums verbringt oder auch, indem man durch den Tumor
einen Faden legt. Solche experimentellen Einflüsse also wirken als
Formation der Wachstumsreize, welche den Proliferationsvorgang des
Tumors steigern. Diese Tatsache erklärt eine Beobachtung, welche
Chirurgen oft gemacht haben. Es ist berichtet worden, daß, wenn un¬
vollständige operative Exzisionen eines Tumors vorgenommen werden,
und von dem äußerst geringen Rest des Tumors ein neuer Krebs zu
wachsen beginnt, der sog. rezidivirende Krebs, sehr viel schneller proli-
feriert als der erste Tumor. In diesem Falle ist demnach auch die
proliferierende Energie der Tumorzellen durch äußere Maßnahmen an¬
geregt. Andrerseits vermag man experimentell die Virulenz der Tumorzellen
herabzusetzen, einen schnell wachsenden Krebs nach Transplantation in
einen langsam wachsenden zu verwandeln. Dies kann auf folgende
Weise geschehen: Nach Exzision eines Tumorstückes setzen wir den Tumor
in einem Röhrchen im Thermostaten einer Temperatur etwas über Körper¬
temperatur aus, z. B. 44° C. Je nach der Zeit, während welcher das
Tumorgewebe dieser Temperatur ausgesetzt wird, sinkt im allgemeinen
die Wachstumsenergie. Aussetzen von 10—20 Minuten ändert seine
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730
Leo Loeb,
proliferierende Kraft sehr wenig oder gar nicht — aber 25 Minuten
langes Erwärmen drückt seine Kraft etwas herab. Aussetzen 35 Minuten
lang hat einen sehr deutlichen Einfluß. Nach 45 Minuten langer Er¬
wärmung wird das Tumorwachstum gering und wird noch bedeutend mehr
herabgesetzt, wenn wir eine Stunde lang erwärmen. Wenn wir auf Tiere
geeigneter Art so behandelte Krebsstücke transplantieren, können wir
deutlich die Abnahme der Virulenz des vor der Verimpfung der Er¬
wärmung unterworfenen Krebses feststellen. Behandlung mit gewissen
Chemikalien wie Glyzerin und ganz schwachen Zyankalilösungen wirkt
in ähnlicher Weise. Diese Versuche und Beobachtungen haben sehr
großes biologisches Interesse und Bedeutung. Sie zeigen klar, daß, wenn
man eine Körperzelle auf diese Weise behandelt, so daß ihre Zellteilung
gehemmt wird, eine hereditäre Übertragung durch viele Zellgenerationeu
wohl eintritt, daß aber nicht nur die direkt behandelten Zellen, sondern auch
ihre Tochterzellen und die dritte und vierte Zellgeneration und so fort
durch viele Generationen andauernd sich langsamer teilen. Erfolgt die
Vorbehandlung zu lang oder zu stark, so können die Tumorzellen nach
einer beschränkten Zahl von Teilungen zugrunde gehen. Doch wenn
die Krebszellen, wenn auch nur langsam, sich fortzupflanzen beginnen,
tritt gewöhnlich nach vielen Zellteilungen eine Erholung ein, und wenn
wir einen solchen Tumor auf andere Tiere zu transplantieren fortfahren,
kann der Krebs seine alte Virulenz wiedergewinnen. Dies erscheint sehr
wichtig vom biologischen Standpunkt. Es beweist deutlich, daß die
Schädigungen, welchen die somatischen Zellen während des Lebens des
Individuums, dessen Teil sie sind, unaufhörlich ausgesetzt, nicht unbedingt
zum schließlichen Tode dieser Zellen führen, wie einige Forscher ange¬
nommen haben, sondern daß ein bestimmter Mechanismus existiert, welcher
innerhalb sehr weiter Grenzen die Wachstumsenergie und andere vitale
Funktionen wiederherzustellen vermag, auch ohne daß eine Verjüngung
durch Konjugation statthat, wie sie von verschiedenen Forschern für
notwendig bei Protozoen erachtet wird. Es scheint sehr einleuchtend,
daß ein ähnlicher Mechanismus auch bei den Protozoen existiert, und daß
diese nur einer konstanten kumulierenden Wirkung von Schädigungen
unterliegt. Diese Tatsachen unterstützen demnach die vorherige Hypothese,
daß gewöhnliche Gewebszellen wie Tumorzellen unsterblich sein können.
Dagegen finden wir, daß Bindegewebs- und Epithelialkrebszellen
sich annähernd in gleicher Weise verhalten und so die fundamentale
Ähnlichkeit in den physiologischen Eigenschaften verschiedener somatischer
Zellen unabhängig von ihrer genetischen Beziehung bestätigen.
Wenn wir nun die Krebszellen der gleichen Temperatur noch längere
Zeit aussetzen, oder wenn wir die Temperatur oder die Konzentration
der giftigen chemischen Stoffe steigern, gehen die Zellen insgesamt zu¬
grunde, und nach der Transplantation so behandelter Krebspartikel er¬
folgt kein Wachstum mehr. Gegen den Einfluß der Kälte sind die Krebs¬
zellen viel widerstandsfähiger. Sie können eine verhältnismäßig lange
Zeit bei 0° C. gehalten werden, ohne ihre Wachstumskraft nach der Ver¬
impfung auf ein Tier zu verlieren. Sie vermögen auch einer Temperatur
erheblich unter dem Gefrierpunkt zu widerstehen, ohne in irgendeinem
bedeutenden Grade geschädigt zu werden. Diese Eigenschaften sind
übrigens nicht für Tumorzellen charakteristisch, sondern soweit der gegen¬
wärtige Stand unserer Forschungen ein endgültiges Urteil gestattet, sind
sie den Krebszellen, vielen normalen Geweben und auch einzelligen
Organismen gemeinsam.
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Das Krebsproblem.
731
Wenn wir sorgfältig das Wachstum solcher Tumoren mit experi¬
mentell herabgesetzter Virulenz studieren, bemerken wir, daß eine gewisse
Anzahl von Krebsen nur eine bestimmte Zeitlang wächst, und daß dann
anstatt eines andauernden Wachstums, wie es beim Krebs die Regel ist,
zunächst ihre Proliferation auf hört, und sie zu schwinden beginnen, bis
sie in verhältnismäßig kurzer Zeit gänzlich verschwinden und nichts
mehr darauf hindeutet, daß jemals ein Krebs bei dem Tier gewachsen
w r ar. Ähnliche Rückbildungen kommen gelegentlich auch bei gewöhnlich
transplantierten Krebsen vor; die Häufigkeit freilich schwankt je nach
der zur Inokulation benutzten Krebsart.
Eine Krebsrückbildung ist eine sehr seltene Erscheinung bei
spontanen Tumoren, welche nicht als Folge einer Verimpfung entstehen.
Hier ist sie sehr viel ungewöhnlicher als bei transplantierten Tumoren.
Doch auch beim Menschen sind einige wenige Fälle beobachtet, in welchen
unzweifelhaft Krebs sich zurückzubilden begann, und Heilung erfolgte.
Wenn wir solchen sich zurückbildenden Krebs unter dem Mikroskop
untersuchen, bemerken wir, daß die Zellproliferation noch lange Zeit an¬
dauert, ungeachtet der Größenabnahme des Tumors, und es gelingt auch
von einem solchen retrograden Krebs eine neue Geschwulst zu erzielen,
wenn wir ihn auf andere Individuen übertragen. Aber im großen ganzen
und vorzüglich bei gewissen Arten solcher sich zurückbildender Tumoren
haben die Zellen erheblich an Vitalität verloren, und wenn man sie zur
Verimpfung verwendet, sind sie der Entwicklung großer Tumoren weniger
günstig.
Alle die beschriebenen Eigenarten der Tumorzellen unterscheiden
nicht scharf die Krebszelle von einer gewöhnlichen Bindegewebszelle.
Tatsächlich sind unsere Betrachtungen auf der Voraussetzung gegründet,
daß sie noch die Eigenschaften der gewöhnlichen Bindegewebszelle be¬
halten. Und das ist in der Tat der Fall. Daß die Krebszellen noch
Funktionen der Organe ausiiben, von welchen sie stammen, kann auf
verschiedene Weise bewiesen werden. Ich erwähne ein Beispiel, welches
diese Tatsache besonders gut illustriert. Bekanntlich hat die Thyreoidea
des Menschen gewisse Funktionen, welche sie durch das ausübt, was
man interne Sekretion nennt. Die Drüse erzeugt einen Stoff, welcher
wahrscheinlich in den Kreislauf übergeht, und dessen Anwesenheit zur
Erhaltung der Gesundheit erforderlich ist. Nach der vollständigen Ent¬
fernung der Thyreoidea treten bestimmte wohlcharakterisierte Krankheiten
auf. Nun ist ein Fall in Erinnerung, in welchem bewiesen werden kann,
daß nach operativer Entfernung der krebsig gewordenen Thyreoidea ein
sekundärer metastatischer Knoten der krebsigen Thyreoidea, ein Knoten
demnach, welcher selbst aus Krebsgewebe besteht, noch diese innere
Sekretion leistete und dem Auftreten der Symptome, welche unbedingt
der Entfernung der Drüse folgen, vorbeugte.
Wenn Krebszellen und gewöhnliche Gewebszellen so ähnlich sind,
nach welcher Richtung hin unterscheiden sie sich denn? Krebszellen
unterscheiden sich von gewöhnlichen Gewebszellen, von welchen sie aus¬
gegangen sind, in erster Linie durch ihre gesteigerte Wachstumsenergie
und zweitens durch ihr Vermögen, in andere Gewebe einzudringen, sie
zu infiltrieren. Und doch sind diese beiden Eigenschaften nicht absolut
charakteristisch für Krebs. Wir sind imstande, das Wachstum gewöhnlicher
Gewebszellen derartig zu steigern, daß es eine Zeitlang an Intensität
sogar das Wachstum von Krebszellen überschreitet. Eine verhältnismäßig
geringe Steigerung der proliferierenden Kraft wird z. B. bei der Wund-
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732
Leo Loeb, Das Krebaproblem.
heilung beobachtet, wo das Epithel und das Bindegewebe in die Wunde
hineinwächst, bis der Defekt ausgeglichen ist. Ein noch auffallenderes
Verfahren, eine sehr ausgesprochene Gewebsproliferation zu verursachen,
ist jüngst entdeckt. Man hat gefunden, daß gewisse Organe in gewissen
Zwischenräumen eine spezifische Substanz hervorbringen, welche mit den
Bindegewebszellen eines anderen Organes sich vereinigt. Diese chemische
Substanz macht die Bindegewebszellen außerordentlich empfindlich für
verschiedene mechanische Reize. Sie sensibilisiert diese Zellen, wie wir
es ausdrücken können. Berührung mit einem Fremdkörper veranlaßt
solche sensibilisierten Zellen zu enormem Wachstum und in wenigen Tagen
erreichen sie die Größe eines Tumors. Doch nach verhältnismäßig kurzer
Zeit hört diese Proliferation wieder von selbst auf, zugleich mit dem
Versiegen der inneren Sekretion, welche dies Wachstum hervorgerufen
hat. Krebswachstum unterscheidet sich von solcher Proliferation durch
sein konstantes Bestehen. Die Steigerung der proliferierenden Energie
ist nicht vorübergehend, sondern dauernd. Und eine solche dauernde
Proliferation sind wir bisher noch nicht imstande gewesen, nach Belieben
experimentell zu erzeugen, und das ist einer von den Gründen, weshalb
das Krebsproblem noch nicht als gelöst angesehen werden kann. Vorüber¬
gehende Tumoren können wir nach Gefallen erzeugen — aber keinen
wirklichen Krebs, welcher dauernd wächst.
Die zweite charakteristische Eigenschaft des Krebswachstums ist
sein Vermögen, das umgebende Gewebe zu infiltrieren und zu zerstören.
Aber auch dies Vermögen ist keine absolut unbekannte Qualität. Während
der embryonalen Entwicklung dringen gewisse Zellen der äußeren Schicht
des Embryo normal in das umgebende Gewebe ein, mit welchem sie in
Verbindung treten, welches sie ernährt. Hier aber handelt es sich
wiederum um eine vorübergehende Erscheinung, während beim Krebs
das infiltrative Wachstum bestehen bleibt.
Krebszellen unterscheiden sich demnach von anderen Zellen, insofern
sie konstant gewisse Eigenschaften haben, welche andere Körperzellen
nur vorübergehend besitzen. Und eine Aufgabe des Krebsproblems ist es,
Wege zu finden, um solche gesteigerte Wachstumsenergie, ein infiltratives
Wachstum dauernd zu erzeugen. Unter gewissen Umständen ist es uns
allerdings gelungen, experimentell einen neuen Tumor hervorzubringen.
Wenn wir einen Epithelkrebs, ein Karzinom auf eine Maus oder Ratte
verimpfen, haben wir in einer gewissen Anzahl von Fällen beobachtet,
daß sich bei der geimpften Maus nicht nur ein Karzinom, sondern auch
ein Bindegewebstumor, ein Sarkom entwickelt, und beide Tumoren können
unabhängig voneinander auf andere Individuen fortgepflanzt werden.
Diese bemerkenswerte Tatsache ist in einer Anzahl von Tumoren zu ver¬
schiedenen Zeiten nach der Inokulation beobachtet und wahrscheinlich
abhängig von einem reizenden Einfluß unbekannter Natur, welche die
Krebszellen auf das Bindegewebe der Umgebung ausüben. Ähnliche
Beobachtungen sind beim Menschen gemacht. Eine Person litt zunächst an
Epithelialkrebs der Thyreoidea und wurde zweimal operiert. Bei jeder
Operation konnte der Tumor vollständig exzidiert werden. Nur wenige
Krebszellnester blieben zurück und gaben zu einem Rezidiv Anlaß und
zu sekundären Knoten (Metastasen) in anderen Organen. In den rezi¬
divierenden Tumoren und Metastasen wurde der Epithelialkrebs, das
Karzinom allmählich durch einen Bindegewebskrebs, ein Sarkom ersetzt.
Die Erklärung ist hier wahrscheinlich ähnlich wie im Falle der experi¬
mentellen Erzeugung: Das krebsige Epithel übermittelt auf das umgebende
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Bindegewebe einen gewissen Wachstumsreiz. Ein solches Auftreten er¬
klärt wahrscheinlich auch die Tatsache, daß wir in manchen Fällen beim
Menschen und Tier in demselben Organ gleichzeitig zwei Tumoren, ein
Karzinom und ein Sarkom finden. Von beiden Tumoren bestand zuerst
nur der Krebs, rief aber sekundär den zweiten Tumor, das Sarkom hervor,
während das Karzinom aus dem normalen Gewebe entstanden ist. Aber
auch bei dem eben erwähnten Versuch können wir ganz zufrieden mit
dem Versuchsergebnis sein, insofern wir eine solche Umwandlung von
normalem Bindegewebe in Sarkom nach Belieben nicht hervorbringen
können. Manchmal mag es vielleicht gelingen, zu anderer Zeit aber
haben wir keinen Erfolg. Ersichtlich spielen noch verschiedenartige
Faktoren eine Rolle, welche wir noch nicht kennen und beherrschen.
Zudem möchten wir gewisse Tumoren erwähnen, welche sich beim Menschen
unter dem Einfluß von Röntgenstrahlen entwickeln. Auch in diesem
Falle vermögen wir ersichtlich noch nicht alle mitspielenden Faktoren
zu beherrschen, insofern wir noch nicht imstande sind, eine derartige
Veränderung beliebig bei Tieren hervorzubringen. (Schluß folgt).
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Demonstration eines Falles von Epidermolysis bullosa der dystroph. Form.
Von Dr. Sobotka.
(Wissenschaftliche Gesellschaft Deutscher Ärzte in Böhmen. Sitzung am 19. 5. 1911.)
Heredität nicht nachweisbar, Geschwister gesund. Die Abhängigkeit
der Hautveränderungen von mechanischen Traumen spricht sich in der
Lokalisation der ersteren (vorzugsweise an Unterarmen und Händen,
Unterschenkeln und Füßen und ganz besonders über Knochenvorsprüngen
dieser und anderer Gegenden) auf das deutlichste aus. Urticaria factitia.
An den elastischen Fasern der obersten Schichten anscheinend normaler
Herdstellen geringe Veränderungen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Schürmann u. Sonntag (Bern), Untersuchungen über die auf ver¬
schiedene Weise hergestellten Tetanusheilsera mit Hilfe von Immunitäts¬
reaktionen und Tierversuchen. (Zeitschr. für Immunitätsforschung und
experimentelle Therapie-Originale, Bd. 9, H. 4.) Verfasser kommen zu
folgendem Schlüsse:
In zahlreichen geprüften Tetanusheilsera verschiedenster Provenienz
und nach verschiedenen Methoden dargestellt, konnten komplementbindende
Stoffe spezifischer Art nicht nachgewiesen werden. Die Tetanus- sowie
Diphtherie- und das .Tuberkuloseserum Höchst geben mit Tetanuskultur¬
bodensatz und -toxin, Diphtheriekulturbodensatz und -toxin, Tuberkulin und
Meningokokkenextrakt Komplementbindung unspezifischer Art von an¬
nähernd gleicher Stärke. Die mit filtrierten Kulturen (Toxinen) einer-,
seits, mit unfiltrierten Kulturen andererseits hergesteilten Sera unterschei¬
den sich bezüglich ihres Komplementbindungstiters nicht voneinander.
Autoreferat.
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Referate und Besprechungen.
Bussou (Graz), Versuche zur Oberflächensterilisation ganzer Organe
für die Gewinnung von Reinkulturen aus diesen. (Zentralbl. für Bakt.,
Bd. 58, H. 5.) Mit den vom Verfasser benutzten Desinfektionsmitteln (Alko¬
hol, Natron-Kalilauge, Formalin, Salizylsäure, Salizylaldehyd, Lysol, Lyxo-
form, Morbizid, Jod, Antiformin, Argentium nitricum, Alkohol und Ab-
brennen desselben, strömender Dampf) gelingt es leicht und in kurzer Zeit,
Instrumente zu sterilisieren; „eine stärkere oder länger andauernde Ober¬
flächenverunreinigung von frischen Organen sicher auszuschalten ist, durch
vorliegende Versuche nicht geglückt“. Schürmann.
Frankel (Hamburg), Die passive Tuberkulinanaphylaxie bei Meer¬
schweinchen und ihre Unbrauchbarkeit für die Diagnose der Tuberkulose.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 5.) Verfasser hält die nach Injektion
von tuberkuloseverdächtigem Material mit nachfolgender Tuberkulininjek¬
tion beobachtete Temperatursteigerung für kein geeignetes Kriterium der
Diagnose der Tuberkulose. Sie kann bei Vorbehandlung mit Serum oder
Exsudat tuberkulöser Individuen fehlen. Auch Tuberkulininjektionen allein
folgt häufig Temperatursteigerung. Schürmann.
Bruschettini (Genua), Die Immunisierung und Behandlung der Tuber¬
kulose. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 2.) Die Arbeit enthält in Kürze
das vom Verfasser angewandte Verfahren zur Immunisierung und Behand¬
lung der Tuberkulose. Das Serum wurde von Pferden gewonnen, die mit
abgetöteten Kulturen von Tuberkelbazillen, mit Endotoxinen und lebenden
Bazillen behandelt waren. Die Versuche mit dem so gewonnenen Serum bei
tuberkulös infizierten Meerschweinchen waren nach Ansicht des Verfassers
sehr glänzend. 68—72% der Tiere blieben frei von Tuberkulose, wenn das
Serum am 6. Tage nach der Infektion injiziert wurde. Schürmann.
Poppe (Berlin), Über Glyzerolatnährboden. (Zentralbl. für Bakt., Bd.
58, H. 5.) Zur Züchtung schwer kultivierbarer Bakterien verwendete Verf.
die nach Cantani hergestellten Glyzerolate. (Mischungen gleicher Teile
alb umin haltiger Flüssigkeit mit Glyzerin.) Blut- und Eidotterglyzerolate
bieten für die Kultivierung von Meningo- und Pneumokokken, sowie der
Diphtheriebazillen manche Vorteile. Schürmann.
Innere Medizin.
Warren A. Dennis (St. Paul), Ein Fall von gonorrhoischer Parotitis.
(The St. Paul med. journal, April 1911.) Die Zeiten sind vorüber, in denen
man die Gonorrhöe allgemein für eine unschuldige Kinderkrankheit hielt,
in schweren Fällen hält man sie gegenwärtig vielfach sogar für eine richtige
Septizämie, zweifelhaft sind nur noch die Resultate der Behandlung gonor¬
rhoischer Komplikationen mit Serum oder Vakzinen. Dennis veröffent¬
licht nun einen Fall von gonorrhoischer Parotitis bei einer 28jährigen Frau,
die sich im vorigen Jahr von auswärts in das St. Paul-Hospital aufnehmen
ließ und seit einem Monat an unregelmäßiger Menstruation und Empfind¬
lichkeit im Becken mit Fieber litt, so daß der wachhabende Arzt an eine
Fehlgeburt dachte und — ohne Erfolg — ein Kürettement machte. Blasen-
oder Harnröhrensymptome fehlten, die Vaginaluntersuchung ergab nichts
als eine leichte Empfindlichkeit über den Tuben. Die linke Schulter und
die rechte Parotitis waren geschwollen, letztere enthielt jedoch zunächst
keinen Eiter. Dieser wurde erst später in der ebenfalls erkrankendem
linken Parotis und dann auch rechts gefunden. Mikroskopisch wurden
jetzt einige Diplokokken gefunden, worauf sich nunmehr der Verdacht
gründete, daß es sich um Gonokokkeninfektion handelte. In der Tat wurde
erst Besserung und schließlich Heilung nach mehrfachen Injektionen von
Gonokokkenserum erzielt. Ähnliche Fälle hat D. mehrfach in seiner Praxis
gehabt. Towner berichtet in the Medical Record von 1907 über eine Reihe
von 55 Gelenkaffektionen, von denen 78% auf ähnliche Weise geheilt oder
erheblich gebessert wurden. Rogers (dasselbe Journal) erzielte anschei-
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Referate und Besprechungen.
735
nend 75% Heilungen. Die Serumbehandlung scheint sonach einen Fort¬
schritt in der Behandlung gewisser gonorrhoischer Komplikationen darzu-
steilen. D., der sie bisher nur in drei Fällen, darunter dem berichteten*
angewendet hat, fügt am Schlüsse hinzu, daß die Parotissymptome sich]
besserten, sobald Drainage angewendet wurde, und nur die Schulter durch
das Serum beeinflußt zu werden schien. Peltzer.
Ch. Esmonet (Paris), Der Glaube an das Pestserum. (Progres med.,
Nr. 9, S. 112/113, 1911.) Es gibt doch recht ungläubige Menschen auf dieser
schönen Welt! Da gellt Herr Esmonet her und erinnert daran, daß die
Menschheit ebenso wie sie heute vom Pestserum und anderen Seris hypnoti¬
siert ist, in gleicher Weise in früheren Jahrhunderten an Bezoard, an den
großen Alkest, an Nepenthes, Liquidambar usw. geglaubt hat. —
Robert Schumann kann man es verzeihen, wenn er 1832 zwar
nicht über Pferde-, Hammel- usw.-Sera, sondern über seine „Tierbäder“ an
die Mutter schrieb: „Die Kur ist nicht die reizendste, und ich fürchte sehr,
daß von der Rindvieh-Natur etwas in die meine übergehen möchte“; und
F a r a d a y mag vielleicht recht gehabt haben, als er 1853 an Schönbein
schrieb • „Wie ist die Welt voll von Unstimmigkeiten, Widersprüchen und
Dummheiten!“ Aber heute, im Zeitalter der Exakten, ist das alles ganz
anders geworden; darum gehen Sie in sich, M. Esmonet, und beschwören
Sie nicht so dunkle Erinnerungen herauf! Buttersack (Berlin).
H. Nädor (Budapest), Über die akute luetische Nephritis im Zusammen¬
hang mit einem durch Salvarsan geheilten Fall. (Deutsche med. Wochen¬
schrift, Nr. 18, 1911.) Das Vorkommen einer akuten luetischen Nephritis
ist äußerst selten, von vielen Autoren wurde es sogar früher geleugnet. Es
müssen bei der Stellung der Diagnose folgende Kriterien beachtet werden:
Die Nieren müssen vor der Infektion gesund gewesen sein. Beim Auftreten
von nephritischen Erscheinungen sollen gleichzeitig deutliche Symptome von
Lues zugegen sein. Die Nephritis muß durch eine antiluetische Therapie
geheilt oder gebessert werden. N ador teilt nun einen Fall mit, bei dem
die Anamnese keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß irgendwelche Erkran¬
kungen vorausgegangen sind, die eine Nephritis zur Folge haben konnten.
Das Vorhandensein einer Lues, das zwar vom Patienten geleugnet wird, er¬
gibt sich aus der positiven Wassermann’schen Reaktion und den ganzen
Lebensverhältnissen. Auch die dritte Forderung wird hier erfüllt: durch
Salvarsaninjektion wird die Nephritis geheilt, die Wassermann’sche Reaktion
wird negativ. Was die Symptome der luetischen Nephritis betrifft, so waren
sie in dem genannten Falle deutlich vorhanden; sie bestehen in sehr starkem
Eiweißgehalt, sowie in Fehlen der roten Blutkörperchen im Sediment. Als
Therapie kommt bei der Erkrankung bei der Gefährlichkeit des Quecksilbers
und Unzuverlässigkeit des Jod die Salvarsaninjektion in Betracht. Irgend¬
welche Zeichen einer Arsenintoxikation hat N. bis auf einen heftigen Darm¬
katarrh nicht beobachtet. F. Walther.
F. de Haviland Hall, Die Hodgkin’sche Krankheit und das inter¬
mittierende Fieber. (Practitioner, Bd. 86, H. 4.) In manchen Fällen von
Hodgkin’scher Krankheit sind wiederholte, einige Tage dauernde Fieber-
anfälle das erste Symptom. Es ist schon vorgekommen, daß man auifl
Grund derselben Malaria diagnostizierte. Bei der großen Inkonstanz der
Symptome — bald sind die oberflächlichen, bald die tiefen Lymphdrüsen
geschwellt, bald sind Leber und Milz vergrößert, bald nicht oder wenigstens
zu Lebenszeiten nicht merkbar, bald ist das Blut unverändert, bald ver¬
ändert — ist auf etwaige Fieberperioden bei der Diagnose Wert zu legen.
Ein Fall von solchen Fieberperioden ist bekannt geworden, bei dem trotz*
monatelanger Beobachtung im Krankenhaus keine bestimmte Diagnose ge¬
stellt werden konnte, bis man schließlich per exclusionem zur Vermutung
der Hodgkin’schen Krankheit kam (leider konnte man nun des mittlerweile
entlassenen Pat. nicht mehr habhaft werden).
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Referate und Besprechungen.
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Zwischen Lymphosarkom und Hodgkin besteht keine scharfe Grenze,
nicht nur intra, sondern auch extra vitam.
In der Therapie bringt H. nichts wesentlich neues, selbst dem Arsenik
schreibt er nur eine vorübergehende Wirkung zu. Er ist im Gegensatz zu
Eve der Ansicht, daß in gewissen Fällen die Exstirpation der Lymph-
drüsen die Krankheit aufhalten könne. Fr. von den Velden.
G. Fatterolf u. G. W. Norris (Philadelphia), Anatomische Erklärung
der Lähmung des linken Nervus laryngealis recurrens in gewissen Fällen
von Mitralstenose. (The americ. journ. -of the med. scienc., Mai 1911.)
In den letzten 13 Jahren ist über 37 Fälle von Mitralstenose mit Beein¬
trächtigung oder Aufhebung der Bewegungen des linken Stimmbandes be¬
richtet worden, ohne daß da, wo es zur Autopsie kam, Klarheit über die
Ursache des Druckes auf den linken Rekurrens gewonnen werden konnte.
Um eine solche womöglich zu schaffen, haben die Verf. sämtliche bis jetzt
überhaupt veröffentlichten Fälle einer Analyse unterzogen und Studien an
Sektionen und Schnitten von gehärteten Thoraxpräparaten gemacht, letz¬
teres aus dem Grunde, weil Beobachtungen an weichen Körpern von zweifel¬
haftem Wert sind, indem beim Öffnen der Brust Kollaps und Verzerrungen
der Eingeweide stattfinden. Die Härtung bestand in arterieller Injektion
einer Formaldehydlösung. Auf Grund dieser Studien und Experimente ge¬
langen die Verf. zu der Überzeugung, daß, wenn überhaupt Kompression
für eine Rekurrenslähmung in Frage kommt, diese stets durch eine Quet¬
schung des Nerven zwischen der linken Pulmonalarterie und der Aorta oder
dem Ligam. aortic. veranlaßt ist. Peltzer.
H. C. Bailey (New York), Pulsationen in den peripherischen Venen.
(The americ. journ. of the medic. scienc., Mai 1911.) Pulsationen in peri¬
pherischen Venen werden gewöhnlich veranlaßt 1. durch eine unter ihnen
liegende oder ihnen benachbarte Arterie, 2. durch einen Varix aneurysinaticus
oder direkte Verbindung mit einer Arterie, 3. in gewissen Fällen durch
Aortenregurgitation, in weichten der Stoß bis durch die Kapillaren geht.
Bailey veröffentlicht nun einen Fall von Herzerweiterung, aus dem her¬
vorgeht, daß auch vom rechten Herzen aus bei Inkompetenz der Trikuspidalis
infolge von Regurgitation eine Pulswelle in den Venen der Unterextremitäten
veranlaßt werden kann. Dieser Venenpuls erscheint stets erheblich später
als der Arterienpuls. Die Schließungsunfähigkeit der Trikuspidalis kann
ferner Varikositäten der Unterextremitätenvenen veranlassen. In einem ande¬
ren Fall, der B. im M. Sinai - Hospital (New York) gezeigt wurde, ver¬
anlaßt« eine Aortenregurgitation besonders auf den Handrücken Venen-
pulsationen. Der Kapillarpuls konnte überall an den Gliedmaßen gefühlt
werden. Druck auf eine Vene sperrte den Puls oberhalb ab. Das Aorten-
geräusch war deutlich, aber nicht laut. Peltzer.
Brieger, Zur Frühdiagnose des Karzinoms. (AUg. med. Zentralztg.,
Nr. 13, 1911.) Verf. bestimmt mit einer l'°/ 0 igen Trypsinlösung, die nach
seinen besonderen Abgaben hergestellt wird, den Antifermentgehalt des
Blutes, im nüchternen Zustande, 4 Stunden nach der Mahlzeit, und hat ge¬
funden, daß eine erhebliche Vermehrung der Antifermente, stattfindet bei
Karzinom bis zu 95 %• Man kann also damit die Kachexie schon zu einer
Zeit feststellen, wo sie dem Auge sonst noch nicht sichtbar ist: Sie ist
unter Berücksichtigung der klinischen Symptome differentialdiagnostisch ver¬
wendbar. v. Schnizer (Höxter).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
R. Birnbaum (Hamburg), Die Behandlung der Placenta praevia in der
Praxis. (Ther. Monatsh., April 1911.) Die Behandlung der Placenta praevia
soll in Angriff genommen werden, sobald sie erkannt ist. Diese Forderung
erscheint selbstverständlich, und doch wird immer und immer wieder ab-
wartend verfahren; die Frauen werden ins Bett gesteckt, Opium. Hydrastis
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Referate und Besprechungen.
737
usiw. gegeben. Das ist falsch und geeignet, die Frau nach notdürftiger
Stillung der vorhandenen Blutung bei der nächsten ev. sehr starken ins
Grab zu bringen. Sobald also die Diagnose Placenta praevia gestellt ist,
wird die Geburt in Gang bzw. zu Ende gebracht. Zunächst ßoll man die
Haare in der Umgebung der Vulva gründlich rasieren. Durch die meist
gehäuften, wenn auch schwächeren Blutungen sind die Haare mit Blut,
Schweiß und Hauttalg fest verklebt; die Körperwärme begünstigt bei einem
derart vorzüglichen Nährboden hier die vorhandenen Keime, die ja auch
in die mütterliche Blutbahn eindringen könnten. Nach gründlicher Des¬
infektion der äußeren Genitalien (Wasser, Seife, Lysol 1%) wird dann zu¬
nächst eine Scheidenspülung gemacht, um das vorhandene schleimig-blutige,
im hinteren Scheidengewölbe stagnierende Sekret zu entfernen. Am besten
wird dann die Scheide ausgeseift und zum Schluß noch einmal ausgespült.
Ist der Muttermund nur knapp für einen Finger durchgängig, so wird die
Scheide nach Entleerung der Urinblase tamponiert, bei Blutungen, um die
Blutung zu stillen und außerdem Wehen anzuregen, bei fehlender bzw.
beendeter Blutung, um Wehen hervorzurufen und die Geburt in Gang zu
bringen. Die Tamponade wird auf einem Tisch oder auf dem Querbett aus-
geführt; im Längsbett kann sie niemals gründlich vorgenommen werden.
Zur Tamponade nimmt man Jodoform wattekugeln, die man vorher mit
Lysollösung anfeuchtet. Gaze zur Tamponade zu verwenden, hält B. für
eine grobe Fahrlässigkeit. Man braucht etwa 10—20 mittlere Tampons.
Nach der Tamponade wird die Frau ins Bett gebracht und eventuell Koch¬
salz subkutan oder per rectum gegeben. S. Leo.
G. A. Walcher (Straßburg), Zur Methode und Indikationserweiterung
des zervikalen Kaiserschnitts. (Münchn. med. Wochenschr., S. 195, 1911.)
Der extraperitoneale Kaiserschnitt hat in den 4 Jahren seines Bestehens un¬
endlich viele Wandlungen durchgemacht. W. veröffentlicht die von Feh¬
ling angewandte Methode, die bewußt auf extraperitoneales Vorgehen ver¬
zichtet. Technik muß im Originale nachgelesen werden. Die Methode stellt
sich als transperitoneale Inzision des Zervix dar unter Verzichtleistung auf
temporären Peritonealabschluß. Frankenstein (Köln).
A. Herzfeld (New-York), Eine Portiozange mit abnehmbaren Hand¬
griffen. (New Yorker med. Monatsschr., H. 12, 1910.) Herzfeld hat
besonders für diejenigen Praktiker, die nicht glückliche Besitzer langer
Finger sind, eine Portiozange konstruiert, die nach Spiegeleinstellung der
Portio angehakt wird. Behufs Entfernung des Spiegels können die Griffe
abgenommen und darauf wieder befestigt werden.
Die so gewährleistete Einstellungsmöglichkeit der Portio beseitigt die
Schwierigkeiten beim Anhaken des Uterus, die bei häuslicher Behandlung
infolge ungenügender Beleuchtung und Assistenz oft Vorkommen. Esch.
R. T. Jaschke (Greifswald), Über das Anwendungsgebiet des Pfannen-
stierschen Faszienquerschnittes. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2283, 1910.)
Die zweifellosen Vorzüge des Pfannenstie l’schen Faszienquerschnittes
sind: das kosmetische Resultat, die Möglichkeit des Frühaufstehens, die
geringe Gefahr der Hernienbildung. Gegen diese Schnittführung wurde die
Gefahr einer Fasziennekrose vorgebracht, doch lehrte die zunehmende Er¬
fahrung, daß dieses Vorkommnis ohne Infektion ausgeschlossen ist. Die
Ausstellung, daß der Querschnitt geringere Übersicht und schwerere Zu¬
gänglichkeit schafft, ist richtig. Nur darf man sich nicht scheuen, den
Schnitt recht groß zu machen, ihn eventuell vier Zentimeter höher und
flach konkav zum Nabel anzulegen. Bei großen Tumoren und fettreichen
Bauchdecken dürfte der Längsschnitt bequemer sein; eine Vergrößerung des
Querschnittes ist zwar möglich, hat aber doch etwas Mißliches. Ebenso
ist es richtig, daß der Querschnitt etwas kompliziertere Wundverhältnisse
schafft; weitere Erfahrungen zeigten aber, daß auch bei Infektion der Binde-
gewebswunde noch eine gute Wundheilung mit linearer Narbe und ohne
Hernienbildung und zwar ohne Sekundärnaht möglich ist und häufig erfolgt.
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Referate und Besprechungen.
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Um Hernienbildung sicher zu vermeiden, empfiehlt J. Fasziennaht mittels
Knopfnähten und frühzeitige Entfernung der Hautnähte. Bei Eiterungen be¬
ginnt der Prozeß zunächst in den seitlichen Wundtaschen; und läßt sich hier
leicht lokalisieren, eröffnen und dränieren. In der Tat dürfte demnach der
Querschnitt bei eitrigen Prozessen dem Längsschnitt überlegen sein. Ref.
steht schon seit einigen Jahren auf diesem Standpunkte und kann aus eigenem
Materiale die Vorteile des Querschnittes gerade bei eitrigen Prozessen mehr¬
fach belegen. Frankenstein (Köln).
M. Schwab (Nürnberg), Die Bedeutung des medikamentösen Tampons
für die Gynäkologie. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2231, 1910.) In diesem
außerordentlich geschickt geschriebenen Artikel weist Schw. die Unzuläng¬
lichkeit der Tamponbehandlung in der bisher angestrebten Weise nach. Er
zeigt, daß von einer Resorption oder Tiefenwirkung der mittels Tampons
eingebrachten Medikamente gar keine Rede sein kann. Die Tamponbehand¬
lung gilt ihm sonach lediglich zur Verdeckung seiner nihilistischen Therapie
und vor allem zur psychischen Beeinflussung. Sie erweckt den Anschein,
als ob die von selbst eintretende Besserung durch sie beeinflußt werde und
hilft, die Operation zu umgehen oder herauszuschieben.
Ref. vermißt leider die Behandlung der Kostenfrage, die gerade für das
Hauptkontingent der adnexkranken Frauen eine eminente Rolle spielt.
Frankenstein (Köln).
R. T. Jaschke (Greifswald), Die Frage der Ehe bei herzkranken Mäd¬
chen. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2467, 1910.) Die großen Meinungs¬
verschiedenheiten der Autoren, welche bisher diese Frage bearbeitet haben,
ist auffallend genug, um eine erneute Revision dieses Themas zu begründen.
Zur Erklärung der widersprechenden Ansichten dient einmal der Umstand,
daß häufig aus einem zu kleinen Materiale weitgehende Schlüsse gezogen
wurden, ferner der wesentliche Unterschied durch den Beobachtungsstand¬
punkt des Internisten und den des Gynäkologen. J. verfügt nun über ein
Material von 546 herzfehlerkranken Frauen mit 1525 Schwangerschaften.
Er kommt zum Schlüsse, daß reine Klappenfehler, bei denen der Herz¬
muskel sich noch nicht insuffizient gezeigt hat, keineswegs ein Eheverbot
rechtfertigen. Bei Herzmuskelerkrankungen dagegen wird alles von einer
wiederholten Funktionsprüfung des Herzens abhängen und, falls wirklich
der ärztliche Ehekonsens gegeben wird, eine Beschränkung der Kinderzahl
anzustreben sein. Bei chronischer Herzinsuffizienz (Romberg) ist die
Ehe strikte zu verbieten. Bei Kombination von Herzerkrankungen mit ande¬
ren Leiden wird das Heiratsverbot nicht allein durch den Zustand des Herzens
bestimmt. Herzneurosen lassen ein Eheverbot nicht begründen.
Frankenstein (Köln).
M. Henkel (Jena), Über den Einfluß der Kochsalzinfusion (Experi¬
mentelle Beiträge). (Münchn. med. Wochenschr., S. 2505, 1910.) Nach gründ¬
licher Darlegung der bislang vorliegenden Literatur über Kochsalzinfusion
berichtet H. über Versuche, die er bei Schwangeren und Nierenkranken mit
Kochsalzdarreichung gemacht hat. Er gab 6 Schwangeren im letzten
Schwangerschaftsmonate pro die 10 g Kochsalz per os, weiterhin 4 Schwange¬
ren dreimal je 1 1 l,8°/o Kochsalzlösung subkutan, ferner 4 Schwangeren
je 5 ccm einer 10%iKen Kochsalzlösung intravenös, endlich behandelte er
3 Nephritiden in ähnlicher Weise mit Kochsalz. In keinem Falle ließ sich
eine Schädigung des Organismus nachweisen, auch nicht bei den Nephritiden.
H. meint also, daß die Kochsalzinfusion keineswegs schädigend, vielmehr
durch Verdünnung etwaiger Giftstoffe günstig wirke.
Frankenstein (Köln).
E. Zweifel (Leipzig), Über die Anwendung der Lumbalanästhesie in
der Universitäts- Frauenklinik in Leipzig. (Münchn. med. Wochenschr.,
S. 2416, 1910.) Z. kann über 1500 Fälle von Lumbalanästhesie berichten,
welche seit 1906 ausgeführt worden sind. Die Technik ist kurz folgende:
In Skopolamin-Morphium-Dämmerschlaf Desinfektion, Punktion des Rücken-
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markskanals in sitzender Stellung. Augenblicklich wird 0,15 Novokain
(Höchst) verwendet in 3 ccm Kochsalzlösung mit 5 Tropfen Solutio
Adrenalin. Die Anästhesie hält 1—IV 2 Stunden an.
Von 98 Stovainnarkosen waren 56% erfolgreich, 34% Versager und
in 10% dauerte der Eingriff länger als 1 Stunde, so daß weiterhin zur
Allgemeinnarkose gegriffen werden mußte.
Von 389 Tropakokainnarkosen waren 50% erfolgreich, fast ebensoviel
Versager; diese Erfolge waren recht unbefriedigend.
Von 598 Novokainnarkosen waren über 70% erfolgreich, in 25%
leichte Versager, doch berechnet Z. nach verschiedenen Abzügen den Erfolg
auf fast 90%.
Auffallend ist, daß in Leipzig kein Todesfall unter 1500 Lumbal¬
anästhesien beobachtet wurde und nur 2 Atemlähmungen in der allerersten
Zeit, die auf mangelhafte Technik zurückzuführen sind; ebenso kamen
2 Abduzenzlähmungen in der ersten Zeit vor. Würgen wurde während der
Anästhesie öfters beobachtet. An Kopf- und Nackenschmerzen litten 5%
der Kranken. Frankenstein (Köln).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
G. Lomer, Über die Bedeutung von Ehrlich-Hata 606 für unsere Kultur¬
welt. (Polit. anthropolog. Revue, Januar 1911.) Es ist von Fanatikern
der Sittlichkeit geltend gemacht worden, daß das neue Präparat sozusagen
einen Freibrief für unsittliche Bestrebungen aller Art bedeute. Wenn das
Laster die gefährlichste der Ansteckungen nicht mehr zu fürchten braucht,
so wird es üppiger um sich greifen. Dem ist entgegenzuhalten, daß das
wirkliche Laster sich bis heute durch die ihm bekannten Ansteckungsmög¬
lichkeiten von der Behinderung seiner Triebe nicht hat abhalten lassen.
Wohl aber ist der Gedanke, sich möglicherweise einen gesundheitlichen
Schaden auf Lebenszeit zu holen, für mehr als einen kräftigen jungen Mann
der Grund gewesen, sich des geschlechtlichen Verkehrs zu enthalten. Diese
Abstinenz führte wieder oft zu homosexuellen und onanistischen Neigungen.
Es ist für unser Zeitalter einfach eine Schande, daß das Wort ,,sinnlich“
heute eigentlich durchgehends im herabsetzenden Sinne gebraucht wird.
Auf einer gesunden Sinnlichkeit ist doch das ganze praktische Leben unserer
Tage gebaut. Auf ihrer höchsten Vergeistigung ruht die Kunst. Wie kommen
wir dazu, in dem Begriffe „sinnlich“ etwas Entwürdigendes zu erblicken ?
Das Mittelalter dachte im Punkte des Geschlechtlichen weit natürlicher und
unbefangener als wir. Das wurde anders mit dem Aufkommen der Syphilis,
die damals kurz nach ihrer Einschleppung aus Amerika in viel schwereren
Formen auftrat als heute. Damit begann der Kampf gegen das Badewesen
und die Sinnlichkeit. Seit jener Zeit ist dem Geschlechtsverkehr der Makel
geblieben, der ihm noch heute anhaftet. S. Leo.
Mießner (Bromberg), Die Ursache für die giftige Wirkung saurer
Salvarsanlösungen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 11, 1911.) Durch Ver¬
suche hat Mießner festgestellt, daß an der giftigen Wirkung des Salvarsans
einzig und allein seine ausfällende Eigenschaft in saurer Lösung schuld ist.
Es muß daher stets für eine genügende Alkalisierung gesorgt werden. M.
stellt daher die Lösung in der Weise her, daß 1 g Salvarsan durch tüchtiges
Schütteln mit 20 ccm phys. Kochsalzlösung und dann noch 10 ccm Normal -
natronlauge zugesetzt werden. Diese konzentrierten Lösungen werden von
den Tieren gut vertragen und M. glaubt, daß auch beim Menschen eine Ver¬
dünnung unnötig ist. F. Walther.
J. Zappert, Die Prognose und Frfiherscheinungen der hereditären
Syphilis. (Die Heilkunde. Ärztl. Standeszeitung, Nr. 8, 1911.) Auch bei
Vorhandensein von Frühsymptomen der Erbsyphilis kann ein Verschwinden
der syphilitischen Erscheinungen oft erwartet werden. Damit ist jedoch
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Referate -and Besprechungen.
nicht gesagt, daß bei Fehlen von kenntlichen Luessymptomen die Wasser -
mann’sche Reaktion nicht noch durch längere Zeit im positiven Stadium
verharrt. Als erste Symptome kommen Schnupfen und diffuse Hautinfiltra¬
tionen in Betracht. In dem ersten Stadium äußert sich der Schnupfen ledig¬
lich in einer schnupfenden, geräuschvollen Atmung, und erst in einem
späteren Stadium kommt es zu einem schleimig-eitrigen Ausfluß. Wird
auch in diesem Stajdium das Kind nicht behandelt, so kann es schließlich zu
dem Stadium der Ulzeration kommen, das sich durch starkes, blutig-eitriges
Sekret und durch Geschwiirbildung äußert, und selbst bei ausheilenden
Fällen infolge von Schleimhautschrumpfung, zu Nasendifformitäten führen
kann. Die Hautinfiltrationen machen sich oft nach vorübergehenden Ery¬
themen durch Verdickungen der Haut im Gesicht, namentlich an der Stirn,
dem Kinn, den Lippen, Augenbrauen, der Kopfhaut, ferner den Handtellern
und Fußsohlen kenntlich. Es kommt hierbei nicht selten zu Schuppenbil¬
dungen, sowie auch zu Auflagerungen wie bei einem seborrhoischen Ekzem.
Besonders wichtig sind diese Infiltrationen um die Lippen herum, weil es
hierbei zu Einrissen und Geschwürbildungen am Übergang vom Lippenrot
in die Haut kommen kann, und diese Rhagaden, wenn sie ausheilen, oft in
Form kleiner linearer Perlen oder einer undeutlichen Begrenzung des Lippen¬
rots als Dauerstigmata fortbestehen. Auch der Haarausfall an den Augen¬
brauen und dem Kopfe kann auftreten. S. Leo.
W. Karo (Berlin), Über die kombinierte Behandlung der Gonorrhöe.
(Deutsche med. Wochenschr., Kr. 14, 1911.) Karo rät, die lokale und
interne Therapie bei* Gonorrhöe zu kombinieren. Für erstere hat er bereits
als Ersatz der Spritze die Tuboblennaltuben angegeben, für letztere hat er
von der Askanischen Apotheke in Berlin die Bukkosperinkapseln anfertigen
lassen, Geloduratkapseln, die Balsam, copaiv., Extract. Bucco ää, Hexa¬
methylentetramin 0,1 und Acid. salicyl. 0,05 enthalten. Bei diesen Kapseln
konnte er ein völliges Fehlen von Nebenwirkungen, eine reizmildernde Wir¬
kung in den Harnwegen und gesteigerte Diurese feststellen. Besonders ge¬
eignet sind diese Kapseln bei akuter Cystitis colli und bei der Urethritis
posterior. F. Walther.
Gäli Geza, A lues serodiagnostikäjänak üjabb mödositäsai a gya-
korlatl 61etben valö kiviteluk szempontjaböl. (Budapesti Orvosi Ujsäg,
Nr. 11, 1911.) Nach ausgedehnter Benutzung der vereinfachten Methode der
Wassermann’schen Reaktion nach v. Düngern kommt der Verfasser zu
dem Schlüsse, daß dieses Verfahren .sehr wohl brauchbar ist, aber eine gewisse
Übung voraussetzt. Auf diejenigen Fragen, welche der praktische Arzt wo¬
möglich rasch beantworten muß, gibt es eine vollständig zuverlässige Ant¬
wort. Das Verfahren ist höchst einfach, das Instrumentarium billig, so daß
einer ausgedehnten Verbreitung nichts im Wege steht.
Über das von Perutz und Hermann Beschriebene, Reaktion, Auf¬
lockerung der Sera durch Natriumglvkocholat, und Cholesterin, sagt G., daß
es noch weiterhin an einem großen Material versucht werden müsse, um einer¬
seits über die Natur der Übergangsformen, anderseits 'über die Empfindlichkeit
der Reaktion ein Urteil zu gewinnen. Neumann.
F. Mendel (Essen a. Ruhr), Über Fibrolysin, seine Wirkung, Neben¬
wirkungen und rektale Anwendung. (Therapie der Gegenwart, April 1911.)
Die Arbeit beansprucht besonderes Interesse, insoweit sie sich mit den oft
auffallenden Nebenwirkungen des viel verwendeten Mittels befaßt. Lokale
Nebenwirkungen, leichtes Brennen an der Injektionsstelle und geringfügige
Infiltrate kommen weniger in Frage; sie können vermieden oder bedeutend
vermindert werden durch Erwärmen der Lösung vor der Injektion, wodurch
auch schnellere Resorption erreicht wird. Vereinzelt macht sich bei den
ersten Injektionen eine Idiosynkrasie geltend, ohne daß aber Unterbrechung
der Kur nötig wird, zumal allmähliche Gewöhnung an das Mittel eintritt.
Wichtiger ist eine fieberhafte Allgemeinreaktion, die in der Literatur mehr¬
fach beschrieben ist und die mit schwerem Krankheitsgefühl, allgemeiner
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Referate und Besprechungen.
741
Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, zuweilen auch Urti¬
karia einhergeht. Auffallend ist es, daß diese Reaktion erst nach wieder¬
holten. reaktionslos vertragenen Injektionen auftritt. Mendel erklärt die
Erscheinungen als anaphylaktische. Nach Starkenstein bewirkt Fibro¬
lysin Umwandlung des Kollagens in Leim. Die gelöste Leimsubstanz ruft
im Blute als artfremdes Eiweiß Bildung von Antikörpern hervor. Sobald
diese im Blut kreisen und durch abermalige Fibrolvsinanwendung neues
Eiweiß in die Blutbahn eingeführt wird, sind alle Bedingungen für die
Anaphylaxie gegeben. Da die Fieberreaktion am häufigsten ein tritt, wenn
die Fibrolysinkur am wirksamsten ist — wie Mendel an einem durch
Fibrolysin geheilten Falle von schwerer Arthritis deformans dartut —, so
soll sie auch nicht von der Durchführung der Behandlung abhalten. Die
anaphylaktischen Symptome, die in 24—48 Stunden vollständig zurückgehen-
können durch Darreichung von
Rp. Codein phosph. 0,05
Phenacetin 0,5
Aspirin
M. f. pulv. D. S. alle 3 Stunden 1 Pulver
gemildert werden. Einen Beweis für seine Auffassung sieht Mendel darin,
daß bei den nach Fibrolysininjektionen überempfindlichen Patienten Fibro-
lysinpflaster spezifische Hautreaktionen und Fibrolysin -Suppositorien die
typischen Allgemeinreaktionen hervorrufen. Pflaster und Suppositorien haben
also gleiche pharmakodynamische Wirkung wie die Injektionen. Die rektale
Behandlung mit Fibrolysin-Suppositorien wird besonders bei mit Exsudaten
und Verdickungen einhergehenden gynäkologischen Erkrankungen, Narben -
strängen im Beckenzellgewebe und chronischen Gelenkerkrankungen emp¬
fohlen. Neumann.
Bab (Berlin), Zur Behandlung von Hautkrankheiten mit Opsoninen.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 6, 1911.) Bab hat die Opsonintherapie in
70 Fällen von Hautkrankheiten angewandt, und zwar kamen dabei Akne,
chronische Furunkulose, Pyodermie und Svkosis vulgaris in Betracht. Er
beginnt mit einer Injektion von 50 Millionen Staphylokokkenextrakt, dann
folgt nach 2—3 Tagen eine solche von 100 Millionen, die bei genügendem
Erfolg 2—3mal später nach Verschwinden der Erkrankung einmal wöchent¬
lich wiederholt wird. Nur bei ungenügendem Erfolge wird auf 300 Millionen
gesteigert. Was nun die Erfolge anbelangt, so waren sie am günstigsten bei
chronischer Furunkulose. Als Präparat wurde hier entweder Autovakzin
oder das von Parke Davis & Co. hergestellte angewandt, nur ganz
selten das Opsonogen. Die Akne war dagegen nur sehr mäßig zu beein¬
flussen, obwohl er nur Fälle auswählte, die Eiterbildung aufweisen. Da¬
gegen trat bei Kombination mit Röntgentherapie ein gutes Resultat ein.
Ganz geringe Erfolge -wies die Therapie bei Sykosis auf, desgl. bei Pyodermie.
F. Walther.
Diätetik.
B. Schiffer (Wien). Über Somatose und deren Anwendung als Nähr¬
präparat. (Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 3, 1911.) Schiffer weist von
neuem auf den bereits mehrfach besprochenen Umstand hin, daß die Somatose
kein eigentliches Nährmittel ist. In großen Mengen (40—60 g pro die) wirkt
sie reizend auf den Verdauungsapparat und ruft Diarrhöe hervor, geringe
Mengen kommen aber als Ersatz für Fleisch nicht in Betracht. Sie soll viel¬
mehr als Beikost, als wichtiges Adjuvans der Ernährung dienen, sie soll
8tärkene Sekretion der Verdauungssäfte anregen, dadurch die Eßlust steigern
und die Verdauung fördern (v. Oefele).
Von Somatosepräparaten für bestimmte Indikationen nennt er die Eisen¬
somatose, die tanninhaltige Milchsomatose und die mit Calc. sulfoguajac.
kombinierte Guajakose.
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Referate und Besprechungen.
G. Heinrich (Sülzhayn), „Kufeke“ in der diätetischen Therapie er¬
wachsener Tuberkulöser. (Reichs-Med. Anzeiger, Nr. 26, 33. Jahrg., Dez.
1907.) Die Krankenjournale der Lungenheilstätten verraten, daß die meisten
Patienten von Jugend auf schlechte Esser waren, und das Hauptbestreben
der Phthiseotherapie gipfelt heute in dem Bemühen, die Beköstigung der
Lungenkranken im Sinne einer Überernährung zu gestalten. Dieses ist mit
der gewöhnlichen Nahrung nicht möglich, wenn Schwächezustände die
Lebenskraft des Organismus unterwühlt haben, wenn Fieber und Appetit¬
losigkeit die Nahrungszufuhr erschweren. Das künstliche Nährmittel kann
nur dann ersprießlich sein, wenn es neben den N-haltigen auch N-freie
Komponenten enthält, und zwar letztere in möglichst aufgeschlossener, der
Verdauung mechanisch und chemisch zugänglich gemachter Form. So ent¬
standen die dextrinisierten Mehle, unter denen sich „Kufeke“ durch ge¬
ringen Zuckergehalt (ca. 9%), hohen Prozentsatz an löslichen Kohlehydraten
(ca. 70%) und seinen angenehmen, milden, durch keinerlei Korrigentien
kachierten Geschmack auszeichnet. Diesen Vorzügen verdankt das Präparat
seine Anpassungsmöglichkeit an die Geschmacksrichtung des Patienten und
seine vielseitige Verwendbarkeit in der Krankenküche für Erwachsene.
In „Kufeke“ ist der größte Teil der Stärke durch Diastase in Dex¬
trin und Traubenzucker umgewandelt, und es enthält nach Hof rat Prof. Dr.
E s c h e r i c h -‘Wien von allen ähnlichen Nährpräparaten am meisten in
Wasser lösliche Dextrine.
Verfasser hat „Kufeke“ bei zahlreichen erwachsenen Lungenkranken
als Diätetikum angewandt und besonders bei Phthisikern schätzen gelernt,
wo ein Daniederliegen |der chemischen Magenfunktionen und der Darm¬
verdauungstätigkeit an der Tagesordnung war, indem einerseits durch In¬
gestion einer gewissermaßen schon vorverdauten Diät, andererseits durch
Darreichung des täglichen Nährstoffbedarfs in konzentrierter und doch leicht
resorbierbarer Form die Verdauungsarbeit des Magendarmkanals wesentlich
erleichtert wird. Gute Dienste leistete das Präparat bei Magen- und Darm-
erkrankungen und bei gastrischer Intoleranz der Tuberkulösen.
Diese klinischen Erfahrungen decken sich vollkommen mit den neuesten
experimentellen Forschungen von Labbe und Vitry-Paris, aus denen
hervorgeht, daß man bei forcierter Ernährung Tuberkulöser mit N-reichen
künstlichen Nährpräparaten nicht weit kommen wird und gute Resultate
nur von solchen Nährmitteln erhoffen darf, die wie „Kufeke“ hauptsäch¬
lich N-arme Komponenten, Kohlehydrate und Dextrine enthalten.
Verfasser führt 5 Krankengeschichten von Lungenkranken an, bei denen
„Kufeke“ als Diätetikum sehr gut wirkte. Neumann.
Medikamentöse Therapie.
P. Michaelis (Darmstadt), Eine neue Anwendungsart des Amidoazo-
toluols, des wirksamen Bestandteiles der Scharlachrotsalbe. (Med. Klinik,
Nr. 4, 1911.) Seit Schmie de n’s erster Empfehlung des Scharlachrotes
hat sich dies Mittel in dem chirurgischen Arzneischatz eine souveräne
Stellung errungen. Um die lästige Rotfärbung des Verbandes zu vermei¬
den, empfahl Hertz aus der Klinik von Kern sch das Amidoazotoluol,
welches, wie experimentell erwiesen, der wirksame Bestandteil des Schar¬
lachrot ist. Bisher wurde dies ausgezeichnete Mittel nur in Salbenform
angewandt.
Verf. hat nun das Amidoazotoluol in Pulverform an einem ausge¬
dehnten Materiale erprobt, und zwar mit ausgezeichnetem Erfolge. Vor der
Salbe hat das Pulver recht erhebliche Vorteile. Man kann es an den Ort
bringen, wohin man es gerade will; ohne wie bei der Salbe befürchten zu
müssen, auch die Umgebung damit zu bedecken. Dadurch ist seine An¬
wendung eine sparsame und billige, auch in Höhlen läßt es sich leicht ein-
führen, z. B. wenn man nach Radikaloperationen am Ohre die große Höhle
schnell epidermisieren lassen will. Auf das Gesicht läßt es sich leicht
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Referate und Besprechungen.
743
streuen, ohne daß ein Verband nötig wäre, was gerade in der Kinderpraxis
recht vorteilhaft ist. Seine Anwendung ist eine recht mannigfache bei:
Ulcus cruris, Verbrennungen, größeren und kleineren Hautdefekten, nach
chirurgischen Eingriffen oder Verletzungen, überhaupt sind alle Wunden,
besonders solche, welche unter anderer Behandlung sehr geringe Tendenz
zur Epidermisierung zeigen, für die Anwendung des Amidoazotoluols ge¬
eignet. Nur muß man darauf achten, daß die Wundfläche sich gereinigt
hat, daß der Grund sauber ist. Das Pulver kann zwei Tage liegen.
Das Pulver besteht in der neuen Modifikation aus einer Komposition
von Amidoazotoluol 10°/o, Zinkperhydrol, Bismutum subnitricum und Tal-
cum venetianum, welches unter dem Namen „Epidermogen“ vom Apotheker
K r e h 1 (Kassel) in den Handel gebracht und fertig zu beziehen ist.
Michaelis (Darmstadt).
Naam€, Le traitement de la coqueluche par l’ichthyol. (Bull, gener.
de ther., Nr. 6, 1911.) Formel: Ichthyolammon. 10,0, Glyzerin 20,0, Tinct.
Meliss. Comp., Tinctv. Menth, ää 2,0, Aq. amygd. amar. gtt. III, Sirup. ,iad
100,0. Dosis: im 1. Jahre 4—6 Kaffeelöffel, 2. Jahr: 3—4 Kinderlöffel,
3.—4. Jahr: 4—5 Kinderlöffel, über 5 Jahre 4—5 Suppenlöffel. Neben¬
wirkung: nur bei zu hohen Dosen etwas Diarrhöe. Zu Beginn ein Abführ-
und Brechmittel zur Unterstützung der Wirkung: wenn von Anbeginn ge¬
geben, Abortivwirkung in 2—3 Tagen, rapide Verminderung der Anfälle
und des Erbrechens; es bleibt nur noch eine einfache Bronchitis. In älteren
Fällen durch intensivere Behandlung Besserung in etwa 10 Tagen. Bei
kleineren Kindern nebenher Instillationen in die Nase mit Mentholöl. In
Fällen einer komplizierenden Diarrhöe neben flüssiger Diät ruhig Ichthyol
geben. Fortsetzung nodh einige Zeit nach der Heilung. Verf. verfügt über
eine Erfahrung von einigen hundert Fällen. Nach seiner Ansicht wirkt
das Mittel antianaphylaktisch. v. Schnizer (Höxter).
Zabel (Rostock), Ein Fall von Purgenintoxikation. (Deutsche med.
Wochenschr,., Nr. 16, 1911.) Zabel mahnt bei der ungeheuren Zahl neuer
Medikamente zur Vorsicht bei ihrer Anwendung. So berichtet er über einen
Fall von Purgenintoxikation bei einem 67jährigen Manne, der auf einmal
drei Tabletten für Bettlägerige und zwei für Erwachsene genommen hatte.
Es stellten sich danach starke Reizungen des Magen- und Darmkanals unter
Erbrechen und kolikartigen jLeibschmerzen, Absonderung einer reichlichen
Flüssigkeitsmenge in den Darm und Ausstoßung kopiöser Stühle, die den
Anschein von blutigen Stühlen vortäuschten, sowie hochgradige Prostation
ein. Erst nach 19 Tagen genaß der äußerst geschwächte Patient.
F. Walther.
Gasco behandelt Schlangenbisse nach folgenden Grundsätzen: 1. Mög¬
lichst rasche, Ligatur um die Wurzel des gebissenen Gliedes. 2. Ausdrücken
der Wunde, eventuell durch Inzision vergrößern. 3. Auswaschen mit
3% Natriumhypochlorit, l%o Goldchlorür, 1% Kaliumpermanganat; nicht
aber mit Ammoniak, Alkohol odier Äther. 4. Feuchter Verband auf die
Wunde mit einem dieser Antiseptizis. 5. Injektion mit Calincke’schem
Serum in die obere Partie des Gelenksi. 6;., Bei allgemeinen Intoxikations-
Symptomen: Injektion dieses Serums unter die Bauchhaut, eventuell wieder¬
holen. 7. Viel frische Luft, Kampfer, Koffein injizieren, Kaffee, Kognak,
Wein, Schweiß' und Diurese anregen. (Bull, gener. de ther., Nr. 16, 1910.)
v. Schnizer (Höxter).
M. Meyer (New York), Veronal in Gastro-Intestinal-Derangements.
(Merck’s Archives, Nr. 1, 1911). Auf eine noch wenig bekannte Indikation
des Veronals macht Meyer aufmerksam. Er beschreibt mehrere Fälle oft
sehr hartnäckiger gastro-intestinaler. Störungen (akuter Magenkatarrh, Dys¬
pepsie, Blähungen, fermentative Gastritis), die er sämtlich mit kleinen
Dosen von Veronal (0,006—0,03) in Kombination mit Stomachalien in wenigen
Tagen ausheilte. Es soll hier in erster Linie darauf ankommen, die nervösen
Symptome zu beseitigen, bevor zu einer speziellen Therapie geschritten wird.
* Neumann.
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Bücherschau.
i
Digit ize
Beldan gibt bei Unterschenkelgeschwüren, nach dem die Wunde mit
sehr warmem Borwasser gewaschen ist, morgens und abends folgende Salbe:
Olivenöl, Ochsengalle aa 15,0, Bosenhonig 8,0, weißes Wachs 5,0, gepulv.
Zucker 2,0. (Bull, gener. de ther., Nr. 2, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Die tardiven Intoxikationen bei Anwendung von Bromäthyl sind wenig
bekannt; sie sind zwar leichter als bei Chloroform, erfordern aber doch fol¬
gende Maßnahmen: Br. Aeth. Anästhesie darf bei jungen Kindern erst an¬
gewandt werden, nachdem man sich von dem gewöhnlichen Zustand des Ver-
dauungstraktes überzeugt hat. Eine akute Enteritis ermöglicht eine Intoxi¬
kation durch das Anästhetikum; deshalb Aufschub der Intervention bis zu
einem besseren Zustand. Der postoperative katarrhalische Zustand des Ver¬
dauungstraktes weicht leicht einer Desinfektion desselben durch Auswaschen
und flüssige Diät. (Bull, gener. de ther., Nr. 12, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Bücherschau.
Grafton Elliot Smith u. Maro Armand Ruffer, Pott’sche Krankheit an einer ägyp¬
tischen Mumie aus der Zeit der 21. Dynastie (um 1000 v. Chr.). Gießen. Verlag von
Alfred Töpelmann.
In dem 3. Heft der von Sud hoff und Sticker herausgegebeneu Sammlung
„Zur historischen Biologie der Krankheitserreger* berichten die Verfasser über einen
eingehend untersuchten Fall von Tuberkulose der Wirbelsäule an einer ägyptischen
Mumie. Es ist die Mumie eines jungen erwachsenen Mannes, eines Priesters des
Ammon aus der 21. Dynastie.
Der Befund ist folgender: Der 1. Lendenwirbel und die 4 letzten Rücken¬
wirbel sind in weiter Ausdehnung zerstört, so daß eine ausgesprochene, unregel¬
mäßige Einknickung entstand. Von der rechten Seite des 1. Lendenwirbelkörpers
geht eine breite abgeplattete Anschwellung aus, die sich entlang eines Stranges
hinzieht, welcher dem Musculus psoas entspricht, bis in die rechte Fossa iliaca.
Der mikroskopische Nachweis von Eiter- und Tuberkelbazillen in diesem
typischen Heo-psoas-Abszeß mißlang.
Beigegeben sind dieser interessanten Arbeit einige treffliche Abbildungen,
welche den mikroskopischen und makroskopischen Befund illustrieren. Michaelis.
E. Rutherford, Radiumnormalmaße und deren Verwendung bei radioaktiven Messungen.
Mit 3 Abbildungen im Text. Leipzig 1911. Akademische Verlagsgesellschaft m.
b. H. 1,50 Mk.
Dasselbe Bedürfnis, welches seinerzeit zur Feststellung internationaler Ein¬
heiten für Elektrizitätsmessungen führte, ist jetzt auf dem Gebiete der Radium¬
forschung dringend geworden. Und ebenso wie damals, hat auch hier die Medizin
ein außerordentlich lebhaftes Interesse an dieser Frage. Der Anwendungskreis des
Radiums in der Biologie und in der Therapie wird mit jedem Tage größer, wovon
mehrere in jüngster Zeit erschienene Publikationen deutlich Zeugnis ablegen.*)
Die therapeutische Verwendung aber erfordert unbedingt, daß die Dosierung auf
Grund einheitlicher Maße erfolgt und daß alle Radiumpräparate, emanationshaltigen
Wässer und dergleichen nach einheitlichen Grundsätzen beurteilt werden, die zu¬
gleich den gewissenlosen Handel mit wertlosen Präparaten unmöglich machen.
Die Durchführung der Rutherford’schen Vorschläge wird also sicher nur eine Frage
der Zeit sein. Die Angelegenheit wurde, wie bekannt sein wird, auf dem letzten
radiologisohen Kongreß (September 1910) in Fluß gebracht, der zur Erwägung dieser
Fragen ö rch Mme. Curie und Professor Rutherford ein internationales Komitee
bilden li dem die namhaftesten Autoritäten des Gebietes angehören. Seitens
des Komitees wurde Mme. Curie mit der mühevollen Herstellung der Normalmaße
betraut. Mz.
*) Vergl. Loudon, Das Radium in der Biologie und Medizin, Leipzig 1911,
Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H. — Wich mann, Das Radium in der
Heilkunde, Hamburg und Leipzig 1911, Verlag von L. Voß. Ferner die Marck-
wald’sche Zeitschrift, Radium in der Biologie, Leipzig, Verlag von Joh. Ambr. Barth.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29 . Jahrgang.
1911.
fomcbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herftusgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prlo.-Doi. Dr. o. Crieger*
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 32.
Bracheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thleme, Leipzig. =
10. August.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung der Eklampsie.
Von Professor Dr. Kayser, Köln.
(Fortsetzung und Schluß.)
Der im Jahre 1889 von Halber t.smä 1 ) emphohlene abdominale
Kaiserschnitt ist von vielen Geburtshelfern ausgeführt worden. Die
Sichtung der weit über 100 Fälle betragenden Kasuistik ergibt schlechte
Resultate. Dazu kommt, daß sicher eine große Anzahl unglücklich
verlaufener Fälle aus begreiflichen Gründen nicht veröffentlicht wor¬
den ist. Die Erklärung dieser Mißerfolge liegt in der Gefahr der
Operation an sich, welche auch heutzutage noch annähernd 10°/ 0 pri¬
märe Mortalität ergibt, vor allem aber in dem Umstande, daß wir aus
diesem Grund uns zur Sectio caesarea meist erst nach längerem Zuwarten
entschließen. Ihre Bedeutung wird weiterhin dadurch herabgesetzt, daß
durch die durch die Bauch wunde bedingte Erschwerung der Exspekto-
ration die Entstehung von Schluckpneumonien, zu welchen Eklamp-
tische an sich neigen, begünstigt wird. Diese Nachteile birgt auch
die jetzt empfohlene Modifikation der abdominellen Zervixspaltung mit
oder ohne Eröffnung des parietalen Peritoneums.
Trotz vereinzelter Empfehlungen auch in unserer Zeit 2 ) ist daher
nach unseren heutigen Erfahrungen die Sectio caesarea unter der Voraus¬
setzung eines lebensfrischen und lebensfähigen Kindes nur bei Becken¬
verengerungen höheren Grades indiziert, d. h. unter Verhältnissen, welche
die Entbindung durch die natürlichen Geburtswege unzulässig erscheinen
lassen.
Hohe Bedeutung beansprucht, dagegen die Metreuryse. Während
wir die Keilwirkung des Ballons im allgemeinen, z. B. bei Einleitung der
Frühgeburt, der Plaeenta praevia, bei Wehenschwäche zur Inregung
der Wehentätigkeit benutzen, dilatiert der Metreurynter 1 i Zuhilfe¬
nahme eines Dauerzugs akut. Wir benutzen am besten de zugfesten
Ballon von Champetier de Ribes oder A. Müller.
Die Technik ist eine einfache: Der Muttermund wird, wenn
nötig, zunächst auf etwa 1 cm mit Dilatatorien erweitert; die
Blase wird gesprengt. Auch bei scharteandigem Muttermund und
tiefstehendem Kopf gelingt die Einführung, wenn man die Mutter-
l ) Halbertsma, Zentralbl. für Gyn., 1889, S. 901.
*) Sarwey, Zentralbl. für Gyn. 1910.
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Kayser,
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mundränder mit Kugelzangen tief herabzieht. Der zusammengefaltete
Metreurynter, dessen Fassungsvermögen selbstverständlich bekannt sein
muß, wird nach Anhaken der vorderen Muttermundslippe unter Leitung
des Auges bei erhaltener Zervix bis über den inneren Muttermund in den
Uterus hineingeschoben, mit Lysollösung prall gefüllt und mit einem
Gewichtszug von 3—6 kg belastet bzw. mit der Hand stark angezogen
gehalten. Unter dem Einfluß der dehnenden Kraft und der infolge
des Drucks auf die in der Zervixwand liegenden nervösen Ganglien
einsetzenden stärkeren Wehen tat igkeit öffnet sich durchschnittlich in
15—40 Minuten der Muttermund derart, daß der entbindende Eingriff
vorgenommen werden kann.
Die Bedenken, welche man gegen die Metreuryse vielfach in das
Feld geführt hat: die von Zimmer mann 1 ) auf 1,9% berechnete Mor¬
talität und die Gefahr von Zervixrissen 3 ) sind nach unseren Erfahrungen
nicht stichhaltig. Die Metreuryse ist eine vorzügliche Dilatations¬
methode, welche mehr wie bisher geübt werden und technisches Eigen¬
tum jedes Praktikers sein sollte. Die Unzulänglichkeit des Verfahrens
bei der Behandlung der Eklampsie liegt aber darin, daß es vielfach
nicht in der im Interesse der Mutter und des Kindes unbedingt zu
fordernden kurzen Zeit eine Beendigung der Geburt gestattet.
Das im Jahre 1890 von Bossi 8 ) angegebene Dilatationsinstru¬
ment ermöglicht bekanntlich durch eine sinnreiche Schraubvorrichtung
vier Metallarme bis zu einer Entfernung von 11 cm ganz allmählich
zu spreizen. Diese Spreizung führt zu einer Dehnung des Mutter¬
munds. Die Metallarme tragen abnehmbare Metallkappen, welche die
Angriffsfläche verbreitern und infolge ihres rechtwinklig abgebogenen
Kopfstücks ein Abrutschen verhindern. Der Grad der Dehnung kann
jederzeit auf einer mit Zentimetereinteilung versehenen Skala abge¬
lesen werden. Das Instrument wird geschlossen in die mit Kugel¬
zangen angezogen gehaltene Portio eingeführt und soweit aufgedreht,
bis die Einführung der mit Kappen armierten Metallarme möglich
ist. Diesen Grad der Dehnung kann man auch durch Dilatatorien er¬
zielen. Während der nun erfolgenden langsamen Aufdrehung der Arme
(alle 2—3 Minuten etwa um % cm der Skala) ist durch Palpation die
richtige Lage der Arme und die Dehnbarkeit der Muttermundränder
sorgfältig zu kontrollieren. Bei starker Spannung des Muttermund¬
saumes, welche ein Einreißen befürchten läßt, verlangsamt man die
Auf dreh ung. Bei einer Dehnung des Muttermundes auf eine Weite
von 10 cm ist meist die gefahrlose Entwicklung des Kindes möglich.
Nach Zurückdrehen der Schraube, bei welcher durch Palpation darauf
zu achten ist, daß keine Einklemmung von Weichteilen zwischen die
Branchen des Dilatators erfolgt, wird das Instrument entfernt. Man
schließt, nachdem man sich durch Palpation davon überzeugt hat, daß
ein Zervixriß nicht vorliegt, den entbindenden Eingriff sofort an.
Der vaginale Kaiserschnitt eröffnet den Muttermund auf
blutigem Wege. Die links und rechts mit zwei Kugelzangen gefaßte
Portio wird in die Scheide hinabgezogen. Die Schleimhaut der
vorderen Scheidenwand wird durch einen etwa 3 cm unterhalb
der Urethra beginnenden Schnitt gespalten. Die Blase, welche sich als
*) Zeitschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 16, 1902.
■) v. Herff, Sammlung klin. Vorträge, Nr. 386.
•) Leopold, Archiv für Gyn., 1902, H. 1.
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Die Behandlung der Eklampsie. *
747
bläulicher Wulst in die Wunde emsteilt, wird seitlich von der Scheide
abpräpariert, nach der durch einige Scherenschläge bewirkten Durch¬
trennung der die Blase mit der Uteruswand verbindenden Bindegewebs-
bündel mit einem Gazetupfenstumpf von der vorderen Zervixwand ge¬
löst und mit einem schmalen vorderen Spekulumblatt zurückgehalten.
Es folgt die fast unblutige Durchtrennung 1 ) der vorderen Muttermunds¬
lippe und der vorderen Wand der Zervix zwischen zwei Co 11 in’sehen
Zangen, welche allmählich höher und höher klettern. Die Umschlagstelle
des Peritoneums darf nicht verletzt werden. Die Eröffnung der Frucht¬
blase, welche bei dieser Manipulation meist eintritt, ist bedeutungslos.
Durch die so geschaffene Öffnung in der vorderen Uteruswand kann die
Frucht durch Forzeps, einfache Extraktion oder Wendung und Extraktion
(bei totem Kind selbstverständlich durch Perforation) entwickelt wer¬
den. Nach der Geburt wird Ergotin injiziert, der Uterus bei gleich¬
zeitiger Reibung von außen überwacht; die Plazenta wird durch Ex¬
pression (nur in seltenen Ausnahmefällen nach manueller Lösung) ent¬
fernt. Nach Freilegung des Operationsgebiets in der früheren Weise
wird nunmehr die Vereinigung der gesetzten Wundflächen durch Kat-
gutknopfdrähte vorgenommen. Nur bei infektionsverdächtigen Fällen
werden die Wunden nach Applikation einiger Situationsnähte tamponiert.
Bei der vergleichenden Bewertung des Bossi’schen Verfahrens und
des vaginalen Kaiserschnitts ist von vornherein die relative Ungefähr¬
lichkeit bezüglich des Eintritts einer Infektion hervorzuheben. An
beide Operationen tritt der Geburtshelfer in gleicher Weise wie zum
Kaiserschnitt vorbereitet heran: Operationsgebiet, Instrumente und die
operierende Hand sind peinlichst desinfiziert. Auf keinen Fall darf
die Dringlichkeit des Eingriffs die Sicherheit der Desinfektion beein¬
trächtigen. Der theoretischen Erwägung, daß die Gefahr der Infektion
unter solchen Verhältnissen eine äußerst geringe ist, entspricht die
praktische Erfahrung. Nach der Zusammenstellung von Dührseen 2 )
wurde bei 201 Fällen von vaginalem Kaiserschnitt bei einer Gesamt¬
mortalität von 13,9 °/ 0 nur sechsmal ein durch Sepsis bedingter tödlicher
Ausgang beobachtet.
Die Technik Bossi’s, welche auf eine Dehnung der Weich teile
hinausläuft, ist zweifellos eine richtige. Die Ansicht, daß die mechanische
Dehnung durch einen Metalldilatator einen starken die Eklampsie stei¬
gernden Reiz ausübt, ist ein theoretisches Kalkül, von dessen Berech¬
tigung wir uns nicht überzeugen konnten. Gewichtiger wiegt ein
andres Moment: Wenn wir wissen, daß physiologisch die Erweite¬
rung der Zervix durch die dilatierende Kraft der Fruchtblase im
Verein mit der gleichzeitig retrahierenden Wirkung der Wehen zustande
kommt, liegt die Befürchtung nahe, daß bei der mechanisch-dilatieren-
den Kraft, welche der Dilatator äußert, Risse ein treten. Diese
Gefahr, welche vor allem von solchen Geburtshelfern immer wieder
betont wird, welchen eigene Erfahrungen über diese Art der Dilatation
*) Wenn man durch Injektion und Röntgenaufnahmen die Arterien des Uterus
zur bildlichen Darstellung bringt, so zeigt sich, daß nur dünnste Anastomosenreiser
vom Schnitt getroffen werden. Diese „blutleeren Zonen des Uterus“ haben
Robinson-Chicago (Philadelphia med. Joum., 1902, Nr. 1) und ich (Kayser,
Über den Kaiserschnitt, Charite-Annalen, 28. Jahrg.) näher beschrieben. Es kommt
hinzu, daß im Blut Eklamptischer wahrscheinlich ein die Blutgerinnung unter¬
stützendes Ferment vorhanden ist, denn wir sehen auch nach akuter Entleerung
des Uterus selten größere Blutverluste.
*)*Handbuch der Geburtshilfe, 2. Bd., 3. Teil.
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Kayser,
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fehlen, wird zweifellos überschätzt. Bei richtiger Technik kommen die
Zerreißungen zumeist nicht bei der Dilatation, sondern bei der Ent¬
wicklung der Arme und vor allem des Kopfes des in Beckenlage
liegenden oder gewendeten Kindes zustande, weil bei der zu diesem
Zweck notwendigen Manipulation ein Krampfzustand des in der Haupt¬
sache nur gedehnten, nicht in physiologischer Weise verstrichenen
unteren Uterussegments der oben erwähnte Sphinkterenkrampf eintritt.
Wir halten daher die Wendung auf die Füße für einen Kunstfehler
und empfehlen, wie wohl heute die meisten Geburtshelfer, die Anlegung
der Zange, selbst der ,,hohen“ Zange, an den von außen fixierten
Kopf als das typische Operationsverfahren.
Von größter Bedeutung ist dagegen eine richtige Auswahl der
Fälle. Wir begegnen in einzelnen Fällen und zwar fast regelmäßig
bei Erstgebärenden in der Eröffnungsperiode aber auch bei Mehrgebä¬
renden, einem derartigen Widerstand der Gewebe, daß nur illegale Ge¬
walt, welche naturgemäß Bisse setzen muß, zur Erweiterung führt.
Wenn wir verlangen, daß diese Fälle der Dilatation nach Bossi nicht
unterzogen werden dürfen, so liegt in dieser Forderung — hier muß
eine berechtigte Kritik einsetzen — die Begrenzung des Verfahrens.
Denn der Begriff „illegal“ setzt eben eine Erfahrung voraus, welche
nur bei längerer klinischer Tätigkeit, nicht aber in der allgemeinen
Praxis erworben werden kann.
Auch beim vaginalen Kaiserschnitt können wir technischen Schwie¬
rigkeiten und unangenehmen, durch den Eingriff bedingten, zum Teil
aber vermeidbaren Folgeerscheinungen begegnen.
Die Bedenken bezüglich einer Verletzung der Blase und eines
Weiterreißens des Uterusschnitts sind bei richtiger Technik nicht hoch
einzuschätzen. Man erwäge aber, daß wir bei dem bei der Eklamp-
tischen häufig bestehendem hochgradigen ödem unter Verhältnissen
operieren, welche die Technik erschweren: Das Operationsgebiet ist
unübersichtlich; die eingesetzten Kugelzangen reißen beim Anziehen
in dem matschen Gewebe aus; die Entwicklung der Kinder stößt
infolge des Ödems der Vulva auf Schwierigkeiten. Auch hier sind nach
unseren Erfahrungen bei Entwicklung des Kindes in Kopflage Kom¬
plikationen leichter vermeidbar, so daß wir auch hier der Zange den
Vorzug vor der Wendung geben. Funktionsstörungen der Blase nach
dem Eingriff sind beobachtet worden. Wir haben sie nicht gesehen.
Störungen in der Nachgeburtsperiode sind, wenn man ruhig die Spontan¬
entwicklung der Plazenta abwartet, zumeist vermeidbar. Daß die
Plazenta entfernt sein muß, bevor man die Operationswunde vereinigt,
ist eine selbstverständliche Forderung, welche man sich aber
immer gegenwärtig halten soll. Die Möglichkeit, daß eine nur
partielle Heilung der Zervix Spalten in der Portio hinterläßt,
welche zu Katarrhen und Aborten Veranlassung geben, sowie daß
die Narbe im Uterus in seltenen Fällen zu Rupturen bei späteren.
Schwangerschaften disponiert, müssen wir allerdings in Kauf nehmen 1 ).
Bei guter Asepsis und guter Nahtapplikation ist die Gefahr jedenfallls
jiicht groß.
Alles in allem können wir sagen: Der spezialistisch geschulte
Geburtshelfer, welcher die Dilatation nach Bossi nach strenger Ab-
*) Hofmeier, Münchn. med. Wochenschr., 1904, Nr. 8 und Labhardt,
Zeitschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 53, S. 478.
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Die Behandlung der Eklampsie.
749
wägimg der individuellen Verhältnisse mit Geschick übt, wird ihr
bei geeigneten Fällen den Vorzug geben. Sie setzt keine schweren Ver¬
letzungen voraus und ist im Privathaus unter primitivsten Verhältnissen
ausführbar, unter denen die Vornahme des vaginalen Kaiserschnitts auf
die größten Schwierigkeiten stößt. Sie stellt andererseits ein atypisches
Verfahren dar und hat die in der allgemeinen Praxis kaum zu erwer¬
bende Fähigkeit der Beurteilung bzw. der Dehnbarkeit der Weichteile
zur Voraussetzung. In der Instrumententasche des Praktikers kann
der Dilatator daher füglich fehlen. Im allgemeinen ist dem vaginalen
Kaiserschnitt der Vorzug zu geben. Er stellt theoretisch die rationellste
Methode insofern dar, als er auf jede Wehentätigkeit verzichtet. Es ist
ein typisches und besonders in der Bu mm’schen Modifikation der aus¬
schließlichen Spaltung der vorderen Uteruswand ein technisch unschwer
zu erlernendes Verfahren. Es verlangt jedoch durchaus geschulte
Assistenz und äußere Verhältnisse, unter denen wir aseptisch zu operieren
in der Lage sind.
Mit der Eröffnung des Muttermunds sind selbstverständlich nicht
alle durch die Weichteile gegebenen Schwierigkeiten ohne weiteres ge¬
hoben. Es gilt bei Erstgebärenden, aber auch bei Mehrgebärenden,
zumal wenn ein stärkeres ödem vorliegt, den Widerstand der äußeren
Weich teile, d. h. der Scheide und des Damms, zu überwinden. Wir be¬
dienen uns hierzu des sog. Schuchardt’schen Paravaginalschnitts: Die
hintere Kommissur wird durch einen Finger des Operateurs und des
Assistenten gespreizt gehalten. Zwischen diesen Fingern wird links
neben der Mittellinie ein die Haut, das Unterhautzellgewebe und die
Muskulatur des Beckenbodens durch trennender Schnitt gesetzt, der bis
in das Scheidengewölbe hinein verlängert werden kann. Eine Ver¬
letzung des Mastdarms ist sorglich zu vermeiden.
Durch den technisch nicht schwierigen Schnitt sind wir in jedem
Falle imstande, den Widerstand der äußeren Weichteile in gefahrloser
Weise zu überwinden. Nach Beendigung der Geburt hat die sofortige
exakte Vereinigung der gesetzten Wunden zu erfolgen.
Von manchen Autoren wird auf eine möglichst rasche, völlige
Entleerung des Uterus, d. h. auf eine Ablösung der Plazenta, vom Uterus,
der größte Wert gelegt.. Sie gehen von der Annahme aus, daß „die
Uteruskontraktionen die in den intervillösen Baum hineinhängenden
Plazentarzotten komprimieren und somit das Gift in vermehrtem Maße
auspressen (Winter). Die normale Lösung der Plazenta etwa durch
vorzeitige Expression zu stören, halten wir jedoch nicht für richtig,
da der zur eventuellen manuellen Entfernung der Plazenta notwendig
werdende Eingriff jedenfalls eine stärkere Noxe darstellt wie der unter
der Einwirkung der schwachen Nachgeburtswehen etwa noch erfolgende
Übertritt des Eklampsiegifts.
Das Bürgerrecht der geschilderten Schnellentbindungsmethoden in
der Geburtshilfe ist gesichert. Trotzdem kann es nicht Wunder nehmen,
wenn über Wert und Bedeutung anderer therapeutischer Maßnahmen
noch heute diskutiert wird. Das Ideal unseres Strebens geht eben
selbstverständlich dahin, noch eine weitere Herabsetzung der Mortali¬
tätsziffer zu erzielen, d. h. auch die Fälle, welche bei der jetzigen
Therapie noch zugrunde gehen, einer einflußreichen Behandlung zugäng¬
lich zu machen. Daß eine weitere Steigerung der Technik uns diesem
Ziel wesentlich näher führen wird, ist nicht zu erwarten.
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750
Kayser,
In medikamentöser Beziehung sind die verschiedensten Vorschläge
gemacht worden. Von den Amerikanern wurde das den Puls und den
Blutdruck herabsetzende Veratrum viridum empfohlen.
Bolle 1 ) brachte das bei Eklampsie der Kühe bewährte, allerdings
angeblich erst nach sechs Stunden wirksam werdende Jodkalium in Vor¬
schlag.
Weichard 2 ) empfahl das Serum von Tieren zu injizieren, bei
denen durch Einverleibung von menschlichem Plazentar ge webe in das
Blut Eklampsieantitoxine aufgespeichert sind. Der Vorschlag geht von
der Hypothese einer durch die Auflösung von Plazentarembolien ins
mütterliche Blut entstehenden Toxinbildung aus.
Vassale 3 ), welcher eine Insuffizienz der Glandulae para-
thyreoideae für die Entstehung der Eklampsie verantwortlich machte,
schlug die Behandlung mit Einverleibung von Parathyreoidin, dem
Extrakt der Nebenschilddrüsen des Rindes, vor.
Neuerdings hat Dienst 4 ), von der Theorie ausgehend, daß
die Eklampsie durch eine Überschwemmung des Blutkreislaufes mit
Fibrin verursacht sei, das Hirudin — einem das Fibrinferment unschäd¬
lich machenden Blutegelextrakt — empfohlen.
Trotz vereinzelter Berichte über Erfolge der einen oder anderen
Behandlungsmethode ist die Bedeutung dieser medikamentösen Therapie
nicht erwiesen; namentlich ist jüngst durch den Nachweis von
Seitz, daß die Nebenschilddrüsen bei Eklampsiefällen sich mikrosko¬
pisch als gesund erweisen, der Nutzen der von einigen Autoren mit
Vorliebe angewandten Parathyreoidintherapie sehr in Frage gestellt
worden.
Als weitere operative Maßnahmen wurden erprobt: die nach all¬
gemeiner Erfahrung als wirkungslos erkannten Methoden der Lumbal¬
anästhesie und der Lumbalpunktion. Der pathologisch gesteigerte Druck
(550—600 mm Quecksilber) kann durch die Punktion allerdings bis
auf 120 mm herabgesetzt werden. Der erhoffte therapeutische Dauer¬
effekt dieser Druckemiedrigung blieb jedoch aus.
Eine nicht unwesentliche Bedeutung scheint jedoch der im Jahre
1902 von Edebohls angegebenen, neuerdings viel geübten Nierendekap-
sulation zuzukommen. Sie bezweckt im Prinzip eine Aufhebung der
Nieren Spannung, in welcher wir ein wenn auch nur akzidentelles ursäch¬
liches Moment sehen. Ihre Technik ist folgende: Bauchlage, am besten
auf einem Luftkissen, welches die Nierengegend vordrängt und gestattet,
ohne Umdrehung der Patientin beide Nieren freizulegen. Freilegung
der Niere mit Simon’sehem Schnitt. Nach völliger Spaltung der Capsula
renalis wird die Niere aus der Fettkapsel völlig gelöst. An dem ent¬
weder luxierten oder in situ gelassenen Organ wird von einer Öffnung
der Capsula fibrosa an der Konvexität aus mit der Sonde die Nieren¬
kapsel vorsichtig abgelöst, bis zum Hilus gespalten und abgetragen.
Zurücklagerung der Niere in ihre Fettkapsel. Primärer Schluß der
Operationswunde.
l ) Bolle, Zeitschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 44, H. 2, S. 334.
a ) Weichardt, Deutsche med. Wochenschr., 1902, H. 85 und Zeitschr. für
Geb. u. Gyn., Bd. 50, H. 1.
*) G. Vassale, Med.-chir. Gesellschaft in Modena, 4. Juli 1906, Referat im
Zentralbl. für Gyn., 1906, S. 1433.
4 ) Zentralbl. für Gyn., 1909, Nr. 50, sowie Engelmann, Zentralbl. für Gyn.,
1910, Nr. 5 und Engelmann-Stade, Münchn. med. Wochenschr., 1909, Nr. 43.
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Die Behandlung der Eklampsie.
751
Über die Bedeutung des Verfahrens gehen die Berichte und An¬
schauungen noch auseinander. Bis zum Januar 1910 1 ) waren 43 Opera¬
tionen mit 32,5 % Mortalität publiziert. Die Mortalitätsziffer erscheint
nicht sehr hoch, wenn man annimmt, daß die Operation für die ver¬
zweifelten Fälle reserviert blieb; die Statistik des letzten Jahres läßt
allgemeine Schlüsse noch nicht zu.
Während Gaues 2 ) der Dekapsulation eine große therapeutische
Wirkung zuspricht — er sah von sechs Dekapsulierten nur eine Frau
zugrunde gehen — versuchte Zangemeister 8 ) aus der allgemeinen
Statistik den Nachweis der Bedeutungslosigkeit des Verfahrens zu führen.
Das post hoc ergo propter hoc spielt eben auch hier eine bedeutsame
Bolle; wir wissen zudem, daß auch schwerste Formen der Eklampsie
wider ärztliches Erwarten nach der Geburt in Genesung übergehen.
Auch hier sind wir vorläufig auf ,,Eindrücke“, also auf ein sub¬
jektives Moment, angewiesen. Während die meisten Autoren ferner in
der nach der Dekapsulation meist eintretenden, im Durchschnitt auf
das sechsfache gesteigerten Harnflut eine giftentziehende Wirkung
sehen (Baisch 4 ), Gobiet 5 ), leugnen andere (Zangemeister) den spezi¬
fischen Einfluß dieses Symptoms, betrachten vielmehr die Diurese
nicht gleichbedeutend einer Entgiftung. Oligurie und sogar Anurie
bedeuten, so argumentieren sie, nur in Verbindung mit Fortdauer
der Krämpfe eine prognostisch ungünstige Erscheinung. Sie fassen den
günstigen Effekt, soweit er vorhanden ist, nicht als direkte Wirkung
gesteigerter Nierentätigkeit, sondern als Äußerung einer Beeinflussung
der Nebennieren und der sympathischen Nervengeflechte auf (Zange-
meister).
Wir stehen somit mitten in der Diskussion über den Wert des
Verfahrens. Dieser wird wohl erst festgestellt werden, wenn es uns ge¬
lungen ist, durch den Nachweis des Glaukoma renis sowie durch ein¬
gehende Funktionsprüfung der Nieren die Indikation zum Eingriff genau
zu präzisieren. Soviel steht aber wohl jetzt schon fest, daß die Operation
bei gefahrdrohenden Formen der primären puerperalen Eklampsie und
der im Wochenbett fortdauernden Erkrankung — diese Indikationen
haben vor allem die französischen Geburtshelfer anerkannt — einen
durchaus berechtigten Eingriff darstellt.
Fassen wir somit die für den Praktiker wichtigen therapeutischen
Maßnahmen zusammen, so können wir uns dahin resümieren:
1. Bei eklampsieverdächtigen Fällen leichteren Grades ist eine
sachgemäße exspektative Behandlung streng indiziert. Zeigen die Er¬
scheinungen in kürzerer Zeit keinen Rückgang oder eine Steigerung,
so ist ohne Rücksicht auf die Zeit der Schwangerschaft die Frühgeburt
einzuleiten (am besten durch Sprengung der Blase).
2. Die ausgebrochene Eklampsie gibt eine strikte Indikation zur
sofortigen Beendigung der Geburt:
a) Bei genügender Erweiterung des Muttermunds durch Forzeps,
einfache Extraktion oder Wendung und Extraktion.
b) Bei ungenügender Erweiterung ist die Kranke sofort dem
Krankenhaus, in welchem spezialistische Hilfe zur Verfügung steht, zu
l ) Lichtenatein, Zentralbl. für Gyn., 1910, Nr. 2.
а ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 1435.
8 ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 1148.
4 ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 763.
б ) Zentralbl. für Gyn., 1910, S. 1185.
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752
Kayser, Die Behandlung der Eklampsie.
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überweisen. Die hier in Betracht kommenden operativen Eingriffe sind,
nach ihrer Wertigkeitsskala geordnet: vaginaler Kaiserschnitt, Dilatation
nach Bossi, Metrenryse, abdomineller Kaiserschnitt; — alle Methoden
bei Fortdauer der Erscheinungen im Wochenbett in Verbindung mit der
Nierendekapsulation, welche auch bei schweren puerperalen Formen ein¬
zusetzen hat.
Ist die Überführung in ein Krankenhaus aus äußeren Gründen
unmöglich, so ist zu versuchen, durch die Metreuryse mittels des zug¬
festen Ballons die Geburt so rasch wie möglich zu beenden. Hier ist
die Perforation des lebenden Kindes unter Umständen auch heute noch
ein berechtigter Eingriff.
Nach der Entbindung, welche grundsätzlich erst nach Ausstoßung
der Plazenta als beendet angesehen werden darf, ist der gesamte sympto¬
matische Heilschatz der älteren und neueren Zeit einzusetzen. Ob und
inwieweit die ihrem Wert nach noch umstrittenen neueren medikamen¬
tösen Vorschläge berücksichtigt werden sollen, darf dem subjek¬
tiven Ermessen und der j>ersönlichen Initiative des einzelnen Arztes
überlassen bleiben. Daß der Arzt auch die in Besserung befindliche
Eklamptische noch mehrere Stunden nach der Entbindung beobachtet,
ist bei der Möglichkeit des Eintritts einer plötzlichen atonischen Nach¬
blutung, wie wir sie so häufig nach beschleunigten Entbindungen sehen,
eine selbstverständliche Pflicht.
Auf die Behandlung der nicht so seltenen Komplikationen der Er¬
krankung: die Bronchitiden und Aspirationspneumonien, die progno¬
stisch gut zu beurteilenden Psychosen sowie die nur in seltensten Fällen
in chronische Erkrankung übergehende Nierenstörung kann ich hier
nicht eingehen.
Die Indikationsstellung bei der Behandlung der für den Praktiker
so außerordentlich wichtigen Erkrankung der Eklampsie bewegt sich
somit in scharf vorgezeichneten Richtlinien. Wenn wir uns auch be¬
wußt bleiben sollen, daß wir von einer klar erkannten ätiologischen Be¬
handlung noch weit entfernt sind, so muß es doch als ein durch viel¬
fältige Erfahrung bewiesenes Behandlungsaxiom betrachtet werden, daß
die rascheste Beendigung der Geburt den wichtigsten Teil der Behand¬
lung darstellt. „Die Unterbrechung des Giftübertritts ist unsere Haupt¬
aufgabe“ (Winter).
Diese Forderung entzieht die Eklamptische zumeist der Behand¬
lung des praktischen Arztes. Denn die Erkrankung tritt oft in der
Schwangerschaft oder doch in einem so frühen Geburtsstadium auf,
daß eine rasche gefahrlose Entbindung nur im Krankenhaus oder doch
nur durch einen Spezialisten möglich ist. Die Behandlung der Eklampsie
gehört im allgemeinen zweifellos zu der Geburtshilfe der Klinik, welche
man neuerdings von der Geburtshilfe der Praxis streng .geschieden
hat. Trotzdem ist die Bedeutung des Praktikers bei der allgemeinen
Frage der Behandlung der Eklampsie nicht hoch genug zu bewerten.
Der Symptomenkomplex der Eklampsie: die Bewußtlosigkeit, die Zya¬
nose, das laut-schnarchende Atmen, vor allem die mit zeitweisem Aus¬
setzen der Atmung einhergehenden, den Körper durchschüttelnden
Krämpfe, ist für den Laien ein ungemein eindrucksvoller, grauen¬
erregender. Ganz im Gegensatz zu den Erfahrungen bei der Behand¬
lung des engen Beckens, wo einem operativen Vorgehen häufig genug
der entschiedene Widerspruch der Angehörigen entgegen tritt, begegnet
unser Vorschlag eines Eingriffs, wenn ihm nur die Möglichkeit einer
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B. Mosberg, Ein neues Präparat zur Behandlung der Skrofulöse. 758
Kettung zugesprochen wird, kaum einem ablehnenden Verhalten, zumeist
wird er dankbar auf genommen.
So kommt es nur darauf an, daß der Eingriff rechtzeitig, d. h'.
solange eine gehäufte Giftwirkung und schwere organische Verände¬
rungen noch nicht vor liegen, vorgenommen wird. Das zu vermitteln,
ist Sache des Arztes, welcher die Kranke zuerst sieht. Und so liegt —
das haben unsere heutigen Behandlungsprinzipien mit den früheren
gemeinsam — das Schicksal der Eklamptischen auch heute noch in
letzter Linie in der Hand des praktischen Arztes.
Ein neues Präparat zur Behandlung der Skrofulöse und
chirurgischen Tuberkulose.
Von Dr. B. Mosberg, Bielefeld, Spezialarijt für orthopädische Chirurgie.
Die wissenschaftliche Medizin verdankt eine große Anzahl ihrer
segensreichsten Mittel der uralten Volksmedizin, und diese rein empirisch
gefundenen Stoffe spielen, auf Grund exakter Untersuchungsmethoden
klinisch geprüft und erprobt, im Arzneischatz eine große Rolle; ich
erinnere nur an die Chinarinde, das Jod und das Quecksilber. Auch
das Mittel, dem ich heute meine Betrachtung widmen will, ist sehr alt
und gehört gleichsam zum eisernen Bestände der Volksmedizin, nämlich
die Sapo kalinus; zwar schreibt sich Kappesser das Verdienst zu,
als erster die methodische Schmierseifenkur zu Heilzwecken empfohlen
zu haben 1 ), während von anderer Seite Kollmann als Begründer der
wissenschaftlichen Schmierseifenbehandlung angesprochen wird; dieser
Prioritätsstreit erscheint mir jedoch angesichts der Tatsache, daß der
Wert der grünen Seife seit altersher empirisch erprobt und festgestellt
ist, bedeutungslos zu sein.
Unter den so zahlreichen Mitteln, die gegen Skrofulöse und chirur¬
gische Tuberkulose angepriesen und angewandt werden, ist die Sapo
kalinus zweifellos eines der wirksamsten. Kappesser rühmt das Mittel
als Resorbens, Roborans und Alternans und er berichtet über vorzügliche
Heilerfolge. Hoffa 2 ) hat die Sapo kalinus stets bei chirurgischer Tuber¬
kulose angewandt und sagt darüber bei Behandlung der Spondylitis:
„Ich habe ausgezeichnete Erfolge gesehen von der Schmierseifen behand-
iung . . —
Bei derselben Krankheit empfiehlt sie auch He nie: 8 ) „Als Ersatz
für Solbäder kommt die Schmierseifenbehandluug in Betracht.“ —
Dollinger 4 ) bespricht sie bei der Behandlung der tuberkulösen
Hüftgelenksentzündung: „Sehr gute Dienste leisten die von Kappesser
und Kollmann empfohlenen und auch von Hoffa wärmstens befür¬
worteten Einreibungen mit Schmierseife . . —
Neuerdings hebt Schanz 6 ) ebenfalls die Schmierseifenbehandlung
hervor und bezeichnet sie als seine regelmäßige Verordnung bei Knochen¬
tuberkulose. —
Kappesser rühmt die Wirkung der Schmierseifenbehandlung außer¬
dem bei Skrofulöse und ebenfalls bei vergrößerten Halsdrüsen und Ton-
*) Methodische Schmierseifeneinreibung gegen Skrofulöse und Tuberkulose.
~) Lehrbuch der orthopädischen Chirurgie.
8 ) Handbuch der praktischen Chirurgie.
4 ) Handbuch der orthopädischen Chirurgie.
5 ) Münchn. med. Wochenschr., Nr. 48, 1910.
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754
B. Mosberg,
sillen, deren Mehrzahl er durch Einreibung mit Sapo kalinus vor einer
unnötigen Entfernung bewahren zu können glaubt. —
Auch Strümpei 1 ) empfiehlt die Schmierseife bei der Therapie der
Skrofulöse: „ . . . nützlicher erschienen uns . . . öfter wiederholte Ein¬
reibungen mit Schmierseife.“
Diese Literaturhinweise, welche sich beliebig vermehren ließen,
mögen genügen.
Die schon in einer Verdünnung von 1:1000 stark desinfizierende
Sapo kalinus wird aber nicht nur zur Beförderung der Resorption von
chronisch-skrofulösen Lymphdrüsenanschwellungen und bei Gelenktuber¬
kulose empfohlen, sondern gilt auch als wirksam gegen nicht skrofulöse
Lymphdrüsenanschwellungen (z. B. syphilitische) und wird vielfach als
ein hervorragendes Mittel bei Exsudaten angesehen. So weist auf sie
u. a. auch Max Matth es in der 6. Auflage des Lehrbuchs der Inneren
Medizin von J. v. Mering bei der Besprechung der Therapie der
chronischen Peritonitiden mit den Worten hin: „Als solche (Resorbentien)
kommt für die exsudativen und die mit starker Schwartenbildung einher¬
gehenden Formen namentlich die systematische Einreibung des Abdomens
mit Schmierseife (5 g pro die) in Betracht, die oft recht gute Erfolge
zeitigt.“ Auch Kappesser betont (1. c.), er habe bei frischen wie älteren
Exsudaten verschiedener Art stets eine so prompte und unmittelbar sich
anschließende günstige Wirkung beobachtet, daß ihm ein Zweifel darüber
nicht gerechtfertigt erscheine.
Daß die Schmierseife außerdem schon seit langen Jahren mit Erfolg
gegen Psoriasis, Favus, Skabies, Ekzeme, gegen Pityriasis versicolor,
Herpes tonsurans, gegen Akne und Seborrhoe Verwendung findet, erwähne
ich als bekannte Tatsache nur nebenbei.
Die Wirkung der Sapo kalinus ist fraglos eine Allgemeinwirkung;
dieses geht schon daraus hervor, daß man die Schmierseife meist nicht
auf die erkrankten Stellen, sondern auf andere, teilweise vom Krankheits¬
herde weit entfernte Körperteile appliziert. Der Träger dieser Allgemein-
wirkuug ist nun der Alkaligehalt oder der Gehalt an Alkalikarbonat.
Neutrale Seife ist nach Kollmann absolut unwirksam.
Trotz ihrer so günstigen Erfolge ist die Schmierseifenbehandlung
noch sehr wenig bekannt und lange nicht in dem Maße Allgemeingut
des praktischen Arztes geworden, wie sie es verdient. Verschiedene
Gründe tragen hierzu bei; zunächst bringt das große Publikum der
, Schmierseifenbehandlung meist Mißtrauen entgegen. Der Kranke wünscht
vom Arzt eine Salbe und sieht ihn mit Kopfschütteln und vielleicht mit
mitleidigem Lächeln an, wenn ihm empfohlen wird, grüne Seife zu kaufen.
Das betont auch schon Kappesser (1. c): „Was Schmierseife? rief ent¬
rüstet der Großkaufmann, als man ihm für sein Töchterchen statt der
unvermeidlich erscheinenden Tonsillotomie dieses Mittel vorschlug, mit
Schmierseife reibt man den Fußboden meines Kontors beim großen
Reinemachen ein, aber doch nicht kleine Mädchen, wenn sie krank sind!“
Hierzu kommt noch der Übelstand, daß die im Handel befindliche
Schmierseife sehr oft erhebliche Reizwirkung auslöst. Besonders die
empfindliche Haut von Kindern und Frauen wird von der grünen Seife
stark irritiert, die Kleinen klagen meist über „Brennen“ und „Schrinnen“
und ihre Haut ist nach der Einreibung stark gerötet, oft wird sie sogar
spröde und rissig. Bei vielen Kindern beobachtete ich einen starken
l ) Spezielle Pathologie und Therapie.
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Ein neues Präparat zur Behandlung der Skrofulöse.
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Juckreiz, so daß sich die Eltern über das ständige Kratzen der Kinder
beklagten. Aber es treten noch schlimmere Reizwirkungen, Ekzem- und
Blasenbildungen, ja sogar Nekrosen auf. So warnt Most 1 ) vor der im
Handel befindlichen Schmierseife und weist an der Hand einiger Fälle
von Schmierseifenverätzungen darauf hin, daß die Sapo kalinus tiefgehende
Schädigungen und Zerstörungen der Gewebe hervorzurufen vermag.
Zum Teil trägt an dieser Reizwirkung die ungleiche Zusammen¬
setzung und die ganz und gar ungleichmäßige Konsistenz der Schmier¬
seife schuld. Die Kalischmierseifen des Handels werden bekanntlich
aus billigen, schlechten Oien und Abfällen dargestellt und sind deshalb
auch immer gefärbt. Daher der gebräuchliche Name Sapo niger seu
Sapo viridis. Je nach dem Rohmaterial fallen sie durchaus ungleichartig
aus, dunkelbraun, hellbraun oder grünlich, mehr oder weniger durch¬
sichtig, bald weich, bald zähe, bald mehr, bald weniger alkalisch. Dabei
ist der Geruch unangenehm, ja geradezu oft widerlich und haftet den
Patienten lange Zeit an.
Wegen dieser Umstände lassen verschiedene Pharmakopoen die
Sapo kalinus aus Leinöl und Kalilauge bereiten und schreiben vor, daß
sie weder Harze, noch ein Übermaß von freiem Alkali enthalten soll.
Aber auch die Pharmakopoeware ist oft ungleichmäßig, und es ist mir
häufig vorgekommen, daß diese Tatsache sogar den Patienten auffiel,
welche dann die Beschaffenheit der Sapo kalinus tadelten.
Aus all diesen Gründen kam ich auf den Gedanken, die Sapo kalinus
in Form einer stets gleichmäßigen Salbe zu verwenden, und zwar gleich¬
mäßig in chemischer, wie in physikalischer Hinsicht, ohne die der Sapo
kalinus anhaftenden schädlichen Nebenwirkungen. Es mußte also be¬
sonders darauf Wert gelegt werden, daß die Salbe einen stets gleich¬
bleibenden Alkaligehalt zeige, daß sie von stets gleichmäßiger, das Ein¬
reiben erleichternder Konsistenz sei und durch ihren Geruch dem Kranken
und dem Einreibenden nicht widerlich werde. Mit Unterstützung der
chemischen Fabrik Krewel & Co. in Köln ist es mir nun gelungen, ein
Präparat herzustellen, das nicht nur die Wirkung der Sapo kalinus ohne
schädigende Nebenerscheinungen voll zur Geltung bringt, sondern sogar
deren Heilwirkung noch zu verstärken scheint. Diese Salbe besteht aus
einer nach besonderem Verfahren bereiteten höchst innigen Mischung von
80 °/ 0 Sapo kalinus
17 °/ 0 Sapen
3 °/ 0 Sulfur praecipitat.
die mit einer Spur indifferenten ätherischen Öles etwas parfümiert und
auf einen konstanten Alkaligehalt von 0,40 °/ 0 eingestellt wird.* 2 )
Sie stellt eine weichliche, wohlriechende, sehr leicht verreibbare,
gelbliche Masse dar. Der Zusatz des absolut reizlosen Sapens, das sich
bekanntlich durch seine außerordentlich große Durchdringungskraft für
tierische Gewebe auszeichnet und deshalb von der Haut leicht und voll¬
ständig resorbiert wird, hat sich bestens bewährt und bedingt offenbar
ein tieferes Eindringen der Sapo kalinus in die Haut und damit eine
verstärkte spezifische Wirkung der Schmierseife. Nicht zu unterschätzen
ist ferner der kleine Zusatz von Sulfur praecipitat. Die günstige Wirkung
des Schwefels auf die Haut ist allgemein anerkannt; Sulfur wird aber auch
l ) A. Most (Breslau), Über Schmierseifenverätzung. Deutsche med. Wochen¬
schrift, Nr. 8, 1903.
*) Die Salbe wird unter der Bezeichnung „Sudian* in dreieckigen weißen
Kruken zu 90 g Inhalt in den Arzneimittel verkehr gebracht.
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756
B. Mosberg,
erfolgreich bei Chlorose und Skrofulöse verwandt, so gibt es Chlorose¬
formen, welche nicht auf Eisen, wohl aber auf Schwefel gut reagieren,
sei es, daß hier der S.-Gehalt des Nahrungsei weißes nicht ausreicht, sei
es, das S. als Reiz für die Blutbildung reagiert u. a. (Cloetta-Filehne).
Die neue Salbe ist absolut reizlos. Außer an Kindern, welche diese
Salbe ohne jede Nebenerscheinungen ertrugen, hatte ich ein besonders
gutes Versuchsobjekt an einer Krankenschwester meiner Privatklinik.
Dieselbe litt früher an einem hartnäckigen Ekzem und hat eine außer¬
ordentlich empfindliche Haut, sie bekam schon stets dadurch, daß sie die
Patienten einrieb, eine mit brennendem Gefühl einhergehende Rötung
der Handflächen. Bei dem Versuch mit diesem neuen Präparat dagegen
verspürte sie gar nichts, auch dann nicht, als ich die Salbe 10 Minuten
lang auf die empfindlichsten Stellen ihrer Haut — Hohlhand und Ell¬
bogenbeuge — einwirken ließ; es zeigte sich nicht einmal eine geringe
Rötung.
Was nun die Anwendungsform dieser Salbe anbetrifft, so kann
man das Mittel, da es reizlos ist, energischer als die Sapo kalinus be¬
nutzen. Kappesser empfiehlt die Sapo kalinus wegen ihrer empfind¬
lichen Reiz Wirkung zwei- bis dreimal wöchentlich 1 bis 2 Kaffeelöffel
voll einzureiben, diese Salbe dagegen lasse ich täglich (etwa 1 Kaffee¬
löffel voll 5 Minuten lang) einreiben, die Stelle mit Flanell bedecken
und nach 20 Minuten mit warmem Wasser ab waschen. An jedem Tage
wird ein anderer Körperteil (abwechselnd Brust, Rücken, Leib, Arme,
Beine) vorgenommen.
Ich vermeide es, vorläufig größere kasuistische Beiträge zu bringen,
weil ich es zum Zwecke einer objektiven Würdigung des Mittels für
besser halte, daß sich die Kollegen durch Nachprüfung selbst ein Urteil
über den Wert der Salbe bilden und hierzu findet jeder Arzt täglich Ge¬
legenheit. Nur einige Krankengeschichten möchte ich hier kurz anführen:
1. Kind Gertrud K., T 1 /^ Jahre alt. Aufnahme am 7. März 1911.
Vor 3 Wochen Fall in einen Stacheldraht. Wunde an der linken Hals¬
seite, die längere Zeit geeitert haben soll, kurz darauf soll heftiger
Schmerz an der linken Seite des Hinterkopfes entstanden sein. Status:
Gesund aussehendes Kind: derbe rötliche Narbe an der linken Halsseite.
Schwellung der Halsdrüsen. Neigung und starre Fixation des Kopfes
nach der linken Seite; jede Bewegung durch die heftigsten Schmerzen
unmöglich. Unmittelbar unter dem Hinterhaupt links harte Schwellung.
Röntgenbefund: heller Schatten links am Atlanto-epistropheal-Gelenk.
Therapie: Gipskraw r atte, Schmierkur. Schmerzen schwinden schon in den
ersten Tagen. Nach 4 Tagen nur noch Einreiben mit dem Präparat
und ein ganz lockerer Verband. Schon am 8. Tage bewegt das Kind
schmerzlos den Kopf. Am 10. wird es aus der Klinik entlassen, 14 Tage
nach Beginn der Behandlung völlig freie und schmerzlose Beweglichkeit
des Kopfes, die Drüsen sind geschwunden; Druckempfindlichkeit besteht
nicht mehr.
2. Fritz St., 8 Jahre alt. Seit 1 j 2 Jahr Schmerzen und allmähliche
Schwellung des linken Ellbogengelenks. Röntgenbefund: Periostitis, Auf¬
treibung und Aufhellung des Humerus. Diagnose: Tuberkulose des
Ellbogengelenks. Therapie: Schmierkur, kein fixierender Verband.
Nach 3 Wochen völlige Rückbildung der Weichteilschwellung, keine
Schmerzen mehr.
3. Wilhelm O., 41 Jahre alt, verheiratet. Anamnestisch keine Tuber¬
kulose nachweisbar. November 1910 Gonorrhöe mit Zystitis. Behandlung
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Ein neues Präparat zur Behandlung der Skrofulöse.
757
durch Urologen. Ende Dezember 1910 plötzlich heftige Schmerzen im
rechten Fußgelenk, die immer schlimmer werden. Schlechtes Allgemein¬
befinden; Schüttelfrost. Diagnose: Gonorrhoische Entzündung des rechten
Fußgelenks. Als ich hinzugezogen wurde, fand ich das rechte Fußgelenk
fixiert, stark gerötet, geschwollen und außerordentlich druckempfindlich.
Heißluftbehandlung. Der Zustand verschlimmert sich täglich, die Schmerzen
im Fuß werden so heftig, daß O. nicht einmal mehr im Bett liegen
konnte, auch war es ihm wegen der rasenden Schmerzen unmöglich, das
Bein hängen zu lassen. Elender Allgemeinzustand, Gewichtsabnahme
ca. 40 Pfund. Eine im März 1911 vorgenommene Röntgenuntersuchung
ergab einen erbsengroßen Abszeß am Kalkaneus. Nunmehr Einreibung
mit Sudian. Nach dreimaliger Einreibung Nachlassen der Schmerzen,
die nach 8 Tagen ganz verschwinden. O. konnte das Bein wieder hängen
lassen und bewegen. Darauf Tragen eines Schienenhülsenapparates, mit
dem O. sofort gehen konnte und nach kurzer Zeit seine Tätigkeit wieder
aufnahm. Befund am 22. Juni 1911: Fuß und Fußgelenk von normalem
Aussehen, keine Schwellung, keine Rötung, kein Druckschmerz. Fu߬
gelenk frei beweglich. O. geht stundenlang ohne Beschwerden. Gewichts¬
zunahme 34 Pfd.
4. Frau L., 60 Jahre alt. Seit 8 / 4 Jahren allmählich größer werdende
Geschwulst in der rechten Hohlhand. Heftige Schmerzen. Befund am
18. März 1911: Harter Tumor in der rechten Hohlhand zwischen Meta-
karpus 2 und 3. Operation am 21. März 1911. Exstirpation von harten,
fibrösen Massen, die teilweise von den Beugesehnen abpräpariert werden.
Heilung p. p. Nach ca. 14 Tagen sind in der Tiefe der Hohlhand wieder
harte Massen zu palpieren. Sehr heftige Schmerzen. Einreibung mit
Sudian. Befund am 17. Juni 1911: Hohlhand weich, keine Verhärtung
mehr nachweisbar.
5. Frau P., 37 Jahre alt. Tuberkulose der Lunge. Seit Juni 1910
Tuberkulose des rechten Ellbogengelenks. Befund am 30. Mai 1911:
Am rechten Unterarm befindet sich eine große, mit zahlreichen Geschwüren
bedeckte Wundfläche, welche oberhalb des Ellbogengelenks beginnt und
bis zur Mitte des Unterarmes reicht. Das Ellbogengelenk ist teigig ge¬
schwollen, entzündlich gerötet. Aus mehreren Fisteln wird Eiter entleert.
Therapie: Bedecken der Wundflächen mit Sudian. Nach dem dritten
Verbandwechsel ist die entzündliche Rötung geschwunden; die mit
schlechten Granulationen bedeckten Geschwüre reinigen sich. Fort¬
schreitende Besserung.
Zwei ebenfalls besonders eklatante Fälle der Wirkung der Sapo
kalinus sind folgende, die mir Herr Kollege Dr. Bohnstedt in freund¬
licher Weise zur Verfügung stellt:
1. Kind G., 4 Jahre alt. Skrofulöse Mittelohreiterung, die zum
Abszeß im Warzenfortsatz führte. Aufmeißelung. Nach 3 Wochen
plötzlich stundenlang anhaltende Gehirnkrämpfe. Erneute Operation
führte zur Aufdeckung eines tiefen Eiterherdes oberhalb der Dura.
Da dauerd stinkender Eiter entleert wurde, 3. Operation; aber auch
nach dieser andauernde Eiterabsonderung. Nunmehr Schmierkur; nach
einigen Tagen Verschwinden des Übeln Geruches, nach sechsmaliger Ein¬
reibung Versiegen jeglicher Eiterung. Das völlig herabgekommene Kind
nimmt an Gewicht zu und blüht auf. Kein Rezidiv.
2. Kind L., Bruder an Pleuritis gestorben; starke Schwellung der
Halsdrüsen. Nach vierzehntägiger Schmierkur völliges Verschwinden
derselben.
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Leo Loeb,
Da ich als Orthopäde hauptsächlich nur über skrofulöses und tuber¬
kulöses Beobachtungsinaterial verfüge, so habe ich mich auch fast aus¬
schließlich mit dem Werte des Mittels bei diesen Erkrankungen beschäf¬
tigen können. Ich bin aber der Meinung, daß das Präparat auch bei
Mischinfektionen, bei Exsudaten und bei anämischen und chlorotischen
Individuen erfolgreich zu wirken vermag, wie schon aus den oben zitierten
Berichten und Krankengeschichten deutlich hervorgeht.
Das Krebsproblem.
Von Dr. Leo Loeb, Philadelphia.
(Rede in der Society of Biological Research Worker in Washington am 9. 4. 1910.)
Deutsch von Dr. v. Boltenstern, Berlin.
(Schluß.)
Wir haben nun die Tätigkeiten der Krebszellen verfolgt und ihr
Verhalten unter verschiedenen Bedingungen studiert. Das ist indes nur
eine Seite des Problems. Krebs stellt einen Kampf zwischen einer Anzahl
von Zellen eines bestimmten Organismus gegen den übrigen. Körper dar.
Es ist ein Aufruhr, in welchem leider die Aufrührer in der großen Mehrzahl
der Fälle bei weitem siegreich geblieben sind. Wie in jedem Krieg
handelt es sich um zwei Armeen. Wir wollen nun ganz kurz auf die
Tätigkeit auf der anderen Seite eingehen und sehen, welche Anstrengungen
dort gemacht werden, um dem eindringenden Feind Widerstand zu leisten.
Wie wir schon erwähnt haben, ist die Widerstandskraft bei Individuen,
welche spontan von Krebs befallen werden, sehr gering, aber manchmal
erfordert es Jahre, bisweilen nur wenige Monate, bis der Kampf be¬
endet ist. Das hängt zum Teil von der Virulenz der Krebszellen ab.
Einige Krebsarten haben eine viel größere Fortpflanzungs- und Invasions¬
kraft als andere. Zum Teil hängt es auch von dem Widerstand seitens
des Patienten ab. Und hier ist beobachtet worden, daß Krebs häufig
bei kräftigen jungen Personen viel schnellere Fortschritte macht als bei
alten Individuen. Unsere Untersuchungen über die Reaktionen beim
Individuum, in welchem sich von selbst Krebs entwickelt, müssen natürlich
unvollständig sein, obwohl einige wichtige Beobachtungen bei späterer
Gelegenheit erwähnt werden sollen. Wir sind in einer viel günstigeren
Verfassung, wenn wir bei Tieren das Verhalten des Organismus bei
verimpften Tumoren studieren. Und hier sind einige sehr wichtige Tat¬
sachen erschlossen.
In erster Linie leisten manche Tiere dem Wachstum der Tumor¬
partikel, mit welchen sie geimpft sind, mit Erfolg Widerstand. Diese
Individuen sind von Natur immun. Solche natürliche Immunität hängt
zum Teil von der Zusammensetzung der Körpersäfte, von Blut und
Lymphe ab, welche das Wachstum der implantierten Krebszellen nicht
begünstigen, oder sie kann durch die Reaktion der Wirtszellen bedingt
sein, welche das fremde Krebsgewebe umgeben, in dieses eindringen.
In ähnlicher Weise haben wir nach Transplantation normaler Haut auf
nahe verwandte Arten, bei welchen die Haut nicht mit Erfolg wachsen
kann — z. B. nach Transplantation von Meerschw T einchenhaut auf
Kaninchen — beobachtet, daß während der ersten Woche nach der
Transplantation die Epithelzellen der Meerschweinchenhaut in geringem
Umfange proliferieren können; aber bald hört das Wachstum auf und
die transplantierten Zellen sterben ab. Ähnlich können die trans¬
plantierten Krebszellen während kurzer Zeit bei einem Tier wachsen,
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Das Krebsproblem.
759
welches natürliche Immunität besitzt, aber auch hier sterben die Zellen
bald ab. Bisweilen indes kann ein Tier, welches ein oder zwei Impfungen
widersteht, nicht unbegrenzt seine Immunität erhalten, sondern später
einer erfolgreichen Impfung unterliegen.
Andere Tiere sind nicht von Natur immun gegen das Wachstum
verimpfter Tumoren, sondern können durch experimentelle Maßnahmen
immun gemacht werden. Dies kann z. B. geschehen durch Impfung eines
Tieres mit Krebsmaterial von experimentell verminderter Virulenz. Wie
vorher bemerkt, wachsen Tumorzellen, welche vor der Impfung einer
mäßig hohen Erwärmung ausgesetzt waren, in manchen Fällen nach
der Transplantation, aber nach einiger Zeit hört das Wachstum auf und
der Tumor bildet sich zurück. Nun ist beobachtet, daß solche Tiere,
bei welchen der Tumor sich zurückgebildet hat, dadurch gegen Krebs¬
wachstum immun werden. In den meisten Fällen können sie nicht mit
Erfolg zum zweitenmal mit vorher nicht erwärmten Krebspartikeln,
welche also ihre volle Virulenz behalten, geimpft werden. Diese mit
erwärmtem Material geimpften Tiere, bei welchen die Krebszellen mit
abgeschwächter Virulenz zu einer vorübergehenden Tumorbildung keinen
Anlaß geben, sind durch diese Impfung nicht immun geworden oder
haben im besten Falle nur einen sehr geringen Grad von Immunität
gewonnen. Wir sehen also, daß das wirkliche Wachstum von Tumor¬
zellen eine Reaktion im Wirtskörper hervorruft, welche zur Mobilisierung
von Kräften führt, die den Organismus befähigen, wirksam einem zweiten
Angriff Widerstand zu leisten und auch nach einer anfänglichen Wachstums¬
periode zur Rückbildung des Tumors führt. In ähnlicher Weise ist
gefunden worden, daß eine Immunität gegen pathogene Bakterien in
gewissen Fällen viel eher durch die Injektion von lebenden als von
vorher abgetöteten Bakterien erzielt wird. Diese Schutzreaktionen greifen
bei Tieren Platz, bei welchen ein Tumor im Wachsen begriffen ist, und
erklären sich durch die Tatsache, daß bei gewissen Krebsarten ein Tier,
bei welchem ein Krebs im Wachsen begriffen ist, nicht zum zweitenmal
mit einer ähnlichen Tumorart geimpft werden kann. Die angewandten
Methoden sind wiederum denen bei Infektionskrankheiten ähnlich. Wenn
man einen Menschen gegen Pocken immunisieren will, wird er mit dem
abgeschwächten Virus, der Vakzine, geimpft. Wenn wir Mäuse mit
Partikeln normaler Mäuseorgane oder mit bestimmten Krebsen impfen,
welche nach der Transplantation nicht wachsen, so werden die so be¬
handelten Tiere gegen Impfung mit virulentem Tumor in einer sehr
großen Anzahl der Fälle immun. Dies ist dadurch bedingt, daß Zellen
in den normalen Organen und in den Tumoren gewisse chemische Be¬
standteile gemeinsam haben, welche nach der Injektion resorbiert und
zu Schutzreaktionen Anlaß geben, welche die Tiere vor dem Wachstum
von Krebszellen bewahren.
Bei Diphtherie und anderen Infektionskrankheiten können wir Tiere
durch wiederholte Injektion der Bazillen oder ihrer Toxine immunisieren,
und nachher können wir die so geschaffene Immunität auf andere Indi¬
viduen derselben oder anderer Art übertragen. In diesem Falle ist die
bei den mit Bakterien oder ihren Toxinen vorbehandelten Tieren vor¬
liegende Immunität durch die Erzeugung neuer Stoffe, der Antitoxine
oder der antibakteriellen Stoffe bedingt, und diese Stoffe können von
einem Tier auf das andere in ähnlicher Weise übertragen w'erden, wie
gewöhnliche chemische Stoffe Tieren eingeführt werden können. Die bei
Diphtherie angewandten Methoden sind auch zur Erzeugung von Heilsera
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760
Leo Loeb,
gegen Krebs benutzt. Viele Versuche sind unternommen, um Stoffe zu
gewinnen, welche imstande sind, die Tumorzellen zu zerstören und so
Heilung herbeizuführen. Zu diesem Zweck ist menschliches Krebsgewebe
Tieren mit negativem Erfolge injiziert, was wenigstens die kurativen
Eigenschaften des Serums angeht. In anderen Versuchen ist Kaninchen
wiederholt Mäusekrebs injiziert, doch das so erhaltene Kaninchenserum
besitzt, wenn es Mäusen injiziert wird, keine ausgesprochen heilende oder
vorbeugende Eigenschaften. Ob das Serum von Tieren, welche nach
Heilung von einer transplantierten Geschwulst gegen eine zweite Impfung
immun geworden sind, eine Antikrebswirkung hat, das Leben der Krebs¬
zellen schädigt, ist noch nicht sicher entschieden. Ungeachtet dieser
zum Teil erfolglosen Versuche sehen wir also, daß der Organismus unter
verschiedenen Bedingungen fähig ist, gegen die eindringenden Krebs¬
zellen zu reagieren, und die Tatsache ermutigt uns, mit der Hoffnung
auf den Erfolg fernerer Forschungen in die Zukunft zu schauen.
Verlassen wir jetzt das Gebiet theoretischer Untersuchungen über
die Natur des Krebses und über das Leben der Krebszellen, kehren wir
auf kurze Zeit zum Standpunkt des Arztes zurück und fragen, was er
uns hinsichtlich Ursache und Heilung von Krebs lehrt.
Wenn wir nach der Ursache der Tumoren forschen, stehen einige
festgestellte Tatsachen im Vordergrund. In erster Linie sind äußere
Faktoren in der Krebsätiologie von außerordentlicher Bedeutung. Iu
sehr vielen Fällen bemerken wir, daß Krebs die Folge von chronischer
Reizung verschiedenster Art ist. Lippenkrebs wird fast ausschließlich
an Stellen gefunden, wo ein vom Rauchen bedingter chronischer Reiz
die Lippen verletzt. In Indien und Ceylon ist Mundkrebs nicht un¬
gewöhnlich bei Weibern, welche gewohnt sind, die Beteluuß zu kauen.
In Kaschmir haben die Eingeborenen die Angewohnheit, kleine Wärm¬
flaschen zu tragen, welche gegen die Haut des Abdomens drückt
und sie oft verbrennt. Als Resultat solcher wiederholten Verbrennungen
entwickelt sich Krebs in der Haut des Abdomens in einem verhältnis¬
mäßig großen Prozentsatz bei den Einwohnern von Kaschmir. Krebs
der Gallenblase folgt häufig Gallensteinen, welche die Gallenblase reizen,
und Magenkrebs entwickelt sich oft als Folge von Magengeschwür.
Ähnlich sind chemische Irritantien verschiedener Art fähig, Krebs hervor¬
zurufen. So ist bei Schornsteinfegern und bei Teer- und Paraffinarbeitern
Krebs verhältnismäßig häufig, und bei Anilinarbeitern wird Krebs in
gewissen Organen gefunden. Ferner entwickelt er sich gelegentlich bei
Personen, welche lange Zeit Arsen nehmen zum Zweck der Heilung be¬
stimmter Arten vow Krankheiten. Häufig bildet er bei Ärzten sich aus,
welche ihre Haute der Wirkung der Röntgenstrahlen aussetzen, ohne sie
durch einen Schirm zu schützen. So weist ein großer Teil der früheren
Röntgenstrahlentechniker Karzinom an Hand und Arm auf. Licht kann
in ähnlicher Weise wie Röntgenstrahlen bei besonders gegen den Einfluß
kurzwelliger Lichtstrahlen empfindlichen Personen einwirken. So ent¬
wickelt sich bei Seeleuten gelegentlich Hautkarzinom. Auch eine einzige
Verletzung kann bisweilen Krebs im Gefolge haben, und in diesem Falle
handelt es sich gewöhn lieh um Bindege webskrebs, um ein Sarkom, welches
dem Trauma folgt.
Es gibt noch andere Faktoren von Bedeutung. Während der
embryonalen Entwicklung können gewisse Zellen oder Gewebe oder
Organ teile verlagert werden. Nun ist beobachtet, daß solche verlagerten
embryonalen Reste Veranlassung zu gutartigen, tumorartigen Gebilden
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Das Krebsproblem.
761
geben, und weiter ist beobachtet, daß Teile solcher gutartiger Tumoren
einer Umwandlung in Krebs in einem gewissen Prozentsatz der Fälle
unterliegen. Warum eine embryonale Mißbildung besonders befähigt ist,
krebsig zu entarten, können wir zurzeit nicht feststellen. Experimentell
sind wir nicht imstande, einen Krebs vom Embryonalgewebe hervor¬
zurufen.
Ebenso zweifelhaft ist, welchen Anteil der Erblichkeit an der Bildung
von Krebs gebührt. Es kann keine Frage sein, daß viele Fälle gefunden
werden, in welchen zahlreiche Mitglieder einer einzelnen Familie dem
Krebs zum Opfer fallen, und daß eine Disposition mehrere Generationen
hindurch beobachtet werden konnte. Besonders bekannt ist der Fall
der Familie von Napoleon Bonaparte. In vielen anderen Fällen ist
indes kein Anzeichen einer hereditären Tibertragung bemerkbar, und
zurzeit muß die Frage nach der Bedeutung des hereditären Faktors un¬
entschieden bleiben, obwohl gewichtige Momente dafür zu sprechen
scheinen, daß die Erblichkeit eine Rolle in der Krebsursache spielt. Um
ein Beispiel, in welchem hereditäre Faktoren indirekt wichtig sein können,
zu zitieren, so ist es wohl bekannt, daß gewisse pigmentierte Muttermale
häufig von einer Generation auf die andere übertragen werden, und es
ist sicher, daß solche pigmentierte Male zu dem sehr bösartigen Typus
des Pigmentkrebses der Haut Anlaß geben können. In diesem Falle
kann es keinem Zweifel unterliegen, daß indirekt Heredität eine Rolle
in der Krebsätiologie spielt.
Ein möglicher ätiologischer Faktor, welcher zu breiterer Erörterung
geführt hat, als irgend ein anderes Problem in bezug auf Krebs, ist
noch zu erwähnen. Ich meine den möglichen Anteil von Parasiten
mancherlei Art. Bekanntlich sind Pilze und Insekten durch chemischen
oder mechanischen Reiz imstande, bei Pflanzen die Entwicklung einfacher
oder zusammengesetzter Gallen hervorzurufen, welche in mancher Be¬
ziehung Tumoren gleichen. Wir wissen auch, daß bei Tieren verschiedene
Parasiten eine Proliferation verschiedener Gewebszellen veranlassen können.
Doch unterscheiden sich, soweit wir bisher wissen, solche Gewebs-
proliferationen, in welchen sich Parasiten finden, von den wirklichen
Tumoren. Beim Krebs sind noch keine bestimmten Parasiten gefunden,
deren Gegenwart so regelmäßig, so spezifisch ist, daß sie als Ursache
der Krankheit anerkannt sind. Andrerseits können gewisse Geschehnisse
am besten durch die Anwesenheit eines lebenden Agens erklärt werden,
welches die krebsige Gewebsproliferation hervorruft. Eines der wichtigsten
Geschehnisse führe ich an: In gewissen Fällen wird Krebs bei Tieren in
endemischer Form gefunden. Er kommt sehr vie 1 häufiger an gewissen
Stellen, in gewissen Familien vor, als in anderen. Vber dies endemische
Auftreten des Krebses kann auch durch familiäre oder hereditäre Um¬
stände bedingt sein oder durch gemeinsame Einflüsse der Ernährung.
Soweit bekannt, ist die infektiöse Ursache bei einem solchen endemischen
Auftreten noch nicht sicher erwiesen. Weitere Forschungen können erst
diese Fragen entscheidend beantworten.
Wenige Worte noch hinsichtlich der Krebsbehandlung. Im Beginn
ist der Krebs in der großen Mehrzahl der Fälle eine ausschließlich
lokalisierte Erkrankung, und durch eine frühzeitige gründliche Operation
kann eine dauernde Heilung erzielt werden. In späteren Stadien läßt
eine Operation oft hinsichtlich der gänzlichen Beseitigung der Krankheit
im Stiche. In gewissen oberflächlich sitzenden Krebsen können Röntgen¬
oder Radiumstrahlen zur Heilung führen, aber sie versagen in der Regel,
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762
Referate und Besprechungen.
wenn der Krebs in tieferen Ge websschichten seinen Sitz hat. Neuerdings
hat man ausgezeichnete Resultate in vorgeschrittenen Fällen von Karzinom
durch Injektion von Peritonealflüssigkeit erhalten, welche von anderen
an Karzinom leidenden Patienten gewonnen ist. Es scheint, daß beim
Krebs Reaktionen bei Patienten auftreten können, welche zur Erzeugung
von Immun- oder sensibilisierenden Stoffen führen. Es ist indes noch
viel zu verfrüht, bestimmte Feststellungen über die Art der Wirkung
solcher Flüssigkeit zu machen. Unsere experimentellen Studien haben
gewiß die Existenz solcher reaktiven Prozesse bei von Krebs befallenen
Individuen erwiesen, welche in einer gewissen Anzahl von Fällen zur
Heilung überführten. Ich glaube, wir können hoffnungsvoll in die Zukunft
schauen, vielleicht sehr bald, jedenfalls aber früher oder später werden
wir imstande sein, die Bedingungen, welche zur Krebsentwicklung führen,
zu beherrschen, wir werden fernerhin imstande sein, kräftigere kurative
Agentien zu finden, als wir augenblicklich besitzen. Wir können jedoch
sicher sein, daß die rationellste Behandlung nur begründet sein wird auf
rein wissenschaftliche Forschungen über die Natur der Art des ge¬
steigerten Gewebswachstums, welches wir Krebs nennen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Verderame (Freiburg), Über die Infektion des Auges durch den Bacil¬
lus pyocyaneus. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 4.) Verfasser beschreibt
eine Augenerkrankung, die herbeigeführt war durch eine Infektion mit dem
Bacillus pyocyaneus. Schürmann.
Dennemark (Braunschweig), Über die Brauchbarkeit der Gruber-Widal-
schen Reaktion und der Fadenreaktion nach Mandelbaum zur Feststellung
abgelaufener Typhusfälle. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 4.) Verfasser
hält die Gruber-Widal’sche Reaktion zwecks Feststellung von abgelaufenen
Typhusfällen für zuverlässiger als die Mandelbaum’sche Fadenreaktion.
Schürmann.
Ottolenghi (Siena), Über eine neue Methode zur Isolierung der Cholera¬
vibrionen aus den Fäzes. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 4.) Verfasser
empfiehlt eine Anreicherung der Fäzes mit Galle zur Isolierung von Cholera¬
vibrionen. Seine Versuche haben ergeben, daß die Isolierung der Cholera¬
vibrionen auf diese Weise sehr rasch gelingt, und zwar auch, wenn dieser
Keim mit einer äußerst großen Zahl von anderen Bakterien gemischt ist.
— Die mikroskopische Untersuchung erfolgt im hängenden Tropfen oder im
gefärbten Präparate. Die Färbemethode ist genau angegeben. Schürmann.
Volpino u. Cler (Turin), Die Untersuchung der Wässer auf Typhus-
bazillen mit dem Komplementfixierungsverfahren. (Zentralbl. für Bakt,
sichere und bequeme, leicht ausführbare Methode zum Nachweis von Typhus-
bazillen in Wässern empfehlen zu können. Sie lassen entweder größere
Mengen Wassers z. B. 10 Liter auf 10 ccm verdampfen und benutzen den
Rückstand als Antigen im Komplementbindungsversuch oder lassen größere
Bd. 58, H. 4.) Verfasser glauben, die Komplementbindungsmethode als eine
Mengen Wassers durch eine Chamberlandkerze gehen und verwenden als
Antigen den Niederschlag auf der Chamberlandkerze. Schürmann.
Fromme (Straßburg), Über einen atypischen Typhusstamm. (Zentral¬
blatt für Bakt., Bd. 58, H. 5.) Fr. berichtet über einen atypischen Typhus-
stamm, der sich von echten Typhusstämmen durch die Agglutination nicht
unterscheidet, der aber vor allem ein auffallend gehemmtes Wachstum auf
den meisten gebräuchlichen Nährböden zeigt. Es kommen nach der An-
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Referate und Besprechungen.
763
sicht des Verfassers sicherlich bakteriologisch unaufgeklärte Krankheitsfälle
vor, weil die Erreger wegen ihres abweichenden biologischen Verhaltens
dem Nachweis entgingen. Der Bakteriologe hat demnach auf ähnliche
eigentümliche Wachstumsverhältnisse zu achten. Schürmann.
Innere Medizin.
L. Williams (London), Einige neue Gesichtspunkte, die Fettsucht be¬
treffend. (Practitioner, Bd. 86, H. 4.) Die Definition der Fettsucht als einer
Stoffwechselanomalie ist unzureichend, da sie nur Selbstverständliches aus-
sagt. Zuweilen ist sic Folge von Medikamenten, wie Alkohol, Arsenik und
Quecksilber, die den Stoffwechsel verlangsamen, oder von Blutverlusten,
die durch Hämoglobinmangel die Fettverbrennung hintanhalten.
Besonders interessant ist die Fettsucht, bzw. auch ihr Gegenteil, die
auf Störungen der inneren Sekretionen beruht. Hierher gehört die „Lipo-
matosis universalis asexualis“ Hutchinsons (die indessen schon Hippo-
krates kannte, der behauptet, daß fette Frauen oft unfruchtbar sind „quia
uterum habent frigidum“). Sie scheint nicht nur mit der Sekretion der
Ovarien, sondern auch der Schilddrüse zusammenzuhängen; daher die durch
Schilddrüsenpräparate erzielbare Abmagerung. Wie diese Präparate wirken,
ist zweifelhaft, es sind drei Arten denkbar: 1. indem sie einen Stoff ein¬
führen, der dem Körper fehlt, 2. indem sie die innere Sekretion antago¬
nistischer Drüsen anregen, 3. indem sie die übermäßige Wirkung dieser
letzteren paralysieren. Diese verschiedenen Möglichkeiten machen die Medi¬
kation unsicher.
Wie verwickelt die Verhältnisse sind, erhellt auch daraus, daß nor¬
male Menschen nach Verabreichung von Testikel- bzw. Ovarienpräparaten
an Gewicht zunehmen, während sie bei der asexuellen Fettsucht unwirk¬
sam sind.
Dagegen bewirken sowohl Schilddrüsen-als Hypophysenpräparate unter
Umständen einen Gewichtsverlust. Es gibt indessen auch magere Per¬
sonen, die durch Schilddrüsenpräparate fetter werden, ein gewisses Quan¬
tum Schilddrüsensekret scheint also zum normalen Fettansatz notwendig zu
sein. W. ist überzeugt, daß zahlreiche Fettsüchtige ihren Zustand einer
abnormen Absonderung der Thyreoidea verdanken.
Noch dunkler ist der Einfluß der Hypophysensekretion auf den Fett¬
ansatz. Die Chirurgen behaupten, daß Exstirpation der Hypophyse Ab¬
magerung bewirke, dagegen sollen Injektionen von Hypophysenextrakt Fett¬
ansatz bewirken. W. vermutet .auf Grund beobachteter Fälle, daß unge¬
nügende Sekretion der Hypophyse eine scheinbare Fettsucht, richtiger einen
myxödematösen Zustand herbeiführe. Merkwürdig sind auch Beziehungen der
Hypophyse zu den Ovarien: eine von W. wegen Fettsucht behandelte, vorher
sehr chlorotisch gewesene Kranke bekam auf Hypophysenextrakt Reizung
der Ovarien.
In diesem Zusammenhang erinnert W. auch an die offenbar mit der
Punktion der Sexualorgane zusammenhängende Fettsucht der Chlorotischen,
der Jungverheirateten und Stillenden. Manche beschuldigen die innere Sekre¬
tion der Brustdrüse, andere das Prostatasekret, das nach Arbuthnot Lane
zur vollen Entwicklung des Weibes nötig sein soll (dies hat übrigens schon
vor längerer Zeit Schleich ausgesprochen, und es ist sehr einleuchtend,
woher käme sonst das Aufblühen Jungverheirateter auch ohne Konzeption?
Der Congressus interruptus — sehr häufig interruptus nur quoad virum
— verdankt seinen üblen Ruf gewiß hauptsächlich dem Umstand, daß der
Vagina Stoffe vorenthalten werden, die zur völligen Gesundheit nötig sind).
W. schließt mit den Worten: die Lösung des Fettsuchtsrätsels steht
nicht im Diätzettel. Fr. von den Velden.
R. v. Stenitzer (Wien), Zur Verwertbarkeit des Typhus- und Para-
typhusdiagnostikums (nach Ficker). (Med. Klinik, Nr. 13, 1911.) Mit
Rücksicht darauf, daß der praktische Arzt die Diagnose auf Typhus nicht
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764
Referat» und Besprechungen.
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durch kulturellen Nachweis, sondern mit Hilfe des Ficker’schen Diagnostikums
stellen kann, hat St. nachuntersucht, ob dieses wirklich brauchbar ist.
St. fand nun im Wiener serotherapeutischen Institut, daß es oft in unzweifel¬
haften Fällen versagte. St. stellt daher folgende Forderungen auf: Die
(Ficker’s) Präparate müssen mit einem Fabrikationsdatum versehen sein. Sie
müssen von seiten der Fabrikationsstelle oder von einem dazu bestellten
staatlichen Amte einer periodischen Überprüfung unterworfen werden. Un¬
brauchbare Präparate müssen natürlich sofort von der Verkaufsstelle zurück¬
gezogen werden. S. Leo.
Hüne (Stettin), Untersuchungen von Rekruten aus der Garnison Stettin
auf Typhusbazillenträger. (Deutsche militärärztl. Zeitschr., 40. Jahrg., 6. H.,
1911.) Bazillenträger bedeuten für ihre gesunde Umgebung eine große Ge¬
fahr: daß dies für Typhusbazillenträger, die als Rekruten zum Militär ein-
gezogen werden, in besonders hohem Maße gilt, bedarf keiner weiteren Er¬
örterung. Hüne hat daher im Herbst 1910 in der Garnison Stettin alle
diejenigen Rekruten festgestellt, die früher selbst Typhus durchgemacht
hatten oder mit Familien, Häusern oder Werkstätten, in denen Typhus ge¬
herrscht hatte, in Berührung gekommen waren. Dabei wurden 79 gefunden.
Bei diesen Leuten wurde aus dem Ohrläppchen Blut entnommen und
auf Agglutination Typhusbazillen gegenüber geprüft. Dabei hatten einen
Widal von unter 1 : 25 bis 1 :30 = 69 Mann, von 1 : 40 bis 1 :100 = 10 Mann.
Von den letzteren 10 Leuten wurden die Ausscheidungen auf Typhusbazillen
untersucht: dabei wurde 1 gesunder Typhusbazillenträger gefunden.
H. plädiert dafür, eingestellte Mannschaften, die als Typhusbazillen¬
träger festgestellt sind, als dienstunbrauchbar aus dem Militärdienste wieder
zu entlassen. Richard Müller (Berlin).
Delorme (Paris), Über Typhus-Schutzimpfung. (Bullet, med., Nr. 99,
S. 79—80, 1911.) In Frankreich sind Typhus-Erkrankungen und -Todesfälle
so häufig, daß die Frage eines individuellen Schutzes akut ist. Während
nun die eine Partei, deren Wurzel im Laboratorium liegt, sehr energisch für
eine Schutzimpfung plädiert, verhalten sich die Praktiker der alten klinischen
Schule ablehnend,. In der Academie des Sciences kam es am 31. Januar 1911
zu einem heftigen Zusammenstoß, weil Delorme die Schutzimpfung zwar
für theoretisch interessant, aber für praktisch noch nicht verwendbar* er¬
klärte.
Ich glaube, wenn in Frankreich die öffentliche Hygiene genügend ge¬
pflegt würde, dann verschwänden die Kontroversen pro und contra vaccina-
tionem bald von selber. Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Otfried Fellner (Wien), Der Wert der Blutanalyse bei gynäkologischen
Fällen. (Reichs-Med.-Anzeiger, Nr. 8, 1911.) Eine Leukozytenzahl von über
16 000 weist mit größter Wahrscheinlichkeit darauf hin, daß Eiter vor¬
handen ist. Es gibt aber Umstände, die trotz Vorhandenseins von Eiter die
Leukozytose nicht aufkommen lassen. Dies kann der Fall sein bei schwerer
Erkrankung infolge Erschöpfung der Reaktionskraft des Organismus, bei
chronischem Krankheitsverlauf, wenn eine • feste Abkapselung durch
Schwartenbildung zustande gekommen ist. Die Leukozytose hält länger an
als das Fieber. Durch diese Untersuchung werden wir leicht eine Hydro-
salpinx von einer Pyosalpinx unterscheiden können. Ein einigermaßen ver¬
größertes Ovarium wird bei fehlender Leukozytose als Produkt einer chro¬
nischen Eierstocksentzündung, bei vorhandener Leukozytose als Pyoovarium
angesprochen werden müssen. Ein Zurückgehen einer schon vorhandenen
Leukozytose wird die Abkapselung des Eiterherdes anzeigen. Die Tuberkulose
geht nicht mit Leukozytose einher. Bei Myomen fand F. nur dann erhöhte
Leukozytenzahl, wenn Eiterbildung daneben vorhanden war. Zur Diagnose
des Karzinoms ist die Blutuntersuchung nicht geeignet. Uteruskarzinome
ergeben normale Leukozyten werte, wohl aber geht der Magenkrebs mit er-
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Referate und Besprechungen.
765
höhter Leukozvtenzahl einher. Es muß also eine erhöhte Leukozytenzahl
bei Uteruskrebs uns darauf aufmerksam macheu, daß vielleicht auch ein
Magenkrebs vorliegt und daher eine Operation besser zu unterlassen ist.
Am wichtigsten ist die Leukozytenzählung bei Ovarialgeschwülsten. Bei
kleineren zeigt uns die Leukozytose Eitergehalt, bei größeren Stieldrehung
oder peritonitische Reizung an. Im ersteren Fall wird sie uns zur vaginalen
Operation, im zweiten zur möglichst sofortigen Operation bestimmen. Auch
bei der konservativen Behandlung der Adnexe ist die Leukozytenzählung
von Wichtigkeit. Die Leukozytose hält länger an als das Fieber und lehrt
uns, daß die Virulenz der Bakterien noch immer eine hohe ist. Solange die
Zahl erhöht ist, wird man Heißluftbehandlung unterlassen und mit der
Massage sehr vorsichtig sein. Bei Tubengravidität zählte F., wenn die
Ruptur nicht zu weit zurücklag, eine ziemlich große Zahl von Leukozyten.
S. Leo.
E. Krösnig (Jena), Die Heißluftdusche in der Gynäkologie. (Münchn.
med. Wochenschr., S. 2227, 1910.) K. berichtet über Erfolge der Heißluft¬
dusche bei alten Exsudaten puerperaler Provenienz, bei Pyosalpinx, Naht¬
eiterungen und Vulvovaginitis. In allen Fällen gewann Verf. den Eindruck
einer schnelleren Heilung als mit der üblichen Belastungs-, Belichtungs¬
und Tampontherapie. Bei Exsudaten wurde die vaginale Anwendung der
Heißluftdusche mit der Belichtungstherapie kombiniert (Lichtbügel auf das
Abdomen). Frankenstein (Köln).
A. Mayer und Prof. Unser (Tübingen), Ein Versuch, Schwanger¬
schaftstoxikosen durch Einspritzungen von Schwangerschaftsserum zu heilen.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 2757, 1910.) Den beiden Autoren gelang es,
einen äußerst schweren Fall von Herpes gestationis durch mehrmalige Ein¬
spritzung von Serum einer gesunden Schwangeren zur Abheilung zu bringen,
trotz schwerer Prostation und Fieber. Die Injektion von Serum einer ge¬
sunden Nichtgraviden war erfolglos geblieben. Die Überlegungen, die zu
diesem therapeutischen Versuche führten, waren kurz folgende: Aus den
verschiedensten Tatsachen müssen wir annehmen, daß in jeder Gravidität
Giftstoffe gebildet werden, und zwar in der Plazenta. Für den normalen
Schwangerschaftsablauf ist es nötig, daß diese durch Gegengifte unschädlich
gemacht werden. Geschieht das nicht, dann kommt es zur Anwesenheit von
blutfremdem Eiweiß im mütterlichen Blute und darin hätten wir die Ur¬
sachen der Graviditätstoxikosen zu erblicken.
Der Herpes gestationis ist eine der hervorstechendsten Graviditäts-
toxikosen. Der von den beiden Autoren erzielte Erfolg scheint uns neue
Perspektiven für die Behandlung der übrigen Graviditätstoxikosen, Hyper -
emesis, Schwangerschaftsniere, Schwangerschaftsleber, Eklampsie zu eröffnen.
Frankenstein (Köln).
C. Weinbrenner (Magdeburg), Zur operativen Behandlung entzünd¬
licher Adnexerkrankungen. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2228, 1910.)
In den Fällen von Adnexerkrankungen, in denen die exspektative Behand¬
lung keine dauernde Besserung bringt, tritt die chirurgische Behandlung in
ihr Recht, ebenso in den Fällen, wo die sozialen Verhältnisse zum Eingriffe
drängen, oder unregelmäßige, anhaltende Blutungen, Mitbeteiligung des Pro¬
cessus vermiformis die Sachlage komplizieren.
JDer Modus prooedendi ist sehr verschieden: ist der Adnextumor vom
hinteren Scheidengewölbe aus bequem zu erreichen, so bedienen wir uns mit
Vorteil der Probepunktion. Bei größeren Eiterherden, die dem hinteren
Scheidengewölbe anliegen, kommt die Inzision und Drainage in Betracht;
tuberkulöse und gonorrhoische Pyosalpingen sind von diesem Verfahren
auszunehmen, da sie zu Fistelbildungen prädisponiert sind.
Für größere Eingriffe kommt der abdominale und vaginale Weg iD
Betracht. Ersterer ist stets bei komplizierten Verhältnissen, festen Darm-
Verwachsungen und bei jugendlichen Personen anzuwenden, bei denen mög¬
lichster Konservativismus angestrebt werden muß. Im allgemeinen ist zu be-
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766
Referate und Besprechungen.
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tonen, daß die radikalen Operationen wesentlich bessere Dauerresultate zeigen
als konservatives Vorgehen. Nur dürfen wir die Ausfallserscheinungen nicht
zu gering einschätzen. Frankenstein (Köln).
M. Friedemann, Ein Fall von erfolgloser Nierenentkapselung bei puer¬
peraler Eklampsie. (Zeitschr. für gynäk. Urol., Bd. 2, H. 5, 1911.) Es
handelte sich um eine 18jähr. I.-Geb. mit nach der Geburt einsetzender
Eklampsie. Nach dem dritten Anfall Einlieferung ins Krankenhaus, Zyanose,
Sopor, Puls 140, Riva-Rocci 170, l°/o Eiweiß, granulierte Zylinder,
reichlich Epithelien. Innerhalb acht Stunden noch drei Anfälle, dazwischen
starke Unruhe. Nach der Dekapsulation der sehr hyperämischen Nieren in
Äther-'Sauerstoffnarkose hielt die Bewußtlosigkeit an, auch alles andere
blieb fast unverändert, nur die Anfälle blieben aus, vor allem trat keine
Steigerung der Harnausscheidung ein. Zehn Stunden p. op.
Exitus. — Es ist dankenswert, wenn auch solche Fälle veröffentlicht werden.
R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
S. Gara (Bad Pöstyen), Ein Abdominaldrucksymptom der Ischias.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 16, 1911.) Unter 124 Fällen hat Gara
118mal folgendes Symptom bei Ischias feststellen können: Bei mäßigem und
senkrecht zur Wirbelsäule ausgeführtem Druck in der Nabellinie fingerbreit
unterhalb des Nabels und in gleicher Höhe zweifingerbreit neben der Nabel -
linie an der erkrankten Seite verspüren die Kranken einen starken Schmerz.
Topographisch-anatomisch entspricht diese Stelle an der Wirbelsäule der
Gegend des letzten Lendenwirbels, des ersten Kreuzbein wirb eis und seitlich den
Nerven wurzeln, die sich zum Plexus ischiadicus vereinigen. Dieses Symptom
zusammen mit der schon früher von Gara angegebenen Druckschmerzhaftig¬
keit des Processus spinosus des letzten Lendenwirbels lassen die Annahme
wahrscheinlich werden, daß der Krankheitsherd der Ischias in die Nerven-
wurzeln und den Plexus ischiadicus zu verlegen ist. Das Fehlen der sub¬
jektiven Abdominalschmerzen ist daraus zu erklären, daß der intraabdomi¬
nelle Druck überall im Abdomen sich im Gleichgewichtszustand befindet.
Wird dieser Zustand gestört, wie bei Obstipation, oder beim Niesen, oder
in der Gravidität, so werden diese Abdominalschmerzen auch vom Ischiatiker
selbst bemerkt. F. Walther.
F. W. Ranson u. G. D. Scott (Chicago), Die Resultate der medizin.
Behandlung in 1106 Fällen von Delirium tremens. (The americ. journ. of
the med. scienc., Mai 1911.) Die Behandlung des Del. trem. gibt bis jetzt
noch recht unbefriedigende Resultate, ja es herrscht unter den Autoren noch
nicht einmal Übereinstimmung über die beste Art der Behandlung. Einige
raten Hypnotika in großen Dosen, andere betrachten sie als gefährlich, selbst
in den kleinsten Gaben. Ob man Whisky geben soll oder nicht, ist ebenso
strittig wie die Frage, ob Digitalis nnd andere Stimülantien angewendetl
werden sollen oder nicht. Bäder werden empfohlen und verurteilt, so daß
sich angesichts dieser Tatsachen R. n. S. veranlaßt sahen, der Sache auf
Grund einer Statistik von 1106, meist aus dem Cook conety Hospital in
Chicago stammenden Fällen näher zu treten. Die Schlüsse, zu denen sie
kommen, werden dahin zusammengefaßt, daß die medizinische Behandlung
des Deliriums, wie nicht anders zu erwarten, im ersten Stadium wirksamer
ist als im zweiten. Beginnende Fälle sollten reichliche Dosen Hypnotika,
unter welchen Veronal bei weitem das beste ist, erhalten. Whisky sollte
regelmäßig gegeben werden, Ergotin in häufigen Zwischenräumen, sei es
intern, sei es intramuskulär. Eine derartige Behandlung sollte allmählich
und nur nach dem Aufhören aller Unruhe und des Tremors unterbrocken
werden. Delirierende sollten, unter Ausschluß von Morphin und Hyoszin,
mäßige Dosjen Veronal erhalten, Ergotin ebenso wie in beginnenden Fällen,
ob regelmäßig Whisky, ergab die Statistik nicht.
Im Cook county Hosp. betrug die Mortalität in derjenigen Reihe von
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Referate und Besprechungen.
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Fällen, die wenig Ergotin und praktisch kein Veronal erhielten = 26,4%,
in der anderen Reihe, wo beide Mittel ausgedehnte Anwendung fanden,
17,5°/o- Ergotin soll auf die aktive Hyperämie des Gehirns (erweiterte
Blutgefäße, manchmal sogar ödem) einwirken, wobei jedoch zu bedenken
ist, daß es auch zu den Stimulantien gehört, die man im allgemeinen selten
und nur Moribunden gibt. Peltzer.
S. R. Klein (New York), Die pathologischen Beziehungen des Urins
zu Gehirn- und Nervenkrankheiten. (Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 13 u. 14,
1911.) Klein bringt Literatur und eigene Kasuistik über die Ergebnisse
der Urinuntersuchung bei Gehirn- und Nervenkrankheiten und gelangt dabei
zu folgenden Schlüssen hinsichtlich der Paralyse:
Die Veränderungen, die der Urin bei Paralyse bietet, sind durchaus
nicht konstant, so daß allgemeine Sätze hier nicht aufgestellt werden können.
Im melancholischen ersten Stadium ist die Urinmenge vermindert, das spez.
Gewicht schwankt zwischen 1015 und 1030, in der Regel enthält er größere
Mengen Phosphate, weniger Harnstoff und Chloride. Im maniakalischen
Stadium ist die Harnmenge sowie Harnstoff- und Chloridgehalt oft ver¬
mehrt. Die Phosphorsäure nimmt bei stärkerer Exzitation meist ab.
Im dementen Stadium ist die Harnmenge ebenso wie die Ausscheidung
der Harnstoffe, der Chloride und Phosphate erheblich vermindert, die Summe
der festen Bestandteile fast um die Hälfte erniedrigt.
Aus den Beobachtungen bei anderen einschlägigen Krankheiten werden
von K. Schlußfolgerungen nicht gezogen. Esch.
H. Boas u. H. Lind (Kopenhagen), Untersuchung der Spinalflüssigkeit
bei Syphilis ohne Nervensymptome. (Zeitschr. für die ges. Psych. u. Neur.,
Bd. 4, H. 5.) Keiner der 12 untersuchten Fälle gab in der Spinalflüssigkeit
positive Wassermann’sche Reaktion, obwohl sie sich öfters als sehr kräftig
im Blut erwies. Zellenvermehrung war nur in 4 Fällen schwach vorhanden,
die Nonne-Apelt’sche Phase 1 fand sich in 5 Fällen, aber nur in sehr ge¬
ringer Stärke. Zweig (Dalldorf).
Augenheilkunde.
Th. Mohr (Breslau — Goldap), Keratitis parenchymatosa nach Trauma.
(Klin. Monatsbl. für Augenheilk., 48. Jahrgang, S. 611—619.) Es gibt
Skeptiker, welche die Entstehung einer Hornhautentzündung durch Trauma
leugnen. Ihnen stellt Mohr zwei in der U h t h o f f’schen Klinik beobachtete
Fälle gegenüber, bei denen sich die Krankheit unter den Augen der Ärzte
durch Soda bzw. Kohle entwickelt hat; und der Eindruck dieser eigenen
Beobachtungen war so lebendig, daß Verf. den vielfach üblichen Schluß:
Keratitis — ergo Lues oder Tuberkulose seinerseits nicht mehr zieht.
Immerhin sind aber traumatische Hornhautentzündungen doch recht
selten, und wenn man diese Seltenheit mit der Häufigkeit der Traumen ver¬
gleicht, dann kann man nicht umhin, die Vorzüglichkeit der Reaktionen
zu bewundern, welche in der überwiegenden Menge der tatsächlichen Ver¬
letzungen das Zustandekommen einer Infektion verhindern. Vielleicht ge¬
hört dies zu jenen unscheinbaren Phänomenen, an denen — wie Helm -
h o 11 z bemerkt hat — der uneingeweihte Beobachter leicht vorübergeht, die
aber dem schärferen Blicke Wegweiser in neue, unbekannte Tiefen der Natur
sind. (Vorwort zu H. Herz, Prinzipien der Mechanik. Gesammelte Werke,
in. Band, S. VIII, 1894.) Buttersack (Berlin).
Flemming (Berlin), Wirkung von Salvarsan auf das Auge. (Arch. für
Augenheilkunde, Heft 3, 1911.) Flemming berichtet über 180 mit Sal¬
varsan (Ehrlich-Hata 606) behandelte syphilitische Pat. der Augenklinik
in der Charite. Nebenwirkungen hat er nicht beobachtet, aber auch keine
eklatanten Heilerfolge. Bessere Resultate als mit den früheren Methoden,
speziell mit Mergal, wurden nicht erzielt. Indiziert ist das Präparat in
solchen Fällen, in welchen schnelle Hilfe not tut und wo Jod und Queck¬
silber versagt haben.
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Referate und Besprechungen.
Wenn man derlei Berichte mit der anfänglichen Begeisterung vergleicht,
wird man zugeben, daß Auenbrugger’s Satz immer noch zu Recht be¬
steht: „Quantum decipiuntur medici!“ (Inventum novum 1761. Schol. zu
§ XXVIII.) Buttersack (Berlin).
Leistikow (Hamburg), Beitrag zur Behandlung der Blenorrhoe.
(Monatsh. für prakt. Dermatol., Bd. 52, Nr. 1.) Die Firma Beiersdorff-
Hamburg stellt aus der Grundmasse der Unna’schen Pastenstifte (Wasser,
Stärke, Zucker, Dextrin) unter Zusatz von Glyzerin Stäbchen zur Behand¬
lung der Blenorrhoe her, die 2—4 mm dick und 10—18 cm lang, an einem
Ende wie ein Krückstock umgebogen, in heißes Wasser getaucht, abgekühlt
und vom Pat. in die Harnröhre eingeführt werden, wo sie sich langsam
lösen. Zur Anwendung kamen bisher Stäbchen mit Argonin (1%)» Albargin
(0,75%), Argent. nitr. (0,2—2%), Protargol (0,2%); Ichthargan (0,1—0,5%),
Zinc. sulfur. (0,5%).
Verf. hat die Stäbchen bei 130 Fällen männlicher und 15 Fällen weib¬
licher Urethritis blenorrhoica angewendet. Die Erfolge waren namentlich
bei weiblicher Urethritis durch Behandlung mit 0.5% Ichthargan-Gonostyli
und 1—2% Arg. nitr.-Gonostyli sowie bei mit Epididymitis komplizierter
Urethritis posterior außerordentlich günstig. Carl Grünbaum (Berlin).
Allgemeines.
Vinsac (Amelie-les-Bains), Ein Wort für die Feuerbestattung. (Bullet¬
in ed., Nr. 18, S. 177, 1911.) Im Jahre 1881 biwakierte eine französische
Truppenabteilung auf alten Arabergräbern, und bald wimmelten alle Leute
von Flöhen, welche von den in den Gräbern hausenden Ratten herstammten.
Vinsac macht mit Recht darauf aufmerksam, daß die Menschen sich auf
diese Weise eigentlich ihre Feinde selber großzüchten; denn jedes Grab sei
eine neue und höchst bequeme Brutstätte für die Ratten.
Die Griechen, die vor Troja ihre Toten verbrannten, waren uns da
in hygienischer Beziehung offenbar voraus. Sie waren eben auch noch reine
Indogermanen, während unsere heutige Erdbestattung ganz deutlich die orien¬
talischen Einschläge in unsere Kultur zum Ausdruck bringt.
Buttersack (Berlin).
A. Pearce Gould (London). Krebs und der praktische Arzt. (Prac-
titioner, Br. 86, Nr. 3.) Heutzutage müssen in allen, auch in früh zur
Operation kommenden Fällen von Krebs die erkrankten Lymphdrüsen ent¬
fernt werden, ja Gould entfernt alles Gewebe, das erfahrungsgemäß Aus¬
sicht hat, durch wandernde Krebszellen infiziert zu werden; er läßt dabei
die Vermutung durchblicken, daß die Krankheit zuerst in den Drüsen auf-
tritt.
Der Praktiker muß daran denken, daß die Krebskachexie erst spät
auftritt, daß dem Allgemeinbefinden nicht anzumerken ist, ob ein in Ent¬
wicklung befindlicher Krebs vorhanden ist, und daß ein solcher für ge¬
wöhnlich keinen Schmerz verursacht.
Wichtige Dienste kann der Haus- oder praktische Arzt für die Krebs-
Statistik leisten, die bekanntlich bis jetzt durchaus unmaßgeblich ist. Die
dreijährige rezidivfreie Periode ist wertlos, nur Statistiken, die sich auf
die ganze postoperative Lebenszeit erstrecken, sind von Wert; sie aber
kann nur der Hausarzt liefern. G. regt an, daß jeder, der einen Todesfall
eines wegen Krebs Operierten, gleichgültig ob er am Rezidiv gestorben ist
oder nicht, konstatiert, dem Operateur Mitteilung machen soll (übermäßig
erfreut wird dieser gewöhnlich nicht sein).
Ferner regt G. an — und das ist sehr beachtenswert — daß die
praktischen Ärzte jeden Fall von zum Stillstand gekommenem oder geheiltem
Krebs zur allgemeinen Kenntnis bringen sollen. Auch dadurch werden sie
sich nicht sehr beliebt machen, man denke nur an die Entrüstung, die
das Schlegel’sche Krebsbuch unberechtigterweise hervorgerufen hat.
_ Fr. von den Velden.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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Martin Mendelsohn,
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Wirkung ausübt; schon ganz schwache Lösungen von 1:100000 vermehren
sehr deutlich die Größe der Systole des isolierten Herzens. Diese Be¬
obachtungen haben mich veranlaßt, das Lecithin vielfach hei Herzkranken
als Arzneimittel zu verwenden; ich habe die ursprüngliche Beobachtung,
daß es diuretisch wirke und gleichzeitig den Blutdruck erhöhe, oft be¬
stätigt gefunden. In den letzten Jahren haben sich viele chemische
Fabriken, darunter die angesehensten, damit befaßt, das Lecithin in zweck¬
mäßigen Formen als Arzneimittel herzustellen; seine therapeutische Ver¬
wendung ist jetzt in der Medizin eine sehr verbreitete.
Auch ist inzwischen eine recht umfangreiche Literatur über dieses
Medikament entstanden, welche hier vollständig wiederzugeben, zu weit
führen würde: die hauptsächlichsten Arbeiten sind in den Abhandlungen
von M orichau-Beauchant: „Etüde thdrapeutique sur la Lecithine,
Paris 1901 u , von Edmond Coulombe: „La Lecithine de Poeuf, son
emploi thörapeutique, Paris 1901“, von Marc Dunants: „Contribution
ä Idtude de la Lecithine, Genfeve 1902“ aufgeführt. Indessen ist es zum
Verständnis der Lecithinwirkung doch nötig, in aller Kürze einen Blick
auf die bisher vorliegenden experimentellen und klinischen Ergebnisse
zu werfen, wie sie sowohl im physiologischen Experiment als in den
klinischen und therapeutischen Beobachtungen bei manchen Krankheits¬
zuständen gewonnen worden sind, um die Wirkung dieses eigenartigen
Medikaments alsdann gerade in seiner Anwendung bei Herzkranken
richtig beurteilen und würdigen zu können.
Die grundlegenden Untersuchungen sind die von Danilevsk v. 1 )
Der russische Physiologe hat zuerst auf die bedeutende Rolle hinge¬
wiesen, welche das Lecithin bei den bioplastischen Vorgängen spielt;
während er zunächst Froschlarven und Pflanzen damit behandelte, übertrug
er später seine Versuche auf Warmblüter und kam zu den Schlu߬
folgerungen, „daß eine in geringer Dosierung dem tierischen Organismus
in dessen Entwicklungsstadium einverleibte Lecithininjektion eine deutliche
Vermehrung des Körpergewichts herbeiführt. Diese Körpergewichts-
zuuahme ist anzusehen als eine Beschleunigung des Wachstums, das
heißt des morphologischen Prozesses; und zwar vollzieht sich bei Warm¬
blütern derselbe Vorgang wie bei Fro3chlarven.“ Diese Versuche wurden
sodann von Serono 2 ) sowie von Desgrez und Aly Zaky*) fortgeführt
und auch auf den Menschen ausgedehnt; es ergab sich ihnen eine rapide
Erhöhung des Körpergewichts“. An diese Arbeiten hat sich, wie schon
erwähnt, eine außerordentliche Zahl von experimentellen Arbeiten sowohl
als auch von klinischen Beobachtungen angeschlossen, so daß die Literatur
über da* Lecithin eine sehr umfassende ist und sich aus der großen Zahl
der verschiedenen Beobachtungen mit Sicherheit das Feststehende und
allgemein Anerkannte erkennen läßt.
') Danilevsky, De Finfluence de la Lecithine sur la croissance et lamultipli-
cation des organismes. Compte rendu Acad. des Sciences, t. CXXI, 1895, p. 1167. —
De Finfluence de la Lecithine sur la croissance des animaux ä sang chaud. Idem,
t. CXXIII, 1885, p. 195.
2 ) Serono, Sur les injections de l^cithine chez Fhomme et chez les animaux.
Notre präventive. Archives italiennes de Biologie, t. XXVII, fase. 3, p. 349.
Recherches sur les injections de lecithine, Turin 1900.
3 ) Desgrez et Aly Zaky, De Finfluence de la lecithine sur les Behanges
nutritifs. Compte rendu Soc. de Biologie, 1900, t. LII, No. 28, p. 794. Influence
de 14cithines de l’oeuf sur les Behanges nutritifs. Compte rendu Acad. des Sciences.
1901, t, CXXII, No. 24, p. 1512.
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Zur Ernährungstherapie der Herzkranken.
771
Alle Beobachter stimmen darin überein, daß das Lecithin den
günstigsten Einfluß auf die Körperernährung und auf die Besserung der
verschiedensten Ernährungsstörungen nehmen kann. Ganz besonders
deutlich wird dieser Einfluß in der Rekonvaleszenz nach akuten Krank¬
heiten, oder bei chronischen Erkrankungen, wie bei der Tuberkulose und
bei Knochenerkrankungen, in denen das Körpergewicht und die Gesamt¬
ernährung herabzugehen pflegen. Hierfür liegen nicht nur klinische
Beobachtungen vor, sondern auch experimentelle Feststellungen. So
haben insbesondere Desgrez und Aly Zaky festgestellt, daß die Ge¬
wichtszunahme bei Tieren, die mit Lecithin behandelt worden sind, nicht
auf einer Zurückhaltung der Nahrungsstoffe, auf Fettanhäufung zurück¬
zuführen sei, daß sie sich vielmehr proportional auf das Skelett und auf
das Nervensystem zugleich erstrecke. Und M. Claude 1 ) hat von ver¬
schiedenen Gruppen tuberkulöser Meerschweinchen die einen mit Lecithin
behandelt, die anderen nicht und festgestellt, daß die Lecithin-Tiere er¬
hebliche Überlebungsdauer zeigten. So wird das Lecithin jetzt, insbe¬
sondere auf die Empfehlung von Bernheim und Rollet 2 ) hin, vielfach
in der Therapie der Tuberkulose mit gutem Erfolg verwendet, und auch
Gilbert und Fournier haben diese Resultate bestätigt: „Wir verab¬
reichten Lecithin Lungenkranken, welche sämtlich schon auf eine oder
beide Lungenspitzen übertragene Affektionen aufwiesen; die klinisch
konstatierten Resultate waren folgende: Erhöhung des Appetits, Wieder¬
gewinn der Kräfte, sehr bemerkenswerte Gewichtszunahmen bis zu 3,5 kg
in einem Monat bei einem Tuberkulösen, welcher seit 14 Monaten ohne
Gewichtszunahme im Hospital gelegen hatte. In einem Falle fand eine
Gewichtszunahme statt, trotzdem sich der Kranke in intensivem Fieber¬
zustande von 39° am Abend befand.“
Ein weiteres großes Gebiet der therapeutischen Anwendung des
Lecithins sind die Nervenkrankheiten. Gilbert und Fournier 3 ) hatten
zuerst sehr gute Erfolge bei Neurasthenie und bei einer Reihe anderer
Nervenkrankheiten zu verzeichnen; auch H. Huchard 4 ) spricht lebhaft
für die Anwendung des Lecithins bei der Neurasthenie: „Durch den
Einfluß dieses absolut unschädlichen, im Ausland bereits von Danilevsky,
Cesare Serono, Tonelli, Foa, in Frankreich von Desgrez und Zaky,
Fournier und Gilbert, sowie von mir selbst durchgearbeiteten und
ausprobierten Mittels, sind vor allem ein gesteigerter Appetit sowie
Kräfte- und Gewichtszunahme zu konstatieren. Das Lecithin wird eine
bedeutende Rolle in der medizinischen Praxis spielen bei der Behandlung
von Anämie, Tuberkulose, Rachitis, gewissen Arten von Diabetes, wie
er von Lancereaux kürzlich in der Akademie demonstriert wurde, und
besonders bei der Behandlung von Neurasthenien.“ Diese hier erwähnte
Beobachtung von Lancereaux 5 ) ergab in der Tat beim Diabetes eine
deutliche Heilwirkung; und die günstigsten Erfahrungen über Lecithin¬
behandlung bei Knochenerkrankungen, insbesondere bei Rachitis, bei
Osteomalazie, sind sehr zahlreich; eine der wuchtigsten Arbeiten hierüber
*) M. Claude, Compte rendu de l’Acad. des Sciences, septembre 1901 et
Presse Medicale, septembre 1901, Compte rendu Soc. de Biologie, a mai 1902.
*) Bernheim et Rollet, Revue internationale de la Tuberculose, 1902,No. 27.
8 j Gilbert et Fournier, La Lecithine en th^rapeutique. Compte rendu de
Soc. de Biologie. 1901. t. CIII, No. 6, p. 145.
4 ) H. Huchard, Journal des Practiciens, No. 25, 22. Juni 1901.
ö ) Lancereaux, Notes sur Pemploi thörapeutique de la 16cithine. Acad.
de mdd. s^ance du 18 juin 1901.
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Martin Mendelsohn
ist die von Charriöre 1 ), er kommt zu dem Schlüsse: „das Lecithin
spielt eine große Rolle bei dem Prozesse der Zellenvermehrung; es be¬
günstigt in der höchst möglichen Art und Weise den Stoffwechsel.
Das Lecithin übt einen äußerst glücklichen Einfluß aus auf die Entwick¬
lung in bezug auf Gewicht und Grösse, welche letztere beinahe zusehends
durch seinen Einfluß sich steigern.“
Ich möchte nicht die ganze Literatur hier aufzählen; nur noch der
Untersuchungen von Stassano 2 ) muß besonders gedacht werden, da
durch sie festgestellt worden ist, daß das Lecithin nicht nur im Glase
von Pankreassaft unzerlegt bleibt, sondern daß es auch bei der Einnahme in
den Magen unverändert bleibt; da es sich bei Hunden, denen es auf
dem gastrischen Wege eingeführt worden ist, in der Lymphe unverändert
wiederfindet.
Man sieht aus alle dem schon, daß das Lecithin in der Tat ein
ideales Kräftigungsmittel ist; denn es ist ja eben kein „Nährpräparat“,
sondern es hat die so sehr viel wertvollere Eigenschaft, die Kraft und
die Widerstandsfähigkeit des Körpers und seiner einzelnen Organe und
Gewebe zu steigern und zu erhöhen. Es wirkt eben nicht etwa dadurch,
daß es an sich schon eine Fülle von Nah rnngsst offen in den Körper ein¬
bringt, sondern nur deshalb, weil bei der durch das Lecithin erfolgenden
Erhöhung des Stoffwechsels schon die natürliche Nahrungszufuhr ausreicht,
um die Körperzellen zu stärkerer Nahrungsaufnahme zu veranlassen.
Und es kann, rein therapeutisch betrachtet, kein Zweifel sein, daß eine
solche Wirkung die bei weitem wertvollere ist. Denn die meisten der
sogenannten Nährpräparate sind durchaus überflüssige und wirkungslose
Dinge. Es kommt in der Medizin überhaupt nicht darauf an, dem
Körper des Kranken mit einem Male große oder übermäßige Mengen
von Nahrung zuzuführen; die Überfütterung bewirkt niemals eine Heilung.
Das Wesentliche in jedem Organismus ist doch nur, daß seine Körper¬
zellen vermögen, aus der ihnen zugeführten Nahrung ausreichend Stoffe
zu entnehmen und sich einzuverleiben. Das können bei uns Menschen
alle unsere Körperzellen in erhöhtem Maße, so lange sie noch jung und
lebeusfrisch sind: die Kinder, die Jünglinge „wachsen“; sie nehmen nicht
nur die Menge an Stoffen, die sie täglich verbrauchen, wieder in sich
auf, sondern sie haben sogar das Vermögen, noch neue anzusetzen, zu-
zunehmen, zu wachsen. In den reiferen Jahren hört dies Vermögen auf;
und die Gesundheit des Menschen besteht eben darin, daß seine Körper¬
zellen vermögen, wenn auch kein Plus mehr anzusetzen, so doch alle
täglich entstehenden Verluste neu zu ersetzen und sich so immer auf
der Höhe zu erhalten. Im Greisenalter erlischt diese Fähigkeit; wir
können nicht mehr alles das ersetzen, was wir täglich verbrauchen und
darum sterben wir schließlich. Aber wieviel wir auch immer an Nahrungs¬
stoffen in den Körper einführen, es ist bedeutungslos, wenn die Zellen
die Fähigkeit verloren haben, es an sich zu reißen, es sich einzuverleiben.
Daher ist die Fütterungstherapie, wie sie jahrelang in den Lungenheil¬
stätten getrieben wurde, ein heller Unfug. Man kann wohl Menschen
ebenso wie Gänse und wie Schweine mästen, aber dann fügt man ihnen
nur unnützen Ballast zu, nicht aber etwa Kraft und Gesundheit. Und
darum haben alle wirklichen Nährpräparate nur in dem kleinen Kreise
l ) Charrifere, Compte rendu Acad. des Sciences 29 juillet 1901 et avril 1902.
*) Stassano, Le röle des noyaux des cellules dans Pabsorption. Compte
rendu Acad. des Sciences 1900.
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Zur Emährungstherapie der Herzkranken.
773
von Fällen einen Wert, wo die Zuführung normaler Nahrung aus irgend
einem Grunde sich verbietet; hat aber der Körper im ganzen, oder
haben einzelne seiner Organe oder bestimmte Gruppen seiner Zellen die
Fähigkeit mehr oder minder eingebüßt, die ihnen zugeführten Nahrungs¬
stoffe ausreichend zu assimilieren, so sind alle Nährpräparate unnütz,
und einen wirklichen Wert hat nur eine Therapie, welche vermag, die
Körperzellen wieder zu höherer Aufnahmefähigkeit anzuregen. Und
deshalb ist ein Medikament, welches solches vermag, mehr wert, als ein
Nährpräparat „von hohem Nährwert“.
Aber gerade angesichts der in der letzten Zeit so überaus umfang¬
reichen und ausgedehnten Propaganda für das Lecithin, welche sich in
dem weitesten Umfange an die Kranken und an das Publikum wendet,
möchte ich mit besonderem Nachdruck auch hier darauf hinweisen, daß
ein wirklicher Erfolg mit diesem so sehr wertvollen Medikament nur
durch die Hand des Arztes erzielt werden kann. Alle Tagesblätter sind
voll von Anpreisungen lecithinhaltiger Präparate. Einen wirklichen Effekt
kann aber nicht die kritiklose Einnahme eines solchen Mittels, sondern
nur die systematische und auf der dauernden Beobachtung des Kranken
beruhende ärztliche Behandlung erzielen. Denn es kommt bei einem jeden
Kranken immer nur darauf an, ob ein bestimmtes Heilmittel gerade für
ihn paßt oder nicht; und selbst wenn es für ihn paßt, ändert sich von
Tag zu Tag die Beziehung zwischen dem Organismus und dem Mittel;
und das was heute noch Heilmittel war, ist morgen schon ein Unheil¬
mittel. Ich habe meinen Schriften für Herzkranke das Motto vorgesetzt:
„Nicht die Mittel heilen, sondern der Arzt heilt mit den Mitteln.“ Die
Sprache ist ein sehr feiner Analysator, nicht umsonst heissen alle diese
Dinge „Mittel“; sie sind eben nichts anderes als nur die Mittler in der
Hand des Arztes. Das Lecithin, oder sonst ein Heilmittel, ist in meiner
Hand und meinen Herzkranken gegenüber nichts anderes, als das Messer
in der Hand des Chirurgen; würde es jemandem beikommen, einem
Kranken, der vielleicht operiert werden muß, ein Messer zu eigenem
Gebrauch in die Hand zu geben? Die ärztliche Kunst bedient sich der
einzelnen Heilmittel gerade ebenso, wie der Maler der Farbe; und zuerst
muß die Persönlichkeit, die gemalt oder die geheilt werden soll, von dem
Künstler mit dem ganzen Rüstzeug seiner Vorbildung und seines Talentes
so durchaus erfaßt und durchschaut werden, daß er nun weiß, welche
Farbe, welche Mittel er zur Anwendung bringen muß, um sein Ziel zu
erreichen. Aber sie sind ihm immer nur Hilfs„mittel“, immer nur Dinge,
die überhaupt nur einen Wert in der Hand des Arztes, in der Hand des
Künstlers haben. Die Digitalis ist gewiß ein Heilmittel, und doch wird
niemand wagen, sie einem Herzkranken zur freien Verfügung zu stellen,
denn dasselbe Mittel, mit dem der kundige Arzt ihm nützen könnte,
tötet ihn bei unzweckmäßiger Verwendung mit Sicherheit. Und ebenso
wenig wie man mit einer einzigen Farbe malen kann, kann ein einziges
Heilmittel für sich allein etwas erhebliches ausrichten. Zum Heilmittel
wird ein jedes Medikament erst durch die Art seiner Anwendung. Und
darum begeht jeder — ausnahmslos jeder! — ein großes Unrecht an
der Menschheit, der solche Mittel allgemein als Heilmittel empfiehlt;
aber vorläufig ist diese Idee noch unausrottbar, nicht nur bei den
Kranken, nicht nur bei den Gesunden, nein, auch bei vielen, vielleicht
bei den meisten der Arzte. Die Fürstin Johanna Bismarck hat allen
ihren Freunden und Bekannten gepulverte Elsteraugen als ein souveränes
Mittel gegen Gicht verehrt. So lange der Glauben an die Wirksamkeit
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Martin Mendelsohn,
von Heilmitteln an sich besteht, so lange die Menschen meinen werden,
es genüge, um eine Krankheit zu heilen, ein Mittel gegen sie einzunehmen,
so lange werden solche Heilmittel begehrt sein, und dementsprechend
werden sie auch angeboten werden. Und es ist nur natürlich, daß sie
hier in einer Anzahl der Anwendungen auch nützen, wie ja auch die
Delphischen Orakel zum Teil eingetroffen sind. Aber im allgemeinen
und in der Hauptsache wird nur eine sachkundige und systematische
Verwendung zum Ziele führen.
Nun ist es aber keineswegs gleichgültig, welches der vielen zur
Verfügung stehenden lecithinhaltigeu Mittel Verwendung findet. Viele
Hersteller, zumal solche zusammengesetzter Präparate, haben es sich sehr
leicht gemacht, indem sie die Tatsache, daß das Hühnerei Lecithin ent¬
hält, dazu benutzen, Präparate aus Hühnerei oder ähnlichen Stoffen an¬
zufertigen. Es ist unerläßlich, ein reines Lecithin zu verwenden,
da sonst alle die therapeutischen Erfolge, welche man mit einem
solchen zu erzielen vermag, ausbleiben. Die große Mehrzahl scheidet
ohnedies von vornherein aus, da alle zusammengesetzten Präparate, weil
sie eben nicht erst später aus reinem Lecithin und anderen Substanzen
kombiniert worden sind, sondern von vornherein nur aus lecithinhaltigen
Stoffen als Gemische hergestellt werden, das Lecithin garnicht in reinem
Zustande enthalten. Von den wenigen anderen Präparaten hat sich mir
als bei weitem am wirksamsten stets das Ovo-Lecithin Billon erwiesen,
welches auch nach den vorliegenden Analysen, insbesondere von J. Nerking 1 )
alle übrigen in Frage kommenden Lecithinpräparate bei weitem an Reinheit
übertrifft; auch bezeugt die biochemische Abteilung des Instituts für
experimentelle Therapie 2 ): „Den von Erlandsen berechneten theoretischen
Werten für Distearyl-Lecithin kommt das Präparat Billon am nächsten/
Das Ovo-Lecithin Billon granul£ — es wird in der Form von
kleinen „Zuckergranules“ hergestellt — besitzt in der Tat den Reinheits¬
grad von 98/99 °/ 0 und darüber 8 ) und ist somit das reinste Lecithin,
während die übrigen in Betracht kommenden Präparate nur einen Rein¬
heitsgrad von 70, 75, 80 und 85°/o haben. Es ist nach seiner chemischen
Konstitution distearinglycerinphosphorsaures Cholin; in vollkommen iso¬
liertem Reinzustande ist es ein Kolloid und wirkt als solches. Dieser
Beschaffenheit entspricht auch die therapeutische Wirkung. Es ist ja
nicht leicht, aus klinischen Beobachtungen etwa ebenso exakte Ergebnisse
zu gewinnen wie aus experimentellen Feststellungen, aber bei der außer¬
ordentlich großen Zahl von Herzkranken, an welchen ich sowohl dieses
Präparat, als auch andere nacheinander angewendet habe, konnte ich
immer wieder aufs neue die augenfällige Überlegenheit des reinen Lecithins
gegenüber anderen Präparaten feststellen. Es ist ja auch diese Über¬
legenheit sehr wohl zu verstehen. Die direkte Einwirkung auf die
Körperzellen, welche das W r esen der Lecithin Wirkung ausmacht, ist nur
mit einem ganz reinen Lecithin zu erzielen, da schon geringe Unreinig¬
keiten diese Wirkung sehr beeinträchtigen. Besonders ist in unreinem
Lecithin Cholestearin enthalten; und das Cholestearin wirkt der Lecithin¬
wirkung sogar direkt entgegen und hebt sie ganz oder zum Teil wieder
auf; und nicht minder hinderlich sind die in unreinem Lecithin ent¬
haltenen Fettsäuren und sonstigen Beimengungen.
*) J. Nerking, Die Reinheit einiger Lecithinpräparate des Handels.
*) Hygienische Rundschau, Nr. 20, S. 116—118.
3 ) J. N erking, Narkose und Lezithin, Münchn. med. Wochenschr., Nr. 29,1909.
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Zur Ernährungstherapie der Herzkranken.
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Die ganze Lecithin-Therapie ist mir schon aus dem Grunde immer
von dem größten Interesse gewesen, weil sie aufs deutlichste zeigt, wie
auch hier nur die systematische und bedachte Anwendung eines Stoffes
in reinster Form einen bestimmten physiologischen Effekt zu erzielen
vermag, nicht aber seine Anhäufung im Körper in einer unreinen Form
und in willkürlichem Übermaß. Wie viele Menschen essen Eier in über¬
mäßigen Mengen, wo sie sich doch Lecithin in großer Quantität einver¬
leiben, und wie geringfügig ist dabei die Wirkung. Morichau Beauchant
berichtet über mehrere Beobachtungen aus dem Hospital Rothschild;
besonders charakteristich ist ein Fall, in welchem ein Universitätsprofessor,
der an schwerer Neurasthenie litt, 6 Monate hindurch täglich 6—12 Eier
zu sich genommen hatte, und obwohl während dieser Zeit die vortreff¬
lichsten hygienischen Bedingungen für ihn bestanden, Ausruhen von der
Arbeit, Aufenthalt im Freien, Zerstreuung, nicht den geringsten Erfolg
hiervon hatte, während danach 25 cg Lecithin pro Tag verabfolgt wurden
und nun alsbald eine sichtliche Besserung eintrat, die bis zur Heilung
fortschritt. Ich habe ähnliche Erfahrungen vielfach an Herzkranken ge¬
macht, die ebenfalls erst nach der systematischen Darreichung von reinem
Lecithin in ihrem Kräftezustand und ihrer Widerstandsfähigkeit deutliche
und sehr erhebliche Fortschritte zeigten, während sie vorher bei reich¬
licher Überernährung mit lecithinhaltigen Speisen keinerlei Wirkung
aufwiesen. Es fällt uns ja auch nicht ein, unsere Herzkranken so viel
Kaffee trinken zu lassen, wie sie wollen, während eine vernünftige Koffein¬
darreichung gute Erfolge haben kann; und eine Theobromin Wirkung ist
noch niemals erzielt worden, wenn man die Kranken viel Schokolade
essen läßt
Nun könnte man ja auch noch meinen, daß aus der Tatsache, daß
das Lecithin im Herzen, im Gehirn, im Rückenmark als Lecithinalbumin
vorhanden ist, auch die Verabfolgung von Lecithinalbumin statt des
reinen Lecithins die gleiche therapeutische Wirkung entfalten müsse,
wie dieses. Es wäre dies insofern ein Vorteil, da das Lecithinalbumin
als Nebenprodukt bei der Lecithinfabrikation erhalten wird und seine
Verwendung sich somit wohlfeil gestalten ließe. Aber das Lecithin¬
albumin ist ohne Wirkung. Das liegt offenbar daran, daß das Lecithin¬
albumin des menschlichen Körpers ein ganz bestimmtes Albumin als
Komponenten hat, welches nur der Körper aus der aufgenommenen
Nahrung sich aufbaut und welches sich mit dem zugeführten reinsten
Lecithin verbindet. Nur so ist es erklärlich, warum man mit der Zufuhr
artfremden Lecithinalbumins und unreiner Lecithine nicht diejenigen
Erfolge erzielt, wie mit dem reinen Lecithin; sie bleiben eben aus dem
gleichen Grunde aus, aus welchem die Eierüberfütterung versagt.
Überhaupt sind alle unreinen Lecithine nur Nährpräparate, bei
welchen im besten Falle die eingeführte Stoffmenge, falls sie zur Resorp¬
tion gelangt, den Körper um diesen Bestand zu vermehren vermag.
Niemals aber können sie den einzelnen Körperzellen Anregung zu eigenem
Wachstum und zur Erhöhung ihrer Kraft und Widerstandsfähigkeit geben.
Die Gewichtszunahmen infolge systematischer Darreichung reinen Lecithins
dagegen — Gewichtszunahmen, auf welche ich als solche übrigens bei
den Herzkranken nur ausnahmsweise Wert lege — erreichen oft Umfänge,
welche zu den dargereichten Lecithingaben in gar keinem Verhältnis
stehen, sie beruhen eben darauf, daß die Körperzellen selbst angeregt
und befähigt werden, mehr aus den an ihnen vorbeipassierenden Nahrungs¬
stoffen zu entnehmen und zurückzubehalten als sonst; und wenn sich
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Heinrich Pudor,
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auch der Körperzuwachs selbst natürlich nur aus der Steigerung des
Appetits und aus der erhöhten Nahrungsaufnahme herschreibt, so ist das
Wesen der therapeutischen Wirksamkeit des reinen Lecithins doch immer
nur die durch den Einfluß des Lecithins erhöhte Stickstoff-Assimilation.
Und zu zweit wirkt daneben die dem Lecithin eigene Wirkung der
Phosphor-Retention. Auch hier ist diese eigentümliche Wirkung von
größtem Werte, denn auch sie kann keineswegs etwa durch eine gesteigerte
medikamentöse Phosphorzuführung ersetzt werden, weil ja bei einer solchen
eine gleichzeitig vor sich gehende Wiederausscheidung des künstlich ein-
geführten Phosphors seine bloße Einfuhr illusorisch macht, und selbst
bei einem Zurückbleiben geringer Mengen niemals eine solche Wirksam¬
keit entfalten könnte, wie eine Retention des körpereigenen organischen
Phosphors.
In allen den Fällen von Herzkrankheiten, bei welchen durch die
vorhandene Kreislaufstörung und durch die Schädigungen in der Ökonomie
des Körpers die Kraft und die Widerstandsfähigkeit der Patienten Ein¬
buße erlitten hat, ist es angebracht, neben der eigentlichen Herztherapie
eine systematische Hebung der Körperkraft durch eine regelmäßige und
andauernde Darreichung reinen Lecithins herbeizuführen. Eine solche
Therapie hat sich mir bei sehr zahlreichen Herzkranken als äußerst
wertvolle Unterstützung der eigentlichen Behandlung erwiesen und sollte
in jedem geeigneten Falle zur Anwendung kommen.
Kontor-Hygiene.
Von Dr. Heinrich Pudor.
Je mehr sich Deutschland industrialisiert, je größer die industriellen
Betriebe werden, je mehr sich selbst Landwirtschaft auf der einen und
Kunstgewerbe auf der anderen Seite industrialisieren, je mehr endlich
der neue Mittelstand aus diesem industriellen Betriebe hervorwächst,
desto größer wird die Zahl aller derjenigen, welche ihr Leben lang im
Kontor zubringen müssen — zum mindesten achtundvierzig bis sechzig
Stunden in jeder Woche ihres Lebens.
Wir stellen die Frage: was bedeutet diese Kontorarbeit für die Ge¬
sundheit und Gesunderhaltung der betreffenden Menschen? Wirkt sie
lebensverlängernd oder lebenverkürzend? Schädigt sie die Gesundheit
— übt sie gar auf die Nachkommen schädliche Wirkungen aus?
Auf den ersten Blick schon ist es unzweifelhaft, daß wir die letzt-
gestellte Frage mit ja beantworten müssen. Die fortgesetzte, viele stunden¬
lang andauernde Kontorarbeit ist in hohem Grade geeignet, die Gesund¬
heit der betreffenden zu schädigen, ihr Leben zu verkürzen, die Bedin¬
gungen zur Erzielung einer gesunden, lebensstarken Nachkommenschaft
herabzusetzen.
Aber wir knüpfen daran die weitere Frage: ist es nicht möglich
dieser Kontorarbeit das gesundheitschädliche zu nehmen, dieselbe in Ab¬
hängigkeit von den Gesetzen der Gesundheitslehre zu bringen und die
gefahrdrohenden Wirkungen, die sie auf die Gesundheit ausübt, zu
paralysieren?
Schlimm genug freilich, daß wir so oft von Gesundheit sprechen
müssen, von Gesundheit, wo wir nur von Kraft und Schönheit sprechen
möchten, wo wir-Geist, Witz, Grazie, Empfänglichkeit, Beharrlichkeit
interpretieren möchten: die Gesundheit ist so prosaisch, so altjungfern¬
mäßig, so trivial, so leer und öde — so selbstverständlich.
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Kontor-Hygiene.
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Aber schlimmer noch ist es, daß wir dieses selbstverständliche heute
vermissen! Gerade weil wir sie so oft nicht haben, die Gesundheit, des¬
halb führen wir sie im Munde, deshalb fragen wir nach ihr und rufen
nach ihr auf allen Gassen.
Und deshalb müssen wir auch die hier erhobene Frage wieder¬
holen, wie wir die Kontorarbeit zu einer weniger gesundheitsschädlichen
gestalten können.
Worin liegt nun das Gesundheitsschädliche der Kontorarbeit —
dies ist die erste Frage. Das wichtigste, was der Mensch zum Leben
braucht, ist bekanntlich Luft und Licht. Von der Natur ist es so ein¬
gerichtet, daß die Luft im Freien, dadurch daß sie in fortwährender Be¬
wegung ist und schon zufolge der Notwendigkeit der Temperaturaus¬
gleichung unausgesetzte Wellenbewegungen macht, sich ununterbrochen
erneuert. Im Kontor aber geht dieselbe Luft immer wieder durch unsere
Lungen, wir athmen immer des anderen Athmungsluft noch einmal ein,
eine Luft, die zudem durch alle Arten von Staub verunreinigt ist. Und
im Freien ist die Luft während 10 bis 15 Stunden der unausgesetzten
Bestrahlung durch das Sonnenlicht ausgesetzt, welches die Luft fortge¬
setzt ausbrennt und somit am wirkungsvollsten reinigt. All das aber,
was sich in der allmählich schal gewordenen Luft auch im Freien doch
noch an Unreinlichkeit findet, wird von Zeit zu Zeit durch Regen oder
Schnee, und in jeder Nacht durch Nebel niedergeschlagen.
Es entsteht nun die wichtige Frage, wie kann man die günstigen
Bedingungen der Außenluft auf den Kontorraum übertragen ? Die erste
Vorraussetzung für einen gesunden Kontorraum ist darnach die, daß
sein Luft-Kubus im richtigen Verhältnis zu den darin arbeitenden Per¬
sonen steht, d. h. daß der Raum genügend hoch und groß ist, ferner daß
die Lage und Größe der Fenster eine genügende Bestrahlung durch das
Licht, also eine genügende natürliche Beleuchtung ermöglicht. Der
Wert der Lichtbestrahlung liegt nicht etwa nur darin, daß man beim
Arbeiten besser sehen kann, sondern vor allem auch darin, daß die Luft
desinfiziert und ozonisiert wird, daß Bazillen und Mikroben in solcher
Luft keinen Nährboden finden.
Des Weiteren ist es aber nun dringend nötig, daß sich gute Ven¬
tilationsapparate und Staubsauger im Kontor befinden. Letztere sind,
einigermaßen ähnlich den in zeitgemäß eingerichteten Tischlereien ge¬
bräuchlichen, in den Ecken am Fußboden anzubringen. Es wird eine
Zeit kommen, zu der wir solche Staubsauger in jedem Wohnraum haben
— in den Werkstätten und Kontoren sind sie am dringendsten nötig.
Die Ventilationsapparate sind dagegen oben anzubringen und so einzu¬
richten, daß einerseits die schlechte Luft Abfluß nach außen erhält und
andererseits die frische Luft von außen nach innen drängt. Wie es aber
die Aufgabe der Hygiene im Allgemeinen ist, vorschützend zu wirken
und dem Auftreten von Krankheiten vorzubeugen, so heißt es auch be¬
züglich der Kontorhygiene, die Luftverschlechterung und Staubentwicke¬
lung von vornherein tunlichst zu verhindern. Für Ersteres muß fleißiges
Lüften der Kontore Sorge tragen, also nicht nur früh am Morgen vor
Beginn der Bureaustunden und Abends nach Schluß sind alle Fenster
zu öffnen, sondern auch in der Mittagszeit und während der Frühstücks
und Vespers oder Nachmittagskaffees. Zugleich muß es untersagt sein,
Erfrischungen und Speisen im Kontorraum einzunehmen: während dieser
Pausen hat vielmehr Jeder, wenn auch nur für fünf Minuten, das Kontor
zu verlassen, damit er darnach wieder in reine Luft kommt. In großen
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Kontoren muß zu diesem Zweck für die Angestellten ein besonders ent¬
sprechend eingerichtetes Frühstück- und Erfrischungszimmer zur Ver¬
fügung stehen.
Was die Verhinderung der Staubentwickelung betrifft, so kann uns
Amerika ein Vorbild sein. Das wirksamste Mittel gegen die Staub¬
entwickelung besteht offenbar darin, alles, was Staub erzeugt, unter
Verschluß zu halten, die Papiere nicht massenhaft offen auf Schränken,
Regalen, Pulten und Tischen liegen zu lassen, sondern in abstellbaren oder
abschließbaren Kästen zu verwahren, die nur geöffnet werden, wenn man
die betreffenden Papiere braucht. Und diesen Zweck erfüllen eben die
amerikanischen Bureaumöbel in vollkommenem Maße; sie haben sich ja
übrigens auch schon bei uns eingebürgert. 1 )
In Amerika treibt man die peinlichste Reinhaltung der Kontore
so weit, also auch vermittelst des Abstaubens und Reinmachens, daß man
dort allen Ernstes von einer Ästhetik des Kontorraumes sprechen könnte.
Und warum sollte die Schönheit grundsätzlich aus dem Kontor zu ver¬
bannen sein? Sicherlich wird die Arbeit in einem schönen und gesunden
Raume mit größerer Akkuratesse, vielleicht auch mit größerem Eifer und
Regsamkeit erledigt werden, als in einem verstaubten, ungesunden, un¬
schönen Raum. Die Angestellten werden mit größerer Willigkeit, mit
mehr Lust und Liebe und mit größerer Spannkraft an die Arbeit gehen,
denn sie werden, nicht wie früher, ihre Gesundheit zu Grabe tragen.
Der Chef wird nicht nur stolz darauf sein können, daß er praktische
Sozialpolitik treibt, sondern er wird es auch an seinen Einnahmen merken,
daß Ordnung und Sauberkeit Zeit und Geld sparen, daß seine Angestellten
mit Lust und Liebe bei der Sache sind und daß jedes Schriftstück,
das sein Kontor verläßt, unabsichtlich die Devise trägt: Viel Licht,
reine Luft, Sauberkeit und Ordnung und selbst Schönheit
herrsche in einem modernen Kontor.
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
MiBbräuchlicher Genuß von Aperitoltabletten.
Von Dr. med. Hochheim, Halle a. S.
Für den praktischen Arzt ist es sicherlich nicht ohne Interesse,
darüber unterrichtet zu sein, daß von den in den letzten Jahren in über¬
großer Anzahl auf den Markt geworfenen Abführmitteln die meisten
„neuen“ Präparate im Vergleich mit den bekannten altbewährten Mitteln
nicht nur keinen Vorteil bieten, sondern mitunter sogar recht bedrohliche
Vergiftungserscheinungen her vorrufen können. Gerade bei solchen Prä¬
paraten muß dies besonders bedenklich erscheinen, welche in einer um¬
fangreichen Reklame in der Tagespresse als den Patienten völlig unschäd¬
lich für die Gesundheit angepriesen werden.
Es ist durchaus angebracht, auf die schädlichen Wirkungen der¬
artiger manchmal recht „gefährlicher Heilmittel“ in der Fachpresse hin¬
zuweisen, wie es u. a. jüngst in Nr. 16 der Deutschen medizinischen
Wochenschrift bezüglich Purgen („Ein Fall von Purgen-Intoxikation“
von Dr. med. Erich Zabel, Rostock) geschah; andererseits möchte ich
l ) Durch Soennecken, Stolzenberg, Glogowski usw.
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Referate und Besprechungen.
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aber nicht unterlassen, eine von mir gemachte günstige Beobachtung zu
erörtern, die dazu beitragen soll, wirklich brauchbare und ein wandsfreie
Präparate reinlich von zweifelhaften Fabrikaten zu unterscheiden.
Während die vorerwähnte Veröffentlichung eine schwere Purgen-
Intoxikation zum Gegenstand hat, bezieht sich meine Beobachtung auf
das von mir mit gutem, fast immer gleichbleibendem Erfolge seit langer
Zeit an Stelle des vielen Patienten widerlichen Rizinusöles oft verordnete
Aperitol „Riedel“. Es haudelt sich um den mißbräuchlichen Genuß
von Aperitoltabletten durch ein 2 8 / 4 Jahre altes Mädchen. Das Kind
erwischte nämlich eine ganze Röhre, die noch 9 Tabletten enthielt
(nicht etwa Bonbons, die bekanntlich an und für sich eine mildere
Wirkung als die erstere Form ausüben), deren Genuß eigentlich für
Erwachsene bestimmt ist, und aß die sämtlichen 9 Stück Aperitoltabletten
morgens zwischen 9 und 10 Uhr. Nachts darauf um 3 Uhr, also nach
ungefähr 17 Stunden, erfolgte der erste dünne Stuhl; je eine weitere
Entleerung stellte sich dann morgens um 10 Uhr und nachmittags um
3 Uhr ein, ohne die geringsten Schmerzen hervorgerufen zu haben.
Daß am nächsten Tage Verstopfung bestand, ist selbstverständlich.
Ziehe ich nun einen Schluß aus der geschilderten Tatsache, und
berücksichtige ich den Umstand, daß Aperitol, selbst in derartig großen
Mengen zumal von einem Kinde genossen, ohne jede Nebenwirkung
vorzüglich vertragen wird, so glaube ich, daß wir im Aperitol, dessen
Brauchbarkeit bereits von einer Reihe namhafter Autoren, u. a. Hammer
und Vieth, Pronay, Baedecker, Hirschberg, festgestellt worden ist,
eine wertvolle Bereicherung der uns zur Bekämpfung der verschiedenen
Arten von Obstipation zur Verfügung stehenden Arzneimittel besitzen.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
W. Ebstein (Göttingen), Herzmuskel Insuffizienz bei chronischer Kopro¬
stase nebst Bemerkungen Uber die bei letzterer auftretende Albuminurie
und Zylindrurie. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 12, 1911). An Hand
mehrerer Fälle wird dargetan, daß im Gefolge von chronischer Koprostase
und besonders des damit verbundenen Meteorismus Herzmuskelinsuffizienz
auftreten kann. Durch den Hochstand des Zwerchfells Jcann das Herz unter
Umständen direkt geschädigt werden. Auch Albuminurie sah der Autor
nach Koprostase auftreten und nach Beseitigung der chronischen Obstipation
verschwinden. Es ist einleuchtend, daß manche im Darm entstehende Gifte die
Nieren schädigen können.
Jedenfalls kann E.’s Bestreben, die ätiologische Bedeutung der chro¬
nischen Obstipation für diese und manche andere Affektionen zu betonen,
praktischen Nutzen stiften. R. Isenschmid.
N. J. Strandgaard (Kopenhagen), Vererbung der Disposition zur Lungen¬
tuberkulose. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17, H. 1, S. 54, 1911.) Ver¬
fasser fand teilweise die Turbanschen Untersuchungen bestätigt, wonach
die Lungentuberkulose bei nahen Verwandten in etwa 72% (nach Turban
80%) eine auffallende Ähnlichkeit in der Lokalisation auf der rechten oder
linken Spitze zeigt. In bezug auf das Auftreten von Symptomen wie Tuber¬
kelbazillen im Auswurf, Hämoptoe, Fieber, Laryngitis und Pleuritis konnte
keine Ähnlichkeit nachgewiesen werden. Bei einigen Familien waren fast
völlig gleiche rhachitische Veränderungen des Brustkorbes vorhanden, bei
anderen trat der Beginn der Krankheit, ja sogar der tödliche Ausgang in
demselben Alter ein.
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v. Homeyer (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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R. Oppenheim (Nanterre), Tuberkulin bei Lungentuberkulose. (Progreß
medical, Nr. 7, S. 87/88, 1911.) Der Arzt am Departements-Krankenhaus
in Nanterre bricht eine Lanze für die Tuberkulinkur. Aber wie bescheiden
klingen seine Auslassungen im Vergleich zu den ersten Trompetenstößen!
„Das Tuberkulin erhebt z. Z. keineswegs den Anspruch, eine Revolution in
der Phthisiotherapie einzuleiten. Aber wenn vorsichtige Ärzte es vorsichtig
anwenden, ist das^ Mittel in bestimmten geeigneten Fällen eine nützliche
Unterstützung der üblichen allgemein-hygienischen und medikamentösen
Therapie.“ ,,Die Besserung — wenn sie überhaupt eintritt — entwickelt sich
nur langsam.“ Man soll beginnen: par des doses infinitesimales, d. h. mit
Viooooo To und ganz allmählich auf 2 /iooooo usw. steigen, so daß manch einer
vielleicht auszurechnen unternimmt, ob denn bei der durchschnittlichen
Lebensdauer die Tuberkulinkur überhaupt bis zur Heilung durchzuführen
ist. Immerhin hofft aber Oppenheim von der Zukunft, daß sie das
Indikationsgebiet des Tuberkulins sich erweitern und seine Erfolge immer
brillanter sehen werde*. Geradeso gut könnte er aber auch auf eine völlig
neue, wirksame Therapie hoffen. Buttersack (Berlin).
I*egueu (Paris), Das Verhalten der Blase bei renaler Tuberkulose.
(Allg. Wiener med. Z'tg., Nr*. 3 u. 4, 1911, nach Paris medical.) Die im Ge¬
folge der Nierentuberkulose auf tretende Affektion der Blase geht, wie
Legueu ausführt., mit Schmerz und Tenesmus nach der Miktion, starken
Harndrang und Pyurie einher, vereinzelt kommt auch Hämaturie vor. Außer
der absteigenden gibt es noch von Genitaltuberkuiose ausgehende Tuber¬
kulose der Blase, primär kommt letztere nicht vor.
Die beste Therapie für die ersterwähnte Form der Zystitis ist Exstir¬
pation der kranken Niere. Bei hochgradiger Zystitis genügt das aber oft
nicht zur Heilung. Legueu nahm deshalb in einem Falle, wo trotz
Nephrektomie die Zystitis nicht heilen wollte, nach vergeblicher Anwendung
aller möglichen Maßnahmen Ausschaltung der Blase und Einpflanzung
des Ureters ins Kolon vor. Der Kranke genas und zeigte Gewichts¬
zunahme, Kontinenz des Rektums, Arbeitsfähigkeit.
L. glaubt, daß diese Form der Blasenausschaltung der von Willems,
Cartier usw. geübten Exklusion durch Nephrotomie überlegen sei. Esch.
Barth (Danzig), Über Nierentuberkulose. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 21, 1911.,) In der Mehrzahl der Fälle dürfte die Entstehung der Nieren¬
tuberkulose auf hämatogenem Wege erfolgen. Was die spontane Ausheilung
anbetrifft, so kann sie bei sogen. Tuberkelbazillenausscheidung durch die
Niere oder bei knötchenförmiger geschlossener Tuberkulose nicht geleugnet
werden, bei eitrigem Zerfall tuberkulöser Herde und Pyurie dagegen ist sie
ausgeschlossen. In letzterem Falle verbreitet sich ja der Prozeß einmal
durch die Lymphbaßnen in der Niere, andrerseits mit dem Harnstrom. Eine
sichere Heilung derartiger Tuberkulosen kann nur durch häufig ausgeführten
Harnleiterkatheterismus nachgewiesen werden. Die besten therapeutischen
Erfolge sind durch die Nephrektomie zu erzielen, die eine fast völlig unge¬
fährliche Operation darstellt, vorausgesetzt natürlich, daß die andere Niere
gesund ist. In diesem Falle ist Aussicht auf Dauerheilung innerhalb der
Harnwege vorhanden. Bei Befajlensein der Blase kann nur etwa in V 4 der
Fälle eine Dauerheilung erwartet werden. Zu beachten ist, daß auch bei
ausgeheilter Blasentuberkulose stets Beschwerden bestehen bleiben, wie z. B.
häufiger Harndrang. Barth rät daher, jede offene Nierentuberkulose mit
Nephrektomie zu behandeln und zwar möglichst zu einer Zeit, wo die Blase
noch nicht angegriffen ist. Was nun die Diagnosestellung anbetrifft, so
ist sie im Frühstadium nur mittels des Harnleiterkatheters möglich. Dieser
ist in jedem Falle von nicht aufgeklärter Pyurie anzuwenden.
F. Walther.
Bilfinger (Breslau), Über Beeinflussung der Chininheftigkeit durch
Salvarsan bei Malaria. (Med. Klinik, Nr. 13, 1911.) Ein 37jähriger Oder¬
schiffer hatte mit 28 Jahren eine syphilitische Ansteckung durchgemaeht.
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Referate und Besprechungen.
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Im Mai 1910 wurde er mit akutem Gelenkrheumatismus und einem poly¬
morphen Syphilid auf der Breslauer medizinischen Klinik aufgenommen.
Während der Behandlung (Salizyl) brach eine Malaria tertiana aus, die sieh
gegen Chinin refraktär erwies. Methylenblau ohne Wirkung. Hierauf 0,4 g
Salvarsan intravenös. Von da ab keine Fieberanfälle durch 14 Tage. Hierauf
ein Rezidiv, das aber durch Chinin glatt kupiert wurde. Pat. nach weiterer
regelmäßigen Chininbehandlung geheilt entlassen. Bemerkenswert ist also,
daß Salvarsan die Chininresistenz der Parasiten aufgehoben hat und sie
für die chemische Wirkung des Chinins empfänglich machte. Besondere
Tragweite hat diese Beobachtung auch dadurch, daß auch bei der Syphilis¬
behandlung die Salvarsanwirkung sich darin äußern kann, daß Fälle, die
gegen Quecksilber resistent waren, nach Salvarsanbehandlung wieder für
Quecksilber empfänglich werden. S. Leo.
Chirurgie.
Fr. Eve (London), Die Hodgkin’sche Krankheit vom chirurgischen
Standpunkt. (Practitioner, Bd. 86, Nr. 4.) Eve ist auf Grund übler Er¬
fahrungen ein Gegner aller chirurgischen Eingriffe bei der Hodgkin’schen
Krankheit, da die Drüsenschwellungen doch alsbald wiederkehren, in chro¬
nischen Fällen langsam, in akuten sofort. Er bezweifelt, daß eine Exstir¬
pation jemals die Krankheit geheilt habe und führt die vermeintlichen
Heilungen auf mangelhafte Untersuchung zurück.
Röntgenbehandlung schafft nur scheinbare Heilungen, die Drüsen
schwinden, aber die Krankheit tritt an einer anderen Stelle zutage.
Bei der Diagnose besteht die einzige Schwierigkeit in der möglichen
Verwechslung mit tuberkulösen Drüsen — denn zuweilen sind auch Ilodgkin-
sche Drüsen verwachsen und von infiltrierten Geweben umgeben, ja sogar
erweicht. Von malignen Neubildungen sind sie bei mikroskopischer Unter¬
suchung leicht zu unterscheiden. Fr. von den Velden.
Richo zieht aus 85 Fällen von Rachistovainisation folgende Schlüsse:
Die Methode ist keineswegs absolut unschuldig. Jedoch können die schweren
Zwischenfälle durch eine Verallgemeinerung der Methode und durch Reduk¬
tion der Dosen auf ein Minimum zurückgeführt werden. Die Methode hat
entschieden eine Zukunft, nur muß man ein weniger gefährlicheres Anästhe-
ticum finden und daß dies geschehen, glaubt Verf. und zwar in dem Novokain.
v. Schnizer (Höxter).
Milward berichtet von einem letalen Fall infolge einer Spinalinjektion:
Stovain 3,1, Strychnin 0,001 nach der Methode Sonnesco in Seitenlage
in einem Fall von akuter intestinaler Obstruktion: sofortiges Kleinerwerden
des Pulses, Dyspnoe und nach einigen Minuten trotz Anwendung künstlicher
Atmung und von Stimulantien Exitus. (Les nouv. rem., Nr. 7, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
(labbett berichtet von einem Todesfall nach einer Spinalinjektion von
Novokain (0,1) und Strychnin (0,01): nach 10 Min. komplette Anästhesie bis
zur Regio clavicularis: während der Operation (eines elephantiastischen Skro¬
tums wegen) Dyspnoe, Abschwächung der Atmung, die bis zum völligen
Stillstand zunahm. Trotz künstlicher Atmung Ex. let., wahrscheinlich in¬
folge des Strychnins. (Les nouv. remedes, Nr. 7, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Duballen gibt eine neue Behandlungsmethode des varikösen Unter¬
schenkelgeschwürs an: Bettruhe, geringe Hochlagerung und Immobilisierung
des Beines mit Kissen, auf das Geschwür eine aseptische, oft zu wechselnde,
tagsüber alle Vz Stunden, nachts 2—3mal mit 1,5% Natr. bicarbon. zu be¬
feuchtende Kompresse, die nachts ohne Druck mit einigen Bindentouren
festgehalten wird; mehrmals täglich Waschen der Umgebung des Geschwürs
mit Kampferalkohol und leichte Massage: nach 3—4 Tagen ist der eitrige
Geschwürsgrund mit frischen Granulationen bedeckt. Dann 2—3mal täglich
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Referate und Besprechungen.
Aufpudern von Tale. 20,0, Bismuth. subnitr., Zinc. oxydat. ää 5,0 2—4 Tage
lang. Die Puderkruste darf nicht entfernt werden. Dann Herrichten einer
genügend dünnen, mit Seife und Alkohol gereinigten Zinklamelle (nach
Schmidt) von der Größe des Geschwürs, die man, ohne die Puderkruste
zu berühren, mit Watte und elastischer Binde unter Puderung der Umgebung
befestigt. Allmählich zunehmender Druck, Abnehmen abends, Reinigen der
Lamelle, Massieren des Gliedes, für die Nacht eine einfache Kompresse.
Stetes Beschneiden der Zinklamelle, entsprechend der Abnahme des Ge¬
schwürs; noch 2—3 Monate nach Heilung auf dem Zentrum der Narbe Tragen
der Zinklamelle unter mäßiger Kompression. Rasche feste Narbe. (Bull,
gener. de ther., Nr. 10, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
W. Stoeckel, Über die Entstehung von Blasenverletzungen und über die
operative Heilung großer Blasenharnröhrendefekte nach Pubiotomie. (Zeit¬
schrift für gynäk .Urol., Bd. 2, H. 5, 1911.) Man solle die Pubiotomie nicht
ganz fallen lassen, aber sie so ausführen, daß Nebenverletzungen, die zu
dauerndem Siechtum führen, vermieden werden, und das sei möglich. Be¬
sonders kommen hier in Betracht die großen Blasenharnröhren¬
zerreißungen, die sich vermeiden lassen, wenn man die Schambein-
spaltung nur bei mäßigen Graden von Becken Verengerung und nur bei Mehr-
gebärenden macht und dann prinzipiell die Geburt spontan verlaufen läßt.
Höchstens eine leichte Zange sei erlaubt, Quer- und Beckenendlagen gäben
strikte Kontraindikationen ab. St. bespricht sodann die sog. Aus- und Ein¬
stichfisteln, von denen die ersteren fast alle spontan heilen, da deren Um¬
gebung mit dem Knochen verwächst, der eine Art Pelotte bildet; natürlich
ist bei dieser Nomenklatur vorausgesetzt, daß man die Nadel von unten
nach oben um das Schambein herumführt. Bei Anwendung eines Dauer-
katheters heilen aber auch die Einstichfisteln rasch und sicher. Prognostisch
und im Verlauf schlimm sind dagegen die Rißverletzungen der Blase,
bez. Blase und Harnröhre zusammen. Die Hauptschwierigkeit besteht in
diesen Fällen nicht so sehn in der Größe der Defekte, als vielmehr i n d e r
Ausdehnung der Fixation der Fisteluingebung. St. beschreibt
ausführlich einen sehr interessanten und instruktiven Fall: es handelte sich
um einen großen Blasenharnröhrendefekt, der schon dreimal vergeblich
operiert worden war. Auch St. brauchte drei Sitzungen zur definitiven
Heilung. In den ersten beiden wurde von unten operiert, und die Neubildung
der Harnröhre sowie Verkleinerung des Blasenloches erreicht. Erst als in
der dritten Sitzung von oben her extraperitoneal die ganze Vorderwand
der Blase samt dem Periost der hinteren Symphysenfläche bis weit seitlich
abpräpariert war, so daß nunmehr die Blase völlig kollabierte,
gelang es endlich von unten leicht, den letzten Defekt in der Sphinktergegend
ohne jede Spannung dauernd zum Verschluß zu bringen. St. ist überzeugt,
daß in diesem Fall selbst die isonst go ausgezeichnete K ü s t n e r’sche Methode
mittels Verwendung der vorderen Zervixwand versagt haben würde.
R. Klien (Leipzig).
A. Bauereisen, Über die Lymphgefäße des menschlichen Ureters. (Zeit¬
schrift für gynäk. Urol., Bd. 2, H. 5, 1911.) Bisher war es nur dem Ana¬
tomen W. Krause geglückt, mittels der Injektionsmethode Lymphgefäße
in der Uretermukosa nachzuweisen. Die betr. Abbildung wird von B. repro¬
duziert. Da die Frage der Lymphgefäßversorgung des Ureters auch vom
klinischen resp. pathologisch-anatomischen Standpunkt aus nicht unwichtig
ist, hat B. an fünf Ureteren von Neugeborenen und einigem anderen weniger
geeigneten Material neue Untersuchungen angestellt und zwar mittels In¬
jektion mit l%iger wässriger Berlinerblaulösung, auch mit l°/oiger Höllen¬
steinlösung. Daß B. zu positiven Resultaten gelangt ist, führt er einzig
auf den Umstand zurück, daß er ganz lebensfrisches Material ver¬
arbeitet hat. Sowie nur einige Stunden nach dem Tode vergangen waren,
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Referate und Besprechungen.
783
gelang die Darstellung der Lymphgefäße nicht mehr, die übrigens auch in
den positiven Fällen nur stellen- bez. insei weise gelang. Wie auch die bei-
gegebenen mikroskopischen Abbildungen beweisen, enthält die Mukosa
und Submukosa des menschlichen Ureters ein sehr gut ausgebil¬
detes Ne tz von Lymphgefäßen. Zwischen ihm und dem Epithel
bez. der Muskularis propria liegt ein B 1 u t k a p i 11 a-r n e t z. Die ab¬
führenden Lymphgefäße ziehen in schräger Richtung durch die Musku¬
laris zur Adventitia und lassen sich dann bis zu den zugehörigen Lymph-
drüsen verfolgen. Es ist also der Lymphstrom von der Mukosa
nach der Adventitia gerichtet. Ferner steht fest, daß die Lymph¬
gefäße des unteren Ureterdrittels mit denen der Blase kommunizieren, die
des oberen Drittels mit denen der Niere. Niere und Blase stehen daher
in viel näherer Beziehung zueinander eben durch die Lymphgefäße des
Harnleiters, als man bisher [angenommen hat. B. glaubt behaupten zu dürfen,
daß die Niere von der Blase aus durch pathogene Keime auf dem Lymphweg
viel leichter zu erreichen ist, als intrauretral. So finde das anatomische
Bild der aszendierenden Blasen ^Uretertuberkulose seine Erklärung; ausgehend
von den zahlreichen Lymphgefäßen der Blasenmuskularis erfolgt das Vor¬
dringen im Ureter in der Richtung von außen nach innen, aber da ent¬
gegen dem Lymphstrom so langsam, daß viel eher die Niere erreicht wird,
als die Mukosa des Ureters. Viel leichter habe der Tuberkelbazillus seine
Wanderung auf dem gewöhnlich von ihm eingeschlagenen Wege, von der
Niere abwärts zur Blase. Hier wandert er mit dem Lymphstrom. Die Tat¬
sache, daß das Lymphkapillarnetz direkt unter der Basalschicht des Mukosa-
epithels liegt, fordere zu möglichst aseptischem Vorgohen bei der Ureteren-
katheterisation auf, ja schon bei der Zystoskopie. — Vielleicht seien manche
postoperative Blasen- und Nierenbeckenentzündungen auf eine lymphogen
erfolgte Infektion von der parametranen Wunde her zurückzuführen, z. B.
in Fällen, wo nie katheterisiert wurde. R. Klien (Leipzig).
A. Bauereisen, Beitrag zur Frage der aszendierenden Nierentuberkulose.
(Zeitschr. für gynäk. Urol., Bd. 2, H. 5, 1911.) B. berichtet über eine
zweite Serie von 21 Meerschweinchen, deren Blase er mit dem Tuberkel -
bazillus Typus humanus in ganz bestimmten Mengen mittels stumpfer Kanüle
infizierte; früher hatte er den Typus bovinus verwendet, der aber zu schnell
den Tod der Versuchstiere herbeiführte. 4 Tiere starben vorzeitig an Pneu¬
monie. Ein nach 314 Tagen getötetes Tier wies nur in der Umgebung der
äußeren Harnröhrenmündung einige Käseherde auf sowie einige tuberkulöse
Drüsen in der Bauchhöhle. Ein Tjer lebte noch länger mit einer sicheren
Blasentuberkulose, bei 3 Tieren war dieselbe übergegangen auf den intramu¬
ralen Ureterabschnitt. Im Gegensatz zu einigen männlichen Tieren konnte
bei keinem der 9 weiblichen Tiere eine Verbreitung der Tuberkulose der
Harnorgane auf die Genitalorgane nachgewiesen werden. — Aus den Ver¬
suchen beider Reihen geht hervor, daß das intakte Blasenepithel
mit Tuberkelbazillen sich nicht infizieren läßt. Erst wenn größere Epi¬
theldefekte entstanden sind, gelingt die Infektion. Ferner steht fest,
daß bei ungehindertem Urinstrom die in der Blase vorhandenen
Tuberkelbazillen nicht intraureteral in das Nierenbecken gelangen
können. In 11 von 15 Fällen war eine längere Zeit bestehende Blasentuber¬
kulose vorhanden, ohne daß sich je im Nierenbecken Bazillen hätten nach-
weisen lassen, geschweige denn tuberkulöse Gewebsveränderungen. Die Er¬
klärung, warum die Tuberkulose in der Ureterwand selbst, ebenso wie auch
in der Vaginalwand, so langsam vordringt, sowohl nach der Schleimhaut
zu (infiziert wird zunächst die Adventitia und die äußere Muskularis) wie
auch nierenwärts (Fälle von über 300 Tagen), findet B. in der Tatsache,
daß das Vordringen entgegen dem Lymphstrom erfolge. — Von prak¬
tischen Folgerungen steht wieder die obenan, daß man bei Blasen¬
tuberkulose den Ureterenkatheterismus nur dann ohne Scheu ausführen kann,
wenn man peinlichst Epithelläsionen im Ureter vermeidet. Ebenso wichtig
sei aber auch eine sorgfältige Behandlung der Blasenschleimhaut bei jeder
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784
Referate und Besprechungen.
intravesikalen Manipulation, vor allem bei bestehender Nierentuberkulose.
B. teilt nicht die Ansicht, daß eine Blasentuberkulose des öfteren spontan
ausheilt, wenn der primäre Herd, die Niere, entfernt ist.
R. Klien (Leipzig).
M. Pietkiewicz, Zwei Fälle von zystischer Erweiterung des vesikalen
Ureterendes. (Zeitschr. für gynäk. Urol., Bd. 2, H. 5, 1911.) Die beiden
Fälle sind sowohl wegen ihrer Seltenheit, als auch wegen der erfolgreichen
operativen Behandlung interessapt. Beide Male handelte es sich bei bereits
geboren habenden Frauen um eine zystische Erweiterung und quasi Ver¬
längerung des unteren und intravesikalen Abschnittes beider TJreteren infolge
angeborener Stenose der Ureterostien. In dem einen Fall war es schließlich
infolge einer körperlichen Anstrengung zum Prolaps der einen Ureterzyste
durch die Harnröhre mit folgender teilweiser Gangrän und bedrohlichen
klinischen (Einklemmungs)symptomen gekommen. Ganz besonders inter¬
essant sind auch die beigegebenen zystoskopischen Befunde auf zwei Bunt¬
drucktafeln. Der erste Fall mit dem Prolaps wurde mittels Sectio alta und
Abtragung und Vefcnähung der prolabierten Partie geheilt, in dem anderen
wurden per urethram mittels eines besonderen kaschierten Messerchens unter
Kontrolle des Zystoskopes fünfmal hintereinander die zystisch vorgewölbten
Ureterenenden geschlitzt, mit dem Erfolg, daß schließlich normale Harn¬
leiterkatheter eingeführt werden konnten. Die vorher bestehenden ziemlich
schweren pyelitdschen Symptome schwanden sofort, aber die eine der Nieren
schien bereits funktionsunfähig geworden zu sein. P. ist der Ansicht, daß
solange zystoskopisch noch eine aktive Tätigkeit der prolabierten Teile sich
nachweisen läßt, das zuletzt geschilderte Verfahren indiziert ist. Sei aber
bereits die ganze Muskulatur in dem vorgefallenen Gebilde verloren gegangen,
dann sei der hohe Blasenschnitt und Exzision mit Vernähung der Wunde
indiziert. R. Klien (Leipzig).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
Rapin, Subkutane Sauerstoffinjektionen bei Asphyxie. (Revue medicale
de la Suisse romande, 31. Jahrgang, Nr. 4, S. 260—265, 1911.) Dem Verf.
ist es gelungen, ein Kund von J.4 Monaten, welches infolge einer schweren
Bronchitis bereits asphyktisch und im Stadium algidum angekommen war,
durch subkutane Sauerstoffinjektionen in wenigen Stunden der Rekonvales¬
zenz zuzuführen. Versuche an Kaninchen erhärteten späterhin auch für
„exakte“ Forscher, daß die Therapie wirklich wirksam sei.
Der Gedanke liegt nahe, ein reines Sauerstoffpräparat, etwa Merck’s
Perhydrol, in größeren Quantitäten, z. B. am Bauch oder Oberschenkel,
einzuspritzen, wenn Sauerstoffinhalationen gerade nicht ausführbar oder
wenn die respiratorischen Epithelien aus irgendeinem Grunde funktions-
untüchtig geworden sind. Gefahr scheint mit solchen Injektionen nicht
verknüpft zu sein: denn selbst wienn sie in eine Vene geraten, verursachen
sie keinen Schaden. Buttersack (Berlin).
W. Gerassimowitsch. Zur Epidemiologie des > Keuchhustens. (Prak-
titschesky Wratsch, Nr. 27, 1910.) Nach 2 1 / 2 jährigen Beobachtungen im
St. Petersburger Kinderkrankenhause des Prinzen Peter von Oldenburg
kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: Die Erfahrungen im Krankenhause,
ebenso wie die in der Privatpraxis zeigen, daß der Keuchhusten nur im
ersten, katarrhalischen Stadium und zu Beginn des konvulsiven Stadiums
ansteckend ist. Dem entsprechen auch die neuesten Untersuchungen bezüg¬
lich des Keuchhustenstäbchens von Bordet, das im Auswurf nur während
der bezeichneten Stadien der Krankheit ausgeschieden wird. Eine bedeutende
Rolle bei der Verbreitung der Krankheit spielen Erwachsene, die nicht selten
an leichten schwer diagnostizierbaren Formen des Keuchhustens erkranken.
J. Lechtman.
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Referate und Besprechungen.
785
Psychiatrie und Neurologie.
P. J. Kowalewski, Syphilis und Geisteskrankheiten. (Praktitschesky
Wratsch, Nr. 3 u. 4, 1910.) Als Hauptmerkmale der syphilitischen Neurosen
und Psychosen nennt Verf. Verwirrtheit, Demenz, und Gleichgültigkeit in
moralischer Hinsicht. Bei Behandlung der syphilitischen, nervösen und
geistigen Störungen empfiehlt Verf. vor allem das Quecksilber neben den
sonstigen, allgemein gültigen Behandlungsmethoden dieser Krankheiten,
Hebung des Stoffwechsels und der Ernährung. Eine rechtzeitig vorge¬
nommene Behandlung der Syphilis kann bei richtiger Lebensweise die ner¬
vösen und geistigen Störungen verhüten; eine längere Zeit fortgesetzte
wiederholte gründliche, spezifische Behandlung kann unter günstigen Um¬
ständen die einmal ausgebrochene syphilitische . Störung des Nervensystems
zum Schwinden bringen und dadurch den Kranken vor persönlichem und familiärem
Unglück, die Gesellschaft aber vor Entartung uud Verfall retten. J. Lechtman.
M. Violette (Paris), Geisteskrankheit als Scheidungsgrund. (Gazette med.
de Paris, Nr. 83, S. 65/66, 1911.) Die Frage, ob Geisteskrankheit ein Grund
sei, um eine Ehe aufzulösen, wird in den verschiedenen Ländern verschieden
beantwortet. Einen beachtenswerten Gesichtspunkt bringt Violette bei:
Eingehen einer Ehe bedeutet, das eigene Leben, die eigene Persönlichkeit
mit einer anderen Persönlichkeit verknüpfen. Man verspricht sich gegen¬
seitigen Beistand und Hilfe in allen Lebenslagen, eine ev. Erkrankung
stellt dabei einen Spezialfall des „risque conjugal“ dar; anzunehmen, daß
man in der Ehe von allen Widrigkeiten verschont bleibe, „c’est soutenir
un proces ridicule“. Allein Voraussetzung ist dabei immer, daß die Persön¬
lichkeit als solche erhalten bleibt. Man kann ein Bein, einen Arm verlieren,
aber die Persönlichkeit als solche wird dadurch nicht berührt. Anders
bei unheilbarer Geisteskrankheit; e'est la disparition, sans retour possible,
de la personnalite morale et intellectuelle. Da haben sich die Bedingungen
des Ehevertrags geändert, mithin ist dieser hinfällig, ebenso wie auch der
moralische Tod durch dauernden Verlust der bürgerlichen Rechte den Gatten
von der Gattin scheidet. Buttersack (Berlin).
L. W. Weber (Göttingen), Läßt sich eine Zunahme der Geisteskranken
feststellen? (Arch. für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Jhrg. 7, H. 6.)
Die in Irrenanstalten Verpflegten nehmen in einer den Bevölkerungszuwachs
prozentual erheblich übersteigenden Weise zu. Es beweist dies aber keine
Zunahme der Geisteskranken überhaupt, sondern erklärt sich aus dem zu¬
nehmenden Bestreben der gesunden Bevölkerung, sich von diesen ihre Er¬
werbsfähigkeit hindernden Kranken zu befreien und aus dem allmählich,
schwindenden Mißtrauen gegen die öffentlichen Anstalten. Erst wenn die
auf je 1000 Menschen kommenden drei Geisteskranke in Anstalten unter-
gebracht sein werden, dürfte daher das Wachsen der Anstaltsbedürftigen auf-
hören, um in gleichbleibende prozentuale Verhältnisse überzugehen. Auch
die Gesamtzahl der Geisteskranken ist nur scheinbar größer geworden in
erster Linie durch'die bessere Kenntnis und Beachtung der Grenzzustände
und der leichteren Grade (Psychopathen usw.). Bei genauerem Zusehen ist
man vielleicht sogar zur Hoffnung einer allmählichen Abnahme der Geistes¬
kranken berechtigt infolge besserer, früherer und dauernder Fürsorge und
eines zunehmenden Verständnisses für die sozialen Schädigungen (zunehmende
Aufklärung, bessere hygienische Verhältnisse usw.). Es läßt sich nämlich
nachweisen, daß die Zahl der in jüngeren Jahren in die Anstalten Auf-
genommenen geringer geworden ist. Es wird ferner verschiedentlich darauf
hingewiesen, daß die schweren akuten Formen der Geistesstörungen seltener
geworden sind, ebenso wie nach einer Dalldorfer Statistik die Erkrankungen
an Paralyse im Verhältnis zur Bevölkerungszahl ab nehmen. Jedenfalls
scheint es unrichtig zu sein, wenn man von einer Zunahme der Geistes¬
krankheiten schlechterdings spricht und in erster Linie geneigt ist, die
Schädigungen unseres modernen Kulturlebens dafür verantwortlich zu machen.
Zweig (Dalldorf).
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786
Referate und Besprechungen.
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Ellice M. Alger (New York), Die Pupille in Gesundheit und Krank¬
heit. (The Post-'Graduate, April 1911.) Die Beobachtung der Pupille wird
oft nur oberflächlich oder garnicht gemacht, und doch ist vielleicht nichts
so einfach, so wenig zeitraubend und so geeignet, manchmal Licht in dunkle
Zustände zu werfen, daß sie alle Beachtung verdient. Der Grund hierfür
ist, daß die Kontraktion djer Pupille von aus dem 4. Ventrikel kommenden
Fasern des Trigeminus, die Dilatation vom Sympatikus reguliert wird. Am
weitesten ist die Pupille in der Jugend, sie wird kleiner mit zunehmendem
Alter und der zunehmenden Rigidität der Iris und der betr. Muskelfasern.
Allgemein bekannt ist die ,,direkte“ oder „Lichtreaktion“. Die „konsensuelle
Reaktion“ (Kontraktion beider Pupillen, bei Beleuchtung nur einer) kommt
durch das Chiasma zustande, daher ist jede Pupillenungleichheit patholo¬
gisch. Akkommodation und Konvergenz bewirken Kontraktion der Pupille,
Ärger und Furcht vermöge der Reizung des sympatischen Systems Dilata¬
tion, während der Wegfall dieses Reizes im Schlaf und in mittlerer Narkose
Kontraktion bewirkt. In sehr tiefer Narkose ist auch der Sphinkter pup.
erschlafft und daher die Pupille weit. Bekannt sind die Mydritika, Atropin
und Homatropin, sowie die Miotika (Pu pillen verenge rer), Eserin und Pilo¬
karpin. Dionin macht mechanisch Ödem der Iris und bewirkt demgemäß
Verengerung der Pupille, Kokain starke Erweiterung, Morphin (innerlich)
Kontraktion. Pupillenungleichheit (Anisokorie) sollte stets als ein ernstes
Symptom betrachtet werden, lokale Ursachen hat sie verhältnismäßig selten
(Fremdkörper, Hornhautläsionen, Adhäsionen), Iritis, Keratitis und Affek¬
tionen des Urealtraktus bewirken stets Verengerung der Pupille. Die Tränen
eines atropinisierten Auges können das zweite Auge oder andere infizieren.
Anisokorie ist oft ein Frühsymptom von Glaukom, mitunter aber auch Folge
von Traumen des Bulbus (Sphinkterlähmung). Eine spezifische Pupillen -
reaktion (charakteristisch für lokomotorische Ataxie) ist die sog. Argyll-
Robertson’sche Pupille, wegen welcher sowie wegen weiterer Einzelheiten
das Original eingesehen werden muß. Wir erinnern nur noch an Tabes und
allgemeine Paralyse. Peltzer.
F. Wohlwill (Hamburg-Eppendorf), Das Verhalten des Blutdrucks im
delirium tremens. (Arch. für Psych., Bd. 48, H. 1.) Im Beginn und bei
leichten und mittelschweren Fällen während des ganzen Verlaufs ist der
Blutdruck erheblich gesteigert, bei schweren Fällen kommt es als Ausdruck
der Herzinsuffizienz zu plötzlichem jähen Abfall desselben. In der Rekon¬
valeszenz weist der Blutdruck eine starke Labilität auf. Analeptika gibt
man am besten von Anfang an. Zweig (Dalldorf).
H. Oppenheim (Berlin), Über Dauerschwindel. (Vertigo permanens.)
(Monatsschr. für Psvch., Bd. 29, H. 4.) Neben dem auf einer materiellen
Erkrankung des Gehirns oder des inneren Ohres beruhenden Schwindel
gibt es Formen dieses Leidens, welche sich auf dem Boden der Neurose ent¬
wickeln. 0. bringt 6 Fälle einer dieser Formen, deren "Ubereinstimmen in
den wichtigsten Symptomen zur Aufstellung einer besonderen Erkrankungs-
gruppe berechtigt. Bei den durchweg neuropathisch oder psychopathisch
veranlagten Individuen entsteht aus ungetrübter Gesundheit meist im An¬
schluß an Aufregungen oder Überanstrengungen ein plötzlich auftretender
echter Drehschwindel von kurzer Dauer, an den sich ein nie mehr ganz
verschwindender Dauerschwindel mit zeitweisen heftigeren Schwindelattacken
anschließt. In gesetzmäßiger Weise empfinden alle das Fahren in Wagen
als eine erhebliche Erleichterung, ebenso wiegende Bewegungen mit dem
ganzen Körper. Von Begleiterscheinungen wichtig sind pathologische Ge-
moingefühle (als ob die Glieder aus Luft beständen oder eine Lokomotive
auf dem Rücken hin- und herfahre), die als krankhafte Empfindungen ge¬
deutet werden. Sonst bestehen noch die üblichen neurasthenischen Klagen.
Die objektive Untersuchung ist in jeder Beziehung völlig ergebnislos. Das
Leiden ist therapeutisch absolut unbeeinflußbar, auch gegen Suggestiv-
behandlung. und besteht bei dem einen Kranken bereits seit 50 Jahren.
Zweig (Dalldorf).
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Referate und Besprechungen.
787
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
C. Vignolo-Lutati, Über einen seltenen Fall von periodischer Alopekie.
(Monatsh. für prakt. Dermat., Bd. 51, Nr. 7.) Verf. gibt in extenso Kranken¬
geschichte, klinischen Verlauf, histologischen Befund nebst Ätiologie und
Pathogenese eines Palles von periodischer Alopekie bei einem 16jährigen
Mädchen.
Im Verlaufe der Krankheit waren folgende klinisch und histologisch
nachweisbare Perioden zu unterscheiden:
1. Periode der Tricholyse, Anfang des Herbstes;
2. Periode der wahren und echten Alopekie, vom Ende des Herbstes
bis zum Anfang des Frühjahrs dauernd;
3. Periode der Trichogenese, am Anfang des Frühjahrs beginnend;
4. Trichotische Periode, den Sommer über dauernd.
Auf Vorschlag von Majocchi ist die Erkrankung als Alopecia
periodica bezeichnet worden. Ähnliche Fälle sind 1897 von Klotz und
1900 von Ledermann mitgeteilt worden. Carl Grünbaum (Berlin).
M. Bockhart (Wiesbaden), Die antiparasitäre Alkoholbehandlung des
Ekzems. (Monatsh. für prakt. Dermat., Bd. 52, Nr. 1.) Gemäß der von
Unna vor 30 Jahren aufgestellten, aber leider noch nicht allgemein aner¬
kannten Theorie von der parasitären Natur des Ekzems verwendet B. seit
12 Jahren den Alkohol mit bestem Erfolge zur antiparasitären Behandlung
der Ekzeme. Er erreicht damit erstens Vernichtung der Ekzembakterien und
der Toxine auf der kranken Haut, zweitens Verhütung einer das Ekzem
komplizierenden Pyodermitis der kranken Hautfläche und der angrenzenden
gesunder Haut, drittens Verhütung von Rezidiven.
Ausgenommen bei stark nässenden Formen gebraucht Verfasser den
Alkohol bei allen Arten von Ekzemen in der Regel als 90°/oigen Spiritus,
nur ausnahmsweise bei sehr trockener, fettarmer Haut den 68%igen Spiritus.
Der Spiritus wird vor der eigentlichen Gewebstherapie (Puder, Salben, Teer,
Trockenpinselung) zweimal täglich mit einem kleinen Wattebausch nicht nur
in die ekzemkranke sondern auch in die angrenzende gesunde Haut einge¬
rieben.
Die Resultate waren bei seborrhoischen und nichtseborrhoischen Ek¬
zemen, bei den Kratzeffekten und Rhagaden der hyperkeratotischen und
kallösen Ekzeme, bei den Fissuren des palmaren und plantaren Ekzems
gleich gute.
Besonders günstig wirkte die juckenstillende Wirkung des Alkohols
bei den kallösen und verruko-kallösen Ekzemen der Analgegend. Ein 20
Jahre bestehendes Ekzem der Analgegend mit 2—3 cm dicken Schwielen
wurde durch dreimal tägliche Desinfektion mit Alkohol und nachherige
Pinselung mit 10—20% Liquor carbonis detergens in 6 Monaten geheilt.
Kleine Flecke des Ekzema erythemato-squamosum und des Ekzema papulo-
resiculosum, beginnenden seborrhoischen Ekzems heilten unter Alkoholbehand¬
lung schnell ab. Postekzematöse Furunkulose wurde durch den Alkohol
verhindert; die früher ekzemkranke Haut zur Verhütung von Rezidiven
monatelang täglich mit Alkohol desinfiziert. Prophylaktisch bewährte sich
die Alkoholdesinfektion der umgebenden Haut bei Varizen, Hämorrhoiden,
Rhagaden und Fissuren der Analgegend, ferner bei Intertrigo, Hyperidrosis
und bei Gewerbeekzemen, natürlich immer in Verbindung mit anderen, der
Gewebstherapie dienenden Mitteln. Carl Grünbaum (Berlin).
P. G. Unna, Einige Indikationen für Arsenobenzol. (Monatschr. für
prakt. Dermat., Bd. 51, Nr. 12.) Auf Grund seiner Erfahrungen bei 40 Fällen
gibt Unna vier spezielle Kategorien von syphilitischen Erkrankungen an,
bei welchen er von Arsenobenzol-Injektionen besonders befriedigende, mit¬
unter sogar glänzende Resultate gesehen hat. Es sind 1. Mund- und Rachen-
affektionen jeder Art und Schleimhauterkrankungen der Nase; 2. die weichen,
feuchten Hautsyphilide der Sekundär- und Tertiärperiode, die zu Zerfall der
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Referate und Besprechungen.
Kutis Anlaß geben (pustulöses Syphilid und Rupia, ulzeröser-piginöses Syphi¬
lid und Gumma); 3. die Fälle galoppierender Syphilis, d. h. fieberhafte,
schwere maligne Formen der Lues, wo Rezidive Schlag auf Schlag folgen
und schon im ersten Jahre Gummen und schwere Zerstörungen erscheinen;
4. die vielgestaltigen unbestimmten Nervensymptome der Remissionszeiten
(Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, schreckhafte Träume, Tremor der Hände,
Impotenz und leichte psychische Störungen).
Beide Mittel, Quecksilber und Arsenobenzol, schließen sich nach Unna
gegenseitig nicht aus, sondern ergänzen sich. Das Arsenobenzol ist allgemein
nicht nur da indiziert, wo ,,Personen gegen Quecksilber refraktär sind oder
eine Idiosynkrasie gegen Quecksilber besitzen, sondern es ist auch drittens
überall dort indiziert, wo Quecksilber einen Teil der Syphiliserscheinungen
beseitigt hat unter Depression des Allgemeinbefindens und Nervensystems,
um unter Hebung derselben die Syphilisreste zu beseitigen“.
Eine vierte allgemeine Indikation für Arsenobenzol besteht bei Ge¬
fahr fürs Leben und lebenswichtige Organe, wo die Wirkung des Queck¬
silbers zu spät käme, idie Schnellwirkung des Arsenobenzols aber noch
Erfolg verspricht. Carl Grünbaum (Berlin).
J. Schereschewsky, Erkennung des Syphiliserregers auf dem Wege
der Züchtung der Spirochaete pallida. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 42,
1910.) Schereschewsky hat im Jahre 1909 ein Verfahren zur Züch¬
tung der Spirochaete pallida angegeben. Vermittelst dieser Methode gelang
es, verschiedene Stämme und Generationen zu züchten, welche auch morpho¬
logisch die Eigenschaften des Typs Pallida, aufwiesen. Dagegen ist es nicht
gelungen, durch Impfung dieser Kulturspirochäten auf Affen, Kaninchen
und Mäuse Syphilis zu erzeugen. Die Kulturspirochäten sind absolut nicht
tierpathogen. Es scheint also durch die Züchtung ein Virulenzverlust ein-
zutreten. Ebenso zeigte sich durch den Tierversuch, daß syphilitisches, im
Nährboden 12 Stunden lang transportiertes Material (breites Kondylom)
10 Spirochätengenerationen in Züchtung ergab, aber am Kaninchenauge keine
Impfsyphilis hervorrufen konnte. Frisches in die Kornea des Kaninchen
auges geimpftes syphilitisches Material degegen führte zu parenchymatöser
Keratitis mit Pannusbildung von Spirochätengehalt sowie zu starkem Haar¬
ausfall am ganzen Körper, der mit borkigen zirzinären Effloreszenzen
übersät war.
Weitere Versuche ergaben, daß auch die Spiro c hat eObermeieri
ein zehntägiger Aufenthalt auf Nährböden avirulent machte, und daß mit
diesen Kulturspirochäten geimpfte Mäuse gegen die Infektion mit Rekurrens-
blut immun waren.
Ebenso verhielten. sich, wie Sch. feststellte, mit Syphilisspirochäten¬
kulturen geimpfte Affen gegenüber Impfungen mit Luesmaterial immun
und wurden erst nach einer zweiten von Neißer später vorgenommenen
Impfung syphilitisch. Das refraktäre Verhalten der kulturgeimpften Affen
gegenüber einer Infektion mit Luesvirus ist doch als Zeichen eines gewissen
Vakzinationseffektes anzusehen.
Aus diesen Versuchen resultiert einerseits, daß vorläufig keine be
friedigenden Ergebnisse vorliegen, um die Zusammenwirkung von Kultur
Spirochäten und Syphilis zu beweisen, und daß wir nach Mitteln suchen
müssen, die Reinzüchtung der Spirochäte pallida sicher und immer durch¬
führbar zu machen, andererseits, daß die Möglichkeit einer Vakzination bei
der Syphilis gegeben ist. Carl Grünbaum (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
W. F. Boos, L. H. Newburgh und H. K. Marks (Boston), Digipuratum
bei Herzerkrankungen. (The Archives of Internal Medicine, Nr. 4, 1911.)
Das Digipuratum wurde bei Herzinkompensationen in Form der sogen. Digi¬
taliskuren gegeben, d. h. hohe Dosen in möglichst kurzer Zeit. Im Laufe
eines Jahres wurden über 180 primäre oder sekundäre Herzerkrankungen
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Referate und Besprechungen.
789
damit behandelt. Die Verf. zeigen die Wirkung des Mittels an acht gra¬
phischen Darstellungen. In einigen Fällen gab die erste Digipuratumkur
wenig Erfolg, während die zweite sehr wirksam war.
Besonders bemerkenswert ist ein Fall, wo eine Patientin in moribundem
Stadium in das Hospital kam; sie! reagierte sehr schnell auf Digipuratum
und die Kompensation stellte sich innerhalb einer Woche ein. Zuerst brauchte
sie monatelang täglich 2 Tabletten Digipuratum, dann konnte die Dosis all¬
mählich reduziert werden, bis sie nach Verlauf eines Jahres nur 4—5 Tabl.
in der Woche zu nehmen brauchte. Zeitweise bleibt sie eine Woche oder
10 Tage lang ohne Digipuratum.
Die Wirkung des Digipuratums auf die Harnausscheidung war sehr
prompt. Nicht ein einziger Fall von Erbrechen oder Durchfall trat auf, im
Gegenteil, das Erbrechen einer Anzahl Herzkranker wurde schnell durch
Digipuratum beseitigt. Kumulativwirkung war niemals zu beobachten. Einem
von den ersten Patienten, einem Knaben von 16 Jahren, wurden in 6 Wochen
106 Tabletten gegeben, und niemals ließ sich auch nur eine Spur einer
Digitalisvergiftung bemerken. Man muß allerdings im Auge behalten, daß
das Digipuratum ein Digitalispräparat ist und als-solches zur Kumulation
neigt. Indessen ist diese Tendenz beim Digipuratum sehr vermindert, so
daß es möglich ist, mit Hilfe dieses Mittels eine Digitalistherapie in bisher
unerreichter Weise durchzuführen. R.
Über Arzneifälschung in Rußland bringt die Pharmazeut. Zeitung,
Nr. 33. 1911 die Wiedergabe eines Berichtes von B. J. Slowzow, in dem
über die Ersatzpräparate des Diuretins folgendes gesagt wird:
„Besonders viel identische Präparate werden als Ersatz für Diuretin -
Knoll angeboten, welches aus Theobrominum natriosalicylicum besteht. Viele
Schweizer Firmen bringen daher ein Theobrominum natriosalicylicum in den
Handel. Alle diese* Präparate sind aber ohne Ausnahme minderwertig, da sie
anstatt 48% (wie das KnolTsche Präparat) nur 12—40% Theobromin ent¬
halten. In meinem Besitz befinden sich die Analysenberichte von Hasse-
Ludwigshafen und des Laboratoriums der Russischen Pharmazeutischen Ge¬
sellschaft Moskau, "welche fast gleiche Ziffern aufweisen, wie aus nach¬
folgender Tabelle zu ersehen ist:
Präparate: Theobromin
nach Haase: nach d. Russ. Pharm. Ges.:
1 .
Einer
Genfer Fabrik
18,12%
18%
2.
TI
Fabrik in Zofingen
44,3 *
40,35 „
28,0 „
44 „
3.
TI
„ „ Zürich
40 „
4.
TI
„ „ Carouge-Genf
28 *
5.
»
„ * Chiasso
17,59 „
12 „
Kann man also überhaupt davon sprechen, daß diese Präparate identisch
sind? Sie enthalten allerdings den wirksamen Bestandteil Nr. 2 und Nr. 3
in beträchtlicher Quantität, und man könnte mit denselben das Diuretin
wohl ersetzen, doch erfordern diese Präparate dann eine ganz andere Dosie¬
rung, und wenn man in Betracht zieht, daß einige von ihnen, wie z. B. Nr. 5,
nicht immer die gleichen Bestandteile aufweisen, wo hat man dann die
Garantie, daß das Diuretin-Knoll, welches zu 0,4—0,5 g verordnet wird,
ohne Nachteil für den Kranken durch die gleiche Quantität des Ersatzmittels
ersetzt werden kann? Gewöhnlich weist man auf die Billigkeit der iden¬
tischen Präparate hin, doch ein gewöhnliches Rechenexempel beweist, daß
im gegebenen Fall das Billige sich als teuer erweist.“
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Ziegler (Potsdam), Die Kühlhaltung der Milch im Hause. (Zeitschr.
für ärztl. Fortbildung, Nr. 9, 1911.) Wenn auch die Gewinnung und der
Transport der Kuhmilch. hygienisch jetzt ziemlich einwandsfrei ist, so kann
man dies von ihrer Behandlung in Haushalt ganz und gar nicht behaupten. Für
die Kühlhaltung der abgekochten Milch sind zwar eine große Menge Appa-
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Referate und Besprechungen.
rate konstruiert worden, aber dieselben entsprechen entweder nicht den An¬
forderungen oder sie sind zu teuer. Ziegler gibt nun ein sehr einfaches
Mittel an. Auf Grund der Erfahrung, daß Verdunstung Kälte erzeugt, emp¬
fiehlt er, die Flaschen mit einem aus Leinen oder Löschpapier bestehenden
Cberzuge zu versehen, diesen anzufeuchten und die so umhüllten Flaschen
auf eine Schale zu stellen, in der sich Wasser befindet. Das Verfahren
gestaltet sich also ungefähr folgendermaßen: Die Milchflaschen werden in
einem Soxhletapparat (oder wenn man einen solchen nicht hat in einem
größeren Topf, in dem man einen Drahteinsatz angebracht hat) 2—3 Minuten
lang gekocht, läßt sie: damn 10 Minuten lang stehen, um sie hierauf
15 Minuten unter die Wasserleitung au bringen, wo sie deren Temperatur
annehmen. Zujn Schluß werden die Flaschen mit den genannten Hüllen um¬
geben, unter denen sie eine Temperatur von 13° C annehmen und dauernd
behalten. F. Walther.
Kolisch (Wien — Karlsbad), Kohlehydratkuren bei Diabetes. (Mediz.
Klinik, Nr. 10, 1911.) Nachdem man eine Weile bei der Behandlung des Diabetes
die Kohlehydrate perhorresziert und Eiweißernährung als das einzig Ratio¬
nelle gepriesen hatte, zeigten neuere Untersucher, daß eben Eiweiß den
Gesamtumsatz am meisten steigert und durch direkte Reizung der Zellen
die Abspaltung und Ausscheidung der Zuckergruppen vermehrt. Sie zeigten
ferner, daß Diabetiker Kohlehydrate um so besser ertragen, je mehr man —
natürlich innerhalb gewisser Grenzen — die Eiweißzufuhr herabsetzt; und
darauf beruht die neuere Diät, welche Kohlehydrate in Verbindung mit
wenig Eiweiß, aber viel Fett vorschreibt. Wenn dann auch etwas Zucker
im Urin erscheint, so ist das irrelevant gegenüber den Gefahren, welche eine
kohlehydratfreie Kost mit sich bringt. Es handelt sich demnach nicht darum,
den Zuckergehalt des Urins auf 0% herunterzudrücken, sondern jene Kost
zu wählen, welche die maximale Kohlehydratzufuhr bei gleichbleibender
Glykosuric. gestattet.
Damit scheint diese Frage zu einem gewissen Abschluß gebracht zu
sein. Die nächste Etappe wäre nun wohl diese, nach Mitteln zu suchen,
welche die vielen, im Eiweißmolekül vereinigten Atomgruppen fester unter¬
einander verankern, ohne ihre physiologisch notwendige Beweglichkeit zu
beeinträchtigen. Buttersack (Berlin).
v. Benczür, Über einen nach Gebrauch einer Radiumemanationskur
wesentlich gebesserten Fall von Sklerodermie. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 21, 1911.) Eine 18jährige Patientin mit Sklerodermie wurde v. Bencziir
mit einer Radiumemanationstrinkkur behandelt. Sie erhielt tgl. 3 Flaschen
der von der Charlottenburger Radiogengesellschaft in den Handel gebrachten
Emanation. In den ersten Tagen hatte die Pat. unter heftigen Schmerzen in
den Gelenken zu leiden, die aber bald nachließen. Nach etwa 6 Wochen
mußte die Kur wegen einer Hämoptoe abgebrochen werden. Die Kranke
hatte während der Behandlung 1 Kilo zugenommen und cs war eine deut¬
liche Besserung eingetreten. Die Verhärtung der Haut war zum Teil ganz
geschwunden, die Gelenksteifigkeit war etwas zurückgegangen.
F. Walther.
Späth (Hamburg), Ein Fall von Genitaltuberkulose, geheilt durch
Röntgenstrahlen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 16, 1911.) Eine Pat.
erkrankte nach einer Mandelentzündung Jan langdauerndem Fieber. Die Unter¬
suchung ergab einen mit dem Uterus fest verwachsenen mannsfaustgroßen
Tumor, der wegen der einsetzenden Schüttelfröste operativ entfernt werden
sollte. Es gelang 1 nur Einnähung des Tumors in die vordere Bauchwand und
Eröffnung nach oben und nach der Scheide zu, worauf sich krümlicher Eiter
und Gewebsfetzen entleerte, die histologisch als tuberkulös festgestellt wur¬
den. Das Fieber fiel darauf zwar ab, aber es kam zu Fistelbildungen und
reichlicher Sekretion. Späth bestrahlte nun mit mittelweicher Röhre drei
Minuten lang den Tumor und erreichte durch 18 Sitzungen Zusammen-
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Bücherschau.
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Schrumpfung der Wunde, Schließen der Fisteln, Gewichtszunahme, Ver¬
schwinden des Tumors und schließlich vollkommene Heilung. Sp. glaubt
daher der Radiotherapie bei Genital tuberkulöse einen wichtigen Platz eiu-
räumen zu müssen. F. Walther.
Bücherschau.
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Syphilis. Unter Mitwirkung von
Dr. G. Bärmann, Dr. C. Bruck, Dr. Dohi, Dr. Kobayaschi, Erich Kuznitzky,
Dr. R. Pürckhauer, Dr. L. Halberstädter, Dr. S. v. Prowazek, Dr. Schere-
schewsky u. Dr. C. Siebert, herausgegeben von Dr. Albert Neißer, ordentl.
Professor an der Universität Breslau, Geheimer Medizinalrat. Berlin 1911. Verlag
von Julius Springer.
Im vorliegenden Werke, das auch als 37. Band der „ Arbeiten aus dem
kaiserlichen Gesundheitsamte“ erscheint, legen Neißer und seine Mitarbeiter die
Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschungen nieder, die von ihnen unter finanzieller
Beihilfe des Deutschen Reiches während der Jahre 1905 —1909 in Batavia und
Breslau ausgeführt sind. Da das Studium der Affensyphilis doch nur dazu dienen
soll, den Rätseln der menschlichen Krankheit beizukommen, so sind die experimentell
gewonnenen Erfahrungen für die wissenschaftliche Erkenntnis und die praktische
Diagnostik und Therapie der menschlichen Syphilis verwertet worden.
Nach einer Einleitung, in der die Arbeitsstätte in Batavia mit ihren Ställen,
Personal und Material, auch in Bildern, vorgeführt wird, beschäftigt sich zunächst
Neißer in verschiedenen Abschnitten mit den primären Erscheinungen bei der
Affensyphilis, den Ursachen der verschiedenen Inkubationszeit, der Bedeutung der
experimentellen Forschung und des Spirochätennachweises für die Pathologie und
für die Diagnose der menschlichen Syphilis, ferner mit d$r Pathologie der Affen¬
syphilis und der generalisierten Syphilis bei allen Affenarten. Weitere Abschnitte
widmet er den Infektionsversuchen (subkutan, intravenös, intraperitoneal, durch
Spaltung von Lymphdrüsen, durch Hodenimpfung), den Eigenschaften der Spiro¬
chäten und dem Begriff der konstitutionellen Syphilis; wobei das Problem der Durch¬
seuchung, die Umstimmung des Gewebes, immunitätsfragen, Superinfektion am
Menschen, Immunität, Rezidive und Vererbung der Immunität behandelt werden.
Einige Stichproben aus dem reichen Schatze dieser Kapitel müssen genügen:
Zu den Versuchen wurden in erster Reihe Makaken (Macacus cynomolgus,
rhesus, nemeätrin., niger, speciosus) benutzt, ferner Schimpansen, Orang-Utans,
Gibbqns und Cercopitheken (C. fuliginos., ruber, sabaeus) und Cynocephalen
(C. babuin, sphinx); wesentliche Unterschiede ergaben sich nicht, alle sind für
Syphilis empfänglich und bekommen eine der menschlichen Syphilis analoge kon¬
stitutionelle Erkrankung. — Für die Schwankungen der Inkubationszeit (11— 75 Tage)
ist die vorhandene Spirochätenmenge maßgebend. — Am meisten infektiös erwiesen
sich nässende Papeln und Condylomata lata, weshalb Neißer auch für sie Lokal¬
behandlung empfiehlt. — In der ulzerösen und malignen Syphilis sieht er den
Ausdruck einer individuellen Idiosynkrasie gegen sonst ganz „normale“ Spirochäten. —
Jeder Träger eines tertiären Prozesses ist als Träger vollvirulenter Spirochäten an¬
zusehen; jeder tertiäre Prozeß kann kontagiös sein. — Absolutes Eintrocknen
scheint mit Sicherheit das Syphilisgift zu töten. — Primäraffekte werden am besten
exzidiert und mit Jodtinktur nachbehandelt.
Echte Reinfektionen kommen vor; wenn ihre Zahl gering ist, so hat dies
seinen Grund darin: 1. daß die Zahl der ungeheilt bleibenden Syphilitiker, wie wir
jetzt aus den serodiagnostischen Untersuchungen gelernt haben, bei weitem größer
ist, als bisher angenommen; 2. daß sozusagen äußere Momente mitspielen, welche
dazu führen, daß die Menschen in späteren Lebensjahren überhaupt weniger Infek¬
tionen ausgesetzt sind als in jüngeren.
Von einer echten Immunität im engeren Sinne des Wortes ist bei Syphilis
nichts bekannt. Ist die Syphilis geheilt, so kommt es zu echten Rezidiven. Es
giebt nur eine „Anergie“, d. h. ein Refraktärsein gegen neue Impfungen, solange
der Körper noch Gift beherbergt. Aber auch diese Anergie ist nur eine relative;
denn auch während des Nochbestehens der Krankheit sind Superinfektionen mög¬
lich, jedenfalls in den späteren tertiären Stadien der Krankheit. Im Falle von
Superinokulation entsteht entweder ein lokaler, mehr oder weniger abortiv ver¬
laufender Inokulationseffekt, oder kein lokaler Inokulationseffekt, wohl aber eine
allgemeine Invasion der neuen Spirochäten, die sich in keiner klinischen Weise
bemerkbar zu machen braucht oder neue Allgemeinerscheinungen irgendwelcher
Art herbeiführt. Im ersteren Falle, wenn also ein lokaler Inokulationseffekt ent-
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Bücherschau.
steht, kann neue Spirochätenansiedelung mit oder ohne Generalisierung erfolgen,
oder es entsteht ohne Spirochäten eine Art Cutireaktion durch die spezifischen
Toxine. Die lokalen Prozesse entsprechen in ihrem Charakter der „Umstimmung“
d. h. der spezifisch gerade vorhandenen Reaktionsfähigkeit der Gewebe (in der
ersten Inkubation: primäre Indurationsprozesse; in der sekundären Periode: even¬
tuell sekundäre Prozesse (?); bei maligner Lues: rupiaähnliche Formen; in der
tertiären Periode: tertiäre Prozesse).
Dafür daß Rezidive (gleichsam Hautsuperinfektion von innen) so häufig ent¬
stehen, Superinfektionen von außen her selten, vermutet Ne iß er das entscheidende
Moment darin, daß fremde Spirochäten schwerer in der Haut eines bereits infizierten
Körpers Fuß fassen als die eigenen, durch Metastasierung von innen in die Haut
gelangenden. — Der mehr gutartige oder mehr bösartige Verlauf der Syphilis bei
einzelnen Individuen oder Rassen liegt an der verschiedenen Disposition des Er¬
krankten gegenüber der Syphilis; betreffs der Virulenz für den Menschen sind alle
Spirochäten gleich, doch gibt es deren, von denen die einen mehr quecksilberfest,
die anderen mehr arsenikalefest sind, d. h. bald besser, bald schlechter auf die
betreffende Behandlung reagieren.
Im 12. Abschnitt beschreiben Neißer und Bruck die Immunisierungsversuche,
welche zeigten, daß eine passive Immunisierung bei Syphilis trotz der verschieden¬
sten Versuchsanordnungen ebensowenig gelingt als die aktive. Diese Versuche
lehren bezüglich der Kr aus-Spitz ersehen Methode (ätiologische Therapie durch
subkutane Injektionen von Sklerosenaufschwemmung), daß der Primäraffekt durch
die verschiedensten Immunisierungen ante infectionem nicht verhütet werden kann,
und daß auch eine subkutane oder intravenöse Behandlung, die erst gleichzeitig
mit der Infektion einsetzt, keine besonderen Resultate liefert.
Im 13. der Therapie gewidmeten Abschnitte sagt Neißer vom Quecksilber,
daß es ein direktes Heilmittel der Syphilis sei, und zwar nicht nur in Stadien der
manifesten Erscheinungen, sondern auch in Stadien der Latenz. — Eine Präventiv¬
behandlung, noch vor dem Auftreten des, Primäraffekts begonnen, ist in vielen
Fällen von Erfolg. Die Berechtigung dazu sieht Neißer schon gegeben, wenn
allein nach Art der Infektionsquelle oder, durch sonstige Umstände die Wahr¬
scheinlichkeit, daß eine Syphilisinfektio.n stattgefunden haben könnte, vorliegt;
weil wir durch die Serodiagnostik feststellen können, ob die vermutete Infektiun
wirklich zu einer — wenn auch dauernd latent bleibenden — Syphilis geführt hat
oder ob der Patient syphilisfrei ist. Wobei es ja für den Endeffekt ganz gleich
sei, ob er syphilisfrei deshalb ist, weil er vielleicht garnicht infiziert war, oder ob
er durch das zeitige Eingreifen der Behandlung von der doch im Gange befindlichen
Syphilis geheilt worden ist. — Von den Arsenpräparaten sind zur Untersuchung
gelangt die fünfwertigen Verbindungen Kakodylsäure und kakodylsaures Natron,
Arrhenal, Atoxyl, Arsazetin, Hektin, Arsanthan, Plienarsol, Arsuran, bei welchen
entweder keine Heilwirkung sich zeigt, oder wenn sie wie z. B. beim Atoxyl auf-
tritt, dann wohl durch Reduktionsvorgänge des unwirksamen fünfwertigen Arsens
in dreiwertige Verbindungen zustande kommt. Dagegen entfalten die dreiwertigen
Verbindungen, das Arsenophenylglyzin und das Arsenobenzol bezw. Dioxydiamido-
arsenobenzol (606) gute Wirkung. — Berücksichtigt wird ferner noch die Therapie
mit Quecksilber-Arsen-Kombinationen, mit Jodkali, mit Chinin und mit kolloiden
Metallen.
Im 14. Abschnitt bringt Bruck eine umfassende, lesenswerte Abhandlung
über die Serodiagnostik, der sich kürzere Arbeiten von Kobavaschi „Über die
Verwendbarkeit wässeriger und alkoholischer Extrakte aus normalen Organen zur
Komplementbindungsreaktion bei Syphilis“ und von Do hi „Experimentelle Studien
über das Wesen der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Reaktion bei Syphilis“ an¬
schließen. Siebert bringt „Experimentelle Untersuchungen und praktische Vor¬
schläge zur persönlichen Prophylaxe“; Schereschewsky berichtet über .Prophy¬
laxisversuche mit Chininsalben“ und Neißer über seine „Versuche der Syphilis¬
übertragung auf verschiedene Tiere“, während Pürckhauer seine bisherigen Resul¬
tate der an Kaninchen angestellten .Versuche bekannt gibt.
Weitere kürzere Arbeiten: „Über Analogien in den Immunitätsverhältnissen
zwischen der experimentellen Syphilis und der experimentellen Taubenpocke“ von
Siebert; „Experimentelle Untersuchungen über die Vakzine der Affen" von
Halberstädter und Prowazek; „Über experimentelle Hauttuberkulose bei Affen 4
von Bärmann und Halberstädter; „Die biologische Differenzierung von Affen¬
arten und menschlichen Rassen durch spezifische Blutreaktion“ von Bruck bilden
den Beschluß des stattlichen, mehr als 600 Seiten umfassenden Bandes. Ein
schönes Dokument deutschen Forschens, deutschen Wissens, deutschen Fleißes.
__ _ Brauns (Dessau).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
hersusgegeben tod
Professor Dr. 6. Köster Priv.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich xum Preise von 5 Mark
Nr. 34.
für das Halbjahr.
24. August.
-Verlag von Georg Thieme, Leipzig.-
Originalarbeiten und Sammelberichte.
lieber die Therapie der Leukämie.
Von Privatdozent Dr. Hermann Lüdke, Würzburg.
Unter der Leukämie verstehen wir seit ihrer Entdeckung durch
Virchow die Erkrankung, die durch eine Vermehrung der Leukozyten
im Blut infolge einer krankhaften Tätigkeit der blutbildenden Organe
charakterisiert ist. Zur Vermehrung der weißen Blutzellen gesellt
sich als weiteres wichtiges Charakteristikum eine abnorme Blutmischung,
so daß wir in dieser Blutalteration das Wesen dieser perniziös ver¬
laufenden Erkrankung erkennen können.
Nach der Dauer des Krankheitsprozesses differenzieren wir die
akuten von den chronischen Leukämieformen; nach den Typen der
Blutalterationen unterscheidet man die Lymphozytenleukämie von
einer Leukozytenleukämie. Auch die Bezeichnungen myeloische und
lymphatische Leukämie sind gebräuchlich. Da jedoch das Knochen¬
mark auch normalerweise typische Lymphozyten produziert und, was
in seltenen Fällen konstatiert werden kann, durch einen diese be¬
treffenden WucherungsVorgang eine Überschwemmung des Blutes mit
Lymphozyten stattfindet, ohne daß dabei Milz und Lymphdrüsen anzu-
schwellen brauchen, so können wir, dem Vorschlag v. Leube’s folgend,
die Einteilung in Lymphozytenleukämie und Leukozy tenleukämie vor¬
ziehen.
Für die Therapie der Leukämien ist die Erkenntnis, ob eine
akute oder chronische Erkrankungsform im einzelnen Fall vorliegt,
von besonderer Bedeutung.
Akute und chronische Leukämie charakterisieren sich wesentlich
durch die Differenzen im Beginn und im Verlauf. Bei der akuten Form
zeigen sich zunächst die Symptome der hämorrhagischen Diathese, die
bei der chronischen Leukämie gewöhnlich das Finale ausmachen. Die
akuten Formen erinnern zumeist sehr an das Bild einer akuten Infek¬
tionskrankheit.
Nur einige klinische Vorbemerkungen über die beiden Leukämie¬
typen mögen der Besprechung der Therapie vorausgeschickt werden.
Bei der akuten Lymphämie findet man einen schnellen, oft fieber¬
haften, an eine akute Infektionskrankheit erinnernden Verlauf. Milz
und Lymphdrüsen pflegen nur in geringerem Grade vergrößert zu sein.
Frühzeitig setzt die hämorrhagische Diathese ein, so daß zuweilen
die Differentialdiagnose mit Purpura haemorrhagiea in Rücksicht ge-
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Hermann Ludke,
zogen werden kann. Das Blutbild zeigt ein Uberwiegen der Lymphozyten,
meist der großen, seltener der kleinen Formen mit ihrem bläschen¬
förmigen. bisweilen tief eingebuchtetem Kern. Kernhaltige rote Zellen
sind nur in geringer Zahl nachzuweisen, die Anzahl der polynukleären
ist herabgesetzt. Die Zahl der weißen Zellen ist gegenüber der der roten
sehr groß. In wenigen Wochen führt die Erkrankung zum letalen!
Ausgang.
Die chronische Lymphozytenleukämie charakterisiert sich
zunächst durch ihren protahierten Verlauf, durch eine allmählich zuneh¬
mende Anschwellung der Lymphdrüsen und auch der Milz. Im Knochen¬
mark findet sich wie bei der akuten lymphämischen Form eine lvmphoide
Hyperplasie. Im Blutbild konstatieren wir im allgemeinen die gleichen
Formen wie bei der akuten Erkrankung; doch beherrschen hier meist
die kleinen Lymphozyten das Feld. Große Lymphozyten werden bei
der chronischen Lymphozytenleukämie während des Brkrankungsver-
laufs auch vorgefunden und sind in den selteneren Fällen in der Über¬
zahl vorhanden.
Die Leukozytenleukämie, die häufiger zur Beobachtung kommt
als die Lymphämien, unterscheidet sich von diesen durch ein ganz diffe¬
rentes Blutbild. Die polynukleären Zellen, eosinophile und neutro¬
phile Formen, sind an Zahl meistens außerordentlich vermehrt, ebenso
zeigen die Mastzellen sich in größerer Anzahl. Neben den polynukleären
Zellen erscheinen regelmäßig auch neutrophile und eosinophile Myelo-
ziten im Blut, oft in sehr großer Zahl. Aus dem Knochenmark kom¬
mende, unreife Erythrozytenformen, Normoblasten, seltener Megalo¬
blasten, finden sich ebenfalls im Blut dieser Leukämiker. — Die
Drüsenschwellungen sind bald deutlich ausgesprochen, bald nur in
geringem Grade vorhanden, besonders stark pflegt die Milz vergrößert
zu sein. Außer diesen Drüsen- und Milzschwellungen stellen sich bei der
Leukozytenleukämie noch die weiteren klinischen Krankheitssymptome
ein, wie die der hämorrhagischen Diathese, der Retinitis usw.
Für die erfolgreiche Behandlung der Leukämie wäre eine Klärung
der Ätiologie dieser Bluterkrankung von höchster Bedeutung. Von jeher
neigte die, Mehrzahl der Autoren der Auffassung zu, daß die Ursache
der Leukämie, besonders ihrer akuten Formen, auf infektiöse Einflüsse
zurückzuführen sei. Das Symptombild akuter und mancher chronischer
Leukämien bietet in der Tat Parallelen zum Bilde infektiöser Krank¬
heitszustände. Milzschwellung, Leukozyten Vermehrung, seltener Ver¬
schiebungen im Blutbild durch Auftreten unreifer Zellformen, sind bei
zahlreichen Infektionskrankheiten zu konstatieren. Die Temperatur¬
steigerung, das wichtigste klinische Symptom der Infektion, wird öfter
bei der Leukämie, besonders der akuten Form, beobachtet.
Die Akten über den Zusammenhang zwischen septischen Erkran¬
kungsprozessen vornehmlich und akuten Leukämien sind nicht abge¬
schlossen. Wiederholt sind bei akuten Leukämien Eitererreger im
strömenden Blut nachgewiesen worden. Nach typhösen Zuständen hat
man zuweilen leukämische Zustände festgestellt.
Ein entscheidender Schritt zur Deutung der Genese der Leukämie
wäre mit dem Nachweis der Übertragbarkeit der Leukämie getan. Es
existiert aber kein genügendes Material, das von der Übertragbarkeit
der menschlichen Leukämie überzeugen könnte. Die Versuche ferner,
durch Überimpfung leukämischen Menschenblutes auf Tiere (Kaninchen,
Hunde, Affen) die Leukämie zu übertragen, haben zu negativen Er-
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Über die Therapie der Leukämie.
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folgen geführt. Erst in jüngster Zeit gelang es Ellermann und Bang,
eine bei Hühnern vorkommende Leukämieform auf gesunde Hühner
zu übertragen. Dasselbe gelang mir bei einem Ubertragungsversüch
des Blutes eines leukämischen Hundes auf ein gesundes Tier der gleichen
Spezies.
Leukämieähnliche Blutbilder gelang es mir weiterhin dadurch
im Experiment zu erzeugen, daß durch eine künstlich eingeleiteto
Schwächung der blutbildenden Organkomplexe, die Wirkung des danach
eingeführten septischen Agens erleichtert wurde. Die Schädigung der
hamatopoetischen Organe wurde durch Pyrodininjektion erreicht, danach
wurden verschieden abgestufte Quantitäten von Sepsiserregem injiziert.
Der Erfolg dieser Versuche zeigte, daß vorhergehende leukämieähnliche
Blutbilder in Erscheinung traten. Es konnte somit nach einer experi¬
mentell erzeugten Schwächung der blutbildenden Organe durch eine
bakterielle Reizung die Ausbildung stärkster Leukozytosen mit einem
leukämieähnlichen Blutbefund erreicht werden. Auch gelang mir die
experimentelle Erzeugung leukämieähnlicher Blutbilder durch die In¬
fektion mit den Spirochäten des Rückfallfiebers bei Mäusen.
Mir scheint die Deutung der Genese leukämischer Zustände den
realen Verhältnissen näher zu kommen, die toxisch-bakterielle Reize,
ohne eine Spezifität des pathogenen Keims in den Vordergrund zu stellen,
als ursächliches Moment für das Entstehen der Leukämie annimmt.
Wir wissen, daß sich in den blutbildenden Organen Bakterien und
Protozoen wochenlang und länger halten können. Haben die blutbil¬
denden Organkomplexe im Verlauf einer Infektion die Fähigkeit, die
Reizwirkung palhogener Keime abzuschwächen, verloren, so mag eine
Erschöpfung der Bildungsstätte der reifen Zellen und die Anregung
zur Produktion unreifer Formen gegeben sein.
Unter den differenten Infektionsgiften, die zur Auslösung leu¬
kämischer Zustände führen können, scheinen, soweit die klinischen
Beobachtungen uns lehren, die Eitererreger zu prävalicren. Der einge
drungene Parasit ist jedoch dabei nur das auslösende Moment; die
größere Bedeutung für die Genese der Leukämien scheint mir in der
Disposition der blutbildenden Gewebe, die eine Haftung
des Infektionsgiftes ermöglicht, zu liegen.
Die Prognose der Leukämien ist — quoad vitam eine absolut
ungünstige. Es gilt dies nicht nur für die akuten Formen, bei denen
der Tod in einigen Tagen oder Wochen eintreten kann, sondern auch
für die chronischen Leukämien. Remissionen der Erkrankung werden
öfter beobachtet, so daß die Krankheitsdauer sich von 1—4 Jahren
im Durchschnitt erstrecken kann. Eine exakt beobachtete Heilung einer
Leukämie ist mit Sicherheit bislang nicht beobachtet worden.
Die therapeutischen Bestrebungen bei der Leukämie differen¬
zieren sich in kausale und symptomatische Behandlungsweisen. Von
der Voraussetzung ausgehend, daß die Leukämien durch eine toxische
Substanz, durch irgendwelche Mikroben veranlaßt werden, versuchte
man auf rein empirischem Wege Mittel zu entdecken, die das Gift
abzuschwächen oder zu vernichten imstande waren. Leider haben diese
Versuche bisher nicht zu durchgreifenden Erfolgen führen können, da
die Ätiologie der Leukämien noch in ein tiefes Dunkel gehüllt ist.
Alle therapeutischen Bestrebungen in Fällen von akuter Leukämie,
wo doch der Zusammenhang mit einer Infektion ziemlich nahe liegend
ist, haben ganz und gar versagt. Bei den chronischen Leukämie formen
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Hermann Lüdke,
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gelang es, nur vorübergehende Besserungen, nicht aber bleibende Erfolge
zu erringen. Immer dürfte man sich bei diesen durch medikamentöse
oder radiologische Therapie erzielten Remissionen des Krankheitspro¬
zesses bewußt bleiben, daß solche vorübergehenden Besserungen auch
ohne therapeutische Beeinflussungen irgendwelcher Art bei der chro¬
nischen Leukämie festzustellen sind.
Es kann somit von der Erfüllung einer Indicatio morbi nicht
gesprochen werden. In der medikamentösen Therapie haben sich
nur wenige Drogen halten können. Zwar hat man viele tastende Ver¬
suche angestellt; in der Menge der empfohlenen Mittel haben sich
nur das Arsen im wesentlichen, dann das Chinin und Zu¬
sammensetzungen von Eisen mit Chinin oder Arsen als
Bestand erhalten. Heilungen sind bei Anwendung dieser Pharmaka
nicht beobachtet worden, da jedoch Remissionen im Krankheitsverlauf
und Dilatationen der Erkrankungsdauer mit Sicherheit bei der Ordination
dieser Medikamente festgestellt worden sind, erscheint ihre Verwen¬
dung gerechtfertigt.
Durch A rsendarreichung wird die Bildung der roten Blutzellen
bzw. des Hämoglobins sehr wahrscheinlich gesteigert, wenn wir auch
ganz Sicheres hierüber nicht wissen. In einzelnen Fällen hat man dann
neben der Zunahme der roten eine Abnahme der Zahl der weißen
Zellen, einen Stillstand oder Rückgang der Milz Vergrößerung und ein
Verschwinden der hämorrhagischen Diathese gesehen. Meist ordiniert
man das Arsen in Form der Fowler sehen Solution mit zwei Teilen
Aq. cinnamomi:
Rp. Solutio kalii arsenicosi 10,0
Aq. cinnamomi 20,0
M. D. S. 3 mal täglich 15—30 Tropfen.
Man beginnt mit dreimal 15 Tropfen und steigt allmählich, läßt
nach einer Woche dreimal 20, nach der zweiten Woche dreimal 25
u. s. f. nehmen und bleibt dann auf dieser Höhe längere Zeit. Längerer
Arsengebrauch in höheren Dosen führt manchmal zu unliebsamen In
toxikationsphänomenen. So kann ein Herpes zoster auftreten. Wird
gleichzeitig mit der Arsendarreichung auch die Röntgenbestahlung vor¬
genommen, so kann eine Hautgangrän ein treten, auch wenn die Normal¬
dosis der Bestrahlung nicht überschritten wurde. Außerdem können
hartnäckige Ekzeme nach dem Gebrauch von Arsenik einsetzen, selbst
Arsenlähmungen wurden beobachtet.
Arsen kann ferner in Verbindung mit Eisenpräparaten gereicht
werden. Ein Einfluß dieser Drogen auf die Blutbildung ist jedenfalls
sichergestellt, ebenso wird durch Arsen-Eisen eine fördernde Wirkung
auf den allgemeinen Ernährungs- und Kräftezustand ausgeübt. Auch
in Form von arseneisenhaltigen Mineralwässern, besonders des Levico-
wassers, ist Arsen zu empfehlen. Man sieht aber unter dem Arsen -
gebrauch, allerdings nur in einzelnen Fällen, dieselben Besserungen der
leukämischen Symptome und des Allgemeinbefindens ein treten, die man
bei den spontan einsetzenden Intermissionen der Krankheit beobachtet.
Zuweilen ist es weniger zweckmäßig, Arsen intern zu verabreichen,
in den Fällen, in denen Magen- und Darmstörungen der Leukämiker
vorliegen. In solchen Fällen sind subkutane Injektionen einer einpro¬
zentigen Lösung von Natr. arsenicum zu verwenden; man beginnt
mit einem Teilstrich der Pravaz’sehen Spritze und macht jeden zweiten
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Über die Therapie der Leukämie.
797
oder dritten Tag eine Injektion in steigender, dann in fallender Dosis.
Auch empfiehlt es sich, das kadodylsaure Natrium zu verwenden.
Man hat auch die Ordination von Eisenpräparaten allein versucht,
so das Ferrum cacodylicum und das Protylinum ferrätum empfohlen.
Besondere Vorzüge besitzen diese Medikamente nicht.
Angeblich mit günstigem Erfolg wurde auch das Chinin verwandt.
Vornehmlich mit. Arsen und Eisen zusammengegeben sollte es günstige
Ergebnisse zur Folge haben. Weniger ordiniert werden die in früherer
Zeit mehr verwandten Jodpräparate und der Phosphor (Dosis 0,001
bis 0,005). Bemerkenswerte Erfolge wurden mit diesen Mitteln nicht
erhalten.
Mit dem neuen Arsenpräparat Atoxyl (Metaarsensäureanhydrid)
sind Versuche angestellt worden, die ergaben, daß dies Präparat nicht
gerade besser wie die alten Arsenpräparate wirkt. Krebs empfahl
so nach Abschluß der Eöntgenbestrahlung Atoxylinjektionen mit 0,05
beginnend, steigend allmählich bis 0,5. Wegen seiner toxischen Wirkung
ist jedoch das Atoxyl nicht zu empfehlen. Das Salvarsan bleibt bei der
Leukämie wirkungslos.
Durchschlagende Erfolge hat man ebenfalls nicht mit zwei in
letzter Zeit angegebenen therapeutischen Maßnahmen erzielt: der Or¬
ganotherapie und den Sauerstoffinhalationen. Fr. Schultze
teilte schon 1889 auf der Heidelberger Naturforscherversammlung mit,
daß er in zwei Fällen die Sauerstoff Inhalationen ohne Erfolg angewendet
hatte. Die Besserungen, die auf die Sauerstoffeinatmungen erfolgten,
waren meist nur subjektiver Natur und von rasch vorübergehender
Art. Die konstatierten Besserungen bezogen sich auf Erscheinungen,
die, wie geringe Verkleinerungen des Milzvolumens und der Lymph-
drüsen, Abnahme der Leukozytenzahlen auch unter anderen Umständen
und besonders auch ohne jede Therapie, bei der chronischen Leukämie
gar nicht so selten Vorkommen.
Die Darreichung von Milz, Lymphdrüsen und rotem Knochenmark
hat bisher niemals eine Heilung der Leukämie und wirkliche Besse¬
rungen zur Folge gehabt. Wertvoll sind im Kampf gegen die Leukämie
auch Badekuren und hydrotherapeutische Prozeduren. Die radioaktiven
Quellen in Gastein, Teplitz und Joachimsthal kämen im wesentlichen
in Betracht. Auch Seebäder mit reichlicher Sonnenbestrahlung, im
Mittelmeer etwa, sind von einigem Wert. Laue Duschen und indifferente
Vollbäder sind zu empfehlen, soweit sie nicht durch Hautblutungen
kontraindiziert erscheinen.
Neben diesen Drogen hat man eine lokale Therapie bei der
Leukämie auch in Vorschlag gebracht. So hat man eine Verkleinerung
des Milztumors durch Kälteapplikation angestrebt. Abgesehen von den
bisherigen Mißerfolgen dieser Therapie ist eine solche Behandlungsweise
absolut verfehlt, da wir wissen, daß das Wesen der Leukämie nicht
in der Erkrankung der Milz oder einzelner Drüsen zu suchen ist.
Zu erwähnen wäre hier nur der eine Fall Mosler’s, der die Heil¬
wirkung des Chinins durch gleichzeitige Kälteapplikation auf die Milz¬
gegend unterstützt sah. Eine Verkleinerung des großen leukämischen
Milztumors wurde hierbei festgestellt. Doch hebt Ebstein mit Beeilt
hervor, daß dieser Fall ebenso wie die von Mosler berichtete Dauer¬
heilung eines Falles von Leukämie nach Chiningebrauch in großen Dosen
ein Unikum sei.
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O. Burwinkel,
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Weiter hat. man unter den lokalen therapeutischen Maßnahmen die
Faradisation der Milzgegend versucht. Mosler konnte jedoch diese
von Botkin gerühmte Therapie nicht bestätigt finden. Als gänzlich
nutzlos erwies sich der Versuch Levden’s mit der Galvanopunktur,
wobei er in die Milz mehrere bis zur Spitze isolierte Nadeln einstach
und sie mit. dem negativen Pol in Verbindung brachte, während er den
positiven auf den Bauch auf setzte. Von gleicher Nutzlosigkeit erwiesen
sich einfache Punktionen des leukämischen Milztumors, die noch dazu
infolge beobachteter Rupturen des Organs mit tödlicher Blutung gefahr¬
bringend waren. Aus demselben Grunde sind auch die parenchymatösen
Injektionen von Arsen oder Ergotin zu unterlassen.
Zu warnen ist weiterhin vor der von einzelnen Ärzten vorgesclila-
genen Milzexstirpation bei der Leukämie. Exstirpationen einzelner
Lymphdriisen haben keine Vorteile ; die Splenektomien sind mit Aus¬
nahme weniger Fälle tödlich verlaufen. Wir wollen als Beleg hierfür
nur die Fälle von Bryant und Czerny-Heuck anführen. In dem
einen Fall von Bryant befand sieh der zwanzigjährige Patient noch
zwei Stunden nach der gut verlaufenen Operation wohl, ging aber dann
sehr bald an einer Hämorrhagie zugrunde. Im anderen Falle überlebte
eine vierzigjährige Frau die Operation nur um 15 Minuten. Czerny
operierte eine 25jährige Patientin, die nach wenigen Stunden unter
Kollapserschernungen zugrunde ging. Wir können auch dem von
K. Ziegler neuerdings gemachtem Vorschlag, die Milz bei der myelo¬
ischen Leukämie zu exstirpieren, nicht zustimmen, wenn man auch
von den unmittelbaren Gefahren einer Milzexstirpation absehen (will.
Die Eingriffe in die Bluthahn selbst, die von der Idee ausgingen,
die Blutmischung direkt zu beeinflussen, haben el>enso'wenig zu Er¬
folgen geführt. So wurden Fornialininjektionen z. B. angewandt. Ferner
versuchte jman durch die Transfusion von Blut Gesunder das Blut
Leukämischer günstig zu beeinflussen. Mosler, der als erster diese
Behandlungsmethode vorschlug, geinte, daß die Transfusion defibri-
nierten Mensdhenblutes mehr als bloße palliative Hilfe verspräche
und daß durch wiederholte Transfusionen beim gleichen Kranken eine
vollkommene Heilung erzielt werden könne. Einige Fälle, in denen
die Transfusion versucht wurde, sind bekannt, so der Fall von H. Leyden
und von Körner. Zwei Tage nach der Transfusion starb der Leyden -
sche Patient, desgleichen kam in kürzester Zeit nach der Blutüber¬
führung die Körner’sche Patientin ad exitum. (Schluß folgt).
Die Behandlung der Herzklappenfehler.
Von Dr. 0. Burwinkel, Kurarzt in Bad Nauheim.
An der Gesamtmortalität sind die Klappenfehler des Herzens
mit etwa 5% beteiligt. Rechnet man hinzu, daß sie durchweg einen
chronischen, über Jahre und Jahrzehnte ausgedehnten Verlauf nehmen
und daß sie, wenigstens im Endstadium, fast beständig unser thera¬
peutisches Eingreifen verlangen, so ergibt sich ohne weiteres ihre Be¬
deutung für den praktischen Arzt.
Unter Klappenfehler im klinischen Sinne versteht man anato¬
mische Veränderungen am Klappenapparat des Herzens, welche zu einer
Störung der normalen ZirkulationsVerhältnisse und damit auch zu objek¬
tiv wahrnehmbaren Symptomen führen (Geräusche über den Ostien,
Herzvergrößerung, Pulsanomalien usw ). Das Resultat des pathologisch-
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Die Behandlung der Herzklappenfehler.
799
anatomischen Prozesses ist dann eine Insuffizienz oder eine Stenose
oder eine Kombination von Insuffizienz mit Stenose. Gar nicht selten
sind bei demselben Individuum mehrere Klappen gleichzeitig erkrankt
(komplizierter Klappenfehler), z. B. die Mitralis- und die Seminular-
klappen der Aorta. Bezüglich der Häufigkeit des Vorkommens stehen
die Mitralfehler an erster Stelle, dann kommen die Aortenfehler, während
an den Klappen des rechten Herzens nur selten krankhafte Verändere-
rungen (meist angeborene Pulmonalstenose) Vorkommen. Eine Erklä¬
rung für das ausschließliche Vorkommen endokarditischer Prozesse am
linken Herze habe ich an anderer Stelle versucht (Burwinkel „Zur
Ätiologie u. allgemeinen Therapie chronischer Herzleiden“ Ärztliche
Rundschau, 1900, Nr. 11/12).
Was die Bedeutung der Herzklappenfehler für Gesundheit und
Lebensdauer an geht, so wird ihre Prognose im allgemeinen etwas zu
düster angesehen und geschildert-. Die meisten Statistiken beruhen auf
Hospitalbeobachtungen, die nach dieser Richtung hin nicht entscheidend
sein können. Ins Hospital pflegen die Leute erst einzutreten, wenn
subjektive Beschwerden als Zeichen gestörter Kompensation da sind.
Unbedingt irrig ist der Satz, den Corvisart an die Spitze seines be¬
rühmten Werkes über Herzkrankheiten stellte „haeret lateri lethalis
arundo“ und falsch [ist die namentlich in Laienkreisen verbreitete
Ansicht, daß Klappenfehler unbedingt und bald zum Tode führen
müßten. Ebensowenig sind hier plötzliche Todesfälle etwa besonders
häufig, sie ereignen sich nur ausnahmweise bei Aortenfehlern. Wohl
jeder Arzt hat in der Privatpraxis die Erfahrung gemacht, daß viele
Leute trotz Klappenfehlers in ungetrübter Weise sich ihres Daseins
erfreuen, daß sie gar keine Beschwerden und oft keine Ahnung
von dem Bestehen des Herzfehlers haben. Middle ton beobachtete und
behandelte 150 Leute mit Klappenfehlern; 24mal wurden sie ganz
zufällig entdeckt, da sie nicht die mindesten Beschwerden verursachten
(A contribution of the study of chronic valvular disease of the heart,
Lancet 1889, page 846). Trotz eines vorhandenen Klappenfehlers kann
volle Leistungs- und Genußfähigkeit durch viele Jahre und Jahrzehnte
erhalten bleiben und der Tod erfolgt schließlich durch eine inter¬
kurrente Krankheit. Sehr interessant ist ein Bericht von Allyn, nach
dem zwei Drittel seiner Patienten mit Klappenfehlern mehr als 50 Jahre
alt waren, 28 waren mehr als 60, 16 mehr als 70, 7 mehr als 80
und 2 über 90 Jahre alt („The Prognosis in chronic valvular disease
of the heart“, The Americ. Joum. of the Med. Science, 1910, November).
Man sollte daher Leute mit Klappenfehlern nicht ohne weiteres
von der Aufnahme in Lebensversicherungen ausschließen. In England
ist man hierin auch weniger rigoros (Leyden „Die Prognose der Herz¬
leiden“, Deutsche med. Wochenschr., Nr. 5, 1889). Nicht jede organische
Veränderung an den Klappensegeln ist gleichbedeutend mit Herzfehler:
neben der anatomischen Läsion muß die funktionelle Störung einher¬
gehen, wie Neumann richtig hervorgehoben hat („Chronische Herz¬
insuffizienz und deren Behandlung“, Berl. klin. Wochenschr., Nr. 18,
1897). Das entscheidende Kriterium, oh die Läsion quantitativ als
gleichgültig oder als schwer anzusehen ist, gibt uns die Funktions¬
prüfung. Nicht aus der Intensität der Geräusche, durch welche die
anatomische Veränderung sich dokumentiert, läßt sich beurteilen, ob die
Strömungsverhältnisse wirklich so gestört sind, daß hieraus ein ge¬
sundheitlicher Nachteil entsteht. Gewiß stellt jeder Klappenfehler er-
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O. Rtirvrinkcl,
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höhte Ansprüche an die Herzmuskel kraft, zur Kompensation ist eine
Vermehrung der Herzarbeit nötig, aber wir wissen, daß das
normale Herz jeden Augenblick bereit ist, das Vielfache von dem
zu leisten, was in der Ruhe verlangt wird und daß es ohne Nachteil
dauernde Mehrbelastung bei Leuten vieler Berufsklassen erträgt. Lehr¬
reich sind auch die Tierexperimente von Tan gl und Bai int: durch
Zerreißung der Aortenzipfel wurden künstlich Klappenfehler erzeugt:
es kam nun infolge der erhöhten Arbeitsleistung des Herzens wohl
zu einer physiologischen Hypertrophie, aber nie zu Erscheinungen von
Inkompensation. Der Herzmuskel zeigte hei der Sektion weder Degene¬
ration noch Bindegewebszunahme (Experimentelle Studien über die
Ursachen d. Inkompensation bei Herzklappenfehlern, Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 1, 1898). Es gibt genug Leute, die sich trotz eines
klinisch wohl ausgeprägten Klappenfehlers in ihrem Befinden durch¬
aus nicht von einem Gesunden unterscheiden, bei denen die ärztliche
Beobachtung im Laufe von Jahren und Jahrzehnten weder Abnahme
der Leistungsfähigkeit noch Änderung des objektiven Befundes erkennen
läßt. Bei solch idealer Kompensation, die sich durch viele Jahrzehnte
ungestört und gleichmäßig erhalten läßt, wie ich dies an mir selbst
erfahre, sollte man eigentlich nicht von einem ,,Herzfehler“ reden,
sondern höchstens von einer Herzläsion, oder von einem „inneren Schön¬
heitsfehler“, wie ich vielen Patienten zu ihrer Beruhigung sage. Leider
sind aber häufig die Veränderungen am Klappenapparat so hochgradig,
daß die Herzkraft zur Regulierung der Stromhindernisse nicht aus¬
reicht. Und so kommt für die Prognose in erster Linie der Grad der
anatomischen Läsion in Betracht, die so gering sein kann, daß der Blut¬
strom kaum geändert wird, aber auch so ausgedehnt, daß enorme
Schädigungen entstehen. Indes sind bei gleicher Intensität des ana¬
tomischen Prozesses die Rückwirkungen auf Zirkulation und Organis¬
mus oft recht verschieden. Es kommt Sehr viel auf Körperkonstitu-
tion, hereditäre Verhältnisse, Temperament, Alter, Lebensweise usw.
an. Vor allem muß man scharf unterscheiden, auf welcher Basis ein
Klappenfehler zur Entwicklung gekommen ist. Die in der Jugend
acquiiierten Klappenfehler rheumatischen Ursprungs sind weit gün¬
stiger zu beurteilen als die sklerosierenden Prozesse, welche von
der Aorta sekundär auf Klappen und ‘Endokard übergreifen. Diese
Endocarditis sclerotica hat die fatale Eigentümlichkeit, immer mehr
fortzuschreiten und den Herzmuskel in Mitleidenschaft zu ziehen. Am
gutartigsten bezüglich Gesundheit und Lebensdauer ist die Mitralin¬
suffizienz, dann die Aorteninsuffizienz. Hier zeigt sich das Herz meist
lange Zeit allen Mehranforderungen gewachsen. Viel seltener ist eine
völlige Kompensation bei der Aortenstenose, zumal da sie meist in
vorgerückterem Alter auf dem Boden der Aortensklerose zur Entwick¬
lung gelangt. Eine völlig kompensierte Mitralstenose gehört zu den
Ausnahmen. Vielleicht ist hier die Bemerkung angebracht, daß es eine
absolut reine Mitralstenose ohne Insuffizienz gibt (retrecissement mitral
absolument pur nach Durozicz), die in ihrem Wesen, ihrer Erschei¬
nung und dem klinischen Verlauf ein selbständiger, leider nicht selten
übersehener Klappenfehler ist. Er wird vorzugsweise in der Privat¬
praxis bei schwächlichen anämischen Frauen im 2. und 3. Deze nni um
beobachtet. J)ie Mehrzahl stirbt vor dem 40. Jahr, oft treten die
Menses verspätet, und unregelmäßig auf, Aborte oder Sterilität sind
häufige Erscheinungen. Die zumeist angeborene Pulmonalstenose
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Die Behandlung der Herzklappenfehler
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führt gewöhnlich schon in der Pubertät zum Tode, ein Alter von
30 Jahren wird kaum je erreicht.
Warum neigt nun der infolge eines Klappenfehlers hypertrophische
Herzmuskel mehr zur Erschöpfung und warum behält er die Akkomoda
tionsfähigkeit nicht dauernd bei? Die Leipziger Schule (Homberg,
Krehl, Heidemann), dann auch v. Basch haben diese Frage ge¬
klärt (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 12,1893, D. Arch. f. klin. Med., Bd. 53,
H. 1/2, Berl. klin. Wochenschr., Nr. 5, 1897, Mitteilungen d. IX. Kongr.
f. innere Medizin). Derselbe Prozeß, der sich zuerst an den Klappen
etabliert, geht allmählich über auf den Herzmuskel^ der regelmäßig
erkrankt gefunden wird in Form einer Endarteriitis der kleinen Muskel¬
arterien und einer Bindegewebsvermehrung mit verbreitetem Muskel¬
schwund. Hat der Herzmuskel durch diese chronisch entzündlichen
Vorgänge in seiner Struktur und Ernährung gelitten, so kommt es
zu kraftlosen, unvollkommenen Kontraktionen, zur Dehnung der Herz¬
wand und zu weiteren Symptomen gestörter Kompensation. Und so
sind für die Prognose eines Klappenfehlers in erster Linie seine Art
und Schwere zu berücksichtigen, sodann die Reservemittel des Herz¬
muskels und die Anpassungsmittel des Organismus, vor allem auch
der Zustand der peripheren Gefäße. Als wichtigstes Kriterium, um
im Einzelfall die Funktionstüchtigkeit des Herzmuskels sicherzustellen,
muß die Probe gelten, wieviel Arbeit geleistet werden kann, ohne daß
Dyspnoe entsteht. Welches Herz ist insuffizient ? Relativ insuffizient
ist eigentlich jedes Herz, denn auch der kräftigste und trainierteste
Mensch findet eine Grenze in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit.
Überanstrengt er sich, so treten eben Kurzatmigkeit, Pulsbeschleuni¬
gung, Herzklopfen und sonstige Zeichen relativer Insuffizienz auf.
Nach dieser Richtung hin finden sich bei den verschiedenen Menschen
große Unterschiede und es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, ob
im Einzelfall der Herzmuskel den gestörten Zustand der Kreislauf¬
hydraulik völlig zu beheben imstande ist.
Die Therapie der Herzklappenfehler hat eine dreifache Aufgabe
zu erfüllen: 1. prophylaktisch alle jene Krankheiten zu vermeiden und
zu bekämpfen, von welchen man aus der Pathologie weiß, daß sie
valvuläre Kardiopathien begünstigen; 2. bei bestehendem Klappenfehler
darauf hinzuwirken, daß die vorhandene Kompensation möglichst ge¬
fördert, und erhalten wird; 3. eine gestörte Kompensation wiederher¬
zustellen und ihre Folgezustände zu beseitigen.
Die Hauptursache für Entstehung von Herzklappenfehlern ist der
akute Gelenkrheumatismus, von 670 in der Leipziger Klinik beobach¬
teten Fällen in fast 60°/ 0 . Je jünger das Individuum, um so größer
die Gefahr einer endokarditischen Komplikation. Es gibt nun eine
Prophylaxe in direktem Sinne, in dem man durch eine hygienische
Lebensweise dem Gelenkrheumatismus vorbeugt und durch wiederholte
Badekuren eine rheumatische Disposition zum Schwinden bringt und
eventuelle Rezidive verhütet. Hauptaufgabe, der Therapie ist es, eine
Behandlungsmethode zu finden, welche die Gefahr einer Endokartitis
im Anschluß an Rheumatismus herabsetzt. Vom Salizvl kann man das
nicht behaupten, seit der Einfülirung dieses Mittels sind Herzkomplika¬
tionen eher eine häufigere Begleiterscheinung. An anderer Stelle habe
ich darauf hingewiesen, daß Blutentziehungen, speziell der Aderlaß,
nicht nur den Gelenkrheumatismus selbst günstig beeinflussen, sondern
auch die Gefahr komplizierender Herzaffektionen ganz wesentlich ver-
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ringern. („Uber den akuten Gelenkrheumatismus“, Deutsche Medizinal¬
zeitung, S. 61, 1904, und „Veröffentlichungen der Hufe ländischen Ge¬
sellschaft, S. 241, 1904, „Die Bedeutung des Aderlasses für die
innere Medizin“, Die Therapie d. ärztl. Praxis, S. 88.) Bei jungen kräf¬
tigen Menschen nimmt man eine oder mehrere Venäsektionen von je
250—500 ccm Blut vor, Kindern appliziert man 5—10 Blutegel am
linken Stemalrand und über dem Herzen und läßt nachbluten. Neben¬
her blande Kost mit Ausschluß von Bouillon, Fleisch und Alkohol.
Milde Hydrotherapie in Form von spirituösen Teilwaschungen, sowie
Herzkompressen (kein Eisbeutel!), größere Dosen von Natron bicarbonic.,
frisch ausgepreßter Zitronensaft erweisen sich nützlich. Vor allem ist
strenge Bettruhe, noch mindestens acht Tage nach völliger Entfieberung,
zu beobachten. Zur Verhütung von Rückfällen, die gewöhnlich Ver¬
schlimmerung eines vorhandenen Klappenfehlers bedingen, achte man
auf ordentliche Haut- und Mundpflege (Tonsillen!), auf eine mehr vege¬
tarische Kost mit reichlichem Obstgenuß, sowie Sorge für reichlichen
Stuhl. Neben der Polyarthritis verdienen noch Chorea, Skarlatina, viel
seltener Typhus und Parotitis Rücksicht.
Wie steht es mit der Darreichung von Digitalis bei frischer Endo¬
karditis? Man scheue sich nicht vor kleinen Dosen bei beschleunigter
und schwacher Herzaktion. Kindern verschreibt man ein Infus von
0,3—0,5 :120,0 mit 20,0 Syr. Foenicul. 2stündl. 1 Kinderlöffel oder
3—5 gtt Digalen, Erwachsenen ein Infus von 1,5 :170,0 mit 20,0 Syr.
Foenicul. 2stündl. 1 Eßlöffel resp. 10—12 gtt Digalen. Auch in der
Rekonvaleszenz schätze ich die Digitalis sehr zwecks Ausbildung einer
guten kompensatorischen Hypertrophie. Kinder lasse ich 3 mal täglich
nach Tisch 15—20 gtt nehmen von: Tinct. Digit., Tinct. nuc. vomic.
aa 5,0, Tinct. Chin. comp., Tinct. rh. aq. aa 10,0. Bei Erwachsenen be¬
diene ich mich nachstehender Formel: Camphor. trit. 5,0, Ferr. red. 6,0,
Extr. Chin. aq. 4,0, Extr. nuc. vomic. spir. 0,8, Pulv. fol. digit. 0,5—1,0,
Mell. desp. q. s. ut f. pil. Nr. 100. S. 3 mal tägl. je 2 Pillen nach dem
Essen.
Sodann verdient die Arteriosklerose volle Beachtung und thera¬
peutische Beeinflussung, da sie von der Aorta gern auf die Seminular-
klappen der Aorta und aufs Endokard übergeht. Wie Edgren habe
auch ich auf die Tatsache hingewiesen, daß bei der schwieligen Aortitis
die Aortenklappen und Koronarien zumeist mit ergriffen werden. (Die
Arteriosklerose, Verlag d. ärztl. Rundschau, Seite 11, München 1908.)
In einer sehr verdienstvollen und lesenswerten Arbeit zeigt Deneke
in Hamburg, daß für die überwiegende Mehrzahl — drei Viertel *—
der in der Großstadt beobachteten Fälle von Aorteninsuffizienz die
Syphilis als ätiologisches Moment in Betracht kommt und spezifisch
zu behandeln ist („Zur Klinik der Aortitis luetica“, Dermatolog.
Studien, Bd. 21, S. 348); dies wird auch von Collins und Donath
hervorgehoben (Amer. Joum. of the med. scienc., Sept., 1909, Berl.
klin. Wochenschn., Nr. 43, 1909). Finden sich also bei Leuten in
relativ jüngeren Jahren, ohne daß Polyarthritis rheumatica voraus¬
gegangen ist, Zeichen von Aorten insu ff izienz, so versäume man nicht,
die Wassermann’sehe Reaktion vorzunehmen. Welche Mittel bietet
uns die Therapie, um eine möglichst vollkommene und dauernde Kom¬
pensation von Herzklappen fehlem zu erzielen? Es gibt, wie bereits
erwähnt wurde, eine ganze Reihe von Fehlern, die vermöge ihrer Art
und ihres Grades stets nur einer relativen Kompensation fällig sind,
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Die Behandlung der Herzklappenfehler.
803
die schwere Körperleistungen einfach ausschließen. Hier ist jedes Über¬
maß von Arbeit, jeder Exzeß sorgfältig zu verbieten; für geregelte
Hautkultur, für mäßige reizlose Ernährung, für bequeme und behag¬
liche Umgebung ist zu sorgen.
In der Kompensationsperiode können Leute mit Herzfehlern an¬
nähernd so leben wie Gesunde. Erster Grundsatz für den Arzt ist hier,
daß er den Zustand nicht durch Anwendung medikamentöser Mittel
verschlechtert. Hier wäre die Darreichung von Digitalis oder ihrer
Trabanten zum mindesten unnütz, oder sogar schädlich. Nichts wäre
beispielsweise verkehrter, als wollte man bei kompensierter Aorten¬
insuffizienz die hierbei durchaus als normal zu betrachtende er¬
höhte Pulsfrequenz herabzusetzen versuchen. Immerhin sind allgemeine
hygienische Maßregeln vorzuschreiben: ein magerer Körperbau, Mäßig¬
keit im Essen und Trinken, Anregung des Kreislaufs durch Hautpflege
und ein richtiges Maß von Muskelarbeit, Sorge für richtige Blut-
nrischung und ausreichende Stuhlentleerung garantieren am besten einen
völligen Ausgleich.
Ein übermäßiger Fettansatz ist unter allen Umständen zu ver¬
hüten oder langsam und vorsichtig zu reduzieren. Es ist keines¬
wegs gleichgültig für das Herz, ob man 10 oder 20 Kilo Übergewicht
mit sich herumzuschleppen hat. Sodann schädigt die Fettleibigkeit
dadurch, daß sie der frühzeitigen Entwicklung von Arteriosklerose
Vorschub leistet und daß das epikardiale Fett in die Muskulatur,
speziell in die Wand des rechten Ventrikels hinein wuchert. Außerdem
umwuchert das Fett die Koronar- und Mesenterialgefäße und erschwert
so den ganzen Kreislauf. Und so ist eine richtige Diät hier von größter
Bedeutung. Gerade auf diesem Gebiete hat sich im letzten Dezennium
ein erfreulicher Umschwung vollzogen, indem der Ausspruch eines be¬
rühmten Klinikers seine Gültigkeit verloren hat „bei Klappenfehlern
wächst, das Nahrungsbedürfnis“. Wir wissen, daß es bei Hunden mit
künstlich erzeugtem Klappenfehler trotz Nahrungsbeschränkung zur
Hypertrophie kommt und daß selbst im Hungerzustande das Herz
kaum an Gewicht und Leistungsfähigkeit einbüßt. (Timofejew, Zen-
tralbl. f. mediz. Wissensch., Nr. 26, 1889, Hirschfeld, Berl. klm.
Wochenschr., Nr. 11, 1892.) Eine Luxuskonsumption ist allemal schäd¬
lich, da sie zur Volumszunahme des Blutes, zur Plethora führt. Je
mehr aber das Gefäßsystem gefüllt ist, um so mehr muß das Herz
sich anstrengen, wenn es die Blutwelle in die Gefäße aus werfen will.
Sind die Gefäße weniger gefüllt, so ist das Gefälle ein stärkeres, das
Blut fließt leichter und gleichmäßiger ab. Dieser Punkt ist vor allem
in Anschlag zu bringen bei Aorteninsuffizienz, bei dem die Frage nach
dem Quantum und Qualität der eingeführten Nahrung von größter
Bedeutung ist. Bei Aortafehlern muß etwa gelebt werden wie bei
.Arteriosklerose, da hier die Gefahr sekundärer Gefäßentartung, speziell
auch der arteriosklerotischen Sclirumpfniere besteht. Die ptomain- und
extraktivstoffreiche Fleischnahrung ist sehr einzuschränken, um so mehr
als bei ihr das Sättigkeitsgefühl relativ spät eint ritt. Man bevorzuge
lactovegetabile Kost und gestatte nicht, gierig und ad libitum zu trinken.
Gegen den mäßigen und gelegentlichen Genuß von Bier und natur¬
reinem Wein ist nichts einzuwenden; zu den Hauptmahlzeiten wird
besser nichts getrunken. Bei Mitralfehlern ist der Zustand des rechten
Herzens entscheidend; man muß deshalb darauf hinwirken, daß der
Pfortaderkreislauf nicht gestört wird, eine mäßige gemischte Kost ohne
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O. Burwinkel, Die Behandlung der Herzklappenfehler.
viel Gewürze verhütet eine Blutüberfüllung in den Unterleibsdrüsen.
Vor allem ist auch Gewicht auf regelmäßige und ausgiebige Defä-
kation zu legen. Abnorme Gasspannung in Magen und Darm er¬
schweren entschieden die Herztätigkeit.
Durch kurze kalte Waschungen der Haut, durch den fleißigen
Gebrauch von nicht zu warmen Wannenbädern (33—30° C), von Fluß-
und Seebädern wird man den Tonus decr peripheren Gefäße anregen
und die Kreislaufbedingungen verbessern. Luftbäder von nicht allzu
langer Dauer tun allen Herzkranken im Stadium der Kompensation
wohl, bei Aortenfehlern wird dadurch der Blutdruck und die Puls¬
frequenz erniedrigt. Zur Vermeidung von Stauung im Pfortader- und
Lungenkreislauf empfehlen sich für Leute mit Mitralfehlern noch Sitz¬
bäder und spirituöse Abreibungen.
Lange Zeit hat die Forderung unbestritten gegolten, Leute mit
Herzklappenfehlern sollten sich möglichst ruhig verhalten. Nichts ist
verkehrter als sie zu steter Ruhe zu verurteilen und sie als Halbinva¬
liden zu betrachten, solange Störungen von seiten des Herzens fehlen.
Mit Recht erklärt Plehn leichten Sport für direkt nützlich. Er konnte
an seinen nächsten Verwandten konstatieren, daß trotz bestehender
Mitralinsuffizienz nicht nur allen Anforderungen des täglichen Lebens
Genüge geleistet wurde, sondern daß selbst erhebliche sportliche Lei¬
stlingen jahrzehntelang vertragen wurden. („Die Beurteilung von Herz¬
störungen“, Ther. Monatsh., H. 9, 1910.) Dabei wird der Blutstrom
von den inneren Organen nach den peripheren Gefäße abgeleitet und
der allgemeine Stoffwechsel gefördert. Durch Anspannung der Mus¬
keln und Faszien wird der Blutumlauf erleichtert und so am besten
jede Stauung in einzelnen Gefäßgebieten, speziell im Abdomen, verhütet.
Die hierbei auftretende Schweißsekretion bewirkt, daß infolge Flüssig¬
keitsabgabe in den Gefäßen im ganzen weniger Blut enthalten ist.
Übung fördert die Entwicklung der Muskeln, Training verbessert die
Energie und Ernährung. Auch der Herzmuskel gehorcht diesem Ge¬
setze. Bei nicht ganz leistungsfähigem Herzen ist natürlich äußerste
Vorsicht am Platze; doch können auch hier vernünftig dosierte Muskel¬
bewegungen, leichte Zander- und Widerstandsgymnastik die periphere
Zirkulation wesentlich verbessern und die Entwicklung des Herzmuskels
durch allmählich gesteigerte Übung fördern. Das Herz bedarf stets
einer gewissen Anspornung, einer gymnastischen Übung. Zu wenig
Wert wird noch in der Therapie der Herzleiden auf gleichmäßige und
ausgiebige Atmung gelegt. (Ho ff mann, „Moderne Therapie der chron'.
Herzkrankheiten“, Veröffentlichungen der HufelamTschen Gesellschaft,
1906.) Eine ausgiebige Respiration bedeutet ein mächtiges Adjuvans
für das Herz bei der Fortbewegung des Blutes. Durch die Inspiration
wird das Blut in den Thorax angesogen und zwar hauptsächlich laus
der unteren Hohlvene und damit auch aus dem Pfortaderkreislauf.
Die Lungen- und Herzgefäße werden erweitert, ihre Durchströmung
direkt gefördert, der Abfluß des Blutes in den linken Ventrikel be¬
günstigt. Auf keine Weise kann man dem geschwächten Herzen so
sicher eine kräftigende Blut welle zuführen und seine Ernährung heben.
Eine Überladung des Blutes mit C0 2 reizt das Gefäßzentrum in der
Medulla obllongata und ruft Spasmus der Gefäße hervor. Die At¬
mungen sollen deshalb möglichst in frischer reiner Luft vorgenommen
werden, damit das Blut eupnöeisch und weniger viskos wird.
(Schluß folgt).
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Ed. Joltrain (Paris), Die Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion.
(Paris Medical, Nr. 17, S. 388—393, 1911.) Die Menschen haben eine ganze
Reihe von Bedürfnissen: sie wollen essen, trinken, schlafen, lieben, sich
vergnügen usw. Einzelne haben auch das Bedürfnis zu denken, aber alle
haben den Drang, sich für irgend etwas zu begeistern. Diesem Trieb kommt
in der Hierarchie der psychischen Appetenzen eine große Rolle zu; denn
er ist imstande, andere Regungen zu unterdrücken. Die Begeisterung für
das Tuberkulin und 20 Jahre später für Ehrlich-Hata sind allbekannte
Illustrationen hierzu. Auch die Wassermann’sche Reaktion gehört z. T.
hierher: Die Bewunderung der Reaktion an sich ließ ihre kühle Bewertung
in der Praxis nur vereinzelt auf kommen. Im vorliegenden Aufsatz greift
Joltrain diese Frage auf und kommt zu folgenden Schlüssen:
1. Eine positive Wassermann’sche Reaktion spricht sehr dafür, daß
der Betreffende einmal syphilitisch infiziert gewesen ist. , Aber absolut be¬
weisend ist sie nicht. (Uu sero-diagnostic positif plaide singulierement en
faveur de la syphilis sans qu’on doive donner un caractere absolu au ren-
seignement qu’il fournit.)
2. Über ev. Kontagiosität sagt die Reaktion nichts aus. Einen nega¬
tiven Wassermann von Ehekandidaten, Ammen, Prostituierten usw. zu ver¬
langen, das wäre ,,une exageration, non seulement dangereuse, mais meme
coupable“.
3. Für das therapeutische Verhalten ist die Reaktion von geringer
Bedeutung. Im allgemeinen scheint sie wohl unter einer rationellen Be¬
handlung zu verschwinden; aber einen absolut zuverlässigen Indikator für
den Erfolg der Therapie bildet die Wassermann’sche Reaktion keineswegs.
Buttersack (Berlin).
• Scheller und Goldschmidt (Breslau), Experimentelle Beiträge zum Stu¬
dium des Mechanismus der Immunkörper und Komplementwirkung. (Zentral -
blatt für Bakt., Bd. 58, H. 6.) Aus den Untersuchungen der Verfasser geht
hervor, daß das Verhältnis zwischen Immunkörperdosis und Komplement¬
bedarf bei ein und demselben System nicht konstant ist; es wechselt je nach
dem Immunkörper und nach dem jeweiligen Komplement innerhalb weiter
Grenzen.
Es ist also notwendig, die sich eventuell einstellenden Fehlerquellen
sowohl bei wissenschaftlichen wie bei serodiagnostischen Untersuchungen
durch eingehende Vor versuche auszuschließen. Schürmann.
Sdhroeter und Gutjahr (Jena), Vergleichende Studien der Typhus-Coli-
Dysenteriebakterien im Anschluß an eine kleine Ruhrepidemie in Mittel¬
deutschland. (Zentralbl. für Bakt.., Bd. 58, H. 7.) Bakt. typhi und Bac.
Enter. Gärtner lassen sich durch Agglutination schwer voneinander
trennen. Frische Ruhr stamme vom Typus Y zeigen oft eine nicht
unbeträchtliche Mitagglutination auf Typhusserum. Als Erreger der Ruhr-
epidemie in Thüringen wurden Bakterien vom Typus Y isoliert. Eine Diffe¬
renzierung der gewonnenen Stämme war nur durch ihr Verhalten gegen
Mannit, Maltose und Saccharose ermöglicht.. Gegenüber der Agglutination
zeigten Flexner-Y und die gewonnenen Stämme ein so verschiedenes Ver¬
halten, daß eine einwandfreie Trennung der Stämme untereinander nicht er¬
zielt. werden konnte. Ebenso fielen die Resultate der Komplementbindung aus,
so daß bei der leichten Veränderlichkeit, des Verhaltens gegen Kohlehydrate
bei Y-Stämmen mit der Möglichkeit einer Umwandlung in den Flexner-
Typ im menschlichen Körper gerechnet werden muß. — Die Ruhrepidemie
des Jahres 190(» in T. wurde durch den Bazillus Shigal-.Kruse, die
Nachepideinie des Jahres 1910 durch den Y- Typ verursacht. Ein Bazillei)-
träger. der in seinem.Stuhl einen dem Shiga-Kruse nahe verwandten Bazillus
beherbergte, ist als der Ausgangspunkt der Epidemie anzusehdn. Schümiann'.
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Referat« und Besprechungen.
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Kostrzewski (Krakau), Über die violette Farbe bei hämolytischen Ver¬
suchen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 3.) Ee ist häufig beobachtet wor¬
den, daß bei den mit Hämolyse verlaufenden Versuchen in den Reagensgläsern,
die Hämolyse der roten Blutkörperchen zeigen, eine violette Farbe zum Vor¬
schein kommt. Die Untersuchungen des Verfassers nach dieser Richtung hin
haben ergeben, daß es sich um eine Infektion des Materials mit einem zur
Proteusgruppe gehörigen Bakterium handelt. Schürmann.
Busson (Graz), Ein Beitrag zur Kenntnis der Lebensdauer von Bak¬
terium Coli und Milzbrandsporen. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 6.) Ein
Colistamm hat 6 3 /i Jahr seine Lebensdauer bewahrt; er wächst in Reinkultur.
Adle Stammerkmale sind in typischer Weise vorhanden. — Aus 17 Jahre
an Seidenfäden angetrockneten Milzbrandsporen entwickelten sich lebens¬
kräftige, äußerst virulente vegetative Formen, die neben ihren sonstigen
charakteristischen Merkmalen auch das Vermögen der Sporenbildung, letz
teres allerdings unter ganz bestimmten Verhältnissen sich erhalten hatten.
Schürmann.
v. Betegh (Fiume), Studien über experimentelle Tuberkulose der
Meeresfische. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 6.) Fisch-, Blindschleichen-,
Schildkrötentuberkelbazillen können bei Meeresfischen typische Tuberkulose
hervorrufen. Blindschleichen- und Schildkrötentuberkelbazillen sind außer
den strukturellen und biologischen Verhältnissen, auch hinsichtlich der Patho¬
genität von den Tuberkuloseerregern der Warmblüter verschieden. Man
kann sie als selbständige Arten auffassen. Versuche über das Verhalten der
Tuberkulosestämme im Körper der Übergansform (Aal) sind im Gange.
Schürmann.
CI. Schilling (Berlin), Ein Apparat zur Erleichterung der Romanowskv-
Färbung. (Zentralbl. für Bakt., Bd. 58, H. 3.) Der von Schilling kon¬
struierte Apparat ist bei Lautenschläger (Berlin) zu haben. Die
Handhabung ist im Original nachzulesen. Schürmann.
Innere Medizin.
L. v. Zumbusch (Wien), Über den Zusammenhang von Dermatosen mit
inneren und allgemeinen Erkrankungen. (Die Heilkunde, Ärztliche Standes-
zeitung, Nr. 10, 1911.) Die interessanteste Hautveränderung bei Diabetes ist
das Xanthom. Es besteht darin, daß sich, oft sehr schnell kleine Knötchen
von lebhaft gelber Farbe auf der Haut entwickeln. Ihre Bildung beruht
darauf, daß unter gewissen Voraussetzungen normale Zellen der Haut dege¬
nerieren und sich mit Cholesterin infiltrieren. Es ist keine Neubildung.
Das Xanthom hat mit der Zuckerausscheidung selbst nichts zu tun; es wird
auch bei Diabetes insipidus beobachtet, ferner bei Leberleiden (Xanthoma
hepaticum). Wenig ist über die Wirkung der harnsauren Diathese auf die
Haut bekannt. Sicher wissen wir nur, daß es, äußerst selten, zur Einlagerung
von Harnsäure in die Haut kommt. Alles übrige, was über Gicht, Arthri¬
tismus, Rheumatismus und Hautkrankheiten berichtet wird, ist Hypothese.
Bei der Psoriasis findet man Fälle, die neben dem Exanthem auch Gelenk -
affektionen zeigen, doch entsprechen sie nicht dem Charakter der uratischen
Gicht, sondern dem Bilde der Arthritis deformans. Die Ernährung der Haut
und ihre Widerstandsfähigkeit ist in hohem Maße von der richtigen Funktion
der Blutdrüsen abhängig; siehe z. B. die intensiven Pigmentationen beim
Morb. Adisoni. Bei Krankheiten oder Fehlen der Thyreoidea entsteht die
als Myxödem bezeichnet« Verdickung und Verfärbung der Haut; auch die
Sklerodermie steht in Abhängigkeit von der Schilddrüse. Die Haut der
Kastraten ist dick, schlaff, und gelblich. Speziell die Funktionen des weib
liehen Genitales provozieren Störungen der verschiedensten Art; es sei an
den Herpes menstrualis, den in der Gravidität nicht seltenen Pruritus cuta
neus, die Urticaria, Herpes gestationis, Impetigo herpetiformis erinnert. Ab-
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Referate und Besprechungen.
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norme Beschaffenheit des Blutes äußert sich in der Ernährung der Haut,
die lymphatische Leukämie und Pseudoleukämie können Hautsymptome (Tu¬
moren, Pruritus, prurigoartige Exantheme) erzeugen. S. Leo.
E. H. Co 1 heck (London), Die Art der Entstehung eines scheinbaren
doppelten zweiten Herztons. (Practitioner, Bd. 86, H. 5.) Die Gründe,
aus denen C. annimmt, daß die Verdoppelung durch Vibration der vorderen
Klappe der Mitralis entsteht, interessieren uns weniger als die Beobachtung,
wie wechselnd diese Erscheinung ist und daß sie durch Veränderung der
Körperlage zum Erscheinen und Verschwinden gebracht werden kann. Die
Zeit, wo man die Bedeutung der Herztöne überschätzte und die Bestimmung
der anatomischen Veränderung nach dem Klang als einen aufregenden Sport
betrieb, ist freilich vorbei, aber es ist doch gut daran zu erinnern, daß
das Herz kein unveränderlicher Mechanismus ist, sondern wie seine ganze
Funktion so auch seine Töne ganz außerordentlich äußeren Umständen
anpaßt. Es ist ein alter Kniff, einen Kranken mit Klappenfehler in der
Nacht vor der Musterung recht unsolid leben zu lassen, damit das Herz-
geräusch recht deutlich ist und nicht im Eifer der Untersuchung über¬
sehen wird. Fr. von den Velden.
Delbet u. Hirtz (Paris), Erfolge der Kardiolyse. (Bullet med., Nr. 23,
S. 244, 1911.) Im Juni 1910 hatten die beiden Pariser Chirurgen bei einem
Manne wegen Symphysis bzw. Goncretio cordis die Kardiolyse ausgeführt.
Am 21. März 1911 stellten sie den Mann abermals der Academie de Medecine
vor und zwar in vollem Wohlbefinden'. Er ist als Kellner täglich 15 bis
16 Stunden im Dienst, ohne zu ermüden, geht, läuft, steigt Treppen ohne jede
Beschwerden, ja er k,ann sogar anstrengende Arbeiten verrichten. Die Rippen
haben sich allerdings nicht regeneriert. Die Herztöne sind rein, aber die
Herzaktion unregelmäßig. Buttersack (Berlin).
W. Alexander (Berlin), Die Verhütung der Herzbeutelverwachsung.
(Zeitschr. für phys. u. diät. Therapie, Bd. 15, H. 1 u. 2, 1911.) Es gab
eine Zeit, in welcher die Perikarditis für eine seltene Krankheit gehalten
wurde. Dann kamen die pathologischen Anatomen und demonstrierten das
Gegenteil, so daß sich die Kliniker häufiger zu dieser Diagnose entschlossen.
Allein für die Therapie schien der Herzbeutel unzugänglich. Nun tritt
Alexander mit großer Wärme dafür ein, bei Exsudaten in der Cursch-
mann sehen Weise in oder außerhalb der linken Mammillarlinie einzustechen
und nach Entleerung der Flüssigkeit Gas (Stickstoff oder Luft) einzublasen.
Das Verfahren sei ungefährlich, erfülle oft eine Indicatio vitalis und — die
Hauptsache! — verhüte Verwachsungen; ja man könne ev. schon bestehende
Verwachsungen damit sprengen.
Die Anregung ist beherzigenswert, namentlich die Mahnung, mit dem
kleinen Eingriff nicht so lange zu warten, bis die Kräfte des Patienten im
allgemeinen und die seines Myokard im,speziellen der Insuffizienz nahe sind.
Buttersack (Berlin).
C. A. Crispolti, Zur Diagnose von Lungenspitzenerkrankungen. (II
Policlinico, 15. Januar 1911.) Baccelli hatte vor 4 Jahren darauf auf¬
merksam gemacht, daß bei tuberkulösen Affektionen der Spitzen sich die
oberen Teile des Schulterblattes beim Einatmen gar nicht oder nur wenig
heben. 1910 hat Kuthy dieselbe Erscheinung unter dem Namen des Signe
acromial abermals beschrieben. Crispolti tritt jetzt mit Wärme für die
Priorität der italienischen Schule ein.
Die Angaben sind in der Tat richtig, aber seitdem es klinisch beob¬
achtende Köpfe gibt, haben sie das Zurückbleiben der Spitzen beim In-
spirium erkannt. Nur hat man in der Folgezeit ein so einfaches Zeichen
nicht mehr für ,,wissenschaftlich“ gehalten, sondern wendete sich lieber
der geheimnisvolleren Kunst des Auskultierens und Perkutierens zu. Daß
jetzt ein Symptom der Inspektion wieder entdeckt wird, ist erfreulich.
Buttersack (Berlin).
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v
SOS
Bulling, Dauerinhalationen bei chronischer Bronchitis. (Gazzetta med.
ital., Nr. 8, 1911.) Bulling rät, in dem Zimmer, in welchem sich ein
Bronchitiker mit reichlichem Auswurf aufhält, 6—8 Stücke Filtrierpapier
zu verteilen, welche mit folgender Mischung getränkt sind: Rp. Menthol,
Eukalyptol ää 2,0. Ol. Terebinth. und Wacholde ressen z ää 5,0. Nach
einiger Zeit versiege die abundante Sekretion. Buttersack (Berlin).
A. Wolff-Eisner (Berlin), Die spezifische Diagnostik der Tuberkulose
für den Praktiker. (Reichsmed. Anzeiger, Nr. 11, 1911.) Das Tuberkulin
wurde ursprünglich von Koch in Form der subkutanen Injektion als Dia-
gnostikum angewendet. In den letzten Jahren sind die lokalen Reaktionen
in den Vordergrund getreten. Im Anschlüsse an die subkutane Injektion
Koch’s beobachteten Escherich und Schick an der Injektionsstelle
Rötung, die sog. Stichreaktion, die als spezifische Tuberkulinwirkung auf¬
zufassen ist. Diese Stichreaktion bildete den Übergang zu der Pirquet’schen
Entdeckung, daß eine Schabung der Haut und Benetzung dieser Schabung mit
Tuberkulin zu einer eigenartigen Reaktion, der Kutanreaktion, führt. Gleich¬
zeitig fand Wolff-Eisner die Konjunktivalreaktion, die von Calmette
weiter ausgestaltet wurde. Man versuchte dann diese Reaktionen auf andere
Schleimhäute (Mundschleimhaut, Nasenschleimhaut, Vaginalschleimhaut) zu
übertragen: jedoch haben diese Methoden keine Vorzüge vor den ursprüng¬
lichen. Die Koch’sche Subkutaninjektion beruht auf der Tatsache, daß beim
tuberkulös Infizierten die Subkutaninjektion Fieber und Reaktionserschei¬
nungen, Abgeschlagenheit, Kopfschmerz usw. hervorruft. Daneben wird auch
eine Herdreaktion beobachtet, die in einer Entzündung der tuberkulös er¬
krankten Stelle besteht. Diese Entzündung zeigt sich bei den dem Auge zu¬
gänglichen Stellen (Haut, Kehlkopf, Auge) in einer Entzündung, Rötung und
Schwellung der erkrankten Teile; bei den anderen Stellen (Lunge, Niere) in
eine Vermehrung des Sekrets (Zunahme des Sputums, Eiter, Blut im Urin),
in der Vermehrung und Verstärkung der Rasselgeräusche bei Lungentuber¬
kulose. Diese Herdreaktionen sind von großer diagnostischer Wichtigkeit,
jedoch sind sie nicht ganz ohne Gefahr, da sich an derartige Reaktionen eine
Dissemination der Tuberkulose anschließen kann. Dies ist auch der Grund,
warum die lokalen Reaktionen mit solcher Freude begrüßt wurden S. Leo.
J. Le Goff (Paris), Zunahme des Diabetes in Paris. (Academie des
Sciences, 20. März 1911.) Aus dem statistischen Jahrbuch der Stadt Paris
(und des Depart. de la Seine) ist zu ersehen, daß in den letzten 30 Jahren
die Zahl der durch) Zuckerruhr bedingten Todesfälle sich vervierfacht hat:
1880 starben 128< an Diabetes mellitus (= 0,644 auf 10000 Einwohner); 1909
starben 525 (= 1,930 auf 10000). Woher kommt das ? Mit Vorliebe befällt
die Zuckerruhr die wohlsituierten Klassen, Leute, welche reichlich essen,
dabei aber eine sitzende Lebensweise führen und sich keine körperliche
Bewegung machen. Notare, Beamte, Professoren, Ärzte seien besonders von
der Krankheit bedroht.
Das wäre also eine Wiederholung des Satzes von Montesquieu:
„Le souper tue la moitie de Paris, le diner l’autre“ (Pens^es et fragments
inedits, Nr. 713, S. 478, 1899.)
Es kommt aber noch ein Moment hinzu: der zunehmende Konsum von
Zucker. Da. ist es auffallend, daß in den am meisten zuckerverbrauchenden
Nationen die Zahl der Diabetiker am größten ist. So kommt auf den Kopf
pro Jahr berechnet/ in England 41 Kilo, in Amerika 31 Kilo, in der Schweiz
27 Kilo, in Deutschland 19 Kjlo, in Schweden-Norwegen 19 Kilo, Holland
18 Kilo, Frankreich 16 Kilo, Belgien 13 Kilo; oder anders ausgedrückt: pro
Kopf und Tag nimmt der Engländer 111 g Zucker, der Amerikaner 8f> g.
der Franzose 43 g.
Da der Diabetes häufig ganz symptomlos verläuft, so wird oft genug
eine zweckwidrige Diät beibehalten, und je mehr die zuckerverdauenden
Funktionen überlastet werden, um so schneller werden sie gänzlich jn-
suffiziept. Buttersack (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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W. Br. Clarke (London), Ober einige ungewöhnliche und dunkle
Symptome der Wanderniere. (Practitioner, Bd. 36, H. 5.) Kurz nach dem
Beginn eines Anfalles von Nierenschmerz wird zuweilen die Umgebung vor
und hinter der Niere druckempfindlich und es bildet sich eine Auftreibung
der Gedärme aus, die den Verdacht der Peritonitis erweckt. In anderen
Fällen läßt sich 1 die Diagnose aus der Beschaffenheit des Urins stellen, der
spärlich und entweder ganz hell oder braun und trübe ist; oder es treten
Verdauungsstörungen oder Erbrechen auf, für die sich keine Erklärung
findet.
In andern Fällen wieder sind die Symptome so gering, daß man nicht
an die Möglichkeit einer Wanderniere denkt und im Unklaren bleibt, bis
schwerere Symptome auf die richtige Diagnose lenken. Erbrechen, das ohne
jede plausible Ursache aus voller Gesundheit heraus und plötzlich erfolgt,
muß den Verdacht der Wanderniere erwecken. Dabei bildet sich meist eine
Auftreibung des Darmes aus.
Clarke bekämpft diejenigen, die aus einer Wanderniere nicht viel
piachen und behaupten, wo man sie finden wolle, finde man sie gewöhnlich.
Zwar gibt es viele bewegliche Nieren, die nie Symptome machen, aber in
dunkeln Fällen, besonders wenn der Pylorus, die Leber oder andere der
rechten Niere benachbarte Organe der Erkrankung verdächtig sind, soll
man sorgfältig auf eine bewegliche Niere fahnden und sie in allen Fällen
annähen. Die Mißerfolge der Nephropexie beruhen nach CI.’s Ansicht
auf unrichtiger Ausführung. Die Niere muß ganz aus ihrer Umgebung
und vom perirenalen Fett losgelöst, so daß sie mit ihnen nicht, wieder ver¬
wachsen kann, und in einer solchen Lage angenäht werden, daß der Urin
frei durch den Ureter abfließt. Der Ureter ist bei der Wanderniere fast
.immer verlängert und die Niere muß deshalb so hoch befestigt werden,
daß er ganz gestreckt verläuft, da sonst die schmerzhaften Anfälle wieder
auftreten. Gl. hat wiederholt zu tief angenähte Nieren losgelöst, was sehr
schwierig zu sein pflegt, und weiter oben wieder angenäht.
Fr. von den Velden.
Psychiatrie und Neurologie.
M. Loeper (Paris), Zur Ätiologie der Psychoneurosen. (Progrcs med.,
Nr. 10, S. 124, 1911.) Was Vogelstrauß-Politik bedeutet, weiß ein jeder:
Man macht die Augen zu vor unbequemen Dingen, denen man nicht ent¬
gehen und deren man nicht Herr werden kann. So verhalten sich im Zeit¬
alter der Exakten viele gegen psychische Faktoren. Allerdings, Schrecken,
Furcht, Freude, Hoffnung lassen sich nicht exakt bestimmen, man kann
sie nicht messen, zählen, wägen, man kennt keine Furchtkörper und -Anti¬
körper usw.; aber sind sie darum weniger real ? Bleicht der Schrecken
nicht die Haare, färbt die Freude nicht die Wangen, schöner noch als
Amylnitrit, und verleiht die Hoffnung nicht größere Kräfte als Ameisen¬
säure oder Kolapastillen ? Ich weiß nicht, ob die Studien über die physische
Konstitution des Menschen schon abgeschlossen sind; jene bezüglich der
psychischen sind es sicherlich nicht, und insbesondere das Kapitel Gemüt
ist noch gar nicht in Angriff genommen. Und doch ist das der Zentral -
punkt, der Angelpunkt unseres ganzen "Seins, von welchem aus die ganze
Persönlichkeit, wie sie der Umgebung erscheint, beeinflußt wird. Unser
Gemütsleben ist unser Selbst, ja, es ist allein unser wahres Selbst, während
alles andere mehr oder weniger konventionelle Masken sind.
Es ist in gleicher Weise ein Beweis für das psychologische Verständ¬
nis von Dejerine und Gau ekler, wie für ihr folgerichtiges Denken,
daß sie Gemütserschütterungen in den Mittelpunkt der Psychoneurosen
stellen. Die französische Sprache hat keinen vollwertigen Ersatz für unsern
Begriff:, erschütternd. Tatsächlich wirken alle Eindrücke des Lebens er¬
schütternd auf das Gemüt, und daß eine gehäufte Summe von Erschütte¬
rungen schließlich destruierend, demolierend wirkt, erscheint ganz selbst -
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verständlich. Vornehmlich ist es die Angst, welche solch einen deletären
Einfluß ausübt, und speziell die Angst um die eigene Persönlichkeit spielt
dabei eine große Rolle. L. Renon hat einmal (22. Juni 1908) gesagt:
„La vulgarisation de l’hygiene est excellente; celle de la medecine est mau-
vaise pour tout le monde, pour le malade comme pour les medecins“. In
der Tat, geschäftige Federn oder Redner sind unermüdlich bereit, das Publi¬
kum über ärztliche Dinge aufzuklären; aber die Kenntnisse, die sie ver¬
breiten, reichen gerade hin, um ihre Hörer ängstlich zu machen und sich
das unmöglichste Zeug auszumalen. Also, die Angst pocht immer wieder
ans Gemüt; was Wunder, wenn dasselbe schließlich seine Spannkraft ver¬
liert? Aber ebensowenig wunderbar ist des ferneren, daß solchen gemüt¬
lich Deprimierten so schwer beizukommen, so schwer zu helfen ist. Das
letzte Geheimkämmerchen unseres Herzens wird eben immer peinlich ver¬
schlossen gehalten. Es öffnet sich der Umgebung nie, dem Gatten zuweilen,
dem Freunde häufig, am ehesten noch der Mutter; und da soll ein fremder
Medicus mit Arzneien und Pulvern, oder mit dem Arsenal der physikalischen
Therapie die Defekte wieder ausbessern? Lächerlicher Gedanke! Gemüt¬
liche Erkrankungen lassen sich nur durch gemütliche Faktoren beeinflussen.
Arzt und Patient müssen gewissermaßen eins werden, zusammen!ließen,
damit der eine den andern entlasten und stützen und wieder auf die Beine
stellen kann. Das ist die Idee, welche Dejerine vorschwebt, wenn er
als erste Bedingung jeder psychischen Therapie aufstellt „Pinfluence bien-
faisante d’un etre eur un autre“.
Diese Sätze erscheinen vielleicht selbstverständlich; sie sind es sicher¬
lich auch. Aber ob Selbstverständlichkeiten auch immer in die Praxis
übertragen werden, darüber kann man verschiedener Meinung sein. S o -
k r a t e s lehrte: Derjenige, der das Gute und Richtige nicht tut, weiß es
eben nicht. Da ist es gut, daß Dejerine und Gauckler in ihrem
Buch: Manifestations fonctionnelles des psycho ne vroses (Paris, Masson 1911)
solche Selbstverständlichkeiten eindringlich vortragen und damit den Leser
zum mindesten zum Nachdenken anregen. Buttersack (Berlin).
M. Bornstein (Warschau), Über die Differentialdiagnose zwischen
manisch-depressivem Irresein und Dementia prScox. (Zeitschr. für die ges.
Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 2.) Namentlich drei Formen von Mischzuständen
machen enorme differential-diagnostische Schwierigkeiten, der Stupor mania-
kalis, die stumpfsinnige unproduktive Manie, die Depression mit intra-
psychischer Hemmung und psychomotorischer Erregung. Ein Kranker in
einer typisch manischen Erregung macht den Eindruck eines Menschen, bei
welchem dio normale Heiterkeit, Beweglichkeit usw. ins Pathologische ge¬
steigert ist, bei der Erregung des Dementia praecox-Kranken hat man mehr
den Eindruck des Fremdartigen, Aufgezwängten, die Erregung erfolgt dem¬
gemäß explosionsartig. Während die Rede des Manischen ideenflüchtig ist
im Anschluß an eine äußere Wahrnehmung und eine, wenn auch meist
schnell wechselnde, führende Idee zeigt, spricht der Kranke der anderen
Gruppe ganz Zusammenhangs los verworren in der Form des Wortsalats.
Die Orientierung ist viel besser als bei der starken manischen Erregung.
Von den katatonen Symptomen sei erwähnt, daß sie bei der manischen Er¬
regung meist nur vorübergehend sind und hier meist in den Zuständen der
Bewußtseinstrübung auf treten, was bei der Katatonie nicht vorkommt. Aber
alles dies zeigt fließende Übergänge. Noch größere Schwierigkeiten machen
die Depressionszustände, hier gibt es keine speziellen Kriterien. Sehr
schwierig ist oft auch« die Abgrenzung des manischen oder depressiven
Stupors vom katatonischen. Für letzteren spricht, wenn der Kranke während
langer Monate einen ausgesprochenen Negativismus und Muskeispannung
aufweist, wenn er beständig eine und dieselbe unbequeme Pose einnimmt
und sinnlosen Widerstand gegen jede Veränderung zeigt, sowie einen raschen
Wechsel zwischen Negativismus und Automatie. Zwischen manischen Er¬
regungszuständen und solchen bei der Dementia präcox gibt auch das
Assozialionsexperiment Unterschiede im Sinne einer Verlängerung der Zeiten
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Referate und Besprechungen.
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und einer allgemeinen Assoziationsarmut bei der letzteren. Das manisch-
depressive Irresein setzt meist akut, die Dementia präcox subakut ein.
Manischer Beginn ist bei der Dementia präcox im allgemeinen selten.
Zweig (Dalldorf).
O. Pförringer (Friedrichsberg), Zum Wesen des katatonen Symptomen-
komplexes. (Monatschr. für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 5.) Eine Bedingung
für das Auftreten des katatonen Symptomenkomplexe8 bildet Mangel oder
Armut von Vorstellungen, weil dann die Leitung der Ausdrucksbewegungen
durch dieselben wegfällt. Hieraus ergibt sich sein Vorkommen bei den
verschiedensten geistigen Schwächezuständen. Zweig (Dalldorf).
Delamarre (La Fere), Perineale Injektionen bei Incontinentia urinae.
(Gazette medicale de Paris, Nr. 84, S. 76/77, 1911.) Das von Cahier an¬
gegebene Verfahren hat Delamarre bei seinen 9 Patienten teils nach ein-,
teils nach wiederholter Anwendung Heilung gebracht. In der Mitte zwischen
Anus und Ansatz (des Skrotums markiert man eich tait Jodtinktur 2 cm rechts
und links vom Corpus cavernosum des Penis je einen Punkt und injiziert da
..rapidement, brusquement meme“ je 80 ccm normales Pferdeserum subkutan.
Die von D. angegebenen Symptome, die dann zunächst auftreten: leichter
Kopfschmerz und Temperatursteigerungen, sind wohl als milde Serumkrank¬
heit aufzufassen. Das Grundleiden wird aber insofern günstig beeinflußt,
als sowohl die Polyurie wie die Pollakurie allmählich verschwinden; wo
nicht, rät Delamarre eine 2 . Injektion. Allein im Hinblick auf die
Anaphylaxie scheint mir eine solche bedenklich; physiologische Kochsalz¬
lösung tut es am Ende auch. Buttersack (Berlin).
J. Bayer und L. Peter (Innsbruck), Zur Kenntnis des Neurochemismus
der Hypophyse. (Archiv ftir exper. Path. u. Pharm., Bd. 64, S. 204, 1911.).
Das Adrenalin der Nebenniere wirkt im wesentlichen auf dem Wege des
sympathischen Nervensystems, desgleichen die Schilddrüse durch scharf
ausgesprochene Beziehungen ihrer Hormone zu nervösen Elementen auf den
Gesamtorganismus. Die Hypophyse hat blutdrucksteigernde Eigenschaften,
ähnlich wie die Nebennieren, und auch die sonstigen physiologischen Reak¬
tionen sind denen des Adrenalins ähnlich, aber nicht gleich.
Extrakte aus dem Infundibularle.il der Hypophyse, sowie Pitui¬
trin (Parke, Davis & Comp.) übten auf den in Magnus’scher Versuchs-
anordnung in Ringer’seher Lösung arbeitenden Kaninchendünndarm eine Er¬
regung der sympathischen Nerven, d. h. eine Hemmung der normalen Darm¬
bewegungen, aus; der Angriffspunkt ist zentral von dem des Adrenalins.
Bestandteilen des Hinterlappens der Hypophyse dürfte also normalerweise
,,eine eminente Bedeutung für die Regulation vegetativer Funktionen“ zu-
kommen. Hervorzuheben ist ferner, daß diese Wirkung nicht für die Hypo¬
physe spezifisch ist; sie kommt auch den Extrakten anderer Organe (z. B.
Milz) zu. E. Rost (Berlin).
Laser (Wiesbaden), Über thyreotoxische Erscheinungen und ihre Be¬
handlung mit Antithyreoidin. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 13, 1911.)
Der Autor beschreibt mehrere zu den sog. Formes frustes neigende Fälle von
Hyperthyreose, die durch Antithyreoidin Moebius deutlich beeinflußt wurden.
Die Pulszahl sank und blieb in 3 Fällen dauernd kleiner, während sich
auch objektiv eine ruhigere Herztätigkeit ergab. Der Halsumfang nahm
sichtlich ab und in allen Fällen war eine bedeutende Besserung des sub¬
jektiven Befindens unverkennbar.
Die sichere und geradezu spezifische Wirkung des Mittels darf nach
Laser als Beweis dafür gelten, daß die verschiedenen krankhaften Zu¬
stände durch vermehrte Tätigkeit der Schilddrüse bedingt waren.
Neumann.
M. J. Gurewitsch (Buraschewo), Über die Ergotinpsychose. (Zeitschr.
für die ges. Neur. und Psych., Bd. 5, H. 2.) M. Jahrmärker (Marburg),
Zur oberhessischen Ergotismusepidemie von 1855/56. (Ebenda.) Beide Arbeiten
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ergänzen sich, indem die erster© die Erscheinungen während der akuten Er¬
krankung, die letztere die Folgeerscheinungen bringt. Bei den meisten
Kranken spielt die Unterernährung eine Rolle. Alle Patienten haben die
für die Mutterkornerkrankung charakteristischen sehr schmerzhaften toni¬
schen Krämpfe durchgemacht, dieselben setzen bei Beginn der psychischen
Störung aus, doch zeigt sich dann noch starke Steigerung der mechanischen
Muskelerregbarkeit. In sehr vielen Fällen fehlten die Kniephänomene auf
der Krankheitshöhe, später stellen sich dieselben allerdings in abgeschwächter
Weise meist wieder ein. Die Schmerzempfindlichkeit ist meist herabgesetzt,
kann aber auch gesteigert oder normal sein. Psychisch sind vor allem die
Affektstörungen bemerkenswert und zwar meist in der Form der Depression
und der Angst. In allen Fällen bestand eine Herabsetzung der Aufmerksam¬
keit und der Merkfähigkeit, als Korrelat folgte häufig Amnesie. Nur bei
den schweren Fällen leidet die Erinnerungsfestigkeit, so daß es zum Schwach -
sinn kommt. Häufiger ist eine vorübergehende Verstumpfung, d. h. Herab¬
setzung aller intellektuellen Prozesse. Auf der Höhe der Erkrankung sind
Bewußtseinsstörungen in Gestalt von Dämmerzuständen sehr häufig. Häufige
Remissionen und Verschlechterungen sind im Verlauf die Regel. Die
Dämmerzustände ähneln den epileptischen durch den plötzlichen Beginn und
das schnelle Ende, durch die Amnesie und durch die Krampfanfälle. Ferner
sind beiden Erkrankungen gemeinsam die Labilität der Stimmung und die
krankhafte Reizbarkeit. — Den definitiven Ausgang der Erkrankung schil¬
dert J. an der Hand von Katamnesen. Bzgl. der auch von G. erwähnten
in dem Ausfall der Reflexion sich kundgebenden Hinterstrangserkrankung
ist bemerkenswert, daß es zum Fortschreiten des Prozesses im Sinne einer
Tabes nicht kommt. Die Prognose scheint sowohl hinsichtlich der Mortalität
als der restlosen Ausheilung schlechter zu sein als allgemein angenommen
wird. Mindestens die Hälfte wird nicht wieder völlig gesund. Schwerste
Störungen (Idiotie, starke Epilepsie) sind selten, in der Hauptsache blieb
die sog. Ergotismuskonstitution: Krampfziehen und andere mit Bewußtseins-
Verlust nicht einhergehende krampfartige Erscheinungen, z. B. Magenkrämpfe,
Kopfschmerz oft migränischer Natur, Schwindelanfälle, Krampfanfälle epilep¬
tischen Charakters, Reizbarkeit, Verstimmung und Angstzustände. Kinder
sind im allgemeinen besonders gefährdet. Die Ergotismuserkrankung scheint
keine Minderwertigkeit der Nachkommen zu erzeugen. Ergotismuskranke
Mütter können stillen ohne Schaden für das Kind. Zweig (Dalldorf).
Astwazaturow (Petersburg), Über Epilepsie bei Tumoren des Schläfen¬
lappens. (Monatsschr. für Psvch., Bd. 29, H. 4.) Aus der Literatur sowie
aus eigenen Fällen möchte A. raten, bei dem Gedanken an eine durch einen
Hirntumor bedingte Epilepsie in erster Linie eine Temporallappenerkrankung
in Betracht zu ziehen. Dabei scheint es sich vor allem um gliomatöse sub-
kortikale rechtsseitige Erkrankungen zu handeln. Aus dem klinischen Bilde
sei nur die Vielseitigkeit der epileptischen Erscheinungen und die fast
regelmäßig vorhandene Aura (Geschmacks-, Geruchs-, Gehörshalluz.) her¬
vorgehoben. Das vermittelnde Bindeglied zwischen Temporalerkrankung und
Epilepsie stellt vielleicht das Ammonshorn dar. Zweig (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säugiingsernährung.
H. T. Ashby (Manchester), ödem im Verlauf des gastrointestinalen
Katarrhs der Säuglinge. (Practitioner, Bd. 86, H. 5.) Bei kleinen Kindern,
die einige Zeit an Magendarmkatarrh gelitten haben, entwickelt sich nicht
selten ödem der Füße und Hände, zuweilen auch des Gesichts. Das ödem
tritt erst auf, wenn die Ernährung wieder regelmäßig geworden ist und
das Gewicht zmnimmt. In vielen Fällen ist im Urin etwas Eiweiß, in
andern aber, selbst wenn das ödem auf seinem Höhepunkt ist, keine Spur;
der Urin ist sauer, trüb, dunkel und übelriechend, enthält aber nie Blut
oder Zylinder. Die Nieren finden sich bei der Obduktion nicht oder nur
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unbedeutend verändert. Es handelt sieh also nicht um Nephritis, sondern
— nach A.s Ansicht — nur um eine unzureichende Funktion der Nieren
und Toxämie. A. vermutet, daß die Leber nicht hinreicht, um die von dem
rekonvaleszenten Darm gelieferten Produkte zu entgiften. Daß das ödem
zirkulato rischen Ursprungs ist, ist nicht wahrscheinlich, da der Blutumlauf
nicht besonders schwach zu sein pflegt.
Das Auftreten des Ödems ist ein ernstes Symptom, doch kommen viele
Kinder davon. Die Behandlung muß suchen den Ernährungszustand zu
heben, und zwar scheinen sich hierzu Nahrungsgemenge mit reichlichem
Eiweiß- und geringem Kohlehydratgehalt am besten zu eignen.
Fr. von den Velden.
A. K. Gordon, Einige Punkte in der Diagnose des Scharlachs. (Practit.,
Bd. 86, H. 5.) Je mehr man Scharlach sieht, desto weniger verläßt man
sich bei der Diagnose auf die Natur des Ausschlags. Da er ein toxisches
Erythem ist, so ist es nicht zu verwundern, daß andere toxische Erytheme,
z. B. bei akutem Gelenkrheumatismus oder follikulärer Tonsillitis, ähnlich
aussehen. Zwar hat hier das Erythem gewöhnlich nicht das punktierte
Aussehen wie bei Scharlach, aber auch bei diesem kann es so gleichförmig
sein wie bei der Schamröte. Ein Charakteristikum des Scharlachausschlags,
das aber durchaus nicht immer vorhanden ist, ist seine Anwesenheit und
Andauer in der Schambeugo und Achselhöhle. Ein Erythem irgendwelcher
Art, das innerhalb der zweiten ‘24 Stunden nach dem initialen Erbrechen
auf tritt, ist ein beinahe sicheres Zeichen von Scharlach.
Auch an dem Zustand des Halses allein kann man den Scharlach nicht
erkennen. Charakteristisch für Scharlach ist aber, daß das Krankheits¬
gefühl fortbesteht, wenn die Symptome im Rachen geschwunden und das
Fieber gefallen ist, im Gegensatz zu Tonsillitis.
Die Himbeerzunge ist überhaupt nicht charakteristisch, man sieht
sie auch bei Typhus und Pneumonie, ja sogar beim verdorbenen Magen;
tritt sie aber zusammen mit Belag im Rachen auf, so ist sie ein Zeichen
des Scharlachs.
Sehr unsicher ist die Diagnose nach dem Schwinden des Erythems
und vor dem Auftreten der Abschuppung. Dunkelbraune erhabene folli¬
kuläre Flecke an der Außenseite von Armen und Beinen sind charakteristisch
für Scharlach, aber nur in der Hälfte der Fälle vorhanden. Auch Albu¬
minurie bei sicher ausgeschlossener Diphtherie spricht sehr für Scharlach.
In der Periode der Abschuppung ist zu beachten, daß nicht jeder
Scharlach schuppt und daß nicht jedes Abschuppen auf Scharlach schließen
läßt, da es nach jedem Ausschlag ,zuweilen auftritt. Kleienförmige Ab¬
schuppung ist für nichts charakteristisch, es tritt auch bei ungewohnter
Reinlichkeit auf; charakteristisch für Scharlach aber ist das Schälen in
großen Lappen (Handschuhfingern). Abschuppung verbunden mit akuter
blutiger Nephritis ist so gut wie pathognomonisch für Scharlach; Otorrhöe
aber nicht, da sie nach jeder Tonsillitis auf treten kann.
Fehldiagnosen beruhen meist darauf, daß nicht der ganze Körper und
nicht wiederholt untersucht wurde. Fr. von den Velden.
Weißmann (Lindenfels), über die Behandlung des Keuchhustens mit
Eulatin. (Allg. med. Zentralztg., Nr. 17, 1911.) Das Präparat aus Amido-
und Brombenzoesäure und Antipyrin zusammengesetzt, ist kein Spezifikum,
verdient aber seiner guten symptomatischen Wirkung wegen alle Beachtung.
.Te früher es angewandt wird, um so schneller und auffälliger ist seine Wir¬
kung. Es hat keine unangenehmen Nebenwirkungen, vermindert die Anfälle
rasch hinsichtlich Zahl, Dauer und Intensität; endlich verwandelt sich der
krampfhafte Husten sehr rasch in einen lockeren, wodurch auch die Brech¬
neigung nachläßt. Dosis 0,25 alle 2 —4 Stunden oder Eulatin 3,0, Aq. Laurocer
2,5, Sir. spl. 10, Aq. destt ad 100,0 zweistündl. 1 Kinderlöffel; bei Er¬
wachsenen doppelte Dosis. v. Schnizer (Höxter).
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Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
C. Spengler (Davos), Tierexperimenteller Nachweis, Züchtung und
Färbung des Syphilis-Erregers. (Corr.-Bl. für Schweizer Ärzte, Nr. 15,
1911.) Spengler faßt seine Resultate folgendermaßen zusammen: Die
Spirochuete pallida Schaudinn-Hoffmanns ist eine Scheinfaden-Wuchsform
des alkohol- und säurefesten Syphilis-Ovoid-Bazillus und dem Warmblüter-
Organismus von Mensch und Kaninchen (weniger des Affen und Meer¬
schweins) eigentümlich. Der Spirochäten-Scheinfaden ist die Ursache des
Ulcus durum und mit Korn und seltenen Stäbchen auch der Sekundär-
syphilis. Korn und Stäbchen sind die Hauptrepräsentanten der Tertiär-,
syphilis. Alle Wuchsformen sind züchtbar. Das Stäbchen ist die kultur-
stabilste Form. Ganz selten sind relativ kulturstabile Spirochätenstämme
und Körner. Das sensibilisierte Kaninchen (d. h. das schon ein- oder mehr¬
fach mit Syphilis infizierte und spoutan ausgeheilte) ist ein äußerst feines
Reagens zum Nachweis spärlicher Keime im Blut, Peritonealflüssigkeit usw.,
auch latent Syphilitischer. — Zahlreiche Phthisen mit kopiösem Sputum
beruhen auf einer echten Syphilis-Tuberkulose-Mischinfektion ohne klini
sehe Symptome manifester Syphilis. Im Sputumkern findet man nach
Giemsa neben Tu berkuloseer regem oft massenhaft Spirochäten von Pallida -
und vom Refringenstypus (Pallidae mit Hülle), die sich tierexperimentell
und kulturell als echtes Syphilisvirus her ausstellen.
Wenn sich diese Befunde bestätigen, sind sie sehr merkwürdig und
eröffnen neue Ausblicke. Jedenfalls zeigen sie, daß die Frage des „Syphilis -
erregers“ nicht so abschließend beantwortet ist als gewöhnlich angenommen
wird. Fr. von den Velden.
Avellis (Frankfurt a. M.), Ehrlich-Hata in der laryngologischen Praxis.
Safranek (Budapest), Ehrlich-Hata’s Arsenobenzol bei syphilitischen Er¬
krankungen der oberen Luftwege. (Zeitschr. für Laryng., Bd. 3, H. 5, 1911.)
Nächst den* Dermatologen sind es die Laryngologen die am meisten mit der
Syphilis, und zwar in allen Stadien, zu tun haben. Daher sind ihre Er¬
fahrungen mit dem neuen Mittel, das so große Erwartungen geweckt und
zum Teil auch gerechtfertigt hat, von allgemeinärztlichem Interesse.
Die Methodik betreffend, verwendete Avellis die Injektion in die
liefen Sehultermuskeln, Safranek die subkutane Einspritzung am Rücken,
gelegentlich auch die intravenöse. Für die Zukunft wird — nach Avellis’
Meinung — die intravenöse Injektion die Normalbehandlung der frischen
Fälle sein, später aber durch ein muskuläres Depot ergänzt werden. Er
resümiert sein* Erfahrungen dahin, daß der Erfolg oft eklatant ist, insbe¬
sondere auch bei solchen Fällen, die anderen Mitteln gegenüber sich refraktär
verhielten; die Besserung tritt schnell ein, die Schmerzbeseitigung oft schon
nach Stunden. Kombination mit anderen Mitteln ist zulässig, jedoch sollte
Salvarsan der schnellen Wirkung wegen zuerst gegeben werden. Wasser¬
mann bleibt oft noch lange positiv.
Safranek sah gleichfalls nur einen Versager, in allen anderen
Fällen übertraf 606 an Raschheit und Intensität der Wirkung andere Anti-
luetika. Tertiäre Formen lieilten in 6—10, Sekundäre in 2—5 Tagen;
Ozäna besserte sich auffällig. In der Hälfte der Fälle trat Herxheimer’sche
Reaktion auf. Schmerzen verschwanden nach 2—3 Tagen. Auf die Frage
der Rezidive, die von anderer Seite jk öfters beobachtet wurden, können
beide Arbeiten keine Auskunft geben. Arth. Meyer (Berlin).
G. R. Swinburne (New York), Striktur der Urethra; warum sie
seltener geworden ist; diagnostische Irrtümer. (Amer. Journ. of Surgery,
Nr. 5, 1911.) Strikturen können auch ohne jede Urethralentzündung ent¬
stehn, so hat S. eine im vorderen Drittel beobachtet, die auf Masturbation
beruhte. Die Striktur ist und war besonders eine häufige Folge der Abortiv¬
behandlung mit starken Höllensteinlösungen und unvorsichtigen Sondierens,
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Referate und Besprechungen.
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bei dem kleine Verletzungen mit folgender Harninfiltration gemacht waren.
Die Abortivbehandlung scheint zunächst wirksam zu sein, hat aber ge¬
wöhnlich später Prostatitis, Epididymitis und Strikturen zur Folge (das
hindert nicht, daß sie alle paar Jahre von neuem angepriesen wird). Ein
großer Fehler ist es, ohne zwingenden Grund bis in die Blase zu sondieren,
da trotz aller Sorgfalt Blasenkatarrhe die häufige Folge sind.
Die Diagnose wird oft irrtümlich auf Striktur gestellt, wenn in
Wahrheit ein Krampf des M. compressor, verursacht durch eine ITlzeration
in der hinteren Harnröhre, vorliegt. Der Krampf hört auf, wenn das Ge¬
schwür durch örtliche Behandlung beseitigt wird.
Sehr verbreitet ist die Meinung, daß, wo ein chronischer Tripper ist,
auch eine Striktur sei. S. dagegen behauptet, daß in den meisten Fällen
chronischen Ausflusses keine Striktur da sei, sondern eine Läsion in der
hinteren Urethra. Eine Striktur macht sehr gewöhnlich chronischen Aus¬
fluß, aber nicht umgekehrt.
Es ist ein Irrtum, wenn man die Strikturen dem Patienten aufs Konto
schreibt und für eine Folge der Vernachlässigung der Trippers ansieht: in
der Regel beruhen sie vielmehr auf allzu aggressiver Behandlung.
Fr. von den Velden.
M. W. Ware (New York), Die Sterilisation und aseptische Auf¬
bewahrung gewobener Katheter. (Amer. Journ. of Surgery, Nr. 5, 1911.)
An Stelle der gebräuchlichen Verfahren, deren Nachteile hier nicht auf-
gezählt zu werden brauchen, setzt W. das folgende: Abwaschen mit warmem
• Wasser und Seife und Durchspritzen, dann nochmals Waschen mit reinem
Wasser; Trocknen (sehr wichtig, da die Katheter sonst die Dampf-
Sterilisation nicht vertragen), äußerlich mit Gaze, innerlich durch Durch -
blasen (Gebläse eines Thermokauters, Sauerstoffbombe), dann liegen lassen
während mehrerer Tage; Einwickeln in Pergamentpapier und Sterilisieren im
strömenden Dampf, am besten zweimal, erst eine halbe Stunde, nach einigen
Stunden nochmals kürzer. Die Katheter bleiben bis zum Gebrauch in der
Papierhülle. Fr. von den Velden.
Ohrenheilkunde.
H. Frey (Wien), Die Beziehungen der Syphilis und der antisyphili¬
tischen Therapie zum Gehörorgan. (Die Heilkunde, Ärztl. Standeszeit.,
Nr. 11.) Die luetischen Affektionen des inneren Ohres zerfallen in luetische
Infiltrationen oder Exsudationen im Bereiche des Labyrinthes selbst oder in
Veränderungen am Stamme des Nervus VIII., also in labyrinthäre und in
retrolabyrinthäre. Sehr oft vergehen Jahre, während deren die Syphilis
latent blieb, ehe solche Erscheinungen am Gehörorgane uns wieder auf sie
aufmerksam machen. In anderen Fällen aber treten sie verhältnismäßig früh
auf. Die klinischen Symptome dieser Erscheinungen des inneren Ohres ver¬
halten sich verschieden, je nachdem, ob nur einer oder beide Abschnitte des
Sinnesapparates in Mitleidenschaft gezogen sind. Das innere Ohr beherbergt
näjnlich nicht nur die Endausbreitungen des Ramus cochlearis, des acusticus
(in der Schnecke), sondern auch die des Ramus vestibularis (in den Bogen-
«rängen und dem Vorhof), so daß wir akustische wie auch vestibuläre Erschei¬
nungen zu erwarten haben. Betrifft die Erkrankung das eigentliche Laby¬
rinth, so treten sowohl Störungen des Hörapparates (Schwerhörigkeit bis
Taubheit, Falsch- und Doppelhören, Subjektive Geräusche) als auch Störungen
vestibulären Charakters (Schwindel, Nystagmus, Erbrechen) auf. Kommen
diese Symptome plötzlich zum Vorschein, so entsteht das Bild der Meniere-
schen Krankheit. Lokalisieren sich aber die Veränderungen retrolabyrinthär,
dann finden wir entweder akustische oder vestibuläre Symptome isoliert.
Dies betrifft die akquirierte Lues. Aber auch bei der hereditären Lues
finden wir höhergradige Schwerhörigkeit (Hutchinson’sche Trias). Auch bei
der hereditären Lues treten die Labyrintherscheinungen entweder plötzlich
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Referate und Besprechungen.
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oder schleichend auf. Sie sind ein nicht zu vernachlässigender Faktor für
die Taubstummheit. Unter den Zöglingen der Taubstummenschule finden
wir einen großen Prozentsatz mit + Wassermann. S. Leo.
G. Brühl, Über Otosklerose. (Arch. int. de lar., Bd. 31, H. 1 und
Berl. klin. Wochenschr., Nr. 50, 1910.) Als Otosklerose wird ein Zustand
fortschreitender Schwerhörigkeit bezeichnet, welcher bedingt wird durch
ein Hindernis der Zuleitung der Schallwellen zum nervösen Apparat.
Dies Hindernis setzt ein an der empfindlichsten und wichtigsten Stelle des
schal leitenden Apparats, nämlich an der Verbindung der Fußplatte des Stapes
mit der Labyrintlikapsel. Hier entstehen spongiöse Hyperostosen, welche
sich deutlich von der kompakten Labyrinthwand unterscheiden und mit der
Zeit zu völliger Ankylosierung des Stapes führen. Ihr Sitz ist vorzugs¬
weise die vordere obere Begrenzung des ovalen Fensters; es ist anzunehmen,
daß sie durch Zugf- “und Druckkräfte entstehen, welche von der dicht vor-
beiziehcuden Sehne des kräftigen Muse, tensor tympani ausgehen. Neben
dieser, der eigentlich charakteristischen, Lokalisation kommen spongiöse
Herde auch in der Tiefe der Labyrinthwand, fern vom ovalen Fenster vor;
sie scheinen den nicht seltenen Fällen von Sklerose zu entsprechen, in denen
Symptome „nervöser“ Schwerhörigkeit neben der durch das Leitungshinder
ii Ls bedingten bestehen.
Aus dieser Erkenntnis der anatomischen Veränderungen erklärt sich
die Machtlosigkeit der bisherigen Therapie, erhellt insbesondere auch die
Nutzlosigkeit intranasaler Eingriffe. B. hält es dagegen für wahrschein¬
lich. daß in Fällen, wo e<s noch nicht zur Ankylosierung des Stapes ge¬
kommen ist, die Durchschneidung der Tensorsehne dem Fortschreiten des
Prozesses Einhalt tun könnte; in Fällen völliger Ankylose wäre vielleicht
Anlegung einer Gegenöffnung im Bogeuganggebiet in Betracht zu ziehen (?).
Arth. Meyer (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
J. Kauert (Düren), Erfahrungen mit Hormonal bei chronischer Obsti¬
pation und paralytischem Ileus. (Miinchn. med. Wochenschr., Nr. 17, 1911.)
„Hormonal ist ein in sämtlichen Organen, vornehmlich aber in der Milz vor¬
kommender chemischer Körper, der einen spezifischen Reiz auf die die Darm¬
peristaltik erregenden Zellkomplexe ausübt.“ Es wurde in Dosen von ge¬
wöhnlich 15 ccm intraglutaeal oder intravenös injiziert und kurz darauf
Rizinus oder Senna oder ein sonstiges Schiebemittel nachgeschickt. Auf
diese Weise wurde in 5 von 9 Fällen von schwerer, chronischer Obstipation,
nachdem selbst Drastica wirkungslos geworden waren, ein sicherer Erfolg
erzielt, in 2 Fällen ein Dauererfolg, der bei dem Scheitern jeder andern
vorher versuchten Therapie immerhin bemerkenswert ist. Besonders erfolg¬
reich erwies sich das Mittel aber in 6 Fällen von paralytischem Ileus
bei diffuser, eitriger Peritonitis. Hormonal, kombiniert mit Senna bewirkte
nach 2 —26 Stunden reichliche Stuhlentleerung und behob in mehreren Fällen
die Obstipation endgültig. R. Isenschmid.
Bauer (Schwäbisch-Gmünd) hat mit Pnigodin (Zimmet, schwarzer Hol¬
lunder, ein Glykosid, das Pnigodin, und Gerstenmalz) bei Keuchhusten er¬
freuliche Erfolge gehabt: Aufhören des Erbrechens, Wandlung des trockenen
Katarrhs und des krampfhaften Hustens in einen gelösten krampflosen. Den¬
selben günstigen Erfolg erzielte er bei Bronchitiden. v. Schnizer (Höxter).
Bei schweren, oft fatalen Kokainvergiftungen, namentlich in Zahn-
heilkunde, bemerkte Engstad fast sofortigen Erfolg durch Ätherinhala¬
tionen, tropfenweise bis zur schwachen Narkose. Hier kommt namentlich
die Eigenschaft des Äthers als Stimulans für Respiration und Herztätigkeit
in Frage. (Les nouv. remedes, Nr. 22, 1910.) v. Schnizer (Höxter).
Druck von Emil Herr mann senior in Leipzig.
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1911,
29. Jahrgang.
r - ■ ■
i : Tortscbriitc der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her»uBgegeb«n ron
Professor Dr. 6. Köster Prie.-Dox. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigi er in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich sum Preise von 5 Mark
Nr. 35.
iflr dos Halbjahr.
31. August.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Lieber die Therapie der Leukämie.
Von Privatdozent Dr. Hermann Lildke, Würzburg.
(Schluß.)
.Quincke schlug auf Grund einiger Beobachtungen eine Behand¬
lung der Leukämie durch Tuberkulininjektionen vor. Diese Therapie
beruhte auf dem verständlichen Prinzip, eine Umstimmung der bei
der Leukämie in abnormen Bahnen sich bewegenden formativen Tätig¬
keit von Knochenmark und Lymphdrüsen zu erreichen. Aber in den
drei von Weitz beschriebenen Fällen, die mit Tuberkulin behandelt
worden sind, wurde eine ausgeprägte Beeinflussung der Leukozyten¬
werte nicht oder nur vorübergehend erzielt und eine Vermehrung der
Erythrozyten fehlte.
Am Ende muß sich die Leukämietherapie damit begnügen, gefahr¬
drohende Symptome zu bekämpfen und durch eine rationelle Diät den
Eintritt des stärksten Zerfalls von Organeiweiß, wie er in*den späteren
Stadien der Leukämie zutage tritt, hin auszuschieben. Bei der akuten
Leukämie kann auch diese Behandlungsweise kaum große Erfolge bean¬
spruchen. Gegen die Blutungen, wie sie bei der akuten aber auch
der chronischen Leukämie Vorkommen, sind Ergotin, Gelatineinjektionen
zu empfehlen. Die oft während der Dauer der chronischen Leukämie,
auftretenden Komplikationen, wie Pleuritiden, Pneumonien, Bronchi¬
tiden, die Störungen der Magen- und Darmverdauung, müssen sorg¬
fältig behandelt werden. Zur Appetitanregung wurde von Veh'se-
meyer den Gebrauch von Berberis vulgaris vorgeschlagen, das sowohl
als Fluidextrakt aus der Wurzclrinde als auch als Berber in. sulf. in
Pillen oder Pulverform gereicht werden kann. Berberis erwies sich
als brauchbares Stomachikum, auch eine starke Darmträgheit wurde
durch Tagesdosen von 1,5 Berberin mit Erfolg bekämpft.
Im übrigen ist bei der Leukämie eine kräftige, stickstoffhaltige
Diät empfehlenswert, zumal der gut ernährte Körper eher der Krank¬
heit widerstehen kann als der durch die Kachexie geschwächte. Neben
der Diät ist eine mäßige, methodische Bewegung im Freien, ein Ver¬
meiden körperlicher Anstrengung zu verordnen.
Intensivere Diarrhöen müssen durch Opium und Tannigen, dyspep¬
tische Symptome durch Regelung der Diät, die hämorrhagische Diathese
muß durch Hämostyptizis bekämpft werden.
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Hermann Lüdke,
Die Radiotherapie wurde von Senn (1903) und Pusey (1904)
in die Behandlung- der Leukämien eingeführt. Eine große Zahl von
Arbeiten beschäftigte sich seitdem mit der Erforschung der Wirkungen
der Röntgenstrahlen bei leukämischen Patienten sowohl wie im Tier¬
versuch. Stoffwechselimtersuchungen bei den bestrahlten Leukämikem
wurden angestellt, das leukoly tische Vermögen des Blutserums vor und
nach den Bestrahlungen geprüft. Es stellte sich dabei heraus, daß
durch die Bestrahlung der Milz die Ausscheidung der Harnsäure im
Urin zunächst zunimmt, aber mit der Abnahme der Leukozyten zahl
und einer Besserung des Allgemeinbefindens wieder abnimmt und end¬
lich sogar bis unter die Anfangswerte sinkt. Daraus ist zu schließen,
daß die Ursache der am Ende festzustellenden Veränderung der Leuko¬
zyten nicht auf einen gesteigerten Zerfall, sondern auf einer veränderten
Bildung derselben als Folge der durch die Strahlen bewirkten Zerstörung
der Leukozytenproduktionsstätten beruht.
Von der Mehrzahl der Autoren wurde gleich nach Einführung
der Radiotherapie in die Leukämiebehandlung eine Verminderung der
Zahl der Leukozyten sowohl wie eine Verbesserung des Blutbildes fest¬
gestellt.
Erwähnenswert zur Erläuterung der Strahlenwirkung bei der Leu¬
kämie sind einige Tierexperimente. Heineckes Untersuchungen führten
zu dem Ergebnis, daß die Röntgenstrahlen von den Vorgängen am Deck¬
epithel ganz unabhängige anatomische Veränderungen auslösen, die,
abgesehen von den Störungen der Hodenfunktion, ganz besonders die
zur Blutbereitung dienenden Organe betreffen und sich einmal in der
Vernichtung des lymphoiden Gewebes, dann im Untergang der Zellen
der Milzpulpa und des Knochenmarks äußern. E. Meyer und Eisen
reich konnten bei der Bestrahlung normaler Leber und Milz keinen
Einfluß auf einen autolytischen Prozeß feststellen, während Heile
fand, daß der autolytische Zerfall der Milz bei Tieren auf Röntgen¬
bestrahlung gegenüber den nichtbestrahlten Tieren eine Beschleuni¬
gung erfuhr.
Kasuistische Berichte über die Röntgenbehandlung bei Leu¬
kämien liegen in großer Zahl vor. Ein ganz klares Bild über den
Effekt der Radiotherapie läßt sich hieraus nicht gewinnen; sehr ab¬
weichende Urteile über den Wert der Röntgenbehandlung bei der Leu¬
kämie sind laut geworden. Jedoch kommen erfahrungsreiche Beobachter,
wie Grawitz u. a. am Ende zu dem Schluß, daß die Radiotherapie
eine bedeutungsvolle Bereicherung im Ileilplan der Leukämien a.us-
macht. Wichtig ist nach Grawitz, daß die Kranken möglichst statio¬
när in Bettruhe unter gleichzeitiger Anwendung von Arsen zu be¬
handeln sind.
Der Erfolg der Röntgenbehandlung der Leukämien spricht, sich
besonders in den Fällen von myeloischer Leukämie aus, während die
Lyinpliämien seltener günstig beeinflußt werden. In etwa 90°/ 0 finden
wir eine günstige Einwirkung der Röntgenstrahlen bei myeloischen
Leukämien und in etwa 65°/ 0 bei der lymphatischen Form. Weit fort¬
geschrittene Erkrankimgsformen bleiben gewöhnlich der günstigen Strah¬
leneinwirkung entzogen. Daher ist die Frage des Beginns der Be¬
handlung im frühen' Stadium von großer Bedeutung, da später die
Bestrahlungen nur viel vorsichtiger vor genommen werden können.
Die Röntgenbestrahlungen werden mittels der Albers-Schön¬
berg sehen Kompressionsblende vorgenommen. Die Blende wird der
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Über die Therapie der Leukämie.
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Körperoberfläche angedrückt, wodurch der Schutz der Umgebung, der
sonst durch Auflegen von Bleiplatten erzielt wurde, überflüssig wird.
Der Härtegrad der Röhren muß bei jeder Bestrahlung bestimmt werden
(mittels Walterskala bestimmt, dem 4.—6. Härtegrad gewöhnlich ent¬
sprechend). Zur Verhütung der Radiodermatitis und zur Absorption
der Strahlen in den tiefergelegenen Organen, wie der Milz, werden nur
harte Böhren verwandt.
Zunächst sind kürzerdauernde Bestrahlungen zu empfehlen,
um heftige radiotoxische Symptome zu vermeiden. Von solchen radio-
toxischen Symptomen bemerkt man Schwächegefühl, Unwohlsein,
Diarrhöen, Erbrechen, meist nur in angedeuteter Form. Die Radio*
dermatitis ist bei der heute üblichen Technik sehr selten geworden.
Auch die Entstehung einer Perisplenitis wird durch kürzerdauernde
Bestrahlungen zu Beginn der Therapie meist vermieden. Diese Peri¬
splenitis, eine der unangenehmsten Folgen der Röntgenbehandlung,
äußert sich meist in starken Schmerzen in der Milzgegend, Temperatur¬
erhöhung, so daß von einer fortgesetzten Bestrahlung Abstand ge¬
nommen weiden muß. Wie von Engel und v. Elischer mit Recht
betont wurde, ist zudem anzunehmen, daß durch eine abgelaufene
Perisplenitis die Empfindlichkeit der Milzkapsel gesteigert wird, ähnlich,
wie wir nach einer überstandenen Dermatitis eine Steigerung der Haut¬
sensibilität beobachten können. Somit müssen die Bestrahlungen zu
Beginn der Behandlung sehr vorsichtig mit kurzer Expositionszeit
vorgenommen werden.
Neben den oben angedeuteten radio toxischen Sjmiptomen, die im
Anfang der Behandlung öfter einsetzen, wäre noch das gelegentliche
Auftreten von Fieber und von Albuminose zu erwähnen. Es ist anzu¬
nehmen, daß diese Symptome auf die Resorption von Fermenten, die
beim Gewebszerfall frei werden, zurückzuführen sind.
In einzelnen Fällen wurde eine akute Verschlimmerung des leu¬
kämischen Prozesses, meist in hohem, remittierendem Fieber, Diarrhöen
und Herzschwäche bestehend, beobachtet. Wenn auch neben diesen,
den baldigen Exitus ankündigenden Erscheinungen die Milzschwel hing
abnahm, die Drüsen sich verkleinerten, so sind wir doch eher geneigt,
die Ursache des Todes in diesen Fällen in der Intoxikation zu sehen,
die wir auch sonst in schwereren Leukämie fällen ohne vorangehende
Bestrahlung beobachten können.
Die Besserung durch die Röntgentherapie kann in manchen Fällen
schon 8—14 Tage nach dem Einsetzen der Bestrahlung festgestellt
weiden, v. Elischer und Engel beobachteten im allgemeinen nach
6—8 Expositionen und 40—60 Minuten Bestrahlung schon deutliche
Wirkungen. Die Dauer der Erkrankung, ihre Akuität, die Intensität
der Blut- und Knochenmarks Veränderungen, der Allgemeinzustand müs¬
sen die Wirksamkeit der Bestrahlungstherapie beeinflussen.
Die ersten Erscheinungen der Besserung pflegen in der Hebung
des Appetits, des Schlafs, Verschwinden der Schmerzen und der febrilen
Temperaturen zu bestehen. Eine Verminderung der Zahl der weißen,
ein Steigen der Zahl der roten Blutkörperchen pflegt damit Hand in
Ifana zu gehen. Nach kurzer fortgesetzter (120 150 Minuten) Be¬
strahlung nimmt die Verbesserung des Blutbefundes zu, die Milzschwel¬
lung nimmt meßbar ab, ebenso die Drüsenschwellungen. Nach zwei-
bis dreimonatlicher Bestrahlung (ea. 500 Minuten Dauer) findet, man im
günstigsten Falle normale Zahlen der Erythrozyten, fast normale Zahlen
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Hermann Lüdke,
der Leukozyten, eine starke Verkleinerung der Milz und eine erhebliche
Zunahme des Körpergewichts.
Betrachten wir die Symptome der Besserung durch die Röntgen¬
bestrahlung im einzelnen. Zunächst wurde eine Vermehrung der Ery¬
throzyten neben einem Sinken der Zahl der weißen Blutkörperchen ge¬
funden. Diese Vermehrung der roten Blutscheiben ist mit größter
Wahrscheinlichkeit darauf zurückzu führen, daß durch die Strahlung
eine Degeneration des leukoblastischen Gewebes veranlaßt wird, wodurch
das erythroblastische Gewebe sich erholt und eine genügende Stärkung
seiner Funktion, der Produktion von Leukozyten, erfährt. Zugleich
mit der Zunahme der Zahl der roten Blutkörperchen steigt auch der
Hämoglobingehalt. Sinkt zu Beginn der radiologischen Behandlung
die Zahl der roten Blutkörperchen, so ist diese als radio toxisches Sym¬
ptom aufzufassende Erscheinung ohne weitere Bedeutung für den Be¬
handlungsverlauf. Es sind jedoch auch seltene Fälle bekannt, in denen
sich eine fortschreitende Anämie infolge der fortgesetzten Bestrahlung
ausbildete. Hier muß die Bestrahlung möglichst bald ausgesetzt werden.
Die Röntgenstrahlen üben auf Sarkomzellen, auf die Zellen des
lymphatischen Gewebes, wie auf die Zellen der leukämisch-hyperplasti¬
schen Milz einen zerstörenden Einfluß aus. Wir sprechen von einer
Radiosensibilität (der leukämischen Hyperplasien. Es kann beob¬
achtet werden, daß in wenigen Wochen riesige Milzvergrößerungen durch
die fortgesetzten Bestrahlungen fast die normale Größe der Milz an¬
nehmen. Bindegewebswucherung. Veränderungen der Zellen war das
anatomische Substrat bei der Obduktion. Mit dieser Milz Veränderung,
bei der Leukozyten bildendes myeloisches Gewebe zerstört wird, muß
auch eine Verminderung der weißen Zellen in der Blutbahn Hand in
Hand gehen. Bei der lymphatischen Leukämie spielen sich ähnliche
Prozesse ab.
Eine andere Ursache bei der Verminderung der Zahl der Leuko¬
zyten besteht in der Fern Wirkung der Strahlung. Man findet zuweilen
bei noch deutlich vorhandenen mächtigen Milztumoren eine stärkere
Abnahme der Leukozytenzahlen. Lossen und Morawitz wiesen mit
nach, daß bei isolierter Milzbestrahlung auch an anderen zytoblastischen
Orten Degenerationen des myelo blas tischen Gewebes ein traten. Sie be¬
strahlten nur die Milz und fanden ein stetes Absinken der Zahl der
Leukozyten. Bei der Sektion war eine hochgradige Armut an weißen
Zellen des Knochenmarks nachweisbar. Bei der lymphatischen Leukämie
verkleinern sich lediglich die bestrahlten Drüsenkomplexe; eine Fera-
wirkung besteht nicht.
Neben der Verminderung in der Produktion der Leukozyten kommt
derer Abnahme noch durch einen gesteigerten Zerfall zustande.
Einmal spricht hierfür die leichte Zerreißlichkeit der Leukozyten, welche,
die Franzosen Leuoocytes en histolyse nannten, neben der meist nach¬
weisbaren starken Abnahme der myeloischen. Zell typen. Es scheint so¬
mit, als ob die Sensibilität der Myelozyten den Röntgenstrahlen gegen¬
über ganz besonders stark ausgeprägt ist., Die Wirkung der Bestrah¬
lung beruht nach der Angabe mehrerer Untersucher darauf, daß sich
im Blut bestrahlter Leukämiker Zellgifte, Leukolysine, bilden sollten,
die einen Leukozyten zerfall her vorrufen würden. Diese Angaben wurden
jedoch widerlegt. Man nimmt nun an, daß die Wirkung der Röntgen
strahlen teils direkt auf die Blutbildungsstätten erfolgt, teils darauf
beruht, daß Substanzen entstehen, die hemmend auf die Neubildung
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Über die Therapie der Leukämie.
m
von Leukozyten in anderen, nicht direkt bestrahlten Teilen des hämato-
pon tischen Apparates ein wirken.
Die Besserung, die durch die Radiotherapie bei der Leukämie
erzielt wird, besteht lediglich in einer Dilatation und Remission
der Erkrankung. Vielfach ist diese Besserung nur recht kurz be¬
messen. Nach bald eingetretener Besserung durch die Radiotherapie
stellt sich ein Rezidiv ein. Die Beschwerden im Allgemeinbefinden
kehren wieder zurück, die Milz schwillt von neuem an, die Zahlen der
weißen Zellen steigen an. Bestrahlt man von neuem, so gehen diese
Symptome wieder zurück. Ein de finitiv geheilter Fall von Leukämie
ist bislang nicht bekannt, wohl aber solche Fälle, in denen durch ener¬
gische, in Intervallen fortgesetzte Bestrahlungen der Krankheitsprozeß
über 5—6 Jahre hingezogen wurde. Schreitet der leukämische Prozeß
langsam fort und erfolgen fortgesetzte Bestrahlungen, so scheint mit
der Zeit die Wirksamkeit der Röntgenstrahlen nachzulassen.
Fassen wir die Erfolge der Radiotherapie bei der Leukämie zu¬
sammen, so müssen wir zunächst betonen, daß die Bestrahlungstherapie
möglichst in frühem Stadium der Erkrankung einzusetzen hat.
Akute Fälle, besonders die unter septischen Erscheinungen einsetzenden,
eignen sich nicht für die Bestrahlung. Ist die Erkrankung schon vorge¬
schritten; so muß die Intensität der Bestrahlung gesteigert werden, wo¬
durch jedoch die Gefahren der radiotoxischen Schädigungen wachsen
können. Im Beginn der Behandlung nimmt man kürzere Bestrahlungen
vor, um nicht die radiosensible Milzkapsel zu entzünden, um nicht
stärkere radiotoxische Erscheinungen zu veranlassen. Nach etwa zehn
Sitzungen werden die Bestrahlungen für 8—10 Tage sistiert, um die
Nachwirkung der S t rahlentherapie beobachten zu können. Bei der
Leukämie werden große Gewebsmassen bestrahlt, infolgedessen ist die
absorbierte Strahlenmenge eine sehr l>edeutende und die Nachwirkung
auch eine intensivere. Während dieses freien Intervalls muß der Zu¬
stand des Kranken genau geprüft werden, das Gewicht gemessen, das
Blut untersucht werden. Sobald ein deutliches Sinken der Zahlen der
weißen Zellen mit einer Hebung des Allgemeinbefindens eintritt, kann
die Behandlung unterbrochen werden, da infolge der Nachwirkung der
Strahlen (ein weiteres Absinken der Leukozytenzahlen meist erfolgt.
Während des Aussetzens der Behandlung muß der Zustand des Patienten
genauestens beobachtet, das Blutbild sorgfältig geprüft werden, um
bei ein tretender Verschlimmerung die Behandlung wieder aufzunehmen.
Die Verwertung kleiner Strahlenmengen mit guter Ausnutzung (der
Spätwirkung der Bestrahlungen bildet das wesentliche Prinzip der radio¬
therapeutischen Leukämiebehandlung.
Nach allen bisherigen Erfahrungen ist der Einfluß der Röntgen¬
strahlen auf den leukämischen Prozeß ein günstiger. Die Verminderung
der Zahl der weißen, die Zunahme der roten Blutelemente, die Volum-
abnahme der vergrößerten Milz und Leber, die Besserung des KräfUr¬
zustands, sowie die Zunahme des Körpergewichts sind die bemerkenswer¬
testen Symptome dieser günstigen Wirkung. Nach dem Aussetzen der
Behandlung hört aber der therapeutische Effekt meist ziemlich rasch
auf. Durch wiederholte Bestrahlungen kann wohl noch öfter eine
neuerliche Besserung erzielt werden, meist jedoch läßt sich der Er¬
krankungsprozeß schwer nur oder überhaupt nicht mehr aufhalten.
Die lymphatischen Fälle sind in dieser Beziehung die ungünstigeren.
Sicher geheilte Leukämiefälle sind in der Literatur bislang nicht be-
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Hermann Lüdke, Über die Therapie der Leukämie.
kannt. Die Statistiken gaben auch keinen zufriedenstellenden Auf¬
schluß bisher darüber, flir wie lange Zeit das Leben der Leukämiker
durch (die Behandlung verlängert werden kann. Wir fügen noch die
G rawitz'sclien Beobachtungen über die Radiotherapie und zwei von
unseren Fällen, in denen die Bestrahlungstherapie versucht wurde,
hier an. Bei 41 Patienten mit gemischtzelliger (26) und lymphatischer
(15) Leukämie wurde llinal ein vollkommener Erfolg der Bestrahlung,
27 mal ein unvollkommener Effekt erreicht und nur dreimal versagte
die Radiotherapie. Von den 10 erfolgreich behandelten Fällen erlitten
drei nach ein- bis zweijährigem Wohlbefinden Rezidive, sie sind nachher
gesund geblieben.
In Kürze berichte ich über zwei mit gewissem Erfolg behandelte
Fälle von Leukämie, in denen die Bestrahlungstherapie verwertet wurde.
I. 40jähriger Fabrikant. Die Anamnese bietet keine Besonder¬
heiten. Krankheitsgefühl seit ca. % Jahre erst. Druck und Völlegefühl
im Abdomen, ab und zu ziehende, erträgliche Schmerzen im linken
Hypochondriuin. Heredität: Mutter an Karzinom gestorben.
Diagnose: ‘Gemischtzellige Leukämie. 3170000 Erythrozyten,
132000 Leukozyten (zahlreiche eosinophile und neutrophile Myelozyten,
vereinzelte Normoblasten), 45% Hämoglobin (nach Sahli). Leber wenig
vergrößert, geschwollene Drüsen nicht nachzuweisen. Die Milz reicht bis
zum Kabel. Kein pathologischer Urinbefund, die Temperatur ist normal.
Die Bestrahlungen (mit mittelharten Röhren) erfolgten zweimal
in der Woche, Bestrahlungsdauer 10—15 Minuten. Im ganzen 17 Be¬
strahlungssitzungen, wobei Milz und die Röhrenknochen der Bestrah¬
lung unterworfen wurden. Arsen wurde (Solut. Fowler) in den ersten
drei Wochen gegeben. Nach neun Bestrahlungen war der Blutbefund
der folgende: 4230000 Erythrozyten, 60% Hämoglobin, 40000 Leuku
zyten. Nach 17 Bestrahlungen: 5260000 Erythrozyten, 75% Hämo¬
globin, 12000 Leukozyten. Im Blutbild fanden sich jetzt keine kern¬
haltigen roten Blutscheiben mehr, ganz vereinzelte Myelozyten konnten
nachgewiesen werden. Die Milz überragt aber den linken Rippenbogen.
An Körpergewicht hat der Patient zugenommen, das Allgemeinbefinden
ist durchaus zufriedenstellend.
Späterhin wurde der Patient noch in Etappen geröntget; er starb
ca. 2% Jahr nach der ersten Bestrahlung.
II. 32 jährige Frau. Heredität olme Belag. Die Anamnese ergibt,
daß sie sich seit etwa 1 / 2 Jahr krank fühlt. Beschwerden: Abmagerung
und Anschwellung des Leibes. Diagnose: Myeloische Leukämie. Blut-
befund: 2430000 Erythrozyten, 25% Hämoglobin, 350000 Leukozyten.
Im Blutbefund finden sich neben einigen kernhaltigen roten Zellen zahl¬
reiche Myelozyten. Urin frei, Temperatur normal. Die Milz reicht
handbreit über den Nabel, Leber wenig vergrößert, geschwellte Lymph-
drüsen fehlen. Nach sieben Bestrahlungen (ohne medikamentöse Be¬
handlung) schon erhebliche Besserung des Allgemeinbefindens, die Milz-
vergTößerung geht sichtbar zurück. Der Blutbefund ist der folgende:
3800000 Erythrozyten, 50% Hämoglobin, 182000 Leukozyten. Nach
16 Bestrahlungen war die Besserung noch weiter fortgeschritten: 65%
Hämoglobin, 41000 Leukozyten, 4130000 Erythrozyten. Die Milz über¬
ragte den Rippenrand nur wenig. — Zw^ei Jahre nach der ersten Behand¬
lung ist die Kranke gestorben.
Die Prognose — quoad vitarn ist trotz der Einführung der
Radiotherapie, trotz einiger Verbesserungen der medikamentösen Thera-
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O Burwinkel, Die Behandlung der Herzklappenfehler.
8^3
pie, eine ungünstige geblieben. Die Mittel, die bei der chronischen
Leukämie mit einiger Aussicht auf Erfolg verwandt werden, lassen bei
der akuten Form der Erkrankung vollkommen im Stich. Arsen, Be¬
strahlungen, Organpräparate, Injektion defibrinierten Blutes führen
zu keinem Erfolg.
Eine wesentliche Einwirkung auf die Krankheitsdauer wird auch
durch die therapeutischen Bestrebungen bei der chronischen Leukämie
nicht erzielt; die Abwendung des tödlichen Ausgangs wird niemals er¬
reicht. Lokale Eingriffe erwiesen sieh nicht nur als nutzlos, sondern
auch als gefährlich. Das einzige Medikament, das in einer gewissen
Zahl von Fällen günstige Besserungserfolge aufzuweisen hat, ist das
Arsen. Rezidive werden allerdings durch Arsengebrauch nicht ver¬
hütet, der letale Ausgang wird lediglich hinausgeschoben. Die Radio¬
therapie leistet bei frühzeitiger Einsetzung der Bestrahlung Gutes; die
Dauer des Erkrankungsprozesses wird durch die Bestrahlungen merklich
hinausgeschoben. Und in allen Fällen muß die symptomatische Thera¬
pie ein greifen, die nach den allgemein gütigen Methoden die Leiden der
Kranken möglichst erleichtern und den Kräftezustand möglichst lange
erhalten soll.
Die Behandlung der Herzklappenfehler.
Von Dr. 0. Burwinkel, Kurarzt in Bad Nauheim.
(Schluß.)
Welches ist die Therapie bei beginnender und aus¬
gesprochener Dekompensation ? Das erste und vortrefflichste
Mittel ist hier Ruhe und zwar vollkommene Ruhe im Bett, nicht nur
auf der Chaiselongue oder im Fauteuil. Die Dauer der Ruhe ist bei
Zuständen leichter Herzschwäche auf zwei Wochen, bei höheren Graden
auf sechs Wochen auszudehnen. Sodann sind etwaige schädigende
Momente auszuschalten, wie Abusus eerevisiae, Nikotinmiß brauch,
plethorische Zustände, Adipositas u. dgl. Bei leichteren Graden der
Dekompensation treten als erste Zeichen verlangsamter Zirkulation
zunächst Stauungen in den drüsigen Organen des Unterleibs auf: zur
Beseitigung der Leberschwellung und des Magenkatarrh es sind oft nur
milde Abführmittel erforderlich. Hat sich das Herz erholt, so geht
man zu Muskel Übungen über. Hier sind dann die Badekuren besonders
angezeigt (Nauheim, Oeynhausen, Orb, Kissingen, Salzuflen, Homburg).
Die Wirkung dieser C0 2 haltigen Solthermen auf die Zirkulation wird
nach Gumprecht gewöhnlich so angegeben: im Beginn der Kur,
wenn nur wärmere C0 2 arme Bäder verabreicht werden, wird dem
Prinzip der „Herzschonung“ genügt, indem durch Erweiterung der
peripheren Gefäße das Gesamtstrombett vergrößert und so dem Herzen
die Arbeit erleichtert wird. Kommen dann später die C0 2 reichen
kühleren Bade formen zur Anwendung, so bedeutet dies eine „Herz¬
übung“. Wie F. A. Hoff mann (1. c.) richtig bemerkt, wird hiermit
die Herzwirkung noch zu spezifisch betont. Uber allem steht die All¬
gemeinwirkung: Anregung der Hautzirkulation und des Tonus der
peripheren Gefäße, reichliche Ableitung des Blutes aus den inneren
Organen und infolge dieser Entlastung eine regere Durchblutung, also
ein tonisierender Einfluß auf Darm. Leber, Herz, Lunge und Nerven¬
system. Wichtig erscheint mir auch der Einfluß der Bäder auf die
Beschaffenheit des Blutes (erhöhte Alkaleszens, Vermehrung der roten
Blutkörperchen). Bestehen gleichzeitig chlorotisch-unämische Zustände,
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824
O. Burwinkel,
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so erweisen sich die C0 2 haltigen Eisenquellen von Cudowa, Pyrmont.,
Liebenstein, Stehen, Elster usw. sehr nützlich. Die elektrischen Bäder
können die C0 2 - Bäder ebensowenig völlig ersetzen wie Sauerstoff¬
bäder. Auch die künstlichen C0 2 -Bäder stehen den natürlichen C0 2 -
Bädern in ihrer Wirkung nach. Sehr unterstützt wird der Erfolg
der Badekur noch dadurch, daß die Kranken den Wert der hygienischen
Maßregeln und vor allem den Wert einer passenden Diät schätzen
lernen.
Die Ernährungstherapie bei Kreislaufstörungen ist im wesent¬
lichen eine Schonungsdiät und knüpft sich an die Namen Karell,
Oertel, Widal-Strauß. Bis vor nicht allzu langer Zeit ließ man
sich von theoretischen Stoffwechseluntersuchungen aus bestimmen und
glaubte Kranke mit geschwächten Herzen kräftig ernähren zu müssen.
Man verstand darunter hohe Eiweißzufuhr, die noch in Oertel’s Vor¬
schriften- eine große Rolle spielten. Von praktischen Erfahrungen am
Krankenbett geleitet, schrieb ich schon vor 10 Jahren: ,,bei ermattetem
Herzen ist jede größere Mahlzeit für längere Zeit auszuschließen. Der
Kranke soll in kleinen Mengen nur soviel leicht verdauliche Nahrung
aufnehmen, daß er nicht herunterkommt. Alle therapeutischen Er¬
örterungen über Nährwert sind Unsinn gegenüber dem Geschmack und
Befinden der Patienten. Milch ist leicht verdaulich, sie wird fast völlig
ausgenutzt und hinterläßt ein Minimum von Toxinen im Darm. Wenn
sie in der Diät Herzkranker nicht das gebührende Ansehen genießt,
so liegt es an der unzweckmäßigen Verordnung. Ich kenne Fälle,
das plethorischen Kranken mit schweren myokarditischen Prozessen
3 5 (!) Liter am Tage verschrieben waren.“ (Ärztl. Rundschau,
Nr. 11/12, 1900.) Tch verwies dabei auf Albertini, Valsalva und
Taffnel, welche die Entziehungsdiät als wertvolles therapeutisches
Mittel bei Herzleiden angewandt hatten und auf die vorzüglichen
Resultate vpn Karell (Arch. gener. de med.. 1866), Högerstedt (Zeit¬
schrift f. klin. Med., Bd. 14) und F. A- Hoff mann (Vorlesungen
über allgemeine Therapie). Es hat nur zu lange gedauert, bis dies©
alten Tatsachen wieder neu entdeckt und durth Lenhartz’ und Jacob’s
Bemühungen wieder allgemein bekannt geworden sind. Die von dem
russischen Leibarzt Karell eingeführte Kur besteht darin, daß der
Patient bei Bettruhe (!) in 4stündigen Pausen je 200 ccm gewöhnliche
oder entrahmte Milch als einzige Nahrung bekommt, also 800—1000 ccm
am Tage. Je nach dem Effekt geht man nach 4 bis 6, höchstens nach
10 Tagen unter Zulage von Fleisch, Obst, Gemüse, Brot, Zwieback zu
reichlicherer Nahrung über. Trotz des starken Ei weiß Verlustes erfolgt
meist rasche und glänzende I^esserung auch schwerer Kreislaufstörungen,
die aus einem vorher nahezu moribunden Kranken einen leistungsfähigen
Menschen macht (Hcgler, ,,Stoffwechseluntorsuchungen bei der Karell-
Milchkur“, Münch, med. Wochenschr., Nr. 4, 1911). Meist vertragen
die Patienten diese Kur vorzüglich, sie klagen höchstens im Anfang
über Hunger und Durst. Man kann dann getrost einen Apfel oder eine
Birne einschalten. Der Erfolg ist ja leicht zu erklären. Durch Vermin¬
derung der Blutmenge werden analog wie beim Aderlaß der Kreislauf
entlastet und die Anforderungen ans Herz geringer. EvS ist dies zugleich
die einfachste Art zur Durchführung der chlorarmen Diät, die besonders
da angezeigt ist, wo es gilt Ödeme, Trans- und Exsudate zur Aufsaugung
zu bringen. Handelt es sich, wie so oft bei Aortenfehlern, um nephro¬
genen Hydrops, so kommt vor allem die möglichst strenge Ausschaltung
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Die Behandlung der Herzklappenfehler.
825
jedes Salzzusatzes zu der im übrigen gemischten Kost in Betracht
(Widal, Strauß). Hier wird Kochsalz, welches das Wasser sozusagen
im Körper zurückhält, nicht ausgeschieden und die Wasserausschwem¬
mung erfolgt erst dann, wenn kein Kochsalz mehr genossen wird. Jeder
Kochsalzeinschränkung folgt ohne weiteres Verminderung des Durst¬
gefühls, man gestattet solchen Patienten l 1 / 2 -—2 Liter Getränk. Hier
ist eine weitere Reduktion der Flüssigkeitsmenge weder nötig jiocli
nützlich. Anders beim kardialen Hydrops. Hier gibt die von Oertel
inaugurierte Flüssigkeitsbeschränkung gute Resultate. Doch sind diese
Erfolg* auch wohl auf die Nahrungsverminderung zurückzuführen,
da die Leute den Appetit oft verlieren. Für die Verordnung der Flüssig¬
keitsmenge gilt die Differenzbestimmung zwischen Aufnahme und Urin¬
ausscheidung. Man prüft, bei welcher geringsten Menge die Urinsekre¬
tion am reichlichsten ist und bestimmt danach das Maß. Zeigt sich ein
beträchtliches Manko der Urinmenge, so wird Flüssigkeit im Körper
zurückgehalten, was sich zunächst als „latenter Hydrops“ durch Er¬
höhung des Körpergewichts, später durch Auftreten von Ödemen kund¬
gibt. Hier gibt, man nun weniger — etwa 100 ccm — Flüssigkeit, als
ausgeschieden wird. Nach einigen Tagen pflegt unter Abnahme des
Körpergewichts und unter Besserung der Herzbeschwerden die Harn¬
menge anzusteigen. Man vermeide übrigens eine plötzliche starke Reduk¬
tion und gehe nicht unter 1 / 2 Liter Flüssigkeit, die, auf kleine Portionen
verteilt, im Laufe des Tages genossen wird. Setzt die Diurese dann
kräftig ein und schwinden die hydropischen Erscheinungen, so steigt
man auf 800—1000 ccm und bleibt hierbei stehen, bis alles vorbei ist.
(Fießinger und Groedel, „La eure de reduction des liquides dans les
affections hydropiques“, III. intern. Kongreß für Physiotherapie
Rapports 1910, S. 481.) Übrigens sollte jeder Mensch, dem die Gefahr
der Dekompensation eines Herzfehlers mit Ödemen droht, im Durch¬
schnitt mit 5 / 4 —D/g Liter Flüssigkeit sich bescheiden. Im übrigen ist
noch zu warnen vor der kritiklosen Anwendung der Karellkur und der
Flüssigkeitsbeschränkung. Die Hauptsache ist, daß man aus den jewei¬
ligen Verhältnissen heraus die Diät und Flüssigkeit bestimmt. Man
gehe bei Kompensationsstörungen mit der festen und flüssigen Kost auf
das notwendige Maß zurück; bei Widerwillen gegen Milch kann inan
getrost Eier, Schabefleisch, Kartoffel-, Reisbrei u. dergl. reichen. In
warmer Jahreszeit ist Butter- und Sauermilch eine nützliche und köst¬
liche Abwechslung, auch die jetzt so gepriesene Joghurtmilch. Bei
hochgradigen Ödemen, speziell bei Transsudaten, kommt man mit der
Diätotherapie allein nicht aus, hier muß man zu den kardiotonischen
Arzneimitteln greifen.
Die mächtigste und brauchbarste Waffe gegen Kompensations¬
störungen besitzen wir in der Digitalis, ohne die Naunyn nicht Arzt
sein zu können behauptet hat. Sie ist das Mittel par excellenoe, wenn
infolge von Mitralfehlern Lebersckwellung, Ödeme und andere Zeichen
dilatativer Herzschwäche auf treten. Hier sind massive oder, wie
Huchard sagt, antiasystolische Gaben notwendig: z. B. Leube’s Vor¬
schrift Rp. Pulv. fol. dig. purp. 0,1, Kal. bitart. 1,0, Mfpulv. da tal dos
Nr. 20 in caps. amylac. S. 4—5mal tägl. 1 Kapsel nach dem Essen.
Bestehen Stauungskatarrh auf der Lunge und Hustenreiz, so verordne ich :
Pulv. fol. dig. purp. 2,0, Extr. hyoscyam. 0,5, Extr. nuc. vomic. 0,6,
Mfpil. Nr. 20: 3—4 Pillen tägl. nach dem Essen. Bei nächtlicher Unruhe
kann man 0,2 Dionin oder 0,06 Heroin, mur. auf 20 Pillen hinzufügen.
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826
O. Burwinkel,
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Unter Umstünden muß man die Droge bis zu Intoxikationserscheinungen
getan, erst dann tritt ihr wohltuender Einfluß auf. Früher galten
Aorten fehler vielfach als Kontraindikation für den Gebrauch von Digi¬
talis; doch ist sie bei vorhandener Dekompensation hier ebenso ange¬
bracht, wenn auch in etwas kleineren Gaben. Bei hochgradigen Hydro-
psien, namentlich bei Höhlen Wassersucht, kann eine mechanische Beseiti¬
gung durch Punktion, tiefe Inzisionen oder Drainage des Unterhautzell¬
gewebes notwendig sein, bevor man zur Digitalis greift. Viel zu wenig
geübt wird auch der Aderlaß, wie Plehn zugibt; ich verweise in dieser
Beziehung auf die frühere Abhandlung (1. o.). Hat inan auf diese
Weise die akuten Phasen der Dekompensation überwunden, so handelt
es sich darum, dem Kranken tunlichst seine Leistungsfähigkeit wieder¬
zugeben. Man fängt schon im Bett mit systematischen Atemübungen
an. Später, aber nur nicht zu früh, geht man dann zur Zander- oder
Widerstandsgymnastik über, später eventuell zu Sch re her’sehen Übungen.
Durch Beförderung des Blutumlaufes wird die Herztätigkeit erleichtert
und das erregte Herz beruhigt. Man muß stets bedenken, daß der einmal
insuffizient gewordene Herzmuskel für die Folge weniger widerstands¬
fähig bleibt. Wenn sich dann immer wieder von Zeit zu Zeit hart¬
näckiger Husten, Rasseln im Unterlappen, Leber Schwellung, Dyspepsien,
leichte in der Nacht vergehende Knöchelödeme einstellen, so kann man
durch die kontinuierliche Digitalisbehandlung nach Groedel (0,1 pulv.
fol. dig. tägl. durch Monate) oft eine leidliche Kompensation erreichen,
so daß der Patient jahrelang arbeitsfähig bleibt. Bei diesen kardiotoni-
schen Erkaltungsdosen (Huchard) verliert die Droge Ihre Wirkung
nicht, wie die Praxis längst erwiesen hat.
Mit großem Bemühen hat die chemische Industrie versucht, die
wirksame Substanz aus den Digitalisblättern darzustellen. Wenn auch
zahllose deutsche und französische Digitaline und Digitoxine als unüber¬
trefflich gepriesen werden, so darf man doch getrost behaupten, daß
auch nicht eines dieser Präparate befähigt ist, die Droge selbst zu er¬
setzen. Natürlich kommt alles darauf an, daß die Digitalisblätter frisch,
zur rechten Jahreszeit und am rechten Standort gesammel t sind. Anderer¬
seits können Digalen, Digitalysat, Digipurat und wie die in ihrer Fülle
verwirrenden Präparate alle heißen, sicherlich oft mit Nutzen verwandt
werden, besonders bei akuter Lebensgefahr. Auch die offizinelle Tinct.
digit. ist durchaus brauchbar. Ein wirkliches Ersatzmittel für die Digi¬
talis gibt es nicht, wie Huchard richtig sagt. Bei leichteren Formen
der Dekomj>ensation finden Strophantus (als Tinktur oder in Form von
Granules), in Frankreich Spartein viel Verwendung. In Rußland werden
Convallaria majalis (auch im Kardiotonin enthalten) und Adon. vernal.
allgemein als Ersatz für Digitalis gebraucht. Doch ist ihre Wirkung
ebenso unsicher wie die des Chlorbariums und Koffeins.
Bei Aortenfehlern auf arteriosklerotischer und luetischer Grund¬
lage sind Jodpräparate angezeigt, vor allem bei anämischen Leuten
mit hoher Spannung im Aortensystem. Vorbedingung ist dabei, daß die
Nieren gesund und Basedowsymptome in keiner Weise angedeutet sind.
Ist Lues nicht im Spiel, so ist Jodnatrium vorzuziehen, da es geringen'
Ansprüche an die Ausscheidungsorgane, speziell an die Nieren, stellt.
Ich verschreibe gewöhnlich Natr. (resp. Kal.) jod. Aq. dest. aa 10,0,
Pilocarp. mur. 0,06. Ds. 3 mal tägl. 3—5—8 gtt- in Milch nach dem
Essen. Schleicht man sich nach Erlenmeyor’s Vorschrift mit dem
Mittel allmählich ein, so kommt es nicht leicht zum Jodismus. In ge-
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Die Behandlung der Herzklappenfehler.
827
ringern Maße und nur ausnaluns weise treten* diese unangenehmen Er¬
scheinungen beim Sajodin auf, daß, geruch- und geschmacklos, auch von
empfindlichen Personen gern genommen wird. Es enthält allerdings!
viel weniger Jod als Jodkali und damit hängt wohl die gesteigerte
Toleranz zusammen. Jodipin, eine Verbindung von Jod mit Sesamöl,
wird teelöffelweise in 10°/ o iger, oder subkutan in 25°/ 0 iger Lösung ge¬
geben. Neuerdings sind Jodglidine, eine Pflanzeneiweißjodverbindung,
eingeführt. Man läßt Jod 4—6 Wochen nehmen, dann 1 Monat aus¬
setzen und so fort.
Sehr bewährt haben sich, namentlich auch bei arteriosklerotischen
Klappenfehlern, die Theobrominpräparate, denen eine stark diuretische
Wirkung zukommt. Sehr beliebt ist Diuretin in Dosen von 3—5 gr,
man kann es ja nach Bedarf mit Digitalis oder auch mit Jod verbinden.
Ähnlich wirken Agurin, Euphyllin, Theocin, Theophyllin. Doch eignen
sich all diese Präparate nur zum vorübergehenden Gebrauch, für wirk¬
liche Dauerbehandlung kommen nur Digitalis und Jod in Betracht.
Wenn all diese Mittel versagen, wenn wir am Rande des Bankrottes
stehen, dann greifen wir auch zu zweischneidigen und ungewissen Mit¬
teln, weil wir die Leiden des Kranken um jeden Preis erleichtern müssen.
So entfaltet manchmal noch Kalomel eine diuretische Wirkung, wenn
alles andere bei Hydrops und Aszites vergebens versucht ist. Man gibt
3 mal tägl. 0,2 Kalomel, der günstige Erfolg tritt, wenn überhaupt, am
dritten Tage auf. Auf peinlichste Mundpflege und etwa vorhandene
Nierenaffektion ist sorgfältig zu achten. In ganz verzweifelten Fällen
von Stauungsödemen ist noch Extr. Apocyn. eanad. fluid., 3mal tägl.
10- 15 gtt des Versuches wert, ebenso ein Decoct. Equiset. arvens, be¬
quemer zu verordnen als Dialysat. Equiset Golasz (4mal tägl. 30 gtt).
Zu erwähnen wären noch gewisse Volksmittel, denen tatsächlich eine
günstige Wirkung beim kardialen Hydrops nicht abzusprechen ist, so
der Bohnentee: man läßt Schnitteibohnen, vor allem die abgezogenen
Fäden, an der Sonne oder am Herd dörren, kocht eine Hand voll davon
mit 1 Liter Wasser und läßt abends eine Tasse mit Zucker versüßt
trinken. Kräftig urinbefördernd ist auch folgende Mischung: je 1 / 3 E߬
löffel Liebstock und Petersiliensamen werden mit 20 zerdrückten Wach¬
holderbeeren auf eine Tasse Tee gekocht und dieser Tee abends kalt ge¬
nossen. Beim Aszites, zuihal infolge von Foie cardiaque, bewährt sich
gar nicht selten eine Zitronenkur glänzend: 3mal tägl. der frisch aus-
gepreßte Saft von 1—6 Zitionen, höchstens 20 am Tag. Hier leistet
auch Cremor tartari, monatelang 3mal tägl. 1 Teelöffel voll, oft gute
Dienste (Eichhorst, Burwinkel). Bei starker Schwellung und Druck¬
empfindlichkeit der Leber bringt Applikation von 3 Blutegeln an der
Analschleimhaut und von 1 / 2 Dutzend Blutegeln am rechten Rippen¬
bogen zumeist große Erleichterung.
Eine große Rolle bei Leuten mit Herzklappenfehlern spielt die
psychische Behandlung. Man platze nicht gleich mit der Diagnose her¬
aus. Die Mitteilung, daß ein Klappenfehler vorliegt, ruft oft Nerven-
chok hervor und zaubert nicht selten den Gedanken an Herzschlag,
Wassersucht und ähnliche Sachen vor die Seele. Ist der Herzfehler
in der Jugend akquiriert und gut kompensiert, so braucht man die Auf¬
merksamkeit gar nicht darauf hinzulenken. Wenn der Mensch eine
olympische Ruhe besitzt, dann kann man ihn ja über seinen Zustand
aufklären, ebenso ist dies Pflicht bei leichtsinnigen Menschen, damit sie
sich an eine vernünftige Lebensführung gewöhnen. Macht der Herz-
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828 O. Burwinkel, Die Behandlung der Herzklappenfehler.
fehler aber Beschwerden, so muß der Patient genau wissen, was er zu
tun und zu lassen hat. Nur stelle man die Sache nicht unnötig ernst
hin, man erhalte eine zuversichtliche Stimmung.
Wie ist es mit der Wahl des Berufes bei vorhandenem Herzfehler?
Meist steht man einem fait accompli gegenüber und man hat nur zu ent¬
scheiden. ob eine Aufgabe unbedingt notwendig ist. Hier sei man nicht
zu pessimistisch, wie oft können Leute noch jahrelang ihren Beruf ziem¬
lich ungestört versehen, selbst wenn schon schwere Kompensationsstörun¬
gen vorausgegangen sind. Ist der Klappenfehler gut ausgeglichen, so
liegt kein Grund vor, sich zurückzuziehen. Wie viele Offiziere, Ärzte,
Handwerker sind völlig leistungsfähig in ihrem Dienst trotz ihres
Klappenfehlers. Hier ist eine Tätigkeit, die reichlich Bewegung, nament¬
lich in frischer Luft, vorschreibt, weit bekömmlicher als eine solche mit
sitzender Lebensweise. Am wenigsten geeignet ist der Beruf als Kellner,
Schlachter, Restaurateur, Zigarrenhändler, Weinreisender, da hiermit
fast stets ein Übermaß an Essen und Alkoholgenuß verbunden ist.
Junge Leute sind auch vor allzu ausgiebigem Genuß des Burschenlebens
zu warnen.
Häufig wird dem Arzt die Frage vorgelegt, ob Leute mit Herz¬
fehler heiraten dürfen. Ein Klappenfehler, der bis dahin nie ein Ver¬
sagen des Herzmuskels gezeigt hat, kann niemals ein Eheverbot recht-
fertigen, weder für Männer noch für Frauen. Männern ist selbst bei
leichten Graden von Herzinsuffizienz die Heirat eher anzuraten, da dann
die vielen Aufregungen des Junggesellenlebens fortfallen. Jaschke
hat den Verlauf von Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bei
546 Frauen mit Herzfehlern beobachtet. Von den 1525 Schwangerschaf
ten verliefen 7 / 8 normal a terme, nur in 4°/ 0 traten Abort und in 4,5 °/ 0
Frühgeburt ein. Kla-ppenfehler disponieren also nicht zur Schwanger¬
schaftsunterbrechung, wie vielfach behauptet wird. Dies trifft einzig
und allein zu bei Dekompensation (Mitralstenose!) und ist als Selbst¬
hilfe der Natur aufzufassen; in etwa l°/ 0 wurde aus diesem Grunde
der artifizielle Abort eingeleitet. Während der Geburt gaben die Herz¬
fehler weder eine. Kontraindikationale gegen irgendwelchen operativen
Eingriff, noch erforderten sie Abkürzung der normalen Geburtsdauer.
Eine ungestört verlaufene Schwangerschaft bürgt am besten dafür,
daß das Herz auch den Anstrengungen der Geburt gewachsen ist. Die
Gravidität mit ihren allmählich wachsenden Ansprüchen bedeutet eine
sorgfältig dosierte Ubungstherapie und einem so trainierten Herzen
können die Druckschwankungen bei der Geburt unbedenklich zugemutet
werden. Auch Frauen, die früher speziell in der Entwicklungszeit leichte
Kompensationsstörungen durchgemacht haben, vertragen Geburten nicht
selten ganz gut. Doch ist hier eine sorgfältige Funktionsprüfung des
Herzmuskels notwendig, bevor man den Ehekonsens erteilt. Bei irgend¬
wie insuffiziertem Herzen ist striktes Verbot ain Platze. Ein häufiger
Koitus, vor allem aber der Coitus interruptus ist allen Herzkranken
zu widerraten.
Die Erfahrung lehrt, daß bei bestehendem Klappenfehler, selbst
im Stadium der Dekompensation eine Chloroformnarkose meist gut
vertragen wird. Andererseits kann man die Beobachtung machen, daß
sich ‘im Anschluß an. operative Eingriffe oder an längere Bettruhe
aus anderen Gründen eine Dekompensation des bis dahin völlig aus¬
geglichenen Klappenfehlers einsetzt. Man sieht daraus, wie notwendig
regelmäßige Körperbewegung ist und man versäume nie, gegebenen-
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Hirachstein, Über S to ff wechselst« rangen bei nervösen Erkrankungen. 829
falles systematische Atemübungen, öfteren Lagewechsel im Bett und
ähnliches zu verordnen. Auch lege man Verbände, z. B. nach Mamma-
amputation so an, daß die freie Lungenbeweglichkeit nicht behindert wird.
Akute Infektionskrankheiten, speziell auch die Pneumonie werden trotz
Klappenfehler meist gut überstanden. Eine Ausnahme bildet die Influenza.
Vielfach besteht in Arzte kreisen Bedenken gegen die Anwendung
von Morphium bei Leuten mit Herzklappenfehlern. Ganz zu Unrecht.
Es erwies sich sogar als wirksames Tonikum bei den dysjmüeischen!
und asthmatischen Beschwerden im Stadium der Inkompensation.
Gut kompensierte Klappenfehler bilden keine Kontraindikation
gegen Anwendung von Ehrlich’s Serum. (Grassmann, Münch, med.
Woohensckr., Nr. 42, 1910.) Bei irgendwie labiler Herztätigkeit injiziere
man nicht intravenös, sondern intramuskulär oder subkutan. (Treupel,
Münch, med. Wochenschr., Nr. 6, 1911.)
Seereisen können Herzkranken, auch bei leichten Kompensations¬
störungen, unbedenklich erlaubt werden. Ebenso steht es mit dem
Aufenthalt an der See, der besonders bei Mitralfehlern mit Neigung
zu Bronchialkatarrhen oft direkt nützlich wirkt.
Über Stoffwechselstörungen bei nervösen Erkrankungen.
Von Dr. Hirschstein.
(Vortrag in der Sitzung der Biologischen Abteilung des Ärztlichen Vereins in
Hamburg am 30. Mai 1911.)
Die Beobachtungen des Vortragenden nahmen ihren Ausgang von
einer eigenen, im Jahre 1907 ziemlich akut einsetzenden Erkrankung an
Neurasthenie. Auf Grund der in seinen Versuchen „Zum Chemismus
des Schlafes“ — Vortrag in der Sitzung der Biologischen Abteilung des
Ärztlichen Vereins in Hamburg am 7. März 1911 — gefundenen Säure¬
retentionen, ferner auf Grund einiger mehr klinischer Wahrnehmungen,
die sich besonders auf die ungünstige Beeinflussung einiger Krankheits¬
symptome durch Gelbei bezogen, war Vortragender zu folgender An¬
schauung über die mögliche Ursache seines Krankheitszustandes gelangt:
Man durfte annehmen, daß aus alimentären oder sonstigen Ursachen
Säureretentionen größeren Umfanges im Körper Vorkommen
können; eine der retinierten Säuren konnte die Phosphorsäure
sein; die beobachteten Krankheitserscheinungen konnten dann
als Versuche des Organismus gedeutet werden, sich der ein¬
gedrungenen Schädigung wieder zu entledigen.
War diese Annahme richtig, so lag offenbar die Möglichkeit vor,
den Körper in diesem supponierten Kampfe zu unterstützen. Von der
geschilderten Idee ausgehend, stellte sich nun der Vortragende im April
1908 auf eine phosphorarme, im wesentlichen aus Brot, Gemüse, Obst usw.
bestehende Diät ein, und ging dann, als ein wirksamer Effekt ausblieb,
zu einer reichlichen Zulage von Alkalien, zunächst von Na, Ca und Mg
über, worauf sich tatsächlich ein Zurückgehen der hauptsächlichsten
nervösen Symptome bemerkbar machte. Dieser relativ befriedigende
Zustand hielt bis zum Juli 1908 an, dann traten, nach kurzer Übergangs¬
zeit, plötzlich, in kritischer Form, außerordentlich heftige merkwürdige
Anfälle auf. Es kam zu klonischen Krämpfen, besonders der Extremitäten,
bei völlig erhaltenem Bewußtsein, eigentümlicher beschleunigter Atmung,
Erscheinungen von seiten des Verdauungstraktus usw. Diese „Krisen“
wiederholten sich in den nächsten Monaten in abgeschwächter Form
noch mehrere Male, um dann schließlich zu verschwinden. Vortragender
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830
Hirschstein,
hatte inzwischen den übrigen Alkalien noch das Kalium hinzugefügt,
war später auch zu einer eiweißreicheren, aber immer noch phosphor¬
armen Diät tibergegangen. Es folgte nun ein 8—10 Monate dauernder
Zustand körperlicher und seelischer Depression und gesteigerter nervöser
Erscheinungen. Dann trat, zuerst langsam, später in etwas rascherem
Tempo, bei völlig unveränderter Tendenz eine unverkennbare Abwärts¬
bewegung ein, die schließlich zu einem befriedigenden Dauerzustände führte.
An einem zweiten klinischen Fall, einer dem Vortragenden nahe
stehenden Persönlichkeit, die schon länger Zeichen einer neurasthenischen
Veranlagung gezeigt hatte, wurde zu gleicher Zeit dasselbe Verfahren
durchgeführt. Der Verlauf war ein ganz ähnlicher, die einzelnen Perioden
von etwas längerer Dauer, die Krisen mehr subakuter Natur, haupt¬
sächlich in Schwächeanfällen, Herzklopfen usw. sich äußernd. Die Auf¬
wärtsbewegung setzte hier erst etwa 1 */, Jahre nach Beginn des Versuchs
ein, um dann in etwas langsamerem Tempo zu einem günstigen Abschluß
zu führen.
Im Jahre 1910 stellte Vortragender denselben Versuch an einem
dritten Fall an, einer seit mehr als 10 Jahren an schwerer Psychoneurose
leidenden 84jährigen Frau. Kompliziert war das Krankheitsbild noch,
abgesehen von den rein nervösen und psychischen Erscheinungen, durch
eine in ihren Anfängen 15 Jahre zurückliegende hartnäckige Obstipation,
9 Jahre anhaltendes Zessieren der Menses, bei Beginn des Versuches
aber bereits wieder vorhanden, ferner durch einen sehr reduzierten Er¬
nährungszustand, der auch durch Mastkuren nicht zu heben war.
Die Patientin wurde sofort mit Unterstützung chemischer Hilfs¬
kräfte in umfassende Stoffwechselbeobachtung genommen, die sich auf
fast sämtliche im Organismus vorkommenden Elemente erstreckte. Das
Beobachtungsergebnis war nun folgendes:
Zunächst wurde die Kranke, die in der Hauptsache sich vegetarisch
ernährt hatte, auf kaliarme Diät gesetzt unter Zufuhr von Na, Ca, Mg.
Im Stoffwechsel zeigte sich als Folge dieser Maßnahme eine reich¬
liche Abgabe von Kalium und zwar als Kaliumchlorid, ein um so merk¬
würdigerer Befund, als Vortragender schon in den Versuchen „Zum
Chemismus des Schlafes“ auf die Beziehungen des Kaliums zum Chlor
gestoßen war. Sämtliche anderen Elemente, Phosphor, Schwefel, ferner
die reichlich zugeführten Alkalien wurden retiniert. Aus klinischen
Gründen konnte diese Periode der Alkalisättigung, während welcher
subjektiv und objektiv der Zustand der Patientin befriedigend war, nur
4 Wochen durchgeführt werden.
Dann wurde zu reichlicherer Kalizufuhr übergegangen, unter Weg¬
lassung der anderen Alkalien, und wie mit einem Schlage änderte sich
das gesamte Krankheitsbild: In Zwischenräumen von wenigen Tagen
traten zunächst Anfälle auf, die in der Form außerordentlich denen
glichen, die Vortragender an sich selbst beobachtet hatte. Das Gewicht
zeigte ein auffallendes Verhalten, stieg mehrere Tage hindurch bis zu
einem Gipfelpunkt an, um dann plötzlich, unter einem kritischen Anfall,
oft um 1 bis 2 kg in 24 bis 48 Stunden abzusinken. Die genaue, diesen
Schwankungen sich anpassende Stoffwechselbeobachtung ergab, daß der
Gewichtszunahme eine ausgesprochene Retentionsperiode entsprach,
während im mit Gewichtsverlust einhergehenden kritischen Abfall unter
vermehrter Wasserabgabe der Organismus bestimmte Stoffe im Über¬
maß ausschied. Auch das psychische Verhalten zeigte sich in seinem
Wechsel der Erscheinungen von diesen somatischen Verhältnissen ab-
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Über Stoffwechselstörungen bei nervösen Erscheinungen.
831
hängig. Unter steten Schwankungen stieg nun das Gewicht bei fast
reiner Brotdiät in wenigen Wochen von etwa 50 auf 55 kg, um dort
annähernd konstant zu werden.
Schon die ersten Versuche hatten mit Deutlichkeit ergeben, daß
der Organismus auch in der Exkretionsphase einige Elemente mit be¬
sonderer Zähigkeit zurückzuhalten versuchte, das Eisen, das Kalzium
und den Schwefel, während alle anderen Elemente zwar während der
Retention in wechselnden Mengen zurückgehalten, in den kritischen An¬
fällen aber reichlich ausgeschieden wurden. Hieraus ergab sich ein aus¬
gesprochenes Mißverhältnis zwischen den drei gl eich wichtigen, den ge¬
samten Eiweißstoffwechsel beherrschenden Elementen, Schwefel, Stickstoff
und Phosphor. Bei fast ausnahmslos positiver Schwefelbilanz gingen
Phosphor und noch mehr Stickstoff häufig in Verlust. Auch während
der Retentionsphase blieb Schwefel stets in größerem Umfange im Körper
zurück, als die beiden anderen Elemente. Besonders klar wurden die
Verhältnisse bei folgender Berechung: Berechnete man in Aufnahme
und Abgabe die Anzahl Valenzen Stickstoff und Phosphor, die auf eine
Schwefelvalenz kamen, so ergab sich, daß, gleichgültig ob im Retentions¬
oder Exkretionsstadium, während der ganzen einjährigen Beob¬
achtungszeit andauernd Phosphor und Stickstoff vom Körper
abgegeben wurde. Der Prozeß konnte unter ungünstigen Verhältnissen
zum Stillstand kommen, schlug aber niemals in das Gegenteil um.
Wollte man diese Tendenz des Körpers, Schwefel anzureichern,
Phosphor und Stickstoff abzugeben, unterstützen, so war eine schwefel¬
reiche, phosphor- und Stickstoff arme Diät notwendig. Eine daraufhin
gerichtete Untersuchung der Nährstoffe ergab, daß eigentlich nur drei
Nahrungsmittel in idealer Weise diesen Anforderungen genügten, das
Roggenbrot (fein), die Kartoffel, also unsere Volksnahrung par excellence,
und sich ihnen anschließend, das Weißei. Dann kamen in größerem Ab¬
stande das Weizenbrot, Käse, Fisch und schließlich als phosphor- und
Stickstoff reichstes und schwefelärmstes, das Rindfleisch.
Trotz Berücksichtigung aller sich aus den Stoffwechselversuchen
ergebenden Momente in der Diät, trotz reichlicher Kalkzufuhr ver¬
schlechterte sich der Zu9tand der Patientin in psychischer Beziehung
immer mehr und drohte einer Katastrophe entgegenzugehen, als eine ein¬
fache Maßnahme, die Bettruhe, zu der Ende August 1910 geschritten
wurde, wieder einen völligen Umschwung herbeiführte. Die Exkretions¬
vorgänge, die völlig zum Stillstand gekommen waren, nahmen ihren Fort¬
gang, besonders Phosphor wurde jetzt nach der recht langwierigen Er¬
gänzung des Kalkdefizits in großen Mengen vom Körper abgegeben.
Eine nochmalige Stockung trat abermals im November 1910 auf,
deren Ursache lange rätselhaft blieb, bis die chemische Untersuchung
ein ausgesprochenes Chlornatriumdefizit aufdeckte, das in der Diät nicht
berücksichtigt und der Patientin auf instinktivem Wege nicht zum Be¬
wußtsein gekommen war. Unter reichlicher Kochsalzzufuhr bei sonst
gleicher Ernährung konnte nun endlich die Kranke ihre fünfmonatige
Bettruhe aufgeben und kam zuerst langsam, später etwas rascher in eine
Aufwärtsbewegung hinein, die noch heute anhält.
Besondere Aufmerksamkeit wurde den Stickstoffverlusten geschenkt
und an einer Reihe von Perioden durch Ermittelung der N-Verteilung
im Harn mit hoher Wahrscheinlichkeit nachgewiesen, daß der Stickstoff
in Form von zur Gruppe der Proteinsäuren gehörigen Substanzen aus¬
geschieden, und wie eine Blutuntersuchung ergab, vermutlich auch in
dieser Form retiniert wird.
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832 Hirachstein, Über Stoffwechselstörungen bei nervösen Erkrankungen.
Eine Erklärung des eigentümlichen klinischen Bildes, der Gewichts¬
schwankung, der wechselnden Phasen ergaben schließlich noch zwei der
letzten Untersuchungsperioden, die ein ausgesprochenes kurzzeitiges
Vikariieren von Darm und Niere in ihren exkretorischen Funktionen
aufdeckten.
Dadurch war eine vollständige Deutung des Krankheitsbildes aus
den Stoffwechsel- und Organbefunden möglich und der experimentelle
Abschluß des Falles erreicht, der nun auf klinischem Wege allein fort¬
geführt werden konnte.
Der eigentümliche, auf anderem Wege nicht erklärbare Symptomen-
komplex ist nach Ansicht des Vortragenden folgendermaßen entstanden
zu denken:
Es ist anzunehmen, daß die gefundenen Retentionszustände bis in
die Kindheit der Patientin zurückreichen. Rein instinktmäßig war sie
recht früh zu einer vegetarischen Diät übergegangen, hatte damit aber,
ähnlich wie Vortragender mit seiner Alkalidiät, heftige Reaktionen im
Körper ausgelöst. Durch Überlastung des Darmes wurde die exkretorische
Funktion dieses Organs zunächst geschädigt, die Obstipation trat auf,
und die jetzt nur noch auf dem Nierenwege fortführbaren Ausscheidungs¬
vorgänge verursachten nun ihrerseits wieder eine rein funktionelle Insuf¬
fizienz dieses Organs, die sich zuerst in längeren Intervallen, dann immer
häufiger bemerkbar machte, zur teilweisen Ansammlung von Stoffwechsel¬
endprodukten, Wasserretention, Gewichtsanstieg mit ihren eigentümlichen
psychischen Begleiterscheinungen führte, ein Symptomenkoinplex, dem
dann wieder der in den geschilderten kritischen Anfällen sich äußernde,
explosionsartige Exkretionsvorgang folgte. Das klinische Krankheitsbild
ist demnach etwa als kurzphasige, intermittierende Psychoneurose
auf urämischer Basis zu charakterisieren.
Diese schon jahrelang bestehenden Exkretionsvorgänge hatten sekun¬
där zu einer Verarmung des Organismus an Alkalien, besonders an Kalk,
geführt, die bekanntlich schwefelhaltigen Proteinsäuren hatten mit dem
Stickstoff zugleich auch den Schwefel aus dem Körperbestande heraus¬
gerissen, die Phosphorsäure hatte, wie gleichfalls aus den Versuchen
hervorgeht, das Natrium des Kochsalzes mit Beschlag belegt, während
das Chlor an das in der vegetarischen Diät reichlich vorhandene Kalium
gebunden und als Kaliumchlorid zurückgehalten wurde. So konnte denn
allmählich diese eigenartige Konstitution, dieser Schwefel- und kalkarme,
phosphor-, Stickstoff- und kalireiche Körper zustande kommen, wie er
sich im Beginn der Versuche darstellt.
Die Annahme des Vortragenden, daß Säureretentionen größeren Um¬
fangs Vorkommen, daß eine von diesen Säuren die Phosphorsäure sei,
und daß die nervösen Symptome mit dieser Säureüberladung des Orga¬
nismus im Zusammenhang ständen, ist also durch die geschilderten Unter¬
suchungen für den einen Fall wenigstens bestätigt und somit für die
beiden klinisch durchgeführten und ähnlich verlaufenen Fälle wahrschein¬
lich gemacht worden.
Es war beabsichtigt, die gefundenen Resultate noch an einigen
Fällen nachzuprüfen und die Untersuchungen auch auf andere Krankheits¬
zustände auszudehnen. Die Schwierigkeit aber der Beschaffung geeigneter
Versuchspersonen und sonstige Hindernisse machten vorläufig die Weiter¬
arbeit unmöglich, so daß sich Vortragender zur Veröffentlichung der bis
jetzt vorliegenden Beobachtungen entschließen mußte. Eine ausführliche
Mitteilung des gesamten Materials wird in kurzer Zeit erfolgen.
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Referate und Besprechungen.
883
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Timbal, Les dyspepsies gastriques des tuberculeux. (Archives medic.
de Toulouse, Nr. 2—3, 1911.) Germain See sagt, der Tuberkel beginnt
oft und endigt fast immer mit Gastrodyspepsie.
1. Die prätuberkulöse Dyspepsie. Hier handelt es sich um eine Gastr-
algie; der Appetit ist erhalten, oft sogar vermehrt, aber bei der Verdauung
tritt ein ausgesprochener, lebhafter Schmerz auf, der seinen Höhepunkt
2 —3 Stunden nach der Mahlzeit hat. Oft tritt dann plötzlich etwa nach
einem Jahre eine Hämoptoe auf. Es liegt hier eine Hyperchlorhydrie vor,
eine Folge der beginnenden Tuberkulose, deren Gift auf die sekretorischen
Nerven des Magens einen Reiz ausübt oder eine Verminderung der Motilität
verursacht, wodurch dann die Ingesta durch ihr längeres Verweilen im
Magen den Reiz ausüben. Oder diese Hyperchlorhydrie fällt mit dem Be¬
ginn der Tuberkulose zusammen und schafft in ihren Folgen einen gün¬
stigen Boden für diese.
2. Die Dyspepsie des 1. Stadiums. Gewöhnlich mit den ersten Lungen -
Symptomen: ein geschwächter, unregelmäßiger, launischer Appetit, nament¬
lich Fleisch und Fett gegenüber. Manchmal mit unangenehmen Empfin¬
dungen nach dem Essen: Druck in der Magengegend 2 Stunden nach der
Mahlzeit ev. mit Schmerz, sogar ein richtiger Magenkrampf. Ausnahms¬
weise ein sehr empfindlicher gastralgischer Schmerzpunkt: saures fötides
Aufstoßen, Regurgitationen, Sodbrennen im Ösophagus und Pharynx. Husten¬
anfälle nach der Nahrungsaufnahme (Willi’s gastrischer Husten): Reiz der
Magenschleimhaut. Peter: Die Tuberkulösen husten, weil sie essen, und
erbrechen, weil sie husten. Dies ist aber weder pathognomonisch noch
konstant. Physikalisch: Atonie und Untätigkeit mit folgender Dilatation,
Plätschergeräusch. Chemisch: Hyperchlorhydrie; sehr häufig ein Übermaß
organischer Säuren. Der Zustand bessert oder verschlimmert sich mit der
Tuberkulose, geht ev. in die terminale Gastritis über.
Pathologisch-physiologisch spielen 3 Faktoren eine Rolle: 1. die Atonie
mit oder ohne Dilatation und ihre Folgen, 2. die sekretorische Insuffizienz,
welche die launischen Zustände des Appetits erklären, und der Reiz des
Pneinnogastrikus, welcher den Husten und das Erbrechen erklärt.
Die Dyspepsie der Tuberkulose ist eine toxische durch das Tuberkulose-
gift, das in erster Linie eine Anämie erzeugt, die ihrerseits wieder die eben
besprochenen Folgen verursacht, die aber nach anderen Autoren durch eine
Läsion des gesamten Nervensystems, insbesondere des Pneumogastrikus, Zu¬
standekommen. Es gibt 5 Formen: 1. die banale dyspeptische (eben be¬
schrieben), 2. die pseudochlorotische (Abmagerung. Ermüdung, Fieber) nur
bei jungen Mädchen, 3. den schweren neurasthenischen Typ. Die Tuberkulose
beginnt oft unter dem Bild einer schweren Neurasthenie mit dyspeptischen
Pirscheinungen, 4. die mit Dilatation des Magens verbundene, Gefühl der
Schwere, des Aufgeblasenseins nach Mahlzeiten, Erbrechen, namentlich mor¬
gens, 5. eine Form mit unstillbarem Erbrechen.
Neuerdings hat man der chemischen Untersuchung des Mageninhaltes
eine gewisse prognostische Bedeutung beigemessen. Nach Cautru kann in
allen Stadien aus dem Zustand der Magensekretion die Prognose der Tuber¬
kulose gestellt werden. Wenn trotz einer beträchtlichen Besserung des
Zustandes der Lungen der chemische Befund des Magens schlecht ist, nament¬
lich wenn sich eine Gastritis entwickelt und zur Apepsie führt, so ist die
Prognose fatal. Eine Besserung der chemischen Verhältnisse des Magens fällt
zusammen mit einer Besserung der Lungensymptome; eine dauernde Heilung
ist nur möglich, wenn der Magen regelrecht funktioniert, er bedarf deshalb
auch bei einem anscheinend geheilten Tuberkulösen ständiger Überwachung.
Die Dyspepsie des 2. Stadiums ist eigentlich nur ein Übergangsstadium
zur terminalen Dyspepsie, das sich meist in einer Hypersthenie und in dem
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Referate und Besprechungen.
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der terminalen Dyspepsie vorausgehenden typischen Widerwillen vor Fleisch
und Fett äußert.
Im Moment, wo die Lungenläsionen sich zu Kavernen erweichen,
treten fast konstant ganz spezifische digestive Störungen auf. Es handelt,
sich dabei um eine richtige Gastritis mit organischer Alteration der Schleim¬
haut und der Drüsen. Sie kann sich aus den früheren Stadien entwickeln
oder brüsk, primär bei Leuten, die niemals magenkrank waren. Erstes
Zeichen: Widerwillen gegen alle Speisen, insbesondere Fleisch und Fette.
Auf erzwungenes Essen Erbrechen spontan, ohne Husten, mit starken An¬
strengungen und ausgesprochener Nausea. Kein saures Aufstoßen, keine
Pyrosis. Weiterhin ist charakteristisch eine oft schon einige Tage vor dem
ersten Auftreten der Magenerscheinungen sich einstellende, später anhaltende
Diarrhöe. Physikalisch: Dilatation, Druckschmerz. Chemisch: Hypochlor-
hydrie, nie freie HCl. Mit Gastritis Hand in Hand geht das hektische
Fieber. Weiterer Verlauf: entsprechend den Lungenläsionen. Prognose: sehr
ernst. v. Schnizer (Höxter).
Lee (New York), Acute dilatation of the stomach following surgical
operations. (Boston med. and surgic. journal, Nr. 16, 1911.) Nach des
Verf. Ansicht handelt es sich um eine Neurose, eine ernste vasomotorische
Störung, die durch Lähmung zur Gasbildung und damit zur Dilatation führt,
was ganz rapid bei einem eben jgeleerten und gespülten Magen auftreten kann.
Die Kranken machen von vornherein einen ernsten Eindruck, oberfläch¬
liche rasche Atinnjng, rapider kleiner Puls, von Anfang an zunehmend
(charakteristisch), kalte klebrige Haut. Die Palpation ergibt einen enorm
— oft bis ins Becken — ausgedehnten U-förmigen Magen, gewöhnlich mit
einem Knick an der unteren Kurvatur. Shokerscheinungen und Erbrechen.
Charakteristisch undl prognostisch ernst ist die Ausdehnung nach links,
wegen ihres Einflusses aufs Herz. Therapie: Morphin, Strychnin.
v. Schnizer (Höxter).
John Funke (Atlanta), Darmfäulnis und Neuralgien. (New York medic
Journal. Nr. 7, 1911.) Eine Reihe von Beobachtungen hat den Professor
Funke von der Universität Atlanta dahin geführt, die Resorption von Pro¬
dukten der Darmfäulnis als eine Ursache für Neuralgien anzusehen. Daraus
ergibt sich dann die Therapie von selbst: Diät und Darmreinigung. Der
alte Spruch: Qui bene purgat, bene curat, scheint allmählich wieder zu Ehren
zu kommen; noch besser freilich wäre es, wenn die Menschen ihrem Ver-
dauungstraktus nicht zu Viel aufbürden wollten; dann würde sich das
Purgieren von selbst erübrigen. Buttersack (Berlin).
Walther (Paris), Appendizitis und Tuberkulose. (Bullet med., Nr. 27,
S. 278, 1911.) Der Hinweis von Faisans, daß eine chronische Appen¬
dizitis klinisch als (Lungen-)Tuberkulose imponieren könne, hat ein leb¬
haftes Echo gefunden. So berichtete Walther in der Soc. medicale des
höpitaux vom 31. März 1911 über zwei analoge Fälle, eine 22 jährige
Krankenpflegerin und einen 12jährigen Jungen mit adenoiden Wucherungen
im Rachen, von welchen die erstere durch die Entfernung der Appendix
bereits völlig geheilt ist, während bei dem Jungen im Hinblick auf typische
Druckschmerzhaftigkeit der rechte Fossa iliaca mit Defense musculaire die
Operation demnächst ausgeführt werden soll. — Auch de Massary hat
einen entsprechenden Fall beobachtet und geheilt.
Bemerkenswert jst, daß die Pat. weder durch ihre Anamnese noch
durch ihre Klagen auf den Wurmfortsatz hindeuteten, sondern den typischen
Eindruck beginnender Lungentuberkulose machten. Buttersack (Berlin).
Emmerich (München), Neue Beweise für die Verursachung der Cholera
durch salpetrige Säure. (Mtinchn. med. Wochenschr., Nr. 18, 1911.) Der
Choleraanfall wird immer durch Zufuhr von nitrathaltigen Nahrungsmitteln
ausgelöst. Imi Mund, Magen und Darm werden die Nitrate durch die
Kommabazillen zu giftigen Nitriten reduziert und aus diesen setzt dann die
Magensalzsäure die salpetrige Säure in Freiheit, welche die wichtigsten
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Referate und Besprechungen.
835
Symptome der Cholera verursacht. Zur Stütze dieser seiner Theorie führt
E. folgende Tatsachen auf: Die Versuche Capellonis in Neapel während
der letzten Choleraepidemie haben wie die Versuche, welche E. selbst in
Konstantinopel anstellen konnte ergeben:
1. Daß der Inhalt und die Schleimhaut des Dickdarms bei Cholera in
der Hälfte der Fälle noch in der Leiche sauer reagieren und salpetrige Säure
enthalten, während bei 02 an anderen Ursachen Gestorbenen niemals eine Spur
von salpetriger Säure nachweisbar war.
2. Daß der Harn frischer Cholerafälle zu bestimmten Zeiten große
Mengen von salpetriger Säure (der Nachweis wurde durch die Gries’sche
Reaktion erbracht) enthält. Es muß also im Blut salpetrige Säure zirku¬
liert haben. Der direkte Nachweis im Blut gelang bisher nicht. Der Harn
von Gesunden ist stets frei von salpetriger Säure. Schließlich wird auf die
Tatsache hingewiesen, daß Säuglinge, und zwar nur solche, welche Brust¬
nahrung genießen, erfahrungsgemäß immun gegen Cholera sind. Da die
Milch nitratfrei ist, wird die Tatsache durch E.’s Theorie sehr gut erklärt.
Es würde also genügen, sich nitratfrei zu ernähren, um choleraimmun
zu sein. Hoffen wir, daß E.’s Theorie sich als richtig erweist!
R. Isenschmid.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
N. J. Sjablow (Iwanowa-Wosnjessensk), Über Geburten nach Ventro-
fixation. (Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 12, 1911.) In Anbetracht der sich
widersprechenden Urteile über die Frage der Ventrofixation beschreibt
Sjablow als Beitrag zur Klärung der Sachlage die Geschichte einer Pat.,
die nach der Ventrofixation dreimal schwanger war. Die erste Geburt er¬
folgte spontan, die zweite Gravidität endete mit Abort, die dritte mit Wen¬
dung und glücklichem Ausgang für Mutter und Kind. Seit der Ventrofixa¬
tion waren 9 Jahre vergangen. Esch.
H. Schlimpert u. K. Schneider (Freiburg i/B.), Sakralanästhesie in
der Geburtshilfe und Gynäkologie. (Münchn. med. Wochenschr., S. 2561,
1910.) Die beiden Autoren haben die Sakralanästhesie von Cat helin «an
dem Freiburger Kliniksinaterial nachgeprüft und zwar mit der von Groß
und La wen angegebenen Modifikation der Injektionsflüssigkeit. Sie fanden
dabei einige technische Schwierigkeiten bei der Punktion des Sakralkanales,
so daß sie vor Anwendung der Sakralanästhesie bei dicken Personen warnen.
Schädigungen der Patienten wurden durch die Sakralanästhesie nicht be¬
obachtet. ebensowenig bemerkenswerte Nachwirkungen. Gynäkologisch ist
die Methode verwendbar bei allen Operationen der Vagina, der äußeren
Genitalien und am Dammaftergeb'iet. Geburtshilflich wurde sie mit Erfolg
beim Forzeps, der Dammnaht und ähnlichen verwandt; für Wendungen
reicht sie nicht aus. Für den spontanen Partus ist sie höchstens in der
Austreibungsperiode verwendbar, wenn diese nicht zu lange dauert; denn
die Sakralanästhesie hält nur ca. 1 Stunde an. Dagegen haben die Autoren
sie mit Erfolg angewandt in Kombination mit dem Morphium-Skopolamin-
dämmerschlaf; sie machten bei Beginn der Geburt die erste Morphium-
Skopolamininjektion und sofort darauf die sakrale Injektion. Letztere wirkt
sofort, bis dann allmählich der eintretendc Dämmerschlaf die Sakral anästhesie
ersetzt. Frankenstein (Köln).
v. Herff (Basel), Die kausale Behandlung einer Dystokie bei engem
Becken. (Münchn. med. Wochenschr.. S. 227, 1910.) Die kausale Behand¬
lung einer Dystokie tnuß als Objekt ihres Angriffes einen oder mehrere
Hauptursachen der Geburtserschwerung wählen, als welche die Wehenkraft,
die Größe des Beckens, die Größe und Konfigurationsfähigkeit des kind¬
lichen Kopfes anzusehen ist.
Die Wehenkraft läßt sich bislang nicht kausal beeinflussen, so daß
als Angriffspunkte nur die anderen beiden Faktoren in Frage kommen.
Die Größe des Beckens läßt sich durch Lagerung der Mutter (Walther-
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Referate und Besprechungen
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Klein’sche Hängelage bei Beckeneingangs-, Steißrückenlage für Beckenaus¬
gangsdystokien lun ca. 1 ccm beeinflussen und durch Beckenspaltung. Letztere
ist aber durchaus nicht harmlos (mütterliche Morbidität 4,4%, kindliche
7—9%), darf also nur als Operation der äußersten Not bei Mehrgebärenden
ausgeführt werden. Für Erstgebärende eignet sie sich nur in Ausnahme -
fällen, wegen der scheußlichen Nebenverletzungen.
Die Einwirkung auf den kindlichen Kopf als Angriffspunkt für die
kausale Dystokiebehandlung läßt sich erreichen: durch künstliches Zurück¬
halten der Fruchtentwicklung (Prochownik’s oder Brüninghausen’s Diät).
Diese Methode eignet sich nur für ganz wenige Fälle. Ferner Einleitung
der künstlichen Frühgeburt, die in v. H.’s Hand vorzügliche Erfolge ge
zeitigt hat. (Spontangeburten in 80%) endlich die Verkleinerung des Kindes,
die im allgemeinen nur bei abgestorbenen Kindern in Frage kommt.
Bei zu großen Dystokien versagt die kausale Dystokie, dann tritt die
Entbindung durch Schnitt in ihr Recht. Ref. vermißt in Anbetracht der
Überschrift, die Aufführung der durch die Weichteile bedingten Dystokien,
welche nicht unter die Dystokien durch fehlende Wehenkraft zu subsumie
ren ist. Frankenstein (Köln).
G. Schickele (Straßburg), Wirksame Substanzen in Uterus und Ovarium.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 123, 1911.) Die Erklärung jener eigentüm¬
lichen. vielfach unstillbaren Uterusblutungen ist bisher durch anatomische
Untersuchungen von Uterus und Ovarien nicht gelungen. Die Möglichkeit
chemischer Korrelationen liegt hier sozusagen in der Luft. Sch. experimen¬
tierte nun mit den verschiedenen Organpreßsäften und fand als charakte¬
ristische Wirkung der Preßsäfte von Ovarium, Corpus luteum und Uterus
eine Blutgerinnungshemmung in vitro. Bei intravenöser Injektion fand er
eine intensive Blutdrucksenkung infolge Gefäßerweiterung, oft mit deut¬
licher Verzögerung der Gerinnbarkeit des Körperblutes; zugleich traten
Zuckungen, oft starke Krämpfe auf mit teilweiser Benommenheit. Bei inten
siver Wirkung fand sich eine Verlangsamung der Atmung und des Pulses
der oft schon nach geringen Dosen in kurzer Zeit der Tod folgen kann.
Außerdem wurden auch heftige Darmkontraktionen beobachtet. ScR. betont
in seiner vorläufigen Mitteilung die Analogie dieser Zustände mit den bei
der Anaphylaxie beobachteten Symptomen. Praktische Folgerungen lassen
sich vorderhand nicht ziehen. Frankenstein (Köln).
Pulvermacher (Charlottenburg), Über die Behandlung der puerperalen
Blutung mit Secacornin Roche. (Allgem. med. Zentralztg., Nr. 18, 1911.)
Verf. Erfahrungen umfassen ca. 300 Fälle. Er zieht folgende Schlüsse:
Secacornin Roche wirkt schneller als die sonstigen Sekalepräparate; Injek¬
tionen senkrecht zur Oberfläche in die Nates sind schmerzlos. Bei Schnell -
entbindungen und zurückgebliebenen Plazentarresten trat in kurzer Zeit
prompte Wirkung ein. Er gab, wenn nach 1—IVastündigem Warten auf die
Nachgeburhstücke sich an diesen zeigte, daß Reste zurückgeblieben waren,
in den nächsten Tagen 3—4 Spritzen Secacornin mit Scheidenspülungen.
Am 2. Tag leichter Temperaturanstieg. Die Plazentarreste traten bald bei
der Spülung auf. Bei Schnellentbindungen trat die wehenbefördernde Wir¬
kung oft schon nach 10 Minuten auf. v. Schnizer (Höxter).
J. Cowen, Ein Fall von Retentio mensium. (Practitioner, Bd. 86.
H. 5.) Das 17jährige Mädchen von kümmerlicher Entwicklung fühlte sich
regelmäßig unwohl, doch ohne daß die Menses in äußere Erscheinung traten.
Da die Hausmittel nichts halfen und häufige Urinretention hinzutrat, auch
der Uterus die Größe des 8. Monats hatte, wurde die Kranke im Spital
aufgenommen, was gleich in der folgenden Nacht die erwünschte Wirkung
hatte, daß sie zwei Nachtgeschirre voll einer dunkelbraunen Flüssigkeit
zur Welt brachte, und zwar ohne Wehen. Wie es ihr weiter ergangen ist,
wird leider nicht berichtet. Fr. von den Velden.
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Referate und Besprechungen.
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Psychiatrie und Neurologie.
E. Rüdin (München), Über den Zusammenhang zwischen Geisteskrank¬
heit und Kultur. (Arch. für Rassen- und Gesellschaftsbiologie, Jhrg. 7,
H. 6.) R. ist überzeugt, daß die moderne Kultur in geistiger und körperlicher
Beziehung degenerierend wirkt. Neben dem Alkoholismus und der Syphilis
spielt vor allem die unzweckmäßige Lebensweise des geistig arbeitenden
Menschen eine Rolle, welche u. a. zur völligen Vernachlässigung der Be¬
wegungsorgane, zur Unterschätzung von Licht und Luft geführt hat. Von
den zahlreichen Unzweckmäßigkeiten moderner Anschauungen und Gewohn¬
heiten, welche R. in beredter und lesenswerter Weise zusammenstellt, sei
nur noch hingewiesen auf die in der modernen Humanität begründeten
falschen Selektion inf. des Schutzes der Lebensunfähigen und Minderwertigen,
deren Zeugungsgelegenheit und Zeugungsdauer vermehrt wird. Diese enorme
Werterhöhung der Einzelexistenz führt u. a. zur Überbürdung der Tüchtigen
und damit leicht zu einer antiselektorischen Ausmerze. — Genauer kann
hier auf die umfassenden Gesichtspunkte der Arbeit nicht eingegangen wer¬
den, deren Lektüre allen empfohlen wird, welche für die modernen Be¬
strebungen der Rassenbiologie und Rassenhygiene Interesse haben. R. gehört
zu den Vorkämpfern derselben, und seine in manchen Punkten fast fanatische
Begeisterung für seine Ideen und Ziele wirkt angenehm erfrischend, mag
man auch in manchem auf einem gemäßigteren Standpunkt stehen.
Zweig (Dalldorf).
O. Klieneberger (Breslau), Zur differentialdiagnostischen Bedeutung
der Lumbalpunktion und der Serodiagnostik. (Arc.h. für Psych., Bd. 48,
H. 1.) Die Arbeit bringt nur bzgl. der Lues cerebrospinal. Neues. Hier fand
K. ebenso wie andere ein verschiedenes Verhalten, will aber auch dem¬
entsprechende klinische Verschiedenheiten nachweisen können. Die im Blut¬
serum und Liquor negativen Fälle weisen im Verhältnis zu den objektiven
'Erscheinungen nur geringe subjektive Störungen auf. Teils handelt es sich
um apoplektisch einsetzende Lähmungen, denen ernstere Symptome nicht
voraufgehen, und die auf spezifische Behandlung sich schnell zurückbilden,
teils entwickelt sieh das Krankheitsbild ganz allmählich unter einem neur-
asthenischem Symptomenbild. Es zeigt gewisse Monotonie und das Fehlen
akuter Schübe. Bei den Fällen, wo Serum und Liquor oder der letztere
allein positiv reagieren, handelt es sich um sehr schwere, schnell fort¬
schreitende und häufig mit psychischen Störungen einhergehende Prozesse,
die durch den häufigen Wechsel des Krankheitsbildes imponieren, erst durch
wiederholte, energische Kuren beeinflußt werden und gern rezidivieren. Viel¬
leicht liegen der ersten Form nicht entzündliche endarteriitische, der letzteren
mehr entzündliche meningitische oder meningomyelitische Prozesse zugrunde.
Bzgl. der Tabes und der Paralyse entsprechen die Resultate von K. in den
Hauptsachen den bisherigen Erfahrungen. Zweig (Dalldorf).
Nadal (Clermont), Excitation motrice ä forme poriomanique chez un
circulaire. (Annal. med. psych., März-April 1911.) Bei einem hereditär
nicht Belasteten entwickelt sich im Anschluß an Variola mit bald darauf¬
folgendem schweren Typhus eine zirkuläre Psychose. Während zuerst seine
wechselnd manischen und depressiven Phasen ihm noch Jahre lang seiner
kaufmännischen Beschäftigung nachzugehen erlauben und die Erfüllung
seiner Pflichten zu den verschiedenen Zeiten ihm nur verschieden schwer
wurde, wuchsen mit zunehmendem Alter sowohl die Länge als auch die
Intensität seiner Anfälle, so daß er während der manischen Erregungszeiten
eine geschlossene Anstalt aufsuehen und seine Stellung aufgeben mußte.
In seinen hypomanischen Zeiten gelang es ihm sogar zu einer gewissen Be¬
rühmtheit. zu gelangen, indem er bei großen Wettwanderungen erste Preise
errang und sich auch durch außerordentlich ausgedehnte Fußreisen einen
Namen machte. Zuvor war er in den hypomanischen Zeiten durch seine
Originalität, durch seine lebhafte und geistreiche Vertretung allgemeiner An¬
gelegenheiten, durch die Herausgabe einer Zeitung ein angesehener Mann ge-
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Referate und Besprechungen.
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worden. Mit zunehmendem Alter trat allerdings eine gewisse geistige, nach
N. durch sein Alter völlig erklärte (?) Schwäche ein. Er wurde in den
manischen Zeiten inkohärent geschwätzig, seine Pläne wurden kritiklos und
absurd und aus seiner Selbstgefälligkeit entstanden Größenideen. — Vielleicht
gehört mancher von den Globe-Trotters hierhin. Zweig (Dalldorf).
Saenger u. Sudeck (Hamburg), Ober den Morbus Basedowii. (Münehn.
med. Wochenschr., Nr. 16, 1911.) Saenger tut uns dar, wie er in dcii
letzten Jahren seine Auffassung der Basedowschen Krankheit, die früher für
ihn lediglich eine Neurose war, geändert hat zugunsten der Auffassung als
thyreogene Erkrankung; und zwar haben ihn besonders die glänzenden opera¬
tiven Resultate von Kocher und anderen Chirurgen überzeugt. Wohl sieht
er, daß manches zugunsten der Neurosetheorie spricht: das häufige Auftreten
des Basedow bei Neuropathen, die Entstehung im Anschluß an einen
Schrecken und anderes mehr; andererseits sah er so häufig Heilungen des
Basedow durch partielle operative Ausschaltung der Schilddrüse, daß er
dieses Organ in den Vordergrund stellt. Sah er doch auch mehrmals Base¬
dow in Gefolge einer Thyreoiditis auf treten.
Auch sämtliche anderen Theorien des Basedow werden erörtert und
die ganze Ätiologie und Symptomatologie kurz gestreift. Als zu wenig
bekannt, sollen hier nur wenige Punkte hervorgehoben werden: Die Häufig¬
keit des Vorangehens einer Infektionskrankheit, besonders Angina, Bron¬
chitis, Gelenkrheumatismus; ferner die Tatsache, daß mail während mancher
akuter Infektionskrankheiten, auch wenn sie keine Symptome von ßeiten
der Schilddrüse zuriicklassen, eine vorübergehende Schwellung der Schild¬
drüse beobachten kann. Dieses Organ wird also sehr häufig durch allge¬
meine Infektionen in nachweisbarer Weise in Mitleidenschaft gezogen. Diese
Tatsache, auf die in Deutschland wohl zuerst de Quervain hingewiesen
hat, ist hierzulande viel weniger bekannt als z. B. in Frankreich.
Therapeutisch wird der chirurgische Eingriff, besonders das Kocher-
sehe Verfahren warm empfohlen. Was die internen Mittel betrifft, hat
Saenger die besten Erfolge durch Ruhe und Mastkuren erzielt, in anderen
Fällen hat ein Aufenthalt auf dem Lande oder im Hochgebirge wesentlich
genützt. Das Möbiussche Antithyreoidinserum und Rodagen ergaben mehr¬
mals gute Erfolge, in zwei Fällen auch die Röntgenbestrahlung der Schild¬
drüse. R. Isenschinid.
Joseph Glamser (Tübingen), Beeinflussung der Hirnzirkulation durch
Bäder. (Zeitschr. für phys. u. diät. Therapie, Bd. 15, H. 3, 1911.) Kalte
Bäder erweitern, warme verengern die Hirngefäße. Buttersack (Berlin).
Spangier hat 11 Fälle von Epilepsie mit subkutanen Injektionen von
Crotalin behandelt (0,03 Crotalin, 0,06 Glyzerin, 12 ccm aq. dost.; Vs ccm
enthält 0,006 Crotalin). Die mittlere Dosis betrug 0,0003, die stärkste
O, 005 Crotalin. 15 Sekunden bis 1 Minute nach der Injektion tritt an der
betreffenden Stelle ein Brennen auf. Verf. hat trotz der geringen Anzahl
der Fälle festgestellt, daß sie hinsichtlich der Schwere und der Intervalle
sehr günstig beeinflußt werden. Er hat keine üblen Nebenwirkungen, keine
Depression durch das Mittel festgestellt. (Les nouv. remedes, Nr. 6, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
M. Farkas (Budapest), Das Wetterfühlen. (Zeitschr. für phys. u. diät.
Thcr., Bd. 15, H. 2, Februar 1911.) Die Physiologen in 100 Jahren werden
sich wundern, wie wenig Gewicht wir Heutigen auf die energetischen Ele¬
mente des unendlichen Luftmeeres gelegt haben, des Milieus, in und von
welchem wir dauernd leben. Aber immerhin sind doch auch heute schon
einige Köpfe zur Aufnahme dieses Gedankens bereit. In anregend plau¬
dernder Weise hat Farkas auf dem 6. Baliieologenkongreß in Salzburg
von Patienten erzählt, welche allerlei Vorgänge und Verschiebungen in der
Atmosphäre, Regen, Wind, Gewitter usw. mehrere Stunden, bis zu einem
Tage, Vorhersagen können. Er betrachtet sie als Neurastheniker unter An¬
lehnung an die Definition von Goldscheider, nach welcher jedes Indi-
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Bücherschau.
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viduum als neurasthenisch zu bezeichnen ist, bei welchem die Neuronschwelle
so niedrig liegt, daß schon bei geringen Reizen eine Überfunktion auf tritt,
fügt aber einschränkend hinzu, daß die Neurasthenie auf eine einzelne Funk¬
tion beschränkt sein könne, auf die Genitalsphäre, auf das kardiovaskuläre
System usw.
Daß Veränderungen im Luftmeer auf die Tierwelt einen Einfluß aus¬
üben müssen, bedarf keines Beweises, höchstens für ungläubige Thomasse,
die mit ihrer Skepsis etets am falschen Fleck einsetzen. Ob man beim
Menschen eine Reaktion für neurasthenisch erklären will, die in der Tier¬
welt normal ist, mag dem Geschmack des einzelnen überlassen bleiben. Inter¬
essanter wäre es, den Faktoren nachzuforschen, welche diese Reaktionen
bedingen; aber darauf geht Farkas weiter nicht ein. nur hypothetisch
streift er die atmosphärische Elektrizität als Hauptfaktor. Leider hat die
Physiologie dieser Energie verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit geschenkt,
obwohl die Physik in diesem Gebiete keineswegs untätig gewesen ist. Viel¬
leicht nimmt aber doch einmal ein physikalisch geschulter Arzt derlei Beob¬
achtungen zum Ausgangspunkt für Studien, was denn das für Kräfte sind,
für welche die Natur in der tierischen Organisation so erstaunlich feine
Reaktionsapparate geschaffen hat. In den — auch in dieser Zeitschrift be¬
sprochenen und empfohlenen Werken von Gocht bzw. H. Mache und
v. Schwei d ler würde er mancherlei Anhaltspunkte finden.
Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
Abuladse, Zur Diagnosenfrage der progressierenden Schwangerschaft im rudimen¬
tären Horn des Uterus uni cornis. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 614, Gynäkologie
Nr. 221. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 16 S. 75 Pfg.
Aichel, Über Zellverschmelzung mit qualitativ abnormer Chromosomenverteilung als
Ursache der Geschwulstbildung. Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik der
Organismen. Heft 13. Leipzig 1911. Verlag von Wilhelm Engelmann. 115 S. 4,40 Mk.
Alexander u. Alt, Bad Reichenhall als klimatischer Kurort. München 1911.
Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 64 S. 1,50 Mk.
Auerbach, Die Hauptursachen der häufigsten Lähmungstypen. Sammlung klinischer
Vorträge Nr. 632/634, Innere Mödizin Nr. 203/204. Leipzig 1911. Verlag von Job.
Ambr. Barth. 47 S. 1,50 Mk.
Bainbridge, Arterial Ligation for Irremovable Cancer of Pelvio Organs-Technic
Adapted and Amplified. The Woman’s Medical Journal, April 1911. 32 S.
Dempwolff, Die Haftung und Lösung der Plazenta nach Untersuchungen mittels des
StraOmann’schen Phänomens. (Ein Beitrag zur Vervollkommnung der Leitung der Nach¬
geburtsperiode). Sammlung klinischer Vorträge, Nr. 618/619, Gynäkologie Nr. 225/226.
Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 53 S. 1,50 Mk.
Der 39. schlesische Bädertag, 1910. Bearbeitet und Herausgegeben von dem
Vorsitzenden Dr. Büttner Bad Salzbrunn 1911. Verlag des schlesischen Bädertages.
Donath, Reflex und Psyohe. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 592, Innere
Medizin Nr. 190. Leipzig 1910. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 20 S. 75 Pfg.
Ellis, Die Welt der Träume. Deutsche Originalausgabe besorgt von Dr. Hans
Kurelia. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 296 S- 4 Mk.,
geb. 5 Mk.
Hagenbach, Physiologie und Pathologie der Hypophyse. Sammlung klinischer
Vorträge Nr. 637, Chirurgie Nr. 178. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Bartb.
15 S. 75 Pfg.
Hegar, Die Entwicklungsstörungen des knöchernen Beckens, ihre Einteilung und
allgemeine Genese. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 639, Gynäkologie Nr. 234.
Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 20 S. 75 Pfg.
Higier, Die die Neubildungen des Zentralnervensystems simulierenden Krankheits¬
zustände. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 589, Innere Medizin Nr. 189. Leipzig
1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 23 S. 75 Pfg.
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Büdierschau.
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Internationale Hygieneausteilung Dresden 1911. (Einrichtungen auf dem Gebiete des
Unterrichts- und Medizinalwesens im Königreich Preußen). Jena 1911. Kommissions¬
verlag von August Fischer. 275 S. 2 Mk.
de Jong, Etüde Histo-Chimique &, Cytologique des Crachets. Paris 1907. 156 S.
Kleine, Die Heilung der gichtisch-rheumatischen Erkrankungen gemäß der erfolg¬
reichst bewährten Methode des Dr. med. M. J. Kittel. Berlin 1911. Verlag von Kleine
& Stapf. 127 S. 3,50 Mk. *
Klotz, Die Bedeutung der Konstitution für die Säuglingsernährung. Würzburg 1911.
Curt Kabitzsch (A. StubePs Verlag). 45 S. 85 Pfg.
Kuhn, Die Verhütung und operationslose Behandlung des Gallensteinleidens. Fünfte
und sechste vermehrte und verbesserte Auflage. München 1911. Verlag der Ärzt¬
lichen Rundschau (Otto Gmelin. 95 S. 2 Mk.
Mitteilungen des Vereins der Ärzte in Steiermark. 48. Jahrg., Nr. 5, Mai 1911.
Moll, Die Behandlung sexueller Perversionen mit besonderer Berücksichtigung der
Assoziationstherapie. Mit 1 Abbildung. Sonderabdruck aus der Zeitschrift für
Psychotherapie und medizinische Psychologie, Bd. 3, H. 2. Stuttgart 1911. Verlag
von Ferd. Enke. 29 S.
Moll, Kraepelin’s Experimente mit kleinen Alkoholdosen. Sonderabdruck aus der
Zeitschrift für Psychiatrie und medizinische Psychologie, Bd. 3, H. 2. Stuttgart
1911. Verlag von Ferd. Enke. 21 S.
Müller, Beiträge zur Kreislaufphysiologie des Menschen, besonders zur Lehre von
der Blutverteilung. Studien an Wasser-, Kohlensäure-, Sauerstoff- und hydroelektrischen
Bädern verschiedener Temperatur. 2. Teil: Die gashaltigen Bäder. Sammlung
klinischer Vorträge Nr. 630/632, Innere Medizin Nr. 199/201. Leipzig 1911. Verlag
von Joh. Ambr. Barth. 96 S. 2,25 Mk.
Neu, Über Infusion von Suprarenin-Kochsalzlösungen. Kritisches Referat an der
Hand eigener Erfahrungen, zugleich Betrachtung des Problems der Peritonitis¬
therapie. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 622, Gynäkologie Nr. 228. Leipzig
1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 17 S. 75 Pfg.
Pinous, Die Praxis der Atmokausi^. Mit 10 Abbildungen. Sammlung klinischer
Vorträge Nr. 628/629, Gynäkologie Nr. 232/233. Leipzig 1911. Verlag von Joh,
Ambr. Barth. 39 S. 1,50 Mk.
Remertz, Über prophylaktische Injektion von Tetanusantitoxin. Sammlung klini¬
scher Vorträge Nr. 635/636, Chirurgie Nr. 176/177. Leipzig 1911. Verlag von Joh.
Ambr. Barth. 47 S. 1,50 Mk.
Schilling, Leberkrankheiten. München 1911. Verlag der Ärztlichen Rundschau
(Otto Gmelin). 42 S. 1,20 Mk.
Stein, Grund-Schema der Geisteskrankheiten. Zusammengestellt nach den Vor¬
trägen des k. k. Hofrats Prof. Dr. J. r Wagner v. Jauregg. 6 Tabellen. Wien
und Leipzig 1911. Verlag von Josef Safär. 1,40 Mk.
Straßmann, Medizin und Strafrecht. Enzyklopädie der modernen Kriminalistik.
Mit 153 Abbildungen. Berlin-Lichterfelde 1911. Verlag von Dr. P. Langenscheidt.
564 S. 20 Mk., geh. 23 Mk.
The Fifth Report of the Cancer Commission of Harvard University. (Formerly
the Caroline Brewer Croft Fund Cancer Commission). Boston (Massachusetts) 1911.
The Medical School of Harvard University. 265 8.
Thorn, Zur Inversio uteri. Sammlung klinischer Vorträge Nr. 625/627, Gynä¬
kologie Nr. 229/231. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 109 S. 2,25 Mk.
van Velzen, Psychoencephale Studien. Joachimsthal i. Mark 1909. 42 S. 3 Mk.
Vierzig Jahre Deutschen Hospitals und Dispensary in der Stadt New York. Eine
geschichtliche Darstellung. 119 S.
Wapler, Geheimrat Erich Harnack und sein Lehrbuch der Arzneimittellehre oder
Homöotherapie in der Schulmedizin. Leipzig 1911. Verlag von Dr. Willmar Schwabe. 49S.
Wolffberg, Analytische Studien an Buchstaben und Zahlen zum Zweck ihrer Ver¬
wertung für Sehschärfeprüfungen. Mit 17 Figuren im Text und 7 Tafeln zur Seh¬
schärf eprüfung. Leipzig 1911. Verlag von Wilhelm Engelmann. 67 S. 4 Mk.
Zesas, Über Harnstörungen nach Verletzungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks.
Sammlung klinischer Vorträge Nr. 638, Chirurgie Nr. 179. Leipzig 1911. Verlag
von Joh. Ambr. Barth. 18 S. 75 Pfg.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
Tomcbritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her*uogeg©b«n tod
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. c. Crfcgtro
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Dannstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von S Mark
Nr. 36. I f&r das Halbjahr.
II — 1 Verlag von Georg Thleme, Leipzig. =
7. Scptbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Erfahrungen und Resultate an ca. 100 unblutig operierten
angeborenen Hüftgelenksverrenkungen.
Von Dr. rned. Fritz Härting, Spezialarzt für Chirurgie und Orthopädie in Leipzig.
(Vortrag, gehalten auf dem Orthopäden-Kongreß zu Berlin im April 1911.)
Von den ca. 150 Kindern mit angeborener Hüftgelenksluxation,
welche meine Sprechstunden im Laufe der Zeit passierten, habe ich bis
jetzt 86 Kinder operativ, d. h. unblutig behandelt, mit bis jetzt 110 luxier¬
ten Gelenken. Will ich meine Resultate statistisch verwerten, so trenne
ich zunächst unter den einseitig luxierten Kindern diejenigen vom
1.—6. Lebensjahr von denen vom 6.—8. Lebensjahr, und bei den Kindern
mit doppelseitiger Luxation diejenigen im Alter vom 1.—6. Lebenst-
jahre von denen, die über das 6. Lebensjahr hinaus sind. Die einseitigen
Luxationen jenseits des 8. Lebensjahres sind ebenfalls gesondert pu
behandeln.
Wenn ich die Kinder, die ich zurzeit, noch in Behandlung habe
— das sind 8 Kinder mit einseitiger Luxation vom 1.—8. Lebensjahr
und 11 Kinder mit doppelseitiger Luxation vom 1.- 6. Lebensjahr —,
von der obigen Ziffer abziehe, so bleiben mir für meine Statistik noch
41 einseitige Luxationen und 8 doppelseitige Luxationen, welche in der
Behandlung vollkommen abgeschlossen sind. Dieselben liegen 7 bis
reichlich 1 Jahr nach der Reposition zurück.
Von den 41 einseitig Luxierten betrafen 33 das Alter vom 1.—6.*
Jahr, 8 das Alter vom 6.-8. Jahr. Von den 33 einseitig Luxierten
waren 21 linksseitige, 12 rechtsseitige Luxationen. Von den 8 einseitig
Luxierten im Alter vom 6.—8. Lebensjahr betrafen 5 linksseitige,
3 rechtsseitige Luxationen.
Von den 33 einseitig Luxierten im Alter vom 1.—6. Jahre starb
während der Behandlung ein Kind an Diphtherie, unter den restieren- «
32 habe ich 30 komplette Repositionen bekommen, 1 Trans position und
1 exzentrische Reposition. Darunter waren nachgerenkt 2, und zwar
bekam ich in diesen 2 Fällen, nachdem ich anfangs nur eine Transposition
bekommen hatte, nach der zweiten Einrenkung noch ein konzentrisches
Schlußresultat.
Das wären also 94 Proz. komplette Repositionen bei ein¬
seitigen Luxationen im Alter vom 1.—6. Jahr.
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Fritz Härting,
Von den 8 Kindern im Alter vom 6.—8. Lebensjahr habe ich
7 komplette Repositionen erreicht und eine Transposition nach vorn;
darunter war nachgerenkt eine.
Nehme ich die einseitig luxierten Kinder vom 1.—8. Lebensjahr
zusammen, so komme ich auf einen Prozentsatz von 92,5 kompletten
Repositionen; gewiß ein Resultat, mit dem man zufrieden sein kann und
welches den Chirurgen nicht dazu bestimmen kann, von vornherein
eine angeborene Htiftluxation blutig behandeln zu wollen.
Wesentlich anders gestalten sich die Resultate bei den doppel¬
seitigen Luxationen. Von den 11 Kindern mit doppelseitiger Luxa
tion im Alter vom 1.—6. Lebensjahre habe ich bei 7 komplette
Repositionen beiderseits bekommen; bei 3 Kindern auf der einen
Seite komplette Reposition, auf der anderen Seite Transposition |nach
vorn. Doch gehen diese 3 Kinder so gut, daß die Eltern leider nicht
dazu zu bestimmen waren, nochmals einen Eingriff vornehmen zu lassen.
Bei einem Kinde habe ich auf der einen Seite eine konzentrische Repo¬
sition erreicht, auf der anderen Seite eine Reluxation, trotz des zweimal
wiederholten RepositionsVersuches.
Ich habe also bei 11 doppelseitigen Luxationen 7 komplette
Repositionen erreicht, d. h. 64 Prozent.
Auch bei den doppelseitigen Luxationen zeigt, sich, daß das gün¬
stigste Alter im 2.—4. Lebensjahre liegt; danach werden die Chancen
für eine konzentrische Heilung wesentlich ungünstiger.
Noch viel ungünstiger sind die Resultate bei den veralteten
Luxationen, d. h. einseitigen, jenseits des 8., und doppelseitigen, jen
seits des 6. Lebensjahres.
Ich habe bei einseitigen Luxationen im Alter vom 8.—15. Jahre
von 5 Kindern nur eine komplette Reposition erreicht und dabei noch
lange mit Kontra kturbeschwerden zu tun gehabt. Ein Fall ergab eine
Transposition nach vorn, bei drei Kindern habe ich den Kopf überhaupt
nicht mehr in die Pfanne gebracht. Wenn man diese geringe Zahl über¬
haupt prozentual verwerten wollte, so gäbe das demnach bei ver¬
alteten einseitigen Luxationen über das 8. Lebensjahr hinaus:
20 Proz. Repositionen, 20 Proz. Transpositionen und 60 Proz. Mißerfolge.
Von den veralteten dopj)elseitigen Luxationen, d. h. Luxationen
jenseits des 6. Lebensjahres, habe ich unter 4 Fällen in einem Falle die
eine Seite komplett reponiert durch ein zweimaliges RepositionsmanÖver;
die andere Seite kam nicht wieder zur Einrenkung, sondern entzog sich
der Behandlung. In 3 Fällen habe ich den Kopf überhaupt nicht in die
Pfanne hereingebracht.
Was die Versuche anlangt, alte Luxationen nach mißglücktem
Repositions versuch doch noch zu einem Resultat zu bringen, so habe
ich in zwei Fällen nach dem ersten Mißerfolg der Reposition das luxierte
Bein in rechtwinkliger Abduktion und Flexion cingegipst und nach
2—3 Wochen nochmals versucht, in tiefer Narkose zu reponieren; leider
in beiden Fällen ohne Erfolg.
In einem Falle von verspäteter Luxation — es handelte sich um ein
stark entwickeltes Mädchen von 12 Jahren — habe ich nach wieder¬
holtem Mißerfolg der unblutigen Reposition blutig operiert und zwar
nach Hoffa mit Ausbohrung der Pfanne und Zurechtstutzen des Schenkel¬
kopfes, danach Streckverband und darüber Gips verband, um die Abduk¬
tionsstellung genau zu dosieren. Es ergab sich jedoch, sowie der Streck-
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100 unblutig operierte angeborene Hüftgelenksverrenkungen.
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verband entfernt war, eine Reluxion; auch ein zweimaliger Repositions¬
versuch nützte nichts. Jedoch war das Schlußresultat noch insofern
günstig, als der Femurkopf sich hinter der Pfanne einstellte und das
Bein in starker Abduktion stehen blieb. Dabei bestand Flexionsmög¬
lichkeit bis zu einem Winkel von 45°, Abduktion bis zu einem Winkel
von ca. 30°, und geringe Adduktion. Das Kind muß demnach mit ent¬
sprechender Beckensenkung laufen, wodurch die Verkürzung vollkommen
ausgeglichen wird. Die Eltern waren mit dem Schlußresultat sehr zu¬
frieden ; ich schließlich auch.
Einen Fall habe ich, nachdem mir die unblutige Reposition nicht
geglückt war, inzidiert und versucht, manuell zu reponieren, wie dies
ebenfalls von einer Seite angegeben war; jedoch ohne Erfolg. —
Wenn ich jetzt zu den Unannehmlichkeiten komme, welche ich
bei Repositionen erlebt habe, so muß ich zunächst einen Exitus erwähnen
und zwar einen Chloroformtod. Es handelte sich um ein 10jähriges
Mädchen, welches schon anderweitig ohne Erfolg reponiert worden war.
Die Reposition glückte mir nach wenigen Minuten; der Schenkelkopf
sprang mit deutlich schnappendem Geräusch in die Pfanne, doch war in
demselben Moment plötzlich der Puls verschwunden und war auch trotz
mehr als einstündigen künstlichen Atmungsversuchen, Herzmassage,
Elektrisieren des Herzens usw. nicht wieder zu bekommen. Die Narkose
lag in den Händen eines Kollegen, der mir seit vielen Jahren bei allen
Laparatomien und größeren Operationen die Narkose macht und der
wirklich eine ausgedehnte Erfahrung hat. Die Sektion, welche Geheimrat
Prof. Dr. March and so liebenswürdig war, auszuführen, ergab ein
abnorm schlaffes kleines Herz mit flüssigem Blut in demselben; sonst
war nichts Krankhaftes zu finden. Am Becken zeigte sich, daß das
Ligain. teres vollkommen fehlte; in der Pfanne war ein geringes
Hämatom, der Femurkopf ließ sich leicht in die Pfanne zurückbringen,
demnach dürften die Aussichten für ein günstiges Schlußresultat keine
schlechten gewesen sein. —
Was ich noch bei den Repositionen beobachtet habe, sind 2 Hernien,
auf die ja von Narrath schon aufmerksam gemacht worden ist.
Da ich jede Luxation vor der Reposition röntge und ebenfalls!
während der Behandlung beim Verbandwechsel und nach Abschluß der
Behandlung systematisch Röntgenaufnahmen herstelle, so habe ich mir
gewöhnlich Bemerkungen über den Röntgenbefund am Becken vor und
nach der Einrenkung notiert. Daraus ergibt sich, daß das steile Becken
mit mangelnder Pfanne absolut keinen Grund gibt, ein ungünstiges Repo¬
sitionsresultat von vornherein anzunehmen; im Gegenteil: ich habe
gerade in den Fällen, wo ich mir notiert hatte' „Becken sehr steil, Pfanne
nur angedeutet“, meistens ein sehr günstiges Resultat erreicht, sodaß
ich selbst angenehm überrascht war. Es sind demnach Äußerungen den
Eltern gegenüber: „Hier ist keine Pfanne vorhanden, es wird eine Repo¬
sition in diesem Falle niemals glücken,“ zweifellos unrichtig und sicher
unangebracht, da sie die Eltern nur abschrecken, an dem Kinde etwas
vornehmen zu lassen.
Sehr interessant waren stets bei den Röntgen bildern die Ossifika-
tionsvorgänge an der Pfanne, die sich nach dem Y-Knorpel hin ent¬
wickelten. Diese Umbildungen des Knochens waren gewöhnlich 3—4
Monate nach Schluß der Fixationsbehandliing, welche ich auf 2 mal
10 Wochen ausdehne, zu beobachten. Ebenso interessant war stets die
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844 Fritz Harting, 100 unblutig operierte angeborene Hüftgelenksverrenkungen.
Umbildung des Kopfes, welcher nach der konzentrischen Reposition, die
frühere abnorme Form verlor und sich der normalen Form immer mehr
näherte. Man kann direkt aus der Umbildung des Schenkelkopfes und
aus den Ossifikationsvorgängen an der Pfanne den Schluß auf eine
konzentrische Einstellung ziehen; doch das sind ja alles bekannte Sachen,
auf welche schon von Joachimsthal, Springer u. a. zur Genüge
hingewiesen worden ist.
Was die Technik anlangt, so halte ich mich im großen und ganzen
an das, was ich bei Hoffa gelernt habe. Ich richte mittels Hof fa¬
schen Pumpschwengelbewegungen ein. Die Lorenz’sche Schraube habe
ich nur bei veralteten Luxationen einige Male angewendet, sie steht aber
jetzt schon lange auf dem Boden. — Ich gipse in Außenrotationsstellung
des Oberschenkels ein, weil da der Kopf viel weiter und deutlicher nach
vorn zu bringen ist, und lasse zur Feststellung der Rotationsstellung den
Gipsverband bis ca. 10 cm unterhalb des Kniegelenkes herabgehen. Diese
Kappe entferne ich gewöhnlich 4 Wochen nach der Reposition. Die
Fixation im Gipsverband dauert 2 mal je 10 Wochen, im zweiten Verband
wird das Bein gewöhnlich etwas tiefer gestellt, sodaß das Gehen im
Gips verband bequemer ist als in dem ersten Verband. Auf das Laufen
im Verband lege ich ein großes Gewicht; ich habe den Eindruck, daß die
funktionelle Belastung einmal zur Entwicklung des neuen Pfannendaches
und des Schenkelkopfes äußerst wichtig ist und 2. ist das Gehen auch
sicher von großer Bedeutung für die Entwicklung der Muskulatur des
Beines selbst. Eine Nachbehandlung habe ich nie gebraucht. Das repo-
nierte Bein verliert, gewöhnlich sehr bald seine Außenrotation und seine
Abduktionsstellung und nimmt gewöhnlich im Laufe von einigen Monaten
von selbst die richtige Stellung* wieder pin. Nur bei den veralteten,
Luxationen habe ich vor allem gegen die Kontrakturen ankämpfen
müssen und demnach Übungen an Pendelapparaten und Massagen an¬
zuwenden nötig gehabt. — Doppelseitige Luxationen reponiere ich nicht
mehr gleichzeitig, sondern bringe erst ein Bein zum Abschluß und nehme
mehrere Monate nach Schluß der Fixationsbehandlung der ersten Seite
das zweite Bein daran, wenn ich annehmen kann, daß die Stabilität des
zuerst reponierten Gelenkes eine genügende ist. Bei älteren doppel¬
seitigen Luxationen habe ich, zumal wenn die Kinder während der Be¬
handlung da« 6. Lebensjahr überschreiten, gleich bei der ersten Reposition
das zweite Bein mit reponiert, habe cs dann aber wieder aus der Pfanne
herausgleiten lassen, nur um mir dadurch bei der zweiten späteren Repo¬
sition die Arbeit zu erleichtern; Unannehmlichkeiten habe ich dadurch
bisher nie beobachtet.
Nach alledem geht mein Schlußresultat dahin: Fälle einseitiger
Luxation bis zum 8. Lebensjahre und doppelseitiger Luxation bis zum
6. Lebensjahr geben in der bei weitem größten Anzahl ein günstiges
Resultat, selbst wenn man ein zweitesmal reponieren oder eine eventuelle
Transposition nochmals nachreponieren sollte. — Bei den veralteten
Fällen, d. h. einseitigen Luxationen über das 8. Lebensjahr hinaus und
doppelseitigen, über das 6. Lebensjahr hinaus, ist es mehr oder weniger
ein glücklicher Zufall, wenn man noch eine Reposition erreicht. Das
günstigste Lebensalter für Luxationen, besonders bei doppelseitigen, ist
stets das Alter vom 2.—4. Lebensjahr.
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Esch, Wandlungen in der Medizin.
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Wandlungen in der Medizin.
(Nach einer in der Monatsschr. für prakt. Wasserheilk. 6/11 wiedergegebenen
Arbeit von Dr. H. Kerscheinsteiner in München.)
In unserer, fast ausschließlich das spezialistische Detail kultivierenden
Fachpresse sind zusammenfassende, von einer höheren Warte aus ge¬
schriebene Arbeiten über Lebensfragen der Heilkunde eine so seltene
Erscheinung, daß es sich wohl verlohnt, die Hauptgedanken von Kerschein-•
steiners dankenswerten Ausführungen hier kurz wiederzugeben.
Von der Überschätzung des anatomischen Sitzes der Krankheit
ausgehend schilderte er die Gründe und Umstände, die zur biologisch¬
physiologischen Anschauung führten, sowie die praktischen Folgen
beider Richtungen:
Das allgemein mit Begeisterung aufgenommene Virchow’sche
Prinzip des anatomischen Gedankens war eine Fundgrube, die lange Zeit
hindurch reiche Ausbeute lieferte. Eine Krankheit nach der anderen
wurde „lokalisiert“, das Gebiet der konstitutionellen Krankheiten schrumpfte
immer mehr zusammen. Dazu kam, daß die Einführung der Anti- und
Asepsis es den Chirurgen ermöglichte, in einer früher nie geahnten Weise
den „Krankheitsherd“ mit den Händen zu greifen und zu beseitigen.
Der Gedanke, wo möglich alle Krankheitsbeschwerden auf einen lokalen
Herd zurückzuführen, entsprach nicht bloß den Neigungen unseres tech¬
nischen Zeitalters, sondern kam auch, dank der immer feiner und sicherer
ausgebildeten Anästhesierungsmethoden, den Wünschen der Kranken
entgegen.
Die praktischen Folgen der „Lokalpathologie“ bespricht K. folgender¬
maßen: Der Fluch des Spezialistentums ist die Folge des anatomischen
Gedankens. Freilich ist der Spezialist im Sinne des Könners, der nicht
bloß seine Technik beherrscht, sondern nebenbei ein wahrer Arzt ist,
nicht nur eine berechtigte Erscheinung, sondern ein idealer Arzttypus.
Es ist auch zweifellos, daß es nicht wenige solcher idealer Arztspezialisten
gibt. Doch heißt es der Wahrheit Abbruch tun, wenn man verschwiege,
daß der moderne „Spezialarzt“ nicht gerade immer diesem Ideal ent¬
spricht. Geradezu verwüstend hat der anatomische Gedanke gewirkt,
seit er über die Ärztekreise hinaus ins große Publikum gedrungen ist.
Jetzt bestimmt nicht mehr der Arzt die Behandlung, sondern der Patient.
Der moderne Patient stellt selbst die außerordentlich oft falsche Lokal¬
diagnose und geht damit zum betreffenden Spezialisten. Kommt er zu
einem Manne, dessen Blick nicht über die Körperhöhle hinausgeht, die
er sich zum Schauplatz seiner technischen Fertigkeit erkoren hat, so
erlebt man gelegentlich schlimme Sachen. Kommt er zu einem ver¬
ständigen Arzte, so erlebt man oft, daß der Patient, mit der vorge¬
schlagenen Behandlung nicht einverstanden, zu einem zweiten, dritten,
vierten geht, bis er zu dem kommt, der ihm seinen Willen tut. Das
Gefühl, daß der Arzt nicht ein Handwerksmann ist, der in
vorgeschriebener Zeit eine Reparatur so auszuführen hat, wie
man sie von ihm fordert, sondern ein Lenker und Leiter, dem
man sich in Vertrauen unterzuordnen hat, schwindet immer
mehr. Die Medizin wird nicht bloß von den Medizinern gemacht, sondern
auch vom Publikum, und die medizinische Mode wird jeweils nicht
immer von den Ärzten bestimmt. Ärzte, welche die Tagesmode nicht
mitmachen, werden, wenn sie sich nicht als starke Persönlichkeiten durch¬
zusetzen verstehen, brotlos. Daß der Ausdruck Mode hier am Platze ist,
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Esch, Wandlungen in der Medizin.
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daß tatsächlich große Analogien mit den Erscheinungen in Sitte und
Tracht bestehen, illustriert sehr hübsch das Scherzwort vom Blinddarm,
„den man jetzt wieder trägt“. Es wäre Aufgabe eines Moliere, in die
Extravaganzen der medizinischen Mode’hineinzuleuchteu. Welch schwere
Schädigung die Ausartung des Spezialistentums dem Arztestand und dem
Publikum gebracht hat, ist ein in A*rztekreisen oft behandeltes Thema.
Doch wird nach Verf. Ansicht selten dem letzen Grund der unerfreu¬
lichen Erscheinung nachgegangen.
Eine Opposition gegen diese einseitig lokalistische Therapie war,
wie K. des weiteren ausführt, immer vorhanden. Von seiten der Laien
zeigte sie sich besonders in der Naturheilbewegung. (Wenn K. den
Grund für die Laienopposition lediglich in dem „Nachhinken“ hinter der
Wissenschaft sieht, so mag das für eine große Zahl der „nichtapprobierten“
Krankenbehandler i. e. Kurpfuscher zutreffen, jedoch vergißt er, das der
gesunde Volksinstinkt sich mit Recht gegen die „Uberexaktheit“ aufbäumte,
die alles nicht grobsinnlich anatomisch Nachweisbare als nicht vorhanden
betrachtete. Ref.) Als frühesten, literarisch sehr regen ärztlichen
Vorkämpfer der neuen Richtung nennt K. den geistreichen O. Rosenbacji,
weiterhin Krehl, Kraus, Martius.
Den meisten Abbruch jedoch, so fährt K. fort,taten der Virchow’schen
Richtung die Entdeckungen der Bakteriologie. An dem Beispiel der
Anaphylaxie zeigt er, daß man mittels des anatomischen Denkens nie
ein Verständnis für diese Erscheinung und ihre vielen Analoga bei krank¬
haften Zuständen erlangen kann: Ist es doch völlig irrelevant, wo diese
Stoffe im Körper gebildet werden, das Anatomische tritt ganz in den
Hintergrund, die Veränderungen sind, praktisch genommen, rein humoral.
Als z. Z. eifrigste Vorkämpferin des konstitutionell pathologischen
Gedankens bezeichnet K. die Czerny’sche Schule. „Das „Neue“ bei
Czernys Arbeit über die exsudative Diathese (mit der er 20 Jahre
früher wohl nicht zur Habilitation zugelassen worden wäre) war, daß er
gewisse Krankheitserscheinungen bei Kindern, namentlich Hautausschläge,
als zusammengehörig erfaßte, und zwar als Ausdruck einer Ernährungs¬
störung und durch diätetische Behandlung heilbar. Die exsudative
Diathese ist ein Krankheitsbild ausgesprochen konstitutionell-
humoraler Natur, das in Art und Auffassung sich in nichts
unterscheidet von den Krankheitsbildern, welche unsere Ur¬
großväter prägten und wegen deren sie ein Menschen alter
lang verlacht worden waren. Man hat den Eindruck, das durch
Czernys mutiges, aber ungeahnt erfolgreiches Vorgehen den Kinderärzten,
leider bis jetzt nur diesen, ein Stein vom Herzen gefallen ist. Jetzt
durften sie endlich sich selbst gestehen, was sie alle längst fühlten und
oft mit unbehaglichem, wenig sicherem Gefühl den Müttern auszureden
versuchten. Die Pädiater sind es auch, die in den letzten Jahren ganz
besonders die neu erwachende Diathesenlehre gefördert haben. Die „große
Medizin“ wird ihnen nachfolgen müssen. Jetzt ist es wieder an der Zeit,
dem Zusammenhang von Hautkrankheiten mit inneren Veränderungen,
deren Ausdruck sie sind, nachzuspüren.
Bereits vor dieser Lehre Czernys und jenen serologischen Ent-
deckungel'. hatten Forscher wie Rosenbach, Martius u. a. auf Grund
klinischer Betrachtungen energisch betont, daß das Zustandekommen der
meisten I fektionskrankheiten eine Disposition des Individuums
voraussetzt. Der Zeitpunkt ist längst gekommen, den Rosenbach kommen
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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sah, als er sagte, der heiße, jahrelange Kampf gegen die orthodox ein¬
seitige Bakteriologie werde einst als Kampf gegen Windmühlen bezeichnet
werden. Aber es soll ihm und seinen Mitkämpfern nicht vergessen
bleiben, daß vor allem durch ihre Kraft diese Tatsachen wieder zu
„selbstverständlichen“ wurden.“
Zu den praktischen Folgen der genannten Opposition gehört mit
io erster Linie das Aufblühen der Kurpfuscherei.
Die oben nicht erschöpfend behandelten Gründe für jene Erscheinung
finden in diesem Zusammenhang weitere Berücksichtigung: R. Virchow,
der nicht nur in großem Idealismus aber geringer Menschenkenntnis
sehr wesentlich zur Aufhebung des Kurpfuschereiverbotes beigetragen,
sondern vor allem den Universalkrankheiten die Tür der medi¬
zinischen Wissenschaft gewiesen hat, jagte dadurch die „Universal-
kranken“ in die Spelunke (bezw. den Palast, Ref.) des Kurpfuschers.
Die große Zahl der Neuropathen etc., die von den Spezialisten verkannt
oder ihrer Einseitigkeit müde geworden sind, huldigen der Ansicht, daß
sie eine entsprechende Allgemeinbehandlung nur beim „Naturarzt“ d. h.
beim Kurpfuscher finden. —
Hoffen wir, daß der von K. skizzierte Siegeslauf der biologisch¬
physiologischen Anschauung die emsig und ehrlich auf das Wohl der
Kranken gerichtete Arbeit der wissenschaftlichen Heilkunde allmählich
wieder zu der ihr gebührenden Anerkennung führt. Muß doch hier
wie überall der Weg zur Erkenntnis durch Irrtum gehen, die Spreu vom
Weizen gesondert werden! Esch.
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Die diätetische und medikamentöse Behandlung der von Magen¬
erkrankungen abhängigen zerebralen Funktionsstörungen und
Psychosen.
(Archiv für Psychiatrie, Bd. 48, H. 2.)
Von W. Plönies, Hannover (früher Dresden).
Autoreferat mit einigen Erweiterungen für den internen Arzt.
Da die Behandlung der Nervosität, der Gedächtnis Verminderung,
der toxischen Schlafstörungen, der beiden Arten von Melancholia Sim¬
plex und halluzinatoria, des Irreseins durch Zwangsvorstellungen, der
Tobsuchtsanfälle, der pseudomelancholischen Zustände von Vorkästner,
soweit diese von Magenerkrankungen bedingt werden, nur kausal ist
und sein kann, so führt die ganze Arbeit nur die diätetische und medi¬
kamentöse Behandlung der Magenleiden aus, sie gilt damit auch für
die kausale Behandlung der von den Magenleiden herbeigeführten
Darmstörungen und Darmerkrankungen, sowie für die Behandlung der
toxischen Albuminurie, des gastrogenen Diabetes, vor allem aber
für die Behandlung der hochwichtigen gastrogenen Herzstörungen
— der reflektorischen, sowie der durch die Toxine bedingten Herzerweite¬
rung und Herzschwäche — in gleicher Weise. Zunächst bespricht die
Arbeit die allgemeinen Erscheinungen der gastrogenen Auto Intoxikation,
besonders die Stoffweohselstörungen, sowie den klinischen Nachweis
der Magenläsionen, betont nochmals die Wichtigkeit des Nachweises
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
der perkutorischen Empfindlichkeit für die Diagnose dieser Läsionen,
aber auch für den Zeitpunkt der definitiven Heilung dieser Läsio¬
nen während der Behandlung, da nur durch eine gründliche Heilung
dieser Läsionen in erster Linie einem Rückfalle des Leidens vorgebeugt
wird. Weiter bespricht er die Wichtigkeit der einzelnen Heilfaktoren,
von denen als der einflußreichste Faktor die körperliche und seelische
Ruhe (d. h. Fernhaltnug von Aufregungen), in zweiter Linie die Diät,
in letzter Linie, als der mehr nebensächliche Faktor, die Medika¬
mente zu nennen sind. Mit Ruhe und Diät allein sind völlige Heilungen
zu erzielen, ein Versuch der Heilung mit Medikamenten allein ist
stets aussichtslos, wenn auch die Medikamente ohne Zweifel die
Heilung begünstigen, daher nicht gut zu entbehren sind. In schweren
und mittelschweren Fällen ist ohne Ausspannung und Ruhe nichts
zu erzielen. Für die Auswahl der Diät ist in erster Linie die diagno¬
stische Entscheidung wichtig, ob Läsion der Magenschleimhaut vorliegt
oder nur chronischer Magenkatarrh mit Gärungen und Zersetzungen. In
ersterem Falle muß die Diät viel strenger gewählt werden, der Verf.
empfiehlt aber, bei schweren langjährigen Gärungs- und Zersetzungs¬
prozessen, namentlich für die ersten Wochen der Behandlung, die für
die Magenläsionen geltenden strengeren Diät Vorschriften zu wählen,
weil dieselben viel leichter den Anordnungen entsprechend vorzurichten
sind. Eine wesentliche Abweichung von den bisher in Geltung gewesenen
Anschauungen ist die Nebensächlichkeit der Salzsäurebestimmung
des Magensaftes für die Auswahl der Diät, wie sie auch für die
Diagnose — vom Karzinom vielleicht noch abgesehen —, nur neben¬
sächliche Bedeutung hat. Er betont, daß die Salzsäuresekretionsr
störungen nur Funktionsstörungen eines erkrankten Organs, aber
keine selbständige Krankheit sind, daß ihre Feststellung allein selbst
nichts besagt, sondern daß immer erst wieder die Ursache für diese
Störung gesucht werden muß, indem die Salzsäuresteigerung weiter
nichts als Reizungszustände meist durch Gärimgs-und Zersetzungsprozesse
sind, während Verminderungen der Salzsäureabscheidung die Gefahren
der beginnenden Schleimhautatrophie nahelegen, während normale Salz¬
säureausscheidungen noch lange nicht normale Verdauungsvorgängc
und Sekretion besagen, da sie auch den Übergang von dem Reizungs-
zustand zum atrophischen Zustand der Schleimhaut darstellen
können. Das ist allein die Ursache, daß man bei Magengärungen und
-Zersetzungen alle Schattierungen des Salzsäuregehalts bis zur Anazidität
antrifft. Die weitere wesentliche Abweichung ist die Überflüssig-
keit. der von vielen Spezialisten mehr als mißbräuchlich angewandten
Magenausspühingen. Der Verfasser wendet sie höchstens einmal
(10 Tropfen einer 10°/ 0 spirituösen Thymollösung auf ein Liter Wasser
neben Zusatz von Kochsalz) bei schweren Zersetzungs Vorgängen an,
wenn Abwesenheit oder Geringfügigkeit von Magenläsion ihre An¬
wendung gestatten. Fortlaufende Magenausspülungen ohne die rich¬
tige Diät sind fast ohne Einfluß auf die Gärungen und Zersetzungen
und greifen den Patienten erheblich an (jedesmalige Gewichtsreduk-
tionen von 250- 1000 g, mindestens aber Verhinderung jeder Zunahme
an Körpergewicht je nach Kräftezustand und Schädigung der Dünn¬
darm funktionen). Hingegen betont Verfasser die enorme Wichtigkeit
der auch von anderen Seiten hervorgehobenen Kotuntersuchungen für
die Feststellung des Grades und Umfanges der von den Magengärun-
gen und -Zersetzungen herbeigeführten Schädigungen der Dünn-
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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darm- und Dickdarmfunktionen, die wieder wesentliche Anhaltspunkte
für die Schwere des Leidens, die Dauer der Erkrankung, den Grad der
Abmagerung und Reduktion der Kräfte, die Dauer der nötigen diä¬
tetischen Behandlung und die Prognose für die Gewichts- und
Kräfte zun ah me während, noch mehr aber nach der Behandlung er¬
gibt, was alles eine Salzsäurebestimmung unbeantwortet läßt. Diese
Untersuchung ist unendlich wuchtiger als die ganzen Salzsäurebestim¬
mungen, ist bei weitem zuverlässiger für die Beurteilung der
Schwere des Falles und bei weitem einfacher, während die Be¬
schwerden, die die Salzsäurebestimmungen dem Kranken bereiten, ab¬
gesehen von ihrer Bedenklichkeit bei größeren oft latenten Läsionen,
im grellsten Mißverhältnis zu ihrer Bedeutimg und zur Beurteilung
des Krankheitsfalles stehen! Ich nehme die Salzsäurebestimmung bei
der großen Häufigkeit der Läsionen des Magens meistens erst am Ende
der Behandlung vor, wenn das Resultat der Kotuntersuchung Anazidität
oder starke Subazidität vermuten läßt (starker Abgang von Binde¬
gewebe, Fettgewebe, Fehlen der Kalkabseheidung trotz normalem oder
völlig normal gewordenem Dickdarme), wenn nicht das ganze Krank¬
heitsbild den Verdacht von Karzinom nahelegt, wobei aber die Salz¬
säurebestimmung nie die Sicherheit dieser Diagnose ergibt, sondern
nur die Wahrscheinlichkeit derselben nach den vorliegenden zahl¬
reichen Beobachtungen je nach ihrem Ausfälle vermehrt oder vermindert.
Die Feststellung einer Schleimhautatrophie des Magens als Folgezustand
zu lang bestandener schwerer Gärungs- und Zersetzungsprozesse muß
natürlich zur dauernden Vorsicht gegenüber den gärungs- und zer¬
setzungsfähigen Nährmitteln für den Rest des Lebens und zu zeit¬
weiligen Vorstellungen der Kranken auffordern, und daran kann keine
Operation nach den zahlreichen vorliegenden Untersuchungen und wie
es uns schon der gesunde Menschenverstand sagt, etwas ändern!
Eine weitere Abweichung von der bisherigen Behandlungsweise der
Magenkranken ist die Verwerfung der Le ube’sehen Milchkur, aber
auch der Kefyr-Yoghurtpräparate, der sauren Milch und Buttermilch
in allen den Fällen, in denen Herzvergrößerung und Magenerweiterung
das Vorhandensein von Gärungs- und Zersetzungsprozessen im Magen
erkennen lassen, solange diese, namentlich die Vergrößerung des rechten
Querdurchmessers des Herzens bestehen oder sobald das Wiederauf treten
besonders des letzteren als des empfindlichsten Indikators 1 ) von
gastrogenen Gärungen und Zersetzungen bei Erweiterung der
Diät sich nachweisen läßt. Alle diese Nährmittel erregen, unterhalten
oder steigern bei Magenkranken, entsprechend der Häufigkeit der Gärun¬
gen mindestens in 95% aller Fälle, die gastrogenen Gärungen und
Zersetzungen, abgesehen davon, daß die unpräparierte Milch durch
ihre Gerinnung zu Klumpen im Magen direkt die Heilung etwa vor¬
handener Läsionen hindert, dieselben sogar verschlimmert. Alle die
Nährmittel, die gärungs- oder zersetzungsfähige Stoffe enthalten, müssen
eben vermieden werden. Unter diesen sind | her vorzuheben als die schäd¬
lichsten durch Hervorrufung von Buttersäuregärung die Fette, die
Butter und damit auch der Eidotter, der 21% Fett enthält; dann sind zu
nennen der Zucker, auch der .Milchzucker, sowie alle die Nähr- und
Genußmittel, die diesen enthalten, wie Obst, Honig usw., aber auch die
Derivate der Gärungen, die Essigsäure, die Limonaden mit ihrem
*) Plönies, Reflektorische und toxische Herzstörungen und Herzschwäche
bei Ma^enerkranklingen, 26. Kongreß, S. 595, Wiesbaden 1909.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Säure- und Zuckergehalt, da der kranke Magen gegen alle Säuren, sehr
intolerant ist (ausgenommen Salzsäure in ihrer physiologischen Ver¬
dünnung bei Abwesenheit von Läsionen der Magenschleimhaut neben
Sub- bez. Anazidität). Eiweißzufuhr hingegen ist nur bei den seltenen
Fäulnis Vorgängen im Magen und nur solange, diese dauern, auszusetzen
bez. erheblich einzuschränken. Magenausspülung ist, wie angedeutet,
dann nicht zu umgehen.
Ein Haupterfordernis des Erfolges der Behandlung ist die ge¬
wissenhafte Zubereitung der Speisen durch die Umgebung des
Kranken und die genaueste Befolgung der Diät durch den Kranken.
Der Verfasser weist auf die Mißstände in den Krankenhäusern und Sana¬
torien hin, in denen mangels gutgeschulten zuverlässigen Personals die
Kranken gar nicht die vorgescliriel>enen Speisen, in der peinlichen Zu¬
bereitung wenigstens nicht, erhalten. Die beste diätetische Verpflegung
bleibt nach den langjährigen Erfahrungen immer noch im Hause des
Patienten, wo sorgfältig instruierte Angehörige ein reges Interesse an
der Gesundung ihres Kranken haben. Neben der sorgfältigen Besprechung
der Zubereitung der Speisen von seiten des Arztes sind dann dem
Kranken bez. seinen Angehörigen die Gründe anzugeben, warum nur
diese Diät und nur in dieser genauen Zubereitung und nur bei pein¬
lichster Befolgung helfen kann, da jede auch nur geringe Zufuhr von
Fett und Zucker in leichteren Fällen die völlige Beseitigung der Gärungs¬
und Zersetzungsprozesse erheblich verlangsamt, in schwereren Fällen
bereits aber durchaus verhütet. Die Erziehung unserer Kranken zum
striktesten Gehorsam ist daher unentbehrlich, da eine nicht sorg¬
fältig durchgeführte Diät aus bakteriellen und chemischen Gründen
keine Diät ist! Zu warnen ist der Kranke, unter Diät eine verringerte
Zufuhr von Nährmitteln zu verstehen; das Sättigungsgefühl ist für
die Zufuhr entscheidend. Verfasser streift noch die Mißstände der diäteti¬
schen Verpflegung in den Krankenhäusern und Privatkliniken infolge
fehlerhafter diätetischer Verordnungen von seiten der Spezialisten
bez. Ärzte, woran auch viel die herrschende Unklarheit Ln der Diät,
aber auch die mangelnde Belehrung und Erfahrung mangels gründ¬
licher Beobachtungen schuld sind. Er bedauert die außerordentlich
traurigen Konsequenzen, daß den Kranken, nachdem sie wochen¬
lang mit. Schwarzbrot, Wurst, Eiern gefüttert worden waren, die Gastro¬
enterostomie vorgeschlagen und mit schließlicher Zustimmung an ihnen
ausgeführt wird, die durchaus nicht den Zustand solcher bedauerns¬
werten Kranken nach den Erfahrungen und sorgfältigsten Untersuchun¬
gen des Verfassers bessert und bessern kann, im Gegenteile den Dünn¬
darm, diesen wichtigsten Teil des Verdauungstraktus noch direkter dem
schädigenden Einfluß der abgeschobenen vergorenen und zersetzten
Massen und der Gefahr, an Schleimhautläsionen zu erkranken, aussetzt,
weil eben die Ursache „die Inferiorität der Magenschleimhaut
gegenüber der Vitalität und Weiterentwickelung der per os
eingeführten Bakterien“ als der Grund des Auftretens von Gärun¬
gen und Zersetzungen trotz der Gastroenterostomie noch fortdauert.
Nach den klinischen, sorgfältigsten Untersuchungen des Verfassers ist
eben die Magenerweiterung nicht die Ursache, sondern die Folge auf¬
tretender Gärungen und Zersetzungen wegen des paretischen Einflusses
der Toxine aus diesen Prozessen; selbstredend wirkt dann die Magen¬
erweiterung, die in ihrer Ausdehnung trotz Gastroenterostomie unbe¬
einflußt fortbesteht, als Circulus vitiosus verschlimmernd auf diese
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Prozesse ein. Diese Inferiorität der Magenschleimhaut in der Niederhal¬
tung der Bakterienentwickelung wird akut bedingt durch schwere ein¬
malige Schäden, besonders kaltes Trinken, durch Infektionskrankheiten (In¬
fluenza besonders), oder chronisch durch fortgesetzte thermische Schäden
oder chemische Schäden, wie durch alkoholische Exzesse, Tabak, aber
auch durch Medikamente, besonders Narkotika, Brompräparate,
Jodkali, Quecksilberpräparate, Balsamica u. v. a., namentlich wenn
sie auf leeren Magen einwirken.
Die Mahlzeiten sollen alle 3 Stunden gereicht werden; bei den nicht
so seltenen Heißhungerzuständen muß der Kranke zur Verhütung einer
Verschlimmerung der Magenläsion sofort die Nahrung oder wenigstens
das Medikament erhalten. Das Medikament wird sonst 2 Stunden, nach
dem Abendbrot 3 Stunden später verabfolgt, während es nach der Haupt¬
mahlzeit aus naheliegenden Gründen ausfällt. Nach der Hauptmahl¬
zeit sind nicht so schwere, heiße Kataplasmen, nachts beim Fehlen oder
nach dem Verschwinden der Nachtschweiße ein feuchter Umschlag auf
die Magengegend, besonders bei Schlafstörungen, empfehlenswert. Alles,
was genossen wird, muß lauwarm gereicht werden; das langsame Essen
und Trinken, das gute Durchkauen sind unentbehrlich; feste Speisen
(kaltes Fleisch u. a.), die durch den sorgfältigen Kauakt genügend
vorerwärmt werden, bedürfen keiner Erwärmung. Die Bedeutung der
Mund- und Zahnpflege ist hier nur anzudeuten.
Auch w^enn die Gärungs- und Zersetzungsprozesse des Magens
nicht diesen unheilvollen Einfluß auf die Schädigung der Dünndarm-
funktionen, von denen besonders die Schädigung der bakteriziden Funk¬
tion mit ihren Folgen (Gallensteinbildung, Appendizitis, Dickdarm¬
läsionen, Hautfurunkulose u. a.) hervorzuheben ist-, ferner auf die Eiwei߬
bilanz des Körpers (Zerfall des Körperei weißes durch die Gärungs¬
toxine und entsprechende Vermehrung der Harnsäureausseheidung) und
auf das Gesamtnervensystem hätten, so wäre die Unterdrückung und
Beseitigung der Gärungs- und Zersetzungsprozesse im Magen und Dünn¬
darm deshalb allein schon nötig, weil die Zersetzungsprodukte der
Fette, des Zuckers durch die Gärungen keine dem Organismus passenden
Bausteine mehr geben können. Daher magern solche Kranke trotz
gutem Appetit und reichlicher Ernährung bei den schweren Schädigungen
und nach längerem Bestände der Gärungen und Zersetzungen ab, min¬
destens können sie keine Zunahme erzielen. Verfasser geht dann zur
Besprechung der vielgepriesenen Kraftmittel über, die hauptsächlich
der Ausbeutung der Kranken dienen und deren Preis meist viel zu hoch
zu ihrem Nährwerte ist, mit Ausnahme der Leube-Rosentharschen,
bedauerlicherweise aber zu leicht zersetzlichen (und so unter Umständen
gefährlichen) Fleischsolution. Was von einem Kraftmittel zur Steigerung
des Nährwerts der Speisen verlangt werden muß, ist seine Leicht
Verdaulichkeit, das Fehlen von unangenehmem Geschmack, seine Un¬
zersetzlichkeit oder die Möglichkeit, es stets frisch zu haben oder zuzu¬
bereiten und seine Preiswertigkeit. Diese Anforderungen befriedigen
das Hühnereiweiß, das in der wärmeren Jahreszeit täglich frisch
zu bereitende, entfettete Kalbsfußgelee und das reine Nähr¬
kasein. Wo Butter zum Braten verwendet wird, muß dieselbe nach
dem Braten durch Abspülen des Bratenstücks in kochendem Salzwasser
entfernt, die Haut vom Geflügel entfernt und das Fleisch von jedem
anhängenden Fettgewebe sorgfältigst befreit werden, damit die Fett¬
zufuhr bis auf das kulinarisch mögliche Minimum unterdrückt
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wird. Bouillon, auch aus Kalbsknochen zubereitet, muß sorgfältigst ent¬
fettet werden. Kalt gewordene, wieder aufgewärmte Bouillon ist wegen
ihres Bakteriengehaltes strengstens zu verbieten, ei>enso alles aufge-
wärmte Essen. Es muß stets alles frisch zubereitet sein, ausgenommen
kaltes Fleisch und Geflügel. Die Diät entspricht im übrigen der Diät,
die der Verfasser als Assistent des berühmten Diätetikers und Klinikers
Kußmaul kennen gelernt hatte mit Ausnahme der Modifikationen,
die die eingehenden Beobachtungen des Einflusses gastrogener Gärungen
und Zersetzungen auf das Herz und das Nervensystem dem Ver¬
fasser aufzwangen, weshalb dieselben auch eine schwerwiegende Bedeu¬
tung haben. Zum ersten Frühstück werden dicke Suppen von Hafer¬
mehl, Knorr’schem Gerstenmehl, Hohenlohe’schen Haferflocken, die
durchs Haarsieb gerieben werden müssen, geschabter roher Schinken,
8 Tage alte Semmel oder trocken geröstete Semmelschnitte gereicht.
Das Schaben muß mit Blechlöffel geschehen, dabei sind alle Binde¬
gewebsfasern, Sehnen, Fettgewebe zu entfernen. Das zweite Frühstück
besteht aus entöltem Kakao oder Haferkakao, der weniger verstopfend
wirkt, sonst alles wie beim ersten Frühstück. Das Mittagessen enthält
Suppen wie früh oder Bouillonsuppen mit Gries, Maisgries, Faden
nudeln, Kartoffelsago, Gräupchenschleim, 12 Stunden vorher gewäs
sertem Reis; von Gemüsen ist zu reichen Griesmus, Kartoffelmus,
Fadennudelgemüse, Reisgemüse, alles mit Salzwasser und Kasein ver¬
kocht. Das Fleisch besteht aus Kalbsmilch, Kalbshirn, Taube, jungem
Huhn (Alter 6—10 Wochen), Rebhuhn, Haselhuhn, im Notfälle auch
geschabtem rohen Sclünken. 3 Stunden nach dem Mittagessen Kakao
und Semmel; das Nachtessen besteht aus den Suppen wie früh, ge¬
schabtem rohen Schinken oder kaltem Geflügel von Mittag, aus Semmeln.
Es ist dies die Diät bei gleichzeitiger Magenläsion. Fehlt dieselbe
oder ist sie nach den Ergebnissen der perkutorischen Empfindlichkeits¬
prüfung geheilt, so kommen noch hinzu, wenn die Prüfung der Dünn
darmfunktionen es gestattet, Weißbrot trocken geröstet oder altbacken.
Lende, Reh. Hase (nicht gespickt), auch sorgfältigst von Fett befreite
Schweinslende, Schabefleisch leicht angebraten in Form von Beefsteak,
kalter Kalbsbraten und absolut fettfreier Hammelbraten als Aufschnitt,
von Fischen Forelle, Seehecht, Kabeljau, Seezunge, Schellfisch, Zander.
Stein butt, alle gekocht, ohne butter- oder fetthaltige Sauce, von Ge¬
müsen: Makkaroni, breite Nudeln, bei intaktem oder nach intakt
gewordenem Dickdarm Blumenkohl (nur ohne Stengel), Spargel¬
köpfe, Spinat (feingewiegt und durchs Haarsieb gerührt), ebenso zube¬
reiteter Wirsing; Zubereitung dieser Gemüse mit entfetteter Fleisch¬
brühe. Können wegen Dünndarm-, DickdarmbeSchädigungen diese Vege-
tabilien nicht gereicht werden, so können diese Vegetabilien während
des Kochens den Suppen im Mullbeutel eingehüllt zugefügt werden,
um sie leicht und vollständig wieder entfernen zu können. Sind die
Gärungs- und Zersetzungsprozesse beseitigt, was sich an dem Ver¬
schwinden des rechten Querdurchniessers und dem Zurückgehen des
linken Querdurchmessers des Herzens auf 7,5—8 cm, bei Arteriosklerose,
Vitium cordis, Schrumpfniere auf 9—cm kundgibt, während die
Magenhöhe 8 cm, die stets parallel gehende Erweiterung des
Kolon auf 3,5 cm (alles Maße für Erwachsene scilioet) zurückgegangen
ist — der Goldscheider’sche Glasgriffel ist für diese genauen
Feststellungen unentbehrlich, so ist erst dann an eine vor¬
sichtige Erweiterung der Diät in der Richtung der Fette und des
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Zuckers unter steter Kontrolle der Herz-, Magen-, Darmmaße zu
denken, nachdem man noch 8, in schweren Fällen lieber noch 14 Tage
bis 3 Wochen abgewartet hat. Zuerst ist etwas ganz frische Butter,
dann erst, wenn diese keine Veränderungen der genannten Maße bewirkt
hat, Eigelb und erst, wenn dieses auch vertragen wird, Milch, zunächst
verdünnt (besonders in schweren Fällen) 1 wie bei Säuglingen und stets
gebunden an Kakao oder die oben erwähnten Mehlgemüse zu reichen.
Daß Eigelb und namentlich Milch leichter Gärungen und Zersetzungen
wieder anregen als Butter, kann beim Eigelb nur a.n dem für die Bak¬
terie nentwicklung günstigen Gehalt von Nährsalzen, bei der Milch
außerdem noch an dem Gehalt von Milchzucker liegen. Sowie eine
Zunahme des Querdurchmessers des Herzens, namentlich ein Wieder¬
auftretendes r. Querdurchmessers, eine Zunahm;« der Magenhöhe einsetzt,
muß sofort auf die strenge Diät für einige Zeit wieder zurückge¬
griffen w r erden. Die Einwirkung der Nährsalze auf den Grad der Leich t-
zersetzlichkeit wirft ein Licht auf den Schaden der vielgepriesenen
Nährsalzpräparate bei diesen Leiden; die Nährsalze, das Eisen inbe¬
griffen, sind so reichlich im Fleische wie in den andern Nährmitteln ent¬
halten, daß eine besondere Verabfolgung derselben nicht nur bei Magen¬
leiden und Nierenleiden, sondern überhaupt überflüssig, ja bei den ge¬
nannten Leiden direkt schädlich ist! Wie bei der Reklame mit den
Stärkungsmitteln, können wir auch bei den Nährsalzen nicht genug
als Ärzte Front gegen diese unwürdigen, die Nichtmediziner zum Kur¬
pfuschen verleitenden Anpreisungen machen. Bei sehr schweren Zer¬
setzungen und Gärungen wirkt Bouillon selbst nach bester Entfettung
wegen des Gehaltes von Nährsalzen ungünstig auf die Beseitigung dieser
Prozesse ein, ist daher in solchen Fällen in den ersten 14 Tagen bis
3 Wochen noch auszusetzen.
Ist die Toleranz gegen die bisher genannten Erweiterungen erprobt,
so kann dann erst zu Zucker, zu Obst, das gut- aus gereift ist, zu
Honig übergegangen werden, während vergorene Nährmittel, wie Kefyr,
Yoghurt, saure Milch, Buttermilch erst zuletzt versucht werden dürfen.
Von Obst ist zunächst der Saft gut ausgereifter Apfelsinen, Wein¬
beeren, beim Fehlen von Dickdarmerkrankungen auch das Apfelmus.
Heidelbeermus usw. zu gestatten. Es kann nicht dringend genug gegen
den Mißbrauch gekämpft werden, Stuhl Verstopfung durch solche .,diäte j
tische“ Mittel zu bekämpfen, da sie die Heilung des Magenleidens, die
Wiederherstellung der hochwichtigen Dünndarmfunktionen, vor allem
aber eine Ausheilung der Dickdarmkomplikationen direkt verhindern.
Es wird in den Naturheilanstalten in der schwersten, für den ärztlichen
Stand direkt unwürdigen Weise gesündigt. — In allen den Fällen,
in denen Toleranz gegen alle diese Erweiterungen von seiten des Magens
nicht zu erzielen ist, immer und immer wieder Rückfälle eintreten oder
in denen die hochwichtigen Dünndarmfunktionen nicht ganz oder nahezu
ganz zur Norm zurückkehren wollen, namentlich wenn sie stark ge¬
schädigt waren oder wenn eine bestandene Magenläsion wegen eines
narbiger, kallösen Bodens nicht zum Ausheilen trotz Ruhe und pein¬
lichster Folgsamkeit des Patienten kommen will, — in allen diesen
Fällen, die zum Glück relativ seltener sind, ist den Patienten eine An^
passung an die mehr oder weniger strenge Diät je nach Toleranz und
Untersuchungsergebnissen des Stuhles dringend für den Rest des Lebens
zu empfehlen. Durch Gastroenterostomie hier etwas noch bessern wollen,
hat keine Aussicht auf irgendeinen Erfolg; es ist nur ein mißglückter.
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854
Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Eingriff in die Naturgesetze nach den schon angegebenen Gründen. Diese
Operation darf nur für die Pylorusstenose ihre Geltung behalten,
die sich schon durch ein Überragen der Magenhöhe um 4—5 cm über
den Querdurchmesser des Herzens, durch ein Senken der großen Magen¬
kurvatur unter die Nabelhöhe, das Fortbestehen dieser Abweichungen
trotz sorgfältiger Diät und peinlichster Folgsamkeit des Patienten und
das Fortdauern des Erbrechens großer Massen scharf abhebt. Ich habe
in den 26 Jahren bei einem sehr großen Materiale nur einmal bei einem
Falle von schwerer Pylorusstenose diese Operation empfehlen müssen.
Sie wirkte zunächst lebensrettend, konnte aber nicht verhüten, daß
10 Jahre später infolge Wiederaufnahme der alten Lebensweise trotz
Warnung eine neue schwere Magenläsion mit Gärungen und Zersetzun¬
gen, schweren Störungen der Dünndarmfunktionen, Geschwür im Dünn¬
darm an der Verbindungsstelle mit dem Magen, Dickdarmerkrankung,
schwere zerebrale Funktionsstörungen auf traten! Solche sorgfältige
Beobachtungen sollten doch zu denken geben und alle internen Spezia¬
listen veranlassen, gegen diesen schweren Unfug, der mit den Gastro¬
enterostomien getrieben wird, ganz energisch zu kämpfen. Wo Besse¬
rungen nach solchen Operationen eintraten, waren sie nur immer nach
den vielen vorliegenden Beobachtungen vorübergehend dann, wenn
die Patienten izur gewöhnlichen Lebensweise zurückkehrten, und die
gleichen Besserungen wären ohne Operation durch die ebenso lange
ihr entsprechende Ruhekur, Abstinenz und zunächst sehr sorgfältige
Diät genau so sicher und ohne den Patienten einer Lebensgefahr aus¬
zusetzen erreicht worden. Nichts kann den gewissenhaften Arzt mehr
entrüsten, als die Feststellung, daß nur der durch Unkenntnis der aller¬
nötigsten Untersuchungsmethoden und der einfachsten diätetischen Vor¬
schriften herbeigeführte Mißerfolg in der Behandlung die alleinige
Veranlassung zu einer Gastroenterostomie war!
Selbstredend ist es, daß das Wiederauftreten der perkutorischen
Empfindlichkeit an Stelle der konstatierten Magen läsion nach Erweite¬
rung der Diät gleichfalls sofort wieder zur Wiederaufnahme der strengen
Diät nötigt, bis diese Empfindlichkeit wieder gehoben ist. Liegt indes
dabei kein Anzeichen von Magengärung mehr vor oder hat von Anf ang
an, wie es nur relativ selten der Fall ist, ein solches Anzeichen nicht
bestanden, so kann — in letzterem Falle von Anfang an — der Diät
Eigelb, — Milch jedoch nur in der besprochenen Zubereitung — zu-
gefügt werden; es können auch frische Eier, l 1 / 2 Minuten gekocht, wie
bei der Erweiterung der Diät, bewilligt werden.
Ale Getränke sind empfehlenswert, aber nur zur Zeit, wo das
Pulver gereicht wird, Kamillentee, dünner Pfefferminztee, gewärmtes
Biliner- oder Selterwasser oder dünner abgestandener, wieder lau¬
gemachter schwarzer Tee. Getränke zum und nach dem Essen sind zu
meiden. Sich über die Schädlichkeit des Kaffees, auch des koffeinfreien
Kaffees, der alkoholischen Getränke, sowie der alkoholfreien Weine u. a.
auszulassen, würde zu weitführen.
Der Stuhlgang ist nur durch Einläufe von Kamillentee, im Not¬
fälle durch Einläufe von öl, 200 g 25° R. warm oder von Einlaufparaffin
zu regeln; streng verboten sind alle Abführmittel, auch jdas
ebenso nachteilige Regulin; die Gründe sind an anderer Stelle 1 ) ange¬
geben. In den meisten Fällen, namentlich bei Abwesenheit von Dickdarm-,
') Plönies, Die Beziehungen des Geschwürs usw. des Magens zu den funktionellen
Störungen und Krankheiten des Darmes. Archiv für Verdauungskrankh., Bd. 30, H. 2.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 855
Mastdarmkomplikationen (Hämorrhoidalleiden) stellt sich der Stuhl spon¬
tan nach einigen Behandlungswochen ein; genannte Komplikationen
müssen nach an gleicher Stelle 1 ) gegebenen Vorschriften beseitigt werden.
Die. Medikation besteht aus Magister. Bismut. 1,5, Magnes. per-
oxydat. Merckii 15% (bei starken Gärungen und Zersetzungen 25%)
0,7 g und nur bei sehr starken Gärungen und Zersetzungen und nur
höchstens 8—14 Tage 0,1 Resorzin. Von diesen Pulvern läßt man
1 / 2 Pulver am Tage dreimal zur bereits angegebenen Zeit, abends nach
dem Nachtessen 3 Stunden später ein Pulver in lauem Wasser ein¬
gerührt nehmen. Bei sehr langsamem Eintreten des Appetits kann man
zu den Pulvern vor den Mahlzeiten 1—2 Tropfen Tct. Nuc. vomicar.
zusetzen, was jedoch nur selten /nötig ist. Sobald die perkutorische
Empfindlichkeit der Magenläsion gehoben ist, fällt jede Medikation
aus. Verschwinden die Gärungen und Zersetzungen eher, so kann an
Stelle der Magnes. peroxyd. Magn. usta genommen werden. Bei emp¬
findlichen Magen (Brennen nach dem Einnehmen), bei Neigung zu
Diarrhöe ist die Magnesia völlig zu meiden, ebenso bei Diarrhöe, bei
der man an Stelle der Magnesia Catecbu pulver. 0,3—0,6, an Stelle des
Resorzin Benzonaphtol 0,1—0,2 g nimmt. Bei starker Abmagerung oder
bei weiter sich fortsetzender Abmagerung während der Behandlung ist
gleichfalls die Magnesia in geringerer Dosis zu geben, das Pulver nur
früh nach dem 1. Frühstück und nach dem Nachtessen, event. auch nur
nach dem Nachtessen zu reichen, in ganz schweren Fällen auch einige
Zeit einmal ganz auszusetzen, wodurch man am ehesten noch weiteren
Abmagerungen vorbeugt, da selbst dieses relativ harmlose Medikament
immer noch hinsichtlich des durch das Körpergewicht zum Ausdrucke
kommenden Kräftevorrats oder -ansatzes reduzierend, wenigstens Zu¬
nahme hemmend wirkt. Man darf sich deshalb nicht etwa verleiten
lassen, durch Vergrößerung der Magnesiadosis, was auch störend auf die
Heilung vorhandener Läsionen des Intestinaltraktus wirken würde, den
Stuhlgang regulieren zu wollen.
Durch die Beobachtung des Herzdurchmessers und der parallel -
gehenden Magenhöhe hat der Arzt ein objektives, nie trügendes, von
den Klagen und Angaben des-Kranken oder der Umgebung völlig unab¬
hängiges Zeichen an der Hand, ob die Diät genau genug von ihm an¬
gegeben, vom Patienten oder der Umgebung richtig aufgefaßt worden
ist und gewissenhaft genug befolgt wird. Diese Diät ist nicht will¬
kürlich vom Verfasser gewählt, sondern die Auswahl erfolgte nur,
wie bereits angedeutet, in genauem An lehnen an den Einfluß der
einzelnen Nahrungsmittel auf die Herzgröße, diesem wichtigsten und
frühzeitigsten Indikator für gastrogene Gärungstoxine außerhalb des
Magens. Es ist also keine subjektive Anschauung, sondern gleichsam
nur ein Anpassen an die Naturgesetze. Deshalb werden diese Diät¬
vorschriften ihren bleibenden Wert behalten, und wird kein Fortschritt
der Chemie an ihnen etwas ändern können. Aus diesem Grunde geben
mangelnde Fortschritte während der Behandlung, zu langsames Zurück¬
gehen des Querdurchmessers des Herzens und der Magenhöhe oder Aus¬
bleiben einer solchen Abnahme dem richtig und genau untersuchenden
Arzte sofort einen Wink, daß Verstöße vorliegen, die auszuspüren
und zu beseitigen sind. Ein nochmaliges Besprechen der ganzen Diät-
vor&chriften und der Zubereitung ist dann dringend geboten, wie man
das leider zu oft erlebt; im Notfälle ist zu erklären, die Behandlung
abzubrechen, wenn nicht gewissenhaft gefolgt würde! Passive Massage*
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8&6 Autoreferate und Mitteilungen, aus der Praxis.
der Arme und Beine sind bei gleichzeitiger Ruhekur und während ihrer
Dauer nicht zu entbehren, während Massage des Magens und Leibes bei
den vorwiegend vorhandenen Magenläsionen und den so sehr häufig
vorhandenen Diekdarmläsionen, der häufigen (latenten) Appendizitis,
den häufigen sekundären 3 ), auch oft latenten Gallenblasenkompli¬
kationen als gefährlich und heilungshemmend, sonst aber minde¬
stens als überflüssig zu meiden ist. Auch hier wird in den Natur¬
heilanstalten schwer gesiindigtl
Bei Komplikationen mit Diabetes ist eine Änderung dieser Diät
ebensowenig nötig, als wie bei der mit Nephritis, erst recht nicht mit
schwerer toxischer Albuminurie als Folge gastrogener Gärungen und
Zersetzungen. Bei ersterer Komplikation schwindet trotz reichlicher
Zufuhr von Amylazeen in den ersten Behändlungswochen der Zucker¬
gehalt des Urins völlig, soweit das allerdings leider noch geringe Beob¬
achtungsmaterial reicht. Die Erklärung für dieses Verschwinden wurde
in der Hauptarbeit (1. c.), sowie an anderer Stelle 2 ) vom Verfasser ge¬
geben; sie dürfte für die Genese des Diabetes, damit für die endlich
mögliche kausale Behandlung desselben von großer Wichtigkeit sein,
wenn auch noch weitere Untersuchungen nötig sind, um zu einem ab¬
schließenden Urteile zukommen, ob das therapeutische Resultat jeden
Fall von Diabetes betrifft oder nur eine besondere, in diesem Falle
gastrogene Art von Diabetes. Bei Komplikationen mit Nephritis ist
die Einschränkung des Salzgehalts der Speisen, der Wegfall des rohen
Schinkens indiziert, die möglichst rasche Beseitigung der vorhandenen
Gärungen und Zersetzungen wegen des unheilvollen Einflusses ihrer
Toxine auf die kranken Nieren 3 ) dringend geboten; schon aus diesem
Grunde sind Milch und Obst, die so beliebten diätetischen Mittel, streng
zu meiden. Wegen aller übrigen, hier nicht angegebenen Ausführungen
und Erklärungen muß auf die Hauptarbeit (Archiv für Psychiatrie,
Bd. 48, Heft 2) verwiesen werden.
Jedem Arzte, dem die Untersuchungsmethoden, die Prüfung der
perkutorischen Empfindlichkeit des Magens und Darmes 4 )] behufs des
Nachweises von so häufig latenten Läsionen, die Bestimmung des Quer¬
durchmessers des Herzens, der Magenhöhe (nach Waldeyer Linie vom
unteren Sternalrand bis zur großen Kurvatur des Magens in der Linea
alba), des Querdurchmessers des Kolon mittelst der an anderer Stelle 5 )
angegebenen Untersuchungsmethoden, besonders der mit dem Gold-
scheider’sehen Glasgriffel, geläufig geworden sind, wird es leicht sein,
die Richtigkeit dieser Untersuchungsergebnisse, die Richtigkeit und die
Notwendigkeit der gegebenen Diätvorschriften zu bestätigen. Es wird
ihm aber auch leicht sein, die diätetische Kur bei gewissenhafter Folg¬
samkeit des Patienten bis zum vollen und dauernden Erfolge durch¬
zuführen. auch wenn ihm der nichtssagende Titel Spezialist für Magen¬
krankheiten abgeht. Die Magenerkrankungen sind so außerordentlich
häufig, in ihren Folgen so ernst, so schwer und kompliziert, daß sie
*) Bei Gärungen und Zersetzungen im Magen wandern pathogene Bakterien
nach Niedergang der bakteriziden Funktion des Duodenum im Gallengange nach
der Gallenblase, führen dort zu Konkrementbildungen und anderen Komplikationen
(Verfasser).
*) Kongreß für innere Medizin, Wiesbaden 1910.
*) Plönies, Toxische Albuminurie usw. Prager med. Wochenschr., 84, 1909.
4 ) Plönies, Sammlung klinischer Vorträge von Volkmann, Innere Medizin
Nr. 120/121, 1905.
B ) Plönies, Reflektorische und toxische Herzstörungen 1. o.
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Referate und Besprechungen. 857
schon deshalb jeder praktische Arzt, besonders in seiner Eigenschaft
als Hausarzt, beherrschen müßte, genau so wie die Magendarmkrank¬
heiten der Säuglinge. Wenden sich an den Hausarzt die Kranken doch
stets zuerst, und es wäre ein großer Segen für die leidende Mensch¬
heit, wenn dadurch, daß sie gleich richtig und frühzeitig behandelt
wird, soweit es an uns Ärzten liegt, den vielen schwersten Komplika¬
tionen und Folgezuständen von Magenleiden, auch im Gebiete der
Geisteskrankheiten, vorgebeugt würde. Wenn dadurch etwa die
Spezialisten für Magenkrankheiten von der Bildfläche verschwänden,
wäre es kaum ein Schaden für das Ansehen unseres Standes. Die Grund¬
bedingung für unseren therapeutischen Erfolg wird für alle Zeiten
die genaueste, peinlichste Untersuchung aller Organe und zwar mit
allen uns erreichbaren und zur Kenntnis gekommenen Unter-
suchungsmethoden bleiben, und man sollte nie auf eine Unter¬
suchung allein, auch nicht auf die Röntgenaufnahme allein, eine Be¬
handlung auf bauen. Namentlich letztere ist viel daran schuld, daß
wir anstatt gründlicher — bequemer, denkfauler, oberfläch¬
licher und flüchtiger in unseren klinischen Untersuchungen geworden
sind, indem alle unsere anderen bewährten wichtigen Untersuchungs-
methoden in den Hintergrund getreten ßind. Sowohl hinsichtlich des
Wohles der uns anvertrauten Kranken, wie des Ansehens unseres
Standes, das allein von unseren therapeutischen Erfolgen abhängt, ist
diese Erscheinung nur tief zu bedauern!
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
O. Gros u. O’Connor (Leipzig), Einige Beobachtungen bei kolloidalen
Metallen mit Rücksicht auf ihre physikalisch - chemischen Eigenschaften
und deren pharmakologische Wirkungen. (Archiv für experiment. Path. und
Pharm., B(l. 64, S. 456, 1911). Für das Verständnis der Wirkungen des
Collargols, des kolloidalen Silbers, bei septischen Prozessen als inner¬
liches Antiseptikum, ist in erster Linie wichtig zu wissen, ob das kolloidale
Silber im Organismus Silberionen bildet, die schon in sehr kleinen
Konzentrationen stark antiseptisch wirken. Chemisch wäre die Bildung
von Silbersalzen oder komplexen Silber verbind ungen nicht unwahrscheinlich,
da Silber überhaupt zur Bildung komplexer Verbindungen neigt und diese
Eigenschaft dem Collargol infolge seiner enormen Oberfläche in besonderem
Maße zukommen könnte.
Durch P o r t i g (unter B o e h m s Leitung) ist nun im Froschversuch
nachgewiesen, daß Collargol das gleiche Wirkungsbild zeigt
wie die komplexen Silbersalze, nur daß beim Collargol die Ver¬
giftung über Tage sich ausdebnen kann, wie von den Verff. bestätigt wurde.
Collargol vermag also im Organismus Silberionen zu bilden. Die Injektion
von Collargol in die Blutbahn hat auch eine Hyperleukozytose zur
Folge, die vielleicht als Reaktion auf den äußerst fein verteilten Fremd¬
körper, den das Collargol darstellt, aufzufassen ist. Dasselbe tritt auch
eip. nach Injektion von anderen kolloidalen Metallen (Gold und Iridium).
Manche Gifte wirkten auch weniger schnell und intensiv, wenn sie gemein¬
sam mit den Lösungen kolloidaler Metalle eingespritzt wurden; hieraus
kann also geschlossen werden, daß den kolloidalen Metallen gewisse ge¬
meinsame Wirkungen infolge ihres physikalisch-chemischen Zustands ihrer
Lösungen zukommen. (Die des weiteren beobachtete Temperaturer¬
höhung kann also außerhalb der normalen Grenzen liegend nicht aner-
E. Rost jBerlin).
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kanut werden.)
zedby GOOglC
858
Referate und Besprechungen.
F. Frank u. A. Schittenhelm (Erlangen), Über die klinische Verwert¬
barkeit von tief abgebautem Eiweiß. (Ther. Monatsh., Juli 1911.) Auf
Grund von Versuchen an Tieren und Menschen mit verdünntem Kasein
Natrium und verdünntem Blutalbumin ergab sich folgendes: Es ist bewiesen,
daß bei zweckmäßig hergestellten Präparaten von abgebautem Eiweiß zum
vollwertigen Eiweißersatz nicht mehr benötigt wird als von dem unver¬
dünnten Ausgangsmaterial; ferner daß die Präparate per os und rectum
ohne jede unangenehme Reaktion gereicht und aufs beste ausgenützt werden
können. Im Versuche wurden sie teils unter Haferbrei, teils unter Gemüse
(Spinat) gemischt. Der Geschmack ist nicht unangenehm. Er erinnert
stark an etwas konzentrierte Fleischextraktlösung, bzw. an reichlich mit
Fleischextrakt versetzte Speisen. Einmal wurde vom Mittagessen eine Spur
erbrochen. Dieses Erbrechen ist auf einen geringen Zusatz von Toluol
(gegen Fäulnis) oder auf eine Magenkrise der nervösen Pat. zurückzuführen.
Der Reiz, den die Präparate bei rektaler Verabreichung auslösen, ist bei
richtiger Ausführung der Klysmen unbedeutend. Es gelingt also auf diese
Weise, dem Menschen die Menge seines täglichen Stickstoffbedarfs zuzu-
führen, ohne daß sein Verdauungsapparat in Tätigkeit zu treten braucht.
Es bedarf nur der Resorption. Dabei kann die Stickstoffmenge in wenig
kompendiöser Form verabreicht werden. Dadurch ist die Möglichkeit ge¬
geben, auch bei schweren Störungen des Intestinaltraktus eine zweckmäßige
Ernährung durchzuführen und Stickstoffverlust zu verhüten. Das gilt so¬
wohl für sekretorische Störungen, vor allem Pankreasaffektionen usw. wie
für die erschwerte Passage (Stenosen, Verätzungen), ferner für Schonungs-
kuren (bei Ulcus ventriculi und duodeni). Infolge der leichten Resoption
ist auch die Möglichkeit der Eiweißfäulnis verringert. S. Leo.
F. Schenk (Prag), Kastration und Adrenalingehalt der Nebennieren.
(Archiv für experigient. Path. und Pharm., Bd. 64, S. 362, 1911.) Zwischen
den Keimdrüsen und den Drüsen mit innerer Sekretion be¬
stehen mannigfache wechselseitige Beziehungen. Nicht nur die Exstir¬
pation der einen Nebenniere, sondern auch die Kastration ruft bei
Kaninchen eine Hypertrophie der anderen Nebenniere "bzw. beider her¬
vor; sie betrifft allein die Rinde, nicht aber das Mark.
Versuche an Kaninchen zeigten, daß durch beide genannten Operationen
der Adrenalingehalt nicht etwa sich erhöht, sondern deutlich
vermindert wird; bei der Hypertrophie der Rinde nimmt also die spezi¬
fische Funktion der Marksubstanz ab. E. Rost (Berlin).
H. Salomon u. P. Saxl, Eine Schwefelreaktion im Harne Krebskranker.
(Wiener klinische Wochenschrift, Nr. 13, 1911.) Ausgehend von ihren
früher veröffentlichten Versuchen, die eine Vermehrung des Oxyprotein-
säurestickstoffs im Harne Krebskranker ergeben hatten, suchten die Ver¬
fasser daraus eine praktisch brauchbare Methode zur Förderung der
Krebsdiagnose herauszubilden, und es gelang ihnen, in dem unoxydierten
Schwefel der Oxyproteinsäure (einen dem Nachweise zugänglichen Körper
zu finden. Das Prinzip der Methode ist, die präformierte SO4H0 sowie die
Ätherschwefelsäuren aus dem Harn zu entfernen und dann das Filtrat durch
Kochen mit Perhydrol zu oxydieren; beim Normalen bildet sich dann bei
Stehenlassen in den ersten 24 Stunden überhaupt kein, später ein ganz ge¬
ringer Niederschlag (in 79 Fällen), während sich beim Krebskranken ein
erheblicher Niederschlag, wenigstens in der Mehrzahl der Fälle, bildet; er
besteht aus durch Farbstoffe verunreinigtem Baryumsulfat. Von 81 Karzi¬
nomen gaben 61 eine deutliche, 10 eine schwach positive, 10 eine negative
Reaktion- 3 krebsverdächtige Fälle reagierten positiv. Vielleicht erklären
sich manche negative Reaktionen bei Krebs durch zu geringe Nahrungsauf¬
nahme und lassen sich durch Nutrosezufuhr positiv machen. Die Reaktion
ist von der Kachexie unabhängig; sie verschwand einige Male nach der
Operation. Als einzige Substanz, die die Reaktion stört, ist bis jetzt das
Antipyrin gefunden worden. M. Kaufmann.
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Referate und Besprechungen.
859
Innere Medizin.
W. Dunbar (Hamburg), Zur Ursache und spezifischen Heilung des
Heufiebers. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 13, 1911.} Auf Grund seiner
Untersuchungen kommt D u n b a r zu der Überzeugung, daß die Erreger des
Heufiebers die Pollen der Gramineen sind. Die Symptome glaubt er als
Abwehrreaktion gegen die, durch abnorme Durchlässigkeit der Mukosa und
Kutis ermöglichte, parenterale Zufuhr der genannten Pollen auffassen zu
müssen.
Eine lokale Therapie ist, da es sich um eine Veränderung des ganzen
Organismus handelt, zwecklos. Auch die chemotherapeutischen Vorschläge
sind erfolglos.
Die rationell erscheinenden Versuche, die Pollen von der Schleimhaut
fern zu halten, scheitern an der Unzweckmäßigkeit der Apparate. Eine
günstige Beeinflussung ist dagegen mit dem Pollenantitoxin der Fa. Schimmel
& Co. zu erzielen. Es ist dabei nur zu beachten, daß die Kranken das Mittel
sofort bei den ersten Anzeichen nehmen und nicht erst warten, bis die
Schleimhäute geschwollen sind. Dadurch wird die Empfindlichkeit dem
Pollenantitoxin gegenüber mit der Zeit bedeutend herabgesetzt, so daß die
Kranken schließlich auch ohne Gebrauch des Präparates von Anfällen frei
bleiben.
Da es also gelingt, die Symptome durch ein antitoxisches Serum zu
beseitigen und dadurch gleichzeitig die individuelle Disposition allmählich
bis zu dem Grade herabzusetzen, daß die Anfälle wegbleibeh, kann es sich
um keinen rein anaphylaktischen Vorgang im Sinne der heute gültigen
Definition handeln. F. Walther..
M. Sternberg (Wien), Die Behandlung der Leukämie. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 12, 1911.) Die Diagnose der Leukämie wird nicht mehr
wie früher nach dem Überwiegen der weißen Blutkörperchen im Blutbild
gestellt; sie beschränkt sich jetzt vielmehr in der Hauptsache auf die Ver¬
mehrung ganz bestimmter im normalen Blut gar nicht oder nur in geringer
Zahl vorhandener Arten von weißen Blutkörperchen. Man unterscheidet
danach eine Myelozyten- und eine Lymphozytenleukämie. Die sogenannte
Pseudoleukämie bildet zuweilen nur ein Vorstadium der echten. Ein strenger
Unterschied gegen Neoplasmen besteht leider nicht immer, dagegen sehr
wohl gegen die Leukozytose. Wenn auch noch soviel Leukozyten vorhanden
sind, so muß die Erkrankung bei Fehlen der genannten Elemente doch als
Leukozytose bezeichnet werden und nicht als Leukämie.
In den Röntgenstrahlen besitzen wir ein wertvolles Hilfsmittel, das
das Blutbild günstig beeinflußt und das Leben der Kranken bedeutend zu
verlängern vermag. Sie dürfen aber nur von Fachmännern angewendet wer¬
den, gewöhnlich wird eine Serie Bestrahlungen hintereinander ausgeführt,
hierauf 3—4 Monate gewartet, und dann von neuem begonnen. Auch die
Pseudoleukämie ist ein dankbares Feld für dieses Verfahren. Im Laufe der
Zeit versagt natürlich auch dieses Mittel. Ein Heilmittel stellt es eben
nicht dar.
Von anderen Therapeutizis sind zu nennen das Arsen, das am besten
subkutan appliziert wird. Seine unangenehmen Eigenschaften bestehen in
Auftreten von Herpes zoster r hartnäckigen Ekzemen, sowie vor allem von
Lähmungen. Das Atoxyl ist wegen seiner bekannten Gefährlichkeit zu ver¬
werfen. Organpräparate bleiben wirkungslos. Dagegen rät St. zu Badekuren
(Gastein, Teplitz, Joachimstal, Mittelmeer) und zu hydrotherapeutischen
Prozeduren. In jedem Falle beginnt man zunächst mit der Röntgentherapie,
die am besten in einer Anstalt ausgeführt wird. Der Blutbefund ist dabei
ständig zu kontrollieren. F, Walther.
N. Stadtmüller (New York), Die Diagnose chronischer Pankreaser¬
krankungen. (New Yorker med. Monatsschr., Bd. 22, Nr. 1, 1911.) Verf.
führt das, was die jüngsten Errungenschaften physiologischer, chemisch¬
pathologischer und klinischer Forschung dem Praktiker an diagnostischen
72*
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860
Referate und Besprechungen.
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Mitteln an die Hand geben, in gedrängter Kürze vor, unter klinischer Wür¬
digung an Hand seiner eigenen Erfahrung. Er gelangt zu folgenden
Schlüssen:
Die Differenzierung der einzelnen Formen der chronischen Pankreas
erkrankungen steht an Wichtigkeit vorläufig noch hinter der Kardinalfrage
zurück, ob im gegebenen Falle überhaupt ein Pankreasleiden vorliegt oder
nicht. Die Entscheidung darüber ist in einer Reihe von Fällen auch mit
Hilfe der weit über ein Dutzend betragenden Untersuchungsmethoden nicht
mit Sicherheit möglich, da bei nur teilweiser Zerstörung der Drüse oder
unvollständiger Verlegung ihrer Ausführungsgänge die Ausnützung der
Nahrung normal bleiben kann. Zudem sind andere Organe imstande, das
Pankreas in fast allen seinen Funktionen zu vertreten, und endlich kann
von konstant auftretenden Symptomen bei Pankreaserkrankurigen bis jetzt
nicht die Rede sein.
Die Untersuchung wird sich am vorteilhaftesten folgendermaßen gestalten:
1. Ermittelung irgendwelcher Allgemeinsymptome, die auf das Pankreas
hinweisen könnten. 2. Direkte Entnahme von Duodenalsaft (nach Ein¬
horn u. Groß) und Prüfung auf Fermente. 3. Wo die direkte Entnahme
unmöglich ist oder bestätigende diagnostische Momente erwünscht sind,
Anwendung der qualitativen und quantitativen Methoden des Ferment.nach-
weises aus Mageninhalt, Urin und Stuhl nach Volhard, Schlecht,
Füld, Groß, Wohlgemuth u. a. 4. Endlich Prüfung auf spontane und
alimentäre Glykosurie sowie Anwendung der Pankreasreaktion von Cam
midge, über deren Wert die Ansichten allerdings noch schwanken.
Schließlich ist daran zu erinnern, daß die funktionelle Diagnostik
hinsichtlich des Pankreas erst im Anfang ihrer Entwicklung steht. Esch.
Psychiatrie und Neurologie.
M. F. Nikitin (Moskau?), Über Apraxie. (Allg. Wiener med. Ztg..
Nr. 10 und dl, 1911.) Außer den bisher bekannten Motilitätsstörungen (Para
lyse und Parese, Koordinationsinsuffizienz, unfreiwillige Bewegungen, vrs
Zittern, Athetose, Chorea) sind neuerdings Fälle bekannt geworden, in den&
die Kranken nicht fähig sind, ihre Muskeln zur Ausführung dieser oder jener
Bewegung zu verwenden, obschon von den erstgenannten Störungen nicht?
vorliegt und die motorischen Kräfte völlig bei ihnen erhalten sind. Die
zuerst 1900 von Liepmann beschriebene und Apraxie genannte Störung ist
also völlig der motorischen Aphasie analog, man kann diese als Apraxie der
Sprachmuskeln bezeichnen.
Es sind zwei durch ihren Entstehungsmodus voneinander unterschiedene
Hauptformen der Apraxie zu nennen: die motorische und die i d e a to¬
rische. Bei jener handelt es sich um Isolierung der sensomotorischen Ge¬
biete von den anderen Territorien der Gehirnrinde; für die Lokalisation der
ideatorischen Apraxie dagegen können wir nicht irgendeine schwere Beein¬
trächtigung eines bestimmten Hirnteiles als Ursache angeben, vielmehr ist
dieses Leiden als eine Störung der nervös-psychischen Leistungen im all¬
gemeinen aufzufassen. Es handelt sich dabei um apoplektische Ergüsse, die
gleichzeitig mehrere Hirngebiete geschädigt haben (bes. Schläfen- u. Scheitel¬
lappen).
Klinisch unterscheiden sich die zwei Formen folgendermaßen: die moto¬
rische Apraxie ergreift gewöhnlich einzelne Körperglieder, die ideatorische
erscheint stets in der Gesamtmuskulatur, jene offenbart sich schon bei den
einfachsten Handlungen, diese nur bei den komplizierteren; die mit ihr Be¬
hafteten Patienten können auch einfache Handlungen eines anderen nach-
ahmen, was bei der motorischen Apraxie unmöglich ist.
Bezüglich wichtiger und interessanter Einzelheiten, so z. B. der durch
das Studium dieses Leidens erhärteten Tatsache, daß die rechte Großhirn¬
hemisphäre der linken nicht bloß an funktioneller Wichtigkeit nachsteht,
sondern sogar von ihr abhängig erscheint (Rechtshändigkeit!), muß auf das
Original verwiesen werden. Eech.
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Referate und Besprechungen.
861
O. Felzmann, Cas de bromisme avec troubles c£r€braux. (Arch. de
Neur., März 1911.) Ein belasteter Alkoholiker hatte große Mengen Brom
zu sich genommen, in zwei Wochen etwa 300 g. Bei der Aufnahme fiel neben
einem eigenartigen üblen Geruch seines Atems seine verworrene und an¬
stoßende Sprache auf. Sein Gang war unsicher und breitbeinig mit kleinen
Schritten. Hände und Zunge zitterten. Der Kornealreflex fehlte, die Pupillen
reagierten nur schwach auf Licht. Bei der Unterhaltung fällt die amnestische
Aphasie auf, ferner eine stark gestörte Merkfähigkeit. Vor der Aufnahme
glaubte er auf der Straße seinen Namen zu hören. Der Zustand verschlech¬
terte sich, indem die amnestischen Störungen Zunahmen, ferner auch die
Sprache der paralytischen ähnlich wurde. Auch die Gehörshalluzinationen
wurden lebhafter. Allmählich erfolgte restlose Heilung. F. glaubt, daß
ähnliche Störungen durch das Brom gar nicht so selten sind und nur der
Beobachtung entgehen, weil sie fälschlich dem Grundleiden, gegen welches
das Mittel verordnet wurde, zugerechnet werden und nicht dem Brom,
ferner noch, weil infolge der langsamen Ausscheidung und Aufstapelung
des Broms die toxische Wirkung oft erst nach Aussetzen des Mittels auf-
tritt. Zweig (Dalldorf).
A. Gottschalk, De l’influence du rlgime alimentaire au point de vue
de la prophylaxie et de la genfcse des accidents convulsivs. (Arch. de Neur.,
März-April 1911.) Man kann nicht von vornherein ein allen Epileptikern
dienlichen Diätzettel aufschreiben, sondern muß sich nach den Erfolgen der
eingeschlagenen Kur richten. Im allgemeinen scheint eine vegetarische Diät
die besten Resultate zu haben, doch ist bei manchen Kranken etwas Fleisch -
zusatz erfolgreicher. Bei der Mehrzahl der Kranken ist für längere oder
kürzere Zeit eine Einschränkung der Nahrungszufuhr angebracht, unter
Umständen sogar mit eingeschalteten Fastentagen. An diesen Tagen sowie
in den Perioden verminderter Nahrungszufuhr empfiehlt sich reichlicher
Flüssigkeitsgenuß sowie die Verabfolgung von Abführmitteln. Die Koch¬
salzentziehung scheint nur bei bestehender Nierenaffektion oder bei Koch¬
salzretention angezeigt, sie kann andrerseits nicht unbeträchtlichen Schaden
bringen. Es kann zu Appetitslosigkeit und Verdauungsstörungen und schlie߬
lich zu Abmagerung kommen. Ferner scheint bei Kochsalzentziehung das
Brom toxischer zu wirken. Neben einer Herabsetzung der Reflexe kommt es
leichter zur Akne, zu Schwindel und Schwäche in den Knien, zu schwer¬
fälliger Sprache, zu Gedächtnisschwäche und Reizbarkeit, ferner zu abnormer
Müdigkeit. Eingeleitet werden diese Zustände meist durch Verstopfung
aber auch durch Durchfälle, durch ein oder doppelseitige Neuralgien, durch
ödematöse Veränderung des Gesichts. — Bei belasteten Kindern empfiehlt
sich ebenfalls Achtung auf die Nahrung, naturgemäß auch schon während
der Schwangerschaft. Zweig (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
H. Salzer, Über Blinddarmentzündung beim Kinde. (Wiener klinische
Wochenschr., Nr. 20, 1911.) In Übereinstimmung mit anderen Autoren hat
auch Verf. eine auffallend hohe Operationsmortalität bei der Blinddarm¬
entzündung der Kinder: Von 163 operierten Kindern starben 22 = 13,5°/o-
Die Ursache dieser hohen Mortalität liegt weder in besonderen anatomischen
Verhältnissen noch in der schwierigeren Diagnosenstellung, noch in einem
progredienteren Verlauf der Krankheit bei Kindern; sie ist lediglich darauf
zurückzuführen, daß die Kinder noch immer zu spät der operativen Behand¬
lung zugeführt werden. Wir müssen weit mehr als bisher den Symptomen
der chronischen Appendizitis unsere Aufmerksamkeit widmen: sie führt
meist zu Verdauungsstörungen, wie Appetitlosigkeit, Stuhlträgheit, Er¬
brechen, besonders zyklischem, rasch auf tretenden Koliken, besonders nach
den Mahlzeiten, ferner zu schlechtem Aussehen, ausstrahlenden Schmerzen
ira rechten Bein, Verstimmung, Ohnmächten, Kopfweh. Denkt man über¬
haupt daran, so läßt sich in einer Reihe von Fällen die Diagnose der Appen-
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862
Referate und Besprechungen.
dicitis chronica durch typische Lokalsymptome stellen, und durch Operation
das ganze Krankheitsbild beseitigen. In anderen Fällen ist allerdings die
Diagnose kaum zu stellen; hier hilft manchmal ein unter dem zart palpieren¬
den Finger auftretendes feines Knistern auf den richtigen Weg.
M. Kaufmann.
J. Knorr (Wiesbaden), Diphtheriebehandlung ohne Serum. (Monatsschr.
für prakt. Wasserheilk. usw., Nr. 6, 1911.) Ausgehend von der Moskauer
Diphtherieepidemie von 1908 und 09 (vgl. B. kl. W., Nr. 16), die trotz ener¬
gischer Serumbehandlung 52°/o Mortalität aufwies, betont Knorr (ebenso
wie Bourget, Glaeser, Grawitz, Grissou, Kassowitz, Neu¬
mann, Rosenbach, Rumpel, Schönholzer usw. Ref.), daß das Serum,
bedeutend überschätzt werde und keine besseren Resultate erziele als die
serumfreie Behandlung.
Bezüglich letzterer empfiehlt K. statt der noch vielfach beliebten
Eiskrawatte die häufig zu wechselnden hyperämisierenden heißen Auf¬
schläge, die aber, um die Mandelgegend zu treffen, vor den Ohren nach
oben über den Kopf zusammengebunden werden müssen. Nach Schaffer
(B. kl. W., Nr. 19, 1910) können sie zeitweise auch durch verdünnte Spiritus-
aufschläge ersetzt werden. Des weiteren empfiehlt K. Gurgeln mit 3°/o
Perhydrollösung, ferner Zitronensaft, Winternitz’ Heidelbeersaft, Nasenirriga¬
tion (bei Jauchung Pyozyanaseaufblasen). Als allgemein hydrotherapeu¬
tische Maßnahmen kommen Leib- und Wadenpackungen, Bäder, Darment¬
leerung (auch kalte Bleibeklistiere), in septischen Fällen heiße Wickel
in Betracht, bei Herzschwäche kombiniert mit rasch gewechselten kalten
Herzaufschlägen bzw. Winternitz’ Kühlschlauch.
Bei dieser Behandlung hat K. außer einer schweren Scharlachsepsis
mit nekrotischer Halsdiphtherie bisher keinen Fall verloren. Esch.
Siegert, Säuglingsfürsorge und Wohnungsfrage. (Med. Blätter, Nr. 13,
1911.) Virchow hat zuerst darauf hingewiesen, wie verschieden sich die
Sterblichkeit der Säuglinge gestaltet unter dem Einflüsse der wirtschaftlichen
Lage, vor allem der Wohnung. Lievin hat 1871 die analogen Verhältnisse
in Danzig nachgewiesen. Ballard bezeichnete in den achtziger Jahren die
mangelhafte Durchlüftung der engen Straßen in London als verhängnisvoll
für den Säugling. In den neunziger Jahren findet das Thema in Dresden
durch Me inert, durch Praußnitz in Prag, durch Flügge in Breslau
eingehende Bearbeitung. Leider wirkte hemmend auf die richtige Bewertung
ihrer Forschungen die noch heute sehr verbreitete Anschauung der Kinder¬
ärzte, daß in erster Linie allein die zersetzte Milch und die Unkenntnis der
richtigen Säuglingsernährung im allgemeinen und besonders im heißen Som¬
mer die Säuglingssterblichkeit bedinge. In Wirklichkeit hängt aber die
künstliche Ernährung mit der Wohnungsfrage zusammen. Wenn die Mutter
nicht stillen konnte, weil es galt, den teuren Mietzins mit zu verdienen,
das kaum geborene Kind der schmutzigen Flasche, der miserablen, oft auf
Borg gekauften Milch in heißer Wohnung der Hut eines unverständigen
Kindes überlassend, dann wird ihr Sohn, ihre Tochter schwerlich hören,
daß des Kindes heiliges Recht das Recht auf die Mutterbrust ist. Und früh
schon gewöhnen sich Eltern und Kinder, stumpfsinnig das Sterben der kaum
Geborenen als etwas fast natürliches anzusehen. Was nützt der Mutter das
Merkblatt über Pflege und Ernährung des Säuglings, wenn sie wenige
Wochen nach der Geburt Kind und Haus verlassen muß, um mit dem Manne
in der Fabrik Miete und Nahrung zu verdienen. Vergebens streitet des
Säuglings Leben gegen die Bodenrente. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
M. Cloetta (Zürich), Untersuchungen über das Verhalten der Antimon'
Präparate im Körper und die Angewöhnung an dieselben. (Archiv für
exper. Patli. u. Pharmak., Bd. 64, S. 352, 1911.) Wenn es auch einen der
Arsengewöhnung eutsprechendeu Zustand bei wiederholter Zufuhr von
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Referate und Besprechungen.
863
Antimonpräparaten nicht gibt, so ist es doch nicht ohne Interesse
zu erfahren, wie sich der Organismus gegenüber steigenden Gaben von Anti-
monpräparaten (Kaliumpyrostibiat und Brechweinstein) verhält. Kontinuier¬
liche Vergiftungen mit Antimon sind in der Literatur bekannt, auch hat ja
Ehrlich äußerst merkwürdige Beziehungen zwischen Antimon- und Arsen¬
präparaten mit Rücksicht auf die Giftfestigkeit bestimmter Mikroorganismen
aufgefunden.
Bei Versuchen an Hunden zeigte sich, daß die chronische Antimon-
Zufuhr keine Abnahme der Resorption im Darmkanal zur Folge
hat, wie sie Cloetta für das Arsen als Ursache der Arsefngewöhnung
beim Hund nachgewiesen hat (1906, S. 286); im Gegenteil, es trat mit der
Dauer der chronischen Vergiftung eher relativ und absolut mehr Antimon
in den Organismus über. Eine Antimon-Immunität ließ sich nicht
erzielen. E. Rost (Berlin).
W. Heubner (Göttingen), Warnung vor Maretin. (Ther. Monatsh.,
Juni 1911.) H. macht in scharfer Weise auf den Unfug aufmerksam, daß
die Farbenfabriken Elberfeld noch immer das Maretin empfehlen, speziell
bei Fieber der Phthisiker. Demgegenüber warnt H. vor der Anwendung des
Maretins; es ist erwiesen, daß Maretin ein Blutgift ist ; allerdings bewirkt
es auch in hohen einmaligen Dosen keine sofort warnehmbare Veränderung
des Blutfarbstoffs, etwa durch Methämoglobinbildung; jedoch genügen schon
verhältnismäßig kleine wiederholte Gaben, um eine sehr beträchtliche Schä¬
digung des Blutes nach Art einer schweren anämischen Erkrankung herbei¬
zuführen. H. teilt auch diesbezügliche Tierversuche mit. Unverantwortlich
erscheint es, nach allen gemachten Erfahrungen das Maretin ohne Ein¬
schränkung für die Behandlung des phthisischen Fiebers zu empfehlen
und gleichzeitig die Ärzte in Sicherheit zu wiegen durch die strikte Be¬
hauptung, Maretin sei kein Blutgift. S. Leo.
Hennell empfiehlt als Antidot gegen Alkohol Ammoniumchlorür in
der Dosis von 2—4 g in Wasser, mit nachfolgender reichlicher Ingestion von
Wasser. Es beseitigt die Wirkungen des Alkohols, ernüchtert den Patienten
rapid und ist ein wertvolles Präventivmittel gegen das Del. trem. Beruhigt
sich der Patient nicht nach Verabreichung des Mittels, so kann zu einem
Hypnotikum gegriffen werden (am besten Chlorhydrat oder Brom); in vielen
akuten Fällen ist dies aber gar nicht notwendig. In kleinen Dosen 0,35—0.5
muß das Mittel lange Zeit und häufig wiederholt werden. Wasser ist dabei
nötig, um eine gastrointestinale Reizung zu verhindern. (Les nouv. rem.,
Nr. 6, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Mattheus gibt mit vollem Erfolg bei akutem Asthma Adrenalin in
Form eines nasalen Sprays, in schweren Fällen 1:1000,0, sonst 1:2—4000,0.
In einem Falle wurde sogar ein Asthmaanfall prompt kupiert, durch ein
Adrenalinstuhlzäpfchen, das gegen Hämorrhoiden gegeben wurde. (Les nou-
veaux remedes, Nr. 12, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Ebeling empfiehlt in seinen kasuistischen Beiträgen zur Anwendung
der Emulsion Angier (Allg. med. Zentralztg., Nr. 26, 1911) dieses Petro¬
leumpräparat als völlig frei von dem unangenehmen Petroleumgeschmack,
Kauz besonders zur Erhöhung der Assimilationskraft der Tuberkulose und
zur Beseitigung der Obstipation, namentlich bei Neurasthenikern.
v. Schnizer (Höxter).
L. Straschnow (Leitmeritz), Ober das Jothion. (Allg. Wiener med. Ztg.,
Nr. 16, 1911.) Straschnow sah von Jothion gute Wirkung bei Gicht,
Rheumatismus, Gelenkkontusion, Prostatitis, Portioerosionen, Drüsenschwei-
lung, Struma. Es wird in Form von 10%igen Salben und spirituösen Ein¬
reibungen, in Suppositorien 0,1, 2°/oigen Glyzerintampons verwandt und wirkt
resorbierend und bakterizid. Auch kommt es als fertige Einreibung mit Cera
und Lanolin ää 0,5 in Gelatinekapseln in den Handel. Wegen seiner Reiz¬
losigkeit ist es anderen Resorbentien vorzuziehen. Esch.
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Bticherschau.
Digit ize
Bücherschau.
F. Nadastiny (Strafanstaltsoberdirektor in Garsten), Untermenschen oder Narren?
Eine kriminal-psychologische Kritik der klinischen Lehre vom Verbrecherseelenleben.
Wien 1910. Verlag von Benno Konegen. 169 S. 8 Mk.
Ep wäre meiner Meinung nach ein Fehler, dieses gegen die Psychiatrie ge¬
richtete Buch totzuschweigen. Nach N. ist die an den modernen w Verbrecher-
Universitäten 14 gelehrte „Hochschulpsychiatrie“ eine fast strafwürdige ,Schwindel¬
lehre“ und „Pseudowissenschaft“, welche in tendenziöser Weise die Begriffe der
Psychologie konfundiert, um durch ihre „wider besseres Wissen und wider bessere
Moral“ abgegebenen Urteile sich eine „Sinekure“ zu schaffen. Außer diesem Urteil
über die Psychiatrie wäre über den Inhalt des Buches nur noch zu sagen, daß die
in ihm vertretenen, wie N. w r ohl meint, völlig neuen Ansichten über die Minder¬
wertigkeit des Verbrechers in wirklich besserer Weise von den von ihm so geschmähten
modernen Psychiatern vertreten werden, indem dieselben doch wohl mehr einschlägige
Kenntnisse besitzen und in leidenschaftsloserer Weise kritischer sind. Es kommt
noch hinzu, daß die Psychiater schon deswegen wohl auch berufenere Lehrer sind,
weil man ihre Schriften, zum mindesten mit einem gewissen Bemühen, lesen und
verstehen kann, während mich — und vielen anderen wird es sicher auch so gehen —
trotz eifrigsten Wollens der u a. schwülstige, vielfache Einschachtelungen liebende
Stil des Verfassers ein vollständiges Lesen des Buches nicht hat vollbringen lassen.
Interessanter als der Buchinhalt ist übrigens die Persönlichkeit des Verfassers.
Zweig ^Dalldorf).
Armin Steyerthal, Hysterie und kein Ende! Offener Brief an Herrn Staate¬
anwalt Dr. Erich Wulffen. Halle a. S. 1911. Verlag von Carl Marhold.
Anknüpfend an einen von Dr. Wulffen gehaltenen Vortrag entwickelt der
Autor in der bei ihm bekannten geistvollen Weise seine Ansichten über den Begriff
Hysterie. Wie bei allen Schriften von Steyerthal, hat man auch hier wieder
Gelegenheit, sein selbständiges Denken und seine überaus große Belesenheit auf
fast jeder.Seite der Broschüre zu bewundern. Er kommt, wie auch in seiner früheren
Schrift „Was ist Hysterie?“ zu dem Schluß, daß es einen eigentlichen Krankheitf-
begriff, der sich ganz unter Hysterie einreihen läßt, nicht gibt, und daß diese
Krankheitszustände teils dem angeborenen Schwachsinn, teils der erworbene
Nervenschwäche zugewiesen werden müssen.
Sehr interessant sind die Ausführungen Steyerthals über einzelne Gestalte
der modernen Literatur, so über Ibsen’s Nora und Björnson’s Klara Sand u. &•
Es ist zu wünschen, daß die Schrift eine recht weite Verbreitung linden möge, sh
bietet mehr Anregung zum Nachdenken als manches weit umfangreichere Buch.
Rigler.
Arthur Keller (Charlottenburg), Kinderschutz und Säuglingsfürsorge in Ungarn.
Ergebnisse der Säuglingsfürsorge, Heft 8. Leipzig und Wien. Verlag von Franz
Deutike. 1,80 Mk.
Keller widmet dieses Heft der von ihm herausgegebenen Ergebnisse der
Säuglingsfürsorge der ungarischen Nation, „die das Recht der Kinder auf soziale
Fürsorge verkündet, die das Elend der Kinder opferwillig bekämpft“. Das System
des staatlichen Kinderschutzes in Ungarn ist so ausgezeichnet durchdacht und
organisiert, daß es im Ausland volle Anerkenuung gefunden hat. Keller hat auf
einer längeren Studienreise 14 von den 17 staatlichen Kinderasylen sowie eine
Anzahl Kinderkrankenhäuser, Kolonien und andere im Dienste des Kinderschutzes
stehenden Anstalten eingehend studiert.
Als Grundprinzip des staatlichen Kinderschutzes in Ungarn gilt die Bestimmung,
daß das Kind nicht bei der eigenen Mutter bleibt.
Nur für die Zeit des Stillens und aus einzelnen anderen Gründen ist eine
Ausnahme von dieser Regel im Interesse des Säuglingsschutzes vorgeschrieben.
Heute stehen bereits über 50000 Kinder unter staatlicher Aufsicht. Keller
erkennt die Bedeutung dieser segensreichen Einrichtung für die normalen, gesunden
Kinder jenseits des Säuglingsalters an. Schwierigkeiten bietet die volle Durch¬
führung der Organisation des Säuglingsschutzes, besonders der geschlossenen S&ug-
lingsfürsorge bei diesem System.
Das Heftchen bietet einen genauen Überblick über das ganze System de*
Kiuder- und Säuglingsschutzes in Ungarn, und gibt interessante Mitteilungen, die
im Original nachgelesen zu werden verdienen. A. W. Bruck.
Druck vou Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911.
Tortscbrittc der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauagegeben ton
Professor Dr. 8. Köster Prio.-Doz. Dr. o. ertegerR
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Dannstadt«
Nr. 37.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
lflr das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
14. Septbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zur Therapie der Orbitalentzündungen.
Von Prof. Dr. med. A. Birch-Hirschfeld.
(Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft zu Leipzig vom 27. 6. 1911.)
Zu den schwersten Erkrankungen, die der Augenarzt zu sehen
bekommt, gehören, wenn wir die bösartigen Geschwülste des Augeö
und seiner Umgebung ausnehmen, die Orbitalentzündungen. Sie ge¬
fährden das Sehvermögen und das Leben des Patienten in hohem Grade,
ersteres dadurch, daß die Entzündung auf den Sehnervenstamm über¬
greift, Zirkulationsstörungen der Netzhaut und des Optikus hervor¬
ruft oder daß der vom Lide ungenügend geschützte stark vorgetriebene
Augapfel an einem Hornhautgeschwür mit seinen schweren Folgeerschei¬
nungen (Perforation, Irisprolaps usw.) erkrankt, letzteres durch Menin¬
gitis, Sepsis, Gehirnabszeß, Sinusthrombose.
Im Laufe des letzten Jahrzehntes hat glücklicherweise unsere
Kenntnis von den entzündlichen Orbitalerkrankungen eine Bereiche¬
rung erfahren, die auch die therapeutischen Erfolge wesentlich
günstiger gestaltete, dadurch daß sie in das Dunkel der Diagnosen-
und Indikationsstellung mehr Licht gebracht hat. Auch hier zeigt sich,
daß wir den Feind um so besser bekämpfen können, je genauer wir
mit ihm bekannt sind.
Lesen Sie in einem älteren Lehrbuche über Therapie der Orbital¬
entzündungen nach, so können Sie sich davon überzeugen, wie schwierig
die Aufgabe des behandelnden Arztes sich gestaltete.
Zunächst wurden die Begriffe Orbitalphlegmone, retrobulbärer
Abszeß, Cellulitis orbitae, Thrombophlebitis orbitalis, Periostitis orbitae
von den einzelnen Autoren verschieden gefaßt, bald zur Bezeichnung
des gleichen Krankheitsbildes verwendet, bald in einen gewissen Gegen¬
satz zueinander gebracht. Vor allem war aber die Ätiologie der Orbital-
entzündung fast völlig in Dunkel gehüllt. Zwar wußte man durch
Keber’s verdienstvolle Untersuchungen, daß Orbitalphlegmone nicht
selten nach Erysipel, auch nach larviert verlaufendem, entsteht, aber
im übrigen sollten besondere Dispositionen, Erkältungen, Dyskrasien
eine Bolle spielen. Nicht weniger unsicher stand es mit der Therapie.
Der eine empfahl, wegen der Gefahr für Sehvermögen und Leben
frühzeitig tiefe Inzisionen mit dem Schmalmesser zu machen, in der
Richtung des vermuteten Eiterherdes oder — falls für dessen Lokali¬
sation kein Anhaltspunkt gegeben war, auf gut Glück durch Lider
oder Bindehautsack.
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Birch-Hirechfeld,
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Ein anderer riet, bis zum Auftreten umschriebener Schwellung
und Fluktuation abzuwarten, was oft gleichbedeutend mit völliger
Untätigkeit ist, da diese Symptome in vielen Fällen überhaupt nie
hervortreten.
Ein Dritter glaubte, bei mäßigem Exophthalmus und fehlender
Gefahr für Auge und Orbital wände bis zum Auftreten von Fluktuation
abwarten zu dürfen, 1x3i rasch eintretender Sehstörung oder Hornhaut¬
trübung aber mit tiefen Einstichen nicht zögern zu sollen.
Um Dinen ein Bild von dem Effekt der früher geübten Therapie
zu geben, erwähne ich nur, daß nach meiner Zusammenstellung unter
98 Fällen, die inzidierti wurden, nur *35 mit gutem Visus heilten
(35,7°/ 0 ). 29 mit Amaurose (29,9°/ 0 ), 17 mit Amblyopie (17,4°/ 0 ),
während 17 (17,4°/ 0 ) ad exituni kamen.
Unter 50 konservativ behandelten Fällen heilten 12 mit gutem
Visus (24°/o)» 14 mit Amaurose (28°/ 0 ) und endeten 16 (32°/ 0 ) letal.
Ein wesentlicher Fortschritt wurde nun erreicht durch den Nach¬
weis, daß in mehr als der Hälfte der Fälle (nach meiner Statistik,
die 684 Fälle umfaßt, in nicht weniger als 409 Fällen [59,8%,]) die
Orbitalentzündiing durch eine Nebenhöhlenerkran kling entsteht. Beson¬
ders durch die wertvollen Untersuchungen von Kuhnt, Hajek, Onodi
u. a. ist die Art des Übcrgreifens der Entzündung von der Schleim¬
haut der Nebenhöhle auf die Orbita über jeden Zweifel sichergestellt.
Wir wissen jetzt, daß bei jeder Orbitalentzündung, mag sie sich
als Periostitis orbitae, als subperiostaler Abszeß oder als Orbital¬
phlegmone nach dem klinischen Bilde darstellen, die Nase und die
Nachbarsinus genau untersucht werden müssen. Wir wissen, daß sich
ohne lokalen Eingriff die Orbitalentzündung zurückbilden kann, wenn
der erkrankte Sinus durch endonasale Behandlung zur Heilung gebracht
wird, daß aber auch in anderen Fällen die Sinusitis ausheilen, der
Prozeß in der Orbita aber weiter fortschreiten kann. Auf die prak¬
tisch wichtigen Fragen, wann bei Sinusitis, die mit Orbitalentzün-
dung kompliziert ist, eine Radikaloperation erforderlich, wann endo-
nasale Behandlung ausreichend ist, kann ich hier nicht näher ein-
gehen. Die Entscheidung hierüber steht, wie ich glaube, in erster
Linie dem Rhinologen zu, der auch allein entscheiden kann, ob es
sich um Erkrankung einer oder mehrerer Nebenhöhlen handelt.
Die Entscheidung der Frage, ob zur Behandlung der Orbital-
entzündung ein lokaler Eingriff anzuraten ist, ist auf Grund der
klinischen Beobachtung des einzelnen Falles zu treffen. Von dieser
hängt auch die Prognose ab.
Wir können hier zwischen drei Krankhoitsbildern unterscheiden,
die sich, der Schwere nach steigernd, auseinander entwickeln können.
Am leichtesten ist die Periostitis orbitae mit oder ohne ent¬
zündlichem ödem des retrobulbären Gewebes. So müssen wir diejenigen
Fälle deuten, bei denen sich der Exophthalmus und die Bewegungs¬
störung und die entzündlichen Erscheinungen am vorderen Teile der
Orbita zurückbilden, ohne daß es zu eitriger Einschmelzung kommt,
sobald der Eiterherd des Nachbarsinus entleert wurde.
Eine zweite Gruppe von Fällen, die, wie ich glaube, größer ist
als es nach den Berichten der Literatur scheint und die eine besondere
Therapie erfordert, bilden die subperiostalen Abszesse der Orbita. Sie
entstehen dadurch, daß der aus dem Nachbarsinus durchbrechende Eiter
das an den meisten Stellen locker der Wand anliegende Periost der
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Zur Therapie der Orbitalentzflndungen.
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Orbita vorn Knochen abdrängt. Dadurch wird nicht nur Exophthalmus,
sondern auch seitliche Dislokation des Bulbus hervorgerufen, die nach
ihrer Art auf die erkrankte Nebenhöhle schließen läßt. So deutet
Verdrängung des Auges nach oben auf die Kieferhöhle, nach der tem¬
poralen Seite auf die Siebbeinhühle, nach unten und außen auf die
Stirnhöhle hin.
Therapeutisch sind diese bei Nebenhöhleneiterung auftretenden
subperiostalen Abszesse leicht anzugreifen. Es ist sehr zu emp¬
fehlen. sobald das klinische Bild zu ihrer Diagnose führt, nicht zu
zaudern, sondern operativ vorzugehen. Verzögerung des Eingriffes kann
leicht zu einem Weiterfortsehreiten der Entzündung auf das Orbital-
gewebe, zur Orbitalphlegmone mit ihren ernsten Komplikationen führen.
Die in den meisten Lehr- und Handbüchern empfohlenen einfachen
Inzisionen möchte ich dagegen dringend widerraten. Liegt der sub-
periostale Abszeß weiter hinten, so wird er vom Messer oft nicht
getroffen und, was schlimmer ist, die bis dahin noch nicht infizierte
Orbita wird erst eröffnet und sekundär infiziert.
Richtiger ist es zweifellos, durch eine genügend breite Inzision
den Orbitalrand entsprechend der erkrankten Nebenhöhle und der Ver¬
drängung des Bulbus oben innen, innen oder unten, freizulegcn und
nach exakter Blutstillung das Periost stumpf vom Knochen abzulösen.
In dieser Weise läßt sich nicht nur der ganze Eiterherd leicht ent¬
leeren, sondern auch die Wand nach der Nebenhöhle genau inspizieren
und häufig eine Perforationsstelle nachwcisen. Man kann, dann, falls
dies im Einzelfalle indiziert ist, die Radikaloperation der Nebenhöhle
direkt anschließen. Im anderen Falle, wenn man die Entscheidung
hierüber und die Ausführung dem Rhinologen überlassen will, ist nichts
versäumt und die schwere Gefahr, die aus der Orbitalentzündung ent¬
springt, meist mit einem Schlage beseitigt. Jedenfalls dürfen wir in
diesen Fällen mit. endonasaler Behandlung keine kostbare Zeit ver¬
streichen lassen, ehe wir an die Behandlung des Orbitalabszesses heran¬
treten.
Als Beispiel eines solchen Falles stelle ich Ihnen einen 10jährigen
Knaben vor, der vor einem Jahre die Klinik aufsuchte, da sich im
Anschluß an Zalinschmerzen und Wangonschwellung eine heftige sehr
schmerzhafte Entzündung des linken Auges eingestellt hatte. Das
stereoskopische Bild, das ich Ihnen zeige, läßt Sie erkennen, wie der
linke Bulbus sehr stark protrudiert und nach oben abgelenkt war.
Der Exophthalmus betrug 10 mm. der Höherstand gleichfalls 10 mm.
Die Beweglichkeit nach oben und unten war aufgehoben, diejenige
nach außen und innen stark beschränkt. Der Visus war auf 6 / lg , nach
Korrektion eines hyperop. Astigmatismus auf 6 /io herabgesetzt, die
Papille verwaschen, 2 Dioptr. prominent und hyperämisch. Gesichts¬
feld und Farbensinn waren normal, der blinde Fleck leicht für weiß
und. Farben konzentrisch vergrößert.
In der hiesigen rhinologischen Universitäts-Poliklinik wurden durch
Spülung aus der linken Kieferhöhle schleimige Eiterflocken entleert.
An der Diagnose subperiostaler Abszess im unteren Teile der
Orbita nach Kieferhöhleneinpyein, das seinerseits sich an eine tiefe
Karies des 2. Milchmolaris angeschlossen hatte, konnte kaum ein
Zweifel bestehen. Es fragte sich nur, ob außerdem schon eine Ent¬
zündung des Orbitalgewebes eingetreten war, worauf die hochgradige
Protrusion und die Affektion des Sehnerven hinzudeuten schien.
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Birch-HirschfelH,
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Am Tage nach der Aufnahme legte ich den Orbitalrand am
unteren äußeren Quadranten durch Inzision frei. Nach Ablösung des
Periostes quoll reichlicher dünnflüssiger übelriechender Eiter vor. Eine
Perforationsstelle von der Kiefernhöhle konnte ich am Boden der Orbita
nicht feststellen. Die Wunde wurde mit Sublamin ausgespült und breil
tamponiert.
Der Exophthalmus ging sofort nach der Operation um ca. 5 mm
zurück, ebenso die Dislokation nach oben, docii blieb noch eine beträcht¬
liche Verdrängung des Bulbus zurück. Die Temperatur sank von 39,5°
auf 38° C. t !
Nach weiteren 14 Tagen war die Temperatur normal, der Exoph¬
thalmus und die Störung der Beweglichkeit geschwunden, ebenso die
Papillenschwellung. Der Visus war zur Norm zurückgekehrt, die
Refraktionsanomalie gleichfalls beseitigt, die also nur durch Druck
des geschwellten Orbitalgewebes entstanden war.
Ist die Behandlung des subperiostalen Abszesses der Orbita ver¬
hältnismäßig einfach, so kann, wenn es sich um eine Orbitalphleg¬
mone handelt, die Aufgabe des Arztes eine recht schwierige sein.
Eine solche kann sich unter dem anatomischen Bilde der Thrombo¬
phlebitis orbitae in verschiedener Weise entwickeln. Entweder sie
schließt sich an eine Sinusitis frontalis, ethmoidalis oder maxillaris
an, oder sie kompliziert eine direkte Orbital Verletzung, sie entsteht auf
embolisch - metastatischem Wege oder durch Infektion auf dem Weg'
der Lymphgefäße oder Venen, bei eitrigen Prozessen an den Lidern,
der Wange, der Oberlippe. Besonders die in dieser Weise entstandenen
Orbitalphlegmonen sind mit Recht gefürchtet. Sie haben nicht selten
den Tod des Patienten herbeigeführt.
Ich glaube Ihnen die wichtigsten Gesichtspunkte für die Therapie
der Orbitalphlegmone am besten durch Vorstellung und Schilderung
eines kürzlich von mir behandelten Falles geben zu können, der mir
aus mehreren Gründen besonderes Interesse zu verdienen scheint.
Die 60jährige Patientin, die Sie vor sich sehen, hat vor zehn Jahren
eine schwere Erkrankung des linken Auges durchgemacht. Es bestand
damals das Bild eines Orbitaltumors, ohne daß sich bei der Kroen-
lein’sehen Operation ein solcher nach weisen ließ. Infolge mangelhafter
Bedeckung durch die Lider entstand ein eitriges Hornhautgeschwür,
das perforierte, zur Phthisis bulbi führte und die Enukleation des
Auges nötig machte. Das rechte Auge war damals normal.
Kurz vor Pfingsten dieses Jahres ging die Patientin wegen eines
Hordeolum im äußeren Teile des rechten unteren Lides zu einem
hiesigen Augenarzt. Dieser eröffnete das Hordeolum. Es entleerte sich
wenig Eiter. Zwei Tage später bildete sich ein starkes Odem der
rechten Gesichtshälfte, das den Kollegen veranlaßte, die Patientin der
Klinik zu überweisen. Als sie sich am 5. Juni hier vorstellte, war
das Bild der Orbitalphlegmone deutlich ausgeprägt. Es bestand Lid¬
ödem, Chemosis, Exophthalmus von ca. 5 mm. Der Bulbus war in der
Achse der Orbita vorgetrieben, nicht seitlich disloziert. Die Beweg¬
lichkeit war nach allen Richtungen sehr stark beschränkt, fast auf¬
gehoben. Beim Bewegungsversuch bestanden heftige Schmerzen, ebenso
beim Versuch, den Augapfel zurückzudrängen.
Der Visus war auf 6 / 18 (mit — 3,0) herabgesetzt. Mit dem Augen¬
spiegel war venöse Hyperämie der Papille nachzuweisen. Das Gesichts¬
feld hatte normale Grenzen. Die Körpertemperatur maß 38,5° G.
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Zur Therapie der Orbitalentzündungen.
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Am unteren Lide fand sich eine kleine Inzisionsöffnung, aus der
sich wenig Eiter entleerte. Von hier drang die Sonde zum äußeren
unteren Bande der Orbita vor. Im Ausstrich fanden sich Strepto¬
kokken in Reinkultur.
Die Untersuchung der Nase und der vorderen Nebenhöhlen ergab
keinen pathologischen Befund.
Nach alledem konnte kaum ein Zweifel bestehen, daß eine Orbital¬
phlegmone vorlag, die sich im Anschluß an das Hordeolum bzw. an
dessen Inzision entwickelt hatte. Da die Venen des unteren Lides
mit den Orbitalvenen in direkter Verbindung stehen, erschien eine
Infektion des retrobulbären Gewebes auf diesem Wege wahrscheinlich.
Es fragte sich nun, was zu tun sei. Für die Annahme eines sub¬
periostalen Abszesses ergab der Befund keinen Anhaltspunkt. Die
Chance, durch Ablösung des Periostes der Eiterung beizukommen, war
also sehr gering. Das Orbitalgewebe zu inzidieren, war nicht unge¬
fährlich. Ganz abgesehen davon, daß bei Orbitalphlegmone multiple
Abszesse zu entstehen pflegen, hätte eine Inzision schwere Gefahren
für das Sehvermögen mit sich gebracht. Das war um so mehr zu be¬
denken, da die Patientin nur dieses eine. Auge besitzt. Andererseits,
sollte man ruhig zuwarten, während der Exophthalmus weiter zunahm
und stündlich schwere Komplikationen von seiten des Gehirns oder
des Sehnerven eintreten konnten? —
Ich entschloß mich deshalb, eine Behandlungsmethode zu ver¬
suchen, die bisher in dieser Weise bei Orbitalphlegmone meines Wissens
noch nicht geübt wurde.
Ich legte zunächst den äußeren Orbitalrand durch einen 5 cm
langen Schnitt frei. Nach Ablösung des Periostes temporal unten und
oben quoll, wie zu erwarten war, kein Eiter vor. Nim eröffnete ich
die Periorbita vorsichtig in horizontaler Richtung, was bei der starken
Prominenz des Bulbus keine Schwierigkeit machte. Aus der Inzisions¬
wunde, in die sich etwas Fettgewebe vordrängte, sickerte wenig eitrige
Flüssigkeit. Die Hautwunde ließ ich ganz offen und führte einen
mit Alsol getränkten Gazetampon bis in die Inzisionswunde der Peri¬
orbita hinein.
Der Exophtalmus, die Beweglichkeit und die Körpertemperatur
wurden durch diesen Eingriff weder in günstiger noch in ungünstiger
Weise beeinflußt. Am nächsten Tage nun begann ich die Biersche.
Stauung in der Weise anzuwenden, daß ich eine Saugglocke nach Ent¬
fernung des Tampons und Austupfung direkt auf die Wunde auf setzte
und nun täglich zweimal je 10—15 Minuten lang einwirken ließ. Diese
Behandlung wurde durch 17 Tage fortgesetzt.
Die Applikation war etwas schmerzhaft, aber die sehr geduldige
Patientin unterzog sich ihr um so lieber, da sie schon nach wenigen
Tagen einen günstigen Einfluß auf ihr Leiden bemerkte.
Der günstige Effekt der Stauungen war ein augenfälliger. Die
Beweglichkeit des Bulbus besserte sich nach 2—3 Tagen, die Chemosis,
der Exophthalmus und die Lidschwellung gingen langsam zurück.
Nach jeder Stauung sah ich die Wunde der Periorbita, die ich durch
Tamponieren offenhielt, mit Eiter belegt, ohne daß es je zu einer stärke¬
ren Eiterentleerung kam.
Die Besserung machte so gute Fortschritte, daß ich Ihnen heute
die Patientin nahezu geheilt vorstellen kann. Die Temperatur ist jetzt
andauernd normal, der Exophthalmus hat sich ganz zurückgebildet (der
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870
Baedeker,
Abstand des ilornliautseheitels vom äußeren Orbitalrand beträgt jetzt
15 mm), die Beweglichkeit völlig wiederhergestellt. Die Papille ist nicht
mehr hyperaemisch und der Visus zur Norm zurückgekehrt.
Ich glaube wohl, daß dieser günstige Verlauf mit in erster Linie
der Behandlungsweise zu verdanken ist, wenn ich es auch natürlich nicht
beweisen kann.
Ein Fall sagt ja wenig, wenn es sich um die Beurteilung einer
Therapie handelt.
Immerhin dürfte es sich empfehlen, diese einfache Methode in An¬
wendung zu ziehen, um so mehr, da sie sich bei eitrigen Entzündungen
an anderen Körperstellen so gut bewährt hat und für die Behandlung
der Orbitalphlegmone uns sonst wenig Mittel zur Verfügung stehen.
Eine etwas breitere Narbe, am Orbitalrand, die sich übrigens leicht
exzidicren läßt, wird man dabei gern in Kauf nehmen.
Über Vaporin-Behandlung.
Von Dr. Baedeker, Spezialarzt für Kinderkrankheiten, Berlin.
Heutzutage nimmt bekanntlich die Inhalationstherapie in der Medizin
eine ziemlich bedeutende Stelle ein, obwohl sich kein Denkender die
Tatsache verhehlen kann, daß das */ 4 ständige öftere Inhalieren mit einem
kleineren Inhalationsapparat, wie sie gebräuchlich sind, die großen In¬
halatorien in den Bädern nicht ersetzen kann. Es darf nicht verkannt
werden, daß die spezifische Inhalationstherapie insbesondere für die Er¬
krankungen der Atmungsorgane von besonderem Vorteil ist. Sie muß
aber so gestaltet werden, daß der Kranke den zu inhalierenden Körper
zwanglos voll und ganz einatmen kann. Nach meinen Erfahrungen er¬
scheint mir dies besonders wichtig bei der Keuchhustenbehandlung.
Die so oft in der medizinischen Literatur betonte Medikation „Be¬
handlung des Keuchhustens durch Vaporin“ erfüllt an und für sich schon
diese Forderung. Im Gegensatz zu den bei der Anwendung der Inhalier¬
maschine in Betracht kommenden Verhältnissen wird hier die gesamte
Luft des Raumes, in welchem der Patient sich befindet, mit der heil¬
kräftigen Substanz in Dampfform gleichmäßig angefüllt. Dadurch fällt
auch die bei der Anwendung der Inhalationsmaschine gerade für schwache
Personen und Kinder vorzuschreibende, so sehr unangenehme und an¬
strengende Körperhaltung fort. Hierin liegt ohne Zweifel schon ein ganz
bedeutender äußerer Vorteil.
Was nun die pharmakologische Natur des Vaporins anlangt, so
wird dasselbe von seinem Vater, Dr. Staedler, als Naphten-Eucalypto-
Camphora bezeichnet. In Wirklichkeit ist es ein nach bestimmten Zu¬
sammensetzungen dargestelltes Gemisch von Naphtalin, Camphor. rasp.,
Ol. Eucalypt. glob. und Ol.Pini silvestris. Wir haben es also mit einer
Vereinigung von solchen Körpern zu tun, die mehr oder minder von einzelnen
gegen Keuchhusten schon angewendet werden. Das Naphtalin ist schon
vor mehr als 50 Jahren bei Bronchialkatarrh als Expektorans verwendet
worden und es ist eine längst als zweifellos hingestellte Tatsache, daß
Naphtalinräucheningen im Krankenzimmer oft in sehr kurzer Zeit Keuch¬
husten äußerst günstig beeinflussen. Was nun die Wirkung des Kampfers
anlangt, so gilt auch er als vorzügliches Expektorans, um die Aushustung
des Sekretes zu befördern. Die Wirkung des Eukalyptusöles gegen
Asthma und Bronchialkatarrh ist längst bekannt, ebenso die Wirkung
des Oleum Pini silvestris, das als Spray zu Inhalationen bei Krankheiten
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Über Vaporin-Behandlung.
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der Luftröhren und Desinfizierung der Krankenräume schon lange eine
Rolle spielt. Wir haben also im Vaporin ein Arzneimittel vor uns, das
nach menschlichem Ermessen bei Erkrankungen der Atraungsorgane,
insbesondere aber bei Keuchhusten die denkbar besten Wirkungen aus-
losen muß. Es hat dabei vor allen anderen gebräuchlichen Mitteln den
großen Vorzug der völligen Unschädlichkeit.
Es erscheint sicher, daß der antiseptische Effekt des Vaporins ge¬
nügend ist, uni eine kausale Therapie zu ermöglichen. Dadurch, daß
das Mittel in Dampfform eingeatmet wird, gelangt es direkt auf die mit
Infektionserregern beladenen Schleimhäute der Atmungsorgane und es
ist kein Zweifel, daß ohne weiteres auf diese Weise eine desinfizierende,
als auch eine heilende Wirkung zustande kommt. Unterstützt wird die
Medikation durch die so ungemein einfache und selbst bei kleinsten
Kindern keine Schwierigkeiten darbietende Anwendung.
Das Vaporin wird in der Weise verwendet, daß man es mit
kochendem Wasser zum Verdampfen bringt und die Kinder in dem mit
diesem Dampfe erfüllten Raume mindestens eine Stunde verweilen laßt,
de länger der Keuchhustenkranke die mit Vaporindämpfen geschwängerte
Luft einatmet, desto mehr empfindet er, wie an sehr vielen Fällen fest¬
gestellt ist, ihre beruhigende Wirkung. Der Vaporindampf greift also
die Respirationeorgane durchaus nicht an und der auf die Einatmung
folgende Schlaf ist ein Beweis der Beruhigung des ganzen Nervensystems,
die durch die Vaporinmedikation ausgelöst wird.
Man konnte aber von vornherein vermuten, daß das Vaporin nicht
nur eine spezifische Wirkung gegen Keuchhusten besitzt, sondern auch
eine allgemeine Wirkung auf viele Erkrankungen der Respirationsorgane
habe. Ich stellte dies zunächst bei einzelnen akuten Krankheiten der
A tmungsorgane fest. Besonders auffallend ist die Wirkung bei dem,
dem Keuchhusten bezüglich des Charakters der Anfälle etwas verwandten
Masern husten. Weiter vermochte ich zu konstatieren, daß auch die
Wirkung der Vaporindämpfe bei chronischen Respirationskrankheiten
sich günstig gestaltete.
Ich habe das Vaporin in der letzten Zeit in ausgiebiger Weise
verwandt und verfüge über eine reiche Kasuistik. Aus derselben möchte
ich zunächst einige typische Pertussisfälle anführen:
Robert U., 4 Jahre. Vor Beginn der Vaporinbehandlung — in
der 4. Krankheitswoche — täglich 25 bis 28 einzelne Anfälle. Jeder
Anfall mit- mehreren — bis t> — Wiederholungen des giemenden Ein¬
atmungsgeräusches der Reprise. Ordination: Zwei mal täglich J / 2 Stunde
lang durchgeführtes langsames Verdampfen von Vaporin im geschlossenen
Zimmer. Das Kind verbleibt 2 Stunden lang in diesem mit Vaporin¬
dampf erfüllten Zimmer. Nach dem Verdampfen von einem gehäuften
Kaffeelöffel voll Vaporin mit einem Weinglas Wasser, — welches Ver¬
fahren so ausgeführt wird, daß es ziemlich präzise in einer 1 / 2 »Stunde
beendet ist —, werden ein wenig die Oberfenster geöffnet. Es geschieht
dies deshalb, damit die Einatmungsluft allmählich nach Beendigung der
Inhalation immer ärmer an Vaporindämpfen wird, da rch einen plötzlichen
Übergang von dem noch stark mit Vaporindämpfen gefüllten Zimmer in
ein völlig vaporindampffreies Zimmer für die Kinder als nicht zweck¬
mäßig konstatiert habe. Bei dieser Behandlung nehmen die Anfälle in
5 Tagen von 25 bis 28 täglich ab bis zu 12 bis 15 täglich. Die Kontrolle
ergibt, daß ein Tag ohne Vaporinbehandlung sogleich eine höhere Anzahl
Hustenanfälle auf weist. Vor allem ist aber auch die Dauer des einzelnen
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Baedeker,
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Anfalles schon vom dritten Tage der Vaporinbehandlung an deutlich
kürzer, desgl. bleibt vom gleichen Tage an die Nachtruhe fast ungestört.
Nach 4 Wochen Vaporinbehandlung ist das Kind geheilt.
Elfriede M., 2 Jahre. Auch hier ist eine deutliche günstige
Wirkung auf den Keuchhusten vorhanden. Die Zahl der Anfälle, die
übrigens an sich nicht groß war, — 12 bis 14 täglich — wird allerdings
nur um 2 bis 3 täglich verringert. Während das Kind aber vor der
Vaporinbehandlung nach jedem Anfalle heftiges Erbrechen hatte,
erbricht es vom 5. Tage der Behandlung an höchstens 3 mal. Der kleine
Patient kam in der dritten Woche der Erkrankung in Behandlung und
war, nachdem diese in der bei Fall 1 beschriebenen Weise 7 Wochen
lang durchgeführt war, geheilt.
Martin B., 6 Jahre. Fiebert nach dem Verlauf des ersten Monats
der Pertussiserkrankung am Abend bis 39,2 — Ursache: Bronchitis
und Laryngitis. Unter Vaporinbehandlung nimmt gleich vom dritten
Tage an das Fieber ab und ist nach 8 Tagen geschwunden. Die An¬
fälle sind von 21 bis 23 täglich auf 9 bis 12 in gleicher Zeit gesunken.
Kurt S., 10 Jahre. Bekommt gleich von Beginn seiner Pertussis
an Vaporin-Inhalationen. Da ein Schwesterchen vor 4 Monaten an jetzt
abgelaufener Pertussis erkrankt war, konnte schon während der ersten
2 Wochen, trotz des noch indifferenten Charakters der Hustenstöße, deren
Pertussis-Natur mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden. Zwar
gelingt es nicht, typische Hustenanfälle ganz zu unterdrücken, jedoch
treten diese nur während der ersten 3 Wochen der ganzen Krankheits¬
zeit auf. Sonst handelt es sich lediglich nur um einfache Hustenstöße
ohne Reprise. Gesamtdauer der Erkrankung: 7 Wochen. Höchste An¬
fallzahl zurzeit der typischen Pertussis-Anfälle: 8 pro die. Erbrechen
während der ganzen Erkrankung nur 4 mal.
Ernst F., 3 / 4 Jahr. Mit Vaporin von der 4. Erkrankungswoche
an behandelt. Der vorher trockene, langanhaltende, bis 4 Reprisen auf¬
weisende Keuchhusten mit durchschnittlich 26 Anfällen täglich — geht
nach Vaporineinatmung an Stärke und Anzahl der Anfälle sehr er¬
heblich herunter. Nach 8 Tagen Vaporinbehandlung werden in der
darauf folgenden 2. Behandlungswoche nur 11 Anfälle im Durchschnitt
pro Tag gezählt; meist loser Husten ohne Reprise. Besonders bessert
sich unter Vaporinbehandlung die Nachtruhe.
Bei drei andern Kindern mit Keuchhusten wurde nach Ablauf
einer verschieden langen Zeit des ersten Stadiums eine indirekte Sistierung
des Fiebers durch Vaporinbehandlung bewirkt. Hier hatten offenbar
die äußerst intensiven, das Lungengewebe bis in seine entferntesten Alveolen
erschütternden Hustenstöße eine entzündliche Reizung dieser Lungen¬
alveolen, sowie der feinsten Kapillaren der Lungen verursacht. Dies war
daran festzustellen, daß gerade den Tagen besonders intensiver und zahl¬
reicher Pertussisanfälle regelmäßig Tage folgten, bei denen der typische
physikalische Befund kapillare Bronchitis resp. Bronchopneumonie ergab.
Auf dieser Komplikation allein beruhte demnach auch das den Keuch¬
husten in diesen drei Fällen begleitende Fieber.
Daraus erklärt sich auch die sonst unverständliche Tatsache, daß
während der Tage der Vaporinbehandlung — gleich vom 2. resp. 3. Tage
der Behandlung an — das den Keuchhusten begleitende Fieber ver¬
schwunden war. Da Vaporin direkt keine Fieber herabsetzenden
Komponenten besitzt, ist diese antifebrile Wirkung nur so zu erklären,
daß die festgestellten kapillar-bronchitischen resp. broncho-pneumonischen
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Über Vaporin-Behandlung.
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Symptome, die bei den in Erörterung stehenden Fällen ja festgestellt
waren, durch Vaporinbehandlung beseitigt wurden, was naturgemäß ein
Nachlassen des Fiebers zur Folge hatte. Dem entsprach auch der
physikalische Befund der Atmungsorgane vor und nach der Vaporin¬
behandlung. Also ist die febrile Wirkung des Vaporins bei Fällen von
Pertussis mit Fieberkomplikationen eine indirekte.
Nun war es von Bedeutung, zu entscheiden, wie die festgestellte
Wirkung des Vaporins auf die genannten Atmungsorgane physiologisch
zustande kommt. Hatte Vaporin tatsächlich eine unmittelbare Heilwirkung
auf die Bronchopneumonie resp. Kapillar-Bronchitis oder ist diese Heil¬
wirkung nur eine Folge der Husten lindernden Eigenschaften des Vaporins?
Letzteres erscheint deshalb wahrscheinlich, weil nach Vaporinbehandlung
zuerst die Intensität und Anzahl der Anfälle bei Pertussis, darnach erst
die eventuell begleitende Erkrankung der Atmungsorgane günstig beein¬
flußt zu werden pflegt. Ob diese unter Umständen für die Zukunftstherapie
der Respirationserkrankungen höchst wichtige Frage mit Folgendem schon
definitiv entschieden ist, möchte ich dahingestellt sein lassen, indes auf
Grund meiner bisherigen Versuche doch behaupten, daß Vaporinbehand-
lnng auch unmittelbar — also auch unabhängig vom Husten — auf die
Atmungsorgane therapeutisch günstig wirkt. Es war anzunehmen, daß
die Behandlung der Bronchopneumonie und Kapillar-Bronchitis durch
Vaporin in dieser Frage Aufklärung bieten würde, wenn diese Erkran¬
kungen nicht in Begleitung von Pertussis, sondern primär auftreten!
Besteht alsdann ein Unterschied wesentlicher Art zwischen den
Fällen dieser Erkrankungen, die mit heftigem Husten einhergehen und
denen, in welchen nur ganz unbedeutender Husten beobachtet wird, d. h.
ein Unterschied inbezug auf den Erfolg der Vaporinbehandlung?
Fälle von Broncho-Pneumonie mit sehr heftigem Husten konnte
ich gelegentlich einer Masernepidemie, die in diesen Wochen in meiner
Gegend auftrat, richtig beobachten. Da wandte ich gleich Vaporin an
in folgenden 2 Fällen, die ich aus einer größeren Zahl als besonders
typisch herausgreife:
Annie B., 3 Jahre. Schon während des Masernexanthems heftiger,
croupartiger, rauher Husten. Körper-Temperatur bleibt hoch, auch nach
Abblassen des Exanthems. Physikalisch ist Laryngitis und Broncho¬
pneumonie festgestellt. Vaporin-Einatmung wird dreimal am Tage
V* Stunde lang ausgeführt unter Verdampfung eines gehäuften Teelöffels
Vaporin. Sonst außer Bettruhe und Halsspülung mit Borwasser keine
Behandlung. .»
Gleich in der ersten Nacht nach dem Beginn der Vaporinbehandlung
erfreute sich die Patientin eines tiefen, nur zweimal von Hustenanfällen
unterbrochenen Schlafes, während sie in den Nächten vorher an absoluter
Schlaflosigkeit litt Die Hustenanfälle waren weniger beängstigend,
das Kind wies nicht — wie vorher — die zyanotische Färbung von
Augen und Gesicht auf. Nach 5 tägiger Vaporinbehandlung zeigt die
Bronchopneumonie überall Lösungs- und Heilungserscheinungen. Der
Husten hat seinen „croupartigen“ Charakter verloren, aber hat noch
den Typus eines mittelstarken, bronchitischen Hustens. Fieberfrei ist
das Kind nach 10 Tagen fortgesetzter Vaporinbehandlung. Hustenfrei
nach 14 T&gen Behandlung.
Hedwig M., 7 Jahre. Der heftige Masernhusten läßt bei Ver¬
schwinden des Exanthems noch nicht nach, 3 Tage, nachdem das Fieber
nahezu auf die Norm zurückgegangen ist, wird eine Abendtemperatur
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Baedeker,
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von 40,5 festgestellt, die in den nächsten Tagen nahezu in gleicher Höhe
wiederkehrt und nur vorübergehende morgendliche Remissionen zeigt.
Auch hier wird eine ausgebreitete Bronchopneumonie bei gleichzeitiger
(’apillarbronchitis als Ursache der hohen Temperaturen nachgewiesen.
Der sehr heftige Husten reagiert anfangs auf die sogleich eingeleitete
Vaporinbehandlung nur wenig, dagegen zeigt der physikalische Befund
nach 4 Tagen Vaporinbehandlung eine Besserung der Bronchopneumonie;
auch die Temperatur liegt nicht mehr so hoch abends, sondern zwischen
38,5 und 39,0.
Dann wird des Hustens wegen einige Tage lang eine Kodein-
Arznei gegeben und die Vaporinbehandlung fortgelassen, da ich annahm,
der Rest der Bronchopneumonie würde spontan heilen. Tatsächlich zeigt
sich der Husten gelindert, dagegen tritt am zweiten Abend dieser
geänderten Behandlungsweise eine neue Fieberhöhe von 40,0 ein. Die
Bronchopneumonie hat nach Fortlassen der Vaporinbehandlung
trotz Besserung des Hustens, eine rückfällige Verschlimmerung
erfahren. Der physikalische Befund bestätigt zweifellos diese schon nach
dem raschen, kurzen Atmen vermutete Tatsache. Nun wird leichte
Codeinbehandlung mit Vaporinbehandlung kombiniert und nach
3 Tagen der Ungewißheit gehen, — Tag für Tag feststellbar — die
Bronchopneumonisehen Herde im Laufe von sechs Tagen völlig zurück.
Nach 10 Tagen der so kombinierten Behandlung ist das Kind von Husten
und Bronchopneumonie geheilt.
Übrigens habe ich darnach mehrfach gefunden, daß wir in der
Vaporinbehandlung eine ausgezeichnete Methode besitzen, die Schädigungen
der narkotischen Hustenreizmittel, also vor allem die durch diese hervor¬
gerufene Expektorationsbehinderung zweckmäßig zu eliminieren. — Codein,
Heroin, Dionin, auch Morphin selbst sind ja oft bei allzu hartnäckigem
Hustenreiz sowohl bei bronchitischen, wie laryngitischen Erkrankungen,
namentlich aber auch bei Pneumonie selbst, leider nicht immer völlig
ganz zu entbehren. Dann konstatieren wir aber nur allzu oft, daß mit
dem Husten auch die so wünschenswerte Lösung und Entfernung der
Schleimmassen und sonstigen Schleimhaut-Sekrete nachläßt. Werden in
solchen Fällen Vaporindämpfe eingeatmet, so wird hierdurch die husten¬
mildernde Wirkung der Narkotiken unterstützt und man kann deshalb
mit weniger Codein, Dionin oder Heroin auskommen, als sonst. Die
aktive, sekretionsbefördernde Wirkung des Vaporins wird aber aber durch
die bekannte sekretionshemmende Wirkung der Narkotika keineswegs
aufgehoben, sondern es tritt trotz beseitigtem Hustenreiz eine stärkere
Sekretion und Expektoration auf, als sie vor der Behandlung mit dem
Narkotikum beobachtet wurde, eben durch das Vaporin verursacht.
Die folgenden Krankengeschichten machen es ersichtlich, daß
Bronchopneumonieen und Sekretionsbehinderungen der Atmungsorgane
auch unabhängig von einer besonderen begleitenden „ Hustenheilung 4 *
günstig durch Vaporinbehandlung beeinflußt wurden, was denn nach dem
Obengesagten leicht verständlich ist.
Herr Ernst M., 37 Jahre, hat eine croupöse Pneumonie der ganzen
rechten Lunge üb,erstanden. Jedoch zeigt sich nach glücklich über¬
wundener Krisis eine sehr verzögerte Lösung an den erkrankt gewesenen
Lungen-Parti een. Noch 16 Wochen nach der Krisis ist über dem ganzen
rechten Unterlappen Dämpfung bei der Perkussion feststellbar. Bei der
Auskultation sind überall Rasselgeräusche, insbes. Knisterrasseln nach¬
weisbar. Hydrotherapie, desgleichen die üblichen Expektorantien, auch
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Über Vaporin-Behandlung.
875
JodkaU bleiben erfolglos. Nachdem dies Stadium 4 Monate gedauert
bat und Übergang in ein chronisches Leiden befürchtet wird, komme
ich auf den Gedanken, bei diesem Herrn, obwohl nur wenig Husten
vorhanden war, — Vaporindämpfe zu versuchen.
Täglich zweimal eine Stunde lang werden in einem besonderen
Zimmer die Inhalationen mit von Vaporindampf erfüllter Luft ausge¬
führt, indem jedesmal 1 Eßlöffel Vaporin langsam mit Wasser in dem
betr. Zimmer verdampft wird.
Schon nach 4 Tagen dieser Behandlung tritt sehr ergiebige
Expektoration auf. Nach 10 Tagen Vaporinbehandlung ist der Per-
laissionsschall im Bereich von 2 Fingerbreiten an vordem gedämpften
Stellen aufgehellt. Nach einmonatlicher, so fortgesetzter Behandlung
zeigen */ 3 der gedämpften Lungenpartien normalen Perkussionsschall.
Ebenso sind keine kleinblasigen Geräusche, desgl. kein Knisterrasseln an
dem aufgehellten Perkussionsbezirk festzustellen. Nach 8 Wochen Vaporin¬
behandlung zeigt die gesamte Lungenpartie — bis auf 1 1 / 2 Querfinger
der unteren Grenze — völlig normalen physikalischen Befund und völlig
normales Atmen.
Ida Z., 5 Jahre. Leidet an einer verschleppten Bronchopneumonie,
die sich vorne an der linken Lunge und ebenso hinten an der linken
Lunge, vor allem an den unteren Partien, festgesetzt hat. Husten ist
wenig vorhanden, jedoch abendliches Fieber zwischen 38,0 und 38,5.
Nachdem diese Krankheit 5 Wochen besteht, hat sich der Befund
schon 4 Wochen lang — trotz verschiedener Behandlung — nicht mehr
verändert. In den ersten 8 Tagen der täglich zweimal 1 Stunde durch¬
geführten Vaporinbehandlung ist leider auch keine Besserung nachweis¬
bar. Nach 12 Tagen Vaporinbehandlung ist der physikalische Befund
immer noch unverändert, aber das Kind beginnt auszuwerfen und das
Fieber abends ist selten höher als 38,5. Nach 3 Wochen Vaporin¬
behandlung beginnt die bronchopneumonische Dämpfung sich links vorne
aufzuhellen. Von nun an ergibt die Untersuchung eine fortschreitende
Besserung und nach 6 Wochen Vaporinbehandlung ist das Kind geheilt.
Erwin O., 4 1 / 2 Jahre. Skrofulöses Kind mit Kapillar-Bronchitis.
Husten minimal. Behandlung von der dritten Krankheitswoche an mit
Jodsapen-Einreibung der skrofulösen Drüsen und innerlicher Jodtropon-
I Erreichung. Die Drüsen werden nach 3 Wochen dieser kombinierten
Jodbehandlung deutlich kleiner. Jedoch wandert die kapillare Bronchitis
von einer Lungengegend zur andern, ohne deutliche Besserung. Fieber¬
höhe abends zwischen 38,5 und 39. Hierauf Vaporinbehandlung. Gleich
am 4. Tage dieser Behandlung, in der 6. Krankheitswoche, ist das Kind
zum erstenmal abends fieberfrei. Nach 8 Tagen Behandlung ist deut¬
lich eine Steigerung der Expektoration festzustellen. Nach 3 Wochen
Vaporinbehandlung ist die Bronchitis nirgends mehr kapillarer Natur.
Nach 5 Wochen Behandlung ist das Kind geheilt.
Gustav V., 2 1 / 2 Jahre. Nach einer Influenza-Bronchitis tritt croupöse
Pneumonie auf. Krisis am 7. Tage. Doch nach 2 Tagen wieder abend¬
liche Temperatur 38,8. Erst wird eine Pseudokrisis vermutet. Dann
stellt sich heraus, daß der pneumonisch infiltriert gewesene Bezirk, —
infolge Vernachlässigung durch die Mutter, — in der Lösung der
Infiltration eine Störung erfuhr. So sind jetzt an annähernd gleicher
.Stelle 3 verschieden große bronchopneumonische Herde nachweisbar
(rechts hinten). Gleich vom zweiten Tage nach Feststellung dieses Be¬
fundes an wird mit Vaporinbehandlung begonnen. Der Erfolg ist sehr
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Baedeker, Über Vaporin-Beh&ndlung.
eklatant. Das Kind, das vorher garnicht hustete, fängt an „abzuhusten“
mit sanften, aber reichliche Sekretionsmassen nach oben bringenden
Huste nstössen.
Die Dämpfung ist am 5. Tage der Vaporinbehandlung gleichzeitig
mit dem Fieber dauernd geschwunden. Nach 12 Tagen so fortgesetzter
Behandlung völlige Genesung.
Nach diesen letzten Berichten, die typisch die VaporinWirkung
gerade bei solchen Erkrankungen beleuchten, wo weniger der Husten,
als die erschwerte Lösung das für die Heilung sich hindernd in den
Weg stellende Moment bedeutete, ergibt sich die erweiterte Indication
für die Vaporinbehandlung. Gleichzeitig erkennen wir aus diesen Krank¬
heitsgeschichten, daß die Vaporindämpfe unmittelbar, sobald sie in
Kontakt mit den tiefen Teilen der erkrankten Lunge kommen, hier
auf die entzündlichen oder katarrhalischen Prozesse heilend einwirken
und daß nicht, — wie aus obigen Fällen von Bronchopneumonie bei
Pertussis geschlossen werden könnte — eine Vaporinheilung bei
Bronchopneumonie nur indirekt, durch Beseitigung der das
Lungengewebe schädigenden Hustenstösse möglich ist, obwohl dieser
Faktor mitunter mitspricht.
Auf Grund meiner Erfahrungen muß ich bestätigen, daß bei Per¬
tussis die Vaporinbehandlung besonders durch Verminderung der Anzahl
und der Intensität der Anfälle — gleich von den ersten Behandlungstagen
an — wohl ihre bestechendste und auffallendste Wirkung ent¬
faltet. Wenn man nun bedenkt, daß auch bei den schwersten Fällen
von Pertussis eine methodische Vaporinbehandlung fast nie im Stiche
läßt, während alle andern gerühmten Methoden doch auch sehr oft „Ver¬
sager“ aufweisen, so Ut es durchaus verständlich, daß Vaporin in den
Ruf eines ausschließlichen Spezifikums kommen mußte.
Nach obigem aber, wie dem auch meine weiteren, im Laufe mehrerer
Monate gemachten Erfahrungen entsprechen, verdient Vaporin, d. h. eine
mit Vaporinverdampfung durchgeführte Inhalationstherapie, als bedeut¬
samer Faktor der gesamten Therapie der Respirationskrankheiten
überhaupt in die therapeutische Technik des praktischen Arztes einge¬
führt zu werden.
Gerade bei chronisch verlaufenden Erkrankungen der tieferen Lungen¬
partien, besonders bei Pneumonieen, wo die Lösung der Infiltration auf sich
warten läßt, bei Bronchopneumonieen und tief liegenden Bronchitiden
wo die Expektoration und Sekretion ungenügend sind, bei Pleuritis, wie
meine Erfahrungen in den letzten Wochen mir zeigen, ist oft eine geradezu
überraschende Wandlung zur Genesung nach Einleitung der Inhalations¬
therapie zu beobachten.
Welch hohe Bedeutung es aber haben wird, wenn immer mehr die
Therapie mit inneren Expektorantien durch solche Inhalationstherapie
erfolgreich abgelöst würde, erkennen wir bei Berücksichtigung der vielen
Vorzüge, die, bei sonst gleichen Grundlagen, die Inhalationstherapie vor¬
aus hat. Gerade bei sich chronisch hinziehenden Erkrankungen der
Respirationsorgane, auch bei nicht tuberkulösen, hängt die vitale Energie,
d. h. die Wehrkraft des Organismus ja vor allem von seinem Ernährungs¬
zustände ab. Wie unschätzbar ist es da von diesem Gesichtspunkte aus,
wenn wir durch die Inhalationstherapie imstande sind, eine Belastung
der Verdauungsorgane durch Expektorantien usw. zu umgehen. Gerade
die wirksamsten derselben, ich nenne nur Ipekakuanka, die Kreosot¬
präparate, sind ja inbezug auf Schädigung der Verdauungstätigkeit und
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Referate uml Besprechungen.
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der Appetenz durchaus nicht indifferent, zumal bei längerem Einnehmen,
um das es sich doch hier vorwiegend handelt. Bei der Inhalations¬
therapie mit Vaporin hingegen habe ich auch bei monatelanger Anwendung
— selbst bei Kindern mit dem empfindlichsten Verdauungstraktus —
nie die geringste Störung desselben beobachtet. Dagegen wurde das
Allgemeinbefinden fast stets durch die Vaporin-Inhalation günstig be¬
einflußt, wie sich namentlich das Auftreten eines ungestörten Nachtschlafes
sehr bald zeigte.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
G. Minerbi, Ober seltene und atypische Formen der Tuberkulose bei
Greisen. (Riv. crit. di Clin, med., Nr. 10, 1911.) Minerbi bringt 3 Fälle,
die wieder einen Beleg für die bekannte Tatsache bringen, daß die Tuberkulose
bei alten Leuten ganz atypische Krankhcitsbilder entstehen läßt. Die ersten
2 Fälle betrafen tuberkulöse Peritonitiden bei einem Mann von 79 und einer
Frau \ron 60 Jahren, die ganz unter dem Bilde maligner Tumoren verliefen.
Im 3. Falle bestand bei einem 58jähr. Manne das Bild einer perniziösen
Anämie mit leichter Spitzenaffektion, während es sich tatsächlich um schwere
Lungentuberkulose handelte. M. Kaufmann.
R. Brunon (Rouen), Stillstand und Fortschreiten der Tuberkulose.
(Bullet, medical, Nr. 22, S. 223—225, 1911.) Man kann jeder Sache immer
wieder eine neue Seite abgewinnen, und wenn Brunon im vorliegenden
Aufsatz auch kein neues Faktum bringt, so sind seine Ausführungen doch
beherzigenswert. Er betrachtet den Verlauf der Tuberkulose gewissermaßen
aus der Vogelperspektive und sieht von hier aus das, was wir heutzutage
emphatisch: Heilung nennen, nur als einen der Stillstände an, wie sie oft
genug Vorkommen, ja, eigentlich zum Wesen der Affektion gehören. Solche
Stillstände kommen in jedem Stadium vor, sogar bei Hochfieberhaften; man
muß sich darum hüten, sie der zufällig gerade eingeleiteten Behandlung zu¬
gute zu schreiben.
Sind aber Stillstände normale Vorkommnisse bei dieser Krankheit,
dann ist es weit rationeller, solch einen Waffenstillstand zur Verstärkung
der Konstitution, zur Befestigung der Stellung zu benützen, als gegen einen
frisch aufgeflackerten Prozeß zu Felde zu ziehen, gegen welchen man an
sich ja doch nicht viel machen kann. Zum Glück heilen die meisten der
akuten Schübe von selbst ab und machen sich höchstens durch ein unbe¬
stimmtes Krankheitsbild bemerklich, welches man — der heutigen Neigung
zu Lokal- bzw. Organdiagnosen entsprechend — als Bronchitis, Enteritis,
Anämie, Dyspepsie usw. deutet. Daß sich dahinter eine avancierende Tuber¬
kulose verbirgt, ist in der Tat nicht leicht zu erkennen. Aber auf der Hut
muß man immer sein und auch nach Abklingen der Symptome dem Pat..
solche hygienische Lehren geben, welche einem Rezidiv nach Möglichkeit
Vorbeugen; denn „l’etat general domine toute la scene“.
Aus der Studie von Brunon kann man ersehen, daß die Tuberkulose
in gleicher Weise tödlich wie heilbar ist. Buttersack (Berlin).
Miramond de Laroquette (Macon), Über das Skapular-Knacken. (Arch.
generales de Medeoine, Dezember 1910.) Seit einiger Zeit wird von fran¬
zösischen Klinikern ein knackendes Geräusch, welches man bei Bewegungen
des Arms über dem zugehörigen Schulterblatt hört, als diagnostisches Zei¬
chen für Tuberkulose angegeben. Miramond de Laroquette ist mit.
großer Gründlichkeit dieser Sache nachgegangen, hat 824 Personen, gesunde
und kranke, daraufhin untersucht, hat 25 Obduktionen gemacht, lehnt aber
auf Grund seiner Studien jede diagnostische Verwertbarkeit ab. Das Knacken
entsteht einfach dadurch, daß bei den Bewegungen des Arms das Schulter-
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blatt fest, an den Brustkorb angepreßt wird und daß der innere mediale Rand,
welcher ohne Zwischenpolster auf der Muskulatur aufliegt, dabei sich etwas
verschiebt. Je größer die Spannung aller der Teile ist, um so lauter wird
das Geräusch; man hört es deshalb besonders laut bei muskelkräftigen
Soldaten, wie bei nervösen Schneiderinnen und Pianistinnen.
Darauf, daß zum Zustandekommen des akustischen Phänomens eine
gewisse Resonanz seitens der im Thorax eingeschlossenen Luft erforderlich
ist, geht M. de Laroquette nicht ein; aber auch so ist seine Arbeit
höchst verdienstlich, indem sie beizeiten einer Behauptung, welche gefähr¬
lich zu werden drohte, die Unterlagen entzieht. Ohne Zweifel würden noch
manche Thesen, die zurzeit im Gerüche von Wahrheiten stehen, in sich Zu¬
sammenstürzen, wenn ein ebenso kritischer Kopf sie mit der gleichen Gründ¬
lichkeit auf ihre Sicherheit prüfen wollte. Buttersack (Berlin)..
Pannentier, Traitement de la tuberculose pulmonaire par les extraits
h£patiques totaux. (Bull, gener. de ther., Nr. 6, 1911.) Die Methode beruht
auf einer klinischen und physiologischen Erfahrung, die sich über 6 Jahre
erstreckt. Material mehrere 100 Fälle, wovon 100 etwa Ö Jahre alt sind.
Technik: sterile Ampullen von 2 ccm, enthaltend einen kompletten Leber¬
extrakt (Parenchym und Galle) eines Rindes oder Kalbes in einer Mischung
von vegetabilen und Mineralölen. Glutäale Injektionen alle 1—2 Tage. Die
therapeutischen Resultate sind zufriedenstellend bei chronischen Bronchi¬
tiden, Prätuberkulösen und Tuberkulösen, bei denen anatomisch und funk¬
tionell eine Heilung möglich ist. Gewöhnlich konstatiert man nach ca. 30
Injektionen einen Erfolg: Gewichts- und Kräftezunahme; erstere progno¬
stisch sehr bedeutsam, tritt sie ein, günstig; Nichteintritt ein Charakteristi¬
kum schwerer Fälle. Verminderung der Schweiße und der Bazillen, die
schließlich ganz verschwinden. Rapides Verschwinden der Hämoptysen durch
die anti hämo ly tischen und koagulierenden Lipoide der Leber. Kontraindi¬
kationen für die Therapie bestehen nicht, auch Fieber ist keines.
v. Schnizer (Höxter).
Pick (Charlottenburg), Ober die Wirkung von Asphaltdämpfen bei der
Behandlung von Lungenerkrankungen und Bronchitiden. (Allg. med. Zen¬
tralzeitung, Nr. 27, 1911.) Verf. wendet dieses schon Jahrhunderte bekannte
Lungenheilmittel entweder in Inhalationsräumen oder in der Form von
Tabletten (Fumiform — Ritsert-Frankfurt oder Eufuman — Kaiser-Friedrich-
Apotheke-Berlin) mit Hilfe des Spieß’schen Verneblers oder mit Hilfe der
Kuhn’schen Saugmaske täglich 15—20 Minuten lang seit über 1 Jahr an
und hat dabei eine prompte Hebung des Appetits, was sehr wesentlich ist,
Gewichtszunahme, Verminderung der Nachtschweiße, allmähliches Schwinden
der Expektoration nach anfänglicher Zunahme festgestellt. Das Mittel reizt
absolut nicht, ist nicht unangenehm, ohne jede Nebenwirkung und billig.
v. Schnizer (Höxter).
Waugh hält das Strychnin bei der Pneumonie und Bronchopneumonie
der Greise für ein unentbehrliches Medikament, das nicht nur die erschlaffte
Sensibilität, sondern auch die Funktionen der Verdauung der Respiration
und der nervösen Zentren günstig beeinflußt. Verf. gibt V* Milligramm
Strychninarseniat alle halben bzw. alle Stunden, bis sich der Allgemein-
zustand hebt. Respiration und Puls sich bessern. Je nach der individuellen
Reaktion kann man 17s bzw^. bis zu 6 und 7 Milligramm pro die (in
3 Dosen) geben. (Bull. g6ner. de thdr., Nr. 7, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Fr. Rittel-Wilenko, Die diagnostische Verwertbarkeit des Tuberkel¬
bazillennachweises in den Fäzes. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 15, 1911.)
Die mit der von Ko z low angegebenen Äther-Azeton-Kombination der
Antiforminmethode angestellten Untersuchungen der Verfasserin führten
sie zu einer von der gewöhnlichen abweichenden Ansicht über den Wert des
Tuberkelbazillennachweises in den Fäzes für die Diagnose der Darmtuber
kulose. Sie konnte nämlich ihr klinisches Material durch die Autopsie kon-
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trollieren, und fand viel häufiger eine Mitbeteiligung des Darme, als man
klinisch vermutete. Umgekehrt entsprach in einigen Fällen dem negativen
Tuberkelbazillenbefund ein intakter Darm (bei positivem Sputumbefund),
ln einigen Fällen allerdings fanden sich trotz des Befundes von Fäzesbazillen
keine Darm Veränderungen; aber die Bazillen waren in diesen Fällen spärlich
und nur mit Antiformin nachzuweisen. Verf. hält das Auftreten von Tuber¬
kelbazillen im Stuhl für diagnostisch wichtig für die Diagnose einer Mit¬
beteiligung des Darms. M. Kaufmann.
K. F. Hoffmann, über eigentümliche Lungenschmerzen nach Injek¬
tionen von grauem öl. (Monatsh. für prakt. Dermat., Bd. 51, Nr. 3.) Wäh
rend Lungenembolien nach unvorsichtiger Injektion unlöslicher Quecksilber -
salze sich unmittelbar nach der Injektion in lange anhaltendem Hustenreiz,
leichter Zyanose, Stichen in der Brust mit leichter Dämpfung und Rassel¬
geräuschen an der schmerzhaften Stelle äußern, gibt H. die Kranken¬
geschichten von drei Patienten, bei welchen mehrere Stunden nach der In¬
jektion von grauem öl (Vasenol-Koepp resp. Duret, Paris) eigentümliche
Lungenschmerzen auftraten. Im ersten Falle: Schmerzen im Gebiete der
Brust, die bei tiefem Atemholen stärker wurden, im zweiten: Atemnot, Seiten¬
stechen, Erstickungsgefühl, im dritten: Brustschmerzen, Atemnot, Er¬
stickungsgefühl. Bei zwei Fällen gleichzeitig leichte Temperatursteigerung.
Lungenbefund normal. Da eine mangelhafte Technik ausgeschlossen ist und
die Erscheinungen nur nach grauem Öl, niemals nach anderen Präparaten
beobachtet wurden, neigt Verf. zur Ansicht, daß vermutlich das im grauen
Öl enthaltene metallische Quecksilber die Embolien verursacht, indem die
winzigen Quecksilberkügelchen des Öls auf ihrem Wege zu größeren Zu¬
sammenflüßen. Carl Grünbaum (Berlin).
J. Sgbilleau, Meningitis ohne Bazillen. (Gazette med. de Paris, Nr. 85,
S. 84—86, 1911.) Eine Zeitlang konnte es scheinen, als ob die Krankheiten
alle hübsch ordentlich nach anatomischen und ätiologischen Kategorien von¬
einander abgegrenzt seden und als ob es nur eines subtilen differential -
diagnostischen Könnens bedürfe, um sie scharf voneinander zu trennen.
Allein solch eine Vorstellung ist doch nicht ganz richtig. Bei näherem Zu¬
sehen finden sich überall Übergänge aller Art; die „Meningitis sine menin
gitide“ ist dafür ein hübsches Beispiel. In dieses Kapitel gehören auch die
keimlosen Meningitiden, les etats meninges, welche klinisch wie Hirnhaut
entziindungen aussehen, deren Liquor cerebrospinalis sich aber als steril
erweist, und die verhältnismäßig bald zur Heilung gelangen.
Zuerst wurden derartige Fälle mitgeteilt von Wi d a 1 und Philibert
(Bull, de l’Academie de Med., 30. April 1907), dann von Widal und
Brissaud (Societe medic. des hopitaux, 26. Februar 1909), Widal (Con-
gres Frangais de Medecine, 15. Oktober 1910). Eine ganze Reihe von Pat.
wurden in der Soc. med. des hop. am 21. Oktober 1910 vorgestellt Von
Laubry und Parou, Rist und Rolland, und am 28. Oktober von
Widal und Lemierre, Cotoni und Kindberg, Guillain und
Ch. Richet, wobei auch die Kombination von Hirnhautreizung mit Ikterus
zur Sprache kam.
Klinisch sehen die Bilder einer Meningitis cerebrospinalis zum Ver¬
wechseln ähnlich. Der Unterschied liegt eben im Ergebnis der Lumbal¬
punktion. Diese liefert eine eterile Flüssigkeit mit wohlerhaltenen poly¬
nukleären Zellen, mag sie auch im übrigen mehr von dicker-eitriger oder
trüb-seröser Beschaffenheit sein. Das Kausalit&tsbedürfnis hat natürlich
bereits eine Reihe von Hypothesen gezeitigt: die einen rechnen mit Toxinen,
andere mit dem noch unbekannten Erreger einer ad hoc konstruierten be
sonderen Form von Meningitis (man könnte dieselbe nach berühmten Mustern
Parameningitis A. B. C. usw. taufen. Ref.). Wetter betrachtet sie als
Forme fruste der Poliomyelitis von Heine-M edin, Leon Bernard
und Orbi als Abart der tuberkulösen Meningitis. Die Vermutung, daß
zwar im Anfang irgendwelche Keime vorhanden waren, daß dieselben aber
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im Verlauf der pathologischen Geschehens zugrunde gegangen sind, ließe
sich vielleicht auch noch anfügen. Jedenfalls ist es sehr erfreulich zu
wissen, daß es auch leichtere Formen von Meningitis gibt, welche zur Aus¬
heilung kommen, wenn man sie möglichst wenig behandelt.
Buttersack (Berlin).
A. Schattenfroh, Ein unschädliches Desinfektionsverfahren für milz-
brandinfizierte Häute und Felle. (Wiener klin. Wochenschr,, Nr. 21, 1911.)
Verf. stellte gelegentlich eines Falles, in dem eine wertvolle Fellsendung
wegen Milzbrandinfektion vernichtet werden sollte, fest, daß die sogenannte
„Pickelung“ die Milzbrandsporen verläßlich abtötet. Man behandelt die
Felle entweder 6 Stunden lang bei 40° C mit einer Flüssigkeit, die l°/o HCl
und 8°/o Kochsalz enthält, oder 2 Tage lang bei gewöhnlicher Temperatur
('20—22°) mit einer 2% HCl und 10°/ 0 Kochsalz enthaltenden Lösung. Nach
Beendigung dieser Prozedur werden die Felle durch verdünnte Sodalösung ge¬
zogen und dann in fließendem Wasser gewaschen. Die Pickelung bei höherer
Temperatur verdient immerhin den Vorzug. Es wäre rationell, wenn verfügt
würde, daß ausschließlich vorschriftsmäßig gepickelte Häute und Felle in
den Verkehr gelangen dürfen. M. Kaufmann.
Chirurgie.
M. Scannet (Toulouse), Des rgsultats imntediats et €loign£s des opgra-
tions sanglantes dans le traitement des varices des membres inflrteures.
(Archive« medicales de Toulouse, Nr. 1 und 3—6, 1911.) An der Hand
eines umfangreichen eigenen und fremden Materials stellt Verf. eingehende
Untersuchungen an. Deren Resultate: Bei der Genese der Varizen kommen
zwei Ursachen in Betracht: ein biologisches Element, das die histologischen
Läsionen der Venenwandungen bestimmt und von dem der Verlust der physio¬
logischen Eigenschaften, Geschmeidigkeit, Widerstandsfähigkeit und Kon¬
traktilität ausgeht. Dann ein rein physikalisches Element, der hydrau¬
lische bzw. Blutdruck, der den normalen Zustand regelt und beherrscht,
und mit seiner ganz rohen Gewalt auf die desorganisierte und rein passiv
gewordene Vene wirkt. Das therapeutische Ideal würde es nun sein, die erste
Ursache zu bekämpfen, aber wir haben davon keine Kenntnis und deshalb
keinen medizinischen oder chirurgischen Anhaltspunkt. Es bleibt also nur
die zweite Ursache, wozu eine eingehende Kenntnis des Mechanismus nötig
ist, nämlich des oberflächlichen oder passiven und des tiefen oder aktiven
Rückflusses.
Nach dem heutigen Stande der Wissenschaft können nun die angeblich
heilenden Operationen nur daun Erfolg haben, wenn sie den Rückfluß unter¬
drücken, und praktisch gipfelt die ganze Frage in dem Problem: ist der
oberflächliche oder der tiefe Rückfluß oder sind beide zu unterdrücken.
Die Untersuchungen des Verf. haben nun ergeben, daß es hier, wie
immer in der Chirurgie, kein absolutes Gesetz gibt. Die von den verschie¬
denen Operationsmethoden erhaltenen Erfolge sind gleichermaßen unbestreit¬
bar ; man muß aber bei jeder Methode fragen, was kann sie geben ? Indika¬
tion und Erfolg hängt ab von der Diagnose, die sich eben nach den oben¬
genannten drei Arten des Rückflusses hin auszusprechen hat. Die Trendelen-
burgsche Methode und deren Derivate geben gute Resultate im ersten Falle:
die Exzision am Unter- oder am Ober- und Unterschenkel im zweiten Falle;
die totale Saphenektomie, sicherer ohne schwerer zu sein als die anderen,
gibt im dritten und auch in zweifelhaften Fällen Erfolge. Alle Mißerfolge
beruhen auf einem Irrtum in der Diagnose, was weiterhin einen Irrtum in
der Wahl der Methode zur Folge hat. v. Schnizer (Höxter).
L. N. Lanehart (New York), Chirurgie und Neurasthenie. (Med.
Blätter, Nr. 4, 1911.) Es gibt eine Reihe von Kranken, die fälschlich als
Neurastheniker bezeichnet werden, bei denen bei genauer Untersuchung ein
chirurgisches Leiden aufgedeckt wird, nämlich organisch Kranke mit ner-
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L£vy (Paris), L’agoraphobie et son traitement öducateur en eure libre.
(Bull, gener. de therap., Nr. 14, 1911.) Die Agoraphobie umfaßt nicht nur
jene furchtbaren, lähmenden Angstgefühle auf oder vor einem freien Platze;
es gehören hierher auch die Krankeji, die sich scheuen, ihr Heim zu ver¬
lassen, in die Kirche, ins Theater oder sonst wohin zu gehen. Agoraphobie
oder Topophobie ist im wesentlichen nur die Projektion nach außen von
tieferliegendeu, ganz intimen Angstzuständen, eine moralische Krankheit,
deren wesentliches Element die Angst ist. Selbstverständlich ist hier eine
rein medikamentöse Therapie zwecklos; es empfiehlt sich eine moralische
Behandlung unter Ausschluß aller heute veralteter oder ungenügender
psychotherapeutischer Formeln und Methoden. So ist der Hypnotismus mit
seinem gleichsam automatischen Gehorsam unnütz, weil hier der Kranke
gerade die Arbeit der persönlichen Reflexion, eine gewisse Selbstkontrolle
lernen soll. Die Suggestion ist nur ein rein symptomatisches Hilfsmittel.
Auch die heutzutage gerühmte Persuasionstherapie ist zu begrenzt.
Die Psychotherapie muß hier eine erzieherische sein, und zwar eine
partielle und eine totale. Zunächst hat sie die Angstzustände zu bekämpfen,
und zwar auf dem Wege einer kordialen, familiären Konversation. Diese
Anstzustände beziehen sich nun meist auf möglicherweise plötzlich ein-
tretenden Tod, infolge eines eingebildeten, aber recht fest haftenden (meist
Herz-) Leidens. Es würde aber nutzlos sein, gerade diese eine Manifesta¬
tion bekämpfen zu wollen, sondern man muß den ganzen, oft etwas recht
pessimistisch angelegten Charakter erziehen.
Neurosen sind keineswegs nur psychische Affektionen, Psychoneurosen,
sondern voll und ganz Krankheiten des Organismus, Totalaffektionen mit
besonderer Praedominanz des Nervensystems, mehr noch der Zerebropsyche.
Charakteristisch sind 2 Faktoren: Erregbarkeit und Überanstrengung, also
ein psychischer und ein moralischer Faktor. Und dies gilt nicht nur für
die Neurasthenie, sondern für alle Neurosen, einschließlich der Hysterie,
der psychischsten aller Neurosen.
Hier ist Erziehung am Platze, und zwar neben der moralischen eine
totale, in der Überlegung, daß es sich hier um Störungen des funktionellen
Ablaufes des ganzen Organismus handelt. Die Angstzustände des Agora -
phoben sind nicht nur Ausdruck eines krankhaften moralischen Zustandes,
sondern sie sind Ausdruck eines krankhaften Nervensystems, eines im ganzen
gestörten Organismus. Seine Angstzustände sind also rein organische.
Am schlimmsten ist nun hier Isolation und Ruhe; viel eher ist eine
aktive freie Erziehung für Freiheit am Platze; nur sie wird Rückfälle
vermeiden. v. Schnizer (Höxter).
Heilig (Straßburg), Zur Kasuistik des Paramyoclonus multiplex. (Arch.
für Psych., Bd. 48, H. 1.) H. beobachtete einen Kranken, welcher seit 26
Jahren an einem im Anschluß an einen Schreck entstandenen krampfartigen
Zucken des Oberkörpers litt. Daneben traten in langen Zwischenräumen
Krampfanfälle mit Zungenbiß und Bewußtseinsverlust auf. Die Affektion
bestand in blitzartigen klonischen Zuckungen der oberen Stammuskulatur,
welche sich arythmisch in Intervallen von 10—15 Sekunden folgten, einet
lokomotorischen Effekt nicht hatten, im Schlaf auf hörten, bei darauf ge¬
lenkter Aufmerksamkeit sich steigerten. Sie traten dann sogar in der Ge¬
sichtsmuskulatur auf und selbst in den Bulbi. Die Untersuchung ergab
ferner Steigerung sämtlicher Haut- und Sehnenrefl., erhöhte mechanische
Reizbarkeit der Muskeln, gesteigerte vasomotorische Erregbarkeit, normale
elektrische Reaktion. Der Würgreflex war erloschen. — Gegen die Diagnose
langjährige Hysterie, unter welcher der Patient auch zur Aufnahme ge¬
langte. und wohin das Kranklieitsbild fälschlicherweise mitunter gerechnet
wird, spricht die langjährige unveränderte Existenz des Leidens, die Abfin¬
dung des Betreffenden mit dem Zustand und die fehlende Arbeitsbehinderung
durch denselben. Die psychogene Entstehung ist bereits von dem ersten Be¬
obachter (Friedreich 1881) erwähnt, der die Erkrankung als Schreck-
neurose auffaßte. Die beobachteten Anfälle sind wohl weniger hysterischer
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Referate und Besprechungen.
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als epileptischer Natur. Namentlich bei den familiären Fällen sind epilep¬
tische Zufälle beobachtet. Im Gegensatz zur Chorea sind beim Paramyo¬
klonus vom Willen isoliert nicht erreichbare, synergisch nicht zusammen-
wirkende Muskeln befallen in proximalen Gebieten, und die Zuckungen haben
keinen lokomotorischen Effekt. Im Gegensatz zu den Tics kommt das pri
märe Ergriffensein des Gesichts nicht vor, ferner handelt es sich beim Tic
mehr um bestimmte einzelne Muskeln oder sehr beschränkte Muskelgruppen.
Der symptomatische Paramyoklonus (Ziehen), bei dem die Myoklonien durch
äußere Reize (Periostitis, Blei, Diphtherie) ausgelöst werden, gehört nicht
hierher. Die Ursache der Erkrankung ist wohl ein dauernder Erregungs¬
zustand in den motorischen Vorderhornzellen infolge abnormer Bahnung,
indem die zentripetalen vom Muskel- und Lagege.fühl erzeugten Reize statt
zum Zentralorgan in die zu den motorischen Vorderhornzellen führenden
Reflexkollateralen abgelenkt werden. Zweig (Dalldorf).
A. Simons (Berlin), Eine seltene Trophoneurose (Lipodystrophia pro¬
gressiva). (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 1.) Zu den
in der Literatur bisher erwähnten zwei Fällen konnte S. einen dritten genau
beobachten. Die Erkrankung scheint Frauen zu bevorzugen und in den Ent
wicklungsjahren zu beginnen. In progredienter Weise schwindet das Fett
beiderseitig zuerst im Gesicht und dann weiter an Rumpf und Armen,
während am Gesäß und den angrenzenden Teilen des Oberschenkels ver¬
mehrter Fettansatz sich zeigt. Da Stoffwechselversuche ergaben, daß es sich
nicht um eine Stoffwechselanomalie handelt, muß man an eine Trophoneurose
denken und zwar vielleicht infolge einer Störung einer innersekretorischen
Drüse, zumal wir als Gegenstück die thyreogene Fettsucht, kennen. Ein¬
spritzungen von Menschenfott gemischt mit Hammeltalg (Prof. Holländer)
hatten vorübergehenden kosmetischen Erfolg. Zweig (Dalldorf).
G. Ghedini, Experimenteller und klinischer Beitrag zur Azetonitryl-
reaktion mit besonderer Berücksichtigung der Differentialdiagnose bei Mor¬
bus Basedowii. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 21, 1911.) Ghedini’ß
Untersuchungen gehen aus von der von R e i d Hunt gemachten und kürz¬
lich teilweise von Trendelenburg bestätigten Beobachtung, daß weiße
Mäuse gegenüber dem Azetonitryl sich viel widerstandsfähiger zeigen, wenn
sie mit Schilddrüse gefüttert werden. Es war zunächst nötig, festzustellen,
ob andere Drüsen mit innerer Sekretion oder deren spezifische Produkte einen
ähnlichen Einfluß ausübten, und da ergab sich, daß die Mäuse stets starben
auch bei Einverleibung von Hypophyse. Epithelkörperchen, Thymus, Neben¬
nieren, Ovarium, Prostata bzw. ihrer Produkte. Ebensowenig wurden sie
geschützt durch Blut eines mit Schilddrüsenextrakt vorbehandelten Menschen
oder durch Blut aus den abfließenden Venen einer elektrisch gereizten tieri¬
schen Schilddrüse, auch nicht durch das Serum eines thvreoidektomierten
Hammels oder durch Darreichung von Jodpräparaten, ln einer zweiten Ver¬
suchsreihe wurden die Tiere mit Blut verschiedener Kranken gefüttert. Unter
32 Fällen vermochte in 23 die Blutdarreichung den Tod innerhalb 24 Stunden
nicht abzuwenden: das Blut stammte in diesen Fällen von verschiedenen Arten
von Leicht- und Schwerkranken; es war auch eine Reihe von Patienten mit
Schilddrüsenvergrößerung darunter. Dagegen entfaltete in neun Fällen das
Blut eine schützende Kraft gegenüber der Azetonitrylvergiftung. Es handelte
sich dabei um: 1. drei typische schwere Basedowfälle. 2. zwei Urämiker,
3. zwei Patienten mit vergrößerter und wahrscheinlich hyperfunktionierender
Schilddrüse, 4. einen Fall von chronischer interstitieller Nephritis, 5. einen
Fall von Adipositas dolorosa, also alles, oder größtenteils Fälle, deren Schild¬
drüsen höchstwahrscheinlich verändert waren. Es ist möglich, daß die
Methode bei weiterer Nachprüfung für die Differentialdiagnose des Basedow
einen klinischen Wert erlangen wird. M. Kaufmann.
Deutscher Verein für Psychiatrie. (Med. Blätter, Nr. 13, 1911.) Auf der
letzten Tagung in Stuttgart hielt Kräpelin einen Vortrag über Psycholo¬
gfische Untersuch ungsmet ho den. Eine wissenschaftliche psycholö-
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gische Untersuchung von Geisteskranken ist erst durch die Ausbildung
der experimentellen Psychologie möglich geworden, die aber genötigt
ist, ihre eigenen Wege zu gehen. Zunächst habe sie von wesentlich
anderen Fragestellungen auszugehen, die ihr durch die besonderen Bedürf¬
nisse der Kliniken vorgeschrieben würden; sodann sei sie genötigt, mit ver¬
einfachten Methoden zu arbeiten. Ferner bedürfe die Klinik vorhergehender
Massenuntersuchungen an gesunden Personen, um den Maßstab für Beurtei¬
lung des Krankhaften zu gewinnen. Es ergebe sich aus diesen Grundlagen
zunächst die möglichst allseitige Untersuchung des Einzelfalls. Da aber
vorderhand die Lösung dieser Aufgaben unmöglich ist, so liegt die Haupt¬
aufgabe der psychologischen Methode in der wissenschaftlichen Erforschung
der Krankheitsbilder durch zahlenmäßige Ermittelung und Umgrenzung von
Störungen, durch Vergleiche verschiedener Krankheitszustände, Verfolgung
der Entwicklung und des Schwindens von Krankheitserscheinungen, durch
Untersuchung des psychologischen Aufbaues der einzelnen Zustandsbilder.
Die psychologische Untersuchung krankhaft veranlagter Kinder könne An¬
haltspunkte für eine vorbeugende Erziehung liefern. Große Wichtigkeit
hat dann die Erzeugung künstlicher Geistesstörungen. Die Verfolgung aller
jener Abweichungen, die durch geistige und körperliche Anstrengung, durch
Nahrungsentziehung, vor allem durch Gifte erzeugt werden, gibt die wert¬
vollsten Aufschlüsse über die ersten leisen Erschütterungen des seelischen
Gleichgewichts, die unter Umständen ('Alkoholismus, Morphinismus) die Ein¬
leitung wirklicher Geistesstörungen bilden können. So kann man einmal der
letzten Aufgabe, der Verknüpfung der Symptome mit krankhaften Hirn¬
rindenveränderungen, näherkommen. S. Leo.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
J. Citron, Die Bedeutung der Wassernrann’schen Reaktion für die
Therapie der Syphilis. (Ther. Monatsh.,, Juli 1911.) Die Möglichkeit zur
biologischen Syphilistherapie wird dadurch gegeben, daß es antisyphilitische
Mittel gibt, die die Wassermaun’sche Reaktion beseitigen, vor allem das
Quecksilber. Je länger das Syphilisvirus auf den Körper eingewirkt hat.
je häufiger es zu Rezidiven kam, desto regelmäßiger ist der Antikörper-
gehalt des Serums. Je früher die Quecksilbertherapie eingesetzt hat, je
länger sie fortgesetzt und je häufiger sie wiederholt wurde, je zweckmäßiger
die Applikationsform war und je kürzer die Frist seit der letzten Kur, desto
geringer wird der Antikörpergehalt, desto häufiger ist er gleich 0. Eine
positive Reaktion beweist aktive Syphilis, eine negative spricht für Latenz
oder Heilung, sofern nicht sichtbare Manifestationen da sind. Eine +
Reaktion spricht gegen Heilung und für latente Syphilis. Das Jod hat
nur Wert im Verein mit Quecksilber. So gut die Wirkung des Salvarsans
auf die Manifestationen ist, so oft bleibt die Wirkung auf die Wassermann-
sehe Reaktion aus. Bei dem gegenwärtigen Stand unserer Erfahrungen
kann nicht dringend genug ungeraten werden, für eine zweckmäßige Therapie
der Syphilis das Quecksilber nicht auf zugeben. Dagegen empfiehlt sich eine
Kombination von Hg-Salvarsan. Das wichtigste aber ist nicht die Wahl
des Mittels oder die Methode der Anwendung, sondern die fortwährende
Kontrolle durch die Wassermann’sche Reaktion. Jedes Ansteigen der Reak¬
tion ist einem sichtbaren Rezidiv gleichzusetzen. Es ist ein Zeichen, daß
der syphilitische Prozeß wieder aktiv geworden ist und daß die Behand¬
lung wieder aufzunehmen ist. Die spezifische Behandlung ist dann zu be¬
ginnen, sobald die Diagnose gesichert ist. Lokale Exzisionsversuche haben
bei + Wassermann’schen Reaktion keinen Sinn mehr. S. Leo.
F. P. Guiard (Paris), Die antigonorrhoische Prophylaxe, Ihr Wert und
ihre verschiedenen Methoden. (Allg. Wiener med. Ztg., Nr. 12—16, 1911 nach
Journ. d. m£d. de Paris.) Guiard kommt nach eingehender Besprechung
aller einschlägigen Maßnahmen zu folgenden Schlüssen:
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1. Die prophylaktische Maßregel des forcierten Urinierens nach einem
verdächtigen Koitus ist von ungewisser und ungenügender Wirkung, des¬
gleichen die vorherige Einführung von Fett in die Mündung.
2. Dasselbe gilt von einfachen Seifen- oder antiseptischen Reinigungen
mit oder ohne Gargarisma der Mündung.
3. Zu den „ernsthaften“ Präservativmitteln gehört das Kondom bis auf
seine Zerreißlichkeit.
4. Ein ausgezeichnetes Mittel ist die Einführung von antiseptischen
Substanzen nach dem Koitus (Ag, Protargol), vorausgesetzt, daß sie tief
genug in die Harnröhre hineingehen und nicht durch zu starke Dosierung
reizend wirken. G. bevorzugt Injektionen von Kali permang. 1:5—10000.
Esch.
Salomon (Berlin), Anatomische und klinische Beiträge zur Behand¬
lung der Angiome und Naevi mittels Kohlensäureschnee. (Deutsche Zeit¬
schrift für Chir., Bd. 109, S. 518.) Das schon längst bekannte Prinzip, die
Anwendung der Kältewirkung, hat eine neue Form in Gestalt der von
Pusey in die Therapie eingeführten Behandlung mit Kohlensäureschnee
in einer Temperatur von —90° angenommen. Man gewinnt den Schnee da¬
durch, daß mau die Kohlensäure aus einer gewöhnlichen Kohlensäurebombe
durch ein fackelartiges Instrument hindurchströmen läßt, an dessen Wänden
sich der Schnee niederschlägt. Man kann ihn dann zur bequemeren und
wirksameren Applikation in Ohrtrichter oder in offene Holzformen ein-
stampfen. Stärke der Kompression und Dauer der Einwirkung bestimmen
den Wirkungsgrad des 10—60 Sekunden auf das Angiom aufgedrückten
Schneeblocks. Klinisch kennzeichnet sich die Wirkung zunächst durch eine
zirkumskripte Hautrötung; hier stellt sich nach 6—8 Tagen eine Blase und
ev. eine sehr rasch abheilende Ulzeration, meist ohne nennenswerte Bc
schwerden, ein. Histologisch ist in den kutan gelegenen Angiombezirken
an den Gefäßwänden eine Degeneration und Entzündung des Endothels,
verbunden mit einer wandständigen hyalinen Plättchenthrombose, erkennbar.
An diese degenerativen Prozesse schließt sich aber — und darin liegt die
elektive therapeutische Wirkung des Verfahrens — stets eine meist, schon
nach 4 Tagen auftretende konzentrische Zellwucherurig, welche in Verbin¬
dung mit der wandständigen Thrombose das Gefäßlumen zur Verödung
bringt.
Bei pfennig- bis markstückgroßen oberflächlichen Angiomen sind zur
Heilung durchschnittlich 7—8 Sitzungen mit einer Kälteeinwirkung von
15—25 Sekunden erforderlich; bei größeren bzw. tieferen Angiomen kann die
Kälteeinwirkung bei genügender Erfahrung bis auf 60 Sekunden verlängert
werden. Sie wird bei Angiomen, welche kavernösen Charakter tragen, in
sehr wirksamer Weise durch 1—2 Alkoholinjektionen nach Schwalbe
unterstützt. Die Ulzerationen heilen mit äußerst zarter, wenig auffallender,
im Hautniveau liegender Narbe. Die flachen roten, meist sehr ausgedehnten
Muttermale bilden eigenartigerweise eben wie Keloide ein wenig dankbares
Behandlurigsobjekt; dagegen konnten die „roten Nasen“, sowie die braunen
flachen Naevi leicht durch die Schneeapplikation beseitigt werden.
Der Vorzug des Verfahrens liegt gegenüber der bisher üblichen ein¬
greifenden Behandlung (Exzision, Ätzung .mit rauchender Salpertersäure,
Brennen mit dem. Thermokauter usw.) in der elektiven epithelsparenden
Wirkung, welche es mit der Behandlung mit Radium, Röntgenstrahleu
der Quarzlampe teilt. F. Kayser (Köln).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
A. Brauer (Kiel), Das Röntgenprimärerythem. (Deutsche medizin.
Wochenschr., Nr. 12, 1911.) Brauer kommt in seinen Ausführungen über
das Röntgenerythem zu folgenden Schlußsätzen:
1. Es ist unabhängig von der Bauart der Röhre.
2. Es ist unabhängig von der Qualität der Röntgenstrahlung.
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3. Die Ursachen des Primärerythems sind nicht die Wärme, nicht die
ultravioletten Strahlen, nicht das .Fluoreszenzlicht, nicht die elektrischen
Entladungen, sondern ausschließlich die Röntgenstrahlen selbst.
Das Primärerythem hat keine besondere Disposition des Individuums
zur Voraussetzung, jedoch ist die Irritabilität des Gefäßsystems ein für die
Reizschwelle und die Intensität der Erscheinungen in Betracht kommender
Faktor.
6. Der Pigmentgehalt ist ohne Einfluß auf Entstehung und Stärke des
Primärerythems.
7. Die Quantität der applizierten Röntgenstrahlen ist entscheidend für
die Entstehung des Erythems.
8. Die Intensität wächst proportional mit der Quantität der Röntgen -
strahlen.
9. Die Latenz zwischen Bestrahlung und Primärerythem ist um so
größer, je kleiner, um so kleiner, je größer die Dosis ist.
10. Die Röntgcnfrühpigmentationcn entstehen zuin Teil sekundär im
Anschluß an intensive Primärerytheme, zum Teil, und zwar bei stärker
pigmentierten Personen, entstehen sie in erster Linie primär durch Einwir¬
kung auf das Pigmentgewebe selbst.
11. Es läßt sich voraussehen, ob im gegebenen Falle nach Röntgen¬
bestrahlung eine Pigmentierung eintreten wird. Sie ist deshalb bei der
Prognose und Indikation zu berücksichtigen. F- Walther.
Alfred Schiften he Im (Erlangen), Experimentelle und klinische Unter¬
suchungen über die Wirkung der Hochfrequenzströme. (Ther. Monatsh.,
Juni 1911.) Die Blutdruckerniedrigungeii, deren Herbeiführung zu einer
therapeutischen Indikation für die Hochfrequenzbehandlung, besonders mit
dem Kondensatorbett und dem Solenoid für Autokonduktion bei Hyper¬
tonikern führte, beruhen auf einer Schwankung des Blutgefäßtonus. Die
Erweiterung der Hautgefäße, die zunächst, noch nicht durch Gegen maßregeln
des Körpers wie Verengerung der Gefäße des Splanchnikusgebietes voll
kompensiert ist, führt anfänglich zu dem Absinken des Blutdruckes. Die
Dauer dieser Senkung ist beim Gesunden kurz. Ob sie bei Verwendung ge¬
ringerer Ströme und bei Behandlung pathologischer Fälle intensiver zum
Vorschein kommt, worauf die bei der Arsonvalisation gewonnenen Er¬
fahrungen hinweisen, müssen erst genauere Untersuchungen ermitteln. Die
hauptsächlichen Indikationen der Hochfrequenzströme sind die Bekämpfung
der arthritischen, rheumatischen und verschiedener neuralgischer Beschwerden.
Die Bekämpfung der Schlaflosigkeit ist eine anerkannte Domäne dieser
Ströme. Schon der normale Mensch hat bei öfterer Anwendung des Konden-
satorbettes ein Ermüdungsgefühl und Schlafbedürfnis. Die Ströme beein¬
flussen auch, wie jede Wärmeapplikation, den Stoffwechsel. Selbstverständ¬
lich bedarf es einer eingehenden Beschäftigung mit der Technik der Thermo-
Penetration. Sch. selbst hat die Erfahrung gemacht, wie leicht man durch
fehlerhafte Applikation der Elektroden zu Fehlern kommen kann. Sehr
wesentlich ist, daß man die Stromstärke auf der richtigen Höhe hält und
die Behandlung so lange fortsetzt, bis eine gründliche Durchwärmung der
betreffenden Körperstelle stattgefunden hat. Unter Umständen kann man
nur eine oberflächliche Wärmewirkung bekommen. Dies geschieht z. B.,
wenn die Haut vorher nicht genügend mit Salzwasser befeuchtet wird oder
die Elektroden mangelhaft konstruiert sind. Es sind auch Verbrennungen
möglich, wenn man schlecht anlegt. Dann konzentriert sich der Strom-
zufluß auf eine kleine Stelle und gibt hier einen gesteigerten Wärmeeffekt.
S. Leo.
F. Kirchberg (Berlin), Heißluft- und Lichtbehandlung und Massage.
(Zeitschr. für phys.-diät. Therapie, Bd. 15, S. 224—232, 1911.) In den Zeit¬
schriften liest man immer wieder die Vorzüge der physikalischen Therapie,
in den Krankenhäusern werden dem Besucher die betreffenden Apparate mit
mehr oder weniger Begeisterung vorgeführf: aber der praktische Arzt, der
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Bücherschau.
887
nun eben doch einmal der Träger dier praktischen Medizin ist, verwendet
sie verhältnismäßig selten. Das ist leicht begreiflich; denn einmal kostet
diese Art der Therapie ziemlich viel Zeit, jedenfalls mehr als ein Rp. oder
ein Umschlag, und dann sind die Apparate nicht billig. Kirchberg
empfiehlt eindringlich einen von ihm angegebenen Apparat zur Heißlnft-
und Lichtbehandlung, mit Hilfe dessen man ebenso bequem den ganzen
Körper wie einzelne Partien bestrahlen und erwärmen kann. Da er sowohl
mit Elektrizität wie mit Spiritus anzuheizen ist, so ist man nach allen
Seiten hin unabhängig, und der Preis: 80 Mark erscheint im Hinblick auf
die polyvalente Verwertbarkeit, mäßig. (Firma B. Gladow, Berlin NN. 7,
Charitestr.)
Kirchberg hat mit kombinierter Heißlufttherapie und Massage aus¬
gezeichnete Resultate bei sonst ziemlich aussichtslosen oder wenigstens lang¬
weiligen Fällen erzielt, wie bei Nephritikern und Herzkranken, bei Gelenk
erkrankungen aller Art, Ischias, Myalgien usw.
Meine persönlichen Erfahrungen mit den auch von Kirchberg an-
gewendeten Agentien ermutigen mich, alle Kollegen zu Versuchen aufzu-
fordern. So ist es mir wiederholt gelungen, von Autoritäten aufgegebene
Gelenkversteifungen, Unterleibsbeseh werden und dergl. wieder herzustellen:
allerdings — mit der Zeit darf man dabei nicht geizen.
Buttersack (Berlin).
Pick (Charlottenburg), Ober die unterstützende Wirkung des Sauer-
stoffheilverfahrens und seine Indikationen. (Allg. med. Zentralztg., Nr. 16,
1911.) Im allgemeinen wird O als Bad oder Inhalation in der Praxis noch
viel ZU wenig angewandt, höchstens in desolaten Fällen bei Dyspnoe, wo er
nichts mehr nützen kann.
Indiziert ist seine Anwendung bei allen vom Herzen ausgehenden
Angstzuständen, also bei Angina pectoris. Hier verdrängen die O-Bäder
neuerdings mit Recht die CO« -Bäder. Dann ist bei allen Herzkrankheiten
neben Ruhe und Schonung mit leichten gymnastischen Übungen, Terrain -
kuren, Herzmassage die O-Behandlung indiziert. Ferner kommt seine An¬
wendung in Betracht bei akuten Kinderkrankheiten, namentlich infektiösen
als Unterstützungsmittel, bei Pleuritiden, Neurasthenie, Migräne, Schlaf¬
losigkeit, Emphysem mit Thoraxstarre, Asthma bronchiale, Prä- und Arterio¬
sklerose, endlich ganzi besonders bei der Chlorose, zu der ja der oberfläch¬
liche Gebrauch der Lungen wesentlich mit beiträgt. v. Schnizer (Höxter).
Bücherschau.
A. Bier (Berlin), Uber die Berechtigung des teleologischen Denkens in der prak¬
tischen Medizin. (Separatabdruck eines Vortrages.) Berlin 1910. Verlag von Hirsch¬
wald. 14 S. 50 Pfg.
Ebenso, wie man in den biologischen Wissenschaften, so führt Bier aus,
vom Gesetz der Vererbung, der Anpassung, der Variation, der Sparsamkeit spricht,
so werden dem lebenden Organismus auch von altersher zweckmäßiger Bau und
zwecktätige Funktionen zugeschrieben. Dabei ist man sich wohl bewußt, daß dies
alles nicht Gesetze in dem Sinne sind, wie sie die exakten Naturwissenschaften
besitzen, sondern daß es sich hier um Erfahrungstatsachen handelt, die man bisher
nicht auf die festen Gesetze der anorganischen Natur zurückführen konnte. Trotz¬
dem sind sie praktisch außerordentlich wertvoll und fruchtbar lind zwar ganz be¬
sonders für die Heilkunde. Die Tatsache des zweckmäßigen Baues und der zweck¬
mäßigen Tätigkeit des menschlichen Organismus, derzufolge das Unzweckmäßige
im Kampf ums Dasein zu gründe geht, formulierte man hier vor allem in dem oft
ausgesprochenen Satze: Zweckmäßigkeit ist gleich Existenzfähigkeit.
Indem aber gewisse Forscher unter Verzicht auf mechanistische Erklärung
der Lebensvorgänge eine eigene geheimnisvolle Kraft, die man Lebenskraft oder
ähnlich nannte, annahmen, kam es hier leider zu einer Verquickung mit dem Vita¬
lismus, in dessen Wesen es ja liegt, daß sich ihm neben einzelnen hervorragenden
Forschern auch alle unklaren Köpfe und Mystiker zuwandten.
Diese Verquickung der Teleologie mit dem Vitalismus hat nun auch die
erstere so in Mißkredit gebracht, daß Fanatiker der exakten wissenschaftlichen
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Bücherschau.
Forschung das Wort Teleologie oder Zweckmäßigkeit überhaupt nicht mehr hören
wollen. Es ist aber doch ein merkwürdiges Beginnen, eine auf enormem Beobach-
tungsmaterial gegründete Tatsache leugnen zu wollen, .nur weil für sie die kausale
Erklärung fehlt. Wollten wir in der praktischen Medizin -stets auf ausreichende
Erklärungen der Gelehrten warten, so wären wir übel daran, und in der Tat ist
der durch das Verlassen und Verspotten der teleologischen Betrachtungsweise anzu¬
richtende Schaden so recht offenbar geworden, als man in der zunächst hinter uns
liegenden Zeit die physiologischen Reaktionen des Körpers (z. B. Fieber, Entzündung)
auf die ihn berührenden Schädlichkeiten zu der Schädigung selbst rechnete und
sie hintanzuhalten und zu unterdrücken suchte.
Erst neuerdings hat man wieder die alterprobte Wahrheit erkannt, daß die
Reaktionen, welche von der krankmachenden Ursache im Körper ausgelöst werden,
unter dem teleologischen Gesichtspunkte betrachtet werden müssen und daß sie da,
wo wir sie als zweckmäßig erkannt haben, nicht unterdrückt, sondern unterstützt
und nachgeahmt werden sollen, wie Bier das z. B. in seiner Hyperämiebehandlung
versucht hat.
„Wir praktischen Ärzte“, so schließt Bier, „haben einen sehr ausgesprochenen
Zweck, nämlich den, kranke Menschen gesund zu machen. Und in dieser Beziehung
hat uns nichts weiter gebracht, als eben jene teleologische Betrachtungsweise.
Deshalb wollen wir auch an ihr fenthalten, wenigstens so lange, bis man etwas
auch nur annähernd Gleichwertiges an ihre Stelle gesetzt hat.“ Esch.
S. Jeßner, Die praktische Bedeutung des Salvarsans (Dihydrodiamidoarsenobenzol)
für die Syphilistherapie. Aus: Dermatologische Vorträge für Praktiker, Heft 23.
Würzburg 1911. Curt Kabitzseh (A. Stübers Verlag). 1,80 Mk.
Das von Ehrlich in die Reihe der Syphilisheilmittel eingefühlte Präparat
Salvarsan ist eine salzsaure Verbindung des Arsens von folgender Formel:
As == As
NH« HCl
\
OH
\/
OH
NH., HCl
Dieses Präparat wird von den Höchster Farbwerken in den Handel gebracht;
0,6 g kosten 10 Mk.
Die Applikationsweisen (intravenös, intramuskulär) werden vom Verf. einer
genaueren Besprechung unterworfen; es folgt die Dosierung des Mittels und im
Anschluß daran werden zunächst die Nebenwirkungen allgemeiner Natur, die organo-
tropen Wirkungen, die nicht an den Ort der Applikation gebunden sind, erwähnt.
Im Vordergrund steht die Alteration des Herzens, dann folgen Albuminurie, Ver¬
dauungsstörungen evtl. Ikterus, Erregung des Nervensystems, Hautausschlag, die
Jarisch-Herxheimer’schc Reaktion, die von Ehrlich als Ausdruck einer
unzureichenden Salvarsan Wirkung aufgefaßt wird. Die lokalen Nebenerscheinungen,
die man bei intramuskulärer resp. subkutaner Injektion beobachtet, bestehen im
Schmerz, der unmittelbar nach der Injektion auftritt, dann in dem Schmerz, der
abhängig ist von der später am 3.—5. Tage einsetzenden Infiltration. Das folgende
Kapitel schildert eingehend die heilende Wirkung des Salvarsans. .
Ein unfehlbares Spezifikum im Sinne einer Therapia magna sterilisans bildet
das Salvarsan nicht. Es ist ihm die Teilwirkung im Sinne einer symptomatischen
Heilung in demselben Maße eigen wie dem Quecksilber und dem Jod. Es ist
diesen Mitteln inbezug auf die rasche Wirkung, bei der es Triumphe feiert, über¬
legen. Von einer angenehmen Wirkung kann nicht gesprochen werden im Hinblick
auf die vielen genannten Nebenwirkungen.
Zum Schluß wird eingehend die Technik der intramuskulären und intravenösen
Injektion besprochen, die Indikationen, die Kontraindikationen der Anwendung des
Salvarsans und die Kombination mit Quecksilberpräparaten. Diese scheint nach J.
besonders aussichtsvoll, da eine sich anschließende Quecksilherkur die letzten Reste
der Krankheitskeime vernichtet. Schürmann.
Fr. Fischer (Berlin^ Erfahrungen bei einer Genickstarreepidemie. Sammlung
klinischer Vorträge. Leipzig 1910. Verlag von Job. Ambr. Barth. 75 Pfg.
Die bekannten Symptome der Genickstarre, die Übertragungsmöglichkeiten
(Kokkenträger) derselben (Anhusten), die Disposition zur Erkrankung, die Prognose
und die Therapie werden eingehend besprochen. „Subdurale Serumcinspritzungen
verbunden mit symptomatischer Behandlung haben die Mortalität auf 36% herab¬
gesetzt“. Zum Schluß bespricht Verf. noch die Behandlung der isolierten Kokken-
träger. Nasenduschen mit 2% Borlösung 3 mal täglich und Pinselung mit 1 °/o
Argent. nitric. L ösung. Schürmann.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
?ort$d)ritte der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
heraaBgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Dcz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 38.
Erscheint wöchentlich rum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thleme, Leipzig. =
21. Septbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Scharlachfragen.
Von Prof. Dr. R. Fischl, Prag.
I
Oie Ätiologie des Scharlachfiebers ist trotz der großen Summe von
Arbeiten auf diesem Gebiete noch nicht zu einem befriedigenden Ziele
gelangt, und namentlich der Streit über die ursächliche Bedeutung der
Streptokokken konnte keiner entscheidenden Lösung zugeführt werden.
Immerhin glaubten wir aber, auf Grund vielfältiger Erfahrungen und
sorgsamer Beobachtung über die Infektiosität und die Verbreitungswege
dieser Krankheit ziemlich genau unterrichtet zu sein und auf Grund
dieser Kenntnisse auch eine recht wirksame Prophylaxe ins Werk setzen
zu können.
Nun sind aber in den letzten Jahren zwei Publikationen aus der
Feder des geschätzten ungarischen Kollegen F. v. Szontagh in Budapest
erschienen (Archiv für Kiuderheilk., Bd. 54, S. 111, 1910 und Jahrbuch
für Kiuderheilk., Bd. 72, S. 661, 1910), deren eine sich mit der Kon-
tagiosität, die andere mit der Immunität bei Skarlatina beschäftigt, und
welche so revolutionäre Anschauungen auf diesem Gebiete entwickeln,
daß ich es für angebracht halte, zu den von ihm entwickelten Lehren
Stellung zu nehmen.
Bei einer so verbreiteten Infektionskrankheit, wie es der Scharlach
ist, mangelt es dem Einzelnen nicht an genügendem Material, um in
diesen Fragen mitreden zu können, und die leider so häufigen schlimmen
Erfahrungen, die man mit Scharlachkranken zu machen Gelegenheit hat,
wecken schon frühzeitig das Interesse an diesem Leiden sowie den leb¬
haften Wunsch, durch eine zielbewußte Prophylaxe seiner Verbreitung
in Schule und Familie wirksam entgegenzutreten.
Die von Szontagh geäußerten Ansichten sind gewiß originell und
beachtenswert, bedeuten jedoch, meines Erachtens, eine große Gefahr
für unseren Kampf gegen diese mit Recht so gefürchtete Infektions¬
krankheit und legen uns daher die Pflicht auf, sie auf ihre Wertigkeit
zu prüfen.
Das soll nun in den folgenden Zeilen geschehen, während ich die
Absicht habe, in dem zweiten Teil einige Publikationen neueren Datums,
die von anderen Autoren stammen, auf Grund meiner persönlichen Er¬
fahrung einer kritischen Erörterung zu unterwerfen.
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R. Fischl,
Ich möchte gleich zu Beginn meiner Ausführungen auf den Umstand
Hinweisen, daß die vergleichende Beobachtung von Material aus der privaten
Praxis und aus Krankenhäusern nicht irreführen darf, denn die Verhält¬
nisse sind unter den erwähnten Bedingungen in verschiedener Hinsicht
sehr different. Speziell die so interessanten und ätiologisch bedeutsamen
Initialstadien des Verlaufes bekommt man im Spital höchstens gelegent¬
lich des Auftretens von Hausinfektionen zu Gesicht, welche in der Regel
bereits anderweitig kranke Kinder betreffen und daher nicht ohne weiteres
als Paradigmen des normalen Scharlachverlaufes angesehen werden dürfen.
Dies vorausgeschickt will ich mich nunmehr zunächst den von
Szontagh ausgesprochenen Anschauungen über die Kontagiosität der
Skarlatina zuwenden. Er sieht in dem Umstande, daß die rechtzeitige
Isolierung bei Scharlach fast immer wirksam sei, während sie bei Masern
nahezu regelmäßig versage, ein Argument gegen die Ansteckungsfähig¬
keit der Skarlatina. Die Tatsache, daß Trennung des Patienten inner¬
halb der ersten 24—48 Stunden von seiner Umgebung in der Regel die
Infektion dieser verhütet, wird jedermann ohne weiteres zugeben, doch
hängt dies, meines Erachtens, einfach damit zusammen, daß beim Scharlach
der Infektionstoff, welcher in den späteren Stadien dieser Krankheit
eine geradezu unheimliche Tenazität erlangt, um diese Zeit offenbar noch
nicht genügend ansteckungsfähig oder verbreitungsfähig ist als im weiteren
Verlaufe, wobei ich den Umstand, ob die Infektion auf dem Wege der
Haut oder der Schleimhäute erfolgt, zunächst außer acht lassen möchte.
Bei Masern liegen die Verhältnisse gerade umgekehrt, ihr Eruptions¬
stadium zeichnet sich durch eine meist unvermeidliche Infektiosität aus,
die mit der Blüte des Exanthems rasch schwindet. Aus solchen tausend¬
fältig erhobenen Tatsachen ist meiner Meinung nach nur der eine Schluß
zulässig, daß die Erreger der beiden akuten Exantheme eine grundver¬
schiedene Vitalität aufweisen. Es gibt übrigens, wie ich dies wiederholt,
allerdings in einer relativ kleinen Zahl von Fällen, feststellen konnte,
auch bei den Masern ein Initialstadium, in welchem die Isolierung des
Patienten die Ansteckung der Geschwister vermeiden läßt; es handelt
sicli um jene Fälle, bei denen das Koplik’sche Prodromalsymptom
bereits frühzeitig, also noch vor dem Katarrh der äußeren Schleimhäute,
in Erscheinung tritt. Auf diese Weise gelang es mir vor einigen Jahren,
zwei Kinder eines Kollegen, dessen eine Tochter erkrankt war, vor den
Masern zu schützen, welche sie ein Jahr später aus einer anderen Infek¬
tionsquelle, bei der die Verhältnisse nicht so günstig lagen, acquirierten,
ein Beweis dafür, daß nicht etwa eine besondere Masernimmunität bestand.
Dieser von Szontagh aufgestellte Vergleich ist somit nicht an¬
gebracht, und die aus der Klinik der Ansteckungsweise im Initialstadium
abgeleiteten Tatsachen beweisen nur die Differenz der Umstände, jedoch
durchaus nichts gegen die Kontagiosität des Scharlachfiebers.
Wenn auch, wie ich ausdrücklich bemerken will, meine Spitals¬
erfahrung keine große ist und relativ weit zurückliegt, so weiß ich doch
aus meiner klinischen Dienstzeit, daß in dem damaligen Münchener
Kinderspital gerade die Hausinfektionen mit Scharlach eine kaum ver¬
meidbare Plage bildeten, im Vergleiche zu welcher die Diphtherieüber¬
tragungen als direkt selten bezeichnet werden mußten, trotzdem die
Gelegenheit für beide gleich günstig war, indem die Patienten der einen
Kategorie in dem linksseitigen, die der anderen in dem rechtsseitigen
Oberstock des Gebäudes untergebracht waren.
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Scharlachfragen.
891
In einer gleichfalls vor kurzem erschienenen sehr interessanten
Publikation von Pospischill und Weiß (Berlin 1911, Karger) auf
welche ich in meinem nächsten Artikel eingehender zu sprechen kommen
will, wird eine eigene Form von Infektionen als Heimkehr- oder Retour¬
fälle beschrieben, bei denen es sich um Kinder handelt, welche nach viel-
wöchiger bis monatelanger Spitalspflege und nach denkbar sorgsamster
Desinfektion mit allen zu Gebote stehenden Mitteln nach ihrer Rück¬
kunft in das Elternhaus ihre Geschwister infizierten. Solche Erfahrungen
sprechen doch in durchaus eindeutiger Weise für die hochgradige Infek¬
tiosität des Scharlach und gleichzeitig für die enorme Tenazität seines
Erregers.
So lange wir den eigentlichen Mikroorganismus der Skarlatina nicht
kennen, denn daß die Streptokokken eine nur sekundäre Rolle spielen,
geht aus den vielfachen und mühevollen Untersuchungen der letzten
Jahre mit ziemlicher Sicherheit hervor, wird der Beweis der Übertragung
durch dritte Personen und Gegenstände, welchen Szontagh für nicht
erbracht hält, sich nur auf die durchaus nicht zu unterschätzende klini¬
sche Beobachtung stützen müssen, doch ist diese so eindrucksvoll, daß
mir ein Zweifel in dieser Richtung nicht gerechtfertigt erscheint. Ich
kann mich selbst nicht von dem Vorwurfe freisprechen, zu der Zeit, als
ich noch nicht genügend vorsichtig und durch Erfahrung gewitzigt war,
manche Scharlachübertragung vermittelt zu haben, was mit dem Momente
abschnitt, als ich das Tragen eines waschbaren Mantels im Kranken¬
zimmer und die sorgsame Reinigung von Gesicht und Händen mit
Sublimatlösung vor Verlassen des Krankenzimmers mir zur Pflicht machte.
Ein besonders beweisendes Beispiel für Übertragung durch Gegenstände
aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich mir an dieser Stelle anzu¬
führen nicht versagen. Es handelte sich um die Mutter zwder Kinder,
welche dieselben in ihrer Krankheit pflegte, ohne sich zu infizieren und
erst erkrankte, als sie, mehrere Wochen nach Ablauf der Skarlatina und.
sorgsamster Desinfektion der Wohnung, ein Darmrohr, mit welchem sie
die Patienten irrigiert hatte, nach bloßer Durchspülung mit warmem
Wasser selbst in Gebrauch nahm.
Auch die von Szontagh behaupteten Beziehungen zwischen eitriger
Tonsillitis und Scharlach sind durchaus uubewiesen. Wir wissen schon
lange, und ich habe selbst, als einer der ersten, an verschiedenen Stellen
darauf hingewiesen, daß die Umgebung von Scharlachkranken nicht selten
an exsudativer Angina erkrankt, die offenbar eine Infektion scharlach¬
immuner Individuen mit den Streptokokken der Sekundärinfektion dar¬
stellt. Diese Tatsache ist als ein recht überzeugender klinischer Beweis
dafür anzusehen, daß die Streptokokken nicht die eigentlichen Scharlach¬
erreger darstellen, denn man sieht bei solchen Personen, wenigstens kann
ich dies für mein Beobachtungsmaterial sicher behaupten, weder eine
Hautschuppung noch Nachkrankheiten auftreten, welche die Einreihung
des Falles in die Scharlachgruppe gestatten würden.
Dabei will ich gern zugeben, daß mancher Fall von Angina in
Scharlachzeiten als Scarlatina sine exanthemate zu deuten ist, doch sind
dies relativ seltene Vorkommnisse, deren Dignität erst durch von ihnen
ausgehende weitere Ansteckungen mit echter Skarlatina oder in der oben
erwähnten Weise erwiesen werden kann.
Der noch weiter gehende Schluß Szontagh’s, daß, da die Angina
in ihrer Ätiologie sehr vielgestaltig sei, es auch die Skarlatina sein müsse,
hangt völlig in der Luft und muß ganz entschieden zurückgewiesen
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R. Fischl,
werden. Ich habe den entschiedenen Eindruck, daß die Wertigkeit der
Angina in den letzten Jahren denn doch stark überschätzt wird und
kann nur sagen, daß ihre Beziehungen zum Scharlach rein äußerlicher
Natur sind. Gerade zur Klärung dieser wäre die endliche Auffindung
des Scharlacherregers von großer Bedeutung.
Der puerperale Scharlach ist für Szontagh eine Stütze der
nichtspezifischen rein septischen Natur der Skarlatina, die er gern als
eine unter verschiedenen Formen verlaufende und durch die verschieden¬
sten Erreger verursachte septico-pyämische Infektion hinstellen möchte.
Ich bezweifle, daß wir mit dieser gar nicht bewiesenen und auch recht
unwahrscheinlichen Behauptung im Verständnis des Scharlachfiebers weiter
kämen. Es klingt doch viel plausibler, anzunehmen, daß Wöchnerinnen
mit ihren frischen Wunden der Geburtswege für die Scharlachinfektion
besonders empfänglich sind, wofür w T ir ja im Kindesalter in der hohen
Empfänglichkeit von an Verbrennungen, Verätzungen oder frischen
Wunden leidenden Individuen ein beweiskräftiges Analogon besitzen.
Es werden da wieder oberflächliche Ähnlichkeiten im klinischen Bilde
mit ätiologischer Einheitlichkeit verwechselt, denn es gibt sicher Fälle
von puerperaler Sepsis, die in ihrem Verlaufe einer schweren Skarlatina
gleichen, doch ist dies ein rein äußerlicher Umstand, der das Wesen
dieser beiden in ihren Ursachen grundverschiedenen Krankheiten nicht
tangiert. Wenn man anamnestisch genau nachforscht, gelingt es nahezu
immer, den Ausgang des puerperalen Scharlach von einer Infektion der
Wöchnerin von einem echten Scharlach aus nachzuweisen, und die Ent¬
stehung weiterer Scharlacherkrankungen von einem solcheu Falle her
zeigt doch mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit den spezifischen
Charakter der Erkrankung.
Noch radikaler und, meines Erachtens, noch weniger zu billigen ist
der Standpunkt, welchen Szontagh in der Frage der Scharlachimmunität
einnimmt, denn er leugnet eine solche schlankweg. Als Stützen dieser
Ansicht führt er zunächst die gewiß richtige Tatsache an, daß manche
Individuen bei der ersten Gelegenheit, sich mit Scharlach zu infizieren,
nicht erkranken, wohl aber bei der nächsten. Diese Erfahrung gibt aber
nur das Recht, zu sagen, daß der erste Anlaß eben nicht intensiv genug
war, oder an der damals vorhandenen und später erloschenen Immunität
scheiterte, berechtigt aber durchaus nicht dazu, die Immunität gegen
Skarlatina zu leugnen. Die einfache Überlegung, daß eine auf künst¬
lichem Wege erzeugte und, wie vieljährige Erfahrung zeigt, außerordent¬
lich wirksame Immunität, wie wir sie durch die Vakzination hervorrufen,
auch nicht das ganze Leben hindurch andauert, sondern nach einer Reihe
von Jahren sogar einer erhöhten Empfänglichkeit für das Vakzinevirus
weicht, zeigt schon das Irrige einer solchen Argumentation. Und wenn
der genannte Autor als weiteren Beweis anführt, daß manche Individuen
zur Zeit hoher Infektionsgelegenheit nicht erkranken, er zitiert da nament¬
lich Beispiele aus Kollegeukreisen, um später ohne eine solche den
Scharlach gewissermaßen genuin zu akquirieren, so möchte ich denn
doch betonen, wie schwierig es ist, unter den Bedingungen unseres
Kulturlebens, und noch dazu im ärztlichen Berufe, solche Möglichkeiten
sicher auszuschließen.
Und wenn sich Szontagh damit nicht genügen läßt, sondern noch
weiter geht, indem er sagt, das en- und epidemische Auftreten der
Skarlatina beweise nichts für ihre Infektiosität, also die Beweiskraft
von Beobachtungen leugnet, auf denen unser ganzes Wissen über die
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Scharlachfragen.
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Verbreitung ansteckender Krankheiten basiert, so können wir uns über
eine derartige Argumentation nur wundern, dem geschätzten Autor jedoch
auf diesen Bahnen nicht weiter folgen.
Warum die Scharlacliimmunität plötzlich aufhört, ist doch durchaus
nicht so merkwürdig, denn sie teilt diese Eigenschaft ja mit allen
Immunitäten, ganz abgesehen davon, daß es ja eine ganze Reihe von
infektiösen Erkrankungen mit bekannten Erregern gibt, welche überhaupt
keine Immunität hinterlassen, ich erwähne nur die Diphtherie, das Erysipel,
die Influenza, und wieder andere, bei denen die Testierende Immunität
nach kürzerer oder längerer Zeit erlischt. Ich habe selbst in einem
Intervall von 20 Jahren zweimal einen regelrechten Abdominaltyphus
durchgemacht, in mehreren Fällen eine Reinfektion mit Pertussis bei
Müttern beobachtet, welche ihre keuchhustenkranken Kinder pflegten,
und die ich als Kinder an Pertussis behandelt hatte, so daß über die
Diagnose kein Zweifel bestehen konnte und erinnere mich an eine aus¬
gedehnte Masernepidemie in einem Vororte von Prag, welche sich im
nächsten Jahre wiederholte, bei welcher Gelegenheit eine Anzahl der
vor Jahresfrist erkrankt gewesenen Kinder zum zweitenmal die Morbillen
bekamen. Solche Tatsachen bestehen also zu Recht, sind aber im großen
und ganzen seltene Ausnahmen, welche an den Gesetzen der Infektiosität
und Immunität nichts ändern. Gerade beim Scharlach sind aber der¬
artige Vorkommnisse noch seltener als bei anderen Infektionskrankheiten,
so daß wiederholte Infektion mit Skarlatina zu den kasuistischen Be¬
sonderheiten gehört, die meist einer Publikation für wert gehalten werden
und selbst in den Beobachtungsreihen sehr erfahrener Autoren äußerst
spärlich gesäet sind.
Bei der diagnostischen Beurteilung zwei- oder mehrmaliger Scharlach¬
infektionen kommt als weitere Schwierigkeit hinzu, daß die Unterscheidung
von Rubeola skarlatinosa, Arzneiexanthemen, skarlatiniformen Influenza¬
ausschlägen und dergleichen mehr durchaus nicht leicht ist, so daß eine
Anzahl dieser Fälle sicher als Verwechslung mit derartigen Prozessen
aufgefaßt werden muß, was ihren Kreis noch weiter einschränkt.
Trotz aller dieser Reservate gestehe ich ohne weiteres zu, daß es
seltene Vorkommnisse gibt, in denen nach relativ kurzer Zeit eine neuer¬
liche Infektion erfolgt, ja in denen dieselbe durch ihre besondere Heftig¬
keit zeigt, daß ein nennenswerter Grad von Immunität überhaupt nicht
zurückgeblieben ist, sondern eher von einer gesteigerten Disposition ge¬
sprochen werden kann. Doch liegt dies meiner Ansicht nach nicht an
der Krankheit und ihren Verlaufsgesetzen, sondern an der individuellen
Beschaffenheit des betreffenden kindlichen Organismus. So sah ich einen
Fall, der innerhalb Jahresfrist zweimal, und zwar an unzweifelhafter
Skarlatina, erkrankte und der zweiten Infektion durch eine Perichondritis
laryngea erlag, doch war dies unter vielen hundert von mir beobachteten
Scharlacherkrankungen die einzige so verlaufene und der Eindruck ein
so unerwartet überraschender, daß er mir noch jetzt, nach mehr als
zwanzig Jahren, greifbar vor Augen steht.
Wir haben also, trotz der durch von Szontagh erhobenen Be¬
denken, keinen Grund, von unseren bisherigen Ansichten über Immunität
nach Scharlach und Kontagiosität derselben abzugehen und an unseren
prophylaktischen Maßnahmen, die sich, wenigstens unter privaten Ver¬
hältnissen, in der Regel als recht wirksam erweisen, etwas zu ändern.
Ich für meine Person würde aus den Ausführungen des geschätzten
ungarischen Kollegen nur den praktischen Schluß ziehen, daß die seiner
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R. Fisch!,
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Erfahrung zufolge denn doch häufigere Wiedererkrankung bereits infiziert
Gewesener es uns zur Aufgabe macht, auch diese im Falle einer neuer¬
lichen Erkrankung im Hause streng zu isolieren und sich nicht auf ihre
Immunität zu verlassen.
n.
Die Proteusnatur der Skarlatina macht es begreiflich, daß ihr Ver¬
lauf oft dem Erfahrensten Überraschungen bereitet, und daß ein großes
Beobachtungsmaterial, wie es die Infektionsabteilungen der Kinderspitäler
aufweisen, dem aufmerksam Hinsehenden eine Fülle neuer Eindrücke
vermittelt. Diesen Umständen sind zwei Publikationen zu danken, welche
ich zum Ausgangspunkte meiner diesmaligen Ausführungen wählen will,
ich meine die Bearbeitung des Kapitels Scharlach durch B. Schick in
der zweiten Auflage des Schloß mann- Pf a u n d 1 e rischen Handbuches
der Kinderkrankheiten und die Monographie von Pospischill und Weiß,
welche vor einiger Zeit bei S. Karger in Berlin erschienen ist.
Ich habe bei dem genauen Studium dieser beiden Publikationen,
das ich jedermann auf das wärmste empfehlen kann, den Eindruck ge¬
wonnen, daß sich der Scharlachverlauf unter privaten Verhältnissen und
im Krankenhause ganz different gestaltet, so daß eine ganze Reihe von
Unstimmigkeiten, wie sie der Vergleich der persönlichen Erfahrung mit
den von den genannten Autoren mitgeteilten Beobachtungen ergibt, wohl
auf Rechnung dieses Umstandes zu setzen sein dürfte.
Andererseits lassen sich aber auch genügend viele Berührungs¬
punkte konstatieren, und speziell das so wichtige Kapitel der Therapie
bietet in dieser Hinsicht relativ erfreuliche Übereinstimmungen, welche
sich namentlich in dem Sinne bemerkbar machen, daß die frühere Poly¬
pragmasie einem ruhigeren, die armen Schwerkranken weniger belästigen¬
den Verfahren gewichen ist und speziell die gefahrbringenden dabei je¬
doch durchaus nicht sicher wirksamen Methoden verlassen hat.
Die Lehre von den natürlichen und künstlichen Infektionen steht
in den letzten Jahren unter dem Banne der Anaphylaxie, deren gesetz¬
mäßige Erscheinungsformen vielfach aufklärend, aber auch verwirrend
gewirkt haben. So ist es denn nur begreiflich, daß auch diese jüngste
Phase der experimentell-bakteriologischen Forschung in die moderne
Auffassungsweise des Skarlatinaverlaufes hineinspielt.
Was zunächst den Scharlacherreger anlangt, so muß auch aus diesen
auf ein gewaltiges Material basierten Untersuchungsreihen der Schluß
gezogen werden, daß die Streptokokken in der Ätiologie des Scharlach¬
fiebers eine sekundäre Rolle spielen, welche allerdings viel bedeutsamer
ist, als die der Mischinfekte bei anderen Infektionskrankheiten, indem
gewisse Phasen und Komplikationen des Verlaufes ganz unter ihrer
Herrschaft stehen und manche dem Spitalsmaterial eigentümlichen Er¬
scheinungen vorwiegend oder ausschließlich durch sie veranlaßt werden.
Eine sehr interessante Wendung hat die Auffassungsweise der
Skarlatina durch das Studium des sogenannten „zweiten Krankseins“
genommen, welche eigentümliche Periode im Krankheitsverlaufe von den
beiden Autoren in verschiedener Weise erfaßt wird. Pospischill, ein
Schüler Widerhoferis, steht ganz im Banne der durch diesen Meister
der klinischen Beobachtung favorisierten Richtung, perzipiert in brillanter
Weise den Symptomenkomplex und schildert ihn überaus anschaulich;
Schick folgt den Spuren Escherich’s, welcher in seinen klinischen
Arbeiten stets bestrebt war, den Zusammenhang mit den Ergebnissen
der experimentellen Forschung herzustellen.
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Scharlachfragen.
895
Was versteht man unter zweitem Kranksein? Eine Summe von
Symptomen, die sieh nach einem mindestens zwei Wochen währenden
lieber- und erscheinungsfreien Intervall bald im Bereiche dieser, bald
jener Organgebiete einstellen, im Gefolge leichter und schwerer Erkran¬
kungen auftreten können und eine Wiederholung der früheren Krankheits-
erscheiuungen repräsentieren, oder aber ein neues Moment in den Verlauf
einzeichnen. Wir, die wir unsere Erfahrungen auf privates Material
stützen, kannten diese Verlaufsperiode der Skarlatina nur unter dem
Bilde der Nephritis, welche, vollkommen der gegebenen Schilderung ent¬
sprechend, sich während der dritten oder vierten Krankheitswoche als
stete gefürchtete Phase in den Verlauf einschob und die bis dahin ruhigen
Zeiten rasch und gründlich verschlimmerte. Ich wüßte wenigstens aus
meiner persönlichen Beobachtung kein anderes Ergebnis zu nennen,
welches in diese Kategorie einzureihen wäre und sehe dabei selbstverständ¬
lich von jenen Fällen ab, bei denen der krankhafte Prozeß überhaupt
nicht zur Ruhe kam, sondern unter Fortdauer des Fiebers oder anderer
Erscheinungen immer neue Symptome produzierte. Denn das eigentliche
Wesen des zweiten Krankseins beruht ja darin, daß es erst nach einem
kürzeren oder längeren Intervall völligen Wohlseins sich einstellt.
Wir wollen zunächst die Symptome des zweiten Krankseins nach
der von Pospischill gegebenen Schilderung kurz Revue passieren lassen.
Sie bestehen in plötzlich einsetzendem Fieber, das entweder keinen
klinisch nachweisbaren Grund hat, oder durch die gleich zu erwähnenden
Erscheinungen eingeleitet oder ergänzt wird. Solche sind Drüsen -
affektionen verschiedener Intensität, welche in Schüben auftreten
können, wobei auch sonst kaum beteiligte Gruppen, wie die retropharyn¬
gealen, die axillaren und inguinalen, sowie die periportalen an die Reihe
kommen, Rachenaffektionen, von leichter Rötung und Schwellung bis
zu den höchsten Graden phlegmonös-nekrotischer Entzündung, meist mit
Ergriffensein der regionären Drüsen vergesellschaftet, die Nephritis in
ihren verschiedenen Abstufungen, Pneumonien, seröse Pleuritiden,
pyämische Infektionen, Scharlachrezidive. Alle diese Erschei¬
nungen sind also mit einziger Ausnahme der Nephritis, dadurch charak¬
terisiert, daß sie eine Wiederholung der im ersten Kranksein vorkommen¬
den Erscheinungen darstellen, wobei die Intensität gegenüber dem ersten
Debüt verstärkt oder abgeschwächt sein kann.
Ich muß gestehen, daß ich meine Erinnerung und meine Notizen
vergeblich durchstöbert habe, um etwas Analoges ausfindig zu machen,
was mir doch, da es in so eindringlicher Weise auf den Plan tritt, kaum
entgangen wäre. Auch Schick, welcher doch seine Beobachtungen an
einem dem PospischilPschen ziemlich analogen Material machte, betont
in seiner Schilderung der spezifischen Nachkrankheiten das Moment des
absolut symptomfreien Intervalls durchaus nicht mit der gleichen Schärfe,
sondern spricht davon, daß die von einem Primäraffekt aus in den Körper
des Kranken gedrungenen Scharlacherreger oder Mikroben der sekun¬
dären Infekte eine Zeitlang in ihrer Entwicklung gehemmt* werden, um
dann durch geringere Widerstandsfähigkeit oder aber Überempfindlichkeit
des Körpers sich neuerlich zu vermehren und zur Wirkung zu gelangen.
Immerhin gesteht aber auch dieser Autor zu, daß Ende der zweiten
Krankheitswoche eine spezifische Dispositionsperiode für postskarlatinöse
Erkrankungen einsetzt, die etwa bis zur siebenten Woche dauert und in
der dritten bis vierten Woche ihren höchsten Grad erreicht.
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896
R Fisch 1,
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Wir stehen somit vor einer Eigentümlichkeit der Skarlatina, für
die wir in unseren privaten Beobachtungen vergebens nach Analogien
suchen, und welche sich, meines Erachtens, nur durch den Einfluß des
hochinfektiösen Spitalmilieus erklären läßt, welches ja auch dem Verlaufe
anderer akuter Infektionskrankheiten, ich nenne nur die Masern und den
Keuchhusten, seinen Charakter aufprägt.
Ich kann mich einerseits nicht dazu entschließen, in dem geschil¬
derten Symptomenbilde den Ausdruck einer anaphylaktischen Reaktion
zu erblicken, andererseits auch nicht damit einverstanden erklären, daß
die auch unter privaten Verhältnissen in gewissen Epidemien recht
häufige Nephritis mit den beschriebenen Erscheinungen analogisiert wird.
Halten wir uns streng an den Begriff der Anaphylaxie, und wir
müssen dies doch tun, wenn wir in der Erkenntnis dieser Dinge weiter
kommen wollen, so ist dieser dahin zu definieren, daß bei einem auf
natürlichem oder künstlichem Wege mit bestimmten Mikroben, ich will
die anderen Arten der Anaphylaxieerzeugung hier außer acht lassen,
infizierten Individuum die nach einem bestimmten, etwa zwei Wochen
betragenden, Intervall erfolgende Reinfektion auf natürlichem oder künst¬
lichem Wege die Erscheinungen der ersten Infektion in intensiverer und
zeitlich abgekürzter Weise wiederholt. Dabei kommt es natürlich auch
darauf an, wo diese zweite Infektion einsetzt.
Stimmen nun die Erscheinungen des sogenannten zweiten Krank¬
seins mit diesen Postulaten? Sicher nur teilweise. Ich gebe ohne weiteres
zu, daß die Wiederholung des primären Exanthems in präzipitierter und
verstärkter Form, wie dies Pospischill beschreibt, während wir solche
Beobachtungen bei Schick vollständig vermissen, allenfalls in diesem
Sinne gedeutet werden könnte; ich leugne aber die Berechtigung, eine
in der dritten Krankheitswoche oder später auf tretende pyämische In¬
fektion in dieser Weise zu erklären, oder ein plötzlich einsetzendes und
ebenso schnell wieder abklingendes Fieber ohne nachweisbare Ursache,
oder eine zu Nekrose führende Spätaffektion des Rachens u. dgl. m.
Wir stehen, und das scheint mir an der ganzen Sache das Bedenk¬
lichste zu sein, in einem unlösbaren Widerspruche mit den durch viel¬
jährige und vieltausendfältige Erfahrungen aufgestellten Immunitäts-
gesetzen, deren allgemeine Geltung ich in dem ersten Artikel zu beweisen
bemüht gewesen bin. Übrigens scheint den beiden Autoren der gleiche
Gedanke aufgestiegen zu sein, denn sowohl Pospischill als Schick
betonen an mehreren Stellen ihrer Ausführungen, daß wohl das hoch¬
infektiöse mit den Erregern des Scharlach und seiner Sekundärinfekte
übersättigte Spitalmilieu bei der Schaffung dieser eigentümlichen Ver¬
läufe mitspiele.
Daß die Nephritis in eine andere Kategorie von Symptomen ein¬
zureihen ist, beweist meines Erachtens schon der Umstand, daß wir ihr
unter den primären Erscheinungen des Scharlach so gut wie niemals
begegnen; ich kann wenigstens mit aller Bestimmtheit sagen, daß ich
auch bei schwersten Scharlachfällen eine in den ersten Krankheitstagen
einsetzende hämorrhagische Entzündung der Nieren mit Ödemen, hoch¬
gradiger Albuminurie und urämischen Erscheinungen nicht gesehen habe.
Allerdings bin ich aber auch nicht in der Lage, die Entstehung der
Scharlachnephritis in anderer Weise zu erklären und muß mich damit
bescheiden, zu sagen, daß wir uns eben einem der vielen Rätsel gegen¬
über befinden, welche uns der Verlauf der akuten Infektionskrankheiten
biß auf weiteres aufzulösen gibt.
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Scharlachfragen.
897
Diese Divergenzen zwischen privatem und Spitalmaterial zeigen
sich auch auf anderen Gebieten, so in der überaus lange anhaltenden und
auf keine Weise zu beseitigenden Infektiosität der Rekonvaleszenten,
welche die bereits in dem vorigen Artikel erwähnten Heimkehrfälle ver¬
anlassen. Solcher Tenazität des Erregers begegnet man wohl auch ab
und zu in der privaten Praxis, allerdings in umgekehrter Weise, indem
die zu dem Patienten zurückkehrenden Geschwister erkranken, und es
ist wohl nicht mit aller Sicherheit zu entscheiden, ob der Grund dieser
Tatsache im Versagen der sonst stets als wirksam erkannten Desinfek¬
tion, oder darin zu suchen ist, daß der genesene Patient als Bazillenträger
die Ansteckung vermittelt, wie wir dies ja aus den Erfahrungen bei
anderen Infektionskrankheiten mit bekannten Erregern wissen. Gerade
die Erfahrungen PospischilPs, welcher mit seinen Desinfektionsma߬
nahmen bis an die Grenze der Möglichkeit gegangen ist, und die relative
Seltenheit solcher Vorkommnisse außerhalb des Spitals sprechen, meiner
Meinung nach, zugunsten der oben erwähnten Annahme. Daß dieselben
sprechende Zeugen für die hochgradige Infektiosität der Skarlatina und
die besondere Widerstandsfähigkeit ihres Erregers sind, braucht wohl
nicht erst betont zu werden. Wo sich dieser Infektionsstoff hält, ob in
den oft verzweifelt lange nicht zu beseitigenden Schuppen der Hand¬
elnd Fußteller, oder aber im Nasenrachenraum, wird sich vor Entdeckung
des schuld tragenden Mikroorganismus nicht entscheiden lassen, doch
spricht manches zugunsten der zweiterwähnten Annahme, denn ich ver¬
füge über eine Reihe von Beobachtungen, in welchen, trotz ungemein
hartnäckiger Desquamation an den genannten Stellen, welche ich aller¬
dings durch regelmäßige, mehrmals täglich wiederholte Sublimat-Seifen¬
waschungen unschädlich zu machen suchte, eine Ansteckung nicht ver¬
mittelt worden ist.
Auch die Übertragung durch Gegenstände spielt bei der Verbreitung
der Skarlatina sicher eine nicht unwichtige Rolle; zu dem von mir im
vorigen Artikel erwähnten Falle, in welchem dieselbe durch ein Darm¬
rohr erfolgte, bildet eine Beobachtung von Schick das Pendant, der nach
zwei Jahren Verschleppung des Scharlach durch die bis dahin aufgehoben
gewesenen Kleider eines dieser Krankheit erlegenen Kindes sah.
Vor einigen Jahren hat Feer auf die diagnostische Bedeutung der
sogenannten Nagellinie hingewiesen, aus deren Vorhandensein auf vor¬
ausgegangenen Scharlach geschlossen werden könne, und auch Schick
betont die Wichtigkeit dieses Nachweises. Auf Grund meiner Erfahrung
möchte ich mich nicht in so apodiktischem Sinne aussprechen, denn, wie
ich bereits an anderen Stellen gesagt habe, beobachtet man Abstoßung
der Nägel mit Nachrücken neuer Nagelsubstanz vom Grunde her und
dadurch bedingte Formation einer langsam gegen die Fingerspitze rücken¬
den queren Riefe auch nach anderen konsumierenden Erkrankungen;
so sah ich dies an mir selbst im Gefolge eines mittelschweren Abdominal¬
typhus, welcher mich körperlich ziemlich stark herunterbrachte, und bei
mehrfachen sonstigen Gelegenheiten.
Was die Frage der Endokarditis im Verlaufe der Skarlatina anlangt,
so ist Schick der Ansicht, daß nächst dem akuten Gelenkrheumatismus
der Scharlach jene Erkrankung ist, nach der am häufigsten Klappen¬
fehler zustande kommen, und ich verfüge selbst über eine ganze Reihe
von Herzfehlern, welche in ihrer Entstehung auf eine Skarlatina zurück¬
datieren, ohne daß es im Verlaufe derselben zu intensiverer Beteiligung
der Gelenke gekommen wäre, die etwa den Gedanken an das Inter-
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R. Fisch 1,
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klinieren eines akuten Gelenkrheumatismus nahegelegt hätte. Diese
Beobachtungen können auch nicht besonders überraschen, wenn wir be¬
denken, welch wichtige, meiner Ansicht nach sogar etwas übertriebene
Rolle der Angina, die ja im Symptomenbilde des Scharlach so sehr her¬
vortritt, in der Genese dar Endokarditis eingeräumt wird. Umsomehr
muß es Wunder nehmen, wenn ein so erfahrener und scharf beobachten¬
der Autor wie Pospischill sich zu dem Ausspruche veranlaßt sieht, in
der Genese der Vitien spiele der Scharlach gar keine Rolle.
Er stützt sich hierbei darauf, daß die am Herzen klinisch nach¬
weisbaren Erscheinungen in den zur Heilung kommenden Fällen restlos
zuriickgeheu, und bei den letal abgelaufenen die Sektion niemals Ver¬
änderungen im Bereiche des Endokards nach weist. Ich glaube, daß ihm
weder der pathologische Anatom noch der Kliniker beistimmen werden,
denn ersterer findet oft genug, auch ohne pyämische Infektion, für welche
Pospischill dies zugibt, schwere Veränderungen an den Herzklappen,
und der letztere hat, wie erwähnt, unter seinen Scharlachrekonvaleszenten
eine genügend große Zahl solcher, die das Kainszeichen der überwundenen
schweren Krankheit zeitlebens im Herzen tragen. Wohl aber kann ich,
wieder auf Grund der persönlichen Erfahrung, die Angabe bestätigen,
daß selbst sehr imponierende auskultatorische Befunde im Bereiche des
Herzens, wie sie sich auf der Höhe der Erkrankung konstatieren lassen,
später spurlos verschwinden, so daß ich mit der Vorhersage betreffs der
Folgen für den Kreislauf immer sehr zurückhaltend bin, da ich wieder¬
holt feststellen konnte, daß dieser völlige Rückgang Monate auf sich
warten ließ, schließlich aber doch eintrat.
Man muß überhaupt mit der Prognose bei einer so unberechenbaren
Krankheit, wie es der Scharlach nun einmal ist, sehr vorsichtig sein,
und ich halte das von Moser in dieser Richtung aufgestellte Schema
für ein wenig künstlich konstruiert. Wie oft überrascht uns der aufangs
in harmlosester Weise sich präsentierende Verlauf durch eine unvorher¬
gesehene schlimme Wendung, die das am Vortage noch heiter-teilnahms¬
volle Kind niederwirft und mit den Schatten des Todes zeichnet; und
wie oft tritt trotz allarmierender Initialsymptome mit schwerer Beein¬
trächtigung des Sensoriums, Jaktation, Delirien usw. plötzlich eine Besse¬
rung ein, die innerhalb weniger Stunden das Bild im günstigen Sinne
verschiebt. Das gilt auch vom Temperaturverlauf, der durchaus nicht
immer, wie Schick sagt, lytisch der Deferveszenz zustrebt, sondern auch
kritische Entfieberung bringen kann, was namentlich im Hinblick auf
die Beurteilung der Resultate der sogenannten spezifischen Therapie
nicht vergessen werden darf.
Uns allen, die wir es mit der Kinderheilkunde ehrlich meinen und
implizite begeisterte Kinderfreunde sind, wäre es ein Herzenswunsch, in
den Besitz eines Mittels zu gelangen, welches, rechtzeitig und in ent¬
sprechenden Mengen angewendet, den Verlauf in so augenfälliger Weise
günstig beeinflußt, wie es das Diphtherieheilserum, diese glänzendste
therapeutische Errungenschaft des abgelaufenen Jahrhunderts, tut.
Selbst Schick, der doch im Dunstkreise der Scharlachserumbehand¬
lung aufgewachsen ist, äußert sich über ihre Erfolge sehr reserviert,
die anfängliche Begeisterung, mit welcher das neue Mittel empfohlen
wurde, scheint auch an seiner Ursprungsstätte einer starken Ernüchte¬
rung Platz gemacht zu haben. Ich kann nicht einmal den Beweis an¬
erkennen, welcher im Vergleiche des Scharlach Verlaufes bei Geschwistern,
die mit und ohne Serum behandelt wurden, erblickt wird, dazu handelt
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Scharlachfragen.
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es sich doch um eine zu kapriziöse Krankheit, die auch unter solchen
Verhältnissen unberechenbare Differenzen aufweist.
Nehmen wir dazu das vernichtende Urteil PospischilFs, welcher
mit den besten Hoffnungen an die Erprobung des Scharlachserums heran¬
ging und ihm jetzt eine Reihe schwerer Zufälle, ja letaler Ausgänge
direkt zuschreibt, so kann dies nur dahin führen, die mit so großen
Erwartungen inaugurierte Therapie in jenem Massengrabe zu versenken,
das so viele im Laufe der Jahre dahingeschwundene therapeutische
Hoffnungen birgt
Jedenfalls ist dies viel verdienstlicher, als aus falscher Scham an
einem Verfahren festzuhalten, das, schon in seinen theoretischen Grund¬
lagen höchst mangelhaft fundiert, in den Händen vorurteilsfreier Beob¬
achter sicher nicht genützt, vielleicht sogar geschadet hat.
Ich habe schon eingangs erwähnt, daß die Scharlachbehandlung
erfreulicherweise die früheren polyp ragmatischen Wege verlassen hat und
relativ einfach geworden ist, was wir im Interesse der armen Patienten
nur freudig begrüßen können. Ich selbst habe niemals zu den thera¬
peutischen Heißspornen gehört und im Laufe der Jahre den Glauben
an diese oder jene hochgepriesene Methode eingebüßt, vermeide nament¬
lich jede unnütze Quälerei und empfinde es als wirkliche Genugtuung,
daß die gleichen Erfahrungen, wie ich sie im bescheidenen Kreise der
persönlichen Erfahrung gemacht habe, in den imponierenden Versuchs¬
reihen der Scharlachabteilungen großer Spitäler bestätigt werden.
Seit einer langen Reihe von Jahren verfechte ich die absolute
Wertlosigkeit der diätetischen Prophylaxe der Nephritis und betone die
Schwierigkeit der Durchführung absoluter Milchdiät sowie die Nachteile
derselben, welche sich in Anämie, Verlust des Appetits und hochgradiger
Obstipation bemerkbar machen. Es ist eine erfreuliche Bestätigung dieses
Standpunktes, daß Pospischill in zwei Versuchsreihen von je ca. 1200
Patienten, von denen die eine Gruppe bei reiner Milchkost, die andere
bei gemischter Diät gehalten wurde, eine Differenz von 0,17°/ o Nephritis¬
häufigkeit konstatieren konnte, womit wohl die sogenannte Schonungsdiät
endgültig abgewirtschaftet haben dürfte.
Auch was ich in Budapest über die Wertlosigkeit der salzarmen
Nahrung als Schutz gegen Scharlachnephritis gesagt habe, findet in den
auf ein großes Material gestützten Erfahrungen PospischilPs volle
Bestätigung, der auch mit der prophylaktischen Therapie durch Urotropin
und Terpentinöl nur Mißerfolge erzielte.
Unserem therapeutischen Können sind ja beim Scharlach überhaupt
recht enge Grenzen gesteckt, und so sehr ich in manchen Fällen von
dem offensichtlichen Effekt des warmen Bades mit folgender Schwitz¬
packung, des Aderlasses und der nachfolgenden Infusion physiologischer
Kochsalzlösung bei urämischen Zuständen mich überzeugen konnte, ver¬
sagten auch diese Verfahren bei anderen Patienten, trotzdem sie mit
gleicher Energie und zur selben Zeit zur Anwendung kamen, ohne daß
die Ursachen dieser Differenz klar geworden sind.
Uber den Wert der absoluten Milchdiät bei Scharlachniere waren
mir gleichfalls schon seit geraumer Zeit Zweifel aufgestiegen, die mich
veranlaßten, sie allmählich aufzugeben, wofür ich sowohl in den Mit¬
teilungen von Schick, als in denen von Pospischill volle Bestätigung
finde. Hingegen möchte ich in Fällen, welche mit starken Ödemen
einhergehen, salzarme Nahrung als wirksames Entwässerungsmittel des
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S. Leo,
Körpers warm empfehlen, zumal sich dies bei geschicktem Vorgehen ohne
besondere Schwierigkeiten durchführen läßt.
So skeptisch ich im allgemeinen den verschiedenen therapeutischen
Vorschlägen gegenüberstehe, die gerade dort, wo man ihre Wirkungen
braucht, oft genug versagen, habe ich doch in genügend zahlreichen vor¬
urteilsfrei beobachteten Fällen, sowohl durch den persönlichen Eindruck
als auch durch Vergleich mit andersartigem Vorgehen den bestimmten
Eindruck gewonnen, daß wir in den ausgiebigen, mit Irrigator vorge¬
nommenen Reinspülungen des Rachens ein Verfahren besitzen, welches
bei schweren Rachen- und Nasenentzündungen mit septischen Allgemein¬
symptomen wertvolle Dienste leistet, die sich in relativ schneller Reinigung
des Pharynx und des Cavum pharyngonasale, Änderung des Gesamt¬
eindruckes, Wiederkehr der völlig darniederliegenden Eßlust und Fieber¬
abfall äußern, so daß ich auf diese Methode nicht mehr Verzicht leisten
möchte, über deren Verwendung ich in den beiden hier erwähnten Publi¬
kationen keine Angaben finde.
Ich kann auch den Standpunkt nicht teilen, welchen Pospischill
gegenüber den schweren Affektionen des mittleren und inneren Ohres
einnimmt, da ich wiederholt von rechtzeitig und durch die geeignete
Person durchgeführten operativen Eingriffen lebensrettende Erfolge
trotz bereits vorhandener schwerer zerebraler und septischer Symptome
gesehen habe.
Es bietet also die scheinbar in ihrem klinischen Wesen so gut ge¬
kannte Skarlatina auch in dieser Richtung noch eine Fülle neuer Ein¬
drücke, denen sich kein aufmerksamer Beobachter verschließen kann, und
die zum Teil in durchgreifenden Verlaufsdifferenzen zwischen privatem
und Spital material begründet sind. Die Deutung derselben wird wohl
erst dann sicher möglich sein, wenn wir über den Erreger des Scharlach¬
fiebers volle Klarheit gewonnen haben. Diese dürfte auch unserem pro¬
phylaktischen und therapeutischen Vorgehen neue Bahnen weisen, und
so kann ich nur mit der Hoffnung schließen, daß diese einem so gefähr¬
lichen Leiden gegenüber so wichtige Erkenntnis nicht mehr lange auf
sich warten lasse.
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von Dr. S. Leo.
Über die Zelluloidstahldrahttechnik und ihre Anwendung
zur Herstellung von orthopädischen Apparaten sprach Karl
Preleitner. (Gesellschaft für innere Medizin.)
DieVorteile dieser Methode gegenüber den Apparaten der Bandagisten
bestehen darin, daß der Arzt sie zu Hause unter seiner Aufsicht her-
stellen lassen kann, was ein genaueres Anpassen an den einzelnen Fall
ermöglicht, ferner sind diese Apparate leichter und billiger. Sehr wichtig
ist die Herstellung des Gipsmodells, das der Arzt unter allen Umständen
selbst besorgen muß. Das Modell muß schon in der korrigierten oder
überkorrigierten Stellung, die der betreffende Körperteil dann im Apparate
einnehmen soll, abgenommen werden. Man umwickelt den Körperteil
mit Gips und hält ihn solange in der gewünschten Stellung, bis der
Gips hart geworden ist. Dann schneidet man das Modell über einem
früher unterlegten Gurte auf, umwickelt es wieder mit einer Binde und
gießt nun mit Gipsbrei aus. Nimmt, man das Modell von dem hart ge¬
wordenen Gips ab, so hat man das Positiv in der gewünschten Stellung*
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Wiener Brief.
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und kann nun der Apparat darüber arbeiten. Aber nicht in allen Fällen
kann man den Körperteil so halten, wie dann seine Stellung im Apparate
gewünscht wird. In diesen Fällen nimmt mau das Modell in der best¬
möglichen Stellung ab und korrigiert dann das Positiv durch Abschaben
oder Auflegen von Gips. Bei Anfertigung von Plattfußeinlagen z. B.
muß man am Positiv die Fußhöhlung erst durch Abschaben des Gipses
herstellen. Bei Herstellung von Klumpfußschienen muß man beim Positiv
durch Auflagen von Gips oder Filzstücken auf die Außenseite des calcaneus
und auf die Kleinzehengegend erst eine künstliche Vertiefung über die
Tuberos. ossis metat. quinti schaffen, in welche hinein dann die Schiene
gearbeitet wird. Es entsteht dann dort an der Schiene ein Hypomochlion,
über welches Ferse und Fußspitze mit Bändern nach außen gezogen
werden, um die Inflexion zu beseitigen. Beim positiven Gipsausguß einer
Skoliose muß man den Rippenbuckel ganz wegnehmen und auf der
anderen Seite einen künstlichen Rippenbuckel durch Auflagen von Gips
erzeugen. Nach der Anfertigung des Modells beginnt die eigentliche
Zelluloidstahldrahttechnik. Über das eingefettete Modell werden
Gurten gelegt, die mit Zelluloidazetonlösung bestrichen sind. Diese
müssen genau aneinander stoßen, ohne sich zu decken. Ein darüber
gewickelter Bindfaden fixiert sie, bis das Zelluloid fest geworden ist.
Nun werden Stahldrähte nach verschiedenen Richtungen genau dem Modell
umgebogen und ebenfalls mit Zelluloidlösung auf den Gurten fixiert. Die
Stahldrähte verleihen dem Apparat jene Festigkeit, die besonders für
Plattfußunterlagen notwendig ist Über die Drähte kommt abermals eine
Lage von Möbelgurten, mit Zelluloidlösung bestrichen, und auch diese,
werden mit Bindfaden fixiert. Ist das Ganze trocken geworden, dann
schneidet man die Ränder entsprechen fl zu, probiert es am Pat. selbst
und überzieht es mit Trikot oder Leder. Für die kranke Wirbelsäule
lassen sich mit dieser Technik ebenfalls sehr geeignete Apparate her¬
stellen, so eine Krawatte bei Spondylitis cervicalis, und die Liegebetten
bei Spondylitis, tiefersitzende dann für Skoliosen.
Über Abortus bei Abdominaltyphus sprach im Anschlüsse an
die Vorstellung einer 26jährigen Frau, die zu Beginn des 4. Schwanger¬
schaftsmonates vom Abdominaltyphus befallen wurde und nach weiteren
3 Wochen abortierte, Hans Thal er: Gegenüber den Autoren, die ge¬
neigt sind, den bei der Komplikation von Typhus mit Gravidität so
häufig erfolgenden Abortus auf spezifisch entzündliche Vorgänge im
Endometrium und in der Plazenta zu beziehen, betont Th., daß in diesem
Falle weder in der Plazenta noch innerhalb der anhaftenden Decidua
irgendwelche Veränderungen nachweisbar waren; trotz des positiven
kulturellen Bazillenbefundes in den fötalen Organen erwiesen sich auch
diese Organe bei der histologischen Untersuchung als völlig normal, so
daß Abgestorbensein oder krankhafte Veränderungen der Frucht als
etwaige Ursachen des Abortus in diesem Falle nicht in Betracht kommen.
Es bleibt sonach die Ursache der übrigens ohne wesentliche pathologische
Symptome abgelaufenen Fehlgeburt in einer abnormen Kontraktions¬
tätigkeit des graviden Uterus infolge toxischer Beeinflussung oder im
Zusammenhänge mit dem Fieber zu suchen. Der positive Bazillenbefund
beim Fötus (durch Fleckseder) reiht sich an mehrere gleiche, in der
Literatur festgelegte Befunde an. Manche Autoren rechnen sogar mit
der Möglichkeit einer Überwanderung von Typhusbazillen auf die Frucht
durch die intakte plazentare Scheidewand, die sich ja sonst dem Vor¬
dringen korpuskularer Elemente als zumeist wirksame Barriere entgegen-
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stellt. Bemerkenswert ist in biologischer Hinsicht der in diesem Falle
gelungene Nachweis von Agglutininen im fötalen Serum und im Frucht¬
wasser. In der Literatur finden wir, daß ungefähr in der Hälfte der
Fälle positive Agglutininbefunde bei den Früchten typhuskranker Mütter
erhoben werden konnten, während in der anderen Hälfte der untersuchten
Fälle — manchmal bei stärkster Agglutination von seiten der Mutter —
das kindliche Serum als völlig frei von Agglutininen befunden wurde.
Th. konnte nicht einen Zusammenhang etwa zwischen dem Stadium der
Schwangerschaft, in dem die Erkrankung einsetzte, oder der Länge der
Zeit, während welcher die Frucht im Kontakt mit dem erkrankten mütter¬
lichen Organismus bleiben konnte, aufdecken. Dies steht in Analogie
mit den Befunden Kreidls und Mandeis, die den Übergang von
Hämolysinen von der Mutter auf die Frucht ebenfalls nur gelegentlich
beobachten konnten; die genannten nahmen an, daß, je ‘länger ein Fötus
im Zusammenhänge mit der Mutter nach eingetretener Immunkörper¬
bildung bleibt, umsomehr auch die Wahrscheinlichkeit eines Übertrittes
von Immunkörpern sich vergrößert. Da in dem Falle Th aler-Fleck-
seder der Agglutiningehalt des Fötus beträchtlich geringer war als bei
der Mutter, so kann dieser Fall nicht geeignet sein, Material für die
Beantwortung der Frage zu bilden, ob nicht der fötale Organismus selbst
schon imstande ist, gegenüber der Invasion von Typhusbazillen oder
ihren Toxinen mit Agglutininen zu reagieren. Die Möglichkeit einer
Eigenproduktion von Agglutininen erscheint einigermaßen wahrscheinlich
auf Grund eines von Etienne publizierten Falles, bei dem ausnahms¬
weise bei einem Fötus ein beträchtlich höherer Agglutiningehalt nach¬
weisbar war als in dem Serum seiner an Typhus erkrankten Mutter.
So mächtig der deletäre Einfluß eines Typhus auf eine gleichzeitig vor¬
handene Schwangerschaft sich gestaltet, so wenig dürfte sich im All¬
gemeinen der Verlauf der Erkrankung durch eine mit ihr einhergehende
Schwangerschaft komplizieren. Öfters wurden jedoch, wenn es zur Fehl¬
geburt kam, abundante Blutungen beobachtet. Diese Erfahrungen recht-
fertigen den Standpunkt des Geburtshelfers, sich bei dieser Komplikation
des größten Konservatismus zu befleißigen. (Ebenda.)
Leopold Freund sprach über die Bandagenbehandlung bei
Gastroptose: Auffallenderweise haben die Bandagen bei Gastroptose
wenig Erfolg, obwohl sie von dem richtigen Gedanken ausgehen, daß
eine Besserung der Verdauungsbeschwerden eintreten müßte, wenn dein
gedehnten Magen die durch Senkung der Dünndarmschlingen und des
Querkolons, sowie durch Dehnung der Bauchdecken verloren gegangene
Unterlage und Stütze von außen her durch die Bandage geboten wird.
Viele Pat. aber legen diese Bandagen bald wegen der durch sie ver¬
ursachten Beschwerden ab und nehmen lieber das durch die Krankheit
gebotene Unbehagen in Kauf. Freund ist den Ursachen nachgegangen
und kommt zum Schlüsse, daß vor Anlegung einer Polotte jedesmal
eine Röntgenaufnahme gemacht werden soll. Zuerst wird auf diesem
Wege der Umriß der großen Kurvatur des gefüllten ptotischen Magens
festgestellt. Nach der so ermittelten Linie wird die Pelotte der Bandage
geformt. Unter Kontrolle des Röntgenschirms wird die Pelotte an der
richtigen Stelle des Abdomens am Leibgurte befestigt, so daß die große
Kurvatur genau in den oberen Einschnitt der Pelotte hineinpaßt. Die
Pelotte wird durch den Druck einer Feder und durch elastische breite
Riemen fixiert, die um den Bauch herum zu dem hohen mit festen Ein¬
lagen versehenen Riickeustück hinziehen, daß ihnen eine gute Stütze gibt.
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Allerdings werden wir auch durch diese Modifikation nicht imstande
sein, Gastroptosen beim Hängebauch zu heilen. In der Diskussion weist
Eiseisberg darauf hin, daß man wohl auf diese Art den Magen momentan
heilen kann, doch dürfte infolge der wechselnden Ausdehnung des Appa¬
rates die Wirkung keine dauernde sein. (Gesellschaft der Ärzte in Wien.)
Uber Röntgentherapie in der Gynäkologie sprach B. Kelen.
Auf der Klinik Barsony’s hat K. ausgedehnte Beobachtungen gemacht.
Die Pat. erhält monatlich nur eine volle Dosis, die Kosten der ein¬
monatlichen Behandlung betragen weniger als 1 Krone. Die Resultate
waren folgende: 1. Inoperable maligne Neubildungen zeigen mit wenigen
Ausnahmen auffallend rasche Besserung. Sehr ausgesprochen ist die
schmerzstillende Wirkung und die Hebung des Allgemeinbefindens. Die
Pat. gewinnt durch die Behandlung ihr Vertrauen zurück, die Blutungen
schwinden, die Geschwulst verkleinert sich, bis an anderen Stellen
Metastasen auftreteu, die schließlich den exitus herbeiführen. 2. Pro¬
phylaktische Bestrahlungen nach Operationen maligner Neubildungen
behufs Verhütung der Rezidive: Jede operierte Pat. erhält vor Ver¬
lassen der Klinik eine sehr starke Bestrahlung. Entgültiges Urteil über
diese Fälle steht noch aus. 3. Zur Hervorrufung eines künstlichen Aborts
sind die Röntgenstrahlen auf Grund der bisherigen Versuche ungeeignet.
4. Genitale Blutungen und Menstruationsbeschwerden: Schon ÄIbers-
Schönberg wies auf die Unterschiede hin, die zwischen der Röntgen¬
sensibilität der Ovarien jugendlicher und bejahrter Individuen besteht.
Dem im Klimakterium befindlichen, sich rückbildenden Ovarium geben
die Röntgenstrahlen rasch den letzten Rest und rufen die dauernde Meno¬
pause hervor. Bei jugendlichen Individuen ist längere Behandlung not¬
wendig. Das lebensfähige jugendliche Ovarium verträgt sehr kräftige
Bestrahlungen; deshalb braucht man bei Behandlung der Blutungen und
Menstruationsbeschwerden keine besondere Rücksicht auf die Vermeidung
der Gefahr der Sterilität nehmen. Die Röntgenisierung aus dieser
Indikation wird natürlich nur dann angewendet, wenn alle anderen Be¬
handlungen erfolglos sind. Es sind dies meist seit langer Zeit bestehende
profuse Blutungen, bei denen die eventuell doch auftretende periodische
Sterilität direkt wünschenswert ist. K. behandelte 17 solche Fälle und
fand stets nach 13 Monaten gute Resultate. 5. Die Sterilisierung der
Ovarien hat K. in 7 Fällen von die Schwangerschaft kontraindizierenden
Krankheiten durchgeführt. Bisher wurde noch keine dieser Pat. ge¬
schwängert. 6. Bei Myomen wurde die Bestrahlung in 33 Fällen ver¬
sucht. Jedes Myom bildet sich auf Röntgenisierung, wiewohl nicht gleich¬
mäßig rasch, zurück, die Verschrumpfung geht bei dem Klimakterium
näher stehenden Pat. rascher vor sich als bei jugendlichen. Zuerst tritt
eine Besserung der Herzfunktion, der Anämie, der Zirkulationsstörungen
und der Blutungen hervor, dann folgt die Rückbildung des Myoms. Bei
Dosen mit großer Penetration ist die Rückbildung bei einem Viertel der
Fälle sehr rapid. Bis zum Nabel und darüber reichende Myome ver¬
kleinern sich unter 4 Monate^ meist zu drei Finger- bis Handteller¬
umfang. Die Unterschiede zwischen operativem Vorgehen bei Myomen
und Röntgen sind folgende: 1. Die Operation bringt momentan Abhilfe,
die Röntgenisierung führt erst nach langer Zeit zum Resultat. Die
Mortalität der Operation ist übermäßig groß, die Gefährlichkeit der
Röntgenbehandlung gleich Null. (Gesellschaft der Ärzte in Ofen-Pest.)
Wie weit hat sich die Wertheim’sche Operation bewährt?
Uber diese Frage sprach P. Kubiuyi: Ihre Vorteile übertreffen die
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Nachteile der Methode, sie erhöhte die Operabilität von 10 auf 20, selbst
auf 70—80 °/ 0 ; die Parametrien, insbesondere den wichtigen hinteren Teil
mit den Lymphwegen können wir mit dieser Operation am besten ent¬
fernen. Hinsichtlich der Möglichkeit der Resektion des Ureters kann
keine Operationsart mit ihr wetteifern, während die Heilerfolge der alten
Exstirpation durch die Scheide höchstens auf 9—10 °/ 0 zu veranschlagen
sind. Ein weiterer Vorteil ist ihre Anwendung bei mit Gravidität
kompliziertem Krebs. Ihr Nachteil ist die Ureternekrose, die aber in
der Folge weniger in die Erscheinung treten wird, wenn wir nicht ge¬
waltsam den Ureter auspräparieren, sondern ihn, wenn möglich resezieren
werden. Auch die Zystitis ist ein Mangel des Verfahrens, der aber auch
der Schauta’schen Operation anhaftet. (Ebenda.)
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über die Darmwirkung des Schwefels.
Von Dr. Theodor Frankl, Spezialarzt für Magen-Darmkrankheiten in Prag.
Der Schwefel wird seit altersher als eines der mildesten Abführ¬
mittel bei vielen chronischen Darmleiden verwendet und zeichnet sich
unter den vielen anderen Abführmitteln dadurch aus, daß er wochen- ja
monatelang eingenommen werden kann, ohne daß bisher irgendwelche
schädigende Einflüsse auf den Verdauungstrakt beschrieben worden wären.
Wie die Abführwirkung zustande kommt, welcher Mechanismus im Darme
während der Abführwirkung sich abspielt, blieb eigentlich bis in die
neuere Zeit ungeklärt. Erst Buchheim und Krauß sprachen eine
Hypothese aus, die besagte, daß unter der Wirkung der Alkalien im
Darme direkt ein alkalisches Schwefelmetall entsteht, das abführend
wirken muß. Diese Theorie wurde von Regensburger widerlegt.
Letzterer stellte, gestützt auf entsprechende Versuche, die Theorie auf,
daß der Schwefel in Schwefelwasserstoff übergeht, der von den Darm¬
flüssigkeiten resorbiert wird, oder als Gas in die Blutbahn Übertritt.
Diese Ansicht wurde nun auch in neuester Zeit von Heffter durch
Versuche gestützt und dadurch geschah es, daß die Schwefelwasserstoff¬
theorie der Wirkung des Schwefels auch in die modernsten Lehrbücher
der Pharmakologie als feststehende Tatsache übernommen wurde.
Frankl wies nun durch großangelegte Versuche nach, daß eine
Umwandlung des Schwefels in H 2 S im Darme nicht stattfindet, sondern
ein oxydativer Prozeß vor sieh geht, durch den der eingenommene
Schwefel — im Magen bleibt er unverändert — beim Betreten des Darms
zuerst, in Schwefeldioxyd resp. schweflige Säure umgewandelt wird, welche
nach den Untersuchungen von Pfeiffer, wenn auch in Speisen vor¬
handen, genügt, um eine starke Hyperämie der Darmschleimhaut und
erhöhte Peristaltik hervorzurufen und au£ diese Weise Abführen zu be¬
wirken. Würde jedoch die Oxydation des Gesamtschwefels nur zur S0 2
geschehen, müßte es zu toxischen Erscheinungen und schweren Ver¬
änderungen des Darmtraktes kommen. Der Organismus wehrt sich
jedoch gegen diese Schädlichkeiten dadurch, daß er nur Spuren von S0 2
entstehen läßt und rasch die Oxydation des Schwefels zu Schwefelsäure,
ja sogar eine Synthese von Atherschwefelsäure entstehen läßt, welche
Endprodukte der Oxydation als unschädliche Stoffe teils im Harne, teils
im Kote ausgeschieden werden.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
905
Die Oxydation des Schwefels zu S0 2 geht nur im lebenden Darme
vor sich, wird wahrscheinlich durch uns unbekannte oxydative Fermente
hervorgerufen-; der Prozeß ist daher ein rein biologischer, was auch der
Umstand beweist, daß eine ähnliche Oxydation an der lebenden Haut
nachweisbar ist, während die tote Haut eine Umwandlung des Schwefels
in SO, nicht zustande bringen kann.
Nach den Untersuchungen von Frankl ist die Abführwirkung des
Schwefels folgendermaßen zu erklären:
In der Darmschleimhaut wird der Schwefel teilweise zu schwefliger
Säure oxydiert, die in diesen Mengen reizend auf die Darmschleimhaut
einzuwirken imstande ist, indem sie Hyperämie, sowie erhöhte Peristaltik
hervorruft.
Syphilis als Erblindungsursache bei jugendlichen Individuen.
Von Dr. Igersheimer, Halle.
(Vortrag gehalten in der Vereinigung der Augenärzte von Sachsen, Thüringen usw.
zu Halle am 4. Mai 1911.)
In den zahlreichen vorliegenden Blindenstatistiken fehlen bisher ver¬
wertbare Angaben über die Häufigkeit der Syphilis als Erblindungs¬
ursache. Igersheimer suchte diesem Mangel dadurch abzuhelfen, daß er bei
187 klinisch genau in der Universitäts-Augenklinik zu Halle untersuchten
Zöglingen der Hallenser Blindenanstalt serologische Blutuntersuchungen
vornahm. Auf diese Weise war es möglich, einmal Anhaltspunkte für
die Bedeutung der Syphilis als Erblindungsursache überhaupt zu gewinnen
und ferner auch Fragen, wie z. B. die des Zusammenhangs zwischen an¬
geborenen Anomalien, Mißbildungen usw. mit der Lues zu beleuchten.
Bei 32 von 187 Zöglingen, also in 17,2°/ 0 konnte Syphilis, ohne
Rücksicht auf einen Zusammenhang zwischen dem Allgemeinleiden und
der Augenaffektion nachgewiesen werden. Bei 15 Zöglingen fiel die
Wassermannsohe Reaktion stark positiv aus, bei 13 schwach positiv;
bei 2 war sie negativ, die Stern’sche Modifikation aber positiv, bei 2
anderen war der Blutbefund überhaupt negativ, der übrige Status am
Körper wies aber mit großer Wahrscheinlichkeit auf Lues hin. Nach
Abwägen aller Faktoren schien es gerechtfertigt, in 8,6 °/ 0 der Fälle
Syphilis als auslösende Ursache der Augenaffektion mit Sicherheit an¬
zusprechen. In 4,8 °/ 0 war die Lues die wahrscheinliche oder zum mindesten
mögliche Erblindungsursache, insgesamt spielte also die Syphilis
bei 13,4% der untersuchten Blinden eine ätiologische Rolle.
Die Zahl der Blennorrhoe-Blinden betrug 14,4 °/ 0 , so das die Ge¬
schlechtskrankheiten gemeinsam in 27,8 °/ 0 , also 1 / 3 aller Fälle die Ursache
der Erblindung abgaben. Untersucht wurden aber nur Personen unter
20 Jahren. Bei den Syphilisblinden kam ausnahmslos hereditäre Lues
in Betracht.
Zum Vergleich wurden an dem vorliegenden Material die wichtigen
übrigen Erblindungsursachen prozentarisch berechnet. Dabei ergab sich
Skrofulöse (Masern) in 9,1 °/ 0 , Diphtherie (Scharlach) in 3,7 °/ 0 , Ver¬
letzungen inkl. svmpatischer Ophthalmie in 5,9 °/ 0 , Schädeldeformitäten
in 2,6 °/ 0 als Erblindungsursache.
Von den zur Erblindung führenden Augenerkrankungen standen
in gar keinem Zusammenhang mit Syphilis die 19 echten Mißbildungen
und die 12 Fälle von kongenitaler Katarakt, sowie 13 Beobachtungen
typischer Retinitis pigmentosa, dagegen war die Lues bei der Chorio¬
retinitis (9 Fälle) in 77,7 °/ 0 ursächlich anzuschuldigen. Gerade in der
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
differentiellen Diagnose zwischen Retinitis pigmentosa und Chorioretinitis
bietet die serologische Blutuntersuchung eine wesentliche Unterstützung.
Zu weiteren Untersuchungen regt der dreimal verdächtige Befund (zweimal
Wassermann schwach positiv, einmal Stern positiv) bei 15 Fällen von
Hydrophthalmus congenitus an. Die Opticusatrophien stellten
sich in 25,9°/ 0 als luetisch mit großer Wahrscheinlichkeit heraus; nur
zwei bis dreimal war ein primäres zerebrales Leiden nachzuweisen. Von
Interesse ist, daß auch bei einer ausgesprochenen hereditären Opti¬
cusatrophie (3 Geschwister blind geboren) sich Anhaltspunkte für Lu es fanden.
Bei im ganzen 78 Fällen von Phthisis bulbi, Anophthalmus
und Hornhautaffektionen kam die Lues sechsmal ätiologisch in Frage
(die Blennorrhoe mindestens 27 mal); unter den 6 Beobachtungen waren
4 Fälle von Keratitis parenchymatösa. (Genauere Publikation in der
Zeitschrift für Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten.)
Ein Fall von Adams Stockes’scher Krankheit
Von Dr. Alfred Hirsch.
(Vortrag in der Mediz. Gesellschaft zu Magdeburg am 27. April 1911.)
Bei einem 31jährigen, zuvor gesunden Manne veranlaßte eine akute
rechtsseitige Mittelohr- und Warzenfortsatzeiterung die Aufmeißelung nach
Schwartze. Andauernde pyämische Temperaturen — bei fehlenden
Zeichen einer Erkrankung des Hirns oder der Hirnhäute — wurden als
Anzeige zur operativen Freilegung und Ausräumung des Sinus sigmoideus
und später auch der Vena jugularis interna und des Bulbus sup. venae
jugularis angesehen. Bei der Operation fanden sich diese Gefäße erfüllt
von obturierenden Thromben, die Zeichen eitrigen Zerfalls indes nicht
aufwiesen. Zeitlich setzte mit der Unterbindung resp. Exstirpation der
Vena jugularis ein Rückgang der Temperaturen und schließlich Ent¬
fieberung ein. Zugleich mit letzterer kam es zu einer auffälligen Brady¬
kardie. Die Zahl — der durch Auskultation gezählten — Herzkontrak¬
tionen sank bis auf 18. Eine an der nicht operierten Seite deutlich zu
beobachtende, dem Radialpuls nicht konforme, um das Drei- bis Vier¬
fache frequentere Venenpulsation erwies, daß es sich um eine Dissoziation
der Vorhofs- und der Ventrikelkontraktionen handelte. Der Name Adams-
Stockes’sche Krankheit ist von Huchard für die Fälle von „Pouls lent
permanent avec attaques syncopales et epileptiformes“ eingeführt worden,
aber gegenwärtig für die durch Dissoziation charakterisierten Fälle von
Bradycardie gebräuchlich geworden. Die Dissoziation hat ihre anatomische
Grundlage in einer Erkrankung des von His im Jahre 1893 beschriebenen,
im Septum ventriculorum cordis verlaufenden Muskelbündels, welches der
Fortleitung des Kontraktionsreizes von den Herzvorhöfen zu den Kammern
dient. Im vorliegenden Falle ist eine eitrige Metastase im Ventrikel¬
septum anzunehmen, welche auch als Ursache der nach der Warzenfort¬
satzoperation fortbestehenden pyämischen Temperaturen anzusprechen ist.
Dafür sprechen die bereits am ersten Tage nach der Warzenfortsatz-
operation wahrgenommenen auffällig unreinen Herztöne aller Ostien, die
zur gleichen Zeit schon vorhandene relative Pulsversammung (bei 40°—92)
und — bis zu einem gewissen Grade — der geringe pathologische Befund
am operativ freigelegten Blutleitersystem. Der Fall kam zur Heilung.
Die Adams-Stockes’sche Krankheit im Gefolge einer otogenen Pyämie ist
bisher nicht beschrieben. Autoreferat.
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Arnheim (Berlin), Die Spirochäten bei Lungengangrän und ulzerieren-
dem Karzinom. (Kulturversuche.) (Zentralbl. für Bakt., Bd. 59, H. 1.)
Die bei menschlichen und tierischen Karzinomen vorkommenden Spirochäten
stellen eine Spezis sui generis dar. Ihre Kolonien sind von denen anderer
Spirochäten nicht zu unterscheiden. Beweise für die Ätiologie der Spiro¬
chäten bei Karzinom sind bisher nicht erbracht. Sie kommen nicht konstant
vor, sie fehlen in geschlossenem Karzinom und finden sich häufig im
Mäuse- und Rattenblut. Unerklärt bleibt ihr Vorkommen gerade, bei mensch¬
lichen und tierischen Karzinomen. Photogramme sind der Arbeit ange¬
gliedert. Schürmann.
H. Dold (Berlin), Über neuere Methoden der Färbung des Tuberkel-
bazillus, mit besonderer Berücksichtigung ihrer differential-diagnostischen
Bedeutung. (Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 36, H. 4, 1911.)
Alkalifestigkeit und Säurefestigkeit sind nichl nur den Tuberkelbazillen.
sondern einer ganzen Gruppe, den sogenannten „Säurefesten“, eigentümlich.
Verfasser stellte vergleichende Färbeversuche mit tuberkulösem Gewebs-
material an und kommt im Laufe seiner Versuche zu folgenden Schlüssen.
Die Methoden von Gasis, Telemann, Kronberger. Betegh, Fontes
können nicht als differential-diagnostisches Unterscheidungsmittel zwischen
echten Tuberkelbazillen und nichtpathogenen „Säurefesten“ angesprochen wer¬
den. Der Befund von grampositiven Stäbchen, dem Much diagnostischen
Wert beischreibt, auch der granulierten Stäbchen und besonders der iso¬
lierten Granula wird vom Verfasser als nicht eindeutig hingestellt. Die
Um- und Doppelfärbung nach Hatano, Berger, Weiß ist für das
Studium der morphologischen Verhältnisse der Tuberkelbazillen als sehr
instruktiv zu empfehlen. Als einfache und gute Färbemethode wird die nach
Herman (Annales de lTnst. Pasteur, Nr. 1, 1908) angeraten. Schürmann.
Uhlenhuth, Händel, Karl Steffenhagen (Berlin), Experimentelle Unter¬
suchungen über Rattensarkom. (Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamt,
Bd. 36, H. 4, 1911;) Verschiedene Ratten verhalten sich gegen sehr viru¬
lentes Material resistent. Diese Ratten widerstehen infolge erlangter Immuni¬
tät jeder Nachimpfung. Ratten, bei denen sich stark entwickelte Tumoren
zurückbilden, sind ebenfalls immun. Alle Körperstellen sind für Tumor¬
impfungen empfänglich. Gleichzeitige Impfungen an mehreren Körperstellen
der Versuchstiere verringern die prozentuale Impfausbeute. Sekundäre Nach¬
impfungen bei bestehenden Tumoren können nach 8 und 14 Tagen nach der
primären Impfung noch Erfolg haben, nach 3—4 Wochen waren sie aber
meist erfolglos. Ebenso sind Nachimpfungen ohne Erfolg, wenn Ratten
nach rezidivfreier, operativer Entfernung gut gewachsener alter Tumoren
sekundär geimpft wurden. Bei Eintreten eines Rezidives scheint der sekun¬
däre Tumor im Wachstum befördert zu werden. Über morphologische, thera¬
peutische und histologische Punkte und die angewandten Impfmethoden
gibt das Original genaueren Aufschluß. Schürmann.
Innere Medizin.
Dünger (Dresden), Eine erweiterte Zählkammer für Leukozytenzäh¬
lung und Zytodiagnostik. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 21, 1911.) D.
hat eine Zählkammer konstruiert, die an Größe alle bisher beschriebenen
übertrifft. Sie faßt 5 cmm und erlaubt, die Gesamtzahl der Leukozyten
des Blutes zu bestimmen und gleichzeitig die Differenzialzählung der ein¬
zelnen Arten vorzunehmen, was keine der bisherigen Kammern mit genügen¬
der Exaktheit erlaubte. Besonders erwünscht erscheint dem Referenten die
Kammer zur Zählung der Leukozyten in der Zerebrospinalflüssigkeit, denn die
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Referate und Besprechungen.
grobe Schätzung des Zellgehalts im Zentrifugat, die immer noch die üblichste
Methode ist, gibt in vielen Fällen keine unzweideutige Antwort. Die durch
Zeiß (Jena) hergestellte Dunger’sche Kammer verspricht für die Zytodia-
gnostik der Neurologen besonders wertvoll zu werden. R. Isenschmid.
A. Krokiewicz, über paroxysmale Hämoglobinurie. (Wiener klin.
Wochenschr., Nr. 14, 1911.) Verf. hatte auf der inneren Abteilung des
Lazaruslandesspitals zu Krakau Gelegenheit, einen Patienten mit paroxys¬
maler Hämoglobinurie fünf Wochen zu beobachten. Die Anfälle waren
stets durch Einwirkung niedriger Temperatur (eiskaltes Fußbad oder Er¬
kältung), nicht durch Abbinden einer Extremität oder psychische Auf¬
regungen zu erzeugen. Applikation warmer Wasserflaschen auf die unteren
Extremitäten kupierte rasch stark einsetzende Anfälle. Das Blut derartiger
Patienten enthält spezifische Hämolysine; die hämolytische Eigenschaft
kommt nur dem Blutserum zu. Die Erythrozyten zeigen eine deutlich ver¬
minderte Resistenz gegen freie C0 2 . Für das Zustandekommen der Hämolyse
in vitro ist die Einwirkung der freien C0 2 bei Zimmertemperatur erforder¬
lich. Mit der Hämoglobinurie läßt sich gleichzeitig Hämoglobinämie, und
zwar lediglich von Oxyhämoglobin, nachweisen; in Normalzeiten enthält
das Serum kein Oxyhämoglobin. Für das Zustandekommen der C0 2 -Hämolyse
scheint der Einfluß der vasomotorischen und sekretorischen Nerven von Be¬
deutung. Ganz kleine Atropinmengen hemmen den Anfall deutlich, kleine
Pilokarpinmengen befördern ihn; wahrscheinlich ist das Zustandekommen
der CO*-Hämolyse auf die gesteigerte sekretorische Tätigkeit der Gcfäß-
endothelzellen infolge einer größeren Tätigkeit der genannten Nerven zurück¬
zuführen. Im Urin war stets nur reines Oxyhämoglobin vorhanden. Der
Blutdruck stieg nur während des Anfalls unbedeutend an. Im Blut kam es
während des Anfalls zu einem Lymphozytensturz; der ganze hämatologische
Befund während desselben sprach für konstante Reizung der blutbildenden
Organe. M. Kaufmann.
Frankel, Beiträge zur Therapie des Diabetes mellitus. (Allg. med.
Zentralztg., Nr. 12, 1911.) Verf. legt an der Hand eine Reihe von Fällen
die Wirkung der Fermocyltabletten bei Diabetes dar, der wohl in der Mehr¬
zahl der Fälle dadurch entsteht, daß in den verschiedenen Verdauungssäften
des Körpers ein zuckerspaltendes Ferment fehlt. Er fand, daß die Zucker-
ausscheidung erheblich vermindert, die Toleranz gegenüber Kohlehydraten
bedeutend gesteigert wird. Selbst in schweren Fällen fiel Hebung des All¬
gemeinbefindens. Schwinden der lästigen Symptome (Kopfschmerzen, un¬
ruhiger Schlaf, Neuralgien, Gewichtsabnahme) auf. Namentlich beobachtete
er eine schmerzlose Besserung der Furunkulose durch Eintrocknen in kurzer
Zeit, 3—8 Tagen. Ganz besonders günstig war der Einfluß auf leichte und
mittlere Fälle; daß das Mittel nicht in allen schweren Fällen half, läßt
vermuten, daß die Ursache der Zuckerausscheidung manchmal eben eine ver¬
schiedene ist. Die Tabletten sind frei von schädlichen Nebenwirkungen,
stören Appetit und Verdauung nicht, und wirken dreimal täglich 3 Stück,
mit den Mahlzeiten genommen, am besten. v. Schnizer (Höxter).
Pfeffer (Oeynhausen), Zur äußerlichen Behandlung der gichtischen,
rheumatischen und einfach entzündlichen chronischen Gelenkleiden mit einem
neuen Schwefelpräparat Thioestrin. (Allg. med. Zentralztg, Nr. 23, 1911.)
Verfassers Erfahrungen erstrecken sich auf über drei Jahre. Es handelt sich
lim ein flüssiges Schwefelpräparat, das örtlich unverdünnt mit einem Watte¬
bausch eingerieben, dann mit diesem und wasserdichtem Verbandstoff auf-
gebunden, bei allen Formen der chronischen Gelenkentzündungen, die nicht
von vornherein dem Chirurgen zu reservieren sind, mit Erfolg angewandt
wird. Das Mittel reizt nicht und schädigt die Wäsche nicht.
v. Schnizer (Höxter).
K. F. Hoffmann (Koblenz), Über Verhütung und Behandlung von
Mückenstichen. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 20, 1911.J) Der Autor hat
eine ganze Reihe von Mitteln zur Prophylaxe und Therapie der Mücken-
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Referate und Besprechungen.
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stich© durchprobiert und von einigen einen wirklichen Erfolg gesehen. Pro¬
phylaktisch fand er einen im Hause selbst herzustellenden Auszug des käuf¬
lichen Zacherlinpulvers in 70% Alkohol sehr brauchbar. Eine unangenehme
Reizung der Haut soll nur ganz ausnahmsweise Vorkommen. Zur Behand¬
lung empfiehlt er Betupfen des Stiches mit Menthol und Thymol (als
3—5%ige Tinktur). Das Jucken hört darauf gewöhnlich rasch auf. Als sehr
wirksam wird auch das billige Naphthalen empfohlen. R. Isensehmid.
Psychiatrie und Neurologie.
Leredde, Le traitement du tabfcs par I’arsönobenzol es sa technique.
(Bull, gener. de ther., Nr. 7, 1911.) Verf. kommt zu folgendem Ergebnis:
1. der Heilerfolg mit Arsenobenzol bei Tabes ist ebenso sicher als der mit Hg.
Arsenobenzol ist regelmäßig bei Tabetikern anzuwenden, um die Entwicklung
der medullären Läsionen hintanzuhalten, frische Symptome zum Schwinden
zu bringen. 2. Das Schwinden des Argvll-Robertson’schen Zeichens beweist
deutlich die Heilbarkeit gewisser tabischer Symptome, die die Neurologen
für unheilbar hielten. 3. Um jeden schweren Zwischenfall mit Arsenobenzol
bei Tabes zu vermeiden, ist als Regel aufzustellen, dieses Medikament in
steigenden Dosen zu injizieren, schwach beginnend, um die Resistenz des
Organismus kennen zu lernen und zu lebhafte Reaktionen des Nervensystems
zu vermeiden (0,3 im Anfang, 0,45 nach 10 Tagen und nach 14 Tagen 0,6).
4. Späterhin sind zwei- oder dreimal im Jahre Ergänzungsinjektionen zu
machen bzw. ist die Arsenobenzolbehandlung mit der Hg-Behandlung zu
verbinden. 5. Die Wassermann’sche Probe empfiehlt sich bei Tabetikern, sie
scheint aber hinsichtlich der Indikation oder Kontraindikation zur anti-
luetischen Behandlung keinen Anhalt, zu geben. v. Schnizer (Höxter).
Semi Meyer (Danzig), Hysterietypen. (Psychiatr. Ncurol. Wochenschr.,
Nr. 2/3, 1911.) Die Hysterie ist durchaus nicht immer ganz unberechenbar,
sondern es gibt typische, bestimmte Prognosen gestattende Verlaufsformcn.
Es gibt besonders zwei Reihen, indem das eine Mal die schwereren Formen
sich aus den sogenannten monosymptomatischen Fällen entwickeln, das andere
Mal von vornherein zahlreiche Krankheitssymptome auftreten, die jedoch
von den ersten durchaus verschieden sind, indem es sich um Allgemein -
erscheinungen handelt. Von beiden Gruppen aus kann es zu den schweren
Formen mit Bewußtseins Verlust kommen, wobei aber die monosymptomatische
Form mit Vorliebe den Weg über die Hysteriegruppe bevorzugt, welche
durch das Auftreten von Anfällen charakterisiert ist. Bei den monosympto¬
matischen Formen kehren immer wieder bestimmte Symptome wieder. Z. B.
eine immer wieder an dieselbe Veranlassung sich anschließende Aphonie,
die ebenso wie das bei Männern häufigere hysterische Stottern oder der
Mutismus eine sehr günstige Prognose bietet. Hierhin gehört die an Ver¬
letzungen sich anschließende Kontraktur und die Schrecklähmung. Hier
handelt es sich um vorher gesunde Personen. Kontrakturen können auch
als Gipfel der Hysterie auftreten und hier eine monosymptomatische Hysterie
Vortäuschen. Die Prognose dieser Fälle ist ungünstiger. Zum ersten Typus
gehören auch Störungen der Urinentleerung (Anurie, Pollakurie) sowie Sin-
gultus und Ruktus. Die zweite Gruppe bildet die Organhysterie, zum
Beispiel das prognostisch schon bedenklichere hysterische Erbrechen, Hei߬
hunger, Magenschmerzen. So gibt es auch eine Unterleibs-, eine Lungen -
hysterie usw., aber diese Personen zeigen ebenso wie die der ersten Gruppe
keine Neigung zu nervösen Allgcineinerscheinungen. Bei beiden Gruppen
finden wir eine äußere Ursache, bei der ersten eine Emotion, bei der zweiten
häufiger eine organische Erkrankung, die zur Einnistung des Symptoms
führt. Die Prognose der zweiten Gruppe ist entsprechend der weit vor¬
geschrittenen Produktionsfähigkeit ungünstiger. Anfälle treten nicht auf,
und wenn das Leiden sich verschlimmert, so kommt es zur hysterischen
Paranoia im Kampf um die Anerkennung des Organleidens. Hysterie und
Hypochondrie lassen sich durchaus trennen, die erster© ist die Fähigkeit
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Referate und Besprechungen.
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Krankheitssymptome zu produzieren, die letztere die Neigung zu ängstlicher
Selbstbeobachtung im Anschluß an normale oder geringfügig gestörte Organ-
perzeptionen, die allmählich zu Parästhesien und zur Wahnbildung bzgl.
der Körperfunktionen führen können. Die Fälle der dritten Gruppe beginnen
von vornherein mit Allgemeinerscheinungen, die gleich in der Mehrzahl auf-
treten. Charakteristisch ist das Pendeln um die seelische Gleichgewichts¬
lage, ferner, und dies ist diagnostisch wichtig, Schmerzen in allen Gliedern,
die teils spontan auftreten, teils durch Berührung und Bewegung veranlaßt
sind. Meist entpuppt sich die Hysterie dieser Kranken durch einen Anfall
z. B. einen Weinkrampf. Die Aufpfropfung von Anfällen auf das Sym-
ptomenbild der Allgemeinerscheinnngen bildet die vierte Gruppe, die pro¬
gnostisch weit ungünstigere Aussichten als 1 und 2 aber auch als 3 gibt.
Die fünfte ungünstigste Gruppe bilden dann die Kranken mit Bewußtseins¬
trübungen. Es zeigt sich, daß sie sehr oft aus Gruppe 3 hervorgeht.
Zweig (Dalldorf).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
E. Meyer (Straßburg i. E.), Über die Behandlung der Graviditäts¬
tetanie mit Kalziumsalzen. (Ther. Monatsh., Juli 1911.) Eine 39jährige
gravide Frau suchte wegen schmerzhafter Zusammenziehung beider Hände
die Poliklinik auf. Es bestand bei ihr eine konstitutionelle Disposition für
Tetanie. Auslösend wirkte die unbekannte Schädigung, die Näherinnen
leichter als andere Arbeiterinnen im Frühjahr an Tetanie erkranken läßt
und ferner die Noxe der Gravidität. Worin die konstitutionelle Anomalie
besteht, ob ein subtetanischer Zustand angenommen werden darf, bedingt
durch teilweise Erkrankung der Epithelkörperchen, bleibt dahingestellt.
E r d h e i m zeigte im Tierversuche, daß derartige subtetanische Zustände
bei partiell operierten Ratten in der Gravidität zur manifesten Tetanie
führten. Bemerkenswert ist ferner die Beziehung der Rachitis zur Tetanie,
die auch in diesem Falle hervortrat. Bei der Therapie (Ca und kaikreiche
Nahrung) schwebten M. weniger die Versuche Mac Call um und Vögt-
lin’s vor, die eine Beziehung des Kalkstoffwechsels zur Parathyreoidea
zeigten, als vielmehr die Beobachtungen L ö b’s über die antagonistische
Wirkung der Ca-, Hg-, Ba-Jonen auf der einen, und der Na- und K-Jonen
auf der anderen Seite gegenüber der neuro-muskulären Erregbarkeit. Wenn
jene Autoren eine tetanieherabsetzende Wirkung der Ca-Salze beobachtet
haben, so kann das auf dieser Eigenschaft der Ca-Jonen beruhen und
braucht nicht auf eine direkte Beeinflussung des Ca-Stoffwechsels durch
die Epithelkörperchen bezogen werden. Die Therapie bestand in Verab¬
reichung von Milchspeisen ohne Kochsalz. Ferner eine Lösung von 8 g
Ca Clo auf 200 ccm Wasser, dreimal tägl. 1 Eßlöffel, endlich kalkhaltige
Gemüse und Obst. S. Leo.
R. Franz, Nierendekapsulation bei Eklampsie. (Wiener klin. Wochen¬
schrift, Nr. 13, 1911.1) In dem Falle des Vfs. (aus der Grazer Frauenklinik!
häuften sich nach der wegen der Eklampsie beschleunigten Geburt die An¬
fälle, die Urinsekretion versiegte, die Kranke wurde komatös und kollabierte.
Nach der Dekapsulation beider Nieren traten noch vier Anfälle ein, die
Kranke erwachte langsam aus dem Koma, und die Urinsekretion kam wieder
in Gang, so daß die Frau nach acht Wochen mit geheilter Nephritis entlassen
werden konnte. Der klinische Verlauf erweckte jedenfalls den Eindruck, daß
die Frau ohne den Eingriff der Eklampsie erlegen wäre. Verf. verlangt aber
für die Operation eine sehr strenge Indikationsstellung, und will sie mir
unter folgenden Voraussetzungen ausgeführt wissen: 1. daß die Entbindung:
erfolgt ist. 2. daß Oligurie bzw. Anurie fortbestehen, oder die Eiweißmengre
zunimmt, 3. daß die Krämpfe oder das Koma fortbestehen.
M. Kaufmann.
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Referate und Besprechungen.
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Ohrenheilkunde.
R. Imhofer, Zur Behandlung der Gehörgangfurunkel. (Thor. Monatsh.,
Juni 1911.) Die rationellste Behandlung der Gehörgangsfurunkel gewähr¬
leistet die Saugbehandlung. J. wendet sie beim reifen Furunkel an mittels
eines kleinen Apparates, der wie ein Pulverbläser aussieht und am Ende eines
Glasrohres ein Fenster, am anderen einen Saugballon hat. Mit wenigen
Ausnahmen sitzen alle Furunkel am Eingänge das Meatus auditorius und
sind deshalb für das Rohr leicht zugänglich. Der durch das Ansaugen ent¬
leerte Pfropf wird direkt in das Saugrohr hincingezogen und nach Abnahme
desselben, die durch Zudrücken des Ballons bewirkt wird, mit entfernt.
J. führt dann einen in Sublimatalkohol 0,1 : 50,0 getränkten Gazestreifen
locker in den Gehörgang ein, wobei er sich an die gesunde Gehörgangswand
hält; es hat dies den Zweck, etwa noch nachsickerndes Sekret aufzufangen
und vor allem den Kontakt der gegenüberliegenden Gehörgangswand mit der
erkrankten aufzuheben, da auch durch diese Berührung eine Infektion Zu¬
standekommen kann. Am nächsten Tag legt er das Saugrohr nochmals an,
uin etwa zurückgebliebene nekrotische Fetzen zu eliminieren. Bei Erkran¬
kungen* des Mittelohrs ist im allgemeinen die Saugtherapie nicht indiziert;
es entstehen auch bei größter Vorsicht Hämorrhagien am Trommelfell.
Das Verfahren beim Gehörgangsfurunkel ist nicht schmerzlos; beim ersten
Ansaugen, besonders wenn es etwas brüsk gemacht wird, pflegen Schmerzen
aufzutreten; aber sie sind lange nicht so groß wie bei der Inzision. Es
ist nicht angezeigt, den Schmerzen durch eine Anästhesierung des Furunkels
mit Kelen vorzubeugen, da an der gefrorenen Fläche das Saugrohr nicht
gut haftet. Der besondere Vorteil des Verfahrens liegt darin, daß die Kon¬
taktinfektion benachbarter Haarbälge dadurch vermieden wird und so die
Rezidive eingeschränkt werden. S. Leo.
Medikamentöse Therapie.
W. Straub (Freiburg i. B.), Die pharmakologischen Grundlagen für
eine intravenöse Adrenalintherapie. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 2(>,
1911.) St. faßt die Ergebnisse seiner und seiner Schüler pharmakologischen
Untersuchungen zusammen, so weit sie für die Therapie von Bedeutung sind.
Die bekannten Wirkungen des Adrenalins lassen sich alle erklären als
Reizungen sympathischer Nervenendigungen. Es ist möglich unter bestimmten
Bedingungen, von allen sympathischen Nervenendigungen nur die Vasokonstrik¬
toren zu reizen. — Jede Adrenalinwirkung ist lokal, auch die Blutdruck¬
wirkung. Sie tritt nur ein bei unmittelbarem Zusammenbringen der Substanz
mit dem Gefäß, das heißt besonders bei intravenöser Applikation. Die
Wirkung der intravenösen Injektion ist eine äußerst flüchtige, denn das
Adrenalin wird im Organismus in kürzester Zeit zerstört.
Im Gegensatz zu anderen Alkaloiden hat also das Adrenalin nicht die
Eigenschaft der Kumulation, auch bleibt bei noch so oftmaliger Injektion
die Wirkung gleicher Dosen die gleiche. — Wenn man das Mittel intra¬
venös kontinuierlich einfließen läßt, erhält man eine kontinuierliche Blut-
drucksteigerung. Das Mittel wird so rasch zerstört, daß man Dosen, welche
auf einmal gegeben tödlich w T irken würden, ohne Schaden in langsamer In¬
fusion dem Organismus einverleiben kann. R. Isenschmid.
B. Sylla (Bremen), Über die Applikation von Wasserstoffsuperoxyd
in Salbenform. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 14, 1911.) Sylla hat
sich eine Salbe mit. Pergenol bersteilen lassen, mit der er bei Blepharitis
ekzematosa zur Entfernung der Zilien, sowie bei skrofulösen Rhinitiden zur
Reinigung des Nasenrachendachs sehr zufrieden ist. Da beim Anreiben der
Salbe kein Wasser verwendet werden darf, empfiehlt es sich, auf dem Rezept
zu bemerken: Ne addatur aqua. S. gebrauchte eine 10- und 20%ige Salbe.
F. Walther.
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Bücherschau.
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Bücherschau.
Arthur Keller (Charlottenburg), Säuglingsfürsorge und Kinderschutz in England
und Schottland. Ergebnisse der Säuglingsfürsorge, Heft 9. Leipzig und Wien.
Verlag von Franz Deutike.
Das Heft gibt sehr eingehende und interessante Mitteilungen über den gegen¬
wärtigen Stand der Säuglingsfürsorge und des Kinderschutzes in England, die
Keller auf einer Studienreise ermittelte. Wir erfahren, daß England in vielen
Punkten der Siiuglingsfürsorge rückständig ist. Wenn die Säuglingssterblichkeit
trotz der mangelhaften Bekämpfung nicht besonders hoch ist, so liegt das nach
Kellers Meinung vielleicht an dem Einfluß des Klimas (Fehlen des Sommergipfels),
vielleicht an günstigeren Lohnverhältnissen.
Auffallend ist, daß fast alle Säuglingsfürsorgebestrebungen, Hospitäler usw.
Stiftungen privater Wohltätigkeit sind und durch Subskriptionen erhalten werden.
Lesenswert erscheint besonders das Kapitel über die Ausbildung der Kinder¬
pflegerinnen in England. Wird doch die Kinderpflege in den wohlhabenden Familien
Deutschlands mit Vorliebe Pflegerinnen anvertraut, w r elche ihre Ausbildung in
England genossen haben. Die englische „Nurse“ wird bei uns von vielen gebildeten
Familien als der Inbegriff einer guten Kiuderpflegerin betrachtet. Nach Keller’s
Meinung besteht der Vorzug der englischen Nurses darin, daß sie für die körper¬
liche Tflege des gesunden Kindes und für die Beschäftigung des älteren Kindes
gut ausgebildet sind, daß sie die spezielle Körperllege des Kindes ausgezeichnet
verstehen. Demgegenüber stehen als Nachteile besonders die mangelhafte Kenntnis
der Ernährung der Kinder in der Zubereitung von Speisen und in der Asepsis.
Keller bildet die Ausbildung zu äußerlich, zu sehr auf Oberflächlichkeiten achtend,
er tadelt den Anspruch auf Selbständigkeit, welche die englische Nurse in der
Familie leider auch bei Erkrankungen des Kindes stellt. Das birgt natürlich eine
große Gefahr in sich und erschwert dem Arzte sein Handeln. Sehr lesenswert ist
im weiteren der Bericht der Schwester Olga Zacharias über das Norland-Institut.
Überhaupt bietet die Studie einen interessanten Einblick in die englischen
Verhältnisse und wird für jeden, der weitere Beobachtungen über Säuglingsfürsorge
und Kinderschlitz in England und Schottland machen will, die Grundlage sein.
A. W. Bruck.
Arthur Keller (Charlottenburg), Die Lehre von der Säuglingsernährung wissen¬
schaftlich und populär. Ergebnisse der Säuglingsfürsorge, Heft 6. Leipzig und Wien.
Verlag von Franz Deutike. 3,50 Mk.
„Es gibt kaum ein Gebiet der Volkshygiene, auf dem, auch bei Kulturvölkern,
so viele Unsitten, Ammenmärchen und falsche Anschauungen verbreitet sind, wie
in der Ernährung und Pflege des Säuglings“, mit diesen Worten beginnt Keller
sein klar geschriebenes Buch. Er will in demselben zeigen, daß große Meinungs¬
verschiedenheiten in der wissenschaftlichen w r ie populären Darstellung herrschen
und führt uns an zahlreichen gut gewählten Beispielen des In- und Auslandes diese
Uneinheitlichkeit der Ansichten vor Augen. Es ist eine sehr verdienstliche Schrift,
w’elche weiten Kreisen zugänglich sein sollte. Denn in derselben wird einmal von
berufener Seite energisch gegen die üppig wuchernden populären, von Sachkenntnis
oft ungetrübten, aber desto anmaßender verfaßten Schriften über Säuglingsernährung
und -pflege angekämpft und das Gefährliche dieser Literatur gegeißelt. Auf der
anderen Seite erfährt der Leser jedoch die guten, empfehlenswerten Leitfäden und
ihren Wert zur Belehrung für Mütter und Kinderpflegerinnen. A. W. Bruck.
Soeur Jeanne des Anges, Memoiren einer Besessenen. Herausgegeben von Hanns
Heinz Ewers. Mit 12 Bildern und Faksimiles. Stuttgart 1911. Verlag von
Kobert Lutz. Brosch. 4 Mk., in Leinen 5,50 Mk.
Von sieben wilden Teufeln war die Schwester Jeanne besessen, von denen
sie unablässig mit erotischen, unzüchtigen Vorstellungen verfolgt wurde, und vo¬
rüber sie getreulich berichtet, ebenso wie über die Versuche oft gleich perverser
Patres, ihr diese Unzuchtsteufel auszutreiben. Ein wahrer Hexenkessel von Eroto¬
manie, Hysterie, Aberglaube, Massensuggestion und Perversitäten brodelt vor unseren
Augen, und der Höhepunkt wird erreicht, als sich die Nonne vom Teufel schwanger
fühlt und den Versuch macht, sich das Teufelskind aus dem Leib zu schneiden.’’
Diese Memoiren stehen einzig in der Literatur da; ihre Echtheit und sub¬
jektive Wahrheit sind verbürgt, und ein gründliches Vorwort erklärt das Patho¬
logische der von der Nonne geschilderten Erscheinungen. Das Buch enthält außer¬
dem mancherlei vom rnquisitionsgetriebe und Heiligenwesen. Neumann.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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URBANA-CHAMPAIGN
29. Jahrgang.
1911
?ort$chriite der mcdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauBgegeben von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. v. griegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt,
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 39.
Jftr das Halbjahr.
28. Septbr.
■—!— Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Moderne Geburtshilfe.
Von Dr. W. Thorn.
(Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg am 9. 3. 1911.)
Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts war voller Hast und
Unruhe auf allen Gebieten der Medizin und nicht zum wenigsten,
auf dem der Geburtshilfe, die so mancher schon als einen annähernd
abgeschlossenen Teil unserer Wissenschaft erachtet hatte. So lobens¬
wert dieser Unternehmungsgeist und. diese Neuerungssucht auch sind,
selbst wenn das Fazit aller Bestrebungen den gehegten Erwartungen
nicht entsprechen sollte, einen Nachteil haben sie unzweifelhaft: sie
stiften, wenn auch vorübergehend, Verwirrung, namentlich aber bei
denen, die im Getriebe der allgemeinen Praxis stehend, selbst sich kein
Urteil über den Wert oder Unwert der Neuerungen bilden können.
Folgen sich die Neuerungsvorschläge in der Überstürzung, wie wir
sie gerade in der Geburtshilfe in der jüngsten Zeit erlebt haben, die
so konträr dem Prinzip des „nonum prematur in annum“ war, so kann
es nicht wundernehmen, wenn bei dem einen oder anderen der Eindruck
erweckt wurde, als wenn wirklich ein neues Zeitalter der Geburts¬
hilfe angebrochen wäre, dessen Signatur die Teilung in die Geburts¬
hilfe der Klinik und in die häusliche Geburtshilfe sei, mit der
wenig erbaulichen Perspektive, daß die letztere immer weitere Ein¬
schränkungen erfahren würde, so daß so mancher schon sie in nicht
zu ferner Zukunft, ganz verschwinden sah. Es erscheint nützlich jetzt,
wo wir scheinbar in ein ruhigeres Fahrwasser eingelenkt sind, Rück¬
schau zu halten und zu versuchen, zu ergründen, was Brauchbares
und dauernd Wertvolles diese Bestrebungen für die Allgemeinheit der
Ärzte gebracht haben.
Ich lege hier absichtlich den Ton auf „die Allgemeinheit der
Ärzte, weil ich der Meinung bin, daß die Geburtshilfe stets ein
Allgemeingut der Ärzte bleiben muß. Ich teile durchaus nicht
die Ansichten und Hoffnungen derer, welche meinen, es wäre besser,
die Geburtshilfe aus der Häuslichkeit ganz loszulösen, sie nur noch
in besonders dazu eingerichteten Asylen, Kliniken usw. und nur von
besonders dazu vorgebildeten Ärzten ausüben zu lassen. Zwar ist die
Geburtshilfe gewiß eine Kunst, die von demjenigen, der sie beherrschen
will, nicht nur Übung, sondern auch eine gewisse Beanlagung fordert.
Zwar ist weiter zugegeben, daß die Einrichtungen einer modernen ge-
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W. Tkorn,
burtshilfliclien Anstalt mit größerer Sicherheit einen günstigen Ver¬
lauf der Geburt und des Wochenbettes garantieren können — aber
nicht müssen —, als diejenigen der besten Häuslichkeit. Aber trotz-
alledem kann ich es nicht als erstrebenswertes Ziel ansehen, die Frauen
beim normalen Partus ihrer Häuslichkeit zu entziehen und nur noch
Spezialisten in der Geburtshilfe zu verwenden. Die Verhältnisse sind
auch mächtiger und werden selbst in den Großstädten die Verwirk¬
lichung derartiger Ideen verhüten, vom platten Lande ganz zu schweigen.
Wer längere Zeit Assistent einer geburtshilflichen Poliklinik gewesen
ist, weiß, daß gerade die tüchtigen Hausfrauen, selbst wenn die Um¬
stände es dringend gebieten, nur (schwer zum Verlassen ihres Heims
und zur Klinik zu bringen sind. Man mag über den Wert von Wöchne¬
rinnenasylen denken wie man will, man wird nicht leugnen können,
daß sie vielfach gerade von den bequemen, faulen und trägen Frauen
aufgesucht werden, die mit entsprechendem Fleiß und Eifer sehr wohl
ihre Wohnung zur Niederkunft geeignet hätten machen können. Nur
für größere geburtshilfliche Operationen und für gewisse Anomalien,
wie enges Becken, Plaoenta praevia und Eklampsie auf der einen Seite
und bei absolut ungenügenden Wohnungsverhältnissen auf der an deren,
gehört die Gebärende in Anstaltsbehandlung, sonst ist es m jeder
Beziehung richtiger, sie in ihrem Haushalte und bei Mann und Kindern
zu lassen. Und das gilt ganz besonders auch für die unteren Volks¬
schichten, deren Pflicht- und Verantwortlichkeitsgefühl durch allzu
weitgehende Fürsorge heute bei uns schon in einem Maße gemindert
wird, das vom sozialpolitischen Standpunkte aus zu Besorgnissen Anlaß
geben kann. Der Übereifer in sozialem Wohl tun, -wie ihn auch nicht
wenig Ärzte dokumentieren, macht sich neuerlich auch in gesetzlichen
Bestrebungen breit, die fast so begründet werden, als wäre jede
Schwangerschaft eine Krankheit und jede Geburt eine
lebensgefährliche Sache. Man sollte hier vorsichtiger sein, sonst
wird man die Geister, die man rief, nicht wieder los. Wenn man den
trägen und faulen Elementen unserer unteren, namentlich städtischen
Volksschichten erst klar macht, daß die gewöhnlichen Schwangerschafts-
beschwerden besonderer Beachtung oder gar ärztlicher Behandlung wert
resp. bedürftig seien, so werden wir eine Masse Simulanten großziehen.
Eine gesunde Schwangere soll sich bis zur Niederkunft betätigen, wenn
sie auch in den letzten Wochen keine schwere Arbeit und vor allem
keine Fabrikarbeit leisten soll. Die gesetzlichen Bestrebungen, die darauf
hinauslaufen, alle Mütter ihrer Häuslichkeit zu erhalten, solange
wenigstens, als sie mütterliche Pflichten zu erfüllen haben, sind gewiß
durchaus zu billigen und es ist zu hoffen und sehr zu wünschen, daß
wir diese Frauen mit der Zeit völlig der Fabrik entziehen. Etwas
ganz anderes aber ist es, ob wir Schwangerschaft, Geburt und Wochen¬
bett als so besonders schwerwiegende und gefahrvolle Dinge hinstellen.
dürfen, denen das angeblich degenerierte moderne Weib nicht
mehr in dem Maße, wie seine robusteren Vorgängerinnen jüngst ver¬
gangener Zeiten, gewachsen sein soll. —
Auf der Annahme, daß viele der heutigen Frauen allzusehr durch
den Geburtsschmerz mitgenommen werden, basieren die Versuche, durch
die Skopolamin-Morphium-Narkose und die sakrale An¬
ästhesie usw. Erleichterung zu schaffen. Zwar sind die Urteile über
den Wert dieser Methoden noch geteilt, und man wird auch kaum eine
prinzipielle Verwendung in jedem Partus billigen können; immerhin
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Moderne Geburtshilfe.
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mag man sie bei besonders Sensitiven, Neurasthenischen usw. anwenden,
auch in der Praxis, aber nur unter der Voraussetzung exakter Überwachung
und Verwendung nur frischer Lösungen. Der Praktiker wird im. all¬
gemeinen nicht häufig in die Lage versetzt, von diesen Mitteln Gebrauch
zu machen; auf jeden Fall soll er sich ihrer nur unter strengen Indika¬
tionen bedienen. Die Hauptschmerzen bringt die Aus treibungs*
periode, und hier wird immer noch viel zu wenig Gebrauch vom
Chloroform gemacht. Minimale Menge genügen, um dieses Stadium
der Geburt zu einem fast schmerzlosen zu machen. Für die Praxis
empfiehlt sich diese Methode ganz besonders, nur darf natürlich von
einer tiefen Narkose nicht die Rode sein, sondern nur von einem
Dämmerschlaf.
Es klingt scheinbar paradox, wenn man dem modernen Weib nicht
mehr die Strapazen des gewöhnlichen Partus zumuten zu dürfen glaubt,
ihm aber gleichzeitig das Frühaufstehen anempfiehlt. Ich bin über¬
zeugt, daß man nach beiden Richtungen hin stark übertreibt, resp. über¬
trieben hat. Es dürfte wirklich nicht so leicht sein, wenn man von
gewissen großstädtischen Kreisen und von jenen Frauen absieht, die
Körper und Geist in der Entwicklungszeit — das Mädchengymnasium
wird voraussichtlich nach dieser Richtung besonders schädlich wirken —
und später in nervenzerrüttenden Berufsarten strapaziert haben, die
Degeneration des modernen Weibes zu beweisen. Was wenigstens die
körperliche Entwickelung anbetrifft, so wird der Gegenbeweis leichter
sein. Wie dem aber auch sein mag, an sich hat die Bewegung für das
Frühaufstehen der Wöchnerinnen etwas durchaus Gesundes, ja
ich möchte ihm mehr Berechtigung zugestehen, als dem Frühaufstehen
der Gperierten, sofern nur unter Frühaufstehen, nicht Beginn der
Arbeit verstanden wird. Ob sich die vielgefürchteten Thrombosen
und Embolien durch das Frühaufstehen einschränken lassen, will ich
unentschieden lassen, obgleich ja manche der ad hoc angelegten Stati¬
stiken dafür sprechen. Viel wichtiger erscheint mir der günstige Ein¬
fluß des Frühaufstehens auf die Rückbildung des Genitalapparates
und die Funktion von Blase, Darm usw. Unser Wochenbettregime,
das auf ein mehr weniger strenges Einhalten der Rückenlage in der ersten
Zeit hinauslief, ging insofern nicht von chirurgischen Grundsätzen aus,
als es den ungehinderten Abfluß der Lochien keineswegs begünstigte,
was im Grunde genommen doch geschehen sollte, wenn wir das Uterus¬
innere als sezernierende Wunde auf fassen und das Aszendieren der Keime
aus Zervix und Vagina in das Cavum uteri für häufig oder gar normal
halten. Die konstante Rückenlage muß vielmehr zur Stagnation der
Sekrete im hinteren Laquear führen, zumal bei engem Introitus vaginae.
Mit Recht hat Zweifel auf die Bedeutung des fast konstanten Blut¬
gerinnsels im hinteren Laquear als eines gefährlichen bakteriellen
Nährbodens hingewiesen, wenn auch die Konsequenz, die er daraus in
Gestalt der Auswischung des hinterem Scheidengewölbes einige
Stunden post partum zog, nicht als richtig anerkannt werden kann. Im
klinischen Betrieb läßt sie sich allenfalls unter allen Kautelen auf un¬
gefährliche Weise durchführen, in der Praxis draußen sicher nicht, ganz
abgesehen davon, daß die Freilegung und das Aus wischen des Laquears
eine erhebliche Belästigung der Puerpera bedeuten, die auf die ein¬
fachste umd ungefährlichste Weise durch ein kurzes Aufstehen ersetzt
werden können. Das letztere ist auch das beste Mittel, der Harn¬
verhaltung zu begegnen und macht in den allermeisten Fällen den
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W. Thorn,
Katheter überflüssig. Wenn den An aeroben wirklich die ätiologische
Bedeutung in der Genese des Puerperalfiebers zukommt, die ihnen
Schottmüller neuerlich vindiziert, so haben wir doppelten Grund, für
einen ungehinderten Abfluß der Sekrete aus Uterus und Vagina Sorge
zu tragen, und das wird am einfachsten und besten dadurch geschehen, daß
man die Puerpera beim Umbetten morgens und abends auf kurze Zeit
aufstehen und auf einem bequemen Stuhl sitzen läßt. Bei dieser Ge¬
legenheit wird man auch bald merken, ob man ihr auch zu einem längeren
Aufstehen Zureden darf; denn nicht jeder bekommt es gleichmäßig gut,
und man sollte deshalb nach keiner Richtung einen Zwang ausüben.
In denjenigen Kliniken, wo das Frühaufstehen Usus ist, wirken natür¬
lich Nachahmungstrieb und Ehrgeiz, es den anderen gleichzutun, mit.
Dieser Ansporn fällt in der häuslichen Geburtshilfe weg, und man wird
im allgemeinen gut tun, das längere Verweilen außer Bett mehr in
das Belieben der Wöchnerin zu stellen; wenn man aber früh aufstehen
läßt, dann soll man auch verhüten, daß sofort gearbeitet wird. Es ist
selbstverständlich, daß das alles nur für das normale Puerperium gilt.
Um das Frühaufstehen ist ein großes Geräusch gemacht worden; im
Grunde genommen ist es bei robusten und pflichteifrigen Frauen, nament¬
lich auf dem Lande, stets Usus gewesen. Die Besorgnis, daß Verlage¬
rungen, Senkungen und Vorfälle des Uterus und der Vagina
dadurch begünstigt, resp. verursacht würden, ist nicht begründet, sofern
eben nicht frühzeitig schwer gearbeitet und sofern nur gestillt wird. Die
Laktation fördert die Rückbildung bekanntlich am allerbesten, und
auf die Laktation wirkt andererseits das Frühaufstehen mit der weit
rascheren Wiedergewinnung der Kräfte ungemein günstig ein. Das
alles sind der Gründe genug, welche uns veranlassen sollten, von dem
alten überängstlichen Wochenbettregime abzugehen, ohne doch in das
Gegenteil zu verfallen und nolens volens jede Wöchnerin am 2. Tage
auf Stunden aus dem Bett zu nehmen, das für viele schwächliche oder
abgearbeitete Frauen, zumal nach einem länger dauernden Partus, doch
auch eine Wohltat ist. Das Gute liegt auch hier, wie so oft, in der Mitte
und liegt beim vernünftig geübten Frühaufstehen nicht nur darin, daß
Wöchnerin und Kind besser gedeihen, sondern daß die Mutter, wenn sie
auch selbst nicht zugreift, wenigstens die Direktion des Haushalts bald
wieder übernehmen kann, eine für Mann und Kinder so ungemein wich¬
tige Sache, namentlich in den unteren Volksschichten. Das Gute hat
weiter der Streit um das Frühaufstehen gehabt, daß er dem nor¬
malen Puerperium den Nimbus des Krankenlagers genommen und den
Bestrebungen jener, welche auf eine durchgängige Anstaltsbehandlung
bei Partus und Puerperium hinzielen, einen Riegel vorgeschoben hat.
Aus sozialen und ethischen Gründen sollten wir dahin streben, jede
Häuslichkeit für die normale Geburt und das normale Wochenbett ge¬
eignet zu machen, und wir sollten mehr die häusliche Wochenpflege,
nicht aber die klinische so sehr fördern, wie es vielfach jetzt geschieht.
Es ist weder richtig, daß stets die Klinik der Gebärenden eine größere
Sicherheit bietet, als die Häuslichkeit, denn das trifft nur für patho¬
logische Geburten zu, noch ist es aus ethischen Gründen erstrebenswert,
alle geburtshilflichen Fälle klinisch zu erledigen. Man vergesse nicht,
daß die Klinik ungemein vielmehr normale Partus aufweist, als die
Poliklinik, und daß demnach der Vergleich der beiderseitigen Morta-
litäts- und Morbiditätsziffern hinkt.
Die Bestrebungen, die innere Untersuchung Schwangerer
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Moderne Geburtshilfe.
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und Kreißender ganz auszuschalten, haben keinen Erfolg gehabt; die
alleinige äußere Untersuchung und die Untersuchung per rectum können
sie nicht ersetzen, zumal nicht für die Hebammen. Dagegen ist es wohl
schon allgemein gelungen, die innere Untersuchung auf ein geringes Maß
einzuschränken. Im Hinblick auf die Selbstreinigung der Scheide
und die Prognose der Geburt ist es empfehlenswert, jeden Fall etwa
4 Wochen ante terminum zu untersuchen. Die bessere Ausbildung der
Hebammen wird hier weitere Fortschritte bringen, um so mehr, als das
Publikum so ziemlich allgemein schon heute weiß, daß das häufige
innere Untersuchen Schaden stiften kann. Mit höchstens zwei Unter¬
suchungen, zu Beginn des Partus und nach dem Blasensprung, kann man
in 95°/ 0 aller Entbindungen auskommen. Die Gummihandschuhe
werden immer mehr verbessert, ihr Preis ist auch ein erträglicher, so daß
man ihre Benutzung gerade dem Praktiker, der dem Gebot der Non¬
infektion nicht immer gerecht werden kann, angelegentlich empfehlen
muß. Manche hegen der glatten Fläche wegen ein Vorurteil gegen
Gummihandschuhe; dem wird dadurch jetzt abgeholfen, daß die Innen¬
fläche gerauht wird. Im übrigen ist das Arbeiten mit Handschuhen
jeglicher Art lediglich Sache der Übung. Die Vorzüge der Gummi¬
handschuhe sind so große, daß ihre obligatorische Einfüh¬
rung in die Hebammenpraxis zu erstreben ist und zwar in der
Form, daß nach der obligaten gründlichen Desinfektion die Gummi¬
handschuhe angezogen werden und daß nun untersucht wird. Nach
Feststellung des Status werden zur Sicherheit und Schonung bei den
weiteren nötigen Hantierungen die billigen weißen Trikothandschuhe
übergezogen, vor späteren Untersuchungen aber wieder abgezogen, so
daß nurmehr das Abwaschen der gummibehandschuhten Hand in der
Desinfektionsflüssigkeit nötig ist. Die präparatorische Desinfek¬
tion wird heute fast allgemein auf die äußeren Genitalien beschränkt.
Sie läßt 6ich hier exakt und ohne besondere Belästigung der Kreißenden
durchführen. Den prophylaktischen Scheidenausspülungen über¬
haupt, wie besonders vor und nach jeder Untersuchung, kann nicht der
ihnen von einzelnen Kliniken nachgerühmte Wert zugebilligt werden,
und dank den überzeugenden Zahlen Mermanns, eines ihrer eifrigsten
Gegner, kann man sie wohl für überflüssig erachten. Alles, was wir an
prophylaktischen Maßregeln tun können, konzentriert sich auf die Ver¬
hütung jeglichen Imports irgendwelcher schädlichen Substanzen. Uber
die Flora der inneren weiblichen Genitalien sind Bände geschrieben
worden, ohne daß eine Einigkeit erzielt worden wäre; man kann auch
nicht sagen, daß für die Praxis besonders Wertvolles daraus entsprungen
wäre. Die Frage der Selbstinfektion hier anzuschneiden, würde zu
weit führen. Die Differenzierung der in der Vagina und normalerweise
ante partum bis 2 mm Os internum im Zervikalkanal vegetierenden, post
partum aber vielfach ins Cavum uteri aszendierenden Streptokokken ist
bislang nicht in genügender Weise gelungen, auch die Hämolyse hat
als Kriterium im Stich gelassen. Wenn sich die neueste Lehre von der
Bedeutung der anaeroben Bakterien der Flora der inneren weiblichen
Genitalien für die Entstehung puerperaler Erkrankungen bewähren
sollte, so würde die Lehre von der Selbstinfektion allerdings eine starke
Stütze erhalten. Unser praktisches Handeln würde aber auch dadurch
nicht wesentlich beeinflußt werden, höchstens nach der Richtung, daß
man alle intrauterinen Eingriffe noch mehr einschränkt, als es bislang
schon geschieht, um jeglichen Import in das Uteruskavum, sowohl den
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W. Thora,
direkten von außen, als den aus Scheide und. Cervix, in die höheren
Regionen zu vermeiden. Eine neue Spülära, wie wir sie in der Karbol-
und noch mehr in der Sublimatzeit erlebten, werden diese Anaerobier
hoffentlich nicht herauf beschwören. Den dringend notwendigen
Operationen — und nur solche sollte man in der Geburtshilfe aus¬
führen — wird man nach wie vor auch eine Desinfektion des zugängigen
Bereichs der Genitalien vorausschicken, selbst dann, wenn man von ihrer
exakten Durchführbarkeit und Wirksamkeit nicht durchdrungen ist.
Wenn auch die Verhältnisse bei gynäkologischen Eingriffen mit denen
bei geburtshilflichen nach dieser Richtung nicht verglichen werden
können, so ist jene Desinfektion doch das einzige, was wir machen können;
mag man sie zu seiner eigenen Beruhigung also doch stets ausführen,
da sie in vorsichtiger Weise, d. h. ohne zu starke Desinfizientien und
ohne zu starkes Scheuern ausgeübt, wenigstens nicht schaden kann.
Die Unsicherheit, welche noch immer bezüglich des Charakters und
der Bedeutung der Baktienflora der inneren weiblichen Genitalien
herrscht, und auf der anderen Seite die Unmöglichkeit, die schädlichen
und gefährlichen Elemente derselben vor dem operativen geburtshilf¬
lichen Eingriff vernichten zu können, diktieren die Forderung der
Einschränkung aller geburtshilflichen Operationen auf
ein Mindestmaß. Die Zange ist gewiß eines der wohltätigsten
Instrumente, das je erfunden worden ist, besonders in der Hand des
Meisters, jedoch ohne strengere Indikationen sollte auch sie in der
Praxis nicht angewandt werden. Das Neueste, wenn auch nicht Neue,
ist ihre Verwendung am Steiß. Es gab eine Zeit, wo man die Zange
am Steiß für einen Kunstfehler oder einen diagnostischen ansah.
Das beste Hilfsmittel für die Geburt in Steißlage ist Geduld; W'enn aber
wirklich eingegriffen werden muß, so schlage man einen Fuß herunter,
was bei Beckenhochlagerung selbst bei im Becken stehendem Steiß noch
gelingt; der stumpfe Haken und die Schnur sind üble Instrumente.
Auch die Geburt in Gesichtslage ist bekanntlich eine Geduldsprobe;
nur unter strenger Indikation sollte eingegriffen werden. Die Umwand¬
lung in Hinterhauptslage kommt besonders bei mentoposterioren Lagen
und bei Stillstand der Geburt infolge Wehenschwäche in Betracht,
selbstverständlich nur, solange der Schädel beweglich ist. Steht der
Schädel bei men to posterior er Lage bereits fest, so kann man den Ver¬
such machen, das Kinn nach vorn zu drehen. Stirn lagen schalte man
durch Umwandlung in Hinterhauptslage oder Gesichtslage aus oder man
mache die innere Wendung. Die Wahl des Verfahrens richtet sich nach
der jeweiligen Situation und nach der Beschaffenheit des Beckens und
der Größe des kindlichen Schädels. Bei der Umwandlung, wie bei der
inneren Wendung, kann man sich, wenn der vorliegende Teil schwer
wegzuschieben ist, mit Vorteil der Beckenhochlagerung bedienen. Zwar
begünstigt man damit das Höherfließen der Sekrete aus dem Scheiden¬
gewölbe in den Uterus, aber das Fruchtwasser spült sie nachher wieder
herab, so daß quoad infectionem wohl kein Schaden aus der Lagerung!
erwächst. Die Zange ist wiederholt in jüngster Zeit als ein relativ
gefährliches Instrument geschildert worden. Wenn sie das bei den
einfachen Situationen des zangengerechten Schädels auch nicht ist, so
soll sie doch auch nicht mißbraucht werden. Aber mehr als für sie
und alle anderen geburtshilflichen Operationen zusammengenommen,gilt
für die manuelle Lösung der Plazenta die Forderung der größt¬
möglichen Einschränkung. Sie ist ganz ohne Zweifel die gefährlichste
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Moderne Geburtshilfe.
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geburtshilfliche Operation und wird doch noch immer viel zu häufig
ausgeführt. Eine absolut exspektative Behandlung' der Nachgeburtsi-
periode wird bei der Seltenheit der Plazenta acoreta nur höchst
selten zur manuellen Lösung führen. Muß aber eingegriffen werden,
so sollte, sofern nicht Gefahr im Verzüge und eine Narkose nicht aus
besonderen Gründen kontraindiziert ist, stets der Crede in Narkose
vorausgeschickt werden; man umgeht damit noch manche manuelle
Lösung. Der Eingriff selbst aber sollte nur mit der behand¬
schuhten Hand und nur im herabgezogenen Uterus vorge¬
nommen werden. In keinem geburtshilflichen Besteck sollten
daher Instrumente zum Freilegen und Her abziehen des Uterus
fehlen. Es genügen dazu eine vordere und hintere Platte und einige
Muzeux’ oder Collin’s oder derbe Kugelzangen. Mit Leichtigkeit läßt
sich der frischentbundene Uterus in die mit Gaze oder Watte ringsum
abgedeckte Vulva herabziehen und direkt kann die Hand, ohne Vulva
und Vagina weiter zu berühren, in das Kavum eindringen und exakt
und sicher die Plazenta lösen. Und fehlen zufällig Spekula, so genügen
zur Freilegung die Zangenlöffel; im Blinden wird es dem Weniggeübten
schwer, die Lippen zu fassen. Aber nicht nur zur manuellen Lösung
dient das Herabziehen des Uterus, sondern ganz besonders auch zum
Freilegen und Nähen der Zervixrisse und zur Tamponade des
Uterus. Diese wird heutzutage vielleicht ptwas häufiger ausgeführt
als unumgänglich nötig wäre; immerhin ist es lobenswert, wenn man
sich durch Freilegen des Uterus über die Quelle der Blutung genau
unterrichtet und beim Fehlen eines Risses tamponiert, als wenn man
allzu lange Zeit alle möglichen anderen Mittel durchprobt, oder gar
im Vertrauen auf die Hilfe von Mutter Natur die Augen der Gefahr
gegenüber verschließt, übrigens bringt das Herabziehen des Uterus
allein schon nicht selten die Blutung zum Stillstand oder mindert
sie doch so, daß man genau sehen und auch bequem nähen kann und
sollte beides nicht gelingen, so mag man nach Henkel’s Vorschlag
mit einer Klemmzange das angerissene Gefäß, gewöhnlich den unteren
Ast der Uterina, oder auch das- Hauptgefäß selbst, allerdings mit dem
Risiko einer Ureterläsion, zudrücken und die Klemme liegen lassen,
oder später noch durch die Umstechung ersetzen. Mit Recht hat J. Veit
ganz besonders betont, daß die erste Naht über die Spitze des Risses,
nicht in dieselbe gelegt werden muß. Die Übertragung dieser gynäkolo¬
gischen Encheiresen in die Geburtshilfe ist durchaus rationell und
jeder Arzt kann und sollte sie beherrschen; auch bei primitivsten Wohn-
und Beleuchtungsverhältnissen sind sie durchführbar. Aber wenn man
auch erwarten darf, daß die jetzige Ärztegeneration in der Mehrzahl
diese Eingriffe beherrscht, so soll daraus doch niemals die Kon¬
sequenz gezogen werden, daß man nun schon einen Zervixriß bei einer
Zange oder Wendung und Extraktion, oder gar einer Extraktion nach
dem Braxton-Hicks bei Plaoenta praevia bei ungenügend erweitertem
Muttermund riskieren dürfe, weil man ihn ja flicken könne. Die Morn-
burg’sche Taillenschnürung erscheint a priori gerade zur Stillung
der atonisehen Postpartumblutungen besonders geeignet- und so leicht
auszuführen, daß man daran denken könnte, sie den Hebammen an¬
zuvertrauen; aber sie ist nicht ungefährlich und immerhin ein heroisches
Mittel, das nur im äußersten Notfälle angewendet werden sollte. Das
gleiche gilt für die direkte Kompression der Aorta, die schon Baude-
locque empfahl und für die Rißmann unlängst ein besonderes Instru-
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W. Thorn,
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ment angegeben hat. Nicht nur treten direkt bei der Unterbrechung der
Zirkulation gefährliche Zustände auf, kritisch ist auch der Moment der
Aufhebung der Schnürung resp. Kompression, indem dann die Gefahr
vorliegt, auf die Frankl insbesondere aufmerksam gemacht hat, daß
das Herz nun gewissermaßen leer schlägt.. Es empfiehlt sich deshalb,
vor der Taillenschnürung die unteren Extremitäten abzuschnüren, um
nach der Lösung des Taillenschlauches über genügendes Reserveblut
zu verfügen. Scheut man sich vor Taillenschnürung und direkter Kom¬
pression der Aorta, so bringe man den atonischen Uterus in möglichst
spitzwinklige Anteflexio, polstere die hinter ihm tief eingedrückte
Bauchdecke mit Watte oder ähnlichem aus, umschnüre die Polste¬
rung fest, am besten mit breiten Heftpflasterstreifen jund
lege, wenn möglich, eine Eisblase .auf die Uterusgegend und lagere
eventuell auch das Becken hoch, was ja leicht durch Hochstellen des
Fußendes des Bettes zu bewerkstelligen ist. Man kann auf diese wesent¬
lich ungefährlichere und leicht zu bewerkstelligende Dauerkompression
manche schwere atonische Blutung zum Stillstand bringen. Allerdings
ist gutes Heftpflaster dazu nötig, das aber jeder Geburtshelfer im
Besteck haben sollte, schon allein um den Hängebauch und starke
seitliche Neigungen des Uterus zu korrigieren, gegen die alles
Binden mit Tüchern usw. auf die Dauer wenig nützt. Ein anderes
heroisches Mittel zur Stillung atonischer Nachblutungen wurde zwar
schon lange und oft empfohlen, aber nicht praktiziert, ich meine die
künstliche Inversio uteri. Herz hat sie 1906 in einem Fall von
Placenta accreta, wo er das Plazentargewebe zum Teil mit der Schere
abtragen mußte, mit Erfolg ausgeführt und dann wieder reponiert;- der
Fall heilte. In verzweifelter Situation mag man an die Möglichkeit,
auf diese sehr ungewöhnliche Weise Hilfe bringen zu können, denken.
Allerdings klingt ja die Sache scheinbar paradox, da man nicht ohne
weiteres erwarten kann, daß der umgekrempelte Uterus nicht weiter
atonisch bleiben und nicht weiter bluten wird. Der letzteren Eventu¬
alität kann man aber leicht durch die Abschnürung des inver¬
tierten Uterus, die im Moment und mit jedem Band oder Irrigator¬
schlauch zu bewerkstelligen ist, begegnen und von dieser Umschnü¬
rung sollte man überhaupt in prekärer Lage bei puerperaler Inversion,
deren sofortige Reposition nicht gelingt, Gebrauch machen; im Prinzip
natürlich nur temporär, um zunächst die Schwergefährdete sich erholen
zu lassen und nicht sogleich neuerlichem Blutverlust und dem Chok
der Reposition mit der hohen Gefahr des sofortigen Exitus auszu¬
setzen. Übrigens ist die artefizielle Inversion des puerperalen Uterus
sicher keine so leichte und ungefährliche Sache, wie man sie sich nach
den viel verbreiteten, aber falschen Ansichten über die Ätiologie der
puerperalen Inversionen vorstellen könnte, nach denen unter Umständen
schon ein leichter Zug an der Nabelschnur und ein gar nicht besonders
starker Druck auf den Fundus genügen sollen, sie hervorzubringen.
Von der Naht der verletzten Zervix kommen wir zur Dilatation
derselben. Früher waren dem Geburtshelfer die Hände hier sehr ge¬
bunden; heute kann er sie nach vielen Seiten regen und in verschiedener
Weise, je nachdem es gilt, langsam oder rasch eine genügende Weite
zur Entfernung des Schwangerschaftsproduktes zu erzielen und zwar
in allen Zeiten der Schwangerschaft und in der Klinik wie in der
häuslichen Praxis. Die Mittel und Wege sind verschieden nach dem
Alter der Frucht und nach dem Zustand der Zervix; bei ihrer Wahl
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Moderne Geburtshilfe.
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sollte stets der Grundsatz herrschen, daß man nach Möglichkeit die
Natur nachzuahmen sucht und nur notgedrungen Wunden setzt. Der
künstliche Abort bietet ein lehrreiches Exempel. Seine Indikations¬
breite übertrifft diejenige jüngst vergangener Zeiten heute um ein
erhebliches und doch mangelt es noch immer an einer präzisen, allge¬
mein anerkannten Indikationsstelluiig. Es würde zu weit führen, auf
die letztere näher hier einzugehen; Prinzip sollte nur sein, daß in
jedem Falle die Unterbrechung nur nach einem Konsilium mit einem
zweiten Arzte, womöglich einer Autorität auf dem jeweils in Betracht
kommenden Spezialgebiete, ausgeführt wird. Eine soziale Indikation darf
trotz aller Ein wände der Hypermodernen von ärztlicher Seite nicht an¬
erkannt werden. Der Akt selbst ist einfach, aber das darum und daran
ist heikel und der Praktiker wird gut tun, alle Fälle, die nicht ein so¬
fortiges Eingreifen diktieren, der Klinik zuzuweisen. Nicht etwa deshalb,
weil die modernste Technik nicht auch in der Praxis auszuführen wäre.
Die modernste Weise besteht in der Ausräumung nach Spaltung der vorderen
Uteruswand nach Art des vaginalen Kaiserschnittes Dührssen’s,
speziell der von Bumm als kolpohysterotomia anterior eingeführten
Operation. Diese Schnellmethode ist zu verwerfen, wenn keine Gefahr
in Verzug ist und wenn mau nicht ausschließen kann, daß der fragliche
Uterus einem späteren Partus standhalten muß, wie es zum Beispiel
bei Tuberkulose der Fall sein kann. Man motiviert dieses blutige
Vorgehen damit, daß die Einleitung des künstlichen Aborts mit Lami-
naria, Tupelo, Barnes usw. oft zu lange Zeit in Anspruch nehme, was
doch keineswegs für die Mehrzahl der Fälle zutrifft. Etwas anderes
ist es, wenn die Zervix abnorm rigide ist, oder wenn man an den
künstlichen Abort sogleich die Sterilisierung durch Unterbinden
der Tuben anschließen will; dann jnag man, da doch einmal die
Kolpokoeliotomie gemacht werden muß, will man nicht nachträglich
vom Abdomen aus die Tuben resezieren, ins Lig. lat. versenken usw., auch
den Uterus spalten und ausräumen, sonst aDer sollte man diese blutigen
Eingriffe absolut unterlassen, mögen sie noch so bequem für den Ope¬
rateur sein. Daß eine schwere Wendung oder eine Kranioklasie an das
technische Können des Geburtshelfers viel größere Anforderungen
stellen, als der vaginale Kaiserschnitt, ist sicher, zumal wenn
er in der Art des von Diihrssen neuerlich empfohlenen Metreu¬
rynterschnittes — Spaltung der vorderen und nur wenn nötig auch
der hinteren Zervixwand über dem vorher eingeführten Metreurynter
— ausgeführt, wird. Wer einen tiefgehenden Zervixriß exakt nähen
kann, der kann sicher auch die Spaltung der vorderen Wand — diese
genügt fast in allen Fällen — nach Abschieben der Blase vornehmen
und nach der Entwicklung des Kindes auch wieder die gesetzte Wunde
exakt vernähen. Gewiß ist auch von den Inzisionen des rigiden Mutter¬
mundes, die mau ja schon immer dem Praktiker empfohlen hat., bis
zur Hysterotomia anterior nur ein Schritt. Trotzdem kann man die
Ausführung derartiger Eingriffe dem Praktiker im allgemeinen glicht
empfehlen, allein schon der mangelnden Assistenz wegen. Der Kummer
darum ist nicht groß, denn der Praktiker, auch der geburtshilflich
viel beschäftigte, wird nur selten vor die Frage gestellt, ob er einen
solchen Eingriff machen soll, und da die wenigsten der hier in Betracht
kommender. Fälle besondere Eile erheischen, so steht ihm in der Eegel
der Transport zur nächsten Entbindungsanstalt oder die Heranziehung
eines Spezialisten offen. Die Erfindung des vaginalen Kaiserschnittes
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W. Thorn, Moderne Geburtshilfe.
wird Dührssen dauernden Ruhm sichern, aber die Hoffnungen, die
er an ihn geknüpft hat, daß er berufen sein werde, die Geburtshilfe
in vollem Umfange für den Praktiker zurückzuerobem und zugleich
die Perforation des lebenden Kindes aus der Welt zu schaffen, werden
wohl kaum in Erfüllung gehen und brauchen es angesichts der Selten¬
heit der einschlägigen Fälle auch gar nicht. Dührssen übertreibt hier
nach verschiedenen Richtungen. Im Grunde genommen gibt es nur wenige
Situationen, die den Praktiker zwingen könnten, sofort einzugreifen;
an erster Stelle kommen hier die vorzeitigen Lösungen der normal
sitzenden Plazenta in Betracht mit ihrer Konsequenz der schweren
Gefährdung von Mutter und Kind, ein sehr seltenes Ereignis, bei dem
man im Zweifel sein kann, ob man der Raschheit, Sicherheit und
Einfachheit wegen nicht lieber den klassischen Kaiserschnitt, selbst
bei normalem Becken, empfehlen soll und weiter sehr schwere Fälle
von Eklampsie, wo gleich nach den ersten Anfällen schwerste Störungen
der Atmung usw. auftreten. Die Perforationen des lebenden Kindes
werden so gut wie ausschließlich nur bei engem Becken gemacht; für
diese aber hat der Metreurynterschnitt, (soweit er nicht Vorakt der
Buddhageburt (vaginaler Kaiserschnitt plus Ritgenscher Flanken¬
schnitt) ist, keinerlei Bedeutung. Der Metreurynterschnitt wird also
sicher nicht dem Praktiker die Geburtshilfe zurückerobern, soweit er
sie überhaupt schon verloren hat, was selbst für die Großstädte noch
nicht einmal zutrifft. Es ist etwas ganz anderes, einen Zervixriß
nähen, als die Zervix vorn oder hinten oder vorn und hinten, selbst
auf dem Metreurynter, spalten; zu leicht kann der Unerfahrene in
die Blase oder in den Douglas poster. geraten. Es ist noch nicht so
lange her, daß man die Verwendung des vaginalen Kaiserschnittes
in den mittleren Schwangerschaftsmonaten, etwa bei sehr früh auf¬
tretender Eklampsie, zur Entfernung der Frucht zum mindesten für
unmotiviert hielt. Wenn man es heute für geboten hält, zur Entfer¬
nung eines Schwangerschaftsproduktes der ersten Monate die Hystero-
tomia anterior zu machen, weil es so am fixesten geht, so müßte man
logischerweise dieses Prinzip, wenn auch nicht bei jedem normalen
Partus, so doch bei der künstlichen Frühgeburt walten lassen.
Auch hier dauert es ja manchmal recht lange, ehe die Geburt in
Gang kommt; warum sollte man also nicht im Interesse von Mutter
und Kind den ganzen Akt der Geburt in eine Viertelst unde konzen¬
trieren ? Nun, einfach deshalb nicht, weil selten eine dringende Indi¬
kation vorliegt, die uns zwingt, den .Uterus sofort zu entleeren, wie
etwa bei einer Nephritika oder Herzkranken usw. mit akut ein¬
setzenden lebensbedrohlichen Störungen. Es ist klar, daß diese sogen,
chirurgische Ara der Geburtshilfe für die Praxis nicht paßt, es ist
aber ebenso unbestreitbar, daß sie auch in der Klinik nicht notwendig
ist; es gibt einfachere Mittel und Wege, den Uterus auszuräumen, und
wenn die wirklich einmal versagen sollten, so ist es ja dann immer noch
Zeit, zu den Schnittmethoden überzugehen. Sunt certi denique finesl
Die Domäne des Praktikers bei der Erweiterung des Uterus
ist die Metreuryse, nicht die Schnittmethode und auch nicht der
Bossi. Mit Hilfe der Ballons in verschiedener Größe mit und ohne
Zug — die Modelle von Cliampetier de Ribes und Müller sind am
meisten zu empfehlen—, ist der Praktiker imstande, in kürzerer oder
längerer Zeit, je nach Bedürfnis, den Halsteil genügend zu dilatieren,
um die Frucht zu entfernen. Zur Einführung des Metreurynters genügt
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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eine digitale oder auch in kürzester Zeit zu bewerkstelligende instru-
menteile Erweiterung des Zervikalkanals; man reicht mit zwei ver¬
schiedenen Größen des Metreurynters für alle Fälle aus. Den Zug
kann man dadurch ausüben, daß man den Metreuryntersehlauch am
unteren Bettrand befestigt und die Kreißende veranlaßt, sicli entgegen-
zustemmen, oder daß man ein Gewicht anhängt. Im letzteren Falle
muß man dafür Sorge tragen, daß der Zug des Metreurynterschlauches
nicht zu stark gegen die Harnröhre drüdkt, was bei der Überleitung
der Zugschnur über ein hohes Fußende des Bettes leicht möglich wäre.
Ob es sich nun um einen wenig geöffneten Zervikalkanal nach vor¬
zeitigem Wasserabfluß bei Quer- oder auch Schädellage, ob es sich
um eine Placenta praevia oder um eine Eklampsie handelt, bei der
dringendste Symptome noch fehlen, überall hier kann der Ballon ein
ausgezeichnetes Hilfsmittel sein, die Möglichkeit einer raschen und
an sich auch ungefährlichen Entbindung zu schaffen, einer ungefähr¬
licheren jedenfalls, als sie nach fast einstimmiger Meinung die Dila¬
tation mit dem Instrument Bossi s garantiert. Leoppld ist so ziemlich
der einzige bei uns, der diese Art der Dilatation noch verteidigt und
empfiehlt. Bei verstrichenem Zervix mag das Instrument harmlos sein,
bei nicht verstrichenem muß es Verletzungen setzen; als Dilatatorium
aber, um etwa die Einführung des Metreurynters zu ermöglichen, ist es
überflüssig. Für die Praxis ist das Verfahren Bossi’s absolut
nicht zu empfehlen, ebensowenig die Schnittmethode; die
Metreuryse dagegen muß Allgemeingut aller Ärzte werden,
zumal Bedenken bezüglich einer sicheren Asepsis des Instruments nicht
mehr vorliegen. (Fortsetzung folgt.)
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Experimentelle Übertragung der Tuberkulose vom Menschen auf das Rind.
Weitere Beweise für die Arteinheit der beim Menschen und beim Rinde
vorkommenden Tuberkelbazillen.
Von Dr. Eber.
(Sitzung der Medizinischen Gesellschaft in Leipzig am 13. Juni 1911.)
Nach einer kurzen Würdigung der früher im Veterinärinstitut der
Universität Leipzig zur Klarstellung der Beziehungen zwischen Menschen-
uud Rindertuberkulose ausgeführten Übertragungsversuche geht der Vor¬
tragende zu einer Besprechung der letzten großen, im Dezember 1907 be¬
gonnenen Versuchsreihe, deren Ergebnisse jetzt abgeschlossen liegen, über.
Es standen zu diesen Versuchen insgesamt 15 Fälle menschlicher
Tuberkulose zur Verfügung, und zwar 8 Fälle von chirurgischer
Tuberkulose (Material durch Operation gewonnen) und 7 Fälle von
Lungentuberkulose (Material durch Sekton gewonnen). In sämtlichen
Fällen wurden aus dem Ausgangsmateriale Reinkulturen gezüchtet und
in ihrem biologischen Verhalten, sowohl auf künstlichen Nährböden, als
auch im Tierversuche (Kaninchen- und Rinderversuche) namentlich auch
mit Rücksicht äuf ihre Zugehörigkeit zu einem der beiden von Kossel,
Weber und Heuß aufgestellten Tuberkelbazillentypen eingehend geprüft.
Weiterhin wurde festgestellt, wie oft mit Hülfe der kombinierten
subkutanen und intraperitonealen Infektion mit tuberkulösem
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
Materiale solcher Meerschweinchen, die direkt mit dem Ausgangsmateriale
infiziert waren, ein Haften der vom Menschen stammenden, ursprünglich
nicht rindervirulenten Tuberkelbazillen im Rinderkörper erzwungen
werden konnte. Aus den auf diesem Wege bei einigen Versuchsrindern
künstlich erzeugten tuberkulösen Veränderungen wurden wiederum Rein¬
kulturen gezüchtet und in ihrem biologischen Verhalten, insbesondere
auch durch neue Tierversuche (Kaninchen- und Rinderversuche), mit den
aus dem Ausgangsmaterial gewonnenen Reinkulturen verglichen.
In einigen Fällen gelang es auch, aus den durch subkutane und
intraperitoneale Infektion mit Reinkulturen des Ausgangsmaterials
bei den Versuchsrindern erzeugten tuberkulösen Veränderungen Rein¬
kulturen zu züchten und ebenfalls in ihrem biologischen Verhalten auf
künstlichen Nährböden und im Tierversuche zu prüfen. In drei Fällen
endlich wurden auch noch IJbertragungs versuche ausgeführt, bei denen
an Stelle des tuberkulösen Materials von Meerschweinchen, die mit dem
vom Menschen stammenden Ausgangsmateriale geimpft waren, tuber¬
kulöses Material von solchen Meerschweinchen auf Rinder
übertragen wurde, die mit der längere Zeit fortgezüchteten Rein¬
kultur des vom Menschen stammenden Ausgangsmaterials in¬
fiziert waren.
Insgesamt wurden 67 Reinkulturen gezüchtet und Übertragungs¬
versuche mit 54 Rindern, 236 Kaninchen und 360 Meerschweinchen an¬
gestellt. Die Versuche sind in extenso im Zentralbl. f. Bakt., 1. Abt.,
Bd. 59, H. 3, veröffentlicht.
An der Hand der aufgestellten Präparate erläutert der Vortragende
eingehend zwei besonders lehrreiche Fälle (Fall 25 und 26), bezüglich
deren Einzelheiten auf die Originalabhandlung verwiesen sei. Zum Schluß
faßte der Vortragende seine Versuchsergebnis'se wie folgt zusammen:
In drei von sieben Fällen von Lungentuberkulose des
Menschen ist es gelungen, durch gleichzeitige subkutane und
intraperitoneale Übertragung tuberkulösen Materials von
MeerschAveinchen, die mit dem Ausgangsraateriale (tuberkulöse
Menscbenlunge) subkutan infiziert wurden, bei den Versuchsrindern
tuberkulöse Bauchf ellveränderungen zu erzeugen, aus denen
Tuberkelbazillen gezüchtet wurden, die nach abermaliger sub¬
kutaner und intraperitonealer Verimpfung auf Rinder sich
sowohl auf künstlichen Nährbäden als auch im Kaninchen- und Rinder¬
versuche wie Tuberkelbazillen des Typus bovinus verhielten, obwohl
aus dem vom Menschen stammenden Ausgangsmateriale in jedem Falle
Tuberkelbazillen isoliert wurden, die alle Eigenschaften des Typus
human us zeigten.
Der Versuch, dieselbe Wirkung durch gleichzeitige subku¬
tane und intraperitoneale Übertragung der aus dem Ausgangs¬
materiale gezüchteten Reinkulturen auf Rinder zu erzielen, ist im
ganzen nur einmal geglückt, und zwar mit einer aus den Kniegelenks¬
granulationen eines 9 jährigen Kindes gezüchteten Reinkultur, die eben¬
falls alle Eigenschaften des Typus human us zeigte.
In einem anderen Falle, in dem die subkutane und intra-
peritoneale Übertragung der aus dem Ausgangsmateriäle gezüchteten
Reinkultur keine Änderung des Bazillentypus zu bewirken ver¬
mochte, gelang die Umwandlung nachträglich, sobald an Stelle der
Reinkultur (die in diesem Falle 11 Monate lang außerhalb des Tier—
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Autoreferate uud Mitteilungen aus der Praxi*.
925
körpers fortgezüchtet war) tuberkulöses Material von einem mit
dieser Kultur subkutan geimpften Meerschweinchen benutzt wurde.
Es scheint hiernach die Verwendung tuberkulösen Meer¬
schweinchenmaterials das Haften der vom Menschen stammenden
Tuberkelbazillen in der Bauchhöhle und ihre allmähliche Anpassung an
den Rinderkörper wesentlich zu erleichtern.
Die vorstehenden Versuchsergebnisse stellen eine weitere Stütze für
die vom Vortragenden vertretene Auffassung der Arteinheit der beim
Menschen und beim Rinde vorkommenden Tuberkelbazillen dar.
Der Vortragende schloß mit dem Hinweise, daß wenn die beim
Menschen und beim Rinde vorkommenden Tuberkelbazillen nur als
Varietäten ein und derselben Bazillenart aufzufassen sind, die, wie
die eben mitgeteilten Versuche gezeigt haben, verhältnismäßig leicht in
einander übergeführt werden können, man auch berechtigt sei, anzunehmen,
daß auch die ursprünglich vom Rinde stammenden Tuberkelbazillen, wenn
sie gelegentlich einmal in den menschlichen Körper, besonders in die
Lunge, eindringen, dort mit der Zeit ebenfalls eine Umwandlung er¬
fahren können, die eine Unterscheidung von echten Menschen tu berkel-
bazillen, mit Hülfe der jetzt üblichen Untersuchungsmethoden unmöglich
macht. Es sei daher unmöglich, aus den Ergebnissen der gegen¬
wärtig mit Unterstützung der Robert Koch-Stiftung an verschiedenen
Orten im Gange befindlichen, z. T. bereits veröffentlichten Sputum¬
untersuchungen ein sicheres Urteil über den Zusammenhang
der Rindertuberkulose mit der wichtigsten Form der mensch¬
lichen Tuberkulose, der Lungenschwindsucht, zu gewinnen.
Vorträge und Demonstrationen.
Von K. v. Jak sch.
(Vortrag in der wisaenschaftl. Gesellschaft deutscher Arzte in Böhmen am 31. Mai 1911.)
1. Der Redner bespricht zunächst einen typischen Fall von Poly¬
myositis, welcher in vivo diagnostiziert wurde. Er beschäftigt sich weiter
mit der Differentialdiagnose dieser Erkrankung, hebt hervor, daß durch
die Untersuchung Trichinose und Gregarinose ausgeschlossen wurden.
Der Fall endete durch Bronchitis und lobuläre Pneumonie letal. Zur
Ätiologie wird bemerkt, daß Kulturen vom Blut, ferner von Sekreten kein
positives Resultat ergaben. Das Resultat der Versuche, die Krankheit
auf Tiere als Ratten, Kaninchen, Affen zu übertragen, stehen noch aus.
(Der Fall wird an einem anderen Orte ausführlich publiziert werden.)
2. Zur Kenntnis des Morbus Banti. An der Hand zweier unter
dem Bilde des Banti verlaufender Fälle weist der Redner darauf hin,
«laß der Morbus Banti durch verschiedene ätiologische Momente als Lues,
Tuberkulose, Gicht und Protozoeninfektion hervorgerufen werden kann.
Im Anschlüsse daran demonstriert er ihm aus Griechenland eingesandte
Präparate von Leischmann-Donovan’sehen Körperchen im Blute,
die von einem an „Ponos“ leidenden Kinde stammen, und ihm von
Dr. Chrisostomanos (Athen) eingesandt wurden. (Die Publikation
erfolgt an einem anderen Orte.)
3. Über Adipositas cerebrogenitalis. Auf Grund von drei, von
ihm beobachteten Fällen bespricht er dieses Symptom und kommt zu
dem Schlüsse, daß möglicherweise auch funktionelle Störungen der Hypo¬
physe zu dem Symptomen der Adipositas cerebrogenitalis führen können.
Ein von ihm beobachteter Fall von Hvdrocephalus und Syringomyelie^
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
welcher die typischen Symptome der Adipositas cerebrogenitalis zeigte,
stützt seine Anschauung. (Wird ausführlich an anderem Orte publiziert
werden.)
4. Uber Röntgenaufnahmen mittels Metallfiltern. Der Redner be¬
spricht zunächt die Gefahr der Röntgenuntersuchung und die Vermeidung
derselben durch die von ihm angegebenen Metallfilter. Er weist weiter
darauf hin, daß er bei Gelegenheit solcher Studien gefunden hat, daß
die Verwendung von Metallfiltern unter bestimmten Kautelen insbesondere
für Untersuchung der Weichteile als der Muskeln, der Arterien, der
Lungen ganz besondere Vorteile bietet. Er verweist auf die in der
hygienischen Ausstellung zu Dresden von ihm exponierten einschlägigen
Röntgenplatten. (Wird an anderem Orte ausführlich publiziert werden.)
Autoreferat.
Über viskosimetrische Untersuchungen von Augenflüssigkeiten.
Von Dr. Arnold Löwenstein.
(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen, Prag, am 16. Mai 1911.)
Nach kurzer Besprechung des Begriffes der Viskosität wendet sich
der Vortragende dem physiologischen Teile seiner Untersuchungen zu.
Die Viskosität des 2. Kammerwassers erscheint anfangs erhöht, sinkt
allmählich zum normalen Werte (1 • 05) herab, den sie nach 4 Stunden
erreicht. Die Erhöhung des Wertes für rj ist nach subkonjunktivaler
Na Cl-Injektion (4°/ 0 ) geringgradig (1 • 175), nach 30 Minuten meßbar und
nach 2 Stunden abgeklungen. Atropin, Eserin und Adrenalin üben keinen
Einfluß auf die Viskosität des sich regenerierenden Kammerwassers aus,
die Wirkung des 1. drehenden synthetischen Adrenalin (Höchst) kann in
bezug auf die Beschaffenheit des 2. Kammerwassers nicht gleichgesezt
werden der des Suprarenins (Takamine), wie dies in den Lehrbüchern der
Pharmakolgie behauptet wird. Der Kammerwasserabfluß beeinflußt die
Viskosität des Glaskörpers nicht, während bei Glaskörperverlust von
0 • 4 ccm eine Erhöhung der Viskosität des Kammerwassers zu beob¬
achten ist.
Im zweiten Teile des Vortrages bespricht der Vortragende kurz
die Resultate der viskosimetrischen Untersuchungen des Kammerwassers
erkrankter Augen, die noch weiter ausgebaut werden. Bei der Bestim¬
mung des ri -Wertes des Glaskörpers fiel vor allem die hohe Zahl (um 2,
gegenüber dem rj = 1 • 2 des Kaninichen-Glaskörpers) auf. In allen
Fällen von Glaskörpererkrankungen (Iridozyklitis, Hämorrhagia in corp.
vitr.), war die Viskosität herabgesetzt, mitunter recht erheblich (bis 1-2).
Zur Theorie der Netzhautablösung wurden mehrere Untersuchungen
vorgenommen. Bei Patienten, die zur Punktion der subretinalen Flüssig¬
keit bestimmt waren, wurde die Viskosität des Blutes (Hirudinblut), des
Blutplasmas und des Blutserums bestimmt. Der subretinale Erguß zeigte
in allen 3 untersuchten Fällen einen Viskositätswert, der dem' des Blut¬
plasmas fast genau entsprach, d. h. ihn um ein Geringes übertraf. In
der Voraussetzung, daß Transsudate in ihren Eigenschaften dem Blut¬
plasma immer näher stehen als Exsudate, steht Vortragender nicht an,
die Abhebungsflüssigkeit als ein Transsudat zu betrachten und in seinen
Bestimmungen einen weiteren Beleg für eine der Retraktionstheorien der
Genese der Netzhautabhebung zu erblicken.
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Referate und Besprechungen.
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Referate und Besprechungen.
innere Medizin.
Roubitschek (Karlsbad), Zur medikamentösen Therapie der Hyper¬
azidität. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 19, 1911.) Zur Beseitigung der
Hyperazidität suchte man entweder den übersauren Magensaft abzustumpfen,
wozu die Alkalien geeignet waren, oder man versuchte die Sekretion herab¬
zusetzen und dazu dienten die Fette und das Atropin.
Die Erfahrung nun, daß die Magenschleimhaut infolge Schleimmangels
gegen die Salzsäure gesteigerte nervöse Empfindlichkeit zeigt, führte zur
Einführung des Wasserstoffsuperoxyds in die Therapie der Hyperazidität.
R. stellte nun in 35 Fällen Versuche in der Weise an, daß nach Bestimmung
der freien Salzsäure und der Gesamtazidität die Pat. 3 Tage je 300 ccm
einer Vs%igen Wasserstoffsuperoxyd- resp. Perhydrollösung nüchtern zu
sich nahmen, im übrigen aber die gewöhnliche Kost erhielten. Am 4. Tage
wurde wieder die Azidität geprüft und der Befund mit dem ersten verglichen.
R. kommt nun zu folgendem Resultat: Wenn man mit dem eben geschilderten
Verfahren beginnt, so tritt nach 5—6 maligem Gebrauche ein starkes Absinken
der Säurewerte ein.
Ist dies nicht der Fall, so erhöht man die Lösung auf 3 /*—1%. Als
unangenehme Nebenwirkung ist der Brechreiz zu nennen, der aber bei der
x / 2 °/oifiren Lösung selten zu beobachten ist. In 80% der Fälle war ein Er¬
folg eingetreten. Komplikation mit Hypersekretion und Motilitätsstörungen
bildet eine Kontraindikation gegen die Anwendung des Mittels. Die Pat.
blieben während der dreimonatigen Beobachtungsdauer beschwerdefrei.
Die Dauer der Behandlung betrug im Durchschnitt 14 Tage. Zu konsta¬
tieren ist eine leichte abführende Wirkung des Präparates. Die Verwendung
der festen Präparate Hopogan und Magnodat ist nicht empfehlenswert.
Angebracht ist es, zugleich die Diät zu regeln. F. Walther,.
v. Kuester (Berlin), Ein Vorschlag zur Behandlung des Osophagus-
und Kardiakarzinoms. (Med. Klinik, Nr. 25, 1911.) Klinisch lassen sich
zwei Arten des Speiseröhren- und Kardiakarzinoms unterscheiden: eine
weiche und eine harte Form. Bei letzterer, die mit reichlicher Narben- und
Schwielenbildung einhergeht, tritt im Symptomenkomplex die feste und
dauernde Verlegung der Speiseröhren in den Vordergrund. Sie ist es in
erster Linie, die den Kranken herunterbringt, v. K. hat nun versucht, durch
systematische Fibrolysin- u. Sondenbehandlung (wöchentlich eine Injektion
von Fibrolysin-Merck subkutan ins Epigastrium und zwei Bougierungen)
die harte Form in eine weiche zu verwandeln.
Nach angeführten Krankengeschichten ist es in der Tat gelungen,
Patienten, die seit vielen Tagen selbst flüssige Nahrung nicht mehr zu
sich nehmen konnten, wieder soweit zu bringen, daß sie gut gekaute, feste
Speisen einnehmen konnten. Auch der quälende Husten besserte sich.
Verfasser will zur Erprobung des Verfahrens an einem größeren Mate¬
rial anregen, insbesondere auch an Kranken, bei denen eine genaue makro¬
skopische und mikroskopische Prüfung der erkrankten Stellen möglich ist.
Neumann..
Craemer (München), Über die Veränderungen der Magenschleimhaut
beim Ulcus ventriculi rotundum. (Boas’ Archiv, Nr. 1, 1911.) Es herrscht
noch wenig Übereinstimmung darüber, inwieweit beim Ulcus ventriculi die
Magenschleimhaut im Sinne eines Katarrhs verändert ist, ebenso wie auch
die damit im Zusammenhang stehende Frage nach dem Verhalten der Salz-
säuresekretion beim Ulcus noch wenig geklärt ist. Weiter werden wir hier
nur kommen, wenn regelmäßig bei der Operation von Fällen, in denen vorher
die Sekretionsverhältnisse einwandfrei studiert worden sind, kleine Schleim-
hautstückchen entnommen und mikroskopisch untersucht werden. Craemer
verfügt bis jetzt über 7 verwertbare Fälle, in denen sich in der Tat ein©
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Digit ize
928 Referate und Besprechungen.
gewisse Übereinstimmung des mikroskopischen Befundes mit dem Verhalten
des Chemismus nicht verkennen läßt: in 2 Fällen mit normaler bzw. ge¬
steigerter Azidität war die Schleimhaut normal, während in 4 Fällen mit
Hypazidität sowie einem Falle mit immer noch hoher, aber stark sinkender
Azidität eine mehr weniger starke Gastritis bestand. M. Kaufmann.
Haffner (Riga), Chirurgische Behandlung des Ulc. ventr. und seiner
Folgezustände. (Petersb. med. Wochenschr., Nr. 2, 1911.) H. erkennt an,
daß sehr viele Fälle von Magengeschwür der Heilung durch innere Behand¬
lung zugeführt werden können. Doch sind Kranke mit sicher nachgewiesener
Stenose des Pylorus, einerlei ob erheblichen oder unerheblichen Grades,
ferner solche, bei denen kleinere und wiederholte Blutungen im Verlaufe der
Krankheit auftreten, einer chirurgischen Behandlung zu unterziehen. Bei
lebensgefährlichen Blutungen ist abzuwarten, bis der Kranke sich erholt
hat. Als operatives Durchschnittsverfahren bei kompliziertem Magenge¬
schwür ist die Gastroenterostomie anzusehen. — Bei Perforation eines Ulc.
ventr. ist nur von einem alsbaldigen chirurgischen Eingriff Erfolg zu er¬
warten. R. Stüve (Osnabrück).
Jarotzky (Dorpat), Über die diätetische Behandlung des runden
Magengeschwürs. (St. Peterb. med. Wochenschr., Nr. 2, 1911.) Jarotzky hält
sowohl die von Lieube wie die von Lehhartz angegebenen Diätformen für
die diätetische Behandlung des runden Magengeschwürs, zumal in der ersten
Zeit nach eingetretener Blutung, deswegen für nicht ganz rationell, weil
in beiden Diätformen Gemische von Nährkörpern, z. B. Milch, gereicht
werden, die einzelnen Nährkörper aber, wie z. B. Eiweiß und Fett, verschieden
und z. T. in entgegengesetzten Richtungen auf die Tätigkeit der Magenschleim¬
haut ^wirken. Er empfiehlt daher Eiweiß und Fette getrennt darzureichen und
empfiehlt als Fett nicht Sahne zu geben sondern Provenceröl, um nicht bei
der Darreichung von Sahne durch Erweckung des normalen Appetitgefühls
und der dadurch bedingten vermehrten Sekretion (Pawlow), die Magenfunk-
tioneu unnötig anzuregen. Die Nährkörper sollen auch zu verschiedenen
Tageszeiten gegeben werden. Nach J. wäre die Milch also ein viel zu grobes
Nahrungsmittel für Ulcus-Kranke. — Nach seinen Eindrücken am Kranken¬
bett soll diese Trennung der Nährmittel bei der Behandlung des Magen¬
geschwürs sich recht gut bewährt haben. R. Stüve (Osnabrück).
L. Pollak (Wien), Über renale Glykosurie. (Archiv für exper. Path.
u. Pharm., Bd. 64, H. 5 u. 6.) Man kann nach den Untersuchungen des
Verf. Kaninchen durch fortgesetzte Adrenalininjektionen dazu bringen, daß
sie trotz beträchtlicher Hyperglykämie keinen Zucker mehr ausscheiden, und
diese erhöhte Zuckerdichte der Nieren hat auch für andere Mittel Gültigkeit,
die, wie z. B. das Diuretin bei Hyperglykämie, im Tierexperiment Glykos-
urie erzeugen. In diesem Zustand der experimentellen Zuckerdichte der
Nieren kann Vergiftung mit Uranylnitrat noch Glykosurie erzeugen, obw r ohl
durch dieses Gift die Blutzuckerwerte nur wenig oder gar nicht über die
Norm gesteigert werden. Dieses Verhalten kann durch Änderung der Diurese
nicht erklärt werden, da im Gegenteil die Harnmengen nach den Adrenalin-
und Diuretininjektionen gewöhnlich weit größer sind als während der Uran-
wirkung. Es kann sich also hur um eine durch das Uransalz bewirkte spe¬
zifische Durchlässigkeitserhöhung der Nieren für Zucker handeln. Wirkt
aber das Uran auf die pathologisch veränderte Niere in diesem Sinne, so ist
die gleiche Wirkung auch auf normale Nieren höchst wahrscheinlich, zumal
es fraglich ist, ob es durch die Adrenalininjektionen wirklich zu patholo¬
gischen Nierenveränderungen gekommen ist. Das Wesentliche der Uran-
glykosurie ist demnach in der Durchlässigkeitssteigerung der Niere für den
Blutzucker zu sehen.
Es ist wahrscheinlich, daß der Chrom-, Sublimat- und Cantharidin-
glykosurie der gleiche oder ein ähnlicher Entstehungsmechanismus zugrunde
liegt, wie er hier für die Uranglykosurie nachgewiesen wurde.
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Referate und Besprechungen.
929
Die gleiche Auffassung dürfte auch für jene seltenen Fälle von mensch¬
lichem Diabetes Geltung haben, welche berechtigterweise als renale Formen
angesprochen werden. Neumann:
N. Ortner (Innsbruck), Medikamentöse und physikalische Therapie der
Arteriosklerose. (Jahreskurse für ärztl. Fortbildung, Februarheft 1911.)
Eine interessante Erörterung der Grundsätze der Jodbehandlung leitet den
Vortrag ein. Zur Herabsetzung der Hypertension leisten Theobromin und
seine Doppelsalze gute Dienste, auch über Vasotonin äußert sich Verf. hoff¬
nungsvoll.
Der Angina pectoris-Anfall erfordert Nitrite und wo diese versagen
Morphium, bei gleichzeitiger Asphyxie Koffein oder Kampferinjektion und
Strophantin intravenös. Oft ist Kombination von Digitalis und Diuretin
(Digipurat 0,1, Diuretin 0,3—0,5) das beste. Prophylaktisch Diuretin und
Erythroltetranitat.
Chronische Insuffizienz des Herzmuskels verlangt Digitalis (kombiniert
mit Koffein, Diuretin oder Chinin). Sehr vorteilhaft ist eine chronische
Digitalis - Diuretintherapie.
Bei Asthma cardiacum Morphin.
Bei zerebraler Arteriosklerose Jod, Brom kombiniert mit Diuretin.
Bei Schlafstörung hydriatische Prozeduren, eventl. Bromural mit Veronal
(ää 0,2—0,25). Bei Kongestionen und Schwindel Venäsektion. Bäder: Koh¬
lensäure-, Sauerstoff-, Salz-, Thermalbäder und ihre Indikationen werden
ausführlich erörtert.
Außerordentlich wertvoll ist Massage.
Klimatotherapie: Höhen über 1000 m sind zu meiden. Südsee wird
gut vertragen. Bora und Scirocco sowie Föhn sind aber ungünstig. Neumaun.
Chirurgie.
A. Wagner (Stettin), Über ein neues, einfaches und schonendes Ver¬
fahren der Reposition frischer Schultergelenksluxationen. (Deutsche med.
Wo chens ehr., Nr. 25, 1911J) Um bei frischen Schultergelenksluxationen
Assistenz zu sparen, die Narkose zu vermeiden und möglichst schmerzlos
vorgehen zu können, hat Wagner folgende Methode ausgebildet: Er
befestigt unter dem luxierten Arm eine etwa 20 cm lange Rolle fest
gewickelter, im Durchmesser ungefähr 10 cm betragender Watte. Der zweite
Akt der Einrenkung besteht «darin, daß die eine Hand den rechtwinklig
gebeugten Ellenbogen mit der Vola umfaßt, während die andere die Hand¬
gelenksgegend ohne jeden Druck von unten her umgreift. Jetzt wird vor¬
sichtig, aber mit einer gewissen Kraft der Ellenbogen des Pat. gegen dessen
Körper gedrückt, wobei bei Schmerzempfindung sofort nachgelassen wird.
Dann wird der Ellenbogen besser nicht senkrecht gegen die Seite, sondern
mehr nach der Bauchgegend zu angepreßt. Auf diese Weise gelingt es oft
ganz unbemerkt, den Kopf in die Pfanne zurückzubringen.
W. konnte auf diese Weise in 8 von 12 Fällen die Reposition spielend
bewerkstelligen. Nur in 2 Fällen versagte die Methode. Er empfiehlt sie
daher, w r eil vollkommen unschädlich, besonders für den praktischen Arzt.
F. Walther.
F. Hohmeier (Greifswald): Überbrückung eines ausgedehnten Harn¬
röhrendefektes durch freie Faszienplastik. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 19, 1911.) König’s Erfolge mit Übertragung freier Faszienlappen auf
Blasennähte veranlaßten Hohmeier, diese Methode bei einem ausgedehnten
Harnröhrendefekt infolge Gonorrhöe in Anwendung zu bringen. Er deckte
den Defekt durch einen 5 cm langen und 2 cm breiten Faszienlappen aus der
Oberschenkelmuskulatur. Als Polster für die den Defekt frei durchziehende
Faszie verwendete er ein aus der Dammuskulatur frei präpariertes Stück.
Es trat vollständige Restitutio ad integrum ein. Zur Heilung hat sicher
wesentlich die aus der Dammmuskulatur geschaffene Unterlage beigetragen.
F. Walther.
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930
Referate und Besprechungen.
C. Decker (Köln), Experimentelle Beiträge zur Frage der Jodtinktur¬
desinfektion. (Deutsche med. Wo che ns ehr., Nr. 23, 1911.) Decker hat
die Grossich’sche Methode der Hautdesinfektion mit Jodtinktur wieder ver¬
lassen und zwar aus folgenden Gründen: Er sah danach sehr häufig Ekzem -
bildung auftreten, auch zahlreiche miliariaähnliche Bläschen wurden nicht
selten beobachtet. Sehr unangenehm war ferner die Reizung der Schleim¬
häute durch die Joddämpfe. Operateur sowohl, wie Assistenten und
Schwestern hatten an Konjunktivitiden oder Katarrhen zu leiden, auch bei
den Pat. selbst kam es oft zu Pneumonien. Was endlich die bakterizide
Wirkung anbetrifft, so konnte er feststellen, daß die pathogenen Keime
durch die Jodtinktur nicht abgetötet wurden. Die Wirkung beruht daher
jedenfalls auf der Herabsetzung der Keimabgabefähigkeit der Haut.
F. Walther.
H. Braun (Zwickau), Über die Lokalanästhesie im Trigeminusgebiet.
(Deutsche med. Wochenschr.i, Nr. 30, 1911.) Bei Operationen am Kopfe be¬
dient sich Braun mit Vorliebe der Lokalanästhesie, da man jetzt zur
Anästhesierung der 3 Trigeminusäste über eine typische Technik verfügt.
Für den ersten Ast stehen uns zwei Möglichkeiten zur Verfügung; |ent-
weder erreicht man den N. ophthalmicus durch eine mediale oder laterale
Orbitalinjektion. Der zweite Ast, der N. maxillaris, wird durch das Foramen
rotundum aufgesucht, der dritte, der N. mandibularis, durch das Foramen
ovale. Die genauere Technik muß im Original nachgelesen werden. Zur
Injektion bedient er sich einer l%igen Novokainlösung unter Suprarenin-
zusatz.
Bei eingreifenden Knochenoperationen muß vorher Morphium-Skopol¬
amin gegeben werden. Je nach der Art des Eingriffs sind die verschiedenen
Äste anästhetisch zu machen. Das äußere Operationsfeld ist stets noch durch
VsVoigö Novokainlösung zu umspritzen, um benachbarte Innervationsgebiete
zu anästhesieren.
Chronische Stirnhöhleneiterungen wurden in 13 Fällen, teils einseitig,
teils doppelseitig ausgeführt und dabei der erste und zweite Ast injiziert.
Weiche und knöcherne Nase und die ganze Nasenhöhle werden durch An¬
ästhesierung des ersten und zweiten Astes beiderseits unempfindlich ge¬
macht. Bei typischer Oberkieferresektion genügt Ausführung beider Orbital-
injektionen und einseitige Unterbrechung des N. maxillaris.
Die Vorteile der Lokalanästhesie sind ganz bedeutende. So hat die
Oberkieferresektion viel von ihrer Gefährlichkeit verloren. Voroperationen,
wie Tracheotomie 1 , Karotisunterbindung usw., sind überflüssig geworden.
Irgendwelche Gefahren schienen damit nicht verbunden zu sein. Vor Gefäß-
Verletzungen braucht man sich nicht zu fürchten. Nachblutungen hat er
nie beobachtet, doch darf nicht vergessen werden, jeden Blutpunkt sorg¬
fältig zu unterbinden. F. Walther.
Psychiatrie und Neurologie.
F. Jaugeas (Paris), Die Röntgenbehandlung der Hypophysentumoren.
(Riv. crit. di Clin, med., Nr. 17, 1911.) Der von Jaugeas beschriebene
Fall betraf einen 23jährigen Jüngling, bei dem Hemianopsie, röntgenologisch
festgestellte Veränderungen am Türkensattel, sowie mangelhafte Verknöche¬
rung der Epiphysen mit großer Wahrscheinlichkeit einen Tumor der Hypo¬
physe vermuten ließen. Er wurde 8 Monate lang zweimal wöchentlich mit
Röntgenstrahlen behandelt (mit hohem Penetrationsvermögen = Nr. 8 Benoit,
Dosis 3H), und zwar wurden abwechselnd Stirn- bzw. Temporalgegenden
bestrahlt. Der Erfolg war eine Besserung des Gesichtsfeldes, sowie ein
Verschwinden des quälenden Kopfschmerzes, so daß der Patient arbeitsfähig
wurde. M. Kaufmann.
W. R. Schottin (Dresden), Phosphorbehandlung der Migräne. (Med.
Klinik, Nr. 9, 1911 j) Genaue Beobachtungen in einem einschlägigen, näher
mitgeteilten Krankheitsfalle sowie daran anschließende physiologische Be-
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Referate und Besprechungen.
931
Pachtungen und Erwägungen ließen den Verf. zu einer Auffassung des
Wesens der Migräne kommen, die u. a. auch Strümpell vertritt, wonach
die Art der Reizung, von welcher die Schmerzen und die übrigen hemikra-
nischen Symptome abhämgen, in der Gehirnrinde liegt, und daß die Ur¬
sachen der Migräne in einer abnorm großen Reizbarkeit dieser Zentren be¬
steht. Sich nun an dia Tatsache erinnernd, daß die ebenfalls auf einer
abnormen Reizbarkeit des Gehirns beruhende Spasmophilie rachitischer Kin¬
der durch Zufuhr von Phosphor gebessert wird, kam Schottin auf den
Gedanken, die Migräne ebenfalls durch Phosphor-Medikation zu behandeln
und hatte in der Tat bei jüngeren Individuen durch die Verabfolgung täg¬
lich 1 Teelöffels von Phosphorlebertran (0,01:100) Erfolg, während sich
bei Erwachsenen jenseits der zwanziger Jahre besser das Lezithin bewährte
und zwar in einer in Öl gelösten Form, dem sogenannten Lezimorol, das
vom Hammerwerk in Dresden hergestellt wird. (Dosis zweimal täglich
1 größerer Teelöffel für Erwachsene, 1 kleinerer für Kinder.)
R. Stüve (Osnabrück)..
Elschnig (Prag), Über tabische Sehnervenatrophie. (Med. Klinik, Nr. 9,
1911.) Aus der kritischen Verwertung des dem Verf. zur Verfügung stehen¬
den ziemlich reichhaltigen Materials ergibt sich, daß unter 63 Tabikern
mit Sehnerven&trophie und Lues in der Anamnese kein einziger sich
befand, der durch mehr als Wochen piner antiluefäschen Kur unterzogen
gewesen war, und kein einziger war intermittierend, d. h. auch ohne mani¬
feste luetische Symptome, behandelt worden. Aus anderen Publikationen
geht hervor, daß die unbehandelten oder schlecht behandelten Luesfälle
eine „kolossale“ Prädisposition zum Auftreten der Tabes haben. Demnach
sei die eigentliche Therapie der tabischen Sehnervenatrophie die Verhütung
durch eine entsprechende Behandlung der frischen Lues, die nach Elsch-
nig’s Meinung eine sich über Jahre hinaus zu erstreckende (intermittierende)
zu sein hat. Nach Elschnig’s Beobachtungen ist es wahrscheinlich, daß
einer eintretenden tabischen Sehnervenatrophie zeitweise reflektorische Pu¬
pillenstarre als prämonitorisches Symptom vorangehen kann, weshalb E.
dringend empfiehlt, bei der Nachschau an Luetischen auf das Verhalten
der Pupillen genauestens zu achten. — Ausgesprochene Sehnervenatrop hie
ist keiner Behandlung oder Besserung fähig; dagegen finden sich manchmal
auch bei Tabes Erkrankungen des Nerv, opt., die einer Atrophie gleich sehen,
sich aber auf eine eingeleitete Quecksilberbehandlung bessern. Von einer
solchen, wenn unter Vorsichtsmaßregeln (Beobachtung des Harnbefundes
und des Allgemeinzustandes) ausgeführt, hat E. niemals ernstlichen Schaden
gesehen. — Wie andere Ärzte, so erblickt auch E. in dem Umstande, daß
die Behandlung der Lues mit dem neuen Ehrlich’schen Mittel die ersten
Manifestationen der Lues so überraschend schnell beseitigt, einen Grund mehr
zu der Befürchtung, daß die auf diese Weise scheinbar geheilten später das
Material für die metaluetischen Erkrankungen abgeben werden. Mit den
Worten: „Die kühnen Hoffnungen, die an den volltönenden stolzen Titel der
neuen Therapia sterilisans magna“ geknüpft wurden, sind ja heute schon in
nichts oder fast nicht zerronen, schließt E. seine Ausführungen.
R. Stüve (Osnabrück).
Ohrenheilkunde.
Rieh. Lake (London), Physiologische Ruhe des Ohrs. (Arch. int. de
lar., Bd. 31, H. 3.) Ruhe als therapeutischer Faktor, für fast alle anderen
Organe längst als wichtig erkannt, ist dem Ohrenarzt ein fremder Begriff.
Lake hatte einen Kollegen zu beraten, der Schütze war und (wie diese
oft) über Sausen im linken Ohre klagte. Er schickte ihn auf vier Wochen
in seine Heimat im einsamsten Irland — und der Kranke kam geheilt zurück.
— Geeignet für Ruhekuren sind neurasthenische Zustände des Nervus acusti-
cus und Hyperakusien, ungeeignet alle Mittelohraffektionen. Die Kuren wer¬
den verordnet als Aufenthalt im Gebirge und Nadelwald. Um sich beim
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Referate und Besprechungen.
Schießen oder in der geräuschvollen Großstadt vor Geräusch zu schützen,
besonders wenn nur ein Ohr krank ist, verwendet man mit Walrat durch¬
knetete Watte und verstopft damit den Gehörgang. — Mit dieser Anregung
des englischen Arztes finden somit die „Antiphone“, die bisher nur von der
(in der Ohrenheilkunde üppig blühenden) Kurpfuscherei verwendet wurden,
Eingang in die wissenschaftliche Otologie. Arth. Meyer (Berlin).
Capart Fils (Brüssel, Berufskrankheiten der Telephonisten. (Arch.
int. de lar., Bd. dl, H. 3.) Ob bereits der gewerbsmäßige Gebrauch des
Telephons einem gesunden Ohr schaden kann, ist nicht entschieden. Manche
Autoren berichten über subjektive Geräusche. Gehörshyperäthesie, Schwä¬
chung des Hörvermögens, andere konnten keine üblen Einwirkungen fest-
stellen. Anders, wenn der Rufstrom die gerade eingeschaltete Beamtin trifft;
es sind danach ernstliche nervöse Erscheinungen, (Synkope, Lähmungen.
Herzstörungen) beobachtet worden; auch die „Prüfung“ gehört hierher:
(will die Telephonistin feststellen, ob ein Teilnehmer spricht, so schaltet sie
sich in seinen Stromkreis ein und vernimmt ein scharfes Knacken). Trom¬
melfellrupturen kamen nach diesen alltäglichen Ereignissen gelegentlich vor.
— Störungen durch benachbarte Starkstromnetze, Kurzschlüsse mit solchen
sowie atmosphärische Entladungen können schwere Erscheinungen verur¬
sachen, ja sogar sofortigen Tod. — Bei dem Personal der Ämter sind Neu¬
rosen häufig, meist neurasthenischer, seltener hysterischer Natur. Nament¬
lich hinterlassen telephonische Unfälle oft langdauernde psychische Störung.
Schädlich wirkt natürlich auch die allzu anstrengende Arbeit, wenn die
Zahl der zu bedienenden Anschlüsse zu groß ist. —
Prophylaktisch verlangt C apart Vervollkommnung der Apparate und
der Arbeitsorganisation, Prüfung des Nervensystems und des Gehörorgans
der Beamten beim Eintritt und in regelmäßigen Zwischenräumen.
Arth. Meyer (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
J. v. Btfkay, L. Veimes u. Z. v. Bökay, Die Heilwirkung des Salvarsans
bei der Lues des Kindesalters. (Wiener klinische Wochenschr., Nr. 17.
1911.) Das Material der Verf. umfaßt 26 Fälle, davon 3 Fälle erworbener
und 23 angeborener Lues; von letzteren waren 13 weniger, 10 mehr als ein
Jahr alt. Im Anfang wurde die von Ehrlich empfohlene Dosis, 0,005 g
pro kg Körpergewicht, verwendet, später aber bis 0,01 gesteigert; unter Um¬
ständen wurde nach 3—5 Wochen eine zweite Injektion nachgeschickt. Die
Injektion wurde teils subkutan, teils intramuskulär, nie intravenös, gegeben.
Das Salvarsan übertrifft bei der Lues des Kindesalters das Quecksilber in
der Raschheit der symptomatischen Heilwirkung; wie sich allerdings die
Dauerwirkung verhält, darüber können nur länger dauernde Beobachtungen
entscheiden. Gegenüber den Anschuldigungen eines anonymen französischen
Autors (La Clinique infantile, Nr. 22, 1910) ist festzustellen, daß in be¬
friedigendem Zustand befindliche, natürlich genährte Säuglinge das Salv¬
arsan in der beschriebenen Dosis und Applikationsweise ohne Schaden und
gut vertragen. M 4 Kaufmann.
Filaretopoulos (Athen), Behandlung der tertiären Syphilis mittels
Jodipin. (Jatrikos Minitor, Nr. 22/23, 1909.) Unter den zahlreichen Jod-
präparaten hält F. das Jodipin für das geeignetste, da es die kranken Ge¬
webe einer langdauernden Jodwirkung aussetzt. Bei einer Kranken wur¬
den noch nach 70 Tagen Spuren von Jod im Urin gefunden. Kumulative
Erscheinungen und Jodismus sind selbst bei hohen Dosen sehr selten und
unbedeutend gewesen. Als günstige Nebenwirkung ist die Hebung des Er¬
nährungszustandes zu nennen. — Zur Technik der Jodipininjektionen bemerkt,
der Verfasser, daß die Einspritzungen in die Glutäalgegend oder den Inter -
skapularraum, so langsam wie möglich ausgeführt werden müssen um In-
Di Go ~gle
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933
durationen vorzubeugen. Nennenswerte Nachteile hat diese Applikation nie
gehabt.
Bemerkenswert ist ein Fall von tertiärer Arthritis, wo Hg. und J. ohne
Erfolg blieben. Nach zwölf Jodipininjektionen von 10 ccm waren die Ge¬
schwülste des Knies fast geschwunden und die Gehfähigkeit wieder her-
gestellt.
Ebensogute Resultate wurden erzielt bei multiplen Gummata der Haut,
Hemiplegie infolge von gummöser Endarteritis cerebralis, Parese der unteren
Gliedmaßen mit Erscheinungen von Spinalparalyse; in letzterem Falle wurde
der Gang fast normal. — Bei tertiären Formen der Syphilis bewährt sich
oft sehr gut die Kombination von Salvarsan mit einer Serie von Jodipin¬
injektionen. Neumann.
G. H. Day (Louisville Ky), Die Methode zur Behandlung der akuten
Gonorrhöe. (Medic. Progr., Nr. 295, 1910.) Die alte Methode, während der
ersten Zeit dem Patienten überhaupt keine Behandlung zuteil werden zu
lassen, ist nicht zu empfehlen, da es dadurch den Krankheitskeimen möglich
gemacht wird, sich in der Schleimhaut einzunisten. Eine bessere Methode
ist die, eine Medizin einnehmen zu lassen, die den Urin antiseptisch macht
und gleichzeitig wie ein lokales Analgetikum auf die entzündete Harnröhre
wirkt. Zu diesem Zwecke benutzen die den neuesten Fortschritten folgenden
Ärzte das Gonosan. Der Verfasser hat mit Gonosan ausgezeichnete Er¬
fahrungen gemacht, denn es besitzt eine ausgesprochen anästhesierende und
sedative Wirkung, beschränkt merklich die Sekretion und ist imstande, bei
geeigneter Diät und Ruhe Komplikationen zu verhindern. Bode.
P. G. Unna, Über einen neuen farblosen Schutz gegen unerwünschte
Wirkungen des Sonnenlichtes auf die Haut. (Med. Klinik, Nr. 12, 1911.)
Die bisher gegen die Einflüsse des Sonnenlichtes auf die menschliche Haut
(Gletscherbrand usw.) zur Verfügung stehenden Mittel, farbige, gelbe und
rote Pasten oder Lösung von Chininsulfat, denen durch Resorption der
blauen, violetten und ultravioletten /Strahlen des Sonnenlichtes eine vor¬
beugende und heilende Wirkung auf die durch jene Strahlen bewirkten Ver¬
änderungen der Haut zukommt, waren in ihrer Anwendung mit gewissen
Unbequemlichkeiten verbunden oder besaßen sonst manche Schwächen. Jetzt
haben Mann ich und Zerndk in einer Reihe von Aesculinderivaten farb¬
lose Substanzen entdeckt, die geeignet erscheinen die menschliche Haut gegen
die unerwünschten Wirkungen des Sonnenlichtes zu schützen. Unna hat
die Präparate auf ihre Wirksamkeit geprüft und sehr zuverlässig befunden,
besonders das Monoxyderivat (mit dem griechischen Buchstaben u bezeichnet)
und Eucerin genannte Präparat. Die Wirkung des Präparates, die nicht
nur eine vorbeugende sondern auch eine heilende ist, wird am besten durch
einen Brief in das rechte Licht gesetzt, den ein Kollege über seine an sich
und seiner Familie auf einer Reise in die Hochalpen gemachten Beobachtungen
dem Verf. schrieb, und der im Original zum Abdruck gelangt ist. Das
Präparat wird von der Firma Kopp & Joseph, Berlin unter dem Namen
Zeozon, in 3%iger, für kosmetische Zwecke z. B. gegen Sonnenbrand, unter
der Bezeichnung Ultra-Zeozon in 7%iger Salbe zum Schutz gegen Glet¬
scherbrand in den Handel gebracht. R. Stüve Osnabrück,
Medikamentöse Therapie.
L. Straschnow (Leitmeritz), Ober das Jothion. (Allgem. Wiener med.
Zeitung, Nr. 16, 1911.) Verf. berichtet über die vorzüglichen Resultate, die
er mit Jothion bei rheumatischen und gichtischen Kranken erzielt hat. Er
wendete das Mittel in folgender Zusammensetzung an:
Jothion 1,0 bis 2,5,
Lanolin, anhydr.
Vaselin, amer. flav. ää 5,0,
M. D. S. 10—25% Jothionsalbe.
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Iu gynäkologischen resp. venerologischen Fällen, z. B. bei Erosionen der
Portio, bei akuter Parametritis empfiehlt sich die Einlage von Tampons
mit 2°/ 0 Jothion-Glyzerin, worauf sieh die Erosionen schnell überhäuten und
das Allgemeinbefinden bessert. Bei Ulcus molle mit stark infiltrierten
Inguinaldrüsen ging auf Applikation einer 10 °/ 0 igen Jothionsalbe die
Schwellung und die Schmerzhaftigkeit prompt zurück. Wegen der abso¬
luten Reizlosigkeit empfiehlt Verf. das Mittel allen anderen Resorbentien
vorzuziehen, auch bei Struma als 10%ige Mischung mit Alcohol absolutus.
R.
J. Lowinsky (Berlin), Das Anwendungsgebiet des Adalins. (Die Ther.
der Gegenw., H. 5, Mai 1911.) Verf. gibt für das neue Präparat folgende
Indikationsgebiete an: Idiopatische Insomnie, Neurasthenie und Hysterie,
sowie symptomatisch bei organischen Krankheiten, speziell bei Herzleiden
und Morbus Basedowii, bei denen das Einschlafen durch Herzklopfen, Angst
usw. beeinträchtigt ist. In 33 von den 40 beobachteten Fällen war das
Resultat günstig, so daß der Praktiker in dem größten Teile der Fälle auf
eine befriedigende Wirkung rechnen kann. Als Einschläferungsraittel bedarf
es einer Dosis von 0,75—1 g, bei längerer Verabreichung genügt Vz S • Un-
angenehme Neben- oder Nachwirkungen haben sich niemals eingestellt. R.
H. Raschkow (Berlin), Das Sedativum und Einschläferungsmittel Adalin.
(Med. Reform, Jahrg. 19.) Verf. hat die Wirkung des Adalins bei Neur¬
asthenie, Hysterie, Tabes, traumatischen Neurosen usw. in einer Reihe von
Fällen erprobt. Die Dosis betrug 2—3 Tabletten pro die oder abends
2 Tabletten 1 ? Stunde vor dem Schlafengehen unter Nachtrinken von warmer
Flüssigkeit. Die sedative Wirkung machte sich nach kurzer Zeit bemerkbar:
die hypnotische nach Einnehmen von 2 Tabletten ca. nach 1 Stunde. Der
Schlaf war stets tief, fest und traumlos; er dauerte im allgemeinen 5 bis
7 Stunden. Abgesehen von vereinzelten Fällen, wo über leichte Kopf¬
schmerzen am anderen Tage geklagt wurde, kamen Neben- oder Nachwir¬
kungen nicht zur Beobachtung. Bei den Tabesfällen wirkte es mehr im
Sinne eines ,,Einschläferungsmittels“. Mißerfolge zeitigte Adalin nur bei
Neuralgien, während es z. B. bei einem Falle von Gehörshalluzinationen
sogar die Wirkung von Veronal übertraf. Nach Ansicht des Verf. nimmt
Adalin eine Mittelstellung ein zwischen Veronal und Bromural. B.
L. Weil (München), Zweckmäßige Anwendungsweise des Mesotan.
(Münchn. med. Wochenschr., Nr. 9, 1911.) In der über Mesotan vorliegenden
Literatur -wird von einigen Autoren gelegentlich als Nebenwirkung Derma¬
titis, Erythem usw. angegeben. Zwar lassen sich diese Erscheinungen bei
richtiger Anwendung völlig vermeiden, so daß eine besondere Spezialität
eigentlich überflüssig erscheint. Verfasser hat jedoch mit einer neuerdings
in den Handel gebrachten 20%igen Mesotancreme eine ganze Reihe von Ver¬
suchen gemacht, in denen er sich außerordentlich günstig über die Wirkung
der Creme ausspricht; speziell bei Lumbago, Muskel- und Gelenkrheuma¬
tismus. Neuritis auf rheumatischer Basis und verschiedenen Gelenkschwel -
hingen. Man reibt früh und abends so viel ein, als die Haut aufnehmen
kann, und bedeckt die Stelle mit einer dünnen Schicht Watte oder Flanell.
Die Applikationsstelle wechselt man in der Weise, daß man einmal auf deT
schmerzhaften Stelle selbst, ein andermal in unmittelbarer Nähe derselben
die Mesotancreme verreibt. Irgendwelche Schädigung der Haut hat Verf.
bei der Massage nie beobachtet. Ein besonderer Vorzug ist noch die Billigkeit
des Präparates, da die halbe Tube nur 50 Pf. und die ganze Tube 90 Pf.
kostet, so daß der Verordnung in der Krankenkassenrezeptur keine Schwierig¬
keiten im Wege stehen. R.
Stock (Köln), Über Perhydrol. (Med. Wochenrundschau „Medico“,
Nr. 20, 1911 j) Eine übersichtliche Darstellung des umfangreichen Indika¬
tionsgebietes des Wasserstoffsuperoxydes. Bei Benutzung des haltbaren, che¬
misch reinen Perhydrols, aus dem jederzeit stärkere und schwächere Wasser-
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Referate und Besprechungen.
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stoffsuperoxydlösungen frisch hergestellt werden können, ist die Anwendung
für den Arzt leicht und zweckmäßig.
Auch die eigenen Erfahrungen des Verfassers lauten für das Perhydrol
sehr günstig. So hat er es als Gurgelwasser bei Diphtherie, sowie bei ver¬
schiedenen Affektionen der Mund- und Rachenschleimhaut mit sehr be¬
friedigenden Resultaten angewandt. Gurgelungen und Spülungen mit 3°/ 0 iger
Wasserstoffsuperoxydlösung hält er auf Grund eigener Feststellungen für
sehr wichtig und wirksam zur Verhütung und Bekämpfung der Genickstarre.
Eine besonders gute Heilwirkung sah er ferner bei Gonorrhöe. Bei gonor¬
rhoischen Infektionen der Frauen hatten tägliche Eingießungen von 3%iger
Perhydrollösung guten Erfolg, während bei männlicher Gonorrhöe keine
so günstigen Resultate erzielt wurden. R:
Nockher (Köln-Lindenthal), Über Arsen-Sanguinal. (Ärztl. Viertel¬
jahrsrundschau, Nr. 1, 1911.) Zur Therapie der chlorotischen Neurasthenie
empfiehlt N. das bekannte Arsen-Sanguinal. Er hat dasselbe in allen
Fällen wirksam gefunden, in denen alle seitherigen gegen Hysterie und
Neurasthenie verwandten Medikamente erfolglos waren. Er führt in seiner
interessanten Abhandlung eine sehr bemerkenswerte, reiche Kasuistik auf,
aus welcher hervorgeht, daß das Arsensanguinal nicht nur einen raschen,
prompten, nachhaltigen und verbessernden Einfluß auf das Blutbild besitzt,
sondern daß es auch auf die seelische Beschaffenheit der Patienten und deren
subjektive Beschwerden, auf ihr Allgemeinbefinden, ihr Aussehen, sowie
ihren Kräftezustand allergünstigst einwirkt. Sehr bemerkenswert erscheint
jedoch der Effekt, den das Präparat auf die gestörten Menses ausübt. Was
frühere Autoren schon öfters behaupteten, konnte Nockher an der Hand
seiner jahrelangen Erfahrungen bestätigen: Das Arsensanguinal leistete in
der Frauenpraxis bei allen neurasthenisch-chlorotischen Zuständen die besten
Dienste. — Nockher verordnet das Präparat in abwechselnd steigenden
und fallenden Dosen, und zwar:
dreimal täglich 1 Pille 2 Tage lang, dann
dreimal täglich 2 Pillen >3 Tage lang, hierauf
dreimal täglich 3 Pillen 4 Tage lang, dann
dreimal täglich 2 Pillen 3 Tage lang, dann
dreimal täglich 1 Pille 2 Tage lang, usw. Neumann.
Baravalle (Vereelli), Bromural bei Kinderkrankheiten. (La Pediatria,
Nr. 12, 1910.) Das Bromural wurde von B. in der ihm unterstellten Kinder-
abteilung und seiner Privatpraxis auf breiter Basis mit bestem Erfolg
bei verschiedenen Erkrankungen angewandt, in denen ein nervenberuhigen¬
des Mittel angezeigt erschien. Ganz besonders kam es systematisch als Be¬
ruhigungsmittel nach Operationen zur Verwendung.
Bei Kindern stellt sich umgekehrt wie beim Erwachsenen Aufregung
und Unruhe immer erst nach der Operation ein, da die Kinder nicht voraus-
sehen können, was mit ihnen vorgenommen werden soll. Es ist also bei
Ivindern ein Beruhigungsmittel nur nach der Narkose angezeigt und B. ver¬
wendet deshalb hier nach jeder Operation 0,3 g Bromural, wiederholt diese
Dosis manchmal am Abend und gibt es immer einige Tage fortlaufend. Die
besten Erfolge gab das Bromural als Beruhigungs- und Schlafmittel in
schweren Fällen von Verletzungen und bei meningitischen Erscheinungen,
in 3 Fällen von Chorea, in 2 Fällen von Krampfhusten und in 1 Fall von
Tetanus. Im letzteren Falle, es handelte sich um ein Kind von 5 Jahren,
trat auf 1,5—2 g Bromural innerhalb 24 Stunden 8 Tage hintereinander ohne
andere Behandlung völlige Heilung ein.
Die Dosis für Kinder unter 8 Jahren schwankt zwischen 0,1—0,6 g
pro die. Nur bei schweren Fällen, besonders meningitischen, wurde die
Dosis erhöht. Es zeigten sich weder jemals Zeichen von Unverträglichkeit
noch ging die Wirksamkeit bei längerem Gebrauch zurück. Neumann.
A. Magnus-Levy, Die Wirksamkeit des Jods bei Arteriosklerose. (Berl.
klin. Wochenschr., Nr. 13, 1911.) Magnus-Levy berichtet über einen
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Referate und Besprechungen.
Fall von intermittierendem Hinken und Rückenmarkserkrankung nach Ver¬
giftung mit Extractum filicis' maris. Der Erfolg der Therapie — gleich¬
zeitig Jod und Diuretin — war außerordentlich auffallend, so daß man, da
bekanntlich ein experimenteller Beweis für die Wirkung des Jods bei Arterio¬
sklerose aussteht, hierin die beste Stütze für die Wirksamkeit auch des Jods
bei der allgemeinen Arteriosklerose zur Hand hat, während man die äußerst
günstige Diuretinwirkung bekanntlich auf Erweiterung der Gefäße zurück¬
zuführen hat.
Der Verlauf des Falles war, soweit die Therapie in Frage kommt,
folgendermaßen:
„Unter Jod schnelle Besserung der Beschwerden, nur die nächtlichen
Schmerzen bestehen zunächst noch fort, lassen aber auf 2 g Diuretin, in den
Abendstunden genommen, prompt nach. Unter gleichzeitigem Elektrisieren
wesentliche Besserung der Motilität in den paretischen Teilen. Patient kann
nach vierwöchiger Kur bereits 10—15 Minuten ohne Ermüdung und ohne
Stehenbleiben gehen. Eine vollständige Wiederherstellung des Beines ist
nicht wahrscheinlich. Die Verfärbung der Haut läßt nach, der Puls ist
gelegentlich in den Fußarterien wieder, wenn auch schwach, fühlbar.
Noch eine therapeutische Bemerkung sei erlaubt: Das Jod hat sich
in vielen Fällen von Claudicatio intermittens bewährt. Seine Wirksamkeit
tritt hier, im Gegensatz zu der langsamen und schwer zu beurteilenden, bei
allgemeiner Arteriosklerose schon nach kurzer Zeit hervor und ist an der
besseren Ernährung und Funktion der befallenen Teile deutlich nachzuweisen.
Mir scheint, daß der Nutzen des Jods bei dieser Erkrankung die beste kli¬
nische Stütze für seine Wirksamkeit bei der allgemeinen Arteriosklerose ist,
für die es ja an einer sicheren und experimentell begründeten Erklärung
noch immer fehlt. Dabei verkenne ich nicht, daß dem Bild des intermit¬
tierenden Hinkens keineswegs immer die gewöhnliche Arteriosklerose zu¬
grunde liegt, und daß Besserungen des intermittierenden Hinkens auch ohne
Jod Vorkommen, wie sie andererseits in manchen Fällen auch trotz Jod¬
gebrauches ausbleiben.“ Neumann.
Echtermeyer (Berlin), Eisensajodin bei skrofulösen Lymphdrüsenschwel-
lungen. (Med. Reform, Jahrg. 19, Nr. 6.) Verf. sah in 96% der behan¬
delten kranken Kinder einen günstigen Einfluß auf die skrofulösen Ly mph-
drüsen. Die kleinen Patienten nahmen die Eisensajodintabletten wegen des
angenehmen Schokoladengeschmackes sehr gern, so daß manche spontan an
pünktliches Einnehmen erinnerten. Die verordnete Dosis betrug ausnahms¬
los zweimal täglich eine Tablette. Heilung resp. Besserung trat schon nach
Verbrauch eines Röhrchens (20 Tabletten) ein. In flüssiger Form befindet
sich Eisensajodin als Emulsion und Lebertran im Handel. R.
Worth Haie (Washington), Die Wirkung intravenöser Digipuratum-
Injektionen am Tier. (Hygienic Laboratory-Bulletin, Nr. 74, 1911.) Vom
Verf. wurden Untersuchungen vorgenommen, um die Wirkung des Pigipura-
tums auf den Blutdruck festzustellen. Zu diesem Zwecke wurden Katzen
im Gewichte von 2,200—2,700 kg verwandt, nachdem sie für das Experiment
mit Urethan und Chloralhydrat per os oder mit Chloroform und Magne¬
siumchlorid anästhesiert waren. Der Blutdruck wurde an der Karotis mit
dem gewöhnlichen Quecksilbermanometer gemessen und das Digipuratum
wurde in die äußere Jugularvene injiziert.
Die Wirkung der intravenösen Injektion von 1 ccm einer 10%igen
Lösung des Digipuratums äußert sich sofort in einer Verminderung der Puls¬
zahl und Erhöhung des Blutdruckes.
Die Pulszahl sank beim Versuche im Laufe von zwei Minuten von
200 auf 160 und der Blutdruck stieg in dieser Zeit von 110 auf 146.
Auch kleinere Dosen wurden angewandt und es ließen sich durch intra¬
venöse Injektionen von 1 / 2 ccm Digipuratumlösung Blutdruckerhöhungen
von 8, 25 und 27,5% hervorrufen. Neumann.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbriue der medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegebeo von
Profwor Dr. 0. K5$ter Prio.-Doz. Dr.r. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich rum Preise von 5 Mark
40. für ^ a8 Halbjahr.
:- Verlag von Georg Thleme, Leipzig. =
5. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Uber den Zusammenhang zwischen Entzündungen des
Blinddarms und gewissen Erscheinungen der Lugentuberkulose.
Von E. Hönck.
In einer Reihe von Arbeiten 1 ) habe ich seit 1907 darauf aufmerksam
gemacht, daß es durch Entzündungen des Wurmfortsatzes zu Erkrankungen
der gesamten Luftwege kommen kann. Verschwellungen des Nasen¬
inneren, Rachenkatarrhe, Mandelentzündungen, Kehlkopfkatarrhe, Luft¬
röhrenkatarrhe und Lungenentzündungen entstehen nicht selten als un¬
mittelbare Folgen einer Epitvphlitis, die den Patienten nicht zum Be¬
wußtsein kommt und leider häufig auch den Therapeuten entgeht, weil
sie sich nicht gewöhnt haben, systematisch bei allen Gelegenheiten die
Tiefe des Leibes zu durchtasten.
Trotzdem es nach den Befunden der Pathologen unzweifelhaft ist,
daß d ie Epitvphlitis ungemein häufig ist, wird sie in der Praxis in den
nicht gerade zutage liegenden chronischen und akuten Formen noch
lange nicht häufig genug gefunden.
Die Untersuchung des Bauches wird ziemlich allgemein vernach¬
lässigt, namentlich die Durchtastung in der Tiefe; sie wird, trotzdem sie
nicht weniger wichtig ist, als die physikalische Untersuchung der Brust¬
organe, auch nicht eingehend gelehrt; die Folge davon ist, daß die heutige
Ärztegeneration und vielleicht auch die künftige, sofern sie sich nicht
selbst erzieht, nicht imstande ist, sich im Leihe palpatorisch einigermaßen
zurechtzufinden.
Dazu kommt, daß die genannten Komplikationen nicht nur fast
ausschließlich nach Epityphlitiden entstehen, die klinisch leicht oder
chronisch verlaufen, sondern häufig erst dann zur Behandlung kommen,
wenn die objektiven Erscheinungen der Fortsatzentzündung im Abklingen
oder schon ganz verschwunden sind.
Diese ganz kurz angedeuteten Umstände sind es, die es verhindert
haben, daß die geschilderten Zusammenhänge auch andern klar geworden
sind; sie bedingen es auch, daß weniger der Krankenhausarzt und Kon-
*) Über die Rolle des Sympathikus usw. Jena 1907. — Zur Pathologie der
Epitvphlitis. Fortschritte der Medizin Nr. 11, 1907. — Kritische Bemerkungen usw.
Grenzgebiete Bd. 19, H. 1, 1908. — Fortschritte der Medizin Nr. 33, 1909. — Die
Behandlung des Keuchhustens usw. Fortschritte der Medizin Nr. 7 u. 8, 1910. —
Über die Beteiligung des Vagosyinpathikus usw. Klinisch-therapeutische Wochen¬
schrift Nr. 33, 1910.
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E. Hönck,
siliarius die Gelegenheit hat, zur Klärung dieser so ungemein wichtigen
Frage beizutragen, als der Hausarzt. Und es mag ferner sein, daß
gerade in unserer Zeit, in der die Autorität alles gilt, die Praktiker sich
scheuen, mit ihren Beobachtungen herauszukommen. Sie werden sich
umsomehr scheuen, als ihrer Natur nach die Beobachtungen nicht den
Charakter des exakten Experiments haben können, sodaß es leicht ist,
mit Stillschweigen oder einigen mehr oder weniger gütigen Redensarten
über die Sache hinwegzugehen.
Nur die stets wiederholte Beobachtung des geschilderten Zusammen¬
treffens der in Rede stehenden Erscheinungen begründet ihren Zusammen¬
hang und läßt sie aus dem Nebel des Zufälligen heraustreten in das helle
Licht des ursächlich Begründeten.
Nun endlich finde ich in einer französischen Zeitschrift: Le m^decin
praticien (März 1911) in einer Arbeit von M. Faisans, betitelt: De
l’appendicite chronique simulant la tuberculose, unabhängig von mir, wie
es scheint, Anschauungen ausgesprochen, die den meinigen sehr nahe
kommen.
Das gibt mir willkommenen Anlaß, auf die Sache zurückzukommen,
einerseits, um die Priorität zu wahren, andererseits, weil die Tragweite
der Angelegenheit es mir zur Pflicht macht.
Es wird nötig sein, die Beobachtungen Faisans’ kurz wieder¬
zugeben, da sie an so wenig zugänglichem Ort erschienen sind.
F. stellt zunächst fest, daß er die chronische Epityphlitis sehr
häufig findet, nicht so sehr in der Hospitalpraxis als in der Sprech¬
stunde; und nur deshalb, weil er systematisch daraufhin untersucht, wie
etwa auf Syphilis oder Alkoholismus.
So findet er, daß die genannte Krankheit häufig sekundäre Er¬
scheinungen in anderen Organen hervorbringt und sich hinter diesen
verbirgt, eine Ansicht, die ich ganz ausführlich schon 1907 be¬
gründet habe.
Hierher gehören auch gewisse Erscheinungen an der Lunge, die
eine Tuberkulose Vortäuschen können, und die F. deshalb unter der Be¬
zeichnung Pseudophthise zusammenfaßt.
Als Symptome dieser Pseudophthise nennt der Autor: Abmagerung,
Nervenschwäche, Brustschmerzen und Dyspnoe. Die Brustschmerzen
sitzen meist rechts, etwa in der Mitte des Rückens, in der Obergräten¬
grube und vorn unterhalb des Schlüsselbeins und sind fast ständig vor¬
handen.
Fieber ist dabei von F. in einer Dauer bis zu 18 Monaten be¬
obachtet worden; es zeigt abendliche Steigerungen bis zu 38,0° und Unter¬
schiede zwischen Morgen- und Abendtemperatur von 0,6° bis 1,0°.
Der Puls ist entsprechend beschleunigt. Die Erscheinungen an der
Lunge lassen sich nach F. in zwei Gruppen sondern.
Die erste Gruppe zeigt über der unteren Lungenhälfte rechts ab¬
geschwächten Schall und abgeschwächtes vesikuläres Atmen, pleuritisches
Reiben, bronchitische Rasselgeräusche — Zeichen, die nach einigen Tagen
verschwinden, aber auch mit der rezidivierenden Grundkrankheit wieder
auftreten können; sie hinterlassen am Ende nur ein unbestimmtes Atmen
(rdspiration obscure).
In der zweiten, viel zahlreicheren Gruppe von Fällen, findet man
in der Spitze der rechten Lunge ein abgeschwächtes vesikuläres Atmen.
Der Autor kam zu dem Resultat, daß häufig ein einfaches Zusammen¬
treffen vorliege, zumal die geschilderten Erscheinungen an der Lungen-
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Zusammenhang zwischen Entzündungen des Blinddarms u. der Lungentuberkulose. 939
spitze auch durch andere Anomalien (der Nase, des Thorax usw.) ent¬
stehen können.
Immerhin ist es leicht zu verstehen, daß ein Irrtum zugunsten der
Tuberkulose häufig begangen wird.
Nun die Folgen dieses Irrtums! Sobald die Diagnose einer tuber¬
kulösen Erkrankung auch nur vermutungsweise feststeht, hält der Arzt
es für seine Pflicht, auch diätetisch einzuwirken: er verordnet eine
reichliche Ernährung, bei der Fleisch und Eier ihre Rolle spielen; eine
Verordnung, die gerade entgegengesetzt ist dem, was für intestinale
Erkrankungen paßt. Die Kranken bekommen denn auch bald eine
Magenverstimmung, verlieren den Appetit, haben Schmerzen und Durch¬
fall, das Fieber steigt auf 38,5° bis 39,0°. Das dauert einige Tage, bis
eine strenge Diät die Lage bessert. Dabei verliert aber der Kranke
wieder an Gewicht; und sobald als möglich gibt es wieder reichliche
Diät, die wieder nicht vertragen wird.
F. hat Kranke gesehen, die jahrelang so behandelt wurden, ohne
daß ihr Zustand sich besserte.
Ich halte es für ein großes Verdienst, daß F. auf diese Komplikationen
der chronischen Epityphlitis aufmerksam gemacht und mit großem Geschick
ein Krankheitsbild herausgehoben hat, das auch nach meinen Erfahrungen
recht häufig gefunden werden kann.
Es ist ein Seitenstück zu den von Krönig seinerzeit hervor¬
gehobenen Erkrankungen der Lungenspitze als Folge von Vorschwellungen
der entsprechenden Nasenhälfte.
Noch mehr aber: es unterliegt für mich gar keinem Zweifel, daß
beide Kategorien, die Krönig’s sowohl als auch die des französischen
Beobachters zusammengehören, insofern als durch Erkrankungen
des Fortsatzes sowohl Schwellungen in der Nase als auch
Katarrhe in den Lungen, besonders rechts und in der Spitze
hervorgerufen werden, so daß in vielen Fällen beide Er¬
scheinungen als coordinierte Symptome der gleichen Ursache
aufgefaßt werden müssen.
Es handelt sich aber nicht immer, wie F. geneigt ist anzunehmen,
um ein bloßes Zusammentreffen von Erscheinungen — wenngleich das
natürlich vorkommt — sondern oft um einen ursächlichen Zusammen¬
hang, der nur dadurch zu klären ist, daß man das vago-sympathische
System heranzieht, dann aber auch ohne alle Schwierigkeiten. Ein ein¬
faches Zusammentreffen hätte auch für F. schon deshalb äußerst un¬
wahrscheinlich sein müssen, weil die geschilderten Erscheinungen von
ihm nur rechts gefunden wurden.
Ganz kurz nur will ich darauf hinweisen, daß ich bei meinen Studien 1 )
über Schmerzstellen bei Epityphlitis Schmerzpunkte im Rücken ange¬
geben habe, die den von F. angegebenen völlig entsprechen. Sie ent¬
stehen, wie wahrscheinlich alle die in letzter Zeit so viel besprochenen
Nervenpunkte, durch Vermittelung des sympathischen Systems im Sinne
von He ad und M. Buch, dessen Arbeiten ich bei dieser Gelegenheit
nur dringend zum Studium empfehlen kann.
Wenn man sich gewöhnt hätte, ein so mächtiges System, wie den
Sympathikus, klinisch überhaupt in Rechnung zu stellen, statt mit be¬
dauernswerter Konsequenz so zu tun, als wenn es gar nicht vorhanden
wäre, so hätte cs den klinischen Beobachtern unmöglich entgehen können,
*) Die KoJle des Sympathikus usw.
79*
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040
E. Hönck,
daß bei allen entzündlichen Vorgängen in der Bauchhöhle
auch die sympathische Kette, sowie die verschiedenen großen
Geflechte vor der Wirbelsäule in einen Reizzustand geraten.
Auf die Diagnose dieser Reizzustände des sympathischen Systems
einzugehen, würde hier zu weit führen, ich verweise auf die Arbeiten
M. Buch’s und meine eigenen.
An dieser Stelle soll nur kurz auseinander gesetzt werden, auf
welchen Bahnen eine Reizung in den sympathischen Geflechten des Leibes
die Lunge treffen kann.
Nach Langleys anatomischen Angaben löst sich eine sympathische
Faser nach ihrem Ursprung aus dem Rückenmark durchaus nicht immer
im nächst gelegenen Ganglion der sympathischen Kette in die schwach
markhaltigen oder ganz marklosen Sympathikusfasern (im engeren Sinn)
auf, sondern sie durchsetzt oft genug ein oder zwei, selbst drei Ganglien,
bevor sie das Ganglion erreicht, in dem sie zu Ganglienzellen in Beziehung
tritt und ihr Mark ganz oder zum Teil verliert.
Werden also sympathische Fasern im Leibe entzündlich oder auf andere
Weise gereizt, so überträgt sich dieser Reiz kurz auf entferntere Ganglien.
Nun kann man wohl annehmen, daß ein solcher Reiz, indem er auf das
mehr zentral gelegene Neuron übergeht, nicht auf das primär ergriffene
Neuron beschränkt bleibt, sondern größere Teile des Ganglions oder das
ganze Ganglion ebenfalls erregt, so daß eine Anzahl von Neuronen mit
in Reizzustand gerät — ein Vorgang, der uns bei Reizübertragungen
innerhalb des Rückenmarkes geläufig ist.
Das ist der Weg, auf dem die ganze sympathische Kette einer Seite
in einen gereizten Zustand versetzt werden kann.
Jeder vorurteilslose Untersucher wird ferner feststellen können, daß
bei fast allen entzündlichen Vorgängen im Leibe auch die großen prä¬
vertebralen Geflechte: das gangl. coeliac., mesenteric., hypogostric. sup.
gereizt werden, entweder unmittelbar durch Reizübertragung oder durch
entzündliche Zustände des umgebenden Gewebes; so auch bei Epi-
typhlitiden selbst klinisch leichter Natur.
An dem Aufbau des gangl. coel. beteiligen sich die beiden
N. splanchnici und die Vagi.
Es können also die splanchnischen Nerven, die anerkanntermaßen
sensibel sind, und deren Ursprung bis zum zweiten Brustsegment reicht,
fast das ganze Dorsalmark in Reizzustand versetzen.
Nun entspringen nach Francois Franck und Bradford u. Dean 1 )
aus dem oberen Brust mark (bis zum 6. Segment) vasomotorische Fasern,
die durch das gangl. stellat. zur Lunge gehen, und deren Wirkung zum
allergrößten Teil auf die gleichseitige Lunge beschränkt ist
Auch auf dem Wege der splanchnischen Nerven also kann die
Lunge beeinflußt werden.
Allerdings würde auf diesem Wege, da beide N. splanchnici in
das ganglion coelliac. einmünden, auch die linke Lunge befallen werden
können, und sie wird es oft auch tatsächlich, wie mich eine
langjährige Beobachtung lehrt.
Es ist deshalb die Beobachtung Faisan’s, daß die von ihm
geschilderten Erscheinungen sich auf die rechte Lunge be¬
schränken, nicht richtig. Die linke Lunge würd aber bei weitem
seltener ergriffen.
l ) Asher u. Spiro, Ergebnisse der^ Physiologie Bd. 2, H. 2, S. 578.
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Zusammenhang zwischen Entzündungen des Blinddarms u. der Lungentuberkulose. 9*11
Endlich können auch auf dem Wege des Vagus Reize aus der
Bauchhöhle den Lungen und oberen Luftwegen übermittelt werden.
Es entfallen aber, da zunächst der linke Grenzstrang un¬
beteiligt ist, in der Regel für die linke Lunge eine Summe von
Reizen, denen die rechte preisgegeben ist.
Es ist nun wohl klar, daß durch die Schädigung der soeben ge¬
nannten nervösen Bahnen nicht allein die Lunge getroffen wird, sondern
auch andere Organe. Und so gewinnt der geschilderte Zusammenhang
zwischen Lunge und Wurmfortsatz eine ganz allgemeine Bedeutung,
die ich an dem Paradigma des Fortsatzes 1907 in ihren Grundzügen
klar zu stellen versucht habe.
Was nun die Behandlung der in Rede stehenden Erkrankung be¬
trifft, so ergibt sich von selbst, daß sie auf den erkrankten Fortsatz ge¬
richtet werden muß; man wird ihn häufig entfernen müssen.
Seit Jahren verfahre ich so und kann in Übereinstimmung mit
Faisans nur über gute Resultate berichten, wenn es auch nicht selten
recht lange dauert, ehe sich eine nachhaltige Besserung gellend macht,
ja sogar manchmal durch den operativen Eingriff, zunächst
eine Verschlimmerung eintritt.
Die Diagnose der Fortsatzentzündung wird von F. nicht berührt;
es seien mir aber zum Schluß ein paar kurze Bemerkungen gestattet gegen¬
über einigen Referenten, die meine diagnostischen Angaben in der er¬
wähnten größeren Arbeit bemängeln.
Ich gebe zwar zu. daß ich darin hätte ausführlicher sein müssen;
indes ist die Bemerkung H ausman n’s 1 ), daß mir offenbar für die Diagnose
der Mc. Burney\sche Punkt genügt hätte, ganz und gar hinfällig. Ich
habe mich immer nur auf die Empfindlichkeit in der Tiefe der Blind¬
darmgegend verlassen und ausdrücklich betont, daß nur die
tiefe Palpation die Diagnose des erkrankten Fortsatzes sichern
könne. Es scheint also, daß Hausmann nicht zu Ende gelesen hat,
sonst hätte er den Vorwurf nicht erheben können.
Daneben aber habe ich eine ganze Reihe von durchaus neuen
Anhaltspunkten gegeben, die der Nachprüfung harren.
Ich kann Hausmann nur raten, sich gerade mit diesen Schmerz¬
punkten zu beschäftigen und daneben den Sympathikus in den Bereich
seiner Erwägungen zu ziehen; es wird nicht lange dauern, bis Haus¬
mann sich zu meiner Ansicht bekehrt haben wird.
Sehr merkwürdig ist es, daß es Autoren gibt, die oberflächliche
Empfindlichkeiten in der Blinddarmgegend als Gegenbeweis einer Epi-
typhlitis ansehen. Das ist natürlich ganz unzulässig, denn diese Stellen
sind vielfach nichts anderes als Spuren einer noch vorhandenen oder
bereits abgeheilten Fortsatzentzündung, entstanden durch Vermittelung
des Sympathikus.
Auch bei der akuten Epityphlitis ist man meist gar nicht in der
Lage, etwas anderes festzustellen, als Schmerzhaftigkeit in den das kranke
Organ überlagernden Bauchdecken. Darüber sind sich nur viele Unter¬
sucher nicht klar.
Im übrigen will ich zum Schluß nur noch erwähnen, daß unter
etwa 150 Fällen, die ich selbst durch die Operation kontrolliert habe,
mir nur ein Irrtum bei einem 13jährigen hysterischen Mädchen vorge¬
kommen ist; eine Reihe von den in meiner Arbeit von 1907 geschilderten
*) Th. Hausmann, Die methodische Intestinalpalpation. Berlin 1910.
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042
VV. Thora,
Kranken ist seither teils von mir, teils von andern operiert worden; die
Diagnose hat sich in jedem Fall bestätigt.
Die Grundzüge der in dieser Arbeit klargelegten Beziehungen kann
ich also durchaus aufrecht halten, und zwar als etwas Neues; die
früher darüber vorhandenen Anschauungen hat leider die moderne Medizin
schon lange fallen lassen.
Auch in bezug auf den Zusammenhang der Erscheinungen der
Tuberkulose mit den Erkrankungen des Fortsatzes glaube ich mich nicht
zu irren, zumal da meine auf Beteiligung des Sympathikus gegründete,
von mir systematisch angewandte Sympathikusmassage bei gewissen
Erkrankungen der Luftröhren und der Lunge geradezu glänzende Resul¬
tate liefert.
Den hier ganz kurz geschilderten Beziehungen weiter nachzugehen,
behalte ich mir vor.
Moderne Geburtshilfe.
Von Dr. W. Thorn.
(Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg am 9. 3. 1911.)
(Fortsetzung.)
In der Therapie des engen Beckens herrscht heute mehr wie
je das Prinzip vor, die Naturkräfte walten zu lassen und nur im
Notfälle einzugreifen. Demgemäß werden von vielen die künstliche
Frühgeburt, die prophylaktische innere Wendung und die hohe
Zange verworfen. Der künstlichen Frühgeburt hafte, so sagt man,
der Nachteil an, einmal, daß man in der Bestimmung des richtigen
Termins der Einleitung immer unsicher sei und bleibe und weiter,
daß die künstlich Frühgeborenen keine langen Lebenschancen hätten
Daß es sich bei der künstlichen Frühgeburt fast ausnahmlos nur um
Mehrgebärende handeln darf, ist ebenso klar, wie daß nur enge Becken
mittleren Grades und in der Hauptsache nur platte Becken in Frage
kommen und daß der Termin nicht zu früh gewählt werden soll, natür¬
lich unter genauer Berücksichtigung der Kindesgröße. Wenn man im
allgemeinen als mittlere Grenze für die geeigneten platten Becken
Conjugatae verae von 7,5 bis 8,5 cm, für die allgemein verengten von
8—9 cm festgesetzt hat, so muß bei der Festlegung des Termins der Ein¬
leitung die Größe des Kindes und speziell seines Schädels in Relation
zu jenen Maßen gebracht werden, und das ist allerdings keine leichte
Sache. Selbstverständlich wird man in einem Fall, für den man die
künstliche Frühgeburt in Aussicht nimmt, auch die Brünninghausen-
Prochownikusche Diätkur während der Schwangerschaft einhalten
lassen. Wenn irgend möglich, soll man nicht vor der 36. Woche die
Geburt einleiten. Die Weiterexistenz frühgeborener Kinder
hängt ganz wesentlich von dem Milieu ah, in das sie ge¬
langen und davon, ob die Mutter genügend lange und aus¬
schließlich stillen kann, natürlich immer unter der Voraussetzung,
daß die Kinder nicht zu früh frühgeboren und daß sie in der Geburt
nicht geschädigt wurden. Die Sorge um die Weiterexistenz der Früh¬
geborenen ist also nicht so begründet, daß man deshalb das Verfahren
beim engen Becken ganz verwerfen sollte. Die sicherste Methode ist
und bleibt der Blasenstich, für den v. Herff in jüngster Zeit wieder
besonders eingetreten ist ; seine Nachteile sind bekannt, können aber bis
zu einem gewissen Grade durch die Füllung des Uterus mit steriler
Kochsalzlösung und die Ballondilatation der Zervix ausgeglichen werden.
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Moderne Geburtshilfe.
943
Sehr in die Wagschale fällt die durchschnittlich lange Dauer der
Frühgeburt, die Fehling auf 3 Tage berechnete, und mehr noch die
damit verknüpfte Gefährdung von Mutter und Kind. Nun sind wir
ja heutzutage im Notfall stets in der Lage, das Kind zu retten, sei es,
daß wir bei genügender Erweiterung Zange oder Wendung und Extrak¬
tion, bei ungenügender den vaginalen oder abdominalen Kaiserschnitt in
irgendwelcher Form machen. Wird man aber jetzt zum Kaiserschnitt
im Interesse des Kindes gezwungen, so sind alle Mühen der künstlichen
Frühgeburt umsonst gewesen, und selbst wenn alles gut abgeht, so
muß man sich doch eingestehen, daß es im Interesse von Mutter und
Kind weit besser gewesen wäre, ^nan hätte am normalen Ende der
Schwangerschaft operiert. Allerdings ist die künstliche Frühgeburt
eine höhere und schwierigere Kirnst, als der extraperitoneale Kaiser¬
schnitt, aber darauf kommt es ja nicht an. Für die Praxis taugt die
künstliche Frühgeburt wegen engen Beckens wegen der erschwerten
Durchführung einer exakten Überwachung schlecht, dagegen wegen
Herzfehler, Nephritis, unter Umständen auch Tuberkulose, sehr wohl;
in der Klinik wird man sie mit liecht einschränken, sie aber ganz zu
verwerfen, liegt kein Grund vor. Ähnliches gilt für die prophylak¬
tische Wendung. Sie ist nur angebracht bei Mehrgebärenden und
bei einfach platten Becken mit einer Conjugata vera nicht w’eit unter
8 cm und setzt vollendete Technik voraus und eine gute Assistenz, die
im Moment, wo der Schädel den Engpaß in der Wal eher’sehen Hänge¬
lage passiert, in sachverständiger Weise durch den Druck von außen
nachhilft. Wer mit dieser Operation das Prävenire spielen will, muß
sich genau prüfen, ob er der Sache nach jeder Richtung gewachsen ist,
denn er setzt unter Umständen das Leben des Kindes aufs Spiel, das
sonst vielleicht spontan lebend geboren worden wäre, oder das er nach
dem Eintritt des Kopfes ins Becken leicht mit dem Forzeps hätte ent¬
wickeln können. Fast das gleiche gilt für die hohe Zange; auch sie
ist nur da am Platze, wo es gilt, das letzte Hindernis beim platten
Becken zu überwinden. Der Schädel muß annähernd mit der größten
Peripherie den Beckeneingang bereits passiert haben; das zu beurteilen,
ist bei starker Kopfgeschwulst nicht leicht. Mißlingt nun die Zange,
so soll die Perforation auf dem Fuße folgen, und es ist klar, daß auf
diese Weise manches Kind geopfert wird, das ein Meister in der Kunst
der Geburtshilfe, sei es mit der Wendung, sei es mit der Zange, gerettet
hätte. Von Achsenzugzangen hört man heute kaum noch etwas;
der geübte Geburtshelfer bedarf ihrer nicht. Die Symphyseotomie
schien in hohem Maße geeignet, für solche Situationen, wie die eben
geschilderte, einen Ausweg zu weisen, und in der Tat, hätte weiter
nichts zu geschehen, als die Symphyse zu durchtrennen, die Operation
wäre für die Praxis wie geschaffen. Und gleiches gilt für die Pubio-
tomie. Die Umführung der Gigli’schen Säge mit den Nadeln von
Bumm oder Döderlein usw. um die vordere Beckenwand und die Durch -
sägung der Knochen sind so einfache Dinge, daß sie jeder machen kann.
So durfte es nicht Wunder nehmen, daß man im ersten Enthusiasmus'
in beiden Operationen glänzende Errungenschaften für die Praxis
sah. Bald aber zeigte es sich, daß die Gefahren der Neben¬
verletzung, speziell auch der Verjauchung der Wunden, weit
größer waren, als man sie eingeschätzt hatte, selbst dann, wenn
man die Operationen nur bei Becken mittleren Grades und nur
bei Mehrgebärenden ausführte und wenn man die sofortige Ent-
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944
W. Thorn,
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bindung unterließ. Die Symphyseotomie hat in Zweifel noch einen
warmen Verteidiger, die Pubiotomie noch mehrere, aber auch sie ist
auf ein Minimum gegenüber der Hochflut vor wenig Jahren einge¬
schränkt worden. Für die Praxis sind beide Operationen abso¬
lut nicht zu empfehlen. Da« Lästige imd stark Verunstaltende ist
der Watschelgang nach der Symphyseotomie, hervorgerufen durch das
Klaffen des Beckens. Nach der Pubiotomie heilen die Knochen ge¬
wöhnlich derart wieder zusammen, daß keine dauernde Erweiterung,
wie bei der Symphyseotomie, verbleibt und daß also beim nachfolgenden
Partus wieder durch gesägt werden muß. Die Idee, durch die Knochen¬
plastik die Lücke zu füllen und eine dauernde Erweiterung damit zu
erzielen, ist schwer zu realisieren. Aber selbst wenn dies oder die Ein¬
heilung eines Fremdkörpers leicht wäre, so würde der Operation damit
doch kaum wieder ein größeres Gebiet erobert werden; die Gefahren der
unvermeidbaren Neben Verletzungen sind eben zu groß. Speziell die
Pubiotomie schien berufen, den Kaiserschnitt, zumal aus relativer
Indikation, einzuschränken; heute ist das umgekehrte der Fall. Die
Technik des Kaiserschnitts hat in kürzester Zeit überraschende Wand¬
lungen durchgemacht; leider ist auch heute noch keine Übereinstimmung
erzielt. Mit dem alten klassischen Kaiserschnitt hatten einzelne schon
in der vorantiseptischen Zeit vortreffliche Resultate, und zwar gerade
draußen in der Praxis, erzielt; ich erinnere hier nur an Winckel sen.
Aber im großen und ganzen und namentlich auch in den Gebärhäusem
waren die Resultate schlecht, und man fürchtete gleichermaßen die
Infektion der Peritonealhöhle, wie die Naht der Uteruswunde. Um bei
einer etwaigen späteren Operation die Eröffnung der Peritonealhöhle
zu vermeiden, vernähte man die Wunde des Uterus mit der Wunde der
Bauchdecke, ein Verfahren, das Vergleiche mit der ganz modernen, für
infizierte Fälle von Seil heim erfundenen Entbindung durch die
Uterus-Bauchdeekenfistel hervorruft. Porro beseitigte in genialer
Weise die Sorgen um die Peritonealhöhle, die Uteruswunden, die atoni-
schen Nachblutungen usw., indem er einfach den Uterus nach Extraktion
der Frucht amputierte; je nachdem der Fall bezüglich Asepsis rein oder
verdächtig erschien, wurde der Stumpf in den unteren Winkel der Bauch¬
decke eingenäht oder versenkt. Sänger, der die Mißerfolge der klassi¬
schen Sectio caesarea auf die Mängel der Naht schob, gab ein besonderes
Verfahren : Ausschneidung eines Muskelkegels zur besseren Adaptierung
der Wundränder und Syinperitonealnaht: an; diese Nahtmethode hatte
an sich keinerlei Wert und ist längst verlassen, aber Sänger gebührt
das bleibende Verdienst, daß er den klassischen Kaiserschnitt wieder
populär machte. Auf Grund ausgezeichneter Resultate trat dann nament¬
lich Olshausen für die Anwendung des klassischen Kaiserschnitts aus
relativer Indikation ein. Er riet außerdem, nach Möglichkeit die Pla¬
zentarstelle, die man aus dem Abgang der Rotunda mit einiger Sicher¬
heit erkennen kann, beim Schnitt zu vermeiden; er trat auch für den
sagittalen Fundalschnitt ein, den P. Müller schon empfohlen und aus¬
geführt hatte. Da die Plazenta gewöhnlich auf vorderer oder hinterer
Wand sitzt lind oft dabei einen Lappen auch in den Fundus sendet, so
konnte man, jenen Rat befolgend, auch zur Spaltung der hinteren Wand
kommen, was Cohnstein und Sippe! vorgeschlagen haben, was aber
aus Rücksicht auf die Adhäsionsbildung nicht zu empfehlen ist. Der
Schnitt durch die Plazenta hat keinerlei Nachteil. Nur selten
sitzt die Plazenta im Fundus, die Funduswand ist dünner, daher viel-
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945
leicht bequemer zu nähen, das Überfließen des Ute ms Inhalts in die
Bauchhöhle erscheint vermeidbarer, der Raum zwischen den Koruna
genügt zur Entwickelung des Kindes, darum schnitt Fritsch den Fundus
quer ein und hatte viel Nachfolger und Erfolge. Aber die Gefahr des
Verklebens der Därme mit der Uteruswunde ist, gleich wie an der
Hinterwand, auch am Fundus groß; Ileusfälle diskreditierten sehr bald
den queren Fundalschnitt; außerdem scheint dieser Schnitt besonders
zur Spontanruptur in späteren Schwangerschaften disponiert zu sein.
Obwohl nun die klassische Sectio caesarea mit der typischen
Spaltung der vorderen Wand, die zwar auch die Adhäsionsgefahr
nicht völlig ausschließt, aber eher Verwachsungen mit der Bauchdecke
und dem Netz, als gerade mit dem Darm herbeiführt, ausgezeichnete
Resultate bei reinen Fällen erzielte, so blieben die Erfolge doch oft bei
scheinbar kaum verdächtigen, nur wenig fiebernden Fällen schlecht,
von den infizierten ganz zu schweigen. Dies führte Frank dazu, einen
Weg zu suchen, der eine extraperitoneale Schnittentleerung des Uterus
und damit ein Vermeiden der Peritonitis ermöglichte; den glaubte er in
dem suprasymphysären Kaiserschnitt gefunden zu haben. Bei querer '
Trennung der Bauchdecke und des Uterus gelang es ihm, die Eröffnung
der Peritonealhöhle ganz zu vermeiden oder sie auf ein Minimum an
Ausdehnung und Zeit durch sofortigen -Schluß der Peritonealöffnung
durch die Naht zu beschränken. Seine 1907 veröffentlichten Erfolge
waren überraschend gute, und so setzte sofort ein eifriger Wettbewerb
mit der Devise „extraperitoneal um jeden Preis“ ein. Damit war
selbstverständlich die Spaltung des Uterus in das untere
Segment resp. in die Zervix verlegt. Denn nur hier gestattete
die anatomische Situation ein rein extraperitoneales Operieren; man
war also nach ungefähr 100 Jahren bei dem Vorschläge Jörgs (1805)
wieder angelangt, der später von Ritgen, Physick und F. A. Kehrer
weiter verfolgt worden war. Latz ko und D öder lein haben sich darauf
besondere Verdienste um die Ausbildung eines rein extraperitonealen
Kaiserschnittes erworben. Aber das, was man von ihm erwartete, daß
er durch Vermeidung der Eröffnung der Peritonealhöhle gestatten würde,
nun auch die zweifelhaften und fieberhaften Fälle mit sicherem Erfolg
anzugehen, hat er nicht gehalten, vielmehr mußte man, was eigentlich
a priori zu erwarten war, sehr bald erleben, daß die großen Binde -
gewebswunden, die das extraperitoneale Verfahren bedingt, mindestens
ebenso häufig und in ebenso .gefährlicher Weise der Infektion durch
den Uterusinhalt ausgesetzt waren, wie das Peritoneum und daß dagegen
auch die Drainage keinen sicheren Schutz bot. Damit hatte im Grunde
das extraperitoneale Operieren um jeden Preis Fiasko gemacht. Wenn
man nun trotzdem und trotz der günstigen Erfolge, welche die klassische
Sectio caesarea bei reinen Fällen erzielt hatte, am extraperitonealen
Verfahren festgehalten hat, so war das in der Hauptsache dadurch be¬
gründet, daß man die Verlegung des Schnittes in den unteren Uterus¬
abschnitt für prinzipiell richtiger ansah, weil damit gewisse Nachteile,
die dem klassischen Verfahren auch bei reinen Fällen immer noch <an-
haften, ausgeschaltet werden. Diese Nachteile bestehen in der Un¬
möglichkeit, den korporalen Schnitt bei den Kontraktionen und Relaxa¬
tionen der Korpusinuskulatur ruhig zu stellen und also absolut sicher
zu schließen und in der Gefahr der Adhäsionsbildung der Wunde mit
Netz und Darm und damit des Ileus.
Die Wunde im Isthmus und in der Zervix liegt im wesentlichen
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W. Thora,
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in dem ruhigsten Teil des puerperalen Uterus; der Schnitt durch die
hier dünne Wand blutet, zumal bei stärkerer Dehnung, die man in vielen
Fällen ab warten kann, weniger und ist leicht und sicher mit Katgut zu
vernähen, auf dessen Zuverlässigkeit man beim korporalen Schnitt nicht
fest bauen kann und das man daher bei der Muskelnaht besser durch
Seide ersetzt. Von Adhäsionsbildung mit Netz und Därmen kann beim
extraperitonealen Verfahren keine Rede sein, wohl aber existiert, wie
einige Beobachtungen bereits gelehrt haben, die Gefahr einer vorderen
narbigen Fixation der Zervix mit konsekutiver Retroflexio, einer zweifel¬
los üblen Form der Retrodeviationen. Damit kommen wir zu den Nach¬
teilen der extraperitonealen Operation. Ob in der Mehrzahl der Fälle,
selbst wenn man die Dehnung des unteren Segmentes durch ein längeres
Kreißen abwarten kann, etwa weil ein spontaner Verlauf des Partus
nicht ausgeschlossen ist, das Peritoneum so ganz intakt bleibt, wie
manche Operateure meinen, steht dahin; kleinere Löcher wird es schon
häufig geben; sie werden nicht entdeckt und mögen am Ende auch be¬
langlos sein. Schwer ins Gewicht fällt dagegen die Gefahr der Ver¬
letzung der Harnblase, die recht häufig vorgekommen ist. Am schlimm¬
sten aber erscheint mir die Gefährdung des Kindes infolge der oft
schwierigen Extraktion mit dem Forzeps oder am Fuß durch die relativ
enge Uteruswunde und das damit verknüpfte und ebenfalls bereits häufig
beobachtete Weiterreißen des Schnittes. Der extraperitoneale Kai¬
serschnitt hat eine kindliche Mortalität von etwa 9°/ 0 , und es
ist kaum anzunehmen, daß sie bei steigender Übung sehr wesentlich
herabgehen wird. Ein Kaiserschnitt aber, der ein vorher lebendes und
lebensfähiges Kind tot zur Welt befördert, bedeutet einen absoluten Mi߬
erfolg. Der Tod des noch nicht geschädigten Kindes kann beim klassi¬
schen Kaiserschnitt mit Sicherheit vermieden werden, die Verhältnisse
sind im Gegensatz zum extraperitonealen so einfach und übersichtlich,
die Technik so leicht, daß ihr jeder nur einigermaßen operativ geschulte
Arzt gerecht werden kann. Sind alle anderen Vorbedingungen für ein
gutes Gelingen der Operation erfüllt, so kann man dem operativ geübten
Praktiker sehr wohl den klassischen Kaiserschnitt überlassen, denn
unter den praktischen Ärzten von heute gibt es sicher genug Leute, die
ausgezeichnete Geburtshelfer sind und es am Ende einem Michaelis
und Win ekel sen. gleichtun können, zumal jetzt fast jeder Kreis ein
Krankenhaus hat, dessen Einrichtungen zur exakten Durchführung dieser
Operation vollauf genügen. Niemals aber kann man den extraperito¬
nealen Kaiserschnitt, sei es nun die Methode von Latzko und Döder-
lein, oder diejenige von Dührssen und Solms, die den vaginalen
Metreurynterschnitt mit dem Flankenschnitt kombinieren, dem Prak¬
tiker empfehlen, mag er in der Anatomie dieser Gegend auch noch so
bewandert sein. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird das prinzi¬
piell extraperitoneale Operieren bald wieder aufgegeben werden, denn
es ist und bleibt eine Künstelei. Ganz anders steht es mit der Frage,
ob wir dem transperitonealen Schnitt durch den unteren Uterus-
abschnitt den Vorzug vor dem korporalen geben sollen. Wir verlegen
den Schnitt damit in das Gebiet der Zervix- und Scheidenflora und
bringen diese wenn auch für kurze Zeit, in Kontakt mit der unteren
Bauchhöhle, die allerdings so leicht und sicher abzudichten ist, daß
daraus kaum Schaden entstehen wird. Aber auch die korporale Wunde
kann, wie man Henkel nicht ganz absprechen darf, von im Puerperium
«Spendierenden Keimen durchwachsen werden, so daß nach dieser Rieh-
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Moderne Geburtshilfe.
947
tung am Ende doch kein großer Unterschied zwischen dem Schnitt im
Korpus und dem im Isthmus und in der Zervix besteht. Die Technik des
transperitonealen Kaiserschnittes ist für jeden geübten Gynäkologen
leicht, das Operationsgebiet ist bei Anwendung moderner Operations¬
tische genau so übersichtlich, wie beim klassischen. Ob man nun den
Längs- oder Pf an ne ns tiel schnitt anlegt, ist gleichgültig, wenn man
nicht Grund hat, in die obere Bauchhöhle, etwa zum Zweck der Sterili¬
sierung durch Exzision der Tuben, zu gelangen. Die Zirkumzision und
das Abschieben der Blase sind allen Gynäkologen von der abdominalen
Totalexstirpation her geläufig. Die Abdichtung der Bauchhöhle ist
exakt durchzuführen, das Herauswälzen des Uterus ist überflüssig, die
Entwickelung des Kindes leicht. Der longitudinale Schnitt durch die
Mitte der Zervix resp. des unteren Segmentes blutet wenig, ist leicht
zu vernähen und wird durch die Wiederaufnähung der abgelösten Blase
völlig gegen die Bauchhöhle abgeschlossen. Man sollte nach all
diesen Vorzügen erw r arten, daß diese transperitoneale ,Me-
thode die Operation der Wahl in der geburtshilflichen Klinik
werden wird. Für alle Schnitte im unteren Uterusabschnitt, seien es
extraperitoneale, seien es transperitoneale, ist es von großem Vorteil,
wenn eine Dehnung des unteren Uterussegments bereits statt¬
gefunden hat. Man wird deshalb, wenn man die Infektionsmöglichkeit
durch häufiges Untersuchen usw. ausschließt, beimengen Becken geringen
und mittleren Grades, wo nach Abwägung aller Momente, die für die
Möglichkeit eines spontanen Partus sprechen, ruhig abwarten und der
Natur ihr Recht lassen und erst eingreifen, wenn jene Chancen zunichte
geworden sind. Auf der anderen Seite kann man natürlich in allen
jenen Fällen, wo ein spontaner L Verlauf ausgeschlossen erscheint, zu
jeder beliebigen Zeit, genau wie beim korporalen Schnitt, eingreifen,
denn die Dehnung des unteren Segmentes ist keine Conditio sine qua
non für den transperitonealen Schnitt. Das Prinzip, dem heute die
meisten modernen Geburtshelfer huldigen wollen, den natürlichen
Kräften ihre ganze Entfaltung zur Erreichung der spontanen Geburt
zu gestatten, nicht mit künstlicher Frühgeburt, nicht mit prophylak¬
tischer Wendung, nicht mit hoher Zange das Prä venire zu spielen, hat
etwas ungemein Bestechendes und ist gewiß zu billigen, nur stehen
seiner Befolgung in praxi doch öfters erhebliche Schwierigkeiten ent¬
gegen. Auch kann man nicht behaupten, daß alle Anhänger dieses
Prinzips stets nach ihm handelten. Wenn z. B. bei einem engen Becken,
bei dem man den spontanen Partus für möglich hält, vorzeitig bei kaum
handtellergroßem M. M. die Blase ganz indikationslos gesprengt wird
und nun der M. M. wieder zusammenklappt und die Wehen aufhören
und bald darauf die Sectio gemacht wird, oder wenn man mit vieler Mühe
und Kot und einer Kraftanwendung, die vermuten läßt, daß der Forzeps
von der Vagina aus fast leichter hätte sein müssen, den Kopf aus dem
Beckeneingang wieder herauszieht — Dinge, die wiederholt geschehen
sind —, so kann man billigerweise hierin keine Exspektatio im Geiste
des obigen Prinzips sehen. Auch die überraschend große Zahl von
Kaiserschnitten in den letzten Jahren spricht nicht dafür, daß überall
jenes Prinzip befolgt würde. Es hapert ganz zweifellos im Augenblick
mit der Indikationsstellung zum Kaiserschnitt und daran hat nicht
wenig der Nachahmungstrieb schuld. Alle wollen modern, keiner alt¬
modisch sein; es fehlt an der ruhigen und bedächtigen Erprobung neuer
Methoden; die „vorläufige Mitteilung“ ist die Signatur unserer Zeit,
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W. Thorn,
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Nun haben „Sturm- und Draijgperioden“ gewiß auch ihr Gutes, nur
darf der Zuschauer sich nicht durch den äußeren Schein beirren lassen
und wähnen, daß plötzlich eine 'unerschöpfliche Menge neuer Wahr¬
heiten produziert würde. Keiner der neuen Kaiserschnittmethoden haftet
im Grunde genommen etwas wirklich Originales an, und es ist anzu¬
nehmen, daß von den bald zwei Dutzend Varianten nicht viel mehr als drei
Dauer haben werden. Trotzdem liegt mir alles ferner, als den Nörgler
hier spielen zu wollen, ist doch die Wahrheit des Irrtums Kind. Aus
der neuen Erscheinungen Flucht wird die unerbittliche Zeit das Brauch¬
bare abspalten. Schelten wir also nicht über den Unternehmungsgeist
der drängenden Jugend in der scheinbar gealterten Geburtshilfe; ver¬
gessen wir aber auch nicht, die Sonde strengster Kritik an ihre Taten
zu legen. Der diesem brodelnde Treiben ferner stehende Praktiker aber
mag sieh damit getrosten, daß es für ihn, wenn überhaupt, nur eine
Methode des Kaiserschnitts gibt, die klassische, und daß die große Zahl
der Kaiserschnitte aus relativen Indikationen voraussichtlich in Bälde
eine Einschränkung erfahren wird. Aber auch eine noch so große Zahl
schränkt das Aktionsgebiet des Praktikers nicht in nennenswerter Weise
ein, und vielleicht gelingt es dereinst, durch eine Prophylaxe im Sinne
A. Hegars das enge Becken ganz zum Schwinden zu bringen. Es gibt
bekanntlich Gegenden, die reich und solche, die arm an engen
Becken sind; so haben wir z. B. in Magdeburg und Umgegend auf¬
fallend wenig stärker verengte Becken, obgleich die Rhachitis stark
verbreitet ist, weit weniger jedenfalls, als Halle a. S., Leipzig und
Dresden aufweisen. Derlei Umstände beeinflußen naturgemäß erheb¬
lich die Operationsziffer und speziell die Zahl der Kaiserschnitte und
werden heute noch immer zu wenig beachtet und gewürdigt.
Da für die infizierten Fälle jede Form des konservativen Kaiser¬
schnitts versagt hat, so bleiben Perforation, Kraniotomie und.
Embry otomie, auch des lebenden Kindes, auch in der Klinik, zu Recht
besteben, es sei denn, daß man aus besonderen Gründen bei lebendem
Kind das Risiko des Porro oder der Totalexstirpation übernehmen
will. Der Porro, selbstverständlich mit extraperitonealer Befestigung
des Stumpfes, läßt einen sehr gefährdeten und gefährlichen Teil des
Uterus zurück und wird vielleicht mit der Zeit durch die Totalexstir-
pation verdrängt werden, die gerade am Ende der Gravidität leicht und
rasch auszuführen ist. In kürzerster Zeit sind die Ligamente beider¬
seits abgeklemmt, ist die Blase zirkumzidiert und die Vagina abge-
klemmt; trennt man die Vagina unterhalb der Klemme, so verhütet
man sicher das Einfließen des Uterusinhalts in die Bauchhöhle, und
dem Kinde werden die wenigen Augenblicke in dem ausgeschnittenen
Uterus kaum gefährlich werden. Die Hoffnungen, die man zeitweise
hegte, daß man die Perforation des lebenden Kindes, wenigstens in der
Klinik, völlig vermeiden lernen würde, sind also nicht in Erfüllung ge¬
gangen ; für die Praxis konnte von vornherein kaum die Rede davon
sein. Das mütterliche Leben ist im allgemeinen auch heute stets höher
zu bewerten, als das kindliche.
Der Kaiserschnitt hat seinen Schatten auch auf die Therapie zweier
Erkrankungen geworfen, die früher nur wenig von ihm berührt wurden,
die Placenta praevia und die Eklampsie. In der Therapie der Pla-
ccnta praevia befriedigt vor allem die hohe Kindersterblichkeit nicht
mehr, die zu einem Teil wohl darauf beruhte, daß das zumeist geübte
Verfahren von Braxton-Hicks absichtlich keine Rücksicht auf das
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Kind nahm, um nicht durch eine frühzeitige, das Kind vielleicht rettende
Extraktion die Gefahren des Zervixrisses für die Mutter herauf zu be¬
schwören. Man berücksichtigte zu wenig dabei, daß ein großer Teil der
Placentapraeviakinder zu früh und nicht lebensfähig geboren wird.
Es lag nahe, den vaginalen Kaiserschnitt zur Ermöglichung der
lebensrettenden frühzeitigen Extraktion zu verwenden; die Erfolge waren
nicht einheitlich; manche rühmten ihn, andere beklagten das Weiter¬
reißen der Schnitte, oder vielmehr des vorderen Schnittes, der Ilystero-
tomia anterior, denn diese wandte man in der letzten Zeit zumeist,
event. unter Zuhilfenahme des Metreurynters in Gestalt des sog. Metreu¬
rynterschnittes Dührssen’s, an, nachdem man es auf gegeben hatte, die
Plazenta mit dem Schnitt zu umgehen oder sie doch nur da zu treffen,
wo sie am geringsten entwickelt war. Während man so direkt die ge¬
fährliche Region des Uterus anging, um im Grunde genommen einen
Schnitt an Stelle des Risses zu setzen, den ruhig zu riskieren J. Veit
kürzlich denen empfehlen wollte, die ihn nachträglich exakt zu nähen
verständen, ein Verfahren, das man dem Praktiker absolut widerraten
muß, wollen wir nicht in die Zeit vor dem segensreichen Braxton-
Hicks’sehen Verfahren zurückfallen, glaubte Krönig, nicht ohne be¬
reits Vorgänger in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Ita¬
lien und Amerika gehabt zu haben, daß es ^prinzipiell richtiger
sei, den Sitz der Plazenta im Isthmus uteri ganz zu meiden
und den Schnitt in das Korpus zu verlegen. Krönig hat mit
der klassischen Sektio bei reinen Fällen sehr gute Resultate für Mutter
und Kind erzielt, und ich persönlich stehe nicht an, anzuerkennen, daß
sie zwar nicht als prinzipielles Verfahren, wohl aber in einzelnen Fällen,
namentlich von Plaoenta praevia centralis bei langer, erhaltener Zervix
und schwerer Blutung, wenn es ganz besonders auf die Rettung des
Kindes ankommt und dieses lebensfähig erscheint, Anwendung verdient.
Es gibt derartige Fälle, wo die Metrenryse schwer durchführbar und der
vaginale Kaiserschnitt impraktikabel erscheint, namentlich bei Erst¬
gebärenden, dann auch bei leichten Beekenverengerungcn, wo eine rasche
und glückliche Entwickelung der Frucht auf natürlichem Wege zweifel¬
haft ist. Krönig ist mit seinem Prinzip, alle reinen Fälle von Placenta
praevia mit dem klassischen Kaiserschnitt anzugehen, mit Recht auf
heftige Opposition gestoßen. So günstige Resultate auch die klassische
Sectio beute bei reinen Fällen erzielt, so sind ihre Gefahren doch immer
noch zu groß und werden es voraussichtlich auch immer bleiben, als
daß man je an eine allgemeine Anerkennung und Befolgung der Krö¬
nig’sehen Lehre glauben könnte. Ein scheinbar ganz paradoxes und
vielleicht doch auch über das Ziel hinausschießendes Verfahren empfahl
Pfannenstiel gerade für die desolatesten Fälle, denen der geringste
weitere Blutverlust, wie er mit den vaginalen Verfahren und auch der
klassischen Sectio verknüpft ist, das Ende bringen kann, in Gestalt
der abdominalen Totalexstirpation; er selbst und M. Runge operierten
so mit Glück. Man wird nur selten in die Lage kommen, dieses immer¬
hin heroische Vorgehen in Erwägung zu ziehen, namentlich dann, wenn
man frühzeitiger, als es vielfach noch in der Praxis geschieht, eine
rationelle Therapie der Praevia anwendet und nicht die beste Zeit mit
unzureichenden Mitteln vergeudet. Als solche unzulänglichen Mittel
sind insbesondere die Tamponade und die Kolpeurvse zu erachten.
Künstlicher Blasensprung bei Placenta praevia lateralis, Metreu-
ryse und Braxton-Hicks bei der Zentralis sind die Hilfsmittel, mit
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
denen der Praktiker die große Mehrzahl aller Fälle mit gutem Ausgang
für Mutter und Kind, soweit es lebensfähig ist, bewältigen kann. Der
Metreuryse wird noch immer nicht die Wertschätzung bei der Therapie
der Praevia zuteil, die sie ganz allgemein in Klinik und Haus verdient.
Der Ballon muß prinzipiell in die geöffnete Eihöhle,
nicht zwischen Ei und Uteruswand gelegt werden. Mit dem
Zug soll man vorsichtig sein, um die Zervix resp. das untere Segment
nicht zu verletzen; das gleiche gilt für die Extraktion bei dem Braxton-
Hicks, mag man noch so geschickt im Nähen der Risse sein. Handelt
es sich aber um Fälle mit noch erhaltener langer Zervix und wenig ge¬
öffnetem Kanal, wo die Durchbohrung der zentralen Praevia und die
Einführung des Ballons in die Eihöhle auf Schwierigkeiten stößt, so
tut der Praktiker am besten, wenn irgend der Transport möglich und
nicht zu riskant erscheint, den Fall der Anstalt zuzuführen. Das
gleiche erscheint bei allen Blutungen in den letzten drei Schwanger¬
schaftsmonaten ratsam, sofern noch keinerlei Geburtsbestrebungen be¬
stehen, einerlei ob die Blutung nun von einer spontanen Lösung, oder
einem tiefen Sitz der Plazenta, oder einer Placenta praevia lateralis
oder centralis herzurühren scheint. Die Ursache der Blutimg zu erkennen,
ist nicht immer leicht; sie ist vielleicht auch nicht so stark, daß ein
direktes Eingreifen indiziert wäre, oder sie steht; die so notwendige
permanente Überwachung aber kann der vielbeschäftigte Praktiker nicht
durchführen; das sind der Gründe genug, welche eine klinische Behand¬
lung eines solchen Falles diktieren. Auf keinen Fall soll der Praktiker
einen solchen Fall mit erhaltener Zervix mit dem Bossi angehen,
der für die Plazentapräviatherapie überhaupt zu verwerfen ist.
_ (Schluß folgt.)
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über Kreatinin- und Kreatinausscheidung unter pathologischen Verhältnissen.
Von Dr. A. Skutetzky.
(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Prag, Sitzung vom 31. Mai 1911.)
Vortragender berichtet über die Ergebnisse seiner Beobachtungen
der Kreatinin- und Kreatinausscheidung in einer größeren Reihe von patho¬
logischen Fällen aus der Klinik von Jak sch. Die quantitativen Be¬
stimmungen wurden nach Folin mit dem neuen, im Vorjahre von Auten-
rieth und Königsberger angegebenen Kolorimeter ausgeführt. Dasselbe
erwies sich nach vielfachen Kon trollbestimmungen und im Vergleiche
mit den von Neubauer-Salkowski und von Kolisch angegebenen
Methoden als äußerst verläßlich und ähnlichen Apparaten in vieler Hinsicht
überlegen. Bezüglich der Überführung allfällig im Harne vorhandenen
Kreatins in Kreatinin wurde gefunden, daß der Zusatz von doppelter
Menge Normal-Salzsäure zum Harne und 2 7* stündiges Erhitzen am
kochenden Wasserbade die beste quantitative Umwandlung ergab.
Es gelangten Erkrankungen des Nervensystems (Meningitis epidemica,
M. suppurativa, Myelitis, Tabes, Syringomyelie, Dementia praecox), fieber¬
hafte Erkrankungen (Pneumonie, Pleuritis, Influenza, Polyarthritis rlieu-
matica), Stoffwechselanomalien (Diabetes mellitus), Morbus Basedow,
Lebererkrankungen (Hepatitis interstitialis, Stauungsleber bei inkompen¬
siertem Vitium, Morbus Banti), sowie Marasmus senilis, im ganzen 2G Fälle
zur Beobachtung.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Es ergab sich, daß bei fieberlos verlaufenden Erkrankungen des
Nervensystems, bei denen weder eine Steigerung des Muskeltonus besteht,
noch eine besondere Muskelarbeit verrichtet wird, die gleichzeitig durch
die Eigentümlichkeit des Krankheitsprozesses mehr weniger an Bettruhe
gebunden sind, die Kreatininausscheidung normal oder subnormal, bei
solchen, die von auffallender Muskelarbeit begleitet waren (epileptischer
Anfall) erheblich gesteigert war. Kreatin war in den erst erwähnten
Fällen bei genügender Nahrungsaufnahme nicht oder nur in Spuren,
nach einem epileptischen Anfall in erheblicher Menge nachweisbar. Als
nicht uninteressanter konstanter Nebenbefund ergab sich bei Nerven¬
krankheiten mit normaler Kreatininausscheidung, daß nach intravenöser
Salvarsaninjektion, ungefähr 2—4 Tage nach der Injektion, ein Anstieg
der Kreatininausfuhr und unmittelbar vorher Auftreten mäßig reichlicher
Mengen von Kreatin im Harne festgestellt wurde. — Fieber, gleichviel
welche pathologischen Prozesse immer begleitend, ist stets mit gesteigerter
Kreatininausfuhr verbunden. Dieselbe ist im einzelnen Falle der Höhe
der Temperatur proportional, nimmt aber nach längerem Bestände des
Fiebers ab und erreicht auch bei Rezidiven, wenn nach längerer fieber¬
freier Pause wieder Fieber eintritt, nie mehr die anfänglichen hohen
Werte. Kreatin tritt nach einiger Dauer des Fiebers regelmäßig in er¬
heblicher Menge auf, schwindet aber allmählich wieder aus dem Harne. —
Bei Lebererkrankungen, welche die Funktionstüchtigkeit des Organes
beeinträchtigen, sowie bei Morbus Basedow ist die Menge des ausge¬
schiedenen Kreatinins gegenüber der Norm stark herabgesetzt, hingegen
die des Kreatins stets bedeutend vermehrt. — Bei Diabetes mellitus
und Marasmus senilis wurden geringe, bei Diabetes insipidus normale
Kreatininwerte gefunden. — Fleischkost bewirkt nach längerer Milchdiät
konstant einen vorübergehenden Anstieg in der Ausscheidung beider Basen.
Aus den Beobachtungen ergibt sich somit, daß gesteigerter Körper¬
ei weißzerfall, mag derselbe durch Fieber, gesteigerten Muskeltonus,
erhöhte Muskelarbeit oder Fleischkost nach längerer Milchdiät bedingt
sein, eine Steigerung der Ausscheidung des Kreatinins und des
K reatins hervorruft und daß Störungen in der Funktion gewisser
großer Körperdrüsen (Leber, Schilddrüse) bei Verminderung der
Kreatininausfuhr eine enorme Steigerung des Kreatingehaltes
des Harnes bedingen, wahrscheinlich durch Störung der anhydrierenden
sowie fermentativen Prozesse, die nach den Autolyseversuchen von
Gottlieb und Stangassinger gerade in diesen Drüsen stattfinden und
den Kreatinkörper-Stoffwechsel regulieren. Autoreferat,
Serologisch-chemische Mitteilungen über den Harn.
Von Dr. Hugo Pribram (Assistenten der medizinischen Universitätsklinik des
Hofrates O. S. R. Prof, von Jak sch in Prag.)
(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen, Sitzung am 31. Mai 1911.)
Vortragender konnte durch eine größere Reihe von Tierversuchen
zeigen, daß die Injektion normalen menschlichen Harnes, alkoholfäll¬
baren Harnkolloids und des Sedimentes von Nephritikerharn dem Serum
derartig vorbehandelter Tiere die Eigenschaft verleiht, menschliche
Erythrozyten zu lösen und Präzipitation und Komplementbindung mit
eiweißfreiem und eiweißhaltigem Harn zu geben.
Harn, Harnkolloid und Sediment zeigten sich hierbei als sehr toxisch.
Die Sedimentversuche deuteten daraufhin, daß die antigen und
toxisch wirkenden Stoffe wohl zum Teile der Niere selbst entstammen
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Referate und Besprechungen.
Das Kolloid, welches Träger der toxischen und antigenen Wirkung
des Harnes ist, enthält neben den Spuren von Eiweiß auch Eiweißabbau¬
produkte, zum Teile aromatischer Natur.
Bei Fällen von chronischer Nephritis wurde das Harnkolloid ver¬
mindert ausgeschieden.
Da dasselbe bei Nephritis retiniert wird und toxisch wirkt, so dürfte
es bei der Entstehung gewisser Symptome der Urämie eine Kölle spielen.
Das Kolloid wirkte ferner auf den Froschbulbus miotisch (Abelous
und Bardier und eigene Beobachtungen) und ruft bei intravenöser Injektion
Blutdrucksenkung hervor (Abelous und Bardier, Popielski.)
Da es bei Nephritis retiniert wird, sollte man bei dieser Krankheit
eine Blutdrucksenkung erwarten. Die vorhandene Blutdrucksteigerung
kann man derart erklären, daß der Organismus sich gegen die drohende
Blutdrucksenkung durch Mobilisierung von Adrenalin (Adrenalinämie
nach Wiesel und anderen) schützt. (HormonWirkung des Kolloids auf
die Nebennieren.) Nun braucht die Nebenniere zur Mehrsekretion jene
Substanzen, aus denen sie ihr Sekret aufbaut.
Solche sind bekanntlich aromatische Eiweißabbauprodukte wie
Tyrosin und Tryptophan.
Das Kolloid enthält Stoffe aus der Tyrosingruppe (Millonsche
Reaktion gebende Substanzen) und es sind daher bei Nephritis, bei der
das Kolloid retiniert wird, solche im Blute zu erwarten. Tatsächlich
fanden Obermayer und Popper im Serum bei Urämie Indikan und andere
aromatische die Millonsche Reaktion gebende Stoffe im Serum.
Es findet also die Nebenniere bei Nephritis günstige Vorbedingungen
zur Sekretion, da 1. Stoffe in das Blut kommen, die eine Hormonwirkung
auf die Nebenniere ausüben dürften und 2. jene Substanzen vorhanden
sind, die Muttersubstanzen des Adrenalins sind.
Es werden Versuche in Aussicht gestellt, die bestimmt sind, diese
von eigenen und in der Literatur vorliegenden Untersuchungsergebnissen
indirekt abgeleitete Theorie der Adrenalinämie bei Nephritis von anderen
Gesichtspunkten aus zu bekräftigen.
Referate und Besprechungen.
Bakteriologie und Serologie.
Spät (Prag), Über die Wirkungsweise der bakteriziden Leukozytenstoffe.
(Zentralbl. für Bakt., Bd. 59, H. 2.) Verf. kommt auf Grund seiner Ver¬
suche zu dem Schlüsse, daß die Bakterizidieder Leukozyten¬
stoffe kein komplexer Vorgang ist wie die der Serumsto ffe,
nachdem die durch Erhitzung aufgehobene Wirksamkeit durch Zusatz ge¬
ringer, an sich unwirksamer Mengen frischer Leukozytenextrakte nicht
wiederhergestellt werden kann. Eine neue Bestätigung der Verschiedenheit
der Serum- und Leukozytenstoffe. Schürmann.
H. Oppenheimer (Frankfurt), Zur Darstellung des Staphylohämotoxins.
(Zcntralbl. für Bakt.., Bd. 59, H. 2.) In 24stündigen Staphylokokkenagar¬
kulturen ist Hämolysin nachzuweisen, das in die WaschfBissigkeit über¬
geht, die alle Charakteristika des Staphylohämotoxins zeigt. Diese Methode
gestattet es, die Hämolysinproduktion der pyogenen Staphylokokken zur
schnellen Diagnose dieser Kokken mit heranzuziehen. Schtirmann.
H. Dold (Berlin), Die bakterizide Wirkung des Blutes, Plasmas und
Serums auf Pneumokokken und ihre Bedeutung für die Immunität. (Arbeiten
aus dem kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 38, H. 4, 1911.) Verfasser prüfte die
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Referate und Besprechungen.
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Wirkung von Zitratblut, Plasma und Serum, das er teils von Gesunden, teils
von Patienten (Fälle von abgelaufener Endocarditis rheumatica, Lues, CO-
Vergiftung und Tuberculosis pulmonum) entnahm, auf 6 Pneumokokken-
stamme. Er konnte im menschlichen Blute in vitro Stoffe nachweisen, die
für Pneumokokken bakterizid sind, und zwar besonders gegen virulente
Stämme. Der Gehalt des menschlichen Blutes an pneumokokkenfeindlichen
Stoffen schwankt. In den untersuchten Fällen waren sie bei akutem Fieber
reichlicher vorhanden als bei Gesunden; ihre Wirkung schwankte zwischen
blasser Entwicklungshemmung und Bakterizidie. Blut und Plasma enthält
ungleich mehr dieser Stoffe als das Serum. Sie werden durch 1 / 2 stündige
Erhitzung auf 56—58° nicht geschädigt. Blut, Serum und Plasma von
Mäusen und Kaninchen enthalten keine derartigen Stoffe. Mit diesen humo¬
ralen Schutzstoffen des menschlichen Blutes erklärt sich die geringere
Empfänglichkeit des Menschen auch gegen virulente Kokken. In Über¬
einstimmung mit den Angaben von R. Schneider konnte D. aus Kanin¬
chen-Leukozyten Stoffe extrahieren, die sieh für Pneumokokken als bakterizid
erwiesen, was Verfasser damit deutet, daß diese Stoffe vielleicht mit den
Plasmastoffen identisch sind. Schürmann.
Baertlein (Berlin), Über das hämolytische Verhalten der Cholera- und
El Torstämme. (Arbeiten aus dem kaiserl. Gesundheitsamt, Bd. 36, H. 4,
1911.) Verfasser untersuchte sieben frische Oholerastämme in bezug auf ihr
hämolytisches Verhalten. Hammelerythrozyten wurden nach 24—28 Stunden
verschieden stark von den einzelnen Kulturen gelöst. Das Hämolysierungs-
vermögen der Kulturen ist Schwankungen unterworfen, so daß einzelne
derselben mit der Zeit stärker hämolytisch, andere schwächer wirkten. Bei
einigen schwand das lytische Vermögen völlig. Auch je nach der Prüfung
auf flüssigen oder festen Nährböden zeigen die Cholerakulturen in bezug
auf hämolytisches Vermögen kein einheitliches Verhalten. Die besten Resul¬
tate ergaben flüssige Nährmedien, Blutaufschwemmungen. So zeigte sich
bei den untersuchten Stämmen in Blutaufschwemmungen nach 24 Stunden
bei 22%, nach 48 Stunden bei 47%, auf der Blutplatte dagegen nur bei
11% Hämolyse. Schürmann.
Pergola (Rom), Die rasche bakteriologische Choleradiagnose. Beob¬
achtungen über das Dieudonng’sche Blutalkaliagar. (Zentralbl. für Bakt.,
Bd. 59, H. 1.) Verf. empfiehlt das Anlegen von Strichkulturen auf dem
Dieudonne’sehen Blutalkaliagar. Daneben sollen Anreicherungen verwendet
werden, und zwar in Peptonwasser, Peptonwassergelatine, in Blutalkali-
gelatine. Die Kulturen werden nach 10—14stündigem Verweilen im Brut¬
schrank bei 37° C untersucht. Die zur Entwicklung gelangten verdächtigen
Kolonien werden zur Agglutinationsprobe genommen. Das Pfeiffer’sche Phä¬
nomen der Bakteriolyse hält Verf. für unnötig. Der Dieudonne’sche Blut¬
alkaliagar ist aufs wärmste zu empfehlen. Er hemmt die Entwicklung
von Koli und anderen Darmbakterien. Cholera wächst auf ihm fast in Rein¬
kultur. Schürmann.
Bezangon u. Philibert (Paris), Zum Nachweis der Koch’schen Bazillen.
(Progres medical, Nr. 19, S. 229—233, 1911.) Wenn man mit Hilfe des
Homogenisierens und des Zentrifugierens Tuberkelbazillen fangen will, so
ist dabei Voraussetzung, daß die Bazillen schwerer sind als das homo¬
genisierte VehikeL Nun hat sich aber herausgestellt, daß dem häufig nicht
so ist, daß vielmehr das Vehikel schwerer ist als die Bazillen, deren Ge¬
wicht zwischen 1010—1080 schwankt. Es handelt sich also darum, das
homogenisierte Vehikel so zu gestalten, daß es leichter ist als 1010. Das
macht man nach Bezangon und Philibert folgendermaßen: Man fügt
zu n ccm des Sputumte 5 n ccm Wasser und n Tropfen Natronlauge. Unter
Umrühren und allmählichem Zusatz von weiteren 5 n ccm Wasser wird auf
dem Bunsenbrenner 10 Minuten lang gekocht. Ist die Flüssigkeit erkaltet,
bestimmt man das spezifische Gewicht und drückt es — ev. durch Zusatz
von Spiritus — auf 0,999 oder 1,000 herunter. Dann wird 45—60 Minuten
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lang zentrifugiert und schließlich das Präparat in der gewöhnlichen Weise
angefertigt. Nach Angabe der Autoren findet man mit dieser Methode
nicht allein mehr Bazillen, sondern solche auch in Fällen, in welchen bisher
vergeblich gesucht war. Buttersack (Berlin)..
Innere Medizin.
Leven, La douleur-signal, proeddö clinique pour dölimiter l’gstomac.
(Bull, gener. de ther., Nr. 6, 1911.) Alle Dyspeptiker mit atonischem,
dilatiertem, verlängertem Magen sind sofort aller Schmerzen ledig, wenn
der Magen einen richtigen, bestimmten Halt bekommt; dieser unterdrückt
auch die schmerzhafte Ermüdung beim aufrechten Stehen und bessert mit
der Zeit auch das Aussehen der Kranken. Aber wie die Radioskopie beweist,
die Mehrzahl der Binden senken statt stützen den Magen. Der Halt muß
danach an der unteren Magengrenze, in der Höhe der abschüssigsten Region,
wenn der Kranke steht, angebracht werden. Nun ist, außer mit Hilfe der
Radioskopie, die Begrenzung im Stehen recht schwierig, oft unmöglich.
Es sei denn durch des Verf. Methode, die darauf beruht, daß der Druck¬
schmerz auf den hyperästhetischen Plexus solaris in der Medianlinie zwischen
Schwertfortsatz und Nabel sich beträchtlich vermindert bzw. ganz auf hört
in dein Moment, wo der Finger, um sich zu erheben, die untere Magengrenze
erreicht. Bei der Untersuchung sitzt der Kranke erhöht mit dem Rücken an
der Wand, man sucht durch tiefe Palpation in der angegebenen Region die
schmerzhafteste Stelle, die man durch die beiden Daumen eines Assistenten
oder des Kranken sich durch gleichen Druck fixieren läßt; dann sucht man
allmählich vom Schambein an nach oben gehend, mit beiden Daumen in der
Medianlinie durch einen tiefen Druck den Bauchinhalt zu erheben; der
Kranke ist instruiert, zu sagen, wenn der Druckschmerz im Epigastrium
aufhört. Wenn dieses bei der letzten Manipulation der Fall ist, hat man
die untere Magengrenze gefunden. Bei Hauthyperästhesien hören diese in
dem Moment auf, wo die untere Magengrenze erhoben wird. Probe: dasselbe
von oben nach unten. Der epigastrische Schmerz hält so lange an, als die
Finger jenseits der unteren Magengrenze drücken. v. Schnizer (Höxter).
J. Schütz (Marienbad), Über prozentualen und absoluten Salzsäure¬
gehalt des Mageninhalts und seine Bedeutung für die Funktionsprüfung des
Magens. (Boas Archiv, H. 2, 1911.) Für die Funktionsprüfung des Magens
ist die bloße Expression mit nachfolgender Bestimmung der prozentualen
HCl-Werte in vielen Fällen ganz ungenügend. Um das Maximum dessen,
was sich mittels Sonde bezüglich der Magenfunktion derzeit erfahren läßt,
zu ermitteln, ist zumindest eine genaue Rückstandbestimmung und Berech¬
nung der absoluten HCl-Werte neben den prozentualen notwendig. Auf
diese Weise ließ sich unter anderm zeigen, daß Fälle von Hyperazidität zu¬
mindest in zwei Gruppen zerfallen, in solche mit niedrigen absoluten Werten
bei geringen Rückstandsmengen (Hyposekretion mit Hypermotilität ?) und
in solche mit hohen absoluten HCl-Werten bei normalen oder vermehrten
Rückstandsmeldungen. Verf. schlägt vor, die absolute HCl-Menge in HCl-
Einheiten auszudrücken, wobei als HCl-Einheit 1 ccm HCl zu betrach¬
ten wäre. M. Kaufmann.
E. Martin (Köln), Die rektale, kontinuierliche Kochsalzinfusion; der
„Tröpfcheneinlauf 44 unter Kontrolle des Auges. (Münchn. med. Wochenschr.,
Nr. 19, 1911.) Der Autor erörtert die Indikationen der rektalen Kochsalz -
infusion. Sie sind selbstverständlich im wesentlichen die gleichen wie für
die subkutane und intravenöse, mit dem Unterschiede, daß sie da minder¬
wertig ist, wo es auf sehr rasche, momentane Wirkung ankommt. Daß die
rektale Infusion nicht mehr angewandt wird, als es der Fall ist, liegt zum
Teil an der Technik. Sch. beschreibt ein recht einfaches Verfahren, da«
uns sehr zweckmäßig zu sein scheint. Der Irrigator wird ca. einen halben
Meter über dem Bette aufgehängt. In die Zuleitung zu dem dicken Nelaton-
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Referate und Besprechungen.
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katheter, der als Infusionsrohr dient, wird eine Glaskugel eingeschaltet, so
daß das Auge kontrollieren kann, wie rasch der Zufluß erfolgt. Das zu¬
leitende (obere) Rohr ragt in das Lumen der Kugel vor. Der Zufluß aus
dem Irrigator wird mittels einer Klemmschraube so reguliert, daß pro
Sekunde ein Tropfen fließt. Auf diese Weise kann stunden- und tagelang
und literweise infundiert werden, ohne daß der Patient Unbehagen emp¬
findet oder Kochsalzlösung aus dem Darme ausgestoßen wird.
R. Isenschmid.
Maurice (Lyon), La ligne blanche de Sergent. (Gazette Modicale de
Paris, Nr. 86, S. 90/91, 1911.) Vor einigen Jahren hat Sergent darauf
aufmerksam gemacht, daß bei Insuffizienz der Nebennieren leichtes Streichen
über die Haut eine weiße Linie hervorrufe. Es ißjt das also ein dertno-
graphisches Zeichen und hat mit der Linea alba der Anatomen nichts zu
tun. Dem Symptom ist im allgemeinen wenig Beachtung geschenkt worden;
jetzt trat Maurice in einer Sitzung der Societe medicale des hopitaux
de Lyon mit großer Wärme dafür ein. Er meint, daß die Ligne Manche
von Sergent in der Tat auf Nebenniereninsuffizienz deute, und zwar sei
deren nächste Folge eine gesteigerte Reizbarkeit der Vasokonstriktoren,
koordiniert dem Erbrechen, den Diarrhoen, der Mattigkeit und Tachykardie,
Zeichen, die ja sonst als Nebennieren-Intoxikation bekannt seien.
Trifft man bei einem Patienten auf die Sergent’sche Linie, so greife
man zu Nebennierenpräparat, verordne vegetarische Diät, sorge für Darm-
antisepsis und hauptsächlich für geistige Ruhe. Buttersack (Berlin).
Römer (Straßburg), Über Zahnkaries. (Die Heilkunde, Ärztl. Standes-
zeitung, Nr. 13, 1911.) Abgesehen von der ererbten Prädisposition zur Zahn¬
karies gibt es noch andere Momente: z. B. abnorm tiefe Fissuren in den
Molaren und Foramina coeca in den oberen seitlichen Schneidezähnen,
worin beständig kleine Mengen von Speiseresten stagnieren, ferner eine
sehr gedrängte Zahnstellung. Überall da, wo eine gedrängte Stellung der
Zähne die Retention von Speiseresten und Bakterien begünstigt, und die
Reinigung der approximalen Flächen der Zähne erschwert ist, tritt die Karies
viel leichter und viel häufiger ein als bei Zähnen, die keine Zwischenräume
untereinander aufweisen. Diese Karies ist deswegen besonders unheilvoll,
weil sie in den Anfangsstadien leicht übersehen werden kann und weil viel
leichter sekundäre Karies neben appro ximal gelegenen Füllungen auf tritt
als an anderen Stellen. Darum schlägt R. vor, denjenigen Kindern, die
auffallende Prädisposition zur Karies haben und eine sehr gedrängte Zahn-
stellung besitzen, zwischen dem 13. und 15. Lebensjahr die vier ersten
Molaren zu extrahieren. In diesem Jahr haben bereits die Milchzähne ge¬
wechselt und die zweiten Molaren sind hinter den ersten Molaren erschienen;
entfernt man nun die vier ersten Molaren, die ohnehin gewöhnlich schon
stark kariös sind, dann rücken sowohl oben als auch unten die Prämolaren
nach hinten und die zweiten Molaren nach vorn, so daß die gedrängte Zahn-
stellung beseitigt und auch dem Weisheitszahn Platz gemacht wird.
S. Leo.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Robinson, Adrenalin bei Hyperemesis gravidarum. (Acad. des Sciences,
April 1911.) Auf Grund theoretischer Erwägungen, insbesondere im Hin¬
blick auf die Gemeinsamkeit mancher Erscheinungen bei Gravidität und bei
Addison’scher Krankheit, gab Robinson zwei schwangeren Frauen mit
unstillbarem Erbrechen je 10 Tropfen Sol. Suprarenin 1% 0 pro die und er¬
zielte damit glänzende Resultate. Buttersack (Berlin).
H. Offergeld (Frankfurt a. M ), Klinische Versuche mit Ovarial-
substanz. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 25, 1911.) Neben der Einwirkung
auf das Genital haben die Ovarien offenbar auch noch Einfluß auf den Salz-
stoffwechsel und besonders auf die Zusammensetzung des weiblichen Blutes.
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Es äußert sich doch der natürliche oder künstliche Verlust der Ovarien
einmal in einer vorübergehenden Herabsetzung des Hämoglobingehaltes und
der roten Blutkörperchen, ferner in Beschwerden des vasomotorischen Nerven¬
systems und in Fettansatz infolge einer Herabsetzung der oxydativen Energie
der Zellen. Gegen alle diese Symptome werden die Ovarialpräparate teils
mit recht gutem Erfolge angewandt. Offergeld verwendet hauptsächlich
das Ovaraden, häufig kombiniert mit Triferrin. Hauptsächliche Verwen¬
dung fanden diese Mittel bei der Chlorose und Anämie der Mädchen. Er
konnte danach Hebung des Hämoglobingehaltes und Besserung des Allge¬
meinbefindens konstatieren. Bei sekundären Anämien, wie sie nach lang-
dauernden Blutungen und bei der Laktationsatrophie beobachtet werden,
vermag das Ovaraden sowohl die Atrophie zu hemmen dann aber auch, wenn
sie bereits eingetreten ist, die Funktion der Keimdrüsen wieder anzuregen.
Weiter werden durch das Präparat die Wallungen und Störungen des vaso¬
motorischen Systemb ,und endlich auch, allerdings nicht so häufig, die Gra¬
viditätstoxikosen günstig beeinflußt. F. Walther.
Liek (Danzig), Über Fremdkörper im Uterus als Mittel zur Verhütung
der Konzeption. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 19, 1911.) Die von
Richter (Waldenburg) empfohlene Einbringung von zusammengerollten
Silkfäden in den Uterus zwecks Verhütung der Konzeption hält Liek
schon aus theoretischen Erwägungen nicht für zweckmäßig, ruft sie doch
eine Endometritis hervor. Er kann nun auch über einen Fall berichten, in
dem diese Methode zu recht schweren Schädigungen geführt hatte. Er war
durch den Reiz der Fäden zunächst zu Endometritis gekommen, an die sich
dann aufsteigende Infektion der Tuben anschloß. Endlich setzte mit Be¬
ginn der Menstruation eine schwere Pelveoperitonitis ein. Eine Gonorrhöe
war in diesem Falle sicher auszuschließen. Der Nachteil der Methode be¬
steht vor allem darin, daß die Frauen nicht regelmäßig zur Untersuchung
kommen und daß man, nie sicher weiß, ob die Fäden noch im Uterus liegen
oder bei der Menstruation mit ausgestoßen worden sind. F. Walther.
In Dünkirchen betätigte sich eine Frau in der Geburtshilfe, ohne
irgendwie dazu berechtigt zu sein; zahlreiche Puerperalerkrankungen waren
die Folge. Der Staatsanwalt wollte von sich aus nicht eingreifen, deshalb
erhob der ärztliche Verein Klage, und in der Tat wurde die Frau verurteilt.
Da sie kein Geld besaß, hätte man sie einsperren müssen; allein davon nahm
das Gericht Abstand ;un Hinblick auf ihr Alter, obwohl der ärztliche
Verein bereit war, die Unterhaltungskosten zu bestreiten. Das Resultat des
ganzen Unternehmens war somit dieses, daß die Frau ihre Tätigkeit fort-
ßetzt, sich über ihre Verurteilung lustig macht und daß der ärztliche
Verein die Prozeßkosten zu tragen hat. (Bull, med., Nr. 36, S. 389, 1911.)
Buttersack (Berlin).
Fremantle, Rückgang der Geburtenziffer. (The Lancet, Nr. 16, 1911.)
Nach einer Zusammenstellung von Fremantle sinkt zwar die Natalität.
in Frankreich in hohem Grade, aber nicht hier allein. Die andern Länder
folgen seinem Beispiel, und zwar in dieser absteigenden Reihenfolge: Irland,
England, Neu-Seeland, Australien, Deutschland, Italien, Spanien und selbst
Japan. Buttersack (Berlin).
Psychiatrie und Neurologie.
H. Damaye (Paris), Geisteskrankheiten und Gehirnpathologie. (Pro -
S res medical, Nr. 17, S. 209—211, 19110 Uie Tatsache, daß die Geistes¬
krankheiten sich noch immer der pathologisch-anatomischen Einreihung ent¬
ziehen, ist höchst fatal, namentlich für diejenigen, welche von der Lehre
ausgehen, daß jenseits unserer Sinne nichts existiere, daß es nichts Meta ¬
physisches gebe. Es muß doch, so postulieren sie, irgendwo eine anatomische
Läsion vorhanden sein, und da solche weder makro- noch mikroskopisch
zu erkennen sind, so verlegen sie dieselben ins Molekulargebiet, nicht ebnend.
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Referate und Besprechungen.
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daß jede Hypothese einen, bzw. den entscheidenden Schritt über die Grenzen
des Physisch-Erkennbaren hinaus bedeutet. Die vorliegende Arbeit ist ein
interessantes Dokument, wie der menschliche Geist sich mit den brutalen
Tatsachen abzufinden sucht. Die chronisch-entzündlichen Prozesse der Hirn¬
häute und der Hirnrinde interessieren Damave nicht mehr in erster Linie;
sie sind ihm nur der Ausdruck toxischer oder infektiöser Vorgänge. Daß
sie die Hirntätigkeit beeinträchtigen, nimmt er als selbstverständlich an;
die Atrophien, die Vermehrung des Liquor cerebrospinalis, die Erweiterung
der Ventrikel, die Trübung der Meningen zeigen das zur Genüge an. Aber
es gibt auch Fälle, wo nichts davon zu finden ist und in denen die Hirn¬
rinde doch nicht richtig funktionierte: das sind Zustände von funktioneller
oder konstitutioneller Schwäche; und darin liegt das Wesen der Geisteskrank¬
heiten. Die groben Veränderungen, welche sich postmortal demonstrieren
lassen, haben sich nur auf jene Konstitutionsanomalie aufgepfropft, haben
sie — wenn man so sagen darf — fixiert und unheilbar gemacht, während
sie ohne diese noch besserungsfähig gewesen wäre.
Man sieht, es bahnt sich, wenn auch schüchtern, eine Abkehr von der
materialistischen Betrachtungsweise des anatomischen Denkens an. Aber
noch immer gilt für das Gros der Menschen und Forscher der spöttische
Satz, welchen Lope de Vega den König zu Kolumbus sagen läßt:
,,Doch daß du hinter diesen drei Gebieten
Ein weiteres findest, das mach’ mir nicht weiß.“
Buttersack (Berlin).
R. Belb&ze (St. Nicolas-de-la- Grave), Die Neurasthenie der Landbe¬
völkerung. (Progr. med., Nr. 18, S. 225—226, 1911.) Man sollte denken,
über die Neurasthenie sei nachgerade genug geschrieben und Berufene und
Unberufene hätten die Bedeutung der einzelnen ätiologischen Faktoren hin¬
länglich gewürdigt. Und doch fängt die Sache erst an, interessant zu werden,
wenn man den Blick vom gegebenen Fall auf den Volkskörper ausdehnt,
welchem der einzelne angehört, und wenn man die Entwicklung der Krank¬
heit nicht über Tage und Monate, sondern über Jahre und Dezennien ver¬
folgt. Freilich, dazu gehört mehr als Anatomie, physiologische Chemie und
Einthoven’s Saitengalvanometer; dazu sind historische, geographische, natio¬
nalökonomische Kenntnisse erforderlich und nicht zuletzt ein offener Blick
für das Gesamtleben, von welchem das Individuum nur ein Blatt oder eine
Blüte ist.
Belbeze ist es aufgefallen, daß in seinem Sprengel im Departe¬
ment Tarn-et-Garonne fast 30% der Landbevölkerung Neurastheniker sind.
Das war nicht immer so: im' 18. und im 19. Jahrhundert gab es keine der¬
artigen Krankheiten dort. Im Gegenteil, die Leute waren unternehmungs¬
lustig bis zur Waghalsigkeit, sie stellten dem großen Napoleon ausgezeich¬
nete Soldaten und versuchten — wenngleich ohne Erfolg — Luisiana, Kanada,
Südamerika zu kolonisieren. Die Revolution brachte keine wesentliche Ver¬
änderung, und auch das Jahr 1870/71 tangierte die Bevölkerung nicht
weiter.
Aber während früher zunehmender Wohlstand herrschte infolge von
Getreidebau und Mehlindustrie, während nicht genug Hilfskräfte vorhanden
waren, um das Land und die Konjunktur auszunützen, sanken seit zirka
30 Jahren die Preise und anstelle des Wohlstandes trat Verarmung. Natür¬
lich setzte der Rückgang zunächst unmerklich ein: Seit 1820 gingen die
Geburten zurück, dann fand das Mehl keinen rechten Absatz mehr; aber
immer noch war 1880 das Hektar Land 2500 Fr. wert. Schließlich jedoch
lohnte auch der Anbau von Hanf, Flachs, Maulbeerbäumen nicht mehr, und
jetzt sieht der Landmann langsam, aber unaufhaltsam den gänzlichen Ruin
heranschleichen. Hierin, in den steten deprimierten Gefühlen, in der Traurig¬
keit, Unzufriedenheit, in dem Gefühl des Unterliegens, in der fruchtlosen
Arbeit sieht Belbeze die eigentlichen Wurzeln der Neurasthenie.
Aber zu diesen lokalen Faktoren gesellen sich noch andere, die allge¬
mein über das ganze Land, und mutalis mutandis über ganz Europa ver-
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958 Referate und Besprechungen.
breitet sind: nämlich Fehler in der Erziehung, d. h. im Aufbau der geistigen
Persönlichkeit, die ja schließlich den Kampf mit den Verhältnissen aus-
zufechten hat. Da macht man zunächst innerhalb der Familie den Fehler,
die Kinder zu verwöhnen, anstatt sie streng zu erziehen und an Disziplin
zu gewöhnen. In der Schule propft man in die jugendlichen Gehirne eine
Summe von Kenntnissen hinein, welche teils wegen ihrer Menge, teils
wegen ihrer Natur noch gar nicht verdaut werden können; und auf der
Universität sehen sich die jungen Leute kompaßlos preisgegeben den immer
wechselnden, oft geistreichen, aber häufig verwirrenden Lehren der Pro¬
fessoren (ä des toujours mobiles, souvent ingenieuses, parfois .... decon-
certantes conceptions des grands maitres universitaires).
Tatsachen werden verlangt, immer nur Tatsachen! Aber wenn schlie߬
lich einmal das Bedürfnis erwacht, Ordnung in den Wust zu bringen, dann
fehlt die Fähigkeit der Sichtung; es fehlt das Vermögen, das Wesentliche
vom Unwesentlichen, das Brauchbare vom Unbrauchbaren, das Bleibende
vom Ephemeren zu trennen; schließlich läßt man sich resigniert von den
Tagesereignissen treiben. Viel wissen, aber damit nichts anfangen können;
sich in Kombinationen ergehen, aber dieselben nie realisieren; immer nach
anderem streben und die reale Gegenwart nicht genießen: das ist die Form
der Neurasthenie der Gebildeten.
Wenig wissen und das wenige schlecht wissen; aus ungenügenden
Kenntnissen Mißerfolge ernten; gelegentlich in Tumulten sich gegen die
brutale Macht des Fatums auf bäumen und dadurch die Lage noch mehr ver¬
schlechtern: das ist die Neurasthenie der Bauern, des niederen Volkes. —
Welche Fülle von Ideen bringt der ärztliche Beobachter aus dem ab¬
gelegenen Flecken St. Nico las-de-la-Grave! man fühlt ordentlich, wie er aus
dem Vollen schöpft, aus dem großen Fluß des Lebens der Menschheit und
wie er den Rahmen dessen, was wir heutzutage Medizin nennen, eprengt.
Natürlich muß es immer hilfreiche Hände geben, die sich der konkreten
Beschwerden der einzelnen menschlichen Erscheinung annehmen. Aber da¬
neben wird allmählich eine neue Spezies sich entwickeln, der Arzt-Philosoph,
welcher sich weniger der Einzelpersönlichkeit zuwendet, als vielmehr dem
Organismus eines Volkskörpers. Neue Männer, neue Zeiten und neue Hori¬
zonte ! Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
A. Eulenburg (Berlin), Über Adalin. (Med. Klinik, Nr. 10, Jahrg.
1911.) Die über das neue Hypnotikum und Sedativum, Adalin, vorliegenden
klinischen Urteile von Fleischniann (Königl. Charite), Schaefer (Städt. Sie¬
chenhaus, Frankfurt a/M.) usw. kann Verf. im großen ganzen bestätigen.
Anwendung fand das Mittel bei Insomnien, wie sie als Haupt- und Teil-
erscheinung chronischer Neurosen und Psychoneurosen, im Verlauf von Neur¬
asthenie, nervösen Depressions- und Erschöpfungszuständen, Angstneurosen.
Hysterie usw. häufig beobachtet werden; ferner bei Schlaflosigkeit in Ver¬
bindung mit krankhaften Zuständen im Zirkulationsapparat, mit Basedow¬
scher Krankheit, Herzinsuffizienz und Arteriosklerose. In allen diesen Fällen
bewährte sich Adalin in Dosen von 1,0 g, (zur Erzielung einer sedativen
Wirkung genügen 3—4 mal täglich 0,25—0,3 g) auch wenn bereits andere
Schlafmittel wie Veronal und dergl. gegeben worden wmren. Üble Folge -
Wirkungen oder Nebenerscheinungen kamen ebensowenig zur Beobachtung
als kumulative Effekte, selbst nicht bei längerem Gebrauch. Infolgedessen
glaubt Verf. „das Adalin als ein mildes, angenehmes, ziemlich rasch und
sicher den Schlaf herbeiführendes Hypnotikum für leichtere und mittel-
schwere Formen einfacher wie auch anderweitig komplizierter „nervöser“
Insomnien für die ärztliche Praxis wohl empfehlen zu dürfen“. R--
M. Salomonski (Berlin), Über die sedative Wirkung des Adalins l>ei
sexueller Neurasthenie und anderen Geschlechtskrankheiten. (Deutsche med.
Wochenschr., Nr. 14, 1911.) An 50 klinischen und ambulanten Fällen
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Verf. das neue Sedativum Adalin geprüft und festgestellt, daß das Mittel
bei Spinalirritationen, Ejaculatio seminis praematura, übermäßig gesteigerter
Libido sexualis, erotischen Vorstellungen, nervöser Impotenz, Onanie, Pruritus
vaginalis auf nervöser Basis, Pollakisurie usw. recht gute Dienste leistet.
Auch als Hypnotikum bei Gonorrhöe mit schmerzhaften Erektionen, sowie
bei Lues berichteten die Patienten übereinstimmend, daß sie auf Adalin stets
eine gute Nacht verbracht hätten. Als Dosis genügten meist dreimal täg¬
lich 0,5 g in Tabletten, um einen beruhigenden Einfluß auf das Zentral¬
nervensystem zu erreichen. Zur Erzielung einer schlafbringenden Wirkung gibt
man abends Vs Stunde vor dem Zubettgehen zwei Tabletten ä 0,5 in warmer
Flüssigkeit (dünner Tee oder Zuckerwasser). Irgendwelche Nebenwirkungen
wurden nicht beobachtet. R..
Th. Mayer, Zur praktischen Bewertung des Asurols. (Berl. klin.
Wochenschr., Nr. 12, 1911.) Da durch Salvarsan die antiluetische Therapie
mit Jod und Quecksilber nicht überflüssig geworden ist, letzteres vielmehr
sein altes Ansehen allmählich zurückerobert, hielt Verf. es für angezeigt,
eine Reihe von Versuchen mit Asurol, einer Doppel Verbindung von Amido-
oxyi so buttersäure mit oxymorcurisalizylsaurem Natrium, durchzuführen. Das
neue Quecksilbermittel mit einem Gehalt von 43% Hg ist ein lösliches
Präparat, kann also seiner Natur nach nicht lange im Körper bleiben und
wird daher vorteilhaft mit unlöslichen Mitteln (graues Öl, Inunktionskuren
usw.) kombiniert. Dafür hat es aber den großen Vorzug, innerhalb kurzer
Zeit einen kräftigen und rasch eintretenden Effekt hervorzurufen; auch
läßt es sich mit Anästhetizis kombinieren, wozu Verf. 1 L / 2 °/o Alypin- nitric.
verwendete. Das für die Durchführung einer energischen Kur zweckmäßige
Quantum betrug innerhalb 6 Wochen 12mal 2 ccm einer 10% Lösung, so daß
mit Asurol eine größere Menge Quecksilber ein verleibt werden kann als es
mit den unlöslichen Mitteln im allgemeinen üblich ist. Nebenwirkungen
wurden so gut wie gar keine beobachtet. R.
H. Dreser (Elberfeld), Erwiderung auf Prof. Heubner’s „Warnung vor
Maretin“. (Therap. Monatshefte, August 1911.) Nach den Ausführungen
des Verf. greift H e u b ne r von den etwa 40 über Maretin vorliegenden Publi¬
kationen nur die 4 bis 5 ungünstigen heraus, um an Hand derselben Maretin
zu. einem Blutgifte zu stempeln. Daß den Heubner’schen Ausführungen auch
eine ganze Reihe andere Ansichten gegenüberstehen, wonach Maretin b e i
richtiger Dosierung keine blutschädigende Wirkung besitzt, wird
gamicht berücksichtigt. Prof. Lazarus verfügt z. B. über 1500 Darreichungen von
Maretin bei mehr als 60 Kranken, die niemals mit einem Kollaps oder sonstigen
Nebenwirkungen reagierten. Auffallend ist auch, daß Heubner zur Bekräftigung
seiner Ausführungen nur einen Kaninchenversucb ins Treffen führt. Trotz der
zweimaligen großen Anfangsdosen von 0,5 g, die zur Einleitung einer kumulativen
Wirkung bei einem nur 1650 g schweren Kaninchen sicher sehr geeignet sind, stellt
sich erst am sechsten Tage ein erheblicher Abfall des Hämoglobingehaltes ein,
nachdem weiterhin täglich 0,25 g gegeben waren. Die Heubner’sche Dosis ist natür¬
lich viel zu hoch gegriffen, und bei einem analogen Vorgehen wird man auch
andere bewährte Antipyretika als Blutgifte bezeichnen können. Sind denn, fragt
Dreser, die zahlreichen gebräuchlichen und gut akkredidierten Anilin- und Para-
midophenolderivate, die alle mehr oder weniger Metliämoglobinbildung bewirken,
keine „Blutgifte“? Ruft etwa Phenazetin nicht auch gelegentlich Zyanose, Met¬
hämoglobinämie (zuweilen schon in relativ kleinen Dosen) hervor?
Wenn ferner nach Heubner’s Behauptung es nicht gestattet ist, aus dem
Fehlen von Methämoglobin auch auf das Fehlen einer anämisierenden Wirkung zu
schließen, so verkennt er dabei vollkommen die Bedeutung der Bestimmung der
respiratorischen Kapazität des Blutes. Schließlich führt Dreser für seine Ansicht
noch die Erfahrungen der Kliniken von Hoppe-Seyler, Senator, Cardarelli und
Schmidt ins Feld, die von einer blutschädigenden Wirkung nichts gesehen haben.
Neumaun.
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Bücherschaii.
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Bücherschau.
M. Bockhorn (Langeoog), Die Wirkung des Seeklimas und seiner Kurmittel auf
Gesunde und Kranke. Oldenburg 1911. Verlag von G. Stalling. 22 S.
Eine große Anzahl von Menschen sucht mit oder ohne Rat des Arztes die
Nordsee auf, um sich da zu erholen. Sie halten das Baden für die Hauptsache
und stürzen sich mit Eifer in die Fluten in der stillen Absicht, es auf eine mög¬
lichst große Zahl von Bädern zu bringen. Wir Arzte wissen, wie unzweckmäßig
solch ein Verhalten ist, wir wissen auch, daß neben dem Baden noch eine beträcht¬
liche Reihe anderer Faktoren in Betracht kommt; aber das Gros der Erholungs¬
bedürftigen und der Sommerfrischler weiß das alles nicht. Darum ist es verdienstlich
von Bockhorn, in dieser Richtung in populärer, leicht begreiflicher Darstellung
praktische Winke auf Grund der klinischen Erfahrungen zusammengestellt zu haben.
Wer seine Ausführungen liest und beherzigt, kann sicher sein, den doppelten Nutzen
von Langeoog, Borkum, Sylt usw. mit nach Hause zu bringen. Buttersack (Berlin).
A. Robin, Therapeutique usuelle du praticien. 1. u. 2. Serie. Paris 1910. Vigot
fröres. 520 u. 531 S.
Der berühmte Praktiker gibt in der Vorrede die Absicht kund, die er in
seinen Abhandlungen verfolgt: Er will an der Hand einzelner Fälle, die Therapie
die der Praktiker braucht, demonstrieren, die sich wenig um Theorien kümmert,
sondern sich einzig auf Tatsachen stützt. Er will gerade den Praktiker instand
setzen, die reichen Hilfsmittel der Materia medica und der Physiotherapie in dem
trotz Vielseitigkeit und proteusähnlichem Wechsel einheitlichen Krankheitsbild,
rechtzeitig im gegebenen Moment zu verwerten; er zeigt ihm die intellektuellea
Operationen, die zu einer wirksamen Behandlung führen und gewissermaßen einer
zerebralen Gymnastik gleichen; natürlich soll er sich von den herrschenden patho¬
genen Theorien leiten lassen; er soll den vitalen Reaktionen, die die Krankheit
setzt, mit einer im wesentlichen funktionellen Therapie begegnen. Verf. bezeichnet
sich als einen Gläubigen der Therapie und bezeichnet den Skeptizismus mehr als
einen Ausfluß der Ignoranz als der Ohnmacht.
Das Werk ist außerordentlich klar und interessant geschrieben und wird auei?
bei uns stets ein wertvolles Hilfsmittel des praktischen Arztes sein und bleiben,
zumal da es allen Fortschritten der Wissenschaft, soweit sie durch Beobachtung
gesichert sind, Rechnung trägt. Einzelne dieser Abhandlungen sind bereits m
Auszug in unserer Zeitschrift erschienen.
Der 1. Band handelt von den Krankheiten des Magens und des Darmkanals,
der Leber, der Nieren, der Gefäße und des Nervensystems. Der letztere Abschnitt
behandelt u. a. die Psychosen digestiven Ursprungs und die Behandlung der Migräne
und einiger Augenstörungen dyspeptischen Ursprungs. Im 2. Bande wird die Be¬
handlung der Infektionskrankheiten, des Typhus, des Erysipels, des akuten Gelenk¬
rheumatismus, des blenorrhagischen Rheumatismus, ferner die Behandlung der
Krankheiten der Ernährung vor Augen geführt, nämlich der Polyarthritis deformans,
der akuten, subakuten und chronischen Gicht, des Diabetes, der Albuminurie bei
Diabetes, des Coma diabet. Werterhin folgt die Behandlung der Krankheiten des
Respirationsapparates und des Nervensystems. Hiervon ist namentlich die Präventiv -
behandiung der Gehirnerweichung zu erwähnen. v. Schnizer (Höxter).
Max Stolz (Graz), Die Sterilisation des Weibes. Volkmann’s Sammlung Nr.
615/617. Leipzig 1911, Verlag von Job. Ambr. Barth. 87 S. 2,25 Mk.
Die Arbeit zeichnet sich durch außerordentlich eingehende Berücksichtigung
der Literatur aus und ist deshalb nicht zum Referat geeignet. Ein Zeichen, welches
große Interesse dem Gegenstand gewidmet wird, ist es, daß St. 265 Arbeiten über
ihn benutzen konnte. Fr. v. d. Velden.
P. Orlowski (Berlin). Die Impotenz des Mannes. 2. bedeutend erweiterte Auflage,
mit 22 Abbildungen im Text und 3 farbigen Tafeln. Würzburg 1909. Ourt
Kabitzsch (A. Stübers Verlag). 160 S. 4.50 Mk., geb. 5,50 Mk.
Verf. hat als erster in Deutschland in diesem Werke die Aufmerksamkeit
auf die Hypertrophie des Colliculus für die Behandlung der Impotenz gelenkt, und
veröffentlicht nun in dieser bedeutend erweiterten Auflage die ferneren Erfahrungen,
die er seit dem ersten Erscheinen des Buches im Jahre 1907 mit seiner Colliculus*
Kaustik gemacht: im Hinblick auf die guten Erfolge, die Verf. berichtet, muß es
Sache der Spezialisten sein, sich mit diesem Verfahren zu befassen, wozu vorliegen¬
des Buch die beste Anleitung gibt. Werner Wolff (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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19 . Jahrgang.
1911 .
Tort$(Dritte der Itiedizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herauBgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. o. £riegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt,
Nr. 41.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
12. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Aus Dr. med. Oederis Diätkuranstalt in Niederlößnitz bei Dresden.
Fettpolsterdicke und Fettpolstermessung.*)
Von Dr. med. Gustav Oeder.
M. H.I Auf der 4. Versammlung dieser Vereinigung 1908 in
Chemnitz habe ich die Ehre gehabt, zu Ihnen „über das Körpergewicht
erwachsener Menschen bei Ernährungsstörungen“ zu sprechen. Ich habe
damals das Körpergewicht gekennzeichnet als den ziffernmäßigen Aus¬
druck des gesamten Körperbestandes. Im allgemeinen wird gegen eine
solche Kennzeichnung nicht viel einzuwenden sein, da man ja allgemein
den Körperbestand durch Feststellen des Körperwichts bestimmt. Man 1
muß sich dabei nur klar darüber sein, daß die Körpergewichtsbestimmung
allein eine ideale Inventarisierung des Körperbestandes nicht ist.
In der Masse, die der Hautsack umschließt, steckt doch so mancherlei;
Gewebe und andres; und die Gewebe sind nicht nur verschiedenartig,
sondern auch verschieden wertig für die Beurteilung des Ernährungs¬
zustandes.
Allerdings stellen sich einer genauen und speziellen Inventarisierung
der einzelnen Gewebe beim lebenden Menschen fast unüberwindliche
Hindernisse entgegen.
Um wenigstens über einen Teil aus der Gesamtmasse der Körper-
ge webe — getrennt für sich — einigermaßen ein Urteil gewinnen zu
können, habe ich das Unterhautfettpolster herausgegriffen als das Gewebe,
das gerade für die Beurteilung des Ernährungszustandes von hervor¬
ragender Bedeutung ist und wegen seiner oberflächlichen Lage einer
Untersuchung auch beim Lebenden zugänglich erscheint.
Das Unterhautfettpolster — die tela subcutanea adiposa — ist zwar
nur ein Teil des gesamten Körperfettes; es überzieht aber in verschieden
dicker Schicht fast die ganze Körperoberfläche. Nur an wenigen kleinen
Stellen fehlt es ganz, selbst bei Fettleibigen, z. B. an der Innenfläche
der Ohrmuscheln, an Augenlidern, Penis und Skrotum; an einigen andern
Stellen ist es besonders reichlich.
Uber die Dicke an den einzelnen Körperstellen kann sich der
Untersucher beim lebenden Menschen eine ungefähre Vorstellung ver-
*) Vortrag, gehalten auf der 7. Versammlung der „Freien Vereinigung für
innere Medizin im Königreich Sachsen“ zu Leipzig am 21. Mai 1911.
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Gustav Oeder,
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schaffen durch Abheben einer {lautfettfalte. Eine solche Falte läßt
sich nicht überall bilden, z. B. nicht an der Hohlhand, Fußsohle, Kopf¬
haut und am Gesäß; an vielen Stellen aber ganz leicht. Vom Abheben
einer solchen Falte und Befühlen derselben bis zum Messen ihrer Dicke
ist eigentlich nur ein kleiner Schritt.
Diesen kleinen Schritt habe ich getan trotz mancherlei Bedenken,
die man theoretisch dagegen haben kann. Ich messe schon seit etwa
8 Jahren regelmäßig und methodisch und hoffe, daß auch Sie am Schlüsse
meiner Darlegung meine Methode für praktisch ausführbar und zur
Beurteilung des Fettbestandes brauchbar werden anerkennen können,
zumal eben eine andere bessere fehlt.
Wenn man etwa meinen sollte, daß man z. B. durch Bestimmung
des spezifischen Körpergewichts auch zu einer Beurteilung des gesamten
Fettbestandes gelangen könne, so mag das im allgemeinen wohl möglich
sein; ich könnte aber begründete Bedenken schon gegen die Methode
selber Vorbringen; denn sie erfordert eine recht umständliche Tauch¬
prozedur, deren Anwendung in der Regel scheitern dürfte an der Weige¬
rung der Mehrzahl der Menschen, sich ihr zu unterwerfen. Ferner ist
der Apparat zur Bestimmung des spezifischen Gewichts zu kostspielig für
die Praxis. Weiter hat die Methode recht große Fehlerquellen, auf die
ich hier nicht einzugehen brauche. Wer sich genauer über diese Methode
informieren will, den verweise ich auf die ausführliche Arbeit von Müller
und Jam in aus der von StrümpelFschen Klinik in Erlangen, die in
Nr. 34 und 35 der Münchn. mediz. Wochenschr. 1903 veröffentlicht ist
Auch meine Meßmethode ist gewiß nicht frei
von Fehlerquellen, und ihre Resultate werden
nur mit Vorsicht verwertet werden können.
Sie hat aber zum mindesten den Vorzug, daß
sie keinen kostspieligen Apparat erfordert,
daß sie einfach in der Handhabung ist und
den Untersuchten nicht in erheblichem Maße
belästigt. Endlich ist sie wohl eine direktere
Methode zur Bestimmung des Fettbestandes,
als die spezifische Gewichtsbestimmung, und
ermöglicht ein Urteil über die Fettpolsterdicke
an den einzelnen Körperregionen, sie ergänzt
also insoweit die spezifische Gewichtsbestim¬
mung, die höchstens über den gesamten Fett¬
gehalt des Körpers etwas auszusagen vermag.
Zunächst gestatte ich mir, Ihnen das Me߬
instrument zu zeigen, dessen ich mich zum
Messen bediene. Ursprünglich habe ich den
bekannten Collin’schen Tasterzirkel benutzt.
Da seine Gradeinteilung sehr klein ist, so war
die Messung damit nicht sehr genau; Teile
eines Zentimeters konnten nur ungefähr ge¬
schätzt werden. Immerhin bot die Anwendung
dieses Zirkels die Annehmlichkeit, daß ein
solcher oder ähnlicher im Instrumentarium
(im geburtshilflichen Besteck) fast eines jeden
Arztes vorhanden ist, so daß zur Vornahme von Nachprüfungen meiner
Angaben die Neuanschaffung eines besonderen Meßinstruments nicht un¬
bedingt erforderlich erschien. Ich kann zu ungefähren Messungen den
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Fettpolsterdicke und Fettpolstermessung.
963
Collin’schen Zirkel auch heute noch empfehlen, zumal da Meßfehler
von etwa 0,25 cm selbst bei genauerem Instrument Vorkommen und
überhaupt keine erhebliche Rolle zu spielen scheinen; deshalb ist die
unvollkommene Gradeinteilung des Zirkels nicht von zu großer Be¬
deutung.
Für genauere Messungen habe ich mir einen besonderen Zirkel
hersteilen lassen (bei Kuoke & Dreßler in Dresden, König-Johann-Straße),
der einen größeren Gradbogen trägt mit eingeritzter Zentimeter- und
Millimeterteilung; damit können sogar Teile von Millimetern noch
geschätzt werden. Abbildung 1 zeigt den Zirkel, So daß ich mir weitere
Beschreibung sparen kann. Das aufgezeichnete Instrument hat sich mir
in mehrjähriger Anwendung durchaus als genügend genau und brauch¬
bar erwiesen.
V
Mit diesem Zirkel messe ich die Dicke einer erhobenen Hautfett¬
falte an ihrer Basis. Ich habe daher zunächst zu prüfen gehabt, wie
die Bildung einer Hautfettfalte überhaupt vor sich geht. Darüber habe
ich mir ein Urteil zu verschaffen versucht durch Hautschnitte bei Leichen
und bei Laparotomien an Lebenden. Auf diese Untersuchungen einzeln
hier einzugehen, fehlt die Zeit. Ich habe der Einfachheit halber die
gefundenen Verhältnisse schematisch in Abbildung 2 (siehe Seite 964)
dargestellt.
Figur 1 stellt einen Durchschnitt dar durch Haut, Unterhautfett¬
gewebe, Faszie und Muskulatur. Wenn ich hierbei Haut und Unterhaut¬
fettgewebe getrennt habe, so entspricht diese Trennung ja wohl nicht
ganz der anatomischen Anschauung; der Anatom rechnet das Unterhaut¬
fettgewebe mit zur Haut. Ich trenne beide hier aus praktischen Gründen,
weil man Epidermis und Cutis zusammen — also die eigentliche Haut bis
zum Stratum reticulare — für sich in Fältchen vielfach aufheben und
messen kann. Deshalb habe ich auf der Zeichnung auch das Stratum
reticulare als Trennungsschicht durch einen besonderen Strich angedeutet.
Die Linien a—a, bis f—f, stellen verschieden dicke Schichten dar.
Die Faltenbildung erfolgt in der bei Figur 2 sichtbaren Weise.
Die Punkte a und b werden gegen einander möglichst nahe ver¬
schoben, zugleich mit den darunter liegenden Schichten a—a, und
b—bj. Dabei hebt sich die in der Mitte liegende Schicht c— c t von
der Faszie ab.
Die Falte ist richtig gebildet, wenn der Punkt c x ein bißchen über
die Verbindungslinie a—ß empor gerückt ist (y t Figur 2). Wird er zu
hoch geschoben (Figur 3), dann rücken andere Schichten in die Basis¬
linie ein; kommt er nicht hoch genug (Figur 4), dann wird die Falten¬
bildung unvollkommen; es entsteht nur ein Wulst.
Die richtige Faltenbildung ist aber die selbstverständliche Vor¬
bedingung für eine richtige Messung.
Die richtige Faltenbildung und die genügende Erhebung des
Punktes c x hängen in erster Linie ab von der richtigen Spannweite.
Weil nun in verschiedener Spannweite auch die Fettpolsterdicke ver¬
schieden ist, soll die Spannweite so klein wie möglich gewählt werden;
sie soll aber um so größer sein, je größer die Fettpolsterdicke ist. Die
nötige Spannweite beträgt ca. 2—14 cm. Ob der Punkt c x hoch genug
geschoben ist, das fühlt man zuweilen au einem deutlichen kleinen Wulst
in der Falte.
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Abbildung 2.
964 Schematisoher Schnitt durch Haut, Fettpolster und Muskulatur.
(a—a,) und (b—b,) sind die Schichten, die gemessen werden sollen.
c
Fig. 1.
(a—a,) un d (b—b,) sind die Schichten, welche bei der Faltenbildung, Fig. 2, die
Falten-Basis (a—ß) bilden,
(d d,) und (e—e,) sind die Schichten, welche bei zu großer Faltenbildung, Fig. 3,
die Falten-Basis (5—e) bilden,
(f—f,) und (g — g,) sind die Schichten, welche bei zu kleiner Faltenbildung, Fig. 4,
den Wulst bilden.
Fig. 2. Richtige Faltenbildung.
In die Basislinie a—ß (wo die Dicke gemessen wird) sind eingerückt die Schichten (a a,)
und (b—b,). Der Wulst bei y, (= emporgeschobener Punkt c,) steht unmittelbar
über der Basislinie.
r
Fig. 3. Falsche Faltenbildung.
In die Basislinie o—e sind eingerückt die Schichten (d—d,) und (e—e,) nicht die
zu messenden Schichten (a—a,) und (b—b,). Diese letzteren Schichten stehen hoch
über der Basislinie/i ebenso der Wulst bei y,.
Fig. 4. Falsche Faltenbildung.
Hierbei kommt es gar nicht zur vollständigen Faltenbildung; es entsteht nur ein
Wu 181. Nicht einmal die den Griffpunkten f und g entsprechenden Schichten
(f—f,) und (g—g,) sind in die Basislinie gerückt. Der Wulst bei y, steht unter der
Basislinie. Natürlich sind auch die zu messenden Schichten (a—a,) und (b—b,)
nicht in die Basislinie vorgerückt.
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Fettpolsterdicke und Fettdolstermessung.
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Das Messen selber nehme ich
so vor (Abbildung 3), daß ich
mit der linken Hand zwischen
Daumen und Mittelfinger die
Haut in richtiger Spannweite
fasse und die Griffpunkte auf
der Unterlage einander nähere,
indem ich dabei mit dem 4. und
5. Finger die seitlichen Partien
der Haut und des Unterhaut¬
fettes zur Entspannung nach¬
schiebe. Dabei wölbt sich eine
Falte zwischen den Fingern vor.
Ich drücke sie mit mäßigem
Druck zusammen. Dann setze
ich den in der rechten Hohl¬
hand mit der Gradeinteilung
nach oben liegenden Zirkel an,
indem ich die Branchen durch
den dazwischen geschobenen 3.
und 4. Finger spreize. Die Tast¬
kolben werden unmittelbar vor Abbildung o.
die Spitzen der die Falte haltenden Finger gesetzt. Alsdann drücke
ich die Branchen mit den außen anliegenden Daumenballen, Zeige- und
Kleinfinger so weit zusammen, bis sie nicht weiter Zusammengehen, und
lese nun die Zentimeter- und Millimeterzahl auf dem Gradbogen ab.
Da die Hautfettfalte nicht bloß mit den haltenden Fingern,
sondern auch mit den Zirkelbranchen komprimiert wird, so ändert sich
auch mit der Stärke des Zirkeldruckes die Dicke der erhobenen Falte.
Ich habe auf Abbildung 4 (siehe Seite 966) durch einfache Schraffierung
ausgedrückt, um wieviel Millimeter diese Zirkeldruckdifferenz im Einzel¬
falle an derselben Falte zu schwanken pflegt. Sie sehen, daß sie um
2—6, meist nur 2,5 mm schwankt! Ein Untersucher, der sich ein
bißchen übt, lernt schnell bei Wiederholung der Messung stets ungefähr
denselben Druck ausüben. Ich habe mit gekreuzter Schraffierung
die bei gewöhnlichem Druck festgestellte Dicke eingezeichnet und mit
schwarzen Punkten und Strichen die Einzelzahlen, welche ich bei je
10 Nachmessungen erhalten habe, die ich zwar an derselben Stelle,
aber unter jedesmaliger neuer, möglichst mit gleichem Druck bewirkter
Faltenerhebung vorgenommen habe. Diese schwarze Kurve schmiegt sich
bei den Feldern der Rubrik 1, die meine eigenen Messungen enthalten,
meist nahe an die gekreuzt schraffierte Linie an und weicht von ihr in
der Regel nicht ganz bis zu den einfach schraffierten Grenzen ab. Ich
glaube damit im allgemeinen die Fehlerquellen und Fehlergrenzen
graphisch deutlich genug dargestellt zu haben, welche bei den Messungen
und Nachmessungen sich zeigen, wenn ein und derselbe,Untersucher mißt.
Nur wenig größer sind die Fehlergrenzen und Fehlerquellen, wenn
mehrere Untersucher an derselben Stelle messen. In der Rubrik 2
habe ich die Maßresultate aufgezeichnet, die ein weniger geübter
Kollege, mein derzeitiger Assistent, bei Nachmessung an derselben
Stelle erhalten hat. Sie sehen, daß dabei die Druckbreite (einfache
Schraffierung) ein bißchen größer und die schwarze Kurve ein
'wenig unregelmäßiger ist. Die Druckbreite betrug bei ihm im Höchst-
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966
Gustav Oeder,
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Abbildung 4.
Dicke der Hautfettfalte r. neben Nabel.
+ -9 je 10 verschiedene Messungen bei jedesmaliger neuer Faltenbildung und
mittlerem, gleichem Druck.
f/ . 3 Kompressionsbreite bei verschiedenem Druck an derselben Falte.
Dicke bei mittlerem, gleichem Druck an derselben Falte.
Rubrik 1. Rubrik 2.
weibliche
Magere
männliche
Magere
~
~
1?
1.7
18
1,9
2.0
2.1
n
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männliche
Normale
weibliche
Fettleibige
männliche
Fettleibige
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Fettpolsterdicke und Fettpolstermessung.
967
fall aber auch nur 8 mm und die Dickenunterschiede bei verschiedener
Faltenerhebung höchstens 5 mm. Die bei gewöhnlichem Druck vom Nach¬
untersucher festgestellte Dicke weicht bei einem Fetten von der meinigen
höchstens 3 mm ab (gekreuzte Schraffierung), bei Mageren und Normalen
nur um 1 mm.
Die Meßfehler, die durch die verschieden starke Kompression und
durch verschiedene Untersucher erzeugt werden können, sind demnach
nicht sehr erheblich. Durch Übung lassen sie sich in der Regel auf ein
Geringes (cä. 1 j A cm) reduzieren!
Ein bißchen anders liegt die Sache bei den Nachmessungen mit dem
AViederfinden derselben Maßstelle. Wie ich schon oben gesagt und auf der
Tabelle (siehe Seite 968) eingezeichnet habe, ist das Unterhautfettpolster nicht
überall gleich dick. Es liegen dickere und dünnere Stellen zuweilen nahe
beieinander. Deshalb ist e-j bei Nachmessungen so sehr wichtig, die Falte
stets an derselben Stelle aufzuheben, wenn man die Resultate miteinander soll
vergleichen können. Das Wiedertreffen derselben Stelle bei der Falten¬
bildung ist nicht leicht; und durch das Erwischen verschiedener Stellen
können doch recht große Meßdifferenzen herauskommen. Ich habe des¬
halb empfohlen, in der Regel nur an einer einzigen genau lokalisierbaren
Stelle zu messen, und zwar auf einer Linie, die senkrecht zur linea alba
die Nabelmitte schneidet. Der eine Tastkolben soll auf dieser Linie rechts
neben dem Nabel, etwa .1 cm von ihm entfernt, angesetzt werden, der
andere Tastkolben auf der gleichen Linie in der erforderlichen Spannweite.
Am Nabel gelingt nicht nur die Erhebung einer Falte regelmäßig
und leicht, sondern sie läßt sich auch bei der üblichen Untersuchung in
Rückenlage genügend bequem ausführen. Dadurch vereinfacht sich das
Messen außerordentlich, während die Zahl der möglichen Meßfehler sich
erheblich verringert. Auch aus diesen Gründen empfiehlt sich als Index¬
stelle zum Messen die Stelle neben dem Nabel.
Ich möchte nicht unterlassen, zu sagen, daß die Meßresultate mir
in langer Praxis durchaus als genügend zuverlässig und gleichmäßig sich
erwiesen haben.
Nichtsdestoweniger muß ich natürlich anerkennen, daß eine gewisse
Übung zum gleichmäßigen Messen gehört, und daß die Methode einige
Fehlerquellen hat. Aber auch wenn man die Messung an sich als ge¬
eignete Untersuchungsmethode gelten läßt, so bleiben gewiß noch mancher¬
lei Zweifel anderer Art, namentlich über die Berechtigung zu Schlüssen
auf den gesamten Fettbestand aus der Messung der Bauchfettpolster¬
dicke bestehen. Insbesondere wird der Parallelismus im Wachstum der
Fettpolsterdicke am Bauch mit der Dicke an anderen Körperstellen
Zweifeln begegnen. Der von mir angenommene Parallelismus ist auch
mehr ein relativer d. h. wenn das Fett am Nabel zunimmt, nimmt es
auch an anderen Stellen zu; wenn es am Nabel abnimmt, nimmt es auch
an andern Stellen ab, nicht um die gleiche Millimeterzahl, aber doch
ungefähr in einem individuell stets gleichen Verhältnis. Ich bitte, dazu
einmal die Tabelle anzusehen. Dort sind aufgezeichnet 3 Gruppen von
Personen und zwar Magere, Normale und Fette. Ich habe in einer
früheren Arbeit (Nr. 17 der Med. Klinik 1910) gefunden, daß der Durch¬
schnitt aller von mir Untersuchten an der Indexstelle am Bauch
bei Magerkeit 1,1 cm
bei Normalität 2,75 cm
bei Fettleibigkeit 4,41 cm
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Unter-
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Fettpolsterdicke und Fettpolstermessung.
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betrug. Diese Zahlen stellen die Dicke einer Hautfettfalte dar, also
nicht die einfache Dicke; auch nicht die Dicke des Unterhautfettes
allein, sondern einschließlich der Haut. Die Dicke der Hautfalte habe
ich nicht abgezogen, da sie nur gering und fast immer ungefähr gleich
ist; sie mißt für sich nur 2—3 mm, beeinflußt also die Resultate nur
unerheblich. Ich möchte noch nebenbei bemerken, daß man die Falten¬
dicke nicht schlechthin als die doppelte Dicke der einfachen Schicht an-
sehen darf, wie man sie etwa an einem Hautschnitt messen kann; denn
die Kompression bei der Faltenbildung und Messung ändert sie erheblich.
Ich habe bei jeder Gruppe der Tabelle je eine männliche und weibliche
Person aufgeführt, die am Bauche die obigen Durchschnittzahlen auf wies.
Dann habe ich noch je 2 Personen mit niedrigeren und höheren Übergangs¬
dicken hinzugefügt. Das wären 6 bei jeder Gruppe. Bei den Normalen
fehlen aber 2 Personen, weil ich gerade keinen normalgenährten Herrn
mit 4,0 und keine normalgeDährte weibliche Person mit 1,5 cm Bauch¬
fettpolster zur Verfügung hatte. Es sind also bei allen 3 Gruppen zu¬
sammen nur IG Personen aufgeführt. Bei diesen habe ich die Fettpolster¬
dicke an je etwa 18—20 verschiedenen (aber jeweils denselben) Körper¬
stellen über den ganzen Körper weg durchgemessen. Sie sehen aus den
gewonnenen Zahlen, wie verschieden die Fettpolsterdicke an den ver¬
schiedenen Körperstellen ist, aber auch, daß sie in allen Ernährungs¬
zuständen um den Nabel herum am dicksten zu sein pflegt — bald mehr
unter, bald mehr neben dem Nabel, daß sie nach der Brust, dem Kopf
und den Gliedern hin allmählich abnimmt und an den äußersten Enden
am dünnsten ist. Ich verweise hierzu auf die Zahlen der Tabelle. Aber
auch wenn darnach ein Parallelismus der äußeren Unterhautfettpolster¬
dicken an den verschiedenen Körperstellen mit der Nabelstelle anerkannt
wird, so ist doch der Schluß auf den übrigen Fettbestand, z. B. im Körper-
innern immer nur mit Vorsicht zu ziehen. Wir wissen beim Menschen
wenigstens gar nicht und können es im Leben auch auf keine Weise
genau feststellen, ob das Fett im Innern ganz parallel dem Unterhaut¬
fett bei Ernährungsschwankungen wächst und schwindet. Es sind mir
darüber keine Zahlen bekannt geworden. Nur bei Schlachttieren habe
ich einiges gefunden. Nach E. Wolff (zitiert bei König, Bd. 2, S. 464)
betrug beim frischgeschlachteten Ochsen je nach dem Mastzustand
das Fett
1. an mittelgenährten Tieren außen 2 °/ 0 , innen an Nieren, Netz, Darm 4,3 °/ 0
2. „ halbfetten , „ 7,9°/ 0 , , , 5,4 °/ 0
3- „ fetten „ „ 14,7°/ 0 , „ „ „ „8 _°/ 0
in Prozenten des Lebendgewichts (= gesamten Körpergewichts). Viel¬
leicht darf man beim Menschen ein ähnliches Prozentverhältnis annehmen.
Darnach könnte man vermuten, daß das Unterhautfett ungefähr 4 mal
so schnell und ausgiebig wächst und schwindet, wie das Fett im Körper-
innern, und daß bei normalem Ernährungszustand („halbfett?“) die Ge¬
wichtsmenge des Unterhautfettes ungefähr gleich der des Innenfettes sei.
Auch über die Gesamtfettmenge beim Menschen kann ich,
basierend auf einige Notizen in Vierordt’s Daten und Tabellen,
nur ungefähre Angaben machen. Wir dürfen annehmen, daß das Gesamt¬
fett bei Normalen durchschnittlich etwa 1 / g , bei Fetten durchschnittlich */ 4 ,
vielleicht sogar, je nach dem Grad der Fettleibigkeit, bis 1 / 2 des ge¬
samten Körpergewichts ausmacht. Und von diesem Gesamtfett wieder
würde das Unterhautfett für sich 1 / 2 bis 2 / 8 betragen. Hierbei handelt
es sich allerdings nur um ganz rohe Schätzungen.
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970
Gustav Oeder,
Die theoretische Unsicherheit über den Gewichtsanteil des Unter-
hautfettes am Gesamtfett braucht aber die praktische Brauchbarkeit der
Messung der Unterhautfettpolsterdicke für die Beurteilung des Ernährungs¬
zustandes nicht in Frage zu stellen; denn das Unterhautfett nimmt, wie
die obigen Angaben zeigen, weitaus am meisten vom ganzen Fettbestand
an den Ernährungsschwankungen teil. Und letzten Endes entscheidet
doch die praktische Erfahrung. Diese aber hat mir gezeigt, daß die
Messung der Fettpolsterdicke am Bauch sowohl ein Urteil über das
Verhalten derselben an den anderen Körperstelleu in gewissen Grenzen
zuläßt, als auch über den gesamten Fettbestand, ja sogar über den ganzen
Ernährungszustand ermöglicht, soweit er im Körpergewicht zum Ausdruck
kommt; denn sie eignet sich sogar in vielen Fällen zur annähernden
Berechnung des Zeitgewichts beim Menschen. Gerade aber darin, daß
man aus der Fettpolsterdicke am Bauch zutreffende Schlüsse machen
kann auf das Körpergewicht, erblicke ich einen wichtigen Beweis für
den Parallelismus, der besteht zwischen Bauchfettpolsterdicke und ge¬
samtem Ernährungszustand, welch letzterer sich eben im Körpergewicht
ausdrückt.
Ich habe z. B. bei meinen Ernährungskuren gefunden, daß eine
Zu- bzw. Abnahme von 1 cm bei der Bauchfettpolsterdicke in der Regel
einer Gewichtszu- oder Abnahme von 6—7,5 kg, je nach der Körper¬
größe, entspricht, gleich ca. 40 g pro Zentimeter Körperlänge. Diese
Beziehung von Fettpolsterdicke und Gewichtszu- oder Abnahme gilt
für die Bauchfettpolsterdicken von ca. 0,5—5,5 cm, nicht aber in gleichem
Maße auch bei höheren und niedrigeren Dicken.
Auf Grund meiner Statistik durfte ich ferner annehmen, daß beim
Vorhandensein des nach meinen Formeln (Zeitschrift für Versicherungs-
raedizin, Nr. 1 und 2, 1909) berechneten Normalgewichts auch \eine
normale Bauchfettpolsterdicke von 2—3 cm vorhanden sein müßte.
Ergab die Messung nun mehr oder weniger Fettpolster, so konnte ich
aus der Differenz der Fettpolsterdicke auch die voraussichtliche Ab¬
weichung des dabei vermutlich vorhandenen Gewichts ungefähr berechnen.
Fand ich z. B. 3,75 cm Fett, so hatte ich gegenüber dem normalen
Fettpolster 0,75—1,75 cm zuviel, mußte also dem berechneten Normal¬
gewicht das Gewicht von 0,75—1,75 cm Fett hinzuzählen; fand ich 1,75
cm, so hatte ich das Gewicht von 0,25—1,25 cm abzuziehen. Darnach
wäre das Zeitgewicht = zentrales Normalgewicht + Gewicht der Zenti¬
meterdifferenz des vorhandenen vom normalen Bauchfettpolster.
Ein praktisches Beispiel soll das erläutern: Ein Mann von 175 cm
prop. Länge hätte incl. Kleidung 80 kg zu wiegen, wenn er „ normal *
genährt sein d. h. 2—3 cm Bauchfett haben sollte; nun hatte er nur
0,5 cm Bauchfett; es fehlen ihm also 1,5—2,5 cm an dem Bauchfett¬
polster, und am Körpergewicht das Gewicht dieser 1,5—2,5 cm = 10,5
bis 17,5 kg (wobei 1,0 cm gerechnet ist = 1,75 X 40 = 7,0 kg).
Das augenblickliche Zeitgewicht würde demnach sein: 80,0—10,5 bczw.
80,0—17,5 = 02,5—69,5 kg.
Ich habe die letzten 100 Fälle meiner Beobachtung daraufhin
durchgesehen und gefunden, daß das so berechnete Zeitgewicht inner¬
halb des Spielraums in 04 Fällen mit dem durch die Wage gleichzeitig
fest gestellten übereinstimmt, = 64 °/ 0 Treffer. Die Berechnung des Zeit¬
gewichts hat nur Bedeutung für die Mageren und Fetten, nicht für die
Normalen.
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Fettpolsterdicke und Fettpolstennessung.
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Ich fasse nunmehr den praktischen Wert der Fettpolstermessung
kurz dahin zusammen:
1. Man kann die einzelnen Ernährungszustände nach der Bauchfett¬
polsterdicke unterscheiden (cf. Med. Klinik, Nr. 17, 1910);
2. man kann an dem Wachsen oder Schwinden der Bauchfettpolster¬
dicke den Erfolg von Ernährungskuren kontrollieren;
3. mau kann die Bauchfettpolsterdicke benutzen zur Berechnung
des Zeitgewichts; + 1 cm Bauchfett entspricht ungefähr + 0— 7 1 /* kg
Körpergewicht;
4. man kann die Fettpolsterverteilung an den einzelnen Körper¬
stellen kontrollieren.
Wenn ich mir auch vollkommen klar darüber bin, daß die Bezie¬
hungen der Bauchfettpolsterdicke zum Gesamtfettgehalt und Körpergewicht
in ganz zuverlässige Formeln sich nicht pressen lassen, so darf ich doch
nochmals darauf hin weisen, daß ich auch bisher schon imstande war,
praktisch brauchbare Fingerzeige für meine Ernährungskuren und für
die Beurteilung des Ernährungszustandes aus der Messung der Fett¬
polsterdicke am Bauch und an den andern Körperstellen zu entnehmen.
Ich glaube Ihnen deshalb die Bitte aussprechen zu dürfen, meine Me߬
methode und Angaben einer Nachprüfung zu unterziehen.
Diskussion:
v. Strümpell bemerkte, daß die Fettpolsterdicke am Bauch doch
nicht immer parallel der Fettpolsterdicke am übrigen Körper zu wachsen
oder zu schwinden scheine. Er führte einen Fall seiner Beobachtung an,
bei dem am ganzen Oberkörper das Unterhautfett fast völlig geschwunden
war, während es von den Hüften nach abwärts in ganz normaler Dicke
vorhanden war.
Oed er konnte das aus seiner Erfahrung auch bestätigen. Er hat
selber ähnliche Fälle beobachtet und erinnerte an die wohl allgemein
bekannte Tatsache, daß bei Überernährungskuren — besonders beim
weiblichen Geschlecht über 40 Jahren — das Unterhautfett an Hüften
und Bauch sich oft in stärkerem Grade ansetze, als am übrigen Körper
und in früheren Jahren; er wies auch auf den von Holländer in der
Münchn. med. Wochenschr., Nr. 34, 1910 veröffentlichten Fall einer
20jährigen Choristin hin, bei der innerhalb 6 Jahren nach einem großen
Schreck das ursprünglich normal vorhanden gewesene Fettpolster
des Oberkörpers und Gesichts völlig geschwunden, von den Hüften ab
aber unversehrt ja sogar im Überfluß erhalten geblieben sein soll. Der
Fall scheint zu den Trophoneurosen zu gehören. Er ist mit subkutanen
Injektionen einer sterilisierten Mischung von Hammeltalg und Menschen¬
fett kosmetisch teilweise mit Erfolg behandelt worden. Oed er be¬
tont, daß derartige extreme Fälle doch recht selten seien. In der Regel
bestünde der von ihm behauptete Parallelismus zwischen Fettpolsterdicke
am Bauch und am übrigen Körper und zwischen Bauchfettpolster und
Gesamternährungszustand. Die seltenen Ausnahmen vermöchten wohl
an der Zulässigkeit des Schlusses von der Bauchfettpolsterdicke auf die
übrige Fettpolsterdicke nichts Grundsätzliches zu ändern. Er verwies
wiederholt auf die Tabelle, deren Ziffern zeigten, daß — wenn auch
individuelle Unterschiede in der Fettpolsterdicke andrer Körperstellen
bei gleicher Bauchfettpolsterdicke vorhanden seien —, diese Abweichungen
doch nur relativ gering seien. Auch diese Abweichungen machten alle
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W. Thom,
Änderungen der Ernährung mit in gleichem Sinn, wie das Bauehfett-
polster. Die Ziffern zeigten, daß bei den verschiedenen Personen mit
verschiedenem Ernährungszustand dem dickeren Bauchfettpolster gewöhn¬
lich auch ein relativ (oder sogar absolut) dickeres Fettpolster an den
anderen Körperstellen entspräche. Zuzugeben sei, daß die Verhältnisse,
welche die Verteilung des Fettpolsters über den Körper beträfen,
noch weiterer Klärung bedürftig seien. Die darauf bezüglichen Unter-
suchungsergebnisse könnten des Zeitmangels wegen hier nicht erörtert,
sie müßten einer späteren Mitteilung Vorbehalten werden.
Moderne Geburtshilfe.
Von Dr. W. Thorn.
(Nach einem Vortrag in der medizinischen Gesellschaft zu Magdeburg am 9. 3. 1911.)
(Schluß.)
Anders schon steht es mit seiner Verwendbarkeit in der Therapie
der Eklampsie, wenn es etwa darauf ankommt, lediglich ein noch
geschlossenes Os extemum bei schon verstrichener Zervix so zu dilata-
tieren, daß man Forzeps oder Wendung und Extraktion ausführen kann.
Für gewöhnlich genügen hier aber schon einige kräftige Inzisionen
oder der Fall drängt nicht 60 , daß man nicht die Metreuryse mit
Zug anwenden könnte. Ein notwendiges Instrument ist der Bossi
jedenfalls nicht für den Praktiker und besitzt er einen, so mag er sich
seine Verwendung stets zehnmal überlegen. Risse gibt es auch bei
vorsichtiger Anwendung gewöhnlich doch und wenn sie in der Regel
auch nicht den gefährlichen Charakter derjenigen bei Placenta praevia
tragen und vielleicht auch leichter exakt zu vernähen sind, ganz harmlos
und ungefährlich, wie sie manchmal geschildert werden, sind sie nicht
und sie sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Wenn uns das
Wesen der Eklajnpsie auch noch immer unbekannt ist, so
scheint doch zweierlei festzustehen, einmal, daß es sich um
eine Autointoxikation, wahrscheinlich plazentaren Ur¬
sprungs, handelt, und das andere Mai, daß mit der vollen¬
deten Geburt in der Mehrzahl der Fälle die Heilung einge¬
leitet wird. Demgemäß hat sich, namentlich unter dem Einfluß
Dührssen’s, das Prinzip der Schnellentbindung fast allgemeine
Anerkennung errungen und da diese in der Praxis draußen nicht immer
ausführbar erscheint, so ist von verschiedenen Seiten, insbesondere von
Fromme, die Forderung aufgestellt worden, jeder Fall von Eklampsie
müsse sofort nach dem ersten Anfall der Klinik zugeführt und operiert
werden. Diese Forderung erscheint trotz aller Erfolge der Schnell¬
entbindung zu extrem, ganz abgesehen davon, daß sie auch aus rein
äußeren Gründen kaum durchführbar sein dürfte. Auch hier gibt es
aber, gleichwie bei der Placenta praevia, eine gewisse Gruppe von
Fällen, die unter allen Umständen der Klinik zugeführt werden sollten,
das sind die mit erhaltener Zervix, es sei denn, daß eine augen¬
blickliche Lebensgefahr droht. Der vaginale Kaiserschnitt, nor¬
males Becken vorausgesetzt, ist in der Klinik hier die Ope¬
ration der Wahl, ob aber der Praktiker seine Technik so beherrschen
lernt, zumal bei Erstgebärenden, daß er genügend rasch und ohne Neben¬
verletzungen zu machen, zum Ziele gelangt, erscheint fraglich. Technisch
zweifellos einfacher und, die nötigen Vorbedingungen vorausgesetzt,
auch rascher durchzufükren, ist die schon von Halbertsma in die
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Moderne Geburtshilfe.
973
Therapie der Eklampsie eingeführte Sectio caesarea classica, die auch
in scheinbar agonalen Fällen nicht unterlassen werden sollte und zwar
nicht allein im Interesse des Kindes, denn die Eklampsie ist unbe¬
rechenbar und oft kommen noch Fälle durch, die völlig desolat erschienen.
Gerade diese Unberechenbarkeit und das Dunkel, das noch immer über
der Ätiologie der Eklampsie schwebt, sind es, welche die Indikations¬
stellung so sehr erschweren. Wer meint, er sei imstande, die Prognose
des Einzelfalles stets richtig stellen und danach seine Therapie ein¬
richten zu können, täuscht sich selbst. Trotzdem die Resultate der
Schnellentbindung schwanken, so hat sie doch bei dem heutigen Stande
unseres Wissens ihre volle Berechtigung, ob die einzige, wie manche
meinen, erscheint fraglich angesichts der Erfolge, die S trog an off 1 * 3 ) mit
einer modifizierten Morphium-Chloralhydratmedikation erzielt und die
Leopold bestätigt hat; da sie besonders dem Praktiker von Wert
sein kann, gebe ich sie unten kurz an. In einer nicht geringen Zahl
der Fälle ist die Geburt zur Zeit des ersten Anfalles bereits so vor¬
geschritten, daß sie durch Forzeps oder innere Wendung und Extrak¬
tion sogleich in Narkose beendigt werden kann; in anderen gelingt es,
durch die Dilatation und Inzision der Zervix und durch die mit Zug
kombinierte Metreuryse in kurzer Zeit eine zur Vornahme jener Ope¬
rationen genügende Erweiterung zu erzielen; alle diese Fälle kann also
der Praktiker sehr wohl bewältigen. Anders steht es mit dem vaginalen
Kaiserschnitt, selbst mit seiner Erleichterung in Gestalt des Metreu-
Tynterschnittes; bei Mehrgebärenden mit weiten Genitalien mag der
operativ einigermaßen Geschulte, genügende Assistenz und Beleuch¬
tung vorausgesetzt, vielleicht noch mit ihm fertig werden, bei Erst¬
gebärenden und ungünstigen äußeren Verhältnissen wohl kaum. Unter
Berücksichtigung aller dieser Verhältnisse wird der gewissenhafte, sich
und die Verhältnisse richtig taxierende Arzt sehr wohl entscheiden
können, ob die klinische Behandlung geboten ist und es ist klar, daß
der Arzt auf dem Lande trotz der Gunst unserer heutigen Kommuni-
kations- und Krankenbeförderungsmittel unter Umständen unterneh¬
mender sein muß, als der Stadtarzt. Wenn auch mit vollendeter Geburt
in der großen Mehrzahl der Fälle die Krämpfe sistieren, oder doch nur
noch in geringer Zahl und in geringerer Stärke aufzutreten pflegen,
so wäre es doch sehr verkehrt, darauf bauend nunmehr die Hände in den
Schoß zu legen; vielmehr tritt gerade jetzt die interne Behandlung
mit ihrem reichen Schatz von Hilfsmitteln, den aufzuzählen hier über¬
flüssig erscheint, da er ja allgemein bekannt ist, in ihr Recht, so lange,
bis alle Folgen der Intoxikation geschwunden sind. Als neu möchte
ich nur erwähnen das Parathyreoidin Vasale’s und das Hirudin
Dienst’s. Ich habe das erste Mittel wiederholt, aber ohne jeden Erfolg
angewandt. Die Idee, daß es wirksam sein müsse, beruht auf der
Annahme eines intimen, sich gegenseitig ergänzenden oder auch störenden
Zusammenhangs der Organe mit innerer Sekretion, wie der Hypophysis,
1 )ZuBeginn 0,01—0,02 Morph, subk.
1 Std. nach „ 2,0 Chloralhydrat p. Kl.
3 „ „ „ 0,015 Morphium subk.
7 „ „ * 2,0 Chloralhydrat p. Kl.
13 , „ , 1,5
21 ... 1.5
Post partum 3mal täglich 1,0—1,5
Chloralhydrat. Dabei absolute Ruhe,
leichte Chloroformnarkose bei Unter¬
suchungen, Katheterismus usw. Der
Dämmerschlaf muß stets erhalten werden.
Beendigung der Geburt, sobald sie leicht
möglich ist, durch Forzeps, innere Wen¬
dung usw. Sauerstoffinhalationen, Haut¬
reize usw. Kinder überwachen.
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W. Thorn,
der Thyreoidea, der Parathyreoidea, der Nebennieren, des Ovariums,
der in der Schwangerschaft leicht Änderungen zu erfahren, scheint
und weiter auf der Annahrae. daß die Eklampsie eine auf derartigen
Änderungen der inneren Sekretion beruhende Intoxikation sei. Daß
dem Corpus luteum verum graviditatis in den ersten Monaten der
Schwangerschaft eine ganz besondere Bedeutung im Sinne der Lehre
Born-FränkeTs zukommen dürfte, erscheint sehr wahrscheinlich; seine
Entwicklung spricht jedenfalls für eine gesteigerte innere Sekretion
des Ovariums und von seiner Existenz scheint, wenigstens in den ersten
Monaten, auch die 'Existenz des Ovulums abzuhängen. Seine Funktion
übernimmt nun in den späteren Monaten die Plazenta; oh und wann
dies vollständig geschieht, ist dunkel. Im allgemeinen erfährt das
Corpus luteum graviditatis in den späteren Schwangerschaftsmonaten
eine Rückbildung, ob aber die ovarielle Sekretion resp. die des
Graviditätsfollikels dann ganz sistiert, stellt dahin; jedenfalls ist
ein absolutes Sistieren der Ovulation während der ganzen Gravidität
nicht wahrscheinlich und völlig verschwindet ja auch das Corpus
luteum verum nicht. Die Eklampsie ist nun unzweifelhaft eine
Erkrankung der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, wo also die
supponierte innere Sekretion der Plazenta dominiert und wo auch eine
Beeinflussung resp. Beteiligung der anderen Organe mit innerer Sekretion
in Gestalt einer Hypertrophie mehr hervortritt. Diese Hypertrophie
spricht wohl auch für eine Steigerung der Sekretion dieser Drüsen
und es liegt auf der Hand, daß unter der Annahme eines intimen Zu¬
sammenhanges und einer gegenseitigen Regulierung aller dieser Organe
mit innerer Sekretion, gerade in der Schwangerschaft leicht Störungen
dieser Verhältnisse zustande kommen können, je nachdem nun eine
der Drüsen stärker hypertrophiert und stärker sezerniert. oder umge¬
kehrt. Die Entfernung der Thyreoidea bewirkt bekanntlich Kachexie,
die der Epithelkörperchen Tetanie, die des Graviditätsfollikels in den
ersten Schwangerschaftsmonaten in der Regel den Tod der Frucht, den
Abort. Die inneren Zusammenhänge dieser Vorgänge kennen wir aller¬
dings noch nicht, aber es wäre falsch, diese inneren Sekretionen hei
einer spezifischen Schwangerschaftserkrankung, die so sehr den Cha¬
rakter der akutesten Intoxikation trägt, wie die Eklampsie, ganz außer
acht zu lassen, wenn man auch nicht gleich aus dem Umstand, daß
der Ausfall der Funktion der Parathyreoidea Tetanie erzeugt, schließen
wird, daß die Eklampsieätiologie in den Epithelkörperchen zu suchen
sei und daß Parathyreoidin die Eklampsie heilen müsse. Die Krämpfe
sind gewiß das hervorstechendste und konstanteste Symptom der
Eklampsie, aber sie sind nicht ihr innerstes Wesen und jene Fälle,
welche ohne jeden Krampfanfall in kürzester Zeit letal enden und
ganz die gleichen pathologiscli-anatomischen Veränderungen aufweisen,
die besonders Schmorl als charakteristisch für die Eklampsie erwiesen
hat, müssen wir unbedingt dieser Erkrankung zurechnen; es gibt eine
Eklampsie ohne Krämpfe, wo das Gift in einem solchen Grade
produziert wird und zu solch intensiver Wirkung gelangt, daß es
zu einer kr am pfauslösenden Reizung der Hirnrinde etwa durch Throm-
benbildimg gar nicht erst kommt, sondern daß das Atemzentrum
direkt gelähmt wird. Das Eklampsiegift wirkt am häufigsten und
stärksten in Nieren und Leber, in geringerem Maße in Hirn, Lungen,
Herz und kennzeichnet sieh höchst charakteristisch in der multiplen
Thrombenbildung, die auf eine schwere Veränderung des Blutes liin-
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Moderne Geburtshilfe.
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weist. Schon Nasse fand den Faserstoffgehalt gesunder Schwan
gerer erhöht; nach Kol 1 mann ist er bei E kl am p tischen noch bedeutend
mehr gesteigert. Dienst konstatierte ebenfalls auf Grund verglei¬
chender Untersuchungen des Blutes, des Urins und des Fruchtwassers
eklamptiseher und normaler Gebärender und Wöchnerinnen die Ver¬
mehrung des Fibrinferments imd des Fibrinogens im Eklampsie¬
blut. Ln der Überzeugung, daß die Eklampsie durch den anaphylak¬
tischen Zustand nicht erklärt werden könne und daß den bisherigen
Experimenten am Tiere mit Injektionen von artfremdem Eiweiß
keinerlei Beweiskraft innewohne, hat Dienst dann in zahlreichen Unter¬
suchungen bei Kaninchen nachgewiesen, daß das aus dem eigenen
Blute des Tieres gewonnene und dem gleichen Individuum wieder in
isotonischer Lösung intravenös verabreichte Fibrinferment und das
Fibrinogen einen der Eklampsie ähnlichen klinischen Symptomenkom-
plex und ganz ähnliche pathologische Veränderungen in Nieren, lieber,
Hirn, Lungen* Herz hervorrufen. Gegen diese Veränderungen des Blutes
und besonders gegen die damit zusammenhängende Bildung multipler
Thrombosen empfahl Dienst das Hirudin, das die Gerinnung ver¬
hindern oder wenigstens hemmen soll. Ob diese neueste Theorie mehr
halten wird, als die vielen Vorgänger, steht dahin; sie hat unzweifelhaft
auch in ihren Details, auf die ich hier nicht näher eingehen kann,
etwas Bestechendes. Auf der anderen Seite hat aber auch die Annahme,
daß das Primum rnovens in der Ätiologie der Eklampsie auf einer
Störung der inneren Sekretion beruhe, so manches für sich; die Nausea
so vieler Menstruierender, die Hypereinesis gravidarum, der Ikterus
gravidarum, die akute gelbe Leberatrophie der Schwangeren, die Schwan¬
gerschafts-Hämaturie und -Hämoglobinurie und zuletzt die Eklampsie
lassen sich am Ende auch aus Störungen der inneren Sekretion der
Ovarien, des Corpus luteum verum graviditatis und der Plazenta und
aus der Wirkung eines dabei produzierten Giftes erklären. Aber dieses
Gift kennen wir nicht und so bleibt das Rätsel der Eklampsie noch
immer ungelöst. Rätselhaft aber insbesondere ist die Ätiologie der
Postpartumeklampsie, wo also der erste Anfall erst nach völliger
Entleerung des Uterus eintritt. Für diese Fälle, deren Prognose oft
sehr infaust ist, wie auch für jene, wo die Krämpfe nach der Geburt
in gLeicher Heftigkeit und Schnelligkeit weiterdauern und wo ins¬
besondere die Nierenfunktion mehr oder weniger völlig erlischt und wo
alle interne Medikation versagt, auch der Aderlaß, der in der Therapie
der Eklampsie wieder etwas zu Ehren gekommen ist, imd die nach¬
folgende Kochsalzinfusion, bleibt als letzter Rettungsversuch die von
Iddebohls zuerst ausgeführte, später besonders von Sippel empfohlene
Decapsulatio renum. Die Operation ist leicht und. an sich kaum
gefährlich und hat unleugbare Erfolge. Kann man sich ihre Wirkung
auch kaum ausreichend erklären, so ist sie doch im desolaten Fall der
charakterisierten Art durchaus berechtigt; unberechtigt dagegen ist
ihre quasi prophylaktische Verwendung ante partum, zu der im ersten
Enthusiasmus der Übereifer einige geführt hatte. Ich habe zwei ganz
desolate Fälle operiert und die eine Puerpera durchgebracht, die nach
ca. Jahresfrist ohne alle Störungen in der Gravidität spontan am
normalen Ende ein lebendes Kind geboren hat. Aber auch bei der Zweiten
hob sich die fast völlig brachliegende Nierenfunktion und klärte sich
das Sensorium dermaßen auf, daß schon ein glücklicher Ausgang zu
hoffen war; aber die Intoxikation war zu schwer. Ich glaube, daß
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W. Thoni,
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wer einmal Erfolg mit der Operation beim desolaten Fall gehabt hat,
sie nicht leicht aufgeben wird, trotz des jetzt abschlägigen Urteils vieler,
das so rasch dem Enthusiasmus gefolgt ist. Die Exstirpation der
Mammae als Heilmittel in desolaten Fällen erwähne ich nur bei¬
läufig; der supponierte Zusammenhang der Sekretion der Brustdrüsen
mit der Bildung des Eklampsiegiftes ist dunkel, die beiden Fälle von
Sellheim und Herrenschneider beweisen nichts und die Ver¬
stümmlung wirkt abschreckend. Alles in allem hat die Therapie
der Eklampsie noch immer viel Unbefriedigendes, weil sie im
Erfolg so unsicher und unberechenbar ist. Manche kommen immer
wieder auf den Gedanken, daß sie überhaupt kein einheitliches Krank¬
heitsbild vorstelle, daß man zwischen toxischen und reflektorischen
Formen usw. unterscheiden müsse, aber auch damit erreichen wir für
die Therapie nichts weiter. Höchstens, daß man zwischen akuten und
chronischen Formen unterscheiden könnte und für die letzteren die
medikamentöse Therapie, zumal wenn die sofortige Entbindung nur
unter höheren Gefahren durchführbar erscheint als sie die exspektative
Behandlung, etwa nach dem Schema Stroganoff’s böte, für die akuten
aber die operative um jeden Preis für angebracht hielte. Im großen
und ganzen hat aber die Befolgung des Prinzips der Schnei len tbindung
uns so weit vorwärts gebracht, daß wir vorläufig keinen Grund haben, in
der Praxis von ihm abzugehen. AVer aber exspektative Therapie treiben
will, auch der hat die Pflicht, sie nur soweit auszudehnen, bis die
Geburt auf natürlichem AVege in ungefährlicher AVeise durch Forzeps
oder AVendung und Extraktion beendigt werden kann; nach der Geburt
aber ist in jedem Fall, solange noch Symptome der Eklampsie he
stehen, die interne Medikamention fortzusetzen.
Trotz der so zahlreichen, mit einem wahren Bienenfleiß ausge¬
führten bakteriologischen Forschungen im Gebiete der Flora des weib¬
lichen Genitalapparates, xmd ganz speziell des puerperalen, haben wir
in der Therapie des Puerperalfiebers keine wesentlichen Fortschritte
gemacht. Die Versuche, durch eine Differenzierung der Streptokokken
Anhaltspunkte für die Prognose zu gewinnen, die wir in der Haupt¬
sache J. Veit und seinen Schülern verdanken, haben zu keinem greif¬
baren Resultate geführt, wenigstens zu keinem, das in der Praxis
für unser therapeutisches Verhalten verwertbar wäre. Auch die Diffe¬
renzierung in infektiöse und saprische Keime hinsichtlich ihrer Invasions-
fähigkeit und Gefährlichkeit, die schon dazu führte, daß man die
Pyämie aus den infektiösen Puerperalfiebererkrankungen ausschalten
wollte und daß man sein therapeutisches Handeln dem anzupassen ver¬
suchte, hat in ihren Folgerungen jüngst, besondere durch die Arbeiten
Schottmüller’s, der die gefährlichen Eigenschaften eines der Anae¬
robier, des Streptococcus putridus, speziell beim septischen Abort, nach¬
wies, einen starken Stoß erhalten. AVas die Therapie bei Reten¬
tion von Chorionresten und beim fieberhaften Abort anbe¬
trifft, so kann man für die Praxis nur den Rat geben, sofort
auszuräumen. AVinter’s exspektatives A^erhalten mag bei Fällen,
wo hämolytische Streptokokken nachgewiesen w r erden, vielleicht eine
gewisse Berechtigung haben, obgleich es zweifelhaft erscheint, daß die
schwer septischen Fälle so exakt zu differenzieren sind, wie AVinter
annimmt, für die Praxis paßt diese Exspectatio absolut nicht, übrigens
überschätzt AVinter auch die Mortalität bei aktivem A^erhalten dem
septischen Abort gegenüber, und er unterschätzt die Gefahr der Blutung.
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Moderne Geburtshilfe.
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Ich wenigstens möchte keinem Kollegen auf dem Lande den Rat geben,
beim fieberhaften Abort zunächst eine Sekretprobe aus der unteren
Vagina zu entnehmen, die dem nächsten Untersuchungsamt zum Nach¬
weis hämolytischer Streptokokken zugesandt werden soll, darauf nach
sorgfältiger Desinfektion in die Vagina einzugehen und alle in. der
Vagina liegenden Eiteile zu entfernen, joden uterinen Eingriff jedoch
zu unterlassen, es sei denn, daß es stark blutet. Die Blutung kann
kürzere oder längere Zeit nach seinem Weggehen auf treten; die in der
Vagina liegenden zersetzten Eiteile, die er entfernen soll, sind unschuldig;
den gefährlichen Rest im Uterus aber soll er unberührt und weiter faulen
lassen, bis endlich die Entscheidung vom Untersuchungsamt angelangt
ist. Lautet die Antwort auf Reinkultur hämolytischer Streptokokken,
so soll nach Winter jede Untersuchung, jede Spülung, jede Entfernung
von Eiteilen unterbleiben in der Erwartung, daß die Ausstoßung spontan
erfolgt, oder daß mit der Zeit die gefährlichen Streptokokken spontan
verschwinden und daß man dann — es hat das bei Winter bis
23 Tage gedauert — ohne Risiko ausräumen kann. Derweilen kann die
Kranke, etwa unter der Wirkung des Schottmüll er* sehen Strepto¬
coccus putridus, die schönste Pyämie haben. Das Verfahren Winter’s,
wenn auch wissenschaftlich scheinbar noch so fein ausgetüftelt, ist
seiner Umständlichkeit und Unsicherheit wegen für die Praxis absolut
zu verwerfen. Wollte man die äußersten Konsequenzen der Resultate
der bakteriologischen Forschung ziehen, so müßte man bei der Un¬
sicherheit des Verhaltens der Streptokokken und auch bei der Unsicher¬
heit der Sekretentnahme und des Untersuchungsrcsultates entweder
raten, jeden Fall ausfaulen zu lassen oder bei den scheinbar schwer infi¬
zierten den Uterus zu exstirpieren, vorausgesetzt, daß die Infektion,
dazu zähle ich auch die Pyämie, nicht bereits über die Grenzen des
Uterus gelangt ist. Und in der Tat, wenn man, was zum Glück selten
ist, einen solchen Fall erlebt, wo jnaeh der mit allen Kautelen vor¬
genommenen Ausräumung Schüttelfrost auf Schüttelfrost unter hoch¬
jagender Temperatur folgt und auch trotz Venenunterbindung das Ende
nicht abgewandt wird, so muß man sich sagen, es wäre richtiger ge¬
wesen, an das Uterusinnere gar nicht zu rühren, sondern sofort die
Totalexstirpation zu machen, die jedenfalls sicherer, als die Winter’sche
exspektative Behandlung, den Fall gerettet hätte. Aber wer will sich
bei einem jungen Weib auf einen solch heroischen Entschluß einlassen,
oder etwa vor der Ausräumung die sämtlichen 4 Venen per laparotomiam
unterbinden ? Unsere Mißerfolge beim septischen Abort können ver¬
ringert werden, wenn man die Tamponade, gleichgültig mit welchem
Mittel, absolut unterläßt, wenn man vor der Ausräumung Scheide und
Kavum mit großen Mengen eines ungefährlichen Desinfiziens durch¬
spült, wenn man die langsamen Dilatationen der Zervix mit Lami-
naria usw. vermeidet und durch die rasche mit Hegar’schen oder
Fritschen’schen Dilatatoren ersetzt, sofern überhaupt eine Dilatation
notwendig ist, wenn man bei der Ausräumung sich keiner Instrumente,
sei es der Kürette oder des scharfen Löffels oder der Abortzange be¬
dient, sondern, was in jedem solchen Fall namentlich in Narkose mög¬
lich ist, ausschließlich digital ausräumt und wenn man sich, nicht be¬
müht, möglichst auch die letzten Reste aus der Uteruswand heraus¬
zukratzen. Handelt man nach diesen Prinzipien, so wird man rasch
und bis auf einige Ausnahmefälle auch sicher heilen und vor allem
auch keine Verletzungen der Uteruswand oder gar Perforationen machen.
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W. Thora,
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Jeder fieberhafte Abort mit noch geschlossener Zervix berechtigt zu
dem Verdacht, daß auf illegale Weise mit Schmutz und Instrumenten
Scheideninhalt in das Kavum verschleppt wurde; jeder solche Fall ist
sofort unter instrumenteller Dilatation digital auszuräumen. Beherrscht
der Arzt die einfachen dazu nötigen Encheiresen nicht, so soll er
nicht, auch nicht bei Schwangerschaften der ersten Wochen, durch den
engen Zervikalkanal kürettieren, setzt er doch gerade auf diese Manier
eine Menge frischer Wunden und einen erheblichen Blutverlust und
braucht er doch zur totalen Entfernung des Ovulums unverhältnismäßig
lange Zeit, sondern er soll den Fall der nächsten Anstalt zusenden.
Die akute, aber allmähliche und nie brüske Dilatation und der be¬
handschuhte Finger setzen keine nennenswerten frischen Wunden, in
die das Virus leicht eindränge und zur Allgemein Wirkung käme. Nach
der Ausräumung empfiehlt es sich, nach einer gründlichen Ausspülung
das Uteruskavum mit Jodtinktur auszuwischen, was bei seiner rela¬
tiven Kleinheit und dem weiten Zervikalkanal exakt durchzuführen ist
und mir immer gute Dienste getan hat. Zugleich gebe man in jedem
Fall Sekale, um den Uterus in dauernder Kontraktion zu erhalten.
Folgt aber trotz aller Vorsichtsmaßregeln der Ausräumung der
Schüttelfrost mit hoher Temperatur, so soll man nicht gleich verzagen
und nicht sofort zu neuen Manipulationen im Uterus übergehen; mit
der einmaligen Resorption wird der Körper in der Regel ohne weiteres
fertig. Treten aber immer neue Schüttelfröste auf, so stehen wir vor
der Frage der Venen Unterbindung. So rationell sie an sich er¬
scheinen mag, so ist ihre Indikation doch sehr schwer zu stellen. Ope¬
riert man frühzeitig, so wird man viel, operiert man spät, wenig Erfolge
haben, aber bei keinem der geretteten Fälle wird man mit Sicherheit
sagen können, daß er ausschließlich durch die Unterbindung durch-
gebracht worden wäre; wenigstens bin ich dieses Gefühl bei den Unter¬
bindungen, die ich gemacht habe, nicht los geworden. Wenn man
lediglich unterbindet, so setzt man voraus, daß der septische Thrombus
keine durchwachsen den Streptokokken enthält, denn sonst müßte man
unbedingt exstirpieren, was ich persönlich auch bei wirklicher Throm¬
bose für das richtigere halte. Oft trifft man aber gar keinen Thrombus,
sondern nur eine Phlebitis; dann mag die Unterbindung genügen; oft
ist auch das, was man als Thrombus ansprach, eine Periphlebitis, ein
ödem von üblem Aussehen, und doch habe ich auch einen solchen Fall
heilen sehen, aber ich kann nicht sagen, daß ausschließlich die Ope¬
ration das Heilende gewesen sei. Alles in allem ist der Wert der Venen¬
unterbindung noch zweifelhaft, und bei einigem Optimismus wird man
leicht Täuschungen unterliegen. Wie dem aber auch sei, vorläufig
fehlt es an Gründen, sie ganz abzulehnen; mag man also operieren:
aber schwer ist es in jedem Fall, den richtigen Zeitpunkt dazu zu
wählen. Völlig Fiasko hat, will man strenge Kritik anlegen, die
Exstirpation des septischen Uterus gemacht. Der berühmt ge¬
wordene Fall B. S. Schultze’s, der bei Incarceratio placentae und hohem
Fieber abdominal den Uterus amputierte und Heilung erzielte, hat
im Erfolg wenig Nachfolger gehabt. Hier hat es sich aller Wahr¬
scheinlichkeit nach nur um Fäulnisbakterien gehandelt, und es kann
zweifelhaft sein, ob man nicht durch den vorderen Uterus- und Scheiden-
schnitt und die Entfernung der Plazenta unter Erhaltung des Uterus
das gleiche Resultat erzielt hätte. Die Totalexstirpation des Uterus,
die bei Sepsis im Grunde nur in Frage kommen kann und die man
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stets vaginal ausführen wird, unter präliminarem Schluß des Zervikal¬
kanals, kommt gewöhnlich zu spät. Sie kann naturgemäß nur Erfolg
haben, so lange der septische Prozeß auf den Uterus lokalisiert ist;
dies sicher zu taxieren, ist aber kaum möglich. So wird einmal der
Umstand, daß der Operateur zumeist die Fälle erst einige Tage nach
Ausbruch der Septikämie zu Gesicht bekommt, wo die Grenzen des
Uterus von den Sepsiserregern bereits überschritten sind, das andere
Mai die Scheu, ein junges Weib zu verstümmeln, das doch vielleicht
bei exspektativer Therapie durchkommen kann, uns für gewöhnlich den
geeigneten Zeitpunkt verpassen lassen, wenn es überhaupt in fondroyan-
ten Fällen der Septikämie einen geeigneten gibt. Handelt es sich bloß
um Fäulnisbakterien, sogar um den Streptococcus putridus Schott¬
müllers, so kann man vielleicht mit der Uterusexstirpation mehr
Erfolge erzielen, es bleibt aber dann immer doppelt fraglich, ob man sie
nicht auf einfachere und ungefährlichere Weise hätte erreichen können.
Nach meinen persönlichen Erfahrungen, die keinen einzigen Erfolg bei
der Exstirpation des septischen puerperalen Uterus aufweisen, kann
ich die Operation nicht empfehlen. Aber diese Mißerfolge, die ja so
gut wie ausnahmslos bei allen Operateuren die Regel waren, schrecken
mich doch nicht davon ab, sie im geeignet erscheinenden Fall doch
wieder auszuführen. Die interne Medikation der puerperalen
Septikämie leistet eben so wenig, daß man sieh trotz aller Skepsis
doch immer wieder zu chirurgischem Vorgehen wird verführen lassen.
Das Kollargol, wie das Sublimat, das v. Her ff jüngst wieder empfahl,
wie die Antistreptokokkensera sind zwar notorisch zweifelhaft und
unsicher im Erfolg, aber warum sollte man von ihrer Anwendung ab¬
raten, wenn man nichts Besseres hat, -wenn sie hier und da anscheinend
Erfolge haben und wenn sie unschuldig sind, und das sind sie, in den
gewöhnlichen Dosen angewandt. Der vielgeschmähte Alkohol tut
zweifellos in manchen Fällen gute Dienste. Im übrigen soll man
natürlich alles anwenden, was irgendwie zur Hebung der Kräfte bei¬
tragen kann, und wenn ich damit quasi der Polypragmasie in der in¬
ternen Therapie das Wort rede, so muß ich auf der anderen Seite bei
der lokalen Therapie zur größtmöglichsten Beschränkung raten.
Ganz zweifellos herrscht in der lokalen Therapie der puerperalen Sepsis
noch vielfach eine ganz üble Polypragmasie. Wie oft z. B. erlebt man
es, daß noch in der zweiten Woche des Puerperiums, wenn schon ein
parametranes Exsudat oder gar eine Pyosalpinx bestehen, lokale Uterus¬
therapie mit Ausspülungen usw. getrieben wird. Wenn man wirklich
ganz früh, spätestens etwa am 3. oder 4. Tage p. p. die Symptome der
puerperalen Sepsis nach weist, dann mag man, wenn man irgendwie
Grund hat, an Retention zu denken, in den Uterus eingehen und sein
Innerstes in vorsichtigster Weise abtasten und vor- und nachher mit
vielen Litern der Lösung eines nicht giftig wirkenden Desinfiziens
ausspülen. Damit aber soll man sich prinzipiell genügen lassen, denn
es ist doch ganz klar, daß alles weitere Manipulieren, Spülen,
Kratzen, Ätzen am Endometrium nicht nur nichts helfen, sondern
im Gegenteil durch Eröffnen bereits thrombosierter Gefäße und
Hineindrücken und -spülen der Sepsiserreger in das Gefäßsystem,
in seltenen Fällen auch in die Tuben, nur schaden kann. Es dürfte.
Raum einem Zweifel unterliegen, daß die lokale Therapie heut¬
zutage hier noch immer mehr Schaden, als Nutzen, stiftet. Die Ver¬
hältnisse sind hier, wenn es sich nicht um faulende Chorionreste handelt
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Referate und Besprechungen.
— der retinierten Eihäute wegen soll überhaupt nicht eingegangen
werden —, durchaus verschieden vom septischen Abort, wo eine
aktive Therapie prinzipiell trotz Winter angebracht erscheint. Nach
einer einmaligen gründlichen frühzeitigen Revision und
Ausspülung des Uteruskavums soll man prinzipiell alle
weiteren Manipulationen unterlassen, den Uterus durch
Sekale unter permanenter Kontraktion halten und nur
noch interne Therapie treiben. Ein solch gemäßigt exspektatives
Verhalten wird bessere Erfolge zeitigen, als die übereifrigste Poly¬
pragmasie, so gewissenhaft und aufopfernd sie vielleicht erscheinen mag.
Werfen wir noch einmal einen Rückblick auf das eben durcheilte
Gebiet unserer Wissenschaft, so sehen wir, daß trotz eines scheinbar
sehr revolutionären Gebahrens die Grundvesten der Geburtshilfe nicht
erschüttert sind, daß auch von einer übertrieben chirurgischen Ära kaum
die Rede sein kann und daß keinerlei stichhaltige Gründe vorliegen,
welche eine scharfe und weitgehende Trennung der häuslichen und
klinischen Geburtshilfe erforderten, und zuletzt, daß nicht von einer
Spezialisierung der Geburtshilfe, sondern nur von einem verständnis¬
vollen Zusammenarbeiten des Praktikers und Klinikers wirkliche Fort¬
schritte zu erwarten sind. Dieses Verständnis aber muß der Praktiker
sich durch ständiges Fortbilden erhalten und erweitern, was auf dem
relativ kleinen Gebiet sehr wohl möglich ist. Die Geburtshilfe ist
und bleibt der verantwortungsvollste, aber auch erfolgreichste und be¬
friedigendste Teil der Tätigkeit des Praktikers, ganz besonders auf
dem Lande.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
C. A. Ewald, Diagnose und Behandlung der Darmgeschwüre. (Deutsche
med. Woehenschr., Nr. 14, 1911.) Diagnostisch und therapeutisch sind nur
die Geschwüre am Anfang und Endteil mit einiger Sicherheit in Angriff
zu nehmen. Ewald erwähnt bei letzterem besonders das Romanoskop, das
jeder Praktiker, nicht nur der Spezialist besitzen sollte. Das wichtigste
Geschwür im Anfangsteil dos Darms ist entschieden das Duodenalulkus.
Seine Symptome sind 1. Schmerzen im Epigastrium, die teils spontan als
Hungerschmerz, teils als Druckschmerz auftreten. Die differentialdiagno -
stischc Abgrenzung gegen schmerzhafte Prozesse in der Nachbarschaft wird
mit Ausnahme des Magengeschwürs dann sehr erleichtert, wenn sich blutige
Stühle finden. 2. Das Verhalten der Magensaftsekretion ist nicht verwert¬
bar. 3. Blutige Stühle, und zwar besonders die okkulten Blutbeimengungen
zu den Stühlen. 4. Erbrechen von Mageninhalt, wonach die Schmerzen im
Gegensatz zum Magengeschwür bestehen bleiben. 5. Dorsale Druckpunkte,
die jedoch inkonstant sind und auch beim Ulcus ventriculi Vorkommen.
6. Vasomotorische Störungen, die den Schmerzanfall einleiten. 7. In zweifel¬
haften Fällen das Überwiegen des Duodenalgeschwürs bei Männern. Die
Therapie hat zunächst in möglichster Ruhigstellung des leidenden Teiles zu
bestehen. E. gibt zuerst 3—4 Tage lang nur Nährklistiere, um dann all¬
mählich zur Nahrungszufuhr per os überzugehen. Außerdem verordnet er
ein alkalisches Mineralwasser oder Pulver, dem er gern etwas Extract. Bella-
donnae zusetzt. Lokal werden heiße Umschläge ev. Morphiuminjektionen
empfohlen. Was die Blutungen anbetrifft, so verspricht er sich von den
dagegen empfohlenen Mitteln nichts, in leichten Fällen steht die Blutung?
bei jeder Therapie, in schweren hilft nur Kälte oder operatives Vorgehen.
Eine andere Geschwürsart sind die peptischen Ulzera, wie sie nach.
Gastroenterostomosen Vorkommen können. Sicher läßt sich die Diagnose nichü
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Referate und Besprechungen.
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stellen; ein Symptom bilden vielleicht Schmerzen nach der Nahrungsauf¬
nahme, die etwas tiefer gelegen sind wie beim Magengeschwür. Therapeu¬
tisch ist bei diesen seltenen Ulzeris wenig zu machen. Im oberen Darm-
abschnitt kommen sodann noch die Geschwüre nach Verbrennungen vor, es
handelt sich dabei aber nur um Verbrennungen in der Ober- und Unter -
bauchgegend.
Während die Diagnose des typhösen Geschwürs keine Schwierigkeiten
verursacht, da die Grundkrankheit fast immer zu erkennen ist, liegen die
Verhältnisse beim Tuberkulösen etwas schwieriger. Bei ihm fehlen die
eigentlichen typischen Erscheinungen. Lokale Schmerzen fehlen entweder
oder sind ganz geringfügiger Natur. Auch Darmblutungen kommen überaus
selten vor. Eher lassen sich bei Bestehen noch anderer tuberkulöser Sym¬
ptome in anderen Organen die starken Diarrhöen verwerten. Der Nachweis
von Tuberkelbazillen im Stuhl genügt jedoch nicht. Die Therapie hat in
Verordnung einer blanden Diät zu bestehen. Medikamentös können Colombo-
extrakt oder sonstige Adstringentien gegeben werden.
Im Endteil des Darms stehen an erster Stelle die dysenterischen Ge
schwüre. Sie sind gewöhnlich an den blutig-schleimigen Stühlen, den Kolik-
schmerzen und Tenesmen, dem Fieber und der über die ganze Bauchgegend
verbreiteten Schmerzhaftigkeit erkennbar; in manchen Fällen können aller¬
dings auch Verwechslungen mit malignen Tumoren stattfinden. Bei tiefem
Sitz wird die Diagnose durch die Rektoromanoskopie erleichtert. Zur Be¬
handlung empfiehlt sich die Anwendung von Klismen oder hohen Ein¬
gießungen. Letztere erfolgen am besten in Knie-Ellenbogenlage, wobei der
Irrigator höchstens einen Meter über dem Anus stehen darf. Als Lösung,
die körperwarm sein muß, nimmt man Tannin und Chloralhydrat (zu 0,3
bis 0,5% ää), Lysol (etwa 0,5—1%)» Ichthyol (1,0—2,0°/o)- Daneben ist
eine blande, möglichst flüssige Diät zu geben; Milch ist nicht geeignet, da
sie Schmerzen und Tenesmen verursacht. Werden diese Eingießungen nicht
vertragen oder nehmen die Kräfte zu sehr ab, so ist zur Kolostomie zu raten.
Die Kolongeschwüre bieten trotz der mannigfaltigsten Ätiologie stets
das gleiche Bild. Ihre Behandlung besteht entweder in Ausspülungen, in
Tuschieren oder in Bestäuben mit einem deckendem Pulver.
Die Folgen der Darmgeschwüre sind die Strikturen, die entweder mit
Bougies oder operativ zu behandeln sind. F. Walther.
G. Diena, Experimentaluntersuchung über Resorption im Dickdarm.
(Arch. p. 1. scienze med., Bd. 35, H. 1, 1911.) An Hunden mit Darmfisteln
fand Verf., daß in den Dickdarm eingebrachte anisotonische Lösungen den
osmotischen Druck des Blutes zu erreichen trachten, so daß also aus hypo¬
tonischen Lösungen viel, aus isotonischen kaum Wasser resorbiert wird,
während in hypertonische Lösungen Wasser Übertritt. Feste Substanzen
(wie Kochsalz und Harnstoff, in geringerem Grade auch Traubenzucker)
werden aus ihrer Lösung unabhängig von der Konzentration resorbiert.
Wünscht man also in praxi eine starke Wasserresorption bei der Verab¬
reichung von Klysmen, so wird man hypotonische Lösungen zuführen; will
man dagegen die Resorption von festen Substanzen, so wähle man isotonische
Lösungen, die die Schleimhaut nicht reizen und den Organismus kein Wasser
verlieren lassen. M. Kaufmann.
M. Einhorn, über die Wichtigkeit der Fadenimprägnationsprobe für die
Erkennung von Geschwüren im oberen Verdauungstrakt. (Boas* Archiv,
H. 2, 1911.) Einhorn berichtet über seine letzten Erfahrungen mit der
Fadenimprägnationsprobe, betreffend 30 Fälle von Magen- und Duodenal¬
geschwüren, 1 von Leberzirrhose und 5 von ulzeriertem Magenkrebs. In
den Fällen von Leberzirrhose und Karzinom war die Probe stets positiv;
von den 30 Ulzera gaben positive Reaktion 21. In 2 Fällen wurde operiert,
und das Ulcus an der vermuteten Stelle gefunden. In manchen Fällen wurde
die Probe mehrmals vorgenommen, meist mit dem gleichen Resultat. Die
Probe ist auch von Wert, um zu entscheiden, ob ein Ulcus durch die Be¬
handlung geheilt ist. M. Kaufmann.
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Referate und Besprechungen.
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Chirurgie.
Poncet, Dauererfolge der Knochentransplantation. (Bullet. m6d., Nr. 48,
S. 543, 1911.) In der Societe de Chirurgie stellte Poncet am 14. Juni
1911 einen Ingenieur vor, dejn er im Jahre 1886 als 13jährigen Jungen
wegen einer schweren Osteomyelitis der Tibia operiert hatte. Er mußte
ihm damals einen Sequester von 30 cm Länge — also so ziemlich der ganzen
Länge der Tibia — herausnehmen und pflanzte dann 3 bzw. 5 Wochen später
in die noch gut erhaltene Periosthülle 8—10 Stückchen von 1 ccm Größe,
welche er der Tibia eines totgeborenen Kindes (Asphyxie) bzw. einer Ziege
entnommen hatte. Die Heilung ging so vorzüglich von statten, daß der junge
Mann in keiner Weise geniert war, sondern alle Spiele, Fußtouren mit seinen
Altersgenossen mitmachen konnte; nur eine geringfügige Verkürzung des
Beins erinnert noch an die damalige Krankheit. Jetzt geht er als Ingenieur
seinem Beruf wie ein Gesunder nach.
Das Röntgenbild zeigt einen mäßigen Grad von Genu valgum; der
obere Teil der Tibia ist ziemlich normal, der untere bildet mit dem Talus
eine zusammenhängende Knochenmasse. Die Fibula ist etwas deformiert
und in ihrem oberen Teile luxiert. Die Muskulatur des operierten Beins
ist weniger kräftig als die des gesunden. Buttersack (Berlin).
Schultheß, Zur Stellung der Orthopädie in der Medizin. (Zentralbl.
für chir. und mechan. Orthopädie, Bd. 5, H. 1—4, 1911.) Zum Andenken des
Königs Umberto I. errichtete der Consiglio der Provinz Bologna eine Stif¬
tung, deren Erträgnisse zum Teil zur Erteilung eines Preises alle 5 Jahre
für die beste Arbeit auf dem Gebiete der Orthopädie in internationaler
Konkurrenz verwendet werden. Der erste Preisgewinner war Vulpius
(Heidelberg), in diesem Jahre erhielt ihn Schultheß (Zürich). Er ent¬
wirft in großen Zügen den Entwickelungsgang der Orthopädie und ver¬
langt an der Universität eine scharfe Trennung von dem Dozenten der
Chirurgie.
„Unserer Auffassüng nach ist demnach die Persönlichkeit des Ortho¬
päden als akademischer Lehrer zu trennen von der Persönlichkeit des
Chirurgen als akademischer Lehrer.“
An jeder Universität soll der junge Mediziner an einer orthopädischen
Klinik in die Lehren dieser Disziplin eingeführt werden.
Als Muster stellt er das Instituto R i z z o 1 i in Bologna und das
Instituto Rhachitici in Mailand hin. Michaelis (Darmstadt).
Pürckhauer, Zur Behandlung der Hammerzehen. (Zentralbl. für chir.
und mechan. Orthopädie, Bd. 5, H. 1—4, 1911.) Die unblutige Behandlung
dieser Zehendeformität hatte bisher dem Arzte recht wenig Dank ein¬
gebracht, nur selten hatte man den gewünschten Erfolg.
Eine ebenso einfache wie augenscheinlich günstig wirkende kleine
Vorrichtung beschreibt Verf. aus der Lange’schen orthopädischen Universi¬
täts-Poliklinik zu München.
„Wir zeichnen uns die Umrisse des auf einem Blatt Papier stehenden
Vorderfußes mit den gut ausgebreiteten einzelnen Zehen genau auf. über¬
tragen diese Zeichnung auf ein Stück gewalktes 2 mm starkes Rindsleder
und schneiden dies der Zeichnung entsprechend aus. Auf der Rückfläche
des Lederplättchens wird mit Azeton-Zelluloid ein etwas kleineres Stück
Drahtgaze aufgezogen und auf dieses wiederum 5 Stück der Größe und der
Lage der einzelnen Zehen entsprechende Blanchettestäbchen mit Zelluloid
eingebettet. Diese werden mit in Azeton-Zelluloid getränkten Gurten be¬
deckt und das Ganze mit Waschleder überzogen. Auf dieses nun fertige
Zehenplättchen zeichnen wir uns die Umrisse der betreffenden verkrüppelten
Zehe und schneiden zwei, der Länge und Breite der ersten Phalange ent¬
sprechende Schlitze durch das Plättchen.
Durch diese möglichst engen Schlitze werden genau ebenso breite
Stücke Kalbsleder gezogen, mittels denen man die Zehenphalange nach unten
ziehen kann.“
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Referate und Besprechungen.
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Dieses Zehenplättchen reicht bis zum Vorderfußballen. Gegen etwa
bestehende Hühneraugen usw. bringe man Filzringe an.
Michaelis (Darmstadt).
Psychiatrie und Neurologie.
F. Chevrel (Paris), Einfluß der Diagnose auf die Therapie bei epide¬
mischer Genickstarre. (Progr. med., Nr. 15, S. 188—190, 1911.) Die ätio¬
logische bzw. spezifische Therapie bringt, so geistreich sie in der Theorie
auigebaut ist, doch den Praktiker in nicht geringe Verlegenheit; denn wenn
er nicht weiß, was für einen Bazillus er vor sich hat, welches Serum soll
er dann losschießen ? Zumeist freilich ist die Sache nicht so schlimm; der
erkrankte Organismus wird schließlich auch mit einem nicht hergehörigen
Serum fertig. Aber bei meningitischen Zuständen kann ein falsch ge¬
wähltes Serum üble Folgen haben. Es ergibt sich daraus die Forderung einer
möglichst schnellen, sicheren Diagnostik. Aber jedermann weiß — und
Chevrel setzt das ausführlich auseinander —, daß die Lymphozytose, Poly-
nukleose, Präzipitinreaktion, Agglutinine und sensibilisierenden Substanzen
im Liquor spinalis höchst unzuverlässig sind, und daß selbst ein typischer
Meningococcus intracellularis den Diagnostiker äffen kann, indem er in Wirk¬
lichkeit ein Pseudomeningokokkus ist. Dazu kommt, daß diese subtilen
Untersuchungen viel Zeit kosten und nur in speziellen Laboratorien aus¬
geführt werden können.
Die Erkenntnis, daß das Serum bei richtiger Meningitis cerebrospinalis
zwar wunderbar wirke, bei nichtrichtiger aber überflüssig, sogar schädlich
sei, hat erfahrene Kliniker, wie Wi d a 1 und Sicard, in seiner Anwendung
vorsichtig gemacht. Um aber den Praktiker abzuhalten, das Meningokokken¬
serum ganz beiseite zu schieben, meint Chevrel, man solle in zweifel¬
haften Fällen ruhig dem Patienten von dem Serum injizieren; denn erst
wiederholte Injektionen führen zu gefährlichen Zuständen. Ich meinesteils
möchte es lieber mit Wi d a l und Sicard halten. Buttersack (Berlin).
Debrg (Paris), Die Meningitis cerebrospinalis und gesunde Keimträger.
(Bulletin med., Nr,. 40, S. 439, 1911.) Es ist etwas Schönes um die Logik;
aber auch für sie gelten die Sätze: Est modus in rebus, sunt certi denique
fines oder: Allzuscharf macht schartig. Für das rein bakteriologische
Denken ist die Bekämpfung der Infektionskrankheiten relativ einfach: man
fischt die Leute, welche den betr. Erreger in sich beherbergen, heraus und
isoliert sie. Ob die Leute krank sind oder nicht, ist gleichgültig, und so
entstehen die merkwürdigen Kategorien von gesunden Bazillenträgern und
von bakteriologisch-gesunden Kranken. In der realen Welt der brutalen
Tatsachen will sich diese simple Prophylaxe aber nicht recht verwirklichen
lassen, und es ist, interessant, zu sehen, daß bei aller bakteriologischen
Denkweise Debre in seiner These betr. Reeherches epidemiologiques, clini-
ques et therapeutiques sur la meningite cerebrospinale so viel Wirklichkeit« -
sinn bewahrt hat. um die Utopie des Unternehmens, alle gesunden Bazillen¬
träger zu isolieren, zu erkennen und als une methode hygienique d’une appli-
cation difficile et d’une utilite contestable zu beurteilen, namentlich wenn
man sich nicht mit einer einmaligen Untersuchung begnügt, sondern fort¬
dauernde bakteriologische Überwachung fordert.
Ganz besondere Anerkennung aber verdient bei einem Mikrobotaniker
die Erkenntnis, daß das Erlöschen von Seuchen nicht unseren hygienisch-
bakteriologischen Maßnahmen zugute zu schreiben sei, sondern daß sie von
selbst verschwinden und wiederkehren, quand la saison de la virulence du
meningoooque revient. Da klingt eine Auffassung und Bescheidenheit durch,
welche historisch Bewanderten längst eigen ist; aber freilich, daß Sieb-
bescheiden ist im Zeitalter der Reklame nicht modern. Buttersack (Berlin).
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Referate und Besprechungen.
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Medikamentöse Therapie.
W. F. Boos, L. H. Newburgh u. H. K. Marks (Boston), Digipuratum
bei Herzerkrankungen. (The Archives of Internal Medicine, Nr. 4, 1911.)
Das Digipuratum wurde bei Herzinkompensationen in Form der sogen.
Digitaliskuren gegeben, d. h. hohe Dosen in möglichst kurzer Zeit. Im
Laufe eines Jahres wurden über 180 primäre oder sekundäre Herzerkran¬
kungen damit behandelt. Die Verf. zeigen die Wirkung des Mittels an acht
graphischen Darstellungen. In einigen Fällen gab die erste Digipuratumkur
wenig Erfolg, während die zweite sehr wirksam war.
Besonders bemerkenswert ist ein Fall, wo eine Patientin in moribundem
Stadium in das Hospital kam; sie reagierte sehr schnell auf Digipuratum
und die Kompensation stellte sich innerhalb einer Woche ein. Zuerst
brauchte sie monatelang täglich zwei Tabletten Digipuratum, dann konnte
die Dosis allmählich reduziert werden, bis sie nach Verlauf eines Jahres
nur 4—5 Tabletten in der Woche zu nehmen brauchte. Zeitweise bleibt sie
eine Woche oder 10 Tage lang ohne Digipuratum.
Die Wirkung des Digipuratums auf die Harnausscheidung war sehr
prompt. Nicht lein einziger Fall von Erbrechen oder Durchfall trat auf, im
Gegenteil, das Erbrechen einer Anzahl Herzkranker wurde schnell durch
Digipuratum beseitigt. Kumulativwirkung war ‘niemals zu beobachten. Einem
von den ersten Patienten, einem Knaben von 16 Jahren, wurden in sechs
Wochen 106 Tabletten gegeben, und niemals ließ sich auch nur eine Spur
einer Digitalisvergiftung bemerken. Man muß allerdings im Auge behalten,
daß das Digipuratum ein Digitalispräparat ist und als solches zur Kumula¬
tion neigt. Indessen ist diese Tendenz beim Digipuratum sehr vermindert,
so daß es möglich ist, mit* Hilfe dieses Mittels eine Digitalistherapie in bis¬
her unerreichter Weise durchzuführen. Neumann.
A. Fleischner, Meine Erfahrungen mit Pyrenol. (Deutsche Med.-Zfg..
Nr. 27, 1911.) Als antipyretisches und herztonisierendes Mittel, besonders
bei Pneumonie und Influenzaerkrankungen, sowie ferner als Antirheumatikum
und Antineuralgikum hat Verfasser das Pyrenol mit stets gleich gutem
Erfolge angewandt.
Bei der Behandlung der Pneumonie, wo Verfasser früher Digitalis gab,
ist ihm jetzt das Pyrenol unentbehrlich geworden, dessen günstige Ein¬
wirkung auf die Herztätigkeit er ebenso wie andere Autoren vollkommen be¬
stätigt. In der Tat war die Wirkung auf die Herztätigkeit besonders auf¬
fallend: der Puls wurde voller, höher und kräftiger, die Pulszahl ging
unter Pyrenolbehandlung herunter und blieb auf normaler Höhe.
Weitere Vorteile sind: Schonende lytische Entfieberung, das Aus¬
bleiben profuser Schweiße r wesentliche Hebung des Allgemeinzustandes. Die
mit der antipyretischen Wirkung des Pyrenols Hand in Hand gehende be¬
deutende Erleichterung der Expektoration, die den gerade bei Pneumonie
und Influenzaerkrankungen fast spezifisch zu nennenden Einfluß des Pyrenols
bedingt, machte jedes andere Expektorans überflüssig.
Fast noch charakteristischer wirkte das Pyrenol (G oedecke & Co.,
Leipzig) in schweren Influenzafällen, wo sich die prompte Beeinflussung
der heftigen Schmerzen als besonders wertvoll erwies. Die außerordentlich
schmerzlindernde Wirkung des Pyrenols konnte Verfasser auch bei ischia-
tis^hen uud rheumatischen Schmerzen feststellen, wobei sie mitunter geradezu
als spezifisch sich dokumentierte, nachdem eine Reihe anderer Salizvlpräpa-
rate versagt hatten. Die mitgeteilten Krankengeschichten illustrieren dies
in anschaulicher Weise.
Schädigende Nebenwirkungen 'wurden nie beobachtet, selbst ganz kleinen
Kindern (Keuchhusten, Pneumonie) kann das Pyrenol ohne jeden Schaden
gegeben werden. Kinder erhalten 3,0—5,0:100 mit Sir. Rub. Id. (30—40)
zweistündlich 1 Teelöffel; Erwachsene 8,0—10,0:200, zweistündlich 1 E߬
löffel, ebenfalls mit einem Sirup. Neumann.
Druck von Emil Herrinann senior in Leipzig.
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
Von Dr. Bliimel, Spezialarzt für Lungen- und Ilalskrankheiten, Halle a. S.
20 .Jahre gehört das Koch’sche Tuberkulin, das älteste spezi¬
fische Präparat gegen Tuberkulose, zu unseren therapeutischen Mitteln.
Aber einen wirklich festen Bestandteil unseres Heilschatzes, einen brauch¬
baren und nützlichen, bildet es eigentlich erst seit wenigen Jahren.
Man spricht von Tuberkulin-Ären. Die eräte Ära rechnet
man auf die 90er Jahre; große Dosen, heftige Reaktionen waren
ihre zumeist gewollten Kennzeichen, und ihre Wirkung: zahllose Mi߬
erfolge, so daß Ärzten und Laien die Lust an dieser spezifischen Be¬
handlung verging. Es konnte auch gar nicht anders sein; denn die
Iinmunitätsforschung steckte noch in den Kinderschuhen, und der Klinik
war das Arbeiten mit so differenten Mitteln noch zu neu. Das zeitigte
verfehlte Theorien und eine falsche Praxis. Mit den Theorien sind wir
auch heute noch, trotz umfassender Arbeit auf diesem Gebiet, nicht so
sehr gut daran, aber besser — und das ist ja für den Therapeuten die
Hauptsache mit der Praxis.
Mit Götsch'ß Veröffentlichung begann 1901 die zweite Tuber¬
kulin-Ära, die sog. einschleichende Behandlung: das Material
gründlich sieben, nur geeignete Fälle spezifisch behandeln, an der Hand
genauer Temperaturmessungen klinisch und kritisch beobachten, lang¬
sam und vorsichtig, möglichst ohne Reaktion, steigen, bei Reaktionen
zurückgehen in der Dosis, waren hier die leitenden Gedanken. Diese
Prinzipien haben sich, hier und da nach der persönlichen Erfahrung der
einzelnen Forscher modifiziert, Bürgerrecht in der Therapie mit Tuber¬
kulinpräparaten erworben.
Neben Götsch waren es noch andere, wie Aufrecht, Sahli,
Petruschky, Lichtheim, die schon in den 90er Jahren eine reaktions¬
lose Behandlung bevorzugten, aber — ein Zeichen der Zeit — Erfahrun¬
gen darüber konnte z. B. Aufrecht, trotz glänzender Erfolge in der
ersten Zeit, jahrelang nicht sammeln wegen Mangel an spezifisch zu
behandelnden Kranken. So groß war das Mißtrauen.
Da3 ist jetzt anders geworden. Jetzt, wo wir eigentlich in der
dritten Tuberkulin-Ara stehen, der Ära der fast allgemeinen An¬
erkennung des Tuberkulins. Ihr Beginn wäre zu rechnen von den
•Jahren 1907/08 an, d. h. von der Zeit her, in der die Wright’sehe
Opsoninlehre bekannter wurde, in der v. Pirquet seine Reaktion auf
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Blümel,
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Tuberkulose entdeckte und der Immunitätsforschung neue Wege wies.
Die große diagnostische Verwendbarkeit des Tuberkulins, das
Studium der Überempfindlichkeit (v. Pirquet), die Kenntnis vop
der therapeutischen Wirksamkeit selbst kleinster Dosen, von dem
Mechanismus ihrer Wirkung (Wright) haben auf die Entwickelung
der Tuberkulintherapie außerordentlich befruchtend gewirkt, ebenso wie
die durch klinische Beobachtung und Erfahrung geförderte Kenntnis
über eine zweckmäßige und vor allem ungefährliche Dosierung
der spezifischen Präparate.
Der Kampf gegen die Tuberkulose — das ist das bedeutsamste
und markanteste Zeichen der dritten Tuberkulin-Ära — ist vor allem
jetzt auf eine erheblich breitere Basis gestellt worden. Der
Schwerpunkt der Therapie, der früher nur in den Heilan¬
stalten lag, ist im Begriff, aus ihnen heraus mehr in die
Praxis verlegt zu werden. Das ist durchaus notwendig, ja wohl
Bedingung für einen weiteren erfolgreichen Kampf gegen die Tuber¬
kulose. Übernehmen wir das Rüstzeug der Anstalten, die hygienisch-
diätetische Therapie, in die Häuslichkeit unserer Patienten, bilden wir
uns selbst zu praktischen Tuberkulosetherapeuten heran, und wir
können viel mehr Menschen helfen, als das die Anstalten mit ihrer
beschränkten Kürzeit vermögen. Die Anstalten sind damit nicht über¬
flüssig, aber für diejenigen, die ihre Segnungen überhaupt nicht oder
nicht lange genug genießen können, also für die große Mehrzahl der
Kranken, muß auch die Möglichkeit einer sachgemäßen Behandlung
geschaffen werden. Das ist die ambulante Tuberkulose beliandlung,-deren
wesentlicher Bestandteil in vielen Fällen die spezifische Therapie ist
(Weddy-Pönicke, Saathoff, Bandelier, Röpke, Sahli, Weicker.
Sorgo, Petruschky, Moeller, Hammer, Beninde, Dumas, Veri
u. a.). In vielen Fällen — nicht in allen. Es wird auch nach wde vor
manche zweifellose Tuberkulose geben, die ohne spezifische Behand¬
lung heilt. Die Tuberkulose ist ja eine der heilbarsten Krankheiten,
wie uns die Sektionsbefunde lehren. Es ist Sache des Therapeuten,
zu entscheiden, welche Fälle der spezifischen Behandlung zugeführt
werden müssen.
Über ambulante Tuberkulosebehandlung überhaupt.
Der ambulanten Nachbehandlung Heilstättenentlassener
mit» Tuberkulin ist im großen und ganzen von den Heilstättenärzten zuge¬
stimmt w r orden (Tuberkulose-Arzte-Versammlung, Karlsruhe 1910).
Die notwendige weitere Konsequenz ist, nun auch die ambulante Be¬
handlung überhaupt nicht nur für zulässig, sondern für wünschens¬
wert zu erklären. Jetzt, wo w T ir über eine größere Anzahl zuverlässiger
Therapeuten und gute Literatur verfügen, besteht auch für den Allge¬
meinpraktiker die Möglichkeit — w r orauf ich kürzlich ;uidern Ort«
hingewiesen habe — sich die nötigen Kenntnisse anzueignen und die
Tuberkulose bell andliuig ambulant durchzuführen. Er darf nur nicht
von der Ansicht ausgehen, daß mit der Tuberkulin- auch die Tuber¬
kulose therapie beherrscht wird, sondern muß sich immer vergegen¬
wärtigen, daß das eine nur ein Teil des andern ist. Denn nur ein guter
Tuberkulosetherapeut kann ein guter Tuberkulintherapeut, sein. Es ist
deshalb notwendig, daß der Arzt, der ambulant Tuberkulose behandeln
will, sich neben genügender Information über die Tuberkulinbehandlung
ausreichende Kenntnisse über die hygienisch-diätetischen Heiifaktoran
und ihre Anwendung, sowie über die Klinik der Tuberkulose über-
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
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haupt, verschafft, sei es in Heilstättenkursen, wie sie neuerdings der
preußische Eisenbahnminister für Bahnärzte empfiehlt, oder in privaten
und allgemein-ärztlichen Fortbildungskursen.
Für welche Fälle ist nun die ambulante Behandlung in¬
diziert? Vor allem nur für fieberfreie Fälle; fiebernde Kranke
gehören nach wie vor ins Bett. Die Bettruhe ist noch immer die beste
Methode der Entfieberung ; jedenfalls habe ich bei Behandlung Fiebern¬
der mit spezifischen Präparaten nur selten Erfolge gesehen, die sich
allein als Tuberkulinwirkung erklären ließen.
Von den fieberfreien Kranken sind wieder zwei Gruppen
für ambulante Behandlung ungeeignet:
1. Diejenigen, deren häusliche und berufliche Verhältnisse,
2. diejenigen, deren Persönlichkeit die ordnungsgemäße Durch¬
führung der Kur verhindern.
Häusliche und berufliche Verhältnisse, die die Kur stören, sind
vor allem: mangelhafte Verpflegung, häuslicher Ärger, geschäftliche
Sorgen, Beschränkung der verordneten Ruhezeit, ungeeignete Arbeits¬
räume, ungesunde und zu anstrengende Tätigkeit, kurz Beschwernisse,
die das zum Vorwärtskommen nötige körperliche und seelische Gleich¬
gewicht stören.
Zweitens verbietet sich die Kur bei denjenigen, die nicht im¬
stande sind, sich selbst zu disziplinieren, d. h. die sich nicht den ärzt¬
lichen Vorschriften gemäß verhalten.
Das sind zwei Kategorien, für die nur die Anstaltsbehandlung
in Betracht kommt; auch für die übrigen ist sie durchaus nicht etwa
überflüssig; nur wo — wie schon erwähnt - , ihrer Durchführung über¬
haupt oder, wie zumeist, ihrer genügend langen Durchführung Schwierig¬
keiten entgegenstehen, muß als Ersatz die ambulante Behandlung ein-
treten. Ruhe, körperliche und seelische — meiner Ansicht nach die
Hauptkomponenten des Anstaltsheilverfahrens — kann man seinen
Kranken in vielen Fällen auch zu Hause schaffen; allerdings wird
man e in wenden: „Aber das Klima.“ Ja, nach meiner Erfahrung beein¬
flußt das veränderte Klima schnell und ziemlich sicher die begleitenden
Katarrhe günstig, nicht so sehr den tuberkulösen Prozeß als solchen,
sondern diesen nur indirekt durch Hebung des Allgemeinzustandes;
wessen Allgemeinzustand sich aber zu Hause schon entsprechend hebt,
wenn er nicht bereits gut ist, der bedarf des Klimawechsels weniger,
wenn die eventuellen Begleitkatarrhe zu Hause zum Schwinden ge¬
bracht werden. Und das ist ja in den meisten Fällen möglich.
Wodurch die Heilanstalten noch weit mehr zur Erzielung von
Dauererfolgen und zur Erhaltung des Kurerfolges beitragen könnten,
das wäre durch wirkliche Aufklärung der Patienten über den
Krankheitszustand. Sehr häufig wird ja nur das subjektive Befinden
des Kranken gebessert: wohl genährt, ohne wesentliche Beschwerden
verläßt er meist die Anstalt — ich meine hier mehr den meist kränkeren
Privatpatienten, nicht so sehr den versicherten Arbeiter. Gute Lehren
begleiten ihn. Sie könnten ihm sehr nützlich werden, wenn man ihn
tiber die Notwendigkeit weiterer häuslicher Behandlung unter
Leitung eines sachverständigen Arztes aufklärte, ihn aber nicht,
wie das so oft geschieht, scheiden läßt, in dem Bewußtsein, nicht mehr
behandlungsbedürf tig zu sein. Der so gezüchtete Optimismus rächt
sich manchmal an den Kranken, für die es unter diesen Umständen besser
gewesen wäre, statt einige Wochen in stationärer, monate- oder jahre-
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lang in ambulanter Behandlung gewesen zu sein, und zwar ohne so
große Opfer an Zeit, Geld und Lebensfreude. Diese meist unbeschwer¬
liehe lange Durchführbarkeit der Behandlung ist der eine Vorteil der
ambulanten Therapie, während der andere der ist: der Kranke wird
in denselben Verhältnissen gesund, in denen er lebt und arbeitet. Dadurch
wird ein im Verhältnis zu einer kurzen Anstaltskur wesentlich nach¬
haltigerer Kurerfolg gewährleistet.
Ambulante spezifische Behandlung.
Indikationen und Kontraindikationen.
Indiziert st di‘ ambulante spezifische Behandlung, wenn man
von den oben erwähnten Gruppen (Fiebernde, nach ihren beruflichen,
häuslichen und persönlichen Verhältnissen Ungeeignete) absieht, eigent¬
lich sonst in allen, nur nicht in den letalen und sehr floriden Fällen.
Die übrigen soll man alle jedenfalls zu behandeln versuchen, gleich¬
gültig, ob es sich um erste, zweite oder dritte „Stadien“ handelt.
Das „Stadium“, d. h. die räumliche Ausdehnung des Krankheitspro¬
zesses, kann uns über die Eignung oder Nichteignung zur Tuberkulin-
behandlung ebensowenig sagen, wie über die Prognose des Falles im
allgemeinen. Die Stadieneinteilung arbeitet mit statischen, nicht mit
dynamischen Werten; maßgebend ist aber, wie weit der Krankheits¬
prozeß den Organismus in Mitleidenschaft gezogen hat und welche
Widerstandsfähigkeit diesem noch geblieben ist. Und die kann bei
ersten Stadien geringer sein wie bei dritten; das sehen wir täglich.
Die von verschiedenen Seiten aufgestellten Kontraindikationen wie:
Neigung zu Blutungen, Herzfehler, anderweitige komplizierende Lokali¬
sationen der Tuberkulose, weitgehender Gewebszerfall, hohe Pulsfrequenz
sollen an sich als solche nicht gelten. Dafür gibt es aber eventuell im
Laufe der Kur Kontraindikationen: nimmt der Patient trotz sachge¬
mäßer Behandlung dauernd an Gewicht ab, verschlechtert sich das All¬
gemeinbefinden, stellt sich eine Pulsbeschleunigung ein, treten länger
dauernde Fieberbewegungen auf, läßt die Lungenuntersuchung ein Fort¬
schreiten des Krankheitsprozesses erkennen, dann ist der Kranke zur
spezifischen Behandlung nicht geeignet und rechtzeitig von ihr aus-
zusehließen ; denn es besteht die Gefahr, durch die Tuberkulinanwendung
den eventuellen letalen Ausgang noch zu beschleunigen. Und wir müssen
jede Schädigung des Kranken — das bleibt oberstes Gesetz — streng
vermeiden.
Die Wahl des Präparates.
Der Tuberkuline sind viele und ihre Anwendungsweise verschieden.
Daraus ist oft der Schluß gezogen worden, daß die spezifische Therapie
vieles oder gar alles zu wünschen übrig lassen müsse, weil eben so
große Zersplitterung herrsche und immer noch nach Verbesserung ge¬
sucht werde. Erstens hat jede Tuberkulosetherapie ihre Grenzen; alle
Fälle wird man niemals heilen können. Wenn man also Präparate und
Methodik ändert, so geschieht das nur in dem Bestreben, die Zahl der
sonst keiner Heilung zugänglichen Kranken irgendwie noch zu ver¬
ringern. Und zweitens, ist denn der ödeste Schematismus ein Beweis
für die Güte einer Therapie? Gewiß nicht, und so hat sich denn trot^
aller Vielheit der spezifischen Präparate die Mehrzahl der Thera¬
peuten dahin geeinigt: die Hauptsache ist ein spezifisch wirkendes
Mittel (bei der aktiven Immunisierung, die für die Tuberkulosebehajid-
lung einstweilen allein aussichtsreich ist), also ein solches, das entweder
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
989
1. die Stoffwechselprodukte des Tuberkelbazillus oder
2. seine Leibessubstanzen (Endotoxine) oder
3. beides enthält.
Im großen und ganzen sind die Unterschiede der aktiv-immune
sierenden Spezifika nur quantitative und solche in bezug auf die Resor¬
bierbarkeit (Wolf f-Eisner).
Die hauptsächlichsten Vertreter der ersten Gruppe sind:
1. Das Tuberkulin uni Kochii, kurz Alttuberkulin genannt, her¬
gestellt aus einer Glyzerin-Bouillonkultur von Tuberkelbazillen durch
Eindampfen der Brühe samt Bakterien auf ein Zehntel ihres Volumens
und nachfolgendes Abfiltrieren der Bazillen.
2. Die „Bouillon filtree“, Tuberkulin Denys, bestehend nur
aus filtrierter (nicht wie bei Koch s Präparat eingeengter) Kulturbrühe.
3. Endotin, Tuberculinum purum, von Fett, Kohlehydraten
und Eiweiß angeblich befreites Koch’sches Alttuberkulin. m
Das Alttuberkulin und sein Derivat Endotin habe ich mit
in dieser Gruppe aufgeführt, trotzdem es auch Endotoxine (Leibessub¬
stanzen der Bazillen) enthält, aber eben nur zu einem sehr kleinen
Teile, wie daraus hervorgeht, daß aus den Tuberkulinrückständen mit
destilliertem Wasser bei genügend langer Extraktion noch recht viel
Gift zu extrahieren ist (Landmann).
Die Unterschiede aller drei Präparate sind nur quantitative, also
solche in bezug auf Konzentration. Das stärkste ist das Alttuber¬
kulin; die Wirkungen der beiden andern Präparate lassen sich durch
Verdünnung des Alttuberkulins auch erzielen. Das Endotin soll
angeblich „die rein dargestellte spezifische Substanz des Tuberkulins“
sein. Seine Vorzüge sollen vor allem in seinem Freisein von nicht¬
spezifischen giftigen Eiweißkörpern, Albumosen, bestehen, durch deren
Anwesenheit z. B. beim Koch’schen Tuberkulin das Fieber veranlaßt
werden soll; Endotin erregt angeblich kein Fieber.
Dazu ist zu bemerken, daß man 1. auch mit. Präparaten, die gar
keine unspezifischen Albumosen enthalten, wie Bazillen-Emulsion,,
Tuberkulol-B (wässriger Bazillenextrakt) typische Tuberkulinreak¬
tionen erhält, 2., daß die Tuberkulinreaktion schon bei 1000-, ja 10000mal
kleineren Dosen eintritt als die Reaktion auf Albumosen, daß also die
besonders im Anfang der Behandlung gebräuchlichen kleinen Tuberkulin-
dosen viel zu wenig nichtspezifische Albumosen enthalten, um durch
diese zu wirken; die Tuberkulinwirkling ist hier also rein spezifisch.
Kur bei Einverleibung größerer Dosen, Dosen über 50 mg Tuberkulin,
kommen eventuell die Wirkungen nichtspezifischer Albumosen mit in
Betracht. Das Ausbleiben von Reaktionserscheinungen im Laufe einer
mit sprunghafter Dosensteigerung durch ge führten Endotinkur
(Gordon) — das übrigens nicht immer der Fall ist (Koch, Walter-
höfer) — beweist demnach nur, daß das Präparat an spezifischen
Substanzen sehr arm ist. Also das Koch’sche Tuberkulin ist dem
Endotin vorzuziehen, auch wegen seines erheblich geringeren Preises.
Zur zweiten Gruppe gehören vor allem
1. die Koch’sche Bazillen-Emulsion (B. E.), gewonnen durch
Sedimentieren der in 40°/ 0 iger Glyzerin-Kochsalzlösung auf geschwemm¬
ten zermahlenen Bazillen,
2. das Tuberkulol-B (Landmann), das einen wässerigen Extrakt
darstellt, gewonnen durch fraktionierte Extraktion der Bazillenleiber,
bei schrittweise steigender Temperatur.
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3. Die Sensibilisierte Bazillen-Emulsion (S. B. E.), herge¬
stellt aus durch ein hochwertiges Immunserum sensibilierten Tuberkel¬
bazillen; das Präparat ist außerordentlich wenig toxisch und wirkt
500mal geringer als B. E. Sein Effekt — es soll aktiv und passiv immu¬
nisieren — läßt sich nach Joch mann auch mit entsprechenden Ver¬
dünnungen von B. E. erzielen.
Das Tuberkulol hat vor der B. E. Koch und S. B. E. den Vorzug,
besser resorbierbar zu sein, weil es eine Lösung und keine Emulsion
darstellt. Der Reichtum an korpuskularen Elementen beim B. E. ist auch
die Ursache der stärkeren Reaktionen an der Einstichstelle, die z. B.
beim Alttuberkulin viel geringer sind. B. E. wirkt stärker als
A. T. und wird deshalb zur Nachbehandlung von mit A. T. vorbehan
delten Kranken benutzt; daraus ergibt sich von selbst, daß man bei
tuberkulin-empfindlicheren Patienten im allgemeinen dem A. T. den
•Vorzug gibt.
Weitergehende Unterschiede als die erwähnten bezüglich der Quan¬
tität und der Resorbierbarkeit habe ich kaum gefunden. Von anderen
Seiten sind die Präparate noch mehr gegeneinander differenziert worden,
so bezüglich der entfiehernden Wirkung, die besonders der B. E.
zukommen soll. Ich habe eindeutige Erfolge zu selten gesehen, um dem
beistimmen zu können. Man empfiehlt auch vielfach Alttuberkulin
zur Erzielung von Giftimmunität, B. E. zur Erreichung einer
bakteriellen Immunität. Für die klinisch nachweisbare Wirkung
der Präparate ist es im allgemeinen gleichgültig, ob wir dies oder jenes
erreichen wollen; geschehen tut doch nur dasselbe, und eine echte
Immunität läßt sich mit beiden Arten von Mitteln nicht erreichen
(s. weiter unten).
Gruppe 3 bilden
1. das Tuberkulol-A (Merck), von Landmann in die Therapie
eingeführt, dessen eine Komponente das Tuberkulol-B darstellt, dessen
andere aus der im Vakuum (nicht durch Erhitzen) konzentrierten Kultur
brühe verschiedener Tuberkelbazillenstämme besteht;
2. das Tuberkulin Be raneck (besonders von Sahli empfohlen),
das eine Mischung von im Vakuum eingeengter Tuberkelbazillenbouillon
und von mit 1° 0 iger Orthophosphorsäurelösung gewonnenem Extrakt
der Bazillenleiber darstellt. Als Nährboden wird Bouillon ohne künst¬
lichen Albumosen- und Peptonzusatz verwandt.
3. Wolf f-Eisrier’s Mischtuberkulin, hergestellt durch Vereini¬
gung der genannten Kochschen Präparate (A. T. und B. E.).
Das Mischtuberkulin hat vor den anderen Präparaten den bei der
Bazillenemulsion besprochenen Nachteil, keine reine Lösung, sondern
mehr eine Emulsion zu sein. Das Beranecksche Tuberkulin ist bei
weitem das schwächste und bei seinem geringen Gehalt an spezifisch
wirkenden Substanzen auch das teuerste dieser Gruppe. Daß sein rela¬
tives Freisein von nicht spezifisch wirkenden Eiweißkörpern für die
therapeutische Verwendung belanglos ist, ist schon beim Endotin be¬
sprochen worden, das ihm in dieser Beziehung analog ist.
Ich benutze in den letzten Jahren vorzugsweise das Tuberkulol-A
(Landmann), hauptsächlich weil es die beiden spezifischen Komponenten
enthält, als Lösung gut dosierbar und gleichmäßig zuverlässig in seiner
Wirkung ist; denn es wird als einziges Tuberkulinpräparat an einem
gesunden Tier geprüft (das Alttuberkulin wird an tuberkulös infi-
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
991
zierten Tieren, B. E. nicht geprüft). Infolge seiner Konzentration er¬
möglicht das Tuberkulol die Kuren sehr lange durchzuführen, was
bei schwächer wirkenden Präparaten infolge der viel früher erreichten
Enddosis nicht möglich ist, und größere Tuberkulinmengen als 1 ccm
sind wegen der sich dann allerdings störend bemerkbar machenden,
anaphylaktischen Erscheinungen nicht zu empfehlen.
'Wenn ich das Tuberkulol-A aus den vorerwähnten Gründen bevor¬
zuge und von den mit ihm gesehenen Erfolgen berichte, so will ich
es damit nicht als einzig brauchbares Spezifikum hinstellen; ich habe
auch von den Koch’sehen Präparaten gute Erfolge gesehen und kann
sie ebenso empfehlen, denn in betreff der Wirkungen bestehen, wie ein¬
gangs erwähnt, Unterschiede zwischen den Präparaten nur bezüglich
ihrer Konzentration und Resorbierbarkeit. Nach meinen Erfahrungen
ist aber das Arbeiten mit Tuberkulol-A leichter und sicherer. Die
Hauptsache jedoch bleibt immer die Qualität des Arztes und was er
von der Therapie versteht. Ein unfähiger Therapeut kann auch mit den
theoretisch und praktisch besten Mitteln Mißerfolge haben.
Von anderen spezifischen Mitteln seien mehr der Vollständig¬
keit halber, als um sie zu empfehlen, angeführt: die Spen gl ersehen
Perlsuchttuberkuline, Spengler’s I. K. (hergestellt aus den roten Blut¬
körperchen von gegen Tuberkulose immunisierten Tieren) und Marmo¬
reck' s Antituberkuloseserum. Die Perlsuchttuberkuline haben keinen
Vorzug gegenüber den aus menschlichen Bazillen gewonnenen Präpa¬
raten; das von Spengler mit ihrer Einführung verfolgte Prinzip hat
sich ebensowenig halten lassen, wie seine Theorie von der spezifischen
Wirkung des I. K.; in der Praxis hat es sich mir und anderen jeden¬
falls nicht bewährt. Auch von Marino re ck's Präparat sah ich keine
Erfolge.
Andere Autoren wieder sind warme Fürsprecher der eben er¬
wähnten Mittel; das darf uns nicht wundern, es liegt eben an dem
so variablen Krankheitsbild der Lungentuberkulose; wir kennen die
Abwehrkräfte des einzelnen Organismus noch lange nicht durch und
durch, und unsere Vorhersage des Verlaufs muß sich manchmal später
eine gründliche Revision gefallen lassen. Auch der Geübteste irrt
sich da. Es ist also sehr schwer, hier den Erfolg eines Heilmittels
richtig zu beurteilen; eindeutig ist er eben selten. Und dann: auch
Selbstkritik ist nicht jedermanns Sache. Das beweist nichts besser
als die Enttäuschung, die zuweilen sehr bald so manchem begeistert
empfohlenen Mittel folgt.
Die erwähnten Tuberkulinpräpärate leisten nach meiner Erfahrung
alles, was man von einem aktiv-immunisierenden Mittel verlangen kann.
Es wird aber nach wie vor manche Tuberkulose trotzdem nicht besse¬
rungsfähig sein. Davon abgesehen müssen Mißerfolge oder gar Schädi¬
gungen zumeist als Folge falscher Indikation oder verfehlter Methodik
angesehen werden.
Die folgenden Zeilen beschäftigen sich nur mit den genannten
Koch’schen und Landmann schen Präparaten. Die in folgendem ge¬
brauchte Bezeichnung „Tuberkulin“ bezieht sich auf alle diese Präparate
gleichmäßig. (Schluß folgt.)
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M. Lewitt,
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Zur internen Behandlung der Syphilis, besonders mit Hg-Glidine.
Von Dr. M. Lewitt, Berlin.
Fast gewagt scheint es, zu einer Zeit, da die Salvarsanbehandlung
das Interesse der Ärzte am meisten in Anspruch nimmt, auf die Methode
der innerlichen Darreichung von Quecksilber bei Syphilis zurückzu¬
greifen, die in Deutschland überhaupt wenig gebräuchlich und nur in
England und Frankreich wohl am längsten beliebt war. Aber auch
die französischen Ärzte bevorzugten in ‘den letzten Jahren die kom¬
binierte Quecksilber-Arsenbehandlung in Form der Enesolinjektionen,
auf deren Wert und Bedeutung neuerdings eine Broschüre aus Clin s
Laboratorien (Paris) wiederum hinweist.
Die Frage nach der Art und Weise der Anwendung des Queck¬
silbers, das nahezu als einziges Heilmittel gegen die Syphilis im Ge¬
brauche war und trotz Ehrlich-Hata seine Bolle noch lange nicht aus¬
gespielt hat, beschäftigte von jeher die medizinische Wissenschaft, und
die Ansichten waren seit einem Jahrhundert den mannigfachsten Wand¬
lungen unterworfen.
Man kann nicht sagen, daß eine Methode allein das Terrain
zu behaupten vermochte. So besitzt die Schmierkur neben ihrer unleug¬
baren Wirkung unzweifelhaft große Nachteile, unter denen die Un¬
zuverlässigkeit der Handhabung seitens des Patienten und die Un¬
sauberkeit der Anwendung in erster Reihe genannt werden dürfen. Aber
man vergegenwärtige sich doch, daß es bei der Einreibungskur möglich
ist, einzelne Depots des s 3 r philitischen Virus, als die man die Boseoien
und papulösen Effloreszenzen betrachten muß, in innige Berührung mit
dem Quecksilber zu bringen und so die Ansteckungsfähigkeit des Indivi¬
duums rasch zu beseitigen und für die Umgebung des Kranken die
Gefahr der Infektion herabzusetzen. Hinsichtlich der Bedingungen,
welche bei einer Schmierkur erfüllt sein müssen, damit man auf genügend
große, reichliche Resorption des Quecksilbers rechnen könne, verweise
ich auf A. Neisser: Die Einreibungskur. Volkmann’s Sammlung
Klinischer Vorträge. Nr. 199. Leipzig 1897.
Es ist mir nicht einleuchtend, daß dieser hervorragende Forscher in
jüngster Zeit die Schmierkur, mit der die älteren Ärzte selbst in
schweren Fällen sichere Erfolge aufzuweisen hatten, glaubt in Acht
und Bann tun zu müssen, wenn man auch zugeben muß, daß wir zurzeit
weit rationellere Methoden besitzen. Daß Neissers Anschauung auch
andere sich nicht bedingungslos anschließen können, geht aus einer
Arbeit von Max Loewenberg (Med. Klinik 1911. 19) hervor, der mit¬
teilt, daß in der Akademischen Klinik für Hautkrankheiten zu Düssel¬
dorf bezüglich der Quecksilberbehandlung die Einreibungskur nach wie
vor bevorzugt wird. In Mißkredit ist die Methode vielleicht auch des¬
halb gekommen, weil man der Inhalation des verdampfenden Queck¬
silbers, deren Wert von zahlreichen Forschern durchaus nicht unter¬
schätzt wird, die größte Wirkung glaubte zuschreiben zu müssen.
Beiläufig sei hier erwähnt, daß diese Methode, durch die Atmung
dem Organismus Quecksilber zuzuführen, in neuerer Zeit von Kro-
mayer (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 8, 1908) vervollkommnet wurde
und in geeigneten Fällen häufiger angewendet zu werden verdient.
Die Einreibungskur wurde durch die Spritzkur mit ihrer exakten
Dosierung des Medikaments und größeren Sauberkeit weit in den
Hintergrund gedrängt, und die letztere wird heute mit Recht als
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Zur iuternen Behandlung: der Syphilis, besonders mit Hg-Glidine. 91)3
sicherste und zuverlässigste Methode der Quecksi Iber zu fuhr
betrachtet.
Der Einreibungskur macht man den Vorwurf, daß wir nicht wissen,
wieviel von der grauen Salbe in den Körper aufgenommen wird. Aber
auch bei der Injektionskur ist es unsicher, wieviel von dem Quecksilber¬
depot in einem bestimmten Zeiträume resorbiert wird. Namentlich die
Resorption der unlöslichen Quecksilberpräparate findet nicht gleich¬
mäßig, sondern schubweise statt; der Körper wird bei der plötzlichen
Resorption gleichsam mit Hg überschwemmt, und es können schwere
Intoxikationserscheinungen auf treten. Nicht selten sind auch schmerz¬
hafte Infiltrationen nach Injektionen unlöslicher Salze, so daß die
Patienten auch in ihrer Beschäftigung gestört werden.
Abgesehen von der Behandlung der Kindersyphilis mit Sublimat¬
bädern. ist die Bädermethode als völlig unwirksam verlassen worden.
Die in Wasser gelösten Quecksilbersalze werden von gesunder Haut-
oberfläche nicht resorbiert, nur bei sehr großen Ulzerationen ist eine
etwas größere Hg-Absorption zu erwarten.
Die innerliche Medikation hat den großen Vorteil, daß sie äußerst
bequem ist und den Patienten in seiner Beschäftigung nicht hindert,
aber besonders ist es der Vorwurf, der innerlich verabreichten Queck-
silborpräparatcn gemacht wird, daß man nicht weiß, in welcher Menge
das Hg absorbiert wird und daß Reizungen des Magens und Darmkanals
veranlaßt werden. Vielen Ärzten erscheint es — mit Recht — zu be¬
denklich. dem Patienten ein keineswegs gleichgültiges Mittel in die
Hand zu geben, das ihn dazu verführt, sich einer sachgemäßen Kontrolle
zu entziehen, liegt doch die Gefahr vor, daß zu große Mengen ver¬
braucht werden und Intoxikation hervorgerufen wird.
Eine große Zahl von Mitteln ist für innere Quecksilberkuren emp¬
fohlen worden, von denen viele heute fast der Vergessenheit anheim¬
gefallen sind. Mit Vorliebe wird Protojoduretum hydrargyri (= Hvdrar-
gvrum jodatum, Queeksilberjodür) verordnet in Form von Pillen, denen
man meist, um Darmreizung zu verhindern, Extract. Opii hinzufügte.
Bin besonders hartnäckigen syphilitischen Hauterkrankungen erfreute
sich auch Hvdrargyrum bi jodatum in Verbindung mit Kal. jodat. eines
großen Rufes; die wenigen Male, in denen ich mich zu seiner Anwendung
entschlossen hatte, waren nicht geeignet, mich für diese Anwendungs-
form zu begeistern. Vielleicht wird die neuerdings empfohlene Dar¬
reichung in Form der Capsulae geloduratae besser vertragen.
Auch das von Lustgarten eingeführte Hydrargyrum tannicum
oxydulatum, das im Dünndarm zur Aufnahme gelangen soll, ruft zu¬
weilen heftige Kolikschmerzen hervor.
Am meisten bewährt hat sich das Kalomel, das zu den mildesten
Quecksilberpräparaten gehört und namentlich bei Kindern mit Vorliebe
angewendet wird.
An Stelle des Protojoduretum hydrargyri hat Kobert eine organi¬
sche Jodquecksilberverbindung, das Jodquecksilberhämol, vorgeschlagen;
es zeigt weniger Nebenwirkungen und wirkt wegen seines Eisengehaltes
auch tonisierend.
Es bedeutete einen großen Fortschritt, als die Chemische Fabrik
Riedel ein neues Arzneimittel, das Mergal, auf Grund umfassender
Prüfungen in den Handel brachte. Von der Erwägung ausgehend, daß
die Leber von allen Organen das Quecksilber am längsten und in größter
Menge aufspeichert, wurde ein Präparat hergestellt, welches, in den
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Organismus gebracht, die größte Affinität zur Leber, der Hauptablage¬
rungsstätte des Quecksilbers, hat: nämlich choisaures Quecksilberoxyd,
ein Präparat, bei welchem das Quecksilber an jene Säure gebunden ist,
die eich im Organismus normal vorfindet — Cholsäure ist ein Produkt
der Leberzellen,. Dem cholsauren Quecksilberoxyd wurde dann noch
als Adstringens Tannalbin zugefügt, um entzündliche Beizungen zu
verhindern, ein Vorzug vor den oben erwähnten Pillen mit Zusatz
von Opium, das den Organismus naturgemäß mehr belästigen muß.
Unter dem Namen „Mergal“ in elastischen Gelatinekapseln hat es sich
heute im Arzneischatz eingebürgert, und es genügt, auf die zahlreichen.
Veröffentlichungen hinzuweisen.
Nach den neueren Untersuchungen über die Wirkung des Queck¬
silbers im Organismus hat man die Auffassung, daß das Quecksilber
nicht in Form einer konstanten chemischen Verbindung — des Queck-
silberoxydalbuminates der älteren Autoren — zur Wirkung gelangt,
sondern in Formeines konstanten chemischen Zustandes, des Merkuriions.
Die biologische Wirksamkeit der verschiedenen Quecksilberpräparate
unterscheidet sich darin, wie sie lokal wirken (Ätzung, Eiweißfällung),
wie schnell sie in die Zirkulation gelangen und mit welcher Schnellig¬
keit ein Merkuriion bestimmte Konzentration erreicht. Das sind die
Faktoren, die für die therapeutische Verwendung ausschlaggebend sein
können. Es ist möglich, eine solche Form zu finden, die als eine geeignete,
langsam aktiv werdende Verbindung anzusprechen ist imd ohne
Schaden vom Organismus in solchen Mengen vertragen wird, die in
Form organischer Salze toxisch wirken.
Diese Versuche wurden von Professor Carl Neuberg (Therapeut.
Monatshefte 1908. 11.) an Tieren ausgeführt. Zu dem Vergleiche dienten
einerseits Sublimat HgCl 2 , und andererseits eine Quecksilbereiweiß
Verbindung, da man von diesen an sich schon eine geringe ätzende und
eiweißfällende Wirkung erwarten darf. Benutzt wurde ein an Pflanzen¬
eiweiß gebundenes Quecksilber, das von der chemischen Fabrik Dr. Klop¬
fer, Dresden-Leubnitz, unter dem Namen Hg-Glidine in den Handel
gebracht wird. Die von der Fabrik gelieferten Tabletten wogen durch¬
schnittlich im lufttrockenen Zustande 0,8420 g pro Stück und enthielten
0,0226 g Hg, während die Firma 0,02 g Hg angibt 1 ).
Das Präparat ist zum Teil in Wasser löslich, die Tabletten zer¬
fielen mit lauwarmem Wasser zu einer gleichmäßigen, feinen Sus¬
pension, die den Tieren durch eine Schlundsonde beigebracht wurde.
Zunächst erhielt Kaninchen I, das 2900 g wog, 2 Tabletten in
25 ccm Wasser, die es ohne weiteres vertrug.
Gleichzeitig erhielt Kaninchen H vom Gewichte 2840- g 3 Tabletten
in 25 ccm Wasser und
Kaninchen III, welches 3000 g wog, 4 Tabletten in 40 ccm Wasser.
Die Tiere bekamen ad libitum Kohl und Hüben zu fressen und waren
am nächsten Tage vollkommen wohl.
Nunmehr wurden sogleich denselben Tieren die doppelten Dosen,
d. h. 4. 6 und 8 Tabletten in 40 bezw. 50 ccm Wasser beigebracht..
Kaninchen II starb kurz nach der Sondeneinführung infolge einer
mechanischen Verletzung, die Tiere I und III blieben vollkommen ge¬
sund. Sie wurden noch einen Monat beobachtet, wobei die Ausscheidung
*) Die chemische Fabrik Dr. Klopfer hat die Dosierung des Hg-Glidine für
den Handel auf einen Gehalt von 0,005 g Hg in jeder Tablette herabgesetzt.
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Zur internen Behandlung der Syphilis, besonders mit Hg-Glidine. 995
des Quecksilbers mit dem Harn und mit den Fäzes kontrolliert wurde.
Bei allen Tieren war bereits nach 24 Stunden im Urin und Kot Queck¬
silber nachweisbar. Während es aus den Fäzes nach 4 Tagen ver¬
schwand, war es im Harn bei Kaninchen I noch am 8., bei Kaninchen III
noch am 15. Tage nach der Einführung per os nachweisbar. Es ist
also möglich, einem Kaninchen von 3000 g Gewicht auf einmal
8 X 0,0226 g = 0,1808 g Quecksilber und innerhalb zweier Tage
12X0,0226 g = 0,2712 g Quecksilber, an Eiweiß gebunden, beizu¬
bringen. Das ist pro kg 0,0904 g. Ob sich die Q.uecksilberrnenge in
Form der Eiweißverbindung pro dosi noch erhöhen läßt, konnte für das
Kaninchen nicht festgestellt werden, da es aus mechanischen Gründen
unmöglich ist, einem Kaninchen mehr als 8 Tabletten auf einmal per os
einzu verleiben.
Analoge Versuche am Hunde ergaben, daß ein Tier von 15,4 kg
Gewicht auf einmal 40 Tabletten = 0,9040 g Hg in 210 ccm Wasser
glatt per os verträgt; dagegen konnte ein gleichschweres Tier (15,1 kg
Gewicht) durch einmalige stomachale Verabfolgung von 65 Tabletten
= 1,4690 g Hg derart geschädigt werden, daß es seine Freßlust verlor
und nach 3 Tagen verendete. Im Vergleich hiermit ist die Giftwirkung
des Sublimates recht hoch. Ein Kaninchen von 3 kg Gewicht wird
durch Eingabe von 0,1 g Sublimat = 0,0738 g Hg getötet, ein Hund
von 15 kg erliegt der Wirkung von 0,55 g per os einverleibten Subli¬
mates, entsprechend 0,4059 g Hg.
Zur Eruierung des Verhaltens im Tierkörper hat auchPiorkowski
(Allgem. Med. Central-Zeitung 1909. 5. p. 59) einer Anzahl Kaninchen
Hg-Glidine per os einverleibt. Das Quecksilber wurde leicht resorbiert
und sowohl durch Urin wie Kot aus geschieden. Schon nach 20 Stunden
ließen sich die ersten Mengen nachweisen.
Nach so günstigen Ergebnissen im Tierversuch war ich bereit,
bei Syphilitikern das Mittel zu erproben, das uns Herr Dr. Klopfer
selbst zu Beginn des Jahres 1909 gelegentlich eines Besuches im Ost¬
krankenhause (dirig. Ärzte Prof. Kromayer, Dr. v. Chris mar) über¬
brachte. Meine Versuche wurden jedoch wenige Monate später, da ich
das Krankenhaus verließ, unterbrochen und erst im Dezember 1910
wieder aufgenommen, als die Firma sich bei mir nach den Resultaten
erkundigte.
Angewandt wurde Hg-Glidipe 1 ) in Tabletten, von denen jede 0,005 g
an Pflanzeneiweiß gebundenes Hg enthielt. Die Verordnung war: 2 bis
3 mal täglich 1—2 Tabletten, nach den Mahlzeiten zu nehmen.
Im allgemeinen wurde Hg-Glidine, selbst in großen Dosen, von den
Verdauungswegen gut vertragen, Koliken und Durchfälle kamen bei
geeigneter Diät fast gar nicht vor. Meist wurden Fälle des sekundären
Stadiums behandelt, mehrmals war ich in der Lage, das Präparat
sofort bei dem Auftreten einer Roseola zu verordnen; makulöse und papu¬
löse Exantheme blaßten rasch ab und verschwanden, die Leistendrüsen
verkleinerten sich. In einem Falle war sogar eine besonders günstige
“Wirkung auf den spezifischen Haarausfall wahrnehmbar. Ebenso heilten
Schleimhautgeschwüre und Kondylome, ohne daß eine spezifische Lokal-
“behandlung nötig war. Bei einer schwächlichen Frau mit einem Ulcus
cxuiris auf syphilitischer Basis, das zuvor mit Liq. Aluminii, Pulvern
i ) Für die Anwendung in der Praxis schlage ich die Bezeichnung „Hydrar-
glidin“ vor.
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996
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und Salben vergeblich behandelt worden war, wurde rasche Überhäutung
erzielt; bemerkenswert war, daß die Patientin trotz ärztlichen Abratens
fast 2 Monate hindurch täglich 6, zuweilen 8 Tabletten in übergroßer
Ängstlichkeit zu sich nahm und anstandslos vertragen hat. Eine Arbeite¬
rin, die seit kurzem gravide mit Papeln an den Genitalien in Behandlung
kam, erhielt nur Hg-Glidine; die völlige Abheilung der syphilitischen
Erscheinungen erfolgte ziemlich rasch, und nach zwei Monaten wurde
die Kur beendet, die Schwangerschaft bestand weiter, leider hat die
Patientin sich der weiteren Beobachtung bisher entzogen.
Selbstverständlich müssen auch bei der Hg-Glidine-Kur die
Patienten die üblichen Diätvorschriften beobachten und auf sorgfältige
Pflege des Mundes bedacht sein. Stomatitis wurde kaum beobachtet.
Man könnte einwenden, daß dieser Umstand gegen eine energische Queck¬
silberwirkung spricht. Aber man neigt heute doch mehr der Ansicht
zu, daß Hg nur in äußerst geringen Mengen durch die Speicheldrüsen
eliminiert wird und andere Ursachen für das Auftreten der Stomatitis
nachzuweisen sind.
Ob Hg-Glidine monatelang ohne Störungen genommen werden kann,
entzieht sich meiner Kenntnis, denn ich habe meist nach 4—6 Wochen
die Behandlung sistiert; die klinischen Erscheinungen gingen ungefähr
in derselben Zeit zurück, wie wir es bei anderen Methoden zu sehen
gewohnt sind, und die Dauer der Kur unterschied sich nicht wesent¬
lich von der einer Injektionskur. Bei den Fällen, die ich ausgewählt
hatte, bin ich auch niemals gezwungen gewesen, zu einer anderen Be¬
handlungsmethode überzugehen. Einige Patienten konnten bereits
während der Kur eine Zunahme des Körpergewichts feststellen.
Während der Behandlung erkrankte kein Patient mit
frischen syphilitischen Erscheinungen. Rezidive beobachtete ich
frühestens 3 Monate nach Beendigung der Behandlung. Es erscheint
mir daher nicht nötig, die Kur länger als auf 4—G Wochen durch¬
schnittlich auszudehnen.
Bei den unter meiner Kontrolle verbleibenden Patienten konnte
ich bedeutende Schwankungen hinsichtlich des Freibleibens von Rezi¬
diven feststellen, und ich meine, daß man einen rascheren Rückfall
durchaus nicht dem angewendeten Mittel zur Last legen darf, erleben
wir es doch, und nicht zum wenigsten in der Krankenhausbehandlung,
sehr häufig, daß Patienten trotz guter Injektionskur mit Hydrargyrum
salicylicum sehr rasch manchmal mit keineswegs leichten Rezidiven
schon nach Wochen uns wieder aufsuchen.
Scheinen nun auch«Rezidive nach meinen bisherigen Erfahrungen
nicht häufiger zu sein als nach anderen Kuren, so muß man doch
daran denken — und das ist ein wunder Punkt mancher literarischen
Mitteilungen —, daß ein Teil unserer Klientel aus der Privat- wie aus
der Kassenpraxis in andere Hände gelangt. Eine große Zahl der
Patienten, namentlich unserer großstädtischen Bevölkerung, sucht den
zuerst kosultierten Arzt nicht wieder auf, wir bleiben mithin über
deren Schicksal und den weiteren Verlauf der Erkrankung ganz im
unklaren. Es ist daher ein abschließendes Urteil vorläufig nicht zu
fällen und weitere Nachprüfungen an einem größeren Kranken¬
materiale wären sehr erwünscht.
Tertiäre Syphilide, Gummata der Haut und ähnliche schwerere
syphilitische Erscheinungen habe ich nicht mit Hg-Glidine behandelt,
hierfür scheinen mir besonders energische Kuren angezeigt, denn unsere
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Zur internen Behandlung der Syphilis, besonders mit Hg-Glidine.
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Kenntnisse über die Resorption des Quecksilbers vom Darmtraktus aus
sind doch zu mangelhaft, als daß man wagen könnte, in solchen Fällen
mit einem internen Antisyphilitikum auszukommen.
D<*n Einfluß der spezifischen Therapie auf den Ausgang der
"Wassermann’sehen Reaktion zu verfolgen, mußte ich mir aus äußeren
Gründen versagen, was aber wohl kaum allzu schwer ins (Gewicht fallen
dürfte, da sicherlich aus dem Verhalten der Reaktion zu weitgehende
Schlüsse gezogen werden. Der diagnostische Wert dürfte wohl von
keiner Seite bestritten werden, für die Therapie sind wir noch immer
auf empirische und klinische Tatsachen angewiesen und keineswegs
wird sich das Gros der Praktiker entschließen, die Behandlung fort¬
zusetzen, wenn trotz energischer Therapie die Wassermann’sehe Reak¬
tion nicht negativ geworden sein sollte. Der positive Befund in der
Latenzperiode soll kein Anlaß zu erneuter Behandlung sein. Anderer¬
seits sind Fälle bekannt geworden, bei denen der zeitweilig negative
Ausfall der Reaktion durchaus nicht vor schweren Rezidiven geschützt
hat, selbst eine während der Behandlung negativ gewordene Reaktion
ist, wie Buschke beobachtet hat, noch während der Behandlung wieder
positiv geworden. Für das Verhalten in der Praxis muß daher erst
noch weitere Klarheit geschaffen werden.
Die Herxheimer’sche Reaktion — jene charakteristische Reak¬
tion der syphilitischen Roseola nach Hg-Darreichung — habe ich nicht
beobachtet. Ob daraus der Schluß gezogen werden darf, wie Welander
anzunehmen geneigt ist, daß ein Mittel nicht rasch genug in großer
Menge in die Blutbahn auf genommen wird, muß ich dahingestellt sein
lassen. Auch über das Wesen der Reaktion sind die bisherigen Theorien
widerspre chend.
Konnte man auch an einer günstigen Einwirkung auf die klinischen
Erscheinungen nicht mehr zweifeln, so lag mir doch daran, durch exakte
Bestimmungen der Qecksilberausscheidung im Urin über die Resorp¬
tionsverhältnisse näheren Aufschluß zu erlangen. Zwar sind die Nieren
nicht der einzige Ort für die Ausscheidung des Quecksilbers, neben dem
Harn kommen auch Fäzes, Sputum und Schweiß in Betracht, aber für
eine so große Reihe von Untersuchungen standen mir weder die er¬
forderlichen Mittel noch geeignete Laboratorien zur Verfügung, und
außerdem ist für die Schnelligkeit der Resorption das Erscheinen des
Hg im Urin ein guter Indikator. Dank dem liebenswürdigen Entgegen¬
kommen des Herrn Geheimrat Zuntz wurden in der Königlichen Land¬
wirtschaftlichen Hochschule die Urinuntersuchungen ausgeführt. Der¬
artige Untersuchungen sind bereits in größerem Umfange von Biirgi
(Arch. f. Dermat. Bd. 79. 1906) und Welander (ibid. Bd. 82. 1906)
vorgenommen worden.
Abweichend von den bisher gebräuchlichen Methoden ist das Queck¬
silber nach Zerstörung der organischen Substanz mit rauchender Sal¬
petersäure und konz. Schwefelsäure als Schwefelquecksilber durch
Wägen bestimmt worden. Die Methode hat den Vorzug, in den einzelnen
Manipulationen einfacher zu sein und ist zum ersten Male von Conrad
Sie her t nach Versuchen im chemischen Laboratorium des Kgl. physio¬
logischen Instituts zu Breslau beschrieben worden (Biochemische Zeit¬
schrift. 25. Bd. 4. u. 5. Heft. p. 328).
Bei der Auswahl der Patienten, deren Urin zur Untersuchung
benutzt werden sollte, achtete ich besonders darauf, daß sie früher noch
nie mit Quecksilber behandelt worden waren. In Anbetracht der ambu-
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998 M. Lewitt, Zur internen Behandlung der Syphilis, besonders mit Hg-Glidine.
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lanten Behandlung war es keineswegs leicht, geeignete Individuen aus¬
zuwählen, die in der Lage waren, den gesamten Urin von 24 Stunden
aufzusammeln. Oft blieb die Tagesmenge unter dem üblichen Durch¬
schnitt, so daß vermutlich ein Teil durch Unachtsamkeit u. a. verloren
gegangen war. Man kann daher die gefundenen Zahlen eher wohl als
zu niedrig betrachten. Im übrigen gewinnen diese Zahlen nur im Zu¬
sammenhang mit der klinischen Beobachtung an Wert, und wir wollen
im folgenden etwas näher darauf eingehen.
Die Urinuntersuchungen ergaben stets eine zu der verabreichten
Dosis Hg-Glidine proportionale Menge Quecksilber, so daß man von
einer gleichmäßigen Besorption des Quecksilbers sprechen kann. Auf¬
fallend war, daß bei einer Versuchsperson, bei der allerdings Neigung
zu Obstipation bestand, nach 5tägigem Gebrauch von 3 Tabletten pro
die — also einer minimalen Dosis — noch kein Quecksilber im Urin
nachzuweisen war, während in einem analogen Falle bei einem offenbar
gut funktionierenden Darmtraktus „Spuren“ verzeichnet sind. Wählend
der Kur bleibt die Ausscheidung auf annähernd gleicher Höhe und sinkt,
sobald die Dosis herabgesetzt wird. Es wurden z. B. im Urin folgende
Zahlen gefunden: Täglich 4—6 Tabletten (ä 0,005 g Hg): Gewogen
0,0047 g HgS = 0,00398 g Hg. Täglich 6—8 Tabletten (ä 0,005 g Hg):
Gewogen 0,0072 g HgS — 0,0062 g Hg. Bei geringerer Dosierung: Ge¬
wogen 0,0064 g HgS — 0,0055 g Hg, Gewogen 0,0042 g HgS = 0,0035 g Hg.
An einzelnen Tagen war eine besonders starke Ausscheidung zu be¬
merken. Trotzdem tagelang bereits die Dosis herabgesetzt war, stieg in
einem Falle die Hg-Menge wie folgt: Gewogen 0,0080 g HgS = 0,0069 g Hg.
Das läßt die Deutung zu, daß es ebenso wie bei Injektionskuren zu einer
plötzlichen Massenresorption mit ihren unangenehmen Nebenwirkungen
kommen kann.
Nachdem die Behandlung in einem Falle vier Wochen gedauert
hatte, wurden am Ende der 5. Woche, also acht Tage nach Aussetzen
des Mittels,folgende Zahlen gefunden: Gewogen 0,0025gHgS=0,0021 gHg.
Nach weiteren zwei Wochen waren nur noch Spuren Hg zu findenl
Hier finden wir also einen auffallenden Gegensatz zu der langen Rema¬
nenz bei Injektionskuren.
Zusammen fassend ergeben die bisherigen Beobachtungen, daß
die toxischen Eigenschaften von Hg-Glidine durch die organische Bin¬
dung wesentlich herabgesetzt sind und daß es neben Mergal zu den "wirk¬
samsten und empfehlenswertesten Mitteln für eine innere Quecksilberkur
gerechnet werden darf, während alle anderen Präparate mehr oder minder
den Nachteil haben, daß sie zu leicht Koliken, Enteritis und Darm¬
blutungen als recht lästige Nebenwirkungen des Quecksilbers hervor-
rufen. Nach wie vor werden wir der Injektions- oder Einreibungskur
entschieden vor der internen Behandlung den Vorzug geben, denn sie
üben eine nachhaltigere Wirkung aus, wie die Urinuntersuchungen
oben gezeigt haben. Es bleiben aber immer noch Fälle genug übrig,
bei denen die innere Behandlung ihren Platz behauptet. So ist zuweilen
z. B. bei schwächlichen Frauen und Kindern die Injektionskur nicht
durchführbar, oder bei Personen, die mit Lichen pilaris behaftet sind,
ist das Eindringen der Quecksilbersalbe ungemein erschwert.
Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Schmierkur, falls sie
nicht einem geschulten Masseur übertragen wird, von den Kranken
selten gewissenhaft ausgeführt wird und die Injektionen zuweilen auch
ihre Schattenseite haben, so wird man in einer Zahl von Fällen seine
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
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Zuflucht zu einem internen Antisyphilitikum nehmen müssen. Nament¬
lich sind es reisende Kaufleute, die fast täglich den Aufenthaltsort
wechseln oder zu früh eine begonnene Kur haben unterbrechen müssen,
bei denen die innerliche Darreichung von Quecksilber die bequemste
Anwendungsform ist. Und diese bequeme sowie diskrete Anwendung
des Mittels ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber einer
eventuellen un gleich mäßigen Wirkung, auf die wir bei dem individuell
verschiedenen liesorptionsvermögen des Darmes gefaßt sein müssen.
Bei weniger intelligenten Kassenpatienten wild man nicht das volle
Vertrauen haben zu ihrer Gewissenhaftigkeit, eine Schmierkur sorg¬
fältig durch zu führen, oft wird es ihnen vielleicht durch ihre Umgebung
erschwert, der sie den Charakter der Krankheit verheimlichen müssen.
Hier kann sich meines Erachtens der Arzt die zeitraubende Unter¬
weisung ersparen und die innerliche Anwendung bevorzugen.
Weiter lehren die oben angeführten Urinuntersuchungen, daß es
eine Reihe von Tagen dauert, ehe Hg im Urin nachzuweisen ist. Sollte
es da nicht angebracht sein, Hg-Glidine in kleineren Dosen — etwa
täglich 2—3 Tabletten — zu verordnen, wenn bei einer Injektionskur
Stomatitis auf getreten ist und man zu einer Unterbrechung der Kur
gezwungen ist? Dies hat den Vorteil, daß die Quecksilberzufuhr nicht
ganz auf hört, ohne daß bei der langsamen Resorption eine Über¬
schwemmung des Körpers mit Hg zu befürchten ist.
Nichts hindert uns, in Zukunft bei frischen Fällen von Syphilis
zuerst einen Versuch mit der Salvarsanbehandlung zu machen und,
da sich die Hoffnung auf eine Therapia magna sterilisans durch eine
einmalige Injektion als trügerisch erwiesen hat, sofort eine interne
Quecksilberkur folgen zu lassen. Bei dieser kombinierten Behandlung
dürfte man vielleicht am besten den modernen Anschauungen gerecht
werden. Das Quecksilber erweist sich als wirkungsfähig erst nach
dem Erscheinen allgemeiner Symptome, diesen langen Zeitraum der
Latenz darf man aber nicht mehr ungenützt verstreichen lassen ange-
sichls der Tatsache, daß Ehrlieh-Hata 606 ein ausgesprochen spiro¬
chätentütendes Mittel ist und die Fortschritte der Diagnostik uns heute
in den Stand setzen, so frühzeitig als möglich die syphilitische An¬
steckung zu erkennen.
Wird aber Hg-Glidine unter solchen Kautelen angewandt, so wird
man sicherlich keine Enttäuschung erleben, und ich trage keine Be¬
denken, seine Einführung in die Praxis für eine Bereicherung des
Arzneischatzes zu halten.
Äutoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Über das neue Abführmittel Aperitol-Riedel.
Von Dr. E. Lustwerk.
Jedem Arzt ist es zur Genüge bekannt, welche undankbare Auf¬
gabe es ist, habituelle Verstopfung zu behandeln. Wer weiß es nicht,
wie wir bei solchen Individuen mit Laxantien varieren müssen, weil sie
bei längerem Gebrauch meist schlecht vertragen werden und sehr oft
Magen-Darmstörungen sowie starke Schmerzen hervorrufen! Wir müssen
bald dieses bald jenes Medikament unseres Arzneischatzes zur Hilfe
nehmen, da wir fast niemals im Stande sind, mit einem Laxans die Grund-
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1000
Referate und Besprechungen.
Ursache des gegebenen Leidens zu beseitigen, obwohl dies das Ideal
unserer Kuren sein müßte. Daher sind wir auch genötigt, in allen
solchen Eällen symptomatisch einzugreifen. Wir wollen keine Worte vei%
lieren über die Ätiologie dieser krankhaften Erscheinungen, über die
Unzweckmässigkeit der Lebens- und Ernährungsweise unserer Kranken,
über die funktionellen Anomalien und organ. Erkrankungen des Magens
und Darmes, welche die chemische Verarbeitung des Magen- und Darm¬
inhaltes verhindern. Selbst den Profanen in der Medizin ist die Ursache
eines „schwachen Magens“ bekannt, sie wissen, welche bedeutende Rolle
hierbei z. B.“ schlechte Zähne“ spielen, ungenügendes Kauen der Speise,
zu geringes Bespeicheln und zu rasches Verschlucken derselben etc., ohne
sie vorher im Munde in kleinste Teilchen zu verkleinern.
Obwohl gegenwärtig in der Pharmakotherapie ein ganzes Heer
von himmelhoch gelobten spezifisch wirkenden Abführmitteln angeführt
wird, über deren Wert resp. Unwert wir uns kein richtiges Urteil bilden
können, so ist es doch doppelt erfreulich, ein Mittel zu besitzen, welches
allen Anforderungen, die an ein brauchbares absolut unschädliches Ab¬
führmittel zu stellen sind, gerecht wird, d. h. keine Schmerzen verur¬
sacht und Nebenerscheinungen sowie Idiosynkrasien nicht hervorruft.
Als ein solches darf mit Recht Aperitol-Riedel genannt werden, in welchem
das abführende Prinzip, das Phenolphtalein, mit der Isovaleriansäure
chemisch verbunden ist. Aperitol ist indiziert in allen Fällen, wo Ab¬
führmittel längere Zeit zur Anwendung kommen müssen, denn es ruft
selbst bei längerem Gebrauch keine Gewöhnung hervor, ja, das Aperitol
hat den großen Vorzug vor anderen Laxantien, daß man bei gleich¬
bleibender Wirkung allmählich die Dosis heruntersetzen kann. Bei einer
Reihe von Patienten erfolgen sogar noch lange Zeit nach Aussetzen des
Aperitol regelmäßige Darmentleerungen, sodaß in gewissem Sinne von
einer Dauerwirkung gesprochen werden kann. Dieses absolut unschädliche
und mild wirkende Medikament ist berufen, ich nehme es an, ohne den
Tadel der Übertreibung auf mich zu laden — als Panace unter der
Zahl derjenigen Abführmittel zu erscheinen, die ohne Gefährdung der
Gesundheit allen Patienten, denen mehr oder weniger stark wirkende
Abführmittel nicht verordnet werden dürfen, eingegeben werden können,
so z. B. .Nephritikern, bei subacuter Nephritis, kurz überall in den Fällen,
wo die Magen-Darmschleimhaut geschont werden muß.
Schließlich wird Aperitol nicht nur in Tablettenform hergestellt,
sondern es ist auch in Form von Fruchtbonbons erhältlich, die sich be¬
sonders in der Frauen- und Kinderpraxis vorzüglich eingeführt haben.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Barton Lisle Wright u. Roscoe W. King (Colorado), Die zeitigen Blut¬
elemente in der Tuberkulose. (The amer. journ. of the med. scienc., Juni 1911.)
Die Blut Untersuchung in der Tuberkulose sollte mit den anderen Unter¬
suchungen Hand in Hand gehen, weil man sich sonst eines wesentlichen Merk¬
mals zur Beurteilung des Zustandes des Kranken begibt. 1. In unkomplizierten
Fällen ist die Durchschnittszahl der roten Blutkörper normal oder darüber,
außer kurz vorm Tode. 2. Der durchschnittliche Hämoglobingehalt beträgt
85% außer kurz vorm Tode. 3. Die roten Zellen zeigen eine vermehrte Resi¬
stenz gegen die hämolytische Wirkung der Salzlösungen, und zwar gewöhnlich
um so mehr, je weiter die Krankheit vorgeschritten. 4. Diese Resistenz
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Referate und Besprechungen.
1001
wird wahrscheinlich diagnostisch wertvoll. 5. Die Prognose verschlechtert
sich mit dem Fallen des hämolytischen Index. 6. Häm. Index und Lympho-
zytenprozentverhältnis stehen in Beziehung zueinander in bezug auf die
Prognose. 7. Das Total der Weißen wächst mit dem Fortschreiten der Krank¬
heit. 8. In unkomplizierten Fällen kann das Stadium ziemlich genau nach
dem Total der Weißen bestimmt werden. 9. Die polymorphonuklearen Neu¬
trophilen haben nur wenig phagozytische Kraft. 10. Ein hoher Polymorpho-
nuklearprozentsatz gibt eine schlechte Prognose. 11. Sehr wahrscheinlich
sind die Lymphozyten bezeichnenderweise phagozytisch in der Tuberkulose.
12 . Positive Beweise für Besserung sind: a) Abnahme der Weißen, b) Fallen
des polymorphonuklear-Prozentsatzes, c) Zunahme des hämolytischen Index,
d) Zunahme des lymphozytischen Prozentsatzes. Peltzer.
Moszeik (Weimar), Zur Tuberkuloseprophylaxe. (Deutsche medizin.
W ochenschr., Nr. 27, 1911.) Der Auswurf der Tuberkulösen bedeutet be¬
kanntlich eine große Gefahr für die Umgebung. Zur sicheren und bequemen
Beseitigung des Sputums hat Moszeik von der Fa. Felix Spandau &
Co. in Berlin- Moabit, Spenerstraße 5, Spucktüten anfertigen lassen,
die 10 cm lang und 6 4 / 2 cmi breit sind und deren Ränder so zugeschnitten
sind, daß man sie nach dem Gefühl öffnen kann. Die Tüten sind aus festem
Papier hergestellt, man kann auf sie treten, ohne daß sie platzen. Der Preis
ist sehr niedrig, er beträgt für 10000 Stück 14 Mark, so daß sich also bei
einem Gebrauch von 20 Tüten pro Tag die Kosten auf noch nicht 3 Pfennige
den Tag belaufen. F. Walther.
Pawlowsky (Kiew), Über die Immunisierung gegen die Tuberkulose
und ihre Serumbehandlung. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17, H. 1, S. 1,
1911.) Auf Grund umfangreicher Literaturstudien und zahlreicher Versuche
an Meerschweinchen, Kaninchen, Hühnern, Schildkröten, Ziegen und Pferden
kommt Verfasser zu dem Ergebnis, daß die passive Immunisierung — die
Applikation von Serum immunisierter Tiere — bisher weniger Erfolg ver¬
spreche als aktive mit Tuberkulin. Da nach seiner Ansicht die wirksame
Substanz in den Leibern der Tuberkelbazillen enthalten ist, so müßte ,,der
gesamte, vollkommen ausgetrocknete und verriebene Körper des Bazillus,
bei idealer Behandlungstechnik, d. h. bei vorsichtiger, langsamer und all¬
mählicher Anwendung der Heilsubstanz, ohne Fieberreaktion der Gegenstand
weiterer Forschungen und Versuche sein“. v. Homeyer (Berlin).
Joh. v. Szaböky, Über den diagnostischen und prognostischen Wert
der Kusso’schen Methylenblaureaktion bei Tuberkulose. (Zeitschr. für Tuber¬
kulose, Bd. 17, H. 3, S. 261, 1911.) Die Untersuchungsmethode von Kusso
besteht darin, daß man zu 4—5 ccm Urin, 4—5 Tropfen einer l%o Methylen¬
blaulösung zusetzt; bei positiver Reaktion tritt nach dem Schütteln eine
smaragdgrüne Färbung auf, bei negativer bleibt die Farbe blau. Ähnlich
wie bei der Diazoreaktion, nur nicht in so hohem Prozentsatz, be¬
deutet eine konstante positive Methylenblaureaktion bei Lungentuberkulosen
eine schlechte Prognose. Fast alle Phthisiker mit positiver Reaktion —
auch im 1. und 2. Stadium — starben innerhalb eines Jahres, die Hälfte
sogar schon nach 2—5 Monaten, während die Tuberkulösen mit negativer
Reaktion noch nach 2—3—3 1 /* Jahren lebten. Verfasser hält die Methylen¬
blaureaktion für fast ebenso wertvoll wie die Diazoreaktion; ihre Ein¬
führung in die Praxis erscheint ihm gerade wegen ihrer Einfachheit an-
gezeigt. v. Homeyer (Berlin).
C. Hirsch (Göttingen), Über Organtherapie. (Ther. Monatsh., Juli
1911.) Die schematische Behandlung der Fettsucht mit Schilddrüsensub¬
stanz ist abgelehnt worden. In neuerer Zeit werden günstige Erfolge bei der
schmerzhaften Adipositas, der Derkum’schen Krankheit berichtet. In der
Dermatologie haben sich die Erwartungen, die man auf Grund der Er¬
fahrungen beim Myxödem hegte, nicht erfüllt. Dagegen soll die Gerinn¬
barkeit des Blutes bei Hämophilen wesentlich gesteigert werden durch Dar¬
reichung von Schilddrüsen. Die Behandlung der nicht Basedowschen Struma
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1002
Referate und Besprechungen.
(der Struma aus Arbeitshypertrophie gegen giftige, im Trinkwasser ent¬
haltene Substanzen) mit Schilddrüsenpräparaten ist im allgemeinen nicht zu
empfehlen. Die Erfolge sind die gleichen wie bei Jodtherapie. Beide
Methoden bedürfen aber wegen der Gefahr des Hyperthyreoidismus der ärzt¬
lichen Überwachung. Da Störungen des Knochenwachstums und der Ossi¬
fikation am wachsenden Organismus zu den thyreopriven Erscheinungen ge¬
hören, hat man Schilddrüsenpräparate bei verzögerter Frakturheilung mit
Erfolg versucht. Dagegen erscheint der Erfolg der Schilddrüsenbehandlung bei
Migräne oder gar bei Eklampsie ebenso fraglich wie die Idee Horsley’s,
die Alterskachexie mit einer Alteratrophie der Schilddrüse in Zusammen¬
hang zu bringen. Bei der Eklampsie ist man vielmehr zu der Anschauung
gelangt, daß es sich um die Folgen eines Eindringens fötaler Eiweißstoffe
in den mütterlichen Organismus handelt. Diese Anschauung hat jedenfalls
eine sicherere Grundlage als die „mammäre“ Hypothese, die neben der früh¬
zeitigen Anwendung von Mammintabletten sogar die radikale Entfernung
der Mammae empfiehlt. Die Parathyreoidenextrakte hat man nicht nur bei
Tetanie, sondern auch bei den verschiedensten Nervenaffektionen versucht;
jedoch ist auch bei der postoperativen Tetanie die Wirkung von Schilddrüsen-
Präparaten besser als die von Nebenschilddrüsenextrakten. Die Ergebnisse
der Pankreastherapie bei Diabetes sind nicht befriedigend; an der Glv-
kosuric änderte sich nichts. Bei Addison’scher Krankheit hat die Substi¬
tution von Nebennierenpräparaten völlig versagt. S. Leo.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
P. Grosser u. A. Dessauer (Frankfurt a. M.), Über die diagnostische
Bedeutung fühlbarer Kubitaldrüsen bei Kindern. (Mtinchn. med. Wochen¬
schrift, Nr. 21, 1911.) Bei über 1800 Kindern wurde die Kubitallymph-
drüse systematisch palpiert. Bei Säuglingen war sie in 66% der Fälle
von hereditärer Lues geschwollen, aber auch in über 40% der schweren
Fälle von Rachitis, viel seltener bei anderen Affektionen, so daß die Schwel
lung dieser Drüsen für die Diagnose der hereditären Lues mit verwertet
werden kann. Anders ist es bei Kindern von über einem Jahr. Nur 28,6%
der hereditär luetischen zeigte geschwollene Kubitaldrüsen, ebenso ein fast
gleich hoher Prozentsatz von tuberkulösen und rachitischen Kindern.
R. Isenschmid.
A. B. Marfan (Paris), Höhenkur bei Säuglingsekzemen. (Bull, med.,
Nr. 43, S. 477—479, 1911.) Säuglinge werden zuweilen von ausgedehnten,
stark juckenden, hartnäckigen Ekzemen gequält, die ihnen den Schlaf rauben
und sie in ihrer Entwicklung stören. Der Zufall fügte es, daß solch ein
Säugling, welchen Marfan lange vergeblich behandelt hatte, von seiner
Mutter mit nach St. Moritz genommen wurde; und schon nach 8 Tagen war
Besserung eingetreten, welche allmählich in völlige Heilung überging. Auch
nach der Rückkehr nach Paris blieb der Erfolg bestehen.
Diese zufällige Beobachtung veranlaßt^ den berühmten Kinderarzt,
auch andere Säuglinge mit solch verzweifelten Ekzemen ins Hochgebirge
zu schicken; immer trat völlige Heilung bzw. wesentliche Besserung ein.
Auch andere Ärzte von Ruf: B r o c q und G u i n o n, sowie Regnard haben
die gleichen Erfahrungen gemacht.
Höhen von 1000—1500 m genügen, höher braucht man nicht zu gehen,
obwohl Säuglinge auch dieses Klima gut vertragen. Das Wesentliche an der
Kur ist das Höhenklima; Aufenthalt auf dem Lande oder an der See beein¬
flußt die Ekzeme zwar auch günstig, aber langsam, und bei weitem nicht
so vollständig. Eine Erklärung, wie diese Heilwirkung zustande kommt,
vermag Marfan nicht zn geben. Buttersack (Berlin).
Taillens (Lausanne), Höhenkuren für Säuglinge. (Bullet, med., Nr. 49,
S. 533. 1911.) Vor kurzem hat Marfan darauf hingewiesen, daß ganz
rebellische Ekzeme bei Säuglingen überraschend schnell verschwinden, wenn
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Referate und Besprechungen.
1003
die kleinen Pat. für einige Wochen nach Höheuorten von 1000—1500 m ge¬
bracht werden. Nun teilt Taille ns analoge Heilwirkungen des Höhen¬
klimas auf Verdauungsstörungen mit. Ob die Heilung der Ekzeme, wie T.
meint, durch Besserung der Digestion zustandekommt oder ob andere Be¬
ziehungen zwischen den beiden herrschen, ist zunächst gleichgültig; die Tat¬
sachen an sich sind wertvoll genug. Buttersack (Berlin)-
Augenheilkunde.
Moreau (St. Etienne), Heilung eines Blindgeborenen. (Soc. frang.
d’ophtalmologie, Mai 1911. — Bull, med., S. 483, 1911.) Moreau hat ein
Kind von 8 Jahren operiert, welches an doppelseitigem Katarakt litt, und
nur ganz schwache Lichtempfindungen besaß. In den ersten Tagen nach der
Operation war das Kind buchstäblich verwirrt durch die vielen neuen Ein¬
drücke; es machte gar keinen Versuch, dieselben zu deuten und zu verstehen,
und man mußte lange und mit großer Geduld das Kind in dieser Richtung
erziehen. Zuerst lernte es hell und dunkel unterscheiden, dann die Umrisse
von Gegenständen, welche ihm schon vorher durch das Tastgefühl bekannt
waren. Das Verständnis für Formen im allgemeinen entwickelte sich erst
lange nach dem Farbensinn. Jetzt gebraucht das Kind seine Augen wie ein
Normaler; aber Moreau glaubt, daß es ohne die sorgfältige Erziehung
seine Augen nicht gebrauchen, sondern sich nach wie vor auf seine andern
Sinne verlassen würde. Buttersack (Berlin).
H. Davids (Münster i W.), Über Augenerkrankungen nach Salvarsan-
behandlung. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 13, 1911.) Daß man bei
Behandlung der Syphilis mit Salvarsau auf Augenerkrankungen Obacht
geben muß, ist bei der Möglichkeit ■einer Giftwirkung von den verschiedensten
Autoren gefordert worden. Davids berichtet nun über einen Fall, wo
bei einer Patientin mit vorher gesunden Augen zwei Tage nach der intra¬
muskulären Injektion eine beiderseitige Iritis und zugleich stärkeres Hervor-
treten der Herxheimer’schen Reaktion auftrat. Diese unangenehmen Neben¬
erscheinungen verschwanden zusammen mit den syphilitischen Erscheinungen,
nur die Iritis rezidivierte, um nach einer intravenösen Injektion rasch zu
verschwinden. Diese Erscheinungen sind vermutlich als echt luetische auf¬
zufassen und auf eine zu schwache Injektion zurückzuführen. F. Walther.
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
E. Hesse (Düsseldorf), Jodival in der Luestherapie. (Deutsche med
Wochenschr.. Nr. 10, 1911;) Um eine besondere Wirkung auf ein bestimmtes
Gewebe des Körpers ausüben zu können bzw. um in diesen Geweben zur
Geltung zu kommen, muß ein Medikament eine bestimmte Affinität zu diesen
Teilen des Organismus besitzen. Die Bedeutung einer solchen Steuerungs-
therapie ist erst in letzter Zeit erkannt, worden.
Soweit die pharmakologischen Untersuchungen Schlüsse für unsere
Therapie zulassen, scheint das neurotrope Jodpräparat Jodival in dieser
Hinsicht einen Schritt vorwärts in der Syphilistherapie, insbesondere soweit
sie die Verhütung der direkten Nervensyphilis und der eigentlichen meta-
syphilitischen Erkrankungen bezweckt, zu bedeuten. Das Präparat zeigte
in der Luestherapie eine gute Jodwirkung und hat den besonderen Vorzug,
vom Magen vorzüglich vertragen zu werden. Dabei ist zu betonen, daß dos
Jodival eine ebenso energische Wirkung wie die anorganischen Jodsalze be¬
sitzt. so daß man bei völliger Schonung des Magens die Symptome einer
kräftigen Jodwirkung, Jodschnupfen usw. durch eine etwas gesteigerte Dosis
leicht erreichen kann. Dieses absolute Fehlen jeglicher Magenstörung findet
seine Erklärung in der chemischen Eigenschaft des Jodivals, im Speichel
wie im Magensaft kein Jod abzuspalten. Erst im alkalischen Darmsafte wird
das Jodival gelöst und resorbiert.
84*
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1004 Referate und Besprechungen.
Auffallend erschien die Wirkung des Jodivals in einem Fall von plötz¬
lich auf tretender Fazialislähmung bei einer an Lues leidenden Patientin.
Unter Jodivalmedikation ging die Lähmung in sechs Tagen zurück. Der
außerordentlich schnelle Rückgang der Lähmung in sechs Tagen erscheint
zum mindesten sehr auffallend. Da selbst leichte Paresen fast immer 14 Tage
zur Rückbildung gebrauchen, darf man den Erfolg wohl mit einer gewissen
Wahrscheinlichkeit auf das neurotrope Jodival zurückführen.
Abgesehen von einem schweren Falle von maligner Syphilis zeigte sich
bei ulzerösen Syphiliden prompter Rückgang der Geschwüre, wie man es
sonst bei Jodkalimedikation zu sehen gewohnt ist. Einige Fälle von ulze-
rierten Gummen gingen nur langsam und bei entsprechender Lokalbehandlung
zurück. Zweifellos wird man künftig in solchen nur langsam auf Jod reagie¬
renden Fällen zum Salvarsan greifen, und dann ev. eine Jodkur anschließeu.
Denn nur wenn man mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Kampf
gegen die Lues führt und auch den kleinsten Rest von Virus im Körper zu
vernichten trachtet, kann man hoffen, den Patienten vor den schweren meta-
syphilitischen Erkrankungen zu bewahren. Welche Rolle dabei dem zum
Teil nach dem Zentralnervensystem dirigierten Jod des «Jodivals zuzuschreiben
ist, können erst langjährige Erfahrungen lehren. Immerhin dürfte das
Jodival mit seiner ausgesprochenen Neuro tropie ein willkommenes Jod-
präparat sein, um so mehr ahs es neben hohem Jodgehalt, 47%> sich klinisch
wirksam und frei von Nebenwirkungen auf den Verdauungstraktus gezeigt
hat. Neumann.
Gaucher, Levy-Fränkel und Dubosc, Seltene Sitze des Primäraffekts.
(Gaz. med. Je Paris, Nr. 90, S. 126, 1911.) Bei einer Köchin von 26 Jahren
fand sich der (lange verkannte) Primäraffekt über dem Deltoideus, bei einer
48jährigen Frau vor dem linken Ohr. Wie das Virus bei der ersteren auf
die Schulter gelangte, blieb unaufgeklärt; bei der zweiten Schwerhörigen
dürfte es sich um eine Tröpfcheninfektion seitens einer laut und nahe dem
Ohr sprechenden Persönlichkeit gehandelt haben. Buttersack (Berlin'.
Medikamentöse Therapie.
Th. Knapp (Basel),' Der Einfluß von Guajakolderivaten auf die Aus¬
scheidung der Glukuronsäure. (Schweiz. Wochensehr, für Chemie u. Pharm.,
Nr. 17, 1911.) Die unangenehmen Eigenschaften des reinen Guajakols, Ätz¬
wirkung und schlechter Geschmack, haben zu neuen Körpern geführt, die
Guajakol enthalten, es aber erst im Organismus abspalten. Wirksame Gua-
jnkolpräparate müssen im Organismus chemische Verändernngeu erleiden,
welche darauf hindeuten, daß ein Molekül gesprengt und der Guajakol-
bestandteil zur Wirkung gelaugt ist. Die Bestimmung der Ätherschwefel-
säurc und Glukuronsäure im Harn gestattet, da das Guajakol an diese ge¬
bunden erscheint, einen genauen Vergleich des zur Wirkung gelangten Gua¬
jakols und somit des Wertes der verschiedenen Guajukolpräparate.
Das Guajakolkarbonat ist als sehr schlechtes Guajakolpräparat zu be¬
zeichnen, da von großen Dosen nur ein kleiner Teil resorbiert wird. Die
Hauptmasse durchwandert den Darm unverändert.
Der Guajakolzimtsäureäther, das Stvrakol, zerfällt im Organismus
außerordentlich rasch und vollständig. Am Tage nach der Einnahme ist be¬
reits die ganze Menge aus dem Körper verschwunden.
Guajakolsulfosaures Kali: Die üblichen medikamentösen Dosen, 0,6 g
pro die, vermögen keine Vermehrung der Glukuronsäure hervorzubringeu;
sic lösen im Organismus keine Reaktion aus, sind daher unwirksam und
wertlos. Der Guajakolglyzerinäther ist eine außerordentlich reaktionsfähige
Substanz, die ebenso wie das Stvrakol und das Guajakolkarbonat stark fäul¬
nishemmende Eigenschaften besitzt, ohne daß im Verdauungsgemische freies
Guajakol nachzuweisen wäre.
Bei den hohen Dosen, die zu diesen Experimenten erforderlich waren,
ließen sich leichte Vergiftungserscheinungen konstatieren. Diese äußerten
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Referate und Besprechungen.
1005
sieh in Frösteln, Tempernturerniedrigung, Unbehaglichsein, oft verbunden
mit leichtem Schwindelgefühl und unruhigem Schlaf. Diese Erscheinungen
waren sehr auffallend beim Styrakol und dem Guajakolglyzerinäther. Beide
Präparate treten im Organismus prompt in Aktion. Das Guajakolkarbonat
wird zu langsam gespalten, und da« reine Guajakol mußte in zu kleinen
Dosen und in Pillenform genommen werden, um nicht lokale Ätzwirkung
zu verursachen. Deshalb war bei diesen beiden Substanzen der physiologische
Effekt nicht so deutlich. Das guajakolsulfosaure Kali passierte den Körper,
ohne daß im geringsten eine Wirkung wahrzunehmen gewesen wäre.
Neumann.
R. Massalongo und U. Gasperini, Über Diplosal. (Gazetta medica
italiana. Nr. 23, 1911.) Mit Diplosal, dem Salizylester der Salizylsäure,
haben die Verfasser im Ospedale Maggiore zu Verona eiue Anzahl Fälle von
Gelenk- und Muskelrheumatismus und von Neuralgien (Ischias) behandelt.
Die Tagesgabe betrug 4—b g. Sehr bald ließen die Schmerzen nach und
gingen die Anschwellungen zurück. Da das Präparat infolge seiner Unlös¬
lichkeit im sauren Magensaft keinerlei Verdauungsbeschwerden auslöst und
keine starken, bei häufigem Auftreten schwächenden Schweißausbrüche ver¬
anlaßt. so wollen die Verfasser das Diplosal vor allem in solchen Fällen
empfehlen, in denen man größere Gaben eines Salizylpräparates während
einiger Zeit zu geben wünscht. R v
S. Hirsch (Berlin), Jodipininjektionen. (Deutsche Medizinalzeitun"
Nr. 24. 1911.) Der Verfasser bespricht die Vorzüge der Injektionsbehand-
lung mit Jodipin, sowie die Technik der Jodipininjektionen und teilt zwei
Beobachtungen mit, die für die therapeutische Wirksamkeit des subkutan
gegebenen Jodipins sprechen. In einem Falle, diagnostiziert als Morbus
Meutere auf spezifischer Labyrintherkrankung beruhend, wurden jeden zweiten
Tag 10 ccni Jodipin injiziert. Schon nach der ersten Woche waren die
subjektiven Beschwerden wesentlich gebessert, nach 20 Injektionen war Patient fast
beschwerdefrei. Enderfolg nach Wiederholung der Kur eklatant und dauernd.
Bei einer chronischen Nephritis mit starker Atemnot und Tachykardie brach¬
ten Bettruhe, Digalen und wöchentliche Injektionen von 10 ccm Jodipin
derartige Besserung, daß Patient, der sich monatelang nur mühsam fort-
bewegen konnte, nach acht Wochen wieder seinem Geschäft nachging. Die
Albuminurie war am Anfang der Behandlung bedeutend, wenngleich nicht
vollständig zurückgegangen. H. glaubt, daß auch die bestehende Arterio¬
sklerose infolge der Jodipininjektionen erheblich gebessert worden sei. R..
Eli. Mac Donald, Neues Lösungsmittel für Jod. (Med. Record, Nr. 15,
1911.) Die Desinfektion der Haut mit Jodtinktur ist zwar bewährt, hat
aber — nach Mac Donald — doch mitunter ihre Nachteile, insbesondere
reagiert manche Haut mit Reizerscheinungen. Das kann man vermeiden,
wenn man nicht 10% Jod in Alkohol löst, sondern 2 Teile Jod in 98 Teilern
Tetrachlorkohlenstoff.
(Auch Jod- Chloroform wirkt nicht hautreizend. Ref.)
Buttersack (Berlin).
A. Strauß (Barmen), Ein wasserlösliches Gleitmittel für Katheter usw.
(Med. Klinik, Nr. 8, 1911.') Gegenüber einem von Frank in besonderen
G-lasbehältern in den Handel gebrachten wasserlöslichen Gleitmittel für
Katheter und dgl. Instrumente, dessen Zusammenhang nicht näher ange¬
geben ist, empfiehlt Strauß eine Mischung, die sich jeder Arzt selbst her-
steilen bzw. in der Apotheke bereiten lassen kann, die dauernd haltbar ist
und daher besondere Glasbehälter entbehrlich macht. Die Formel lautet:
Tragacanth 1,6
Tere. cum. aqu. frigid. 50,0
Glycerin ad 100,0
Coque ad sterilisat.
Adele Hydrarg. Oxycyanat. 0.1.
R. Stüve (Osnabrück).
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1006
Referate und Besprechungen.
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Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Ch. Finck (Vittel), Elektrische Licht- und Wärmestrahlen bei chro¬
nischem Rheumatismus. (Revue med. de l’Est, März 1911.) Finck hat in
Vittel eine große Anzahl sog. Rheumatiker — man subsumiert darunter
bekanntlich die heterogensten Dinge — mit dem Radiateur photothermique
von Miramond de Laroqiuette behandelt und bei Gelenkaffektionen, welche
auf Gicht und Infektionen beruhten, ausgezeichnete Resultate erzielt, da¬
gegen totale Mißerfolge bei der Arthritis deformans. Den letzteren ist be¬
zeichnenderweise die Applikation des Apparates unangenehm, während sich
die beiden anderen Kategorien sehr wohl darin fühlen.
Bei uns ist der handliche Apparat (im Handel unter dem Namen
Minimax seitens der Firma Reiniger, Geb b er t & Schall) leider
wenig bekannt; ich möchte ihn aber in meinem Armamentarium nicht mehr
missen. Buttersack (Berlin).
R. Warschawsky (Odessa), Lauwarme Bäder bei Asthma bronchiale
und Emphysem. (Zeitschr. für physik. und diätet. Medizin, Bd. 15, H. 5,
S. 269—273, 1911.) Einer Anregung Strasburger’s folgend hat W. bei
einer Reihe gesunder und kranker Personen den Brustumfang, die Erweite¬
rungsfähigkeit und Vitalkapazität bestimmt und gefunden, daß die beiden
erstgenannten Maße, sich zumeist — bei Emphysematikern allerdings etwas
weniger — bessern, daß dagegen die Vitalkapazität eher ab- als zunimmt.
Auf Grund seiner objektiven Beobachtungen und der subjektiven Angaben
der Pat. empfiehlt er Serien lauwarmer Bäder für Asthma- und Emphysem -
kranke.
Wenn die Annahme richtig ist, daß die Besserung der Mobilisierung
des Brustkorbs „durch den Druck der darüber lastenden Wassermenge“ be¬
dingt wird, so erscheint es logisch, Versuche mit einem schwereren Milieu,
etwa mit Moor- oder Sandbädern, anzustellen. Buttersack (Berlin).
R. Vogel (Wien), Über die Verwendung von „Kufeke“. (österreichische
Arzte Ztg., Jahrg. 6, H. 5.) Verf. hat „Kufeke“ im Kronjirinz-Rudolf
Kinderspital, Wien, bei 3 Gruppen von Kindern erprobt : 1. in der Entwiih-
nungsperiode, 2. bei Kindern mit Verdauungsstörungen oder in der Befcon-
valeszenz von fieberhaften Erkrankungen und 3. bei tuberkulösen Kindern,
deren Ernährung durch Fieber und Appetitlosigkeit erschwert war.
Die bei den von der Brust abgesetzten Säuglingen fast stets vorhandenen
leichteren oder schwereren Verdauungsstörungen wurden durch „Kufeke 1
überaus günstig beeinflußt; ebenso brachte bei schweren, hartnäckigen Diar¬
rhöen die ausschließliche „Kufeke“-Kost bald auffallende Besserung und kom¬
plette Heilung. Auch bei der Ernährung* gesunder Kinder zur Zeit der Ent¬
wöhnung und später leistete „Kufeke“ gute Dienste.
Bei der 2. Gruppe, welche aus Kindern in schulpflichtigem Alter be¬
stand, mit darniederliegcnider Verdauung bei fieberhaften Krankheiten oder
in der Rekonvaleszenz wurden täglich bis zu 120 Gramm „Kufeke“ gegeben,
und bewirkte dies stets Aufhören des Erbrechens und rasche Hebung des
Ernährungszustandes.
Bei der 3. Gruppe — tuberkulöse Kinder — erzielte die Ernährung
mit „Kufeke“ gleich günstige Erfolge.
Verf. kommt zu dem Schluß: Wo Muttermilch und Ammenbrust
fehlen, wo schwere Darmstörungen bereits aufgetreten sind oder in der
Rekonvaleszenz ist „Kufeke“ ein schwer zu entbehrendes Kräftigungsmittel
für Säuglinge und Heranwachsende ältere Kinder. Neumann.
Maisonnet, Subkutane Sauerstoffinjektionen. (Soc. de med. militaire,
Januar 1911.) M. hat Pat. bei pneumonischen und pleuritischen Zuständen
aller Art Sauerstoff subkutan appliziert und dann jedesmal schnelle Besse¬
rung des Allgemeinbefindens und Verringerung der Dyspnoe gesehen. Irgend¬
welche unangenehme Nebenwirkungen traten nicht auf. (Trib. med., S. 37,
1911.) Buttersack (Berlin).
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Bücherschau.
1007
Allgemeines.
Henrot (Reims;. Zunahme der Verbrechen. (Acad. de Medecine, 25.
Oktober 1910.) Die Beobachtung, daß, abgesehen von England, allenthalben
die Verbrechen in erschreckender Weise zunehmen, läßt es Henrot notwendig
erscheinen, daß etwas dagegen geschehe. Er schlägt dazu die Bildung einer
Ligue anticriminelle vor, nach Art der Ligue antialcoolique, und zwar
gleich als internationale Institution, damit man in Diskussionen den rechten
Weg finde.
Ich glaube, das ist nicht mehr nötig. In Hamu Rabbis Gesetzes¬
sammlung, bei Demokrit und Protagoras, bei Avicenna und wohl sonst
noch genugsam finden sich die Gesichtspunkte erörtert, wie mit dem anti¬
sozialen Gesindel zu verfahren sei. Nicht am Wissen, sondern an der Ent¬
schlossenheit, das Wissen anzuwenden, fehlt es unserer Zeit.
Buttersack (Berlin).
Plasencia (Havanna), Violette Reagenzgläser zur Eiweißreaktion.
(Revista di Medicina de la Havanne, Januar 1911. — Paris med., Nr. 35,
S. 203, 1911.) Geringe Trübungen des gekochten Harns sind oft schwer zu
erkennen. Plasencia benützt deshalb hellrotviolette Reagenzgläser; man
sähe in diesen auch die kleinsten Gerinnsel leuchtend wie im Ultramikroskop.
Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Sigmund Strassny (Wien). Schmerzlinderung bei normalen Geburten. Sammlung
klinischer Vorträge Nr. 590/591, Gynäkologie Nr. 212/213. Leipzig 1910. Verlag
von Joh. Ambr. Barth. CO S. 1,50 Mk.
Verf. bespricht die verschiedenen Arten der Schmerzlinderung (Inhalations-
narkose, Hypnotika, Morphin-Skopolamin, Lumbal-, Sakral- und Lokalanästhesie,
sowie Suggestivnarkose), erörtert eingehend ihr Für und Wider, und kommt dabei
zu dem Schluß, da die „wenn auch noch so geringen Gefahren für Mutter oder
Kind, oder für alle beide, weder durch ein bestimmtes Narkotikum noch durch
eine besondere Methode, gänzlich und mit Sicherheit zu vermeiden sein, die Narkose,
in welcher Form auch immer, bei normalen Geburten vom Standpunkte der Klinik
abgelehnt werden muß“. Werner Wolff (Leipzig).
Karl Dieterich-Helfenberg, Die wichtigsten medizinischen Drogen, ihre pharmazeutische
Verarbeitung und Nutzanwendung für die menschliche Gesundheit. Berlin NW. 6.
Anker-Verlag G. m. b. H.
Wie wir dem Vorwort zu vorliegender Broschüre entnehmen, ist sie eine auf
Anregung der Redaktion der Zeitschrift „Gesundheit in Wort und Bild“ entstandene
Zusammenfassung der gleichnamigen, in Dresden gehaltenen populären Hochschul-
Vorträge, welche in der erwähnten Zeitschrift von Heft 9 des Jahrganges 1910 an
erschienen sind. Ihr Hauptzweck, den sie hoffentlich erreicht, ist, dem Kurpfuscher¬
tum und den laienhaften Vorstellungen gewisser Naturheil Vereinigungen entgegen¬
zuarbeiten, welche auch die natüilichsten, uns von der Natur dargebotenen Heil¬
mittel gern als unnatürlich hinstellen, sofern sie der Arzt anwendet. Zu diesem
Ende wird gezeigt, daß fast alle unsere medizinische Drogen in den Pflanzen pro¬
duziert werden und daß wir sie uns nur in den entsprechenden Formen nutzbar zu
machen brauchen, wobei wir gleichzeitig erfahren, wie dies geschieht. Nebenbei
bemerkt, versteht man unter Drogen (am wahrscheinlichsten aus dem niederdeutschen
„droge“ = „trocken“ entstanden, also nicht „Drogue“) entweder getrocknete ganze
Eflanzen oder Ptianzenteile oder deren getrocknete Inhaltsstoffe. In diesem Sinne
betrachtet D. 1. die Drogen mit abführender Wirkung (Cascara, Senna usw.), 2. die
Drogen mit Fermentwirkung (bittere Mandeln, Senf, Malz), 3. die Drogen mit äthe¬
rischen Ölen und Riechstoffen, 4. die Drogen mit Alkaloiden (Bilsenkraut, Opium
usw.), 5. die Drogen mit wurmtreibender Wirkung (Farm, Kamala usw.), 6. die
Drogen mit Gerbstoffen (Catechu, Weidenrinde usw.), 7. die Drogen mit Bitterstoffen
(Aloe, Koloquinten usw.) ? 8. die Drogen mit Schleimstoffen (Eibisch, Salep usw),
endlich 9. die Harzdrogen (Kopaiva usw.). Das Büchlein enthält manches, was
mancher nicht weiß und auch in der Arzneimittellehre nicht gelehrt wird. Es sei
daher namentlich auch mit Rücksicht auf die Form, in der sein Inhalt vorgetragen
wird, bestens empfohlen.
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Peltzer.
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1008
Bücherschau.
(Besprechung Vorbehalten.)
Abel, Bakteriologisches Taschenbuch. Die wichtigsten technischen Vorschriften
zur bakteriologischen Laboratoriumsarbeit. 15. Auflage. Würzburg 1911. Curt
Kabitzsch (A. Stüber’s Verlag). 137 S. 2 Mk.
Aub, Hysterie des Mannes. Studie. München 1911. Verlag von Ernst Rein¬
hardt. 162 S. 2,50 Mk.
Blessing, Zur Bakteriologie und antibakteriellen Therapie der Pyorrhoea alveolaris.
Experimentelle Arbeit. Mit einer Tafel in Vierfarbendruck. Sammlung von Vor¬
trägen aus dem Gebiete der Zahnheilkunde, in zwangloser Keihenfolge herausgegeben
von Wilhelm Pf aff, Universitäts-Professor in Leipzig. 6. Heft. Leipzig 1911.
Verlag der Dyk’schen Buchhandlung. 42 S.
Clairmont u. Haudek, Die Bedeutung der Magenradiologie für die Chirurgie. Mit
acht Abbildungen im Text. Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 96 S.
Hecht, Über den Skorbut. Nach Beobachtungen im Nürnberger allgemeinen
Krankenhaus. Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen
Medizin. 11. Bd., 10, H. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch (A. StubePs Verlag).
36 S. 85 Pfg.
Kannegiesser, Die akuten Vergiftungen. Ein Vademekum für die ärztliche Praxis.
Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 52 S. 1 Mk.
Krause u. Garre. Lehrbuch der Therapie innerer Krankheiten. Für Ärzte und
Studierende. Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 758 S. 11,50 Mk.
Krone, Bad Sooden-Werra. Berlin NW. 6. Anker-Verlag G. m. b. H. 34 S.
Lejeune, Der grüne Star. Leipzig 1910. Verlag für Literatur, Kunst und
Musik. 71 S. ,
Luciani, Physiologie des Menschen. 14. Lieferung. Mit 309 teilweise farbigen
Abbildungen im Text. Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 159 S. 4 Mk.
Offizieller Bericht über die 27. Hauptversammlung des Preußischen Medizinal-
beamten-Vereins. Berlin am 27. April 1911. Fischer’s medizinische Buchhaudlnng
(H. Kornfeld). 76 S.
Sarvonat et Genty, Gycle Journalier de l’Eliminatlon Urinaire de l’Acide Phosphorite.
Extrait de la Province medicale de 10. Juin 1911. Paris. A. Poinat, Editeur,
Publication Mödicales et Scientifiques. 7 P.
Sternberg, Diät und Küche. Einführung in die angewandte Ernährungstherapie.
Würzburg 1911. Curt Kabitzsch (A. Stuber’s Verlag). 188 S. 5 Mk.
Vorträge zur Tuberkulose-Bekämpfung. Leipzig 1911. Verlag von F. Leine¬
weber. 107 S. 3 Mk.
Zuntz, Zur hygienischen und klinischen Würdigung des Wanderns. Berliner Klinik,
23. Jahrg, 278. H. Berlin 1911. Fischer’s medizinische Buchhandlung (H. Korn¬
feld). 18 S. 60 Pfg.
Zweig, Die Pathologie und Therapie der Enteroptose und ihre Beziehungen zu
Allgemeinerkrankungen. Mit einer Abbildung. Sammlung zwangloser Abhandlungen
aus dem Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. 3. Bd., 4. H.
Halle a. S. Verlag von Carl Marhold. 62 S. 1,50 Mk.
Mitteilungen.
Die chemische Fabrik Knoll & Co. in Ludwigshafen a. Rh. begeht im Herbste d. Js.
ihr 25jähriges Bestehen. Sie wurde 1886 gegründet und nahm zuerst die syn¬
thetische Darstellung des Kodeins auf durch Methylierung des Morphins nach dem
Verfahren von Dr. Albert Knoll. Das Kodein, das bis dahin nur in äußerst geringen
Mengen direkt aus dem Opium gewannen wurde, konnte nach dem genannten Ver¬
fahren in ausreichender Menge der Therapie zur Verfügung gestellt werden und
führte das junge Unternehmen zu schnellem Aufschwung. Später wandte sich die
Fabrik mit Erfolg der Darstellung verschiedener Alkaloide zu und ermöglichte
durch billige Gewinuung des Theobromins eine therapeutische Verwendung dieses
wertvollen Körpers. Die heutige Bedeutung der Fabrik liegt in erster Linie auf
dem Gebiete der Spezialpräparate, von denen das Diuretin, Tann&lbin, Bromural
und andere einen Weltruf genießen.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang,
1911.
fortschrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Pror«$or Dr. 0. Köster Prip.-Dez. Dr. P. ßriegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rlgler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. =
Nr. 43.
26. Oktober.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Grundziige der Zahnheilkunde für Ärzte.
Von Dr. med. W. Hammer, approbiert als Arzt und Zahnarzt, Berlin.
In weiten Gegenden Deutschlands ist zahnärztliche Hilfe nur unter
großen Opfern an Zeit und Geld erhältlich. Daß wissenschaftlich gar
nicht oder nur in geringem Umfange Vorgebildete sich häufig im Neben¬
amte mit der Ausübung der Zahnheilkünde befassen, ist zum Teil auf
die Nichtausübung der Zahnheilkunde durch Ärzte zurückzuführen.
Wünschenswert wäre eine vollständige Ausbildung der Zahnärzte in der
allgemeinen Heilkunde, der Ärzte in der Zahnheilkunde. Vorliegende
Arbeit soll jedoch nicht die gesamte Zahnheilkunde zur Darstellung
bringen, sondern nur das für den praktischen Arzt Wichtigste vermitteln-
Gelegenheit zu praktischer Ausbildung bieten die vorzüglichen Ferien¬
kurse, wie sie z. B. für 40 M in Kiel an der dortigen Hochschule ab¬
gehalten werden.
Ich hoffe der mir vorliegenden Aufgabe gerecht zu werden, wenn
ich nach einigen Vorbemerkungen über den Bau der Zähne zunächst
die wichtigsten Krankheitsformen, sodann die nähere Ausführung der
zahnärztlichen Eingriffe, soweit sie für den Allgemeinarzt wichtig sind,
bespreche, um mit einer Übersicht über die der wichtigsten Mund¬
krankheiten zu schließen.
Das Alter des Menschen läßt sich besonders bei Kindern aus der
Zahl und Beschaffenheit der Zähne abschätzen. Andererseits gibt der
Zahndurchbruch bei bekanntem Alter einen Anhaltspunkt über die Keife
und die Güte der Entwickelung besonders der Hartgebilde des Körpers.
Die MilchiSchneidezähne brechen meist im 6.—8. Lebensmonat erst
unten, dann oben durch, im 8.—12. Monate die seitlichen Sehneidezähno,
im 12.—16. Monate die I. Mahlzähne, im 16.—20. Monat die Eckzähne,
im 20.—30. Monate die II. Mahlzähne erst unten, dann oben, im
Süden durchschnittlich früher als im Norden, bei Israeliten durch¬
schnittlich früher als bei Germanen.
Milchzähne sind erkennbar an ihrer Farbe (sie sind mehr bläulich
als gelb), an ihrer Größe (sie sind in der Kegel kleiner als die bleiben¬
den Zähne desselben Menschen), an ihrer Stellung und Form (kleine
Backzähne haben in der Regel 2 Höcker, die an derselben Stelle des Ge¬
bisses ihnen vorhergehenden Milchmahlzähne haben Mahlzahnform, dabei
Milchzahnkleinheit.) Milehmahlzähne besitzen einen Schmelzwulst.
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Original frorn
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1010
W. Hammer,
Vom 6. Jahre an bricht das bleibende Gebiß durch, das an die
Stelle der 20 Milchzähne (in jeder Kieferhälfte je 2 Schneide-, 1 Eck-.
2 Mahlzähne = 20 Milchzähne) tritt. Der (>-Jahrmahlzahn des Unter¬
kiefers, der zuerst durchbricht, ist der größte Zahn des ganzen Gebisses.
Der II. bleibende Mahlzahn (12 - Jahr mahl zahn) ist bei Weißen in
der Regel kleiner, als der I. (6-Jahrrnahlzahn), und der Weisheitzahn
(18-Jahrmahlzahn) kann ganz verkümmern und lebenslänglich als Zahn¬
keim zurückgehalten werden.
Der I. Dauermahlzahn bricht im 5.—8., der I. Schneidezahn im
6.—9., der II. Schneidezahn im 7.-10., der Eckzahn im 9.—14., der
I. kleine Backzahn (bicuspis = praemolaris) im 9.—13. Jahre, der II.
kleine Backzahn im 10.—14. Jahre, der II. Mahlzahn mit 10—14, der
III. Mahlzahn mit 16—40 Jahren durch.
Jugendliche Schneidezähne sind an spitzen Höckerchen der Kau¬
flächen, die in wenigen Monaten abgeschliffen werden, erkenntlich. An¬
fänglich bedeckt den Schmelz das wahrscheinlich aus Hornmasse be¬
stehende Nasmythsche Oberhäutchen. Später wird selbst der Schmelz
durchgekaut, so daß Elfenbeinmasse bei Greisen freiliegen kann. Die
Zähne der Greise sehen gelb aus mit einem Stich ins Rötliche.
Das Zahnmark (Pulpa) enthält zahlreiche leim- und schleimgebende
Fasern, ferner Nervenfasern und Blutgefäße und sendet Fortsätze in
die Zahnwurzelkanäle, deren Zahl und Lage beim Einlegen von Füllun¬
gen wichtig ist. Alle Schneide-, Eck- und kleinen Backzähne, sowie die
Weisheitzähne können einen Wurzelkanal haben. Die oberen Mahl¬
zähne haben in der Regel je drei Wurzelkanäle, die unteren je zwei, die
Weisheitzähne bis zu fünf Wurzelkanäle. £ Zwei Wurzelkanäle statt
eines Wurzelkanales haben zuweilen die unteren Eckzälme, der 1. obere
kleine Backzahn, der es bis zu 3 Wurzeln bringt, der 2. untere kleine
Backzahn.
Jeder Zahn ist durch Bindegewebe in seinem knöchernen Zakn-
säckchen eingekeilt und beweglich.
Zähne dienen als Kauwerkzeuge, zur Stütze des Schädels, zur Emp¬
findungsleitung, zur Beeinflussung der Sprache.
Überzählige Zähne kommen als Zapfenzähne im Zwischenkiefer.
Höckerzähne in der Gegend der kleinen Backzähne, ferner als bleibende
Zähne aus dem Milchgebisse (z. B. Nebenzähne) vor.
Verwachsene Zähne haben gemeinsamen Schmelz, getrennte
Markhöhlen, verschmolzene Zähne eine gemeinsame Markhöhle.
Biß heißt das Ineinandergreifen der Zahnreihen. Meist beißen
die Oberzähne über die Unterzähne hinüber nach vom zu (Prognathia
normalis). Sind Unter- und Oberzähne gleichzeitig nach vom gerichtet,
stehen also die Lippen vor, so spricht man von Prognathia cthnologiea
(z. B. bei Schwarzen). Bei der Orthognathia beißen die Zähne senk¬
recht aufeinander. Bei der Epigenia stehen die Unterzähne naeh hinten,
ohne daß ein Biß zustande kommt; bei der Progenia stehen die Unter¬
kieferzähne vor den Oberkieferzähnen. (Die Ausdrücke sind von mir
hier gebraucht im Sinne der Kieler Hochschul-Zahnklinik, Leiter
Dr. Hentze.) Senkrechter Biß (Orthognathia) soll als Folge starker
Abnutzung entstehen. Macht die Abnutzung weitere Fortschritte, kann
es zur Progenia kommen (z. B. bei frühzeitigem Ausziehen des Sechs¬
jahrmahlzahnes).
Zahnverstüinimelungen kommen vor bei Kindern, die mit dem
Lutschpfropf, in dessen Inneren gährender Zucker sich befand, getröstet
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Grundzüge der Zahnheilkunde für Arzte.
1011
wurden, bei Rauchern an der Stelle des Pfeifenrohres, bei Schuhmachern
dort, wo der Pechdraht durch die Sclineidezähne gezogen wird (schwarzer
Schmelzsprung), bei Klarinettisten, die das Mundstück mit den Zähnen
feethalten. bei Näherinnen, die die Fäden durch den Mund ziehen oder
Stecknadeln mit den Zähnen halten. Liegt dann das Zahnbeingewebe
frei, so treten Schmerzen auf. Rauchern schafft das Überziehen des
Pfeifenmundstücks mit einem Stück Gummischlauch einige Erleich¬
terung. Auch kann leichte Uberkappung mit Zinkphosphat versucht
werden.
Die Zahnfarbe ist gelb-weiß: jeder Zahn hat mehrere Farben.
Der Hals ist tiefer gelb als die Schneide. Bläuliche oder reinweise Zähne
sind weniger widerstandfähig, als gelbe. Bläuliche Verfärbung tritt nach
und nach ein, wenn bei einer Füllung das Zahnmark abgetötet und ent¬
fernt wurde. Kreidige Stellen deuten auf Zahnschwund (Karies) hin.
Entkalkte Zähne sehen weiß, kreidig aus.
Zahnstein entsteht häufig, wenn ein Zahn nicht gebraucht wird.
Aus dem Speichel setzt sich kohlen- und phosphorsaurer Kalk fest, zu¬
nächst am Zahnhalse, später um die ganze Zahnkrone herum. Die Kalk¬
massen enthalten massenhaft Deckzellen aus der Mundhöhle und Klein¬
lebewesen (z. B. Leptothrix buccalis).
Außer dem mechanisch durch meißel-, löffel- und stemmeisenähn¬
liche Werkzeuge leicht entfernbaren Zahnstein gibt es noch Zahn-
beläge. Der weiße weiche Zahnbelag besteht hauptsächlich aus
Pilzrasen und Deckzellen und findet sich am Zahnhalse sehr vieler
Menschen, die ihre Zähne nicht putzen. Abwischen mit Watte beseitigt
ihn leicht. Beim Betupfen mit alkoholischer Eosinlösung treten die
Flecke deutlich auf den Zähnen hervor.
Der grüne Zahnbelag sitzt viel fester und wohl nur dort, wo
im Schmelz Rauhigkeiten vorhanden sind. Auch er besteht hauptsäch¬
lich aus Kleinlebewesen. Zur Entfernung wird mit Jodweingeist ge¬
tupft und mit, einem aus Bimsstein und 20°/ 0 Wasserstoffsuperoxyd¬
lösung hergestellten Brei vermittels Hölzchen, die die Bohrmaschine
dreht, gescheuert, bis die Zähne glatt und sauber sind. Das Zahnfleisch
wird dann mit einem zusammenzieht ndeji. Mittel betupft (Tct. Myrrhae,
Tct. Ratanhae.) Schwarzer, leicht entfernbarer Belag entsteht bei
Leuten, die leicht am Zahnfleisch bluten. Dieser schwarze Farbstoff
ist ein Abkömmling des Blutfarbstoffs.
Braunfärbung tritt auf bei Manganarbeitern, bei Tieren, die
manganhaltiges Futter fressen (Warzenschwein, Reh, Elch, Dromedar),
ferner beim Spülen mit übermangansaurem Kalium.
Eise narbeiter und Schmiede haben auch braune Flecken und Be¬
läge an den unteren Zähnen, ebenso wie Menschen, die Eisen als Heil¬
mittel benutzen. Besonders schädlich für die Zähne sind Eisensäuerlinge,
während Eisen mit Kalk zusammen etwas besser vertragen wird
er» ewey). Graue Verfärbungen entstehen bei Quecksilbergebrauch
(feinste Quecksilberausscheidungen an den Zahnhälsen),wie auch bei
Blei arbeite rn (Bleisaum am Zahnfleisch), Silbemiederschläge bei Spülun¬
gen und beim inneren Gebrauche des Höllensteins (Argyria). Der
braunschwarze Raucher- und Primerbelag ist allgemein bekannt
(Hau eher zähne), während rosarote Zähne nach Pocken, tief gelbe Zähne
bei Übertritt von gelbem Farbstoffe ins Blut (Icterus z. B. (Jhromsäure-
icterus) Vorkommen. Schwarze Beläge können bei Mißbrauch salol-
lialtiger Mundwässer und beim Bluten infolge Gebrauchs harter Zahn-
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1012
W. Hammer,
bürsten oder bei Fiebernden, deren Mundschleimhaut eintrocknet und
rissig wird, beobachtet werden.
Für den Arzt von größter Wichtigkeit ist die Unterscheidung der
Krankheiten des Einzelzahnes in zwei Gruppen:
I. Zahnleiden, die durch Ausziehung des Zahnes zu behandeln
sind.
II. Zahnleiden, die durch örtliche Eingriffe unter Erhaltung des
Zahnes bekämpfbar sind.
Zahnschmerzen allein sind nicht ausschlaggebend. Es gibt Zahn¬
schmerzen von ungeheurer Gewalt, die durch einfache Abtötung des
Zahnmarkes verschwinden und leichter erträgliche Schmerzen, die erst
nach Fortnahme des Zahnes dauernd beseitigbar sind, wenn man nicht
die feinsten Eingriffe, wie Wurzel abkratzungen, vornehmen will.
Einen guten Anhaltepunkt gibt die Befragung des Kranken. Die
wichtigsten Punkte sind:
1. Liegen Allgemeinleiden vor? Fieberhafte Erkrankungen?
Lustseuche ? Metallvergiftungen ? (Hier ist die Befragung für den
Zahnarzt oft schwieriger wie für den Arzt.)
2. Haben Sie Schmerzen?
3. Werden etwa vorhandene Schmerzen besser oder
schlimmer durch Kälte (Zug, kaltes Wasser) oder durch Wärme
(heißen Kaffee, heiße Milch)?
4. Ist der Zahn auf Druck empfindlich? Man läßt hier den
Kranken selbst mit dem Finger auf den Zahn drücken.
5. Treten die Schmerzen anfallsweise auf ? bei Genuß süßer oder
saurer Speisen ? Stören sie den Schlaf ?
Weshalb die fünf Fragen wichtig sind, soll in folgendem kurz
erörtert werden.
Zu Frage 1. (Allgemeinleiden.) Bei Fiebernden (z. B. Wechsel-
fieberkranken) und Lustseucheleidenden, sowie bei Vergifteten (Blei-,
Quecksilberkranken) treten Entzündungen der Zahnwurzelhaut auf, die
ohne Ausziehen des Zahnes unter Pinselungen mit Jodnelkenöl (Tct. Jodi
5,0, Olei Caryophyllorum 5,0, Misoe; Signa: Zum Bepinseln des Zahn¬
fleisches) und innerlicher Darreichung von Jodkali (Kalii jodati 10, ad
Aquae fontis 300,0, 3mal täglich einen Eßlöffel nach dem Essen in
Milch) verschwinden können und daher ein Ausziehen des Zahnes
nicht nötig machen. Außerdem ist es für den Arzt wichtig zu wissen,
ob der Zahnkranke Bluter ist, oder ob er an Zuckerkrankheit leidet, da
beide Arten Kranker einer sehr sorgfältigen Wundbehandlung bedürfen.
Zuckerkranke ertragen die örtliche Schmerzstillung oft nicht (Absterben
des Zahnfleisches), sind empfindlich gegen QueTeilungen (die durch
Anlage scharfer Schnitte unter Umständen ersetzt werden können), be¬
dürfen sorgfältigster Sauberkeit (Asepsis), wenn üble Zufälle einge¬
schränkt werden sollen. Bluter werden erst nach Stillung der Blutung
und mit einem Gazebausch (Tampon) entlassen.
Zu 2. (Haben Sie Schmerzen ?) Es gibt eine ganze Reihe von Zahn¬
leiden, die ohne Schmerzen verlaufen, z. B. begehren Kranke eine Zahn-
reinigung oder sie beklagen sich über Zahnverfärbungen, unschöne und
unregelmäßige Stellung der Zähne, über scharfe Bänder und Spitzen,
die ihnen lästig sind, über üblen Mundgeruch.
Zu 3. Schmerzen werden schlimmer durch Kälte (Eisgeiniß. Zug)
bei Reizung, Entzündung oder Freiliegen des Zahnmarkes (Pulpitis).
Schmerzen werden gelindert durch Kälte (kaltes Wasser, Eis) bei
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Grundzüge der Zahnheilkunde für Ärzte.
1013
Entzündung der Wurzelhaut (besonders bei Periodontitis acuta puru-
lenta). Kranke mit jäher Wurzelhautentzündung (Periodontitis acuta)
haben oft eine geschwollene Wange, Schwellung der zugehörigen Lymph¬
knötchen und laufen von Schmerzen gepeinigt mit einem Schlucke kalten
"Wassers im Munde im Zimmer umher.
Zu 4. Drückt man mit dem Finger auf den Zahn (nicht etwa mit
einer Sonde in den Zahn), so verzieht der Wurzelhaut kranke das Gesicht
vor Schmerz, der Zahnmarkkranke hat jedoch durch Fingerdruck auf
(nicht in) den Zahn keinerlei Schmerzen.
Zu 5. Nähere Bezeichnung der Schmerzen gibt Anhaltpunkte für
eine weitere Unterscheidung der Krankheitzustände:
Leichte schnell vorübergehende Schmerzanfälle sprechen für tiefen
Zahnschwund (Caries profunda) mit nur geringer Beteiligung des Zahn¬
markes, auch für Empfindlichkeit des Zahnbeines. Die Kranken wissen
noch genau, welcher Zahn schmerzt. Heftige, nachts aus dem Schlafe
aufschreckende, bei Zug und Genuß kalter Speisen und Getränke sich
verschlimmernde Schmerzen, die den Nervenästen entsprechend weit aus¬
strahlen können, so daß ganze Zahnreihen und Kieferhälften, ja seihst
Augen, Ohren und Oberarme weh tun können, deuten auf eine Entzün¬
dung des gesamten Zahnmarkes eines Zahnes hin (Pulpitis totalis).
Die Schmerzen sind durch Verätzung des Zahnmarkes mit arseniger
Säure in wenigen Stunden beseitigbar, der Zahn ist durch eine Füllung
zu erhalten. Fauliger Geschmack, Schmerzen, die nur dann auftreten,
wenn in den hohlen Zahn Speisereste oder ähnliche Fremdkörper ein-
dringen und die nachlassen, wenn es dem Kranken gelingt, den Schmutz
aus dem Zahn herauszusaugen, deuten auf Zahnfäule (Gangräna) hin.
Der Zahn ist erhaltbar und füll bar, doch nur durch eine mehrere Tage
oder zuweilen auch Wochen lang durchgeführte Wurzelbehandlung.
Das Zahnmark ist tot und hatte also in der Regel früher einmal,
ehe es abstarb, stark geschmerzt. Bei Wärmezutritt werden die
Schmerzen fauler (gangräner) Zähne schlimmer, wenn sich. Fäulnisgase
bilden, die infolge Verlegung der Öffnung durch Speisereste sich stauen.
Zahnfäulnis ist die häufigste Vorstufe der Wurzelhautentzündung. Die
Druckprobe entscheidet : Ist der Zahn auf Druck empfindlich (der
Kranke gibt zuweilen an, der Zahn werde länger, wachse aus dem
Kiefer heraus), so wird der Arzt ihn herausziehen. Andernfalls wird
er ihn mit lauwarmen Wasser ausspülen, möglichst weit aufbohren
und nur locker mit Watte verschließen, daß die Gase für einige Tage
freien Abfluß haben. Dann folgt eine Wurzelbehandlung, endlich der
versuchsweise durchgeführte Verschluß mit Guttapercha und wenn dieser
sich bewährt, die endgültige Füllung. Wichtig sind ferner noch klopfende
Schmerzen in einem Zahn, die auf Eiterung im Zahnmark (Abscessus
pulpae) hindeuten und nicht durch Arseneinlage, sondern durch Eröff¬
nung der Eiterhöhle zu bekämpfen sind. Die Erkennung unterstützt
der Nachweis eines schnellen Herzschlags und erhöhter Körperwärme.
Während oder nachdem der Arzt, den Kranken befragt hat, wäscht
er hör- und sichtbar seine Hände. Ständige Anwendung von Keimtötungs-
mitteln ist meiner Ansicht nach für die Haut zu gefährlich und daher
in der zahnärztlichen Tätigkeit untunlich. Die Untersuchung geschieht
bei möglichst heller Beleuchtung mittels eines Spiegels wie er dem
Kehlkopf untersuchungsbesteck entnommen werden kann. Man achtet
auf kreidige Verfärbung, auf dunkle Stellen im Zahne, auf Öffnungen,
in die man mit einer Sonde eindringen kann. Auf Schwellung, Rötung,
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W. Hammer,
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Eitergängc des Zahnfleischen wird gefahndet. Spitze Ecken und ab¬
sterbende Zähne und ihre Folgen (Druck[Dekubital]geschwüre) werden
nicht übersehen, da man durch Abschleifen der Spitzen und Ätzung der
Geschwüre mit salpetersaurem Silber hier in der Regel leicht Abhilfe
schaffen kann. Sind die Auskünfte des Kranken über Zahnschmerzen
nicht eindeutig und klar imd hat man Zweifel, ob nur die Hartteile
des Zahnes erkrankt sind oder ob das Zahnmark schon ergriffen ist,
so spritzt man kaltes Wasser in den Zahn oder man legt Watte, die
mit Weingeist getränkt wurde, ein. Schmerzt der Zahn beim Anspritzen
kalten Wassers gar nicht, so ist das Zahnmark entweder tot oder
nur leicht gereizt. Zuckt der Kranke beim Einspritzen kalten Wassers
zusammen, hat. er eine Minute lang Schmerzen, so ist in der Regel
das Zahnmark so heftig entzündet, daß Totätzung erforderlich wird.
Ähnlich gestaltet sich die Weingeistprobe (Schmerzlosigkeit bei der
Einlage deutet auf Gesundheit oder völliges Abgestorbensein des Zahn¬
markes hin; Zusaminenzucken, minutenlanger Schmerz noch nach Ent¬
fernung der Weingeisteinlage macht in der Regel eine Arsenikeinlage
erforderlich, während ein kurzer, etwa eine Sekunde andauernder Schmerz
auf eine leichte Reizung hindeutet, die den Versuch der Uberkappung
unter Erhaltung des Zahnmarkes gerechtfertigt erscheinen läßt, sei
es, daß dieser sekundenlange Schmerz beim Anspritzen kalten Wassers,
sei es, daß er bei Einlage von Weingeistwatte entsteht). Eine einzige
Erkrankung ist es in der Regel, die langsam den Schmelz zerstört,
das Zahnbein erweicht, das Zahnmark zur Entzündung und schließlich
zum Absterben bringt, endlich die Fäulnis des Zahnmarkes und seiner
Wurzelausläufer schließlich die Wurzalhautentzündung, -Vereiterung,
Eiter-Gang(Fistel-)bildung verursacht. Karies (Zahnschwund) heißt
diese Erkrankung, solange sie. mit Abwehrerscheinimgen (z. B. Bildung
von Ersatzzahnbein) einhergeht, Pulpitis (Zahnmarkentzündung), wenn
das Mark entzündet, gerötet, überempfindlich ist, Gangräna (Zahn¬
fäule), wenn das Mark abgestorben und in Fäulnis ist, die Abwehr¬
bildungen also nicht mehr statthaben, Periodontitis (Wurzelhaut¬
entzündung), wenn das Bindegewebe zwischen dem Zahnwurzelüberzug
Periodontium seu Pericementum) und der Innenwand des Zahnsäckchens
(der Alveole) entzündet ist, Fistula (Eitergang), weim sich ein Eiter¬
gang bildet, der bald am Zahnfleische, bald am Halse oder an der
Brust durchbricht.
Der Zahnschwund (Karies) hat innere Ursachen (mangelhaften
Körperbau, z. B. bei Kindern mit englischer Krankheit, ererbter Lust¬
seuche oder Lungenschwindsucht) und äußere Veranlassungen (Säure¬
bildung im Munde, Einwandern von Kleinlebewesen). Er tritt an der
Kaufläche und besonders an den Berührungsflächen der Zähne auf,
endlich hauptsächlich bei Bäckern, die viel Mehlstaub einatmen, am
Zahnhalse. Gesunder Schmelz ist durch Stahlwerkzeuge nicht ein-
drückbar. Ist der Schmelz eindrückbar mit einem spitzen Stahlwerk¬
zeuge, so liegt Zahnschwund vor. Das hornartige Schmelzoberhäutchen
ist dann schon verloren. Dringt der Zahnschwund weiter vor, so bildet
sich eine muldenförmige Vertiefung im Zahne, in der man von außen
nach innen vier Schichten unterscheidet:
I. Die Schicht des Zerfalls, die aus Pilzrasen und faulenden Speise¬
resten besteht.
II. Die Schicht der Entkalkung, die kreidig - weiß aussieht.
III. Die Schicht der Trübung des Zahnbeins.
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Grundzüge der Zahnheilkunde für Arzte.
1015
IV. Die Schicht, der Durchsichtigkeit (Transparenz), die hart und
widerstandsfähig ist und aus Ersatzzahnbein besteht („Naturheilung
des Zahnschwundes“).
Nicht rechtzeitig vorgenommene oder ganz unterlassene Behand¬
lung von Zahnleiden ebnet dem Eindringen zahlreicher Gifte die Wege,
z. B. den Phosphordämpfen, die schwere Kieferzerstörungen hervorrufen,
den Strahlenpilzen, die ein schweres Allgemeinleiden (Aktinomvkosis)
erregen können, endlich den Kleinlebewesen, die Anschwellung und
Vereiterung der Halslymphknoten bewirken können.
Wenn sich die Tätigkeit des Arztes hinsichtlich der Zahnheilkunde
auf wahlloses Ausziehen schmerzender Zähne beschränkt, dann wird
er mitschuldig an Entstellungen des Gesichts durch Vorwärtsdringen
des Unterkiefers (Progenia), das namentlich nach frühzeitiger Entfernung
der ersten Mahlzähne auf treten soll, von zahnärztlicher Seite in vielen
Fällen demnach nicht als Rückschlag (Atavismus), sondern als Kunst¬
erzeugnis aufgefaßt wird. Einen besonders unrühmlichen Eindruck
machen frisch aus dem Krankenhause Entlassene, die womöglich eine
Halsoperation wegen Drüsen Vereiterung durchmachten, dabei den Mund
voll fauler Zahnwurzeln haben oder Staatspfleglinge in Gefängnissen,
Irrenanstalten, Siechenhäusern, in denen sich die Zahnpflege auf Zahn¬
putzen und Zahnziehen beschränkt. Reichlicher Besuch geeigneter zahn¬
ärztlicher Ferienkurse durch Ärzte dürfte hier wohl noch am ersten
Abhilfe schaffen können.
Ist die Erkrankung noch nicht bis zum Zahnmark vorgedrungen,
so kann eine Heilung durch Einlage von Watte mit Alkohol, die bis
zur Ausheilnug wiederholt wird, versucht werden.
Sicherer wirkt eine Einlage von Höllenstein und Uberkappung
(nach Reinigung der Höhle).
Der zahnärztlichen Kunst entspricht die Entfernung alles Kranken
mit scharfen Bohrern, die Ausspritzung der Höhle mit warmem Wasser,
dann mit einer Lösung von doppeltkohlensaurem Natrium zur Abstump¬
fung der Säuren, endlich die Ausspritzung mit übermangansaurem Kali
in wässriger Lösung zur Abtötung der Keime, darauf die Austrocknung
der Höhle mittels Alkohols und heißer Luft und die Füllung mit Zink-
phosphat und Amalgam.
Die Ausbohrung geschieht so, daß die Füllung hält, also innen
einen größeren Umfang hat als auf der Oberfläche, mit scharfen in
Vaseline getauchten Bohrern, die häufig abgesetzt werden, damit sie
nicht heißlaufen. Mit dem kleinen Finger der rechten, Hand sucht man
einen Ruhepunkt am Kinne, während der rechte Fuß die Bohrmaschine
durch ruhiges Treten in langsame Umdrehungen versetzt. Die Bohrspäne
werden mit einer Luftspritze herausgespritzt, können aber auch mit
warmem Wasser hinausgespült werden. (Schluß folgt.)
Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
Von Dr. Bliimel, Spezialarzt für Lungen- und Halskrankheiten, Halle a. S.
(Schluß.)
Form und Ort der Tuberkulin-Applikation.
Man hat die spezifischen Präparate in den verschiedensten Formen
dem Organismus einzuverleiben versucht, durch Inhalation (Bandelier,
v. Schrötter), interne Verabreichung (Freymuth, Krause, Moeller),
kutan, perkutan, intravenös (Mendel) und subkutan. Gebräuchlich
sind zurzeit folgende Anwendungsweisen:
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Blümel,
1. Interne Verabreichung von gelatinierten Pillen,
2. die intravenöse,
3. die subkutane und
4. neuerdings auch die kutane Applikation.
Die intravenöse Einverleibung hat kaum Vorzüge vor der sub¬
kutanen und kompliziert nur die Therapie, während das intern verab¬
reichte Tuberkulin sehr ungleichmäßig wirkt, wenn man auch die Schädi¬
gung durch den Magensaft, der ja das Tuberkulin unwirksam macht,
durch Keratinierung der Pillen ausschließt. Ebenso ist wegen der
wenig exakten Dosierbarkeit von der spezifischen Behandlung mit Hilfe
von Impfschnitten (kutanen Behandlung nach Pöppelmann) im allgemeinen
abzusehen, wofern es sich nicht einerseits, was immerhin selten ist, um
Nothilfe handelt, d. h. um injektionsscheue Patienten oder andrerseits um
tuberkeliiberempfindliche Kranke. Di ? zweckmäßigste Anwendung
des Tuberkulins ist und bleibt die subkutane Injektion. Sie
allein gestattet uns eine genaue und bequeme Dosierung.
Als Injektionsspritze kommt eine unserer neuen sterilisier-
baren Glas- und Metallspritzen in Betracht. Ich bevorzuge die Rekord¬
spritze zu 1 ccm Inhalt, mit 20 Teilstrichen. Die Spritze ist vor dem
erstmaligen Gebrauche auszukochen; als Kanüle empfiehlt sich eine
solche aus Platiniridium, die allerdings vor der Nickelkanüle den Nach¬
teil hat, sehr leicht stumpf zu werden, dafür aber über der Flamme aus¬
zuglühen ist und nicht jedesmal gekocht zu werden braucht. Am zweck¬
mäßigsten verfährt man, wenn man die erstmalig ausgekochte Spritze,
die Kanüle daraufgesteckt, in einem Glasbehälter auf bewahrt. Dann
braucht, bei täglicher Benutzung, nur immer die Kanüle ausgeglüht,
die Spritze aber nicht gekocht zu werden, weil sie sich, so behandelt,
steril erhält.
Die Injektionsstelle ist mit Äther oder Alkohol auf Watte zuvor
gründlich abzureiben. Ein Bedecken mit Pflaster usw. ist überflüssig
Zur Injektion werden am häufigsten Rücken und Arm benutzt.
Ich bevorzuge die Brust und zwar die Haut oberhalb der Brustwarze.
Den Rücken halte ich für unpraktisch, weil der Patient 1. eine eventuelle
örtliche Stichreaktion, auf deren Beobachtung ich Wert lege, nicht wahr¬
nehmen kann und 2., weil Schwellungen und Infiltrate den Kranken
in der Ruhe (Schlaf, Liegekur) stören können. Infiltrate am Arm können
dem Kranken bei der Ausübung seines Berufes, auch beim Ankleiden
usw. hinderlich sein. Bei Benutzung der Brusthaut fallen diese Be¬
schwerden fort. Die Streckseite des Armes ist wegen ihres strafferen
Bindegewebes als zu Injektionen (bei Bewertung der Stichreaktion)
besonders geeignet empfohlen worden; ich kann mich dieser Empfehlung
nicht anschließen, teils aus den erwähnten Gründen, teils, weil ich
die Erfahrung gemacht habe, daß das lockere Gewebe der Brusthaut
die Stichreaktion ebensogut verfolgen läßt.
Wirkung des Tuberkulins.
Auf die Theorien der Tuberkulinwirkung kann ich bei der
Art des Themas nicht näher eingehen. Die meiste Anerkennung —
das sei erwähnt — finden augenblicklich die Theorien von Wolff-
Eisner und Wassermann-Bruck. Wer sich näher informieren will
— daß er es tut, ist für eine folgerichtige, individualisierende Beha-nd-
lung ‘durchaus nötig lese in Sah li: Tuberkulinbehandlung und Tuber-
kuloeeimmunität (Schwabe, Basel 1910) und Wolff-Eisner: Die
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose. 1017
Frühdiagnose und Tuberkuloseimmunität (Kabitzsch, Würzburg, 1909)
nach.
Die „Tuberkuline“ sind nicht Heilmittel in der Art des
Diphtherie-Heilserums, also keine fertigen Gegengifte, sondern
Giftstoffe selbst, sagen wir Eiweißgifte oder echte Toxine, denn die
genaue Stellung steht noch nicht fest; sie können deshalb nicht zur
passiven Immunisierung benutzt werden, sondern nur zur aktiven, d. h.
der Organismus muß selbst erst mit ihrer Hilfe immunisierende Stoffe,
Antituberkulin, bilden. Diesem schreibt man vorläufig die Fähig¬
keit zu, die giftigen Stoffwechselprodukte der Tuberkelbazillen zu
binden und zu neutralisieren. So sollen sie den Organismus durch
Schwächung der Lebenskraft, der Virulenz der Bazillen in den Stand
setzen, der Krankheit eher Herr zu werden. Aber über den wirklichen
Wert des Antituberkulins für die HeilungsVorgänge bei Tuberkulose
sind wir noch ziemlich unzureichend unterrichtet. Es tritt nämlich nicht
nur nach Tuberkulininjektionen, sondern auch spontan auf, und zwar
bei fortgeschrittenen Fällen; hier ist sein Auftreten aber durchaus nicht
etwa gleichbedeutend mit einer größeren Heilungstendenz, sondern, trotz
hohem Antikörpergehalt kann die Tuberkulose unaufhaltsam fort¬
schreiten. Ebenso kann sie andererseits auch ohne Antituberkulm, heilen.
Das zeigen die zahlreichen Heilungen von nicht spezifisch behandelten
Primärstadien, bei denen das Antituberkulin gewöhnlich fehlt.
Einen eindeutigeren Beweis von der Wirkung des Tuberkulins
gibt die. klinische Beobachtung, die man über seinen Wert oder Unwert
letzten Endes entscheiden lassen muß.
Betrachten -wir zuerst die Reaktionen des Organismus auf die spezi¬
fischen Präparate, die in
1. Stich-,
2. Herd- und
3. Allgemeinreaktionen bestehen.
Die Stichreaktion, die in Rötung und Schwellung an der Ein¬
stichstelle besteht, ist in der letzten Zeit mehr beachtet und als Anhalts¬
punkt für das therapeutische Vorgehen verwertet worden (Sathoff).
Wie weit das im einzelnen möglich ist, darüber weiter unten unter
„Dosierung“.
Am Krankheitsherd zeigt sich die Wirkung des Tuberkulins in
der sogen. Herdreaktion, d. i. eine Hyperämie, die zugleich damit,
daß sie nur an tuberkulös erkrankten Stellen auftritt, die Spezifität
des Tuberkulins beweist. Diese Hyperämie bedeutet eine reaktive Ent¬
zündung, die in seröser Transsudation und Zellwucherung bestellt, zu
einer Abstoßung des erkrankten Gewebes und in der Folge zu Neu¬
bildung von Bindegewebe führt, also als Folge der momentanen — ich
mochte sagen antitoxischen — Wirkung (Hyperämie, Hyperleukozytose)
eine bindegewebige Einschließung des Krankheitsherdes bewirkt. Die
Kunst der Tuber kulin behandlung besteht nun darin,
diese reaktive Entzündung in den richtigen Grenzen zu
Halten, es nicht zu einer Gewebsschädigung, einer zu weit gehenden
Erweichung und Einschmelzung infolge zu stark entzündlichen Pro¬
zesses, zu foudroyanten Ablaufs der Entzündung, kommen zu lassen.
Heftige Herdreaktionen sind also vom therapeutischen Standpunkte
aus zu verwerfen, wenn sie sich auch bei diagnostischer Tuberkulin-
anWendung nicht vermeiden lassen. Sie werden hier über der Lunge
wahrnehmbar durch ausgesprochenere Schalldämpfung und vermehrte
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Blümel,
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katarrhalische Geräusche. Die in den beschriebenen heilsamen Grenzen
gehaltene Herdreaktion dokumentiert sich bei einem großen Teile der
Kranken in der besonderen Beschaffenheit der oben erwähnten Stich¬
reaktion, sowie in der Husten- und Sputumreaktion, d. h. es findet bei
nicht gegen sonst erhöhten Temperaturen und absolutem Wohlbefinden
des Kranken eine Vermehrung des Hustens und Auswurfs statt. „Der
Schleim lockert sich,“ sagt der Patient, auf den die Erleichterung der
Expektoration — er kann leichter „abhusten“ — meist psychisch einen
sehr günstigen Eindruck macht.
Toxische Tuberkulingaben führen zur Allgemeinreaktion, die
in leichteren Fällen nur in Unpäßlichkeit mit geringen Temperatur¬
steigerungen besteht, bei höheren Graden aber Kopf- und Glieder¬
schmerzen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, S hwindelgefühl, Herzklopfen
und Erbrechen im Gefolge hat. Bei manchen Kranken sehen wir über¬
haupt als erstes Zeichen toxisch wirkender Tuberkulingaben nicht eine
Temperatursteigerung, sondern einmal Herzklopfen, ein andermal Schlaf¬
losigkeit, wieder einmal Appetitlosigkeit usw. auftreten. Aber auch
diese Erscheinungen müssen als Warnungszeichen gedeutet werden,
die Dosen nicht zu steigern.
Man hat, um die toxischen schädlichen Wirkungen des Tuber¬
kulins auszuschalten, nach Anhaltspunkten für eine exakte Do¬
sierung gesucht. Leider haben uns die biologischen Methoden (Fest¬
stellung des Antikörpergehalts mittels der Komplementbindungsmethode,
Bestimmung des opsonischen Index und des Gehaltes an Agglutininen)
ziemlich im Stich gelassen, so daß wir allein auf klinische Beob¬
achtungen angewiesen sind. xAls maßgebend ist in dieser Hinsicht seit
langem das Verhalten der Temperatur angesehen worden; wollte man
früher nur Fieber vermeiden, geht man jetzt noch weiter, indem man
sogar die relativen Temperaturerhöhungen berücksichtigt, d. h. Steige¬
rungen um 2 / 10 — 3 / 10 gegenüber der gewohnten Kurve, also Tempera¬
turen, die noch sehr wohl unterhalb 37° C liegen können. Unter Be¬
rücksichtigung von Allgemeinbefinden, Pulsfrequenz, Körpergewicht
und objektivem Befund stieg und steigt man auch heute noch dann zu¬
meist mehr oder weniger allmählich in der Dosis bis zu einer individuellen
oder allgemeinen Maximaldose. Man hat diese Methode als deutsche ,
auch als „immunisierende“ bezeichnet. Mit ihr wird ziemlich leicht
und auch ziemlich sicher die Überempfindlichkeit gegen Tuberkulin
überwunden und — was vielfach als Zweck und Ziel der Therapie
verfolgt wurde und wird — eine gewisse Giftfestigkeit erzielt.
Nachdem wir durch Wright über die Wirkung und Wirksamkeit
kleinster Tuberkulindosen unterrichtet worden sind, haben manche Thera¬
peuten es vorgezogen, die Uberempfindlichkeit nicht zu beseiti¬
gen, sondern zu erhalten und so lange wie möglich mit kleinsten
Dosen zu arbeiten, so daß wir jetzt eine mehr immunisierende und
eine mehr anaphylaktysierende Methode unterscheiden.
Nach meinen Erfahrungen liegt hier das Zweckmäßige in der
Mitte; denn mit der sogen, immunisierenden Methode sind ausgezeich¬
nete Erfolge errungen worden, wie ich aus eigener Erfahrung bezeugten
kann. Also an und für sich die großen Dosen überhaupt abzulehnen,
halte ich für falsch. Klinische Erfahrungen und Erfolge sprechen
dagegen. Beginnen soll man demnach mit kleinsten Dosen, stei¬
gern nur, wenn diese nicht mehr wirken, und notwendig ist die
schließliche Erreichung größerer Dosen. Aber allein auf Grift-
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
1019
festigung hinzuarbeiten, überhaupt von ihr als von einer besonders
beabsichtigten Wirkung zu sprechen, ist verfehlt. Denn einerseits kann
trotz eines hohen Grades von Giftfestigkeit die Tuberkulose fortschreiten
und zwar ganz besonders foudroyant (Schröder), andererseits kommt
es auch bei sehr geringer oder fehlender Giftfestigkeit zu Heilungen.
Im M i t te 1 p u n k t der Thera p ie muß die Erzielung der Herd¬
reaktion stehen, sie ist die bedeutsamste Komponente der Tuberkulin¬
wirkung. Sie immer wieder und möglichst lange auszulösen, muß
unser Bestreben sein. Deshalb müssen wir in den meisten Fällen, nicht
in allen, die nützliche Überempfindlichkeit erhalten, d. h. dieselben
Dosen wiederholen, so lange sie noch wirken, dann allerdings verdoppeln
oder verdreifachen, um sie nun in derselben Weise zu wiederholen. So
geht man sicher, stets wirksame Dosen einzu verleiben, was nicht
immer der Fall ist, wenn man prinzipiell, wie bei der extrem-anaphylak-
tisierenden Methode, auf kleinsten Dosen stehen bleibt.
Durch die möglichst schnelle Einverleibung großer Tuberkulin -
gaben, wie es die extrem-immunisierende Methode will, erreicht man
wohl eine Giftfestigung, hat aber dabei den Nachteil, einer nur häma¬
togenen, nicht etwa einer Gewebsimmunität, die es verhindert, auf den
Krankheitsherd entsprechend einwirken zu können. Man läuft so Ge¬
fahr, durch schnelle Abstumpfung gegen große Tuberkulindosen die
Behandlung zu einer Zeit zu beenden, in der die Tuberkulose vielfach
noch floriert. Die Giftfestigkeit — das möchte ich nochmals betonen —
gegen die chemischen Gifte der Bazillen, die also eigentlich die Krank¬
heit von einer auf den Gesamtorganismus wirkenden zu einer rein ört¬
lichen macht, soll nicht besonders gezüchtet werden, sondern hingenom¬
men werden als eine natürliche Folge der fortschreitenden Ausheilung,
also der örtlichen Besserung der Tuberkulose.
Solche Besserungen des objektiven Befundes und in der Folge
Heilungen lassen sich l>ei einer großen Anzahl Tuberkulöser durch
ambulante Tuberkulinbehandlung erreichen, sogar noch in Fällen, wo
die Anstaltsbehandlung erfolglos war, weil sie nicht lange genug aus¬
gedehnt werden konnte. Ich glaube, auch mancher Anstaltsarzt würde
bessere Erfolge mit der spezifischen Therapie gesehen haben, wenn er
sie lange genug hätte durchführen können. Deim wir sehen oft bei
schwereren Fällen erst nach drei und mehr Monaten — diese Zeit ver¬
wendet das Gros der Kranken gewöhnlich auf eine Anstaltskur —
die Anfänge der Besserung. Sie zeigt sich in der Hebung des
Allgemeinbefindens, des Appetits und Körpergewichts, Schwinden von
Brustschmerzen und Nachtschweißen, Verringerung des Hustenreizes,
Aufhören der Brechneigung, Abnahme der Atemnot, des Herzklopfens,
Heruntergehen der etwa bestehenden Pulsfrequenz, Verringerung des
Sputums, Abnahme und Verschwinden der Tuberkelbazillen sowie der
katarrhalischen Geräusche. So schnell in manchem Falle Besserungen
und Heilungen gesehen werden, so langsam können sie in anderen Fällen
auftreten; es bedarf oft größter Geduld von Arzt und Patienten, um
die ersten bescheidenen Erfolge zu sehen. In manchen Fällen erreichen
wir auch durch die spezifische Therapie nichts, in manchen noch ein
Stationärwerden des Prozesses, oft für lange Zeit. Das ist für den
Kranken, besonders wenn er während der Behandlung seinem Beruf
nachgehen kann, und für seine Familie schon ein außerordentlicher
Vorteil.
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Blümei,
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Die Temperaturmessungen.
Vor Einleitung einer ambulanten Tuberkulinkur sind mehrere Tage
lang zwei- bis dreistündliche Messungen der Körpertemperatur not¬
wendig Um eine schnelle und gut orientierende Übersicht darüber zu
haben, empfiehlt sich die Benutzung einer Tabelle, in die die Tempe¬
raturen in Form einer Kurve eingezeichnet werden. Der Bequemlich¬
keit halber, die ja bei der ambulanten Behandlung eine gewisse Bolle
spielt, lasse ich die Temperatur im Munde unter der Zunge 6 Minuten
lang messen. Ich gebe zu, daß diese Messung nicht die genaueste ist;
aber die Achselhöhlenmessungen, vom Kranken selbst vorgenommen,
sind nach meiner Erfahrung noch unzuverlässiger. Übersteigt die Mund¬
temperatur 37,4° oder 37,5° — für normal rechnet man 37,1° als
Höchsttemperatur — halte ich den Kranken für ungeeignet zur ambu¬
lanten Behandlung und suche ihn erst durch Bettruhe zu entfiebern.
Bewegt sich die Temperatur unterhalb der Fiebergrenze, erhält der
Kranke die erste Injektion und mißt nun noch 1—2 Wochen in derselben
Weise täglich weiter; von da ab ca. 4 Wochen lang dreimal täglich,
möglichst zu den Zeiten, zu denen sonst die höchsten Temperaturen auf-
treten. Dann mißt die Mehrzahl der Patienten nur noch 2 Tage vor
und nach der Injektion. Die Mehrzahl — sage ich —; öfter messen
müssen auch weiterhin: 1. Patienten, deren Krankheitsprozeß noch
nicht stationär ist, bei denen sich in der Zwischenzeit noch subfebrile
Temperaturen zeigen, die zu kennen notwendig ist; 2. solche, die große
Differenzen in der höchsten und niedrigsten Tagestemperatur (35—37°)
zeigen, 3. Kranke mit sogen. Spätreaktionen, d. h. Reaktionen, die
länger als 2 mal 24 Stunden nach der Injektion auftreten.
Werden die Injektionen am Morgen gegeben, was ich für
das Zweckmäßigste halte, tritt gewöhnlich die event. mögliche relative
Temperaturerhöhung sowie die Sputumreaktion bereits am Abend des
Injektionstages auf, hält noch den folgenden Tag an, um am Tage
darauf wieder zurückzugehen.
Im allgemeinen ist es empfehlenswert., bei nicht arbeitenden
Kranken, also solchen, die das Messen nicht gerade stört, öfter und
dauernd messen zu lassen. Aber irgendeine Gefahr habe ich auch aus
den seltenen Messungen der Arbeitenden sich nicht ergeben sehen. Denn
bei längerer Tuberkulinanwendung bildet sich mit der fortschreitenden
Heilung, jedenfalls fast bei allen Fällen, die sich gut für die Kur eignen,
eine ganz regelmäßige Temperatur kurve heraus. Welcher Modus der
Temperaturmessung angebracht ist, muß aber der Arzt durch eingehende
Beobachtung von Fall zu Fall entscheiden, hier muß, wie in der ganzen
spezifischen Therapie, individualisiert werden.
Auf einige Einzelheiten bezüglich der Temperaturen sei
noch hingewiesen: möglichst vor den Mahlzeiten messen lassen, bei
Frauen an prämenstruelle Temperatursteigerungen (mehrere
Zehntelgrade!) denken, als eventuelle Ursache von dauernd höheren
Mundtemperaturen (bis 37,5°) hypertrophische oder sonst chronisch-
entzündliche Tonsillen berücksichtigen!
Wie ich schon früher betonte, muß der Patient, um vorwärts zu
kommen, die ärztlichen Vorschriften genau befolgen. Exaktes Tempe¬
raturmessen gehört in erster Linie dazu.
Die Dosierung im einzelnen.
Die Anfangsdosis wird jetzt allgemein recht klein gewählt,
weil man fieberhafte Reaktionen vermeiden will und von der Ansicht
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
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ausgeht, kleine Dosen, falls und so lange sie wirken, zu geben, um die
Kur recht lange ausdehnen zu können. Deshalb muß man Anfangs¬
dosen von 1 mg, wie sie Jochmann noch vor kurzem empfohlen hat,
5 ]
ablehnen. Ich halte mit anderen bei Alttuberkulin - ^y^ — mg für
eine zweckmäßige Anfangsdosis, bei Bazillenemulsion und Tuber-
kulol-B iQQQQQ « hei Tuberkulol-A — mg. Von dem Ausfall der
Pi rquet’schen Reaktion, wie das von anderer Seite vorgeschlagen
wurde (Sathoff), die Anfangsdosis abhängig zu machen, halte ich für
gewagt, da das kein zuverlässiger Anhaltspunkt ist und das Verfahren
stärkere Reaktionen auslösen kann, nach meinen Erfahrungen. Ebenso
soll man nicht glauben, bei vorgeschrittenen oder länger bestehenden!
sehr chronisch verlaufenden Fällen ohne weiteres größere Anfangs¬
dosen geben zu können oder geben zu müssen; denn die Empfindlichkeit
gegen Tuberkulin ist individuell sehr verschieden, und im weiten Um¬
fange unabhängig von der Dauer und Ausdehnung der Erkrankung. Es
hat jeder Patient seinen eigenen Reaktionstypus, den mau erst vor¬
sichtig studieren muß. Ieh empfehle deshalb, stets und regelmäßig
mit den genannten niedrigen Dosen zu beginnen, auch auf die Gefahr
hin, vielleicht zuerst unwirksame Dosen, d. h. Dosen, die keine Herd¬
reaktion hervorrufen, zu injizieren. Ich verdoppele, ja verdreifache die
Dosen dann eben jeden vierten Tag, so lange, bis ieh zu einer wirksamen
Gabe gelangt bin. Woran man die Wirksamkeit einer Dosis erkennt,
ist. oben bereits ausgeführt worden: an der relativen Erhebung der
Temperaturkurve, der Sputum-, leichten Allgemein- und Stichreaktion.
Wenn ich auch nicht auf dem Standpunkt stehe, daß Stich- und Herd¬
reaktion immer im geraden Verhältnis zue in anderstehen, so gewährt
doch nach meinem Erachten die Stichreaktion einen gewissen Anhalts¬
punkt für die Wirksamkeit einer Dosis, wenn man die übrigen Reak¬
tionsanzeichen mit berücksichtigt. Ja, sie übertrifft bei dem größten
Teile der Kranken die andern Anzeichen insofern, als sie das empfind¬
lichste Reagens ist. Da mir, wie erwähnt, daran liegt, die Über¬
empfindlichkeit zu benutzen, wiederhole ich nun nach Sathoff’s Vor¬
gang die wirksame Dosis so lange, bis die Stichreaktion erlischt.
Die optimale Größe der Stichreaktion ist meist ein rund¬
liches, 3—5 markstückgroßes Infiltrat von teigiger Beschaffenheit, über
dem die Haut mehr oder weniger gerötet ist; sie entsteht gewöhnlich
einige Stunden nach der Injektion, hält sich noch 6— 2 4 Stunden
auf derselben Höhe, um dann im Laufe des Tages zu verschwinden.
Eine Schwellung und Verdickung ohne Rötung kann noch tagelang
bestehen bleiben, soll aber nicht als Stichreaktion in diesem Sinne
gelten, ebensowenig, wie gelbe oder grünblaue Hautverfärbungen an der
Injektionsstelle. Der Patient muß angehalten werden, selbst den Ver¬
lauf der Reaktion zu verfolgen und darüber bei der nächsten Konsul¬
tation zu berichten, z. B.: „Rötung dreimarkstückgroß, einen Tag über.“
In der Mehrzahl der Fälle sieht man nun, daß die Intensität der Reak¬
tion von Mal zu Mal (bei Verabfolgung gleicher Dosen) geringer wird
(einmarkstückgroß, zehnpfennigstückgroß usw.), bis sie verschwindet.
Das ist dann das Zeichen, die Dosis in der oben angegebenen Weise
zu steigern. Die Dosen sind, fortlaufend numeriert, auf die Kurve
einzutragen; bei der folgenden Injektion vermerkt man zweckmäßig
Größe und Dauer der Stichreaktion, sowie die durch Nachfrage zu
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1022
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ermittelnden übrigen Reaktionserscheinungen, wie: „Fünf markstückgr.,
2 Tg., Sp.-R. (d. h. fünfmarkstückgroße Stichreaktion, zwei Tage lang,
Sputumreaktion).
Es gibt aber auch bezüglich der Stichreaktionen Ausnah¬
men : 1. die Fälle, bei denen keine Tendenz zur Abnahme der Tuberkulin¬
empfindlichkeit besteht, in denen also die Stich reaktion nicht abnimmt
oder verschwindet, sondern in immer gleicher Intensität wiederkchrt
(ca. 7—8°/ 0 ); 2. die Fälle, in denen direkte Fieberbewegungen und
schwere Störungen des Allgemeinbefindens eher auf treten als eine Stich¬
reaktion. In diesen Fällen müssen Sputumreaktion, Temperatur kurve
und eventuelle milde Allgemeinreaktionen als Anhaltspunkte für die
Beibehaltung oder Steigerung der Dosis gelten; hier wird öfter die
immunisierende Behandlung in Frage kommen, also die dauernde Steige¬
rung um ca. die Hälfte der vorangehenden Dosis. Bei Irritation des
Allgemeinbefindens, Temperatursteigerungen von mehreren Zehntel¬
graden muß natürlich zurückgegangen werden in der Dosis. Bei der
mehr anaphylaktisierenden Methode bin ich allerdings kaum einmal
dazu genötigt gewesen.
Die geschilderte Methodik hat sich mir seit 2 Jahren besser be¬
währt als die vorher jahrelang von mir geübte immunisierende Behand¬
lung; sie ist nach meinen Erfahrungen jedenfalls viel individuali¬
sierender und wirksamer. Hier zwei Beispiele von Dosensteige¬
rungen (Tuberkulolkuren):
J.-Nr. 555/1910. M. M., 32 Jahre alt. Infiltrat des linken Apex.
T. B. -j-, seit 2 Jahren krank. _ ,
Stichreaktionen
17.
Oktober
1.
Injektion 0,001
mg,
Sol.
VI,
0
24.
*
2.
n
0,003
»»
A
VI,
0
27.
*
3.
n
0,01
0,01
D
n
V,
3
M. 3 Tg.
9.
November
4.
»
A
fl
V,
2
2
7»
17.
**
5.
0,01
A
n
V,
3
fl
2
n
24.
n
6.
?i
0,01
«
fl
V,
3
A
1
fl
1. Dezember
7.
»
0,01
A
V,
3
n
2
A
8.
*
8.
s
0,01
A
n
V,
3
1»
2
fl
16.
a
9.
fl
0,01
0,01
«
fl
V,
2
fl
1
fl
23.
n
10.
D
A
n
V,
3
fl
1
i*
31.
fl
11.
fl
0,01
»*
tt
V,
0
7.
Janüar
12.
fl
0,03
fl
V,
5
fl
2
fl
Die Kranke kam in 22 Injektionen auf 0,3 mg (Solutio IV) in der
Zeit von 6 Monaten.
J.-Nr. 110/1909. M. F., 47 Jahre alt. Infiltrat des rechten Ober¬
und Mittellappens, der oberen Hälfte des linken Oberlappens. T.B.-j-,
seit 8 Jahren krank. ^ . ,
Stichreaktion
5.
Februar 1.
Injektion 0,001
mg, Sol. VI,
0
8.
*
2.
fl
0,005
. . VI,
0
11.
A
3.
*
0,01
. . V,
0
14.
»
4.
*
0,03
. . V,
0
16.
n
5.
n
OJ
. . IV,
0
18.
A
6.
n
0,5
, . IV,
. t III,
0
20.
A
7.
n
1,5
0
1. März 8. „ 5,0 „ n III, 5 M. 3 Tg.
Hier wurde also bei sehr geringer Tuberkulinempfindlichkeit schon
in 14 Tagen Sol. III erreicht.
Diese Beispiele lassen sich noch beliebig
vermehren; es sind sich kaum zwei Steigerungstabellen annähernd
ähnlich.
Temperatursteigerungen um mehr als 2 / 10 — 3 / 10 der gewohnten
Kurve, ernstere Störungen des Allgemeinbefindens kommen im Ver-
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Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
1023
lauf der meisten Behandlungen überhaupt nicht vor; so hat kaum
einer meiner meistenteils berufstätigen Kranken wegen einer Reaktion
aus der Arbeit bleiben müssen. Ich weiß wohl aus eigener Erfahrung,
daß sieh diese Reaktionserscheinungen auch bei der mehr immuni¬
sierenden Methode irn allgemeinen vermeiden lassen; aber man läuft
hier doch eher Gefahr, ab und zu durch sie überrascht zu werden,
wenn man sich nicht andererseits so weit unterhalb der Reizschwelle
bewegt, daß die angewandten Dosen auf den Krankheitsherd kaum
wirken.
Über den Begriff Reaktion noch einige Worte: es ist schon
betont worden, daß Steigerungen um einige Zehntelgrade als zu berück¬
sichtigende Reaktionen, als Zeichen einer toxischen Wirkung der verab¬
reichten Dosis anzusehen sind. Von anderer Seite werden höhere Steige¬
rungen (bis 38,5°) noch als mäßige Reaktionen bezeichnet. Sie sind
aber vom Standpunkte eines exakten Therapeuten als Kunstfehler grund¬
sätzlich zu verurteilen.
Hervorheben möchte ich noch, daß eine vielfach gefürchtete über¬
mäßige Überempfindlichkeit gegen Tuberkulol, die die Fortsetzung
der Kur stören oder erschweren könnte, niemals eingetreten ist. Die
Vermeidung dieser Erscheinung und die Herbeiführung des Ictus immu-
nisatorius werden ja sonst vielfach als Grund für die stetige Steige¬
rung der Dosen angeführt. Ich bin der Ansicht: ist der immunisato¬
rische Stoß zur Heilung nötig, muß er auch bei der hier geschilderten
Behandlung aufgetreten sein. Denn meine Erfolge waren sehr gut.
Sonst gehört er eben ins Reich der grauen Theorie, mit der wir bei
der Tuberkulosebekämpfung nichts Rechtes anfangen können.
Über die Herstellung der Verdünnungen kurz folgendes:
Für jede Injektion fertige Lösungen in Ampullen, soundsoviel zu
einer Tuberkulinkur, sollte man nicht benutzen. Sie machen jede indivi¬
dualisierende Therapie unmöglich und setzen an ihre Stelle einen
manchmal für den Kranken verhängnisvollen Schematismus. Die
Erfolge können hier nur rein zufällige sein, sich nur auf diejenigen
beziehen, die gerade einmal in das Schema passen. Wer sich die Ver¬
dünnungen nicht selber hersteilen mag, kann sie fertig in Flaschen
abgefüllt beziehen, die Koch’schen Präparate von der Hirsch-Apotheke
Br. Fresenius-Frankfurt a. M., Zeil 43, die Tuberkulollösungen von
E. Merc k-Darmstadt direkt. Man bestellt aber zweckmäßig, weil die
Wirksamkeit der Verdünnungen mit der Zeit geringer wird, keine
dünneren Lösungen als Sol. V, die man dann selbst weiter verdünnen
kann. Der Verdünnungsfaktor ist 10, d. h. jede folgende Lösung ist
zehnmal schwächer als die vorhergehende; als Verdünnungsflüssigkeit
benutzt man 0,5°/ 0 ige Phenol-Lösung:
Aq. steriliß 50,0
Acid. carbol. liquef. 0,25
Stellt inan sich alle Verdünnungen selber her — ich tue es stets —,
verfährt man am einfachsten: Man entnimmt mit einer Rekordspritze
2 / 2 o ccm (— ^ Teilstrichen einer zwanzigmal geteilten 1 ccm-Spritze)
der Sol. I, füllt auf bis 20 / 20 ccm mit der VerdünnungsfBissigkeit, so daß
1 ccm Sol. II entsteht. Von Lösung II wieder 2 / 20 ccm ebenso weiter ver¬
dünnt usw. bis Lösung VII. Es ist zweckmäßig, die Verdünnungen
in dunklen Flaschen zu halten und diese nicht größer als für 1—2 ccm
ausreichend zu wählen, um die Lösungen öfter erneuern zu müssen,
da sie, wie erwähnt, mit der Zeit an Wirksamkeit verlieren. Wenn
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1024 Blümel, Ambulante spezifische Behandlung der Lungentuberkulose.
sie so immer gleichmäßig' frisch gehalten werden, kommt es kaum
vor, worauf andere Autoren aufmerksam machen, daß beim Übergang
von einer Verdünnung zur nächst höheren überraschende Reaktionen
auf treten. Um sie auch sonst zu vermeiden, spritzt man die Injek¬
tionsspritze jedesmal gründlich mit der Verdünnungsflüssigkeit aus,
wenn nach konzentrierteren Lösungen niedrigere gegeben werden.
Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Injektionen
werden gewöhnlich viel zu kurz gewählt; man injiziert ziemlich allge¬
mein wöchentlich zweimal, ja vielfach täglich, wie ich erfahren habe.
Da der Körper aber, nach unseren Erfahrungen über die Antikörper¬
bildung und über die Opsonine, längere Zeit zur Herstellung der Schutz¬
stoffe gebraucht, müssen die Intervalle im allgemeinen größer gewählt
werden. Jedenfalls haben sich mir größere Zwischenräume mehr be¬
währt, nachdem ich früher auch häufiger injiziert habe. Bis ich zu
einer wirksamen Dosis komme, injiziere ich, wie erwähnt, jeden 4. Tag;
von da ab im allgemeinen
Sol. VII. VI, V: alle 8 Tage (0,0001—0,1 mg).
Sol. IV : alle 10 Tage (0,2—1,0 mg).
Sol. III: a) alle 14 Tage (2,0—5,0 mg).
b) alle 17 Tage (6,0—10,0 mg).
Sol. II: alle 21 Tage (20,0—100,0 mg).
Sol I: alle 28 Tage, in höheren Dosen alle 6—8—10 Wochen.
Aber auch hier heißt es wieder: individualisieren.
Im allgemeinen ist die Kur bis zur klinischen Heilung fortzu¬
setzen und noch darüber hinaus, aus Gründen d$r Prophylaxe. Eine
für alle Fälle gleiche feste Maximaldosis gibt cs nicht; si§ ist
individuell verschieden und begrenzt sich bei dem einen auf Sol. III,
bei dem andern auf das Höchstmaß, 1 ccm Sol. I. Die Behandl ung ist
weder zeitlich noch nach der Dosenhöhe vorher zu umgrenzen.
Etappenkuren (Petruschky) verbieten sich von diesem Gesichtspunkte
aus von seihst, weil sie nur den Heilungsprozeß auf Monate unter¬
brechen und die endgültige Beseitigung des Leidens verzögern. Zweck
mäßig ist es, die individuelle Enddosis in größeren Zwischenräumen
noch lange zu wiederholen. Einer Unterbrechung der Kur aus äußeren
Gründen steht aber nichts im Wege; nur setze man mit kleineren Dosen
die Behandlung fort, wenn die Unterbrechung länger als die sonst,
gewohnten Intervalle dauert. Ebenso verfährt mau, wenn mau aus
anderen Gründen die spezifische Behandlung unterbricht: so bei tuber¬
kulösem Fieber, bei Hämoptoe und bei interkurrenten Krankheiten.
Ich halte eine Unterbrechung jedenfalls für angezeigt, und zwar bei
der Hämoptoe, um nicht durch Verstärkung des Hustenreizes die Blutung;
rezidivieren zu lassen; bei interkurrenten Erkrankungen, besonders
bei fieberhaften, weil die Temperaturbewegungen und die Alterationen
des iVllgemeinbefindens dann nicht mehr eindeutig siud.
Schlußwort.
Wenn ich so der ambulanten Tuberkulintherapie das Wort rede,
bin ich mir wohl bewußt, daß von mancher Seite noch Bedenken gegen
sie vorgebracht werden. Gerade einige gewissenhafte und routinierte
Kliniker und Heilstättenärzte leimen sie noch ab, weil sie Schädi¬
gungen der Kranken sahen. Die sehe ich auch häufiger von anderer
Seite. Aber sie sind Folgen von Kunstfehlern, dürfen also nicht dem
Verfahren als solchem, sondern nur seiner falschen Ausführung zur
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Referate und Besprechungen.
1025
Last, gelegt werden. Die Tuberkulintherapie, besonders die ambulante,
verlangt genaueste Sachkenntnis; nur gut ausgebildete Therapeuten
dürfen sie ausüben, das ist Bedingung für das Gelingen. Ich empfehle
also keineswegs ein Drauflosspritzen. Nur möchte ich aus meiner Er¬
fahrung heraus dem Allgemeinpraktiker zeigen, daß und wie die ambu¬
lante Therapie durchführbar ist, und ihn dazu anregen, sich mehr mit
der Klinik der Tuberkulose und mit ihrer Therapie zu beschäftigen, weil
sie noch immer Stiefkinder der Praxis und zwar mit Unrecht sind.
Denn die sachgemäße Tuberkulosetherapie ist eine der dankbarsten
-Aufgaben für den Arzt. Nur muß man die Krankheit rechtzeitig er¬
kennen, um sie im Anfangsstadium behandeln zu können. Also eine
exakte Diagnostik ist die weitere Bedingung für den Erfolg.
Jedenfalls — und damit möchte ich schließen — halte ich es
für falsch, die ambulante Therapie dem Allgemeinpraktiker vorzuent¬
halten, wenn er die erwähnten Voraussetzungen erfüllt. Das Monopol
der Heilstätten für Tuberkulosebehandlung muß aufhören im Inter¬
esse der Kranken. Der Praktiker ist einfach gezwungen, an der Be¬
handlung teilzunehnien. Nun ist es unsere Sache, ihn darin einzu¬
führen. Das soll der Zweck der vorliegenden Zeilen sein.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Behr (Kiel), Das Wesen der Augenveränderungen bei Polyzythämie.
Zugleich ein weiterer Beitrag zur Theorie der Stauungspapille. (Klin.
Afonatsbl. für Augenheilk., 1911.) Die Polyzythämie oder Erythrozytose
ist erst in den letzten Jahren als selbständige Erkrankung erkannt worden.
Eine scharfe Abgrenzung zu einem einheitlichen Krankheitsbilde läßt sich
noch nicht, geben. Es handelt sich stets um eine absolute Vermehrung der
roten Blutzellen, teils mit, teils ohne Milzschwellung. Oft sind auch
Störungen des Herzens oder des Kreislaufes vorhanden. Ein Symptom,
das sich nur bei der primären Erythrozytose, niemals aber bei einfachen
chronischen Stauungszuständen ohne Polyzythämie findet, glaubt B. in
charakteristischen AugenVeränderungen von demnach pathognomonischer Be¬
deutung gefunden zu haben, wie sie zuerst von U h t h o f f beschrieben
worden sind. Abgesehen von einer starken venösen Hyperämie der Lider
und Bindehaut ist in ausgesprochenen Fällen die Sklera bläulich verfärbt
durch eine hochgradige Erweiterung der Aderhautgefäße. Die Netzhaut
ist im ganzen bläulich verfärbt, die Venen sind stark erweitert und zeigen
Unregelmäßigkeiten in ihrem Kaliber. Die in den Gefäßveränderungen zu¬
tage tretende Abnahme der Elastizität der Wandung zusammen mit der Ver¬
größerung ihrer Oberfläche und der Verlangsamung der Zirkulation gibt die
Veranlassung zu einem abnormen Austritt von Blutplasma in die umgebenden
Gewebe. Sind die ableitenden Lymphbahnen im Sehnerven nicht mehr dieser
Cberproduktion gewachsen, so entsteht eine Lymphstauung, die an der Papille
das Bild der Neuritis opt. (obwohl von einer ,,itis‘ e , d. h ! . Entzündung,
nicht die Rede ist) und weiter'das der typischen Stauungspapille hervorrufen
kann. Die Stauungspapille ist allein durch ein lokales ödem der Papille
und des peripherischen Sehnervenstammes hervorgerufen. Die früher als
Cyanosis retinae beschriebenen ophthalmologischen Veränderungen sind iden¬
tisch mit denen bei der Polyzythämie. Enslin (Berlin).
G. Lemoine (Lille), Die Bedeutung des Cholestearins bei der Arterio¬
sklerose. (La Tribüne med., S. 41—47, 1911.) Lemoine geht schon seit
längerer Zeit der chemischen Zusammensetzung der Aortenwand nach und
hat dabei gefunden, daß dieselbe bei Tuberkulösen auffallend arm an Lipoid-
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— —- NOIS AT
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1026 Referate und Besprechungen.
Substanzen bzw. Cholestearin ist, bei Arteriosklerotikern dagegen auf¬
fallend reich. Bei den ersteren fand er in je 100 g Aorta nur 0,8 g Lipoide,
bei den Sklerotikern 2—3 g Lipoide mit ca. 0,7% Cholestearin. Diese Zahlen
stimmen mit denen von A. Wind haus (Zeitschr. für Chemie, Bd. 65 u. 67,
1910) ziemlich gut überein.
Wie gelangen nun die Lipoide in die Wand der Aorta hinein?
L emo ine kennt zwei Möglichkeiten: entweder durch Ablagerung aus einem
mit Lipoiden überreich beladenen Blute, oder durch lokale Bildung zur
Bindung von (irgendwelchen hypothetischen) Giften, die in der Arterien¬
wand entstanden sind. Der Chemiker in Lemoine neigt sich sichtlich mehr
zur ersten Auffassung, und dementsprechend sucht er logischerweise nach
dem Organ, welches so gefährlich viele Lipoide ins Blut hineinströmet
lasse. Zum Glück bietet sich die Leber als solch eine hyperfunktionierende
chemische Fabrik dar: Le foie est la grande usine de production de
antitoxines, qui en fabrique une quantite trop considerable: eiles ne peuveni
plus etre solubilisees en totalite et une partie d’entre eiles se depose en
cours de route.
Wie stümperhaft ist danach unser Organismus eingerichtet! Ich bin
überzeugt, wenn einer unserer physiologischen Chemiker bei der Konstitu¬
tion der lebendigen Materie und gar beim Aufbau der höheren Lebewesen
mitgewirkt hätte, dann wären solche Konstruktionsfehler, die schließlich
zum Untergang des Individuums führen, sicherlich nicht vorgekommen.
Im übrigen stimme ich trotz aller Fortschritte und Entdeckungen dem
großen Landsmann Lemoine’s, Trousseau, bei: „Ces theories, d’ail-
leurs de l’avis meine des chimistes, tombent ici parfaitement ä faux.“
(Clinique medicale, Bd. 3, S. 236.) Buttersack (Berlin).
Weiß (Wien), Die Bedeutung des Urochromogens für die Prognose und
Therapie der Lungentuberkulose. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 25, 1911)
W. schreibt der Anwesenheit von Urochromogen, der Vorstufe des gewöhn¬
lichen Harnfarbstoffs, in der Prognose der Phthise eine ausschlaggebende
Bedeutung zu. Dieser Körper ist es, welcher nach W. den positiven Aus¬
fall der Ehrlich’schen Diazoreaktion bedingt. Besser als durch die DLzo-
reaktion glaubt W. das Chromogen durch eine Probe mit Kaliumpermanganat
nach weisen zu können. Der Autor legt dar, daß der positive Ausfall dieser
Proben eine Überschwemmung des Körpers mit Tuberkulosegift beweist,
denn sic soll nur bei Abbau von Eiweiß auftreten, käme also nur bei rascher
Progression der Infektion vor. Seine Erfahrungen veranlassen ihn, „das Auf¬
treten des Urochromogens im Harn von Lungentuberkulösen schlechtweg
als Zeichen einer infausten Prognose anzusehen“. Patienten, die nur vor
übergehend Urochromogen ausscheiden, können unter günstigen äußeren Um¬
ständen eventuell noch einige Jahre leben, solche, bei denen die Probe kor
stant positiv ausfällt, haben höchstens noch einige Monate vor sich. Man
soll sich auf den Ausfall der Proben selbst dann verlassen können, wenn
die übrigen Symptome der Phthise, besonders der Lungenbefund, damit im
Widerspruch stehen. Wir hätten also eine einfache Methode zur Verfügung-
den Stand der Krankheit und den Einfluß unserer therapeutischen Maßnahmen
festzustellen. W.’s Angaben sind jedenfalls eine eingehende Nachprüfung
wert. R. Isenschmii
H. Lüdke u. I. Sturm (Würzburg u. Melsungen), Die orthotische
Albuminurie bei Tuberkulose. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 19, 1911
In 14U Fällen von fieberfreien Tuberkulosen in den verschiedenen Stadien der
Erkrankung, bei welchen eine mehrmalige Untersuchung das völlige Fehlen
von Eiweiß im Urin nachgewiesen hatte, wurde nach einstündigem Stehen it
möglichst aufrechter Haltung der Urin auf Eiweiß untersucht und in nick’
weniger als 102 Fällen positive Eiweißreaktion festgestellt. Den größten Prozen 1
satz dieser Orthostatiker wiesen nicht nur absolut, sondern auch relativ du
Kranken im ersten Stadium auf, den geringsten die Tuberkulösen im dritten
Stadium. Die Autoren betrachten das Auftreten von Eiweiß nach längerem
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Referate und Besprechungen.
1027
Stehen als ein wichtiges praktisch verwertbares Frühsymptom der Tuber¬
kulose, wenn nicht etwa kurze Zeit vorher eine der akuten Infektionskrank¬
heiten. welche erfahrungsgemäß leicht zu Nierenschädigung führen, bestan¬
den hat. Unter den ausgeschiedenen Eiweißarten überwog bei weitem das
Euglobulin. Als Ursache dieser Albuminurie betrachten die Autoren eine
Schädigung durch das Tuberkulosegift; gelang es ihnen doch in 11 von
20 Fällen von Tuberkulose aller Stadien nach einstündigem Stehen durch
den Tierversuch Tuberkelbazillen im Urin nachzuweisen, ein Beweis, wie
häufig überhaupt Tuberkelbazillen im Blut kreisen und zur Ausscheidung
gelangen. In 4 von 10 Fällen von beginnender Tuberkulose, welche nach
einstündigem Stehen kein Eiweiß ausgesehieden hatten, wurde der Urin
nach dem Stehen eiweißhaltig, wenn eine Injektion geringster, nicht fieber¬
erregender Dosen von Tuberkelbazilleneraulsion vorausgeschickt worden war.
R. Isenschmid.
J. v. Szaböky (Meran), Über den diagnostischen und prognostischen
Wert der Ehrlich’schen Diazoreaktion bei Lungentuberkulose und über ihr
Verhalten bei Anwendung der spezifischen Therapie. (Zeitschr. für Tuber¬
kulose, Bd. 17, H. 2, 1911.,) Verfasser untersuchte den Harn von 372 Tuber¬
kulösen, 468mal auf die Ehrlich’sche Diazoreaktion. Er fand, daß in allen
Stadien der Lungentuberkulose die Reaktion positiv sein kann. Den diagno¬
stischen Wert der Diazoreaktion hält er für unbedeutend. Prognostisch ist
nur die konstante Reaktion von Bedeutung; sie zeigt eine schlechte
Prognose an. So starben die meisten Kranken 2—3 Monate nach dem Auf¬
treten der Diazoreaktion, alle aber nach 1—l l / 2 Jahren. Es deutet also die
Diazoreaktion, auch wenn sie im 1. Stadium der Tuberkulose vorhanden ist,
auf eine Schwere der Infektion und einen progredienten Verlauf hin. Aus
dem zeitweisen Auftreten der Reaktion kann man keine sicheren prognosti¬
schen Schlüsse ziehen und daher auch nicht, wie Michaelis will, auf
eine einmalige positive Diazoreaktion hin Patienten von der Heilstätten-
behandlung ausschließen. Das regelmäßige Fehlen der Reaktion bedeutet
eine gute Prognose; auch Fälle im 3. Stadium ohne Reaktion hielten sich
lange und zeigten wenig Neigung zum Fortschreiten. Bei fiebernden Tuber¬
kulösen trat die Reaktion häufiger auf als bei nichtfiebernden. Auch nach
probatorischen Tuberkulindosen wurde sie zuweilen positiv. Bei allen Fällen,
in denen bei Beginn einer therapeutischen Tuberkulinkur die Diazoreaktion
positiv war, waren die erzielten Resultate geringer als bei den Fällen, wo
die Harnuntersuchung am Anfang noch keine Diazoreaktion zeigte. Ein
Schwinden der Reaktion im Laufe der Behandlung — fast stets einhergehend
mit Abnahme der klinischen Erscheinungen — konnte immer als ein gutes
prognostisches Zeichen betrachtet werden. v. Homeyer (Berlin).
Martins (Frankfurt a. M.), Über Todesfälle nach Salvarsaninjektionen
bei Herz- und Gefäßkrankheiten. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 20, 1911.)
Eine größere Zahl von Todesfällen mit Sektionsbefund nach Salvarsaninjek-
tion wird einer eingehenden Besprechung unterzogen. Nur ein Teil davon
konnte dem Salvarsan zur Last gelegt werden. Die Überlegungen, die an
diese Fälle geknüpft werden, dürfen auch deshalb besonderen Wert .bean¬
spruchen, weil die Arbeit zum Teil aus dem Ehrlich’schen Institut hervor¬
gegangen ist. Es soll bei der intravenösen Darreichung nicht mehr als 0,3
eingespritzt werden, und zwar soll das Salvarsan in reichlichem Lösungs¬
mittel langsam injiziert werden. Die Lösung darf nicht stark sauer rea¬
gieren. Kontraindikationen sind unter anderen: Schwerer Diabetes, ganz
besonders aber die Trias: Aortitis tuetica, Koronarsklerose und Myokarditis.
Angina pectoris ohne Komplikation von seiten des Herzmuskels wird durch
Salvarsan in günstiger Weise beeinflußt. R. Isenschmid.
R. Cruchet und Moulinier (Paris), Die Fliegerkrankheit. (Acad. des
Sciences, April 1911.) Die beiden Autoren konnten während der großen
Flugwoche in Bordeaux vom 11.—18. September 1910 allerlei Beobachtungen
an den Hauptfliegern ansteilen. Danach stellt sich sowohl beim Auf- wie
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1028
Referate und Besprechungen.
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beim Abstieg Dyspnoe ein, Tachykardie, Ohrensausen, Kopfweh und starker
Urindrang.
Beim Abstieg kommt noch dazu ein Brennen im kongestionierten Ge¬
sicht und — was vielleicht manchem verhängnisvoll geworden ist — ein
lebhaftes Schlafbedürfnis, welches die Flieger zwingt, sekundenlang die
Augen zu schließen.
Beim Landen verstärken sich alle diese Symptome, es stelle sich
Muskelmüdigkeit und Schlaf ein; der Blutdruck sei höher alsj bei der
Abfahrt. Buttersack (Berlin).
H. Chapple, Hüftgelenkstuberkulose und lleokolostomie. (The Lancet,
Nr. 17, 1911.) Chapple kam auf die Idee, daß die Infektion des Hüft¬
gelenks vom Processus vermiformis bzw. aus der Darmbeingrube erfolge und
hat demgemäß im einem ganz desolaten Fall bei einem Kinde von 12 Jahren
die lleokolostomie gemacht. Und in der Tat ging die Schwellung des Hüft¬
gelenks zurück, die Fisteln schlossen sich, das Gelenk wurde gebrauchsfähig
und das Allgemeinbefinden hob sich. Buttersack (Berlin).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
L. Sauv6 (Paris), Wert des Ovarienersatzes. (Paris medical, Nr. 18,
S. 422—427, 19110 Die neue Zeitschrift Paris medical bringt in regelmäßigen
Intervallen Hefte, welche einer bestimmton Disziplin gewidmet sind; so
enthält das Heft vom 1. April nur gynäkologische Dinge.
Die Arbeit von S a u v e beschäftigt sich mit der inneren Sekretion
der Ovarien. Störungen in dieser seien die Ursache für die 5 Hauptsymptome
der postoperativen Menopause: der Uterusatrophie, des Schwindens der sekun¬
dären Geschlechtsmerkmale (Atrophie der Brüste, Haarwuchs an abnormen
Stellen, tiefe Stimme. Nachlassen der Libido), der Stoffwechselstörungen
(vornehmlich Adipositas), des Aufhörens der Regel und schließlich und
hauptsächlich der mannigfaltigen nervösen Zufälle. Es erscheint nun theo¬
retisch richtig, kastrierten Frauen zur Beseitigung ihrer Beschwerden Ovaria 1-
substanz zu inkorporieren; dazu kann man entweder die Opotherapie, oder
die Konservierung eines Teiles der Ovarien, oder die Überpflanzung fremder
Eierstöckc in Anwendung ziehen. Indessen, Sauves Urteil läßt an allen
drei Methoden nicht viel Gutes. Zunächst ist die Opotherapie in ihren Er¬
folgen bekanntermaßen inkonstant, und wenn sie wirkt, so ist das nur der
Fall ehez les grandes nerveuses, bei welchen man mit anderen, möglichst
mysteriösen Mitteln ebenso gute Heilungen erzielen kann.
Das Zurück lassen von Teilen der Eierstöcke wäre ganz schön, wenn
man damit den Frauen nicht meistenteils zugleich einen Krankheitsherd
zurückließe, welcher Nachoperationen nötig macht, oder wenn diese Reste
nicht sonstige Beschwerden mit sich brächten. — Es bleibt somit nur die
Überpflanzung von Ovarien. Allein so bestechend das Kalkül sein mag: der
Effekt ist minimal. Sauve kommt mithin zu dem Schluß: ,,L’opotherapie
ovarienne a vecu : la Conservation ovarienne se meurt; et les greffes ovarien-
nes ne sont. pas bien vivantes.“ Dafür stellt er die These auf: Unsere Vor¬
stellung von der insuffisance ovarienne ist eine Fiktion, ein imaginärer
Feind, welchen man gar nicht zu attackieren braucht, weil er eben in Wirk¬
lichkeit nicht vorhanden ist. Gewiß stellen sich mit der Menopause allerlei
— zumeist geringfügige — Phänomene ein; aber dieselben sind nervöser,
nicht ovarieller Natur.
Von physiologischem Interesse ist die Bemerkung, daß bei jungen
kastrierten Frauen die operative Menopause die geringsten Erscheinungen
mache. Für diejenigen, welche jede Funktion in einem bestimmten Organ
konzentriert denken, muß diese Tatsache etwas Überraschendes haben. Sie
wird aber verständlicher, wenn wir uns daran erinnern, daß die Gruml-
qualitaten des Lebens in jeder einzelnen Zelle vorhanden sind, und daß die
Organe nur Hypertrophien der einzelnen Grundeigenschaften darstellon; die
Muskelfaser stellt bei dieser Betrachtung die hypertrophierte kontraktile,
di» 1 Ganglienzelle die hypertrophierte nervöse Funktion dar. So dürften sich
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Referate und Besprechungen.
1029
auch die Funktionen der Ovarien, wenngleich nur andeutungsweise, bei den
übrigen Zellen finden, und je jugendlicher das Individuum ist, um so mehr
besteht die Möglichkeit, die künstlich ausgeschalteten Ovarienfunktionen
anderweitig zu decken, wie ja auch nach Kuflmaul's Mitteilungen am
kindlichen Gehirn andere Teile für einen verloren gegangenen eintreten bzw.
seine Funktion übernehmen können. Die anatomischen Organe entwickeln
sich eben aus den Funktionen und nicht umgekehrt. (Vielleicht hatte
Demokritos eine ähnliche Vorstellung, als er die Lehre aufstellte, der
Same komme von allen Teilen des Körpers her: oo cXwv :wv u».>jxdrtov xai twv
XUSltUiaTIOV (XEptöv GIOV GOTXttiv, aaovfov xai Ivct'v.
Freilich, von den Erfolgen der Opotherapie, Überimpfung usw. hat man
seinerzeit Wunderdinge gehört; allein das ist immer so gewesen, und
Wilhelm von Humboldts Urteil wird dauernd richtig bleiben: ,,Es
ist wirklich recht schwer, ja genau genommen unmöglich zu bestimmen, was
eine Heilmethode eigentlich gewirkt hat, und gewiß wird ihr sehr oft zuge¬
schrieben, was bloß Wirkung der guten Natur oder anderer Umstände ist.‘‘
(Briefe an eine Freundin 1909, II, S. 3ö2.<) Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
M. O. Wyß (Zürich), Über die Wirksamkeit des Cycloforms als An-
ästhetikum bei Affektionen des Magen~Darmtraktes. (Archiv für Ver¬
dauungskrankheiten, Nr. 5. 1910.) Cycloform ist ein neues Anästhetik um,
das von den Farbenfabriken Bayer & Co. in Elberfeld hergestellt wird. Es
hat die besondere Eigentümlichkeit, im Wasser schwer löslich zu sein.
Die Schwerlöslichkeit in Wasser und in Salzlösungen läßt annehmen,
daß einerseits die Wirkung auf die Gewebe eine langsamer eintretende ist,
als bei Kokain, Novokain, Stovain usw., andererseits aber, daß resorptive
allgemeine Wirkungen viel weniger zu befürchten sind als bei jenen. Das
Präparat ist infolgedessen als wenig giftig- zti betrachten.
Beim Menschen ist auf der intakten Fvfjrperhaut eine irgend erhebliche
Anästhesie oder Analgesie nicht zu Erzielen.
Bei Wunden, die mit Cycloformpulver oder mit einer Mischung von
Cycloformpulver und Dermatol behandelt werden, besteht die Erscheinung
meist in einem deutlichen 1—2 Minuten andauernden Brennen, das von ein¬
zelnen Patienten unangenehm empfunden wird.
Nach längerer Einwirkung scheint das Cycloform eine anämisierende
Wirkung auf das Gewebe, speziell auf Granulationen auszuüben. Einen
hämost.ypischen Einfluß hat. das Cycloform aber trotzdem sicherlich nicht.
Bei drei Fällen von Kardialgie, bei denen W. das Cycloform in Dosen
von 0,2—0,5 anwandte, zeigte sich anscheinend eine Besserung der Schmerzen.
Eine Patientin nahm ohne Wissen Cycloform in größerer Menge ein,
so daß sie in ca. 8 Stunden 3 g davon konsumierte. Irgendwelche Neben¬
erscheinungen zeigten sich weder an diesem noch an den folgenden Tagen.
Obwohl diese Resultate keine glänzenden sind, möchte W. die Anwendung
von Cycloform in Dosen von 0,2 — 0,4 bei Kardialgie und unstill¬
barem Erbrechten der Schwangeren zu weiteren Versuchen empfehlen.
Schmerzhafte Wunden der Mundhöhle, die er durch Bestreuen mit
Cycloformpulver zu analgesieren versuchte, blieben trotzdem schmerzhaft,
wenn auch ein gewisses Taubheitsgefühl in der Wunde und deren Umgebung
auftrat.
Nach diesen Erfahrungen mit Cycloform war W. überrascht durch
die ausgezeichneten Erfolge, die sich ihm boten, sobald er Cycloform in
Form von 20°/ 0 iger Salbe oder Suppositorien bei Affektionen der
Anus und insbesondere des Rektums anwandte.
Bei drei Fällen von entzündlichen inneren Hämorrhoiden bei Patienten,
von denen zwei schon früher ähnliche lästige und meistens 10—14 Tage
(lauernde Erkrankungen (lurchgemacht hatten, war die Wirkung eine ganz
eklatante.
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Referate und Besprechungen.
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Nach der einmaligen Einführung einer gut haselnußgroßen Menge der
Salbe war die Affektion toupiert, das lästige Drängen nach unten sistierte !
vollständig die Tenesmen und ebenso der Schmerz. Die Patienten, die früher
schon ähnliche Affektionen durchgemacht, und verschiedene andere Salben,
u. a. auch Kokain, verwendet hatten, waren frappiert durch die prompte
Wirkung des Cycloforms.
Bei zwei Fällen von äußeren entzündlichen Hämorrhoiden war die
Wirkung eine etwas langsamere, doch machte sich auch hier vor allem das
rasche Wegfällen der schmerzhaften Tenesmen angenehm bemerkbar.
Ermutigt durch diese Wirkung bei entzündlichen Prozessen des Rek-
tum ließ W. in der Folge bei zwei Patienten mit inoperablem Rektumkarzi¬
nom das eine Mal Salbe, das andere Mal Suppositorien zu 0,3 g Cyclo-
form, möglichst weit ins Rektum hinauf, einführen. Auch hier zeigte es
sich, daß speziell die als äußerst lästig bekannten Tenesmen bei Anwendung
des Cycloforms, wenn auch nicht ganz aufgehoben, so doch ganz bedeutend
gebessert, wurden. Irgendwelche allgemeine Störungen von seiten des Nerven¬
systems konnten' auch bei diesen Fällen nie beobachtet werden.
Der große Vorteil des Cycloforms liegt im ferneren darin, daß in¬
folge der ganz allmählichen Resorption die Wirkung eine fast kontinuier
liehe, lange andauernde ist, und daß ebenso Vergiftungserscheinungen viel
weniger zu befürchten sind als bei Kokain.
Wir haben in dem neuen Anästhetikum „Cy cloform“ zweifellos ein
Mittel, das uns bei der' Therapie der entzündlichen Rektalerkraukungen.
bei inoperablen Rektumkarzinomen, bei einer Gruppe von Intestinalerkraji
klingen wie Gastralgien große Dienste zu leisten imstande ist.
Vergiftungen.
A. Müller (Bielefeld), Ein Vergiftungsversuch mit Bromural. (DeutseAf
med. Wochenschr., Nr. 8, 1911.) Müller berichtet über einen Selbstmord¬
versuch mit Bromural. Die betr. Pat. hatte 30 Tabletten ä 0,2 auf einmal
genommen. Die einzige Folge war ein 36 Stunden anhaltender tiefer Schlaf,
aus dem sie ohne Beschwerden -und Folgeerscheinungen erwachte.
Darauf dürfte die Ungefährlichkeit des Bromurals hervorgehen, wo¬
durch es sich vor vielen Schlafmitteln auszeichnet. F. Walther.
A. Cahn (Straßburg), Lysolvergiftung mit Aspiration in die Luftwege
und konsekutivem Empyem. — Karbolverletzung der Luftwege mit tödlichem
Ausgang. (Ther. Monatsh., Juli 1911.) Gravidität bei einem 26jährigen
Fräulein. Suizidversuch durch Lysol (2—3 Eßlöffel in einem halben Glas
Malaga). Dabei geringe Verätzung der Speisewege, Aspiration des Lysols
mit Bronchitis und starker Streptokokkenpneumonie im linken Oberlappen
Dadurch spontaner Abort, Infektion der linken Pleui*a mit Empyem, das
glücklich operiert werden konnte, trockene Pleuritis rechts, die sponun
ausheilte. Allgemeininfektion mit ausgesprochener Nephritis lind ganz spät
im Wochenbett Parametritis. Genesung. Während bei Vergiftungen mit
Säuren und Alkalien Aspirationen in die Luftwege — gewöhnlich
schnellem tödlichen Ausgang — nicht gar so selten sind, ist derartiges bei
Lysol Vergiftung noch nicht beobachtet worden. In einem zweiten Fall
Suizid bei einem 26 jährigen Juristen — trat Exitus infolge Karbol Verätzung
der Lunge ein. Bei einer Phenol Vergiftung versteht sich die starke Ver¬
ätzung der mit dem Gifte in Berührung kommenden Teile leicht. Daß auch
in dem ersten Falle (Lysol) eine solche Verätzung entstand, erklärt sich
vielleicht daraus, daß das Fräulein das Lysol mit Malagawein vermischte
Die Kresole sind an sich weniger ätzend als das Phenol, und die einhüllenk
Seifenlösung vermindert diese Eigenschaft noch mehr. Durch die Zumischung
des starken Weines wurde das Gemenge dünnflüssiger, und die Ätz Wirkung
konnte intensiver werden. S. Leo.
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Referate und Besprechungen.
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Allgemeines.
Jankelevitch, Die Mutationstheorie in ihrer Bedeutung für die Patho¬
logie. (Revue de Medicine, 30. Jahrg., Nr. 12, S. 959—982, Dezbr. 1910.)
Die Vorstellung, daß jeder Menseh ein für sich bestehender, in sich zeit¬
lich und räumlich abgeschlossener, autonomer Organismus sei, beherrscht
zurzeit noch die Mehrzahl der Geister; und von ihr aus ist es leicht be¬
greiflich, daß Veränderungen an und in diesem Organismus auf irgend¬
welche äußeren Einflüsse zurückgeführt werden. Daher erklärt sich der
große Beifall, den die Bakteriologie und die hygienische Bewertung der ver¬
schiedenen Faktoren des uns umgebenden Milieu allenthalben gefunden haben.
Aber so ganz restlos haben die exogenen Ursachen das ätiologische Bedürfnis
nicht befriedigt. Tiefer schürfende Denker wurden deshalb auf den Be¬
griff der Disposition geführt. Allein auch dieser führt nicht zur letzten
Lösung; denn immer bleibt noch die Frage offen: Wie kommt es, daß eine
Konstitution nach der pathologischen Seite hin abgewandelt wird? Wie
kommt es, daß von 100 Personen, welche unter den gleichen Bedingungen
leben, nur eine relativ geringe Anzahl dem Gelenkrheumatismus, der Tuber¬
kulose, dem Krebs verfallen ? Offenbar waren diese erkrankten Individuen
schon vorher auf die betr. Schädlichkeiten gestimmt; ,,il faut que ces orga-
nismes consentenü. pour ainsi dire, ä subir l’influence de ces conditions
defectueuses du milieu“.
Verfolgt man diesen Gedanken rückwärts, so gelangt man nach Jan¬
kelevitch in das Embryonalsta-dium; und unter Heranziehung der de Vries-
sehen Mutationstheorie, sowie einer Beobachtung von Reaumur sucht er
es begreiflich zu machen, daß ganz gesunde Eltern Kinder mit patholo¬
gischen Anlagen erzeugen. Die Reaumur’sche Beobachtung bezog sich auf
ein Elternpaar mit normalen Extremitäten, dessen Sohn an Händen und
Füßen je 6 Finger bzw. Zehen hatte; und diese Anomalie vererbte sich in
den weiteren Generationen trotz jeweiliger Paarung mit normalgebildeten
Gatten.
Solch eine Mutation im frühesten Embryonalleben kommt nach J.
häufiger vor als man annimmt; es gibt weit mehr Leute mit karzinomatöser
Disposition als solche mit ausgebildeten Krebsen. Das kommt daher, daß
bei jenen die Bedingungen zur Krebsentwicklung nicht gegeben waren,
z. B. daß sie früher starben, ehe sie in das gefährliche Alter eintraten.
Aber worin liegt nun schließlich das Wesen des Krebses? Die Be¬
trachtungen, welche Jankelevitch dazu anstellt, sind interessant genug,
um hier des näheren verfolgt zu werden. Es zieht sich offenbar durch
alle Wandlungen, welche der Organismus im Laufe der Zeit durchraacht,
ein einheitlicher roter Faden, ein sich gleichbleibender, unveränderlicher
Faktor hindurch (quelque chose d’invariable doit subsister, une propriete
constante qui doit pouvoir se retrouver dans tous les etats qu’il traverse).
Wäre dieser Faktor nicht vorhanden, so würde das individuelle Leben keine
Einheit bilden, sondern, eine Folge zusammenhangsloser Inkarnationen. Die
Aufgabe dieser propriete constante besteht nun darin, durch dauernde Ord¬
nung und Regelung der Wechselbeziehungen im Wechsel der Erscheinungen
und Bedingungen die. Einheit des Organischen zu sichern; sie bewirkt das
„ensemble indivisible dont toutes les parties constitutives agissent de concert
en vue dun but coinmun“. Versagt sie, dann entsteht Anarchie der Teile;
jeder wuchert für sich selbst, ohne Rücksicht auf das Ganze zu nehmen,
und das ist ja das Charakteristische des Krebses.
'Wahrscheinlich läßt dieses Referat die Lücken und Unzulänglich¬
keiten der Betrachtungen von Jankelevitch noch deutlicher erscheinen als
die Originalabhandlung. Er ist sieh deren auch selber wohl bewußt.
Aber immerhin bringt er manche Gedanken, welche ein taxpoc oiXoaooos
mit großem Interesse lesen wird. Ganz besonders wertvoll ist die Hervor¬
hebung der Einheit des Organismus im Gegensatz zu den immer subtiler
werdenden Differenzierungen. „Geist und Leben entschlüpft flüchtig dem
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1032
Büclierschau.
groben Skalpell“, spotteten schon vor 100 Jahren Goethe und Schüler in
ihren Xenien, und sie hätten heute nichts an diesen^ Epigramm zu ändern.
Ich halte es für ein Zeichen von Courage, daß J. die Einheit auf quelque
chose d’invariable, auf une propriete constante bezieht. Vielleicht ist er sich
der Tragweite dieses Gedankens gar nicht bewußt. Denn wenn man ihn
weiterverfolgt, so wird man fast von selbst darauf geführt, jene Einheit
im Wechsel als eine psychische Leistung zu erkennen, als etwas Metaphy¬
sisches, wenn man die Ansicht der modernen Naturwissenschaft zugrunde
legt, nach welcher es außerhalb des Bereichs unserer Sinne nichts weiter
gibt. Die Idee ist es, welche das zusammenhaltende und bleibende Moment
in der Erscheinungen Flucht darstellt; und die Idee ist es, welche uns ,
Menschen von heute körperlich und geistig mit jenen vor Jahrhunderten und
Jahrtausenden verknüpft. Buttersack (Berlin).
Bücherschau.
Ketzerische Gedanken über die Serotherapie. Aus „Gesundheitslehre für Ärzte
und andere gescheite Leute“. Die ketzerischen Betrachtungen eines Arztes. Von
Dr. Fr. Erhard.*) 2. vermehrte und umgearbeitete Auflage. München 1911.
Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 90 S.
Der selbständig denkende Arzt, der sich von der mit Kasuistik, spezialistischem
Dötail und Laboratoriumsergebnissen angefüllten Fachpresse enttäuscht fühlt,
findet in dem geistvollen Büchlein des unter einem Pseudonym verborgenen Ver¬
fassers ein Eingehen auf wichtigste Fragen von allgemein ärztlichem Interesse,
auf Einseitigkeiten, Übertreibungen und Fehler der offiziellen Heilkunde, die sonst
so gern totgeschwiegen werden, obschon der Arztestand doch viel besser daran täte,
von selbst für ihre Beseitigung zu sorgen, als sich erst durch die Laienbeweguug
der Lebensreform, der Naturheilkunde usw. dazu zwingen zu lassen. Das Büchlein
sei daher jedem Arzt empfohlen.
An dieser Stelle soll nur der Passus über die Serotherapie herausgehoben
werden, weil er eine willkommene Ergänzung bildet zu den früher in den F. d. M.
erschienenen Besprechungen der ihr entgegeustehendeu Bedenken.
Die Serotherapie, so führt Erhard aus, setzt nicht nur die menschlichen
Individualitäten unter einander, sondern auch die tierischen den menschlichen gleich.
Sie nimmt ferner an, daß die aus der künstlichen Tierinfektiou resultierenden Säfte-
veränderungen geeignet sind, in allen Stadien der entsprechenden menschlichen
Erkrankung heilsam zu wirken. Rutscht in diesem Kartennäöschen von Hypothesen
eine Karte aus, so fällt das Ganze um.
Die dem ersten Enthusiasmus folgenden Untersuchungen haben doch ergeben,
daß die Hergänge nicht so einfach sind, sondern im Gegenteil so kompliziert, daß
man die kühnsten Bilder und malerischsten Namenbildungen gebrauchte, um sich
die Resultate einigermaßen einzuprägen. Es ist eine moderne Kabbala entstanden,
die wie ihr Urbild an ihrer eigenen krausen Verwirrung und Fülle von Wider¬
sprüchen zugrunde gehen wird. Im Grunde ist doch nur herausgekommen, daß
der Organismus ein Geheimnis und daß es wenig aussichtsvoll ist, in seine ständig
wechselnden Vorgänge immer mit einem und demselben Serum hineinzufahren.
Die scheinbar großen Erfolge mancher Serotherapeuten werden außer durch
deren Enthusiasmus auch durch den Umstand erklärt, daß Pferdeserum mit einem
Zusatz bakteriellen Giftes allemal ein sehr differentes Mittel bleibt, das imstande
ist, die Reaktion des Körpers aufs kräftigste anzuregen und einen Sturm zu ent¬
fachen, bei dem, wenn es glückt, auch eine gerade vorhandene Krankheit weggeblasen
wird. — Überlassen wir es der Zukunft, ob es glücken wird, das stellvertretende
Leiden auch in der Medizin zu Ehren zu bringen. Glaubte man durch Jahrhunderte,
daß man die Krankheit durch Verkeilen in einen Baumstamm heilen könne, warum
sollen wir nicht eine Weile glauben, daß ein Tier der Menschheit hygienische
Sünden trage? Esch.
*) Aus dem bereits iu Nr. 25 besprochenen Büchlein von Erhard sei noch
folgendes besonders hervorgehoben, weil die betreffenden Ausführungen des geist¬
vollen Verf. eine Ergänzung zu den früher in dieser Zeitschrift referierten Arbeiten
bilden. _
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tomcftritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgeg6b6D von
Professor Dr. 0. Köster Prio.-Doi. Dr. o. £riegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 44. da « Halbjahr. 2. Novbr.
| -- Verlag von Georg Thieme, Leipzig. = ||
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Zusammenfassende Übersicht über die Lehre von der Anaphylaxie.
Von Dr. W. SchUrmann.
Die Lehre von der Anaphylaxie hat sich in den letzten Jahren zu
einem selbständigen Zweig der immunitätsforschung entwickelt. Unter
Anaphylaxie versteht man den Zustand der Überempfindlichkeit, welche
eintritt, wenn ein Organismus, auf den ein Reiz schon öfter eingewirkt
hat, auf jede Wiederholung des Reizes mit stärkerer Reaktion antwortet
als ein anderer Körper derselben Art, auf den der gleiche Reiz zum ersten
Male ausgeübt wird. Bringt man dem Organismus eines Warmblüters hete-
rologes Eiweiß bei, so entwickelt sich nach einiger Zeit eine spezifische
Überempfindlichkeit bei dem Tiere, das heißt, ein derartig vorbehandeltes
Tier reagiert auf eine wiederholte Injektion desselben Eiweißes, das
an sich durchaus ungiftig ist, mit heftigen Krankheitssymptomen und
verendet, oft nach kurzer Zeit.
Behring war der erste, der im Jahre 1893 die Erscheinungen
der überempfindlichkeit gegenüber Toxinen beschrieben hat (Diphterie-
toxin). Kurz seien hier noch Knorr, Kitashima, Wassermann,
Salomo nsen und Madsen, Nico Ile und Pozerski erwähnt, die
weitere Experimente über die Toxinüberempfindlichkeit der Behring-
schen Arbeit anschlossen.
Die eigentlichen grundlegenden Untersuchungen über die Eiwei߬
anaphylaxie stammen von Richet, der im Jahre 1898 bei der Immuni¬
sierung von Hunden mit giftigem Aalserum statt Immunität Über¬
empfindlichkeit erzeugte und beobachtete, daß der Tod der Versuchs¬
tiere nach wiederholten Injektionen eintrat. — Neuerdings hat man
Beobachtungen von Magendie aus dem Jahre 1839 über den Tod der
Tiere nach wiederholten intravenösen Injektionen von Eiweiß gefunden.
— Allerdings hat Richet mit einem primär toxischen Eiweißstoff
gearbeitet, während die Anaphylaxie gerade ausgelöst werden soll durch
völlig ungiftige Eiweißkörper, die erst bei wiederholter Injektion
schwere Giftwirkung auslösen; dann hat Riebet mit einem partiellen
Toxin gearbeitet, einem Stoff ohne jede praktische Bedeutung. Erst
als festgestellt wurde, daß die Injektion einer jeden körperfremden
Eiweißsubstanz (Serum, Organe, Bakterieneiweiß) eine Anaphylaxie
hervorruft, war der Gedanke einer Gesetzmäßigkeit des Vorganges
gegeben, v. Pirquet gab in den Werken über die Serumkrankheit,
die Revakzination und die Kutanreaktion ein abgerissenes klinisches
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1034
\V. Scliünnnnn,
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Bild der Anaphylaxie. Inzwischen folgte von Arthus eine klare Auf¬
fassung der anaphylaktischen Prozesse.
Arthus injizierte Kaninchen Pferdeserum subkutan, intraperi¬
toneal und intravenös ohne Schaden. Bei wiederholter Injektion lösten
sich krankhafte Symptome bei den Tieren aus. Wurde subkutan vor
behandelten Kaninchen Pferdeserum in die Ohrvenen injiziert, so bilde¬
ten sich augenblicklich schwere Symptome aus. Die Tiere wurden
ängstlich unruhig; die Atemfrequenz stieg auf 200— 250, Fäzes wurden
entleert, die Tiere legten sich auf die Seite, und verendeten. Auch mit
Kuhmilch konnte Arthus Überempfindli(hkeit erzeugen. Fast gleich¬
zeitig mit Arthus veröffentlichten v. Pirquet und Schick eine Mit¬
teilung. in der sie den Satz aufstellten, daß der mit „pathogenen Sub¬
stanzen vorbehandelte Organismus für längere Zeit die Fähigkeit be¬
hält, auf eine nochmalige Einwirkung desselben Agens schneller mit
Krankheitserscheinungen zu antworten“. Das artfremde Serum wird
von ihnen besonders unter diesen pathogenen Substanzen aufgeführt.
v. Pirquet und Schick machten ihre Beobachtungen an Menschen,
die wiederholt mit Pferdeserum behandelt waren. Sie fassen die auf
Injektion artfremden Serums zurückzuführendenKrankheitserscheinun.-
gen unter dem Kamen „Serumkrankheit“ zusammen.
Die bei der Serumkrankheit beobachteten Exantheme, die auch bei
Kälbern und Pferden nach der Injektion von Serum auftreten können,
haben urtikaria-, masern- und scharlachartigen Charakter. Sie nehmen
immer bei der Serumkrankheit ihren Ausgang von der Injektionsstelle,
was den infektiösen Exanthemen gegenüber differential-diagnostischen
Wert besitzt.
Die urtieariellen Effloreszenzen sind von starkem Juckreiz be¬
gleitet. Es erfolgen immer neue Nachschübe, die wieder frische Haut-
steilen befallen, bis die ganze Haut den Prozeß durchgemacht hat. —
Als erstes Symptom, meist nach einer 8—10tägigen Inkubations¬
zeit, treten bei Erstinjizierten Effloreszenzen an der Injektionsstelle
auf. Dieser meist urtikarielle Ausschlag breitet sich dann schubweise
über den ganzen Körper aus und ist von starkem Juckreiz begleitet.
Manchmal werden auch Temperatursteigerungen bis zu 40° beobachtet.
Auf der Höhe der Krankheit erscheinen Ödeme, die oft gewaltige Aus¬
dehnung annehmen können. Sie lokalisieren sich mit Vorliebe im Ge
sicht und an den Extremitäten und gleichen durchaus nephritischen
Ödemen, haben aber nichts damit zu tun. Albuminurie tritt höchst
.selten auf. Die Diurese liegt danieder, die erst mit dem Zurückgehen
sämtlicher Erscheinungen wieder normal einsetzt. Seltener wird eine
Miterkrankung der Gelenke beobachtet. Entweder ist nur ein Gelenk
in Mitleidenschaft gezogen, oder es sind alle Gelenke befallen. Diese
Erkrankung ist äußerst schmerzhaft. Alle schmerzlindernden Mittel
versagen hier völlig. Nach Hartung waren unter 2073 Italien von
Serumkrankheit. 140 Fälle mit Gelenkaffektionen zu zählen. Die .Er¬
krankung ist an sich gutartig. Bleibende Schädigungen sind bisher
nicht, beobachtet worden. Worin der Grund für die Gelenkschmerzen
zu suchen ist, ist noch nicht erwiesen. Man glaubt annehinen zu dürfen,
daß es sich wahrscheinlich um Quaddelbildung auf der Synovialis
handele. Die Zahl der Leukozyten wird während der Krankheit ver-
minderi.
Wie verläuft nun die Krankheit bei Reinjizierten ?
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Zusammenfassende Übersicht über die Lehre von der Anaphylaxie. 1035
Die Erkrankung setzt ohne Inkubation gleich mit großer Heftig¬
keit ein. (Sofortige Reaktion nach v. Pirquet.) Intensives ödem
an der Injektionsstelle, selten Fieber, selten allgemeines Exanthem. Es
kann auch Vorkommen, daß ein Inkubationsstadium von ö Tagen der
Erkrankung vorangeht (beschleunigte Reaktion nach v. Pirquet).
Das ödem kann an der Epiglottis sich sehr stark entwickeln, sodaß plötz¬
lich Atemnot, Erstickungsgefahr eintritt. Klemperer und Neuber
berichten von Fällen schwerer Serumkrankheit. Die Reinjektion er¬
folgte nach 2 Jahren. Schwere Collapserseheinungen wurden beob¬
achtet mit glücklichem Ausgange. Es äußert sich also beim Menschen
die Anaphylaxie unter den oben als Serumkrankheit bezeichneten Symp
tomen. Die Menge des injizierten Serums übt auf die Schwere der
Krankheitserscheinungen keinen Einfluß aus, wie die Untersuchungen
von Otto und die Erfahrungen der Heubner’sehen Klinik bestätigen.
Da letal endende Fälle selbst nach schwerer Serumkrank¬
heit nicht beobachtet worden sind, da auch bleibende Schä¬
digungen bisher nicht vorliegen, soll der behandelnde Arzt
unbeirrt zur Serumtherapie greifen, weil die geringen Un¬
bequemlichkeiten für den Patienten nicht zu vergleichen
sind mit dem Heilwert der Immunsera.
Um die unangenehmen Nebenwirkungen der Serumbehandlung aus¬
zuschalten, wurden verschiedene Wege eingeschlagen:
1. verringerte man die zu injizierende Serummenge durch Her¬
stellung hochwertiger Sera;
2. wollte man das Pferdescrum ersetzen durch Serum von Maul¬
eseln, Kühen, Ziegen usw.;
3. bringt man nur abgelagertes Serum in den Handel, da es ge¬
ringere Erscheinungen als frisches Serum macht;
4. sucht man nach Stronk Serum auf 79° zu erhitzen, da cs 1
sich ähnlich verhält wie abgelagertes.
Man ging bei der Bekämpfung der Anaphylaxie von dem Gedanken
aus, die Giftigkeit der Sera zu verringern. Vergebliche Versuche nach
dieser Richtung hin sind von Anderson und Rosenau gemacht worden.
Die amerikanischen Forscher trachteten dann danach, mit physikali¬
schen und chemischen Mitteln ihr Ziel zu erreichen; ebenso erfolglos!
blieben ihre dann mit Fermenten, Alkaloiden und Salz Verbindungen
angestellten Untersuchungen.
Eine Inaktivierung der Sera bei 55° setzte die Giftigkeit der
Sera herab. Im Institut Pasteur zu Paris (Besredka) werden die
Sera an 3 aufeinanderfolgenden Tagen je 1 Stunde, am 4. Tage jedoch
2 Stunden bei 50° gehalten, und durch diese Prozedur, wie das Tier¬
experiment lehrt, um das Dreifache entgiftet. Nur derartig behandelte
Sera kommen dort in den Handel, und es erklärt sich daraus, warum in
Frankreich die Serumerscheinungen relativ seltener sind wie in anderen
Ländern, wo unerhitztes Serum zur Verwendung gelangt.
Man kann die üblen Nebenwirkungen des Serums vermeiden, wenn
man das Versuchstier durch gewisse Eingriffe gegen eine nochmalige
Injektion refraktär macht. Narkose des anaphylaktischen Tieres mit
Äther, Applikation von Alkohol per os oder per rectum lassen keine
anaphylaktischen Erscheinungen bei der Reinjektion auf kommen. Weni¬
ger befriedigende Erfolge wurden erzielt mit Chloräthyl, Urethan,
Chloralhydrat, Morphium. Die durch die erwähnten Narkotika ge¬
wonnene Immunität der Tiere ist leider nur von kurzer Dauer.
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W. Schürmann,
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Einen anderen Weg haben Anderson und Rosenau angegeben,
der darin besteht, daß man die anaphylaktischen Tiere in dem prä¬
anaphylaktischen Stadium durch wiederholte große Serumgaben voll¬
kommen immunisiert.
Besredka behauptet, daß eine einmalige intraperitoneale Injek¬
tion von Serum in der präanaphylaktischen Zeit, ja sogar 2 Stunden
vor der Reinjektion genügt, um das Auftreten von Anaphylaxie zu ver¬
hindern. Sicherere Erfolge erzielten die Franzosen mit Präventivinjek¬
tion von auf 80° erhitztem Serum. Weiter wird von Besredka an¬
gegeben, daß die beste Vakzination erreicht wird durch rektale oder
subkutane Applikation von minimalen Dosen von Normalserum.
Neuere Verfahren seien hier erwähnt. Netter macht kutane Chlor¬
kalziumgaben (0,75—1,0 g 3 Tage hintereinander) und will dadurch
die Serumkrankheit von 20°/ 0 der Fälle auf 3° 0 herabgesetzt haben.
Eine Reindarstellung des Antitoxins aus dem Serum ist bisher noch
nicht gelungen.
Man unterscheidet nun eine natürliche und eine künstliche
Anaphylaxie.
Zur natürlichen (angeborenen, konstitutionellen) Anaphylaxie
rechnet man alle Idiosynkrasien, wie sie nach dem Genuß von
Speisen usw. bei den verschiedensten Individuen Vorkommen.
Von größerem Interesse ist uns die künstliche Anaphylaxie,
die durch Vorbehandlung mit körperfremden Eiweißarten eintritt und
durchaus als spezifisch anzusehen ist. Die verschiedenen Sera (Pferd,
Rind, Aal), Hühnereiweiß, Milch, Extrakte aus Tierleibern, Spermato-
zoen, Erythrozyten, zerriebene Augenlinsen, Pflanzeneiweiß, Bakterien¬
eiweiß, Hefezellen, können als anaphylavisierendes Antigen Verwen¬
dung finden.
Als Versuchstier dient das Meerschweinchen, wenn auch indi¬
viduelle Schwankungen und Rassedifferenzen oft störend in die Ver¬
suche eingreifen. Auf die genauen Details der Versuche möchte ich
mich hier nicht einlassen. In Kürze möchte ich nur mit-teilen, daß zu¬
nächst die Sensibilisierung des Tieres durch Injektionen von Serum
erfolgte. Es muß erst eine gewisse Zeit verstreichen, bevor die Ana¬
phylaxie nachgewiesen werden kann. Also ungefähr am 11. Tage (ge¬
rechnet von der ersten Injektion) erfolgt die Reinjektion mit der zur
Vorbehandlung benutzten Eiweißlösung. Bei subkutaner Reinjektion
sind 5—6 ccm Eiweißlösung zu injizieren, bei intravenöser, intra-
cardialer, intrazerebraler Einverleibung genügen kleine Quantitäten
(0,25 ccm). Reagiert das Tier auf die Reinjektion hin mit Anaphylaxie,
so treten die charakteristischen Symptome auf: Unruhe, Würgen, Husten,
Druckempfindlichkeit das auf getriebenen Abdomens, Taumeln, frequente
Respiration, Herztätigkeit äußerst schwach, spontaner Abgang von Kot
und Urin, Exitus. Oft kommt es vor, daß ein Teil der Tiere sich nach
dem schweren Koma erholt. Uber die organischen Veränderungen bei
anaphylaktischen Tieren, welche in neuerer Zeit lebhaft Gegenstand
der Diskussion geworden sind, werde ich später berichten.
Die anaphylaktische Reaktion ist als streng spezifisch anzu¬
sehen. Mit Kuhmilch vorbehandelte Tiere reagieren nur auf die Reinjek¬
tion von Kuhmilch, nicht von Ziegenserum, und umgekehrt.
Auch auf Injektion von Körperzellen und Organextrakten ent¬
wickelt sich eine artspezifische Anaphylaxie. Nur die Augenlinsen¬
extrakte nehmen eine Sonderstellung ein; sie enthalten ein besonderes
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Zusammenfassende Übersicht über die Lehre von der Anaphylaxie. 1037
Sensibilisinogen (Anaphylaktogen), das verschiedenen Tierarten ge¬
meinsam ist.
Die im vorausgehenden geschilderte Anaphylaxie nennt man die
aktive Anaphylaxie.
Die passive Anaphylaxie unterscheidet sich von der aktiven
Anaphylaxie dadurch, daß das Serum des mit Eiweiß vorbehandelten
Tieres (A) auf ein normales Tier (B) übertragen wird und in dem
letzteren durch nachfolgende Reinjektion der betreffenden Eiweißlösung
die Symptome der Überempfindlichkeit ausgelöst werden.
Aus unzähligen Experimenten geht mit Sicherheit hervor, daß
eine passive Übertragung der Überempfindlichkeit möglich ist. Die
passive Übertragung gelingt sowohl vom empfindlichen Meerschweinchen
auf das normale wie vom überempfindlichen Kaninchen auf das normale
Meerschweinchen (Otto, Dörr und Raubit sc hek), aber nicht von
Meerschweinchen auf Kaninchen.
Am liebsten geht man hei der passiven Anaphylaxie so vor,
daß man Kaninchen zur Vorbehandlung benutzt und von ihnen das Serum
später Meerschweinchen injiziert. Kaninchen sind die Serumspender, Meer¬
schweinchen die eigentlichen Versuchstiere.
Eine Übertragung der passiven Anaphylaxie durch Vererbung
ist möglich. Nach Untersuchungen von Iiosenau und Anderson geht
die Überempfindlichkeit vom Weibchen auf die Jungen über, gleich¬
gültig, ob die Mutter vor oder nach der Konzeption anaphylaktisch
wird. Durch die Milch wird die Überempfindlichkeit nicht übertragen.
Über das Wesen der Anaphylaxie existieren die verschiedensten
Theorien. Darüber ist man sich jedoch jetzt einig, daß es sich um
Immun Vorgänge handelt (Besredka). Die genauere Ausführung der noch
geteilten Ansichten über die Anaphylaxie würde hier zu weit führen. Nur
sei hier erwähnt, daß im Blute der anaphylaktischen Tiere Stoffe
kreisen, die man mit dem Namen „anaphylaktischer Reaktions¬
körper“ bezeichnet (Sensibilisin, Besredka). Nach Besredka ist
dieser Reaktionskörper hauptsächlich in den Nervenzellen aufgespeichert,
ein Teil kreist im Blute. Dieser Körper hat eine große Affinität zu dem
im Normalserum befindlichen Antisensibilisin (so wird von Besredka
jener Körper genannt, der die Auslösung der anaphylaktischen Symptome,
beim vorbehandelten hypersensiblen Tiere bedingt). Injiziert man nun
einem vor behandelten Tiere das betreffende Normalserum, so kommt
es zur Vereinigung des Antisensibilisins mit dem Senbilisin (Reaktions¬
körper) und es entsteht der anaphylaktische Shok.
Durch Narkose der vorbehandelten Tiere konnte Besredka bei
nachträglicher intrazerebraler Injektion von Eiweiß die Auslösung der
anaphylaktischen Symptome zurückhalten, ein Beweis für die Ansicht
Besredkas, daß sich der Vorgang der Anaphylaxie in den Nerven¬
zellen abspielt.
Nach Wolff-Eisner sind die Reaktionsstoffe als Lysine aufzu¬
fassen. Die Serumkrankheit läßt sich leichter auslösen bei Organismen,
hei denen die Präzipitinbildung weniger intensiv ist; bei Koagulin
bildenden Tieren ist ihre Auslösung erschwert.
Neben der Serumanaphylaxie hat man in letzter Zeit auch
Anaphylaxie mit Bakterieneiweiß hervorrufen können. Sie ist der
Arthus’schen Anaphylaxie völlig gleich und beruht nach den Unter¬
suchungen von Wolff-Eisner auf dem Proteingehalt des Bakterien-
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W. Scli ü rm ann
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Leibes. Kraus und Dörr konnten mit Typhus-DysenteriebazillenCholera,
El Tor-Vibrionen — die Kulturen wurden besonders behandelt —, Ana¬
phylaxie hervorrufen, die sich auch als hochspezifisch erwies. Rosenau
und Anderson konnten mit Typhus-, Koli-, Heu-, Tuberkelbazillen,
Milzbrandbazillen und Hefezellen-Aufschwemmungsfiltraten Anaphy¬
laxie erzeugen. Ob es gelingen wird die Bakterienanaphylaxie zu
diagnostischen Zwecken zu verwenden, darüber sind die Versuche noch
nicht abgeschlossen. Yamanouchi versuchte die menschliche Tuber¬
kulose mittels der Anaphylaxie zu diagnostizieren, aber seine Resultate
lassen bisher noch keinen einwandsfreien Schluß zu. Biedl und Kraus
haben bei Hunden Bakterienanaphylaxie beobachten können. Sie nahmen
dieselben anaphylaktischen Erscheinungen auch dann wahr, wenn Tiere
behandelt wurden mit Bouillon oder einem Agarextrakt ohne Bakterien.
Das Vergiftungsbild blieb aus, sobald die Nährböden ohne Zusatz von
Pepton hergestellt wurden.
Kraus und Biedl sprechen sich noch zaghaft über sichere Bak-
terienanaphylaxie aus. —
Man hat auch versucht, durch Anaphylaxie die verschiedenen
Pflanzeneiweiße zu differenzieren. So haben Wende Ist ad t und
Fellmer mit Pflanzeneiweiß Tiere vorbehandelt, dann sowohl a.ktive
wie passive Anaphylaxie durch Reinjektion des Pflanzeneiweißes hervor¬
gerufen. Die passiv anaphylaktisch gemachten Tiere reagierten nicht
nur auf das zur Sensibilisation benützte Pflanzeneiweiß (Bohne, Erbse,
Wicke usw.) mit Anaphylaxie, sondern jauch auf das Eiweiß artver¬
wandter Pflanzen. So löste z. B. bei einem mit Erbse (Pisum sativum)
vorbehandelten Kaninchen nicht nur Erbseneiweiß-Anaphylaxie aus,
sondern auch das Eiweiß von Saubohne (Vicia faba). Ferner haben
Raubitschek und Kawasawa mit Pflanzeneiweiß einschlägig experi¬
mentiert.
Hat aber ein Tier den anaphylaktischen Shok überwunden, so
bilden sich in seinem Körper Antianaphylaxine, d. h. Stoffe, die das
Eintreten der Anaphylaxie bei nochmaliger Injektion verhindern. Das
Tier bleibt gesund, es ist also gegen eine spätere Injektion immun. Dieser
antianaphylaktische Zustand ist nach Otto nur ein vorübergehender
und zwar besteht nach ihm die absolute Immunität bloß bis zum
17. Tage. Antianaphylaktische Tiere lassen sich reanaphylaktisieren.
Diese Präge harrt noch einer genaueren Nachprüfung.
Im Folgenden möchte ich noch näher eingehen auf die Erschei¬
nungen der Serumanaphylaxie und ihre experimentelle Analyse be¬
sprechen. Die grundlegenden Versuche in dieser Richtung sind von
Biedl und Kraus gemacht worden. Es treten bei der intravenösen
Reinjektion von 5—10 ccm Serum bei Hunden schon nach 30 Sekunden
Brechbewegungen auf; das Tier wird unruhig, Harn und Fäzes werden
entleert. Dann Liegen die Tiere ruhig da, wie gelähmt. Korneal-
reflex ist erhalten. Niemals wurde Dyspnoe bemerkt; es bestehen
allgemeine Depression und Muskelschwäehe. Eine direkte Schädigung
der zentralen nervösen Apparate erscheint ausgeschlossen zu sein. Eine
wichtige konstant vorkommende Veränderung ist die Blutdrucksenkung.
Erst wenn das Tier anfängt pich zu erholen, steigt der Blutdruck
wieder an, um sicher am folgenden Tage seine normale Höhe wieder
zu erreichen. Die Blutdrucksenkung findet ihre Ursache in der Ver¬
ringerung des peripheren Ge faß Widerstandes. Es kommt zu einer Vaso¬
dilatation der peripheren Gefäße, durch die Lähmung der peripheren
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Zusanimenfii9sende Übersicht über die Lehre von der Anaphylaxie. 1039
vasomotorischen Apparate. Man hat versucht, durch die verschiedensten
chemischen Präparate eine Blutdrucksteigerung herbeizuführen. Chlor-
baryuni vor der Reinjektion des Serums den Tieren beigebracht, ließ
eine anaphylaktische Blutdrucksenkung nicht aufkommen; auch die
sonstigen anaphylaktischen Symptome kamen nicht zum Ausbruch. Es
kommt dem Chlorbaryum also eine kurative Wirkung zu.
Durch weitere eingehende Studien von Biedl und Kraus wurde
die bei der Anaphyi. xie eintretende starke Herabsetzung, ja oft völlige
Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes erwiesen. Auch zeigt
sich während der Anaphylaxie ein völliges Fehlen der polynukleären
Leukozyten; dafür erscheinen im Blutbilde reichlich Lymphozyten und
Blutplättchen. —
Bei den antianaphylaktLschen Tieren bleibt jede Blutdrucksenkung
aus. Die Versuche wurden von Biedl und Kraus an Hunden aus¬
geführt.
Aus den Arbeiten von Schmidt und Fano war bekannt, daß
die durch Wittepepton nach intravenöser Injektion hervorgerufenen
Erscheinungen vollkommene Identität mit den eben besprochenen
anaphylaktischen aufweisen. Auch bildet sich in dem Tierkörper nach
einmaliger Injektion von Pepton eine Immunität aus, denn eine noch¬
malige Injektion von Pepton löst keine Giftwirkungen aus. Der Blut¬
druck ändert sich nicht, die Gerinnbarkeit des Blutes wird ebenfalls
nicht herabgesetzt. Chlorbaryum hatte auf die mit Pepton behandelten
Tiere vollkommen die gleichen Effekte wie bei den mit Serum vorbehan¬
delten Tieren.
Nach allen Versuchen muß also angenommen werden, daß die
anaphylaktischen Noxen denen des Wittepeptons äußerst nahestehen
Das klinische Bild der Anaphylaxie bei Meerschweinchen ist
von dem der Hunde durchaus verschieden. Eine genaue Schilderung
der klinischen Erscheinungen der Serumanaphylaxie stammt von Auer
und Lewis. Nach ihnen ersticken die Meerschweinchen infolge einer
tetanischen Kontraktion der Bronchiolenmuskulatur. Nach Kraus und
Biedl liegt die Ursache für die akute Lungenblähung und Starrheit
in einem „intensiven Krampf der Bronchialmuskulatur“. Die Lunge
der im anaphylaktischen Shok gestorbenen Tiere ist vollständig auf¬
gebläht, kollabieri nicht, und ist blutleer. Mikroskopisch betrachtet
erscheinen die Alveolarräume erweitert, die Alveolarwände schmal und
die Gefäße blutleer.
Der klinischen Erscheinungen der Anaphylaxie bei Meerschweinchen
ist im vorgehenden schon Erwähnung getan. Hier sei nochmals hin¬
gewiesen auf den akuten Tod, der bei Hunden selten zur Beobachtung
gelangt, auf die Erstickung und hochgradige Zyanose.
Bei .Meerschweinchen ist die Erzeugung eines anaphylaktischen
Zustandes durch intravenöse Injektion von Pepton ebenfalls erreicht
worden. Die Sektion ergab auch hier den charakteristischen Lungen¬
befund: Starrheit und Blähung der Lungen, die blutarm erscheinen.
Während beim Hunde eine Lähmung der peripheren vasomotorischen
Apparate im anaphylaktischen Shok sich konstatieren ließ, war beim
Meerschweinchen ein Bronehialinuskelkrampf durch die Pepton¬
injektion erzeugt.
Popielski faßt diese Peptonwirkung als eine physiologische auf.
Pick und Spiro haben nachgewiesen, daß sowohl Albumosen wie
Peptone nach Injektion in die Blutbahn den Blutdruck unveränderlich
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1040 Schürmanu, Zu»inmneijfaö»ende Übersieht über die Lehre vun der Anaphylaxie.
lassen, daß man durch Einwirkung; von Pepsin und Salzsäure Ver¬
dauungsprodukte ohne Verlust ihrer Wirksamkeit darstellen und endlich,
daß man Präparate erhalten kann, die, obwohl sie nur Spuren von
Albumosen und Peptonen enthalten, eine ausgesprochen giftige und
gerinnungshemmendeWirkung ausüben. LetztereOiftsubstanz nennt H o f-
meister Peptozym, das aus dem Peptozymogen abgespalten werden kann.
Es lag der Gedanke nahe, daß sich im Blute anaphylaktischer
Tiere peptonähnliche Stoffe nach weisen lassen. Pfeiffer und Mita
konnten im Tierkörper durch die Biuretreaktion keine Abbauprodukte
vom Peptoncharakter auf finden, wohl aber gelang es ihnen im Reagenz -
glasversuche, wenn sie reaktionskörperhaltiges Immunserum mit dem
Antigen zusammenbrachten. Pfeiffer und Mita schließen aus ihren
Experimenten, daß der anaphylaktische Shok durch die Bildung von
Eiweißspaltprodukten hervorgerufen sei, die ihrerseits wieder ihre
Entstehung einem proteolytischen Fermente verdanken. Eine Reihe
neuerer Arbeiten sprechen für die Ansicht, daß ein „fermentativer
Eiweißabbau 4 ‘ durch die Vereinigung von Antigen und anaphylaktischem
Reaktionskörper vor sich geht. Andererseits hat auch folgende Auf¬
fassung der anaphylaktischen Erscheinungen viele Anhänger gefunden.
Wie man hämolytische Vorgänge erklärt durch ein Zusammen treten
von 3 Körpern, Erythrozyt, Ambozeptor und Komplement, so wird auch
hier das Anaphylaktogen mit dem Reakt ionskör per erst dann aktiv,
wenn ein dritter Hilfskörper, das Alkali der Leber komplettierend dazu¬
tritt. Daraus erklärt sich auch die Tatsache, daß nach eingetretenem
anaphylaktischem Shok das Alkali, der Leber verringert ist. Die Anti¬
anaphylaxie, die Peptonimmunität läßt sich nach dieser Theorie mit
dem Fehlen des Alkali in der Leber erklären, ebenso das lange An¬
halten der aktiven Anaphylaxie.
Literatur:
Behring, Deutsche med. Wochenschr. 1893. — Besredka, Annal de l’Insütut
Pasteur 1907. — v. Pirquet u. Schick, Die Serumkrankheit, Wien 1905. —
Wolff-Eisner, Handbuch der Serumtheräpie. — Besredka, Uber Anaphylaxie,
Handbuch der Technik und Methodik der Immunitätsforschung von Kraus und
Levaditi, 1911, Erster Ergänzungsband. — Biedl u. Kraus, Die experimentelle
Analyse der anaphylaktischen Vergiftung, ebenda. — Otto, Münchn. med. Wochen¬
schrift 1907. — Pfeiffer u. Mita, Zeitschr. für Immunitätsforschung, Bd. 4. —
Rieh et, Compt. rend. de la Soc. de Riol., 1907, Tome 8. Annales de l’Institut
Pasteur, 1908, Tome 9. — Schmidt, Mühlheim’s Archiv für Anatomie u. Physio¬
logie 1909. — Anderson u. Rosenau, Journ. of med. Res. 1908, Vol. XIX. —
Arthus, Compt. rend. Acad. Science 1909, Tome CXLVIII. — Auer u. Lewis,
Journ. of the Americ. Med. Assoc. 1909. — Auer u. Lewis, The Journ. of exp.
Med. 1910, Vol. XII. — Dörr, Über Anaphylaxie, Wiener klin. Wochenschr. 1908,
Nr. 13 und Handbuch der Technik und Methodik der Iinmunitätsforschung von
Kraus u. Levaditi, Bd. 2, 1909. — Kraus u. Dörr, Über Bakterienanaphylaxie,
Wiener klin. Wochenschr. 1908, Nr. 28. — Kraus u. Biedl, Experimentelle Studien
über Anaphylaxie, Wiener klin. Wochenschr., 1909, Bd. 3. — Otto, Zur Frage der
Serumüberempfindlichkeit, Münchn. med. Wochenschr. 1907, Nr. 39. — Wende 1-
stadt u. Fellmer, Beitrag zur Kenntnis der Immunisierung durch Pflanzeneiweiß.
Zeitschr. für Immunitätsforsch, u. exper. Therap., Bd. 8, H. 1. — Wendelstadt
u. Fellmer, Die verschiedenen Pilzeiweiße im Tierexperiment, ebenda. — Friede¬
mann, Über passive Anaphylaxie, Münchn. med. WocheDschr. 1907. — K lern per er,
Über die Gefahr der Reinjektion größerer Mengen von Heilserum, Therapie der
Gegenwart 1908. — Pick u. Yamanouchi, Studien über Anaphylaxie, Wiener
klin. Wochenschr. 1908, Nr. 44. — v. Pirquet u. Schick, Zur Theorie der Inku¬
bationszeit, Wiener klin. Wochenschr. 1903. — v. Pirquet u. Schick, Über¬
empfindlichkeit und beschleunigte Reaktion, Münchn. med Wochenschr. 1906. —
Yamanouchi, Über die Anwendung der Anaphylaxie zu diagnostischen Zwecken,
Wiener klin. Wochenschr. 1908, Nr. 47.
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VV. Hammer, .Grundzüge der Zahnheilkunde für Ärzte.
1041
Grundzüge der Zahnheilkunde für Ärzte.
Von Dr. med W. Hammer, approbiert als Arzt und Zahnarzt, Berlin.
(Schluß.)
Ist alles Kranke entfernt, so legt man die Umgebung des Zahnes
durch Wattebäusche trocken und verbietet die Kaubewegungen, da die
Kaumuskeln sonst die Speicheldrüsen wie Schwämme auspressen. Dann
trocknet man mit Weingeistwatte und heißer Luft aus. Die heiße
Luft gewinnt man durch Erwärmen des Luftspritzenansatzes in einer
Weingeistflamme. Man hüte sich bei der Austrocknung vor der Ver¬
letzung der Lippen durch den Ansatz der Spritze. Dann erneuert man
die Watte, legt Weingeistwatte ein und rührt Zement und Amalgam an.
Zement besteht aus Zinkoxyd (einem gelbweißen Pulver) und Phosphor¬
säure, einer zähen Flüssigkeit, die an der Luft Wasser anzieht und
daher nicht offen stehen soll.
Durch Mischung eines Tropfens Phosphorsäure mit etwas Zink-
oxydpulver bildet sich Zinkphosphat; die Mischung geschieht mittels
Horn- oder Metallspatels. Das Zinkphosphat wird zur Füllung verwandt,
wenn es stumpf und trocken ist, aber noch nicht vollständig erhärtet.
Sofort wird Quecksilber mit Silberamalgamspänen gemischt, "bis eine
knetbare Masse entsteht, aus der dann alles überflüssige Quecksilber
lierausgepreßt wird. Dann entfernt man schnell die Weingeisteinlage
aus dem Zahne und bläst nochmals heiße Luft ein, damit die Höhle
trocken ist, füllt nun Zinkphosphatzement und hierauf Amalgam, das
man in den knetbaren Zement hineindrückt.
Statt des Silbcramalgams kann auch das billigere Kupferamalgam
gewählt werden, das jedoch im Munde schwarz wird. Kupferamalgam
kommt in Tafeln in den Handel, die auf der Weingeistflamme erhitzt
werden, bis das Quecksilber in Tröpfchen ausschwitzt. Dann wird es
geknetet.
Die Vorderzähne werden nur mit Zement oder besser , 1 m t Silikat¬
zement gefüllt. Das geschieht jedoch besser unter Anwendung des
Gummilappens (Cofferdam) und setzt daher besondere zahnärztliche
Kenntnisse voraus.
Ist das Zahnmark schon leicht miterkrankt, so ist die Vorbereitung
älmlich. Doch wird zwischen Phosphatzement und den Boden der Höhle
eine Schicht Fletchermasse gelegt, die in folgender Weise hergestellb
wird: Mastix 7,5, Zmkoxyd 100,0, Zinksulfanhydrid 12,0 werden zu
einem Pulver gemischt.
Das Pulver wird mit einer Flüssigkeit angerührt, die aus Wein¬
geist, Wasser, Gummi und etwas Karbolsäure besteht, in denen das
Pulver zum Teil gelöst ist.
Pulver und Flüssigkeit werden gemischt und wie Phosphatzement
auf einer Glasplatte angerührt und verwandt.
Das Unterschichten der Amalgamfüllungen hat den Zweck, die gute
Wärme- und Kälteleitung, die das Zahnmark schädigen könnte, zu
unterbrechen und ein festes Haften der Füllung an den Zahnwänden
zu bewirken, während das Metall die Kaufläche abgibt und eine schnelle
Abnutzng verhütet. Wer nicht über große Erfahrungen verfügt, kauft
die Zementpulver und Flüssigkeiten, wie auch die Amalgame und die
FTetcherbestandteile in einem „Dentaldepot“.
Ist der Zahn gefüllt, so läßt man zubeißen und wischt den Uber¬
schuß mittels eines Wattebausches und der Pinzette ab, während man
hinterher mit Vaselin (auf Watte) glättet und dann 6 Stunden lang
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I
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1042 W. Hammer,
den Genuß fester Nahrung verbietet, damit die Füllung nicht, solange
sie noch nicht ganz hart ist, durch den Kaudruck verdorben wird.
Ist das Zahnmark schon stark entzündet, so füllt man zunächst noch
nicht, sondern tötet erst ab („Nervtötung“). Nachdem man mit warmem
Wasser die Speisereste herausgespült hat, sucht man mit Aushöhlern
(Exkavatoren) so viel erweichtes Zahnbein zu entfernen, als der Kranke
aushält. Dann trocknet man schnell die Höhle aus und legt Arsenik
ein. Endlich verschließt man mit Zinkphosphatzement, damit nichts
von dem Arsenik in die Mundhöhle kommt.
Man schreibt sich genau auf, welchen Zahn man behandelte, damit
man ihn am nächsten Tage wieder erkennt und schließt am besten mit
schwarz gefärbtem Zement, der im Munde stets leicht erkannt wird.
Die Arsenikpaste wird aus einem Tröpfchen verflüssigter Karbolsäure
und einer gleichen Menge arseniger Säure jedesmal auf einer Glas¬
platte frisch hergestellt und nach 24 bis 48 Stunden entfernt.
Will der Kranke erst nach acht Tagen wiederkommen, bedient man
sich an Stelle der arsenigen Säure des Scherbenkobaltes, der weniger
sicher und weniger schnell wirkt.
Langes Liegenlassen des Arseniks im Zahn kann zu Wurzelhaut¬
entzündungen und Knochen(Kiefer-)erkrankungen führen.
Kommt der Kranke nach 1 oder 8 Tagen wieder, so wird die
Arsenikfüllung unter Watteschutz für Zahnfleisch, Wange und Mund¬
höhle herausgekratzt. Dann wird das schmutzigrote Zahnmark entfernt,
der Zahn gut ausgehöhlt, aus jedem Wurzelkanale mittels gezähnter
Drähte („Wurzelextraktoren“) der Markrest entfernt. Dann wird aus-
gespült, getrocknet, in jeden Wurzelkanal und auf den Zahnhöhlen¬
boden Lysoformpasta oder Trikresolformalinpasta eingefüllt. Hierauf
folgen Schichten von Fletcher, Phosphatzement, Amalgam.
Zahnfäule (Gangraena) ist vorhanden, wenn das Zahnbein tot
ist und fault. Sie wird am schlechten Gerüche und an der verhältnis¬
mäßigen Schmerzfrelheit und der tiefen Höhle eines Zahnes, der früher
lebhaft schmerzte, erkannt. Die Behandlung besteht in Herausschaffung
aller faulen Massen, besonders auch aus den Wurzelkanälen, Reinigung
der Kanäle mit 40°/ 0 iger Schwefelsäure, die mit Sodalösung abgestumpft
wird, Austrocknung, Einfüllen von Lysoformpasta-, Auffüllen mit Gutta¬
percha. Guttapercha kommt in Stangen in den Handel, die beim Er¬
wärmen knetbar, in der Kälte hart werden. Die Schwefelsäuresoda¬
behandlung der Wurzelkanäle erfolgt mit leichter Hand und so lange
in einer Sitzung, bis jeder faulige Geruch der Wurzelsonde ver¬
schwunden ist. Dann legt man Nelkenölwattefäden in die Wurzel¬
kanäle, Lysoformpasta auf den Boden der Höhle und endlich erwärmte
Guttapercha, die mit einem kalten kugelförmigen Werkzeug einge¬
tragen wird, bis zur Füllung des Zahnes.
Wenn nach 8 Tagen neue Schmerzen und fauliger Geruch noch
immer fehlen, wird die zeitweilige Füllung durch eine dauernde (Lyso¬
formpasta in die Wurzelkanäle, Fletcher, Zinkphosphatzement,
Amalgam) bewirkt. Vor Anlegen der Füllung bewirkt Austupfen mit
Ho0 2 (Stammlösung auf Watte) eine gründliche Reinigung.
Ist ein Zahn schon auf Druck empfindlich, so ist die Wurzel¬
haut in der Regel entzündet.
Nur l>ei Vorliegen von Lustseuche und fieberhaften Allgemeinleiden,
erhält der Arzt derart kranke Zähne (Pinselung des Zahnfleische^
mit Nelkenöl, Jodtinktur, Eisenhuttinktur [Tinct. Aconiti, Tinct. Jodi ää
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Grund/.üge der Zahnbeilkunde für Arzte.
1043
zum Pinseln des ZahnfleischeSj) oder er gibt innerlich Fieber- und
schmerzstillende Heilmittel.
Andernfalls, also beim Drohen einer Zahnfleischeiterung ode.r beim
Vorliegen von Eitergängen, schreitet er zum Ausziehen des Zahnes.
Zu diesem Zwecke hält er sich einen Satz Zahnzangen, Zahn¬
wurzelzangen und einen Lecluschen Hebel für das Heraushebeln unterer
Weisheitszähne sowie einen Gaisfuß zum Herausbefördern von unteren
Wurzeln dureh HeIx* 1 kraft.
Um Zähne zu ziehen, wähle man zunächst die passende Zange
und die geeignete Stellung; dann streiche man mit der vorher gründ¬
lich gereinigten Zange das Zahnfleisch zurück und gehe nach dem Zahn¬
halse zu. bis man einen Widerstand fühlt. Jetzt befindet man sich
auf (nicht in oder über) dem knöchernen Zahnsäckchen (der Alveole).
Nun geht man weiter auseinander mit den Backen der Zange über
das knöcherne Zahnsäckchen hinauf und ganz hoch hinauf oder ganz
tief hinunter (Hilfsvorstellung: Im Oberkiefer denke man an das Gehirn,
iin Unterkiefer an die Hühneraugen, damit man ja tief genug oder
hoch genug greift. Dann lockere man die oberen mittleren Schneide¬
zähne durch Drehungen, alle übrigen Zähne durch Bewegungen erst
nach der Zunge zu, dann nach den Lippen zu.
Die hebelnden Bewegungen werden immer stärker, bis man endlich
den Zahn herauszieht. Ob kleine Stückchen des Alveolarfortsatzes ab-
breeben, ist weniger wichtig, als daß die Wurzeln nicht stecken bleiben,
da der Alveolarfortsatz nicht dauernd erhalten bleibt, sondern doch
nach Verlust des Zahnes an dieser Stelle bald schwindet.
Bei Milchzähnen hüte man sich, mit der Zange zu weit nach
der Wurzel zuzugreifen, damit nicht etwa der bleibende Zahn mit
ausgezogen wird.
Hat man bei Säuglingen vorzeitig, etwa schon bei der Geburt
durchgebrochene Milchschnei de zähne vor sich, so sind diese mit der
Pinzette leicht entfernbar, da sie noch keine Wurzeln haben. Beim
Ausziehen solcher Zähnchen sind jedoch wiederholt tödliche Blutungen
beobachtet worden, so daß hier peinlichste Blutstillung durchaus erfor¬
derlich ist.
Auch wird stets zu versuchen sein, ob es nicht gelingt, den Säug¬
ling durch Gummihütchen trinken zu lassen, damit die Mutterbrust
unversehrt bleibt. Berücksichtigt man ferner, daß die Milchschneide-
zähnchen nicht nachwachsen, so daß dem Kinde erst nach einem halben
Dutzend Jahren an der Stelle wieder Zähne wachsen, so wird man ganz
besondere Vorsicht walten lassen, um nicht zur Entfernung der Zähne
schreiten zu brauchen.
Untere Weisheitszähne werden, bevor sie ausgezogen werden, durch
den Lecluschen Hebel, den man zwischen 2. und 3. Mahlzahn einschiebt
und dann dreht, gelockert, falls der 2. Mahlzahn noch steht.
Das Zahnziehen ist an sich so schmerzhaft, daß es in vielen Fällen
notwendig, in den meisten erwünscht erscheint, zur Betäubung zu
schreiten.
Allgemeinbetäubung durch Bromäther oder Chlorofom geschehe
nur in Gegenwart zweier ärztlicher Kräfte, damit etwaigen Unsitt¬
lich keits-Beschuldigungen der Boden entzogen ist.
Sie kommen nur in Frage, wo zahlreiche Wurzeln oder Zähne
in einer Sitzung entfernt werden sollen und gehören wohl kaum in
das Gebiet des Allgemeinarztes allein.
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Hingegen kann jeder Arzt nach jedem größeren, also mit Allge-
meinbetäubimg einhergehendem Eingriffe die Betäubung benutzen, um
gleichzeitig schmerzlos faulende Wurzeln zu entfernen, falls er das
nötige Geschick hat und mit der Kiefersperre umzugehen weiß.
Die Leitungsbetäubung (Einspritzung schmerzstillender Lösung
in die Eintrittsstelle des Nerven in den Kiefer) dürfte ebenfalls Sache
des Facharztes sein. Mit ihr ist z. B. in 20 Minuten ein halber Unter¬
kiefer betäubbar.
Die örtliche Schmerzstillung am kranken Zahne hingegen sollte
auch der Allgemeinarzt üben.
Kokainlösungen oder Ersatzmittel mit Nebennierenauszug werden
etwa 0,5 cm vom Zahnfleischrande auf der Lippen- und auf der Mund¬
seite tropfenweise eingespritzt, bis Blutleere des Zahnfleisches entsteht
und zwar in einer Ausdehnung, die der Zahnbreite entspricht. Nach
10 Minuten sticht man mit der Spritzennadel nochmals ein, um auf
Schmerzlosigkeit zu prüfen. Die Nadel muß möglichst- tief zwischen
Knochen und Knochenhaut eingestochen werden, dann wird sie langsam
vorgeschoben, indem gleichzeitig tropfenweise die Betäubungsflüssigkeit
entleert wird.
Es ist nicht Tätlich, die Betäubungsflüssigkeit in einer Glasflasche
lange aufzuheben. Vielmehr bediene man sich der käuflichen Täfelchen
(Tabletten) oder der zugeschmolzenen Glasröhrchen und einer eigenen
festgearbeiteten Spritze. Nur im Notfälle verwende man eine Pravaz-
spritze mit Morphium oder Kokainlösung innerhalb der höchsten Einzel¬
gabe des Deutschen Arzneibuches, da die Pravaznadel leicht abbricht.
Bei Kindern sei man mit der örtlichen Betäubung besonders vor¬
sichtig. Chloräthyl Vereisung des Zahnfleisches mag da noch am ersten
angebracht sein.
Weiterhin sind für Ärzte noch einige Zahn- und Mundleiden
von Bedeutung, deren Nichtkenntnis großes Unheil anrichten kann:
I. Dentome heißen Geschwülste des Zahnmarkes. Sie verursachen
Schmerzen der verschiedensten Art, wie sie bei Zahnmarkreizung, -Ent¬
zündung und Wurzelhautentzündung auftreten. Dabei sind die Zähne
äußerlich unversehrt. Die eigentümliche wachsgelbe Farbe, der geringe
Grad von Durchsichtigkeit, weisen neben den Schmerzen auf die Er¬
krankung hin.
Innerlich sind Jodkali (10,0 ad 300,0 Aquae fontis dreimal täglich
1 Eßlöffel in Milch nach dem Essen) und salzsaures Chinin ^dreimal
täglich 1 / 6 — 1 /% g in Oblaten oder Stärkekapseln; zu versu hen. Handelt
es sich nur um einen Zahn, so kann derselbe entfernt werden, während
bei Schmerzhaftigkeit ganzer Zahnreihen stets erst nach ein- bis zwei-
wöchentlicher vergeblicher innerlicher Behandlung zum Ausziehen ge¬
schritten werden sollte. Zur zeitweiligen Schmerzstillung dient Mor¬
phium mit Pyrazolon.
II. Odontome sind Knochengeschwülste der Kiefer, die auf An¬
schlägen mit einem Stahlwerkzeuge hell klingen und die Zusammen¬
setzung des Zahnes haben. Sie können zu Lähmungen der Gesichtsnerven
und Schmerzen des Drillingsnerven (Fazialis-, Paresen- und Trigeminus-
Neuralgien) führen. Ihre Entfernung kann, umgekehrt diese Nerven¬
leiden beseitigen.
III. Kunde Her Vortreibungen der Kieferknochen oder der Mund¬
schleimhaut weisen auf Zysten hin.
„Dermoidzysten“ sollen Reste versprengter Körperkeime sein.
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Grundzüge der Zahnheilkunde für Ärzte.
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„Follikularzysten“ werden «aufgef aßt als Zahnsäekehen, deren Zahn
nicht durchgebrochen ist.
„Retentions“zysten, unter ihnen die Frosehgeschwulst (ranula) ent¬
stehen durch Verstopfung eines Drüsenausführungsganges. Ihre Ent¬
fernung geschieht unter örtlicher Schmerzstillung durch Ausschälung.
Dann folgt lockere Ausstopfung mit Gaze.
IV. Bindegewebegeschwülste, die dem Knochen aufsitzen, heißen
Epuliden. Sie sind bald weicher, bald härter, werden ganz entfernt.
Dann folgt zur Verhütung von Rückfällen Ätzung mit Chromsäure
und zur Vermeidung von Gelbsucht Abstumpfung der Säure durch
doppeltkohlensaures Natrium.
V. Eiterungen der Oberkieferhöhle können durch Sondierung nach
Zahnausziehungen, auch durch Fortpflanzung von Eiterungen der Nase
entstehen. Zwecks Erkennung durchleuchtet man mit der elektrischen
Glühbirne und sucht nach einer durch Eiter bewirkten Trübung. Ferner
sondiert man von der Nase aus und prüft, ob die Sonde eitrig beschmutzt
ist. Abzug wird dem Eiter zweckmäßig von der Eckzahngrube (fossa
canina) her durch Herausbohrung eines Knochenplättchens mit einem
Zahnbohrer geschaffen. Dann folgt als Nachbehandlung: Warmwasser¬
spülung und Drainage mit Gaze, schließlich Abschluß durch Gaze oder
einen Glasverschluß (Obturator).
V. Bei lange andauernder Wurzelhautentzündung bildet sich an
der Wurzelspitze oft ein Zahnsäckchen aus lockerem Bindegewebe mit
eingestreuten Rund- und Riesenzellen, das vor dem Eindringen giftiger
Keime schützt und nicht als bösartige Geschwulst, um derentwillen der
Unterkiefer teilweise entfernt werden müßte, aufzufassen ist. Vielmehr
heilt die Geschwulst durch Ausziehen der Wurzel in der Regel aus.
Das Wurzelsäckchen wird leicht durch Phosphordämpfe zerstört; deshalb
müssen Phosphorarbeiter ganz besonders auf gute Zahnpflege achten.
VI. Die Lustseuche spiegelt sich in allen drei Formen im Munde
wieder. Erstschanker kommen nicht gerade selten an Lippen und Mandeln
zur Beobachtung. Zweiterscheinungen sind die trüben Flecke (plaques
opalines, papulae syphiliticae in mucosa buccali et linguali utraque),
bl au graue Flecke, durch Zahl und Rundung ausgezeichnet. Endlich
bewirkt die Lustseuche große Zerstörungen besonders am harten Gaumen.
Die meisten Flecke der Zunge, die als Leukoplakia seu psoriasis (Wei߬
fleckigkeit oder Schuppen flechte) linguae bezeichnet werden, sollten den
Arzt auch an die Einleitung einer Lustseuchebehandlung denken lassen.
Unauffällig und wirkungsvoll ist meiner Erfahrung nach bei allen
drei Erscheinungsarten der Lustseuche folgende Behandlungsweise:
Innerlich wird sowohl Jodkali wie auch wasserlösliches Queck¬
silber verabfolgt:
Tir 10 1
±1V / SOO’O-
Zum ersten und zweiten Frühstück und nachmittags je einen
Eßlöffel in Milch nach dem Essen.
Hg colloidalis 1,0 Fiant lege artis pilulae centum.
Mittags imd abends eine Pille nach dem Essen. xAußerdem wild
Schwefelseife (mir bewährte sich als billig und wirksam die Putten-
doerfer sehe) als gewöhnliche Seife zum Waschen von Gesicht und Händen
und zweimal wöchentlich zu einem Vollbade (am zweckmäßigsten ist
ein Brausebad) verwandt, örtlich ist gute Mundpflege durchaus not¬
wendig, während die Geschwüre mit salpetersaurem Silber geätzt
werden.
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W. Hammer, Grundzüge der Zahnheilkunde für Ärzte.
VII. Krebs und Tuberkulosis werden durch Ausschneidung und
mikroskopische Untersuchung eines Gewebestückchens erkannt, und dann
wird nach den anerkannten Kegeln der Heilkunst verfahren.
VIII. Soor bildet leicht abschabbare weiße Auflagerungen, die
durch Borsäurespülungen oder Spülungen mit chlorsaurem Kalium bei
Säuglingen durch Verabfolgung von Boraxrosenhonig bekämpft werden.
Gleichzeitig kann bei geringer Ausdehnung der Erkrankung nach Ent¬
fernung der Auflagerungen mit salpetersaurem Silber geätzt werden.
IX. Aphten sind länglich runde, einige Millimeter tiefe Geschwüre
mit gelbem Grunde. Unter Höllensteinätzung oder Chromsäurenatrium-
bicarbonatätzung schwinden sie bald.
X. Unter Alveolarpyorrhoe versteht man einen Eiterfluß aus
Zahnfleischtaschen. Auf Druck werden Eitertropfen entleert. Im weite¬
ren Verlaufe lockert sich das Band des Zahnhalses (ligamentum circu¬
lare) und schließlich der Zahn, der ausfallen kann.
Die Behandlung der Kranken besteht zunächst in Harnunter¬
suchung auf Zucker. Ferner wird nach Gicht gefahndet.
Liegen Allgemeinleiden vor, so sind Fingerzeige für die Allgemein¬
behandlung gegeben.
örtlich erfolgt eine gründliche Reinigung von Zahnstein, Aus¬
spritzung mit Kaliumpermanganatlösung, falls übler Geruch vorhanden
ist, Nachspülung mit Lysoformlösung zur Keimabtötung, jeden 2. Tag
Ätzung der Taschen mit Chromsäurelösung, Abstumpfung der Säure
durch doppeltkohlensaures Natrium, Gurgelungen mit Katanhiatinktur
(1 Teelöffel auf 1 Tasse Wasser), unter Umständen breite Eröffnung der
Eiterhöhle durch Ausschneidung eines Stückchens des runden Bandes
(ligamentum circulare).
Zum Schlüsse noch einige Worte, über die Sauberkeit in der zahn¬
ärztlichen Tätigkeit:
Alle Werkzeuge aus Metall können in Sodawasser ausgekocht
werden.
In Ausnahmefällen, z. B. bei offener Lusteeuche, ist die Reinigung
mit einem Keimtötungsmittel angezeigt. Regelmäßiger Gebrauch
solcher Mittel ist m. A. n. nicht angebracht, da eine 10—20fache täg¬
liche „Desinfektion“ leicht zu schweren Hautausschlägen führt, die
für das Festsetzen von Krankheitkeimen einen günstigen Nährboden
abgeben. Um nicht Keime von der Oberfläche des Zahnes in die Tiefe
zu stoßen, reinigen manche Zahnärzte jeden Zahn vor dem Ausziehen
mit einem Keimtötungsmittel (Äther, Jodtinktur).
Regelmäßigen Gebrauch von Keimtötungsmitteln halte ich auch
in der Mundpflege Gesunder nicht für angebracht. Zeitweiliger Ge¬
brauch von Schlemmkreide mit Pfeffermünzöl, chlorsaurem Kalium,
Zahnseife, Zahnpaste, Thymollösung (Thymoli 1,0, Olei Menthae pipe-
ritae 1,0, Spiritus Vini ad 200,0: 10 Tropfen auf 1 Glas Wasser zu
Mundspülungen) mag Nutzen stiften. Häufiger Wechsel der Zahn- und
Mundwässer bei Menschen, die Ansteckungsherde im Munde haben,
erscheint zweckdienlich, damit einer Gewöhnung oder gar dauernder Ver¬
giftung vorgebeugt wird.
Für den Arzt am wichtigsten scheint mir aus der gesamten Zahn¬
heilkunde die Unterscheidung von Wurzelhautentzündungen und Zahn-
markerkrankungen zu sein, damit er nicht Zähne auszieht, die noch
recht wohl erhalten werden können. Kann er außerdem das Mark durch
Einlage von Arsenik ab töten, ferner Zähne und Wurzeln schmerzlos
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Referate und Besprechungen.
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durch augeregt, daß sich hei der Hypermotilität des Magens sein Inhalt
in großer Menge und auf einmal in den Darm entleert
Das wesentlichste Moment bei der Hypermotilität des Magens und
Darmes sind die schädlichen Folgen für die Verdauung und
Ausnützung der Nahrung. Durch den vorzeitigen Austritt der Speisen
aus dem Magen, bevor die Saftsekretion noch recht begonnen oder ihren
Höhepunkt erreicht hat, werden die Speisen der digestiven Kraft des
Magensaftes entzogen. Ähnlich wie bei der Achylie übernimmt der Darm
sehr oft kompensatorisch die Arbeit des Magens. Kann aber der Darm
die ihm auf einmal und in großen Quanitäten zugeführte Nahrung durch
seine eigenen Verdauungssäfte nicht bewältigen, dann unterliegt diese
in den unteren Darmabschnitten oft einer gesteigerten bakteriellen Gährung
und Zersetzung, namentlich finden sich häufig gesteigerte Eiweißfäulnis
mit sekundären Darmkatarrhen, nicht selten auch das Bild einer Gährungs-
dyspepsie oder eines Gährungskatarrhes.
Die Behandlung besteht in erster Linie in der Berücksichtigung
der allgemeinneurasthenischen und psychasthenischen Zustände, und der
Anpassung der Diät an die jeweiligen Funktionsstörungen des Magens
und Darmes. Plötzliche Änderung der gewohnten Ernährungsweise,
laktovegetabile Diät. Gute Erfolge erzielte der Vortragende mit
einer mehrwöchtlichen Trockenkost und reichlicher Verabreichung von
Fettnahrung wie Butter, Knochenmark und Olivenöl, welch letztere die
Peristaltik des Magens beträchtlich herabsetzen.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Sobotta (Görbersdorf), Über die tuberkulöse Disposition und ihre Be¬
kämpfung. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17, H. 3, S. 230, 1911.) Die er¬
worbene tuberkulöse Disposition wird zum Teil bedingt durch eine Ent¬
kalkung der Gewebe. Diabetiker und Chlorotische scheiden massenhaft Kalk-
salze aus, und Schwangeren werden diese Salze durch den Aufbau des
fötalen Knochengerüstes entzogen. Bekannt sind die kariösen Zähne bei
Wöchnerinnen und Phthisikern und die Disposition der Diabetiker, Chloro -
tiker und Schwangeren zur Tuberkulose. Andererseits erkranken Arbeiter
in Kalk- und Gipswerken, die große Mengen Kalkstaub verschlucken, und
Bewohner in Gegenden mit kalkreichem Trinkwasser seltener an Tuberku¬
lose als in Gegenden mit weichem, kalkarmem Trinkwasser. Verfasser
empfiehlt für die Kalkbehandlung der Tuberkulose den Gebrauch kalkhaltiger
Quellen als Tafelwässer, auch in Heilstätten neben der diätetischen und
spezifischen Behandlung. Besonders aussichtsreich erscheint ihm die Kalk-
prophylaxe bei Schwangeren und Chlorotischen sowie bei allen schwäch¬
lichen Personen im jugendlichen Alter. v. Homeyer (Berlin).
A. Knopf, Licht- und Schattenseiten antituberkulöser Bestrebungen
in den Vereinigten Staaten. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17, H. 1, S. 27,
1911.) Trotz der großen Fortschritte in der Tuberkulosebekämpfung in den
Vereinigten Staaten während der letzten 10 Jahre ruft die Phthisiophobie
der Bevölkerung, der Ärzte und der Staatsbehörden noch immer viele Übel-
stände hervor. So schließt ein Gesetz vom Jahre 1901 alle tuberkulösen
Fremden von der Einwanderung in die Vereinigten Staaten, ja sogar vom
vorübergehenden Besuch derselben aus. Erklärlich wäre dies Vorgehen bei
Unbemittelten, welche später den Staaten zur Last fallen; doch auch Wohl¬
habende werden von der Strenge dieses Gesetzes betroffen. Auch wenn bis
3 Jahre nach der Einwanderung bei einem Kranken Tuberkulose festgestellt
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Referate und Besprechungen.
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wird, erfolgt der Rücktransport, allerdings zum Teil auf Kosten des Emi-
grantenfonds, gleichgültig ob die Tuberkulose schon vorher bestand oder in
Amerika in dem schweren Kampf um das tägliche Brot erworben wurde.
Im Staate New York war bis vor kurzem die Errichtung von Sanatorien
verboten. Eins der grausamsten von der Phthisiophobie diktierten Gesetze
verbietet bzw. entzieht tuberkulösen Ärzten die Erlaubnis zur Ausübung der
Praxis. Der eine Konzession nachsuchende Arzt muß sogar schwören, in
den letzten 3 Jahren weder im Hause eines Tuberkulösen gewohnt noch
einen solchen gepflegt zu haben. Nachteilig für die Tuberkulosebekämpfung
sind ferner die verschiedenartigen Sanitätsgesetze in den einzelnen Staaten, die
eine einheitliche Bekämpfung erschweren. Als Lichtseiten werden die Tuber¬
kuloseausstellungen und Vorträge sowie die Anzeigepflicht erwähnt. Im
Staate New York erhält der Arzt für jeden angezeigten Tuberkulosefall
1 Dollar Honorar. v. Homeyer (Berlin).,
W. Freymuth (Belzig), Untersuchungen über die Infektionsgefahr durch
die Hand des Tuberkulösen. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17, H. 3, S. 258,
1911.) Freymuth widerlegt die von Petruschky aufgestellte, aber
nicht bewiesene Behauptung, daß die durch die Hand des Tuberkulösen in¬
fizierte Türklinke eine wichtige Quelle der Infektion darstelle. Die zum
Versuch verwendeten Kranken mit reichlich bazillenhaltigem Auswurf wurden
aufgefordert, sich eine Reihe von Stunden nicht die Hände zu waschen.
Die Hände der Kranken und die Türklinken wurden mit steriler Watte ab-
gerieben und mit dieser dann Meerschweinchen infiziert. Alle verwendeten
Versuchstiere erwiesen sich bei der Sektion frei von Tuberkulose. Man kann
daher wohl annehmen, daß von der Hand des einigermaßen reinlichen Tuber¬
kulösen keine Infektionsgefahr ausgeht. v. Homeyer (Berlin).
G. Schröder (Schömberg), Ober neuere Medikamente und Nährmittel
für die Behandlung der Tuberkulose. (Zeitschr. für Tuberkulose, Bd. 17,
H. 2, S. 128, 191 IQ Die im Jahre 1910 erschienenen Mitteilungen über spe¬
zifische und arzneiliche Behandlung der Tuberkulose werden kritisch be¬
leuchtet. Bei der Tuberkulintherapie bevorzugen die meisten Autoren kleinste
Dosen unter Vermeidung von Reaktionen. Die verschiedenen Tuberkulin¬
präparate sind in ihrer Wirkung sicher nur quantitativ, nicht qualitativ
verschieden. Viele Forscher kombinieren Alt-Tuberkulin mit Bazillenemul¬
sion. Über das J. K. Spengler’s gehen die Ansichten weit auseinander;
einzelne halten es für wirksam, die meisten raten, es als gänzlich wirkungslos
abzutun. Mit F. Meyer’s sensibilisierter Bazillenemulsion sind anscheinend
auch keine besseren Erfolge erzielt worden als mit den alten K;och’schen
Präparaten. Die Serotherapie hat bisher nur bei der Schutzimpfung gegen
die Rindertuberkulose günstige Erfolge erzielt. Bahnbrechende Arzneimittel
für die Tuberkulosebehandlung sind gleichfalls nicht erschienen. Guajakol-
arsen wurden bisher nur bei Tieren erprobt. Als Ersatz des Terpentins
innerlich oder zu Inhalationszwecken wird Limonen empfohlen; es trat
danach nie Nierenreizung auf. Bei chronischer Bronchitis und Lungen-
gangrän sah Berliner nach intramuskulären Injektionen von Menthol
Eukalyptol | Ol. Dericini gute Erfolge. Das von Sahli empfohlene Panto-
pon wird auch vom Verfasser als Ersatzmittel des Morphins, Kodeins und
Opiums sehr geschätzt. Von neueren Nährmitteln wird das Albumosepräparat
Kiba wegen seiner guten Ausnutzung warm empfohlen.
v. Homeyer (Berlin).
Fr. Dorn (Berlin), Beobachtungen auf dem Gebiete der medikamentösen
Therapie der Tuberkulose. (Allgemeine med. Zentralztg., Nr. 1, 1911.) Trotz¬
dem in jüngster Zeit der Anwendung des Tuberkulins von neuem erhöhtes
Interesse entgegengebracht wird, glaubt Verf., der medikamentösen Therapie
nicht ganz entraten zu können. Besonders vorteilhaft scheint ihm die Guaja-
kose zu sein, eine Kombination der flüssigen Somatose mit guajakolsulfo-
saurem Kalk. Die Appetitssteigerung war in den beobachteten Fällen unver¬
kennbar, die Nachtschweiße und das Fieber gingen zurück. Selbstverständ-
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Referate und Besprechungen.
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lieh dürfen die anderen therapeutischen Maßnahmen nicht außer acht ge¬
lassen werden. Verf. legt auf die richtige Dosierung großen Wert und
empfiehlt schon bei den leichtesten Erkrankungsfällen täglich mit 4 halben
Eßlöffeln zu beginnen ,und später auf 3—4 Eßlöffel zu steigern. Bei schweren
Fällen muß man sofort mit dreimal täglich einen Löffel beginnen. R.
B. Stiller (Budapest), Magengeschwür und Lungentuberkulose. (Berlin,
klin. Wochenschr., Nr. 8. 1911.) Die Physiologie hat eigentümliche Schick¬
sale zu verzeichnen gehabt: Je nach der Konstitution des jeweiligen Zeit¬
geistes spiegelte sie bald diese, bald jene Anschauungsweise wieder. Zu¬
letzt beherrschten die Physik und Chemie die Gemüter. Man wähnte, die
sog. exakten Wissenschaften seien der letzte Schlüssel, um die Natur rest¬
los aufzulösen, und so bringen denn unsere physiologischen Lehrbücher und
Abhandlungen überwiegend physikalische und chemische Dinge. D;is eigent¬
lich Physiologische aber, die zentrale Frage: was für Momente fügen denn
eigentlich die einzelnen materiellen Substrate, die einzelnen Energien zu
dem kunstvollen Bau des Organismus zusammen ? wer lenkt ihre Zersetzung
in den einzelnen Reaktionen ? und wer sorgt in der Assimilierung, Regenera¬
tion für den nötigen Ersatz ? — diese Fragen sind in den Hintergrund ge¬
schoben und werden, weil exakten Untersuchungen nicht zugänglich, leise
aus dem Bereich der Wissenschaft herausgedrängt. Nun gibt es allerdings
noch Leute, welche außer den sinnfälligen Erscheinungen auch die nicht-
sinnfälligen Momente in den Kreis ihrer Betrachtungen ziehen, Leute, welche
sich nicht begnügen, die prinzipielle philosophische Frage: Warum? — in
dem engen Kreis des Gesetzes von der Erhaltung der Energie zu verfolgen,
sondern die kühn darüber hinausgehen und an die Pforten des Metaphysischen
zu pochen wagen. Aber diese Leute sind zumeist nicht Professoren der
Physiologie.
Einer von denen, die den Organismus als einheitliches Gebilde, ge¬
wissermaßen als Verkörperung eines bestimmten Planes erfaßt haben, ist
der innere Kliniker in Budapest, B. Stiller. Er hat erkannt, daß der
Konstruktionsplan des Ganzen in allen einzelnen Teilen zum Vorschein
kommen muß, daß somit auch Fehler in diesem Konstruktionsplan in Minder¬
wertigkeiten (oder wie man sich ausdrücken mag) der einzelnen Organe sich
äußern müssen. Als Typus eines solchen Konstruktionsfehlers hat er den
Morbus asthenicus, die asthenische Konstitutionskrankheit beschrieben, und
es ist interessant, wie er im vorliegenden Aufsatz die Wesensgleichheit des
Magengeschwürs und der Schwindsucht darzulegen versucht. Beim Asthe¬
niker ätzt der Magensaft ein Loch in die Wand, und der Koch’sche Bazillus
macht eine Kaverne, also auch ein Loch; so ungefähr könnte man den Ge¬
danken herausdestillieren. Aber daneben gibt es natürlich noch viele andere
Erscheinungen des Morbus asthenicus: Splanchnoptose, Neurasthenie, ner¬
vöse Dyspepsie, angeborene Mitralstenose, Kryptorchismus, infantiler Uterus,
paralytischer Habitus, fluktuierende 10. Rippe, Starrheit des 1. Rippen-
knorpels, enger Angulus epigastricus usw. Wie man auch im einzelnen über
diese Punkte denken mag: den Blick vom Teil auf das Ganze zu lenken,
ist immer verdienstlich, belehrend und anregend. Buttersack (Berlin).
J. Macht, Lungentuberkulose und Menstruation. (Amer. Journ. of
the mcd. Sciences, Dezember 1910.) Die Studie erstreckt sich auf 16U0
Frauen. Mehr als die Hälfte hatte keine Unregelmäßigkeit der Menstrua¬
tion bemerkt; bei 27% bestand mehr oder weniger vollständige Amenorrhoe,
bei 5% Menorrhagien, bei 8% unregelmäßige Menses; 4% waren schwanger
oder im Wochenbett; 3,5% befanden sich in natürlicher oder künstlicher
Menopause.
Etwa die Hälfte der Amenorrhoischen stand in den ersten Anfängen
der Tuberkulose, so daß die Amenorrhoe ein schätzbarer Hinweis für die
Diagnose zu sein scheint.
Während der Menstruation pflegen sich die physikalischen Zeichen
seitens der Lungen zu verschlimmern, die Temperaturen in die Höhe z\i
gehen: auch Lungenblutungen treten — mitunter vikariierend — auf.
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Referate und Besprechungen.
1051
Während ihrer Periode empfiehlt es sich, tuberkulöse Patientinnen im
Bett zu halten, ev. leichte und milde hydrotherapeutische Prozeduren zu
verordnen; Tuberkulin ist vor- und nachher auszusetzen.
Buttersack (Berlin).
Fischler (Heidelberg), Über die Typhlatonie und verwandte Zustände
(chron. Appendizitis, sog. Coecum mobile, Typhlektasie, sowie habituelle
Zökumtorsion). (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 23, 1911.) Schmerzen
von oft kolikartigem Charakter und Druckempfindlichkeit in der Zökal-
gegend* der Befund eines luftkissenartig sich anfühlenden Tumors und
Unregelmäßigkeiten der Stuhlentleerung, bald Verstopfung, bald Durchfall,
sind die Hauptcharakteristika eines Krankheitsbildes, das verschiedene Auto-
ren in den letzten Jahren, seitdem man einsehen gelernt hat, daß der Wurm¬
fortsatz nicht für alle Beschwerden in jener Gegend verantwortlich ist, ge¬
nauer zu umschreiben und zu erklären sich bemüht haben. Während Wilms,
Klose und andere in einer durch Obstipation oder Anlage entstandenen
abnormen Beweglichkeit des Blinddarms das Wesen der Krankheit sehen
und therapeutisch entsprechend, durch Fixation des Zökums, dagegen Vor¬
gehen, betrachtet Fischler eine durch chronischen Katarrh entstandene
Atonie des Zökums als das Primäre. Er weist der großen Beweglichkeit des
Zökums höchstens die Rolle eines prädisponierenden Momentes an.
Therapeutisch werden Beschränkung der Nahrungszufuhr, Vermeidung
einseitiger Diät, leichte Massage der Zökalgegend in der Richtung der
Peristaltik, Vermeidung stärkerer Abführmittel, zeitweise Darreichung von
Bismut und feuchtwarme Umschläge empfohlen. R. Isenschmid.
Heller (Kiel), Über den Volvulus des Sigmoideum und die Hirsch-
sprung’sche Krankheit. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 20, 1911.) Die
Länge und Lagerung des Sigmoideum schwankt in weistesten Grenzen. Die
Hirschsprungkche Krankheit beruht auf einer abnormen Länge dieses Darm¬
abschnitts. Die Dilatation, welche dabei gefunden wird, dürfte sekundär
sein. Diejenigen Kinder, welche ein angeboren langes und abnorm gelagertes
Sigmoideum besitzen und nicht in der Jugend an Hirschsprung \scher Krank¬
heit sterben, bleiben im weiteren Leben zur Achsendrehung dieses Darm¬
abschnittes disponiert. Das ,,Megasigmoideum congenitum“ ist also die
Grundursache beider Krankheiten. Erweiterung und Hypertrophie des Darm¬
abschnitts und die bindegewebigen Schwielen an den Fußpunkten der Sig-
moidesschlinge werden als sekundär aufgefaßt und nicht als Grundursachen
des Volvulus. R. Isenschmid^
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
L. Brocq (Paris), Tiorpide Aknepusteln und Furunkel. (Bull, med.,
Nr. 40, S. 441—443, 1911.) Eine nicht geringe Anzahl von Menschen männ¬
lichen und weiblichen Geschlechts wird von chronischen Furunkeln ver¬
schiedener Größe geplagt, welche nach einem subakuten Beginn in Form einer
kleinen erhabenen Induration stehen bleiben und erst nach längerer Zeit
einen kleinen Tropfen Eiter entleeren oder sich ohne einen solchen zurück-
bilden. Der Vorfall an sich wäre weiter nicht schlimm, allein er wiederholt
sich hartnäckig und wird dadurch zu einer wahren Kalamität. Bei Männern
sitzen diese torpiden Furunkel mit Vorliebe am Hals, bei Frauen im Gesicht.
Forscht man nach der Ursache, so stößt man natürlich sofort auf einen
Bazillus; aber nur bescheidene Gemüter können sich dabei beruhigen. Wich¬
tiger als er ist die Beschaffenheit des Terrains, und da führt Brocq
Hygiene, Verstopfung, zu wenig frische Luft und Überanstrengungen an.
Bei Frauen spiele auch der Genitalapparat eine Rolle, und man sei manchmal
versucht, die Bildung solcher torpider Furunkel unterhalb der Mund¬
linie auf Störungen an Uterus und Ovarien, solche oberhalb der Mund-
linie auf Digestionsanomalien zurückzuführen. Allein zuverlässig sei diese
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1052 Referate und Besprechungen.
Unterscheidung nicht. Dagegen führt B r o c q ein neues Moment ein, indem
er dem Nervensystem eine maßgebende ätiologische Bedeutung zuerkennt.
Kummer, Sorgen, Übermüdung, nervöse Zustände begünstigen die Entstehung
dieser fatalen Bildungen - Von hier aus ist nur ein kleiner Schritt zum Ver¬
ständnis des periodischen Auftretens solcher Furunkel in kongestiven Schü¬
ben; stehen doch Kongestionen in engstem Zusammenhang mit Vorgängen
im nervösen Apparat. Die Analogie mit Gichtattacken liegt nahe; die Er¬
kältung, der Diätfehler, das Trauma usw. sind dann nur Gelegenheits-
ursachan.
Aus diesen Mitteilungen ergibt sich das therapeutische Handeln von
selbst. Insofern die torpiden Aknepusteln Begleiterscheinungen von Erkran¬
kungen innerer Organe darstellen, sind diese letzteren zu behandeln; mit¬
unter helfen Schilddrüsen- oder Ovarienpräparate. Dann ist auf eine zweck¬
mäßige Lebensführung, Ernährung, Bewegung, frische Luft und namentlich
auf nervöse Ruhe zu achten. Medikamentös kommt Bierhefe und vielleicht
Vakzinationen nach Wright'in Betracht. Verbände schaden mehr als sie
nützen; höchstens kann man Waschungen mit gekochtem Wasser, Perliydroi,
Kollargol, Kaseinsalbe mit Kampfer-Sapolan- oder Ichthyolzusatz anwenden.
(Aus eigener Erfahrung möchte ich einen Versuch mit kosmetischer Massage
des Gesichts empfehlen.) Buttersack (Berlin)/
P. Möniöre (Paris), Quecksilber Inhalationen. (Bullet, med., Nr. 49,
S. 549—553, 1911.) In dem Moment, in welchem man erkannte, daß das
Wesentliche bei den Schmierkuren die Einatmung des Quecksilbers sei,
mußte man dahingeführt werden, Inhalationsapparate für Quecksilberdämpfe
herzustellen. In der Tat wurden auch Versuche in dieser Richtung unter¬
nommen; sie scheiterten aber daran, daß das Hg nicht in angemessener
Form zur Verdampfung zu bringen war und daß man die Menge des in¬
halierten Hg nicht zu dosieren vermochte.
Diesem Übelstand hat nun ein von P a n a s in der Idee angegebener,
von Queyrat und Me nie re in praktische Form gebrachter Apparat ab-
geholfen (die Firma P. L e q u e u x in Paris bringt ihn in den Handel).
Aus den über ein Jahr sich erstreckenden Versuchen und Beobachtungen
ergibt sich, daß tägliche Inhalationen von 0,03 g Hg am empfehlenswertesten
sind. 0,04 und 0,05 g sind nur in ganz schweren Fällen angezeigt, oder
wenn Pat. aus irgendwelchen Gründen nur drei- oder viermal in der Woche
inhalieren kann.
Die Inhalationen machen kaum je Unbehagen und werden namentlich
von denen geschätzt, welche von früheren Kuren her die Schmerzhaftigkeit
der Injektionen kennen.
Hinsichtlich des Erfolgs steht diese neue Form der Inkorporierung
den bisher gebräuchlichen gleich, hinsichtlich der Schnelligkeit ist sie ihnen
überlegen. Irgendwelche üblen Nebenwirkungen sind nicht beobachtet wor¬
den ; Stomatitiden sind seltener als bei der Injektionskur.
Ein so erfahrener Svpkilidologe wie Queyrat hat den Hg-Inhala-
tionen den ersten Platz in der Luestherapie zugesprochen.
Buttersack (Berlin).
Medikamentöse Therapie.
J. Friedeberg (Berlin), Beitrag zur medikamentösen Behandlung des.
Asthma bronchiale. (Deutsche med. Wochensckr., Nr. 6, 1911.) Mit der von
Goldtschmidt angegebenen Formel für einen brauchbaren Zuckerersatz :
Alypin nitr. 0,3
Eumydrin 0,15
Glycerin 7,0
Aqu. dest. 25,0
Ol. pini pumil. gtt. I.
hat Verf. in 15 Fällen mit Ausnahmen von zwei Versagern recht günstige
Resultate erzielt. Er bediente sich dabei des Glaseptic-Nebel-Spray, der
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Referate und Besprechungen.
1053
sich durch geringen Verbrauch, feine Zerstäubung, leichte Transportierbar -
keit usw. auszeichnet. In fast allen Fällen gelang es bei rechtzeitiger In¬
halation, einen drohenden Anfall zu unterdrücken resp. so abzuschwächen,
daß er kaum als störend empfunden wurde. Das Goldschmidt’sche Asthma-
mittel muß daher wegen seiner ausgezeichneten Wirksamkeit, geringen Giftig¬
keit und Billigkeit dem Original-Zuckerpräparat vorgezogen werden. Neumann.
K. Thomas (Berlin-Schöneberg), Über Arsen-Triferrol. (Med. Klinik,
Nr. 21, 1911.) Für eine Arsen-Eisenmedikation eignet sich ausgezeichnet
das Arsen-Triferrol. Dies ist eine dunkelrote, wohlschmeckende aromatische
Lösung von Arsen-Triferrin, welches die Eigenschaften des Triierrins mit
denen des Arsens vereint, das in ihm zur vollen Wirkung gelangt, ohne
die unangenehmen Magenbeschwerden vieler gebräuchlicher Arsenpräparate
zu zeigen.
Das Arsen-Triferrol läßt man im allgemeinen dreimal am Tage nehmen,
und zwar Erwachsene jedesmal ein Likörgläschen, Kinder etwas weniger,
etwa einen Kinderlöffel, ganz kleine Kinder einen Teelöffel voll. Seine
Bekömmlichkeit macht sich besonders bei protrahiertem Gebrauch und bei
sensiblen Naturen bemerkbar. Dazu kommt, daß das Präparat einen ange¬
nehmen Geschmack hat.
Die Wirkungen dokumentieren sich in einer Besserung des Allgemein¬
befindens. Es tritt Hebung des Appetits ein, um so deutlicher, jemehr er
vorher darniederlag; die Eßluft steigert sich bisweilen in ganz erstaunlicher
Weise. Dabei wird die Verdauung regelmäßig. Spontaner Stuhlgang er¬
folgt häufig genug bei denen, die früher ohne „Einnehmen“ keinen Stuhl er¬
zielen konnten. Die Folge der Appetitsteigerung ist eine häufig ganz be¬
deutende Gewichtszunahme. Unter den Patienten befanden sich solche,
die 2, 5, 9, sogar 12 Pfund in wenigen Wochen zugenomraen hatten. Gute
Erfolge hat Th. bei Neurasthenie und Hysterie gesehen.
Außer der günstigen Besserung des Allgemeinbefindens entfaltet das
Arsen-Triferrol auch eine Wirkung bei der Skrofulöse und Rachitis der
Kinder. Drüsenanschwellungen, Ekzeme im Gesicht, an den Lidrändern
heilten bei geeigneter örtlicher Behandlung unter gleichzeitigem Gebrauch
des Mittels.
Es tritt unter dem Einfluß des Arsen-Triferrols eine erhebliche Zu¬
nahme des Hämoglobins sowie der roten Blutkörperchen ein.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Arsen-Triferrol zu
empfehlen ist, wo nach akuten oder chronischen Blutverlusten (post partum,
bei Menorrhagien, Myom, Retroflexio uteri, in der Pubertät), nach langen
fieberhaften Krankheiten oder chronischen Konstitutionskrankheiten (Blei¬
vergiftung, Diabetes, Bandwurm, Syphilis), Anämie oder allgemeine Körper-
schwäche vorhanden ist. Neumann.
S. Lewinson, Phenolphthalein kann Diazoreaktion Vortäuschen. (Med.
Record, Nr. 18, 1911.-) Setzt man zu phenolphthaleinhaltigem Harn einige
Tropfen eines beliebigen Alkali, so entsteht eine schöne Rosafarbe. Es be¬
steht somit die Möglichkeit, daß das Ammoniak der Ehrlich’schen Reaktion
die erwartete Färbung hervorruft, auch wenn gar kein Diazokörper vor¬
handen ist. Man schützt sich vor Verwechslungen, indem man zu dem Urin
einige Tropfen Kalilauge oder Ammoniak u. drgl. hinzufügt; tritt dann
schon Rotfärbung auf, so ist Phenolphthalein im Harn vorhanden. Aller¬
dings könnte derselbe daneben auch noch die Diazoreaktion geben; allein
deren besonderer Nachweis ist unsicher. Man wird gut tun, in solchen
zweifelhaften Fällen eben das Phenolphthalein oder die phenolphthalein-
haltigen Präparate (Purgen, Aperitol usw.) auszusetzen, wenn einem die
Diazoreaktion so unerläßlich vorkommt. Buttersack (Berlin).
C. A. Crispolti und M. Marrinacci, über den therapeutischen Wert der
kombinierten Eisen-Arsen-Darreichung. (La Clinica medica italiana, Nr. 3,
1911.) In der Medizinischen Klinik der Universität Rom haben die Verfasser
25 Fälle von Chlorose und von sekundären Anämien, die als Folge von Infek-
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1054
Referate und Besprechungen.
tionskrankheiten oder von Nervenaffektion aufgetreten waren, mit Arsen -
ferratose behandelt. Der Wert der Arbeit liegt in den mit großer Sorgfalt
durchgeführten genauen Beobachtungen, insbesondere in der exakten Kon¬
trolle der Wirkung des Präparates auf die Zusammensetzung des Blutes.
Die Zahl der Erythrozythen stieg im günstigsten Falle von 2,28 Millionen auf
5,1 Millionen, also um 123,7%, aber auch in den am wenigsten jhervor-
tretenden Falle von 4,2 Millionen auf 4,68 Millionen, also um 11%. Der
Hämoglobingehalt wurde in allen Fällen bedeutend erhöht. Das Präparat
wurde gern genommen und ausgezeichnet vertragen, Nebenerscheinungen,
vor allem Magenstörungen, kamen niemals vor. Die Dosis betrug je einen
Eßlöffel nach den drei Hauptmahlzeiten, und zwar wurde stets mit einem
Teelöffel begonnen und erst allmählich die Dosis gesteigert. Die Verfasser
rühmen die blutbildende und tonische Wirkung des Mittels. R.
Marie, Le Veronal sodique en neurobiologie. (Archives de Neurologie,
Juin 1911.) Veronal hat nicht nur hypnotische, sondern auch sedative und
antispasmotische Wirkungen. Der hypnotische Effekt erstreckt sich bis¬
weilen auf den folgenden Tag, seltener tritt er verzögert ein. Die Ursache
liegt wohl in langsamer Ausscheidung bzw. verzögerter Resorption. Man
gibt es deshalb am besten in heißer Flüssigkeit gelöst. Unnötig ist dies bei
dem leichtlöslichen Veronalnatrium, das sehr schnell wirkt, auch wenn es
ungelöst genommen wird. Als Schlafmittel ist Veronalnatrium sehr zuver¬
lässig bei einfacher Insomnie und bei Neurasthenie, Hysterie, Melancholie,
chronischem Alkoholismus; als Sedativum, in entsprechenden Dosen, bei Auf¬
regungszuständen infolge Melancholie, Dementia praecox, allgemeine Para¬
lyse, Idiotie, Epilepsie, Delirium tremens; ferner leistet es gute Dienste bei
Nikotinismus, Kokainismus und insbesondere bei der Morphinomanie. Vero¬
nal-Natrium ist ein direkter Antagonist des Morphins. Eine große Reihe
von Krankengeschichten illustriert die Wirksamkeit des Mittels in derartigen
Fällen. R.
E. Bircher (Aarau), Cycloform als Salbe und Pulver. (Med. Klinik.
Nr. 6, 1911.) Verf. kann die von Most, Werner (Heidelberger Krehs*
institut) u. a. mit Cycloform gemachten Erfahrungen völlig bestätigen.
Bei Verbrennungen wurde die Granulationsbildung angeregt und die häufig
starke Sekretion wesentlich eingeschränkt. Mit gleich günstigem Erfolge
wurden Salbe und Pulver bei juckenden Ekzemen im Anschluß an intensive
Azetonalkohol-Desinfektionen, bei Ulcera cruris usw. angewandt. Als eigent¬
liche Domäne betrachtet Verf. die 10% Salbe als Mittel gegen Kotfisteln.
Bei öfterem täglichen Wechsel wurden die Schmerzen prompt beseitigt. Über
die Anwendung bei inoperablen Karzinomen konnten keine Erfahrungen ge¬
sammelt werden. Neumann.
Löwy u. Colman (Berlin), Über Primal, ein neues unschädliches Prä¬
parat zum Färben von Haaren. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 20, 1911.)
Zur Färbung der Haare eignen sich am besten die Aminbasen, welche zur
Vermeidung von Vergiftungserscheinungen durch Zusatz von Sulfit ent¬
giftet worden sind. Löwy stellte zunächst an Tieren Versuche mit dem
durch Sulfit, entgifteten Para-Toluylendiamin an. Er konnte konstatieren,
daß die Haut dadurch nicht geschädigt wurde. Hierauf wandte er das Primal
genannte Präparat beim Menschen in drei Fällen an und konnte auch da
die vollständige Unschädlichkeit trotz der Größe der bepinselten Fläche
feststellen. F. Walther.
Nobel (Leipzig) weist in der Deutschen Zahnärztlichen Wochenschrift
(Nr. 17. 1911) auf die besonderen Vorzüge hin, welche der Givasan-Zahnpaste
im Gegensatz zu anderen Präparaten (Pasten und Zahnpulvern) zukommen.
Die Wirksamkeit des Givasans, nicht nur als Kosmetikum, sondern auch
als Medikament, ist von zahlreichen Ärzten unrl Zahnärzten anerkannt, die
Geschmackskorrigentien der Zahnpaste sind sehr glücklich gewählt und ab-
gestimmt, die Aufmachung ist eine sehr praktische und appetitliche. Ver-
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Referate und Besprechungen.
10ö5
fasser beschreibt mehrere Fälle, in denen Givasan-Zahnpaste nach Zahn-
operationen einen sehr heilsamen Einfluß auf die Schleimhaut und speziell
auf deren Neubildung ausübte. Neumann.
G. Fritsch (Berlin), Eine bisher unbeachtete Verwendung des Yohimbin
(Spiegel). (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 27, 1911.) Die Nachbarschaft
der Zentren des Genital- und uro poetischen Systems haben Fritsch auf
den Gedanken gebracht, daß das Yohimbin (Spiegel), das von so günstigem
Einfluß auf die Schwächezustände des Geschlechtsapparates ist, auch bei
Erkrankungen der Blase und Prostata eine Wirkung entfalten müsse. Er
hat darauf hinzielende Versuche angestellt, die die Berechtigung seiner An¬
nahme bestätigten. Bei Blasenschwäche üben schon geringe Dosen eine
Ionisierende Wirkung auf die Muskulatur aus. Auch Prostatabeschwerden
bessern sich beim Gebrauch des Yohimbin. Fr. empfiehlt daher das Präparat
überhaupt gegen die senile Rückbildung der Organe. Es sind ja schon immer
von Autoren Beobachtungen in dieser Richtung bei Verwendung des Yohimbin
gegen Impotenz mitgeteilt worden, es wurde aber nie besonderer Wert darauf
gelegt. F. Walther.
Diätetik.
Debove (Paris), Alkoholiker und Weintrinker. (Progr. med., Nr. 19,
S. 233—236, 1911.') Der Kampf gegen den Alkohol zeitigt mitunter über¬
raschende Effekte: so gibt es in unserem westlichen Nachbarlande viele, die
den Alkohol perhorreszieren, aber dafür Wein trinken. ,,Ich enthalte mich
gänzlich des Alkohols, sagte ein Pat. zu Prof. Debove, aber mit weniger
als 5 Litern Wein pro Tag kann ich nicht auskommen.“
Das Fatale ist, das diejenigen, die auch vor dem übermäßigen Wein-
genuß warnen, beinahe als Vaterlandsverräter hingestellt werden; denn der
Reichtum Frankreichs liege in seinem Wein. So kommt es, daß seitens der
gesetzgebenden Körperschaften kein energischer Kampf gegen den über¬
mäßigen Weinkonsum geführt, daß derselbe eher noch unterstützt wird. In
einer Vorlesung im Hotel Beaujon hat Debove seine warnende Stimme
erhoben: aber er hat genug Generationen kommen und gehen sehen und ist
sich bewußt, daß das Verhängnis seinen Lauf nimmt. Schlimmer noch als
der Rückgang der Geburten ist die systematische Verschlechterung der Keim¬
zellen bei dem dermaligen zeugungsfähigen und -pflichtigen Geschlecht.
Aber: ,,le navire füt-ii perdu, il est encore de notre devoir de sauver le plus
grand nombre possible de passagers“.
Für den Arzt als Heilkünstler und Berater eines Menschen von heute
sind solche Betrachtungen vielleicht von nebensächlichem Interesse. Der
Arzt als Führer der Menschheit, jedoch (G ladstone), als Sozialpolitiker,
Hygieniker der Zukunft und als Patriot wird sie an erster Stelle bewerten.
Buttersack (Berlin).
F. Frank u. A. Schittenhelm (Erlangen), Über die Ernährung mit tief
abgebauten Eiweißpräparaten. (Münchn. med. Wochenschr., Nr. 24, 1911.)
Daß die Abbauprodukte des Eiweißes, wie sie durch vollkommene Verdauung
in vitro hergestellt werden können, Versuchstieren die Eiweißzufuhr er¬
setzen können, ist seit längerer Zeit bekannt. Die Autoren haben nun zwei
Hunde, welche zunächst gehungert hatten und dann stickstoffrei ernährt
worden waren, durch solche Eiweißabbauprodukte monatelang im Stickstoff-
gleiehgewicht erhalten können und gezeigt, daß diese Abbauprodukte (Amino¬
säuren usw., welche die Biuretprobe nicht mehr geben) sich auch quan¬
titativ normalem Nahrungseiweiß gleichstellen. Ein einzelner Versuch
am Menschen zeigte, daß auch hier Stickstoffgleichgewicht erreicht werden
kann. Es wird also künftig möglich sein, den Eiweißbedarf zu decken, ohne
an die abbauenden Kräfte des Verdauungstraktus die geringsten Anforde¬
rungen zu stellen. R. Isenschmid.,
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1056
.Referate und Besprechungen.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Stierlin (Basel), Die Radiographie in der Diagnostik der Ileozökal-
tuberkulöse und anderer Krankheiten des Dickdarms. (Münchn. med. Wochen¬
schrift, Nr. 23, 1911.) In zwei Fällen ist es dem Autor gelungen, Strik-
turen im untersten Teil des Ileums durch eine Röntgenaufnahme sechs Stunden
nach Darreichung einer Wismutaufschweinmung nachzuweisen. Auffallender
und schwerer erklärlich sind die Befunde bei IJlzerationen und Infiltrationen
eines Abschnittes des Dickdarms: So veränderte Partien sind daran zu er¬
kennen, daß sie im Röntgenbild nie Bismutbrei enthalten, auch nicht, wenn
die vor und hinter dieser Stelle liegenden Darmabschnitte mit dem Brei
gefüllt erscheinen. Der Brei scheint solche Stellen besonders rasch zu durch¬
eilen. Ulzerierte und infiltrierte Dickdarmpartien sind also durch Lücken
im Bismutschatten gekennzeichnet. Auf diesem Wege gelang es, vier Fälle
von Tuberkulose des Dickdarms, einen Fall von nicht stenosierendem Zökum -
karzinom und einen weiteren von Colitis ulcerosa richtig zu erkennen und
die Lokaldiagnose durch die Operation zu bestätigen. R. Isenschmid.
v. Lichtenberg u. Dietler (Straßburg), Die Darstellung des Nieren¬
beckens und Ureters im Röntgenbilde nach Sauerstoffüllung. (Münchn. med.
Wochenschr., Nr. 25, 1911.) Durch ein dickes Ureterenkatheter gelingt es
leicht, das Nierenbecken mit Sauerstoff anzufüllen. In Fällen, in welchen
ein Verdacht auf Nierensteine besteht, ohne daß mit den bisherigen Hilfs¬
mitteln die Diagnose gesichert werden konnte, brachte eine Röntgenaufnahme
des mit Sauerstoff gefüllten Nierenbeckens dank der dadurch erzielten mög¬
lichst großen Dichtigkeitsunterschiede für die Kathodenstrahlen sichere Ent¬
scheidung. Die Form des mit Sauerstoff gefüllten Nierenbeckens entsprach
übrigens genau derjenigen des mit Kollargol injizierten. Der eingeführte
Sauerstoff verdrängte also den Harn vollständig aus den oberen Harnwegen.
R. Isenschmid.
M. Cohn (Berlin-Moabit), Die anatomische Bedeutung der Lungenrönt-
genogramvne und ihre Beziehungen zur Röntgendiagnostik der Lungentuber¬
kulose. (Ztschr. f. Tuberk., Bd. 17, H. 3, S. 217, 1911.) Verf. spricht sich,
sehr zurückhaltend über die Deutung von normalen und pathologischen Lungen-
röntgenogrammen aus. Die oft zweigartigen Schatten in normalen Lungen,
die sog. Lungenzeichnung, rührt nach seinen Versuchen von den bluthaltigen
Gefäßen und nicht von den lufthaltigen Bronchien her (Injektion eines
stark schattengebenden Agens in die Gefäße, Schrotkügelchen in Bronchien).
Ein großer Teil der Lunge — in den Komplenientärräumen zwischen Zwerch¬
fell und Brustwand — entzieht sich völlig der röntgenologischen Beobach -
tung. C. wendet sich gegen eine allzu präzisierte Diagnosestellung nach der
Röntgenplatte, wie „Luugentuberkel vereinzelt und in Anhäufungen“, „Peri-
bronchitis tuberculosa“; auch die Stürtz’sche Deutung der von den Spitzen
nach dem Hilus streifenförmig sich hinziehenden Schatten als Lyniph-
angoitis der Lunge führe zu Trugschlüssen. Aus dem Umstande, daß ver¬
käste Tuberkel, käsige Pneumonieherde in eine gesunde Leichenlunge ge¬
steckt, auf der Röntgen platte nicht zu sehen waren (keine analogen Ver~
hältnisse, d. Ref.), folgert er, daß schon beträchtliche Veränderungen in
der Lunge vorhanden sein müssen, ehe man sie röntgenologisch überhaupt
darstellen kann. Die Lungenspitzen bieten ein günstigeres Feld für die
Röntgenuntersuchung. Cohn kommt dann zu dem Schluß, daß bei den
wirklichen Frühfällen der Röntgenologe in der Sicherung der Diagnose nicht
iüehr leistet als der gut untersuchende Kliniker. v.iHomeyer (Berlin).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911,
fomduitte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her&UBgegebeD von
Profe**or Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. £ri?gern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung. Dr. Rlgler in Darmstadt,
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark ij
Nr. 45. f * r das “f lbJahr - 9. Novbr.
- Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ■
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Der Arzt als ätiologischer Faktor.
Von F. Buttersack.
Den Nervenärzten i.st es eine bekannte Tatsache, wie viel man in
einen Patienten hineinexaminieren kann, und manche Unfallneurose mag
durch die Form der ärztlichen Untersuchung zur Entwicklung gebracht
worden sein. Wenn heute namhafte Kliniker den Standpunkt vertreten,
daß das CharcoPsche Bild der Hysterie eine Suggestionsendemie der
Salp^tri&re gewesen sei, ausgelöst durch die in bestimmten Richtungen
getriebenen Untersuchungen, und daß die Hysterie an anderen Orten hei
anderen Untersuchern ganz anders aussehe, so illustriert das den Einfluß
des Arztes auf die Form der Erkrankungen zur Genüge. Allein er
äußert sich nicht bloß im Gebiete der Anomalien des Nervensystems,
sondern auch s nst in der Pathologie. So ist es erfahrenen Klinikern
seit langem eine geläufige Beobachtung, daß ein erheblicher Prozentsatz
der sog. Herzkranken ein ganz gesundes Herz besitzen und nur an auto¬
suggerierten Beschwerden seitens dieses Organs leiden, sei es, daß das
allgemeine Interesse diesem Abschnitt der Klinik besonders zugewendet
war oder daß ein allzugewissenhafter Arzt die Aufmerksamkeit auf diesen
Teil gelenkt hatte. Aus diesem Grunde vermeide ich es, bei Kranken
mit sog. Gelenkrheumatismus allzuoft das Herz zu auskultieren und dar¬
über zu sprechen, und hin, was die Häufigkeit von Herzkomplikationen
betrifft, mit diesem Verhalten ganz zufrieden. Man kann ja die Aus¬
kultation innerhalb weiter Grenzen durch die Inspektion ersetzen. Ein
geübtes Auge erkennt Störungen im Kreislauf schneller und sicherer als
das Stethoskop, ein Instrument, welches meinen Erfahrungen zufolge
häufig zu falschen Diagnosen führt, wenn nicht ein klinischer Blick die
verschiedenen Gehörseindrücke kontrolliert und deutet.
Neuerdings nimmt nun im Bulletin medical, Nr. 45, 1911 der
scharfsinnige Nanziger Kliniker Bernheim die verschiedenen sog.
pathognoraonischen Schmerzpunkte bei Appendizitis unter seine kritische
Lupe. Gewiß, sagt er, lassen sich die Mac Burney-, Lanz-, Murris-
schen Punkte u. a. m. ausfindig machen, aber erst, wenn man sie durch
die Art der Untersuchung, durch die Form des Befragens in die Kranken
hineinsuggeriert hat. Mit je größerem Eifer und Interesse der Arzt nach
einem bestimmten Punkte sucht, um so geneigter wird der Patient sein,
an diesem Punkte Sensationen zu empfinden, und mit jeder Wiederholung
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F. Buttersack, Der Arzt als ätiologischer Faktor.
wird die Schmerzempfindung sicherer und tiefer eingegraben, so daß
sie bestehen bleibt, auch wenn der krankhafte Prozeß längst abge¬
laufen, ja sogar wenn der krankhafte Processus vermiformis heraus¬
genommen ist.
Um solche unbeabsichtigte Suggestion zu vermeiden, fordert Bern¬
heim den Kranken auf, seinen Bauch selbst zu palpieren und ihm an¬
zugeben, an welcher Stelle derselbe druckempfindlich sei. Diese Angaben
werden notiert und mit den Ergebnissen der folgenden Tage verglichen.
Ist der Patient zu ängstlich oder zu ungeschickt, so palpiert B. persönlich.
Aber er beginnt mit solchen Punkten, welche sicher nicht schmerzhaft
sind, und tastet dann ganz allmählich Punkt für Punkt das Ab¬
domen ab.
Hält man als Prinzip fest, die Aufmerksamkeit des Patienten nicht
auf den gerade untersuchten Punkt zu lenken, so kann man für jegliche
Untersuchung den Kunstgriff empfehlen, die Aufmerksamkeit abzulenken.
Man kann das entweder mit Hilfe der Unterhaltung bewerkstelligen,
indem man den Patienten nach irgend etwas fragt, worauf er nicht vor¬
bereitet ist, z. B. nach Uriubeschwerden, Sehvermögen, Schmerzen in
benachbarten Gelenken. Löst dabei das Abtasten der Blinddarmgegeml
keine Reaktion aus, so ist eine entzündliche Reizung höchst unwahrschein¬
lich. Oder man untersucht scheinbar ein anderes Organ oder eine andere
Funktion. So kann man das Herz am Rücken behorchen, wobei der
Patient zumeist an die Lungen denkt; man kann die Prüfung des Romberg-
schen Symptoms hinter allerlei Koordinationsübungen, z. B. hinter Rück¬
wärtsgehen bei geschlossenen Augen, verstecken; man kann manche Leute,
welche über Schwäche oder sonstige Beschwerden in den Beinen klagen,
zum tadellosen Laufen, Springen und sonstigen gymnastischen Übungen
bringen, wenn man vorgeblicherweise deren Einfluß auf ihr Herz beob¬
achten möchte.
Wie man im einzelnen Falle den Patienten zu diagnostischen
Zwecken zu behandeln hat, hängt natürlich von dessen Individualität
wie von der des Arztes ab. Das Prinzip, die Aufmerksamkeit abzulenken,
ist aber immer erstrebenswert. Denn je tiefer es in der menschlichen
Natur begründet ist, daß der Kranke dem Arzt seine Leiden möglichst
anschaulich und eindringlich schildert, umsomehr wird er ganz unbewußt
dazu kommen, auch nebensächliche, ja normale Erscheinungen über Gebühr
zu bewerten, und umsomehr müssen wir Arzte darauf bedacht sein, uns nicht
in den Kreis der Suggestionen unserer Patienten hineinziehen zu lassen.
Die Therapie des Diabetes mellitus.
Von Privatdozent Dr. Karl Loening,
Oberarzt der inneren Abteilung des Diakonissenhauses in Halle a. S.
1. Diagnostische Vorbemerkungen.
Die Grundlage jeder wissenschaftlichen Therapie muß eine exakte
Diagnose sein, deren Kenntnis uns durch die naturwissenschaftlichen
Methoden, wie sie die moderne Medizin ausgebildet hat, vermittelt
wird. Nur da, wo diese Methoden fehlen, darf eine symptomatische
Behandlung, die sich im wesentlichen auf die Empirie gründet, Platz
greifen.
Bei keiner Behandlung ist dies beachtenswerter als bei der Be¬
handlung der Zuckerkrankheit. Keine Krankheit ist gerade in neuerer*
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Karl Loening, Die Therapie des Diabetes mellitus.
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Zeit zum Nachteil der Kranken mehr der Tummelplatz von Kur¬
pfuschern geworden als der Diabetes mellitus, trotzdem hier die Therapie
festgegründet ist, seitdem Cant an i und Naunyn, von Noorden,
von Mering, Ebstein und viele andere, deren Aufzählung hier zu weit
führen würde, in grundlegenden Arbeiten dieses schwierige Gebiet der
inneren Medizin so weit bearbeitet haben, daß auch für den Praktiker
eine rationelle Behandlung möglich ist.
Hiernach können wir, wenn wir in Kürze die Therapie des Diabetes
mellitus beschreiben wollen, die Diagnose dieser Krankheit nicht völlig
außer Acht lassen, da fortlaufend neben der Therapie eine Erkenntnis
des jeweiligen Standes der Erkrankung einhergehen muß, um des Er¬
folges aller Maßregeln sicher zu sein.
Auch wird der Patient nur dann alle Anordnungen des Arztes
befolgen, wenn er gewiß ist, daß dieser jede Abweichung von der Vor¬
schrift als schädlich für den Verlauf der Krankheit erkennt. Es ist
deshalb unbedingt nötig, daß jeder Arzt, welcher vor hat, einen Zucker¬
kranken zu behandeln, nicht nur die qualitativen Zuckerproben kennt,
sondern auch den Zucker quantitativ bestimmen kann, oder dafür sorgt,
daß eine zuverlässige quantitative Bestimmung regelmäßig ausgeführt
wird
Die gebräuchlichsten qualitativen Methoden zur Bestimmung des
Zuckers im Urin sind folgende:
1. Die TrommePsche Reaktion: Bringe in ein Reagenzglas Urin etwa bis zur
Höhe von 4 ccm, füge vorsichtig einige Tropfen Kupfersulphatlösung hinzu und
Natronlauge in derselben Menge wie Urin. Bei Anwesenheit von Zucker löst sich
das zugefügte Kupfersulfat mit dunkelblauer Farbe und beim Kochen fällt ein
roter resp. rotgelber Niederschlag aus, der sich meist schon vor dem Kochen zeigt.
Diese Probe ist deshalb nach Naunyn so wertvoll, weil durch sie erst patho¬
logische Mengen Zucker im Harn nachgewiesen werden. Es handelt sich ja bei
der Untersuchung des Harns auf Traubenzucker nicht darum, die geringen Mengen
Zucker, die sich auch im normalen Harn befinden (0,02—0,1 %), nachzuweisen.
2. Neben dieser Probe kommt für die Praxis noch die Nylander’sche Probe in
Betracht, welche auf einer Reduktion von Bismutum subnitricum durch Trauben¬
zucker in alkalischer Lösung beruht, wobei schwarzes Wismutoxydul ausfällt, jedoch
können schon normale Traubenzuckermengen oder andere Substanzen, wie z. B.
Eiweiß, zu Täuschungen Anlaß geben.
Es ist stets vorteilhaft, den Urin, wenn Eiweiß darin enthalten ist, und die
TrommePsche Reaktion positiv ansgefallen ist, zu enteiweißen (durch Kochen und
Filtrieren) und eine neue Zuckerprobe anzustellen.
Die qualitative Probe auf Traubenzucker kann durch Gärung befestigt werden,
um Täuschungen durch andere Zuckerarten, welche ebenfalls reduzieren, auszu¬
schließen; doch muß man sich hüten, keine selbstgärende Hefe zu benutzen.
Die quantitativen Methoden zur Zuckerbestimmung auf rein chemischem
Wege (z. B. mittels Feling’scher Lösung) bedürfen einer gewissen Übung. Wer das
Glück hat, einen Polarisationsapparat zu besitzen, kann natürlich mit Hilfe dieses
leicht quantitative Bestimmungen machen.
Man versetzt in einem kleineren Meßzylinder 40 ccm Urin mit 10 ccm einer Lösung
von Bleiazetat und filtriert durch ein doppeltes Faltenfilter von dem entstehenden
weißgelben Niederschlag ab. Man bestimmt sodann in der erhaltenen klaren Lösung
die Rechtsdrehung mittels seines Apparates und multipliziert die abgelesene Zahl
resp. die für den Zucker berechnete Drehung mit ft / 4 oder mit 1,25.
Man kann auch für die Praxis die Gärfähigkeit des Traubenzuckers mit Hefe
(s. h. oben) benutzen, indem man an graduierten Röhrchen, z. B. im Lohnstein’schen
Saccharometer, die Menge der gebildeten Kohlensäure abließt. Allerdings erhält
man hierbei die Bestimmung erst 24 Stunden später, ebenso auch, wie bei der
folgenden, von Roberts angegebenen Methode.
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Karl Loening,
Man nimmt das spezifische Gewicht des Urins vor und nach der Gärung.
Die Differenz der erhaltenen Zahlen mit 0,23 multipliziert ergibt dann den Zucker¬
gehalt der Lösung. Diese Zahl ist empirisch festgestellt worden. Man hat aber
zu beachten, daß bei beiden Dichtigkeitsbestimmungen die Temperatur gleich
ist, andernfalls muß mau für je ein Grad höhere Temperatur nach der Gärung
’/i Urometergrad addieren, bei niederer Temperatur subtrahieren. Benutzt man,
wie es zweckmäßig ist, zwei Urometer (von 1000—1025; 1025—1050), so hat man
darauf zu achten, daß beide Urometer übereinstimmen, was man dadurch prüfen
kann, daß man sich einen zuckerhaltigen Uriu vom spezifischen Gewicht 1025
herstellt
Diese Methode hat sich uns bei zahlreichen Nachprüfungen als zuverlässig
bewährt, wie sie auch H. Winternitz in dem diagnostischen Lehrbuch von Krause
erneut empfohlen hat.
2. Der Zuckerstoffwechsel und seine Störung.
Ein großer Fortschritt in der Behandlung der Zuckerkrankheit
datiert von dem Moment an, von dem man den Toleranzbegriff für
Kohlehydrate scharf präzisierte und stets davon ausging, wieviel Zucker
bei einer gewissen Menge Kohlehydrate ausgeschieden wird.
Auch der Gesunde hat für Zucker, insbesondere für Traubenzucker,
kein unbeschränktes Assimilationsvermögen. Genießt der Gesunde etwa
200 gr Traubenzucker, so scheidet er einen Teil desselben mit dem Urin
wieder aus und zwar in ziemlich kurzer Zeit, da der Zucker rasch vom
Darm aus resorbiert [wird und eine Überschwemmung des Blutes mit
Traubenzucker erfolgt.
Anders verhält sich der Gesunde dem Amylum und anderen Poly¬
sacchariden gegenüber. Die Stärke, welche das Hauptkontingent der
Kohlehydrate in unserer Nahrung darstcllt, wird durch gewisse Fer¬
mente im Darmtraktus in Zucker überführt. Jedoch geht diese Über¬
führung stufenweise vor sich, ja wir finden sogar die diastatischen (ver¬
zuckernden) Fermente an weit voneinander abliegenden Stellen. Der
kleinere Teil der Stärke wird durch das Ptyalin des Speichels in
Zucker übergeführt, ein Prozeß, welcher, solange noch der Speisebrei
alkalisch reagiert, im Magen weiterläuft. Dieser Zucker wird nach
den Untersuchungen von Mering’s schon im Magen resorbiert und
gelangt also schon ziemlich frühzeitig, frühzeitiger jedenfalls als die
anderen Nahrungssubstanzen in das Blut.
Der größere Teil der Stärke wird jedoch erst im Dünndarm mit
Hilfe der Pankreasdiastase in den löslichen Traubenzucker überführt
und gelangt dann in das Blut. Er wird nun entweder sofort für die
Bedürfnisse des Kraft- und Stoffwechsels verbraucht oder in einer
unlöslichen Form in den Organen niedergelegt. Diese Form des Zuckers
ist das Glykogen, welches auch als tierische Stärke bezeichnet wird.
Das Hauptreservoir für das Glykogen haben wir in der Leber zu suchen,
aber auch z. B. die Muskeln enthalten eine gewisse Menge Glykogen.
Soll nun das Glykogen im Stoffwechsel aufgebraucht werden, so muß
es von neuem in Traubenzucker verwandelt werden. Auf welche Weise
das geschieht und auf welche Weise der Zucker dann in seine End¬
produkte, Kohlensäure und Wasser, zerlegt wird, können wir nicht
in den Einzelheiten feststellen. Nur so viel steht fest, daß hierbei
ebenfalls wie bei der Spaltung des Amylum im Darm das Pankreas
und zwar jetzt mit Hilfe seiner inneren Sekretion eine größere Bolle
spielt.
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Die Therapie des Diabetes mellitus.
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Die Regulation dieses Prozesses ist beim Gesunden so eingestellt,
daß der Zuckergehalt im Blute niemals eine gewisse Grenze über¬
steigt resp. unter einen gewissen Grad heruntersinkt. Der normale
Blutzuckergehalt beträgt 0,05—0,1%. Ist derselbe höher, so sprechen
wir von einer Hyperglykämie, welche bis auf geringe Ausnahmen zu
einer Glykosurie führt. In dieser Hyperglykämie haben wir also das
eigentliche Krankheitssymptom zu sehen, während die Glykosurie bei
vorhandener Hyperglykämie nicht- nur als ein Folgezustand, sondern
direkt als ein nützlicher, die gefährliche Hyperglykämie vermindernder
Vorgang anzusehen ist.
Insbesondere ist für die Theorie des Diabetes und vorzüg¬
lich für das Coma diabeticum diese Hyperglykämie von großer
Bedeutung. Wenn auch die Azidose bei letzterer eine große Rolle
spielt, so muß doch eine starke Überladung des Blutes mit
Zucker, wie sie im Koma sicher stattfindet, zu schweren
Atemstörungen usw. führen. Das Koma der Diabetischen ist
so charakteristisch und so verschieden von entsprechenden
Erscheinungen bei anderen Krankheiten, daß die gestörte
Kohlehydratverbrennung auch hierbei eine Rolle spielen
wird. Azidose bei anderen Krankheiten führt selten zu einem
anderweitigen Koma. Wenn auch die meisten Autoren der Säure¬
vergiftung eine große Rolle zuschreiben — und für diese Ansicht
scheint ja auch der Erfolg der Natrontherapie zu sprechen — so be¬
tonen doch zahlreiche, daß diese Lehre nicht voll befriedigen könne.
3. Diätetische Behandlung des Diabetes mellitus.
a) Allgemeine diätetische Maßregeln.
Bei der Besprechung der diätetischen Maßregeln für die Behand¬
lung der Zuckerkrankheit müssen wir uns vergegenwärtigen, daß wir
in allen Fällen zuerst dieselben Maßregeln ergreifen, gleichgültig
ob es ein schwerer, mittelschwerer oder leichter Fall ist. Erst durch die
Behandlung und die im Verlauf derselben auf tretenden Symptome werden
wir darüber aufgeklärt, in welche Kategorie der jeweilige vorliegende
Fall einzureihen ist, und wir müssen uns immer darüber klar ßein,
daß die genannte Einteilung für die meisten Fälle mehr oder weniger
schematisch bleibt; abgesehen davon, daß unbehandelte Fälle von der
leichten in die mittelschwere und von dieser in die schwere Form über¬
gehen können, haben wir eine Reihe von Fällen beobachtet,
die zuerst in allem der mittelschweren Form glichen, während
sie sich später doch noch als schwere Fälle entpuppten.
Bekommen wir einen Diabetiker in Behandlung, so nehmen wir
zuerst das Körpergewicht, sodann lassen wir ihn 2—-3 Tage bei seiner bis¬
herigen Kost und sorgen nur dafür, daß er sämtlichen Urin gewissen¬
haft sammelt, insbesondere haben wir ihm einzuschärfen, daß er beim
Stuhlgang sorgfältig vermeidet, Urin zu lassen und evtl. Stuhl und
Urin voneinander trennt. Die Tagesmenge des Urins ist unter unserer
Aufsicht festzustellen, von einer Probe das spezifische Gewicht zu
nehmen, der Zuckergehalt festzustellen, Eisenchlorid und Jodoform¬
probe anzustellen und was sehr wichtig ist, die Reaktion zu prüfen.
Wir erhielten auf diese Weise von einem Zuckerkranken Werte,
welche wir in Tabelle I (siehe nächste Seite) eingetiagen haben.
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rabollo
Die Therapie des Diabetes mellitus.
1063
Wir beginnen nun mit der Berechnung der Nahrung nach der
Nährwerttabelle (Tabelle II) und halten uns dabei immer vor Augen,
daß das Ziel der Behandlung der Zuckerkranken die Hebung der Toleranz
für Kohlehydrate sein muß. Dieses Ziel können wir nur durch mög¬
lichste Beschränkung der Nahrungszufuhr erreichen. Wir müssen uns
bewußt bleiben, daß wir diese Beschränkung aber nicht zu weit treiben
dürfen. Je leichter ein Fall ist, desto weniger bedarf es einer Beschränkung,
desto eher wird aber diese Beschränkung auch ertragen; je schwerer der
Fall ist, desto mehr muß die Nahrung eingeschränkt werden, desto
weniger resistent ist der Kranke gegen die Nahrungsbeschränkung,
durch die er aber im günstigen Falle seine Resistenz und zugleich
auch die Toleranz für Kohlehydrate wiedergewinnt.
Tabelle II. Nährwert der für die Behandlung der
Diabetiker in Betracht kommenden Speisen.
Nahrungsmittel
Eiweiß
Fett
Kohle¬
hydrate
Kalorien¬
gabe
Fleisch (zubereitet)
15
15
_
195
Milch
4
4
4
68
Rahm
4
25
4
257
Hafermehl
13
6
67
374
Brot
—
—
56
224
Kartoffel
—
—
28
112
Käse
25
25
—
325
Butter
—
86
—
775
Speck
—
90
—
810
Grüne Gemüse 1 )
—
10
—
90
Bouillon *)
—
10
—
90
1 Ei
6
6
—
78
Der Begriff der Nettokalorie ist bei der Berechnung der Nahrung
unbedingt im Auge zu behalten. Unter Nettokalorie verstehen wir
diejenige Zahl von Kalorien, welche wir erhalten, wenn wir die Gesamt¬
kalorien der Nahrung abzüglich der im Urin als Zucker unverbrannt
ausgeschiedenen Kalorienmenge durch das Körpergewicht dividieren.
In dem von uns angenommenen Fall sehen wir, daß der Patient
bei seiner bisherigen Nahrung 5°/o Zucker bei 6 Liter Urin (d. h. 300 g
Zucker pro Tag) ausscheidet. Der Urin zeigt dabei eine schwachsaure
Reaktion und gelinge Azidose. Um vorsichtig zu verfahren, geben wir
dem Patienten eine Nahrung, welche pro Kilogramm Körpergewicht
36 Kalorien beträgt. Da der Patient 65 kg wiegt, wären das 2275 Kalo¬
rien ; da er aber ferner 300. g Zucker ausscheidet, müssen wir ihm
diese Kalorien, welche er ja verlustig geht, zulegen, das heißt im
ganzen 2275-{-4X 300 = 3475 resp. rund 3500 Kalorien. Wollen wir
ganz vorsichtig Vorgehen, so geben wir ihm die gesamte Zuckermenge,
die er ausscheidet, in Form von Kohlehydrate. Die Nahrung, welche
wir ihm nach dieser Überlegung zu geben haben, ist folgende:
300 g Brot, 2 1 Milch, 50 g Hafermehl, 150 g Fleisch, 1 Tasse
Bouillon, 50 g Käse, 100 g Butter. Diese Diät enthält 3542 Kalorien,
OIBeim Gemüse und der Bouillon braucht iu der Kalorienberechnung nur
das Fett für die Zubereitung in Rechnung gestellt zu werden.
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1064
Karl Loening,
von denen 1130 auf Kohlehydrate kommen (d. h. ein geringes weniger
als im Urin mit dem Zucker verloren geht). Es sind neben diesen
282 g Kohlehydrate darin ferner enthalten 122 g Eiweiß und 214 g Fett.
Bei der Auswahl der Nahrung gehen wir so vor, daß wir
zuerst die nötige Menge an Kohlehydrat notieren, sodann die eiwei߬
haltigen Nährstoffe in so großer Menge zulegen, daß eine reichliche
Eiweißmahlzeit zustande kommt und schließlich fügen wir das, was
an der vorhin berechneten Kalorienzahl noch fehlt, in Fett zu, bis
wir in diesem Falle eine Gesamtkalorienzahl von etwa 3540 Kalorien in
unserer Nahrung hatten. Wahrscheinlich hat der Zuckerkranke aber
während der Zeit freier Diät viel mehr Kalorien zu sich genommen,
insbesondere mehr Kohlehydrate und Eiweißstoffe. Wir machen ferner
darauf aufmerksam, daß wir in den ersten 2 Tagen noch nicht Gemüse
geben, da der Zuckerkranke bisher an diese nicht gewöhnt war und
das Gemüse, welches später eine große Rolle bei der Zusammensetzung
der Diät spielt, das Volumen unserer Nahrung jetzt unnötig vergrößern
würde. Schließlich weisen wir noch darauf hin, daß wir einen geringen
Teil der Kohlehydrate schon jetzt als Hafermehl gegeben haben. Setzen
wir diese Nahrung 2—3 Tage fort, so werden wir auch beim schwersten
Diabetiker ein Heruntergehen der Zuckerausscheidung und ein Sinken
der Urinmenge beobachteten.
Wir ersehen aus unserer Tabelle, daß der Zuckerkranke nur noch
240 g Zucker pro Tag ausgeschieden hat. Wir sehen aber ferner aus
der Tabelle, daß wir dem Patienten statt der beabsichtigten 36 Netto¬
kalorien infolge der besseren Assimilation des Zuckers am ersten Diät¬
tage (17/18. XII.) 37,5, am dritten Diättage (19/20. XII.) sogar schon
40,5 Nettokalorien gegeben haben. Das bedeutet also, daß der Patient
an diesem dritten Diättage 4,5X65 = 292,5 Kalorien mehr verwertet
hatte, als vorher erwartet und berechnet war. Da nun der Urin zu¬
gleich unter Natron bic. alkalisch wurde, können wir den nunmehr
nötigen Abstrich an der Gesamtkalorienmenge getrost an den Kohle¬
hydrat kalorien vornehmen. Wir geben also etwa 135 g Brot weniger.
Dieselben enthalten nämlich 75X4 = 300 Kalorien. Der Patient würde
also nun, falls die Zuckerausscheidung nicht abermals heruntergeht,
sondern gleich der des vorhergehenden Tages (240 g Zucker) bliebe,
pro Kilogramm Körpergewicht 35—36 Nettokalorien erhalten. Er
scheidet aber bei der verminderten Brotdarreichung am Beobachtungs¬
tage (20/21. XII.) nur noch 180 g Zucker aus (infolge Toleranzsteige¬
rung). An diesem Tage werden also wiederum 60 g Zucker weniger
ausgeschieden, die in der Menge von 240 Kalorien vom Körper ver¬
wertet werden. — Trotzdem nun das Körpergewicht inzwischen um
0,5 kg gestiegen ist, beträgt die Nettokalorienzahl abermals 39, wir
dürfen also die Nahrung noch weiter beschränken, wie es aus der
Tabelle leicht ersichtlich wird.
Dies ist der Weg, auf welchem wir die Kohlehydrate ziemlich
schnell und völlig sicher, ohne ein Koma, befürchten zu müssen, ent¬
ziehen können.
Das Studium der Tabelle I zeigt uns aber zugleich, daß mit der
Einschränkung der Nahrung eine bessere Verwertung der Kohlehydrate
(eine stärkere Benutzung derselben als Nettokalorien) einhergeht. Dies
Verhalten ist der Ausdruck der steigenden Toleranz für Kohle¬
hydrate bei Entziehung der Kohlehydrate.
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Die Therapie des Diabetes mellitus.
1065
Der Patient, welcher anfänglich ebensoviel Kohlehydrate im Urin
verlor, als er mit der Nahrung erhielt, verträgt schließlich 75 g Brot
ohne Glykosurie und ohne Azidose. Dieses Resultat ist aber nicht
nur durch die Entziehung der Kohlehydrate allein herbeigeführt, sondern
durch die gleichzeitige Einschränkung der Gesamtnahrungszufuhr. Es
soll nicht geleugnet werden, daß es in ganz leichten Fällen auch gelingt ,
den Diabetiker allein mit Kohlehydratkarenz tolerant zu machen. Aber
für all die Fälle, welche zur Azidose neigen, muß gleichzeitig eine
Einschränkung in der Eiweiß-Fettzufuhr vorgenommen werden.
Es ist selbstverständlich, daß sich nicht alle Fälle gleich schnell
bessern. Ich möchte aber betonen, daß auch schon recht schwere Fälle
innerhalb von 14 Tagen recht gute Toleranz für Brot erreichen. Wenn
sich stets doch noch Spuren Zucker im Urin zeigen, treten die unten
zu besprechenden Hungertage, halbe Hungertage usw. in ihr Recht.
Ergibt die Untersuchung des Urins aber gleichzeitig, daß die Azidose
stärker geworden ist, zeigen ferner der Urin und die Atemluft den für
Azeton charakteristischen Geruch, so ist es unbedingt nötig, ehe wir
die Diät noch weiter beschränken, daß wir Natron bic. geben, und zwar
solange, bis der Urin alkalisch wird. In diesem Falle, bei dem schon
nach einer so geringen Beschränkung der Kohlehydrate deutliche Azidose
auftritt, empfiehlt es sich, gleich mit nicht zu kleinen Dosen von
Natron zu beginnen. Wir geben deshalb 3 mal 10 g Natron täglich
entweder in Oblaten oder in Milch oder etwas kohlesäurehaltigem
Wasser (vergl. die Auseinandersetzungen über die Therapie des Komas).
Wohl in den meisten Fällen wird es nun gelingen, den Urin mit
der genannten Dosis Natron oder mit einer etwas höheren, alkalisch
zu machen. Jedenfalls geben wir bei weiterer Einschränkung der
Nahrung höhere Dosen Alkali. Wir brauchen diesen Fall nicht weiter
ausführlich zu besprechen, da sich die Diabetiker ja doch außerordentlich
verschieden verhalten und aus der Tabelle alles Wichtige zu ersehen
ist. Unser Ziel ist aber immer bei Verminderung der Kohlehydrate auch
eine Herabsetzung der auf das Kilogramm Körpergewicht fallenden
Kalorienzahl anzustreben. Diese Zahl wird von Rubner zu 35—40 Ka¬
lorien angegeben; jedoch hält es Naunyn für ausgemacht, daß der
Zuckerkranke jahrelang bei einem viel geringeren Kalorien wert der
Nahrung auskommen kann, ja, daß geradezu das Wohlbefinden des
Zuckerkranken davon abhängig ist, eine wie geringe Kalorienzufuhr
nötig ist, ohne daß Schädigungen auf treten. So nimmt der genannte
Autor an, daß für die meisten Zuckerkranken 24—25 Kalorien pro
Kilogramm Körpergewicht ausreicht.
Zu therapeutischen Zwecken ist es aber erlaubt, auf 20, ja sogar
auf 18 Kalorien herunterzugehen.
Einen letzten Rest von Zucker zu entfernen, gelingt nicht immer
leicht. Ist aber die Azidose ganz minimal, sind auch keine Störungen
des Allgemeinbefindens aufgetreten, hat sich vielmehr das Körper¬
gewicht gehoben, ohne daß Ödeme zur Beobachtung kamen, kann man
r uh ig dem Vorschläge Naunyn’s folgen und einen Hungertag ein¬
schalten.
Ein solcher Hungertag braucht nicht zu bedeuten, daß der Patient
gar keine Nahrung zu sich nimmt. Wir geben ihm neben Kaffee mit
etwas Milch Bouillonsuppe und Gemüse.
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1066
Karl Loening, Zur Therapie des Diabetes mellitus.
von Noorden gibt folgende Zusammensetzung der Kost an
Hungertagen an.
Schwarzer Kaffee ohne Zutaten, Tee desgl.; Bouillon von Huhn
oder Ochsenfleisch, mehrmals am Tage in Mengen von je 150 —200 ccm;
Mineralwasser, auf Wunsch mit Zitronensaft; Kognak oder Wisky
80—100 ccm, mit Mineralwasser verdünnt.
Für die Gemüse tage gibt er an: schwarzer Kaffee und Tee ohne
Zutaten, auf Wunsch Saccharin, Bouillon von Huhn oder Bindfleisch;
grüne Gemüse und Salate, soweit erlaubt; 3—5 ganze Eier und 3—5
Eidotter; Butter, Speck, Knochenmark, Suppenfett, öl; Essig, Zitrone
nach Belieben; Mineralwasser; 3 / 4 Flasche alter Kotwein oder 80—100 ccm
Kognak oder Wisky. Nur schwache Patienten bleiben im Bett, Natron
wird bei Azidose weiter gegeben.
v. Noorden benutzt aber diese Hungertage zu ganz anderen
Zwecken, wie wir sie vorhin erwähnten. Er behauptet gerade von den
Hungertagen bei drohendem Koma diabetikum günstige Resultate ge¬
sehen zu haben und berichtet, daß die Patienten solche Hunger- oder
Gemüsetage gut vertragen haben. Wir meinen, daß beim drohenden
Koma der Appetit schon an sich darniederliegt und die Zufuhr größerer
Nahrungsmengen an dem hartnäckigen Widerstand der Patienten schei¬
tert, daß wir aber, wenn eine Nahrungszufuhr möglich ist, nicht zögern
sollen, Kohlehydrate zu geben. Unsere an der v. Meringschen Klinik
gemachten Erfahrungen sprechen für die alte Ansicht, der auch
v. Noorden früher huldigte, daß Kohlehydratkarenz bei drohendem
Koma gefährlich ist. Sind bei der Entziehung der Kohlehydrate keine
Zwischenfälle aufgetreten, bleibt der Zuckerkranke bei der kohlehydrat¬
freien Kost dauernd zuckerfrei, so können wir, selbst wenn noch ge¬
ringe Azidose besteht, wieder vorsichtig Kohlehydrate, am besten zu¬
erst etwas Milch geben und dann erst später zum Brot übergehen. Wir
beginnen gewöhnlich mit 500 ccm Milch. In leichteren Fällen ohne
Azetonurie wird diese Menge meist anstandslos vertragen, während in
den anderen Fällen die Trommersche Reaktion dabei wieder positiv wird.
Man muß dann erst einige Tage wieder ab warten und von neuem einen
Versuch machen, der oft von Erfolg gekrönt ist, sei es nach einem
Hungertage pder sei es, daß man gleichzeitig das Eiweiß und das
Fett in etwas beschränkt.
Mit den Kohlehydratgaben geht jnan dann stufenförmig hinauf,
indem man öfters Tage mit kleineren Kohlehydratgaben einschaltet.
Es ist zweckmäßig, diese Diätvorschriften mit dem Patienten und
seinen Angehörigen zu besprechen, damit auch, wenn die ärztliche Über¬
wachung fortfällt, die Diät sachgemäß weiter genommen wird. Im
wesentlichen wird man gut tun, keine zu strengen Vorschriften zu
erlassen, wenn es auch immerhin vorteilhaft ist, noch weiter die Ka¬
lorienberechnung durchzuführen, sofern es sich irgendwie machen läßt.
Jedenfalls haben wir daran festzuhalten, daß bei der dauernden
Behandlung der Diabetiker nicht nur der Kohlehydratstoffwechsel zu
berücksichtigen ist, sondern in gleichem Maße auch der Eiweißfett¬
stoffwechsel. (Schluß folgt)
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
1067
Autoreferate und Mitteilungen
aus der Praxis.
Stimmbandpapillom und Tuberkulose.
Von Dr. Rudolf »Steiner,
Assistent des laryngologischen Instituts der k. k. deutschen Universität in Prag.
(Vortrag mit Demonstration auf dem 3. internationalen Laryngologenkongreß.)
Der Vortragende berichtet über einige interessante, im laryngo¬
logischen Institut der deutschen Universität in Prag von ihm beobachtete
Stimmbandpapillome, die unter dem Bilde vollständig gutartiger, als ge¬
wöhnliche Papillome bezeichneter Gewächse bei sonst ganz gesunden
Leuten ohne klinisch nachweisbare Spur von Tuberkulose auftraten, und
wo sich bei der nach vorgenommener Exstirpation erfolgten anatomischen
Untersuchung in der Tiefe unterhalb der typischen papillomatösen
Wucherungen ausgesprochene Tuberkelknötchen fanden. Er bespricht
die klinische Stellung derartiger Neubildungen und fordert auf Grund
des unerwarteten Befundes genaue histologische Untersuchung jeder auch
als ganz harmlos erscheinenden Neubildung, wobei sich vermutlich häufiger
die tuberkulöse Natur papillomatöser Stimmbandtumoren ergeben dürfte.
Vakzinationsversuche beim syphilitischen Kaninchen.
Von Prof. Dr. C. Grouven.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 36, 1911.)
G. berichtet über Versuche, sichergestellte syphilitische Symptome
bei zwei Kaninchen durch ein aus den Sowade’schen Spirochäten-Misch-
kulturen hergestelltes Vakzin therapeutisch zu beeinflussen.
Er erzielte bei beiden Tieren nach voraufgegangenen, der Tuber¬
kulinwirkung analogen allgemeinen und örtlichen Reaktionen eklatante
Besserungen der sichtbaren Krankheitserscheinungen.
Verf. glaubt, daß diese Resultate für die Möglichkeit aktiver
Immunisierung beim syphilitischen Kaninchen sprechen. Für Versuche
am Menschen wäre allerdings dieser Weg erst gangbar bei Verwendung
eines aus Reinkulturen gewonnenen Vakzins, einer Voraussetzung, die
wohl bald gegeben sein dürfte. Autoreferat.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Fr. Meyer (Berlin), Die Tuberkulinbehandlung in der Hand des prak¬
tischen Arztes. (Therap. Monatsh., August 1911.) Geht man von der Auf¬
fassung des Tuberkulins als Antigen und der Behandlung als einer ziel-
bewußten Immunisierung aus, so ist die wichtigste Bedingung, daß der zu
immunisierende Kranke noch kräftig genug ist, um eine Immunisierung zu
ertragen. Die Chancen der Immunisierung sind bei einem jüngeren Pat.
besser als bei einem alten, jedenfalls ist eine gute Beschaffenheit der blut¬
bildenden Organe und eine nicht zu große Ausdehnung des tuberkulösen
Herdes wünschenswert. Da wir annehmen, daß sich in diesem das Gift ent¬
wickelt, so muß die ständige Giftproduktion je nach der Größe des Herdes
wechseln und die hervorgerufenen Schädigungen der Lebenswichtigkeit des
befallenen Körperteils proportional sein. Je höher aber der Grad der be¬
stehenden Vergiftung ist, desto geringer sind die Aussichten für eine er¬
folgreiche Entgiftung. Auch die Individuen, deren Organismus durch andere
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1068 Referate und Besprechungen.
Infektionen geschwächt ist (Lues, Mischinfektion mit Streptokokken usw.),
eignen sich schlecht für eine Immunisierung, weil erfahrungsgemäß der
Körper sich selten gegen mehr als zwei Infektionen immunisieren läßt.
Daher ist es bei Luetischen stets angezeigt, vor der Tuberkulinkur eine nicht
angreifende antiluetische Behandlung durchzuführen. Bei rein tuberkulösen
Infektionen hindert manchmal die anatomische Beschaffenheit des erkrankten
Organs die Möglichkeit einer Immunisierung, da sich das Gehirn, die
Meningen und die Nieren durch spezifische Behandlung schlecht beein¬
flussen lassen. Indiziert ist die Tuberkulinbehandlung für den geübten
Praktiker bei Lungentuberkulose, tuberkulösen Drüsenerkrankungen ohne Ver¬
käsung oder Erweichung, Knochentuberkulose, Augentuberkulose, der Lupus
mit bestimmten Einschränkungen, die Larynxtuberkulose. Günstig für die
Behandlung sind Lungentuberkulosen (I. und II. Stadium), wenn sie keinen
besonders akuten Verlauf nehmen, fieberfrei oder subfebril sind und keine
große Neigung zur Verkäsung zeigen. Auch können allenfalls noch Tuber¬
kulosen III. Grades zugelassen werden, die keine großen blutenden Kavernen
oder hohe Temperaturen und Mischinfektionen aufweisen. Besonders ge
eignet sind Patienten mit ausgesprochen toxischen Symptomen (Herzpalpa*
tionen, Schweißen, Magenstörungen, Schilddrüsenschwellungen). Dagegen
dürfen schwer fiebernde Kranke nicht behandelt werden. Sie erfordern eine
andere Art der Tuberkulinanwendung, welche den Wright’schen Vakzinations-
regelu folgt. Dabei wird Alttuberkulin Koch als Entfieberungsmittel ohne
Steigerung der Dosis angewendet, es wirkt prompt. Pleuritiden, leichte
Initialhämoptoe und Tachykardie geben keine schwerwiegenden Gegengründe
ab und zwingen nicht, die Kur zu unterbrechen. Empyeme dürfen nur mit
gleichzeitiger chirurgischer Behandlung tuberkulinisiert werden. Miliare
Lungentuberkulose mit Zyanose und Atemnot sind strikt von der Behand¬
lung auszuschließen. Ein erfolgreiches Gebiet stellt die Drüsen tuberkulöse
dar, welche so häufig im Kindesalter der Skrofulöse zur Behandlung kommt.
Hier ist eine vorsichtige Tuberkulinkur oft viel wirksamer als jahrelang
durchgeführte Soolekuren. Diejenigen Drüsenschwellungen, welche isoliert
an einzelnen Körperstellen auftreten, sind dagegen auszuscheiden, weil sie
oft mit Verkäsungen und Erweichungen einhergehen und dann nicht durch
Tuberkulin gebessert werden können. S. Leo.
Rosenberg (Berlin), Die Beziehungen der chronischen Nasenstenose
zur Lungentuberkulose. (Deutsche med. Wochensehr., Nr. 35, 1911.) Durch
die Nasenstenose werden die mannigfachsten Gelegenheiten zur Akquirie-
rung der Lungentuberkulose gegeben. Sie führt ja zur Mundatmung, womit
die wichtigsten Funktionen der Nase bei In- und Exspiration ausgeschaltet
werden. Die in der Inspirat.ionsluft enthaltenen Elemente werden durch
die Mukosa festgehalten und durch die Flimmerepithelien wieder nach außen
gebracht. Vor allem werdeu durch die bogenförmig gestaltete Flugrichtung
des Inspirationsstroms am Nasendach die tieferen Luftwege vor Infektion
geschützt. Eine weitere Gefahr der Stenose beruht darauf, daß die dadurch
herbeigeführten Katarrhe von Kehlkopf und Bronchien für die Bazillen
ein sehr geeigneter Nährboden sind. Weiter steht mit der Stenose eine häufig
beobachtete Thoraxdeformität in Zusammenhang. Bald sind die oberen
Partien emphysematos erweitert und die unteren eingezogen, bald ist das
umgekehrte der Fall. Auch dabei spielt die mangelhafte Ventilation für die
Entstehung der Tuberkulose eine Rolle. Praktisch vielleicht nicht so wichtig
ist die primäre Tuberkulose der hyperplastischen Rachenmandel. Man hat sie
aber doch in 4—5°/ 0 aller Fälle von adenoiden Wucherungen festgestellt.
Rosenberg macht nun noch auf eine weitere Infektionsmöglichkeit auf¬
merksam. Es kann nämlich die Mundatmung indirekt auf dem Umwege der
Kollapsinduration zur Lungentuberkulose führen. Die Kollapsinduration ist
ein selbständiges Krankheitsbild und ist au sich nicht tuberkulöser Natur.
Man versteht darunter eine Schrumpfung meist der rechten Lungenspitze
infolge der durch die Mundatmung herbeigeführten Katarrhe, die durch die
reichliche Schleimsekretion zur Verlegung der Bronchien und damit zu einer
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Referate und Besprechungen.
1069
Atelektase des dazu gehörigen Alveolenabschnittes führen. Von einer tuber¬
kulösen Spitzenaffektion unterscheidet sie sich differentialdiagnostisch da¬
durch, daß bei ihr die respiratorische Verschieblichkeit der medialen und
unteren Lungengrenzen völlig unbeeinflußt bleibt. Daß nun Patienten mit
einer Kollapsinduration leicht einer Infektion dieser wenig widerstandsfähigen
Spitze ausgesetzt sind, dürfte leicht verständlich sein und besonders die sind
ihr ausgesetzt, die durch einen mit dem Krankheitsbild nicht vertrauten
Arzte für tuberkulös gehalten und durch Verschickung in eine Lungenheil -
anstalt mit Tuberkulösen in innigere Verbindung gebracht werden. Bei
den großen Gefahren, die demnach die Nasenstenose im Gefolge haben, ist
es dringend zu raten, sie operativ beseitigen zu lassen. F. Walther.
Hamant verwendet zur Bekämpfung der Schwäche und Kachexie bei
Tuberkulose Kampferöl mit Erfolg: Der Kranke gewinnt in 2—3 Wochen
Kräfte und Appetit; Hustenreiz und Auswurf lassen nach, letzterer wird
lockerer und weniger eiterig; das Fieber, der arterielle Druck fallen; der
Puls wird weicher und voller; der objektive Befund wird sichtlich besser.
Es kommen namentlich Formen der Tuberkulose in Betracht mit pleuritischem
Debüt, mit Anämie, alle veralteten Formen und die mit fieberhaften Kom¬
plikationen. Besonders gute Dienste erweist die Methode bei akuten Formen
und bei den pneumonischen Formen während der Entwicklung der chroni¬
schen Tuberkulose. Verf. injiziert von einer l(J°/oigen, mit gereinigtem und
sterilisiertem Olivenöl bereiteten Kampferlösung täglich um 1 ccm steigend
mit 1 ccm beginnend, um vom 10. Tage an täglich 10 ccm zu geben und zwar
in Portionen zu 2,5 ccm und zwar 3—6 Monate lang und länger ohne Inter¬
valle. Im Falle eine Pneumokokkeniutervention dazwischen tritt: dreimal
täglich 10 ccm. (Bull, gener. de ther., Nr. 22, 1911.)
v. Schnizer (Höxter).
Bernheim et Dieupart, Traitement de la tuberculose par Piode-menthol-
radioactive. (Bull, gener. de ther., Nr. 22, 1911.) Eine neue Behandlungs¬
methode der Tuberkulose, die von verschiedenen Seiten in Frankreich nach-
geprüft wurde, bestehend in täglichen intramuskulären Injektionen von 1 ccm
peptonisiertem Jod 0,15, Menthol 0,06. Radium baryumchlorid der 10. Teil
eines Tropfens in ätherischer Lösung, in Serien zu 30. Nach 3—4 Serien mit
14tägigen Intervallen definitives Resultat, das namentlich auch an den Ver¬
suchstieren ganz augenfällig war. Die Injektionen selbst sind schmerzlos.
Zu bemerken ist dabei die schon nach wenigen Injektionen auftretende Ge¬
wichtszunahme, die erstaunliche Appetitszunahme, das hierdurch wachsende
Selbstvertrauen, rapide Wiedergewinnung der Kräfte, ganz erhebliche Besse¬
rung des Allgemeinbefindens und der objektiven Erscheinungen. Ganz be¬
sonders merkwürdig ist das Verschwinden des Hustens und die Verminderung
des Auswurfs. v. Schnizer (Höxter).
Poulain (Paris), Beziehungen zwischen Entzündungen am Kolon und
den inneren Genitalien. (Arch. generales de Chirurgie, Nr. 2, 191}..) Infek¬
tionen des weiblichen Genitalapparates können durch Vermittlung des Peri¬
toneums auf die Ansa sigmoidea übergreifen und da zu Verwachsungen
führen, welche subjektiv Verstopfung, objektiv den Eindruck eines para-
intestinalen Tumors machen.
Umgekehrt können entzündliche Prozesse im untersten Darmabschnitt
auf demselben Wege sich auf die Adnexe ausdehnen und da Salpingitis und
Oophoritis (namentlich links) hervorrufen.
In allen derartigen Fällen wird man mithin gut tun, an Stelle der
heißen Scheidenausspülungen heiße Darmeingießungen machen zu lassen,
welche einerseits besser auf die Adnexe wirken und andererseits durch
Reinigung des Darms den Infektionsherd beseitigen.
Auch diese Notiz trägt dazu bei, die Aufmerksamkeit nicht einseitig
auf eine bestimmte Stelle zu fixieren und diese mit den verschiedenen thera¬
peutischen Agentien zu attackieren, sondern rückwärts den Erkrankungs-
modus zu verfolgen. Den pathogenetischen Faden durchzuschneiden ist viel¬
leicht mehr wert als eine noch so geistreiche Lokalbehandlung.
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Referate und Besprechungen.
Der Poulain’sche Gedankengang läßt sich übrigens unschwer beliebig
erweitern, und man kommt dann zu der Erkenntnis, daß Mikroorganismen an
den verschiedensten Stellen eindringen können. Das Wesentliche ist dabei
aber nicht die Eingangspforte, sondern ob sie das System der serösen Häute,
insbesondere das Bauchfell erreichen. Vom Zufall hängt es dann ab, ob
schließlich eine Adnexerkrankung, eine Cholezystitis, Darmabknickungen oder
Wandernieren resultieren. Buttersack (Berlin).
A. Hiller (Berlin), Wie lange verweilen Speisen im Darm? — Zur
Therapie der Darmträgheit. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 17, 1911.)
Hiller suchte die obige Frage dadurch zu beantworten, daß er nach be¬
stimmten Mahlzeiten 4—6 rohe Erbsen schlucken ließ und dann den Zeit¬
punkt ihrer Entleerung bestimmte. Seine Ergebnisse gehen dahin, daß die
Speisen nicht als geschlossene Massen den Darm passieren, sondern aus¬
einandergezogen werden, so daß besagte Erbsen bei gesunden Personen nach
18—42 Stunden, bei Verstopften erst nach l 1 /*—5 Tagen wiedererscheinen.
Abführmittel (Eheum, Aloe, Cascara Sagrada, Ricinus) verkürzen die
Passage von 50—100 Stunden auf 14—22 Stunden.
Bei Darmkatarrh beträgt die Zeit des Durchgangs 13—16 Stunden, bei
katarrhalischer Ruhr sogar nur 6—9 Stunden. Interessant sind die Ver¬
hältnisse beim Typhus: auf eine Periode der Beschleunigung folgt eine solche
verlangsamten Durchgangs von 3 1 /* bis 6 1 /» Tagen.
Zur Therapie der Darmträgheit empfiehlt Hiller allmorgendliche
Darmeingießungen von Wasser von 35—40° C. Dadurch würden binnen
1 Stunde 2—3 Entleerungen erzielt und die Patienten fühlten sich sehr er¬
leichtert und frischer; man könne diese Behandlung jahrelang fortsetzen,
ohne daß sie an Wirksamkeit einbüße.
Bekanntermaßen werden in manchen Kurorten, z. B. in Karlsbad usw.*
derartige Eingießungen mit gutem Erfolg verabfolgt. Aber auch bei Diar¬
rhöen sind sie vielleicht angebracht; denn schon Hippokrates schrieb
bezüglich der fieberlosen Durchfälle: r t yop xfrcavupO'tfaat (= Spülungen) Tteracdovrai
tJ 0 . 7:0 toC autojxaxou. (Dpo^rtxlv, II 7 Kap. 23). Buttergack (Berlin).
Dantec behandelt die chronischen Diarrhöen der warmen Länder auf
eine neue Art, ausgehend von dem Befund der Stühle, die eine große Menge
gramophiler Bakterien der Milch- und Paramilchsäuregruppe enthalten, die
in animalischer Flüssigkeit rasch untergehen. Er gibt also ausschließlich
Bouillon, rohes, geschabtes Fleisch, Eier, und schaltet Milch und Kohle¬
hydrate ganz aus. Schon nach 48 Stunden sinkt die Zahl der Diarrhöen
beträchtlich, die Stühle werden pastöser. Nach 10 Tagen pflegt die patho¬
logische Flora aus dem Darm verschwunden zu sein. Dann Yoghurt (täglich
frisch bereitet) diesselbe Diät weiter, Kartoffeln und Brot allmählich zu-
gebend. Verf. hält die Methode auch sehr geeignet für die Diarrhöen der
Kinder. (Bull, gener. de ther., 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Leven, L’appendicite et les erreurs de diagnostic. (Bull. gen£r. de
th6rap., Nr. 2, 1911.) Es gibt Symptome, die nur zu leicht Internen und
Chirurgen eine Appendizitis, die nach Verf. langjährigen Beobachtungen
viel zu viel diagnostiziert wird, Vortäuschen. Diese Krankheitszustände
lassen sich in 3 Gruppen teilen: einmal eine Hauthyperästhesie, unter der
Form einer Krise am Mc Burney’schen Punkt lokalisiert, nicht notwendig
von gastrointestinalen Störungen abhängig, bald spontan, bald hysterisch,
bald mit anderen Hyperästhesien vergesellschaftet. Eine 2. Gruppe repräsen¬
tiert die Kranken, bei denen schmerzhafte Zustände in Verbindung mit der
Entwicklung der Regel ev. unter Hyperthermie eine Appendizitis Vortäuschen.
Dasselbe ist endlich der Fall bei schmerzhaften gastrischen Krisen. Für
die Diagnose der menstruellen Krisen sind 2 Punkte von Wert: einmal Ein¬
tritt der falschen appendikulären Krise und Eintritt der Regel fallen zu¬
sammen; dann der therapeutische Erfolg: Verf. läßt die Menstruierenden
sich ins Bett legen und gibt ihnen, sobald ein Prodromalsymptom der Regel
auf tritt, ein Lavement von Warm wasser 60,0, Tct. op. gtt. X—XII, Natr.
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Referate und Besprechungen.
1071
brom. 1,5. Ferner morgens und abends 1 Stunde lang an der Schmerzstelle
feuchtwarme Applikationen. Nach des Verf. Ansicht ist die Appendizitis
intern heilbar, der Chirurg ist nur für etwaige Komplikationen nötig.
Außer ovariellen Schmerzen kann die Appendizitis noch vorgetäuscht werden
durch Iliolumbalneuralgien, durch den menstruellen fluxionären Drang und
durch Neuralgien des Bauchsympathikus. v. Schnizer (Höxter).
Herbert Swift Carter, Die Benutzung von Aszitesflüssigkeit zu Er-
nährungs- und anderen Zwecken, mit therapeutischen Indikationen. (The
amer. journ. of the med. scienc., August 1911.) Nachdem C. vor 2 Jahren
(im Arch. int. med., 1908) über seine Versuche mit hypodermatischer Er¬
nährung ian Hunden berichtet hatte, die jedoch zu keinem klinischen Resultate
führten und sich sogar als gefährlich erwiesen, hat er seitdem 2 andere
Substanzen versucht, mittels deren es anscheinend ohne Gefahr möglich ist,
dem Organismus beträchtliche Mengen Protein zuzuführen, nämlich Gela¬
tine mit wechselnden Mengen Aminosäuren aus Fleischproteose, und mensch¬
liches Serum in der Form von Aszitesflüssigkeit. Über die Resultate der
Versuche mit Gelatine will er später berichten, bei den Versuchen mit Aszi¬
tesflüssigkeit handelte es sich darum, zu sehen, ob es möglich ist, einen Teil
des Proteinbedarfs des Körpers hypodermisch zu decken, während sein kalo¬
rischer Bedarf durch Fett und Kohlehydrat per os gedeckt wird. Ist dies
möglich, so wäre ein großer Schritt vorwärts getan, um den großen Protein-
verlust, der unter gewissen pathologischen Verhältnissen eintritt, zu decken,
wenn das Leben des Kranken in Gefahr ist und es darauf ankommt, ihn auch
nur durch eine kleine Hilfe über die Gefahr hinwegzubringen. Bestimmte
Regeln lassen sich bis jetzt aus den Versuchen noch nicht ableiten, doch
scheint sich das Verfahren zu empfehlen, bei Austrocknung der Gewebe, be¬
sonders in der Cholera infantum, bei Marasmus infolge unbekannter Ur¬
sachen, Hämophilie, Hämorrhagie, Melaena neonatorum u. a. m. Peltzer.
W. Winckelmann (Sagan), Über Magenkrebs. (Reichs-Mediz.-Anz.,
Nr. 17, 1911.) Erweckt eine Dyspepsie den Verdacht auf Karzinom, so ver¬
dient besondere Beachtung 1. fauliges Aufstoßen. Man achte auf den Ge¬
ruch, dev beim Einführen des Magenschlauches etwa auftretenden Ruktus;
bei Care, ventr. haben sie oft einen geradezu aashaften Geruch. 2. Kaffee¬
satzähnliches Erbrechen. 3. Hartnäckiges Hautjucken. 4. Bei Frauen ist
gynäkologische Untersuchung vorzunehmen, denn oft finden sich frühzeitig
Metastasen in den Ovarien. 5. Drüsenschwellungen sind bei Karzinom selten
diagnostisch verwertbare Zeichen. Gewiß kann eine Schwellung der links¬
seitigen Supraklavikulardrüse karzinomatöser Natur sein, oft ist aber die
Unterscheidung gegenüber Tuberkulose nicht zu fällen. Schwellung umbili-
kaler Drüsen tritt erst in Spätstadieu auf. 6. Eine linksseitige Pleuritis
findet sich nicht gerade selten bei Karzinomen der kleinen Kurvatur. Was
die Palpation des Magenkrebses betrifft, scr bleibt ein großer Teil der
Magentumoren (20%) verborgen, und zwar 1. die Kardiatumoren, 2. die
meisten Tumoren der Curvatura minor. Gelegentlich fühlt man einen solchen
Tumor in rechter Seitenlage bei tiefer Einatmung. S. Leo.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Oskar Jaeger (Elberfeld), Über die klinische Bedeutung der Albumi¬
nurie in der Schwangerschaft, bei der Geburt und im Wochenbett. (Zeitschr.
für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 68, H. 3., 1911.) J. hat den Urin von 100 Haus-
schwangeren und von 120 Kreißenden bzw. Wöchnerinnen systematisch auf
Eiweiß, Formbestandteile und Bakterien mittels Kulturverfahren untersucht.
Er fand in 70% während der letzten Monate der Schwangerschaft
Eiweiß, und zwar etwa gleich häufig bei Erst- und bei Mehrgeschwängerten.
Je mehr sich die Schwangerschaft dem Ende zuneigte, desto öfter fand sich
Eiweiß. In etwa 25% der daraufhin untersuchten Schwangeren handelte
es sich um sog. lordotische (orthotische) Albuminurie, wofür J. eine ge¬
wisse konstitutionelle Minderwertigkeit des sezernierenden Nierengewebes
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Referate und Besprechungen.
(Nierenschwäche Hßubner’s) verantwortlich macht. Nicht selten konnte die
Albuminurie auf bakterielle Ursache zurückgeführt werden. In diesen Fällen
kann es zu einer Schädigung des Nierengewebes selbst kommen, entweder
schon in dler Schwangerschaft oder erst nach der Geburt. In 11% der
Schwangeren wurde eine stärkere Nierenläsion gefunden, die sich durch An¬
wesenheit hyaliner, granulierter und epithelialer Zylinder dokumentierte. —
Sub partu fehlte Eiweiß im Urin nur ganz ausnahmsweise. Die Intensität
der Geburtsalbuminurie nahm zu m*it der Schwere der geleisteten Geburts-
arbeit, nicht mit der Dauer derselben. Daher fand bei Erstgebärenden eine
stärkere Eiweißausscheidung statt wie bei Mehrgebärenden. In der Hälfte
der Fälle fand sich sub partu Zylindrurie, und zwar bei Erstgebärenden
doppelt so häufig wie bei Mehrgebärenden. Im Wochenbett verschwand die
Albuminurie bei Erstgebärenden langsamer wie bei Mehrgebärenden. — Be¬
züglich der Ursachen der Schwangerschafte- und Geburtsalbuminurie kommen
mechanische, infektiöse und toxische Vorgänge in Betracht.
R. Klien (Leipzig).
Zur Diätetik der Schwangerschaft. (Med. Blätter, Nr. 17, 1911.) Die
schwangere Frau soll, wenn irgendwie möglich, täglich mindestens eine
Stunde sich im Freien bewegen. Außerdem soll sie durch fleißiges Lüften
für gute Luft im Schlafzimmer sorgen. Am besten ist bei offenem Fenster
zu schlafen; auch im Winter soll das Schlafzimmer gut gelüftet, aber nicht
kalt, sondern überschlagen sein, also eine Temperatur von etwa 12° haben. Die
Schwangere, die zu einer sitzenden Tätigkeit genötigt ist und sich einen
längeren täglichen Spaziergang nicht erlauben kann, muß unter allen Um¬
ständen dreimal täglich regelmäßige Turnübungen machen, und zwar macht
sie zuerst die Rumpfbeuge vorwärts und seitwärts, dreht dann den Rumpf
und bewegt ihn im Kreise, stößt die Arme vorwärts und führt sie im Kreise,
schwenkt dann die Beine, hebt und senkt sich auf die Zehen und macht die
Kniebeuge. Jede Prozedur 5 bis lOmal, je nach den Kräften; Ermüdung
darf nicht eintreten, wenn das doch der Fall ist, muß die Schwangere mit
den Übungen sofort auf hören. Ferner sind folgende spezielle Widerstamds-
übungen am Platze: 1. der Leib wird aus liegender Stellung ömal ohne
Hilfe aufgerichtet; 2. die Beine werden liegend an den Körper herangezogen
und dann das Kreuz im Liegen ohne Hilfe hochgehoben; 3. die Knie werden
im Liegen unter Widerstand gespreizt und geschlossen; 4. die Beine werden
im Liegen unter Widerstand gebeugt und gestreckt; 5. die Beine werden unter
Widerstand vorwärts und rückwärts gehoben; 6. unter Widerstand werden
die Arme gehoben, gespreizt und im Kreise geführt. Den Widerstand leistet
eine andere Person dadurch, daß sie den Körperteil, der bewegt werden soll,
mit ziemlicher Kraft festhält, so daß die Schwangere die Bewegung nur mit
Kraftaufwand führen kann. Jede Übung wird 5 bis 6 mal, je nach dem
Kräftezustand ausgeführt. Niemals darf Übermüdung eintreten. Diese
Übungen kräftigen die Rücken-, Kreuz-, Bauch- und Beckenmuskulatur.
Frauen, die zu Abortus neigen, dürfen natürlich die Übungen nicht machen.
Langes Stehen und Sitzen, sowie andauerndes Treten der Nähmaschine muß
vermieden werden, da es leicht zu Abortus führt, ebenso Tanzen, Reiten,
Laufen, Springen. S. Leo.
K. Franz (Berlin), Über das Stillen der Wöchnerinnen. (Berl. klin.
Wochenschr., Nr. 28, 1911.) Wie seinerzeit Walch er, so ist es auch F.
in den drei bisher von ihm geleiteten Kliniken sofort gelungen, die Still -
fähigkeit der Wöchnerinnen auf 100% zu steigern; das Beispiel wirkt an¬
steckend. F. läßt die Kinder zum erstenmal anlegen, wenn sie aus ihrem
ersten Schlaf erwachen, d. i. in 60% nach 20 Stunden. Sodann werden sie
tagsüber in vierstündlichen Pausen, also fünfmal im ganzen, angelegt. Von
10 Uhr abends bis 6 Uhr morgens ist Ruhe. Niemals lasse es sich einer Brust
ansehen oder anfühlen, ob sie rasch und viel Milch produzieren oder langsam
und wenig sezernieren werde. Von ihrer Beanspruchung hänge es im wesent¬
lichen ab, was sie liefert. Hohlwarzen im Sinne der Stillunmöglichkeit gäbe
es nicht. Eine Vorbereitung der Warze in der Schwangerschaft etwa mit
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spirituösen Waschungen sei völlig überflüssig, nur sauber sei sie zu halten,
letzteres allein gilt auch während der Stillperiode. Wunde Warzen heilen
schnell unter Umschlägen mit 70%igem Alkohol. Kommt es wirklich ein¬
mal zu einer Rötung und Schmerzhaftigkeit der Mamma, so soll eine Eis¬
blase aufgelegt und die Brust hoch gebunden werden. — Äußerst wichtig ist
eine kräftige Ernährung der Wöchnerin vom ersten Tage ab: man lasse sie
essen, was sie will, man lasse sie sich im Bett bewegen und am 5. Tag auf¬
stehen. — F. gibt dann noch Zahlen über das Gewicht der einzelnen Milch¬
aufnahmen; ungenügend sei erst eine tägliche Milchzufuhr von 50 g pro
Kilo Körpergewicht abwärts. — Bei ausgesprochener Kehlkopf- und Lungen¬
tuberkulose läßt F. nicht stillen, ebensowenig bei schwerem Puerperalfieber.
Kinder unter 2000 g bekommen abgesaugte Milch mittels Löffel.
R. Klien (Leipzig).
E. Kehrer (Bern), Über Pyelonephritis gravidarum. (Zeitschr. für
gyn. Urolog., Bd. 3, H. 1, 1911.) In der Mehrzahl der Fälle kommt nach
K.’s Meinung der aufsteigende Weg der Infektion in Frage. Dadurch daß
die Uretermündungen in den infektiösen Inhalt einer zystitischen Blase
hinein tauchen, würden antiperist&l tische Bewegungen der Ureteren ausgelöst.
Daneben aber spielten Stauungen des Urins in den Ureteren sicher auch
eine wichtige Rolle. K. empfiehlt, diesen Anschauungen entsprechend, zu¬
erst eine lokale Behandlung der Blase mit Kollargol oder Höllenstein,
daneben seien jedoch unter Umständen auch Nierenbeckenspülungen von
großem Nutzen. Nur leichte Fälle seien rein intern zu behandeln. Die
Nephrotomie sei ultimum refugium, viel rationeller sei in schweren Fällen
beiderseitiger Erkrankung die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft, die wohl jeder an der eigenen Frau eher vornehmen lassen würde
als die Nephrotomie. Die Resultate der Schwangerschaftsunterbrechung seien
in der Tat günstige. R. Klien (Leipzig).
W. Hannes (Breslau), Zur Frage der Beziehungen zwischen asphyktischer
und schwerer Geburt und nachhaltigen psychischen Störungen. (Zeitschr.
für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 68, H. 3, 1911.) Im Gegensatz zu der allerdings
durch exakte Untersuchungen bisher so gut wie nicht gestützten Ansicht
der Geburtshelfer haben die Neurologen und Psychiater immer behauptet,
daß sowohl Asphyxie eub partu als auch gewisse geburtshilfliche Opera¬
tionen, vor allem die Zangenextraktion, zu nachfolgenden geistigen Ano¬
malien und Defekten prädisponierten. Diese Frage endlich einmal zu ent¬
scheiden, hat H. an dem Kindermaterial der geburtshilflichen Poliklinik
— hier handelt es sich fast durchgängig um eheliche Kinder — aus den
Jahren 1893—1904 eingehende Untersuchungen angestellt, z. T. durch per¬
sönliche Vorstellung, z. T. mittels ausführlicher Fragebogen. Die Art der
Nachforschung darf wohl einwandsfrei genannt werden und damit auch die
gewonnenen Resultate, die dem Gefühl der Geburtshelfer rechtgeben. Es
wurden 3 Gruppen zu je 150 Kindern untersucht: 1. sub partu asphyktisch
zur Welt gekommene Kinder; 2. durch Kunsthilfe nicht asphyktisch zur
Welt gebrachte Kinder; 3. nach normalem Geburtsverlauf spontan geborene
Kinder. Es ergab sich die wichtige Tatsache, daß in jeder der 3 Gruppen
fast gleich viele geistig zurückgebliebene Kinder vorhanden waren: näm¬
lich 3,2%, 2,2%, 3,4%. Wirkliche Idioten waren davon nur in der zweiten
und dritten Gruppe vorhanden, und zwar je ein Kind, d. i. 1,1%. Little-
sche Krankheit wurde nie beobachtet. Auch auf die Zeit des Gehen- und
Sprechenlernens hatte weder Asphyxie noch die Kunstentbindung einen Ein¬
fluß. Es bleibt also die Ansicht der Geburtshelfer zu Recht bestehen, daß
diejenigen asphyktischen Kinder, welche die erste Lebenswoche überstehen,
für später nichts hinsichtlich ihrer geistigen Entwicklung zu befürchten
brauchen. R. Klien (Leipzig).
O. Heubner (Berlin), Über die Stillfähigkeit der Frau während der
ersten Monate nach der Entbindung. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 28, 1911.)
Im Berliner Säuglingsheim konnten 83% der Mütter ihre Kinder die vollen
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Referate und Besprechungen.
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3 Monate stillen, die sie sich im Heim aufhielten. Der Rest konnte in vier
Gruppen eingeteilt werden. Nur der 12. Teil dieser insuffizienten Mütter
war nur 2—6 Wochen imstande, zu stillen, und zwar unter mehr weniger
zeitiger Zuhilfenahme künstlicher Nahrung. Andererseits konnte festgestellt
werden, daß bei nicht wenigen Frauen, deren Fähigkeit zum Stillen im
weiteren Verlauf zweifellos sicher gestellt wurde, anfangs, und zwar nicht
nur in den ersten Tagen, sondern mitunter bis in den zweiten Monat hinein,
die Milchsekretion so gering war, daß eine wesentliche Zunahme des Kindes
nicht eintrat. Wartete man hier ruhig ab, ev. unter anfänglicher Zuhilfe'
nähme künstlicher Nahrung, so richtete sich jedoch alles ein. Solche Mütter
können dann oft ganz ohne Beihilfe viele Monate lang ihres Amtes walten.
R. Klien (Leipzig).
Cukor, Über die Behandlung der Frauenkrankheiten in Franzensbad
mit heißen Moorumschlägen. (Zeitschr. für Balneologie u. Kurorthygiene,
Nr. 10, 1911.) Moorumschläge im Gewicht von 2—6 kg werden täglich oder
alle 2 Tage für Vs—2 Stunden in geschlossenen Säckchen auf den Unterleib ge¬
legt in allen Fällen chronisch entzündlicher Adnexerkrankungen und Becken-
exsudate, in denen Fieber oder Eiter die Behandlung nicht kontraindizieren.
Temperatur 55—65° C, die im Gegensatz zu entsprechenden Wasser -
anwendungen gut vertragen wird, weil die Wärmeleitung des Moors erheb¬
lich geringer ist als die des Wassers. Außer diesen beträchtlichen Wärme¬
graden wirkt auch das Gewicht der Aufschläge, das im Sinne der Belastungs-
therapic zuerst eine Anämie des Beckengewebes durch den Druck hervorruft,
um konsekutiv einer Hyperämie Platz zu machen. Krebs (Falkenstein).
Oscar Polano (Würzburg), Über Desinfektionsversuche mit Tetrapol¬
gemischen. (Zeitschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 68, H. 3, 1911.) Obwohl
auch in der Würzburger Klinik mit dem v. Herff’schen Alkohol-Azeton -
gemisch die denkbar besten Erfahrungen gemacht worden sind — es wurde
damit eine absolute Keimfreiheit der Hände erreicht, so daß theoretisch dabei
die Gummihandschuhe überflüssig werden —, so steht doch die Kostspielig¬
keit des Verfahrens seiner Einführung in Anstalten hindernd im Wege.
P. hat deswegen nach einem billigeren Verfahren gesucht. In der Tat ergab
ein 5 Minuten langes Abreiben der vorher nicht gewaschenen Hände mittels
einer Mischung von Tetrapol alkal. und sauer ää 50,0 und Formalin 2,0
ebenfalls eine absolute Keimfreiheit der Hände, aber die Gerbwirkung auf
die Haut war leider eine so starke, daß bei halbwegs empfindlicher Haut
diese Desinfektionsmethode für Anstalten nicht in Frage kommen kann.
Dagegen eigne sie sich für den praktischen Arzt. — Alkohol im Verein mit
Formalin erwies sich als nicht genügend. Kombinationen von Azeton mit
Formalin übten ebenfalls eine zu stark gerbende Wirkung aus. Versuche,
in der v. Herff’schen Alkohol-Azetondesinfektion das Azeton durch eine
andere Komponente zu ersetzen, schlugen fehl. R. Klien (Leipzig).
P. Esch (Marburg), Bakteriologische Untersuchungen über die Wirk¬
samkeit des Myrmalyds als Harndesinfizienz. (Zeitschr. für gyn. Urolog.,
Bd. 3, H. 1, 1911.) Myrmalyd ist eine Verbindung von 7 Teilen Urotropin
und 3 Teilen ameisensaurem Natrium; es entfaltet im Körper eine starke
Formalinwirkung. Die therapeutische Wirkung studierte E. an 4 Fällen von
Staphylokokken- und Kolizystitis mittels täglicher bakteriologischer Harn¬
untersuchung. Gerade den genannten beiden Keimen gegenüber entfaltete das
Myrmalyd eine hervorragende bakterizide Wirkung. Das Mittel — man gibt
6 Tabletten täglich zu je 1 / 2 g — dürfte sich somit zur Behandlung der
postoperativen Zystitis vorzüglich eignen, auch als Prophylaktikum gegen
solche. Aber auch für akute und chronische, infektiöse Prozesse des Harn-
traktus überhaupt dürfte das Myrmalyd neben der lokalen Therapie gute
Dienste leisten. — Mit Typhusbazillen konnten nur Laboratoriumsversuche
angestellt werden, die aber so günstig ausfielen, daß Versuche mit dem
Mittel bei Typhusbakteriurie angezeigt sind. Dahingestellt bleibt es vor¬
läufig, ob eine Gewöhnung an das Mittel eintritt. R. Kli en (Leipzig)-
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Referate und Besprechungen.
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Psychiatrie und Neurologie.
Patschke (Königsberg), Die Behandlung der Arteriosklerose des Zentral¬
nervensystems mit Tiodine. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 33, 1911.)
Die Symptome der Arteriosklerosis cerebrospinalis bestehen in dumpfen Kopf¬
schmerzen, Schwindelanfällen und Gedächtnisschwäche, deprimiertem, weiner¬
lichem Wesen und Reizbarkeit. Lokal machten sich Erschwerung und Ver¬
waschensein der Sprache, träge Pupillenreaktion und Parästhesien bemerkbar.
Dazu muß noch Verkalkung der peripheren Gefäße und Lues kommen, um
die Diagnose sicher zu stellen. Gegen dieses Krankheitsbild wendet P.
Tiodine (A. Cognet, Paris, 43. Rue de Saintonge) an. Er teilt 9 Kranken¬
geschichten mit, die zeigen, daß vor allem die Kopfschmerzen, der Schwindel
und die psychischen Störungen recht gut beeinflußt werden, ohne daß es
zu unangenehmen Nebenerscheinungen gekommen wäre. F. Walther.
Benno Hahn (Marburg), Die Behandlung der Chorea minor durch Sal-
varsan. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 34, 1911.) Hahn berichtet über
3 Fälle von Chorea minor, bei denen er intravenöse Salvarsan-Injektionen
anwandte, und zwar wurde bei allen drei in mehrtägigen Zwischenpausen
dreimal injiziert. Die Dosen schwankten zwischen 0,08 und 0,3, je nach dem
Alter des Kindes. Der Erfolg war in sämtlichen Fällen ein eklatanter. In
einem Falle trat die Heilung nach 8, im zweiten nach 12 und im dritten
nach 28 Tagen ein. Alle Patienten nahmen an Körpergewicht zu. Stets
kam es im Anschluß an die Injektion zu einer Vermehrung der motorischen
und psychischen Erscheinungen, was man entweder als Reaktionserscheinung
oder als indirekte Folge der Injektion zu erklären hat. F. Walther.
Naam£, Pathogönie et traitement de I’öpilepsie. Eclampsie et urgntie.
(Bull. gen6r. de th6r., Nr. 23, 1911.) Hysterie ist nach des Verf. Ansicht
eine Hemmung der beruhigenden antitoxischen Tätigkeit der Parathyrioidea
infolge eines allgemeinen ovariellen Reflexes: durch die parathyrioideale
Insuffizienz kommt es zu einer Hyperthyrioidie. Die Epilepsie dagegen ist
unterhalten durch glanduläre Läsionen: Die Thyrioidea mit ihren trophischen
und erregenden Eigenschaften tritt dadurch, daß sie zeitweise, gleichsam
wie beim intermittierenden Hinken, ihre Hemmung durch die Parathyrioidea
verläßt, in Überproduktion und verursacht so die Epilepsie. Ist nun diese
parathyrioideale Insuffizienz durch einen ovariellen Reflex verursacht, so
hat man die Hysteroepilepsie. Diese thyrioideale Hyperfunktion kann nun
quantitativ und qualitativ erfolgen; es treten durch den Funktionsausfall
der Parathyrioidea schädliche Produkte ins Blut: was besonders die Sym¬
ptome vor, während und nach dem Anfall erklärt.
Die Eklampsie nun beginnt infolge der eklamptischen Albuminurie
anders; aber das Koma ist nur ein weiter vorgeschrittener Status epilepticus,
und nach dem Gesagten ist die Albuminurie völlig erklärt aus den thyrio -
parathyrioidealen Läsionen. Es gibt ja auch im Verlaufe der Menopause
eine renale Insuffizienz ovariellen Ursprungs.
Umgekehrt kann eine primäre renale Läsion sehr wohl Läsionen der
Drüsen mit innerer Sekretion zur Folge haben; so ist es bei der Urämie.
Deshalb ist in allen 3 Fällen neben Aderlaß und entsprechender Diät
die thyrio-parathyrioideale Opotherapie das Gegebene, was bei Epilepsie,
auch selbst in veralteten Fällen, die guten Erfolge beweisen.
v. Schnizer (Höxter).
Naamg, Pathoggnie et traitement de Thysterie. (Bull, gener. de ther.,
Nr. 21, 1911.) Die Hysterie ist eine parathyrioideale Reflexstörung. Das
zerebrale Gleichgewicht beruht auf der richtigen Bilanz der beiden Drüsen:
Thyrioidea und Parathyrioidea, von denen der ersteren eine trophische und
exzitatorische, der letzteren eine antitoxische, hemmende Rolle zukommt.
Diese thyrio-parathyrioideale Bilanz ist nun ein wenig zugunsten der Thy¬
rioidea verschoben, deren Sekretionen die Intelligenz wachhalten und die
Lebhaftigkeit des Geistes sichern. Bei der Hysterie wird nun dieses Gleich-
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Referate und Besprechungen.
gewicht gestört, indem ein gewöhnlich vom Ovarium ausgehender Reflex
hemmend auf die Parathyrioidea wirkt. Infolgedessen Hypersekretion der
Thyrioidea und der Anfall, danach, wenn dies vorüber, Weinkrampf, Melan¬
cholie, Schlaflosigkeit. Es gibt aber auch Fälle, wo bei der Hysterischen
eine Hypofunktion der Thyrioidea vorliegt, namentlich wenn der Bewußtseins-
verlust mehr mehr weniger lange dauert. — Behandlung: Extrakt der Para¬
thyrioidea intern oder subkutan, und wenn die Bewußtlosigkeit länger dauert,
Thyrioideaextrakt. Verf. hat damit gute Resultate verzeichnet.
v. Schnizer (Höxter).
Dupr6, Mord aus Suggestion. (1. Congr. de med. legale de langue
frangaise. — Bull, med., S. 494, 1911.) Eine eigentümliche Geschichte hat
I) u p r e auf dem ersten französischen Kongreß für gerichtliche Medizin be¬
richtet. Ein 38jähriger Mann von schwachem Charakter, sehr suggestibel
und anscheinend etwas degeneriert, war mit einer Frau verheiratet, welche
früher melancholische Delirien gehabt halte und nun von düsterem, reizbarem
Temperament war. Die beiden Gatten liebten sich zärtlich; sie bildeten
gewissermaßen eine Einheit, in welcher die Frau das aktive, der Mann das
schwache und passive Element darstellte. Der letztere hatte sich gewöhnt,
in Rücksicht auf die Gemütsverfassung seiner Frau allen ihren Wünschen
nachzukommen, er war ihr gehorsames Werkzeug. Als die Frau eines Tages
wieder an heftigen asthmatischen Anfällen litt, flehte sie ihn an, ihrem Leiden
ein Ende zu machen und sie zu töten. Sofort zog der Mann einen Revolver
aus der Tasche und schoß sie durch den Kopf. Aber während die vollbrachte
Tat die Suggestion zu zerreißen und den Mörder zu veranlassen pflegt,
nunmehr sich selbst auch zu töten, so fehlte in diesem Falle jegliche Energie,
und gewöhnt, fremden Einflüssen zu gehorchen, bat er seine Schwester um
Rat, ob er sich auch erschießen solle; natürlich riet diese ihm davon ab.
Das Gericht sprach den Mann frei. Buttersack (Berlin).
Mathias Eltas-Ellenbach (Budapest), Das Heilhaus in Rakospalata
bei Budapest. (Reichs-Mediz.-Anz., Nr. 14, 1911.) Das Heilhaus bezweckt,
die durch Alkohol- oder Morphiumgemiß Erkrankten zu heilen. Die Behand¬
lung bei den Alkoholikern beginnt mit der sofortigen gänzlichen Entziehung
des Alkohols. Die Willenskraft wird gesteigert durch regelmäßige Beschäf¬
tigung, körperliche Übungen; die Abstinenz wird erzielt durch Unterricht
und geeignete Vorträge. Die Dauer der Kur wechselt zwischen 6 Monaten
und 1 Jahr; die Maximaldauer des Aufenthalts ist auf D /2 Jahr festgesetzt.
Hauptgrundsatz iat, daß der Kranke in den ersten 12 Wochen die Anstalt
nicht verlassen darf; wer dagegen handelt, kann sofort entlassen werden.
Die Entlassung vollzieht auf Voranschlag des Anstaltsarztes der kontrol¬
lierende Arzt. Die ärztliche Leitung der Anstalt obliegt dem Anstaltsarzt,
die administrative dem Kurator. Bei ihm sowie bei allen sonstigen An¬
gestellten ist die vollständige Enthaltung von geistigen Getränken in und
außer der Anstalt eine unerläßliche Bedingung. Der kontrollierende Arzt hat
die Aufgaben, den Kranken bei der Aufnahme zu untersuchen, die Entlas¬
sungen zu vollführen und die Kranken in ihrer Wohnung aufzusuchen.
S. Leo.
Deutscher Verein für Psychiatrie. (Med. Blätter, Nr. 14.) Die letzte
Tagung in Stuttgart behandelte das Thema: Wenn bei dem Täter Ab¬
weichungen des psychischen Lebens vorliegen, die das Handeln erheblich
beeinflussen, ohne daß dadurch die strafrechtliche Verantwortlichkeit auf¬
gehoben wird, sollte dem richterlichen Ermessen möglichste Freiheit ge¬
lassen werden. Solche Personen sollen, soweit es ihr Zustand verlangt, in der
Strafvollstreckung getrennt und ihrer Beschaffenheit entsprechend behandelt
werden. Die Maßregeln, die für die nachträglich sichernde Verwahrung oder
Beaufsichtigung solcher Verurteilten in Aussicht genommen sind, bedürfen
noch eingehender Erwägung. Namentlich wäre die Frage, von wem und wann
die Verwahrung auszusprechen sein würde, noch weiter zu klären. Soweit es
sich um Unterbringung in Anstalten handelt, kämen die Irrenanstalten
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Referate und Besprechungen.
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nicht in Betracht. Neben Benutzung von Verwahrungsanstalten würde die
Ausbildung von Hilfs- und Fürsorge maßregeln ins Auge zu fassen sein.
Wilmans sprach im Anschlüsse über die verminderte Zurechnungs¬
fähigkeit. Die Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit sei mit
Freuden begrüßt worden. Aber es sei nicht zu bestreiten, daß dieser Begriff
in der Praxis sehr schwer zu umgrenzen ist. Jeder Richter und Sach¬
verständige werde etwas anderes darunter verstehen. Damit wächst die Ge¬
fahr einer Klassenjustiz. Eine gleichmäßige Durchführung ist ausgeschlos¬
sen. VV. sähe lieber Änderungen im Strafvollzüge. Die nächste These be¬
schäftigte sich mit.dem Alkoholismus. Der Fassung des Vorentwurfes
gegenüber dem Alkoholismus wird zugestimmt. Wo bei Gewohnheitstrinkern
die Tat mit Trunksucht zusammenhängt, empfiehlt sich eine möglichst all¬
gemeine, d. h. von der Bestrafung unabhängige Benutzung von Trinkerheil¬
anstalten überall da, wo diese Maßregel erforderlich ist, um die aus der
krankhaften Sucht entstandene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu
verhüten. Ferner würde die bedingte Strafaussetzung (bedingte Verurteilung)
als ein großer Fortschritt begrüßt. Sie ist bei allen Fällen, bei denen sie
Erfolg verspricht, ohne Rücksicht auf Vorstrafen und Straf höhe empfehlens¬
wert. Endlich wurde folgender Antrag Zinn - Kraepelin angenommen.
Die widerrechtliche Befreiung von Geisteskranken aus Irrenanstalten und
von Personen, die zur Beobachtung ihres Geisteszustandes oder aus Sicher¬
heitsgründen behördlich in eine Irrenanstalt eingewiesen sind, ebenso die
Beihilfe dazu ist unter Strafe zu stellen. Die Verfolgung soll nur auf An¬
trag der Vertreter des Kranken oder der zuständigen Behörde erfolgen.
S. Leo.
Augenheilkunde.
Mohr u. Baumann, Zur Behandlung des Trachoms und des Follikular-
katarrhs mit Quarzlicht. (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., Mai-Juni-Heft
1911.) Auf Grund ausgedehnter, sorgfältiger Prüfungen an dem reichen
Trachommaterial der Breslauer Universitäts-Augenklinik halten die Verf. die
Quarzbehandlung für angezeigt bei frischem Trachom und bei hartnäckigem
Follikularkatarrh. Hier ist die außerordentlich prompte und sozusagen spezi¬
fische Wirkung zweifellos, was vor allem im Vergleich zu den nicht be¬
strahlten Kontrollkonjunktiven hervortrat. Selbst bei hartnäckigen Krank¬
heitsformen genügte unter Umständen eine intensive Bestrahlung, um die
Bindehaut — unter Hinterlassung einer geringfügigen Vernarbung, die keine
Verkleinerung des Konjunktivalsackes in Gefolge hatte — dauernd zu heilen.
Kontraindiziert ist die Quarzbehandlung bei unruhigen, nervösen Leuten, da
bei heftigen Kopfbewegungen Gefahr für Bulbus und Lider durch die Quarz¬
lampe besteht, und weiter bei tiefergreifenden trachomatösen Prozessen, da
hierbei die Mühewaltung (häufiges intensives Bestrahlen) nicht dem Effekt
entspricht. — Bei ruhigen Kranken und sachgemäßer Anwendung bestehen
weder für den Augapfel noch für die Lider irgendwelche Gefahren. Die
Kranken sind auf eine etwa 8 Tage andauernde Entstellung durch Schwellung
des bestrahlten Lides aufmerksam zu machen. Enslin (Berlin).
Alexius Pichler (Klagenfurt), Der gegenwärtige Stand der unblutigen
Schielbehandlung. (Ärztl. Standesztg., Die Heilkunde, Nr. 14, 1911.) Die
Behandlung des Schielens muß so früh als möglich einsetzen; sie kann
niemals zu früh beginnen, wird aber leider sehr oft zu lange [hinaus -
geschoben. Die konservative Behandlung besteht in drei Maßregeln: 1. Kor¬
rektur einer bestehenden Refraktionsanomalie. 2. Ausschluß des fixierenden
Auges vom Sehakt, damit das abgebnkte Auge zum Sehen gezwungen ist.
3. In stereoskopischen Übungen. Durch die Skiaskopie sind wir heute jn
der Lage, auch beim kleinsten Kinde eine genaue Refraktionsbestimmung
vorzunehmen, was mit den alten Methoden nur sehr unsicher der Fall war.
Der Ausschluß des fixierenden Auges wurde früher durch Verbinden des¬
selben angestrebt, wodurch man beim Kinde stets Aufregung und Wider -
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Referate -und Besprechungen.
stand erzielte, was meist viel zu früh zum Aufgeben dieser Maßregel zwang.
Heute unterstützen wir den Ausschluß des fixierenden Auges durch Atropini-
sierung desselben, wodurch seine Akkomodation gelähmt wird. Damit ist es
aber im Nahesehen hochgradig beeinträchtigt; bei kleinen Kindern spielt
aber gerade das Betrachten naher Gegenstände die größte Rolle. Maddox
rät folgende Brille an: Vor das fixierende Auge kommt ein intensiv dunkles
Glas, vor das abgelenkte das farblose Korrektionsglas, außerdem aber sind
an dem dunklen Glase noch zwei undurchsichtige Streifen befestigt, so daß
nur die zentralen Teile desselben zum Sehen benutzt werden können. Der
wichtigste Fortschritt aber liegt in der Konstruktion von Stereoskopen, die
für Schielende gebaut sind, während die alten Stereoskope nur bei normaler
Stellung des Auges benutzt werden können. An den neuen Instrumenten
kann der gegenseitige Abstand der beiden Halbbilder nach jeder Richtung,
und z\yar ganz allmählich verändert werden, außerdem besitzen manche
darin Vorrichtungen, durch welche das Bild des fixierenden Auges weniger,
das des schielenden Auges mehr Licht erhalten kann, so daß die Aufmerk¬
samkeit auf das vernachlässigte Bild des abgelenkten Auges gerichtet wer¬
den wird. S. Leo.
H. Wiedemann (Hanau), Die Tuberkulinreaktion des Auges und ihre
Gefahren. (Reichs-Mediz.-Anz., Nr. 14, 1911.) Der Tuberkulinreaktion des
Auges wohnt ein, wenn auch nicht absoluter, diagnostischer Wert inne. Bis
wir aber ein zweifelfreies, sicher unschädliches Präparat haben, bleibt die
Anstellung der Reaktion auf die in genauer ärztlicher Beobachtung Stehenden
beschränkt. Pflichtgemäß sollte das Einverständnis des Prüflings unter
Darlegung der möglichen Gefahren vor Anstellung der Probe eingeholt
werden. Dem Heere würden bei allgemeiner Einführung und Beilegung einer
ausschlaggebenden Bedeutung zahlreiche brauchbare, subjektiv und klinisch
Gesunde verloren gehen. Die Probe kann also zur Gewinnung eines militär¬
ärztlichen Urteils über die Tauglichkeit nur bei zweifelhaften, genau zu
überwachenden Fällen ein gelegentliches Merkmal geben. S. Leo.
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
E. Arendt (Charlottenburg), Die Behandlung inoperabler Karzinome des
Uterus mit Radiumstrahlen. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 32, 1911.)
Arendt verwendet bei der Therapie inoperabler Uteruskarzinome die ge¬
pochte Joachimthal er Uranpechblende. Diese hat vor den reinen Radium -
salzen den Vorzug, daß sie Strahlen, die sicher recht wirksam sind, ent¬
hält, die bei der Herstellung des reinen Radiums verloren gegangen sind.
Ferner fehlt hier die Gefahr zu intensiver Einwirkung. Man kann die Pech¬
blende unbegrenzt lange einwirken lassen. Die Intensität wird durch die
Dauer ersetzt. Da das Erzbergwerk die Abgabe der Blende verweigert, gibt
A. einen allerdings nicht vollgültigen Ersatz an, dem aber wirksame Strahlen
fehlen. Man kann nämlich radiumhaltige Kohle herstellen, die eine bestimmte
Menge unlöslicher Radiumsalze enthält. Hat man nun die Verteilung des
unlöslichen Radiumsalzes mit der vorher genau quantitativ festgestellten
Kohlenmenge vorgenommen, so kann die Radioaktivität dieses Gemisches
nach Uraneinheiten angegeben werden.
A. geht nun in der Weise vor, daß zunächst die karzinomatösen Stellen
gründlich exkochleiert werden und dann die Pechblende in sterilen mit
Jodoformgaze umwickelten Kondomfingerlingen in den Krater gebracht wird,
wo sie ihre Wirkung entfaltet. In jeder Sitzung wird möglichst aseptisch
vorgegangen und der Krater mit Wasserstoffsuperoxyd gereinigt. Wenn
durch diese Methode natürlich auch keine Heilung herbeigeführt werden
kann, sicher wird durch sie Odor, Fluor und Dolor zum Verschwinden ge¬
bracht. Es muß große Vorsicht beobachtet werden, bei jedem Zwischenfall
hat die Therapie sofort aufzuhören und darf erst wieder in Anwendung
kommen, wenn derselbe beseitigt ist. F. Walther.
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Referate und Besprechungen.
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Hoeck (Plinsberg), Brunnen- und Bäderzusätze. (Med. Blätter, Nr. 16,
1911.) H. ist im allgemeinen gegen Zusätze zu Mineralwässer. In ob¬
struierend wirkende Eisenwässer pflegt man Bittersalz zu schütten. Da¬
durch zeigen wir dem Patienten, daß das Wasser in seiner eigentlichen
Zusammensetzung uns nicht behagt und erschüttern dadurch seinen Glauben
an die Heilkraft. Was die Zusätze von flüssigen Nahrungsmitteln betrifft,
so wird durch jeden Zusatz die molekulare Konzentration des Wassers ge¬
ändert und dadurch auch die Wirkung beeinträchtigt. Im besonderen spricht
sich H. gegen den Zusatz von Sahne und Kefir aus. Man beabsichtigt
durch den Zusatz von Sahne dem Organismus eine fettreiche Emulsion zu¬
zuführen, von möglichst geringem Volumen. Als Zusatz wird aber die Sahne
verdünnt und der eigentliche Zweck vereitelt. Was den Kefir betrifft, so
enthält er über das Doppelte mehr an freier Milchsäure als unsere stärkeren
alkalischen Mineralquellen reich sind an Natriumhydrokarbonat. Bei
Mischung von gleichen Teilen wird also nach erfolgter Neutralisation des
alkalischen Gehaltes des Mineralwassers noch ein erheblicher Überschuß
von freier Milchsäure verbleiben. Wir haben also statt der ursprünglichen
alkalischen Flüssigkeit ein saures Gemisch. Nun vermag aber nur eine alka¬
lische Flüssigkeit den schwach sauer reagierenden Schleim zu lösen und zu
verflüssigen. Anderseits soll der Kefir Ernährungszwecken dienen. Er ist
dazu vorzüglich geeignet durch seinen Gehalt an freier Milchsäure sowie
an feinflockigem Kasein. Es sind dies wertvolle Bestandteile, die ihrerseits
durch Vermischung mit einer alkalischen Flüssigkeit an Wirksamkeit ein-
büßen. Es gibt aber auch Ausnahmen, die für Zusätze sprechen. Zusätze,
die sich großer Beliebtheit erfreuen, sind die Milch und Molken. Eine
Mischung von heißer Milch und einem alkalischen Säuerling ist besonders
bei katarrhalischen Affektionen der oberen Luftwege anzuempfehlen. Die
Molken wiederum wirken besonders warm lösend und abführend. Zu Bädern
setzen wir hauptsächlich Salze zu, um einen Hautreiz auszuüben, ebenso
wirkt künstliche Kohlensäure. Solche Zusätze sind aber nur ein kümmer¬
licher Notbehelf. Dasselbe gilt für den Zusatz von Fichtenrinde zu Stahl -
bädern. Es tritt alsbald eine dunkle Verfärbung ein. Ein Teil des Eisen-
oxyduls wird durch den Zutritt des Sauerstoffs der Luft und des Wassers
in Eisenoxyd verwandelt und dieses verbindet sich mit der Gerbsäure der
Fichtenrinde zu — Tinte. Daher die dunkle Verfärbung. S. Leo.
Die Deutsche Gesellschaft für Volksbäder. (Med. Blätter, Nr. 16, 1911.)
Auf der letzten Tagung sprach Paul Jacob (Berlin) über Reinlichkeit
und Hautpflege auf dem Lande. Während unter 468 deutschen Städten jetzt
in 205 den Schülern Gelegenheit zu Schwimmbädern gegeben ist, ferner in
210 Orten Schulbrausebäder vorhanden sind, steht es in den rein ländlichen
Bezirken Deutschlands mit der Reinlichkeit noch sehr schlecht. Damit
hänge auch die Verbreitung der Tuberkulose auf dem Lande zusammen. Der
Säugling wird gewöhnlich nur einmal während seines ersten Lebensjahres
gebadet, und zwar von der Hebamme nach der Geburt. Noch schlimmer
wird es, wenn die Kinder das schulpflichtige Alter erreichen. Was die
Erwachsenen betrifft, so fand J. eine nicht unbeträchtliche Anzahl von
hochbetagten Menschen, die in ihrem ganzen Leben nur zweimal eine größere
Körperwaschung vorgenommen haben, und zwar einmal von der Hebamme
nach der Geburt, das zweitemal bei Mädchen vor der Hochzeit, bei Jüng¬
lingen vor der Assentierung. Viele Familien legten während der kalten
Wintermonate nicht ein einziges Mal weder die Ober- noch die Unterkleidung
ab, da sie auch in den Kleidern schlafen. Ein wesentlicher Faktor ist die
Armut. Bezüglich der Badegelegenheiten hat der Kreis Schmalkalden ein
gutes Beispiel gegeben; außerdem besitzen einige Landvolksschulen Schul-
brausebäder. Die Folge der Unreinlichkeit sind Hautkrankheiten, die Tuber¬
kulose, bei deren Verbreitung namentlich die schmutzigen Fingernägel
eine Rolle spielen, ferner Erkältungen infolge der mangelnden Abhärtung
durch Bäder. Unter 6384 Kindern im Alter von 2—14 Jahren hatten nicht
weniger als 5538 Drüsenanschwellungen. In 27 Dörfern wurde bei 45,9%
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Bücherschau.
eine positive Reaktion auf Tuberkulose gefunden, in manchen Dörfern sogar
70% der Kinder. Die häufigste Todesursache ist in zahlreichen Kreisen die
Lungenentzündung: im Bezirk Oppeln kommt die Sterblichkeit an Pneumonie
mit 18.84 auf 10000 der Tuberkulosesterblichkeit mit 18,97 fast gleich. Hier
muß also eine zweckmäßige Aufklärung Platz greifen und J. gibt die Wege
dazu an. Hierauf sprach Schemel (Berlin) über die Bedeutung des Badens
für die Jugend. Am richtigsten ist es, wenn die Hautpflege in frühester*
Jugend beginnt und den Kindern zu einem Bedürfnis wird. Das beste Reini¬
gungsmittel der Haut ist ein warmes Bad, Seife und eine gute Bürste. Bei
Säuglingen empfiehlt es sich, die Bäder nicht zu kühl zu machen, sondern
36—38°: die Temperatur kann allmählich im Laufe der nächsten Jahre bis
auf 34—32° herabgesetzt werden. Vom 3. Lebensjahr an kann nach dem
warmen Bad eine kurze kühle Dusche oder kalte Abwaschungen folgen.
Kinder im 1. Lebensjahr «ollen täglich gebadet werden, in den späteren
Jahren 2—3inal wöchentlich. Vor allem muß man betreffs der Dauer der
kalten Bäder vorsichtig sein. Das idealste Abhärtungsmittel ßind die
Schwimmbäder, weil hier die Wasser- und Muskelwirkung kombiniert wird.
Luftbäder sind auch Abhärtuugsmittel; ein Luftbad kann länger dauern als
ein Schwimmbad. Sonnenbäder sollen ohne ärztlichen Rat nicht genommen
werden. S. Leo.
Bücherschau.
Job. Regen, Untersuchungen über die Atmung von Insekten unter Anwendung der
graphischen Methode. Mit 20 Textfiguren. Bonn 1911. Verlag von Martin Hager.
Die Exspiration, durch Kontraktion des Abdomens hervorgerufen, stellt aen
ersten, aktiven, Akt der Atmungstätigkeit dar, die Inspiration, ein einfaches passives
Zurückkehren des Hinterleibes in die Ausgangslage, den zweiten Akt. Während
eine Inspirationspause möglich ist, wurde eine Exspirationspause nie bemerkt.
Reichlicher Zusatz von Kohlendioxyd zur Atemluft löst völligen Stillstand der
Atmung aus. Dekapitation bei Gryllotalpa vulgaris hat hauptsächlich eine starke
Verlangsamung der ganzen Inspiration zur Folge, es scheint also, daß vom Gehirn aus
die Erschlaffnng der Abdominalmuskulatur vor sich geht. Schöppler (Regensburg).
(Besprechung Vorbehalten.)
Bandelier u. Roepke, Lehrbuch der spezifischen Diagnostik und Therapie der
Tuberkulose. Mit 19 Temperaturkurven auf «5 lithographischen Tafeln, 1 farbige
lithographische Tafel nnd 5 Textabbildungen. 6. erweiterte und verbesserte Auflage
mit einem Vorwort von Wirkl. Geh. Rat Prof. Dr. R. Koch, Exzellenz. Würzburg
1911. Curt Kabitzsch (A. Stuberis Verlag). 296 S. Geb. 7,80 Mk., brosch. 6,60 Mk.
Barczewsky, Hand- und Lehrbuch meiner Reflexmsssage für den praktischen Arzt.
Ein neuer praktischer Weg zur Diagnose, Therapie und Prophylaxe der Krankheiten.
Berlin-Schöneberg 1911. Verlag von J. Goldschmidt, Berlin C. 2. 154 S.
Blümel, Die v. Pirquefsche kutane Tuberkulinreaktion, ihr Wesen und ihre Bedeutung.
Berlin W. 35. Fischeris med. Buchhandlung (H. Kornfeld).
Gitron, Vorträge über Pathologie und Therapie der Verdauurgskrankheiten. Bei¬
hefte zur medizin. Klinik. Berlin und Wien. Verlag von Urban & Schwarzenberg.
Einzelheft 1 Mk.
Goldberg, Erkennung und Behandlung der Blasensteine. Würzburger Abhandlungen
aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. Würzburg 1911. Curt Kabitzsch
(A. Stuberis Verlag). 85 Pfg.
Jungmann, Ärztlicher Bericht aus der Heilstätte für Lupuskranke. Mit 155 Text¬
abbildungen. Ergänzungsband zum Archiv für Dermatologie und Syphilis- Wien
und Leipzig 1911. Verlag von Braumüller. 304 S. 8 Mk.
Holländer, Studie über die Zuckerkrankheit. (Die Pathochemie des Diabetes).
Wien und Leipzig 1911. Verlag von Braumüller. 78 S. 1,50 Mk.
Lorand, Die rationelle Ernährungsweise. Leipzig 1911. Verlag von Dr. Werner
Klinkhardt. 388 S.
Rosenfeld, Kritik bisheriger Krebsstatistiken. Mit Vorschlägen für eine zukünftige
österreichische Krebsstatistik. Wien und Leipzig 1911. Verlag von Braumüller.
Spalteholz, Über das Durchsichtigmaohen von menschlichen und tierischen Präparaten.
48 S. 1 Mk. _
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tomcbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
her»uagegeb«a tod
Professor Dr. 6. Höster Prio.-Dex. Dr. o. Erlegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise yon 5 Mark
Nr. 46. „ «' . , , 16. Novbr.
=^= Verlag von Georg Thleme, Leipzig. _
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Der heutige Standpunkt in der Salvarsantherapie.
Von Privatdozent Dr. Hübner, Marburg.
(Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Marburg am 15. Juli 1911.)
M. H.! Im Laufe der letzten Monate hatte ich mehrfach Gelegen¬
heit hier vor Ihnen über das neue Ehrlich’sche Syphilisheilmittel zu
sprechen. Gerade jetzt vor einem Jahre durfte ich Ihnen hier die
ersten in Marburg mit diesem Mittel behandelten Fälle demonstrieren,
im Dezember vorigen Jahres, kurz vor der Freigabe des Mittels, sprach
ich über die Wege, die Ehrlich zu seiner Entdeckung geführt hatten,
und im Februar erlaubte ich mir, Ihnen einige Methoden der Ein¬
verleibung des Salvarsans zu zeigen. Ich habe mir bei diesen ver¬
schiedenen Demonstrationen öfters selbst widersprechen müssen, und
ich muß es z. B. hier gleich widerrufen, wenn ich Ihnen vor einem halben
Jahre noch die intramuskuläre Injektion als die beste Einverleibungs¬
methode nannte. Wir haben eben alle, die wir mit dem Mittel arbeiteten,
mehrfach umlernen müssen; manche Befürchtungen, die sich an das
Mittel knüpften und seine energische Anwendung in der ersten Zeit
unterbanden, wie z. B. die Furcht vor der Erregung einer Überempfind¬
lichkeit bei Reinjektionen, haben sich nicht bewahrheitet; andererseits
haben sich auch nicht alle die überschwenglichen Hoffnungen erfüllt,
mit denen das neue Mittel von — wie hervorgehoben werden muß —
nicht fachmännischer Seite begrüßt wurde. Allerdings war es nicht
leicht, in der anfänglichen Freude über die wahrhaft verblüffende
symptomatische Wirkung des neuen Mittels nicht zu vergessen, daß
der wahre Wert eines Antisyphilitikums nicht in der Bekämpfung
der syphilitischen Erscheinungen, sondern der Syphilis selbst zu suchen
ist. Wer unbeirrt durch die Lobeshymnen allzueifriger Autoren und
durch die warnenden Stimmen französischer Neider (Hallopeau u. a.)
in eine objektive Prüfung seines Materials eingetreten, ist, darf
jetzt, nach einem Jahr, das Salvarsan vielleicht so beurteilen: es wirkt
bei einmaliger Anwendung fast stets schneller, meist besser, selten
nachhaltiger als das Quecksilber.
Aber auch dieses Urteil darf nur als ein vorläufiges gelten: Noch
ist für keinen der vielen tausend Behandelten das ,.annee terrible“
Fourniers vorbei, das vierte Jahr nach der Infektion, in dem sich
das Schicksal des Patienten erst entscheidet. Erst wenn 1914 und 15
keine auffällige Steigerung der Tabes und Paralysefälle bringt, wird
man über den wahren Wert des Salvarsans orientiert sein.
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Hübner,
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Immerhin werden sich bis dahin doch häufig Fälle in Ihrer Praxis
zeigen, hoi denen die Anwendung des Mittels schon jetzt direkt indi¬
ziert erscheint. Das sind, wenn ich sie kurz zusammenfassen darf:
1. Syphilisfälle, die sich refraktär gegen Quecksilber verhalten; 2. solche,
bei denen stark ansteckende Erscheinungen (Lippensklerose, nässende
Papeln am Munde) in Interesse der Umgebung eine möglichst rasche
Heilung erfordern; 3. Fälle, bei denen die Kachexie besonders im Vorder¬
gründe des Krankheitsbildes steht, bei denen also die tonische Kompo¬
nente des Arsenpräparates in Frage kommt, und 4. Fälle, von maligner
Syphilis mit Zerfall der Effloreszenzen.
Diesen Indikationen stehen nur w r enig Kontraindikationen ent¬
gegen. Sie beschränken sich auf Fälle mit weitvorgeschrittenein de-
generativen Veränderungen innerer Organe, Nephritis nicht luetischer
Ätiologie und besonders Myokarditis in Verbindung mit Koronarsklerose.
Die Hauptfrage des Praktikers gellt nun dahin: wie in diesen
Fällen das Salvarsan angewandt werden soll. Eine Menge Möglich¬
keiten existieren, und, um es kurz zu sagen: in dieser einen Frage
sind Salvarsan und Quecksilber sich ähnlich: darin nämlich, daß die
einfachste Darreichungsform, die vom Munde her, bei beiden die am
wenigst wirkungsvolle ist. Versuche, Salvarsan in Pillenform den
Patienten zu verabreichen, sind von Blaschko gemacht und bald wieder
aufgegeben worden, weil die Resorption vom Magen her eine zu un¬
vollkommene war.
Aber auch die perkutane Applikation, die beim Quecksilber mit
Recht noch heute als eine der besten gilt, ist beim Salvarsan nicht
durchführbar. Es gelang zwar in Versuchen, die wir hier mit Herrn
Dr. Walter ausführten, naganakranke weiße Mäuse durch Einreibung
einer Salvarsansalbe von ihrer Infektion zu heilen; aber bei der Über¬
tragung dieser Versuche auf die menschliche Syphilis hätten wir zu
solch großen Mengen des Mittels greifen müssen, daß die Kosten einer
solchen Schmierkur ins Ungeheuerliche gekommen wären.
So hat es sich denn praktisch stets nur darum gehandelt, das
Arsenobenzol durch Einspritzung dem Körper zuzuführen. Fünf ver¬
schiedene Wege stehen uns dafür zur Verfügung: wir können es in
Lösung oder ungelöst, als Emulsion, in beiden Formen intramuskulär
oder subkutan, als Lösung auch intravenös injizieren. Da nun zur
Herstellung der Lösung sowohl wie der Suspension eine Menge von
Verfahren angegeben sind, so ist die Zahl der Behandlungsmöglichkeiten
verwirrend groß geworden. Aber es scheint doch, als wäre eine von
diesen vielen Methoden berufen, alle anderen zu verdrängen: das ist
die intravenöse Injektion der scliw r ach alkalischen, stark verdünnten
Lösung. Diese Methode ist nicht nur die für den Kranken angenehmste,
sondern sie scheint auch die besten Dauererfolge zu versprechen. Daß
der Injektion einer Lösung ein stärkerer Ictus therapeuticus zukommen
müsse, als der Anlage eines Depots, schien von vornherein klar. Aber
die Tatsache, daß in solchen Depots noch nach Wochen und Monaten
Arsen Verbindungen gefunden wurden, Verbindungen, denen eventuell
ein sehr stark toxischer Charakter zugesprochen werden müßte, wenn
sie in den Kreislauf kämen, erst die Kenntnis dieser Tatsache hat die
Anwendung der im Anfänge der Salvarsanära fast ausschließlich ge¬
übten Injektionen der neutralen Emulsion heute fast völlig obsolet
gemacht. Sie wirken unsicher, weil man nie weiß, wieviel von dem
Mittel durch die wohl stets im Gewebe sich ausbildende Nekrose ein¬
gekapselt liegen bleibt; sie waren für den Kranken oft stark belästigend,
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Der heutige Standpunkt in der Salvarsantherapie.
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weil sich die Injektionsstelle nicht selten, auch bei aseptischem Vor¬
gehen, in einen nach außen durchbrechenden nekrotischen Herd ver¬
wandelte.
Weit weniger als der stets etwas voluminösen neutralen Emulsion
nach Wechselmann haften diese Nachteile an dem Sehindler’schen
Joha, einem 40° /0 igen Dioxydiamidoarsenobenzolöl, von, dem nur
1—l 1 /o ccm injiziert zu werden braucht, und der Methode von Kro-
mayer, Volk u. a., die das unveränderte Salz, in 01 oder Parafin
emulgiert, intramuskulär injizieren. Isaac glaubt, in der wöchentlich
einmaligen Injektion von 0,1 des Salzes eine sichere und bequeme, in
der Sprechstunde leicht vornehinbare Methode zur Behandlung der Sy¬
philis gefunden zu haben. Fritz Lesser empfahl diese Methode an¬
fangs auch; in einer späteren Publikation mußte er aber zugeben, den
Erfolg des Erlöschens der Wassermann’schen Reaktion bei diesem Vor¬
gehen nur bei Verwendung des aus dein Ehrl ich’sehen Institute stam¬
menden Präparates 606 Hg. gehabt zu haben, dagegen nicht mehr mit
dem von den Höchster Farbwerken gelieferten Salvarsan. Da aber
nach der Erklärung Ehrliches zwischen diesen beiden kein Unter¬
schied besteht, sind die gelegentlichen Mißerfolge wohl auf die vorher
genannten prinzipiellen Nachteile der Injektion des ungelösten Salzes
zu beziehen: wir wissen eben niemals bei dieser Methode, ob etwas
von der injizierten Masse oder wieviel von ihr in den Kreislauf und
damit zur Wirkung kommt.
Dieser Zweifel besteht nicht bei der Anwendung des gelösten
Präparates; und die schönen Erfolge, die Alt hei der ersten Erprobung
des Mittels erreichte, und die die Grundlage für alle späteren Erfolge
mit dem Mittel wurden, sind durch die Einspritzung der Lösung ge¬
wonnen.
Hier muß eingeschaltet werden, daß das Arsenobenzol, da cs als
salzsaures Salz in den Handel kommt, mit stark saurer Reaktion im
Wa sser sich löst. In dieser Lösung ist die Giftigkeit des Präparates
.sehr gesteigert, so daß es nur mit Vorsicht intramuskulär angewendet
werden darf, wobei die saure Reaktion natürlich starke Schmerzen
auslöst; direkt lebensgefährlich dagegen ist die intravenöse Anwendung
der sauren Lösung.
Bei tropfen weisem Zusatze von Natronlauge zur sauren Lösung
fällt das Natriumsalz des Dioxydiamidoarsenobenzols in gelatinösen
Flocken aus, die sich bei weiterem Zusatz von Natronlauge wieder
lösen. Es entsteht so eine alkalische Lösung, die weit weniger toxisch
als die saure wirkt und von Alt zu seinen ersten Versuchen verwandt
wurde. So günstig die Wirkung dieser alkalischen Lösung ist, so
stark ist auch ihre Schmerzhaftigkeit, teils wegen ihres Überschusses
an Lauge, teils wegen der Menge der zu injizierenden Flüssigkeit, die
die sensiblen Nerven der Umgebung durch Druck reizt. Man ist daher
von der intramuskulären Applikation der alkalischen Lösung wohl all¬
gemein übergegangon zur Injektion derselben in das Venensystem, zu
welchem Zwecke die von Alt gebrauchte Lösung noch erheblich mit
physiologischer Kochsalzlösung verdünnt wird.
Wir pflegen zur Herstellung der Injektionsflüssigkeit die sog.
Alt’schc Kugelmühle zu benutzen, die in einem Standgefäß von etwa
300 ccm Fassungsvermögen besteht, an dessen Boden etwa 20 farblose
Glasperlen sich befinden. Man gießt zunächst etwa 50 ccm heiße, physio¬
logische Kochsalzlösung hinein und schüttet auf ihre Oberfläche den
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Hühner,
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ganzen Inhalt der Salvaxsanampulle (0,G g) gleichmäßig dünn wie
einen Pilzrasen auf. Die Lösung des Pulvers tritt, nötigenfalls unter
Umschütteln mit Zuhilfenahme der Glasperlen als Zerkleinerungsmittel
für sich bildende Klümpchen, ziemlich rasch ein. Darauf wird die
bernsteinfarbene, durchaus klare Lösung durch Zusatz von 21 Tropfen
15%i£ e Natronlauge neutralisiert und schwach alkalisch gemacht und
dann mit 0,5%i# er Kochsalzlösung auf 300 ccm aufgefüllt. Je 50 ccm
dieser Lösung enthalten dann 0,1 der Substanz, und wir injizieren
dem Patienten je nach seiner Konstitution 0,4—0,6, also 200—300 ccm
der Lösung. Zur Injektion selbst benutzen wir einen Apparat, der aus
zwei graduierten Glasgefäßen besteht, von deren Boden aus je ein
Gummischlauch die Flüssigkeit abfließen läßt. Beide Schläuche vereinen
sich mit einem Doppelhahn zu einem gemeinsamen Schlauch, der an
seinem Ende die Venenkanüle trägt. In das eine der beiden Gefäße
kommt die kurz vorher hergestellte körperwarme Salvarsanlösung, in
das andere, physiologische Kochsalzlösung. Wir pflegen nämlich letztere
jeder 606-Injektion vorauszuschicken — um zu sehen, ob die Kanüle
richtig im Venenlumen liegt, was durch das Nichteintreten eines Haut¬
ödems beim Einlaufen der Flüssigkeit ja sofort kenntlich wird — und
ebenso auch jeder Injektion folgen zu lassen, um durch Fortspülen
der reizenden Substanz von der Injektionsstelle schmerzhafte Phlebitiden
zu vermeiden.
Zum Einstich in die vorher gestaute Armvene benutzen wir eine
gewöhnliche Hohlnadel mit einer nicht zu langen Spitze, zur Ver¬
meidung einer Verletzung der hinteren Venenwand, die das Eindringen
der Flüssigkeit in das Bindegewebe und ein schmerzhaftes Infiltrat
zur Folge haben müßte. Das Einfließen der Salvarsanlösung selbst
soll nicht zu schnell erfolgen. Die Injektion nämlich, so wenig sie an
sich den Kranken belästigt, ist meist von einigen unangenehmen Allgc-
meinerscheinungen gefolgt, deren Stärke von der Schnelligkeit des Ein¬
tritts in den Körper abhängig zu sein scheint. Diese Allgemeinerschei¬
nungen bestehen in einem Temperaturanstieg, in Kopfschmerzen, eventl.
Erbrechen, und beginnen meist eine Stunde nach der Injektion, um
nach kurzer Zeit, einigen Stunden, wieder zu vergehen. Sie werden
von den Patienten meist gern in Kauf genommen, weil die Vorteile
dieser Behandlungsart für sie handgreiflich sind; es fehlen in der
Folgezeit alle unangenehmen Reizerscheinungen an der Injektionsstelle
und die wahrhaft verblüffenden heilenden Eigenschaften des Mittels
auf die verschiedensten syphilitischen Prozesse zeigen sich so am reinsten.
Aber, meine Herren, vergessen Sie nicht, wie es im vorigen Jahre
in der Freude über die ersten glänzenden Erfolge so manchem ergangen
ist, vergessen Sie nicht, daß wir nicht die syphilitischen Symptome
zu heilen haben, sondern die Syphilis. Die Annahme, daß durch eine
Salvarsaninjektion beides erreicht werden könne, hat sich, wenigstens
für die Mehrzahl der behandelten Fälle als ein Irrtum herausgestellt.
Gleichzeitig aber auch glücklicherweise die Furcht, die nach Erfahrungen
mit anderen Arsenpräparaten nur zu sehr begründet war, daß Re-
injektionen für den Kranken gefährliche Uberempfindlichkeitsreaktionen
auslösen könnten. Wir wissen heute vielmehr, daß wiederholte Injek¬
tionen stets gleichmäßig gut von den Kranken vertragen werden, und
daß auch eine gefahrdrohende Kumulierung des Mittels nach intra¬
venösen Injektionen nicht eintreten kann, weil die Ausscheidung des
Arsens nach solchen schon nach wenigen Tagen vollendet ist. Wenn
also eine Sterilisatio magna im Elirlich’schcn Sinne mit dem Mittel nicht
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Der heutige Standpunkt in der Salvarsantherapie.
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erreicht wird durch eine Injektion — und die Erfahrung hat gezeigt,
daß dies, wenn überhaupt, nur in sehr frühen Stadien der Krankheit der
Pall sein kann — so wird man nach Art der Sterilisatio refracta das
Resultat mit mehrfachen Injektionen zu erreichen trachten. Als Grad¬
messer dafür, ob wir dies Ziel erreicht haben, wird neben dem Ausbleiben
sichtbarer syphilitischer Symptome, das dauernde Negativbleiben der
Wassermann’schen Reaktion zu gelten haben.
Als ich, vor Beginn der Salvarsanära, hier vor Ihnen einmal über
die Quecksilberbehandlung der Lues sprechen durfte, führte ich aus,
daß die positive Wassermann’sehe Reaktion als ein Symptom der aktiven
Lues aufzufassen sei, das trotz und bei seiner Unsichtbarkeit vielleicht
das gefährlichste für den Patienten sei, daß also eine Behandlung
einzuleiten sei, so oft und so lange sie positiv ist. Hierin hat sich
durch die Entdeckung des Salvarsans nichts geändert: gelingt es nicht,
durch die erste Injektion die Reaktion negativ zu machen, so wird
eine zweite nachgeschickt und immer wiederholt, sobald eine positive
Reaktion gefunden wird. Die idealste Behandlung der Syphilis ist
diejenige, die beim Primäraffekt vor Eintritt der Wassermann’schen
Reaktion einsetzt und so energisch durchgeführt wird, daß sie über¬
haupt nie positiv wird.
Darüber, wie im einzelnen die Kur zu leiten ist, bleibt Ihrem
ärztlichen Ermessen noch ein weiter Spielraum. Sie werden auch ab¬
wechselnd vom Quecksilber mit Vorteil wieder Gebrauch machen: denn
die Erfahrung hat gelehrt, daß sich Salvarsan und Quecksilber aufs
günstigste in ihren Wirkungen ergänzen. Im Vordergründe der Syphilis¬
behandlung wird aber in Zukunft das Salvarsan zu stehen haben. Dabei
würde ich Ihnen raten, die erste Injektion, die den Hauptschlag gegen
den eingedrungenen Feind darstellt, wenn irgend möglich, nicht anders
als in der Form der intravenösen Injektion zu gehen. Oh Sie dann
den zweiten, wie Alt sich ausdrückt, den Fangschuß für die vom *
ersten noch nicht völlig erreichten Spirochäten, in derselben Form oder
— wie man aus theoretischen Überlegungen vielleicht für das bessere
halten könnte — als Depotinjektion geben wollen, erscheint weniger
bedeutungsvoll. Weither läßt sogar regelmäßig noch einen dritten,
den Garantieschuß folgen. Bei solchem Vorgehen hatte z. B. Gerönne
in 78°/ 0 vollen Erfolg (Symptomfreiheit und negativen Wassermann).
Das ist ein Resultat, wie es durch keine Quecksilber kur erreicht wer¬
den kann.
Nachdem ich so lange von den guten Seiten des neuen Mittels
gesprochen habe, erfordert es die Gerechtigkeit, daß ich auch noch
den Mißerfolgen Erwähnung tue, die, obwohl sie in der Versuchs¬
periode eines so differenten Mittels unvermeidlich sind, doch zum
Teil über die Gebühr aufgebauscht wurden und dadurch eine gewisse
Mutlosigkeit bei manchen Kollegen erzeugten, die ebensowenig gerecht¬
fertigt erscheint, ebensowenig l>egründet ist, wie der anfängliche En¬
thusiasmus vor der Prüfung des Mittels.
Es ist gewiß ungerecht, dem Mittel Todesfälle zur Last zu legen,
die nach Injektionen hei fast schon moribunden Menschen als ultima
ratio gegeben wurden. Und ebensowenig darf man es für den Exitus
letalis verantwortlich machen, von dem in Halle ein Patient betroffen
wurde, dem man eine wenig verdünnte saure Lösung direkt in die
Blutbahn gespritzt hatte: die Giftigkeit solcher Lösungen ist seit¬
dem erkannt, und solch ein Vorfall darf sich in Zukunft niemals
ungestraft wiederholen. Ich übergehe hier auch die unangenehmen
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Hübner, Der heutige Standpunkt in der Salvarsantherapie.
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Nekrosen, an denen nach der Wechselmann’sehen Injektion ein großer
Teil der Patienten lange noch zu leiden hatte: sie sind seit der Ein¬
führung der intravenösen Infusionen ein vermeidbares Übel geworden.
Viel bedenklicher waren warnende Stimmen, die von einer sehr
beachtenswerten Seite laut wurden und dem Salvarsan eine gewisse
neurotrope Wirkung zuschoben. Es läßt sich nämlich nicht leugnen,
daß an den mit Salvarsan behandelten Kranken eine verhältnismäßig
große Zahl von Optikus- und Akustikuserkrankungen beobachtet wor¬
den sind. In Analogie mit Erfahrungen bei anderen Arsenpräparaten,
Atoxyl u. a., glaubte man zunächst auch hier eine Arsenschädigung
der Hirnnerven annehmen zu müssen. Hatten doch die Dermatologen
Erkrankungen der Hirnnerven im Frühstadium der Syphilis bisher nur
sehr selten beobachtet. Beobachtet, sage ich; denn das tatsächliche
Vorkommen dieser Affektionen, selbst wenige Monate schon nach der
Infektion, kannten die Neurologen besser als die Dermatologen. Die
größere Zahl der Fälle wäre also vielleicht schon durch die größere
Genauigkeit erklärt, mit der die Salvarsanfälle aller Orten untersucht
und weiter beobachtet wuirden. Gegen die toxische Ätiologie dieser
Neuritiden sprach ferner die Tatsache, daß sie durch Weiterbehandlung
mit Salvarsan nicht verstärkt, sondern geheilt wurden. Dieser Umstand
läßt wohl nur die eine Deutung zu, daß die beobachteten Neuritiden
echt luetische sind, lokale Rezidive der Krankheit, die in den Hirn¬
nerven lokalisiert sind. Verschieden aber wird die Frage beantwortet,
warum diese Rezidive sich gerade an den Hirnnerven lokalisiert haben.
Hier meinen manche Autoren, daß das Arsenpräparat vielleicht doch
einen locus minoris resistentiae im Nerven schaffe, der zu einer An¬
siedelung der Spirochäten gerade dort führe, während Ehrlich mit
Nachdruck den Standpunkt vertritt, daß das Rezidiv nur deswegen
die genannten beiden Hirnnerven mit Vorliebe befalle, weil sie infolge
* ihres Verlaufes durch enge Knochenkanäle zu wenig von dem spiro-
chätentötenden Mittel erreicht werden könnten.
Störungen im Gebiet anderer Nerven als am Optikus und Akustikus
sind nur noch in solchen Fällen gesehen worden, in denen zur Lösung
des Präparates Methylalkohol verwandt wurde. Danach auftretende
Blasenlähmungen sind als reine Alkohol-, nicht als Arsenvergiftungen
zu deuten, werden also nicht mehr Vorkommen, seitdem das Präparat
nicht mehr in Methylalkohol gelöst zu werden braucht. In solchen
Fällen aber, in denen die Injektion in eine zu große Nähe vom
Nervus ischiadicus gemacht wurde und durch den Druck und die Reiz¬
wirkung der Flüssigkeit ein Ischias entstand, liegt die Schuld nicht
an dem Präparat, sondern an der fehlerhaften Technik. Dann ist, wie
Ehrlich witzig bemerkt, nicht das Mittel, sondern der Arzt neurotrop.
Ich habe versucht. Ihnen ein möglichst objektives Bild zu geben
von dem heutigen Stande unseres Wissens von der Salvarsantherapie.
Was w T ir seit den ersten Mitteilungen über das neue Mittel erlebt haben,
erinnert unwillkürlich an die Ereignisse nach der Entdeckung des
Tuberkulins: der anfänglichen Überschätzung folgt ein Rückschlag und
erst allmählich bricht die Erkenntnis von dem wahren Wert des Mittels
sich Bahn. Beim Salvarsan sind wir jetzt über die beiden ersten Phasen
dieser Entwickelung hinaus. Wir v r issen, daß es im Kampfe gegen die
Syphilis im Durchschnitt mehr leistet als das Quecksilber. Hoffen
wir, daß es auch in bezug auf die Verhütung der schweren Naehkrank-
hoiten der Syphilis in gleicher Weise unsere bisherigen Waffen übertrifft.
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Karl Loening, Die Therapie des Diabetes mellitus.
1087
Die Therapie des Diabetes mellitus.
Von Privatdozent Dr. Karl Loening’,
Oberarzt der inneren Abteilung des Diakonissenhauses in Halle a. S.
(Schluß.)
b) Therapie bei drohendem lind bei ausgebrochenem Koma
djabct ikum.
Es gibt nun fälle, welche selbst ohne Entziehung der Kohle¬
hydrate zum Koma neigen, und man muß jederzeit gewärtig sein, eine
energische antikomatöse Therapie einzuleiten. Wir haben schon oben
darauf hingewiesen, daß wir den neueren Anschauungen v. Noordcn’s
nicht folgen können, der übrigens auch in der neuesten Auflage seines
Buches über die Zuckerkrankheit betont, daß man bei ausbrechendem
Koma oft froh sein müsse, wenn es überhaupt gelinge, beachtenswerte
Nahrungsmengen einzuverleiben. Meistens bleibe das Quantum weit
hinter dem, was man anstrebe, zurück. Für uns steht es fest, daß
es zweckmäßig ist, eine eventuelle strenge Diät sofort zu unterbrechen
und wie oben erwähnt, Milch zu geben, die reichlich Kohlehydrat enthält
und außerdem die Diurese anregt.
Alle Autoren, wie sie sich auch zur theoretischen Erklärung der
Natrontherapie stellen, sind darüber einig, daß diese Therapie einen
großen Fortschritt für die Behandlung des Komas wie auch für seine
Prophylaxe bedeutet. Hier müssen allerdings weit höhere Dosen Platz
greifen, als wir jsie in oben erwähntem Fall gegeben haben. Auch
v. Noorden glaubt, mit diesen Dosen günstigere Resultate erzielt zu
haben als mit kleinen Gaben von 20—30 g. Selbst Dosen über 100 g
Natron darf man nicht scheuen und muß im Notfall zu intravenösen
Injektionen einer 5°/ 0 igen Sodalösung schreiten, welche in einer Menge
von einem Liter des öfteren injiziert wird bis der Urin alkalisch ge¬
worden ist. Ferner kann man Abführmittel versuchen und gibt schlie߬
lich Äther und Kampfer.
Dennoch wird es Fälle geben, welche einen ungünstigen Verlauf
auch bei der Natronbehandlung nehmen, insbesondere sind es diejenigen
Fälle, welche lange Zeit vorher kein Natron genommen haben oder
während der Entziehungskur kein solches bekommen haben. So ist
uns ein Fall eines 11 jährigen Jungen in Erinnerung, der lange Zeit
auf strenge Kost mit Natronzufuhr gehalten wurde und hierbei fast
zuckerfrei war; auch außerhall) der Klinik nahm er mehrere Wochen
lange Zeit Natron weiter, bis dasselbe ausgesetzt wurde, trotzdem vor
letzterem gewarnt war. — 2—3 Tage nach dem Aussetzen wurde der
Kleine komatös in die Klinik gebracht, wo er dann im Koma verblieb,
obgleich nun sehr energisch Natron zugeführt wurde.
Es ist also von großer Wichtigkeit, dem schweren Diabetiker
einzuschärfen, unter keinen Umständen die Natrontherapie auszusetzen,
da nur bei genügend vorhandenem Alkali im Körper diese gefährliche
Säure anhäufnng hintangehalten werden kann, die, wenn sie einmal
gewisse Grade erreicht hat, nicht mehr durch Natrongaben, auch wenn
sie intravenös gegeben werden, rückgängig zu machen ist.
Wir erwähnen noch die Infusion von 8—10° /0 iger Lävuloselösung,
von der vorübergehende Erfolge berichtet werden und die subkutane
Opiumtherapie mittels des Pantopons von Sahli.
Die schweren Diabetesfälle zeichnen sich, wie wir oben erwähnt
haben, vor allen Dingen durch die schweren körperlichen Symptome
aus, welche in außerordentlich starkem Marasmus ihren Ausdruck fin-
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1088
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den. Man steht jetzt wohl allgemein auf dem Standpunkt, daß in
diesen Fällen der Zucker nicht, nur aus den eingeführten Kohlen¬
hydraten stammt, sondern ,auch aus dem Eiweiß der Nahrung und in
den schwersten Fällen aus dem Körpereiweiß genommen wird.
Wenn auch der exakte Beweis, daß das Eiweiß vom Körper in
Zucker verwandelt werden kann, immer noch aussteht, so sprechen
doch alle Untersuchungen dafür, daß der Körper einer solchen Um¬
wandlung fähig ist. Auch die Zusammensetzung des Eiweißes, soweit
dieselbe bisher bekannt ist, deutet darauf hin, daß dieser Vorgang sehr
wahrscheinlich ist, da man direkt von Kohlehydrat gruppen im Eiwei߬
molekül sprechen kann.
Von klinischen Untersuchungen sind cs vor allem die schönen!
Beobachtungen Mohr’s, welche in neuerer Zeit der Richtigkeit dieser
Ansichten eine große Stütze verliehen haben.
Wie weit bei der Säurebildung im Organismus des Zuckerkranken
dieser Vorgang eine Rolle spielt, ist noch nicht geklärt, da viele neuere
Untersucher die Ansicht vertreten, daß die vom Zuckerkranken aus-
geschiedenen Säuren bei der Entstehung des Zuckers aus Fett sich bilden.
Praktisch liegt die Sache jedenfalls so, daß in allen Fällen, in welchen
Azidose auf tritt, auch ein Eiweißzerfall angenommen werden kann,
selbst wenn dieser nicht in vollem Maße zu erkennen ist.
Die Azidose besteht darin, daß im Urin Azetessigsäure, Azeton
und ß-Oxybuttersäure ausgeschieden werden. Das Azeton gelangt gleich¬
zeitig mit der Atemluft durch die Lunge zur Ausscheidung, wodurch
der stark obstartige Geruch der Zuckerkranken aus dem Munde zustande
kommt. Auch geben die Kranken an, daß sie besonders morgens einen
deutlichen Geschmack nach frischen Äpfeln, Melonen u. dgl. haben.
Die genannten Säuren bedürfen zu ihrer Absättigung im Körper
und zur Möglichkeit, im Urin ausgeschieden zu werden, des Alkalis
ebenso wie die normalerweise im Urin vorhandene Harnsäure. Wenn
der Alkalivorrat nicht ausreicht, so wird aus Eiweißstoffen Ammoniak
gebildet, welches denn auch meist in vermehrter Menge bei solchen
Zuckerkranken gefunden wird. Die Ammoniakvermehrung des Urins
war sogar die erste pathologische Erscheinung, aus welcher man diesen
veränderten Stoffwechsel schwerer Diabetiker geschlossen hat.
Der Nachweis der Oxybuttersäure gelingt mittels des Polarisations¬
apparates, wenn der Urin nach der Vergärung nach links dreht imd
Glukuronsäure, deren Linksdrehung durch Kochen mit Schwefelsäure
in eine Rechtsdrehung übergeht, ausgeschlossen werden kann. Es ist
aber anzunehmen, daß in all den Fällen, in denen Azeton und Azet¬
essigsäure vorhanden ist, auch Oxybuttersäure nicht fehlt. Der quali¬
tative Nachweis des Azetons gelingt leicht durch die Natriumnitroprussid-
probe oder die Lieben’sche Reaktion auf Azeton, während der quanti¬
tative Nachweis mittels des Messinger’schen Verfahrens nur für das
Laboratorium in Betracht kommt.
Die Probe auf Azeton wird in der Weise angestellt, daß man einige Körnchen
Natriumuitroprussid in einem Reagenzglas" löst lind von dieser Lösung zu 5 ccm
Urin einige Tropfen hinzufügt; setzt man sodann langsam Kali- oder Natronlauge
zu, so entsteht bei Anwesenheit von Azeton eine dunkelrote Färbung, die beim
Stehen gelb wird. Bei Zusatz von starker Essigsäure wird die Lösung himbeerfarben.
Die Lieben’sehe Probe wird in der Weise angestellt, daß man zum Urin
einige Tropfen Jodlösung und Kalilauge hinzufügt, wobei ein gelber Niederschlag
entsteht, der aus kleinsten Jodoformkrystallen besteht. Die Lösung nimmt einen
deutlichen Geruch nach Jodoform an.
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Im allgemeinen kommt man aber in der Praxis damit aus, wenn
man den Urin auf Azetessigsäure untersucht und wenn man sieh zugleich
ein Urteil über den Säuregehalt des Urins durch das Verhalten des¬
selben bei Natronzufuhr zu bilden sucht.
Die Probe auf Azetessigsäure, deren Kenntnis wir Gerhardt
verdanken, und die auch nach ihm den Namen Gerhard t’sche Reaktion
erhalten hat, ist außerordentlich einfach und führt zu einwandfreien
Resultaten, wenn man zwei gleich zu besprechende Punkte beachtet.
Die Reaktion wurde ursprünglich in der Weise angegeben, daß man zu
dem Urin Eisenchlorid hinzufügte; sind nun viele Phosphate im Urin,
so entsteht ein schmutzig - braunroter Niederschlag, während bei ge¬
ringem Gehalt des Urins an Phosphaten die Färbung burgunderrot aus¬
fällt und auch einen geringen Gehalt des Urins an Azetessigsäure
anzeigt, v. Mering gab deshalb, um diese Störung durch die Anwesen¬
heit der Phosphate bei dieser außerordentlich wertvollen Reaktion aus¬
zuschließen, folgende Modifikation an: Man gieße in ein kleines Becher¬
glas etwa 10 ccm einer 6°/ 0 igen Eisenchloridlösung und luge üim
den zu prüfenden Urin tropfenweise zu. Es entsteht dann selbst bei
sehr reichlicher Anwesenheit von Phosphaten kein täuschender schmutzig-
brauner Niederschlag.
Die zweite Fehlerquelle, welche bei dieser Reaktion auftreten
kann, besteht darin, daß bei Anwesenheit anderer Oxysäuren (die Reak¬
tion geben alle Oxysäuren) ein positives Resultat vorgetäuscht werden
kann Derartige Oxysäuren kommen im Urin bei Einnahme der Ab¬
kömmlinge der Salizylsäure vor. Die Gerhard t’sche Reaktion auf Azet¬
essigsäure wird aber nach dem Kochen des Urins negativ, da sich die
Azetessigsäure hierbei in Azeton und Kohlensäure zersetzt, während
salizylsäurehaltiger Urin auch nach dem Kochen noch mit Eisenchlorid
eine dunkelrote Färbung gibt. Man kann sicli also stets vergewissern,
ob der diabetische Harn Azetessigsäure enthält.
Leider geben uns diese Reaktionen auch durch den Grad ihrer
Färbung (etwa wie bei der Indikanreaktion) keinen Aufschluß über die
quantitativen Verhältnisse der Azetessigsäure.
Es muß aller betont werden, daß auch in den leichtesten Diabetes¬
fällen immer wieder von neuem mittels der Gerhardt’schen Reaktion
auf das Vorhandensein von Azetessigsäure zu prüfen ist.
Weil nun, wie oben erwähnt, alle quantitativen Bestimmungen
der Azetonkörper schwierig und zeitraubend sind, so bleibt nur das
folgende, von Naunyn angegebene approximative Verfahren übrig, wel¬
ches im vorigen Jahre von Blum erneut für die Behandlung schwerer
Diabetiker empfohlen worden ist. Da wir aus therapeutischen Gründen
dem Patienten Natrium bicarbonicum geben, so haben wir bei der
Prüfung der Säuremengen im Urin mittels Lackmuspapier ein Mittel,
einen ungefähren Anhalt- zu bekommen, wieviel Säure im Urin aus¬
geschieden wird. Der normale Mensch scheidet schon, auch bei alkali¬
armer Nahrung, einen alkalischen Urin nach Einnahme von 2 g Natron
bic. aus, während man beim schweren Diabetiker 10—20 g bei geringer
Azidosis, bis zu 50 g bei stärkerer reichen kann, ehe der Urin alkalisch
wird. Ja, in den schwersten Fällen gelingt es nicht, selbst mit den
größten Dosen Alkali die Säuremengen im Urin abzusättigen. Wir
haben schon oben gesehen, daß wir diese Reaktionsprüfung des Urins als
ein wichtiges therapeutisches Hilfsmittel benutzen, um die diätetische
Therapie zur Anwendung bringen zu können. Die Alkaleszenz des
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Urins gibt uns die Berechtigung, zugleich neben der Kohlehydrat¬
beschränkung die Eiweiß-Fettzufuhr einzuschränken, und mit dieser
Herabsetzung des Gesamtkaloriengehalts der Nahrung gewinnen wir
auch Einfluß auf die Azidose. Wie wir durch Einschränkung der
Kohlehydrate die Toleranz für diese steigern, so gelingt es durch gleich¬
zeitige Einschränkung der Eiweiß-Fettdiät auch die Toleranz der
Diabetiker für Eiweiß und Fett zu heben und damit eine Ge¬
sundung des Körpers herbeizuführen.
Hat man aber einen Urin, welcher neben starker Azetessigsäure-
reaktion bei großen Gaben Natron alkalisch geblieben ist, so empfiehlt
es sich, denselben zu sedimentieren Und das Sediment mikroskopisch
zu untersuchen. Wir finden dann oft in demselben zahlreiche Zylinder,
die ziemlich klein sind, wenig granuliert und ein gleichmäßiges Aus¬
sehen haben: die sogenannten Aldehoff’sehen Komazylinder. Dieselben
sind ein sicheres Zeichen für ein drohendes Koma, wenn sie auch nach
Naunyn nicht in allen Fällen vorhanden sind.
Diese Zylindrurie gibt uns, zugleich mit der besprochenen sauren
Reaktion des Urins bei großen Alkaligaben, die Möglichkeit, recht¬
zeitig mit unserer Diät zu stoppen und Kohlehydrate zu geben, damit
das drohende Koma abgewendet wird.
4. Die Hauptnahrungsmittel vom Standpunkt der Diabetestherapie und
die Diabetikerpräparate.
Wir wollen nun in Kürze die für die Praxis wichtigsten Nahrungs¬
mittel für den Diabetiker betrachten.
Das Brot, welches Naunyn das Labsal und die Sehnsucht der
meisten Diabetiker unter strenger Diät nennt, enthält bis zu 56°/ 0
Kohlehydrate. Es erscheint bei der großen Bedeutung, welche das
Brot für die Ernährung des Menschen hat, als das härteste, was man
dem Diabetiker zumuten muß, ihm den Genuß des Brotes zu unter¬
sagen. Es muß daher immer unser Bestreben sein, in jedem Fall
festzustellen, wie oft und eine wie große Menge Brot wir dem Dia¬
betiker erlauben dürfen. Ja, wir können sagen, daß sich die vorhin
besprochene Toleranzbestimmung des Diabetikers für Kohlehydrate im
wesentlichen auf das Brot bezieht, während die übrigen Kohlehydrat-
haltigen Nahrungsmittel wie Kartoffeln, Milch etc. meist leichter ver¬
tragen, aber auch leichter entbehrt werden können wie das Brot. Man
hat sich aus diesem Grunde bemüht, Brote mit vermindertem Kohle¬
hydratgehalt herzustellen. Während sich aus Mehl, das vollständig von
Stärke befreit ist, kein Brot backen läßt, so läßt sich z. B. aus Aleu-
ronat, welches 5 % Stärke enthält, nur unter Zusatz einer bestimmten
Menge gewöhnlichen Mehles, ein „Aleuronatbrot“ backen. Dieses
Brot enthält dann aber 30—35 °/ 0 Kohlehydrate, worauf zu achten
ist, wenn man dem Diabetiker ein solches Brot empfiehlt. Es ist
insbesondere wichtig, die Angaben über den Kohlehydratgehalt der
im Handel befindlichen Brotsurrogate nicht ohne weiteres für richtig
hinzunehmen, worauf Magnus-Levy im vorigen Jahre liingewiesen
hat. Die Brotersatzmittel, wie Mandelbrot, Roboratgebäcke, Simamyl-
brot, Sisarbrot usw., welche keine oder nur sehr wenige Kohlehydrate
enthalten, werden leider auf die Dauer nicht gern genommen und
können nur vorübergehend zum Ersatz dienen. Schließlieh muß man
immer bedenken, daß die Therapie daraufhin zielt, die Toleranz gerade
für Brot zu heben.
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Man hat außer der Entzuckerung des Brotes noch versucht.,
durch Vergrößerung des Volumens des Brotes, den Diabetiker über
die geringe Brotzufuhr zu täuschen. Diesem Zwecke dienen die so¬
genannten Luftbrote wie z. B. das Glidineiuftbrot nach Dr. Klopfer,
welches nach der Analyse von Magnus-Le vy nur 33% Kohle¬
hydrate enthält. Allerdings ist auch hier in den seltensten Fällen
die Möglichkeit geboten, dem Patienten die Wohltat eines täglich
frischen Gebäckes zukommen zu lassen; außerdem besteht die Gefahr,
daß der Diabetiker im Genuß dieser Surrogate leichtsinniger wird,
als wenn ihm eine bestimmte Menge echten Brotes erlaubt ist.
Immer ist bei der Behandlung des Diabetikers aber ge¬
nau zu überlegen resp. anzugeben, welches die maximale
Menge „Kohlehydrate“ ist, die genossen werden darf.
Außer dem Brot, enthalten noch die Kartoffeln, Hülsenfrüchte
und Wurzeln größere Mengen Kohlehydrate, während die Kohlarten,
Salate und Kraute, also die grünen Gemüse, nur wenige Prozent zucker¬
bildender Substanzen aufweisen.
Auch die Obstarten eind mehr oder weniger reich an Zucker;
jedoch haben wir schon darauf hingewiesen, daß Xaunyn auch dem
schwersten Diabetiker täglich einen Apfel gestattet. Selbstverständ¬
lich ist es natürlich, daß eingemachte Früchte nicht erlaubt sind, da¬
gegen bezeichnet z. B. v. Mering Mandeln und Nüsse in mäßigen
Mengen als zulässig, da sie sehr reich an Fett und arm an Kohle¬
hydraten (5—10%) wären.
Der Zucker muß nach der Ansicht von Mering, das ganze
Leben lang vermieden werden, ja, v. Noor den meint, daß sogar bei
erblich disponierten Individuen durch frühzeitig beginnende und dauernd
fortgeführte Beschränkung der Kohlehydrate, namentlich des Zuckers,
der spätere Ausbruch der Krankheit verhindert werden kann. Dieser
Abstinenz des Zuckers müssen sich insbesondere Personen befleißigen,
deren Konstitution (gewisse .Formen der Fettleibigkeit) wir als zum
Diabetes hinneigend betrachten oder die zu irgendwelchen Krankheiten
von Organen neigen, die mit dem Zuckerst off Wechsel in einer Beziehung
stehen (Leber, Pankreas, Schilddrüse).
Wir sind in der glücklichen Lage, im Saccharin, wie es Fahl-
berg dargestellt hat, einen Ersatz wenigstens für den Geschmack des
Zuckers zu besitzen, wenn auch zugegeben sei, daß auf die Dauer ein¬
zelne Patienten das Saccharin nicht mögen. Stets ist bei Verordnung
des Saccharins darauf zu achten, daß der Patient nur minimale Mengen
benutzt, auch die im Handel erhältlichen Saccharintabletten sind bei
ihrem Gehalt von 0,05 g schon etwas zu groß.
Ein weiteres Ersatzmittel ist das Dulzin, welches etwa denselben
Süßigkeitsgrad hat wie das eben besprochene Saccharin. Jedoch rät
auch Naunyn mit Rücksicht auf die von Aide hoff beobachteten
schweren Vergiftungserscheinungcn beim Hunde in der Anwendung
des Dulzins zur Vorsicht.
Bemerkenswert für die diabetische Küche ist, daß Saccharin sich
in Verbindung mit Alkalien und beim Kochen zersetzt. Während das
Saccharin für die bessere Praxis eine ausgedehnte Anwendung gefunden
hat, wird es in der Kassenpraxis und in der Klinik wenig benutzt,
trotzdem man zugeben [muß, daß es auch hier in vielen Fällen am
Platze wäre, um dem Diabetiker seine Diät schmackhafter zu machen.
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Mit Hilfe dieser Ersatzmittel gelingt es meist, die überhaupt nicht
sehr drückende Abstinenz von Zucker selbst bei unseren diabetischen
Damen durchzuführen. Lävulose als Ersatz für Zucker wird nicht
gern gegeben, da sie in größerer Menge schädliche Wirkung entfaltet.
Immerhin wiesen wir schon auf den Vorschlag Naunyn ö hin, selbst bei
strengster Diät dem Zuckerkranken einen Apfel zu gestatten, der eine ge¬
ringe Menge Fruchtzucker enthält. Nur in sehr leichten Fällen von
Diabetes sind größere Mengen von Lävulose erlaubt; jedoch ist auch
hier die größte Vorsicht geboten, da in diesen Fällen der Patient,
wenn ihm Lävulose überhaupt auch nur in geringer Menge erlaubt wird,
leichtsinnig wird und es unzweifelhaft ist, daß größere Mengen oder
selbst kleinere Mengen dauernd gegeben, der schädlichen Wirkung des
Traubenzuckers gleichkommen. Jedenfalls ist die Tatsache interessant,
die So ein fand, daß der Diabetiker, auch der schwerste, für kurze
Zeit — 4—5 Tage — Lävulose, ebenso auch den Milchzucker assi¬
milieren kann. ,,Man sieht,“ sagt aber Naunyn, „es fehlt sehr viel
daran, daß man berechtigt wäre, die linksdrehenden Kohlehydrate oder
den Milchzucker als unschädlich für den Diabetischen zu bezeichnen.“
Das Fleisch, welches wegen seines Eiweißgehaltes stets eine
große Rolle in der Ernährung der Zuckerkranken spielt, wird für
gewöhnlich nur bis zu einem gewissen Grade gern genommen, da es
in diesen großen Quantitäten bei Kohlehydratkarenz zu widerstehen
pflegt; insbesondere hat man auch auf die Zubereitung des Fleisches
und der mehlfreien Saucen zu achten, worauf Schall und Heißler
(die Praxis der Ernährungstherapie der Zuckerkranken) neuerdings hin-
weisen.
Der durchschnittliche Gehalt des Fleisches an Eiweiß beträgt 15%•
Der Fettgehalt ist natürlich sehr schwankend. Wir haben die Erfahrung
gemacht, daß es für die Praxis vollkommen ausreichend ist, wenn man
für das zubereitete Fleisch, sei es auch welches es wolle, einen Durch¬
schnittsgehalt an Eiweiß sowohl wie Fett von 15°/ 0 annimmt, was
einer Gesamtkalorienzahl von 195 entspricht. Man kann diesen Wert
auch auf die verschiedenen Wurstsorten beziehen, sofern es sich nicht
um hervorragend fette Würste handelt (Mettwurst, Salami u. a.). Letz¬
tere haben etwa den doppelten oder dreifachen Fettgehalt. Bei der
Beurteilung der Höhe der Eiweißzufuhr ist zu beachten, daß Zucker
aus Eiweiß sowohl durch Abspaltung des sogenannten Kohlehydrat¬
kerns (Glykosamin) als auch auf synthetischem Wege entstehen kann.
Ferner ist daran zu denken, daß die Azidose auch von der Höhe detr
Eiweißzufuhr abhängig ist.
Es ist also Fleisch in jeder Art erlaubt, jedoch darf eine Zutat
von Mehl oder Brot bei der Zubereitung des Fleisches selbst (panierte
Schnitzel) oder bei den Saucen nicht stattfinden; ebenso enthält das
häufig gebrauchte Füllsel beim Geflügel Mehl und Brot, und ist des¬
halb zu verbieten. Auch die Leber muß, da sie reichlich Glykogen
enthält, gemieden werden.
Nächst dem Fleisch dienen die Eier wegen ihres Eiweiß- und
Fettgehaltes zur Ernährung der Diabetiker, sie sind aber leider nicht
in jeder Jahreszeit in unseren Großstädten billig frisch zu erhalten,
so daß man hierauf Rücksicht nehmen muß.
Der Diabetiker gewöhnt sich meist schnell an die reichliche Fleisch¬
kost, -wenn nur Abwechslung und gute Zubereitung nicht fehlt. Ins¬
besondere ist auf letztere zu achten, worauf Sternberg wiederholt
nachdrücklichst hingewiesen hat.
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Uber die Gemüse haben wir das Wichtigste oben bei Besprechung
der Kohlehydrate mitgeteilt und betonen hier nur, daß die Gemüse für
die Zusammenstellung der Nahrung der Diabetiker sehr wichtig sind,
daß sie dazu dienen, die Nahrung abwechslungsreich zu machen und
auch den genügenden Kettgehalt herzustellen, indem sich bei der Zu¬
bereitung der Gemüse reichlich Fett unterbringen läßt, dessen Zusatz
natürlich bei der Verordnung der Diät besonders betont werden muß.
Die Milch hält Naunyn für ein sehr wertvolles Nahrungsmitte 1
für den Diabetischen.
Dieselbe besitzt bei einem Kohlehydratgehalt von meist 4,5 %
3°/ 0 Eiweiß und 3,5 °/ 0 Fett. Sauermilch, Kefir, Yoghurt enthalten
bedeutend geringere Mengen Kohlehydrate nur etwa 2—2 1 / 2 %• Auch
gibt es besondere Milchpräparate für Diabetiker, z. B. die Gärtner-
sche Milch und Kosische Diabetiker milch. Schließlich hat vor kurzem
der Holländer Bouma eine Diabetikermilch hergestellt, welche 0,1 °/o
Zucker enthält. Trotzdem bleibt der Wert der „frischen“ Milch bestehen,
da uns gerade dieses Getränk dazu dient, dem schweren Diabetiker,
sobald er eine etwas weniger strenge Diät zu nehmen braucht, ge¬
wisse Mengen Kohlehydrate zuzuführen. Geringe Mengen gewöhnlicher
Milch beeinflussen die Glykosurie weniger als eine Brotmenge von
demselben Kohlehydratgehalt. Der leichte Diabetiker aber, welcher
mehr oder weniger Kohlehydrat nehmen darf, wird in vielen Fällen
das frische Produkt lieber nehmen, als ein künstliches Präparat. Auch
hier gilt also dasselbe, wie bei den Ersatzpräparaten für Brot. Wegen
seines hohen Fettgehaltes ist der Rah'rn, der allerdings etwa 3°/o
Milchzucker enthält, häufig gut zu verwerten.
Butter und Käse sind wegen ihres Fettgehaltes, letzterer auch
wegen seines hohen Eiweißgehaltes, bis zu 30°/ 0 außerordentlich wert¬
volle Nahrungsmittel für den Diabetiker.
Der Käse im speziellen, kann zu mancherlei Speisen verwendet
werden, und ich gebe hier das Rezept eines guten Käsepuddings, wie
es auch von Nichtdiabetikern gern genommen wird und bemerke gleich¬
zeitig, daß ähnliche Puddings sich auch von Fleisch, Fisch und Ge¬
müse herstellen lassen; jedoch darf man selbstverständlich bei diesen
„Puddings“ keine Kartoffeln und kein Mehl gebrauchen, oder man
muß dasselbe bei der Aufstellung der Diät berechnen.
Käsepudding: 5 Eßlöffel geriebener Käse, l / 4 Liter Milch, 5 Eidotter, 2 Tee¬
löffel Kartoffelmehl (8 g Kohlehydrate!), etwas Salz und Pfeffer. Diese Zutaten
werden untereinander gemengt und dann schnell mit dem steifen Eiweißschnee ge¬
mischt und in einer mit Butter reichlich ausgestrichenen Form 20 Minuten gebacken.
Auch im geriebenen Zustande ist der Käse in größerer Menge in
der Nahrung gut unterzubringen und Naunyn empfiehlt an Stelle
des Parmesankäse, den viel fettreicheren Schweizerkäse hierzu zu ver¬
wenden. Er kann in allen Suppen untergebracht werden und selbst
als Zusatz zu grünen Gemüsen ist geriebener Käse bisweilen zu benutzen.
Für die allgemeinen Diätverordnungen hat v. Noorden nach
dem Vorgänge von E. Külz, die Nahrungsmittel in eine „Hauptkost“
und in eine Nebenkost gruppiert. In erstere fallen alle Speisen, die
unbedingt erlaubt sind und die auch bei strenger Diät ohne weiteres
gegeben werden dürfen. In die Nebenkost fallen dagegen alle Speisen,
die nur in mäßigen Mengen oder unter ganz bestimmten Umständen
erlaubt sind. Hiernach lassen sich zweckmäßig drei verschiedene Diät¬
formen aufstellen, welche als strengste, als strenge und als leichte
Diät bezeichnet werden.
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In der strengsten JOiät sind die Kohlehydrate vollständig aus-
gesehaltet, dieselbe ist eine reine Eiweißfettdiät und kann nur für
kurze Zeit angewendet werden. In der strengen Diät, deren Grund¬
stock ebenfalls reine Eiweißfettdiät bildet, sind dagegen einige Ge¬
müse, die mehr oder weniger Kohlehydrate enthalten, erlaubt, z. B.
die Kohlarten, welche 4—5 % Kohlehydrate enthalten. In der leichten
Diät schließlich dürfen kohlehydrathaltige Nahrungsmittel in be¬
schränkter, vom Arzt vorzuschreibender Menge gegeben werden.
Sehr merkwürdig ist, und es fehlen uns bisher auch alle Möglich¬
keiten zu einer befriedigenden Erklärung, die Tatsache, daß sehr häufig
auch im schweren Diabetes, das Hafermehl im Gegensatz zu allen
übrigen Kohlehydraten, gut vertragen wird. Diese v. Noorden em¬
pirisch festgesetzte Tatsache führte dazu, sogenannte Haferküren
zu verordnen. Dieselben bestehen darin, daß mehrere Tage hinter¬
einander, meist 3—4, 250 g Hafermehl in Suppenform gereicht werden.
Daneben bekommt der Patient 200—300 g Butter und 5—8 Eier. Von
den Hafersorten des Handels werden am meisten Hohenlohesche Hafer¬
flocken und Knorrsches Hafermehl empfohlen. Als Getränk wird noch
schwarzer Kaffee, Tee, Zitronensaft, Rotwein gegeben. Diese Diät
enthält 56—74 g Eiweiß, 158 g Kohlehydrate und 200—300 g Fett.
Es ist hiermit die Möglichkeit gegeben, abgesehen vom Alkohol,
2600—3600 Kalorien zuzuführen. Den Hafertagen läßt v. Noorden
2—3 Tage strenge Diät und 1—2 Gemüse tage vorausgehen. Diesen
Wechsel von strenger Diät, Gemüse- und Hafertagen wiederholt man
eventuell noch einigemal. In vielen Fällen beobachtet man ein Sinken
der Zuckerausscheidung, ja, sogar völligen Verlust derselben und auch
eine weitgehende Verminderung der Azidose. Nach Beendigung solcher
Haferkuren verträgt dann der Patient oft auch andere Kohlehydrate
bis zu Mengen, die vorher deutliche Glykosurie hervorriefen. Selbst
v. Noorden sagt aber, daß nur verhältnismäßig wenige Fälle solche
deutliche Erfolge zeigten.
Naunyn glaubt nicht, daß der Diabetiker für das Kohlehydrat
der Hafergrütze eine „elektive Toleranz “ besitzt, sondern meint, daß
es sich um eine günstige Wirkung von im Darme gebildeten Gärungs¬
produkten des Hafermehls handle. Demgegenüber betont v. Noorden,
daß gerade in den günstigsten Fällen der Ablauf der Darmverdauung
völlig normal sei, während doch, wenn 200 g Hafer und mehr im Darm
vergoren würden, Verdauungsstörungen und starker Meteorismus auf-
treten müßten. Er neigt dazu, im Hafer Substanzen anzunehmen, die
in spezifischer Weise den Kohlehydratumsatz in der Leber beeinflussen.
Auch Naunyn gibt aber zu, daß für die Fälle, in denen das Hafer¬
mehl vertragen würde, die Kohlehydrate einen Teil ihres Wertes be¬
halten müßten, ohne ihre schädliche Wirkung durch Kohlehydrat-
belastung des Zuckerstoffwechsels auszuüben. Die Beobachtungen
v. Noordens sind von zahlreichen Autoren wie Lüthje, Mohr, Wein-
traud, H. Winternitz bestätigt worden. Es ist deshalb auch in der
ambulanten Praxis erlaubt, einen Versuch mit Haferkuren selbst bei
schwerem Diabetes zu machen.
Schließlich erwähnen wir noch die Beobachtung v. Noordens,
daß unter allen kohlehydratreichen Nahrungsmitteln die Bananen am
wenigsten die Glykosurie beeinflussen, wenn sie vor der Erweichung
genossen werden.
Im letzten Jahre haben Lampe und v. Noorden ein neues
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Präparat für Zuckerkranke empfohlen, welches sie aus der Sojabohne
(Soja hispida) hersteilen ließen. Die Sojabohne ist eine japanische
Hülsenfrucht und in Japan wird daraus eine Suppe, genannt Shoyn,
hergestellt, ferner eine breiartige Speise bereitet, welche man Tofon
nennt. Das Präparat, Sarton genannt, enthält große Mengen Eiweiß,
30—35 °/q und nur 6 () /o Stärke. Die genannten Autoren machten mit
der unveränderten Bohne Versuche bei Diabetikern, jedoch sagte der
Geschmack nicht zu und erst, wenn man die unangenehm schmeckenden
Stoffe entfernt und dem Sojabohnen mehl alle Kohlehydrate entzieht,
ist das ,,Sarton“ in der Praxis brauchbar. Es kommt als sterilisiertes
Pulver in Blechbüchsen in den Handel. Während nun die unveränderte
Sojabohne die Zuckerausscheidung des Diabetikers ungünstig beeinflußt,
soll das „Sarton“ keinen Einfluß auf die Glykosurie haben.
5. Medikamentöse und physikalische Therapie des Diabetes mellitus.
Die medikamentöse Behandlung des Diabetes spielt neben
der diätetischen und physikalischen Behandlung eine verhältnismäßig
geringe Bolle, soviel Mittel auch als Spezifika gepriesen werden.
Man hat in neuerer Zeit insbesondere versucht, Mittel aus Pan¬
kreasextrakt oder Pankreassaft selbst herzustellen und in der Tat hat
man vom Pankreon und Pankreatin in einzelnen Fällen günstige Wir¬
kungen gesehen. Jedoch ist meist daneben eine diätetische Behandlung
nicht zu umgehen.
Das Opium, welches seit langer Zeit in dem Rufe steht, die Zucker¬
ausscheidung herabzusetzen, wirkt auch nicht auf die Dauer und ins¬
besondere scheint sich auch bei längerem Gebrauch des Opiums die
Toleranz nicht dauernd zu heben. Die Wirkung des Opiums führt
Naunyn auf den Einfluß desselben auf das Nervensystem zurück.
Er gibt dasselbe in ziemlich hoher Dosis und zwar bezeichnet er
0,3 Extraktum opii pro Tag als die gebräuchlichste Dosis, während
v. Mering empfiehlt, mit kleinen Dosen etwa 3mal 0,03 g pro Tag
zu beginnen und allmählich bis auf etwa 0,5 g täglich zu steigen und
dann wieder herunterzugehen.
Die Alkalien oder die alkalischen Mineralwässer werden zweck¬
mäßigerweise auch bei Fällen, welche ohne Azidose verlaufen, gegeben,
jedoch ist nach experimentellen Untersuchungen ein Einfluß auf die
Zuckerausscheidung picht wahrscheinlich.
Was die Flüssigkeitszufuhr in der Ernährung der Diabetiker
betrifft, so muß darauf geachtet werden, daß dieselbe nicht unter das
vom Durstgefühl vorgeschriebene Maß herunter geht.
Der Diabetiker, welcher große Mengen Zucker ausscheidet, bedarf
erstens zur Lösung dieser Zuckermengen entsprechender Mengen Flüssig¬
keit, ferner aber ist zu beachten, daß er die Kohlehydrate ja nicht zu
Wasser verbrennt und dieses Wasser daher anderweitig zugeführt werden
muß. Werden aber in der Nahrung entsprechend weniger Kohlehydrate
gegeben, so fehlt es eben nicht nur an dem in den Kohlehydraten ent¬
haltenen Kalorien, sondern auch an dem Wasser.
Selbstverständlich sind alle Getränke, welche größere Mengen
Kohlehydrate enthalten, verboten, wie Fruchtsäfte, gezuckerte Obst¬
weine, sogenannte alkoholfreie Weine, Champagner und auch die ver¬
schiedenen Biere. Dagegen enthalten die gewöhnlichen Weine, ins¬
besondere die Weißweine, aber auch französischer Rotwein, meist nicht
mehr als 1 °/ 0 Zucker. Wenn der Diabetiker etwas Kohlehydrate genießen
darf, so geht unser Bestreben dahin, ihm, wie wir oben auseinander-
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Karl Loening, Die Therapie des Diabetes mellitus.
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gesetzt haben, eine gewisse Menge Milch zu reichen, die neben der
Flüssigkeitszufuhr auch relativ viele Kalorien enthält.
Daß Mineralquellen, insbesondere die alkalischen Wässer, für
den Zuckerkranken von hohem Wert sind, ist bekannt und die besten
Kenner glauben, daß durch den Genuß solcher Wässer die Toleranz für
Kohlehydrate sich steigern läßt. Insbesondere scheint es nach den
Untersuchungen v. Noordens doch einen Unterschied zw machen, ob
das Wasser zu Hause oder an dem entsprechenden Kurort getrunken
wird. v. Noorden ließ Patienten unmittelbar, ehe sie den Kurort auf¬
suchten, und etwa 8—10 Tage nach der Rückkehr, je einen Probetag
bei absolut gleicher Diät durchmachen, um festzustellen, wie weit sich
die Toleranz durch die Kur gehoben hat. Er gab an diesem Probetag
neben strenger, jedesmal gleicher Diät, 100 g Weißbrot. In einigen
Fällen, jedoch keineswegs in der Mehrzahl, war ein Erfolg deutlich,
v. No orden schiebt dies darauf, daß bei der Mehrzahl der Patienten
schon vorher die Toleranz durch diätetische Behandlung soweit gehoben
war, daß die Trinkkur keinen sehr erheblichen Einfluß mehr ausüben
konnte. Wenn wir nun auch einen allzugroßen Erfolg von den Mineral¬
wässern nicht zu erwarten haben, so liegt kein Grund vor, dieselben in
der Diät nicht zu benutzen.
Bei der Wirkung der entsprechenden Badeorte, ist selbstverständ¬
lich, auch abgesehen von der Wirkung des Wassers selbst, vielerlei von
Einfluß.
Auch die diätetische Behandlung wird anerkanntermaßen sich in
dem Kurort nicht so streng durchführen lassen als zu Hause. Aber
es ist zu betonen, daß der Diabetiker meist in dem Kurort, wenn auch
keine ganz strenge Diät einhält, so doch mehrere Wochen, oft sogar
monatelang eine Nahrung zu sich nimmt, welche relativ wenig Kohle¬
hydrate enthält; ferner ist die Bewegung im Freien, der psychische
Einfluß bei der Beurteilung zu berücksichtigen.
Die Hauptbadeorte für Diabetiker sind Karlsbad, Neuenahr
und Vichy. Oft wird es jedoch gut sein, den Diabetiker auf den even¬
tuellen Mißerfolg der betreffenden Kur schon vorher aufmerksam zu
machen. Einige Ärzte (Grube, Külz, Sandmeyer) haben spezielle
Sanatorien für Zuckerkranke eingerichtet, in denen rationelle Ent¬
ziehungskuren vorgenommen werden und deren Benutzung dort., wo
eine sachgemäße Behandlung sich leicht durchführen läßt, empfohlen
werden kann.
Die physikalische Behandlung der Diabetiker gründet sich
auf die Untersuchungen von Külz und v. Mering, welche durch
Muskelübungen eine wesentliche Verminderung der Zuckerausscheidung
gesehen haben, ja, Mohr und Heinsheimer zeigten, daß auch pan¬
kreaslose Hunde durch Arbeit ihre Zuckerausscheidung wesentlich ver¬
mindern können. Es ist aber hervorzuheben, daß Voraussetzung für
die Muskelarbeit die Möglichkeit sein muß, Glykogen in der Leber
oder in den Muskeln selbst in nennenswerter Menge anzulagern. Es
kommen hier natürlich besonders das Gehen und Steigen, ferner die
verschiedenen Arten des Turnens (Hanteln, Keulenschlagen) und der
Bewegungsspiele (Tennis, Kegeln u. a.) in Betracht; auch empfehlen
wir insbesondere für psychisch Arbeitende das Reiten. Für Patienten,
welche derartige Bewegungen nicht selbst ausführen können, empfiehlt
auch v. Mering Massage, trotzdem ihm diesbezügliche Versuche keine
Wirkung auf die Zuckerausscheidung erkennen ließen.
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Referate und Besprechungen.
1097
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
O. Brann (Steglitz), Die Behandlung der Angina in ihrer Bedeutung
für den Gelenkrheumatismus. (Deutsche Medizinalztg., Nr. 13, 1911.) Das
häufige Zusammentreffen von Angina und Gelenkrheumatismus ist schon seit
langer Zeit beobachtet worden, wenn auch erst seit kurzem über den inneren
Zusammenhang Klarheit herrscht. Jetzt kann man als erwiesen ansehen,
daß derartige Anginen die erste floride Lokalisation der Gelenkrheumatis¬
muserreger sind, die vom Cavum nasale aus auf dem Lymphwege in die Ton¬
sillen gelangten. Bei der Erkenntnis, daß die gewöhnliche Angina follicu¬
laris bereits eine Infektionskrankheit darsteilt, bei der die Erreger des Ge¬
lenkrheumatismus sicher beteiligt sind, lag es nahe, an die Stelle der Lokal-
therapie der entzündeten Tonsillen die Allgemeinbehandlung mit Salizyl-
präparaten treten zu lassen. Wenn diese Therapie sich noch nicht allgemein
eingebürgert hat, so will dies der Verfasser auf die unangenehmen Neben¬
wirkungen der freien Salizylsäure einerseits, auf die vielfach ungenügende
spezifische Wirkung mancher vielgebrauchter Salizylpräparate andererseits
zurückführen. Für eine Kombination, die die Nebenwirkungen der freien
Salizylsäure beseitigt ohne ihre Wirksamkeit zu vermindern, erklärt der
Verfasser das Diploeal.
Der Verfasser konnte das Diplosal in 33 Fällen von Angina anwenden.
Die Patienten erhielten die Tagesdosis von 3 g innerhalb 15 Minuten ver¬
bunden mit reichlichem Teegenuß, dann ließ man sie 2 Stunden schwitzen.
Am folgenden Tage wurde das Vorgehen wiederholt. Alle Fälle wurden
durch dieses Verfahren günstig beeinflußt, während bei Schwitzkuren mit
einem anderen Salizylpräparat nur ein minimaler Effekt erzielt wurde.
Nebenerscheinungen, wie gastrische Störungen, Nierenreizungen, Ohrensausen,
wurden nie beobachtet.
Dabei war das Diplosal auch von ausgezeichneter prophylaktischer
Wirkung. Bei der Behandlung mehrerer Fälle von Angina rheumatica mit
Diplosal blieben die später regelmäßig eintretenden Gelenkaffektionen voll¬
ständig aus.
Der Verfasser erklärt das Diplosal für ein recht brauchbares Salizyl¬
präparat, welches bei verschiedenen Formen der Angina eine deutliche, so¬
zusagen spezifische Heilwirkung entfaltet und bei rechtzeitiger Anwendung
in hinreichend großer Dosis den ßo häufig im Anschluß an Angina auf-
tretenden Gelenkrheumatismus zu verhindern vermag. Neumann.
H. Hays, Therapie der Mandelentzündung. (Med. Record, Nr. 19,
1911.) Havs schlägt bei einer akuten Mandelentzündung folgendes Ver¬
fahren vor: zuerst Auflösung des Schleims durch Einblasen irgendeines
Alkali, dann Applikation eines Kokain (l°/o)-Adrenalin (1:5000)-Sprays auf
den ganzen Rachen, schließlich Betupfen der Mandel mit Kokain. Hierauf
werden die einzelnen Krypten der Tonsillen mittels eines 50%, spitzigen
Höllensteinßtiftes eröffnet; jede Lakune wird 10 bis 15 Sekunden lang ge¬
ätzt. Der Pat. muß dann den nächsten Tag im Bett bleiben und mit 50%
Wasserstoffsuperoxyd gurgeln und seinen Hals ausspritzen, Eis schlucken
und eine Eiskravattc umlegen. Im allgemeinen sei die Mandelentzündung
bei dieser Therapie nach 24 Stunden geheilt, mitunter müsse man aber die
Prozedur noch einmal wiederholen.
Ich kann nicht finden, daß diese Methode wesentlich pchneller zum
Ziel führt als die allgemein-übliche exspektative. Buttersack (Berlin).-
Ch. Lesieur (Lyon), Verkannte Diphtherien und ihre Folgen. (Gaz.
med. de Paris, Nr. 89, S. 113—115, 1911.) Ich weiß nicht, wie groß der
Antagonismus zwischen den einzelnen Mikrobien ist; zwischen den Gelehrten,
welche einen bestimmten Bazillus zu ihrer Spezialität erkoren haben, ist
er jedenfalls beträchtlich. Jeder sucht für den seinigen ein möglichst großes
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Referate und Besprechungen.
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Stück der Pathologie zu gewinnen, um von diesem Angelpunkt aus die Dia¬
gnostik und die Therapie zu reformieren. Die Erreger der Syphilis, Tuber¬
kulose, des Typhus liefern mancherlei Illustrationen hierzu. Nun tritt auch
Professor Lesieur mit dem Diphtheriebazillus in die Schranken und
führt eine Reihe merkwürdiger Vorkommnisse, wie eitrige Gelenk- und
Schilddrüsenentzündungen, Peritonitis, Mandelabszeß, Halsphlegmone, asthe¬
nische und anämische Zustände, fistulöse Prozesse in der Haut, Lungenödem,
Störungen im Herz-Nierensystem, sowie kardio-gastrische Syndrome auf
seinen kleinen mikrobotanischen Freund zurück. Die Beobachtungen, daß
entweder post mortem der Löffler’sche Bazillus gefunden wurde oder daß
die Heilung nach Diphtherieseruminjektionen erfolgte, genügen ihm, um
den Kausalnexus für erwiesen zu erachten. Hat die Serotherapie einmal nicht
den gewünschten Erfolg, so erklärt sich das aus der verspäteten Anwendung
des Mittels und daraus, daß mittlerweile andere krankmachende Faktoren
eingewirkt haben.
Wer sich gegenüber der offiziellen Wissenschaft ein kühles, selbstän¬
diges Urteil bewahrt hat, wird sofort erkannt haben, wie Lesieur’s Aus¬
führungen auf einer Reihe von Hypothesen aufgebaut sind: auf der Hypothese
von der absoluten Gefährlichkeit der Bakterien, auf der Hypothese von
der ätiologischen Bedeutung speziell des Löffler’schen Bazillus und schlie߬
lich auf der Hypothese von der spezifischen Serotherapie. Indessen, Cam-
peano hat recht mit diesem Satz: „On applaudit tous ces articles et Con¬
ferences, mais il ne faut pas confondre le succes personnel de Porateur avec
l’effet reel des idees proclamees.“ (Essai sur la Psychologie niilitaire indi¬
viduelle et collective, S. 95, 1902.) Buttersack (Berlin).
Carl Schuster (Pfaffenhofen a. I.), Über zwei Fälle von Strumitis auf
luetischer Basis. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 26—28, 1911.) Entzün¬
dungen der normalen Schilddrüse (Thyreoiditis) sind selten, dagegen kommen
solche der strumös entarteten Thyreoidea (Strumitis) schon häufiger vor,
denn die Nekrosen und Blutungen innerhalb des Kropfes begünstigen die An-
siedlung von Entzündungserregern. Meist wird es sich um metastatische
Prozesse handeln und die denkbar verschiedensten Infektionskrankheiten
können dabei im Spiele sein: Erysipel, Pneumonie, Influenza, Pyaemie u. a.
Am meisten sind Struinitiden nach Typhus zur Beobachtung gelangt. — Bei
Lues ist die Strumitis seltener beobachtet. Wenn auch die Schilddrüsen-
Schwellung in der Frühperiode der Syphilis bekannt ist, so werden eitrige
Entzündungen bei Kropfkranken auf syphilitischer Grundlage nur ausnahms¬
weise erwähnt. — Verf. beschreibt zwei solche in der Münchener chirurgi¬
schen Poliklinik beobachtete Fälle. Bei beiden Patienten, einem Manne und
einer Frau, fanden sich fluktuierende Schwellungen der Schilddrüse, die Eiter
enthielten und nach Entleerung verschwanden. Die Wassermann’sche Reak¬
tion war hier wie dort positiv und obwohl beide Kranke die Infektion leug¬
neten, war die Diagnose durch den spezifischen Befund als sicher anzusehn.
Stey erthal - Kleinen.
Moriz Benedikt (Wien), Rheumatismus und Gicht. (Wiener klin. Rund¬
schau, Nr. 24, 1911.) Früher hat man den Begriff Rheumatismus ungemein
weit gefaßt und eine ganze Reihe von Erkrankungen auf sogenannte Erkäl¬
tungen bezogen, mit der sie nichts zu tun hatten. Polyarthritis, ura-
fcische Gicht und Arthritis deformans sind drei verschiedene,
ätiologisch nicht miteinander verwandte Leiden. Die Polyarthritis ist
eine Intoxikation, die Gicht beruht auf Anhäufung von Harn¬
säure, bei der Arthritis deformans liegt vielleicht eine patho¬
logische Durchlässigkeit gewisser Gefäß me m brauen zu¬
grunde. Auch ex juvantibus erhellt der Unterschied der drei Affektionen,
das Salizyl und das Colchicin sind bekannte Specifica, aber am Unrechten
Platze lassen beide im Stich, ob es gegen die Aufspeicherung von Kalk- und
Knochensalzen bei der Arthritis deformans ein spezifisches Heilmittel gibt,
muß die Zukunft lehren. — Bemerkenswert ist folgende Ansicht des Ver¬
fassers: „Man hat in neuerer Zeit die Leiden durch Erkältung ab-
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Referate und Besprechungen.
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leugnen wollen. Hier liegt wieder einer jener Fehler des biologischen Denkens
zugrunde. — Wenn eine schwitzende Stelle plötzlich einem Luftzuge ausge¬
setzt und die Sehweißsekretion gehemmt wird, werden gewisse Sekret¬
toxine ins Innere befördert und diese werden in der Nähe, aber auch oft
an entfernteren Stellen krankmachend, Lähmungen, Neuralgien bewirken.“ —
Hoffentlich hat die lebende Generation der Ärzte diese Anschauungen bereits
so vollständig „abreagiert“, daß ein Rückfall nicht mehr zu befürchten ist!
Steyerthal - Kleinen.
K. Kolb (Basel), Ein Beitrag zu den Mißerfolgen von Antimeristem
(Kankroidin Schmidt). (Münchn. med. Wochenschr., S. 1076, 1911.) Genaue
Beschreibung eines Falles von inoperabelem Zervixkarzinom, der sich dem
Antimeristem gegenüber absolut refraktär verhalten hat.
Frankenstein (Köln).
Chirurgie.
Cramer, Beitrag zur blutigen Mobilisierung versteifter Gelenke. (Zen-
tralbl. für chir. und mechan. Orthopädie, Bd. 5, H. 1—4, 1911.) Ein Gjähr.
Knabe hatte sich einen Oberschenkelbruch zugezogen, und zwar derart,
daß das periphere Fragment aus der Epiphyse und einem Teil der Diaphyse
bestand. Es war eine solche Dislokation eingetreten, daß eine Resektion
vorgeschlagen war. Verf. ging möglichst schonend vor, indem er das Ge¬
lenk nicht eröffnete, sondern die Fragmente extrakapsulär vereinigte.
Es trat Heilung mit voller Funktion ein. Michaelis (Darmstadt).
P. Delbet (Paris), Chirurgische Behandlung des Emphysems. (Bull,
med., Nr. 47, S. 525—527, 1911.) Durch die Resektion des 2., 3., 4. und 5.
rechten Rippenknorpels hat D eibet aus einer Frau, welche in der qual¬
vollsten Weise unter Emphysem litt, eine ganz gesunde und leistungsfähige
Person gemacht. Bemerkenswert bei der Operation war, daß erst heim Durch¬
schneiden des 5. Rippenknorpels — und dann sofort! i— die Dyspnoe,
Zyanose usw. verschwanden. D. zieht daraus die Lehre, daß man sich nicht
mit der Resektion der 2. und 3. Rippe begnügen dürfe, und in der Tat hat
es vom rein physiologischen Standpunkt aus viel für sich, diejenigen Rippen
zu mobilisieren, hinter denen das Gros der Lungen liegt.
Die Frage, ob man in Rücksicht auf das Ilerz nicht lieber die links¬
seitigen Rippenknorpel durchtrennen soll, läßt D e 1 b e t offen.
Buttersack (Berlin).
Charles Ogilvy (New-York), Entfernte chirurgische Typhuskompiika-
tionen. (The Postgraduate, Juli 1911.) In der Diskussion, die sich an einen
Vortrag O.’s über obiges Thema schloß und in dem dieser entsprechend der
Häufigkeit ihres Vorkommens nacheinander die Typhus-Abszesse, Typhus-
Knochen-, Typhus - Gelenk-, Typhus - Rückenmarkaffektionen und Typhus-
Gangrän besprach, bemerkte Cilley zum Punkte Hüftgelenk, daß, wenn
der Sehwerkranke, wie gewöhnlich, mit gebeugtem, adduziertem und nach
innen rotiertem Gelenk daliegt, es eigentlich grausam ist, ihn zu stören.
Und doch ist es gerade diese Lage, in der es am häufigsten zu einer Dislo¬
kation kommt. Bei den ersten Anzeichen eines Hüftgelenkleidens lege man
daher den Kranken auf den Rücken, messe die Glieder, notiere das Ver¬
hältnis der Trochanterspitze zur Nelaton'schen Linie und vergleiche die
Beweglichkeit des Gelenks mit der der anderen Seite. Eine Pflasterspika
oder Zug wird dann eine Dislokation verhüten, wenn diese nicht schon ein¬
getreten ist. Ist letzteres der Fall, so reduziere man sofort, solange noch
Flüssigkeit im Gelenk und die Kapsel erschlafft ist, und lege dann die
Spika an, um die Knochen in ihrer Lage zu erhalten. Peterson lenkte
die Aufmerksamkeit auf Typhus-Appendizitis und Gallenblasenaffektionen
(Gallenblasen-Empyem), welch letztere auf dem Wege der Infektion durch
die Gallengänge Zustandekommen, wie es denn überhaupt kein Organ des
menschlichen Körpers gebe, zu dem die Typhusbazillen nicht wandern könnten.
Peltzer.
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1100 Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
M. Hofmeier (Würzburg), Zur Frage der Selbstinfektion in der Ge¬
burtshilfe. (Münclm. med. Wochenschr., S. 1057, 1911.) H. bespricht obige
Frage an der Hand zweier Fälle, von denen der eine nur einmal innerlich
untersucht am 8. Tage ad exitum kam. Die epikritische Beurteilung ergab
mit höchster Wahrscheinlichkeit eine tonsillare Infektion und davon aus¬
gehende Sepsis. Der positive Streptokokkennachweis im Blut und in den
Lochien ist wohl metastatischer Natur gewesen.
Wenn nun dieser Fall auch keinen direkten Beweis für eine sichere
autogene Infektion darstellt, da er einmal eub partu innerlich untersucht
worden ist, so muß mau doch die Wahrscheinlichkeit der epikritischen Be¬
weisführung anerkennen. Frankenstein (Köln).
H. Ehret (Straßburg), Beitrag zur Kenntnis des sogenannten Schwanger¬
schaftsdiabetes. (Münchn. med. Wochenschr., S. 893, 1911.) Beschreibung
eines hierhergehörigen Falles, bei dem erst im 6. Monat der Gravidität der
Diabetes auftrat, der durch Regelung der Kohlehydrateinfuhr deutlich beein¬
flußt wurde. Die Geburt verlief glatt. Der Fall zeigt, daß der Diabetes
die Prognose der Schwangerschaft und Geburt nicht immer ungünstig be¬
einflußt. Andererseits muß man wohl annehmen, daß durch die Schwanger¬
schaft eine Verminderung der Kohlehydrattoleranz dauernd herbeigeführt
werden kann, auch wenn der Diabetes post partum verschwindet. In der¬
artigen Fällen wird man also betreffs künftiger Schwangerschaften zur
Vorsicht raten müssen. Frankenstein (Köln).
R. Stern (Breslau), Kaiserschnitt an der Toten. (Münchn. med. Wochen¬
schrift, S. 959, 1911.) Der Kaiserschnitt an der Toten hat im ganzen keine
günstigen Kinderresultate aufzuweisen, weil entweder der Arzt zu spät
kommt oder die Frucht infolge der schlechten Blutzirkulation schon vor
dem Tode der Mutter abstirbt. Man hat deshalb vorgeschlagen, lieber .in
der Agone den Kaiserschnitt vorzunehmen, ohne dabei die Nachteile eines
derartigen Vorgehens zu vergessen (Widerstand der Angehörigen, Fehler
in der Prognosenstellung usw.). St. ist es nun gelungen, bei einer Frau mit
Mitralinsuffizienz üud Nierenschädigung unmittelbar post mortem ein lebendes
Kind mit Sectio caesarea zu entwickeln. Frankenstein (Köln).
Bar u. Devraigne, Schwangerschaft und Tuberkulin. (Lobstetrique,
April 1911.) Nach den Mitteilungen von Stern reagieren von nicht-
schwangeren Frauen 65% positiv auf Tuberkulin, von Schwangeren der
letzten Monate aber nur 28%. Die beiden Autoren haben diese Angaben an
28 Nichtschwangeren, 137 Schwangeren, 198 frisch Entbundenen und 130
Neugeborenen nachgeprüft. Davon reagierten von den Nichtschwangeren
75% positiv auf 1:10000 Tuberkulin, bzw. 89% auf 1:5000; von den
Schwangeren 24% weniger: erst vom 10. Wochenbettstagc nahm die Sensi¬
bilität wieder zu. Merkwürdig ist die Beobachtung, daß schwangere tuberku¬
löse Frauen, deren Prozeß rasch weiterschreitet, wenig reagieren; die anderen
mit stillstehendem Prozeß dagegen heftig. — Die 130 Neugeborenen rea¬
gierten durchweg negativ. Buttersack (Berlin).
Fr. Kirchberg (Berlin), Massage und Gymnastik (physikalische The¬
rapie) in Schwangerschaft und Wochenbett. (Monatsschr. für Geburtsh. u.
Gyn., Bd. 33, S. 433.) K. legt eine Lanze ein für die Massage und Gym¬
nastik in der Schwangerschaft und im Wochenbette. Er bevorzugt hierzu
die passive, dann die aktiv-passive Widerstandsgymnastik, weiterhin die
Atemgymnastik; auch die Ganzmassage kann in der Schwangerschaft be¬
nutzt werden, wenn sie zweckmäßig ausgeführt wird und direkte Reizung
des Uterus vermeidet. — Auf diese Art läßt sich die Obstipation in der
Schwangerschaft günstig beeinflussen, ferner die Schwangerschaftsödeme,
die Varizen, Hämorrhoiden (Bauchmassage), Herzfehler in der Gravidität,
Bronchialasthma, chronische Bronchitis, Emphysem, Hyperemesis gravi¬
darum, Neuralgien und Paresen usw. Er scheut nicht die Massage der Blase
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Referate und Besprechungen.
1101
während der Gravidität zur Bekämpfung der Blasenstörungen, hält aber nicht
viel von der Massagebehandlung des Prolapses. Ganz besonders die Thure-
Brandt-Massage verwirft er. — Besonders lesenswert sind die kurzen Aus¬
führungen über Frühaufstehen der Wöchnerinnen und Gymnastik im Wochen¬
bette. Frankenstein (Köln).
J. Rothschild (Breslau), Über die zweckmäßigste Behandlung der un¬
komplizierten Beckenendlage. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1077, 1911.)
R. wirft die sehr interessante Frage auf, ob nicht bei expektativer Behand¬
lung der unkomplizierten Beckenlage ein unverhältnismäßig großer Kinder-
verlust zu beklagen sei. Er glaubt dies auf Grund des Materials der Bres¬
lauer Hebammenlehranstalt bejahen zu müssen und kommt zu dem Schlüsse,
daß bei jeder Beckenendlage im Interesse des Kindes nach vollständig ge¬
borenem Steiß eingegriffen werden soll (Kristeiler’sche Expression oder
Extraktion). Frankenstein (Köln).-
B. Basset (Breslau), Über Vorfall der Nachgeburt. (Monatsschr. für
Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33, S. 421.) B. beschreibt einen der seltenen Fälle,
in denen bei Querlage der Frucht die Plazenta auf dem inneren Munde ge¬
löst lag: das Kind war abgestorben. Die Frau batte beim Eintreffen ärzt¬
licher Hilfe (es handelte sich um einen poliklinischen Fall) schon so viel
Blut verloren, daß sie 3 /* Stunden nach rascher vorsichtiger Entbindung ad
exitum kam. Frankenstein (Köln).'
Psychiatrie und Neurologie.
K. C. Schneider (Wien), Wiener Psychologie. (Wiener klin. Rundschau,
Nr. 30—34, 1910.) Daß der Arzt die Seelenkunde beherrschen muß, ist zu
keiner Zeit bestritten worden. Nun ist heute die Wissenschaft vom psychi¬
schen Geschehen auf die Basis des physikalischen Experimentes herab-
gedrückt. Die Psychologie ist zu einer Physiologie der Sinnesorgane ge¬
worden. Es ist also an der Zeit, die Aufmerksamkeit des Arztes auf die
Seelen kundigen strengster Observanz zu lenken — schade, daß die Herren
ihre Lehrmeiimugen so oft in ein mystisches Dunkel hüllen. — Der Verf.
läßt unter obigem Titel ein Dreigestirn von Wiener Psychologen an uns
vorüberziehen: S w o b o d a, Freud und Weininger. Allein er ist ge -
recht genug, um zu erwähnen, daß einem Berliner das Hauptverdienst, ge¬
bührt, nämlich Wilhelm Fließ, denn von diesem hat die Richtung ihren
Ausgang genommen. — Fließ stellte fest, daß es ebenso wie beim Weibe
auch beim Manne bestimmte Perioden gibt, die zeitlich genau abgegrenzt
sind. An Stelle der Menstruation treten beim Manne die Ersatzphänomene,
d. h. somatische Nebenerscheinungen, Verdauungsstörungen, Kreuzschmerzen,
Nasenbluten, Angstanfälle. — S w o b o d a hat die psychische Periode
entdeckt, er hat die durch Fließ bekannten 23 bzw. 28tägigen Intervalle
im Psychischen nachgewiesen. Es gibt also zwei Reihen von Zuständen,
die das Leben wie das Bewußtsein beherrschen und die beiden Geschlechtern
wesentlich sind. Auf den seinerzeit zwischen den genannten beiden Forschern
entbrannten Prioritätsstreit geht der Verf. nicht weiter ein. — Die Perioden-
lehre leitet direkt zu Sigmund Freud und seiner Traumdeutung
hinüber. S w o b o d a hat die Periodizität der Träume erwiesen und das
Chaotische, das Nebeiieinandertretoii ganz heterogener Elemente % wird dadurch
gut erklärt. Freud läßt die Traumeinfälle nicht periodisch bedingt sein,
er ist also ein Gegner dieser Lehre und hält die Träume für Wunscherfül-
lungen. Der Traum realisiert, er setzt unsere Wünsche in Halluzinationen um,
die Avir für wirklich halten müssen. Neben den Wunschträumen gibt es auch
Furcht-, Haß-, Zorn-, Eifersuchts- und Anbetungsträume, alle Motive der
Menschenseele realisieren sich durch die Phantasie zu Bildern. — Von den
Träumen schlägt Freud eine Brücke zur Hysterie, die nach seiner Deutung
auf der früh entwickelten — infantilen — Geschlechtlichkeit beruht. Mit
Recht fragt der Verf. an dieser Stelle: „Muß sich denn alles um das
Sexuelle drehen? Sind die Menschen wirklich alle solche — Tiere,
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Referate und Besprechungen.
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wie uns Freud glauben machen will?“ Ebenso richtig ist der von ihm
aufgestellte Satz: „Wenn es das Tier an uns ist, das vom Geiste als
ein Fremdkörper empfunden wird, dann kann nicht bloß das ge¬
schlechtliche Bedürfnis als Ursache der Hysterie gelten, sondern
alle sinnlichen Bedürfnisse dürften wohl in gleichem Sinne
wirken.“ — D.'er dritte Wiener Psychologe, der nach Ansicht des Verf. der
Unsterblichkeit sicher ist, Weininger, hat den Gegensatz zwischen Mann
und Weib zu seinem Studium gewählt. Mann und Frau stehen sich als Sub¬
jekt und Objekt gegenüber. Das Weib hält er für unsittlich und seelenlos.
Der Verf. bemerkt dazu: „Weininger hat den Bogen, mit dem er auf das
Weib schoß, zu straff gespannt, doch das hindert nicht, daß er das beste
über das Weib geschrieben hat, was mir, soweit bekannt, darüber existiert.“
— Auf die in dem Artikel enthaltenen eigenen Anschauungen des Verf.,
insbesondere auf seine „siebendimensionale Struktur der Welt“ näher ein¬
zugehn. erübrigt sich von selbst, denn bevor wir ihm auf dies schwierige
Gebiet folgen können, müß er uns erst noch weiteres darüber erzählen.
Immerhin wird der Arzt ihm dankbar sein für die Anregung, die in der
Arbeit gegeben ist, sich auch einmal mit solchen Ideen zu beschäftigen, mit,
denen „die heutigen seelenlosen Psychologen ebensowenig anzufangen wissen,
wie hungrige Gäule mit Goldkörnern“. Steyerthal-Kleinen.
K. Bonhöfer (Breslau), Wie weit kommen psychogene Krankheits-
zuständc und Krankheitsprozesse vor, die nicht der Hysterie zuzurechnen
sind? (Allg. Zeitschr. für Psych., Bd. 68, H. 3.) Die große Rolle, welche
man ursprünglich den psychischen Faktoren bei der Entstehung aller Psy¬
chosen zugeschrieben hat, ist allmählich auf die hysterischen Zustandsbilder
beschränkt worden, so daß man eine hysterische Erkrankung annahm, wenn
eine ausgesprochene Abhängigkeit hinsichtlich Entwickelung und Verlauf
von psychischen Faktoren zu erkennen war. Dieses diagnostische Kriterium
läßt sich für die Hysterie nicht mehr aufrecht erhalten, sondern nur für die
größere Gruppe der psychogenen Erkrankungen. Während hier ganz allgemein
Vorstellungen emotioneller Art als hervorrufende Momente in Betracht kom¬
men, ist es bei der Hysterie im speziellen eine bestimmt geartete Willens-
richtung, z. B. der Wille zur Krankheit und das Durchscheinen dieser
Willensrichtung in der Krankheitsdarstellung. Welche anderen psychogenen
Krankheitszustände gibt es nun noch? Die Schreckemotion ruft einen vaso¬
motorisch-neurotischen Symptomenkomplex hervor, also das Bild einer Herz-
neurose mit Phobien einerseits, Apathie andererseits, nicht aber eine Hysterie,
die wie die Beobachtungen in Messina zeigten, sich nur bei Individuen fest¬
stellen ließ, welche auch schon vorher hysterische Symptome aufwiesen.
Dieser vasomotorisch-neurotische Symptomenkomplex ist der einzige psycho¬
gen entstehende, welcher keiner psychopathischen Grundlage zu bedürfen
scheint. B. hält es für “unzweifelhaft, daß eine plötzlich einsetzende und nach¬
haltige Sehreckwirkung, also ein rein psychisches Moment, eine organische
Gehirnalteration auch ohne vorher bestehende Arteriosklerose hervorrufen
kann. — Alle anderen psychogenen Zustandsbilder haben eine (angeborene
psychopathische Konstitution zur Voraussetzung, so daß die psychogene
Auslösbarkeit eines psychopathologischen Zustandes ein Kriterium der degene-
rativen Anlage darstellt. Die selbständigen Phobien tund Zwangserscheinungen
gehören nicht hierher, sondern sind meist Begleiterscheinungen endogener
meist periodischer Depressionszustände. Unter den psychogenen, auf dem Boden
der Entartung entstandenen Erkrankungen hat man zu unterscheiden, ob das
psychotische Zustandsbild lediglich die Steigerung einer bestimmten Affektiven
Anlage bedeutet oder der vorhandenen psychopathischen Konstitution selb¬
ständiger gegenübersteht. Zur ersten Gruppe gehören die reaktiven Depres¬
sionen und viel selteneren Manien, ferner die auf dem Boden der überwertigen
Ideen erwachsenden paranoischen Prozesse, indem bei Individuen mit schon
von Jugend an eigenartiger Reaktionsweise, z. B. unter dem Eindruck affekt-
betonter Erlebnisse krankhafte Eigenbeziehungen entstehen. Die paranoisch-
quärulatorischen Unfallrentner gehören mit einem Teil ihrer Symptome hier-
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Referate und Besprechungen.
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her, andere Erscheinungen, z. B. die Erinnerungsfälschungen, sind bei ihnen
hysterische Komplikationen, anderes erinnert wieder mehr an das epileptoide
Temperament. Auf keinen Fall gehören alle Quärulanten zum manisch-
depressiven Irresein. In die zweite der oben bezeichnten Hauptgruppen ge¬
hören die affektepileptischen Anfälle, die man auch reaktiv (epileptisch
nennen könnte. Außer dieser psychogenen Ursache unterscheiden sie sich von
den wirklich epileptischen durch das Ausbleiben der Demenz und durch
das Fehlen von Petit mal. Häufiger noch sind die emotionell ausgelösten
Dämmer-, Erregungs- und Wutzustände. Für diese Art der Erregung spricht
die Neigung zu ekelerregenden Handlungen, die häufige Situationsverkennung
im Sinne des Bedrohtseins und die sinnlose weit über die Abwehrreaktion,
hinausgehende Aggressivität. In diese Gruppe gehören auch die Zustände
von planlosem Fortlaufen, ausgelöst durch Furcht. In die große zweite
Gruppe sind auch zu rechnen die halluzinatorisch-paranoischen Psychosen,
welche in subakuter Weise meist im Gefängnis entstehen. Für die psycho¬
gene Natur dieses scheinbar progredienten Leidens spricht die erhebliche
Besserung mit der Herausnahme aus dem Strafvollzug. Von diesen beiden
Gruppen abzutrennen und der Hysterie zuzurechnen sind die haftpsycho¬
tischen Komplexe (Ganser’schen Dämmerzustände, Pseudodemenzen mit Aus¬
fall der elementarsten Erfahrungen, Stuporzustände, halluzinatorisch-deli-
rante Zustände, katatonische Bilder, welche durch die ausgesprochene Ab¬
hängigkeit des Verlaufs von psychischen Faktoren und das Ausbleiben aller
Defektsymptome trotz jahrelangen Bestehens sich von der echten Katatonie
unterscheiden), der Hysterie sind diese also zuzurechnen, weil sie eine
Wunscherfüllung ausdrticken. Um Simulation handelt es sich natürlich
nicht. Hierhin gehören auch die Fälle von labilem Persönlichkeitsbewußt¬
sein mit autosuggestiven pseudologischen Größenideen. Zweig (Dalldorf).
P. Jödicke (Stettin), Die Bewertung kochsalzarmer und kochsalzreicher
Nahrung für die Therapie der Epilepsie. (Zeitsehr. f. d. ges. Neur. u. Psych.,
Bd. 5, H. 3.) Beide Modifikationen der Nahrung sind allein ohne Einfluß
auf die Häufigkeit der Anfälle, so daß die Bromdarreichung also von sehr
erheblichem spezifischem Einfluß ist. Bei der Entchlorung des Organismus
treten andrerseits sehr unangenehme Erscheinungen auf in Form von körper¬
lichen Rückgang, von Beuommenheitszuständen und Erregungszuständen von
leichter Reizbarkeit bis zum Wutanfall. Wenn auch hierin namentlich bzl.
der Benommenheitszustände sowie in den mühsamen, zittrigen Bewegungen
und dem Fehlen der mimischen Aktion Übereinstimmungen zum Bromismus
sich finden, so weisen doch die bei letzterem allein aufgehobenen Korneal¬
und Würgreflexe, sowie das Fehlen der Akne bei der Chlorverarmung darauf
hin, daß die Bromvergiftung nicht lediglich eine Chlorverarmung darstellt.
Zweig (Dalldorf).
R. Gaupp (Tübingen), Über den Begriff der Hysterie. (Zeitsehr für
d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 4.) Die Hysterie ist keine Krankheitseiu-
heit, sondern die auf Beeinträchtigung der regulierenden Hemmungsmechanis¬
men beruhende abnorme Reaktionsweise eines Individuums auf die Anforde¬
rungen des Lebens, und in seiner pathologischen Bedeutung daher keine starre
Größe, sondern nur an dem Verhältnis von Individuum und Außenwelt zu
messen (z. B. Weinkrampf Bismarcks nach der Schlacht bei Koniggrätz).
Weil sich im Laufe des individuellen Lebens eine immer festere Zuordnung
zwischen gefühlsmäßigem Erlebnis, intellektueller Verarbeitung und bewu߬
ter Willensbetätigung vor allem energischer Willenshemmung herausbildet,
schwächt sich der motorische Ausdruck der hysterischen Reaktionsweise mit
dem Lebensalter allmählich ab. Auch denjenigen organischen Leiden, Ver¬
giftungen und Psychosen, bei denen hysterische Symptome Vorkommen, ist.
gemeinsam die Störung oder Lockerung des festen Regulierungssystems z. B.
Dem. praecox, Paralyse. Zweig (Dalldorf).
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Referate und Besprechungen.
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Medikamentöse Therapie.
W. H. Becker (Weilmünster), Über Schlafmittelkombinationen. (Reichs-
Mediz.-Anz., Nr. 15, 1911.) Auf die verstärkte Wirkung von Gemischen
wurde B. zufällig bei der ausgezeichneten Wirkung folgender Kombination
gegen Kopfschmerzen aufmerksam: Rp. Acetanilid 0,175, Phenaz. 0,3, Anti-
pyr. 0,5, Sacch. alb. 1,0. Seit Monaten wendet er als Schlafmittel Hyoscin-
Morph. und Paraldehyd an; von 3 g Morph., Vs £ Hyosc. in 200 g Wasser
werden je nach Bedarf 4 /io> 6 /io> 8 /io einer Pravazspritze gegeben. Vor der
Hyoscin-Morphingabe werden zur Verstärkung 2—10 g Paraldehyd per os
gegeben, oder es wird das Paraldehyd gegeben, wenn die Kranken aus dem
Hvosein-Morphinschlaf erwachen und zu lärmen beginnen. Diese Fälle waren
meist ablaufende, schon jahrelang bestehende oder von chronischer Er¬
regung begleitete Erkrankungen an Dementia praecox; bei Erregungs- und
Schlaflosigkeitszuständen der senilen (arteriosklerotischen) Demenz führt L.
die fehlende Nachtruhe durch 3 /io Pravaz H.-M. mit 2—3—5 g Paraldehyd
als Zusatz per os herbei. S. Leo.
Seiler (Bern), Über die Rolle des Arseniks bei der Behandlung der
Chlorose. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 29, 1911.) Durch Versuche,
die Seiler an seiner Privatklientel und dem Material der Poliklinik an-
stellte, wobei also die hygienisch- diätetischen Einflüsse ausgeschaltet blie¬
ben, hat er die eigentümliche Tatsache nachgeprüft, daß bei Chlorose Arsen
allein keine Erfolge erzielt, dagegen Eisen und noch mehr die Verbindung
von Eisen und Arsen sehr gute Resultate aufweist. In 3 Versuchsreihen
fand er einmal, daß mjit Arsen gar nichts erreicht wurde, daß dagegen
mit Eisen allein eine prompte Wirkung eintrat und dasselbe fand sich bei
Kombination von Arsen mit Eisen. Verglich er nun die Wirkung der beiden
letzten, so zeigte sich, daß in der ersten Woche kein Unterschied bestand.
Dagegen war in der zweiten und dritten Woche bei der kombinierten Methode
die Zunahme an Erythrozythen und Hämoglobin eine wesentlich größere
wie bei der ausschließlichen Eisendarreichung. In der vierten Woche waren
dann die Heiluugsfortschritte wieder gleich. Da also offenbar bei der
kombinierten Methode die Heilung viel rascher fortschreitet, empfiehlt sie
sich besonders da, wo schnelle Besserung dringend erforderlich ist.
Seiler beschäftigt sich sodann mit der theoretischen Frage, wie
dieser Vorgang zu erklären ist, und kommt zu dem Resultat, daß das Arsen
durch die Anwesenheit von Eisen auf das Knochenmark einen Einfluß er¬
hält, dev ihm ohne dieses abgeht. Ähnlich glaubt er sich auch die günstige
Wirkung des Arseniks bei der perniziösen Anämie erklären zu können.
Hier ist das Eisen im Organismus durch den Zerfall der Erythrozyten frei
geworden und wirkt als Reizmittel auf die Blutbildung. Fj Walther.
Rudolf Klotz (Tübingen), Über die therapeutische Anwendung von
Pituitrin (Hypophysenextrakt) mit besonderer Berücksichtigung seiner blut¬
drucksteigernden Komponente. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1119, 1911.)
Kl. legt in einer äußerst fleißigen und vorsichtig abgefaßten Arbeit seine
Erfahrungen mit Pituitrin dar. Es gelang ihm sowohl im Tierexperiment
als auch klinisch die enorm blutdrucksteigernde Wirkung des Pituitrins zu
erweisen. Ebenso gute Dienste leistete es als Uterustonikum; es übertrifft
das Secale wesentlich, doch scheinen die Angaben Hofbauer’s von einer
Wirkung des Präparats als Wehenmittel ante partum zum mindestens ver¬
früht. Als Dosis für Erwachsene kommt 0,2 g frische Drüsensubstanz in
Betracht; dies entspricht einer Ampulla von Borrough Wellcome & Co. Die
Applikation erfolgt intramuskulär.
Die schnelle Wirkung dieses kombinierten Uterus-, Herz- und Gefä߬
tonikums sichert dem Präparat einen Platz in der Behandlung der Uterus¬
atonien und der akuten Anämien (Extrauteringravidität!); man kann es
weiterhin verwenden bei postoperativem Schock und in der Behandlung der
Peritonitis. In letzterem Falle sind die Nebenwirkungen, Steigerung der
Diurese und Anregung der Peristaltik, von besonderem Werte.
_ Fran ken stein (Köln).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911
Tort$cftrim der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. c. ßritgein
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rlgler in Darmstadt,
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 47. ! Halbjahr. 23. Novbr.
|| - ' Verlag von Georg Thietne, Leipzig, .. sag ||
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung der Retroflexio uteri.
Von Professor Dr. Knyser, Köln.
Der Uterus der geschlechtsreifen Frau liegt in stehender Stellung
bei leerer Blase und leerem .Mastdarm etwa horizontal, l)ei der Virgo
mehr bogenförmig nach unten gekrümmt, und zwar schwebend, d. h. die
jeweilige Lage dos Organs ist von der wechselnden Füllung der Nachbar¬
organe abhängig.
Diese physiologischen Lagebeziehungen, welche früher Gegenstand
vielfacher Erörterungen waren, sind uns heute ein geläufiges Wissen;
über dem die klinische Bedeutung und die Behandlungsbedürftigkeit der
von dem Typus abweichenden Lagen bestehen jedoch bis heute Meinungs-
ve r sch i edenhe i te n.
Rechts- und Linksverlagerungen, Dextro- und Sinistrover
sionen. infolge Narbenzugs auf der gleichen oder Verdrängung durch
Tumoren oder Exsudate auf der anderen Seite; Rotationen des Organs
durch narbige Verkürzung einer Douglassehen Falte, durch welche es
zu einer Abdrehung um die relativ stark fixierte Cervix hommen kam;
Achsendrehungen des Uterus, welche in etwa gleicher Häufigkeit
auf Geschwülste des Uterus und der Ovarien zu beziehen sind, bean¬
spruchen selbstverständlich eine die ursächlichen Veränderungen an¬
greifende Behandlung. Anteflexionen bedürfen im allgemeinen keiner
Therapie, nur pathologische Anteflexionen, d. h. starre Lagerungen
des Uterus in einer durch die Blasenfüllung nicht mehr auszugleichenden
Beugungskurve können, sofern sie mit Beschwerden verbunden sind,
therapeutische Maßnahmen notwendig machen. Diese greifen gleichfalls
nicht in erster Linie die Lageanomalie au, bezwecken vielmehr die
Beseitigung der zu der Lageveränderung führenden entzündlichen metri-
tischen Prozesse. Im allgemeinen konzenrtiert sich jedoch das thera¬
peutische. Interesse des Praktikers auf die Lage, bei welcher der Uterus
dauernd über die hintere Fläche geknickt liegt, derart, daß Körper
und Zervix einen nach hinten offenen stumpfen oder spitzen Winkel
bilden: die Retroversio-Flexio uteri. Meist ist diese Verlagerung mit
einem Tiefstand des Uterus (Descensus uteri) verbunden.
Die Genese der Anomalie kann ich im Rahmen dieser Zeilen nur
insoweit streifen, als sie für therapeutische Erwägungen Interesse hat.
Erfahrungsgemäß finden sich neben Fällen mit anatomisch leicht er¬
kennbarer Entstehungsursache (Fixation der Portio vaginalis vorn,
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Kayser,
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Schrumpfung der hinteren oder Verlängerung der vorderen Uteruswand,
entzündliche Fixationen zwischen dem .Peritonealüberzug des Corpus
uteri und Rektum) ätiologisch unklare Fälle. Immer wieder stoßen
wir jedoch bei ätiologischen Erwägungen auf die ursächlichen Be¬
ziehungen zwischen der Lageanomalie und einem Puerperium; oft werden
die charakteristischen Beschwerden von den Patientinnen selbst mit
Sicherheit auf das Wochenbett bezogen. Daß der in normaler Weise
fixierte Uterus unter dem Einfluß der in Puerperio innegehaltenen
Rückenlage Retroflexionsstellung einnimmt, ist unwahrscheinlich. Wir
können uns aber den Zusammenhang verständlich machen, wenn wir
einen Teil auf symptomlos bestehende angeborene Retroversionen, welche
sich im Wochenbett ausgeglichen haben, beziehen oder als Ausdruck
einer Insuffizienz des Ligamentapparats infolge der Schwangerschaft
und des Geburtsvorganges ansehen. Das Leiden würde somit als „Partial¬
erscheinung einer Enteroptose“ (Küstner), die wir so häufig als Wochen-
bettfolgv. auftreten sehen, aufzufassen sein. In prophylaktischer Be¬
ziehung ergibt sich hieraus ohne Weiteres der Wert einer sorglich
beobachteten Wochenbettshygiene (häufiges Urinieren, besondere im Spät¬
wochenbett !). *
Auch über die klinische Wertung der Retroflexio hat man seit
langem lebhaft diskutiert. Noch heute neigen manche (Theilhaber,
Kreutz mann, Krönig u. a.) dazu, die Retroflexionsbeschwerden als
Ausdruck einer Hysteroneurasthenie aufzufassen und die Lageanomalie
als solche für bedeutungslos zu erklären.
Es ist eine jedem beschäftigten Gynäkologen zur Genüge bekannte
Tatsache, daß uns bei vielen an Retroflexio uteri leidenden Patientinnen
das bunte mosaikartige Bild hysterischer Erscheinungen in den
mannigfachsten Kombinationen entgegentritt: Kopfschmerzen, Rücken¬
schmerzen, Migräne, Kardialgie, Globus hystericus, hysterischer Husten,
Obstipation, nervöse Dyspepsie, Appetitlosigkeit, Ovarie, Interkostal-
schmerz u. a. m. Noch sehr viel häufiger sehen wir aber allein oder
mit diesen Symptomen vergesellschaftet krankhafte Erscheinungen aus¬
gesprochen örtlicher Natur. Infolge der durch die Rückwärtslagerung
eintretenden Torquierung der im Lig. latum verlaufenden dünnwandigen
Venen, der dadurch entstehenden Blutstauung und ödematösen Schleim-
hautschwellung des Uterus kommt es zu Blutungen, zumeist in Gestalt
verstärkter Menstruationen (Menorrhagien), seltener unregelmäßiger
Blutungen (Metrorrhagien) und zu starken intermenstruellen Schleim¬
flüssen, dem sog. „weißen Fluß“. Beide können zu der schweren Anämie
führen, die wir da so häufig bei Trägerinnen der Retroflexio beobachten.
Weiterhin sehen wir Störungen von seiten der Nachbarorgane: fast
regelmäßig Obstipation, welche als Reaktion auf die chronisch-entzünd¬
lichen Veränderungen anzusprechen und nicht etwa auf eine bei den
gegenseitigen Lagebeziehungen unwahrscheinliche Verlegung des
Darmrohrs zu beziehen ist; seltener Blasenbeschwerden, welche sich
in allerdings sehr vereinzelten Fällen, zumal in der Schwanger¬
schaft, zu Ischuria paradoxa mit fortdauerndem Harnträufeln
steigern können. Hierzu kommen die mitunter unerträglichen, in
einem Prozentsatz der Fälle charakteristischen Rückenschmerzen, welche
zum Teil als typische Coccygodynie, zum Teil als eigenartige,
zwischen die Schulterblätter bis in die Halsgegend ausstrahlende
Schmerzen bezeichnet werden. Inwieweit in diese Gruppe die ab und
zu beobachtenden nervösen Erscheinungen an den unteren Extremitäten:
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Die Behandlung: der Retrofiexio uteri.
1107
Formikationen, Paresen, welche mitunter rein nervöser Natur sind,
aber auch sehr wohl auf gleichzeitige entzündliche Beteiligung eines
Ischiadikus bezogen werden können, lasse ich dahingestellt.
Ali diese Symptome, deren örtlich begrenzte auslösende Ursache
deutlich erkennbar ist, haben jedenfalls mit Hysterie zunächst nichts
zu tun. Wie wollen wir auch erklären, daß wir die Erscheinungen
in dieser Geschlossenheit eben nur bei der Retrofiexio uteri und bei
keiner anderen Lageanomal ie sehen ?
Vor allem spricht aber gegen die psychogene Erklärung der Be¬
schwerden auch der Effekt der Therapie. Es gelingt uns nicht nur
in vielen Fällen, diese Lokalsymptome durch eine Richtiglagerung des
Organs mit einem Schlage zu beseitigen; wir sehen vielmehr auch
die in mehr entfernteren Gebieten erscheinenden nervösen Symptome,
häufig allerdings meist allmählich abklingend, verschwinden, und zwar
dauernd. Gerade der Dauererfolg l>eweist, daß die Symptome nicht
hysterischer Natur sind. Denn es darf geradezu als Regel gelten
(diese Kenntnis ist für die prognostische Einschränkung eines etwa
durch operativen Eingriff in Aussicht gestellten Heilerfolgs von hoher
Bedeutung!), daß bei Hysterischen, bei welchen eine Retrofiexio uteri
beseitigt wird, die allgemein nervösen Beschwerden nach Verlauf
einiger Wochen (meist 6—8 Wochen) von neuem auftreten. Für diese
Fälle bestehen die Worte Krönig’s 1 ) gewiß zu Recht: „in den meisten
Fällen kehren die Beschwerden sehr bald wieder, wenn die Frauen
aus dem geregelten ruhigen Leben der Klinik wieder in das arbeits¬
reiche Leben heraustreten, sobald neue Anforderungen an die Frauen
gestellt werden, sobald psychische Attacken das Nervensystem treffen“.
Aber diese Fälle bilden nach unseren und anderer Erfahrungen Aus¬
nahmen.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich ohne weiteres die Berechtigung
einer Ix>kalbehändlung des Leidens, für welche die Mehrzahl der deut¬
schen Gynäkologen trotz lebhafter gerade in der letzten Zeit wieder
hervortretender Einwände heute eint ritt.
Die Behandlung des Leidens bietet naturgemäß zwei Angriffs¬
punkte. 1. Reposition des Uterus, 2. Erhaltung des Organs in seiner
regelrechten Lage.
Die Technik der Reposition ist eine einfache: Der in die Vagina
eingeführte Finger hebt den vom hinteren Scheidengewölbe aus fühl¬
baren Uteruskörper in die Höhe. Während die zweite Hand das Organ
von den Bauchdecken umgreift und in Anteflexionslage führt, drückt
der in der Vagina liegende Finger die Portio nach hinten. Mißlingt
die Reposition, so zieht man zweckmäßig vermittels einer in die vordere
Muttermundslippe eingefachten Musseux’schen Zange die Portio nach
vorn unten, drückt vom hinteren Scheidengewölbe oder vom Rektum
aus gegen das Corpus uteri und schiebt gleichzeitig die Portio nach
hinten.
Mitunter empfiehlt es sich, mit diesen Repositionsmanövern einen
Versuch mit der Sonde zu verbinden. Diese Methode hat bekanntlich
lebhaften Widerspruch, vor allem von B. S. Schultze erfahren. Man
hat ihr die Gefahr der Perforation des Uterus und die Unmöglichkeit,
etwa bestehende Repositionshindernisse festzustellen, zum Vorwurf ge¬
macht. Führt man jedoch mit leichter Hand eine gewöhnliche starke
l ) Krönig, Operative Gynäkologie, TI. Auf!., S. 241. Leipzig 1907.
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Uterussondc mit der Konkavität nach hinten in den Uterus ein, läßt
sie dann vorsichtig in weitem Bogen langsam derart dammwärts gleiten»
daß sie ihre Normal läge annimmt , übt man dabei mit Vermeidung
jedes nach oben gerichteten Drucks einen stetigen Zug nach unten aus,
so kann man sich wohl mit Sicherheit gegen die Durchbohrung selbst
des puerperalen Uterus schützen. Allerdings sollte die Narkose ver¬
mieden werden, denn auch hier gilt der Satz: Der Schmerz ist der beste
Wächter der Gesundheit. Findet die Sonde bei diesem schonenden Ver¬
such — denn nur für einen solchen eignet sieh das Instrument
irgendein Hindernis, so ist jede weitere Sondenbewegung grundsätzlich
aufzugeben. Bei dicken Bauchdecken, welche ein Umgreifen des Organs
nicht gestatten, bei empfindlichen Patienten, welche zu einer Entspan¬
nung der Bauchdecken unfähig sind, führt sogar die Sondenreposition
nach unseren Erfahrungen rascher wie die anderen Methoden zum Ziel.
Beim Mißglücken dieser Repositions versuche tritt die Narkose in
ihr Recht. Oft gestattet sie eine überraschend leichte Reposition eines
vorher weder manuell noch mit Sondenbenutzung zu reponierenden
Uterus. Erfahrungsgemäß wird eine Adhärenz des Uterus viel zu
häufig angenommen. Zudem gestattet die Narkose (darin liegt ihre
Hauptbedeutung) in schwierigeren Fällen allein eine genaue anatomische
Diagnose. V enn wir auch die feineren peritonealen Adhärenzen auch in
Narkose nicht deutlich abtasten können, so können wir doch ihre Folge¬
erscheinungen deutlich nachweisen: das eigentümlich federnde Zurück-
schnellen des in Anteflexionsstellung gedrängten Organs, welches der
vom Abdomen tastenden Hand beim Nachlassen des Drucks sofort ent¬
weicht. Wir können außerdem die Narkose therapeutisch insofern ver¬
werten, als wir den in manchen Fällen aussichtsreichen Versuch machen,
nach der alten Schultze’schen Methode durch vorsichtiges Gegencin-
arbeiten der in der Scheide liegenden und der vom Abdomen palpierenden
Hand eine stumpfe Lösung der Fixationen herbeizuführen.
Nach erfolgter Reposition gilt es, den Uterus in seiner Normal¬
lage zu erhalten. Zur Erfüllung dieses zweiten Behandlungsprinzips
stehen uns zwei Methoden zur Verfügung: die Pessarbehandlung und
die Richtigstellung auf blutig-operativem Weg. Nach früheren An¬
schauungen kam dem Pessar die zwiefache Aufgabe zu, zu reponieren
und die Normal läge zu erhalten. Die moderne Gynäkologie will ledig¬
lich die letztere Leistung von ihm erfüllt sehen.
Wir verfügen nach einer Zusammenstellung Neugehaue.Fs über
annähernd 400 verschiedene Pessarformen. Nachdrücklich zu warnen
ist vor der Anwendung des früher viel gebrauchten Meyer schon aus
weichem Gummi bestehenden Rings und des Intrauterinpessars. Auch
letzteres ist in seiner kombinierten Anwendung mit Scheidenpessar,
wie sie noch B. S. Schultze vorschlug, ein in seinen Folgen unberechen¬
bares Instrument, welches einer Infektion Tür und Tor öffnet. Für
unsere praktischen Bedürfnisse genügen 3 Pessare: der Schultze sehe
Zclluloidring, das Hodgepessar und das Thomas- bzw. Smithpessar. Die
Bevorzugung des einen oder anderen Pessars ist, wenngleich die ver¬
schiedenen Formen durch einige. Besonderheiten charakterisiert sind,
mehr Sache des persönlichen Geschmacks.
Der Sch ul tze’sehe Zelluloidring läßt sich bekanntlich durch heißes
Wasser stark erhitzt in eine für den Einzelfall geeignete S-ähnliche
Form biegen und gestattet somit am ehesten, eine individualisierende
Behandlung.
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Die Behandlung der Ketroflexio uteri.
1109
Die Hodgepessare lassen sieh am bequemsten und einfachsten hand¬
haben: erforderlich ist aber die genaue Auswahl einer Form, welche die
Portio zwingt, an der hinteren Beckenwand zu bleiben.
Die stabilen, fertig gebogenen, aus Hartgummi oder Hartglas be¬
stehenden Thomas- und Smith-Pessare sind besonders bei straffer enger
Scheide schwer einführbar (ein kurzer energischer, allerdings oft
schmerzhaft empfundener Druck auf den hinteren Bügel erleichtert
die Einführung noch am ein st n); doch sind sie mit ihrem stark ge¬
bogenen hinteren Bügel, zumal bei Fallen mit schlaffer Scheide und
sehr beweglichem Uterus, für die Erhaltung der Normal läge besonders
geeignet.
Die Einführung der Pessare geschieht bei all diesen Modifikationen
in gleicher "Weise. Während die linke Hand die Rima zum Klaffen
bringt, führt die rechte Hand das schräggestellte Instrument, unter sorg¬
fältiger Vermeidung der Urethra in die Scheide ein. Der linke Zeige¬
finger drückt alsdann den hinteren Bügel an der Portio vorbei in
das hintere Scheidengewülbe, derart, daß die Konkavität des Pessars
bauch wärt« sieht. Entscheidend für die Beurteilung des guten Sitzes
ist die Beobachtung, daß das Pessar nicht aus der Rima heraussieht
und daß die Patientin, zumal beim Sitzen und der Defäkation, das
Gefühl, einen Fremdkörper zu tragen, nicht besitzt. Die weiteren
ärztlichen Weisungen sind etwa folgende: ein- bis zweimal wöchentlich
hat eine Ausspülung mit einem schwachen Desinfiziens (Bor-, Soda¬
lösung, Liq. Alsol. u. a.) zu erfolgen; für regelmäßige Entleerung,
leichte Defäkation ist Sorge zu tragen; leichtere methodische gym¬
nastische Übungen (Kad fahren, Bergsteigen, Schwimmen) mit Vermei¬
dung größerer turnerischer Leistungen; Tragen von Reformkleidung
an Stelle die Taille einengender Korsetts sind empfehlenswert.
Die Kontrolle des richtigen Sitzes hat nach den Erfahrungen der
Praxis einige Male alle 3 bis 4 Tage, später in ein- bis mehrmonat¬
liehen Pausen stattzufinden. öftere Untersuchungen sind bei richtig
gehandhabter Hygiene durchaus unnötig. Ob und in welcher Zeit es
gelingt, durch das Pessar eine Heilung in dem Sinne zu erzielen,
daß der Uterus auch ohne Pessar seine Normallage beibehält, laßt
sieh im Einzelfall nicht mit einer annähernden Sicherheit Voraus¬
sagen. Im allgemeinen wird, und zwar nicht nur vom Laienpublikum
mit zu kurzen Zeiträumen gerechnet. In Heilung übergehende Fälle
erfordern zumeist eine viel monatliche orthopädische Korrekturstellung.
Chancenreich sind naturgemäß in erster Linie die in puerperio fest-
gestellten bzw. behandelten Fälle, da im Verein mit den physiologischen
KüekbildungsVorgängen am Genitalapparat am ehesten eine Straffung
und Festigung des Ligamentapparates erwartet werden darf; ein defini¬
tiver Heileffekt der Pessarbehandlung läßt sich aber auch für diese
Fälle nicht mit Sicherheit in Aussicht stellen.
Trägt somit die Pessartherapie an sich den Stempel eines zu¬
nächst nur symptomatologischen Heilmittels an sich, erwägen wir weiter,
daß sic eine Verletzung des Hymens zur Voraussetzung hat, daß sie
bei nervösen Frauen, welche das Gros der Trägerinnen einer Reflexio
stellen, häufig die nervösen Beschwerden aufs heftigste steigert, daß
sie eine lange Behandlung verlangt, ohne die Garantie einer Dauer¬
heilung zu geben, so ergibt sich aus dieser Betrachtung ohne weiteres
die Berechtigung, den Patientinnen von vornherein eine operative Be¬
handlung in Vorschlag zu bringen, welche selbstverständlich bei den
für eine Pessarbehandlung ungeeigneten Fällen ohne weiteres geboten ist.
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1110 Kayser, Die Behandlung der RetroHexio uteri.
Zur Erzielung der operativen Lagekorrektur hat man verschiedene
Wege eingeschlagen. Man hat den Uterus an der vorderen Bauchwand,
an der Scheide bzw. an der Blase fixiert oder eine Verkürzung der für
die Lage des Uterus in Betracht kommenden Bänder in Vorschlag ge¬
bracht, und zwar 1. der Lig. sacrouterina, 2. der Lig. rot. Letztere
hat man vom Abdomen, vom eröffneten vorderen Douglas und vom
Leistenkanal aus in Angriff genommen.
Die Ventrifixur wird in direkter und indirekter Weise vor¬
genommen.
Bei der Ventrifixur nach Leopold-Czerny wird das Corpus
uteri, und zwar zweckmäßig in seinem unteren Abschnitt leicht an
der vorderen Bauchwand befestigt. Die Fäden werden auf der Bauch¬
haut geknüpft.
Olshausen führt um die Ansatzstelle der Lig. rot. jederseits
einen Silkwormfaden, welchen er seitlich am unteren Wundwinkel,
und zwar oberhalb der Muskulatur an der vorderen Bauchwand fixiert.
Doleris 1 ) hat das Prinzip Olshausen’s in der Weise modifiziert,
daß er die Ligamente 2 bis 3 cm vom Wundrand entfernt durch knopf-
lochartige Öffnung durch Peritoneum, Rekti abdominis und Aponeurose
hindurchzieht und auf der Vorderfläche der Faszie mit einigen Nähten
befestigt.
Bei der Vaginifixur wird durch einen Längs- oder Querschnitt
die vordere Scheidenwand gespalten, die Plica peritonei breit geöff¬
net, das Corpus uteri mit einer Hakenpinzette in den Peritonealschlitz
hineingezogen und in seinem unteren Teil durch Silk- oder Seiden¬
fäden, welche die ganze Scheidenwand durchbohren, an der Scheide
kurz oberhalb des inneren Muttermunds (Dührssen) befestigt. Anstatt
an der Scheide kann das Corpus uteri von dem Peritonealschlitz aus
mit der losgelösten Blase vereinigt werden. (Vagini-vesicifixur Macken¬
rodt.)
Die operative Verkürzung der Ligg. sacrouterina, welches
lediglich historisches Interesse hat, bedarf hier keiner Erörterung.
Die Verkürzung der Ligg. rotunda vom Abdomen aus wird ent¬
weder durch Raffung der zusammengefalteten Ränder (Polk) oder der¬
art vorgenommen, daß die Bänder beiderseits mitsamt dem median-
wärts gezogenen Lig. lat. auf die vordere Uteruswand aufgenäht
werden (Menge). Die Bänder können ferner durch die Kolpotomia
anterior zugänglich gemacht und in starker Verkürzung mit der vor¬
deren Scheidenwand in Verbindung gesetzt werden. Am meisten ge¬
übt wird heute die Verkürzung der Ligg. rotunda vom Leistenkanal aus:
die bereits 1840 von Alquie in Vorschlag gebrachte sog. Alexander-
Adam’sche Operation (1882). Noch vor einigen Jahren zum Teil ab¬
sprechend beurteilt, hat sie heute unumstrittenes Bürgerrecht erworben;
immerhin wird sie auch heute noch von großen Kliniken wie in Wien 4 ),
anscheinend nicht geübt.
Bei wenigen Eingriffen hat sich chirurgischer Erfindersinn der¬
art betätigt wie bei der inguinalen Verkürzung der runden Mutter¬
bänder. Die Modifikationen und Kombinationen beziehen sich auf An¬
legung des Hautschnitts (größerer oder kleinerer Hautschnitt; Frei¬
legung beider äußerer Leistenringe durch einen Schnitt); auf Auf-
l ) Zentralbl. für Gynäk., S. 81, 1904.
Zentralbl. für Gynäk., S. 866, 1911.
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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis.
greift weder Zähne nocli Magendarmtraktus an. Unsere 12 Personen
nahmen das Präparat sehr gern, Uber Beschwerden irgend welcher Art
wurde nicht geklagt, selbst wenn es lange Zeit genommen wurde. Die
durchschnittliche Dauer des Versuches betrug 6 Wochen.
In unserem Laboratorium, in welchem junge Damen zu Assistentinnen
in Chemie, Bakteriologie und Mikroskopie für Arzte, Kliniken, Laboratorien
usw. ausgebildet werden, untersuchten diese Schülerinnen ihr Blut auf
Hämoglobingehalt. Wo ein zu niedriger Gehalt gefunden wurde, nahmen
die Damen Eisenodda. Sodann gebrauchten es bekannte Herren, die ihr
Blut hatten untersuchen lassen.
Die Tabelle zeigt deutlich die Wirkung des Präparates auf den
Hämoglobingehalt. Auch das Wohlbefinden und das Gewicht stiegen,
der Appetit wurde sehr gut beeinflußt.
Nach diesen Versuchen darf Eisenodda als ein billiges, sehr gut
bekömmliches Eisenpräparat bezeichnet werden, zugleich aber als ein
Nährpräparat, welches sich bereits in reicher Anwendung und auch in
Stoff Wechsel versuch en bestens bewährt hat. Es ist für den Gebrauch
sehr zu empfehlen.
Versuchsresultate:
Ver¬
such ;
Name
1
2
3
4
5
6
Bemerkungen
1.
Herr L.
Gö'Vo
C9%
1 74%
78%
84%
88%
2. !
Herr Fl.
68%
76% .
.©
o~'
<M
OO
OO
4^
©
84% 1
86%
3.
Herr W.
76%
80%
85%
86%
88% |
90 %
4.
Herr Sch.
63%
67%
70%
76%
78%
82%
3
Pfund
Zunahme
5. 1
Frl. W. I
62%
67%
71%
73%
76%
81%
2
Pfund
Zunahme
6.
Frl. W. II
65%
68%
72% 1
75%
78% |
83%
5
Pfund
Zunahme
7.
Frl. St.
67%
70%
72%
76%
78%
81%
8. !
Frl. Sch.
63% '
65%
66%
70%
72% |
79 %
9 .
Frl. P.
72%
74%
78 %
78%
78%
84%
10.
Frl. M.
78%
82%
85%
87%
90%
11 .
Frl. L.
68%
72%
75%
1 79% |
81%
1 82%
3
Pfund
Zunahme
12 .
Frl. R.
63%
65%
70%
! 73%
77%
! 78%
8
Pfund
Zunahme
Literatur über Odda:
I. „Odda K.“ (Kindernahmng).
v. Mering, Zur Frage der Säuglingsernährung. Ther. Monatsh., April 1902. —
Dr. H. Brüning, Zur Frage der Ernährung kranker Kinder mit „Odda“. Therapie
der Gegenwart 1902. — Erich Müller, Kasuistischer Beitrag zur Ernährung kranker
Kinder mit „Odda“. Ther. Monatsh., Juli 1903. — Dr. H. Schlesinger, Die
Magenverdauung der Kindernahrung „Odda“ und Ernährung kranker Kinder mit
„Odda* 4 . Med. Klinik, Nr. 30, 1905. — Dr. H. Schlesinger, Anwendung der Kinder¬
nahrung .Odda“ bei magendarmkranken Kindern. Der Kinderarzt, H. 6, 1906 —
Dr. Baedeker, Welches Nahrungsregime verdient den Vorzug in den Fällen von
Ernährungsstörungen der Kinder, wo über die ernährungsphysiologische Ursache
noch Ungewißheit besteht? Zentralbl. für Kinderheilkunde, H. 6, 1911.
II. „Odda M. R,“
W. v. Struk u. H. Ulrici, Diätetische Beobachtungen an Lungenkranken.
Deutsche med. Wochensehr., Nr. 37, 1906. — Dr. Steiner, Die therapeutische An¬
wendung des „Odda M. R “ Repertorium der prakt. Med., Nr. 10, 1907. — Dr.
Karl Bornstein (Leipzig), Zwei Ausnutzungsversuche mit „Odda M. R.“ Fortsehr.
der Med., Nr. 2, 1908 und Verbesserung der Nahrungsausnutzung durch Zugabe be¬
stimmter Nährstoffe. Stoffwechselversuche mit „Odda M. R.“ Med. Klinik, Nr. 12,
1910. — Dr. J. Heinrich (Sulzhain), Die Ernährungstherapie bei Konsumtions¬
krankheiten, mit besonderer Berücksichtigung des „Odda M. R.“
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Referate und Besprechungen.
1113
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
Ernst Venus (Wien;, Die Fermenttherapie des Karzinoms. (Wiener
klm. Rundschau, Nr. 31, 1910.) Die Überschrift ist vielversprechend, und
der praktische Arzt, der das traurige Vorrecht besitzt, die inkurabelen Kar¬
zinome in seine Obhut zu nehmen, wird den unblutigen Angriffen wider den
Krebs seine Sympathien nicht versagen. Leider sind unsere Hoffnungen zu¬
meist noch auf die Zukunft gestellt.. — Da im Karzinome Fermente ent¬
halten sind, die nicht nur das eigene, sondern auch fremdes Eiweiß ab-
zu b auen vermögen, so hat man versucht, durch Einspritzungen von Pan¬
kreatin die karzinomalösen Tumoren zu verdauen (Leyden), aber der
Mensch ist kein Reagenzglas, und die Heilerfolge blieben aus. Auch das
Trypsin, das die Entwicklung der atypischen Wucherungen hindern sollte
(Beard), hat sich nicht bewährt. — Wenn im karzinomatösen Tumor
eiweißspaltende Vorgänge nach dem Typus der tryptischen Verdauung statt¬
finden, so sollte man einen Körper zu Hilfe schicken, der diese Spaltung
verhütet: Artfremde Sera, Serum vom Nabelschnurblut,
Rinderserum, A t o x y 1, Chinin und Knochenkohle hat man des¬
halb ins Gefecht geführt (Baumgarten). Auch eine ganze Reihe von
Blutarten hat man eingespritzt: Schweineblut (Bier), Rinder-,
Meerschweinchen-, Kaninchen- und Menschenblut: Der Erfolg war immer
derselbe, ein befriedigendes Resultat wurde nicht erzielt. — Der Verf. schließt
mit den Worten: Vorn rein theoretischen Standpunkte läßt sich einer Ferment¬
therapie des Karzinoms von vornherein für die Zukunft nicht alle Berechti¬
gung absprechen. Steyerthal- Kleinen.
R. Schmincke (Elster), Über die Syphilis des Herzens und der Aorta.
(Reichs-Mediz.-Anzeiger, Nr. 18, 1911.) Die Erkennung der luetischen Ver¬
änderungen der Aorta ist erst durch die Röntgenuntersuchung in einem
Stadium möglich geworden, wo wir therapeutisch gegen dieselbe Vorgehen
können. Die Häufigkeit der luetischen Erkrankungen der Aorta, der Dilata¬
tion und der Aneurysmen wurde erst durch die Röntgenstrahlen erkannt.
Finden wir bei Leuten unter 45 Jahren laute Geräusche an den Aortenklappen,
die für eine Erkrankung dieser Klappen sprechen, mit einem Pulsus celer,
haben wir keine fieberhafte Polyarthr. rheumatica in der Anamnese, da¬
gegen Lues, und ist die Wassermann’sche Reaktion positiv oder haben wir
sonst luetische Stigmata, so ist die luetische Natur der Erkrankung als
ziemlich sicher anzusehen. Das Röntgenbild ergibt in diesem Falle häufig
schon eine Vorwölbung der Aorta rechts von der Wirbelsäule und eine Ver¬
breiterung des Aortenbogens. Bei schräger Durchleuchtung sehen wir das
Aortenband verbreitert und nicht scharf begrenzt. Fehlt die Verbreiterung
der Aorta, besteht aber eine Insuffizienz der Klappen, so ist die luetische
Natur der Erkrankung bei jugendlichen Individuen beim Ausschluß des
fieberhaften Rheumatismus doch mehr oder weniger wahrscheinlich. Bildet
sieh ein Aneurysma aus, so steigern sich die Beschwerden, es tritt häufig
die bekannte Stimmbandparese auf, ferner Neigung zu Bronchitiden durch
Kompression der Trachea und dann ein für Aneurysma charakteristischer
kläffender hoher Husten, den Sch. als „Pinscherhusten“ wegen der Ähnlich¬
keit mit dem Husten eines Schoßhundes bezeichnen möchte. Später nimmt
die Druckempfindung zu, die Schmerzen werden stärker, die Insuffizienz
nimmt zu, es treten Anfälle von kardialem Asthma und Angina pectoris auf,
die besonders im Rücken und im linken Arm heftige Schmerzen machen.
Rechts tritt Dämpfung von Sternum im 2. und 3. Interkostalraum auf.
Therapie: Blande Diät, lauwarme Bäder (34—35° C). (Kontraindiziert ist
die Herzmassage.) Außerdem Hochfrequenztherapie, tgl. 1 g Jodkali. Ver¬
such mit Salvarsan. S. Leo.
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1114
Referate und Besprechungen.
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J. Carles (Bordeaux), Künstliche Eiterung bei Infektionskrankheiten.
(Progr. med.. Nr. 20, S. 241—243. 1911.) Eigenartige Gedanken überkommen
einen, wenn man die Empfehlung des Fixationsabzesses seitens des Professors
in Bordeaux liest. In verzweifelten Fällen allgemeiner Infektionen, wie
Pneumonien, Puerperalfieber, Meningitis cerebrospinalis. Septikämien, Typhus
usw., ja sogar bei Intoxikationen mit CO, Blei, Kupfer und Quecksilber
rufe man eine Eiterung hervor durch subkutane Injektionen von 1 ccm Ol.
terebinth. in den Oberschenkel. Es entsteht dann eine heftige schmerzhafte
Entzündung, welche sogar unter bedrohlichen Erscheinungen einen phlegmo¬
nösen Charakter an nehmen kann. Die Sache ist aber nicht so schlimm als
sie aussieht: nach 48 Stunden beruhigen sich die akuten Symptome, und
es kommt zu einer sterilen Eiterung. Carles stellt sich vor, daß dieser
Prozeß die im Blute kreisenden Keime und sonstigen Krankheitsstoffe an-
ziehe und festhalte; deshalb dürfe man den Abszeß nicht zu früh er¬
öffnen und nicht zu schnell zur Ausheilung bringen. Zum Glück reserviert
Carles diese Therapie nur für ganz schwere Fälle: aber: employee ä
propos, eile donne des resultats aussi brillants qu’inattendus. Fast möchte
man fragen: trotz oder infolge der Therapie? Buttersack (Berlin).
Paschen (Hamburg), Zur Pockendiagnose. (Münchn. med. Wochenschr.,
Nr. 24, 1911.) Die rasche Erkennung auch leichtester Pockenfälle ist ja
von größter praktischer Bedeutung und kann besonders in atypischen Fällen
sehr schwierig sein. P. hat nun in zahlreichen von ihm untersuchten Fällen
von Pocken immer in den Ausstrichen der Pusteln kleinste, runde, kokken-
ähnliche Körperchen gefunden, welche mit Löfflerbeize und Ziehl*s Karbol -
fuchsin behandelt, sich rot färben. Die Körperchen fand er bei keiner der
differentialdiagnostisch in Betracht kommenden Hautaffektionen, speziell
nicht bei Varizellen, so daß er diesen Körperchen größte diagnostische Be¬
deutung beimißt. Er hält sie für die Erreger der Pocken. R. Isensehmid.
R. Kraus u. R. v. Stenitzer, Zweiter Bericht über die Behandlung
des Typhus abdominalis mit Heilserum. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 14,
1911.) R. Kraus u. v. Stenitzer berichten über ihre Erfahrungen mit
der Behandlung von Typhus abdominalis durch antiendo toxisches Pferde-
blutserum. Sie injizierten durchschnittlich 20 ccm subkutan und intra¬
venös und zwar teils in der ersten Woche, teils in der zweiten und dritten.
Sie konnten konstatieren, daß eine möglichst frühzeitige Serumbehandlung
einen recht günstigen Einfluß auszuüben vermag. Es werden daher weitere
Versuche empfohlen. F. Walther.
Ch. North, Fliegen als Typhusvermittler. (Med. Record, Nr. 12, 1911.)
In einem amerikanischen Lager brach eine Typhusepidemie aus. Man suchte
lange vergeblich nach deren Ursache, bis sich schließlich Fliegen als die
Sünder herausstellten, welche immer zwischen den Ablagestellen der Ex¬
kremente und der Küche hin- und herflogen. Buttersack (Berlin).
Chollsy hat die Bucker’sche Methode der Behandlung des Erysipels
nachgeprüft (10—15 Lagen Gaze werden stündlich oder, wenn nötig, öfter
mit einer gesättigten Magnesia-Sulfatlösung befeuchtet und mit wasser¬
dichtem Stoff bedeckt, aufgelegt), und festgestellt, daß namentlich in den
Fällen von Erysipel des Gesichts oder der behaarten Haut mit Ödem der
Augenlider schon nach einigen Stunden Besserung eintritt; nach 3 Tagen war
gewöhnlich die Schwellung erheblich vermindert und die Temperatur auf
die Norm gefallen. Während der ganzen Dauer der Behandlung darf die
betreffende Stelle nicht gewaschen werden. (Bull, gener. de ther., Nr. 21,
1911.) v. Schnizer (Höxter).
Seibert (New York) behandelt den Gelenkrheumatismus mit subkutanen
Injektionen, und zwar gibt er in akuten Fällen eine 20%ige wässerige
Lösung. In chronischen Fällen mit Erscheinungen von seiten des Herzens,
des Perikards, der Pleura oder des Nervensystems wendet er alle 12 Stunden
10—20 ccm folgender Formel an: Aeid. salicyl. 10.0, Sesamöl 80,0, Alcoh.
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1115
absol. Campfor. ää 5,0. JoddesiniYktion der Haut. Wegen der Schmerz¬
haftigkeit der Injektionen vorher eine Kokain-Injektion. Verf. hat nie un¬
angenehme Nebenerseheinungen, wie bei der innerlichen Verabreichung des
Mittels, nie Eiterungen an den Einstichs!eilen bemerkt. (Bull, gener. de
thei\, Nr. 21, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
Terbaut, Zur Therapie der Grippe. (Bullet, mecL, Nr. 30, S. 322, 1911.)
An Stelle der Antipyrine, Pyramidonc und verwandter Präparate empfiehlt
Terbault bei Grippe Chinin, sulf., Akonit und Thiokol. Vom Chinin gibt
er dreimal täglich 0,3 g. von Tinctura aconiti 1,5 auf 150 (am besten mit,
Zusatz von Kodein), und das Thiokol läßt er entweder in Tablettenform
(6 Stück in 24 Std.) oder Sirup Roche nehmen. Die Vermeidung bzw. Be¬
schränkung der üblichen Antipvrin- usw.-Therapie ist gewiß ein beherzigens¬
werter Vorschlag. Buttersack (Berlin). 1
E. Petry, Mikroskopische Untersuchung der Galle zu diagnostischen
Zwecken. (Wiener klin. Wochensehr., Nr. 26, 1911.) Verf. erhofft sich von
der mikroskopischen Untersuchung der Galle einen Fortschritt in der Diagno¬
stik der Cholelithiasis und der Leberkrankheiten. Die zur Untersuchung
dienende Galle gewinnt er vom lebenden Mensehen durch Ausheberung nach
Verabreichung eines Boldyrefl Volhard schen Probefrühstücks. Nachdem die
Untersuchung von direkt der Gallenblase entnommener Galle ergeben hatte,
daß Steine beherbergende Blasen reichlich kleinere Konkretionen enthalten,
welche sich zum Teil als freie Niederschläge, zum Teil als Bruchstücke der
großen Steine erkennen lassen, konnte Verf. in 4 Fällen solche teils mikro¬
skopische, teils makroskopische Konkremente in der ausgeheberten Galle
nachweisen. In einem Falle war es, durch die Operation ermöglicht, die
volle Übereinstimmung im Befunde der Ölgalle und der Biasengalle zu er¬
weisen. In einem weiteren Falle allerdings war in der Galle nichts Patho¬
logisches zu finden, trotzdem der klinische Befund für Cholelithiasis sprach.
Was die Diagnose von eigentlichen Leberkrankheiten anlangt, machte Verf.
Vorversuche an der der Gallenblase entnommenen Galle von 6 phosphorver¬
gifteten Hasen; es fanden sich stets lange, zum Teil zylindrische, zum Teil
keulenförmige, teilweise zu ganzen Lamellen zusammengebackene Zellen, in
einem Falle auch verfettete Zellen; aber Versuche bei 2 menschlichen
Zirrhosen (je 4 Ausheberungen) schlugen fehl, indem im Ausgeheberten sich
keine Galle befand; vielleicht handelt es sich dabei um Ausbleiben der
reflektorischen Öffnung dos Pylorus. M. Kaufmann.
M. Reichenstein, Alimentäre Glykosurie und Adrenalinglykosurie. Mit
besonderer Berücksichtigung der Glykosurie in der Gravidität und Zucker¬
krankheit. (Wiener klin. Woehenschr., Nr. 24, 1911.) Die Untersuchungen
Reichenstein’s (an der medizinischen Klinik in Lemberg) ergaben, daß
Adrenalin das Auftreten von Zucker in Harn bei einer gewissen Anzahl von
Graviden bewirkt, und zwar nur bei solchen, welche nach Verabreichung
von Traubenzucker alimentäre Glykosurie aufweisen. Der Zucker tritt auf,
sogar wenn kein entsprechendes Material (Zucker, Stärke usw.) verabreicht
wird. Ähnlich verhalten sich auch gewisse Fälle von Diabetes, sowie manche
schwere, funktionelle Neurosen. Überhaupt wirkt das Adrenalin bei Er¬
krankungen des Nervensystems unvergleichlich stärker glykosurisch als bei
andern Erkrankungen, bei welchen es entweder gar keinen sichtbaren oder
einen nur sehr unbedeutenden Einfluß ausübte. Das nach Verabreichung von
Lävulosc injizierte Adrenalin beeinflußt in geringerem Grade die Ausschei¬
dung von Lävulosc als die von Dextrose; im ersteren Falle wird auch manch¬
mal Dextrose ausgeschieden. Die Erklärung dieser Erscheinungen dürfte in
einer elektiven Wirkung des Adrenalins auf die Sympathikusendigungen bzw.
auf einen größeren Sympathikustonus bei gewissen Erkrankungen (funktionelle
Neurosen, Gravidität) zu suchen sein. Der Umstand, daß bei denselben Gra¬
viden alimentäre Glykosurie besteht, weist zu mindest in einer gewissen An¬
zahl von Fällen darauf hin, daß in der Schwangerschaft keine Hypofunk¬
tion des chromaffinen Systems besteht, wenn nicht schon diese Beobachtungen
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1116 Referate und Besprechungen.
für eine während der Gravidität noch nicht nachgewiesene Hyperfunktion
sprechen können. Eine solche brauchen wir übrigens nicht anzunehmen, um
das häufige Auftreten von Adrenalinglvkosurie bei Graviden zu erklären;
es genügt die Annahme, daß bei sonst normaler Nebennierensekretion das
Sekret der während der Gravidität vergrößerten Schilddrüse auf das sym¬
pathische System als Stimulans wirke. Welche Fälle von Diabetes es sind,
die auf Adrenalin reagieren, läßt sich noch nicht sagen: von den 9 beob¬
achteten Fällen konnten, je nach der Adrenalinwirkung, 5 als sympathiko-
tonisch und 4 als vagotonisch bezeichnet werden. Es ist nicht ausgeschlossen,
daß derartige Beobachtungen auch für die Therapie des Diabetes Nutzen
werden bringen können. M. Kaufmann.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
Gustav Klein (München), Über Ursache und Bedeutung der men¬
struellen Blutung. (Münchn. med. Wochensehr., S. 997, 1911.) Kl. erweitert
die bisher bestehenden Theorien über die Menstruation und betont die Be¬
ziehungen zwischen Follikelinhalt und Menstruation, zwischen Corpus luteum
und Gravidität, deren chemische Natur er seiner Theorie zugrunde legt.
Kl. glaubt, .daß chemische Produkte des Ovariums (Oophorine) bei der
Menstruation durch die Uterusmukosa ausgeschieden werden; in ähnlicher
Weise wäre dann die vikariierende Menstruation als Ausscheidung der
Oophorine durch andere Schleimhäute zu erklären. Jedenfalls wird diese
Annahme gestützt durch die besondere Beschaffenheit des Menstrualblutes,
die sich schon makroskopisch durch seine dunkel purpur-braunrote Farbe
und mangelnde Gerinnbarkeit dokumentiert. Mikroskopisch zeigt das Men-
strualblut eine Auslaugung der Erythrozyten; die Leukozyten sind zum Teil
kernlos. Die Ausscheidung der Oophorine durch die Uterusmukosa stellt
sich daher als eine ,,Entgiftung“ des Blutes dar, die ev. auch durch vermehrte
innere Sekretion der Thyreoidea oder der Mamma erfolgen kann (cf. men¬
struelle Schwellung dieser Organe).
Ihre Hauptaufgabe finden die Oophorine bei der Eieinbettung und Ei-
ernährung, hier scheinen die mangelnde Gerinnbarkeit und die mikroskopi¬
schen Veränderungen des Menschenblutes von Wichtigkeit zu sein, die erst
unter dem Gesichtswinkel der Eiernährung erklärlich erscheinen. Die men-
strualc Blutung wäre also eine vorbereitende Phase der Eiernährung.
Die Periodizität der menstruellen Blutung kann auf kosmische Ein¬
flüsse zurückgeführt werden; andrerseits ist es klar, daß die menstruellen
Veränderungen der Uterusmukosa, ähnlich wie andere Körperfunktionen, z. B.
die Atmung, eines gewissen Zeitraumes bedürfen, dessen Periodizität auf das
Einzelindividuum zugeschnitten ist.
Nach alledem erscheint die Mucosa corporis uteri als Trägerin wich¬
tiger chemischer Funktionen des weiblichen Körpers.
Frankenstein (Köln).
H. Schottmüller (Hamburg). Über bakteriologische Untersuchungen und
ihre Methoden bei Febris puerperalis. (Münchn. med. Wochenschr., S. 787,
1911.) Der auf diesem Gebiete besonders verdienstvolle Autor weist nach,
daß der Streptococcus vulgaris haemolyticus keineswegs der alleinige Erreger
des Puerperalfiebers ist. Vielmehr scheint der anaerob wachsende Strepto¬
coccus putridus annähernd ebenso häufig Wochenbettsfieber zu verursachen,
ja er scheint an Malignität der erstgenannten Keimart sogar überlegen.
Allerdings scheint der Streptococcus vulg. haemolyt. mehr kontagiöse Eigen¬
schaften zu entwickeln, d. h. seine Übertragung von Mensch zu Mensch kommt
mehr in Frage, während der Streptoc. putridus sich mehr in den Fällen be¬
merkbar macht, wo intrauterine Eingriffe unternommen worden waren, bei
denen er von der Vagina aus in den Uterus verschleppt werden kann, d. h. der
in der Vagina harmlose Str. putr. wird erst bei Eindringen in den Uterus ge¬
fährlich. Zum Schlüsse gibt er eiue genaue Beschreibung seiner relativ ein¬
fachen Anaerobenzüchtung. Frankenstein (Köln).
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Referate und Besprechungen.
1117
Richard Knorr, Ligatursteine der weiblichen Harnblase und deren
operative Entfernung. (Zeitschr. für gyn. Urol., Bd. 3, H. 1, 1911.) Liga¬
tursteine in der weiblichen Blase wurden besonders in der Blütezeit der
vaginalen Fixation des Uterus beobachtet, aber nur dann, wenn Seide oder
anderes unresorbierbares Nahtmaterial dauernd versenkt worden war. Letz¬
teres ist also unter allen Umständen zu vermeiden; Katgut inkrustiert sich
niemals und wandert auch nicht in die Blase ein. Viele Fälle von inkrustier¬
ten Ligatursteinen sind Monate und Jahre hindurch unter der Diagnose
Blasenkatarrh behandelt worden, weil man nicht zystoskopiert hatte. Nur
mit dem Zystoskop ist die Diagnose zu stellen, dann aber leicht und sofort.
Die Entfernung der Ligatursteine soll, wenn irgend möglich, durch die
Harnröhre erfolgen, die zuvor ev. dilatiert werden muß. Damit über 32—34
Charriere hinauszugehen, verbiete jedoch die Gefahr der Sphinkterzerreißung.
Die Entfernung selbst geschieht entweder mit der neben dem Zystoskop ein-
geführten D i 11 e l’schen Faßzange oder mittels des Nitze’schen Operations-
zystoskopes. Bei größeren Steinen kann man sich auch mit Erfolg der
W-i n t e r’schen Abortuszange bedienen, oder man muß die Steine mit dem
B i g e 1 o w’schen Lithotripter zerkleinern. Voraussetzung dabei ist aber,
daß sie vorher von der Blasen wand abgerissen worden sind. Nur ausnahms¬
weise werde man sich zur Kolpozystotomie entschließen müssen, wohl nie
zur Sectio alta. R. Klien (Leipzig).
A. Littauer (Leipzig), Die Punktion von Ovarialzysten nach den Grund¬
sätzen der modernen Chirurgie. (Monatsschr. für Ceburtsh. u. Gyn., Bd. 33,
S. 455.) Die Punktion von Ovarialzysten ist im ganzen mit Recht in Mi߬
kredit gekommen, nachdem wir in der Ovariotomie ein sicheres chirurgisches
Verfahren gewonnen haben zur Behandlung der Ovarialzysten. — In Fällen
von übergroßen Flüssigkeitsansammlungen, bei denen eine Indicatio vitalis
besteht, die Gefahren der Ovariotomie aber zu groß erscheinen, wird man
doch noch hier und da zur Punktion greifen müssen. L. verwirft hier die
,,wütende“ Punktion durch die Bauchdecken hindurch und schildert ihre
Gefahren. Er bevorzugt folgenden Modus procedendi: unter Schleich
Inzision der Bauchdecken und Umsäumung des Peritoneums an das Fett,
aseptischer Verband. Nach einigen Tagen Punktion der Zyste und, falls es
der Allgemeinzustand gestattet, Operation der Zyste am Tage der Wahl.
Beschreibung eines diesbezüglichen Falles. Frankenstein (Köln).
G. Schubert (Beuthen), Über die neue Behandlungsmethode des essen¬
tiellen Pruritus vulvae und anderer Sakralneurosen. (Münchn. med. Wochen¬
schrift, S. 745, 1911.) Sch. berichtet über Erfolge, welche er durch Behand¬
lung des essentiellen Pruritus mittels der epiduralen, sakralen Injektion nach
Cathelin erzielt hat. In 2 Fällen, bei denen die übliche Lokalbehandlung
vollständig versagt hatte, gelang es ihm, durch einmal wiederholte Injektion
von l 1 / 2 ccm Eukainlösung in den Sakralkanal den Pruritus zu heilen. Diese
Erfolge verdienen vorwiegend theoretisches Interesse, da das Vorkommen des
essentiellen Pruritus als einer reinen Neurose bislang von den meisten
Autoren abgelehnt, ihre Entstehung vielmehr chemisch-mechanisch erklärt
wurde. In gleicher Weise erzielte er Erfolge bei Kreuzschmerzen, deren
Ätiologie durch den gynäkologischen Befund unklar blieb. Diese Anwendung
ist schon durch Albrecht bekannt; die einzige Besonderheit des Vorgehens
von Sch. liegt darin, daß er nicht Kochsalzlösung in größeren Quantitäten,
sondern von der Schleich’schen Lösung (Cocain hydrochl. 0,1; Eucain 0,1;
Natr. chlorat. 0,4; Aq. dest. 200,0) einige Kubikzentimeter injizierte.
Frankenstein (Köln).
Ludwig Seitz (Erlangen), Ovarialhormone als Wachstumsursachen der
Myome. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1281, 1911.) Der Versuch durch
das Studium der bio-pathologischen Vorgänge mehr Licht in das Problem
des Geschwulstwachstums zu bringen, liegt heutzutage nahe; besonders da
die Erforschung der Geschwulstätiologie auf pathologisch-morphologischer
und bakteriologischer Grundlage versagt hat. S. bespricht in ausführlicher
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Referate und Besprechungen.
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Weise den Zusammenhang zwischen Myomen und Ovarien unter Berück¬
sichtigung der Wachstumsmomente und deren Beeinflussung durch Kastra¬
tion usw. Er kommt zu dem Schlüsse, daß ganz bestimmte chemische Pro¬
dukte der Ovarien (Ovarialhormone im Sinne Starling’s) die Myombildung
verursachen. „Die Myomhormone stammen aus dem abnorm funktionieren¬
den Ovajium.“ Der experimentelle, exakte Beweis für diese — ich möchte
sagen — längst in der Luft schwebenden Theorie steht leider noch aus.
Frankenstein (Köln).
J. v. Jaworski, Über uterine Blutungen syphilitischen Ursprungs.
(Wiener klin. Wochenschr., Nr. 29, 1911.) Unter Mitteilung von 5 Fällen
bespricht v. Jaworski die tertiäre Syphilis des Uterus. Ihre Symptome
sind sehr wenig charakteristisch; .am häufigsten sind uterine Blutungen,
während wie außerhalb der Menstruation, die sehr kopiös sind und jeder Be¬
handlung trotzen, ferner übelriechender schleimig-eitriger Ausfluß. Beides
führt stets zu hochgradiger Anämie. Der Uterus ist meist vergrößert, selten
atrophisch, meist hart. Diagnostisch wichtig sind die vorausgegangenen Ab¬
orte. Die spezifische Behandlung bringt wesentliche Besserung bzw. Heilung.
M. Kaufmann.
J. A. Amann (München), Über den Ersatz der Vagina bei vollkommenem
Defekt derselben. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33, S. 553.) Die
bisherigen Versuche zum plastischen Ersatz der fehlenden Vagina durch
Bildung eines Hohlraumes, der mit Hautlappen aus der Umgebung oder
transplantierten Hautstückchen ausgekleidet wurde, waren unbefriedigend,
weil die neugeschaffene Vagina sehr bald schrumpfte. Deshalb wurde von
anderen Autoren eine Dünndarmschlinge als Ersatz der Vagina benutzt.
Amann invertierte die vordere Rektumwand, trennte das Rektum an der
Inversionsfalte durch Querschnitt hoch hinauf und bildete ein breites Septum
rectovaginale durch Vereinigung und Zwischenlagerung der Levatores aus.
Der Vaginalersatz wurde also durch die Ampulla recti gebildet.
Frankenstein (Köln).
Mauclaire spricht über Fernresultate bei Interventionen bei Brust¬
krebs und erwähnt zunächst die nach Ablatio Mammae auftretenden Ödeme:
einmal die frühzeitigen, phlebitischen, weiß, weich, Folge einer Obliteration
der Ven. axill. durch Ligatur oder Narbendruck; dann die Spätödeme
lymphangitischer Art, Folge einer Stauung in den Lymphwegen, weiß-rosa,
hart, schmerzhaft, von ernster Prognose, gewöhnlich Vorgänger einer kar-
zinomatösen Pleuritis. Verf. nimmt einen Heilerfolg durch Operation an,
wenn innerhalb fünf Jahren ein Rezidiv nicht aufgetreten ist. Rezidive
treten fast immer im Niveau der Operationsnarbe oder an den Nähten auf.
In der Mehrzahl der Fälle sind sie Folge von Inokulation kanzeröser Ele¬
mente im Verlauf der Intervention, manchmal Äußerung einer Proliferation
kleiner picht entfernter Herde, nicht selten auch, lokalisiert im Narbengewebe.
Manifestation einer karzinomatösen Allgemeininfektion des Organismus und
dann eine Propagation und kein Rezidiv im eigentlichen Sinne. (Bull,
gener. de ther., Nr. 2, 1911.) v. Schnizer (Höxter).
P. Mathes (Graz), Über den Einfluß von Schilddriisenpreßsaft auf die
Blutgerinnung. (Münchn. med. Wochenschr., S. 1003, 1911.) Die Tatsache
der Hypertrophie der Schilddrüse während der Gravidität, der Schutz, den
Thyreoidpreßsaftinjektion im Tierexperiment gegen die Injektion von Pla-
zentarpreßsaft gewährt, ferner die Annahme, daß Störungen in der Blut¬
gerinnung die Ursache der Eklampsie seien, legten die Annahme nahe, daß
in der Schilddrüse Stoffe vorhanden seien, welche die Blutgerinnung verhin¬
dern. Das Experiment hat M. eines Besseren belehrt.
Frankenstein (Köln).
Frebres (Lima), Lokalanästhesie des Uterus. (Progr. med., Nr. 31,
S. 381—382.) Nach den üblichen autiseptischen Präliminarien ziehe man den
Uterus möglichst nach unten und injiziere an 3 Stellen 4 ccm einer 1 bis
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2%i£ en Kokainlösung von 45° mit einer langen Rioord’schen Spritze in das
Parenchym des Uterus. Nach 10—12 Minuten sei Anästhesie eingetreten,
und man könne nunmehr alle beliebigen Operationen vornehmen.
Buttersack (Berlin).
Psychiatrie und Neurologie.
E. Meyer (Königsberg i. Pr.), Die Puerperalpsychosen. (Arch. f. Psych.,
Bd. 48, H. 2.) M. behandelt, über den Titel hinausgehend, die psychischen
Erkrankungen während der Gravidität, des Puerperiums und der Laktation,
wobei er einen Einfluß der letzteren Periode annimmt ohne Rücksicht auf
das Stillen, wenn nach Ablauf der ersten 6 Wochen post partum als Folge
der Generationstätigkeit sich Störungen, wie Erschöpfung, Blutarmut, be¬
merkbar gemacht haben, was ev. noch ein Jahr post partum der Fall sein
kann. Die leichteren nervösen und psychischen Schwangerschaftsbeschwerden
sind wohl als die Steigerung einer nervösen Anlage durch den veränderten
Stoffwechsel aufzufassen. Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, ängstliche
Anwandlungen, Energielosigkeit sind nur bei Vorhandensein auch anderer
Schwangerschaftsbeschwerden auf Autointoxikation zu beziehen. Die häufig-
sxen Psychosen in der Schwangerschaft sind Depressionszustände, wobei
zwischen den psychogenen und rein endogenen zu unterscheiden wichtig ist,
nur die ersteren können unter allen psychischen Störungen zur Einleitung der
künstlichen Frühgeburt Veranlassung geben, weil mit Beendigung der Gravi¬
dität das psychogene ursächliche Moment wegfällt. Auch eine Psychose
während einer früheren Gravidität ist kein Grund.
Forensisch ist die Gravi¬
dität insofern wichtig, als die Stimmung vom Gemütszustand der normalen,
nicht schwangeren Frau meist abweicht, von der Steigerung einer schon vorher
bestehenden Nervosität ganz abgesehen. Ferner findet man besonders trieb-
artige, unmotivierte, unsinnige Handlungen (Brandstiftungen, Diebstähle).
— Während der Geburt oder unmittelbar nach derselben kommen infolge
der abnormen Affektlagc, der Anstrengung usw. mitunter deliriöse Zustände
mit starker Bewußtseinstrübung, Erregung und Neigung zu Gewalttat vor.
Unter den Puerperalpsychosen im engeren Sinne seien ihrer günstigen Pro¬
gnose wegen die Amentiafälle hervorgehoben, die mitunter mit katatonen
Symptomen einhergehen. Von der eigentlichen Katatonie unterscheiden sie
sich vor allem durch die größere Traumhaftigkeit und das Bemühen der
Kranken, sich zu orientieren gegenüber dem stumpfen Wesen der weniger
unklaren Dem. praec.-Kranken. Die bei Neurit. puerp. eintretenden Störungen
gehören zum Korsakow’schen Symptomenkomplex. Die Prognose der Neurit.
wird durch psychische Störungeu verschlechtert. — Die Psychosen in der
Laktation bieten nichts besonderes. — Eine spezifische Puerperalpsychose
gibt es nicht. Prophylaxe durch Warnung vor Eingang der Ehe bei sehr ner¬
vösen, psychopathischen, epileptisch, hysterisch oder früher psychisch er¬
krankten Mädchen. Zweig (Dalldorf)*
Ph. Jolly (früher Halle), Beitrag zur Statistik und Klinik der Puer¬
peralpsychosen. (Arch. f. Psych., Bd. 48, H. 2.) Die Arbeit ist wichtig, weil
nur Fälle verwendet worden sind, welche vor 1900 in der Klinik in Halle
waren. Wenn auch bei dem fünften Teil der ursprünglich als geheilt Ent¬
lassenen Wiedererkrankung eintrat und ein Zehntel von ihnen nicht gesundete,
so kann man doch die Prognose der Puerperalpsychosen verhältnismäßig
günstig stellen, wobei die Dauer der Erkrankung durch Belastung verlängert
zu werden scheint. Wichtig ist die Unterscheidung von Amentia und Kata¬
tonie, weil bei der letzteren auch bei momentaner Genesung die definitive
Prognose absolut ungünstig ist. Ferner ist frühere oder rezidivierende geistige
Erkrankung ohne äußere Ursache ungünstig, während wiederholte puerperale
Erkrankung die Prognose nicht trübt. Dabei braucht nicht in jedem Puerper.
eine psych. Störung auszubrechen. Zu verhindern ist eine neue Gravidität
bei Epilepsie. Psychische puerperale Erkrankung bei bestehendem Schachsinn
ist prognostisch ungünstig. Im Puerper. ist akuter Beginn und infektiöse
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1120 Referate und Besprechungen.
Ursache prognostisch günstig. Frühzeitige Überführung in die Klinik ist
stets ratsam. Bezüglich der während der Erkrankung geborenen Kinder läßt
sich bisher nur sagen, daß ihre Sterblichkeit im ersten Lebensjahr die
Durchschnittssterblichkeit in dieser Zeit zu übertreffen scheint. Zu er¬
wähnen ist noch, daß manische Erkrankung günstiger zu sein scheint ‘als
melancholische. Zweig (Dalldorf).
W. Runge (Kiel), Die Generationspsychosen des Weibes. (Arch. f.
Psych., Bd. 48, H. 2.) Aus dieser sehr umfangreichen Arbeit kann nur
einiges herausgegriffen werden. Bei weitem am häufigsten sind die Er¬
krankungen im Puerperium, und zwar in 75% in den ersten 10 Tagen. Zu
warnen ist vor der Verwechslung der katatonen Zustandsbilder im Verlauf
einer Amentia mit der eigentlichen Katatonie, die stuporösen Formen der
Amentia haben sogar mit die kürzeste Dauer. Andrerseits handelt es sich
bei einer Psychose in der Gravidität, namentlich im höheren Alter und bei
Multiparae, fast nie um Amentia, sondern um Katatonie, während bei den
Erstgebärenden die Katatonie häufiger im Puerperium auf tritt. Am gün¬
stigsten ist die erregt-verwirrte Form, dann die paranoide und schließlich
die depressive, im allgemeinen ferner die Puerperalkatatonie günstiger als
die in der Gravidität auftretenden. — Bei der .Chorea grav. sind psychische
Störungen häufiger als bei der kindlichen Form. Die Erkrankung tritt meist
in der ersten Hälfte der Schwangerschaft auf, Chorea in der Jugend gilt als
prognostisch günstig, in früherer Gravidität als ungünstig; stets muß man
mit der Möglichkeit eines sehr rapiden Verlaufs rechnen. Die mit halluzina¬
torischer Erregung und Verwirrtheit einhergehenden, in den ersten Tagen
des Wochenbetts auftretenden eklamptischen Störungen können in einigen
Tagen ablaufen, aber auch in unheilbare Verwirrtheit ausgehen. Laktations¬
erkrankungen treten am häufigsten im 4. oder 5. Monat post partum auf.
Hysterische Psychosen sind in der Gravidität häufiger als allgemein an¬
genommen wird. Die Heilung erfolgt hier meist mit zurückbleibenden ner¬
vösen Erscheinungen. 49% der von Generationspsychosen Geheilten wurden
wieder gravid, nur 2 sind wieder erkrankt und auch wieder geheilt. Die
Aborteinleitung ist außer bei der Eklampsie bei epileptischen und hysterischen
(??? Ref.) Psychosen bei lebensbedrohenden Erscheinungen angezeigt. Bei
Depressionen wird die Einleitung der Frühgeburt bei den depressiven Psycho¬
pathen empfohlen, hier ist aber auf die große Schwierigkeit der Diagnosen -
Stellung hinzuweisen. Einige charakteristische Krankengeschichten, 215 Num¬
mern Literatur. Zweig (Dalldorf).
K. Krause (Berlin), Beachtung des Geisteszustandes bei Einstellung
und Dienstleistung in Heer und Marine. (IV. Internation. Kongreß z. Für¬
sorge für Geisteskranke, 1910, S. 210—233.) Der genannte Kongreß ist 1910
in Berlin gehalten worden. Aus den erst jetzt erschienenen Kongreßverhand-
lungen sei besonders auf das ausgezeichnete Referat von Stabsarzt Krause
hingewiesen. Zwar könnte das Thema zunächst dem einen oder andern als
eine interne Angelegenheit des Militärs erscheinen; aber dem ist nicht so
Ausgesprochene Geisteskrankheiten werden kaum je eingestellt werden, wohl
aber Personen, deren psychisches Verhalten auf der Grenze zwischen normal
und pathologisch hin- und herschwankt, Leute, die in ihrem gewohnten
Milieu recht und schlecht dahinleben, deren psychische Insuffizienz aber
zutage tritt, wenn die psychisch-nervöse Funktion mit irgendwelchen neuen,
ungewohnten Anforderungen belastet wird. Wie soll der Militärarzt solche
Menschen herausfinden ? Bei der Musterung und Aushebung fallen sie nicht
weiter auf, und bei der Truppe erfolgt die Eingewöhnung bei so sehr vielen
mit allerlei Reibungen, daß der Militärarzt unmöglich sogleich auf den Ver¬
dacht einer geistigen Minderwertigkeit bzw. Geisteskrankheit kommen kann.
Da sind zuverlässige Anhaltspunkte aus dem Vorleben von der höchsten
Wichtigkeit. Wenn der Hausarzt als der berufene Seelsorger seiner Klienten
gegebenenfalles der Ersatzkommission seine ev. Beobachtungen oder auch
nur einen Hinweis zukommen läßt, so wird dieser gewiß ebenso hoch oder
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vielleicht noch höher geschätzt werden als die Atteste, in welchen zurzeit
Herzfehler und Lungenspitzenkatarrhe bescheinigt werden, Erkrankungen,
auf welche jeder aushebende Sanitätsoffizier von vornherein achtet. Solche
Hinweise wären ungleich wertvoller als Äußerungen von Gemeindevorstehern
und Geistlichen, welche bei aller sonstigen Vortrefflichkeit doch nicht immer
das volle Verständnis für physiologisch und pathologisch zu haben pflegen.
Nicht weniger interessant sind Krauses lebendige, weil selbstcrlebte
Schilderungen von Suggestibilität im Kriege. Bei all den fremdartigen Ein¬
drücken und gemütlichen Erregungen „geriet die Urteilssicherheit mancher
Menschen ins Wanken, die Grenzen zwischen Wahrscheinlichem und Un¬
wahrscheinlichem, zwischen Möglichem und Unmöglichem verwischten sich,
die Phantasie wucherte üppig, die abenteuerlichsten Gerüchte fanden willige
Aufnahme, kurz Fälschungen und Trübungen des Urteils kamen zustande
bei Menschen, bei welchen man sie nie vorausgesetzt hätte. Die erregte
Phantasietätigkeit führte besonders im Dämmerlicht und im Dunkeln zu
Täuschungen der Sinne“ und mitunter zu Massensuggestionen. Was
Krause da von Kriegszeiten berichtet, haben wir im vergangenen Jahr am
englischen Volkskörper beobachten können, wo das Erscheinen nächtlicher*
Luft- und Seeschiffe die ganze Nation alarmierte, und nach Binet-Sangle’s
Ausführungen in seinen psychophysiologischen Gesetzen in der Entwicklung
der Religionen (Paris 1907. — Ref. in den Fortschritten Nr. 19, 1907) hat
die katholische Kirche diese Dinge praktisch verwertet, indem sie durch
Fasten und Wachen die physische Konstitution schwächte und dadurch die
Psyche optischen, akustischen und Geruchseindrücken zugänglicher machte.
Je nervöser unsere Zeitgenossen geworden sind, um so größer wird die Zahl
der geistigen Entgleisungen im nächsten Feldzug werden, eine Perspektive,
die man beizeiten ins Auge fassen muß, damit uns die Ereignisse später nicht
allzusehr überraschen.
Ich glaube, daß jeder Arzt, der nicht völlig in der täglichen Praxis
aufgeht, eine Reihe von Anregungen aus dem Kraus e’schen Vortrag
schöpfen wird. Buttersack (Berlin).
M. Rohde (Haus Schönow), Ein Beitrag zur Psychologie der Fahnen¬
flucht. (Allg. Zeitschr. für Psych., Bd. 68, H. 3.) Der Beweggrund des
Fortlaufens ist nur selten in einem wohlüberlegten Plan, fast immer vielmehr
in einem vorübergehenden Affektzustand zu suchen, der ohne genügende ver¬
standesmäßige Kritik in die Tat umgesetzt wird. Sexuelles Verlangen und
Heimweh sind die stärksten, zum Fortlaufen antreibenden Motive. Nur selten
kommt als Grund echte Geisteskrankheit in Betracht (in dem beobachteten Fall
vielleicht), meist handelt es sich um eine allgemein psychopathische dishar¬
monische Persönlichkeit. Endlich ist wichtig das Vorhandensein eines un¬
genügender. Pflichtbegriffs als Symptom eines ethischen Defekts. Als aus-
lösendes Moment spielen Traumgebilde und Visionen eine große Rolle.
Zweig (Dalldorf).
C. Rougl (Limoux), Manie simple et Psychose p£riodique. (Annal.
med. psychol., Mai/Juni 1911.) Kräpelin hat bekanntlich die ursprüng¬
lichen Krankheitseinheiten der Manie und Melancholie umgestoßen und nimmt
an, daß jeder Mensch, welcher einmal einen Anfall von Manie tiberstanden
hat, in der überwiegenden Mehrheit weitere zu erwarten hat, wenn er ge¬
nügend lange lebt. Namentlich in Frankreich hat man sich dieser Ansicht
nicht angeschlossen, sondern unterscheidet den Ausgang einer* Manie in eine
chronische Form von einer rezidivierenden oder alternierenden Form und von
der nur einmal auftreteudeu mit dauernder Heilung endenden. R. bringt
29 Fälle, in denen 10—26 Jahre nach dem beobachteten manischen Anfall der
Betreffende völlig gesund geblieben ist. — Leider sind die Krankengeschichten
so Lurz wiedergegeben, daß dem Leser ein eignes Urteil unmöglich ist, so¬
wohl bzgl. der Diagnose der Fälle als ihrer Vorgeschichte und Katamnese.
Zweig (Dalldorf).
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S. Soukhanoff (St. Petersburg), La d£nvence pr^coce et la Syphilis.
(Annal. med. psychol, Juni 1911.) Autointoxikatorische Störungen vom Darm
oder von den Geschlechtsorganen sind höchstens als additioneile Momente
anzusehen, die wahre Ursache der Dem. pr. bildet die hereditäre Syphilis,
welche eine dystrophische Störung im Gehirn hinsichtlich seiner Anlage
bewirke (veränderte Zellenanordnung). Dementsprechend findet man auch bei
80% körperliche Zeichen. (Wassermann nur bei 25%). Ein spezielles anti¬
syphilitisches Serum dürfte daher eine wirksame Behandlung versprechen.
Zweig (Dalldorf).
Lückerath (Bonn), Zur Differentialdiagnose zwischen Dem. praec. und
Hysterie. (Allg. Zeitschr. für Psych., Bd. 68, H. 3.) Die außerordentlich
häufige Kombination einer Dem. praec. mit hysterischen Symptomen, sowie
die Ähnlichkeit vieler Erkrankungszeichen bei beiden Leiden deutet vielleicht
auf eine Verwandtschaft beider hin. Differentialdiagnostisch wichtig ist die
Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit und der Ausgang. Zweig (Dalldorf).
Mönkemöller (Hildesheim), Zur Geschichte der progressiven Paralyse.
(Zeitschr. für d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 4.) Auf die Arbeit sei nur
wegen der in ihr enthaltenen sehr reichlichen alten Literatur hingewiesen.
Als Resultat spricht M. mit aller Vorsicht aus, daß die Paralyse erst am
Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrh. in ihrer Häufigkeit anzuschwellen
scheint und daher dieses Anwachsen auf die zunehmende Zivilisation zurück¬
zuführen sei. (? ? Ref.) Zweig (Dalldorf).
Ernst Rinne (Langenhagen), Ein Beitrag zur Geschichte des Jugend¬
irreseins. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 3—6, 1911.) Beim Ausbruch einer
Psychose im jugendlichen Alter wird in der Praxis in erster
Linie eine Angabe darüber verlangt, ob der Kranke infolge seines Leidens
dement werden wird oder nicht. Die heute sehr beliebte Diagnose
Dementia praecox (Kräpelin) schließt eine ungünstige Prognose
ein, während keineswegs alle diese Fälle zu höheren Graden der geistigen
Schwäche führen. Es ist also für die Praxis wünschenswert, eine genauere
Abgrenzung der einzelnen Formen und des bei ihnen möglichen Ausgangs
festzulegen. — Unter der Bezeichnung Jugendirresein werden die um
die Zeit der Pubertät auf tretenden Psychosen verstanden, die unter sehr ver¬
schiedenen Bildern verlaufen können, auch die Prognose ist nicht immer die
gleiche. Setzt eine akute Psychose in der Pubertät ein, die ebensogut das
erwachsene Alter treffen kann, so braucht die geistige Entwicklung keine
Einbuße zu erleiden. Bei den Formen ohne ausgesprochene akute psychische
Störungen kommt es lediglich zum vorzeitigen Abschluß der geistigen Ent¬
wicklung. — Daß der Ausgang ein wesentlich anderer sein wird, je nachdem
ein gesundes oder von Haus aus irgendwie minderwertiges Gehirn
erkrankt und je nachdem die Erkrankung in einer einmaligen Attacke,
in Schüben oder einem chronischen Prozesse verläuft, ist leicht
verständlich. — Obwohl kaum mehr als 50 Jahre vergangen sind, seitdem
Kahl bäum mit dem Namen Hebephronie das Jugendirresein ab¬
grenzte, hat dieser Begriff schon eine ganze Geschichte, die der Verf. in
seiner Arbeit eingehends darlegt. Steyerthal-Eil einen.
Magnan (Paris), Zur Psychologie der Hermaphroditen. (Gazette med.
de Paris, Nr. 96, S. 169—170, 1911.) Im allgemeinen kann man sagen, daß
der Geschlechtssinn sicherer als der anatomische Befund anzeigt, welchem
Geschlecht ein Hermaphrodit zuzuzählen ist. Allein auch diese Regel ist
nicht ohne Ausnahme. So berichtet Magnan von einem solchen Geschöpf,
bei welchem sowohl die äußeren Teile wie auch die — gelegentlich einer
Operation nachgewiesenen — Ovarien, Uterus, Tuben, wie schließlich rudi¬
mentäre periodische Blutungen keinen Zweifel zu lassen schienen, daß es
sich um ein weibliches Wesen handelte. Allein die Person fühlte und be¬
nahm sich völlig als Mann, verliebte sich, heiratete und führte die glück¬
lichste, beide Teile befriedigende Ehe. Als die Gattin von Schwindsucht
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befallen und dahingerafft wurde, war der Schmerz des Gatten unermeßlich;
er hätte beinahe Selbstmord begangen.
Schließlich erkrankte das interessante Geschöpf an einem Ovarial-
Sarkom und wird wohl dereinst als Mann begraben werden.
Buttersack (Berlin).
P. Näcke (Hubertusburg), Homosexualität und Psychose. (Allg. Zeit¬
schrift für Psych., Bd. 68, H. 3.) Die Homosexuellen scheinen kaum mehr
zu Psychosen zu neigen als die Heterosexuellen, woraus zu folgern ist, daß
die hereditäre Belastung und die angebliche psychische Minderwertigkeit und
Entartung bei ihnen nicht so allgemein und hochgradig sein kann als die
meisten es annehmen und die Homosexualität daher weniger als Krankheit
oder Entartung, sondern als Anomalie anzusehen ist. Die in Irrenanstalten
zahlreichen homosexuellen Handlungen haben mit echter Inversion nichts
zu tun und sind pseudohomosexuell. Zweig (Dalldorf).
L. M. Pussep (Petersburg), Über die Behandlung von Neuralgien mittels
Einspritzungen von Alkohol in den Nervenstamm. (Arch. f. Psych., Bd. 48,
H. 2.) Sind die Behaudlungsversuche mit den physikalischen Behandlungs¬
methoden erfolglos, so empfiehlt P. die bereits von vielen mit stets gleichem
Erfolg angewandten Injektionen bei der Trigeminusneuralgie, ev. je nach der
Schwere in drei verschiedene Tiefen (genaueres siehe Original). Zum 80%
Alkohol setzt P. Jodtinktur. Allerdings treten unmittelbar nach der Injektion
eine Reihe unangenehmer subjektiver und objektiver Erscheinungen auf,
u. a. eine bisweilen 2—3 Wochen dauernde ödematöse Schwellung der betr.
Wange und eine das Öffnen des Mundes beeinträchtigende Rigidität der Kau¬
muskeln, deren Ausläufer bis 2 Monate dauern. Mit gleichem Erfolg hat
P. auch ähnliche Injektionen gegen Interkostalneuritis angewandt.
Zweig (Dalldorf).
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
L. Langstein (Berlin), Fortschritte in der Diätetik des gesunden und
kranken Säuglings. I. Teil. Diätetik des gesunden Säuglings. (Die Heil¬
kunde. Ärztl. Standeszeitg., Nr. 17, 1911.) Eine noch wenig geklärte Frage
ist die, ob jede Frauenmilch für jedes Kind gleich bekömmlich ist. Der
chemische Charakter der Frauenmilch ändert sich im Laufe der Laktation.
Die einschneidendste Veränderung ist die sich beim Übergang der Kolostral¬
milch in Dauermilch vollziehende. Die Kolostralmilch enthält bedeutend
mehr Eiweiß und Asche als die Milch späterer Luktationsperioden. Daß
das für die Stoffwechselbilanz eines Säuglings nicht gleichgültig ist, ist
klar. Vielleicht ist das Kind in den ersten Tagen auf eine Mehrzufuhr
von Eiweiß und Salzen angewiesen, um seinen status quo zu erhalten; so
würde es verständlich, daß das Anlegen eines neugeborenen Kindes an eine
Amme, deren Brust Wochen hindurch taktiert hat, den normalen Ablauf der
Wachstumsvorgänge stört. In den späteren Laktationsperioden kennen wir
nur geringe Schwankungen in der chemischen Zusammensetzung der Frauen¬
milch, die wir vernachlässigen. Gewöhnlich beschränkt sich die Analyse
einer Frauenmilchprobe auf den Fettgehalt. Auf Grund eines solchen, in
der Apotheke ausgeführten, ist man leicht zur Hand, eine Milch als fett¬
arm bzw. fettreich zu bezeichnen und eine vorhandene Störung damit zu
erklären. Es wird vielfach übersehen, daß der Fettgehalt der Frauenmilch
während des Trinkaktes keine konstante Größe darstellt, sondern vom Be¬
ginn bis zum Schluß fortwährend steigt. Die Analyse einer zu beliebiger
Zeit abgespritzten Frauenmilchmenge gibt kein Urteil über den wirklichen
Durchschnittsfettgehalt; sie ist überflüssig; man kommt den tatsächlichen
Verhältnissen nur dann nahe, wenn man mehrere Proben systematisch unter¬
sucht, trotzdem wird man vorsichtig sein müssen, und auch dann nicht eine
vorhandene Ernährungsstörung auf einen anormalen Fettgehalt der Milch
ohne weiteres zurückführen. Im allgemeinen geht die geltende Anschauung
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Referat» und Besprechungen.
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dahin, die Ursache einer sich bei einwandfreier Technik der Stillung ein¬
stellenden Ernährungsstörung sei in einem durch die Konstitution bedingten
krankhaften Zustand des Kindes und nicht in der Qualität der Milch zu
suchen. Die Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Ernährung durch eine
Amme, wenn die eigene Mutter stillunfähig ist, wird von der Frage der
Möglichkeit einer Syphilisübertragung beherrscht. Hier hat die Wassermann -
sche Reaktion große Bedeutung gewonnen. Womöglich wird die Reaktion
im Laufe einiger Wochen zweimal auszuführen sein. S. Leo.
I. Ibrahim (München), Über respiratorische Affektkrämpfe im frühen
Kindesalter (das sog. „Wegbleiben“ der Kinder). (Zeitschr. f. d. ges. Neur.
u. Psych., Bd. 5, H. 3.) Im Kindesalter, etwa bis zum 4.—5. Lebensjahr-
kommt es vor, daß in Zuständen stärkster Gemütserregung meist mitten im
heftigen Schreien der Atem plötzlich stillesteht unter starker Erstickungs¬
angst und Zyanose. Kommt die Atmung nicht bald wieder in Gang, so sinkt
das Kind um, das Bewußtsein ist aufgehoben, der Körper mitunter steif, mit¬
unter schlaff. Dann beginnt die Atmung wieder, entweder schreit das Kind
sofort wieder weiter oder es ist noch eine Zeitlang matt. Mit der Spasmo-
philie hat diese Erkrankung, wie ein von Anfang an gründlich beobachteter
Fall zeigt, nichts zu tun, ebenso nicht mit der Epilepsie. Die Prognose so¬
wohl für den Anfall als für das Leiden überhaupt ist günstig. Charakte¬
ristisch ist die Abhängigkeit von Gemütsbewegungen und das Aussetzen
der Atmung. Das erstere im Verein mit der neuropathischen Grundlage er¬
innert an die affektepileptischen Anfälle, das letztere läßt die Erkrankung
als einen von der Respiration aus ausgelösten pathologischen Bedingungs-
reflex auffassen, indem der als Bedingungsreiz wirkende Schrei zu einer
krampfhaften Innervation der Atemmuskel führt. Hiermit in Einklang steht
die Tatsache, daß eine Drohung oder die Ablenkung der Aufmerksamkeit
auch die unpersönliche Sachlichkeit des Krankenhausmilieus die Anfälle
kupiert. Im Anfall selbst ist das Bespritzen mit kaltem Wasser nützlich,
in der Zwischenzeit eine knappe eiweißarme Diät ev. im Verein mit Brom.
Zweig (Dalldorf).
Baginsky (Berlin), Seeklima und Kinderkrankheiten. (Zeitschr. für
Balneologie u. Kurorthygiene, Nr. 9, 1911.) Temperatur, Feuchtigkeit, Wind
und Luftdruck sind die ein Klima bestimmenden Hauptfaktoren. Die Milde
der Temperaturen an der See und die Geringfügigkeit der Schwankungen
machen den Aufenthalt für Kinder besonders günstig, da ihr Organismus
bei der relativen Größe der Körperoberfläche zum Körpervolumen von den
Einwirkungen plötzlicher Temperaturschwankungen mehr geschädigt wird
als der des Erwachsenen. Der Wind übt andererseits das Nervensystem der
Haut, besonders der Gefäße, trägt somit zur Abhärtung bei und regt den
Stoffwechsel an.
Besonders günstig werden beeinflußt Kinder mit mangelhafter Blut¬
beschaffenheit und Skrofulöse, vor allem die mit Schwellung der Lyrnph*
drüsen einhergehende. B. stellt die Wirksamkeit der Seebäder bzw. des See¬
klimas bei dieser Krankheit derjenigen der Soolbäder voran — mit Ausnahme
der mit Ohraffektionen komplizierten Skrofulöse. Für nicht geeignet er¬
achtet B. offene Tuberkulose, Herzerkrankungen nach Rheumatismus, Er¬
krankungen der Harn- und Verdauungsorgane, des Nervensystems sowie Ent¬
zündungen der Ohren, wenn nicht besondere Schutzmaßregeln für diese bei
hohem Seegang und starkem Winde getroffen werden. Krebs (Falkenstein).
Bornstein (Leipzig), Stoffwechselversuche mit Albulaktin bei künst¬
lich genährten Säuglingen. (Archiv für Kinderheilk., Bd. 56, H. 1—3.) Durch
exakte Versuche an Säuglingen mit Albulaktin-Ernährung kommt Verf.
dazu das Präparat zur Nachprüfung angelegentlich zu empfehlen.
Reiß (München).
Roeder (Berlin), Physiologisches zur Frage der Wärmemessung der
trinkfertigen Säuglingsnahrung. (Archiv für Kinderheilk., Bd. 56, H. 1—3.)
Auf Grund experimenteller Untersuchungen über das Verhalten der Magen-
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motilität sowie über das Verhalten und die Resistenz der Verdauungsenzyme
fordert R. für Säuglinge stets eine Wärme der trinkfertigen, künstlichen
Nahrung von 37° (Körperwärme), die das Optimum darstellt für jede kind¬
liche Nahrung. Reiß (München).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Paul Raymond, Zum Alter der Syphilis. (Bulletin medical, Nr. 5G,
S. 624, 1911.) In der Academie de Medecine demonstrierte R. am 18. Juli
einige Knochen aus prähistorischen Grabstätten im Gebiet der Marne, an
denen sich mit aller wünschenswerten differential-diagnostischen Sicher¬
heit gummöse Osteomyelitiden nachweisen lassen. Buttersack (Berlin).
Du Bois (Genf), Zweifel an der Wassermann’schen Reaktion. (Revue
med. de la Suisse Romande, Nr. 5, S. 337, 1911.) In der Societe medicale de
Geneve berichtete am 9. März Du Bois über Ergebnisse, welche zu denken
geben. Um zu erfahren, wie häufig Lues die Ursache des Haarausfalls sei,
stellte er systematisch die Wassermann’sche Probe an. In allen 11 Fällen
fiel sie positiv aus, und Du Bois ließ dieses Ergebnis im November 1910
veröffentlichen (in den Annales de dermatologie et de syphiligraphie). Nach¬
träglich kamen ihm aber doch Bedenken, ob denn wirklich alle Leute mit
Haarausfall syphilitisch seien. Deshalb unternahm er neue Untersuchungen
und schickte von allen Patienten auch Proben nach Paris an Dr. Sabou-
raud. Allein zu seiner größten Überraschung bekam dieser jedesmal das
entgegengesetzte Resultat: wo Du Bois positive notiert hatte, erhielt S a-
bouraud negative; und umgekehrt. Nunmehr schickte man Material an
Jadassohn in Bern; dessen Ergebnisse stimmten bald mit Du Bois,
bald mit Sabouraud überein.
Im weiteren Verlauf ergab sich des ferneren, daß derselbe Untersucher
bei demselben Patienten mit zwei gleich guten (?) Methoden verschiedene
Resultate erhielt; ja, daß sogar das Blut des gleichen Patienten, in zwei ver¬
schiedenen Röhrchen aufgefangen, bei derselben Untersuchungsmethode das
eine Mal eine positive, das andere Mal eine negative Reaktion lieferte.
Du Bois kommt mithin zu dem Schluß, daß man auf Grund der Wasser¬
mann’schen Reaktion eine syphilitische Infektion weder behaupten noch ab-
lehnen könne. Buttersack (Berlin).
Nicolas, Favre, Moulot (Lyon), Die Methoden der Luesdiagnose/ (Bull,
med., Nr. 60, S. 671—677, 1911.) Die drei Kliniker von Lyon haben auf dem
40. Kongreß de l’Association frangaise pour l’avancement des Sciences, Dijon
Juli-August 1911, die verschiedenen Methoden der Laboratoriumsdiagnose
der Syphilis Revue passieren lassen. Die Ergebnisse lassen sich etwa dahin
zusammenfassen: 1. Der Nachweis des Treponema pallidum, besonders im
Ultramikroskop, ist bei Primär- und Sekundärerscheinungen sehr wertvoll;
ein negativer Befund spricht aber keineswegs mit Sicherheit gegen Lues.
2. Überimpfung auf Affen ist langweilig und schwierig. Gerade im
Tertiärstadium, wo die Diagnose zweifelhaft, versagt sie zumeist.
3. Die Wassermann’sche Reaktion hat eine große klinische Bedeutung;
aber, eile ne doit pas etre considerce, qu’elle soit negative surtout et meine
qu’ellc soit positive, comme une methode de certitude absolue. Namentlich
in Fragen der Prophylaxe, Eheschließung und Beurteilung der therapeu¬
tischen Erfolge läßt sie im Stich.
4. Die Intradermoreaktion mit Syphilin ist noch nicht erprobt.
5. Die histiologische Untersuchung gibt keinen sicheren Aufschluß
über die syphilitische Ätiologie einer Läsion.
Danach scheint also die schließliche Diagnose doch wieder Sache der
Kliniker zu werden. Buttersack (Berlin).
E. Eitner (Wien), Ein Jahr Salvarsantherapie. (Die Heilkunde. Ärztl.
Staudesztg., Nr. 15, 1911.) Der Umfang der Kontraindikationen gegen die
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Salvarsantherapie und speziell gegen die intravenöse Anwendung, die von
E. jetzt allgemein angewendet wird, ist gegen früher eingeschränkt. Während
man früher jeden Herzfehler, jeden Pat. mit einer Spur Albumen, ältere
Patienten, Fälle mit Augen- und Ohrenerkrankungen, Tuberkulose usw. ab¬
gelehnt hat, ist E. heute weniger rigoros. Gut kompensierte Vitien sind
heute keine Kontraindikationen mehr. Er hat 18 Mitralinsuffizienzen,
1 Mitralstenose, 2 Aortensuffizienzen mit mittleren Dosen intravenös ohne
Störung behandelt. Vorsichtiger ist er bei Nephritis und Degenerationen des
Herzmuskels, speziell arteriosklerotischer Myokarditis. Jedoch hat er schon
eine Reihe von Personen im Alter von 60—70 Jahren injiziert; auch eine
Frau mit ausgeprägtem Basedow vertrug 0,4 S. intravenös. Tuberkulose be¬
handelt er ohne Bedenken, ebeuso luetische Erkrankungen des Auges oder
des Gehörorgans. Bei vorgeschrittenen Fällen von Tabes (Opticusatrophie)
hat er nie eine Verschlimmerung durch die Behandlung konstatieren können.
E. hat bisher 327 Personen behandelt, und zwar: Gruppe I: Sklerosen vor
Ausbruch des Exanthems 26. II. Manifeste Erscheinungen des Sekundär¬
stadiums 108. III. Manifeste Erscheinungen des tertiären Stadiums 28.
IV. Ohne Erscheinungen mit -f- Wassermann 116. V. Tabes 37. VT. Para¬
lyse 12. 7 Fälle von Gruppe I haben nach einer einzigen Injektion bisher
kein Exanthem bekommen , 4 haben — Wassermann, 1 -}- Wassermann. 6 Fälle
haben Exanthem. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein großer Teil der unge¬
nügenden Erfolge auf zu kleine Dosen zurückzuführen ist. Sehr verschieden
sind die Resultate bei Gruppe V und VI. Während manche Fälle geradezu
staunenswerte Besserungen aufwiesen, zeigten sich andere unbeeinflußbar.
Speziell die Schmerzen der Tabiker und die Anfangsstadien der Paralyse
sind zugänglich für das Salvarsan. S. Leo.
R. Krefting (Christiania), Ein sicherer Fall von Reinfectio syphilitica
eines mit Salvarsan behandelten Patienten. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 31, 1911.) Krefting teilt einen Fall von Reinfectio syphilitica nach
Salvarsan-Injektion mit, bei dem infolge der genauen Beobachtung kein
Zweifel an der Richtigkeit der Tatsache bestehen kann. Der Patient kam
am 19. Januar 1911 mit einem Primäraffekt in Behandlung. Es wurden zahl¬
reiche Spirochäten gefunden, Wassermann war negativ. Nach intravenöser
Salvarsan-Injektion von 0,5, die in einer Dosis von 0,45 nach 10 Tagen
wiederholt wurde, war das Ulcus überhäutet und die Induration geschwunden.
Am 30. April stellte sich der Kranke mit zwei charakteristischen Primär-
affekten vor. Spirochäten waren in Menge vorhanden, Wassermann schwach
positiv. F. Walther.
Allgemeines.
R. Brunon (Rouen), Der Alkohol und die Frauen. (Bulletin medical,
Nr. 56, S. 627—629, 1911.) Wenn irgend ein eifriger und fleißiger Assistent
ein neues Laboratoriumsexperiment ersonnen hat, dann setzen sich tausend
Federn in Bewegung, um über seine Gründe, Gesetzmäßigkeit, Bedeutung usw.
zu disputieren. Aber an Experimenten, welche die Natur und die Geschichte
uns im größten Stile vor unseren Augen vormachen, gehen viele Ärzte acht¬
los vorüber. Das Wachsen, Gedeihen und Vergehen von Nationen überlassen
sie bescheiden den National Ökonomen, als ob die Gesetze der Physiologie nur
für den Organismus des Individuums Geltung hätten und nicht ebenso für
den des Volkskörpers. Die ultramikroskopischen Studien in allen Ehren:
aber man braucht darüber die ultramakroskopischen Gebiete nicht zu ver¬
nachlässigen. Die Lektüre von Montesquieu’s Considerations sur les
causes de la grandeur des Romains et de leur decadence wäre mitunter ebenso
förderlich als die einer medizinischen Wochenschrift.
So sehen wir vor unseren Augen den Verfall unseres westlichen Nach¬
barvolkes sich abspielen, einer der schönsten Blüten an dem uralten Stamme
der Kultur. Es i^t 'eine Tragödie größten Stils, neben welcher alle Dichtung
und Bühnenkunst verblaßt — wenigstens für den, der sie zu schauen weiß;
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Referate und Besprechungen.
1127
und sie wird um so erschütternder durch die vergeblichen Bemühungen ein¬
sichtiger Männer, dem Drama Halt zu gebieten. Zu diesen letzteren gehört
Bruno n in Rouen. Er sieht im Alkohol eine der Ursachen des Niedergangs.
Die Männer verfallen körperlich und geistig den Wirkungen des Schnapses,
und notgedrungen müssen die Frauen an ihre Stelle treten. Der Feminismus
in Frankreich ist nicht der Ausdruck einer außergewöhnlichen Entwicklung
des weiblichen Geschlechtes; er ist im Gegenteil bedingt par l’insuffisance
morale et intellectuelle de Fhomme, par sa mollesse devant le travail. Am
meisten tritt das im Arbeiterstand zutage. Aber auch sonst macht sich die
Atrophie des männlichen Elementes bemerklich: Du haut cn bas de Fechelle
pociale, la femme fran^aise est en train de prendre la preeminence par l’in-
suffisance de l’homme. Die notwendige Folge dieser Entwicklung ist die,
daß im öffentlichen Leben in der Konstitution der Volksseele die weiblichen
Charaktereigenschaften überwiegen: il apporte une douceur de mceurs in-
connue aux autres pavs; mais il diminue la virilite dans les actes et dans
les resolutions. Lc point d’honneur s’affaiblit dans la conscience franoaise.
Die weiteren Folgen sind: depopulation, emasculation, Substitution de la
sentimentalit6 ä l’idee de force. In der Tat, nimmt man die inner- und außer¬
politische Betätigung eines Volkes als Emanation seiner Psyche, so lassen
sich darin unschwer eine Menge femininer Züge erkennen.
Es ist klar, daß unter dieser Verschiebung der Verhältnisse das
Familienleben leiden muß; und da die Familie nun einmal das Fundament
des Staates ist, so drohen dieser Institution auch von dieser Seite her Ge¬
fahren. Mit Spannung muß der Kundige den Zersetzungsprozeß verfolgen,
und mit fieberhafter Unruhe der Vaterlandsfreund nach Heilmitteln suchen.
Aber Rettung kommt weder von Physik noch Chemie, nicht von der Hygiene
und nicht von Polizeivorschriften; sie kann nur von innen heraus, durch
eine Änderung des Charakters, der gemütlichen Qualitäten erfolgen. Indessen,
ob eine solche möglich, ist im Hinblick auf die Lehren der Geschichte nicht
eben wahrscheinlich. Buttersack (Berlin)J
Über das Schlafen. (Societe de Psychotherapie, d’hypnologie et de
Psychologie, 20. Juni 1911. — Bulletin medical, Nr. 52, S. 584, 1911.) Eine
originelle Auffassung ist bezüglich des Schlafes auf der Jahresversammlung
der oben genannten Gesellschaft zum Ausdruck gekommen. Danach ist der
Schlafzustand der normale, und das Wachen stellt nur eine durch die Not¬
wendigkeit gebotene Modifikation dieses Zustandes dar. (Man könnte als
Analogie das Muskelsystem heranziehen, welches zumeist in automatischem,
unwillkürlichem Tonus steht und nur gelegentlich, gewissermaßen ausnahms¬
weise, sich kontrahiert. Ref,). Auf der Leiter der Lebewesen repräsentiert
die Pflanzenwelt die Stufe dauernden Schlafes, in welchem die Lebens¬
verrichtungen ganz von selbst vor sich gehen, in welchem aber doch —
wenn man so will — manche Prozesse dem Wachen, andere dem eigentlichen
Schlaf verglichen werden können. Etwas höher stellen dann primitive Tiere,
welche nur gelegentlich einmal ,,auf wachen“, wenn es sich lim Ernährung,
Verteidigung, Fortpflanzung handelt, und schließlich gibt es auch unter den
höheren Tieren, sogar unter den Menschen Individuen mit ganz verschiedenen
Graden des Wachseins. ,,I1 y a des dormeurs. eveilles en appnrence, et qu’il
faut reveiller integralement.“ Zwischen dem Wachsein eines Bauern oder
Subalternbeamten und jenem eines Großkaufmänns oder Forschers ist ein
himmelweiter Unterschied, wenn er auch sprachlich nicht fixiert ist. Vielleicht
steckt ein ähnlicher Gedanke in dem merkwürdigen arabischen Spruch:
,,Die Menschen schlafen; wenn sie aber sterben, dann wachen sie auf.“ (Ali’s
hundert Sprüche, von H. L. Fleischer, Leipzig 1887, Nr. 2.)
Mit Recht machte Bridon darauf aufmerksam, daß der Wechsel
zwischen Tätigkeit und Ruhe im Wesen des Lebens begründet sei. Bei
den Nerven- und Muskelzellen erfolge die Erholung in Bruchteilen einer
Sekunde, komme uns mithin gar nicht zur Erkenntnis; im Prinzip sei aber
diese minimale Ruhepause der einzelnen Ganglienzellc das gleiche wie der
mehrstündige Schlaf des Gesamtgehirns. Buttersack (Berlin).
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1128 Referate und Besprechungen.
Humanistische Studien vor dem französischen Senat. In der Periode
des anatomisch -materialistischen Denkens, an deren Ausgang wir augen¬
blicklich stehen, mochte es konsequent und rationell erscheinen, die medi¬
zinischen Studien ausschließlich auf die körperliche, physikalisch-chemische
Komponente des Menschen zu basieren. Die psychischen, ethischen, mora¬
lischen, intellektuellen Qualitäten wurden mit geringschätzigem Lächeln ab
nicht exakt beiseite geschoben, und so hat die kartesianische dualistische
Weltanschauung, welche heute die unbewußte Wurzel des Philosophierens der
sog. Gebildeten ist, zu einer tiefen Kluft zwischen den einzelnen Wissens¬
gebieten geführt, deren Tiefe und Breite man am deutlichsten an den Ver¬
suchen der physiologischen Psychologen erkennen kann, eine Brücke vom
Somatischen ins Psychische zu schlagen. Weiterblickende Köpfe haben er¬
kannt, daß ein Ausweg aus dieser Sackgasse nur mit Hilfe neuer philoso¬
phischer Anschauungen möglich ist. Aber auch unter denen, welche noch
nicht so weit entwickelt sind, macht sich eine Abkehr von dem einseitigen
materialistischen Denken bemerklich, indem die seelischen Eigenschaften
eines Menschen wieder mehr bewertet werden. Sie sind ja nun einmal wirk¬
lich vorhanden, und wenn die „exakten“ Wissenschaftler, die Chemiker, Bak¬
teriologen, Serologen usw. sie außerhalb ihrer Forschungen verweisen, So
mutet das genau genommen nicht gerade sehr „exakt“ an. Es erinnert das
an die Logik, mit welcher Lope de Vega den König von Portugal die Ideen
des Kolumbus von neuen Welten ablehnen ließ:
„Doch daß du hinter diesen drei Gebieten
„Ein weiteres findest, das mach mir nicht weiß.
„Erobere mir das schon Gesehene.
„An dem was da ist, übe deine Kräfte.
„Es kommt um den Verstand, wer dort will hausen“.
Da im geistigen Gebiet ebenso wie im physischen das Gesetz der
Trägheit herrscht, so erklärt es sich, warum ein neuer Bazillus, ein
neues Serum, ein neues Produkt der chemischen Laboratorien immer noch
so hoch bewertet wird und weshalb der Sinn für Ideale verkümmert ist;
und doch liegen hier die Wurzeln aller Erfolge, auch der naturwissenschaft¬
lichen. Leon Labbe erinnerte im französischen Senat an die Soldaten
der ersten Republik, die in ihren Tornistern den Horaz, Virgil und Cicero
mit sich trugen, an Claude Bernard und Pasteur, nach deren Urteil
die klassischen Studien die Quellen großer Ideen und wissenschaftlichen
Forschens sind. Wir Deutsche und die Engländer könnten dem genug Ana¬
loga an die Seite stellen.
Aber — und diese Betrachtungsweise L a b b e’s gibt zu denken — die
Zeiten der Hochflut materialistischen Denkens und Strebens sind im Ab¬
klingen begriffen. Die Zukunft gehört wieder den humanistischen, den
klassischen Studien. Mit seinen opulenten Instituten, klagt der Senator, hat
Deutschland Frankreich überflügelt und die Anglosaxonen, Skandinavier,
Japaner usw. an sich gelockt. Aber Frankreich muß mit allen Mitteln
darauf bedacht sein, de oonquerir de nouveau une clientele de disciples
dont une grande partie nous a echappe, et dont le retour ne pourrait que
grandir le renom de la France, und — wenigstens auf medizinischem Gebiet
— kann das mittels Wiederbelebung griechisch-römischer Bildung geschehen.
Les humanites, les legons d’Athenes et de Rome constituent la meilleure
preface des etudes scientifiques.
Mögen Russen, Japaner und andere Völker mongolischer oder negroider
Rasse der Ville Lumiere zustreben: wir Deutsche können aus den Ausfüh¬
rungen von Labbe, Pedebidou, Flaissieres, Reymond, welche
in der ehrwürdigen Körperschaft des Senats lauten Beifall fanden, die Mah¬
nung entnehmen, unserer, auf das Technische gerichteten Ausbildung wieder
ein stärkeres Gegengewicht im Klassizismus gegenüberzustellen. Denn in der
Kunst des Denkens waren uns die Griechen ebenso überlegen wie in der
Dichtung, Architektur und Skulptur. _ Buttersack (Berlin).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
fortscbritte der Itiedizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
hertusgegeben tod
Prcfwor Dr. 0. Köster Priv.-Do*. Dr. v. griejern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 48.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
für das Halbjahr.
= Verlag von Georg Thieme, Leipzig. :=
30. Novbr.
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Die Behandlung Geisteskranker.
Von Dr. 0. Itebm, Leipzig-Dösen.
Es ist außerordentlich schwierig und erfordert nicht nur eine jahre¬
lange psychiatrische Tätigkeit im allgemeinen, sondern es setzt auch
eine besondere Richtung ärztlichen Denkens voraus, in die Therapie
der Geisteskrankheiten einzudringen. Noch viel schwerer ist es, dar¬
über zu schreiben. Die Schwierigkeit beruht nicht so sehr darin, daß
von einer ,,Heilmethode“ bei vielen psychischen Erkrankungen nicht
die Rede sein kann, sondern vielmehr ist dieselbe darin zu suchen,
daß die systematische Zusammenfassung der Psychosen’ noch immer
große Bedenken erfährt, so daß man in der Psychiatrie eher von einem
Heilplan“ oder einer Therapie des einzelnen Ealles sprechen kann,
als von einer im wesentlichen einheitlichen Therapie bestimmter
Gruppen von psychischen Krankheiten. Daher kommt es, daß in der
Klinik den Studenten verhältnismäßig wenig über Therapie gesagt
wird; folglich weiß der praktische Arzt oft keinen Rat, wenn er eine
Psychose zur Behandlung bekommt, und versucht zunächst immer, Be¬
handlungsmethoden, welche ja gelegentlich von einem Erfolge nach
irgendeiner Richtung begleitet sein mögen, anzuwenden. Dazu kommt,
daß in manchen Fällen eine intensive Behandlung von Beschwerden,
sobald sie hypochondrischer Art sind, was ja allerdings nicht immer
ohne weiteres klar ist, geradezu schädlich auf den Geisteszustand
wirken kann und den praktischen Arzt, der nicht näher in psychiatrische
Denkweise eingedrungen ist, von der Behandlung der Psychosen eher
abseh recken wird.
Es ist also sehr schwierig, über Therapie der Geisteskrankheiten
zu schreiben, sobald dieselbe auf die einzelnen Psychosen sieh beziehen
soll. Da ist mir nun ein Aufsatz des Herrn D r. v. Nießl in die Hände
gelangt, der „allgemeine Winke über die spezielle Therapie der Geistes¬
krankheiten“ zu geben beabsichtigt. Da diese Abhandlung eine Zu¬
sammenknüpfung persönlicher Ansichten darstellt, denen einzelne
Spitzen gegen manche Persönlichkeiten nicht fehlen, kann sie wenig
Anspruch auf wissenschaftliche Aufklärung für weitere Kreise machen
und es erübrigt sich auf Einzelnes der Arbeit einzugehen. Deshalb aber
halte ich es für die Pflicht des Psychiaters, durch anderweitige Aufklä¬
rung der Tendenz der Arbeit entgegenzutreten, und ich habe daher mir
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O. Kelim,
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voi genommen, in kurzen Zügen die Behandlung Geisteskranker und ins¬
besondere die Irrenanstalt als wesentlichen Faktor derselben, zu kenn¬
zeichnen. Ich möchte bemerken, daß dadurch die Therapie natürlich
in keiner Weise erschöpfend dargestellt werden kann, zeigt doch schon
mein Aufsatz über die Hydrotherapie der Geisteskranken, wie in¬
dividuell solche Fragen behandelt werden müssen.
Der praktische Arzt wird im allgemeinen zunächst zu dem akut
Erkrankten zugezogen werden. Er findet meist eine sehr schwierige
Situation vor. Der Kranke selbst kann sehr häufig über seinen Zu¬
stand und über die Entstehung der Krankheit keine brauchbaren An¬
gaben machen, sei es, daß er verworren ist, sei es daß er gehemmt ist,
so daß ihm das Sprechen sehr schwer wird, sei es, daß er aus krank¬
haften Motiven (Wahnideen und Sinnestäuschungen) nicht Auskunft
geben will. Der gewissenhafte Arzt sucht nun, von den umgebenden
Personen, Familienangehörigen, Freunden etc. etwas in Erfahrung zu
bringen, um einigermaßen Klarheit über den Zustand zu bekommen
und mit gutem Gewissen eine Weiterbehandlung des Erkrankten über¬
nehmen zu können. Auch hier gibt es sehr oft große Schwierigkeiten.
In der Familie hat der Kranke manchmal destruicrend gewirkt ; sie hat
sieh entzweit ; die einen glauben, der Betreffende ist krank, die anderen
halten den Zustand für Verstellung; oder die Umgebung fürchtet, der
Arzt wird den Kranken sogleich einer Anstalt zuführen, oder man be¬
fürchtet, es möchte die Krankheit bekannt werden, was der Zukunft
nicht nur des Betreffenden, sondern auch den Familienmitgliedern
in Anbetracht der von ihnen vorausgesetzten Erblichkeit schädlich sein
könnte. Ist cs da zu verwundern, daß der praktische Arzt am liebsten
möglichst wenig mit Geisteskranken zu tun haben möchte? Hat sich
der Arzt die nächsten Maßnahmen über die Behandlung des Kranken
klar gemacht, Beruhigungsmittei hei erregten, Ernährung hei nali-
rungsverweigernden Kranken, Sicherung des Kranken vor Selbstmord
oder Sicherung der Umgebung vor Gewalttaten des Kranken, — so
kommt oft erst die Hauptschwierigkeit, die Behandlung der Umgebung,
die Instruierung derselben, die Beruhigung der Familie, indem dieselbe
über die Art der Erkrankung, soweit man sie eben beim ersten Beginne
beurteilen kann, ferner über die Zukunft des Erkrankten informiert
wird. Ist der Arzt nun nicht imstande, über die Art der Erkrankung
zu einem klaren Bilde zu kommen, was natürlicherweise bei der mangeln¬
den spezialistischen Ausbildung oft der Fall sein wird, so kommt in
Frage, das Urteil eines Spezialarztes zu hören. Solche Spezialärzte
für Geisteskrankheiten sind in jeder größeren Stadt vorhanden und
sie sind wohl zu unterscheiden von den Nervenärzten, denen psych¬
iatrische Kenntnisse vielfach vollkommen abgehen. In manchen Fällen
wird die Behandlung in der Familie oder bei Einzelstehenden in der
Behausung sich als untunlich erweisen, der Arzt wird sie dem nächsten
Krankenhause oder in der größeren Stadt einer Privatklinik bzw.
Spezialabteilung des Krankenhauses oder psychiatrischen Klinik
übergeben.
Die Krankenhäuser mit speziellen Abteilungen und die psych¬
iatrischen Kliniken sind zur Behandlung Geisteskranker aller Art ein¬
gerichtet, während die Krankenhäuser kleiner und mittelgroßer Art
zur Behandlung von Psychosen sich nicht zu eignen pflegen. Dieselben
besitzen weder einen psychiatrisch gebildeten Arzt, noch geeignte
Pflegepersonen, noch auch die Räume, um Geisteskranke unterzubringen.
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Die Behandlung Geisteskranker.
1131
Denn man muß immer von dem Standpunkt ausgehen, daß ein großer
Teil der psychisch Kranken besonderer Maßnahmen bedarf, welche den
Schutz der Kranken vor Selbstbeschädigung oder Selbstmord und die
Abhaltung von möglichen Gewalttätigkeiten der geistig Kranken gegen¬
über der Umgebung Gewähr leisten. Meist haben solche Kranken¬
häuser eine „Tobzelle“, in welcher die Kranken vielfach ohne Rück¬
sicht auf die besondere Art der Erkrankung untergebracht werden.
Diese sogenannte Isolierung ist zweifellos bei manchen Kranken nicht
gerade als Kunstfehler anzusehen, aber man muß immer daran denken,
daß verworrene Kranke sich in der Isolierung selbst bei guter Auf¬
sicht Verletzungen zufügen können, indem sie z. B. mit ihren Glied¬
maßen gegen die Wände und Türen schlagen, oder indem sie mit dem
Kopf gegen die Wand anrennen. Sind doch selbst in gut geleiteten
Abteilungen Fälle Vorkommen, daß sich Kranke den Augapfel heraus-
gerissen haben. Auch pmß man daran denken, daß Kranke im Al-
koholdelirium oder im pathologischen Erregungszustand einen epilep¬
tischen Anfall bekommen. Ich habe selbst einen Fall erlebt, daß
ein Kranker im Alkoholdelirium, wahrscheinlich in einem Krampf¬
anfall, sich durch plötzlichen Sturz einen tödlichen Schädelbrueh zu¬
gezogen hat.
Die Stätte, die hei längerdauernden und chronischen Erkrankungs¬
fällen hei weitaus den meisten Kranken die Behandlung zu übernehmen
hat, ist die Irrenanstalt, welche man in den letzten Jahrzehnten
in Heil- und Pflegeanstalten umgetauft hat, die man aber viel passen¬
der und zutreffender als Krankenanstalten für Geistes- und Gemüts¬
kranke bezeichnen würde; nicht deswegen, weil ein großer Prozent¬
satz der Kranken tatsächlich nicht geheilt wird, sondern deswegen,
weil diese Anstalten heutzutage durchaus das innere und äußere Ge¬
wand eines Krankenhauses tragen. Gewiß dienen diese Anstalten in
einem Teil ihrer Einrichtung der Pflege chronischer, dementer Kranker,
ähnlich wie die großen Krankenhäuser eine ganze Menge körperlich
Siecher zu beherbergen pflegen.
Die Privatanstalten, in denen meist nur wohlhabende Kranke
Unterkunft finden, und denen nach meiner Ansicht die Behandlung
kommuner Kranker, wie es z. B. in Berlin und Württemberg der Fall
ist, aus verschiedenen Gründen, auf die ich hier nicht näher eingehen
kann, nicht zukommt, sind meist mit allen modernen Einrichtungen
bester Art versehen. Vorsicht erheischt die Unterbringung Geistes¬
kranker in den sogenannten Sanatorien, weil diese durchweg in keiner
Weise die oben angeführten Vorbedingungen zur Behandlung solcher
Kranker haben; die großen Summen Geldes, welche zur Behandlung
in solchen Anstalten ausgegeben werden, pflegen nutzlos vergeudet
zu sein. Es ist zweifellos, daß der Arzt dem Drängen der Kranken
und deren Angehörigen gegenüber oft einen sehr schweren Standpunkt
einnimmt; denn meist gehen die Kranken nicht ungern in ein Sana¬
torium, während die Unterbringung in einer Anstalt für Geisteskranke,
sei es Klinik, Privat- oder Irrenanstalt, vielfach wie ein Urteil der
Unheilbarkeit fälschlicherweise auf gef aßt. wird.
Im folgenden möchte ich etwas ausführlicher auf die Einrichtung
und die Art der Behandlung in den öffentlichen Anstalten ein¬
gehen. Während früher bei dem Bau der Anstalten das sogenannte
Korridor-System bevorzugt wurde, indem sämtliche Kranke in einem
großen Gebäude mit verschiedenen Flügeln, welche alle von einem durch-
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O. Rehm,
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gehenden Korridor zu erreichen waren, untergebracht wurden und
während früher alte Klöster und Festungsanlagen zu Irrenanstalten
umgewandelt wurden, ja man sich sogar später nicht scheute, ganz
«analog den Gefängnissen das sogenannte panoptische System zu be¬
nutzen, hat man in neuerer Zeit die Anstalten durchweg im Pavillon¬
stil erbaut. Je nach der Zahl der zu behandelnden Kranken und je
nach der Zahl der vorhandenen Verpflegungsklassen ist eine kleinere
oder größere Anzahl von Gebäuden notwendig. Die Zahl der Kranken,
welche in einer Anstalt untergebracht sind, hat sich im Laufe der
Jahre'stetig vermehrt, so daß jetzt sehr viele der großen Anstalten
bis zu 1200 Kranke haben, ja in manchen Fällen ist man darüber
noch wesentlich hinausgegangen. Das hatte seinen Grund darin, daß
die Anstalten, welche für die Aufnahme einer größeren Anzahl Kranker
fähig sind, in ihrer Anlage und in ihrem Betriebe verhältnismäßig
billig sind. Eine Anstalt für 1200 Kranke ist im allgemeinen finanziell
vorteilhafter wie zwei Anstalten für je 600 Kranke. Vom rein ärzt¬
lichen Standpunkt aus ist zu betonen, daß im allgemeinen, je größer
die Anstalt ist, desto weniger die individuelle Behandlung des Kranken
gewährleistet erscheint.
Der Direktor der Anstalt hat nicht nur die Oberaufsicht über
die ärztlichen Maßnahmen als Arzt, sondern cs pflegt ihm der ganze
Verwaltungsapparat unterstellt zu sein. Es ist dadurch die Einheit¬
lichkeit des ganzen Betriebes garantiert: Kollusionen zwischen Ver¬
waltung und Arzt, wie sie in vielen Krankenhäusern ziu* Tagesordnung
gehören, sind durch dieses System so gut wie ausgeschlossen. Doch
ist der ärztliche Direktor dadurch nicht nur mit reinen Verwaltungs¬
angelegenheiten belastet, sondern oft auch damit überlastet. Es ist
außerordentlich schwierig, diesen heiklen Punkt prinzipiell zur Ent¬
scheidung zu bringen. Xach meiner Ansicht kann nur von Fall zu
Fall je nach den lokalen Verhältnissen und der Größe der Anstalt
geurteilt werden. An und für sich muß entschieden betont werden,
daß der Arzt den Kranken gehört, daß demnach die ärztliche Tätig¬
keit. im Vordergrund zu stehen hat, und daß ferner, je mehr der Arzt
durch Verwaltungsangelegenheiten in Anspruch genommen wird, er desto
mehr der Krankenbehandlung entfremdet wird. In den heutigen An¬
stalten führt der Direktor meist nur die ärztliche Oberaufsicht. Dies
ist noch angängig in Anstalten, in denen derselbe die einzelnen Kranken
kennt und mit gutem Gewissen ärztliche Entscheidungen treffen kann.
Haben die Anstalten aber, wie es häufig der Fall ist, eine Größe er¬
reicht, welche dem Direktor eine Übersicht über das Krankenmaterial
erschwert, ja unmöglich macht, so muß meines Erachtens eine andere
Organisation Platz greifen.
Es sind in den großen Anstalten eine Menge von Abteilungen
vorhanden, welche man organisatorisch zu verschiedenen Einheiten zu¬
sammenfassen kann. Es ist vorhanden eine Aufnahmeabteiiung, eine
Abteilung für unruhige Kranke, eine Uberwachungsabteilung für ruhige
Kranke, eine Abteilung für Kranke, welche unsozial und öfters leicht er¬
regt sind, Abteilungen für ruhige Kranke und eine A bteilung für körperlich
Sieche. Dazu kommen noch vielfach besondersartige Adnexe für Alkohol¬
kranke, ferner möglicherweise die Behandlung der in Familien unter¬
gebrachten Kranken, die sogenannte Familienpflege. Es pflegt meist
die Organisation derartig zu sein, daß der Direktor der Anstalt zwei
Oberärzte zur Seite hat, von denen der eine die Oberaufsicht über die
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Die Behandlung Geisteskranker.
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Abteilungen männlicher, der andere über die weiblicher Kranker führt.
Diesen Oberärzten sind eine Anzahl anderer Arzte unterstellt. Die Folge
davon ist, daß die unterstellten Arzte, welche manchmal an Dienst¬
alter den Oberärzten nur wenig oder gar nicht nachstehen, oft mit
Eifersucht und Mißtrauen die Tätigkeit derselben betrachten. Denn
man muß sich klar darüber sein, daß in den Anstalten sehr häufig
einfach das Dienstalter den Betreffenden in eine Vorgesetzte Stellung
einrücken läßt, während die Tüchtigkeit des Einzelnen eine mehr unter¬
geordnete Rolle spielt. Da die Anstalten nicht selten in die verkehrs¬
ärmsten Gegenden gelegt werden, so fehlt den Ärzten meist die Ab¬
lenkung durch Anregung von anderer Seite her. Darum halte ich
es fürs richtigste, daß, nehmen wir eine Anstalt von 1200 Kranken
an, welche über zehn Ärzte im ganzen verfügt, nur große, möglichst
zusammengehörige Abteilungen geschaffen werden. Eine von diesen
für den Direktor, gewissermaßen als Oberarzt, die anderen werden
durch weitere Oberärzte versehen, welche eine Lebensstellung haben
und durch ihre Tätigkeit in praktischer und wissenschaftlicher Be¬
ziehung zu dieser Tätigkeit besonders befähigt sind. Diesen sind die
übrigen Ärzte als Anstalts- und Assistenzärzte untergeordnet.
Der Direktor wird am passendsten die Aufnahmeabteilung über¬
nehmen, von welcher aus die Verteilung der Kranken auf die übrigen
Abteilungen erfolgt. Auf dieser Abteilung werden die Kranken unter¬
sucht, hier wird eine vorläufige Diagnose gestellt und eventuell die
Behandlung eingeleitet. Dom Direktor stehen zur Seite der älteste
der Anstaltsärzte, ferner am praktischsten die jüngsten, erst einzuweisen¬
den Ärzte. Der ersterc würde den Direktor in der Führung der
Verwaltungsangelegenheiten, ferner in der Unterweisung des Pflege¬
personals usw. unterstützen können. Es würde so eine gewisse Ein¬
heitlichkeit in der Anstalt gewahrt bleiben und der Direktor das ärzt¬
liche Personal genau kennen lernen.
Die Behandlung der eintretenden Kranken richtet sich zunächst
nach praktischen Gesichtspunkten. Unruhige Kranke und solche, welche
zu Gewalttätigkeiten neigen, werden der Abteilung für unruhige Kranke
übergeben. Die anderen pflegen in die ruhige Uberwachungsabteilung
zu kommen, um von hier aus später je nach dem Charakter ihrer
Psychose anderen Abteilungen zugeteilt zu werden. An Behandlungs¬
methoden stehen dem Arzte verschiedene ziu* Verfügung. Neben der
psychischen Behandlung und den Suggestivmethoden werden hydro¬
therapeutische Maßnahmen, wie Bäder in Gestalt von prolongierten
und Dauerbädern, naßwarmen Einpackungen, Abreibungen usw. an¬
gewandt. Eine große Rolle spielt die Bettbehandlung bei gewissen
Kranken, ferner im Gegensatz dazu die Arbeitstherapie in verschiedener
Ausdehnung. Zu erwähnen sind noch die nutzbringende Anwendung
der schwedischen Heilgymnastik, von Turnen und Bewegungsspielen.
Es ist natürlich ein großer Unterschied, ob sich die Kranken aus
ländlichen oder aus städtischen Bevölkenuigskreisen rekrutieren.
Die ersteren werden passenderweise in besonderer Ausdehnung zu land¬
schaftlichen Arbeiten herangezogen, während die letzteren mehr Neigung
zur Garten- und "Werkstattarbeit besitzen. Dementsprechend ist länd¬
lichen Anstalten meist ein größeres Gut angegliedert, während die
städtischen zahlreiche "Werkstätten besitzen. Zu erwähnen ist, daß
bei der Behandlung Geisteskranker Zwangsmaßregeln modernerweise
in Wegfall kommen und daß die Zellenbehandlung fast gar nicht
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O. Rehm, Die Behandlung Geisteskranker.
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mehr angewendet wird. Sollte die Anstalt eine größere Menge ver¬
brecherische Geisteskranker oder Verbrecher, welche zur Beobachtung
ihres Geisteszustandes eingewiesen sind, beherbergen, so würden sich
besondere Sicherheitsmaßregeln notwendig machen.
Selbstverständlich ist, daß jede Anstalt eine Anzahl von Labo¬
ratorien besitzt, in denen klinische, anatomische und psychophysische
Untersuchungen vorgenommen werden. Die Laboratoriumsarbeit ist wie
in jedem Krankenhaus, so auch in der Irrenanstalt absolut notwendig,
und es muß für die entsprechenden Bedürfnisse eine größere Summe
Geldes ausgesetzt sein.
Das Pflegepersonal rekrutiert sich in den meisten Anstalten
aus den ungebildeten Bevölkerungsklassen. Personen aus den ersten
und mittleren Bevölkerungsschichten widmen sich wohl häufig dem
Krankenpflegedienst, haben aber eine große Scheu vor dem Ver¬
kehr mit Geisteskranken. So bedauerlich diese Tatsache ist, so erklär¬
lich ist sie dadurch, daß psychisch Kranke oft in ihrem Benehmen
und in ihren sprachlichen Äußerungen (vor allem auf sexuellem Gebiete)
keine oder wenig Schranken haben und dadurch bei empfindlichen Per¬
sonen anstoßen. Die Pfleger bzw. Pflegerinnen pflegen nach einer
Reihe von Jahren feste Anstellung mit Pensionsfähigkeit zu erreichen.
Diese Umstände sind neben einer ausreichenden Bezahlung notwendig,
damit ein zuverlässiges Personal herangezogen werden kann. Auf den
männlichen Abteilungen wird in den meisten Anstalten nur männliches
Personal verwendet, obwohl es durchaus wünschenswert wäre, für die
Verwaltung der Abteilung und in den Siechenabteilungen weibliches
Personal heranzuziehen, welches für manche Zwecke besonders geeignet
ist, und insbesondere den oft etwas kurzen und rüden Ton männlicher
Abteilungen besser zu stimmen vermag. Besonders günstig zeigt sich
in manchen Kliniken die Verwendung der sogenannten geistlichen
Schwestern.
Habe ich so in großen Zügen die Einrichtung der Anstalten und
mögliche Verbesserungen der Organisation besprochen, so möchte ich
noch zum Schluß einige Worte über die Entlassung der Kranken zu¬
fügen. Es ist klar, daß ein großer Teil der Kranken ungeheilt ent¬
lassen wird. Dieselben kommen meist in die häusliche Pflege. Ein
anderer Teil, und es ist der kleinste, kann genesen entlassen werden.
Die weitaus größte Anzahl der Kranken kommt gebessert zur Ent¬
lassung. Man hört und liest immer wieder von Klagen, daß entlassene
Kranke früher oder später Verbrechen begehen, und die Allgemeinheit
ist geneigt, die Schuld den Psychiatern zuzuschieben und zu fragen, wie
man nur solche Leute entlassen könne. Dagegen ist zu bemerken,
daß es eine große Anzahl von Kranken gibt, welche nach wesentlicher
Besserung in einiger Zeit wieder schwerer psychotisch werden, ferner
daß es andere gibt, welche an der Grenze zwischen Geisteskrankheit
und Gesundheit stehen und darum ihr ganzes Leben lang eventuell
zwischen Gefängnis und Anstalt hin- und herpendeln. Es handelt sich
im wesentlichen um Hysterische und Psychopathen, bei denen das Urteil
nach dieser oder jener Richtung hin ausfallen kann, kurzum, mehr
oder weniger subjektiv ist.
Es würde sieb die Aufklärung über solche Zustände von seiten
eines jeden einzelnen Arztes lohnen; denn die in vielen Volks¬
kreisen gangbare abfällige Meinung über die Psychiater im allgemeinen
und ihre Tätigkeit im einzelnen Falle fällt selbstverständlich auf den
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Camphausen, Sotopan bei Ltingeukraukheiten.
1135
ganzen ärztlichen Stand zurück. Sollte solchen Angriffen von seiten
des Laienpublikums, wie man sie tagtäglich in jeder Zeitung lesen kann,
nicht wirklich mit der Zeit durch eine verständnisvolle Aufklärung
von seiten der Ärzte der Boden entzogen werden können? Ich möchte
die Hoffnung nicht aufgeben, daß gemeinsame Arbeit nach und nach
auch diese Seite ärztlicher Tätigkeit dem Verständnis der Bevölkerung
näherbringen wird.
Sotopan bei Lungen^rankheiten.
Von Dr. Camphuusen, Spezialarzt für Lungenkrankheiten,
leitender Arzt des Sanatorium Neudorf bei Görbersdorf.
Obwohl in den letzten Jahrzehnten das Stieben der medizinischen
Wissenschaft dahingeht, die Krankheiten auf hygienisch-physikalisch-
diätetischem Wege zu bekämpfen, so wird es doch recht häufig Vor¬
kommen, daß wir die medikamentöse Behandlung nicht entbehren können.
Zweifellos ist es ein großer Fortschritt, daß der moderne Arzt sieh nicht
mehr damit begnügt, seinem Kranken ein langes Rezept zu verschreiben,
sondern bemüht ist, durch geeignete hygienische Maßnahmen, Allgemein¬
vorschriften und diätetische Anordnungen den Körper des Kranken
widerstandsfähiger im Kampfe gegen die Krankheit zu machen. Aber
auch hierbei soll man nicht von einem Extrem ins andere fallen und
frei von einseitiger Prinzipienreiterei alle zu Gebot? stehenden Mittel
benutzen, um dem Patienten Nutzen zu bringen.
Gerade in letzter Zeit, hat uns die chemische Industrie eine Anzahl
von Präparaten beschert, die fuis einer Mischung von verschiedenen
als; wirksam anerkannten Arzneistoffen bestehen. Wohl weiß ich, daß
von manchen Ärzten derartige kombinierte Präparate nicht gerne ver¬
ordnet werden, daß dieselben vielmehr vorziehen, die darin enthaltenen
Arzneistoffe einzelnen zu verordnen. Sehr mit Unrecht — will mir
scheinen. Uenn der Arzt, der den Widerwillen mancher Kranker gegen
das viele Einnehmen von Arzneien kennt, wird es dankbar anerkennen
müssen, wenn ihm ein Präparat in die Hand gegeben wird, mittels
dessen er in bequemer .Weise zusammen mehrere wirksame Arzneimittel
verordnen kann.
Von diesem Gesichtspunkte heraus erscheint mir nach meinen in
letzter Zeit gesammelten Erfahrungen ein neues Präparat von besonderem
Nutzen zu sein, das Sotopan, das in flüssiger und in Tablettenform
in den Handel kommt. Man ging bei der Herstellung dieses Präparates
von dem Grundgedanken aus, daß mehrere spezifische Arzneikompo¬
nenten vereint einen bedeutend größeren Effekt erzielen als die einzelnen
Bestandteile nebeneinander, eine Tatsache, die durch mannigfache Ver¬
suche erwiesen ist. Der Gedanke, mehrere Arzneistoffe zu kombinieren,
erscheint sehr einfach, ist es doch aber nicht so ganz, denn einmal kommt
es auf die richtige Auswahl derselben an, sodann aber müssen sie sich
miteinander überhaupt vereinigen lassen, müssen haltbar und im End-
geschmack und Geruch nicht widerlich sein. Im Sotopan scheint mir diese
Aufgabe recht glücklich gelöst zu sein. Das Präparat enthält laut
Analyse als wirksame Bestandteile: Chinin, Brom, Calcium glyc.ero-
phosphoricum. ferrum lacticum. Diese Auswahl von Arzneistoffen legte
mir den Gedanken nahe, das Präparat besonders in meinem Spezialgebiete
der Tuberkulosebehandlung zu versuchen aus folgenden Erwägungen
heraus: Wie Sobotta in einer längeren Arbeit, deren Ausführungen
ich nur völlig zustimmen kann, ausführt, beruht das eigentlich disponie-
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Camphausen,
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rende Moment der Tuberkulose jiicht zum geringen Teil auf einer Ver¬
armung der Körperorgane an Kalksalzen. Der Urin des Tuberkulösen
läßt eine erhöhte Kalkausscheidung nachweisen, Knochen und Zähne
Tuberkulöser sind im Vergleich mit denen gesunder Menschen bedeutend
kalkärmer. Hiermit läßt sich auch die Erfahrung in Einklang bringen,
daß die Tuberkulose bei Diabetikern und Schwangeren gewöhnlich einen
viel bösartigeren, rapideren Verlauf nimmt als bei anderen, weil eben
diese Zustände schon an sich erhöhte Anforderungen an den Kalkgehalt
des Körpers stellen und somit zwei disponierende, schädigende Momente
Zusammentreffen. Andererseits hat die Erfahrung gelehrt, daß Arbeiter
in Kalkwerken trotz ungünstiger hygienischer Bedingungen relativ sel¬
ten an Tuberkulose erkranken, ebenso wie Gichtiker, bei denen ja be¬
kanntlich ein erhöhter Kalkgehalt des Blutes vorhanden ist. Ferner
wird auch wohl heute der Gedanke zu wenig berücksichtigt, daß zur
Verkalkung des tuberkulösen Herdes selbst doch wohl die Zufuhr
von Kalksalzen nützlich ist, die Grundidee bei allen Bade- und Trink¬
wassern, die zur Behandlung der Tuberkulose empfohlen werden. „Es
erscheint daher,“ sagt Sobotta, „durchaus berechtigt-, Kalk zur Be¬
handlung von Tuberkulose heranzuziehen.“ Haupterfordernis bei dieser
Art der Therapie ist aber natürlich, daß die Kalksalze gut. löslich
und resorbierbar sind.
Diese Förderung wird vorn Sotopan in vollkommener Weise er¬
füllt, enthält es doch als Hauptbestandteil das Calcium glycerophos-
phoricum, ein gut lösliches, leicht resorbierbares Kalksalz. Auf diesen
Gehalt führe ich in erster Linie seine gute Wirkung zur Bekämpfung
der Tuberkulose besonders hinsichtlich der Konsolidierung eines in der
Heilstätte erzielten Erfolges zurück. Dieses Kalksalz hat noch den
Vorzug, (durch seinen Gehalt an Lezithin als Nervennahrung, die ja
der tuberkulöse Körper so gehr nötig hat, zu dienen. Fast jeder Tuber¬
kulöse ist ja gleichzeitig ein Nervenkranker und die Tatsache, daß
Lezithin und seine Derivate spezifisch kräftigend auf* das Nerven¬
system wirken, läßt sich wohl kaum hinwegdisputieren.
In Anbetracht dieser Erkenntnis ist es nun weiter eine glücklich
gewählte Eigenschaft des Sotopans, daß es auch ein direktes Nerven¬
beruhigungsmittel enthält: unser altbewährtes Brom. Unendlich groß
ist die Reihe der nervösen Erscheinungen bei Tuberkulose, von denen
ich nur die nervöse Schlaflosigkeit, die nervöse Reizbarkeit, nervöses
Herzklopfen, nervöse Sexualstörungen erwähnen will. Wenn diese Er¬
scheinungen ja auch nur Symptome der Grundkrankheit sind und mit
Besserung des Grundübels zu schwinden pflegen, so ist der Arzt doch
oft gezwungen, direkte Mittel dagegen zu geben, da sie den Kranken
sehr herunter bringen und so einen circulus vitiosus darstellen, der die
Heilung der Tuberkulose außerordentlich erschwert. Bei dem chroni¬
schen Verlauf der Tuberkulose können wir nun nicht immer zu den
schärferen Schlaf- und Beruhigungsmitteln greifen, da sie alle mit¬
einander den Körper und das Nervensystem angreifen, das Schlimmste,
was wir den tuberkulös Erkrankten zufügen können. Brom hingegen
kann längere Zeit gegeben werden und ist es im Sotopan offenbar in
äußerst glücklicher Form und Dosierung enthalten, da ich nie schäd¬
liche Wirkungen, wohl aber stets den prompten und anhaltenden seda¬
tiven Einfluß des Präparate beobachten konnte.
So haben wir bisher zwei vorzügliche Wirkungsweisen des Soto¬
pans kennen gelernt, die es würdig erscheinen lassen, in den Arznei-
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Sotopan l>ei Lungenkrankheiten.
1137
schätz besonders der Tuberkulosetherapie eingereiht zu werden: 1. Es
beugt durch den glücklich gewählten Gehalt eines leicht löslichen Kalk¬
salzes der Entkalkung des tuberkulösen Körpers vor, indem es gleich¬
zeitig die Verkalkung des tulverkulösen Herdes befördern hilft, 2. es
wirkt spezifisch nährend und beruhigend auf das labile Nervensystem
des Phthisikers ein.
Noch weitergehende Forderungen aber, die man an ein Tuberku-
losebekämpfungsmittel zu stellen berechtigt ist, erfüllt das Sotopan.
Man kann die Tuberkulose auch eine Krankheit des Bluts nennen inso¬
fern, als sehr häufig an Anämie sich Tu Ix-rku lose anschließt resp.
dieselbe schon das erste Anzeichen einer bestehenden Tul>erkulose ist
und ferner im Verlauf der Tuberkulose fast ständig eine Verminderung
des Hämoglobingehaltes des Bluts sich nach weisen läßt. Diesen Zu¬
stand bessern heißt also gleichzeitig gegen die Grundkrankheit angehen.
Denn ein direktes Heilmittel der Tul>erkulose gibt es nicht, wir sind
in sehr vielen Fällen darauf angewiesen, die Symptome zu bekämpfen.
Das älteste und bewährteste .Heilmittel bei allen Arten von Anämie
und ihren Folgeerscheinungen ist das Eisen, aber auch hier heißt es
wieder: nil nooere. Es muß das Eisen in einer Form gegeben werden,
in der es leicht resorbierbar ist und dem Magen nicht schadet. Das
Sotopan enthält Eisen in Form von Ferrum lactieum, das leicht löslich
und wohl bekömmlich ist.
Als letzte Komponente des Sotopans bleibt nur noch das Chinin
zu nennen, ein viel umstrittenes Medikament, das aber in letzter Zeit
mit Hecht wieder mehr in Aufnahme kommt, als Tonikum und Stomachi-
kum ist es meines Erachtens nicht zu unterschätzen, aber auch die
desinfizierende Wirkung darf nicht vergessen werden. Inwiefern Tonika
bei der Behandlung der Tuberkulose nützlich sind, habe ich schon oben
auseinandergesetzt und erhellt ohne weiteres aus der Art der Tuberku¬
lose als Erschöpfungskrankheit. Ein Stomachikum sind wir in fast
allen Fällen von Tuberkulose genötigt zu geben, da fast stets bei Tuber¬
kulose Anorexie besteht, und mit dem Überwinden dieser Schwierig¬
keit steht und fällt oft unser ganzer Behandlungsplan. Daß sich zu
diesem Zwecke Chininpräparate besonders eignen, ist eine alte Erfah¬
rung und ist es freudig zu begrüßen, daß dieselben nach einer Zeit der
Ablehnung nun wieder mehr in Aufnahme kommen und auch bei der
Zusammensetzung des Sotopans Berücksichtigung gefunden haben. Die
Frage endlich, ob das Chinin einen nennenswerten desinfizierenden Ein¬
fluß ausübt, ist ja noch viel umstritten, ich habe aber doch den Eindruck,
als wenn die bei Phthisikern oft abnormen Darmfäulnisvorgänge durch
Chinin hintenan gehalten würden. Ob das Chinin ähnlich wie bei Malaria
so auch bei Tuberkulose direkt die Mikroben anzugreifen imstande ist,
vermag ich nicht zu entscheiden. Immerhin aber habe ich die Erfah¬
rung gemacht, daß unter Behandlung mit Sotopan gewisse Formen
tuberkulösen Fiebers, die anderen Mitteln getrotzt haben, günstig be¬
einflußt werden, mag dies nun eine Folge des auf den Allgemeinzustand
gut wirkenden Einflusses des Sotopans sein oder eine spezifische Wir¬
kung seines Gehalts an Chinin.
Fasse ich nach dem Geschilderten die Wirkungsweise des Soto¬
pans zusammen, so möchte ich es in erster Linie bei allen Formen von
Tuberkulose empfehlen, da es auf eine ganze Reihe von Symptomen
sowohl wie auch auf den Prozeß selbst in besserndem Sinne einwirkt.
Speziell empfehle ich cs bei Tuberkulose, die durch Diabetes kompliziert
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Camphausen, Sotopan bei Lungenkrankheiten.
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ist, wie auch bei den Formen, die jdurch Schwangerschaft resp. während
des Stillens in Erscheinung treten resp. sich verschlimmern. Sodann
ist es von günstigem Einfluß, bei allen Zuständen von Anämie und
Chlorose sowohl primärer wie sekundärer Natur, bei allen Erschöp¬
fungszuständen, zehrenden Krankheiten mit .Magenstörungen, speziell
auch bei dem großen Heer neurasthenischer Beschwerden. Und end¬
lich dürfte es im Verein mit hygienisch-diätetischen Maßnahmen ein
willkommenes Hilfsmittel sein bei der Behandlung der Skrofulöse und
Rachitis, den beiden Krankheiten, gegen die oft vergeblich so vieles
versucht wird und die doch besonders in der ärmeren Bevölkerung so
weit verbreitet und in ihren Folgezuständen so schwerwiegend sind für
die Befallenen sowohl wie auch für die Nachkommenschaft. Mögen sich
auch in dieser Hinsicht weiterhin die Erwartungen erfüllen, die ich
an das so einfach anzuwendende Sotopan knüpfe. Die Kosten einer
Sotopankur sind nicht so hoch (täglich ca. 20—25 Pfg.), daß sie nicht
auch weniger bemittelte Kreise erschwingen könnten.
Von der Wirkungsweise des Sotopans mögen einige kurze Kranken¬
geschichten Zeugnis ablegen:
1. L. R., 45 jährige Dame, die an beiderseitiger Tuberkulose,
kompliziert mit Appetitlosigkeit und Durchfällen nicht spezifischer
Natur leidet. Temperatur subfebril. Gegen letztere Pyramidon verord¬
net, das aber in diesem Falle ganz versagt. Pat. wird am meisten
durch ihre Durchfälle beunruhigt,, die infolge ihres äußerst fötiden
Geruchs äußerst lästig sind. Ich versuchte Sotopan und konnte dreierlei
günstige Beeinflussung konstatieren. 1. Die Temperatur kehrte ganz
allmählich zur Norm zurück, 2. der Stuhlgang nahm an Häufigkeit ab,
verlor vor allem den so sehr belästigenden Geruch, der Appetit besserte
sich. 3. Im Verein mit hygienisch-diätetischen Maßnahmen war nach
mehrwöchentlicher Behandlung ein deutlicher Rückgang des tuberku¬
lösen Prozesses zu konstatieren, der Herd zeigte deutlich die Neigung,
sich abzugrenzen.
2. H. L., 48jähr. sehr nervöser Herr. Beiderseitige leichte Spitzen¬
affektion, kompliziert mit mäßigem Diabetes. Zum energischen Kur¬
machen ist der Pat. schwer zu bewegen und gebe ich ihm daher neben
nicht allzustrengen diätetischen Verordnungen Sotopan. Das Allge¬
meinbefinden bessert sich wesentlich, die Neurasthenie geht zurück,
der Lungenprozeß bleibt während mehrwöchentlicher Beobachtung ohne
besondere Kur trotz der Komplikation mit Diabetes konstant, Pat. nimmt
an Gewicht zu. Weun die Prognose natürlich auch noch zweifelhaft
ist, so ist zurzeit jedenfalls unter Sotopanbeliandlung die Erkrankung
zum Stillstand gekommen.
3. H. S., sehr anämisches Mädchen, am Knochenskelett Zeichen
von Rachitis, beiderseitige Lungentuberkulose, Appetit liegt sehr dar¬
nieder. Auch dieser Fall schien mir nach theoretischer Überlegung
für Sotopanbehandlung sehr geeignet und der Erfolg gab mir Recht.
Zunächst bemerkte ich bei Sotopanbehandlung auffallende Rötung der
Gesichtsfarbe und der Schleimhäute, dann besserte sich der Appetit,
so daß sich allmählich Zunahme einstellte, damit schwand das Gefühl
der Müdigkeit und der Unlust zu jeder Tätigkeit; der Lungenbefund,
der anfangs über beiden Lungen verbreitet war, beschränkt sich jetzt
nach achtwöchentlicher Behandlung auf beide Spitzen.
4. F. S., skrofulöses Kind mit starker Belastung. Linke Lungen¬
spitze verdächtig. Leidet an immer rezidivierenden Augenentzündungen
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Kayser, Die Behandlung der Retroflexio uteri.
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und nässenden Ekzemen im Gesicht. loh gebe neben allgemein üblicher
Therapie Sotopan und bin mit dem Erfolg sehr zufrieden. Die Augen¬
entzündung ist ganz geschwunden, das Ekzem wesentlich zurückge¬
gangen, der pastöse Habitus ist einer normalen Konstitution gewichen,
Appetit und Verdauung im Gegensatz zu früher gut geworden. Das
Kind, das früher zu Verdrießlichkeit neigte, ist vergnügt und spielt
lebhaft mit seinen Altersgenossen.
Die Behandlung der Retroflexio uteri.
Von Professor Dr. Kayser, Köln.
(Schluß.)
Also auch auf dem Gebiete der operativen Behandlung der lietro-
flexio uteri eine außerordentliche Mannigfaltigkeit operativer Vor¬
schläge und technischer Einzelheiten; immerhin gestatten uns die bis¬
herigen Erfahrungen wohl eine abschließende Beurteilung des IVertes
der einzelnen Methoden.
Die Morbidität der Verfahren kann als Null gelten. Die Beur¬
teilung hat somit die orthopädischen Dauerresultate, die postoperativen,
Komplikationen und den Einfluß der durch die Operation erzielten Lage-
korrektur auf den Verlauf einer etwa erfolgenden Schwangerschaft zu
berücksichtigen.
Lassen wir von diesen Gesichtspunkten aus die Verfahren, welche
heute noch geübt werden, vor uns Revue passieren, ohne daß wir uns
in statistische Details verlieren, so können wir folgendes feststellen:
Die Dauerresultate der Ventrifixur sind im allgemeinen gute;
selbst bei der mangelhaften Technik früherer Zeiten berechnen wir
etwa 92°/ 0 gute orthopädische Erfolge. Das kann nicht wundernehmen.
Denn wenn auch gerade die komplizierten mit Adhäsionsbildung einher-
gehenden Fälle der Ventrifixur unterzogen werden, so ist doch eben
bei dem Verfahren am ehesten eine gründliche Beseitigung der so
leicht zu Rezidiven führenden peritonealen Fixationen möglich. Die
Mißerfolge beruhen zumeist auf einer Ausziehung der seroserösen
Verbindung bei der Methode nach Leopold-Czerny derart, daß eine
Art mehr oder minder schlaffen Bandes, das vielgenannte Ligamentum
medianum iertium uteri, zustande kommt. Es bildet zugleich die
Ursache der nach der Ventrifixur mitunter eintretenden schweren Kompli¬
kation eines Strangulationsileus, welcher übrigens, soweit ich die Lite¬
ratur übersehe, nur in 3 Fällen zur Beobachtung kam. Diese Gefahr
vermeidet auch die Anheftung nach Olshausen nicht. Hier können
in die schmale, durch die Verkürzung der Ligg. rot. geschaffene Lücke
zwischen Bauch wand Und Corpus uteri gelegentlich Darmschlingen
hineinschlüpfen und sich einklemmen. Man hat schon früher dieser
bis jetzt allerdings nur jn 4 Fällen beobachteten Komplikation da¬
durch zu begegnen versucht, daß man durch einige seroseröse Nähte
die Bucht der Plica vesico-uterina ausschaltete. Bei dem Verfahren
von Doleris sind, soweit mir bekannt, Ileusfälle bisher nicht beobachtet.
Die wichtigste Komplikation der Ventrifixur nach Czerny-Leopold
liegt jedoch in der mitunter beobachteten Störung der Schwangerschaft
bzw. des GeburtsVerlaufs. Der Grund ist klar. Wenn das Corpus
uteri hoch oben in derbe Verbindung mit einer tief an der vorderen
Bauchwand gelegenen Stelle gesetzt ist, so ist der Uterus in seiner
ganzen vorderen Hälfte zu einer Entwicklung unfähig. Es kommt
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daher, sei es infolge der dadurch gesetzten Zirkulationsstörung oder Be¬
hinderung der Plazenta, sich an der vorderen Wand zu entwickeln, zum
Abort. Bei weiter vorwärtssehrei tender Gravidität stellt ferner fast aus¬
schließlich die hintere Wand den Fruchthalter dar. Die dadurch bedingte
Geburtsstörung kann eine zweifache sein: infolge der partiellen Muskel¬
arbeit bleibt die Geburtsarbeit eine unausgiebige; es bilden sich leicht
tetanische Wehen aus; in der Nachgeburtsperiode ist mit atonischen
Nachblutungen zu rechnen oder (und darin ist die verhängnisvolle
Störung zu sehen) die Portio wird unter der Wirkung der Wehen
nach hinten nach dem Promontorium gezogen, so daß sie unter Um¬
ständen dem palpierenden Finger unerreichbar bleibt.
Da der Fruchtachsendruck nicht in der Führungslinie, sondern gegen
die hintere Beckenwand wirkt, kann eine absolute Geburtsunmögliclikcit
eintreton. Wenn nicht rechtzeitig die Entwicklung des Kindes durch die
Sectio caesarea erfolgt, resultierte eine Uterusruptur.
Diese Gefahr wird bei der Ventrifixur nach Olshausen und
Doleeris, welche die Ausdehnung der vorderen Uteruswand in keiner
Weise hemmt, vermieden; doch ist, um die Ausdehnungsfähigkeit der
vorderen Uteruswand in keiner Weise zu beeinträchtigen, bei der Ols-
hausen’schen Ventrifixur darauf zu achten, daß die Ansatzstellen des
Lig. rot. nicht im unteren Wundwinkel, sondern seitlich an der Mittellinie
mit der vorderen Bauchfaszie in Verbindung gesetzt werden. Der gravide
Uterus zeigt sonst leicht eine (längsgestellte Einsattelung. Aus gleichem
Grunde empfiehlt es sich, die Methode nach Doleris mit dem Pfannen-
stiel’schen Querschnitt zu kombinieren.
Die Dauerresultate der Vaginifixur erreichen die Resultate der
Ventrifixur nicht; sie schwanken etwa zwischen 75—94% Heilung.
Sie sind im .allgemeinen nur dann befriedigende, wenn der Uterus
an seinem Fundus, und zwar intraperitoneal, d. h. mit Eröffnung des
vorderen Douglas fixiert wurde. Aber gerade diese Voraussetzungen
eines guten orthopädischen Dauerresultats bilden nach den allgemeinen
Erfahrungen der Praxis die Ursache der so häufig nach dem Eingriff
beobachteten Störungen der Schwangerschaft und der Gehurt. Denn
die oben skizzierte Gefahr einer tief angelegten Ventrifixur birgt diese
Vaginifixur in erhöhtem Maße. Wie dort entwickelt sich der Frucht¬
halter fast ausschließlich auf Kosten der hinteren Wand. Heftige infolge
der abnormen Spannung auftretende Schmerzen bilden die Regel. Häufig
werden Aborte und Fehlgeburten (nach Straßmann in 25—27%) so¬
wie fehlerhafte Lagen des Kindes beobachtet. Der kindliche Körper legt
sich in Querlage (etwa in 15% der Fälle), da infolge des tumorartigen
Vorsprungs der in seiner Flächenentwicklung gehemmten vorderen
Uteruswand der vorliegende Teil seitlich abweicht. Die Wehen sind un¬
regelmäßig, träge, später oft von tetanischem Charakter. Abgesehen von
diesen Komplikationen kann sich schließlich auch hier, und zwar noch
häufiger wie bei der Ventrifixation, infolge der Verziehung der Portio
nach hinten eben die beschriebene Stellungsveränderung des Muttermunds
ausbilden, welche zur Unmöglichkeit spontaner Geburt und infolge der
abnormen Ausziehung der hinteren oft beutelartig schlaffen Uteruswand
zur Gefahr einer Uterusruptur führt. In der Literatur finden sich an¬
nähernd ein Dutzend Fälle, in welchen diese leben bedrohende Anomalie
die Indikation zur Sectio caesarea abgab.
Die Vaginofixation sollte daher im geburtsfähigen Alter grund¬
sätzlich nicht zur Anwendung kommen. Wenn auch nach den Erfah-
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Die Behandlung der Retrofle.xio Uteri.
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rungen einzelner Operateure die Gefahren vermeidbar erscheinen, so
eignet sich doch eben eine Methode, welche eine besondere Qualifikation
des Operateurs voraussetzt, nicht für die allgemeine Praxis.
Die Vesicovaginifixiir vermeidet die Geburtsstörungen, bietet aber
zumal nach Geburten anscheinend nicht die Gewähr eines Dauererfolgs.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Verkürzung des Lig.
rot. von der Vagina und vom Leistenkanal aus.
Nach vaginaler Fixur des Lig. rot. wurde in 12 Fällen (Vinne¬
ber g, Goffe) — darunter 10 Geburten — keine Störung beobachtet.
Uber die Dauererfolge liegen keine Mitteilungen vor.
Diesen kleinen Statistiken stehen die großen Serien, welche die
vom Leistenkanal aus vorgenommene Ligamentverkürzung umfassen,
gegenüber. Trotz der verschieden gehandhabten und erst im Laufe
der Jahre vervollkommneten Technik sind die Erfolge sehr befrie¬
digende ; in einzelnen sehr umfangreichen Statistiken finden wir bis
91 °/ 0 Dauerresultate.
Nennenswerte Komplikationen, welche mit dem Eingriff in Ver¬
bindung stehen, werden nicht beobachtet. Vereinzelte Beobachtungen be¬
ruhen, soweit ich sehe, sämtlich auf fehlerhafter Technik.
Vor allem haben wir mit ernstlichen Störungen des Schwanger¬
schafte- und GeburtsVerlaufs nicht zu rechnen. Ich habe allerdings in
6 Fällen Blutungen am Ende des 3. bis 5. Schwangerschaftsmonats
auf treten sehen. Den Grund dieser Komplikation glaube ich mit Wahr¬
scheinlichkeit darin suchen zu können, daß es infolge der wenn auch
nur geringen Behinderung der Ausdehnungsfähigkeit der vorderen
Uteruswand gelegentlich zu einer partiellen Ablösung der hier implan¬
tierten Plazenta kommt, selbstverständlich ist vielleicht auch das Fort¬
bestehen chronisch - entzündlicher Prozesse der Uterusmuskulatur,
welche nach dem Eingriff erst ganz allmählich zurückgehen, von ur¬
sächlicher Bedeutung. Im Gegensatz zu Klein Wächter, welcher bei
112 Fällen 6 mal Aborte, 4 mal Fehlgeburten beobachtete, blieb aber in
meinen Fällen bei Anordnung strenger Bettruhe und kleinen Opiumdosen
die Schwangerschaft erhalten.
Ziehende in ihrer Stärke sehr wechselnde Schmerzen in den Leisten,
welche mitunter in die Lendengegend ausstrahlen und längeres Stehen
beschwerlich machen, bilden allerdings die Hegel; im übrigen ist je¬
doch der Schwangerschafts- und Geburtsverlauf in subjektiver wie ob¬
jektiver Beziehung ein durchaus regelrechter. Fehlerhafte Kindslagen,
Wehenanomalien, Störungen der Nachgeburtsperiode, Stellungsverände¬
rungen des Muttermunds kommen als Folge der Operation nicht zur
Beobachtung.
Diese Erkenntnis, die erst in den letzten Jahren in den
Reihen der Gynäkologen so recht Wurzel gefaßt hat, ist für unsere
Stellungnahme zum Eingriff gehr wertvoll, denn die frühere theo¬
retisch zweifellos berechtigte Annahme, daß jede operativ erzielte Pro-
fixur Veränderungen der Uterusmuskulatur in mechanischer oder
funktioneller Hinsicht setzte, konnte nur durch die praktische Er¬
fahrung widerlegt werden. Auch die neuerdings zum Ausdruck ge¬
brachte Behauptung, daß die Ligament,Verkürzung durch Hemmung
der Tubenperistaltik zu Extrauteringravidität disponiert (Straßmann)
ist durchaus unerwiesen. —
Bei einer vergleichenden Betrachtung der verschiedenen Ante-
fixationsmethoden zeigt sich somit, daß die Alexander-Adam sche Ope-
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ration in erster Linie steht. Sie erzielt eine schwebende Anteversio-
flexio uteri, stellt somit die Lagekorrektur in physiologischer Weise
dar; sie vermeidet eine Beeinträchtigung der Gebärmutterfunktion und
damit schwere Geburtskomplikationen. Von diesen Gesichtspunkten
aus steht ihr das Verfahren nach Doleris am nächsten. Die Methode
ist jedoch bei dicken Bauchdecken technisch schwerer ausführbar und
hat eine Eröffnung der Bauchhöhle zur Voraussetzung.
Einige technische Winke scheinen mir aber vor allem bezüglich der
Erzielung eines guten Dauererfolges erwähnenswert. Zunächst ist die
Auswahl der geeigneten Fälle von größter Wichtigkeit. Es ist eine ge¬
nügend bewiesene Tatsache, daß ausgedehntere breitere Fixationen (peri-
metrischo Stränge), welche bei der Profixur des Uterus bestehen bleiben
fast ausnahmslos den Uterus wieder in Retroflexions- bzw. Betro¬
versionsstellung ziehen. Wir sollten daher grundsätzlich nur bei frei
beweglichem Uterus, bei welchem die Neigung des charakteristischen
Zurückfederns fehlt, die Ligament kür zung vornehmen. Wir halten
es nicht für ratsam, nach den Goldspohn’schen Vorgehen diese Adhä¬
sionen von dem eröffneten Leistenring aus oder auch vom hinteren Dou¬
glas aus zu lösen. Das „Arbeiten nach dem Gefühl“ im Dunkeln ist
unchirurgisch; wir fürchten außerdem die Möglichkeit einer Blutung
oder Darm Verletzung. Diese Fälle sind vielmehr — der Ventrifixur
zuzuweisen, bei welcher wir in der Lage sind, in sauberem, der heu¬
tigen chirurgischen Kunst entsprechendem Vorgehen, die Adhäsionen zu
durchtrennen, evtl, blutende Gefäße zu unterbinden, Komplikationen
von Seiten der Adnexe zu beseitigen. In allen Fällen, in welchen
das Ligament nicht am äußeren Leistenring unterhalb des Imlach-
schen Fetträufchens deutlich erkennbar ist, hierher gehört nur
ein kleiner Prozentsatz der Fälle, ist ferner grundsätzlich der
Leistenkanal durch Spaltung der Aponeurose des Oblig. ext. frei
zu legen und der ganze im Leistenkanal verlaufende Gewebe¬
strang auf die Sonde zu legen. Nur so erreichen wir, wenn wir nicht
nach dem Vorgang Edebohl’s' und Kocher’s primär auf den Leisten¬
kanal oberhalb des äußeren Leistenrings einschneiden, eine völlige Iso¬
lierung des ganzen Bands, welches am äußeren Leistenring häufig ge¬
nug sich bereits in einzelne Fasern aufgelöst hat. Das sind die Fälle,
welche zu der früheren fälschlichen Annahme eine % s angeborenen De¬
fekts der Lig. rot. Veranlassung gaben. Die Bänder sind stets vorhanden
und am inneren Leistenring auch immer stark genug, um eine kräftige
Fixation zu erzielen. Sind die Bänder von den begleitenden Muskel¬
strängen befreit, so ist ein Abreißen auch bei stärkerem Zug ausge¬
schlossen. Eine Verletzung der Ä. epig. prof. muß vermieden werden.
Mit einer dicken in den Leistenkanal eingeführten Sonde wird der Stand
des Uterus kontrolliert. Wir halten es nicht für richtig, die Bänder
soweit wie möglich anzuziehen; jedenfalls muß zur Verhütung einer
artefizielten Schädigung der Uterusfunktion eine ungleiche Verkürzung
der Bänder, welche bei maximaler, zunächst einseitig ausgeführter Ver¬
kürzung leicht eintreten kann, vermieden werden. Aus diesem Grund
scheint auch die einseitige Verkürzung des Bands, welche in jüngster
Zeit vorgeschlagen wurde, theoretisch unrationell.
Einen Bing pflegen wir nach der Operation nicht einzulegen. Die
von einzelnen beschriebenen, von mir nie gesehene Hernienbildung ver¬
meiden wir, zumal wenn wir bei Schluß des Leistenkanals nach dem Sick-
schen Vorgehen eine Faszien Verdoppelung vornehmen oder analog dem
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Die Behandlung der Retroflexio uteri.
1143
Bassini- oder Gerard’schen Verfahren eine doppelte Nahtreihe anlegen
und eine Prima intentio erzielen. Bei Sichtung der rezidiven oder mit
Hernienbild ung einhergehenden Fälle sehen wir fast immer, daß diese
Komplikationen im Gefolge eines durch Eiterung verlangsamten Wund¬
verlaufs eintreten. Maßnahmen, wie man sie neuerdings unter dem Namen
.»Verschärfte Antiseptik“ zusammenzufassen für notwendig gehalten hat,
sind daher bei der inguinalen Ligamentverkürzung besonders geboten; sie
bestehen in Erzielung möglichster Keimfreiheit des Operationsgebiets
(Bepinselung mit Jodtinktur nach Gross ich nach vorheriger Alkali¬
desinfektion), Gebrauch von Gummihandschuhen oder ,,Operieren ohne
Hände“. Ich habe mich seit Jahren davon überzeugt, daß gerade die
letztere Methode bei etwas Schulung in allen Fällen sehr wohl durch¬
führbar ist. Da wir häufig zur Beseitigung gleichzeitig bestehender
Prolapse bei der Retroflexion der operativen Lagekorrektur scheiden¬
verengernde und plastische Eingriffe vorausschicken, halte ich es nicht
für unwichtig, noch ausdrücklich darauf hinzu weisen, daß wir die
Ligamentverkürzung stets mit frisch sterilisiertem Jus turnen tari um vor¬
nehmen. Eine postoperative Hämatombildung vermeiden wir durch
Fixation der oberflächlichen Faszie durch einige Katgutnähte sowie
durch Auflegen eines Sandsacks, welcher 24 Stunden nach der Narkose
von der Patientin meist gut vertragen wird. Wir empfehlen, falls nicht
eine Kontraindikation vorliegt, grundsätzlich die Allgemeinnarkose,
nicht die vielfach geübte Lumbalanästhesie. In Lokalanästhesie ist
wohl die Freilegung, nicht aber das Anziehen des Bandes und das Ab¬
schieben des Peritonealkegels schmerzlos ausführbar.
Setzen wir nach dieser Ausführung der speziellen Indikationen
für die Auswahl der einzelnen Methoden, deren Bewertung mehr sub¬
jektiven Charakter tragen, zu den Indikationen der Behandlung der
Lageanomalie überhaupt in Beziehung, so können wir allerdings allge¬
mein anerkannte bindende Leitsätze nicht formulieren; die Mehrzahl
der Gynäkologen vertritt aber wohl folgenden Standpunkt: Eine un¬
komplizierte Retroversio-f lexio, welche keine Beschwerden macht,
kann zunächst ohne Behandlung bleiben. Handelt es sich um eine
Virgo, so ist der Patientin, um psychische Alternationen zu vermeiden,
keine Mitteilung dieser Lageanomalie zu machen. Verheiratete Frauen
sind darauf hinzuweisen, daß sie sich beim Wegbleiben der Regel
dem Arzte vorstellen, damit im Falle einer Gravidität für einige Monate
ein Pessar getragen wird. Bei Sterilität ist dagegen, falls andere
erkennbare Ursachen nicht nachweisbar sind, eine Behandlung anzuraten,
da die Retroflexio zweifellos eine der mannigfachen Ursachen der Steri¬
lität abgeben kann. Die komplizierte, d. h. die mit Beschwerden einher¬
gehende Retroversioflexio bedarf grundsätzlich der Behandlung. Die
Behandlung kann zunächst bei freibeweglichem Uterus im Tragen eines
Pessars nach Richtigstellung des Organs bestehen. Die Pessartherapie
ist dagegen stets nur ein Notbehelf; sie ist, schon wenn eine Abneigung
gegen das Tragen eines Rings besteht, durch operative Maßnahmen
zu ersetzen. Sie ist ohne weiteres indiziert bei der Virgo. Bei frei¬
beweglichem Uterus ist in erster Linie die inguinale Verkürzung der
Lig. rot. vorzunehmen. Wenn Damm- und Scheidenplastiken gleich¬
zeitig erforderlich sind, kann die vaginale Verkürzung mit Einnähung
der Lig. rot. in die Scheidenwände vorgenommen werden; doch erinnere
man sich, daß auch hier zur Vermeidung von Prolapsrezidiven die
Suspension des Uterus nach der Alexander-Adam’schen Methode den
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Kayser,
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rationelleren Eingriff darstellt. Diese bedeutet zudem eine so geringe
Steigerung der Narkosen- und Operationsdauer, daß wir grundsätzlich
auch nach vaginalen Korrekturen die inguinale Verkürzung vornehmen.
Bei fixierter Retroversio uteri ist ein kurzdauernder Versuch, die Ad¬
häsionen auf unblutigem Weg zu beseitigen und durch Pessarbehand¬
lung eine dauernde Lagekorrektur zu erzielen, berechtigt. Bleibt er
erfolglos, so ist auch hier die Alexander-Adam’sche Operation dann
vorzunehmen, wenn die in vorsichtiger Weise vorgenommene stumpfe
Lösung in Narkose nach der Schultze’sehen Methode eine völlige ist.
Die Vermutung einer unvollständigen Beseitigung oder die Feststellung
komplizierender Prozesse an den Adnexen gibt jedoch die Indikation
für die Vornahme der Laparotomie, blutige Lösung der Adhäsionen
unter Leitung des Auges und Fixierung des Uterus an den Bauchdecken
ab. Ob nach der Methode von Olshausen, der intraabdominellen Raf¬
fung der Lig. rot. nach Menge oder dem Verfahren nach Doleris,
kann der persönlichen Initiative überlassen bleiben. Die Vaginifixur
ist jedenfalls im geschlechtsreif en Alter nicht anzuwenden.
Es ist daran festzuhalten, daß eine Übereinstimmung zwischen
subjektivem und objektivem Erfolg nicht immer besteht; in allen Fällen
hat daher die Nachbehandlung, außer in der zeitweise erfolgenden
Kontrolle des orthopädischen Resultats, in einer Behandlung etwa fort¬
bestehender nervöser Beschwerden und pathologischer Erscheinungen
allgemeiner Natur (Anämie u. a.) zu bestehen.
Anhangsweise streife ich noch kurz das für den Praktiker so
ungemein bedeutungsvolle Krankheitsbild der Retroflexio uteri gravidi.
Auch das Behandlungsprinzip dieser Anomalie befindet sich noch in
Fluß und Bewegung. Die frühere Hypothese, daß ein normal ge¬
lagerter Uterus in der Gravidität Retroflexionsstellung annimmt, ist
eine sehr unwahrscheinliche; wir nehmen heute im allgemeinen an, daß
es zur Schwangerschaft in einem bereits retreflektiert liegenden Uterus
gekommen ist. Man sollte daher nicht von einer Retroflexio uteri gravidi,
sondern von einer Graviditas in utero reflexo sprechen. Richtet sich
der gravide Uterus nicht spontan auf, so wird mit dem Vorwärts¬
schreiten der Gravidität die anormale Lage naturgemäß gesteigert —
in extremen Fällen derart, daß die Portio dicht an der Symphyse, und
der Uterus gleichsam auf dem Kopfe steht. Ich scheide von der Be¬
sprechung die neuerdings beschriebenen Retroflexionen des hochgraviden
Uterus aus, welche wahrscheinlich nur Aussackungen des Uteruskörpers
darstellen und von der eigentlichen Retroflexio uteri zu trennen sind.
Die Wirkung dieser Lagerung ist leicht verständlich. Die sub¬
jektiven Beschwerden beziehen sich auf das Gefühl eines lästigen Drucks
im Becken, Schmerzen beim Urinlassen, häufigen Urindrang, in selte¬
neren Fällen auf Stuhlverstopfung.
Objektiv zeigen sich, als Ausdruck der Blutstauung im Uterus,
meist schon im zweiten Schwangerschaftsmonate beginnende uterine
Blutungen, welche zum Abort führen können. Beherrscht wird jedoch
erfahrungsgemäß das Krankheitsbild von den Erscheinungen von seiten
der Blase, welche zugleich den Gradmesser in prognostischer Beziehung
abgeben. Schwere Funktionsstörung infolge, der Dislokation der Blase,
Residualharn, Ischuria paradoxa, schwere Zystitis infolge jauchiger
Zersetzung des Urins, Urethritis, Pyelitis, Pyelonephritis, schwere
destruierende, eventuell mit Abszeßbildung einhergehende Entzündungs¬
prozesse der ganzen Blasenwand, Perforationsperitonitis — das sind die
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Die Behandlung der Retroflexio uteri.
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Etappen, in denen die oft so verhängnisvolle Mitbeteiligung der Blase
ihren Ausdruck findet. Sie begründen die Richtigkeit der Worte
Pinard’s: „Bei der Retroversio-flexio des schwangeren Uterus bedeutet
dieser nichts, die Blase alles.“
Die theoretisch naheliegende Forderung, den retroflektierten gra¬
viden Uterus sofort nach gestellter Diagnose manuell aufzurichten,
ist nicht unbestritten. Eine Anzahl Autoren strebt die zweifellos
in einzelnen Fällen eintretende Spontanaufrichtung an und sucht nur
durch entsprechende Behandlung eine komplizierende Beteiligung der
Blase zu verhüten. Im allgemeinen empfiehlt sich am meisten ein
vorsichtiger Repositionsversuch (am besten in Narkose, eventuell in
steiler Beckenhochlagerung). Nach der Reposition wird ein Hodgepessar
in die Scheide eingeführt, welches bis zur 20. Woche etwa getragen wird.
Die Blasensymptome klingen bei entsprechender Behandlung der Zystitis
dann meist rasch ab. Uterine Blutungen sistieren oft; doch kunmt
es trotzdem auffallend häufig, wahrscheinlich durch fortbestehende
entzündliche Veränderungen in der Uterusmuskulatur, zu Fehl- bzw.
Frühgeburten eine für den Praktiker recht bemerkenwerte und nicht
genügend beachtete Erfahrung.
Anders bei schwerer Mitbeteiligung der Blase! Hier ist zunächst
der Uterus auf schonende Weise zu entleeren. Falsche Wege beim
Katheterisieren, welches am besten mit einem männlichen Katheter,
womöglich mit Mercier’scher Krümmung vorgenommen wird, dürfen
nicht entstehen. Der Urin poll langsam abfließen, da erfahrungs¬
gemäß bei plötzlicher Aufhebung der Stauung eine Blutung aus den
Blasenvenen erfolgt. Wegen der nach der ersten Entleerung rasch
auftretenden Wiederfüllung durch den bis in die Nierenbecken ge¬
stauten Urin soll der Katheter längere Zeit liegen bleiben.
Ist die Einführung eines Katheters unmöglich, so kommt die
Punktion oder Inzision der Blase oberhalb der Symphyse oder von
der Scheide aus in Frage.
Der Entleerung der Blase schließt sich in geeigneten Fällen ein
vorsichtiger Repositionsversuch an. In Narkose versucht man am besten
mit zwei in das Rektum eingeführten Fingern den Uterus in die Höhe
zu heben. Manche begnügen sich zunächst mit einer unter Umständen
partiellen Reposition und suchen die weitere Aufrichtung durch Ein¬
legung eines Kolpeurynters in die Scheide zu erreichen.
Mißlingt die Reposition oder glaubt man nach Lage der Ver¬
hältnisse davon Abstand nehmen zu müssen, so kommt zunächst die
Aufhebung der Schwangerschaft in Betracht. Ist der Muttermund er¬
reichbar, so erweitert man die Zervix; sonst leitet man den Abort
bzw. die Fehlgeburt durch Punktion der Fruchtblase mit einem starken
Trokar von der Scheide aus ein, oder nimmt die akute Ausräumung
des Uterus durch Einschnitt vom hinteren Scheidengewölbe aus vor.
Neuerdings gewinnt als Konkurrenzverfahren die Laparotomie und
die Aufrichtung der Uterus vom Bauchschnitt aus mehr und mehr
Anhänger. Ob man sich mit der Aufrichtung begnügt oder gleich¬
zeitig eine Ventrofixation (am besten nach Doleris) anschließt, ist von
untergeordneter Bedeutung. Wir beschränken uns im allgemeinen, zu¬
mal wenn die Größe des Uterus die Garantie für Erhaltung der Ante-
flexionsstellung gibt, auf die Reposition und das Einlegen eines Pessars,
weil nach unseren Erfahrungen die operativ gesetzte Fixation die Er-
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1146 Referate und Besprechungen.
ledigring eines etwa ein tre tenden Aborts in unangenehmer Weise er¬
schweren kann.
Die Möglichkeit einer Verletzung der Blase, welche man gegen
die Laparotomie ins Feld geführt hat, kann keine bestimmende Gegen¬
anzeige abgeben; eine direkte Verletzung der dislozierten Blase durch
Schnitt muß allerdings auf alle Fälle und zwar dadurch verhindert
werden, daß der Schnitt oberhalb des Nabels angelegt wird, und so
mit Sicherheit da« freie Peritoneum trifft. Jedenfalls stellt die Laparo
mie das zielsicherste und auch bezüglich einer Verletzung der Blase,
das am wenigsten angreifende Verfahren, dar, welches uns zur Be¬
seitigung der gefahrdrohenden Komplikation zur Verfügung steht.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
A. Lichtenstein, Pseudoleukämie und Tuberkulose. (Beitrag zur Kennt¬
nis der „eigenartigen Tuberkulose des lymphatischen Apparates“ [Sternberg]).
(Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie, Bd. 202, S. 222, 1910.) Bei einem
typischen Fall der Sternberg’schen Lymphogranulomatose, wo sich besonders
die mediastiualen und tiefen zervikalen Lymphdrüsen in große Geschwulst¬
packte umgewandelt fanden, wo aber auch die Milz beträchtlich vergrößert
war (1150 g) und die charakteristischen gelbweißen derben Knoten zeigte,
ließen sich sowohl käsige Knoten vom typischen Bau der Tuberkel als das
eigenartige großzellige Granulationsgewebe Sternberg’s nachweisen. Ein
mit einer Verreibung der Milz geimpftes Meerschweinchen starb nach drei
Monaten; es bot einmal die Veränderungen typischer Tuberkulose, zum
anderen aber auch Veränderungen, die bis in die Einzelheiten mit denjenigen
übereinstimmten, die beim Menschen in den Fällen der Sternberg’schen
pseudoleukämieähnlichen Krankheit Vorkommen. Dieselben Veränderungen
konnte auch Kling durch Impfung von Meerschweinchen mit Tuberkel¬
bazillen in Reinkultur hervorrufen.
Nach diesem Vergleich betrachtet es Verf. als sichere Tatsache, daß
die eigentümlichen Veränderungen, die von Sternberg u. a. bei Menschen
beschrieben worden sind, bei Meerschweinchen durch die Einwirkung von
Tuberkelbazillen mit herabgesetzter Virulenz hervorgerufen werden können.
Man darf mit einer an Gewißheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen,
daß die entsprechenden Veränderungen auch bei Menschen durch auf diese
Art veränderte Tuberkelbazillen hervorgerufen werden können. Wenn dem
so wäre, ist es auch wahrscheinlich, daß die meisten hierher gehörigen Fälle
als eine eigenartige Tuberkulose in dem lymphatischen Apparate aufzufassen
sind, um so mehr als sich in den meisten, bisher veröffentlichten Fällen
außer den charakteristischen Veränderungen auch typische Tuberkulose ge¬
funden hat. Inwiefern ähnliche Veränderungen auch durch irgendein anderes
Virus verursacht werden können, bleibt eine offene Frage. Bis jetzt ist noch
kein sicher hierher gehöriger Fall beschrieben, wo eine andere Infektion als
Tuberkulose nachgewiesen werden konnte. W. Risel (Zwickau).
Ledoux u. Tisserand (Besangon), Panoptose. (Progres medical, Nr. 31.
S. 373—377, 1911.) Mit der Wanderniere fing die Sache an; dann gesellten
sich die Wanderleber und Wandermilz hinzu, und schließlich fügte Glenard
diese und andere Erscheinungen zur Enteroptose zusammen. Aber wenn auch
beim weiblichen Geschlecht damit der Symptomenkomplex der verschieden¬
artigen Störungen seitens der einzelnen Bauchorgane so ziemlich erklärt zu
sein schien, so drängten bei den Männern noch andere Symptome nach Auf¬
nahme in das Krankheitsbild: Schlaffheit des Skrotums infolge von Atonie
des Kremaster, Varizenbildung, Herabsetzung des Blutdrucks, Schlaffheit
der Gelenke, Plattfüßigkeit, Lordosen-Skoliosenbildung, Schlaffheit der
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Referate und Besprechungen.
1147
Muskulatur usw. So entstand ein mehr oder weniger scharf umrissenes
Krankheitsbild, welches — in richtiger Würdigung der physiologischen Zu¬
sammenhänge — B. Stiller als asthenische Konstitutionskrankheit bezeich-
nete und welches jetzt von den beiden Klinikern in Besangon aufs neue,
diesmal als Panoptose, beschrieben wird. Im Vorbeigehen sei noch erwähnt,
daß auch das Nervensystem dabei beteiligt ist und daß die neurasthenische
Komponente des Morbus asthenicus in vielen Fällen das Gesamtbild zu be¬
herrschen scheint.
Woher kommt nun diese Asthenie, Panoptose, diese decheance gene¬
rale de tous les tissus de l’organisme ? Die beiden Autoren ziehen zur Beant¬
wortung dieser Frage das Verhalten asthenischer, panoptotischer Frauen
außerhalb und während der Schwangerschaft heran. Im normalen Zustand
von allen möglichen Beschwerden geplagt fühlen sie sich in der Gravidität
wie neugeboren. Sie haben keine Klagen mehr, sind nicht mehr verstopft,
sehen blühend aus, fühlen sich frisch und leistungsfähig und sind von fröh¬
licher Stimmung. Aber leider, nach der Entbindung beginnt das alte Lied
von neuem.
Nach L e d o u x und Tisserand liegt die Erklärung hierfür in der
Veränderung der inneren Sekretion, und zwar betrachten sie — entsprechend
der bisherigen Entwicklung dieser Studien — die Panoptose als Folge einer
Schilddrüsenstörung, einer Hypothyreoidie. Während der Schwangerschaft
gerät diese Drüse in lebhaftere Tätigkeit und bedingt dadurch eine vorüber¬
gehende Besserung, nach L. und T. durch Besserung des Kalkstoffwechsels.
Das Experimentum crucis müßte nach diesen Überlegungen in einer prompten
Wirkung von Schilddrüsenpräparaten bestehen; und in der Tat haben die
beiden Kliniker zahlreiche Beobachtungen gesammelt, in welchen die Opo¬
therapie eine schnelle, beträchtliche und dauerhafte Besserung erzielt habe.
Indessen gehen die Autoren darüber mit wenigen Zeilen schnell hinweg,
obwohl dieser Punkt eigentlich wichtiger ist als alle theoretischen Speku¬
lationen. Immerhin verdient der Gedanke Beachtung. Vielleicht gelingt es
auf diesem Wiege, einen Einfluß auf die elastischen Qualitäten des Körpers
zu gewinnen; denn daß hierin der Angelpunkt der Pathogenie wie der
Therapie liegt, leuchtet wohl ohne weiteres ein. Buttersack (Berlin).
J. A. Sicard u. Galud (Paris), Autotherapie mit serösen Exsudaten.
(Gaz. med. de Paris, Nr. 94, S. 154—155, 1911.) Die beiden Autoren be¬
richten über 2 alte Frauen, welche an Laennec’scher Leberzirrhose litten und
gegen deren schnell sich erneuernden Aszites kein Mittel helfen wollte.
Auch die subkutane Injektion von Aszitesfltissigkeit blieb erfolglos. Da
kamen Sicard und Galud auf die Idee, die Injektion intravenös zu appli¬
zieren, und in der Tat, nach der 4.—5. bzw. 7.—8. Injektion trat Besserung
ein. Leider hatten die beiden Ärzte Eile mit der Publikation und begnügten
sich mit einem „Erfolg“ von 14 Tagen; aber gewiß möchte jeder Leser er¬
fahren, wie lange denn die Besserungen angehalten haben.
Buttersack (Berlin).
Natham hat seit Jahren die Arthritis deformans mit Thymus vom
Kalb behandelt, ausgehend von der Tatsache, daß Thymus auf die Ent¬
wickelung der Knochen einen günstigen Einfluß ausübt. Er hat namentlich
bei Kindern mit Vergrößerung der Drüsen und der Milz, die schon monate¬
lang im Bett lagen, erfreuliche Erfolge verzeichnet. Sofort nach Aussetzen
der Behandlung erfolgten Gelenkrezidive. Noch ausgesprochener und rascher
war die Wirkung bei Erwachsenen: rasche Hebung des Allgemeinzustandes,
der Muskelkraft; jedoch lange Fortsetzung der Behandlung. Resultat je
früher, desto besser. In alten Fällen geringere Aussichten. Dosis 1,8 pro
die des Extraktes. Später das Doppelte. Verf. hält Thymus jedoch nicht
für ein Spezifikum, sondern nur für ein Stimulans. (Bull, gener. de th6r.,
Nr. 17, 1910.) v. Schnizer (Höxter).
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Referate und Besprechungen.
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Psychiatrie und Neurologie.
Dubois (Bern), Über das Wesen der Hysterie. (Revue med. de la Suisse
Romande, 31. Jahrg., S. 391—397, 1911.) Worin eigentlich das Wesen, die
Grundstörung bei der Hysterie bestehe, beschäftigt die Ärztewelt junaus-
gesetzt. An C h a r c o t’s Suggestibilität reihten sich im Laufe der Zeit
die Annahmen einer erhöhten Impressionabilität bzw. Erregbarkeit, Impul¬
sivität, Automatismus, Psychasthenie, Egoazentrismus usw. an, Theorien,
welche im Grunde eigentlich mehr ein Licht auf die geistige Konstitution
der Autoren als auf die der Kranken werfen. Mit Recht betont Dubois,
daß die genannten Symptome gelegentlich bei allen Menschen Vorkommen;
aber niemand werde es einfallen, Äußerungen von Impulsivität, erhöhter Reiz¬
bar- oder Erschöpfbarkeit für Hysterie zu erklären. Pathologisch wird die
Sache erst, wenn diese Zustände lange Zeit andauern oder abnorm leicht aus¬
lösbar werden ; und das hat seinen Grund in einer bestimmten geistigen Ver
fassung, welche Dubois als: Sensualite bezeichnet (das Wort läßt sich
nicht leicht, erschöpfend übertragen. Ref.). Die Hysterika ist nicht bloß unc
imaginative, une sentimentale, une romanesque, sondern une sensuelle, une
libidineuse. Sie erlebt ihre Sensationen so intensiv, daß das ganze Bewußt¬
sein davon erfüllt ist, daß nichts anderes mehr darin Platz hat. Dazu
kommt — und das ist der zweite Punkt —: diese Sensationen graben sich dem
Gedächtnis so tief und nachhaltig ein, daß schon ein geringer Anstoß, ev.
aus dem Unterbewußtsein, genügt, um sofort wieder die Sphäre des Bewußt¬
seins zu stören. Man könnte das also als un manque de lucidite philosophique
bezeichnen.
Natürlich sind nicht alle Menschen zu jeder Zeit gleichmäßig impressio-
nabel. Bis zu einem gewissen Grad normal ist dieser Zustand bei dem Volk
der Künstler. In der Tat. lassen sich bei diesen häufig genug Züge finden,
welche man als hysterisch ansprechen würde, wenn nicht der Respekt vor
den Leistungen die Beurteilung beeinflußte. Vorübergehend impressionabel
sind die Menschen erfahrungsgemäß z. B. während der Pubertätsperiode,
aber auch sonst im Leben, wie das aus den bald schärferen, bald ver-
schwommeren, bald scheinbar ausgelöschten Abschnitten des Gedächtnisses
jedem bekannt ist.
Bei der Bedeutung von Dubois auf diesem Gebiete der Wissenschaft
seien seine Schlüsse hier beigefügt: Ich betrachte als hysterisch jene ver¬
schiedenartigen funktionellen Störungen, welche unter dem Einfluß wirk¬
licher oder suggerierter Emotionen entstehen und sich immer wieder er¬
neuernd fort dauern, wenn auch die Ursachen nicht mehr wirksam sind. Ich
schreibe diese charakteristische Fixation postemotioneller körperlicher Stö¬
rungen einer Fähigkeit zu, Sensationen, welche von Emotionen herrühren,
zu realisieren, und nenne diese Fähigkeit: sensualite ou impressionnabilite
sensuelle. —
Wenn es einem Nicht-Fachmann gestattet ist, zu Dubois’ Ausfüh¬
rungen im 5. schweizerischen Neurologen-Kongreß zu Aarau (April 1911)
Stellung zu nehmen, so wird man sie als höchst geistreiche Überlegungen
bewundern müssen. Aber eine Entwirrung des Knäuels der psychischen Vor¬
gänge bringen sie doch nicht. Die Begriffe: Suggestibilität, Emotivite.
Impulsivite, Sensualite usw. sind bereits äußerst komplizierte Dinge.
Wenn wir zu einem relativ befriedigenden Verständnis gelangen wollen,
müssen wir bis zu einer Art von psychischer Elementaranalyse Vordringen.
Aber wenn auch diese Aufgabe vielleicht lösbar ist, so kann mau doch
zweifeln, ob gerade unsere Zeit mit ihrer sog. naturwissenschaftlichen Kon¬
stitution für solche Fragen prädestiniert ist. Buttersack (Berlin).
C. Quadrone, Der Zwerchfellreflex. (La riforma medica, 20. Februar
1911. — Paris med., Nr. 26, S. 612, 1911.) Wenn man die Brustwarze reibt
oder beklopft, so kontrahieren sich die vom Sternum und den Rippenknorpeln
entspringenden Fasern des Zwerchfells und es kommt zu einer Einziehung
des Proc. xyphoideus. Diesen Reflex hatte zuerst 1906 Hees entdeckt; 1907
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Referate und Besprechungen.
1149
hat ihn Zagari bestätigt, aber später war er in Vergessenheit geraten.
Man sieht sofort, daß zwei Bedingungen für das Zustandekommen des
Reflexes erfüllt sein müssen: einmal muß das Diaphragma kontraktions-
fähig, und dann muß die vordere Brust wand, speziell der Schwertfortsatz,
elastisch sein ; deshalb findet er sich am deutlichsten bei Kindern, und fehlt
bei Greisen.
Aus eben diesen Gründen ist die Deutung seines Fehlens schwierig.
Quadro ne glaubt, das Nicht Vorhandensein des Zwerchfellreflexes als Zei¬
chen muskulärer oder neuritischer Diaphragmalähmung nehmen zu können;
des ferneren sei es ein übles Prognostikum bei nichtkompensierten Herz¬
fehlern.
Als merkwürdig notiert er noch, daß der Reflex bei Hysterikern er¬
halten, bei Epileptikern und Tabikern temporär bzw. dauernd erloschen sei.
Will man sich über das Zwerchfell orientieren, so bietet nach meinen
Erfahrungen das Litten’sche Phänomen ein ungleich sichereres Zeichen. Das¬
selbe besteht in dem Auf- und Absteigen eines leichten Schattens an den
Rippen, synchron mit dem Aus- und Einatmen. Das Phänomen läßt sich
leicht erkennen, wenn man erst die richtige Beleuchtung bzw. Beobachtungs-
stellung herausgefunden hat, und hat mir schon oft wertvolle Anhalts¬
punkte bei Personen geliefert, deren Respirationsmechanismus ich für normal
gehalten hatte. Schade, daß gerade die einfachsten und zuverlässigsten
Untersuchungsmethoden von komplizierten und schwerdeutbaren in den Hinter¬
grund gedrängt, werden. Aber das Mysteriöse hat zu allen Zeiten mehr
auf die Gemüter gewirkt als das Einfache und Klare. Buttersack (Berlin).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
Rudolf Oppenheimer (Frankfurt), Ober funktionelle Hypersekretion der
Blasenschleimhautdrüsen. (Miinchn. med. Woehenschr., S. 1076, 1911.) 0.
beschreibt ein neues Krankheitsbild, das den funktionellen Blasenerkran¬
kungen .anzurechnen ist. Es handelt sich um Schleimablagerungen auf dem
Trigonum Lieutaudii, die fleckweise auftreten und der Schleimhaut mehr
weniger fest aufsitzen. Das Bild ähnelt etwas dem der chronischen Zystitis;
gegen diese Auffassung spricht das Hervortreten vollkommen intakter
Schleimhautpartien zwischen den Schleimauflagerungen und die Abwesenheit
von Leukozyten im Urin.
Da diese Erkrankung nur bei nervösen Frauen, die auch sonst eine
Hypersekretion anderer Drüsen zeigten, beobachtet wurde, möchte O. sie als
Hypersekretion der Blaseiischleimhautdrü.sen auf nervöser Basis auffassen.
Frankenstein (Köln).
Giuffo (Les serum gonococciques, leur action curative et les symptomes
anaphylactiques) veröffentlicht seine Erfahrungen: die einfache Gonokokken-
urethritis wird durch subkutane Seruminjektionen nicht beeinflußt, nur
durch lokale intraurethrale. Die Komplikationen (Orchitis, Epididymitis,
Arthritis usw.) verlaufen unter dem Einfluß des Serums rapider und gut¬
artiger, die Schmerzen verschwinden oft schon nach 1 oder 2 Injektionen,
ebenso lassen Entzündung und Schwellung rapid nach. Rezidive sind selten.
Alle Antisera wirken nur antitoxisch, nicht antibakteriell. Sie sind wert¬
voll zur Bekämpfung der Komplikationen. (Bull, gener. de ther., Nr. 22,
1911.) v. Schnizer (Höxter).
Franz Weiß (Budapest), Die Behandlung der Prostatahypertrophie.
(Wiener klin. Rundschau, Nr. 50. ti. 51, 1910.) Die hypertrophierte Prostata
ist als eine echte Geschwulstbildung anzusehcn und demgemäß zu behandeln.
— So lange die Vergrößerung nicht beträchtlich ist, wird man mit allgemeinen
diätetischen Maßregeln -— einfache, leicht verdauliche Kost, Bäder, Massage,
Regelung des Stuhlganges und dergl. — aus kommen, sobald indessen die
Entleerung des Urins auf Schwierigkeiten stößt, muß man zum Katheter
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Referate und Besprechungen.
greifen. Allerdings fängt das Elend des Prostatikers mit dem Katheter an,
und wer einmal katheterisiert ist, wird das Instrument nicht wieder los.
Die Infektion der Blase ist niemals zu verhüten, sobald der Patient den
Katheter selbst in die Hand bekommt. — Mit dem Wachsen der Drüse ver¬
sagt dies Hilfsmittel und die Operation bleibt die einzige Rettung: Inzi¬
sionen in die Prostata und Verkleinerung auf galvanokaustischem Wege
(Bottini) Elektrolyse, Röntgenbestrahlung, Injektion artfremden Serums
(Bier) haben keinen Fortschritt gebracht und der Exzision bezw. Enu¬
kleation der Geschwulst weichen müssen. Die Herausschälung
vom Damme aus hat ihre Schattenseiten, deshalb ist die Prostataektomia
supropubica wohl heute die einzige in Betracht kommende Operation. Daß
die Gefahren auch hierbei nicht gering sind, ist leicht verständlich, denn
die Kranken stehen meist im höheren Lebensalter und schon die Narkose
allein fordert manches Opfer. Der Verf. rät deshalb in dringenden Fällen
den Blasenstich mit Lokalanästhesie zu machen und einen Dauerkatheter
einzuführen. Steyerthal-Kleinen.
Dubreuilh empfiehlt die kaustische Soda als Ätzmittel in der Derma¬
tologie. Der Schorf ist trockener als bei den anderen Ätzmitteln, namentlich
den entsprechenden Kaliverbindungen, so daß man die geätzte Stelle leicht
ohne Verband an der Luft lassen kann. Tiefenwirkung in etwa V 2 Minute
1 mm. Schmerz gering, flüchtig, sofortige Unterbrechung durch etwas
angesäuertes Wasser. Narben weich, weniger sich ziehend als bei Säuren.
Verf. wendet die käufliche Soda 30% an und appliziert sie mit um ein Stück
Holz gewickelter Watte. Das Mittel ersetzt die Kürette bei Lupus, bei
Hautepitheliomen, bei senilen Keratomen. (Bull, gen er. de ther., Nr. 22,
1911.) v. Schnizer (Höxter).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
Fr. Krone (Sooden), Liegekuren am Gradierwerk. (Reichs-Mediz.-Anz.,
Nr. 18, 1911.) Die Gradierluft enthält infolge der Verdunstung der an den
Gradierdornen herabträufelnden Sole die Kochsalzkristalle als feste und
gewisse Mengen von Ozon, Wasserstoff, Wasserstoffsuperoxyd als gasförmige
Körper. Die physiologische Wirkung der Gradierluft wird wesentlich unter¬
stützt durch ihre mit der Verdunstung einhergehende erfrischende Kühle.
Sie beruht in einer erhöhten Erregung des Atemzentrums gegenüber der
Atmung in gewöhnlicher Luft: Je stärker die Erregung des Atemzentrums,
um so ausgiebiger funktionieren die Atmungsorgane und um so mehr nehmen
die Lungen Sauerstoff auf und geben Kohlensäure ab. Je größer die Sauer¬
stoffaufnahme, desto lebhafter die Fortbewegung des Blutes in den Gefäßen
und die Oxydation des Hämoglobins der roten Blutkörperchen. Infolge dieser
günstigen Luftverhältnisse suchte man die Gradierwerke zum permanenten
Aufenthalt der Badegäste durch Anlegung von Spiel- und Tummelplätzen
für Kinder, durch anliegende überdachte Wandelhallen herzurichten und
stellte sie so in den Dienst der Therapie. Neuerdings ging man weiter und
schuf die Freiliegekur am Gradierwerk. Vergleichende Untersuchungen an
Patienten, welche die Solbadekur gebrauchten, ohne das Gradierwerk zu
besuchen, zeigten, daß der blutverbessernde Einfluß bei diesen nicht an¬
nähernd so groß war wie bei den Gradierpatienten. Indikation bildet vor
allem die Skrofulöse, ferner die Chlorose, endlich Neurasthenie, Rekon¬
valeszenz nach schweren Krankheiten. Kontraindiziert sind die Liegekuren
bei älteren Personen mit vorgeschrittener Arteriosklerose sowie bei Gicht
und Rheumatismus. S. Leo.
Boruttau fBerlin), Über Herabsetzung der Zuckerausscheidung durch
Mineralwasser beim experimentellen und menschlichen Diabetes. (Zeitschr.
für Balneologie u. Kurorthygiene, Nr. 9, 1911.) Bei Hunden, welche nach
Entfernung der Bauchspeicheldrüse an Diabetes litten, geht die Zuckermenge
im Urin erheblich herab, wenn sie Hersfelder Lullusbrunnen — ein alkalisch-
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Referat« und Besprechungen.
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sulfatisches Wasser von ähnlicher Indikation wie die Karlsbader Quellen —
zu trinken bekommen. Auch bei einer Patientin ergaben die Versuche mit
demselben Brunnen, daß die Einnahme eines alkalisch-sulfatischen Brunnens
(Lullus) die Zuckerausscheidung im Urin herabsetzen kann. Weitere Arbeiten
werden die Gründe dafür erklären müssen. Krebs (Falkenstein).
Miramond de Laroquette (Macon), Zur Verwendung von Wärme-
strahlen. (Associat. frangaise pour Pavancement des Sciences. Congres de
Dijon 1911 und III. Oongr. frangais <le Physiotherapie, Paris 1911.) Von
den mancherlei Arten von strahlender Energie sind die sog. Wärmestrahlen
verhältnismäßig ajn wenigsten unter den Ärzten bekannt. Man kennt und
schätzt da die Röntgen- und Radiumstrahlen, die Lichtstrahlen; auch die
elektrischen Strahlen in ihren verschiedenen Spannungen haben das Inter¬
esse gefesselt, aber die strahlende Wärme ist bei vielen in der Vorstellung
der Leitungswärme aufgegangen, als ob beides dasselbe wäre. Nun hat
Miramond schon seit langem einen einfachen Apparat konstruiert, in
welchem strahlende Wärme durch 6 Glühbirnen konzentrisch auf einen
Punkt dirigiert wird. (Im Handel als M inimax bei Reiniger, Gebbert
& Schall.) In der Tat lassen sich damit erstaunliche Resultate erzielen.
Zu den schon bekannten seien heute uoch die Heilungen chronischer Kolonial -
diarrhöen, peritonitischer Verwachsungen und tuberkulöser Bauchfellentzün¬
dungen (7 Fälle) hinzugefügt. In derartigen verzweifelten Fällen hat das, was
wir strahlende Wärme nennen, Heilung gebracht, so daß auch ein Skeptiker
darauf rekurrieren kann, sei es auch nur gemäß dem Spruche: remedium
anceps melius quam nullum. Buttersack (Berlin).
Vergiftungen.
Perussia (Mailand), Bleivergiftung und Wassermann*sehe Reaktion.
(Deutsche med. Wochenschr., Nr. 34, 1911.) Die Beobachtungen anderer
Autoren, wie Dreyer und Schnitter, die bei verschiedenen Bleikranken
eine positive Wassermann'sehe Reaktion fanden, obwohl dieselben nicht syphi¬
litisch waren, haben Perussia veranlaßt, an seinem Material von sicher
Bleikranken ohne Lues die Beziehungen zwischen Bleivergiftung und Wasser-
mann’scher Heaktion nachzuprüfen. Er hat in keinem einzigen Falle ein
positives Resultat erzielen können und muß daher die Beziehungen zum
mindesten für sehr fraglich halten. F. Walther.
Prochownik (Posen), Ein tödlich verlaufener Fall von Naphthalin-
vergiftung. (Therap. Monatsh., August 1911.) P. hat in zahlreichen Fällen
gegen Oxyuren Naphthalin, pur. ohne Störung angewendet. Nun verordnet«
er bei einem 6jährigen Knaben 10 Naphthalinpulver zu 0,25 g mit der An¬
weisung, an zwei aufeinanderfolgenden Tagen je 4 Pulver zu geben, hierauf
Rizinusöl. Der Knabe erhielt am 15. und 16. HI. je 4 bzw. 3 Pulver. Am
17. wurde P. zu dem Knaben gerufen, der erbrach. Eine Darmspülung
förderte feste Kotmassen zutage, die von typischen Naphthalinplättchen
durchsetzt waren. Urin wies Oxyhämoglobin und Methämoglobin auf. Der
Knabe verschied unter Erscheinungen der Herzlähmung und Atemnot. Das
Bild entspricht einer Naphthalinvergiftung, deren Hauptsymptome sind:
Strangurie, Albuminurie, Ikterus. P. rät daher ab, Naphthalin bei Oxyuren
zu verordnen. S. Leo.
Allgemeines.
A. Foerster. Wassermann’sche Reaktion und Krebs. (The Lancet,
Nr. 25, 1911 .j) Foerster hatte den drolligen Einfall, mit Hilfe derWasser-
mann’schen Reaktion herauszubringen, wie oft. die Lues als airsächliches
Moment des Krebses in Frage käme. Aber die Reaktion ließ ihn im Stich:
die Syphilis spielt nur eine ganz verschwindende Rolle in der Karzinom-
ätiologie. Buttersack (Berlin).
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1152
Bücherschau.
R. Kraus, E. v. Graff imd E. Ranzi, Über neuere serologische Methoden
zur Diagnose maligner Tumoren. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 28, 1911.)
Gegenstand der Untersuchungen waren die Freund-Kaminer’sche Zellreaktion
und die Aktivierung des Kobragiftes. Mit ersterer wurden 78 Fälle unter¬
sucht, mit dem Ergebnis, daß von den Kranken mit malignem Tumor 71,4%
eine positive, 3,5% eine schwach positive Reaktion (teilweise Lösung) gaben,
während von den Fällen mit gutartigem Tumor oder andersartigen Erkrankun¬
gen 15,3% positiv reagierten und 23% teilweise lösten. Mit der Kobragift¬
methode wurden 127 Fälle untersucht; hier reagierten von den Tumorfällen
81,% positiv, aber auch 41% von Fällen ohne maligne Tumoren. In den
Fällen, in denen beide Methoden zur Verwendung kamen, waren die Resultate
nicht übereinstimmend. Der praktische Nutzen beider Methoden, speziell
der Kobramethode, ist ein geringer; bezüglich der Zellreaktion sind allerdings
noch weitere Untersuchungen nötig. M. Kaufmann.
Bücherschau.
Wilhelm Leche (Stockholm), Der Mensch, sein Ursprung und seine Entwicklung.
In allgemeinverständlicher Darstellung nach der 2. schwedischen Auflage. Mit 369
Abbildungen. Jena 1911. Verlag von Gustav Fischer. 375 S. 8,50 Mk.
In den 50 Jahren, die seit Erscheinen von Darwin’s bahnbrechendem Buche
über die Entstehung der Arten verflossen sind, ist rastlos von allen Seiten gearbeitet
worden, um das so wichtige Problem der Entwicklungslehre zu erweitern und zu
vertiefen. Es ist daher mit Dank zu begrüßen, wenn ein anerkannter Forscher es
unternimmt, in allgemein verständlicher Weise das Fazit dieser Arbeiten, nament¬
lich in Beziehung zum Menschen selbst, allen Gebildeten zu unterbreiten. Leche
hat seine schwierige Aufgabe mit Meisterschaft gelöst. Und wenn auch seine Dar¬
stellung nicht den hinreißenden Enthusiasmus zeigt, der z. B. in den Ha ecke lachen
populären Schriften zu finden ist, so ist seine ruhige Vorurteilslosigkeit um so
besser geeignet, den Leser über das wirklich Erwiesene und das Hypothetische auf
dem Gebiete zu unterrichten. Das schöne Buch verdient die weiteste Verbreitung.
Guttmann (Mülheim-Ruhr).
(Besprechung Vorbehalten.)
A. Pollatschek u. H. Nador, Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1910.
Ein Jahrbuch für praktische Ärzte. Wiesbaden 1911. Verlag von Bergmann.
247 S. 9,60 Mk.
Stiibben, Reichenbaoh u. Pröbsting, Zentralblatt für allgemeine Gesundheitspflege.
30. Jahrg., 7. u. 8. Heft, mit 9 Textfiguren. Bonn 1911. Verlag von Martin Hager.
Dietrich u. Kaminer, Veröffentlichungen der Zentralstelle für Balneologie. Verlag:
Geschäftsstelle der Zentralstelle für Balneologie: Ministerium des Innern, Berlin
NW. 7. 32 S.
M. zur Nedden, Anleitung zur Begutachtung von Unfällen des Auges. Mit zwei
Figuren im Text. Wiesbaden 1911. Verlag von J. F. Bergmann. 34 S. 4,60 Mk.
Nonne, Ärztliche und juristische Forderungen für die Heilung Alkohoikranker.
Verlag von Deutschlands Großloge 2. des 1. O. G. T. Hamburg 20, Eppendorfer-
landstr. 39. 27 S. 20 Pfg.
His, Pfaundler u. Bloch, Über Wesen und Behandlung der Diathesen. His: Ge¬
schichtliches und Diathesen in der inneren Medizin. Pfaundler: Diathesen in
der Kinderheilkunde. Bloch, Diathesen in der Dermatologie. Wiesbaden 1911.
Verlag von Bergmann. 92 S.
Paul Ehrlich, Aus Theorie und Praxis der Chemotherapie. Leipzig 1911. Verlag
von Dr. Werner Klinkhardt. 28 S. 1,20 Mk.
G. Preiswerk, Zahnärztliche Technik. Mit einem Anhang von Dr. P. Preiswerk.
München 1911. Verlag von J. F. Lehmann. 438 S. 14 Mk.
Doernberger, Jugendwandern. München 1911. Verlag der Ärztlichen Rundschau
Otto Gmelin). 36 S. 1 Mk.
J. Trumpp, Säuglingspflege. Stuttgart 1911. Verlag von E. M. Moritz. 143 S.
Geh. 1,80 Mk., geh. 2,25 Mk.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der IHcdizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
hermusgegeben von
Professor Dr. 6. Köster Priv.-Doz. Dr. v. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung; Dr. Rigler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 49. Halbjahr. 7 . Dezbr.
_ 1 = Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ■■-■-
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Vorlesungen über
Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
Von y. Xießl-Mayendorf.
n.
Die Melancholie.
M. H.! Es wäre eigentlich Aufgabe einer speziellen Therapie
der Geisteskrankheiten, Heilmittel und Behandlung in gesetzmäßiger
Gruppierung auftretender und durch einen bestimmten Ablauf charak¬
terisierter Symptome zu erörtern, um durch sie das erkannte ursäch¬
liche, pathologische Agens zu bekämpfen und zu vernichten. Unser
heutiges Wissen vom Wesen der Geisteskrankheit gestattet jedoch, wie
eingangs betont, ein solches Unternehmen ganz und gar nicht. Mit
weisem Instinkt hat sich ein jüngst erschienenes schlankes Büchlein 1 ),
welches unter dem Namen „ Therapie der Geisteskrankheiten“,
Neueres und Neuestes bienenfleißig und brauchbar zusammenstellend,
an den Praktiker sich wendet, stillschweigend um diese Schwierigkeit
herumdrückt.
Wenn wir nun aber trotz unzulänglicher Erkenntnis der intra¬
zerebralen krankhaften Vorgänge, spezielle psychiatrische Therapie
treiben wollen, müssen wir, im Gegensatz zu der allgemeinen Wissen¬
schaft von der Behandlung, welche das einzelne Symptom und die
uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen an sich ins Auge fassend,
wirksam zu beeinflussen vermag, aus dem Syndrom der sich bei den
Krankheiten darbiet enden Symptome, jene Erscheinung herausschälen,
welche als der unmittelbare klinische Ausdruck der veränderten Hemi¬
sphären! eis tung aufzufassen ist, und gegen diese mit aller Umsicht
unserer therapeutischen Erfahrung Vorgehen.
Das Kardinalsymptom eines psychopatischen Zustandes, welcher
sich im Beginn und Verlauf der verschiedenartigsten Geisteskrank¬
heiten vorfindet, ja, in geschlossener Entwickelung selbst als Geistes¬
krankheit. imponieren kann, der „Melancholie“, ist zweifellos die Ge
l ) Dr. Weinh. H. Becker, Therapie der Geisteskrankheiten fflr praktische
und Irrenärzte. Leipzig 1911.
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v. Nießl-Mayendorf,
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danken sperre, oder nach dem bestimmteren Ausdruck Ziehens 1 )
eine Insuffizienz des Vorderhirns, Assoziationen zu wecken. Eklatant
tritt dies in den Anfangsstadien der Melancholie hervor, wo das Be¬
wußtsein des Kranken sich noch über das Symptom erheben kann. Ein
von mir jüngst der Klinik überwiesenes achtzehnjähriges Mädchen führte
all ihr Unglücksgefühl auf einen Druck im Vorderkopf, als ob alles da
fest wäre, zurück, so daß sie nicht mehr denken und sich entschließen
könne. Die von ihr empfundene Denkunfähigkeit nehme ihr die Hoff¬
nung auf Besserung und treibe sie zur Selbstvernichtung. Nicht immer
springt der Kausalnexus zwischen der Gedankenträgheit, die bis zur
Verzweiflung peinlich empfunden wird, und der schmerzlichsten Be¬
urteilung der Lebenslage so greifbar in die Augen. Eine sorgsame,
allerdings nur durch längere Beobachtung mögliche Analyse des psy¬
chischen Zustandes wird in allen Fällen die ursächlich verbindenden
Fäden zwischen zerebral-assoziativer Afunktion und schwer herab¬
gestimmtem Gemüt aufdecken. Ich erinnere mich, einen Mann in den
Vierzigern, welcher das typische Bild einer affektiven Melancholie nach
Wern icke, als deren Kemsymptom stets die Traurigkeit figurierte,
bot, behandelt zu haben. Als sein täglicher Tischnachbar hatte ich
Gelegenheit das Auftauchen, die Knüpfung und den Wechsel seiner
Gedankenverbindungen zu studieren. Klar lind geordnet sprach er,
sein Handeln war stets vernünftig, nur etwas Wortkargheit und In-
sichgekehrtsein deuteten vielleicht auf kortikale Assoziationsschwäche
hin. Ein auslösendes Moment in einem peinlichen Erlebnis, war wie
so oft, vorhanden. Die jugendlichen Beize einer Verkäuferin in seinem
rentabeln Geschäft hatten ihn, den Alternden, bestrickt und in Be
Ziehungen mit dem nicht mehr jungfräulichen Mädchen verwickelt,
deren Folgen ihn in seiner gesellschaftlichen Stellung zu kompromitieren
drohten. Statt, daß ihn die Arbeit das Unerquickliche seiner Situation
vergessen ließe, und er sich nun voll und ganz ihrem Zwange hingäbe,
entflieht er ihr mutlos in dem Glauben, die Erschütterung seiner
Seele habe ihm die nötige innere Spannkraft und Aufmerksamkeit
zu korrekter Erledigung seiner Geschäfte geraubt. Er vermeint, durch
den peinlichen Ausgang seines Liebesabenteuers geschäftlich ruiniert
zu sein. Dasjenige, was das Accidenz des Lebens so pathologisch über¬
treibt und für ihn zu einer der Welt unbegreiflichen Existenzfrage
geworden ist, ist die Insuffizienz, zu denken, die als primärer
Hirnvorgang zwar schmerzlich empfunden, nicht aber als krankhaft
klar erkannt und im Lichte eines Erklärungswahnes falsch gedeutet
wird Die unbewußt gefühlte Ursache der entscheidenden Bedeu¬
tung von der Schwangerschaft seiner Angestellten für seine Position
in der Gesellschaft war in Wahrheit die Hemmung des Gedanken
*) Ziehen koordiniert in seiner monographischen Bearbeitung der Melancholie
für die Praxis („Die Erkennung und Behandlung der Melancholie in der Praxis 4 ,
Halle a. S. 1896) Depression und Denkhemmung und führt beide als psychisch
primär auf. Er glaubt auch ein Voraneilen der Depression beobachtet zu haben.
Solche Fälle kenne ich nicht. Jede gemütliche Verstimmung, ob sie äußerlich hin¬
reichend begründet und physiologisch, oder durch das unbekannt Krankhafte im
Hemisphärenleben veranlaßt ist, geht mit einer Behinderung des Gedankenablaufs
einher. Wird nun ohne äußeren Anstoß die Vorsteilungstätigkeit durch intrazerebrale
Krankheit gebannt, dann tritt eben Krankheit an Stelle des Erlebten als auslösen¬
der Faktor auf. Die Denkhemmung ist das Primäre, die psychische Reaktion auf
dieselbe in der Traurigkeit das Sekundäre. Diese Relation zwischen den beiden
Symptomen ist für die Erkenntnis von dem pathologischen Wesen der Melancholie
außerordentlich wichtig.
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 1155
ablaufs, die subjektiv wahrgenommen, von ihm als Folge der ihm
zugestoßenen Unannehmlichkeit aufgefaßt wurde, in Wahrheit aber
die Ursache seiner wahnhaften Übertreibung der Konsequenzen des
Vorgefallenen gewesen ist. Die geläufigsten Assoziationen für die
Sitten und Gewohnheiten des täglichen Verkehrs waren in ihm lebendig,
ein regeres Gedankenspiel, wie es der geschäftliche Betrieb erfordert,
versagte.
Auf gleiche Fährte leitet die psychologische Zergliederung eines
ganz anderen, wie ich meine, wohl charakterisierten, in den Anstalten
nicht so selten anzutreffenden Zustandsbildes, welches die in der psy¬
chiatrischen Nomenklatur enthaltene Bezeichnung „Melancholia agitata
verdient. Ich sah diese Erkrankung fast ausnahmslos bei zumeist in
„gefährlichem Alter“ stehenden Frauen, welche nach statistischem Er¬
weise überhaupt das Hauptkontingent zu den Melancholikern stellen.
Hier handelt es sich um einen entbundenen Affekt, der sich bis zu
tobsüchtiger Entladung steigern kann. Diese Zellinsassinnen, wozu sie
ihr Gebahren notgedrungen macht, jammern ganz monoton in den stereo¬
typsten Wendungen hin, und nur schwer fixierbar, gelingt es kaum,
ihnen ein verständliches Motiv für den in Raserei ausschlagenden psy¬
chischen Schmerz zu entlocken. Schon dem flüchtigsten Untersucher
weisen sich die augenfälligsten assoziativen Lücken in der Bewußt¬
seinstätigkeit, der logischen Verarbeitung von Sinneseindrüeken auf,
welche oft soweit klaffen, daß die äußere Orientierung abhanden kommt.
Wahnideen, welche die maßlosen Klagen auch nur entfernt begründen
könnten, sucht man vergebens. Man ist daher geradezu gezwungen,
die Verzweiflung der Kranken auf eine psychische Reaktion des Be¬
wußtseins auf ihr erfolgloses Ankämpfen gegen die sich überall ein¬
stellenden Hemmungen zu interpretieren.
Ich kenne Hemmungszustünde ohne traurige Verstimmung und
zwar, wenn dieselben bereits so intensiv sind, daß sie jede Reaktion,
jedes Bewußt werden ihrerseits bereits unterdrückt haben. Man nennt
diese Zustände „Stupor“. Ausdrucksbewegungen im Stupor verraten
nicht die Stimmungslage des Gemüts, es sind psychisch unmotivierte
Zwangsbewegungen, den Grimassen des Kindes in der Wiege ähnlich,
dessen Großhirn ohne die Zusammenfassung durch innere Assoziationen
vom äußeren Reiz Anstoß zum Ablauf erhält und denen man so bereit
ist, Stimmungen unterzuschieben. Das Lächeln im „manischen Stupor“
ist Zwangsbewegung. Es gibt aber keine traurige Verstimmung ohne
assoziative Hemmung, weder in physiologischen Grenzen, noch auf
pathologischer Grundlage. In physiologischer Breite bringt jedoch die
Traurigkeit die Hemmung, bei pathologischer Kausalität die Hemmung
die Traurigkeit hervor.
In richtiger Konsequenz erblickte v. Krafft-Ebing im Stupor
eine Melancholie, die nach der äußeren Erscheinung, des „Angedonnerten“
benannt, das Attribut „attonita“ führte. Auch die Entwickelung des
Stupors aus der initialen Melancholie bei der Katatonie als eine Stei¬
gerung derselben pathologischen Phase spricht für die wesentliche Zu¬
sammengehörigkeit beider Zustandsbilder.
M. H.! Es war mir keineswegs das Bedürfnis eitlen Theoretismus,
wenn ich meine Überzeugung von dem Wesen des melancholischen
Symptomenkomp^exes so scharf als möglich, und so breit als irgend nur
angängig, präzisierte. Die Richtschnur unseres ärztlichen Vorgehens
muß von einer klaren Vorstellung, welche sieh das intrazerebrale Ge-
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y. Nießl-Mayendorf,
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schehen wenigstens einigermaßen zu versinnlichen vermag, geleitet sein.
Wenn ich in dem Reigen der traurigen Verstimmung, der Angst, des
Selbstanklagewahns, der mit Gehörtäuschungen kompliziert sein kann,
der Insuffizierung, zu denken, dieser die führende Rolle zuweise
und in den anderen Erscheinungen nur die natürliche Gefolgschaft
erblicke, so wird unser therapeutisches Ziel, die Beseitigung der
auf den Hemisphärenfunktionen lastenden Hemmung erstreben.
Unser Heilplan wird aber nur dann auf Erfolg rechnen dürfen,
wenn wir des Näheren fragen, wie sich diese Hemisphärenhemmung
mit bezug auf die empfindenden Rindenelemente pathologisch fassen
ließe. Die Antwort auf diese scheinbar so schwierige, aber funda¬
mentale Frage gestattet der Umfang unseres heutigen Wissens von
einem Parallelismus zwischen Seelenleben und Rindenleben, wenn auch
wenig bestimmt, so doch mit einiger Sicherheit zu geben. Es kann
kaum etwas anderes als eine Ernährungsstörung des Großhirns sein,
worauf diese Einstellung der assoziativen Tätigkeit beruht. Meynert
definierte den krankhaft gestörten Zustand der funktionierenden Rinden¬
körper als ungenügende Oxydation; er sprach geradezu von einer
Dyspnoe der kortikalen Ganglien. Er erkannte aber weiterhin die
Ursache dieses mangelhaften Chemismus in einem Gefäßkrampf der
Großhirnarterien, nach welchem Hyperämie und Erweiterung der Blut¬
gefäße des Stammlappens antagonistisch sich einstelle.
Es galt daher ein Mittel zu finden, welches den Krampf der
Rindenarterien löse, durch Erweiterung der Arterien ein stärkeres Durch¬
bluten herbei führe und den verbrennbaren Sauerstoff vermehre. Man
glaubte mit dem Amylnitrit tatsächlich den gewünschten Erfolg er¬
reicht zu haben. Der Augenschein an den experimentell freigelegten
Piagefäßen des Tiergehirnes sprach, sobald das Amylnitrit einwirkte,
ganz klar für eine Erweiterung und da die peripheren Schichten der
Hirnrinde von Piakapillaren versorgt werden, war die Vermehrung
des zugeführten Sauerstoffes des Kortex als bewiesen zu betrachten.
Das Fehlen einer Gefäßerweiterung im ophthalmoskopischen Bilde, das
Ausbleiben einer Temperaturerhöhung in den Gehörgängen konnte nicht
als Gegenargument ins Feld geführt werden, da die erzeugte Hyperämie
der Hirnrinde ja eher eine Blutverarmung der an der Basis abgehenden
Arteriolen zur Folge haben müßte. In der psychiatrischen Klinik zu
Straßburg sind mit Amylnitrit an Melancholikern Versuche gemacht
worden, deren Ergebnisse mit den ersten, die Höstermann in Wien an¬
stellte, im wesentlichen übereinstimmten. Nur die Schlüsse, welche man
hier und dort zog, kreuzten einander. Lachlust und überschäumende
Fröhlichkeit, welche die äußere Hyperämie des Kopfes begleiteten,
wurde von den Straßburgem nicht als ein Beweis von Rindenhyperämie
gewertet und die psychische Ungebimdenheit als die Folge einer direkten
Einwirkung des Amylnitrit auf die Nervensubstanz bezogen. Wenn
der Vordersatz auch zweifellos Zustimmung beanspruchen darf, so ist
doch ein veränderter Chemismus durch das Amylnitrit der nervösen
Substanz auch dann zweifellos, wenn nur die Gefäßlumina erweitert
wurden.
War somit durch die im 5. Bd. dc,s Archiv f. Psych. niedergelegten
Erfahrungen Schramm’s über das Amylnitrit der von Meynert sup-
ponierte Gefäßkrampf der Rindenkapillaren bei gehemmten Geistes¬
kranken noch keineswegs theoretisch widerlegt, so vermochte sich doch
dieses, schon zu 10 bis 15 Tropfen auf ein Tuch geträufelt und inhaliert,
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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so foudroyant. wirkende Gift in dem Arzneischatz wegen seines mir
vorübergehenden Erfolges kein Bürgerrecht zu erwerben.
Ein Monate hindurch die Hirnrinde in ihrer Ernährung schädigen¬
des Agens muß dauernder unterdrückt werden, als es das nur auf
Tage hinaus lähmende Amylnitrit vermag. Wer sieh mit dem Schlagwort
von der Autointoxikation begnügt, der erhebt sieh nicht über die naive Vor¬
stellung der Alten, daß die Melancholie von der schwarzen Galle
und den scharfen Säften, die im Blute kreisten, herrühre, und ich
empfehle ihm wärmstens, nach Celsus* vorzüglichem Rezept, die
schwarze Nießwurz von Antieira.
Der Gedanke um die Entfernung der Krankheitsursache darf uns
aber nicht zerstreuen, wenn das erste, das dringendste Gebot, hinter
welchem alle anderen Maßnahmen zurückstchen, zu raschem Entschlüsse,
zu energischem Eingriffe zwingt: ich meine die Beseitigung der
Selbstmordgefahr. Sie können hier nicht vorsichtig genug sein,
und Ziehen hat sicher unrecht, wenn er die Hypomelancholie nicht
für suicidal hält. Die leichtesten Formen der Melancholie, pflegte
Wernicke zu lehren, sind die selbstmordgefährlichsten und die Er¬
fahrung hat mich nur zu oft von der Berechtigung dieser ernsthaften
Mahnung überzeugt. Ist die Hemmung einmal so groß geworden, daß
sie die gegen sich gerichtete physiologische Reaktion gleichfalls auf hebt,
ist der Kranke stuporüs geworden, dann ist der Trieb der Sei bst vernich
tung auch selbst gebunden und die Gefahr ist geringer geworden.
Wenn der praktische Arzt einen an kortikaler Hemmung Erkrankten,
welcher traurig verstimmt ist. nicht sobald als möglich in eine Anstalt
bringen oder derart überwachen läßt, daß ein Selbstmord ausgeschlossen
werden kann, begeht er einen Kunst fehler und macht sich straf¬
fällig. Es ist mir stets eine Kollegialität unbegreiflich gewesen, welche
derartige grobe Nachlässigkeiten decken oder entschuldigen will. Be¬
rücksichtigt inan, wie oft ein verhängnisvoller Zufall bei der Operation
dem gewissenhaftesten Chirurgen als Verschulden ausgelegt wird,
während hier nur die primitivste psychiatrische Kenntnis notwendig
ist und praktisch verwertet zu werden braucht, um das Schlimmste
abzuwenden, dann wird man die strengste Bestrafung als gerecht
fertigt anerkennen müssen. Der Stand der Irrenärzte wird durch Scho
uung solcher Elemente nicht gehoben, im Gegenteil wird er, sobald
sich die Mehrzahl der ihm angehörenden mit diesen solidarisch erklärt,
herabgedrückt.
Die Verbringung eines Melancholikus in eine öffentliche oder
private Irrenanstalt — nur solche sind gegebenenfalls zulässig — wird
in der Regel nicht schwer. Ein gewisses Krankheitsgefühl ist in den
Anfangsstadien fast stets vorhanden, und die ängstliche Beklemmung,
die dem Zustand der „Ratlosigkeit“ Farbe gibt, findet Erleichterung
bei dem Gedanken einer schützenden Wartung und Bewachung.
In einer zwanglosen Behandlung hat Theodor Ziehen die Rat¬
schläge zur Verhütung des Selbstmordes umfassend, ja mit der ihm
eigenen Gründlichkeit erörtert und registriert. Ich empfehle
Ihnen dies Büchlein zur Lektüre und die Aneignung des darin
vorgebrachten Positiv-Sachlichen. Vergessen Sie aber nicht, Sie haben
einen praktische Winke erteilenden Theoretiker vor sich, der über¬
zeugt von der Ohnmacht einer auf alle sich je ereignenden Fälle passen
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v. Nießl-Maveodorf,
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den Therapeutik, das Typische der einzelnen Beobachtung, schematisch
vereinfachend zu didaktischem Zweck hervorkehrt, zur allgemeinen
Schablone erweitert.
Diese Kritik wäre hier nicht angebracht, wenn sie nur "Wissen¬
schaft und Theorie anginge, es handelt sich aber hier um eine rein
praktische Frage, um die Frage: Haben wir uns bei Behandlung der
Melancholie Satz um Satz nach dem Buch von Ziehen zu
richten? Ehe Sie diese Frage beantworten, erinnern Sie sich, was
ich in der ersten Vorlesung über die Behandlung im allgemeinen gesagt
habe. Was den kundigen Therapeuten als solchen kennzeichnet, ist
der von dem Kommando eines geschriebenen Rezepts unabhängige In¬
stinkt in der Wahl der richtigen Anordnung für das Bedürfnis des
Augenblicks. Wenn Ziehen die Unterbringung des Melancholischen
in einem Parterrezimmer als unerläßlich hinstellt, so ist ihm für gewisse
Fälle sicher ohne weiteres zuzustimmen. Es gibt jedoch Verhältnisse,
in denen das erste, zweite, ja vielleicht das dritte Stockwerk größere
Garantie für die Sicherheit des Kranken bieten. Ziehen geht so weit,
daß er von dem Wartepersonal der Melancholischen verlangt, ihren
Schlüsselbund an den bloßen Leib gefesselt zu tragen, damit sich
der Kranke nicht unerwartet des Schlüssels zum Ausgang bemächtige
und einen Selbstmord verübe. Er spricht aber nicht davon, daß man
dem Melancholischen keine Zahnbürste in die Hand geben dürfe; und
doch habe ich es erlebt, daß ein an Melancholie leidender Patient sich
mit dem Stiel einer Zahnbürste, die er sich mit aller Gewalt in die -
hintere Rachenwand stieß, selbst entleibt hat.
Beherzigen Sie also, daß Sie, sobald Sie die Diagnose, auf welche
es hier ankommt, richtig gestellt, alles zu unternehmen haben, wozu
Ihnen der gesunde Menschenverstand und Ihre eigene Erfahrung rät.
Wenn Sie Glück haben, werden Sie so den Selbstmord verhüten. Es
kann aber auch sein, daß trotz aller Umsicht ein durch nicht vorher¬
sehbare Umstände — und wie unberechenbar ein Geisteskranker ist,
weiß jeder, der solche jemals behandelt hat — herbeigeführtes Mi߬
geschick den Kranken durch eigene Gewalt umkommen läßt. Sie müssen
sich dann mit dem Bewußtsein zufrieden geben, den Forderungen Ihres
Gewissens entsprochen zu haben.
Die Behandlung der kortikalen Hemmung war bei den Alten,
aber auch noch zur Zeit Esquirol’s von Anschauungen geleitet, die
den unseligen schnurstracks entgegengesetzt sind. Während man heute
die Affekte notgedrungen als die Folge körperlicher Gehirnzustände
auffaßt, konnte man sich die Gefühle, als Erschütterungen der Seele,
nur aus dieser hervorgehend, vorstellen. Was aber der Körper dabei
sichtbar werden ließe, seien Begleit- und Folgeerscheinungen des psychi¬
schen Vorgangs. Ganz folgerichtig angebracht war daher eine Psycho¬
therapie, von wissenschaftlicher Erkenntnis diktiert, vollkommen an¬
ders aber, als jener unter gleicher Spitzmarke laufende moderne Hokus¬
pokus, welcher in keiner Beziehung zu ärztlichem Wissen steht. Man
suchte den traurigen Affekt durch den frohen zu verscheuchen, man
schaffte dem apathischen Melancholikus Zerstreuung, schickte ihn auf
Reisen, half ihm zu erreichen, wonach sich sein Herz sehnte. Das
durch kortikale Hemmung gebundene Handeln sollte die Wirkung der
Aneiferung zur Arbeit, des Spazierengehens, des Turnens, der körper¬
lichen Bewegungen, welche von fremder Initiative dem Organismus
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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abgelenkt wurden, lösen. Das spezialistisch geschulte, durch reichere
einschlägige Erfahrung geschärfte Auge hat jedoch fast bei keinem
der so behandelten Melancholiker den logisch gefolgerten Umschlag in
den frohen Affekt eintreten gesehen, ja im Gegenteil steigerte sich
Traurigkeit zur Verzweiflung, Stagnieren der Bewegungsimpulse zu
vollkommener Willensperre. Diese unerwartet, unerwünschte Wirkung
begreift sieh aus dem wirklich bestehenden Zusammenhang zwischen
körperlicher Veränderung und seelischer Erscheinung. Die Stimmung
ist nicht deshalb eine traurige, weil der Inhalt der rege gewordenen
Vorstellungen ein trauriger ist, sondern umgekehrt; der Vorstellungs¬
inhalt ist ein trauriger, weil die Gefühlslage eine deprimierte ist.
Der Wechsel vorgeführter Erscheinung wird bei dem erschwerten Auf
fassungsvermögen verwirrend, die heitere Umgebung, welche freudig
stimmen soll, als Gegensatz zu dem eigenen Unglück schmerzvermehrend,
der Antrieb zu Bewegungen wegen Aufbietung aller noch übrigen
geistigen Kraft zur Überwindung der abnormen Widerstände, peinlich.
Erträglicher gemacht sollten die qualvollen Zustände des Melancholikers
dadurch werden, daß man alles aus der Welt schaffte, was zur Quelle
des Bewußtwerdens der eigenen Insuffizienz werden könnte. Man macht
ihm das Leben ohne eigene Initiative möglich. Daher Ruhe und Ab¬
schluß vor jeder Anregung. Also Bettbehandlung. Die Kennt¬
nis dieser Vorschrift ist für den praktischen Arzt, welcher den Mclan
choliker eventuell im Hause behandelt, fast ebenso wichtig als die
Selbstmordgefahr. Ein zweiter Vorteil liegt bei der Bettbehandlung
darin, daß der Kranke besser zu überwachen ist, als wenn man ihn
frei herumlaufen läßt. Die Selbst mordgefahr ist eine geringere. Die
Bettbehandlung muß mit der Entfernung alles dessen, was den Kranken
psychisch belästigen könnte, kombiniert werden. Also kein Antrieb,
keine Aufmunterung, keine auf gedrungene geistige Beschäftigung, alles
muß sieh ohne Zutun des Patienten mit einer gewissen Spontaneität
abspielen. Das Essen muß gereicht, eventuell der Kranke gefüttert
werden.
Drittens gewährt die Bettbehandlung die Annehmlichkeit einer
gleichmäßigen Körperwärme, einer gewissen Regulierung der Blut
Zirkulation, welche bei dem Melancholiker, besondere bei dem schwerer
Gehemmten in der Regel gestört ist. Die Kühle der Extremitäten,
welche distalwärts zunimmt, ist seit langem bekannt. Mit diesen angio
spastischen Zuständen gehen auch krampfhafte Spannungszustände der
Darmmuskulatur einher, auf welche die bei der Melancholie so häufige
Obstipation sicher zum Teil beruht, wenn auch der Mangel spontaner
Bewegungen bei derselben mitwirken dürfte. Dazu kommt, daß das
seit je gegen die Depression als Spezifikum angesehene, gleich zu be¬
sprechende Opium trotz aller gegenteiligen Behauptungen seiner Loh¬
redner eine konstringierende Wirkung hat; endlich hat die Bettruhe
an sich bei vielen Menschen eine gewisse Trägheit der Peristaltik
zur Folge. Zersetzung des Darminhaltes infolge abnorm langen Ver-
weilens der Ingesta im intestinalen Traktus führt zu Enteritis, so daß
die Obstipationen von Diarrhöen abgelöst werden. Da aber günstige
Ernährungsverhältnisse für eine Beschleunigung der Wiederherstellung
des heilbaren Kranken sehr ins Gewicht fallen, so muß hei der Behand¬
lung der Melancholie auf einen regelmäßigen, täglichen, aus¬
reichenden Stuhlgang gesehen werden. Entweder gibt man den
in der Behandlung der Krankenhäuser so beliebten Einlauf mit warmem
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v. Nicßl-Mayendorf,
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Wasser, dem man etwas Glyzerin oder Ol. Ricini zusetzen kann oder
man greift zu einem die Verdauung auch bei anhaltendem Gebrauch
nicht störenden Medikament, falls der Kranke die Prozedur mit der
Klistiere unangenehm empfindet. Ein ausgezeichnetes Laxans, auch
bei täglicher Anwendung ohne schädliche Nebenwirkung, erblicke ich
in der Rinde des Rhamnus Phursianus. Will man eine ausgesprochene
Obstipation beseitigen, greife man zum Extrakt, den man am besten
des Morgens auf nüchternen Magen, je nachdem in der Dosis eines
Eßlöffels oder eines Teelöffels verabreichen kann. Der Stuhlgang läßt
oft 10 Stunden oder langer auf sich warten. Er ist aber dann ausgiebig,
die Entleerungen erfolgen oft mehrmals, ohne Schmerzen oder an¬
schließenden Tenesmus. Ist keine direkte Stuhlverstopfung vorhanden,
sondern nur eine Neigung zur Hartleibigkeit und sind die Kotabgänge
ungenügend — eine sehr häufige Form chronischer Ostipation — dann
ziehe man die mildere Tinctura Rhamni Phursiani, welche man ebenso
dosieren kann, vor. Gegen die Diarrhöen ist von Ziehen die Kotorinde
empfohlen worden, die man in Form der Tinktur (10—20 Tropfen)
verordnen kann. Wirkt diese nicht, so gibt man ein Gramm Tannalbin
oder Tannigen.
Hatten die Alten den fremden seelischen Einfluß auf den Gemüts¬
zustand des Geisteskranken sehr hoch cingeschlagen, so war ihnen
doch die Macht nicht verborgen geblieben, welche der chemischen Wir¬
kung gewisser, in den Körper eingeführter Pflanzenstoffe auf Stim¬
mungslage der psychisch Kranken innewohnt. Allen voran stand das
Landanum, der orientalische Sorgenbrecher, welches ungeachtet seiner
bekannten und anerkannten Giftigkeit in dem Ansehen des wirksamsten
Mittels gegen Depressionen stand. Man erkannte bald, daß, wie an
unseren Alkohol, auch an das Landanum bei längerer Darreichung
Gewöhnung eintritt, und daß man zu hohen Dosen ansteigen kann,
ohne Intoxikationserscheinungen zu provozieren, wenn man allmählich
hinaufgeht. So soll im vorigen Jahrhundert Odier in einem Falle
von Melancholie auf 30 Gramm Opium pro die gestiegen sein und die
Krankheit damit auch geheilt haben.
Aber schon Esquirol wendet sich gegen das schablonenhafte
Ordinieren des Opium und verbietet es vollständig „bei plethorischen
und zu Kongestionen“ neigenden Individuen. Heute figuriert das Opium
als eine Art Spezifikum gegen Melancholie, wenn auch gegen Kraepe-
lin’s Anpreisung großer Gaben — kleine helfen nichts und schadeten
nur — manche Bedenklichkeit laut wurde. Sommer schließt in seiner
Arbeit über die Depressionszustände (Deutsche medizinische Wochen¬
schrift 1908) die hysterischen und epileptischen Depressionszustände
von der Opiumbehandlung aus. Ich halte diese Einschränkung für
nicht weniger schablonenhaft als die Vorschrift der hohen Opium¬
dosierung für eine Krankheit. Man bekämpft mit dem Opium nicht
die Ursache krankhafter Erscheinungen, sondern ein Symptom, und
das Symptom ist bei verschiedenen Krankheiten dasselbe. Was
Sommer zu seiner Behauptung veranlaßt, sind offenbar vereinzelte
Krankenbeobachtungen. In diesen hat aber nicht, wie er meint, die an¬
dersgeartete Krankheit, sondern die andersgeartete Reaktionsweise
und Individualität des Kranken die Erfolglosigkeit der Opium
therapie begründet.
Mit diesem Faktor, w elcher mir in der Opiumtherapie von größter
Wichtigkeit scheint, müssen Sie rechnen, wenn Sie eine Kur einleiten.
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten
1161
Sie werden also mit der üblichen, von Ziehen vertretenen Dosis von
0,05 Opii in pulvere oder in Pillenform anfangen, etwa:
Rp. Opii in pulv. 0,05 Rp. Opii pulv. 1,5
Sacch. 0,5 Succi Liquir dep.
M. f. pulv. D. t. dos. XX. q. s. ut pilul. XXX.
S. 4mal tägl. ein Pulver. D. S. 4mal tägl. eine Pille.
Sehr beliebt in den Irrenanstalten ist die Opiumtinktur. Diese
wird entweder als Tinct. Opii simplex oder crocata zu 10 Tropfen,
4mal im Tage verordnet. (Ein Tropfen der Tinktur entspricht. 0,005
Opium). Ziehen gibt eine Opiumdosis morgens um 7 Uhr, nachmittags
um 3 Uhr. abends um 8 Uhr und abends um 10 Uhr. Er steigt täglich
um 0,05 Opiuni, demnach entweder (‘in Pulver mehr,-oder eine Pille
mehr oder 10 Tropfen der Tinktur mehr. Ich weiß nicht, ob Ziehen
Recht hat, wenn er die höchsten Opiumdosen auf den Abend verlegt.
Ich kann mich allerdings eines Kranken entsinnen, an dem ich am
Abend ein Aufflackern des Affektes wahrnahm, während er unter Tags
in sich gekehrt und gelassen sich benahm. Es scheint indessen gerade
bei der Melancholie die Regel zu sein, daß die peinlichen Gefühle der
Unlust und Hemmung am Morgen ihren Höhepunkt erreichen, daß,
wie sich Ziehen ausdrückt, die „Morgenangst“ den Kulminationspunkt
und das gefährlichste Stadium des Affektes darstellt. Der erwähnte
Patient hat sich denn auch am Morgen in seinem Zimmer entleibt.
Es wird sich daher empfehlen, die größte Gabe auf jene Zeit auf
zusparen, zu welcher sich eine offenbare Erregung in der veränderten
Äußerungsweise des Patienten (Umhergehen, Klagen und Weinen) kund
gibt. Man erkundige sich des öfteren bei dem Wartepersonal nach dem
Verhalten des Patienten und gebe dann die 0,05 mehr, wenn man erfährt,
daß der Kranke Anzeichen innerer Erregung darbietet. Finden, sich solche
affektive Phasen nicht, ist vielmehr der Zustand ein stabileres Krank¬
heitsbild, dann steige man so, daß man zu jeder Tagesdosis 0,01 Opium
hinzufügt und etwa der Morgendosis 0,02. Bei der Darreichung in
Pulverform wiegt man 1 g hinzu, von der Opiumlinktur gibt man 3mal
täglich statt 10 Tropfen 12, 14, 10 Tropfen usw., man steigt also 3ma.l
des Tages um je 2 Tropfen, das viertemal gibt man 14, 18, 22 Tropfen
usw., d. h. man steigt gleich um 4 Tropfen. So würde man am 7. Tage
an der erlaubten Grenz«*, bei 0,5 Opium pro die angelangt sein. Man kann
dann, wenn man eine palpable Wirkung des Medikamentes gesehen
hat, weiter steigen, ich würde jedoch nicht die Tagesdosis um 0,05, son¬
dern etwa um 0,02 erhöhen, oder bei derselben stehen bleiben, auch
wenn sich keine Vergiftungserscheinungen (Miosis, Somnolenz, Obsti¬
pation) bei dem Patienten gezeigt haben. Ich kann dem Vorschlag
Becker’s nicht beitreten, welcher 8 Tage eine Opiumkur auch bei
Fehlen eines sichtbaren Erfolges durchgeführt wissen will. Wenn bis
zum 4. Tage nicht die geringste psychische Reaktion zu beobachten
ist, so kann man sicher sein, daß man auch mit größeren Opiummengen
nichts erreicht. Auf keinen Fall darf man, wovor Weigandt mit Recht
gewarnt hat, mit dem Opium jäh l abbrechen. Am besten geht man
in derselben Weise herunter wie man gestiegen ist. Gerade bei der
Opiumtherapie macht man die Erfahrung, wie verschieden verschie¬
dene Menschen auf eingeführte Gifte reagieren. Selbst die stopfende
Wirkung der Tinctura Opii habe ich selbst bei anämischen Individuen,
die sonst gegen das Opium empfindlich sind, vielfach versagen gesehen.
Es gibt viele, präsenile, affektive Melancholien (Wernicke), deren Ge
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1162 v. Nieöl-Mayendorf, Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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mütszustand selbst von hohen Opiumgaben nicht nachweisbar beein¬
flußt wird. Man beschränke sich also bei der medikamentösen Therapie
der Melancholie nicht auf das Opium. Man gehe prüfend, tastend vor,
um stets bereit zu sein den Rückzug anzutreten, wenn man sich über¬
zeugt hat, daß man auf falscher Fährte ist. Andererseits ist Ziehen’s
Weisung, daß trotz eines augenfälligen Erfolges die Opiumbehandlung
schon nach wenigen Tagen keinesfalls abgebrochen werden dürfe, voll¬
inhaltlich zu unterschreiben.
Was soll man aber gegen die Hemmung und die aus ihr sich
ergebende traurige Verstimmung verordnen, wenn das Opium unwirk
sam geblieben ist. Es gibt Melancholien, die überhaupt nicht medi¬
kamentös zu beeinflussen sind, womit ich nicht gesagt haben will,
daß mit einer psychischen Behandlung ein Heilerfolg zu erwarten stünde.
Es bleibt aber dann nichts übrig, als sich expektativ zu verhalten und
gegen die somatischen Begleiterscheinungen mit Medikamenten ins
Feld zu ziehen, welche durch solche beseitigt werden können. Sicher
wird damit, weniger geschadet, als mit dem schablonenhaften Zwang
einer utrierten Opiumtherapie, denn dieselbe hat, was in den Lehr¬
büchern meist cachiert wird, ihre Gefahren. Diese ergeben sich aus
einer individuellen Überempfindlichkeit, aus einer gewissen Idiosyn¬
krasie gegen dieses Mittel. Das Schlimmste ist, wenn jene Organe,
welche an der normalen Herztätigkeit beteiligt sind, in ihren Funk
tionen geschwächt oder derselben beraubt werden. Das die Opiate
in toxischen Gaben schädlich auf das Herz wirken, ist seit langem
bekannt. Man weiß, daß die Herzschläge zu Anfang zahlreicher
werden, die Herzbewegung später jedoch erlahmt. Die Beschleunigung
der Herztätigkeit wird höchstwahrscheinlich durch die Irritation der
Herzmuskulatur selbst herbeigeführt, da eine Beschleunigung noch ein
tritt, wenn die herzhemmenden Vagi dem Tiere vor der Vergiftung durch¬
schnitten wurden. An chlorotischen Individuen ist diese Vermehrung der
Pulsschläge in der Minute vielfach beobachtet worden. Nach dieser
Beschleunigung tritt aber eine Verlangsamung der Herztätigkeit auf,
die bei fortgesetzter Einwirkung des Giftes zum Stillstand derselben
führt. Die Rctardation des Herzens ist auf eine Reizung der zentralen
Vagi zurückzuführen, denn wenn man den peripheren Vagusnerv durch¬
schneidet, bleibt die Beschleunigung der Herzbewegung bestehen, sie
wird aber sofort in ihr Gegenteil übergeführt, wenn man Morphium
in das zentrale Ende der Karotis spritzt. Macht die Intoxikation noch
einen Schritt vorwärts, dann kommt es nicht, wie man erwarten sollte,
zu einer neuerlichen Verlangsamung der Herztätigkeit infolge von Vagus¬
lähmung, sondern eine Verlangsamung und Abnahme derselben findet
statt, weil die Ganglienzellen im Herzmuskel selbst die Reizkraft ver¬
lieren. Ebenso ist die Wirkung der Opiate auf die vasomotorischen
Nerven anfangs eine gefäßverengernde und später eine gefäßerwei¬
ternde. Der Blutdruck ist daher zuerst gesteigert, später vermindert
und sinkt um so mehr als die Herzkraft abnimmt.
Sie werden daher der Beschaffenheit des Herzens, des Pulses,
der Gefäße, des Blutdruckes während der Opiumbehandlung ihre be¬
sondere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Einden Sie da Ver¬
änderungen, die auf eine Intoxikation hindeuten, dann werden Sie so¬
fort an den Rückzug denken müssen. Ich meine damit nicht ein
brüskes Aussetzen, dies ist wie gesagt, entschieden kontraindiziert,
aber es empfiehlt sich, dann nicht stehen zu bleiben, sondern in der-
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S. Leo, Wiener Brief.
1168
selben Weise mit der Dosis herabzugehen, wie man angestiegen ist,
oder den Abstieg auch zu beschleunigen. Es ist keine Frage, daß
Fälle von Herztod während der Opiumbehandlung vorgekommen sind
und jederzeit Vorkommen. Ich kenne solche Fälle aus eigener Er¬
fahrung, deren unvoreingenommene Deutung darüber keinen Zweifel
aufkommen läßt. Man hat dies nicht zugeben wollen und will es
auch heute nicht, indem man mit abweisendem Lächeln bemerkt, die
Opiumgaben seien ja viel zu gering gewesen, um zu einer Einstellung
der Herztätigkeit zu führen, zahlreiche Herzkranke vertrügen Mor¬
phium ganz gut usw. Niemals wird ein denkender Arzt sich mit diesem
Einwand zufrieden geben, er weiß sehr wohl, daß die Wirkung eines
Medikaments nicht allein von seiner chemischen Zusammensetzung ab
hängt. Er weiß, daß es ebenso wichtig ist, wer die Medizin einnimmt,
nicht nur, was für eine Medizin genommen wird, daß die Wirkungs¬
weise einer chemischen Substanz sieh nach der individuellen Emp¬
fänglichkeit des Organismus ändert, welchem dieselbe zugeführt
wird. Wenn man nun an dieser innerhalb gewisser Grenzen zweifellos
zu Recht bestehenden Wahrheit festhält, daß die Reaktionsfähigkeit
jedes Menschen auf verschiedene Gifte eine andere ist, daß Abnormitäten
dieser Reaktionsfähigkeit nicht zu den Seltenheiten gehören, dann wird
man sich denn doch bequemen, an die Möglichkeit einer tödlichen In
toxikation durch Opiate zu glauben. Bisher hat man diese Gefahr
viel zu gering geachtet und vernachlässigt. Ich halte es für eine emp
findliche Lücke in Ziehen’s praktischen Anweisungen zur Behandlung
Melancholischer, daß er von einer Bedrohung der Herztätigkeit durch
das Opium gar nicht spricht, und eine Überwachung derselben anzu
ordnen, unterläßt. . (Fortsetzung folgt.)
Wiener Brief.
Ein Sammelbericht von Dr. S. Leo,
Hans Bab spricht über die Behandlung der Osteomalazie
mit Hypophysenextrakt. B. stellt eine Patientin vor, die mit schwerster
Osteomalazie im Dezember 1910 auf die Klinik Wertheim transportiert
wurde und durch halbjährige Behandlung mit Pituitr. inf. undibul. (täglich
2 ccm subkutan) ihre Gehfähigkeit und Beschwerdefreiheit erlangt hat.
Zu dieser hypophysären Therapie gelangte B. auf Grund des tiefgehenden
Gegensatzes zwischen Akromegalie und Osteomalazie, sowie zwischen
Hypophysen- und Ovarienfunktion. Bei der Akromegalie Atrophie der
Ovarien, Amenorrhoe, Heilbarkeit durch Hypophysenexstirpation, häufiger
Krankheitsbeginn im Klimakterium, daun auch im Anschluß an Ovarien¬
exstirpation oder an eine Suppressio mensium Sterilität, Erlöschen der
Libido; große Neigung zum Auftreten eines Diabetes, Beziehungen zum
Myxödem, therapeutische Wirkungslosigkeit des Pituitrins, Heilerfolge mit
Thyreoidin, Wiedereintritt der Menstruation nach der Hypophysen Tumor¬
exstirpation; Apposition fester Knochensubstanz. Im Gegensatz hierzu
bei der Osteomalazie: Hyperfunktion der Ovarien, Heilbarkeit durch
Entfernung der Eierstöcke, häufiger Krankheitsbeginn zurzeit der Ge¬
schlechtstätigkeit, hohe durchschnittliche Fertilität, keine Störung des
Verlaufes der Gravidität, Erhaltenbleiben der Libido; Fehlen der Adre-
nalinglykosurie, Beziehungen zum Basedow, therapeutische Erfolge mit
Antithyreoidin Moebius; Erweichung der Knochensubstanz. Im Zusammen¬
halt mit anderen Fällen kommt B. zum Schlüsse, daß das Pituitrin in
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S. Leo,
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einer Anzahl der Fälle die Knochenschmerzen bei der Osteomalazie auf-
heben und die Bewegungsfreiheit der Pat. bessern kann. In anderen
Fällen schreitet die Besserung nur bis zu einem bestimmten Grade vor.
Endlich kommen auch Fälle vor zur Beobachtung, die durch Pituitrin
gar nicht beeinflußt werden. In der Diskussion hebt Biedl hervor,
daß die auf ganz vagen Voraussetzungen aufgebaute Adrenalintherapie
der Osteomalazie ganz versagt hat. Es kann mit großer Wahrscheinlichkeit
angenommen werden, daß die Hypophyse und die Keimdrüsen auf die
Knochenbildung oder richtiger auf den Kalkstoff Wechsel im Knochen
einen antagonistischen Einfluß ausüben. Die Hypophysensubstanz bewirkt
eine vermehrte Ablagerung an Kalksalzen in dem in Um- oder Neu¬
bildung begriffenen Knochen. Von diesem Gesichtspunkt aus hat B.
die hypophysäre Medikation bei verschiedenen, mit abnormer Weichheit
der Knochen einhergehenden Erkrankungen empfohlen. Auf Grund der
bei Osteomalazie erzielten Erfolge wäre diese Therapie nicht nur bei
dieser Krankheit, sondern auch bei der Rachitis, bei der Osteopsatyrosis
und vielleicht auch zur Erzielung einer besseren Konsolidierung des
Kallus bei Erakturen zu versuchen. Diese Versuche sind umsomehr
geboten, als es sich bei dem Hypophysenextrakt um eine selbst in großen
Dosen völlig unschädliche Substanz handelt, die ihre Hornionwirkung
auch bei stomachaler Einverleibung entfaltet, (Gesellschaft deutscher
Arzte in Wien.)
Demetrius Chilaiditi spricht über die willkürliche Ver¬
schieblichkeit der Abdominalorgane und ihren Einfluß auf
die Darmtätigkeit, Ch. hat ursprünglich zu Palpationszwecken ein
Verfahren benützt, dessen Wirkungsart auf den Dickdarm ihn veranlaßt
hat, es therapeutisch bei chronischen Obstipationen, zu verwenden. Die
Verschieblichkeitsprüfung der Organe in den verschiedenen Körperlagen
(im Stehen und Liegen, bei Rechts- und Linkslage) geschieht durch die
Palpations- und Perkussionsmethoden. In der Röntgenuntersuchung hat die
Verschieblichkeitsprüfung eine wertvolle Bereicherung erfahren, und besitzen
wir in dem von Holz kn echt empfohlenen Baucheinziehen ein ausgiebiges
Prüfungsmittel. Durch die Kontraktion der Bauchdeckenmuskulatur beim
gewöhnlichen Baucheinziehen wird jedoch die Palpation der Abdominalorgane
erschwert, ja oft unmöglich gemacht. Diese Einschränkung läßt sich aber
dadurch begegnen, daß man den Bauch ohne Kontraktion der Bauchdecken
einziehen läßt. Dies ist möglich, wenn man den Bauch nicht „eindrückt*,
sondern „einsaugt“. Läßt man den Pat. nach einer tiefen Inspiration
völlig exspirieren, hierauf bei geschlossener Glottis eine forzierte, thorakale
Inspirationsbewegung machen, mithin ohne Betätigung des Zwerchfells
und der Bauchmuskeln, so hebt und verbreitert sich der Thorax. Dn
die Lunge infolge verhinderten Luftzutrittes sich nicht dementsprechend
verhalten kann, wird das schon infolge des vollständigen Exspiriums
hochstehende Zwerchfell noch höher „gesogen“, die Baucheingeweide
rücken nach; hierbei machen gewisse Organe und Organteile (Pars media
ventr., Colon transversum), eine ausgiebigere Verschiebung mit als das
Zwerchfell und die unmittelbar darunter liegenden Organe (Pars cardica
ventriculi), da in der nunmehr verbreiterten Thoraxbasis unter dem
Zwerchfell viel mehr Platz vorhanden ist, der durch tiefer liegende Organe
ausgefüllt werden muß. Bei diesem Hochrücken der Organe sinkt der
Bauch von selbst oder infolge des äußeren Luftdruckes ein, die Bauch¬
presse ist dabei vollkommen überfüssig, ja direkt hinderlich. Bei diesen
Untersuchungen fiel es Ch. auf, daß die betreffenden Pat. Stuhldrang
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verspürten und teils gleich, teils einige Zeit später eine aus¬
giebige Stuhlentleerung hatten; er nimmt an, daß es sich hier um
eine Art Antomas?age handelt, die sich aber hier zum Unterschied von
der gewöhnlichen Automassage nicht als Druck (dar Bauchpresse), sondern
als Zug (des Zwerchfells, resp. des Thorax) auf deu Dickdarm äußert.
Ch. ging nun daran das Verfahren bei den verschiedenen Formen der
Obstipation zu erproben; dazu modifizierte er das Verfahren folgender¬
maßen: Nach vollständigem Exspirium macht der Pat. bei schlaffem
Abdomen in ziemlich rascher Aufeinanderfolge und natürlich wieder bei
geschlossener Glottis mehrere tiefe thorakale In- und Exspirations¬
bewegungen so lange, bis er eine leichte Atemnot verspürt, was nach
5 bis G Bewegungen eintritt. Hierauf schöpft Pat. wieder 2—3 mal
tief Atem und beginnt die Übung von neuem. Das gleiche Spiel wieder¬
holt sich zirka 10 mal, Dauer der gesamten Übung 5 Minuten. Die
Übung wird am besten frühmorgens im Bette gleich nach dem Auf¬
wachen ausgeführt. Die Pat. erlernen es rasch, wenn sie es nicht von
vornherein können, die Bauchmuskeln vollständig aus dem Spiel zu lassen. »
Ch. hat dieses Verfahren bei einer größeren Anzahl von sog. reiner
chronischer Obstipation angewendet. Die atonischen Fälle reagierten
günstig auf die Übung. Bei den spastischen Fällen war der Erfolg
nicht regelmäßig.
Über die Forst ergehe Operation (Resektion der hinteren Dorsal¬
wurzeln bei Tabes wegen gastrischer Krisen) sprach G. Lotheißen.
(K. k. Gesellschaft der Arzte in Wien.) Bei dieser Operation wird der
Wirbelkanal eröffnet, indem man vom G. Dorsalwirbel nach abwärts Dorn¬
fortsätze und Wirbelbogen entfernt, die Dura eröffnet, das Rückenmark
freilegt und nun die sensiblen Wurzeln auf 1—2 cm Länge oder mehr
reseziert. lu der ersten Mitteilung vor 2 Jahren haben Förster und
Küttner angegeben, daß es genüge, die 7.—9. Wurzel zu resezieren,
später rieten sie, die 6., 10., 11. und 12. Wurzel ebenfalls zu durch¬
trennen, damit auch die vom Darm ausgelösten krisenhaften Schmerzen
beseitigt wurden. Der erste Erfolg nach der Operation ist glänzend.
Kranke, die bisher alles erbrachen und in Schmerzen sich gewunden
haben, sind schmerzfrei und können wieder mit Appetit essen. Deshalb
wurde die Operation mit Enthusiasmus aufgenommen. Dabei wurde der
Fehler gemacht, daß die Kranken nur wenige Wochen nach der Operation
beobachtet wurden. Für die Beurteilung des Wertes der Operation sind
aber die Dauererfolge entscheidend und es hat sich auch die Begeisterung
jetzt etwas abgeschwächt. Die Operation wurde bis jetzt etwa 28 mal
ausgeführt. L. berichtet nun über 3 eigene Fälle. Der 1. Pat. ist
vor 11 Monaten, der 2. vor 7 Monaten operiert worden. Die Anfälle
der Magenkrisen waren immer häufiger, die Pausen immer kürzer ge¬
worden. Bei dem 2. Kranken stellten sie sich schließlich jeden 2. Tag
ein. Dabei verloren beide stark an Gewicht. In Skopolamin-Morphium-
Dämmerschlaf und Äthernarkose wurde der Eingriff gut ausgeführt.
Bei dem 1. Kranken wurde genau nach Vorschrift die 7.—Ü. Wurzel
reseziert, und auch die 6., weil die Schmerzen hoch hinaufreichten. Die
ersten 3 Monate ging es glänzend, der Kranke blühte auf. Dann stellten
sich doch allmonatlich einmal wieder Krisen ein, die aber viel weniger
stark waren. Untersucht man den Pat., so findet man, daß unterhalb der
Operationsnarbe genau entsprechend der 10. Wurzel eine hv perästhetische
Zone beginnt, in der, namentlich im Rücken, sehr oft Schmerzen be¬
stehen. Da diese Wurzeln die Sensibilität des Darmes vermitteln, ist
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es wahrscheinlich, daß die Beeinträchtigung des guten Erfolges darin
begründet liegt, daß L. die 10., 11. und 12. Dorsalwurzel nicht reseziert
hat. Beim 2. Pat. wurde die 6.—10. Wurzel reseziert. Hier hielt das
völlige Wohlbefinden 5 .Wochen an, dann kam es zu Anfällen, die
man als Abortivkrisen bezeichnen kann, da sie nie die alte Heftigkeit
erlangten. Wenn der Pat. sich auch in der Zwischenzeit nie so voll¬
kommen wohl fühlt wie früher in den Pausen, so ist doch zu betonen,
daß er seinen Körper völlig im Gleichgewicht hält und ordentlich essen
kann. Ferner sind seit einem halben Jahr die Erscheinungen der Ataxie
deutlich geworden. Wahrscheinlich hätten sich dementsprechend auch
die Magensymptome erheblich gesteigert; vielleicht wäre durch Inanition
der exitus eingetreten. Daher glaubt L. in Fällen schwerer gastrischer
Krisen die Operation anraten zu können. Sie darf aber keinesfalls
als ungefährlich hingestellt werden. Die Statistik ergibt ziemlich hohe
Mortalität (etwa 33°/ 0 ). Selbst bei guter Technik ist immer die Gefahr
der Meningitis vorhanden. L. gibt daher, von den modernen Hülfs-
mittelu bei der Operation abgesehen (Gesichtsmaske, Operationshandschuhe),
stets Urotropin in großen Dosen (6 g pro die) prophylaktisch, trotzdem
hat er den dritten Fall verloren, bei dem die 6.—12. Wurzel reseziert
wurde. Es handelte sich um ein sehr herabgekommenes Individuum, das
gegen Infektionen also an und für sich weniger wiederstandsfähig war.
Ferner hatte er, wie erst später entdeckt wurde, in den Rückenmuskeln,
dicht neben der Operationsstelle eine eigroße Nekrose, die bei der Obduktion
durch einen feinen Gang mit der Wunde in Verbindung staud. Der
Kranke hatte einige Wochen vorher an dieser Stelle eine Injektion von
Ehrlich-Hata bekommen. Selbst wenn diese Nekrose steril geworden
wäre, bot sie doch einen guten Boden für eine Infektion. L. hätte in
letzter Zeit wieder eine Förster’sche Operation machen sollen, fand aber
einen Tumor nach einer solchen Arsenobenzolinjektion, der weicb, fast
fluktuierend war. L. hat zuerst in Lokalanästhesie inzidiert, den butter¬
artigen Eiter entleert, und die ganze Nekrosemasse exzidiert. Erst wenn
diese Wunde ausgeheilt ist, soll die Rückenmarksoperation stattfinden.
Robert Breuer spricht über klinische Beobachtungen von
Herzkranken. Der linke Vorhof, der vor allem bei organischen Mitral¬
fehlern, aber auch bei anderen Kranken mit insuffizient gewordenem linken
Ventrikel (bei peripherer Arteriosklerose, chronischer Nephritis, Aorten-
in.suffizienz), oft hohe Grade von Ausdehnung erreicht, vermag infolge
seiner topographischen Situation auf eine Reihe von Nachbarn Druck-
und Verdränguugswirkungen auszuüben. B. hat mehrere Fälle beobachtet,
in denen der Vorhof durch Andrängen gegen die Bifurkation quälenden
Hustenreiz, durch Kompression des linken Bronchus, Bronchostenose,
durch mittelbaren Druck Schädigung des linken Rekurrens, durch Druck
auf den Ösophagus Schlingbeschwerden hervorgerufen hat. Alle diese
Druckwirkungen können in chronischer Weise ausgeübt werden (dies ist
namentlich bei organischen Mitralfehlern der Fall), sie können aber bei
akuteren Schwächezuständen des linken Ventrikels, wenn die rechte
Kammer kräftig weiterarbeitet, auch in akuterer Weise in Erscheinung
treten. Bei dem Andrängen gegen Bifurkation und Bronchus kommt
zu der mechanischen Druckwirkung noch die Schleimhautschwellung an
der gedrückten Stelle hinzu. B. hebt weiter hervor, daß zur Erklärung
der Erscheinung, daß eine Reihe von Herzkranken nicht liegen und auch
nur schwer angelehnt sitzen können, die bisherigen Erklärungsversuche
nicht ausreichen. Auch die von Holzknecht und Hof bau er ge-
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gegebene Erklärung, die sich auf die bessere Ausnützung der elastischen
Kräfte der Lunge und der Hilfswirkung der Bauchmuskeln bei der
Exspiration in der vertikalen Stellung bezieht, reicht nicht aus, um ver¬
ständlich zu machen, warum so viele Herzkranke nur in leicht nach vorne
geneigter Stellung sich wohl fühlen. Auch solche Kranke, die, wenn sie
angelehnt sitzen, nicht wirklich dyspnöeisch sind und keine Aktion der
Anxiliärrou^keln der Atmung, auch keine Kontraktion der Bauchmuskeln bei
der Exspiration zeigen, ziehen die vornübergeneigte Stellung vor, weil sie nur
so von Beklemmungen frei sind. B. spricht auf Grund von Röntgenunter¬
suchungen als Haupt Ursache dafür, daß die Kranken das vornübergeneigte
Sitzen bevorzugen, die Druckwirkung an, der der dilatierte linke Vorhof
in der Rückenlage und beim nach rückwärts geneigten Sitzen dadurch
ausgesetzt ist, daß das meist große und schwere Herz dieser Kranken
den linken Vorhof, der den hintersten Herzabschnitt bildet, gegen die
Wirbelsäule drückt. Dieser Druck schwindet selbstverständlich, wenn in
vertikaler Stellung und insbesondere bei Vorwärtsneigung das Herz nach
vorne sinkt. B. wendet sich dann der klinischen Bedeutung des
Cheyne-Stockes’schen Atmens bei Herzerkrankungen zu. Dieses bildet
bei vielen Herzkranken, besonders Arteriosklerotikern und Nephritikern
eine oft jahrelang dauernde, den Kranken furchtbar quälende Erscheinung,
die viel häufiger ist als gewöhnlich angenommen wird. Auch unter
anderen Umständen (Gehirnkrankheiten, Morphiumwirkung) kann dieser
Typus eintreten. B. hat nach mehreren vergeblichen Versuchen mit
anderen Mitteln gute Erfolge mit Sauerstoffinhalationen bei diesem
Symptom erzielt. (Ebenda.)
Martin Haudek spricht über neue Beobachtungen beim
Fungus der Gelenke. (Ebenda.) Die Diagnose gilt klinisch nicht als
leicht; die Anamnese leistet bei Kindern infolge der wenig verläßlichen
Angaben nicht viel, Weichteilsschwellungen im Bereiche der Gelenke
können vielfach andere Ursachen haben. Noch schlechter steht es mit
der Diagnose Fungus im Röntgenbilde, Skelettveränderungen fehlen
zumeist gänzlich, nach längerem Bestände des Leidens kann gelegentlich
eine ossifizierende Periostitis oder geringe Strukturatrophie das Leiden
erkennen lassen. Die Bilder weisen folgende Eigentümlichkeiten auf:
Auf der erkrankten Seite sieht man bei einzelnen Bildern mehr Knochen¬
kerne entwickelt als auf der gesunden Seite, auf anderen ist die Zahl
der Knochenkerne wohl beiderseits gleich, doch auf der erkrankten Seite
die Knochenkerne größer. Es handelt sich also jedesmal darum, daß
sich die Knochen des erkrankten Gelenkes in einem vorgeschrittenen
Entwicklungsstadium befinden, ihr Verkalkungsstadium dem eines
Kindes entspricht, das um mehrere Jahre älter wäre. Schließlich finden
sich bei Individuen in der Pubertät vorzeitige Verschmelzungen der
Epiphysenfugeu damit übereinstimmend. Es scheint tatsächlich also,
daß der fungöse Prozeß auf die im Entwicklungsstadium befindlichen
Knochen der erkrankten Region einen entwicklungsbefördernden Einfluß
ausübt. Als Ursache für diesen entwicklungsreizenden Einfluß müßte in
erster Linie an die mit dem Prozeß verbundene Hyperämie gedacht
werden.
Fritz Tedecko stellt eine 20 jährige Frau vor, bei welcher eine
Streptokokkenmeningitis durch Lumbalpunktion geheilt wurde.
(Gesellschaft für innere Medizin.) Pat. bekam vor einem Monat Er¬
brechen, Kopfschmerz, Nackensteifigkeit, Druckempfindlichkeit des Schädels,
Herpes an der Oberlippe, Fieber von 39,2°, Neuritis optica; Kernig’sches
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Referate und Besprechungen.
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Symptom. Die Tonsillen waren geschwollen. Die Spinalpunktion ergab
eitrige Flüssigkeit, die unter hohem Druck stand, das gehärtete Sediment
zeigte polymorphe neutrophile Leukozyten und Streptokokken in Rein¬
kultur. Nach der Punktion fiel das Fieber als Symptom, die Nacken¬
steifigkeit blieb jedoch bestehen. Eine neuerliche Punktion brachte
endlich definitive Besserung. Bei der 3. Punktion war die gewonnene
Flüssigkeit steril. Der Ausgang der Meningitis dürfte in der ge¬
schwollenen Tonsille zu suchen sein, die Streptokokken haben dann
eine Endokarditis und Meningitis hervorgerufen. Auf der Abteilung
Schlesinger wurden außerdem mehrere Fälle von eitriger Meningitis
durch Lumbalpunktion geheilt. Durch die Punktion im fieberfreien
Stadium werden die Erscheinungen des Hydrozephalus gut beeinflußt.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
F. Vysusil, Über okkulte Adenien. (Casopis lökaruv ceskych, Nr. 2, 1911.)
Der Autor publiziert zwei Fälle von Adenie, bei denen vorwiegend der
Lymphapparat des Verdauungsrohres ergriffen war. Beide verliefen unter
dem Bilde des Typhus oder einer Sepsis mit. protrahiertem Fieber, Diarrhöen,
Kachexie und Neigung zu Haut- und Schleimhautblutungen. Bei der Sektion
fand man in dem einen Falle intestinale Adenie mit Geschwüren vom Magen
bis zum Mastdarm, von denen eines perforiert war und eine tödliche Peri¬
tonitis verursacht hatte, und Lymphadenome in der Leber, der Milz und der
Niere; im anderen Falle war ein malignes Lymphom der Halsdrüsen vor¬
handen, das zu Metastasen in der Leber, der Milz und in den abdominalen
Lymphdrüsen geführt hatte. — Die Diagnose solcher Fälle ohne sichtbare
periphere Drüsen ist nur nach längerer Beobachtung und nach Ausschluß
des Typhus, der Tuberkulose und der Sepsis möglich. G. Mühlstein (Prag).
H. Gougerot (Paris), Syndromes pluriglandulaircs. (Paris medical,
Nr. 36, S. 77—82, 1911.) Das diagnostische Interesse erstreckt sich bei einer
beträchtlichen Anzahl von Ärzten fast ausschließlich auf die großen Organe,
welche seit Alters die Anatomen beschäftigt haben, und wendet sich nur
zögernd dem Gebiet der inneren Sekretion zu, wenn auch theoretisch deren
Bedeutung zugegeben wird. Demgegenüber vertreten eine Reihe klinischer
Beobachter in Frankreich die Auffassung, daß die Funktion der inneren
Sekretion als solche erkranken und in einem beliebigen Komplex von In¬
suffizienzen einzelner Organe zum Ausdruck kommen könne. Sie nennen
das dann: insuffisance pluriglandulaire interne endocrinienne. Einen solchen
Fall beschreibt im vorliegenden Aufsatz Gougerot. Eine Köchin von
27 Jahren kommt mit Schwellung beider Parotiden und Tränendrüsen,
Tränenlaufen zum Arzt und bietet außerdem noch folgende {Symptome:
Braunfärbung der Stirn, Exophthalmus, Erweiterung der Konjunktivalgefäße
am inneren und äußeren Winkel, geringe dynamische Asynergie, Blutdruck
auf 12 cm (Potain) erniedrigt, Verkleinerung der Schilddrüse, die Menses
— früher normal — fast ganz verschwunden, Neigung zu Frösteln und leichte
Ermüdbarkeit. G. deutet das Bild als Kombination von .Mikulicz’scher
Krankheif mit Hypothyreoidismus und Herabsetzung der Funktionen der
Ovarien und Nebennieren und sieht eine Bestätigung dieser Auffassung in
dem Erfolg, welchen eine kombinierte Opotherapie mit Ovarien (= Okrein)*
und Schilddrüsen (= Jodomai8in)-Präparaten hatte. Gougerod baut seine
Diagnose so auf: Amenorrhoe ist das Zeichen für Hypoovarie; das Frösteln,
Kopfweh, die Müdigkeit und Appetitlosigkeit für Hypothyreoidismus; die
Pigmentierung der Stirn und des Gesichts, sowie der herabgesetzte Blut¬
druck für Hypoepinephrie (Nebennierenstörung). Das ist vielleicht zu
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schematisch. Allein wenn auch im Laufe der Zeiten mancherlei Korrekturen
an dieser Auffassung erforderlich sein werden, so ist der Hinweis auf
Funktionen, welche wir heutzutage noch wenig beachten, auf alle Fälle
schätzenswert. Dem klinischen Scharfsinn eröffnen sich da neue ungeahnte Ge¬
biete. Buttersack (Berlin).
Sacqu£p£e, Bellot, Combe (Paris), Der Bac. Paratyphus B als Erreger
der Cholera nostras. (Paris in cd., Nr. 36, S. 236—239, 1911.) Die 3 Autoren
berichten von einigen Kranken, welche mit den typischen .Erscheinungen
einer schweren Cholera nostras ins Krankenhaus kamen. Die bakteriologische
Untersuchung des Erbrochenen und der Stühle ergab den Bac. paratyphus B
in abundanten Mengen, und das Serum der Patienten ( agglulinierte die
Bazillen der Paratyphus B Gruppe, nicht aber den Paratyphus A, Gärtner -
und Typhusbazillus. Dank der heutzutage üblichen oberflächlichen Logik
wird der Paratyphus B nunmehr auch als Erreger dieser choleriformen
Zufälle angesprochen. Dabei bleibt es offenbar in das Belieben des unan¬
tastbaren Bazillus B gestellt, ob er das eine Mal Typhus, das andere Mal
Cholera hervorrufen will.
Vor dem mystischen Zauber bakteriologischer und serologischer Künste
muß natürlich die klinische Beobachtung zurücktreten; sie muß sich von
ihrer großen Tochter sagen lassen, was in der Medizin rechtens ist. Aber
wenn ein Arzt der alten Schule sich zu den leuchtenden Größen seiner
stammesverwandten Vorgänger flüchtet, kann er zu seiner Beruhigung fin¬
den, daß es auch diesen justj ebenso ergangen ist. „Ces recherch.es nean-
moins laisserent dans inon esprit un vide immense; de oombien d’inutils
details ne fatiguait — on pas mon attention !“ klagte schon vor 100 Jahren
Broussais. Buttersack (Berlin).
S. Jonas, Uber die Abhängigkeit der Darmmotilität vom motorischen
und sekretorischen Verhalten des Magens. (Wiener klin. Wochenschr., Nr. 22,
1911.) Die Röntgenuntersuchungen des Verfassers betrafen 8 Fälle von
Achylia simplex ohne Darmkatarrh, 6 von Karzinom der Pars pylorica, 3 von
narbiger Pylorusstenose, 8 von Darmkatarrh bei Achylikern und normoto-
nischen Normalaziden, 7 von verschiedenen Säuregraden ohne Darmkatarrh
und 6 von Magengeschwür. Sie ergaben, daß für das Stuhlbild nicht allein
die Schnelligkeit der Passage durch den Darm, sondern auch die Empfind¬
lichkeit des Rqktums, seine Fähigkeit, Stuhldrang auszulösen, maßgebend
ist; hat das Rektum diese Fähigkeit verloren, so kann es trotz Hypermoti-
lität des Darmes zum Liegenbleiben und zur Eindickung des Stuhles und
zum Stuhlbild der Obstipation kommen. Man kann also wohl aus Diar¬
rhöen auf beschleunigte, nicht aber aus Obstipation auf verlangsamte Darra-
passage schließen. Die Darmmotilität ist im allgemeinen von der Motilität
des Magens abhängig: bei Hypermotilität des Magens fand sich stets Hvper
motilität und nie Hypomotilität des Darmes, bei Hypomotilität des Magens
nie Hypermotilität des Darmes. Hypermotilität des Darmes, mindestens in
seinen oberen Abschnitten bis zur Flexura lienalis, findet sich bei Aehylie,
manchen Fällen von Ulkus, (nervöser) Hypermotilität des Magens und manch¬
mal bei Katarrh des Darmes: die Hypermotilität der oberen Darmabschnitte
kann jedoch mit normaler oder verlangsamter Passage der unteren Darm-
abschnittc verbunden seiu. Ein Hindernis am Magenausgang narbiger, karzi-
nomatöser oder spastischer Natur verlangsamt die Darmpassage um so mehr,
je hochgradiger es ist. Zwischen dem Säuregrad des Magens und der Moti¬
lität des Darmes besteht dagegen kein bestimmtes Verhältnis.
M. Kaufmann.
A. Robin, Traitement de la fifevre typhoide. (Bull, gener. de ther.,
Nr. 16, 1910.) Verfasser zieht nach eingehender Besprechung einiger Fälle
folgende Schlüsse für die Praxis:
1, Bei intestinalen Hämorrhagien wird die subkutane Injektion eines
metallischen Ferments, das die leukozytären Diastasen, darunter die Koagu-
lasen in Freiheit setzt, in glücklicher Weise unterstützt durch den Einfluß
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des Calcium chlorat., Ergotins, der Gallussäure oder von Gelatineeinläufen.
2. Setzt eine Typhus-Myocarditis unter dem Symptome eines Erethis¬
mus ein, so ist zunächst zur Beseitigung dieses die Reizbarkeit des Herzens
mit kleinen Dosen Bromnatrium zu beruhigen. Ist dies geschehen, so ist,
je nach dem Schwächezustand dosiert, Digitalis und Ergotin zu geben.
3. Hilft sich die Natur selbst, z. B. durch eine Diarrhöe, bei sonst
schweren Komplikationen, so darf man dieses eliminatorische Bestreben
nicht als ein übertriebenes, sofortige Behandlung benötigendes Symptom
auf fassen. Allerdings darf man nicht untätig Zusehen, bis es sich durch
seine Intensität zur Höhe einer wirklichen Komplikation erhoben hat, son¬
dern muß es dann einfach 1 abzutönen versuchen, ohne zu fürchten, es wieder
hervorzurufen, wenn dann z. B. das Gegenteil, eine Konstipation, einge¬
treten ist.
4. In komplizierten Fällen mit verschiedenen Medikationen sind diese
letzteren schriftlich niederzulegen, um sie bei jedem Besuch vor Augen zu
haben und evtl, die eine oder andere, die deren Zweck erreicht hat, unter?
drücken zu können.
5. Sich nicht mit einer systematischen Behandlung festlegen, sondern
sich getrost hinsichtlich der Behandlungsweise nach Verlauf und Kompli¬
kationen richten, deren Wechsel entsprechend.
6. In der Mehrzahl der Fälle von Typhus ist der Aderlaß überflüssig,
er kann aber ln seltenen •Fällen indiziert sein.
7. Typhus erfordert eine ständige Überwachung von seiten des Arztes,
sorgfältiges Aufmerken auf neue Komplikationen und eine ruhige, nicht
allzu leicht verzagende oder verzweifelnde Festigkeit.
v. Schnizer (Höxter).
G. K. Prusik, Die Beziehungen zwischen Infektionskrankheiten und
Karzinom, (öasopis lökarüv üeskfch, Nr. 19, 1911.) R. Schmidt hat
behauptet, daß zwischen den Infektionskrankheiten des kindlichen und reifen
Alters und dem Karzinom ein Antagonismus bestehe. Er berechnet, daß die
Zahl der auf einen Karzinomkranken entfallenden Infektionskrankheiten
0,86G (Infektionsindex) beträgt. Prusik hat diese Behauptung an 200 Kar-
zinomkranken (Gruppe I) und 200 über 40 Jahre alten, mit internen Krank¬
heiten behafteten Kranken nachgeprüft. Von der I. Gruppe hatten 173 =
86,5°/o, von der II. Gruppe 169 = 84,5% in der Kindheit keine Infektions¬
krankheit durchgemacht. (Von den 173 Fällen der I. Gruppe blieben auch
im reifen Alter von Infektionskrankheiten verschont 104 = 52%, von den
169 der II. Gruppe 80 = 40%..) Der Infektionsindex beträgt bei Prusik
für die I. Gruppe 0,7, für die II. Gruppe 0,87. Trotzdem der Index für die
I. Gruppe um 0,17 kleiner ist als für die II. Gnippe, was dafür sprechen
würde, daß Karzinomkranke weniger Infektionskrankheiten durchgemacht
haben als karzinomfreie Menschen, spricht doch der Unterschied von nur
2% zwischen der I. und II. Gruppe in bezug auf die durchgemachten In¬
fektionskrankheiten dafür, daß ein Antagonismus zwischen Infektionskrankheiten
und Karzinom nicht besteht. G. Mühlstein (Prag).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
O. Büttner (Rostock), Die Gestationsveränderungen der Uterusgefäße.
(Archiv für Gyn., Bd. 94, Bd. 1, 1911.) B.'s Ergebnisse weichen in manchen
Punkten von denen anderer Autoren ab. Nach B. erfolgt die puerperale In¬
volution der Uterusarterien in zwei verschiedenen Modi. Für die Art der
Involution sei im allgemeinen maßgebend, ob die betreffende Arterie im
Dienste des Eies stand oder ob sie nur die Uterusmuskulatur versorgte. An
den uteroplazentaren Arterien erfolgt eine Obliteration und ausge¬
dehnte hyaline Wandentartung der Endstücke, womit diese außer Funktion
gesetzt werden. Dafür treten zahlreiche neugebildete kleine Arterienästchen
auf, welche aus den proximalen nicht obliterierten Teilen der Arterien aus-
sprossen. Die hyalin entarteten Endstücke werden allmählich durch Grund-
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gewebc oder auch durch elastoides ersetzt. Hyaline Arterienreste sind oft
noch bis nach einem Jahr nachweisbar; vier Monate post partum kann man
aus ihnen noch genau die Plazentarstelle bestimmen, mitunter gelingt das
sogar an kürettierten Stückchen. Die Verringerung des Querschnittes im
proximalen Teil der uteroplazentaren Arterien geschieht, wie das Pankow
geschildert, durch Iiitiiiiawucherung, Elastoideinlagerung in die z. T. hyalin
veränderte alte Ringinuskularis und Adventitia (sog. Graviditätssklerose).
In den übrigen Arterien wird die Querschnittsverringerung erreicht
durch Aufspaltung der Elastica interna und Schwund der äußeren Wand-
schichten mit nachfolgender Elastoideinlagerung. Daneben kommt auch die
Pankow’sche intravaskuläre Neudifferenzierung vor. — Die Rückbildung
der Venen erfolgt durch Proliferation des Waudbindegewebes mit Elastoid-
einlagerung in dasselbe. — Die bisherige Annahme einer Zunahme des
uterinen elastoiden Gewebes in den ersten Monaten der Gravidität bedarf
unbedingt einer Revision. Jedenfalls konnte B. um die Mitte der Schwanger¬
schaft bereits einen ausgedehnten Schwund der elastoiden Arterien- und
Venenhüllen feststellen. R. Klien (Leipzig).
H. Cramer (Bonn), Über Wesen und Behandlung der Osteomalacie.
(Münchn. med. Wochenschr., S. 405, 1911.) Die Abhängigkeit der Osteo¬
malacie von der weiblichen Keimdrüse ist ja bekannt. In welcher Weise
dieses Abhängigkeitsverhältnis näher zu erklären ist, ist schwer zu sagen.
Es scheint, daß die Exazerbation dieser Erkrankung durch eine Steigerung
der inneren Sekretion der Ovarien während der Menses und in der Gravidität
bedingt ist. Weiterhin hat die Erkrankung einen typischen endermischen
Charakter, wie Cr. auch au seinem Material erweisen konnte. Auffallend
ist, daß in den ausgesprochenen Osteomalaciegegenden noch die Tiere be¬
sonders häufig an Knochenerweichung erkranken. Diese Gegenden zeichnen
sich nach Cr. durch besonders kalkarmen Boden aus.
Interessant sind die therapeutischen Ausführungen Cramer’s. Ein¬
mal betont er mit Recht, daß bei der Kastration die Tuben mit entfernt
werden sollen, um die Keimdrüse mit Sicherheit restlos entfernen zu können.
Ferner ließ Cr. durch Merck Blutserum von Schafen 3—4 Monate nach
der Kastration herstcllen (Antimalasin) und injizierte einer osteomalacischen
Frau lOmal je 10 ccm davon. Der Erfolg war nicht befriedigend, vielleicht
war zwischen der Serumcntnahme und der Kastration zuviel Zeit verstrichen.
Guten Erfolg sah Cr. bei der Darreichung von Milch einer frisch kastrierten
Ziege nach dem Vorschläge von Frankel; dieser Erfolg ermutigt zur
Nachprüfung. Bezüglich der Phosphortherapie weist Cr. darauf hin, daß
oft nur durch starke Überdosierung und ein Präparat von konstantem Phos¬
phorgehalt Resultate erzielt werden können. Frankenstein (Köln).
R. Marek, Über das Frühaufstehen der Wöchnerinnen. (Öasopis
lökaniv cesk^ch, S. 391, 1911.) Der Autor überläßt den Zeitpunkt des Auf-
stehens den Wöchnerinnen selbst. Nur Temperatursteigerungen, Pulsbeschleu¬
nigung, Nierenkrankheiten und große Blutverluste intra partum sind Kontra¬
indikationen gegen das Frühaufstehen. Er beobachtete 350 Fälle, von denen
250 am 1. bis 4. Tage und 100 später aufstanden. Die Frauen der ersten
Gruppe wiesen eine Morbidität von 12,5%» jene der zweiten Gruppe eine
solche von 20% auf; bei der ersten Gruppe erfolgte die Involution des
Uterus etwas langsamer und 4 Frauen dieser Gruppe behielten eine beweg¬
liche Retroflexio uteri. Thrombosen kamen 4 vor; eine bei den früh Auf-
gestandenen und 3 bei der zweiten Gruppe, jedoch noch vor dem Aufstehen.
G. Mühlstein (Prag).
Br. Bosse (Berlin), Der Dämmerschlaf oder die Skopolamin-Morphin-
Mischnarkose in ihrer Anwendung bei Entbindungen und Operationen.
(Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33, S. 316.) B. berichtet über sehr
günstige Resultate, die er an ca. 150 Fällen gemacht hat. Er verzichtet
dabei auf die Prüfung der Merkfähigkeit, wie sie G a n s s angegeben hat,
bereitet die Lösungen stets frisch und injiziert bei regelmäßiger Wehen-
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tätigkeit 0,0003 Skopolamin -f- 0,01 Morphium. Die Injektion wird nach
50 Minuten wiederholt, ev. nach 2 l /s—3 Stunden die Hälfte der Dosis noch¬
mals gegeben. Bei protrahierten Geburten wurde alle 3—5 Stunden je die
halbe Dosis injiziert. Er fand dabei weder eine größere Operationsfrequenz
noch eine Verlängerung der Geburtsdauer. In 10,3% nur konnte ein voll¬
ständiges Versagen der Methode festgestellt werden. Die unangenehmen
Nebenwirkungen, wie Unorieutiertheit, Unruhe, Jaktationen, Halluzinationen
usw. schlägt B. gering an. In 81,7% fand er unveränderte oder sogar ver¬
besserte Wehentätigkeit (? lief.) und nur in 0,9% blieben die Preßwehen
aus. Starke Blutungen in der dritten Periode, die auf die Injektion zurück-
geführt werden mußten, fehlten. Selbst das Fehlen von Puerperalpsychosen
und von Eklampsien in der Beobachtungsreihe soll dem Dämmerschlaf zu
verdanken sein. Drei kindliche Todesfälle sub partu wurden nicht von der
Injektion verursacht; in vier Fällen wurde Asphyxie der Kinder notiert;
das spätere Befinden der Kinder war gut. Als Ivontraindikationen führt B.
primäre Wehenschwäche und beträchtliche Störungen der Atmung und des
Kreislaufs an. Frankenstein (Köln).
Andr€ Boquel (d Angers), De PUtilitl de 1a Position ventrale dans
certains Cas d’Occlusion intestinale post-partum. (Occlusion duodenale post-
opöratoire. (L’Obstetr., Juni 1911.) Es sind wohl die ersten geburtshilf¬
lichen Fälle (eine Wendung und ein Kaiserschnitt, beide in Chloroform-
narkose ausgefiihrt), in denen das bekannte Bild des akuten mesenterio-
duodenalen Darmverschlusses beobachtet worden ist und zwar am zweiten
resp. vierten Tag post-partum. In beiden Fällen brachte die sog. Schnitzler -
sche Bauchlage Heilung. R. Klien (Leipzig)..
Fr. Pachner (Brünn), Zur Inversio uteri puerperalis. (Monatsschr. für
Geburtsh. u. Gvn., Bd. 33, S. 140 .) Beschreibung eines derartigen Falles,
bei dem die Reposition der umgestülpten Gebärmutter ohne Operation ge¬
lang. P. gellt auf die Ätiologie der Inversio genauer ein, die forensisch von
außerordentlicher Bedeutung ist.
Unter hinreichender Würdigung der dynamischen Momente, Druck¬
wirkung bei falschem, starkem Crede, Zugwirkung bei sträflichem Zug
an der Nabelschnur legt er dar, daß der Kernpunkt dieser Frage in einer
Erschlaffung der Muskel wand zu suchen sei, die man wohl nur auf kon¬
stitutionelle Verhältnisse zurückführen kann. Frankenstein (Köln).
Psychiatrie und Neurologie.
4. Internationaler Kongreß zur Fürsorge für Geisteskranke. (Med.
Blätter, Nr. 7, 1911.) Über Nervenheilstätten für Minderbemittelte sprach
Cr am er (Göttingen). Solche Anstalten bestehen bisher bei Berlin. (Haus
Schönowi in Göttingen. Roderbirken: angestrebt wird eine Anstalt bei Frank¬
furt a/M. (Köppen). Der tägliche Pensionspreis soll 5 Mark nicht über¬
steigen. In der Diskussion wird betont, daß es sich nicht empfiehlt, Nerven¬
kranke und Geisteskranke streng voneinander zu sondern. Das Vorurteil
gegen die ,,Irrenanstalten müßte bekämpft werden, und diesem wird nur
neue Nahrung gegeben, wenn eine strenge, räumliche Trennung durchgeführt
wird. Die Vereinigung von Anstalten für nervös und psychisch Kranke hat
sich an den verschiedenen Orten bewährt. Dekuatel (Holland) refe¬
riert über Einstellung und Dienstleistung in Heer und Ma¬
rine. Die Körperlänge der Soldaten zeigt einen Zuwachs. In Deutschland
werden von 100 Eingestellten unter 155 cm Körpergröße 0,2%, in Holland
0,1% gefunden. Größer als 170 cm waren in Deutschland l l 4%, in Holland
7 1 / 2 %. Die Körpergröße stieg in Holland in ca. 50 Jahren durchschnittlich
um 10 cm. Krause (Berlin) spricht zu demselben Thema. Die Statistik
zeigt eine Zunahme der Geisteskranken, aber diese erklärt sich aus dem
Wachstum der absoluten Zahlen und des genaueren Wissens, wie der Beob¬
achtung. Die meisten Fälle von Krankenzugängen betreffen den angeborenen
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Schwachsinn. Preußen zeigt die höchste Ziffer von Geisteskranken in der
Armee. Die Marine hat doppelt so viel Erkrankungen wie das Landheer,
wegen der größeren Schädlichkeiten, denen sie ausgesetzt ist. Die über¬
wiegende Mehrzahl der während der Dienstzeit in Geisteskrankheit Ver¬
fallenen kommt aber bereits krank in die Armee. Darauf soll bei den Assen¬
tierungen sorgfältiger geachtet werden. Sorgfält ige Erhebung der Lebens-
geschichte des Einzustellenden, eingehende psychiatrische Untersuchung, Be¬
achtung der eventuellen Vorstrafen. Noch mehr sind diese Momente bei
jenen in Betracht zu ziehen, die sich dem Kolonialdienst widmen wollen, da
nicht ganz intakte Menschen (und häufig drängen sich gerade Abenteurer-
naturen mit gewissen psychischen Defekten zum Kolonialdienst) schnell ver¬
sagen. Der Alkohol ist, gerade in den Kolonien nur mit allergrößter Vor¬
sicht zu gestatten. Die ,,Arbeit des Roten Kreuzes bei Geisteskrankheiten“
behandelte Schuitze (Berlin). Es wird mit einer Häufung der Psychosen
für den Fall eines kommenden Krieges gerechnet und das Rote Kreuz sucht
gerüstet zu sein, um den Militärbehörden, bzw. Lazaretten zur Seite
treten zu können. Im Kriege 1870/71 stiegen die Geisteskrankheiten von
Moment zu Moment, von 0,37 aufs Tausend, auf 0,54 und 0,93,’um im Jahre
1873/74 auf 0,01 pro Tausend zurückzugehen. Hallager (Aarkuns) hatte
Thesen eingesandt, die eine ziemliche Skepsis g e g e n ü b e r d e r \Ya s-
s e r m a n n ’ s c heu R c a k t i o n behandelten. M arie und B e a u s a r t
(Paris) wandten sich gegen diese Skepsis. Durch die Wassermann’schc Reak¬
tion sei es erst möglich geworden, den immer nur vermuteten Zusammen¬
hang zwischen Paralyse und Syphilis festzustellen. Thieinich (Magde¬
burg) sprach über die Bedeutung einer geordneten Säuglings- und Klein -
kinderfürsorge für die Verhütung von Epilepsie, Idiotie, und Psychopathie.
Die falsche Ernährung ruft gewisse körperliche, für die weitere geistige
Entwicklung folgenschwere Erkrankungen hervor. Die sekundäre Infektion,
der das ernährungsgestörte Kind anheimfällt, führt zu empfindlichen Er¬
krankungen des Gehirns. (Rachitis, Spasmophilie, exsudative Diathese.)
S. Leo.
A. Butenko (Moskau). Über die Bedeutung der Ehrlich’schen Dimethyl-
amidobenzaldehydreaktion in der Klinik der psychischen Krankheiten.
(Monatssehr, für Psych. u. Neur., Bd. 29, H. 6.) Im allgemeinen scheint
die R. bei Psychosen nur auf das Vorhandensein einer körperlichen Erkran¬
kung hinzudeuten. Bei sicherem Ausschluß einer solchen scheint sie für
Gehirnarteriosklerose zu sprechen, was z. B. diff. diag. gegen Paralyse ev.
zu verwerten ist. Zweig (Dalldorf).
Hautkrankheiten und Syphilis. — Krankheiten der Harn- und
Geschlechtsorgane.
A. Braunstein (Moskau), Schürmann’sche Farbenreaktion bei Lues.
(Zeitschr für klin. Medizin. Bd. 68.'S. 345.) Die von W. Schürmann
in mehreren Publikationen (vergl. Referate Fortschritte, S. 690. 1909) be¬
handelte Farbenreaktion konnte Br. nicht als spezifisch für Lues nach-
weisen. Er erhielt feie auch durch Sera von Kranken mit Nierenstein, Uterus-
krebs, Magengeschwür, Lungenentzündung, Phenazetinvergiftung, womit auch
die ebenso negativen Resultate von A. Stühmer (s. Fortschritte, S. 714,
1909) u. a. zu vergleichen wären. Br. erklärt die Reaktion als eine Phenol-
oxydation, wobei eine Verbindung von Serumeiweißstoffen mit Eisen ent¬
steht. H. Vierordt (Tübingen).
E. Scholl (Erlangen). Ein Fall von Papillom des Nierenbeckens. (Zeit¬
schrift für gyn. Urol., Bd. 2, H. 6, 1911.) Bei einer 5ljähr. Frau traten
häufige Beimischungen beträchtlicher Mengen von Blut zum Urin sowie
Schmerzen in der Blasen- und linken Nierengegend auf. Die Blutungen
waren schließlich so stark, daß eine Reinspülung der Blase behufs Zysto-
skopie nicht gelang. Eine nunmehr ausgeführte Kolpozystomie ergab eine
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Referate und Besprechungen.
normale Blase. Es wurde die mediane Laparotomie angeschlossen, die rechte
Niere, weil vergrößert, aus ihrem Bett herausluxiert und gespalten: sie war
völlig normal, wird also wieder vernäht, an ihrem Platz znrückgebracht
und mit Peritoneum bedeckt. Die linke Niere wurde nun gleichfalls hervor-
geholt und erwies sich als Sitz eines stark blutenden Papilloms im Becken.
Exstirpation der Niere, Vernähung des Peritoneums über dem Nierenbett.
Schluß der Bauchdecken. Pat. überstand den wohl mehr wie notwendig
großen Eingriff die Freilegung von hinten und Spaltung zunächst der
linken sc h m erz hafte n Niere wäre wohl das richtige gewesen. Pat. .starb
vier Monate später unter den Erscheinungen zunehmender Herzschwäche.
Das Papillom war anatomisch gutartig. R. Klien (Leipzig).
Fuß (Ludwigshafen), Die Gonorrhöe der männlichen Harnröhre mit
ihren häufigsten Komplikationen und ihre Behandlung durch den praktischen
Arzt. (Reichs-Mediz.-Anz., Nr. 15, 1911.) Der normale Verlauf der Gonor¬
rhöe wird manchmal dadurch gestört, daß das Sekret nicht an Menge, noch
an eitrigen Charakter abnimmt. Man sucht dem dadurch zu begegnen, daß
man die Konzentration steigert; man steigt auf 1—2% Protargollösung.
In ganz verzweifelten Fällen nehme man Argent. nitric. (0,25%). Zur Be¬
kämpfung des katarrhalischen, schleimigen Ausflusses empfiehlt sich die alte
Riccord’sche Lösung (Zinc. sulf., Plumb. acet. ää 1,0, Aqu. destill. ad 200)
H in und wieder tut eine 2,5—5% Aufschwemmung des Bism. subnitric. oder
Jodoform gute Dienste. Bei Gonorrh. posterior verordne man Fol. uv. urs.
II Eßlöffel der Blätter genügen zur Herstellung einer Weinflasche Tee. Bei
Prostatitis empfiehlt Fuß Suppositorien (Morph, mur. 0,15, Butyr. qu. s. u. f.
supp. Nr. X), außerdem möglichst warme Sitzbäder, tgl. 2mal. S. Leo.
Marie Bures, Die lokale Therapie der weiblichen Gonorrhöe mittels
Pyozyanase. (Öasopis 14kaiüv ceskych, S. 641, 1911.) In der Klinik Janov-
sky’s wurden 30 Fälle von Gonorrhöe der Vagina, des Uterus und der
Urethra lokal mit Pyozyanase behandelt. Nach 2—3tägiger Applikation
verschwanden die Gonokokken gänzlich, kehrten nach einem kurzen Inter¬
vall wieder, waren aber nicht mehr so zahlreich wie früher. Ähnlich ver¬
hielten sich der Ausfluß, der Harndrang, das Brennen usw. Nur in sechs
Fällen blieb der Gonokokkenbefund dauernd negativ, bei 7 Fällen wurde der
Zustand in erwähnter Weise gebessert, in 17 Fällen trat keine Besserung auf.
Die Pyozyanase wirkt nur auf die an der Oberfläche befindlichen Gono¬
kokken ein, nicht aber auf die in der Tiefe des Gewebes befindlichen Mikro¬
organismen; wenn diese infolge der Regeneration des Epithels an die Ober
fläche gelangen, tritt, eine Exazerbation dos Prozesses ein.
G. Mühlstein (Prag).
Medikamentöse Therapie.
A. Diehl (Lübeck), Erfahrungen über einige Arzneimittel in der Hand
des Nervenarztes. (Monatsschr. für Psycli. u. Neur., Bd. 29, H. 6.) Tn seiner
Privatklinik für Nervenkranke hat D. in den letzten 10 Jahren nicht ein
einziges Mal zur Beseitigung der nervösen oder habituellen Obstipation
Laxantien angewandt und polemisiert in anerkennendei* Weise gegen den vom
Publikum und den Ärzten in dieser Beziehung getriebenen Mißbrauch. Eine
Erziehung des Darmes (jeden Morgen 10 Minuten lang pressen auch wenn
zu dieser Zeit anfänglich gar kein Drang vorhanden ist) hat stets nach
einigen Tagen Erfolg, ev. bei Ausbleiben nach den ersten zweimal 24 Stdn.
ein Einlauf (1 Liter Wasser, ein Teelöffel Kochsalz, ein Teelöffel grüner
Schmierseife). Obiges gilt natürlich nur für die Obstipationen ohne orga
nische Darmerkiankung. — Die bei der Verabreichung von Brom vielfach
beklagten unangenehmen Nebenwirkungen (Magenbeschwerden, es macht dumm
und stumpf usw.) haben ihren Grund in unzweckmäßiger Verordnung zu
starker Konzentrationen, man solle die zu verabreichende Dosis so bemessen,
daß nur Beruhigung, aber keine Ermüdung und Schlaffheit von den Patienten
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angegeben wird (dreimal tgl. 1 g Natr. brom. etwa in 1 Glas Milch), bei Bromis¬
mus empfiehlt sich ein Versuch mit Bromipin. In (1er falschen Darreichung
und ungenügenden Achtung auf die sonstige Lebensweise des Kranken liegen
auch die Mißerfolge der Bromtherapie bei Epilepsie (jahrlang viel Milch, kein
Alkohol, keine Zigaretten, leichte Zigarren sind erlaubt, regelmäßige Ge¬
wichtskontrolle, allmähliche Entwöhnung vom Brom). Unentbehrlich ist auch
die Bromkur bei nervösen Erschöpfungen, hochgradigen Neurasthenien und
hysterischer Widerstandslosigkeit, die Schlafmittel oft entbehrlich anacht.
Gegen Herzneurosen (Arrhythmie, Akzeleration, Irregularität ohne Dilatation
oder Klappenfehler) sowie bei Erkrankungen mit motorischer unwillkürlicher.
Unruhe (Chorea, Athetose, Tic) hilft Brom nichts, dagegen die Arsenpräpa¬
rate, vor allem die Sol. fowl. (zum Frühstück nach, sonst vor der Mahlzeit),
wobei man wissen muß, daß ein plötzliches Aussetzen (Umgießen der Medizin-
flasche oder Unbekömmlichkeit) eine Gefahr für das Herz bedeutet. Wird
das aufsteigend zu gebende Arsenquantum nicht vertragen, so merkt man
dies in Anschwellung des Gesichts, besonders unter den Augen, bläulichem
Schimmer der Haut, Schnupfen und Schleimbildung im Rachen. Gegen Herz-
neurosen besonders wirksam sind die Blaud-Atoxylkapselu (12 Tage nach dem
Frühstück und vor dem Abendbrot je eine, dann eine achttägige Pause und dann
wieder 12 Tage Kur). Als Schlafmittel ist das Morphium unbedingt zu ver¬
werfen und höchstens Veronal anzuwenden, aber nur wenn die durch nichts
anderes erklärbare Gewichtsabnahme auf die Schlaflosigkeit als Grund hin-
weist und die Bemühungen, dem Kranken das Schlafen wieder zu lehren,
vergeblich sind. Man soll dann mindestens 6 Nächte die indizierte Veronal-
dosis (0,5—1,0) geben und dann kategorisch aussetzen, ev. eine zweite Serie
bei Mißerfolg anschließen und nach Weglassen des Veronal, wenn nötig,
suggestiv einen durch Chinin usw. im Geschmack ähnlichen Schlaftrunk
geben. D. wandte stets die mit Kakao imprägnierten Originaltabletten von
Merck oder Bayer an. Vor der Hypnose als Schlafmittel ist wegen der schwie¬
rigen Entwöhnung zu warnen. Bei suizidalen Kranken sollte man sich bei
Veronalverordnung von den Angehörigen einen Rovers unterschreiben lassen,
daß sie auf den Verschluß des Mittels zu achten haben. Auch gegen die
Schmerzen (Kopfschmerzen, Neuralgien, Migräne, Tabeskrisen) ist das Mor¬
phium entbehrlich und sollte durch das Aspirin (Original) ersetzt werden,
meist reicht zweimal 1 g aus mit einstündiger Pause genommen. Bei Zahn¬
schmerz versagt Aspirin allerdings, hier hilft das den Magen meist leicht
belästigende Phenacetin (zweimal 0,5 in 24 Std.). Gestattet ist Morphium
nur bei Tic douloureux. Äußere Mittel (Elektrizität, Kataplasmen) dürfen
natürlich bei den erwähnten Leiden nicht unversucht gelassen werden. Bei
Gehirn- und Nervcnlues ist nach wie vor die Vereinigung einer Inunktions-
kur mit großen Jodkalidosen das beste. Gegen das Muskelschütteln der
Paral. agit. ist spezifisch Skopolamin, hydrobrom. als Pille oder als Injek¬
tion mit Äther und Hyoscin (Firma Bloch, Basel). Chloralhydrat meidet
D. übrigens völlig in Rücksicht auf die bei diesem Mittel nicht so selten
beobachteten Todesfälle durch Herzlähmung. Zweig (Dalldorf)*
R. Burow (Innsbruck), Irrigal. (Berl. klin. Wochenschr., Nr. 22, 1911.)
Die von der chemischen Fabrik Alfred J a f f e (Berlin) hergestellten, mit
Veilchen parfümierten Irrigaltabletten sind bekanntlich ein Holzessigpräpa¬
rat. Sie haben sich in der Innsbrucker Frauenklinik gut bewährt, so daß
B. im pharm. Institut chemische und bakteriologische Untersuchungen mit
den Tabletten anstellte. Die genaue chemische Analyse ist in der Arbeit
selbst nachzusehen. Bakteriologisch ergab sich, daß eine 5 promill. Irrigal -
lösung nach 10—15 Minuten das Wachstum des gelben Staphylokokkus
hemmt, somit also als mildes Desinfizienz zu betrachten ist. Bemerkens¬
werter ist die fäulnis widrige Kraft; man kann durch 2—5 promill.
Irrigallösungen putride und jauchende Prozesse günstig beeinflussen. Für
rein hygienisch - kosmetische Scheidenspülungen empfiehlt B. 1 promill.
Lösungen. Die Irrigalspiilung wirkt außerdem mild adstringirend.
R. Klien (Leipzig).
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1176
Bücherschau.
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Bücherschau.
B. Zingerle (Graz), Die psychiatrischen Aufgaben des praktischen Arztes. Jena
1911. Verlag von Gustav Fischer. 55 S.
Das vorliegende Buch kann allen Praktikern, vor allem Haus- und Schul¬
ärzten, auf das angelegentlichste empfohlen werden. Zahlreich und wichtig sind
die psychiatrischen Aufgaben z. B. in prophylaktischer Hinsicht. Da soll der
Hausarzt z. B. raten bzgl. der Zulässigkeit einer Ehe belasteter Individuen, er kann
ferner durch richtige Regelung der Ernährung rhachitischen und eklamptischen
Erkrankungen Vorbeugen resp. sie beseitigen, er muß ein Beirat bei der Erziehung
und der Berufswahl der Kinder sein und sich bemühen, deren Konstitution zu er¬
kennen. Der Schularzt wird verhindern, daß Kinderfehler und Faulheit mit Strafen
geahndet werden, wenn er in ihnen den Ausfluß pathologischer Ursachen erkennt,
er wird dadurch dem einzelnen durch Einleitung eines mehr individualisierenden
Unterrichts helfen und der Gesamtheit z. B. durch die Verhinderung psychischer
Epidemien usw. Ebenso wichtig ist das therapeutische Handeln des allgemeinen
Praktikers, indem er frühzeitig Prodromalstadien erkennt und für frühzeitige Inter¬
nierung sorgt. Oft werden die Angehörigen ihn befragen wegen der evtl. Einleitung
der Frühgeburt bei früherer puerperaler Psychose, er wird die Weiterbehandlung
chronisch gewordener, nicht mehr der Anstaltspflege bedürftiger Geisteskranker
übernehmen müssen usw. Über alle diese und noch viele andere wichtige Dinge
orientiert in absolut einwandfreier Weise das vorliegende Heft. Zweig (Dalldorf).
F. Schilling, Krankheiten des Dickdarms. Berliner Klinik, Heft 275 (Doppel¬
heft). Berlin. Fischers med. Buchhandlung (H. Kornfeld). 43 S. 1,20 Mk.
Den früher erschienenen Abhandlungen desselben Verfassers über die Krank¬
heiten des Afters (besprochen Fortschritte 1909. S. 559) und über die Krank¬
heiten des Mastdarms (besprochen Fortschritte 1909, S. 1311) läßt die -Berliner
Klinik - jetzt die Krankheiten des Dickdarms folgen. Nach kurzen Bemerkungen
über Lage und Funktion des Dickdarms bespricht Verf. die Atonie und chronische
Obstipation, die Kolitis, die Dysenterie, die Ulzera, die Neubildungen, die Lage- und
Gestaltveränderungen, die Stenosierungen und die nervösen Störungen des Dick¬
darms. Der Verf. beherrscht den Stoff vollkommen und es ist erstaunlich, wie viel
hier auf 43 durchaus nicht eng gedruckten Seiteu dem Leser zugänglich gemacht
wird. Aber diese Notwendigkeit, viel auf kleinem Raum zusammenzupressen, hat
auch ihre Schattenseiten: Die Darstellung ist etwas gar zu knapp, es kommt zu
Mißbildungen wie: „Endo- und Peritonitis".(S. 21), „Dvs- und Menorrhagie“ (S. 7),
und zu undeutschen Redewendungen, z. 13. „eine große Wahl steht“ statt „man hat
die Wahl“ (S. 13), „zum Vorschein fördern* (S. 23). Bei einer neuen Auflage des
Büchleins könnte hier manches verbessert werden; auch der Interpunktion könnte
mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. M. Kaufmann.
0. Veraguth (Zürich), Neurasthenie. Berlin 1910. Verlag von Jul. Springer. 156 S.
Die von Beard unter dem Namen Neurasthenie zusammengefaßten, durch
die „reizbare Schwäche des Nervensystems“ charakterisierten Anomalien haben in
der Folgezeit, wie V. in übersichtlicher Weise zusammenfassend zum Teil mit den
Worten der betreffenden Forscher zeigt, in verschieden weitem Umfang Anerkennung
und Ablehnung gefunden. In Erweiterung der Goldscheider’schen Neuron¬
schwellenlehre will V. das Wesen der Neurasthenie in Gleichgewichtsstörungen
innerhalb des Neurongesamtzustandes, in Tonusstörungen desselben, erblicken.
Der bestehende Tonus ist die Resultante aus den hauptsächlich hereditär strukturellen
Dauereigentümlichkeiten und aus den zeitlich beschränkten Komponenten der Reiz¬
wirkungen (Chemotonus z. B. Blut, Elektrotonus usw.). Die Tonusstörung der Neurone
kommt durch die Herabsetzung der Reizschwelle und die hierdurch erleichterten
Ausbreitungen des Reizes von Neuron zu Neuron zu stände. Eine große Rolle
spielen die affektiven Vorgänge namentlich des Unterbewußtseins (Komplexe), die
beim Neurastheniker infolge seiner erhöhten Empfindlichkeit besonders zahlreich
sind und daher leicht eine Kontinuitätstrennung des Oberbewußtseins veranlassen.
Es folgen Anregungen zu weiterer Erforschung, differential-diagnostische Erwägungen
und eine Übersicht über die Therapie. Das Fehlen der Literatur beeinträchtigt
nicht unerheblich den Wert des Buches und ist um so unverständlicher, als dasselbe
die „Erweiterung - einer mit Literatur erschienenen Abhandlung aus den „Ergebnissen
der inneren Medizin und Kinderheilkunde“ darstellen soll. Zweig (Dalldorf).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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Originalarbeiten und Sammelberichte.
Vorlesungen über
Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
Von t. Nleßl-Mayendorf.
(Fortsetzung.)
Was für ein Medikament soll man verordnen, wenn sich das
Opium in einem Falle als kontraindiziert erweist? Ich halte es an sich
nicht für unbedingt notwendig, die krankhafte Hemmung, welche der
melancholischen Verstimmung zugrunde liegt, durch ein arzneiliches
Präparat zu beeinflussen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir keine
Krankheit, selbst, wenn das Opium anschlägt, sondern nur Symptome
beseitigen. Man kommt in vielen Fällen mit Bettbehandlung, Hydro¬
therapie, Regeln für die vegetativen Funktionen, Hypnotika aus. Häufen
sieh jedoch Stadien der Affekt hohe, ungemindert durch Fernhaltung
von Reizen jeder Art und Regelung zirkulatorischer Verhältnisse, und
muß man das Opium aus den angeführten Gründen beiseite lassen, dann
empfiehlt sich ein Versuch mit Brom, Belladona (Atropin), Valeriana,
ja auch mit Morphium, welches zuweilen besser als das Opium ver¬
tragen wird. Ich habe nicht den Eindruck gewonnen, daß sich die ge¬
nannten Präparate in ihrer Wirkung auf heben, wenn man sie kom¬
biniert, im Gegenteil scheint dies für ihre Übeln Nebeneigenschaften
der Fall zu sein, während der gewünschte Erfolg oft prompter und
andauernder zutage tritt. Es ist ein eitler Streit um Distinktionen,
welchen praktische Bedeutung innewohnen, wenn man die eben sicht¬
lich wirksame Dosis von der toxischen auseinander hält. Heilkraft
und Vergiftung sind eines. Es fragt sieh nur, inwieweit neben der Be¬
seitigung des zu bekämpfenden Symptoms die übrigen Funktionen des
Gehirns oder andere Organe leiden. Sobald das Opium wirkt, vergiftet
es; das tun natürlich auch Brom und Valeriana. Ihre Giftwirkung ist
jedoch keine so bedrohliche als diejenige der Opiate. Das Atropin ist
allerdings ein sehr starkes Gift, dessen Wirksamkeit gegen Melan¬
cholien sich aber in den therapeutischen Versuchen Hitzig’s bei manisch-
depressiven Zuständen erprobt hat. Ich empfehle die Belladona in
erster Linie nur als Unterstützung des Brom: sieht man jedoch keinen
Erfolg, dann steigere man mit der Belladona,gäbe, lasse das Brompräparat
fort und kombiniere mit Valeriana und Morphium. Ich lege Gewicht
darauf, daß bei der Medikation mit Brompräparaten eine Kaliverbin¬
dung gegeben wird.
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v. Nießl-Mayendorf,
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Rp.: Inf. rad. Val. 20,0:180,0
Kalii bromati 25,0
Extracti Belladona« 0,24
Syr. simpl. 20,0
M. D. S. Morgens und abends nach der Mahlzeit einen Eßlöffel
davon in einem Glas Wasser zu nehmen.
Rp.: Extracti Belladonae 0,3
Morphini hydrochlorici 0.1
Aquae destill. 150,0
Aquae Amygdal. am. 10,0
M. D. S. 2 bis 3 Eßlöffel am Tage.
Bei sehr heftiger Angst, Magen- und Darmstörungen, Widerwillen
gegen das Einnehmen empfiehlt Ziehen das Extractum Opii aquosum
subcutan.
Rp.: Extracti Opii aquosi 1,0
Aquae destillatae 15,0
Glycerini 5,0
D. S. Eine Pravazspritze.
Die Lösung muß stets vollfrisch bereitet werden, weil es sonst
an der Einsticlistelle erfahrungsgemäß leicht zur Abszeßbildung kommt.
Bei bestehender Idiosynkrasie gegen das Opium:
Rp.: Atropini sulf. 0,004
Morph, sulf. 0,05
Aquae dest.. 5,0
M D. S. Eine Pravazspritze (1 ccm Inhalt des Morgens und Abends).
Nur bei sehr starkem Affekt möge man eine dritte Injektion, etwa um
die Mittagszeit vornehmen.
Die Melancholia agitata, welche wir zumeist bei dem weiblichen
Geschlecht in Erscheinung treten sehen, nimmt eine Sonderstellung
im klinischen Bilde der Melancholien durch die motorische Entladung
des inneren Schmerzes, welche infolge der gleichzeitigen Hemmung
monotonen Charakter trägt, ein und erfordert daher nicht nur eine
Sänftigung des Ansturms peinlicher Gefühle, sondern auch gleichzeitig
Bändigung des Bewegungsdranges. Letztere wird oft durch Brom, Chlo-
ralamid, Belladona, Morphium innerlich, oder Atropin + Morph, sub¬
kutan erreicht, ohne daß es nötig wäre, eine interne methodische Opium¬
therapie einzuleiten. Die subkutane Anwendung des Extrakts würde
ich für weniger empfehlenswert halten und überhaupt nur für jene
Fälle reservieren, in denen die Atropin-Morphiuminjektionen wirkungs¬
los geblieben waren. Steigert sich die ängstlich-verzweifelte Erregung
zu tobsüchtiger Gebärdung, dann greife man unbedenklich zum Hyoscin
0,0007, welches man mit 0,02 Morph, sulf. kombiniert, injiziert. Also
eine, einen Kubikzentimeter Rauminhalt umfassende Pravazspritze fülle
man mit einer Lösung von
Rp.: Hyoscini hydrobrom. 0,007
Morphi sulf. 0,2
Aquae dest. 10,0
M. D. S. */ 2 bis 1 Pravazspritze.
Bei sehr heftigem Widerstande der Kranken halte ich es für ganz
unbedenklich, eine feucht-warme Packung mit Freilassen der Arme
eine Viertelstunde früher vorzunehmen. Die hindurch gesetzte Freiheits¬
beraubung des Kranken reizt denselben bei weitem nicht so zur Ab¬
wehr und Kampf, als wenn das Wartepersonal das Sträuben des Patienten
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1179
manuell zu überwinden trachtet. Auch bringt die hydrotherapeutische
Prozedur an sich öfters Beruhigung.
Sie haben bereits von einer Störung der vegetativen Funktionen,
der Obstipation, welche nicht durch das Opium, sondern durch die
der Melancholie zugrunde liegendeGehirnerkrankung gesetzt wird,
gehört und wie man derselben am zweckmäßigsten begegnen kann.
Nun lernen wir zwei weitere Störungen dieser Art kennen, welche an
die Aufmerksamkeit, die Geschicklichkeit und den Takt des Psychiaters
gewisse Anforderungen stellen, die Unregelmäßigkeiten respek¬
tive die Verweigerung der Nahrungsaufnahme und das Aus¬
bleiben des Schlafes. In der affektiven Melancholie, also jener
Form, in welcher die Alleinherrschaft des Symptoms des Unglücks*
gefühles aus der Gedankenhemmung das Krankheitsbild erfüllt und
vollends bestimmt, habe ich Nahrungsverweigerung niemals gesehen.
Gelangt dieselbe zur Beobachtung, so ist sie wohl ausschließlich die
von 'Wahnideen oder Halluzinationen. Ich glaube nicht, daß eine Be¬
rechtigung besteht, die mit diesen psychopathologischen Phänomenen
einhergehenden Depressionen mit den echten Melancholien zusammen¬
zuwerfen. Wo sich hartnäckige Abstinenz zeigt, dort handelt es sich
fast ausschließlich um eine melancholische Einleitung einer chronischen,
im Wechsel verschiedener Stadien ablaufenden chronischen, oft mit
Verblödung endigenden Psychose. Bei der Erörterung der Behänd
lung dieser Formen wird daher auf das Verhalten des Arztes gegen¬
über den sich sträubenden Kranken nochmals einzugehen sein. Hier sei
darauf verwiesen, daß wir gleichsam auf fünf Stufen zu der gewalt¬
samen Nahrungszufuhr hinansteigen. Weigert sich der Kranke zu essen
infolge Appetitmangels, ohne eine wahnhafte Begründung merken zu
lassen, dann werden wir nach Regelung des Stuhlganges das Verlangen,
zu essen, durch Tonika anzuregen streben. (Wir geben etwa nach der Vor¬
schrift Rabow’s: Tinct. Chinae comp. 27,0 —(— Tinct. Nuc. vomic. 3,0, 3mal
30 Tropfen.) Ziehen meint zwar, daß die üblichen Stomachika bei der
Melancholia gravis fast stets versagten und empfiehlt eine Salzsäure¬
lösung nach jeder Mahlzeit (3:200), um der salzsäureverarmenden Wir¬
kung des Opiums entgegenzuarbeiten. Ich glaube nicht, daß dieses
generelle Urteil zutreffend ist, sondern vermute, daß das diesem Schlüsse
zugrunde liegende Material zufälligerweise nicht auf die üblichen Sto¬
machika reagiert hat. Lassen die Tinkturen im Stich, dann sicht man
des öfteren von dem Orexinum tannicum (0,5 in Oblatenkapseln mit
warmer Milch zu nehmen) Erfolge. Stellt sich bei dem Kranken,
welchen man zwei bis drei Tage fasten ließ, der Hunger wieder ein,
dann achte man auf peinliche Diät, damit eine Magenverstimmung
nicht neuerdings die bei manchen melancholischen Zuständen sehr wich¬
tige konstante Ernährung unterbreche. Daß die Kost leicht verdaulich
und nahrhaft sein müsse, daß man häufigere, kleinere Mahlzeiten einer
einzigen opulenten vorzuziehen habe, daß insbesondere am Abend die
zu verordnenden Speisen weise zu wählen sind, liegt auf der Pland.
Ob es nötig ist, wie Ziehen vorschlägt, die grünen Gemüse und Beeren-
früchte ganz von der Speisekarte des Melancholischen zu streichen,
lasse ich dahingestellt. Man wird auch hei der Wahl der Speisen
dem individuellen Geschmack und der Gewohnheit des Kranken Rech¬
nung zu tragen haben.
Wenn trotz Einhaltung rationeller Diät, die Lust, Speise zu
nehmen, nicht wieder rege wird, stelle man Essen vor dem Kranken
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hin, ohne ihn durch Zuspruch zu ermuntern. Zuweilen weigert er sich
beharrlich, zu essen, wenn er beobachtet wird, greift aber tüchtig zu,
wenn man ihn allein läßt. Besteht nur Widerwillen, kein Wider¬
stand gegen die Nahrungsaufnahme, läßt man den Kranken Table
ddiote speisen, das Zusehen anderer Essender weckt den Imitations¬
trieb, ein Kunstgriff, durch welchen bereits im Mittelalter ein Melan-
cholikus zum Essen gebracht wurde. Bleiben diese Versuche erfolglos,
dann setze man sich an das Bett des zu jeder Entschließung Unfähigen
und füttere den Kranken langsam und behutsam mit dem Löffel.
Man unterlasse jedes Zureden und Nötigen, man reiche das Essen,
ohne ein Wort zu sagen, wie wenn die Passivität des Kranken etwas
ganz Selbstverständliches wäre. Gelangt man auf diese Weise picht
zum Ziele, treiben Wünsche nach Selbstvemichtung, Wahnideen oder
Halluzinationen zu stürmischer Abwehr, dann zwinge man den Kranken
nicht, suche vielmehr durch das infolge der Abstinenz sich denn doch
einstellende Hungergefühl unterstützt, mit Nährklistieren über die
kritische Zeit hinwegzukommen. Man gehe bei Anwendung dieser Proze¬
duren mit der größtmöglichsten Schonung vor. Die Mischung, welche
man eingießt, kann aus nahrhaften Eiweißstoffen und Kohlehydraten
in leicht resorbierbarer Form und bestimmter Menge (nicht über 3 / 4 Liter),
nach individueller Erfahrung zusammengestellt werden. Nach Ziehen’s
Vorschlag setzt man etwas Opium hinzu, um die Resorption zu verlang¬
samen, oder man läßt nach Mendel vor der Eingießung ein Zäpfchen
(Extr. Opii 0,06) in den Mastdarm stecken. Natürlich muß der Inhalt der
Nährklystiere entsprechend erwärmt werden, und der Eingießung eine
gründliche Reinigung des Darmes vorangehen. Ziehen verordnet
V 2 Liter Wasser, 2 Eier, 2 Eßl. Stärkemehl, 0,05 Opium:, 1 Messerspitze
Kochsalz. Statt des reinen Wassers gibt man vielfach ein Glas Wein oder
kombiniert die Eier-Stärkeklistiere mit einer Fleischpankreasklistiere
nach Leube. Es wird auch empfohlen, einen Einlauf mit Opium vor
der Nährklistiere zu machen, es ist nur zu befürchten, daß der Kranke
die vielfachen Irrigationen unangenehm empfindet.
Die ultima ratio ist die Schlundsondenfütterung. Ihre Indikation
gilt kaum für die Fälle reiner echter Melancholie, sondern für die Zu¬
stände schwerster Hemmung und Wahnbildung. Man vergesse nicht,
daß man sich eines Zwangmittels mit ihr bediene, das der Willens¬
sperre, der Zwangsjacke sicher nicht nachsteht. Es sei daher für den
Arzt der letzte Ausweg, wenn alle anderen Mittel der Nahrungszufuhr
versagt haben und der Kräftezustand augenscheinlich sinkt. Unbe¬
kümmert um die Abstinenz des Kranken warte man daher einige Tage.
Eine bestimmte Zahl von Tagen anzugeben, halte ich nicht für an¬
gebracht, da sich die Länge der erlaubten Wartezeit ganz nach dem.
Kräftezustand des Kranken richten muß. Im allgemeinen soll man
nicht vor Ablauf von 3 Tagen die künstliche Fütterung beginnen.
Die übliche Schlundsonde ist ein über 1 / 2 m langer Gummischlauch,
in welchem an einem Ende ein Glastrichter eingesetzt ist. Er muß
weich und soll womöglich so dick sein, daß er gerade das Nasenloch
und die Choanen bequem passieren kann. Es wird dadurch der Gefahr
seines Eindringens in die Luftröhre vorgebeugt. Vor dem Gebrauch
ist der Schlauch durch Einölen glatt zu machen. Die Einführung des¬
selben kann mit Unterstützung des Fingers durch den Mund erfolgen,
wenn der Patient sitzt; zweckmäßiger ist aber die liegende Stellung
und der Weg durch die Nase. Sträubt sich der Kranke heftig, dann
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Vorlegungen über »Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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empfiehlt, es sich, denselben vor der Fütterung etwa feucht zu packen
(einschließlich der Arme). Die "Überwältigung und das Festhalten des
Kranken durch das Wartepersonal sollte gänzlich vermieden werden,
weil derartige Szenen den Kranken ungemein erregen und zum Aus¬
gangspunkt von Wahnbildungen werden oder diese unterstützen. Ebenso
verwerflich ist die Anwendung eines kalmierenden Medikamentes. Man
führe den Schlauch langsam ein und fordere den Kranken auf, zu
schlucken. Durch die Schlingbewegung wird der aditus ad laryngem
durch den Kehldeckel geschlossen und das Eindringen der Sonde oder
Nährflüssigkeit verhindert. Sehr häufig wird die Sonde unmittelbar
vor ihrem Eintritt in den Ösophagus heraufgewürgt und bleibt dann
zusammengerollt im Munde liegen. Hat man ohne Widerstand den
größten Teil der Sonde vorwärts geschoben, dann überzeuge man sich,
ob sie wirklich die Speiseröhre hinabgeglitten war. Man lasse den
Kranken während der Sondeneinführung ruhig atmen, laut zählen oder
schreien. Wird der Kranke während Herabgleiten des Schlauches vom
Würger nicht, unterbrochen, so kann man sicher sein, daß man den
rechten Weg eingeschlagen hat. Ist man im Magen angelangt, aus¬
kultiere man mit dem Trichter, durch welchen man durch die Peristal¬
tik angeregte Geräusche mitunter vernehmen kann. Während man
etwas Wasser einlaufen läßt, auskultiere man den Magen, das Plät¬
schern des einströmenden Wassers beseitigt dann die letzte Ungewi߬
heit, daß man am richtigen Orte an gelangt sei. Dabei vermeide man das
Anstoßen an die Magenwand, da hierdurch nur allzuleicht Erbrechen
ausgelöst wird. Tritt dieses unangenehme Ereignis ein, muß die Sonde
so schnell als möglich herausgezogen werden, da einzelne Partikelchen
leicht in die Luftröhre aspiriert werden können. Sonst ziehe man die
Sonde langsam heraus, während man die obere Öffnung des Rohres
mit dem Daumen verschlossen hält. Erst, wenn man an der Gegend
der Epiglottis mit dem unteren Ende vorbei kommt, entferne man den
Schlauch schleunigst.
Außer für die Ernährung, ist die Sorge um den oft schwer ge¬
störten Schlaf eine wichtige Aufgabe des Arztes. Nicht allein Angst
oder Sinnestäuschungen, nicht nur Iletardation des Stuhlganges und
Magenverstimmung, sondern die der Melancholie zu Grunde liegende
Vorderhirnerkrankung an sich, scheint Schlaflosigkeit zu bedingen.
Zweifellos gehen die Empfindungen der Hemmung mit solchen einer
gewissen Spannung einher, welche die befreienden und lösenden der
Ermattung nicht auf kommen lassen. Liegen keine Sinnestäuschungen
vor, welche mit heroischer wirkenden Hypnotizis bekämpft werden
müssen, suche man auf das Gefäßsystem im allgemeinen regulatorisch
einzuwirken. Dies geschieht am besten durch laue Bäder, welche vor
der karg bemessenen Abendmahlzeit zu nehmen sind. Die Temperatur
des Wassers erhöhe man auf 27 bis 29 Grad — nur wenn Tachykardie
oder Beängstigung auftritt — gehe man etwas herunter und lasse den
Kranken etwa eine halbe Stunde oder noeh länger im Bade. Bei älteren
Individuen gebe man eine kühle Kompresse auf den Kopf. Natürlich
muß der Wärter ununterbrochen im Badezimmer anwesend sein und
jede Bewegung des Kranken genau, aber unauffällig beobachten. Unter¬
stützt kann die Wirkung des Bades durch einen vorhergehenden D/^stün-
digen Spaziergang werden. Kalte Packungen oder Abreibungen sind
zu verbieten.
Erst wenn mit diesem physikalischen Hilfsmittel kein Schlaf her-
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v. Nießl-Mayendorf,
1182
beigeführt werden kann, verordne man ein Hypnotikum. Bei Opium¬
therapie versuche man Bromural (0,05); erweist sich dieses Medikament
als wirkungslos, gehe man zum Sulfonal (1,0), zum Chloralamid (2,Ci),
Trional (1,0), Amylenhydrat (4,0), Paraldehyd (4,0) über.
Man beschränke sich nicht eigensinnig auf die Dispensation eines
Hypnotikums, sondern sei bereit, den Wünschen des Kranken entgegen¬
zukommen, wenn das Verordnet« durch seinen unangenehmen Geschmack
oder peinlich empfundene Folgeerscheinungen am nächsten Tage nur
unwillig genommen wird. Niemals vergesse man, daß die in dem
Zutrauen liegende Suggestion jeder Medikation notwendig sei, und zwar
nicht bloß dem behandelnden Arzte, sondern auch dem angewendeten
Heilmittel selbst. Und nun noch ein paar Worte über das Verhalten
des Arztes dem Melancholisch-Kranken gegenüber. Ich habe bereits
in der Einleitung die außerordentliche Bedeutung für die Wirksam¬
keit jeder Therapie erörtert, welche einzig in der Persönlichkeit des
Arztes zu suchen sei. Dabei verlache ich den hypnotischen Hokuspokus
und erkläre den durch Hypnose bei Veranlagten künstlich erzeugten
Wahnsinn für straf gerichtlich verfolgbar. Die meisten Geisteskranken
sind überdies durch derlei Mätzchen, welcher nach Meynert jeder
Hanswurst fähig ist, nicht beeinflußbar. Wie es der Arzt anzufangen
habe, das Zutrauen des Melancholikers zu gewinnen, läßt sich nicht
lehren. Oft hat der Arzt Glück und die Eigenheit seiner Individualität
erweist sich dem Kranken als sympathisch, ohne daß er etwas hinzu tut,
oft führt das eifrigste ärztlichste Bestreben nur zur Abneigung des
Patienten.
Das einzige, was ich Ihnen hier raten kann, ist recht sachte
und vorsichtig an den Kranken heranzutreten und ab zu warten,
wie er sich Ihnen gegenüber stellt. Lassen Sie den Kranken nicht
Ihre Superiorität fühlen; der Melancholiker, dessen Selbstgefühl ohne¬
hin geschwunden oder sehr darnieder ist, muß ganz besonders in den
wenigen Entschließungen, die er äußert, respektiert werden. Dringen
Sie ja nicht in sein Herzensgeheimnis, oder suchen Sie seine Wahn¬
ideen abzufragen. Der Geisteskranke hat wie der somatisch Kranke
das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Hören Sie ernst, aufmerksam, teil¬
nehmend zu, ohne neugierig zu forschen. Suchen Sie durch eine pas¬
sende Gelegenheit eine Aussprache des Kranken herbeizuführen, ohne
daß Ihre Absicht dem Kranken zum Bewußtsein kommt. Wochenlang
war ein Melancholikus in einem Sanatorium mein Tischnachbar, ohne
daß ich ein Sterbenswörtchen von dem erfuhr, was in seinem Innern
vorging. Auf einem Spaziergang eröffnet« er sich mir von selbst.
Es ist eine alte Regel und gilt für die Melancholie gleichwie für
andere Geisteskrankheiten, daß man das Widersinnige der Wahnidee
dem Kranken verschweige. Der Laie, welcher zwischen Irrtum und
Irrsinn, dem Fundamental-Wesentlichen nach, nicht zu unterscheiden
vermag, vermeint, mit dem Ausreden den alogischen Schluß hinweg¬
zuscheuchen. Er vergißt, daß die Wahnidee in der Welt des Geistes¬
kranken mit dessen Erfahrungen durchaus logisch verkettet ist, ja,
daß sie eine gesunde Reaktion des Denkens bei einem abnormen Gefühls¬
leben darstellt. Es ist daher ein grundsätzlicher Fehler der Behandlung
wenn man die Vorstellungswelt mit eigener Gefühlsbetonung derjenigen
des Kranken substituiert, in welcher dann freilich die Wahnidee als
ein fremdartiger Kern unmöglich erscheint. Man zeige durch sein
Benehmen, daß man die Wahnidee für etwas durchaus Begreifliches
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1183
ansehe und lasse nur ganz leise Zweifel darüber merken, ob denn der
Kranke nicht zu schwarz sehe. Man versuche an dem Wahngebäude
leise zu rütteln, indem man den Kranken fragt, ob er von seiner Wahn¬
idee fest überzeugt sei oder doch meine, daß manches daran krankhaft
sei. Eine dunkle Ahnung körperlicher Erkrankung ist, wenigstens zu¬
zeiten, fast in jedem Geisteskranken rege. Besonders aber fühlt der
Melancholische die krankhafte Insuffizienz seines Gehirns, wenn er
sie auch wahnhaft deutet.
Angesichts der verschiedenartigen Formen der melancholischen und
depressiven Zustände, angesichts des übergroßen Reichtums verschieden
gearteter menschlicher Individualitäten hieße es Vermessenheit, wollte
ich Ihnen allenthalben passende Ratschläge geben. Ihre Kunst ist es,
wie gesagt, mit eigenem angeborenem Taktgefühl für den betreffenden
Fall das Richtige zu treffen. Habe ich Ihnen einleitend Winke all¬
gemeiner Natur gegeben, so können Ihnen die anschließenden Vor¬
lesungen auch nur speziellere Fingerzeige bringen, welche aus den
Erfahrungen einzelner Fälle gewonnen wurden.
Die Aussichten, eine Melancholie zur Heilung zu bringen, sind
recht günstige. Ziehen zählt bei einer reichen Kasuistik sogar
90 Prozent geheilter Fälle. Um so mehr müssen Sie alles aufbieten,
was Sie tun können, und in der Tat steht Ihnen, wie Sie gesehen haben,
eine schon ziemlich ausgebildete Therapie zur Verfügung.
Und nun noch eines! Gelang es mit Ihrem Beistand, den Gemüts¬
zustand des Kranken zu heben und damit auch die Wahnideen zum Ver¬
schwinden zu bringen, seien Sie hart, wenn der Kranke auf Entlassung
dringt. Nichts wäre verfehlter, als da nachzugeben. Die Melancholie
ist eine Geisteskrankheit, welche ebensowohl zu Rezidiven als zu Rück¬
fällen hinneigt.
III.
Die Manie.
M. H.! Sie haben aus den beiden vorhergehenden Vorlesungen
gelernt, daß wir keine Mittel besitzen, eine Geisteskrankheit zu heilen,
wohl aber einzelne Symptome zu lindern oder gar zu beseitigen. Es
lag bei der Melancholie die Frage vor, aus welcher gemeinsamen symp-
tomatologischen Wurzel die verschiedenen klinischen Erscheinungen ent¬
sprängen, welche das Krankheitsbild „Melancholie“ konstituieren. Ich
erkannte in dem Kardinalsymptom der „Hemmung“ das kausale Mo¬
ment der Traurigkeit, aus einer Einschränkung der Assoziatbnstätig-
keit und der alle Vorstellungen gleichfärbenden schmerzlichen Gefühls¬
betonung begriff sich die Entwickelung der Wahnidee, die Umdeutung
mit abnorm gesteigerter Aufmerksamkeit perzipierter Reizphänome
peripherer Sinnesapparate zu Trugwahrnehmungen. Es widerspricht
nicht dem angenommenen kausalen Zusammenhang, wenn Hemmung
und Traurigkeit gleichzeitig sich offenbaren.
Die Manie repräsentiert die Kehrseite der Melancholie. Eine ab¬
norme Ungebundenheit der Großhirnleistungen scheint den psycho¬
logischen Kern für das pathologische Bild abzugeben. Befreit von jeder
natürlichen Hemmung, welche als unangenehmes Gefühl auf den normalen
Gedankengang einschränkend wirkt und ihn gewisse Bahnen vorschreibt,
schiebt sich gleich angenehm betont, Assoziation an Assoziation, um
ein, dem gesunden Seelenzustande fremdes Weltbild zu gestalten. Freude,
Unternehmungslust, hochgespannte Erwartung und leicht gefaßter Mut,
aber auch wahnhaft veränderte Beurteilung der Außenwelt ergeben
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v. Nießl-Mayendorf,
sich von selber aus dem zügellosen Ablauf der Gedankentätigkeit. Das
ganze psychopathische Syndrom der Manie ist der klinische Ausdruck
einer normalen Reaktion des Vorderhirns auf eine abnorm gesteigerte
Leistungsfähigkeit, des Bewußtwerdens derselben. Von dem eben noch
geordneten, aber erleichtertem Denken bis zu der Gedanken flucht des
völlig Verwirrten zieht sich ein Faden mit fließenden Übergängen.
Die heilkräftige Kunst, welche auf kranke Organe wirken will,
wird sich fragen, durch welche krankhafte Veranlassung im mensch¬
lichen Vorderhirn jene Ungebundenheit hervorgebracht werde, welche
das Spiel der maniakalischen Erregung gleichsam aufzieht. Meynert
bezeichnet als die Grundlage dieser Hyperfunktion eine krankhafte
Überernährung der Rindenganglien, eine Übersättigung mit Sauerstoff,
eine Hyperoxidation, ein Stadium intensivster Apnoe, welche mit einer
Erweiterung der Rindenarterien einhergehe. Es bleibe ganz unerörtert,
ob die vasomotorische Dilatation der primäre Vorgang sei oder durch die
gesteigerte funktionelle Attraktion der Rindenzellen bedingt werde. Die
Tatsache einer hyperämischen Durchflutung der Hirnrinde wird, durch
die dabei beobachteten Kongestionen des Antlitzes gestützt, nicht aber
von der manchmal wahrnehmbaren Blässe desselben widerlegt, da Blut¬
fülle des Gehirnes und des Gesichtes keineswegs notwendige Parallel¬
vorgänge sind. Ein sicherer Anzeiger für die augenblickliche Blutfülle
im Gehirn wird kaum in der Messungdes Grades des arteriellen Blutreich¬
tums des Augenhijitergrujides zu finden sein und einzig jener Rückschluß
wissenschaftlich begründet und erlaubt, welcher aus den anatomisch
und histologisch nachweisbaren Residuen längerer Rindenhyperämien
an dem gefärbten Schnittpräparat aus den Leichen Maniakalischer ge¬
zogen werden darf. Diesen Nachweis erbrachte Meynert, gelang es
ihm doch, seiner Theorie von dem Überfluß arteriellen Blutes im Ge¬
hirn Maniakalischer, durch einen für die- stattgehabte Hyperämien posi¬
tiven Befund, in 47% des ihm so reichlich zuströmenden Sektions-
materials der Wiener Landesirrenanstalt eine kräftige Stütze zu geben.
Die widersprechende Angabe Mendel’s in seiner Monographie, daß
er in allen von ihm mikroskopisch untersuchten Fällen nur normale
Verhältnisse vorgefunden, stimmt schlecht zu den von ihm zitierten,
wenn auch angefochtenen Befunden der Engländer. Die Residuen intra¬
vitaler Hyperämien, die man im Tiergehirn experimentell erzeugen
kann, vermögen wir durch Vergleich mit der Beschaffenheit einer erst
in der Agone oder postmortal hyperämisch gefüllten Hirnrinde von
dieser zu unterscheiden. Da bei diesen im Leben nichts von den Er¬
scheinungen zu sehen war, was .an den ersteren auf einen abnormen
Blutreichtum im Gehirn hinge wiesen hatte. Die jüngere und jüngste
Generation gefiel sich einzig in Paraphrasierungen maniakalischer
Krankheitsformen, ohne sich dem pathologischen Wesen auch nur um
Fingerbreite zu nähern.
Wie bei der Melancholie entschlossenes ärztliches Eingreifen lebens¬
rettend und erstes Gebot ist, so wird auch hier die energische unge¬
säumte Beschränkung maniakalischer Betätigung der therapeutischen
Bekämpfung des maniakalischen Syndroms durch den Arzt vorauszu¬
gehen haben. Der Maniakus tötet sich zwar selten selbst, aber er ver¬
nichtet seine soziale Persönlichkeit durch das sich schrankenlose Geltend¬
machen einer widersinnigen Initiative. Rastloser Drang zum Tun und
zur Bewegung berücksichtigt die Hindernisse nicht, die durch die Be¬
achtung des eigenen Wohles und des der Gesellschaft, der Verwirk¬
lichung der Entschlüsse sich hemmend in den Weg stellen, weil eben die
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1185
antagonistische Wirkung der normalerweise hemmenden Gedankengänge
fehlt und dieses wieder deshalb, weil kein einziges unangenehmes, hem¬
mendes Gefühl auf kommen kann.
Ein typisches Bild leichter maniakalischer Erregung bietet Ihnen
die alkoholische Animiertheit. Sie wissen selbst, wie leicht man da
eine Dummheit macht, die man tags darauf bitter bereut und ungeschehen
machen möchte. Zum Glück geht dieser Zustand rasch vorüber. Der
Maniakus erwacht aber nicht am nächsten Morgen, um alles wieder
zu korrigieren und auszulöschen, was er verflossenen Abend wider
seinen Charakter, ja oft schnurstracks gegen seine Weltanschauung
gesündigt hat. Monatelang fährt der Manische fort, in der für ihn
so gefährlichen Verwandlung fortzuspielen; durch herausforderndes Be¬
nehmen Zusammenstöße provozierend, sich dem Ausbruch fremder
Gewalttätigkeit auszusetzen, der Lächerlichkeit preiszugeben, finanziell
zu ruinieren. Auch hier ist Freiheitsberaubung der humanste Akt,
und ihre Unterlassung ebensowohl ein Kunstfehler als die gleiche Unter¬
lassungssünde bei der Melancholie. Wie ich dort ausführte, daß nach
Wernicke’s Wahrwort, die leichtesten Melancholien die selbstmord-
verdächtigsten seien, so wird auch der Maniakus, welcher seiner Um¬
gebung noch nicht als krank imponiert, welcher anscheinend logisch
und nur schneller als früher denkt, ja, mit seltener Begabtheit die
glücklichsten Gedanken im Fluge trifft, dessen geistiges, seelisches
Sein gesteigert und zu ungeahnten Leistungen plötzlich befähigt er¬
scheint, eine ernste Gefahr für sich und seine Angehörigen bedeuten.
Man kann einen solchen Kranken nicht früh genug entmün¬
digen. Dabei spielt keine Rolle, ob die Symptome den Verdacht
auf paralytische Manie rechtfertigen. Das zweite ist die Inter¬
nierung des Kranken in eine geschlossene Anstalt. Die häusliche Be¬
handlung ist, entsprechend gelegene und eingerichtete Räumlichkeiten
vorausgesetzt, nur bei den leichten Formen der Manie, den sogenannten
Hypomanien zulässig. Dies im Gegensatz zu der Hypomelancholie,
welche stets der Anstaltspflege bedarf. Man wähle ein kühles
Parterrezimmer, aus welchem alle Möbel und Bilder entfernt werden
und vertausche das leicht zerbrechliche Fensterglas mit dicken, trüben
Scheiben. Eine solche künstlich zurechtgeniachte Zelle hat die erste
therapeutische Bedingung der Manie zu erfüllen, die der Isolierung.
Hier führe man den Kranken hinein und lasse ihn allein. Wie es ein
grober Lapsus wäre, den Melancholischen für einige Stunden allein
ins Zimmer zu sperren, ebenso verkehrt wäre es, dem nach Zerstreuung
lechzenden Manischen im Weltgetriebe zu belassen, die auf ihn schäd¬
lich wirkenden Reize nicht abzuwehren. Die Isolierung wirkt auf den
Manischen oft an sich beruhigend.
Auch wenn ein maniakaliseh Kranker noch nicht in Raserei aus-
brechend hin- und herfährt und um sich schlägt, desorientiert, eine Reflex-
maschino nächster und nächstbester Assoziationen, kann sein Wider¬
stand gegen seine Überführung aus dem Leben in die ihm nottuende
Einsamkeit sehr erheblich werden, und auch in leichteren Fällen sich
die Frage nach dem Modus dieser Maßnahme aufwerfen. Wie ist
der Wider willige, welchen die Durchführung seiner Pläne, deren Ge¬
lingen hei Abwesenheit aller von Unlustgefühlen betonten Gedanken
ihm gewiß erscheint, in das Drängen und Wogen des Tages hineintreibt,
zu bestimmen, sich in ein einsames Zimmer zurückzuziehen ? Das Ge¬
fühl einer Erkrankung fehlt vollkommen, dagegen gibt aber das Be¬
wußtwerden der spielend leicht ablaufenden, sonst oft mühsam herbei-
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Digit ize
1186 v. Nießl-Mayendorf, Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
gezogenen Assoziationen das Gefühl einer Ubermenschlichkeit, dessen
Innewerden einer ungeheuren Kraft zum Widerstande geradezu an¬
spornt. Hier gibt es nur zwei Wege, um sich der Kranken zu bemäch¬
tigen. Entweder — ein nicht unbeliebtes Mittel der Psychiater —
die listige Vorspiegelung oder die direkte rohe Gewalt. Mit Recht
verpönt Ziehen die erste Möglichkeit, diesen feigen, lächerlichen Kunst¬
griff, durch welchen der Arzt das Zutrauen seines Patienten für immer
verscherzt. Man ist also in vielen Fällen auf die rohe Gewalt an¬
gewiesen. Mit entsprechender Bedeckung erscheine man in der Woh¬
nung des Erkrankten und fordere ihn erst gütlich, dann immer be¬
stimmter auf, milzukommen, weil sein Gemüt krankhaft erregt sei
und dringend der Beruhigung und Schonung bedürfe. Gelingt es durch
Zuspruch nicht, den Kranken zum Mitkommen zu bewegen, lege man
ganz ruhig Hand an ihn, ohne selbst die geringste Spur von Erregung
zu verraten. Sobald man zur Manualgewalt geschritten ist, muß man
äußerst gewandt und schleunig vorgehen. Man fasse den Kranken nie
um den Leib, sondern stets an beiden Oberarmen, nachdem man sich
von diesem unbemerkt hinter seinen Rücken gestellt hat. Zwei Wärter,
welche zur Unterstützung notwendig sind, müssen die Order haben,
in dem Augenblick, da der Arzt Hand anlegt, gleichfalls eiligst zu¬
zugreifen, so daß der Kranke in wenigen Sekunden durch die Türen
geschoben, über die Treppe getragen und in den unten bereitstehenden
Wagen gehoben wird. Der psychische Chok der Überraschung wirkt
auf den Kranken oft hemmend, so daß der Widerstand geschwächt
oder manchmal sogar ganz auf gegeben wird. Man halte den Kranken
ruhig fest, ohne ihn durch überflüssige Gewaltanwendung zu be¬
lästigen. Die vielfach ventilierte Frage, ob man in dieser Lage den
Kranken fesseln, oder ihm eine feste Jacke, deutsch gesagt eine Zwangs¬
jacke anlegen dürfe, beantworte ich mit einem geraden „Ja“. Ich
halte den mechanischen Zwang viel weniger bedenklich als den chemi¬
schen, welcher jetzt üblich ist. Das Hyoscin, so sicher es auch den
Tobsüchtigen niederwirft, verdient wahrlich den ihm zuteil gewordenen
Ehrennamen „Chemische Zwangsjacke“, da es in einem Stadium seiner
Wirkung trotz des noch wachen Bewußtseins die motorischen Rinden-
zentra lähmt, also die Bewegungsfreiheit der Muskulatur dem Willen
entzieht. Nichtsdestoweniger dürfen Sie auf dieses sehr wirksame Medi¬
kament nicht verzichten, es sei aber Ihr letzter Ausweg. Sträubt
sich Ihr Patient mit Händen und Füßen, was nicht selten der Fall ist,
wenn die Ideenflucht so hohe Grade erreicht hat, daß sie zur .Desorien¬
tierung und dann feindlichen Verkennung der Außenwelt geworden ist,
sind Sie allein oder ist Ihre Assistenz aus irgendeinem Grunde un¬
genügend, dann ist das Hyoscin, seine Chlor oder Brom Verbindung das
einzige, aber zuverlässige Mittel, Rat zu schaffen. Man injiziert in
eine Hautfalte am Arm eine Pravazspritze, welche 0,0007 Hyosc.
hydrochl. oder hydrobromicum und dessen Antidot 0,01 Morph, sulf.
in wässeriger Lösung enthält. Uber 0,001 Hyosc. zu injizieren, jalso
über die Maximaldosis hinauszugehen, vermeide man, auch wenn uns
Fälle bekannt sind, in denen trotz Verabreichung höherer Hyoscingaben
keine bedrohlichen Symptome beobachtet wurden. Größere Hyoscindosen
werden übrigens besser vertragen, wenn man eine Morphium Verbindung
hinzufügt. Das weniger gebräuchliche Duboisin soll den Vorzug einer
protuahierteren Wirkung haben. (Fortsetzung folgt.)
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\V. Hammer, Die Frage nach den EnthaltsamkeitsstöruDgen.
1187
Die Frage nach den Enthaltsamkeitsstörungen auf der inter¬
nationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1911.
(Bericht über die Dresdener Tagung des deutschen Zweiges der internationalen
Abolitionistischen Föderation und der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der
Geschlechtskrankheiten, Juni 1911.)
Von Dr. W. Hammer.
Die Dresdener Hygieneausstellung zog zahlreiche Tagungen des
Jahres 1911 an.
Mit Vorbedacht tagten die Abolitionisten unmittelbar vor der
Tagung der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechts¬
krankheiten, und beide beschäftigten sich hauptsächlich mit der
Enthaltsamkeit>frage. Die „Abolitionisten“ machten dabei einen
letzten Versuch, den Arzt zum Diener der gesellschaftlichen Gepflogen¬
heit zu machen, der die Geheimlaster der ßogenannten anständigen
Mädchen nicht zu erörtern, sondern als sicher bei wohlerzogenen jungen
Damen nicht vorhanden und nicht der öffentlichen Erörterung wert,
übergeht, und scheiterten mit diesem Versuche vollständig.
Fast alle anwesenden Vertreter der Wissenschaft, einschließlich
der weiblichen ärztlichen Kräfte, lehnten es ab, der Partei, die bisher
geherrscht hatte und bis zur Unterdrückung des Gegners durch die
Irrenanstalt und die Verschreiung als geistesgestört oder zum min¬
destens geistig anormal gegangen war, Gefolgschaft zu leisten. Die
vor sieben Jahren vollständig unterdrückte Richtung, die eine gemein¬
same und gleichmäßig-wissenschaftlich-gründliche Behandlung der Frage
von den ansteckenden Geschlechtsleiden und der Frage nach dem Ge¬
heimleben derer, die bisher als enthaltsam bezeichnet wurden oder an¬
ständig hießen, fordert, hat in Dresden vollständig gesiegt. Aber auch
der abolitionistische Gedanke hat trotz einiger Schlappen, die seine Ver¬
treterinnen durch ihre Kampfesweise erhielten, wenn auch mehr mittel¬
bar und vorläufig, gewonnen an Gebiet, da sein männlicher Vertreter,
der evangelische Geistliche Bruns-Straßburg, mit vollem Rechte und
unter ausdrücklicher ärztlicher Anerkennung, festuageln konnte, daß
er als sachverständig mitreden könne und nicht mit der Bemerkung
abgetan werden könne: er als Geistlicher und Ethiker sei in dieser rein
medizinisch-juristischen Frage nicht zuständig. Mit andern Worten:
Die Gegner haben beide durch teilweisen Rückzug feste Kampfes¬
stellungen gewonnen, von denen aus die Entscheidungsschlacht be¬
gonnen werden kann. Nach Vorpostenplänkeleien ist es soweit ge¬
kommen, daß sich die Gegner zwangen, Aufstellung zur Lieferung
einer großen Schlacht zu nehmen. Die letzten Waffen beider Par¬
teien sind hervorgeholt, um vorläufig nur gegenseitig sichtbar zu werden,
allem Anscheine nach in der nächsten Zeit jedoch in ernstem Kampfe
sich zu messen (bei Besprechung der Vorentwürfe zum Reichs-Straf-
gesetzbuche).
Pfarrer Bruns-Straßburg leitete die Doppeltagung ein durch einen
Vortrag über „Die geheime Prostitution in Animierkneipen und fiie.
Zwecklosigkeit der Reglementierung“. Er sprach auf Grund eigener
Besuche der „Lokale, die schlimmer sind als Bordelle“ und berechnete,
daß in Straß bürg (Elsaß) in etwa 30 dieser Lokale 1355000 Mk. jährlich
für Speisen, Getränke, Genuß der Darbietungen, und ferner durch Trink¬
gelder, die noch mehrere hunderttausend Mark betragen dürften, aus¬
gegeben werden. Er bestätigte aus eigner Erfahrung, daß die Dienerin¬
nen der groben Fleischeslust, die sich den Gästen dieser Lokale zur
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W. Hammer,
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Verfügung stellen, nicht den einfachen, sondern allen Volksschichten
entspringen. Die sich preisgebenden Mädchen gehören den hohen und
niederen Ständen an. Somit wurde — und das geschah während der
ganzen weiteren Verhandlung — die Behauptung, Brothunger treibe
die Mädchen zur Gewerbeunzucht und die bürgerliche Gesellschaft
opfere die Töchter der Armen für vornehme Wollüstlinge, fallen ge¬
lassen. Als der geistliche Herr jedoch verlangte, daß der „Begriff
Weib in jedem ehrlichen Manne einen heiligen Schauer “ erwecken solle
und als er von jedem anständigen Menschen forderte, nur und ausschlie߬
lich auf dem Boden der Einehe zu stehen, da wurde ihm, dem Sach-
verständigen, der sich auf den Boden der eignen Beobachtung und Er¬
fahrung stelle, und dabei vom ethischen Standpunkte urteilen wolle,
eingewendet, daß er ja die ethischen Ein wände, die kurz in dem Satze
ausgedrückt werden könnten: Dirnenverkehr beim Manne und Geheim¬
laster bei der Frau würden deshalb so wenig beachtet, weil andernfalls
leicht bei dem heute üblichen Durchschnittsbeginne der Ehe eine Voll¬
ziehung der Beiwohnung in der einzelnen Lebenseinehe in Frage ge¬
stellt sei, gar nicht berücksichtigt habe, und die Lebenseinehe werde
weder praktisch noch theoretisch überhaupt von vielen Männern gn-
erkannt, so daß selbst Luther, der doch eine Doppelehe gebilligt habe,
von dem Anstandsbegriff des Herrn Pfarrers ausgeschlossen sei, da
war der Kampf eröffnet. Die Dresdener Vorsitzende, Frau Katharine
Scheven, behauptete, für 100 enthaltsame Lehrerinnen cinstehen zu
können, hinsichtlich des Nichtvorhandenseins der von Hammer erwähn¬
ten Geheimlaster und Bruns gab zu, nicht alle Fragen erörtert zu
haben, er glaube an das Vorhandensein reiner Frauen und Männer
und die Möglichkeit, die Prostitution aus der Menschheit beseitigen zu
können. Hammer erwiderte, es handle sich nicht um Fragen des
Glaubens, sondern des Wissens und da vermisse er doch alle Anhalte¬
punkte, auf Grund welcher Ermittlungen und welcher Tätigkeit die
Vorsitzende überhaupt nähere Angaben über die geheimsten Vorgänge
des Liebeslebens von 100 Lehrerinnen erhalten habe oder auch nur habe
erhalten können.
Der Versuch der Berliner Abolitionistin, Frl. Anna Pappritz,
durch einige Scherze zu veranlassen, daß man lächelnd über die Be¬
hauptungen Hammer’s, die in Berlin ja längst gehört und bekannt
seien und gar nicht die ernste Aufnahme, die sie in Dresden fänden,
verdienten, hinwegzugehen, scheiterten an dem tiefen Ernste und der
inneren Bewegung der Anwesenden beider Geschlechter, vollständig.
Die Dresdener Polizeischwester 11 in ge 1 trat unmittelbar für die
Notwendigkeit ein, auf Grund der Erfahrungen der Jahrtausende, die
Gewerbeunzucht der Frau reglementieren zu müssen. Die Reglemen¬
tierung sei, wie sie ihren Pfleglingen sage, die Strafe für deren Ver¬
halten, trotz aller angebotenen Hilfe, und Strafe müsse sein für diese
Unsittlichkeit. „Es handelt sich um Naturtriebe, die die Polizei nicht
verbieten könne, die Dirne macht sich auf der Straße breit, die muß
separiert werden. Der Anblick der frei sich betätigenden Dirne darf
mit Rücksicht auf die Jugend picht geduldet werden. Schon etwas
Gutes tut die Polizei, wenn sie diesen Anblick verhindert.“
Praktisch wurden hinsichtlich der Kellnerinnen Lehrzeit, feste
Entlohnung, Hebung der Selbstachtung (Pappritz) gefordert. Die
Vorsitzende (Scheven) stellt fest, daß die Vereinigung Anhängerin
einer Sittenpolizei sei, nicht Gegnerin, jedoch die Aufgabe einer
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i)ie Frage nach den Enthaltsamkeitsstörungen.
1189
Sittenpolizei in Beaufsichtigung des äußeren sittlichen Verhaltens er¬
blicke. Die sich öffentlich Anbietenden gehörten in Pürsorgeanstalten.
Für öffentliche Schamlosigkeit sei Bestrafung am Platze; Gegnerin sei
die Vereinigung von einer Untersuchung zwecks Ausübung der Un¬
zucht, einer Duldung, Gestattung, ja polizeilichen Förderung der Un¬
zucht durch die Kontrolle, wie sie heute geübt werde.
Die Versammlung nahm mit großer Stimmenmehrheit (anscheinend
gegen eine Stimme bei mehreren Stimmenthaltungen) eine Resolution
an, in der rücksichtlose Anwendung der Bestimmungen der Gewerbe¬
ordnung gegen das Unwesen der Animierkneipen, in deren öffentlichen
Bestehen sie eine Gefahr für unser Volk erblickt, gefordert wurde, und
die Reglementierung und Bordeilienmg als zwecklos und keinen Schutz
bietend, angesehen und ihre Abschaffung verlangt wurde.
Die 2. Sitzung der Abolitionisten galt der Frage der „geborenen
Prostituierten“.
Dr. Friderike Helene. Ste 1 zuer-Charlottenburg, die als Ärztin
der Teltower Fürsorgeanstalt tätig ist, fand unter 155 Fürsorgemädchen
58 geistig „intakt“, 84 „schwachsinnig“, 63 „psychopathische Kon¬
stitutionen“. Dort, wo innere Veranlagung und Umgebung bei geistig
„Intakten“ nicht gleichgerichtet waren, seien die Aussichten der An¬
staltsbehandlung günstig. Bei einer 2. Gruppe, der „Intakten“ (mit
kräftigem, gesundem, ganz natürlichem Geschlechtstrieb und der Um¬
gebung der besitzlosen Klasse, ebenso 3. bei lebenslustigen Mädchen in
zu ernster Umgebung sei die Vorhersage viel weniger gut.
Als typisch schwachsinnig bezeichnete sie die Antwort „Ich
wußte nicht, daß er verheiratet war“ auf die Frage, warum ein Mädchen
beim ersten Verkehre mit einem Manne nicht geschrien habe. Die
Schwachsinnigen seien leicht beeinflußbar und wirtschaftlich wenig
nutzbar, da man ihnen Kinder nicht anvertrauen könne, sie auch An¬
lockungen leicht annehmen. Psychopathische Konstitutionen ständen
auf der Grenze geistiger Gesundheit und Krankheit, ohne daß die In¬
telligenz zu kurz gekommen wäre, seien unbeständig, leidenschaftlich,
entschlußun fähig, launenhaft, hysterisch, innerlich unwahr, unter¬
schieden Wahrheit und Lüge nicht, auf ein tadelndes Wort hin könnten
sie maßlos zornig werden, auf eine kleine Freundlichkeit hin, leiden¬
schaftliche Gefühle äußern. Die Prostituierten hätten nur wenig wirk¬
liche Geisteskranke. Sie schließt sich den Forschem an, die be¬
haupten, Prostituierte stellten von allen Arten Frauen „das geringste
Kontingent“ für Irrenanstalten. Trotzdem sei die erbliche Belastung
sehr hoch. Die zu ergreifenden Erziehungsmaßregeln seien teils ärzt¬
lich. teils pädagogisch. Nur seltene Ausnahmen könne man als ge¬
borene Prostituierte bezeichnen. Stets sei in der Erziehung etwas ver¬
sehen. Ein einziges Mädchen ha Iw sie vor dem Jugendgericht
als geborene Prostituierte bezeichnet (eine höhere Tochter, die, nach¬
dem sie aus der Schule entlassen war, jeden Abend unmittelbar auf
den Strich gegangen sei, ohne daß die Umgebung eine Ahnung davon,
hatte).
In der Erörterung waren alle Ärzte, die das Wort ergriffen, darin
einig, daß die Lombroso’sclie Bezeichnung „geborene Prostituierte“ nicht
gerade glücklich gewählt sei, wenn sie auch in einzelnen Fällen etwas
Richtiges enthalten könne. Flesch-Frankfurt a. M. behauptete, daß
die Lombroso’sche geborene Prostituierte (Vereinigung von köqwrliehen
und seelischen Entartungszeichen) im allgemeinen nicht bestehe.
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Original frorn
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1190
W. Hammer,
Einigkeit herrsche, daß Abnorme vorkämen. Eine Hauptforderung sei
rechtzeitige Eliminierung. Er habe hei einer 15 jährigen höheren Tochter
einen Schwaehsinnszustand erkannt, die mit 23 Jahren schwer entgleist
wieder zu ihm kam.
G anser-Dresden behauptete, die Erkennung des Schwachsinns sei
so sicher wie die Prüfung des Harnes auf Eiweiß und stützte sich auf
eine Beobachtung, der zufolge eine höhere Tochter ohne jede Not, trotz
guter Erziehung, sich mit einem Manne niederer Abkunft abgab. —
Jetzt ergriff Hammer zum zweiten Male das Wort und wandte
sich gegen die C r am e Esche Psychopathenrichtung. Ohne Kenntnis
des Liebesiebens der gesunden Frau sei es nicht möglich, die
Frage klar zu erörtern. Nach etwa 20 bis 30 Minuten dauernder
Untersuchung habe Gramer über die Erziehbarkeit oder Nichterzieh-
harkeit abgeurteilt. Die Schemata, nach denen untersucht wurde, seien
nicht einwandfrei, wie ja schon die Ergebnisse (10 bis 90°/ 0 , ja 10ö°/ 0
Schwachsinnige) zeigten. Daraus, daß eine Hauptmannstochter, die noch
nicht der Selbstbefriedigung ergeben sei, mit einem Hausknecht ver¬
kehre, folgere er nichts Abweichendes im Triebleben. Die angeblich
typisch schwachsinnige Antwort: Ich wußte nicht, daß der Mann ver¬
heiratet war, hatte er schon früher als für ihn nicht im geringsten
den Schwachsinn beweisend, hingestellt, wie er schon früher darauf
hinge wiesen hatte, daß Frl. Dr. Stelzner weit entfernt, Prostituierte
zu untersuchen, Fürsorgezöglingen ihre Tätigkeit widmete, die ja nur
zum geringen Teil Prostituierte im Sinne der Sittenpolizei seien, son¬
dern wie er selbst in einem Falle dem, Leiter der Teltower Anstalt
nachgewiesen habe, zum Teil noch nicht einmal irgendeinen Anhalte¬
punkt dafür gaben, daß die Entjungferung stattgefunden habe. Da die
Polizei die Mädchen vor der Einschreibung verwarne, seien sowohl die
leicht beeinflußbaren ausgeschaltet, wie auch die Fürsorge eine schlechte
Erziehung im Sinne des Gesetzes ausschalte. Dagegen höhere Töchter
auf Grund der unvereidigten Aussagen beteiligter Verwandter lebens¬
länglich einzusperren, in Anstalten, die Hammer für schlimmer als
Zuchthäuser hält, sei unzulässig.
Das Unzuchtgewerbe sei anerkannt und so müsse man auch hohe
und niedere Damen gleichmäßig behandeln. Höhere Töchter jedoch
lebenslänglich in der Irrenanstalt einzusperren, wenn sie das tun, was
andern Mädchen gestattet werde unter polizeilichem Schutze, das halte
er für unzulässig. Das Verhalten des Menschen sei abhängig von an¬
geborenen Anlagen, äußeren Verhältnissen und einem dritten, das wich¬
tiger wie beide sei, der Willensbetätigung. Der Wille aber sei so un¬
berechenbar, daß seine Freiheit wenigstens praktisch angenommen werden
müsse. Somit komme man auf Grund dieser Unberechenbarkeit, (die
sich in den von ihm mitgeteilten zahlreichen Fällen, in denen frühere
Dirnen später Gutes, ja Hervorragendes als Künstlerinnen leisteten
oder einen im bürgerlichen Sinne anständigen Lebenswandel führten,
widerspiegelten, dazu, die Irrenanstalteinsperrung abzulehnen,
sowohl als vorbeugende wie als Maßregel nach der Tat und niemanden,
lind nichts aufzugeben. Flosch führte ähnliche Fälle an, in denen
erst d ie Irrenanstaltshaft versucht oder vorgeschlagen wurde, dann
ein anerkannt vorzüglicher Künstler und eine Gräfin aus den Menschen
wurden. Frl. von Be low-Berlin betonte ebenfalls, daß aus der Hin¬
gabe an einen Mann nicht auf abweichende Veranlagung auch bei gut
erzogenen Mädchen geschlossen werden dürfe. Kurz: es herrschte Einig-
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l)ie Frage nach den Euthaitsamkeitsstörungen.
keit über die Nicht krankha ft igkeii grol>er Sinnlichkeit bei der! Jung¬
frau der höheren Kreise auch bei guter Erziehung und auch die .Nicht"
ifrehanstaltsbedürftigkeit der -Dirnen als solcher, selbst der höheren
Gesellschaftsschichten, schien von allen Damen ohne Ausnahme und
von fast allen Herfen, soweit sie sich an den Erörterungen beteiligten,
anerkannt zu werden.
Am 10. Juni begann die Erörterung der Deutschen Gesellschaft
z. 11. d. G. Neißer-Breslau betonte, daß hier nur die rein gesundheit¬
liche Seite, nicht die sittlich*-religiöse erörtert werden solle. Eulen-
biirg-Berlin lK‘gann den einleitenden Vortrag. Nach seinen Erfahrungen
gibt es kaum 5 (, / () zwischen 18 und 30 Jahren vom mannweibliehen
Verkehre sich fernhaltende männliche Studenten (vgl. Hirschfelds 4°/ 0
Homosexuale. Referent!). lK)°/o geben die SelbsÜvei'leckung ohne wei¬
teres zu, meist vom 14. und 15. Jahre an, bei manchen vom 12., 13.
bis 10. Jahre an. Eür das männliche Geschlecht ist die Enthaltung
vom .Weibe bis zum 24. Lebensjahre seltenste Ausnahme.' Je mehr sich
die Männer dem Alter der Vollreife nähern, desto mehr schadet die
Enthaltsamkeit, die andererseits von kindlich Bleibenden, kurz sachlich
Kränklichen, einseitig geistigen Höllenmenschen (Descartes, Spinoza,
Schopenhauer) vielleicht mit Nutzen geübt werde'; die Forderung
lebenslänglicher Enthaltung von jeder Art Betätigung sei für die große
Masse widersinnig, erfolgt, s. Impotenz, Autoerotismus, Homosexualität,
Neurosen sind auch als Folgen der Enthaltsamkeit ohne Onanie nicht
unbedingt ausgeschlossen. Das eheliche Fiasko ist dann fertig. Die
Darstellung des Fetischismus als Enthaltsamkeitsfolge entbehrt auch
nicht jeder Berechtigung. Beim weiblichen Geschlecht siiid die Ent¬
haltungsstörungen noch häufiger und stärker und früher auftretend
als beim männlichen-Geschlecht:»: Angst-, Zwangsneurosen sind keines¬
wegs selten. Der Lieb strich des Mädchens Dt mindestens ebenso stark
wie der des Mannes. Darüber kann alle Schönfärberei und prüde Zurück¬
haltung nicht hinwegtäuschen. Durch Sitte und Pflicht oder was wir
so nennen, werden eine Million Frauen im Deutschen Reiche um den
•ganzen Lebensinhalt und das I/eh nsglück betrogen. Die Nichtbefrie-
digung der Frauen sei die Wurzel der Hysterie, Psychopathie, Melan¬
cholie, bewirke auch sonst ein langsames' Verdorren und Absterben
der schönsten Triebansätze, di? Wucherung unerwünschter Nebentrieb',
das allbekannte Altjungfertum, Mangel an Tatkraft, Minderwertigkeit
der Fühl- und Seelensphäro, Hang zum Mystizismus. Eulen bürg
erwähnt Fälle Lutger’s, in denen die Arzte zur lrrcnhaushaft,
die Eltern zur Ehe rieten, und die Ehe half Er selbst kennt Sichrere
Fälle, in denen schwere Hysterie durch Liebesverhältnisse (die dem
Arzte, nicht aber den Eltern mit gefeilt werden)Ta.sl res 1 los schwanden.
Er hält die Tribadic bei Frauen für häufiger als die gleichgeschlechtliche
Betätigung des Mannes. Das Schuldkonto der Enthaltung mit'ihrer
Onaniegefahr sei recht ansehnlich, das Kreditkonto (Fleiligenidcal) ijn
allgemeinen ein mühsam aufrecht erhaltener Schein. Für den Durch¬
schnittsmenschen völlige Enthaltung (ohne Onanie) zu fordern, sei nichts
als ein barocker Einfall. Wir brauchen nach W. von Humboldt
Leiden, um stark zu werden, Freuden, um gut zu werden. — To u ton -
"Wiesbaden hält die Mehrzahl der Enthaltsamkeit «Störungen für künst¬
liche Epidemie als Errungenschaft des Sonderzweigs der Sexologen.
Man solle Enthaltung vom Verkehr und Enthaltung yon d*er‘Sei bst-
- Befleckung trennen. Außerdem weist Toüton an Einzelfällen nach,
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W. Sammer,
daß die Störungen infolge der Enthaltung von Onanie und Verkehr
nicht immer sicher erwiesen seien, besonders die organischen Er¬
krankungen seien zweifelhaft. Er empfiehlt geschlechtliche Enthalt¬
samkeit so lange als möglich und Verheiratung so frühzeitig als möglich.
Ny ström-Stockholm wendet sich scharf gegen die Medikotheologen.
Später empfiehlt er den Neomalthusianismus, dessen Apostel er sei.
Wenn ein Mensch kein normales Geschlechtsleben führe, leide
jede Ethik Schiffbruch. Fiesch-Frankfurt a. M.: Das Geschlechtsleben
von Mann und Frau ist verschieden. Nicht auf den Mangel des Ver¬
kehrs, sondern auf den Mangel des Geschlechtslebens seien viele der
Störungen der Mädchen zurückzuführen. Zu außerehelichem Geschlechts¬
verkehr zu raten, sei der gefährlichste Weg.
Hammer-Berlin ließ plötzlich ohne vorherige Benachrichtigung
die mitten unter den Kranken lebenden Pflegerinnen des Berliner Froebel-
krankenhauses angeben, wieviele der geschlechtskranken Mädchen sicher
lesbisch, wieviele zweifelhaft, wieviele „normal“ erschienen und zählte
unter 131 Kontrollmädchen: 50 Lesbierinnen, 8 zweifelhafte, 73 „nor¬
male“; unter 25 Fürsorgemädchen 20 Lesbierinnen, 2 zweifelhafte,
3 „normale“; von den „normalen“ entpuppte sich im Laufe zweier
Monate noch ein Mädchen als „leidenschaftliche Lesbierin“. Seine
klosterärztlichen Erfahrungen auch in Klöstern, die der Erziehung
hoher und sehr hoher Töchter und Söhne dienen, ließen ihn zu der
Überzeugung kommen, daß keinerlei ursprüngliche Minderwertigkeit,
sondern die Enthaltsamkeit vom sinnlichen mannweiblichen Verkehre
die Hauptursache zur Entartung des Liebestriebs nach der gleich¬
geschlechtlichen und sch merzliisteren Seite hin ist. Daß auch aus¬
schweifender Verkehr dieselben Wirkungen haben könne, bestreitet er
nicht. Kalte Naturen sind nach Hammer durchweg Damen, die durch
andauernd geübte Selbstbefleckung ihre gesunde Sinnlichkeit in Schmerz¬
oder Stumpfheitsgefühle, häufig Schmerzvorstellungen in Lustgefühle
verwandelten. Härte (Rigidität) des Muttermundes und somit die Er¬
schwerung der Erstgeburt hält Halnmer für eine grobanatomisch nach¬
weisbare Enthaltsamkeitsstörung. Einschränkend wirken: Ruhe und
gutes Beispiel im Lebenswandel der Eltern und Erzieher, frühzeitige
Einweihung in den Gebrauch der religiösen Heil- und Heiligungsmittel,
in die Freude am Wissen, den künstlerischen Genuß, Sparsamkeit, ernste,
einfache, harte Lebensführung unter dem Gesichtswinkel der Ewigkeit,
innige Eltern-, Geschwister- und Freundesliebe für die in der Welt
Stehenden, Erzwingung von Meisterstück und Pensum, sowie Ersatz
der weitgefährlicheren Einzelhaft und Bettstrafen, wo angängig, durch
die weniger gefährliche Prügelstrafe in Anstalten, Anstellung männ¬
licher Vorarbeiter, Erzieher, Ärzte in Mädchenerziehungsanstalten, weib¬
licher Hilfskräfte in Knabenerziehungsanstalten, außerhalb der Anstalt:
Erschütterungs- und Thüre-Brandt’sehe Massage, Luft-, Wasserbäder,
Turnübungen, einfache Kost, gute Lektüre, Arzneimittel. Empfehlung
befruchtungshemmender Mittel führe bei Unverheirateten f regelmäßig
zum Verkehr ohne diese Mittel, zu Abtreibung mit Siechtum oder Tod
der Mutter. Alle staatlichen Einrichtungen und Gebräuche, die die
unverheiratete Frau zur Mitbewerberin des verheirateten Mannes machen,
untergraben das gesunde Eheleben, fördern die Abtreibung und die
Lustseuche und den Untergang des Volkes. Blasch ko- Berlin: Die Ent¬
haltsamkeit bewirke zweifellos schwere Gesundheitsstörungen bei Nicht¬
psychopathen. Beweis sei die Wirkung der Beiwohnung. Neben der
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Die Frage nach den Enthaltaamkeitsstörungen.
1193
Starre des Muttermundes sei die Akne eine Störung, die oft jahre¬
langer Behandlung trotze und durch regelmäßiges Geschlechtsleben dann
plötzlich verschwinde. Näcke-Hubertusburg: Dauernde Enthaltung
werde nur von Geschlechtslosen, Kalten, abweichend Veranlagten er¬
tragen; kürzere Enthaltung meist ohne dauernden Schaden. Selbst-
befleckung sei die schädliche Folge. Frauen leiden mehr als Männer.
Meist greifen beide Gruppen (die längere und die kürzere Zeit Ent¬
haltsamen) zu irgendeiner ,,Perversität“. Lewitt-Berlin: Organ¬
erkrankungen als Enthaltsamkeitsstörungen seien ihm höchstens in
einem Falle zur Kenntnis gekommen. Muttermund sei ein Teil eines
Organs, nicht ein Organ. Außerdem tue doch die Gebärmutter auch
bei älteren Erstgebärenden ihren Dienst. Alex an der-Breslau weist
zurück, daß anatomisch nachweisbare Störungen gefordert würden, als
ob Trigeminusneuralgien, Rheumatismen anatomisch nachweisbar seien
oder keine Krankheiten, obgleich sie nicht anatomisch nachgewiesen
werden könnten. Die Störungen in Gefängnissen und auf Schiffen
seien doch nicht Folgeerscheinungen einer üppigen Lebensweise. Mai-
rowski-Breslau erhielt von 90 Ärzten Antwort auf versandte Frage¬
bogen:
18,6% hatten ihrer Angabe nach geschlechtliche Empfindung ohne
äußeren Anlaß.
81,4% durch Verführung und Spiele.
88,7% gaben an, masturbiert zu haben.
Von 10 Ärzten, die angeblich nicht masturbierten, hatten 4 als
Schüler Verkehr ausgeübt. Einer hatte bis zum 25. Jahre mastur¬
biert, 2 hatten bewußt mit 5 Jahren masturbiert, andere mit 6, 7,
8, 8, 10 Jahren. Mit 11 Jahren wird die Masturbation häufiger. Mit 15/16
Jahren erreicht sie ihren Höhepunkt. In dem Augenblicke, in dem die
Kurve der Masturbation sinkt, steigt diejenige des Verkehrs jäh in die
Höhe (17. Jahr). Mit 28 Jahren hatten alle Verkehr ausgeführt. Noch
keinen Verkehr hatten
mit 14 Jahren 98%
„ 20 „ 50%
„ 22 „ 10 , 8 %
,, 23 „ 5,2 o/ 0
„ 25 „ 1,1%
„ 28 „ 0,0%
Der Verkehr bestand in der Mehrzahl der Fälle in Geheimprostitution.
45,7% folgten eigenem Drange. 54,3% der Verführung, unter ihnen
28,8% der Verführung durch Kameraden. Auf der Schule verkehrten
32,9% zum erstenmale, 67,1% auf der Hochschule, 1,1% der Quar¬
taner, 22,4% Primaner. Fast 50% waren angeblich nicht geschlechts¬
krank, 46,7% hatten Tripper, 7,7% Syphilis gehabt. Neißer-Breslau :
Die geringe Zahl der Geschlechtskranken erklärt sich aus der guten
Kenntnis der Schutzmittel. — Ein Hamburger Arzt: Omnis mastur*
bans mendax, imprimis femina. Im allgemeinen werde das Wohl¬
befinden (Eudae monie), nicht die Gesundheit durch Enthaltung ge¬
schädigt. Hecht-Prag tritt ein für Sport, Weingeistenthaltung, Un¬
schädlichkeit zeitweiliger Enthaltung. „Es gibt auch Fälle, wo man
geschlechtlichen Verkehr empfehlen muß.“ Touton : Rigidität des
Muttermundes sei Alterserscheinung. Hirschfeld (Magnus)-Berlin,
der gleichzeitig für Iwan Bloch-Charlotten bürg mit sprach, wies zu¬
nächst auf die geschlechtliche Nachahmung (Mimikry) hin, die die Unter
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im
W. Hamiuer,
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suuhung. dieser ärztlich-naturwissenschaftlichen Fragte sehr erschwere.
Organ der Enthaltung sei das Gehirn. Von vornherein sei es unwahr¬
scheinlich, daß nicht auch liier ein notwendiges Mindestmaß, ein er¬
laubtes Höchstmaß vorliege, und zwischen beiden die goldene Mitte.
Die Beweislast habe, der Anhänger der Unschädlichkeit zu tragen, dn-
f.üi\ daß der nicht ansteckende Geschlechtsverkehr für Erwachsene schäd¬
lich sei. Die Enthaltsamkeitsslörungen seien hauptsächlich, geschlecht¬
liche Nervenschwäche, Muttersucht, nicht aber harmlos oder leicht zu
beseitigen, in einer größeren Anzahl von Fällen, die auch Tau ton s
Forderungen genügten, wirkte der Geschlechtsverkehr .wie ein Spezi¬
fikum. nachdem gegen Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Schlaf¬
losigkeit, Kopfdruck. Angst zustande, große Reizbarkeit, innere Heil¬
mittel, Wasserbehandlung, Xahrungsrcgelung, seelische Beeinflussung
und sonstige Behandlungsweisen erfolglos angewandt waren. Nach
eindeutigen Beobachtungen hat bei sittlich hochstehenden Mensch *n jahre¬
lange geschlechtliche Enthaltung ohne Selbstbefleckung dauernde^ Bei¬
schlaf Unfähigkeit . zur Folge gehabt (Iwan Bloch). Die eigentliche
Homosexualität.sei nicht Folge von Enthaltsamkeit oder Ausschwei¬
fung, sondern unabänderlich angeboren. Gleichgeschlechtliche ^Hand¬
lungen kämen jedoch bei Enthaltsamen vor. Die Teilenthaltung z. B.
einer mannweiblich empfindenden Frau, die gleichgeschlechtlieh, ver¬
kehre, erzeuge nicht so große Schäden wie die vollständige Eritllaltung.
Doch könnten die Schädigungen bei sehr lange fortgesetzter Teilenthal-
•iupg ebenfalls erheblich werden. Bei a.Uer Anerkennung günstiger
Wirksamkeit v der verhältnismäßigen und freiwillig geübten Enthaltung
für das Kulturleben, wendet sich II irschfcld warnend gegen zu strenge
Strafbestiimiiungen,; wie sie zurzeit in England und Deutschland vor-
geschlagcn werden, ß 1 Millionen lediger Frauen im geschlechtsreifen
Alter entbehren der Ehe in Deutschland. Da will der Vorentwurf zum
Strafgeselzbuche für das Deutsche Reich sogar die gleichgeschlechtliche
Betätigung der Krauen unter Strafe stellen. Frau Katharine Scheven-
Dresden wies die Annahme Hammer's und anderer, daß die Durch¬
schnittsjungfrau, soweit sie im reiferen Alter vom Männerverkehr aus¬
geschlossen sei, autoerotisch werde (besser der Selbstbefleckung oder
Gleichgeschlechtlichkeit verfalle) zurück, als roh, beleidigend, unbe¬
gründet; ihre Wiederholung durch Hammer wirke ,.direkt wie eine
Monomanie“. (NB. Wiederholtes Zischen. Neißer bittet im Rahmen
wissenschaftlicher Erörterungen zu bleiben.) G urlitt-Berlin: Bis
Mitte der 20er «Jahre sei die Selbst Befleckung das kleinere Übel. Al it
1G Jahren solle der Jüngling die Hochschule beziehen, Anfang der 20er
heiraten, und zwar ohne vorher Verkehr gehabt zu haben. Es sei mög¬
lich Großstadtwohnungen so billig herzustellen, daß sie für 200 Mk.
jährlich einem bescheidenen Paare vermietet werden könnten. Hen¬
riette F ürt h-Frankfurt a. M. steht vollinhaltlich auf dem Standpunkt
Eulen bürg’s und ergreift als alte Frau das Wort, um das Elend der
älteren Jungfrauen, die vom Männer verkehr ausgeschlossen sind, und
dabei noch nicht einmal selbst für sich reden .dürfen, zu betonen. Sie-
bert-München glaubt, daß es andere Mittel gäbe, als ungeborene Kinder
totzuschlagen, um aus dem Geschlecht seiend herauszukommen. Helene
Stöcker stimmt Rohleder zu, daß völlige Enthaltung wohl kaum vor¬
komme, die einzige Enthaltung sei sehr relativ. Den Mädchen müßten
Verbindungen in Aussicht stehen, die die Jahre der Selbstbeherrschung
lohnen. . Frau Professor Fritzscli: Tausende Frauen kennen noch nicht
t.:
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Die Frage nach den Enthaltsamkeifcsstörungen.
1195
einmal das Wort Onanie. Daß die Enthaltung von schweren Folgen
begleitet sein kann und sein muß. wissen wir Mutter am besten. Wir
werden größere Sorgfalt treffen müssen, jedes Ahsehweifen vom Wege
weit sorgsamer zu verhüten, beim Mädchen noch sorgfältiger als beim
Manne. Heine Mädrhen und reine Mütter müssen wir als Heiligstes
fordern, die ihre hohe und heilige Aufgabe in der Mutterschaft sehen.
Rom ging nicht durch seine Männer unter, sondern durch seine Frauen,
als Kaiserinnen (Mcssalincnl sich in IWdclle begaben. Die. Prostitution
müssen wir durch die junge Ein» bekämpfen. Der Naturtrieb ist noch
nicht unterdrückt worden. — Er soll auch nicht unterdrückt werden. In
einer Nachtagung am 11. Juni wurde die Erörterung fortgesetzt und
auf die Schutz mittel frage ausgedehnt.
Julian Markuse-München schlug eine Resolution vor, die eine
Abänderung des Gesetzes im Sinne der straflosen Ermöglichung der
Ankündigung von Schutzmitteln verlangt. Strafbar soll nur bleiben
diejenige Ankündigung unziiehligor (regenstände, die den Anstand grob¬
lieht verletzt oder öffentliches Ärgernis erregt.
Einige Forscher am pcrsönlichon Erscheinen verhindert — hatten
ihre Anschauungen gedruckt oing suitdt. Eisenstadt-Berlin führt auf
Enthaltung zurück: Neigung’ zur Schwindsucht, einfache Seelen-
störungen, StoffweclLselstöruugcn. S<h<ideiierschlaffung, Launen, Stim¬
mungen, Zwangsideen, Wunderlichkeiten. Als Gegenmittel schlägt er
vor: Zwang zur Frühohe. Ablehnung der „neuen Ethik“. Max Marcuse-
Berlin verwahrt sich gegen die Anschauung, als ob er auch nur in
zahlreichen Fällen zum Verkehre rate und empfiehlt die Belehrung über
die Schutzmittel als conditio sine qua non jeder systematischen geschlecht¬
lichen Aufklärung. II. von Müller versteht unter geschlechtlicher
Enthaltung die zeitweilige Enthaltung von derjenigen körperlichen Ge-
schlechtsbetätigung, die für den einzelnen Menschen die „adaequato“
Triebbefriedigung durstcllt, cs sei falsch einen Not-masturbanten für
nicht enthaltsam zu erklären. L. Löwcnfeld-Münehen nimmt seine
frühere Äußerung, daß es sich bei Menschen, die an Enthaltsamkeits-
Störungen leiden, stets um krankhafte Veranlagung handle, zurück,
rechnet die Notonanie zur Enthaltung, dagegen die häufige Onanie
nicht mehr. Je länger die verhältnismäßige Enthaltung dauere und
je seltener geschlechtliche Befriedigung statt finde, um so eher stellten
sich ungünstige Folgen ein. Beim weiblichen Gesehlechte werde die
dauernde Enthaltung zweifellos (!) von nicht wenigen ohne auffällige (!)
Gesundheitsstörungen ertragen. Zahlreich seien aber auch beiin weih-
liehen Gesehlechte die Fälle, in denen unter dein Einflüsse der Enthaltung
Gesundheitsstörungen eintreten. Ilnn mangle jedoch hinsichtlich des
weiblichen Geschlechts eigne größere Erfahrung und er habe daher
den Frauenarzt Ilofrat Th eil ha her uni Äußerung seiner Ansicht er¬
sucht. Theilhabc-r-München führt bei einer Minderzahl von Mäd¬
chen und Frauen auf die Enthaltung Ausfluß, Kreuz-, Leibschmerzen
zurück; Gesehwülsle komm ui häufiger vor bei Frauen, die nicht ge¬
bären als hei Müttern. Krebs der Gebärmutter ist bei Nichtmüttern
häufiger als bei Frauen die geboren haben, Krebs des Mutterhalses
bei Müttern häufiger als bei Nichtmüttern. Stillen wirke günstig auf
die Verhütung des Brustkrebses, wenn es nicht zur Brustdri'isenentzün-
düng führe. Sclbst-befleckung, Kreuz-, Leibschmerzon. Ausfluß finden
sieb häufig bei Frauen, in deren Ehe die „Potenz“ des Mannes beträcht¬
lich herabgesetzt ist. * * *
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1196
Referate und Besprechungen.
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Die Geschlechteleiden fanden auch auf der Ausstellung starke
Berücksichtigung. Modelle der Kasernierung nach Bremer System mit
dem Untersuchung«- und Baderaum, Lustseuchemoulagen, Statistiken über
die Sterblichkeit der Lustverseuchten, Nachbildungen von Dauertripper,
Weichschanker, Leistendrüseneiterungen, Schriften des Weißen Kreuzes,
ein Musterzimmer für polizeiärztliche Untersuchungen nach Drews-
Berlin, Tafeln über die Berliner Sittenpolizeikräfte, z. B. weibliche
Kräfte zur Rettung, (1 Ärztin, 8 Arzte, 181 Schutzmänner, 2 Kanzlisten),
Darstellungen über Affensyphilis, Abolitionistenschriften und -Tafeln
zum Beweis der Wertlosigkeit der Reglementierung, seien erwähnt.
Referate und Besprechungen.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
A. Cramer (Bonn), Die Ursache der Inkarzeration bei Retroflexio uteri
gravidi. (Miinchn. med. Wochenschr., S. 679, 1911.) Cr. weist darauf hin,
daß, falls bei Rückwärtslagerung der schwangeren Gebärmutter das kleine
Becken vom Uterus vollständig ausgefüllt ist, die Reposition dadurch un¬
möglich sein kann, daß der Uterus durch den Atmosphärendruck im Becken
festgehalten werden muß, ohne daß Adhäsionen den Uterus fixieren. Er
berechnet diesen Druck auf mehr als zwei Zentner. Repositionsversuche
müssen hierbei vergeblich sein, da der Uterus nur dann aus dem kleinen
Becken herausgehoben werden kann, wenn andere Baucheingeweide (Darm¬
sehlingen) an Stelle des Uterus in die Beckenhöhle treten; aus diesem
Grunde ist Seitenbauchlage, Bauchlage und Knieellenbogenlage zur Reposi¬
tion erforderlich.
Mißlingt die Reposition, so muß durch hintere Kolpokoeliotoinie oder
durch Laparotomie der Lufteintritt zwischen Uterus und Beckenwand zum
Ausgleich des Atmosphärendruckes herbeigeführt werden. Bei fixierter, nicht
reponibler Rückwärtslagerung ist die Laparotomie prophylaktisch vorzu-
riehmen. Frankenstein (Köln),
H. Schottmüller (Hamburg), Zur Ätiologie des Febris puerperalis und
Febris in puerperio. (Münchn. med. Wochenschr., S. 557, 1911.) Der gerade
auf diesem Gebiete verdienstvolle Bakteriologe unterbreitet in dieser Arbeit
das Resultat zweier Reihenuntersuchungen. Er konnte feststellen, daß in
gleicher Weise wie der Streptococcus erysipelatos auch der Streptococcus
putridus beim schweren Wochenbettfieber ätiologisch in Frage kommt.
Letzterer scheint besonders Salpingitis mit und ohne Douglasabszessen oder
Peritonitis und die thrombophlebitischen Formen der puerperalen Sepsis zu
erregen. Da der Str. putridus unbedingt als Eigenkeim der Vagina anzu¬
sehen ist, läßt sich die Möglichkeit der antagencn puerperalen Infektion
nicht von der Hand weisen. In einer zweiten Untersuchungsreihe konnte
Sch. feststellen, daß bei den leichten Fällen von Febris in puerperio der
Str. putridus eine hervorragende Rolle spielt. Warum derselbe Keim einmal
nur geringe Krankheitserscheinungen, ein anderes Mal ein schweres, ja töd¬
liches Wochenbettfieber hervorruft, entzieht sich bislang unserer Kenntnis.
Hier scheint die Lokalisation der Erreger (Ansiedlung im Zervix oder
Corpus uteri), die Virulenz und die Disposition des infizierten Individuums
eine Rolle zu spielen. Frankenstein (Köln)/
G. Schickele (Straßburg), Zur mikroskopischen Diagnose der abge¬
laufenen Schwangerschaft. (Archiv für Gyn., Bd. 94, H. 1, 1911.) Während
cs (mitunter zahlreichster Schnitte der ausgeschabten Stückchen bedurfte, um
die allein für dagewesene Schwangerschaft maßgebenden Chorionzotten zu
finden, genügt nach den Untersuchungen von Sch. ein Schnitt, sofern er
nur der Plazentarstelle angehört, um die für Schwangerschaft charakteristi¬
schen hyalin entarteten Blutgefäße — besonders Arterien, mit in der
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1197
hyalin gewordenen Wand eingelagerten Ektodermzel len nachzuweisen.
Verwechselung mit Menstruationsbildern — wo sich auch eine, aber sehr
geringe, hyaline Degeneration mancher Gefäße findet, ist unmöglich, da
diesen Gefäßen niemals Ektodermzellen eingelagert sind. Auch kann man
bei den Graviditätsgefäßen vollständigen oder teil weisen Mangel von elasti¬
schem Gewebe feststellen. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
V. Rubeska, Epilepsie und Gravidität. (Casopis lökarüv ceskych, Nr. 8,
1911.) Auf Grund eines Materials von 17 Fällen von Epilepsie (unter 20065
Geburten) widerlegt R. die Ansicht, daß die Ehe oder die Gravidität eine
Besserung der Epilepsie herbeiführe; nur in einem Drittel seiner Fälle nahm
die Zahl der Krampfanfälle ab, in mehr als einem Drittel nahm dieselbe zu
und in den restlichen Fällen blieb sie unverändert. Die Geburt selbst ver¬
läuft gewöhnlich ohne Anfall; aber schon während der ersten Tage des
Wochenbetts kehren die Krämpfe wieder und nach dem Wochenbett ist der¬
selbe Zustand wie vor der Schwangerschaft vorhanden oder er ist noch
schlechter als vordem. Während der Gravidität besteht gewöhnlich keine
Indikation zur geburtshilflichen Therapie, speziell zum künstlichen Abortus.
Nur wenn sich die Krampfanfälle zu sehr häufen oder in den Status epilep-
tieus übergehen, muß der Uterus in Chloroformnarkose ausgeräumt werden.
Bei uneröffnetem Muttermund empfiehlt sich der vaginale oder abdominale
Kaiserschnitt, durch den eine lebensfähige Frucht eventuell gerettet werden
kann. G. Mühlstein (Prag).
G. Guelpa und P. Maria, La lutte contre Epilepsie par la d€sintoxica-
tion et par la relducation alimentaire. (Bull, gener. de ther., Nr. 16, 1910.)
Die Verf. kommen zu folgenden Schlüssen: Die durch eine reduzierte vege¬
tarische Ernährung vervollständigte Desintoxikationskur vermindert die epi¬
leptischen Anfälle. Sie modifiziert ganz besonders in glücklicher Weise
die post kritische Phase, indem sie fortschreitend die Dämmerzustände und
das Delirium, der deutlichste Ausdruck für die Schwere des Leidens, ver¬
mindert. In den krisenfreien Intervallen wird die Auffassung eine bessere,
die Physiognomie intelligenter, der Charakter lenksamer, mit einer geringeren
Neigung zu impulsiven Reaktionen, der Habitus epilepticus verwischt sich
mehr. Dieser gute Erfolg geht Hand in Hand mit einer gewissen Abmage¬
rung: eine notwendige Bedingung. Das vegetarische Regime allein ohne
alimentäre Restriktion, hat nicht gerade ermutigende Resultate ergeben. Man
kann in Spitälern usw. diese Kur nur dann durchführen, wenn eigene Ab¬
teilungen hierfür errichtet. Die akute Epilepsie, die Eklampsie der Schwan¬
geren und der Kinder wird ganz rapid beseitigt durch diese Kur.
Es ist ein Irrtum, die Epilepsie auf Schwäche zurückzuführen und
infolgedessen überzuernähren. Vielmehr sind die Epileptiker durchweg zu
gut genährt; eine gut geregelte Reduktion, namentlich purinbildende Nah¬
rungsmittel können sogar zu einer Heilung führen. Die übliche Brommedika¬
tion usw. modifiziert nur die Krisen, weil sie die Sensibilität des Nerven¬
systems infolge der Intoxikation verwischt, und infolgedessen die Reaktions¬
fähigkeit vermindert. Die Heilung der Epilepsie ist kein Problem der Medi¬
kation, sondern eine Frage der hereditären Propylaxe (Syphilis, Alkoholis¬
mus) und besonders einer alimentären Erziehung, v. Schnizer (Höxter).
Lawatschek (Prag), Ein Fall von Hämotomyelie mit kompletter Lei¬
tungsunterbrechung bei einem Neugeborenen mit viermonatlicher Lebens¬
dauer. (Archiv für Kinderheilk., Bd. 56, H. 1—3.) Das Geburtstrauma ist
nicht als das einzige ätiologische Moment für die während der Geburt ent¬
stehenden Blutungen in die Nervenzentra anzusehen. Meningeale und zen¬
trale Apoplexien hängen oft auch mit Veränderungen des Kreislaufes zu¬
sammen. Bei Asphyxie oder Unreife der Kinder genügt ungeschicktes An¬
fassen und Heben, um derartige Blutungen herbeizuführen. L. teilt einen
Fall von Blutungen ins Rückenmark mit, der komplette Leitungsunterbre-
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Referate und Besprechungen.
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T1Ü8
chuiig verursachte, und erst 4 Monate nach der Geburt zum Tode führte.
In seinem Fall war die Geburt durch Wendung und Extraktion erfolgt.
Reiß (München).
Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden.
P. Steffens (Freiburg i/Br.. Über Anionenbehandlung. (Hier. Monats¬
heft., Mai 1911.) Unter Anionenbchandlung versteht St. die Verwendung
hochgespannter, negativ-elektrisch er Ausstrahlungen, die von dem negativen
Pole eines Induktoriunis abgeleitet und durch eine geeignete Vorrichtung
therapeutisch verwendet werden. Diese in ihrem Charakter den \on den
radioaktiven Stoffen ausgehenden, ebenfalls negativ elektrischen ß-Strahlen
analogen Ausstrahlungen finden ihre therapeutische Verwendung entweder
in der Form des „elektrischen Windes“ bei Gebrauch der Spitzenclektrode
oder als „Funkenbehandlung“ vermittels der Kondensatorelektrode. St. hat
diese Methode bei einer Reihe von Erkrankungen erprobt, die einerseits
auf einer gichtisch-rheumatischen Disposition, anderseits auf einer Störung
des vasomotorischen Systems beruhen. Es sind dieselben Krankheitsgruppen,
hei welchen der Gebrauch der Wildbäder und anderer radioaktiver Heil-
faktoren von Nutzen ist. Das beruht eben auf einer Verwandtschaft der
negativen Ionen einerseits, der radioaktiven ß-Strahlen anderseits. S. Leo.
A. v. Planta (St. Moritz), Die exsudative Diathese und das hochalpine
Gebirgsklima. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte., Nr. 13, 1911.) Die
Beobachtung, daß chronische Ekzeme, Bronchitis und Asthma oft Zusammen¬
gehen bzw. abwechseln, hat zu der Aufstellung der „exsudativen Diathese“,
die beide Zustände umfaßt, geführt. Neuerdings hat. man nun beobachtet,
daß bei dieser Diathese eine Vermehrung der eosinophilen Leukozyten die
Regel ist, die auch im asthmatischen Sputum auftreten und das Material
sein sollen, aus denen sich die Ghareot-Leydensclien Krystallc bilden, und
eine „eosinophile Diathese“ aufgestellt, die also ein Synonym der exsuda¬
tiven zu sein scheint. Diese Beobachtung, zusummengehalten mit der Er¬
fahrung, daß das Gebirgsklima eine starke Einwirkung auf die Beschaffen¬
heit des Blutes hat, ist insofern interessant, als sie für die günstige Beein¬
flussung der exsudativen Diathese durch dieses Klima das Verständnis er¬
öffnet.
Planta hat zahlreiche derartige Fälle in St. Moritz behandelt, bei
denen zum Asthma zeitweise hartnäckige Ekzeme oder Urtikaria hinzu¬
traten. Diese Fälle wurden durch das Gebirgsklima günstig beeinflußt,
die Asthmaanfälle und Bronchitiden rasch, die Hauterscheinungen langsamer,
doch ist zur dauernden Besserung ein längerer Aufenthalt, ein Jahr, not¬
wendig; wiederholte kurze Kuren sind weit weniger wirksam, da der Ein¬
fluß späterer Küren geringer zu sein scheint als der erste re. Besonders nütz¬
lich erweist sich dabei der Wintersport.
Interessant ist auch die Mitteilung, daß bei im Hochgebirge aufge¬
wachsenen Kindern die exsudative Diathese auch vorkommt, die asthma¬
tischen Erscheinungen sich aber erst zu zeigen pflegen, wenn die Betreffen¬
den ihren Aufenthaltsort nach dem Tiefland verlegen. Fr. von den Velden.
A. Döderlein (München), Tagesfragen, über Röntgentherapie. (Monats¬
schrift für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33, S. 413.) Im Anschlüsse an die Mono¬
graphie von Reifferscheid „Die Röntgentherapie in der Gynäkologie“
gibt D. seine Ansichten über dieses Kapitel wieder. Zunächst bespricht er
die bei. Myomen erzielten Erfolge, bei denen die Auswahl der geeigneten
Fälle von eminentem Werte ist. Große Dienste leistete ihm die Röntgen¬
therapie bei klimakterischen Blutungen. Günstige Erfahrungen machte er
mit dieser Behandlung bei Dysmenorrhöe und Pruritus vulvae. In ge¬
eigneten Fällen wäre auch die Aborteinleitung mittels Röntgenstrahlen zu
versuchen, obgleich der Erfolg hier bisweilen ausbleibt. Frankenstein (Köln).
M. Mönard (Paris), Radioskopie und Frühdiagnose der Lungentuberku¬
lose. (Bullet. iued., Supplement Nr. 6, 1911.) Auf Grund von mehr als 1000
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Referat« und Besprechungen.
im
Durchleuchtungen und Aufnahmen kommt der Chef des Radiologischen
Instituts im Höpital Cochiu zu dem Resultat: die Röntgenstrahlen nützen
für die Frühdiagnose einer tuberkulösen Spitzenerkrankung nichts.
Buttersack (Berlin).
Schlesischer Bädertag 1910. (Med. Blätter, Nr. 7, 1911.) Ho eck (Bad
Flinsberg), sprach über Brunnen- und Bäderzusütze. Zusätze zum Brunnen¬
wasser sind im allgemeinen nicht zu empfehlen, namentlich Sahne und Milch
werden besser gesondert genossen. Zur Molke kann man kohlensäurehaltige
Wässer zusetzen, da sie in dieser Form leichter verträglich sind. Bezüglich
der eisenhaltigen Mineralwässer sind gerbsäurehaltige Extraktzusätze zu ver¬
meiden. St and fuß (Reinerz \ sprach über Sclilaehthofanlagen in Bade¬
orten, hygienisch einwandfreies Fleisch kann nur im Schlachthaus gewonnen
werden. Anlagen dieser Art für kleinere und mittlere Orte sind nicht allzu
kostspielig und für 20- bis 7UUOO Mark zu errichten, deren Verzinsung und
Amortisation durch die Sehlachtgebühren aufzubringen ist. Sieb eit (Flins-
berg) fordert zur Vermeidung der Übertragung von Krankheiten in jedem
Kurort ein eigenes Krankenhaus, Wagner (Salzbrunn) Spueknäpfe mit
Wasserspülung. Adam (Flinsberg) schildert die günstige Einwirkung
der Moorbäder auf urticaria. Determayer (Salzbrunn) stellt fest, daß
bei Diebstahl eine Haftpflicht dos Hausbesitzers für Verluste seiner Gäste
besteht, nicht aber bei Feuer, da hier der Einwand der höheren Gewalt er¬
hoben werden kann. S. Leo.
Allgemeines.
Fuchs (Tübingen). Wohnungsfrage und Staat. (Med. Blätter, Nr. 17,
1911.) Je größer die. unbebaute Fläche einer Großstadt ist, desto geringer ist
die Tuberkulosesterblichkeit. Tn London beträgt die unbebaute Fläche 14%,
in Berlin 10%, in Paris 5,1%, und 'die Tuberkulosesterblichkeit beträgt im
umgekehrten Verhältnis in London 1,9%, in Berlin 2,2% und in Paris 4,5%.
In Berlin kommen auf Wohnungen mit nur 1 Zimmer 13 Todesfälle an
Tuberkulose auf loooi), mit 2 Zimmern 14. mit mehr Zimmern 4 bis 5 auf
10000. Die Tuberkulosesterblichkeit ist um so größer, je dichter die Woh¬
nungen bewohnt werden. Dasselbe ergibt sich bezüglich des Zusammenhanges
mit der Kindersterblichkeit und dem Alkohol isimis. Einmal treibt das
Wohnungselend den Mann ins Wirtshaus, und dann läßt der infolge der
Wohnungs- und Lebensverhältnisse gesteigerte Alkoholgenuß es zu keinem
wahrhaften Ruhe- und Erholungstag kommen. Ferner wird durch die Ge¬
drängtheit des Wohnens, die ungenügenden Schlafräume, die Unmöglichkeit
der Trennung der Geschlechter die Sittlichkeit gefährdet. Die Folgen sind dei
zunehmende Kriminalität, namentlich der Jugendlichen, die Auflösung der
Familien und die Abnahme der Fruchtbarkeit. Diese isf in Deutschland
und besonders in Berlin erschreckend gewachsen. Der Neomalthusianismus
rückt das Gespenst französischer Zustände vor Augen. Unter dem Wohnungs-
clcnd wird der Kindersegen zum Fluch. Es ist daher durchaus berechtigt,
die Förderung eines Existenzminimums der Wohnungshaltung der Bevölke¬
rung aufzustellen, cl. h. drei geschlossene Wohnräume für eine Arbeiter¬
familie. Der großstädtische Arbeiter, der wie ein Nomade von Wohnung zu
Wohnung gehetzt wird, kennt kein Heim; wie aber soll Kultur gedeihen,
wenn die breite Masse des Volkes kein Heim hat. Wir dürfen über unsere
großen künstlerischen Fortschritte die soziale Seite nicht vergessen und
müssen uns hüten, daß die künstlerische Kultur zu einem Ästhetentum
einer kleinen oberen Schicht des Volkes führt. Der Staat hat ein Interesse,
das auch hier ein sozialer Ausgleich stattfindet. In den Großstädten ist
die Militärtauglichkeit am geringsten und die Abnahme am stärksten. Es
betrug die Tauglichkeit der in Berlin Geborenen 1907 38%, 1908 34% gegen¬
über 60 bzw. 59° o in der Gesamtheit der Städte über 50000 Einwohner.
S. Leo.
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Referate und Besprechungen.
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G. Lomer, Ober die Selbstmorde in Deutschland. (Polit.-anthropol.
Revue, Jahrg. 10, Nr. 3, 1911.) Da nachges*wiesen ist, daß mit einer Ver¬
mehrung der Selbstmorde eine relative Verminderung der gewöhnlichen Ver¬
brechen Hand in Hand geht, so kann man diese Erscheinung als eine gegen
die eigene Person gerichtete Kriminalität, als eine sozial gerichtete Krimi¬
nalität auffassen. (Diese Auffassung hat sicher nicht für alle Fälle Be¬
rechtigung. Anm. d. Ref.) Ein Alkoholiker, ein schwer geisteskranker
Melancholiker leg’t Hand an sich; es ist eine Art Selbsthilfe der Natur, die
sich des unsozialen Schädlings entledigt. Der Selbstmord steht ferner im
Verhältnis zur Zunahme der Zivilisation, mit ihrem immens gesteigerten
Konkurrenzkampf, mit ihren zahlreichen Unausgeglichenheiten im Beruf, Er¬
ziehung und Entwicklung der Individuen ; zugleich im Verhältnis zur Abnahme
der Analphabeten. In Deutschland sind verzeichnet 1895 — 10510 Selbstmorde
1900 = 11393, 1905 = 12810, 1906 = 12495, 1907 = 12077, 1908 = 13765
Selbstmorde. Berechnet man die Verhältnisziffer, so ergeben sich 1895 = 2,02
Selbstmorde auf 10000 Menschen, 1900 = 2,03, 1905 = 2,13, 1906 = 2,4,
1907 = 2,06, 1908 = 2', 19 auf 10000 Menschen. Im ganzen ist also eine ge¬
wisse, wenn auch geringe relative Zunahme iin Laufe der letzten Jahr¬
zehnte nachweisbar. Auf die einzelnen Bundesstaaten verteilt, fällt, auf,
daß die süddeutschen Staaten im Ganzen eine geringere Selbstmordziffer
haben, als der Norden. Württemberg, Bayern, Elsaß stehen unten, während
Norddeutschland und die mitteldeutschen Staaten weit höhere Ziffern auf-
weisen. Am meisten fällt das auf bei den Hansastädten, bei Thüringen
und bei Sachsen, also gerade bei den Bundesteilen, die vorzugsweise Handel
und Industrie treiben. Das im ganzen mehr agrarische Preußen, wie die
beiden Mecklenburg stellen keine so hohen Kontingente zu den Selbstmördern.
S. Leo.
Loys Materna (Graz), Über die Beziehungen des äußeren Anblickes zu
den in der Leiche zu erwartenden Veränderungen. (Reichs -Med.-Anz., Nr. 9,
1911.) Es kann als feststehend betrachtet werden, daß die sehr bald nach
dem Tode auftretenden Diffusionsleichenflecken und die blutige Imbibition
der Gewebe im Innern des Körpers einen Schluß erlauben auf Sepsis, ver¬
ursacht durch hochvirulente, hämolytische Streptokokken. Wesentlich ist
die kurze Zeitdauer nach dem Tode für diese Deutung. Denn auch die
Fäulnis führt endlich zur Hämolyse und zu gleichen Veränderungen das
erst viel später und dann mit deutlichen Fäulnisveränderungen zusammen;
auch ist bei ihr die Imbibition mehr schmutzig-rötlich im Vergleich zur
intensiven Weichsel- bis Purpurrot-Färbung bei der Streptokokkenhämolyse.
Dies ist sehr wichtig, weil diese Infektionen mit stets höchst virulenten
Streptokokken so stürmisch und rasch verlaufen können, daß oft während
des Lebens keine Diagnose gestellt werden kann und es eher zum Tod kommt
als sich Veränderungen ausbilden können, die wenigstens die anatomische
Diagnose gestatteten. — Während den Kinderärzten der äußere Habitus des
Lymphatikers seit langem bekannt ist (gedunsene blasse Haut bei scheinbar
> gutem Ernährungszustand), mangelt es bei Erwachsenen an solchen Zeichen.
Neusser gibt neuerdings folgende an: im Gebiete des Skeletts Hochwuchs,
ja Riesenwuchs bei grazilem Knochenbau und Offenbleiben der Epiphysen¬
fugen, pastöses, anämisches Aussehen, Umkehrung der sekundären Ge¬
schlechtscharaktere, so daß wir beim Manne hohe Stimme, weibliche Kon¬
figuration der fettreichen Extremitäten, Kubitus valgus, Erweiterung des
Beckenquerdurchmessers, kleine Prostata, Gynäkomastie, beim Weibe aber
lange Beine, verengtes Becken, männliche Genitalbeharrung, hypoplastischen
Uterus finden. Bei Häufung solcher äußerer Merkmale wird man in Zukunft
bei Narkosen und operativen Eingriffen vorsichtig sein müssen, da eine
solche Konstitution leichte Infizierbarkeit bedingt. S. Leo.
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911
?ort$cbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
hertuBgeKeheo von
Professor Dr. fl. Köster Prio.'Doz. Dr. o. Criegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung. Dr. Rigler in Darmstadt.
Nr. 51.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
lür das Halbjahr. 21. DCZbf.
■ Verlag von Georg Thieme, Leipzig. ... =
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
Von Dr. med. Wilhelm Sternberg, Spezialarzt für Ernährungstherapie in Berlin.
Bereich und Verhältnis der inneren Medizin zur äußeren haben sich
in letzter Zeit förmlich umgewandelt Ehedem stellte Celsus 1 ) die Ver¬
treter der Diätetik noch über die aller anderen Heilmethoden. Der innere
Arzt, der „medicua“, war dem „ Wundarzt“ lange Zeit in jeder Beziehung
weit überlegen, wie dies Niebergall 2 ) und König 3 ) anschaulich erläutern.
Heute hat sich das Verhältnis umgekehrt. Denn man beginnt bereits,
die Behandlung innerer Krankheiten, wie die des Morbus 4 ) Basedowii,
der chronischen Nephritis, des Ulcus ventriculi, der Obstipation [W.
Arbuthnot Lane*), Prof. Rudolf Goehell-Kiel] ft ) u. a. m. der
Chirurgie auszuliefern. Sogar die Fettleibigkeit behandelt C. Schulz 7 )
operativ. Und Erich Ebstein 8 ) liefert einen Beitrag zur chirurgischen
und diätetischen Behandlung der Fettleibigkeit. Man spricht im all¬
gemeinen schon geradezu von „chirurgischen Krankheiten“ [Müller 2 ]), wie
„chirurgischen Infektionskrankheiten“ [Kocher und Tavel] 10 ), „chirur¬
gischer Tuberkulose“ [Bergmann 11 ), Bircher-Arau 12 ), Sikemeier 18 ),
*) „Conspeetus historiae medicinae“.
2 ) Generalarzt Niebergall, „Der Feldscherer und der Chirurgus von den
fridericianischen Zeiten bis zum Ende der Befreiungskriege“. Deutsche militärärztl.
Zeitschr., 1908, H. ‘20, S. 854.
®) König, „Der Chirurg und sein Schutzbefohlener“. Festrede, 2. 12. 1901.
*) Dr. P. Sudek, „Über die chirurgische Behandlung des Morbus Basedowii“.
Münchn. med. Wochenschr., 18. 4. 1911, 8. 837.
6 ) W. Arbuthnot Laue, „Die Erfolge der operativen Behandlung der chro¬
nischen Verstopfung“. Brit. med. Journ., 18 1. 1908.
6 ) Prof. Rudolf Goe bell (Kiel), „Zur chirurgischen Therapie der Obstipation“.
Med. Klinik, 1910, Nr. 45.
7 ) C. Schulz, „Eine operative Behandlung der Fettleibigkeit“. Mitteilungen
der Grenzgebiete, Bd. 18, 1908.
b ) Erich Ebstein, „Zur chirurgischen und diätetischen Behandlung der
Fettleibigkeit“. Zeitschr. für physikal. u. diät. Therapie, 1910, Bd. 14, S. 423.
°) W alter Müller (Altona), „Viskosität des menschlichen Blutes mit be¬
sonderer Berücksichtigung des Verhaltens bei chirurgischen Krankheiten“. Mit¬
teilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie, Bd. 21, H. 3.
10 ) „Vorlesungen über chirurgische Infektionskrankheiten“ von Kocher und
Tavel. Jena 1909.
n l „Die chirurgische Tuberkulose“. 1891.
12 ) Dr. Eugen Bircher-Arau, „Die Behandlung der chirurgischen Tuber¬
kulose mittels Sera“. Med. Klinik, 18. 7. 1909, Nr. 29.
13 ) „Die Behandlung der chirurgischen Tuberkulose mit Marmorekserum“.
Med. Klinik, 11. 7. 1909, Nr. 28.
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Wilhelm Sternberg,
Chlumsky 1 ), Rollier-Leysin 2 )], „chirurgischen Magenkrankheiten“
[Schmieden und Härtel] 3 ), „chirurgischen Formen der Magentuber¬
kulose“ [Leriche und Moriguand] 4 ), „chirurgischen Krankheiten der
Brust“ [Beck] 6 ), „chirurgischen Pankreaserkrankungen“ [Alb ul 8 ),
„chirurgischen Krankheiten des Schädels und Gesichtes“ [K. Ewald] 7 ),
„chirurgischen Nierenkrankheiten“ [C. Adrian] 8 ), „chirurgischer Stuhl¬
verstopfung“ [G. Gant] u ) u. s. f. Die Krankenpflege in der Chirurgie,
wie sie Laan 10 ) gibt und Blumberg 11 ) und die chirurgische Hygiene
sind besondere Spezialgebiete. Die Möglichkeit für dieses außerordent¬
liche Zurückdrängen der inneren Therapie durch die äußere, das obendrein
in so kurzer Zeit erfolgte, hat zwei Gründe.
Erstlich hat die Technik der diätetischen Therapie mit der Ent¬
wicklung der Technik in der chirurgischen Therapie nicht gleichen
Schritt gehalten. Sodann vernachlässigt die innere Medizin, zumal die
Diätotherapie, bis auf den heutigen Tag noch die subjektiven Gemein¬
gefühle, während die äußere Medizin diese neben den objektiven Symp¬
tomen schon längst gleichfalls berücksichtigt und sogar mit größtem
Erfolg therapeutisch beeinflußt.
Was zunächst die Technik betrifft, so ist die Technik der Chirurgie
heute aufs höchste vervollkommnet. Dementsprechend sind es neben
neuen Untersuchungsmethoden neue Instrumente und neue Apparate,
welche die Neuzeit in der Chirurgie einleiten. Ebenso ist dies der Fall
in der Gynäkologie. Die moderne Technik der Chirurgie und chirurgisch
vorgebildeter Frauenärzte ist es, welche die Gynäkologie, wie Freund 12 )
dies schildert, so außerordentlich gefördert hat.
Demgegenüber hat sich aber gerade die Technik derjenigen inneren
Therapie, welche für alle Krankheiten gleichermaßen in Betracht kommt,
vom Anfang bis zur Genesung, weniger entwickelt, wie ich 18 ) dies
wiederholt beklagt habe. Das ist die Technik der diätetischen Therapie.
Eine Disziplin der inneren Medizin ist es freilich, deren Technik
schon so vervollkommnet ist, daß sie mit der chirurgischen wetteifern
könnte. Das ist die physikalische Therapie.
So erklärt sich die seltsame Erscheinung, daß die physikalische
Therapie die diätetische fast in sich hat aufnehmen können.
x ) „Behandlung der chirurgischen Tuberkulose“. Casop. 14k. cesk., 1910, Nr. 3.
2 ) Rollier-Leysin, „Die Sonnenbehandlung der chirurgischen Tuberkulose“.
Wiener klin.-therap. Wochenschr., 1909, Nr. 48.
3 ) „Röntgen-Untersuchungen chirurgischer Magenkrankheiten“. Berliner klin.
Wochenschr., 1909, Nr. 15-17.
4 ) „Die chirurgischen Formen der Magentuberkulose“. Leipzig 1909. Volk-
mann’s Sammlung, Nr. 545/546.
Ä ) Carl Beck (Newyork), „Die chirurgischen Krankheiten der Brust und
ihre Behandlung“. Übersetzt von Dr. Schröder. Berlin 1910.
®) Albu’s Sammlung, 1911, Bd. 3, H. 1.
7 ) „Chirurgische Krankheiten des Schädels und Gesichtes“. Wiener klin.
Rundschau, 1910, Nr. 1—4,
8 ) C. Adrian (Straßburg), „Bedeutung der Blutdruckmessung für Diagnose
und Prognose chirurgischer Nierenkrankheiten“. Zeitschr. für Urol., 1910, Bd. 4, H. 5.
®) Samuel G. Gant, „Ätiologie der mechanischen oder chirurgischen Stuhl-
verstopfuug“. The Post-Graduate, vol. 23, Nr. 3, S. 202-216, März 1908.
io ) „Die Krankenpflege in der Chirurgie“. 1909.
X1 ) John Bl u mb erg, „Leitfaden für die chirurgische KrankenpflegeV
Wiesbaden 1911.
,a ) Therapie der Gegenwart. Januar 1909.
1S ) „Stoffwechsel, Verdauung und Ernährung.“ Zentralbl. für die ges. Phys.
u. Path. des Stoffwechsels, 1909, Nr. 16, S. 616. — „Ernährungslehre und Ernährungs¬
technik.“ Zeitschr. für phys. u. diät. Therapie, 1909.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1203
Trotz der praktisch überwiegenden Bedeutung gilt nämlich die diätetische
Behandlung heilte kaum mehr als selbständige Therapie. Merkwürdiger¬
weise wird sie sogar gemeinsam mit der physikalischen Therapie abge¬
handelt. So kommt es, daß in der Sammlung 1 ) „Physikalische Therapie
in Einzeldarstellungen“ auch die diätetische Therapie untergebracht
werden konnte, die diätetische Therapie vollends bei nicht weniger als vier
verschiedenen Gelegenheiten, die sich auf Stoffwechsel und Ernährung
beziehen: die diätetische Therapie der Gicht [Munter] 3 ), der Zucker¬
krankheit [Munter] 3 », auch die der Fettsucht [Strasser] 4 ), selbst die
Grundzüge der Ernährungstherapie [Albu] 6 ). Ebenso wie in dieser
Sammlung „Physikalische Therapie“ ist die Behandlung der Fettsucht
ein zweites Mal im Handbuch der physikalischen Therapie von Gold¬
scheider und Jacob durch Weintraud*) bearbeitet worden. Und doch
gehört, streng logisch genommen, nichts weniger zusammen, als die
physikalische un i diätetische Therapie.
Wohl findet die mechanische Behandlung auch für Entfettungs¬
kuren ihre wirksame Anwendung. Allein die physikalische Therapie
reicht für aussichtsvolle Diätkuren von Fettsüchtigen doch nicht aus.
Das erste Prinzip der Mechanotherapie, die körperliche Arbeitsleistung,
ist für Fettleibige gewiß nicht ohne therapeutische Bedeutung. Was
man jedoch in Zukunft nicht fortfahren darf zu vergessen, das ist die
Tatsache: Ihre Wirkung ist zumeist eine höchst unerwünschte für Fett-
süchtige. Denn Arbeit macht Appetit, wie ich 7 ) hervorhebe, und sogar
Hunger. Daher hat die Militärküche für die gesunde Elite leichtere
Aufgaben als die Krankenhausküche für appetitlose Bettlägerige. Um
so bemerkenswerter ist die von mir 8 ) bewiesene Tatsache, daß dennoch
für die Militärküche besser gesorgt wird als für die Krankenhausküche.
Arbeitsleistung erregt also zwei verschiedene Gemeingefühle der Ernährung.
Diese sind aber beide für Entfettungskuren nicht willkommen. Die Arbeit
ist als heilsames Prinzip vielmehr für die der Fettleibigkeit diametral ent¬
gegengesetzten Krankheitsfälle, nämlich für die Appetitlosigkeit, erfolg¬
reich seit jeher angewandt worden. Den Einfluß von mechanischer
Arbeit auf Appetit und Hunger, der seit jeher in Laienkreisen bekannt
ist, hat die moderne Therapie nahezu übersehen. Ohnehin sind die sub¬
jektiven Gemeingefiihle der Ernährung in den Wissenschaften der
Physiologie und Psychologie bisher ganz vernachlässigt geblieben.
Daher wäre die diätetische Behandlung weit eher der Psycho¬
therapie als der physikalischen Therapie zuzuzählen. Denn in Wirk¬
lichkeit handelt es sich bei der Ernährung um viele psychische Faktoren
von hoher Bedeutung. „Wie enge der psychische Zustand mit dem Ver¬
halten der Ernährung zusammenhängt“, sagt Fr. Müller, 9 ) „geht nicht
nur daraus hervor, daß nervöse Individuen während der Perioden der
Depression fast regelmäßig an Gewicht verlieren, sondern daß wir auch
l ) Herausgegeben von Julian Marcuse u. A. Strasser.
-) 13. Heft „Physikal. u. diät. Therapie der Gicht“.
8 ) 14. Heft „Physikal. u. diät. Therapie der Zuckerharnruhr“.
4 ) 16. Heft „Physikal. Therapie der Fettsucht“.
5 ) 26. Heft „Grundzüge der Ernährungstherapie“.
6 ) „Physikal. Therapie der Fettsucht.“
7 ) „Die physiologische Grundlage des Hungergefühls“. Zeitschr. für Sinnes-
physiol., 1911, Bd. 45, S. 75.
8 ) „Die Küche in Massenverpflegungsanstalten für Kranke und für Gesunde“.
Zeitschr. für Hygiene u. Infektionskrankh. 1911.
°) Leyden’s Handbuch der Ernährungstherapie, 1903, Bd. 1, S. 194.
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Wilhelm Sternberg,
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in der forcierten Ernährung ein Mittel besitzen, um den Gemütszustand
günstig zu beeinflussen“. Die Aufgaben der Küche sind, wie bereits 1 )
bemerkt, sogar so innig mit der Beeinflussung der Psyche verknüpft,
daß der, welcher die vermeintlich im höchsten Maße prosaische Wissen¬
schaft der Küche schaffen will, dies gar nicht anders beginnen kann,
als daß er die Psychologie der Ernährung begründet. Tatsächlich hält
sich aber die psychische Behandlung der Kranken, wie sie erst jüngst
von Kern 2 ) und Löw r enfeld dargestellt wurde, von der angewandten
Diätetik wie von einem vollkommen fremden Gebiet durchaus fern.
Die Vernachlässigung dieser praktisch äußerst wichtigen Momente
aus der Psychologie der Ernährung über der einseitigen Beschränkung
auf den objektiven Wert ist zugleich der Grund für die Tatsache, daß
die bisher übliche Bewertung der Nahrung in den Wissenschaften bloß
eine einseitige geblieben ist. Sie hat das Zurücktreten der Ernährungs-
Therapie verschuldet und die Überschätzung der allgemein chemischen
Betrachtungsweise. Die Ernährungs-Therapie ist schon nichts weiter
mehr als die Magd der Chemie. Demzufolge handelt man die Fettsucht
auch in chemischen Werken ab. G. v. Bergmann 8 ) erörtert die Fettsucht
im Handbuch für Biochemie. Gibt es ja auch überhaupt noch keine eigene
Wissenschaft der angewandten Diätetik nach Art etwa der angewandten
Anatomie 4 ), der angewandten Chemie. 5 ) So kommt es, daß man
sich, nach wie vor, bloß auf die allgemeine Diätetik beschränkt. Noch
nicht einmal der Unterschied von Diät und Küche wird in der Er¬
nährungstherapie scharf genug erkannt. In Wirklichkeit bildet aber die
Diät bloß die Theorie und die Basis. Die Küche ist ihre Anwendung
für die Praxis. Die Diät behandelt bloß die objektiven Faktoren,
während die Küche die subjektiven Gemeingefühle zu beeinflussen sucht.
Die Diät beschränkt ihre Betrachtungen auf den Nahrungs-Bedarf. Die
Küche dehnt ihr Gebiet auf das Nahrungs-Bedürfnis aus. So kommt
es, daß die Küche die Eigenschaften in der Nahrung bevorzugt, die
Diät aber die entfernteren Wirkungen. Die Gegensätze von Diät und
Küche setze ich 8 ) in meiner Schrift „Diät und Küche“ eingehend aus¬
einander. Indem man die Trennung von Eigenschaften und Wirkungen
in der Technik und in der Wissenschaft der Ernährung bisher nicht
scharf genug vorgenommen hatte, gelangte man zu den irrigsten Schlu߬
folgerungen über Genuß und Genußmittel.
Am meisten machen sich die beiden Gegensätze von Diät und
Küche bei der Entfettung geltend. Der eine Gegensatz zeigt sich in der
Verschiedenheit der Bewertung des subjektiven Faktors der Ernährung
gegenüber dem objektiven. Der zweite Gegensatz liegt in der abweichen¬
den Anerkennung der chemischen bzw. physikalischen Gesichtspunkte.
*) „Die Küche in der modernen Heilanstalt*, S. 73. Stuttgart 1909. F. Enke.
2 ) Berthold Kern, Die psychische Krankenbehandlung in ihren wissenschaft¬
lichen Grundlagen. Berlin 1910, A. Hirschwald. Vortrag, gehalten im Verein für
innere Medizin, Berlin 15. 11. 1909.
3 ) G. v. Bergmann, „Fettsucht“ im Handbuch der Biochemie des Menschen
und der Tiere, 1908, Bd. 4, S. 208-237.
4 ) O. Schultze, „Atlas und Grundriß der topographischen und angewandten
Anatomie“. München 1909. 2. Aufl.
6 ) Zeitschr. für angewandte Chemie, 1910, 23. Jahrg. und Zentralbl. für tech¬
nische Chemie.
6 ) Würzburg 1911.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1205
Die bisherigen Entfettungskuren fußen auf der theoretischen Diät,
welche bisher ausschließlich in der Medizin Beachtung findet. Spricht
ja H. Lüthje 1 ) geradezu von „Entfettungsdiät“ ersten, zweiten, dritten
Grades, ebenso Off er 2 ) von der „Diät der Fettleibigkeit“. Diese reinen
Diätkuren beschränken sich auf den objektiven Faktor. Das ist der
Nährwert und Brennwert. Ich ziehe zum ersten Mal auch die Küche
und ihre Aufgaben zu Rate, welche in den medizinischen Wissenschaften
bisher übergangen sind, und gelange so zu einer neuen Entfettungskur.
Diese berücksichtigt das subjektive Moment ebenfalls. Das ist das
Sättigungsgefühl.
Nährwert und Sättigungswert sind durchaus nicht etwa kongruent,
oder gar identisch, wie in den theoretischen Wissenschaften immer noch
angenommen wird. Denn es gibt auch Zubereitungen und Speisen,
welche, ohne zu nähren, doch sättigen. Das ist eine Tatsache, welche
in der theoretischen Wissenschaft der Diät noch nicht allgemein bekannt,
geschweige denn systematisch verwertet ist. Nicht einmal in seinen
„Grundzügen der Behandlung d* r Fettleibigkeit“ gedenkt der Forscher,
z. B. Kisch 8 ), ihrer und auch nicht Minkowski 4 ), wiewohl dieser Forscher
sich geflissentlich auf praktische Gesichtspunkte beschränkt. Und doch
ist jene Erscheinung schon ins Volksbewußtsein gedrungen. Denn selbst
Plutarch 5 ) und auch Plinius 6 ) tun ihrer schon Erwähnung, indem sie
meinen: „Einige Speisen stillen, wenn man auch nur wenig davon genießt,
Hunger und Durst und erhalten zugleich die Kräfte. Dahin gehören
Butter und die Kräuter hippace und glycyrrhizon.“ Quaedam rursus
exiguo gustu fanirra ae sitim sedant conservantque vires ut butyrum
hippace glycyrrhizon. Ebenso sagt Faust:
Doch hast Du Speise, die nicht sättigt, hast
Du rot* s Gold, das ohne Rast,
Quecksilber gleich, Dir in der Hand zerrinnt.
Daher muß der Leitsatz für Entfettungskuren der sein: Sättigen, aber
nicht nähren! Das ist der Leitsatz den ich 7 ) an die Spitze all meiner Be¬
trachtungen stets setze. Umgekehrt gilt für Appetitlose und für Mastkuren
der Grundsatz: Nähren, aber nicht sättigen! Ähnlich ist schon das Ziel des
gewerblichen Küchenmeisters in der Praxis für die Speisung Gesunder,
wenn diese an einer längeren Mahlzeit Gefallen finden sollen 8 ). Denn
der Appetit soll nicht bloß für eine einzige Speise, sondern sogar für
die ganze Mahlzeit erhalten bleiben, die mitunter aus sehr zahlreichen
Gängen besteht und viele Stunden andauert. Drum gilt der gastrono¬
mische Grundsatz, der von einem der hervorragendsten Vertreter der
Kochkunst stammt, dem wahrhaft volkstümlich gewordenen Wiener
Sacher: „Ein Diner ist nur dann vollkommen, wenn der Gast nach
Schluß der Mahlzeit noch Appetit verspürt.“ „Nicht sättigen, sondern
*) „Die Behandlung der Fettleibigkeit.“ Handbuch der ges. Therapie von
Penzoldt u. Stintzing, S. 15, 4. Auf!., Bd. 2, 1909.
2 ) Th. R. Off er (Wien), „Diät bei Fettleibigkeit“. Wiener med. Wochen¬
schrift, 1910, Nr. 16.
*) Therapie der Gegenwart, April 1909.
4 ) Zeitschr. für ärztl. Fortbildung, 1. 6. 1909.
ß ) Gastmahl XIV r . Septem sapientum convivium Mor. 157d.
a ) Nat. hist. XI, § 119, 54. — XXI, 284 (119) — XXV (8) 43 u. 44.
7 ) „Anästhetika als Genußmittel und Arzneimittel für Diätkuren“. Müncbn.
med. Wochenschr., 1910, Nr. 28. — „Diät und Küche“, S. 54. Würzburg 1911.
8 ) Sternberg, „Kochkunst uud ärztliche Kunst“, S. 94. Stuttgart 1907.
F. Enke.
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Wilhelm Sternberg,
reizen!“, war sein Wort. Daher versteht es der gewerbliche Fach¬
mann sehr wohl, wtite ich 1 ) bereits hervorgehoben habe, ein ausge¬
zeichnetes Gastmahl von vielen Stunden so herzustellen, daß ein be¬
lästigendes Sättigungsgefühl, Übersättigungsgefühl oder gar Ekel¬
gefühl unmöglich auftreten kann, sondern im Gegenteil der Appetit für
viele Stunden rege erhalten bleibt. Selbst wenn das Hungergefühl gänz¬
lich beseitigt ist, kann die Küche doch noch Appetit erregen. „ Arti¬
schocken und Krebse kann man immer essen, auch wenn man von einem
Treibelschen Diner kommt.“ So sagt Fontane. 2 ) Es ist sogar auffallend,
wie überaus schnell nach einem lange andauernden Festmahl das Hunger¬
gefühl wieder erwachen kann. Wer hat nicht schon mit Staunen bemerkt,
mit welch unwiderstehlicher und allgemeiner Dringlichkeit bereits wenige
Stunden nach einem lang ausgedehnten Gastmahl das kalte Büfett auch
von recht Gebildeten bestürmt wird! Auf einer klugen Ausnutzung dieser
tatsächlichen Eigentümlichkeiten in den subjektiven Empfindungen der
Ernährung, welche die Theorie der Wissenschaften bisher gar nicht in
Rechnung gezogen, geschweige denn zu erforschen versucht hat, beruht
der faktische Erfolg der gewerblichen Sachkundigen der Küche.
Diese beiden gegensätzlichen Werte kommen in der Praxis der
Ernährungs-Therapie ebenso für Entfettungs- wie für Mastkuren stets in
Betracht: objektiver Nährwert und subjektiver Sättigungswert. Beide
Faktoren, im Wesen grundverschieden von einander, werden auch von
grundsätzlich anderen Momenten beeinflußt. Der objektive Faktor des
Nährwertes wird von chemischen Momenten beherrscht. Daher spricht
man mit Recht von „chemischem Nährwert“. Auf die Sättigung hingegen
wirken merkwürdigerweise mehr die physikalischen Einflüsse ein ebenso
wie auf die anderen subjektiven Gemeingefühle der Ernährung.
Unter diesen steht obenan der physikalische Aggregatzustand. Ist
ja auch der Hunger und ebenso der Appetit — zum größten Teil —
das Gemeingefühl des Bedürfnisses nach Nahrung von festem Aggregat¬
zustande. Das ist einer der Gründe für meine 8 ) Annahme, die im Gegen¬
satz zu Ewald's 4 ) und Turro’s 6 ) Ausführungen steht, daß nämlich
Appetit und Hunger Kitzelgefühle sind, Appetit: Gaumenkitzel und
Hunger: Kitzel des Magens.
Auch für die Sättigung hat der Aggregatzustand besondere Be¬
deutung. Wie ich 6 ) bereits hervorgehoben habe, beseitigen Flüssigkeiten
das Hungergefühl weniger und sättigen minder schnell als feste Speisen.
Dabei bezieht sich die Eigenschaft der Flüssigkeiten, nicht zu sättigen,
bloß auf Lösungen und nicht etwa auch auf Suspensionen oder gar
Emulsionen, wie an anderer Stelle 7 ) bereits dargelegt wurde. Milch
„stillt“ den Hunger des Säuglings. Zuckerlösimgen stillen den Hunger
*) „Der Hunger/ Zentralbl. für Physiologie, Bd. 23, .Nr. 4, S. 111.
*) Theodor Fontane: .Frau Jenuy Treibel“. 7. Kap.
8 ) „Die physiologische Grundlage des Hungergefühls“. Zeitschr. für Sinnes-
physiol., 1911, Bd. 45, S. 71—86.
4 ) Rieh. Ewald in „Klinik der Verdauungskrankheiten von C. A. Ewald.
Berlin 1888. 2. „Die Krankheiten des Magens“. 9. Vorlesung, S. 334—343.
B ) R Turro, Dir. des bakt. Lab. in Barcelona, „Die physiologische Psycho¬
logie des Hungers“. Zeitschr. für Sinnesphysiol., 1910, Bd. 44, S. 330—370 und
1911, Bd. 45, S. 327—432.
6 ) „Krankenernährung und Krankenküche“, S. 13. Stuttgart 1906. F. Enke. —
„Über die Behandlung des Ulcus ventriculi mittels rationeller Küche.“ Therapie
der Gegenwart, Juni 1908.
’) Sternberg, „Der Hunger.“ Zentralbl. für Physiologie, 1909, S. 109.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1207
nicht, wenigstens nicht direkt. Kakaogetränk, das eine Suspension dar¬
stellt, besänftigt den Hunger sehr schnell. Deshalb empfiehlt es sich
auch nicht, Appetitlosen Kakao zu reichen, jedenfalls nicht am Anfang
der Mahlzeit Dieser Ratschlag von Nietzsche 1 ) „man soll eine Stunde
vorher eine Tasse dicken enteilten Kakao den Anfang machen lassen“,
ist falsch. AVer an Magengeschwür leidet, der hungert, und dem
vermag dip flüssige Diät den Hunger nicht zu beseitigen. Schon'
darum ist jedte Milchkur als Ulcus- oder als Entfettungskur nach
Kare 11-Moritz 2 ) für den Erwachsenen eine Hungerkur. Freilich
vertritt Lüthje 3 ) diesen Standpunkt nicht. „Nur einen großen
Vorteil“, mjejnt er, „besitzt oft (nicht immer!) die Karellkur: die
Kranken haben merkwürdigerweise trotz der starken Unterernährung
kein Hungergefühl.“ Auch diese B<»obachtung von Lüthje ist falsch.
Hartgekochte Eier sättigen viel mehr als rohe oder weichgekochte 4 ).
Daher kann man von diesen viel mehr essen als von jenen. Feste,
solide Körper haben größeren Einfluß auf die Beseitigung des Hunger¬
gefühls, als halbflüssige und weiche. Wer an Magengeschwür leidet,
empfindet sogar die größten Schmerzen bei der Einnahme von festen
Speisen. Allein trotzdem wird das Hungergefühl, das der an Magen¬
geschwür Leidende außerordentlich lebhaft empfindet, am ehesten durch
Zubereitungen von festem Aggregatzustand besänftigt. Selbst ganz un¬
lösliche, ja vollkommen nutzlose und unverdauliche feste Körper können
das Hungergefühl, wenn auch nur vorübergehend, zum Schwinden bringen.
Zuzeiten der Hungersnot greift man, um den Hunger zu stillen, gleich¬
falls zu festen Stoffen, die gar nicht nahrhaft und gänzlich unverdaulich
oder unverwertbar sind. Viele Tiere nehmen sogar regelmäßig solche
Stoffe zu sicli. Damit im Zusammenhang steht folgende bisher über¬
sehene Beobachtung. Kommisbrod und Grobbrode sättigen mehr, wenn
auch nicht länger, als Feingebäck, Weißbrod. Diese Beobachtung läßt
sich nicht nur für Fettleibige, sondern auch für viele Zuckerkranke
therapeutisch verwerten.
Freilich tritt das Hungergefühl, wenn der Magen nur mit unver¬
daulichem, nicht nahrhaftem Material von festem Aggregatzustand ange¬
füllt ist, schon nach kurzer Zeit von neuem wieder auf. Im entgegen¬
gesetzten Fall hält nach einem sehr sättigenden, reichhaltigen und nahr¬
haften Mahl die Sättigung so lange an, daß noch nicht einmal am nächsten
Tage zur gewohnten Stunde der Hunger in gewohntem Maße auftritt.
Offenbar vermittelt auch noch der Konzentrationsgehalt des Blutes in
der Magenschleimhaut ebenfalls die Empfindung.
Da feste Körper schneller sättigen als bereits gelöste, so verzichtet
der Hungrige, zunächst wenigstens, gern auf Flüssigkeiten, z. B. Suppe
bei Beginn der Mahlzeit u. a. m. Darauf nimmt auch die Küche schon
Rücksicht, indem sie selbst in die Bouillon feste Einlagen fügt, z. B. Mehl,
Ei u. a. m. Daß diese Einlagen gerade den hauptsächlichsten Bestandteil
der ganzen Suppe ausmachen, darauf weist schon der allgemeine Sprach¬
gebrauch hin in den Bildern wie: „Er hat etwas in die Suppe zu brocken“,
-Er hat sich etwas Schönes eingebrockt“, „Was man sich einbrockt,
J ) Ecce homo.
f ) Moritz, „Über Entfettung durch reine Milchkuren“.
8 ) „Die Behandlung der Fettleibigkeit.“ Handbuch der ges. Therapie von
Penzoldt u. Stintzing, S. 20, 4. Aufl., Bd. 2, 1909.
4 ) Sternberg, „Küche für Entfettungskuren.“ Deutsche med. Wochenschr.,
1907, Nr. 47, S. 2.
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1208
Wilhelm Sternberg,
muß man ausessen“ u. a. m. Auch ist es bemerkenswert, daß der erfahrene
Küchenmeister zu festlichen Gelegenheiten lang ausgedehnter Gastmähler
diese Einlagen gerade nicht wählt, sie eher vermeidet, während sie in
der anspruchslosen Küche des kleinen Haushalts allgemein beliebt sind.
Es besteht also der größte Gegensatz zwischen nährenden Flüssig¬
keiten einerseits und andererseits festen Stoffen, welche ohne jeden Nähr¬
wert sind, in bezug auf ihren Sättigungswert. Daraus ergibt sich eine
fiir die ärztliche Praxis äußerst wichtige Tatsache. Die Beseitigung des
Hungers hängt gar nicht so sehr vom chemisch-physiologischen Nähr¬
wert wie vom physikalisch-mechanischen Aggregatzustande ab.
Freilich kommt dabei doch noch ein weiterer Gesichtspunkt in
Betracht, der nicht zu übersehen ist, ein Beweis dafür, wie kompliziert
die Verhältnisse bei der Nahrungsaufnahme sind. Denn Flüssigkeiten
sättigen selber zwar nicht. Im Gegenteil, sie können obendrein oftmals noch
Appetit oder gar Hunger machen. Das gilt für die alkoholhaltigen
Genußmittel. Bier und Wein sättigen nicht, trotzdem sie nähren. Es
trifft also die Ansicht nicht zu, die Kant 1 ) äußert: „Bier trinken nannte
er ein Essen, weil Bier so viele nährende Bestandteile enthält, daß die
Liebhaber desselben sich dadurch sättigen und sich den Appetit zum
Essen verderben.“ Dieselbe falsche Angabe wiederholt neuerdings der
Physiologe Prof. Rose mann. 2 ) Er hatte sich nicht geirrt, wenn er
meine 8 ) Ausführungen studiert hätte. Auch gibt man mir sogar aus
Abstinentenkreisen darin schon Recht, wie Dr. Paul Schenk 4 ) zugibt.
Vielmehr beansprucht das Gegenteil physiologische Richtigkeit. Aller¬
dings behauptet auch Hippokrates: 5 ) Ät/ror qij'&s Xiei.
Aber ^coQrj^ig bedeutet Trunkenheit. Bier sättigt nicht, wie ich 6 )
bereits hervorgehoben habe, und hat doch viel Nährwert. Das letzte
wird zwar von den Abstinenten bestritten. Allein es ist so unzweifelhaft
richtig, daß man von einem fettsüchtigen Arbeiter sofort annehmen kann,
er hat seine Fettleibigkeit nicht etwa dem guten Leben zu verdanken,
sondern dem Potatoriurn. Überdies machen Wein und Bier noch Appetit
und sogar Hunger. Es ist die Angabe durchaus nicht richtig, daß
Alkohol den Appetit verdirbt. Daher verbietet sich der Genuß der
Alkoholika besonders für die Fettleibigen, während er für die emp¬
fehlenswert ist, die appetitlos und leicht gesättigt sind.
Ebenso sättigt Bouillon zwar nicht, macht aber sogar Appetit. Diesen
Gesichtspunkt bat Wegele 7 ) gänzlich übersehen, wenn er meint: „Ira
allgemeinen ist die in Deutschland herrschende Sitte, die Hauptmahlzeiten
mit dem Genuß großer Mengen von Suppe einzuleiten, dem Magen¬
kranken entschieden zu widerraten, da der Magen von vornherein ange¬
füllt wird und für die wirklich nahrhaften Speisen dann der Appetit fehlt.“
') Immanuel Kant, „ Ein Lebensbild nach Darstellung seiner Zeitgenossen“.
Halle 1902, J. Jachmann. 15. Brief.
®) Prof. R. Rosemann, „Die hygienische Bedeutung der alkoholischen
Getränke“. Vortrag, gehalten in der 10. Hauptversammlung der Freien Vereinigung
Deutscher Nahrungsmittelchemiker in Dresden am 26. 5. 1911. Zeitschr. für Unter¬
suchung der Nahrungs- und Genußmittel, 1911, Bd. 22, S. 27, 29, 33.
A ) „Diät und Küche“, S. 60 u. 87. Würzburg 1911.
*) Paul Schenk, „Erfolge uud Ziele in der Fürsorge für Trinker“. Deutsche
Vierteljahrssehr. für offen 1 1. GesundheitspH., 1910, Bd. 42, H. 4a, S. 571.
6 ) Aph. 11,21. Die Übersetzung „DenHunger stillt Weintrinken“ ist nicht richtig.
6 ) „Krankenernährung und Krankenküche“, S. 13. Stuttgart 1906. F. Euke.
7 ) Dr. Carl Wegele, „Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke“
nebst genauen Kochrezepten von Josephine Wegele. 4. Aun., S. 22. Jena 1905.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1209
Auch Albu 1 ) hat die Bedeutung der Bouillon vollkommen verkannt, indem
er behauptet: „Die Eröffnung der Mittagsmahlzeit mit einer Suppe ist
überflüssige Gewohnheit, zumal bekanntlich der Fleischbouillon kein
Nährwert zukommt.“ Dieser Standpunkt von Albu ist vollkommen irrig.
Ich 2 ) habe die Unrichtigkeit von Albu’s Auslassungen erklärt. Über¬
dies war bereits 30 Jahre zuvor die physiologische Begründung für den
Beginn des Mahles mit der Fleischsuppe gegeben worden. Renk 8 ) hebt
ausdrücklich hervor: „Die schmeckenden Stoffe der Fleischbrühe wirken
als ausgezeichnete Genußmittel, um Appetit nach Speisen zu erregen.“
Das ist der Grund für den Beginn der Mahlzeit mit der Bouillon.
Nietzsche 4 ) hat diese Eigentümlichkeit der deutschen Küche heftig be¬
kämpft: „ . . die deutsche Küche überhaupt — was hat sie nicht alles
auf dem Gewissen! Die Suppe vor der Mahlzeit . . “
Auf das Sättigungsgefühl hat auch noch das Volumen der ein¬
geführten Stoffe einen großen Einfluß. Schon damit richtet sich das Be¬
streben der Wissenschaft und der Industrie nach einer künstlichen Nahrung
mittelst konzentrierter kompendiöser Tablettchen oder Nährpräparate. Denn
damit ist die Unmöglichkeit der Lösung dieses Problems hinlänglich be¬
wiesen. Nicht bloß die chemisch-analytische, sondern auch die physikalisch¬
volumetrische Bestimmung der Nahrung ist für den Wert entscheidend.
Daher erregen, wie bereits 5 ) bemerkt, die Vegetabilien überaus schnell
das Sättigungsgefühl, weil sie eben bei der Zubereitung reichlich Wasser
aufnehmen. Bekannt ist, daß Kartoffeln schnell sättigen. So erklärt
sich der Erfolg der Kartoffel kuren zu Entfettungen. Zu diesem Zweck
empfehlen sich Kartoffelspeisen, die nach einer von mir 0 ) angegebenen
Zubereitung vorher zum großen Teil entmehlt sind.
Da nun aber Volumen und Aggregatzustand das Sättigungsgefühl
beeinflussen, so ist auch die mechanische Zerteilung durch die kulinarische
Technik, die Grobheit bezw. Feinheit der Herstellung in der Küche nicht
ohne Bedeutung. Während die diätetische Küche nach dem Vorbilde
der feinen französischen Küche für Magen- und Darmleidende die feinste
Zerteilung durchführen soll, muß die diätetische Küche für Entfettungs¬
kuren die gegenteiligen Maßnahmen treffen. Die französische Küche
ist mehr für Magen- und Darmkranke. Für die Fettleibigen empfiehlt
sich mehr die österreichische Küche. Die mechanisch groben ,Zertei-
lungen der Nahrungsmittel in der Küche sind für die Fettleibigen er¬
wünscht. Das Fleisch darf für Entfettungskuren nicht von dem zarten
Gefüge junger Tiere sein und nicht von den zartesten Muskelteilen
dieesr Tiere. Ebensowenig sei es zart und weich gekocht, sondern es
sei eher etwas mehr zähe noch und derb. Den Amerikanern sagt
man nach, sie neigen deshalb so wenig zur Fettleibigkeit, weil sie ihre
Portion Fleisch nicht, wie wir, mit scharfem Messer zerkleinern, sondern
*) „Grundzüge der Ernährungstherapie“, 1908, S. 43.
2 ) „Die Alkoholfrage im Lichte der modernen Forschung“, S. 27. Leipzig 1909.
Veit & Co.
8 ) Friedrich Renk, „Über die Kost in dem Krankenhause zu München“
in „Untersuchung der Kost in einigen öffentlichen Anstalten“, S. 100. München lb77.
4 ) „Ecce homo.“ „Warum ich klug bin.“ Friedrich Nietzsche. S. 30. —
-Nietzsche und die Küche.“ Deutsche med Presse, Nr. 14, S. 117. 20. 7. 1910.
6 ) „Küche für Entfettungskuren.“ Deutsche med. Wochenschr., 1907, Nr. 47,
ö ) „Kartoffelspeisen für Diabetes und Adipositas.“ Deutsche med. Wochenschr ,
1906, Nr. 27. — „Kartoffelküche für Zuckerkranke und Fettleibige.“ Therapie der
Gegenwart. Februar 1908.
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1210 Wilhelm Stemberg, Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
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mit einem Messer, das nach Art unserer Obstmesser stumpf sei. Aue
demselben Grunde eignen sich zu Fleischspeisen für Fettsiichtige Ver¬
wendungen und Zusätze von nicht nahrhaftem Material; Ligamentum
nuchae habe ich 1 ) zu diesem Zweck für verschiedene Speisen
empfohlen.
Zu den höchst wirksamen Momenten, welche der Physik gleichfalls
angehöreD, zählt fernerhin die Temperatur. Die Temperatur hat
für den Geschmack und die Schmackhaftigkeit, sowie für die Küche,
für die Aufgaben und Wirkungen der Küche hervorragende Bedeutung.
Hier zeigt es sich also deutlich, wie sehr Geschmack und Schmack¬
haftigkeit nicht nur von chemischen, sondern auch von physikalischen
Bedingungen abhängen. Aber auch auf sämtliche psychischen Allge¬
meingefühle der Ernährung hat die Temperatur einen gewaltigen Ein¬
fluß, besonders auch auf unser Sättigungs- und Ekelgefühl. In der
medizinischen Literatur ist diese Tatsache merkwürdigerweise unbeachtet
geblieben, selbst in der Literatur der modernen Spezial werke, welche sich
mit der Technik der Entfettungs-Kuren beschäftigen, z. B. v. Noorden 2 ),
Ebstein*), Richter 4 ), Pfeiffer 5 ), Weintraud 6 ), Cantani 7 ), Kisch 8 ),
Immermann 9 ), Bernhard Fischer 10 ) u.a.m. Das ist deshalb besonders
seltsam, weil sich die Pathologie und Therapie schon auf anderen Gebieten mit
den thermischen Einflüssen befaßt, z. B. mit der Einwirkung der Kälte auf
Diabetes, Nephritis, 11 ) „Erkältungs-Krankheiten“ u.a.m., weil sich ferner die
Physiologie sogar mit einer eigenen Sinnesempfindung für die Temperatur
abzufinden hat. Hat sich doch schon eine selbständige Spezialdisziplin der
Therapie herausgebildet, welche die thermische Beeinflussung zum Ziele
hat. Denn wie sich in der Physik als ein eigener Teil die Thermo¬
dynamik und in der Chemie die Thermochemie abgezweigt hat, so sind
auch die Thermotherapie in Form der Hydrotherapie, der Heißluft¬
therapie und der eigentlichen Thermotherapie 12 ), die Dia-Transthermie 18 )
*) „Küche für Entfettungskuren.“ Deutschemed. Woclienschr., 1907, Nr.47, S. 2.
*) v. Noorden, „Die Fettsucht.“ 2. Aufl. 1910. Nothnagel’s Handbuch.
8 ) Ebstein, „Die Fettleibigkeit und ihre Behandlung.“ 7. Aufl. Wiesbaden
1887. — „Fettleibigkeit“ in „Deutsche Klinik“, v. Leyden u. F. Klemperer. Bd. 3.
Berlin 1903.
*) Richter, „Indikationen und Technik der Entfettungskuren.“ Heft 4 der
Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiet der Verdauungs- und Stoff¬
wechselkrankheiten. Mit Rücksicht auf allgemein-ärztliche Interessen herausgegeben
von Albu.
*) Pfeiffer, „Behandlung der Fettleibigkeit“ in Penzoldt u. Stintzing’s Hand¬
buch der Therapie innerer Krankheiten. 1897.
°) Weintraud, .Physikalische Therapie der Fettsucht“ im Handbuch der
phys. Therapie von Goldscheider u. Jacob.
7 ) Cantani, „Spezielle Pathologie u. Therapie der Stoffwechselkrankheiten.“
Deutsch von Hahn. Bd. 3-
8 ) Kisch, „Die Fettleibigkeit.“ Stuttgart 1888. F. Enke.
®) I mm ermann, .Die Fettsucht“ in Ziemssen’s spez. Patholog. u. Therapie,
1879, Bd. 13.
10 ) Bernhard Fischer, „Hypophysis, Akromegalie und Fettsucht“. Wies¬
baden 1910.
n ) Sigm. Esner, „Temperaturbeziehungen zwischen Herz und Lunge.“ Ge¬
sellschaft der Wiener Ärzte, 1909.
12 ) Strasburger, „Einführung in die Hydro- uud Thermotherapie.“ Jena,
G. Fischer. — Winternitz, „Physiologische Grundlagen der Hydro- und Thermo¬
therapie.“ Phys. Therap. von Marcuse u. Strasser.
15 ) B. Walther, „Über die physikalischen Grundlagen der Diathermie (Trans-
thermie, Thermopenetration).“ Münch, med. Wochensehr., 1. 2. 1910, Nr. 5.
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v.Nießl-Mayendorf, Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 1211
und die Thermopenetration *) besondere Behandlungsmethoden. Die Be¬
achtung der Temperatur der Speisen ist für die ärztliche Praxis jedenfalls
wichtig, insofern sie gleichermaßen für Entfettungs- wie für Mast-Kuren
erfolgreich zu verwerten ist (Schluß folgt.)
Vorlesungen über
Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
Von v. Nleßl-Mayendorf.
(Fortsetzung.)
In der Anstalt angelangt, wie ist der Kranke da zu behandeln ?
Ich. halte es für unbedingt erforderlich, den Maniacus sofort zu iso¬
lieren. Die Reaktion desselben auf die Verhaftung und Eiusperrung
richtet sich nach der Grundkrankheit, welche sich hinter der Manie
verbirgt, oder ob die Krankheit in dem maniakalischen Symptom auf¬
geht. Sie haben als kundiger Arzt sofort den Charakter der Manie
ins Auge zu fassen. Gibt sich die Manie als funktionelle, plötzlich
ausgebrochene Psychose, etwa als psychischer Eolgezustand einer In¬
fektionskrankheit, als periodisch wiederkehrendes Bild oder auf dem
Boden jener abnormen Reaktionsfälligkeit des Nervensystems, welche
mit dem Schlagwort „Degeneration“ allgemein gedeckt wird, dann läßt
in der Regel die Intensität der behaglichen Stimmung das unangenhme
Gefühl der Vereinsamung gar nicht Herr werden. Der Kranke fügt sich,
er findet sieh mit seiner Lage wohl oder übel gar bald ab. Man kann
solche Manien nicht leicht in Zorneswut verwandeln, auf dem glück¬
lichen Niveau ihres sanguinischen Temperamentes wissen sie gar bald
die Lichtseiten der ihnen aufgedrungenen Lage zu würdigen. Ein Junge,
welcher eben eine Skarlatina absolviert hat, erkrankte an typischer
Manie. Sein Übermut machte ihn laut und ließ ihn gegen die Tür
seiner Zelle stoßen, ohne daß eine Spur von Gewalttätigkeit seinen
Handlungen anhaftete. Selbstmord wird von den im Überschwang ihres
Glückes schwelgenden Kranken nur in den seltensten Fällen verübt und
auch dann mehr als die Folge eines unbedachten übermütigen Streiches
als eines zielbewußten Aktes. So fand ich einmal ein junges Mädchen,
deren Mutter sich in einem Anfall von Manie getötet haben soll, in
der Zelle, Hals und Brust umschlungen und wunderlich drapiert mit
leinenen Streifen, zu welchen sie das Bettlaken zerrissen hatte. Auf
ein anderes Verhalten wird man gefaßt sein müssen, wenn wir eine
katatone Ideenflucht oder eine paralytische Manie eingeliefert haben.
Schmieren und Demolieren bei den ersteren, aggressive Wutanfälle bei
den letzteren, jedoch nur dann, wenn der Blödsinn noch nicht fort¬
geschritten ist, wenn sich der Größenwahnsinnige in der Durchführung
seiner gigantischen Pläne plötzlich gehemmt sieht, besonders aber, wenn
er mit List in die Anstalt hineingelockt wird, wofür ich ein belehrendes
Beispiel aus eigener Erfahrung anführen kann. Natürlich sind hiermit
nur einzelne Typen herausgegriffen und der Hinweis keinesfalls als
ein didaktisches Absolutum für die Reaktionsweisen ganzer Krankheits¬
formen als bindend zu betrachten. Zuweilen ist der Erfolg einer Iso¬
lierung geradezu überraschend. Als Hilfsarzt einer großen Irrenanstalt
wurde ich einmal des Nachts auf die Station der unruhigen Frauen
gerufen. Die Wärterinnen baten mich, ihnen zu gestatten, einer
1 ) Laquer, „Technik und Anwendung der Thermopenetratiou.“ Zeitsclir.
für ärztl. Fortbildung, 1910, S. 25.
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1212
v. Nießl-Mayendorf,
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Patientin, welche im Bette stand und aus Leibeskräften brüllte, eine
Hvoscinspritze zu "■eben, da sie auf keine andere Art zu bändigen,
wäre. Als ein erklärter Feind der Hyoscinspritze, erblickte ich in der
Isolierung, das zunächst sich bietende Therapeutikum, gegen dessen
Anwendung jedoch das .Moment der Erregung sprach, in welche die
Kranke geraten mußte, wenn sie von der allseits sich zur Verfügung
stellenden Manualgewalt besiegt, aus dem Wartesaal geschleift und in
eine Zelle geschleudert würde. Ich trat daher auf die Kranke ruhig
zu, bot ihr den Arm an, welchen sie mir willig reichte und geleitete sie
in eine hohe, kühlgehaltene Zelle, wo ich sie auf ihr Lager am Boden
niedergleiten ließ. Die Kranke beruhigte sich sofort und schlief die
ganze Nacht hindurch. Hier hat also Isolierung allein beruhigt, und
Sie dürfen daher auch dieses wichtige therapeutische Hilfsmittel nicht
vergessen, wenn Sie das Areal der Ihnen zu Gebote stehenden Medi¬
kationen durchmustern. Selbstverständlich hat die Isolierung auch ihre
Gefahren, über welche ich mich hier ausführlich zu verbreiten, keine
Gelegenheit nehme, nur zwei der wichtigsten Kontraindikationen seien
Ihnen ans Herz gelegt. 1. Der Selbstmordverdacht, 2. die Neigung des
Kranken zu schmieren und sich zu verunreinigen.
Die Isolierung Maniakalischer ist aber heute nicht mit einer Ver¬
setzung des Kranken in ein zu diesem Zweck installiertes und ge¬
sichertes Einzelzimmer abgetan, eine der wichtigsten Errungenschaften
der Neuzeit in der Behandlung Geisteskranker, die jede Irrenanstalt,
welche modern sein will, sich zu Nutze machen muß und deren Ein¬
führung eine conditio sine qua non bedeutet, sind die Dauerbäder.
Eine Vereinzelung der Kranken, wie sie das separierte Zimmer
gestattet, wird nur eine, mit ganz ungewöhnlichem Komfort ausge¬
statte Anstalt ermöglichen. In den üblichen Baderäumen sind min¬
destens zwei Wannen aufgestellt. Befinden sich beide Badende in Er¬
regung, was wohl meist der Fall sein wird, so kommt cs zu gegen¬
seitigem Irritieren und Haranguieren, aber die liege]ung der Blutzirku-
lation soll die unerwünschte Wirkung dieses nicht zu vermeidenden
licizfaktors wieder gut machen.
Der Kranke wird mit einem Hemd bekleidet, in die Wanne gesetzt,
in welchem das Wasser eine Temperatur von 35 °C hat. Vorher prüfe
man Herz und Gefäße. Mit Ziehen halte ich das Bestehen einer Herz¬
krankheit für eine Kontraindikation. Bei Feststellung von Arterio¬
sklerose wird man kühlere und kürzere Bäder in Anwendung bringen.
Wird der Kranke im Wasser von plötzlichem Schwindel gepackt, ja,
von einer Ohnmacht befallen, ist es Tätlich, ihn sofort herauszunehmen,
ins Bett zu bringen und die Prozedur nicht zu wiederholen. Besonders
häufig scheint das bei hysterischen Psychosen vorzukommen.
Jeder Kranke muß einen Wärter um sich haben. Nicht, damit
ihn dieser in die Wanne zurückschleuderc, wenn er übermütig über ihre
Wand hinwegsetzt und im Baderaum spazieren läuft. Man lasse den
Krankeü ganz ruhig gewähren. Die Wanne darf keine scharfen Kanten
und Ecken haben und der Baderaum muß so temperiert sein, daß sich
ein Nackter ganz wohl fühlen kann, denn nur allzuhäufig reißt der
Kranke sein Hemd ab. Es ist keine Frage, daß die Wasserdämpfe,
denen der nackte Körper ausgesetzt ist, Dilatation der Hautgefäße
und mit dieser auch Beruhigung herbeizuführen vermag, wie das warme
Wasser. Man nötige den Kranken in das Wasser zurückzukehren, aber
man zwinge ihn nicht. Ich bin nie davon überzeugt gewesen, daß die
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1213
Bettbehandlung bei der Manie angezeigt sei, da es sich bei dieser
Störung doch sicher um örtlich ungleich verteilte Hyperämien handelt,
welche durch die Muskelbewegung eher vermindert als gesteigert würden.
.Wie man übrigens den Bewegungssüchtigen im Bett halten soll, ohne
ihn an dasselbe zu fesseln oder fest zu packen, ist mir nicht klar. Die
Bewegungsfreiheit in dem dunsterfüllten Baderaum, aus welchem alles
Scharfe und Kantige verbannt sein muß, um jede Verletzung hintan¬
zuhalten, scheint mir sehr zweckmäßig zu sein.
Die Bäder werden auf Stunden, Tage, selbst Monate verordnet.
Vielfach wird es so eingerichtet, daß die Kranken den Tag über baden,
und über Nacht ins Bett kommen. Die Temperatur wird, wie bereits
erwähnt, zu Anfang auf 35° C (abmessen!) gebracht, um dann etwas
zu sinken, und nach einiger Zeit durch Einströmen warmen Wassers
zu der ersten Höhe oder noch über diese hinaus gehoben zu werden.
Selbstverständlich darf das Mischen des Wassers nicht bei Anwesen¬
heit des Geisteskranken oder gar dann geschehen, wenn sich derselbe
in der Wanne befindet. Unzweckmäßig, weil eine gewisse Oberflächlich¬
keit begünstigend, ist es, wenn zum Anzeigen der richtigen Mischung
eine aus der Erfahrung gewonnene Stellung der Hähne über den Ein¬
laufröhren benützt wird. Ausgezeichnet ist dagegen die Einrichtung,
welche ich zum ersten Male in der psychiatrischen Klinik in Halle sali,
bei welcher sich die das kalte und warme Wasser führenden Rohre- zu
einem einzigen vereinigten, in welchem sich kaltes und warmes Wasser
vor dem Einlaufen in die Wanne mischten. In dieser gemeinsamen Röhre
war vorn eine mit festem Glas geschützte Öffnung, in welcher ein
Thermometer sichtbar wurde. Da dasselbe das gemischte Wasser umspülte,
gelang es auf diese Weise die Temperatur des einströmenden Wassers
exakt zu bestimmen und jede Verbrühung, die beim Mischen des Wassers
in der Wanne zu befürchten ist, falls der Kranke in einem unbewachten
Augenblick in die Wanne steigt, ausgeschlossen. Insbesondere vorteilhaft
erweist sich diese Einrichtung beim Wechseln des Wassers, welches
in der Regel viermal im Tage, und zwar nach den Mahlzeiten, vor¬
zunehmen ist. Man wartet mit dem Ablassen des Wassers, bis das
gemischte Wasser in dem gemeinsamen Rohre die Temperatur von
35° hat. Dann öffne es der Wärter mit seinem Schlüssel. Der Kranke
kann ruhig dabei im Bade bleiben.
Es wurde versucht, lucidere Kranke im Dauerbade geistig zu
beschäftigen, indem man ein großes Laken über die Wanne spannte,
auf welchem ihnen eine Zeitung oder dergleichen zu zerstreuender Lek¬
türe dargeboten wurden. Vielfach wird den Kranken im Wasser auch
das Essen gereicht. In der Heilanstalt Dösen bei Leipzig wurden die
Kranken zur Sommerszeit im Freien gebadet.
Vollkommen unzulässig ist es, zwei Kranke in eine Badewanne,
wenn auch nur vorübergehend, zu setzen.
Auf die Frage nach der Wirkungsweise der Dauerbäder ist zu
antworten: Die Dauerbäder wirken wie auf Geisteskranke nicht anders
als auf Gesunde, sie ermüden. Zwei gehorsame Jünger einer, die mo¬
mentane Verlegenheit der psychiatrischen Wissenschaft mit dem Auf¬
gebot wunderlichster Instrumente maskierenden Richtung orakelten gar
seltsam, die badenden Kranken fühlten zwar Ermüdung, seien jedoch
nicht ermüdet. Gehört dieser dialektische Wortwitz wirklich in den nüch¬
ternen Erfahrungsschatz des praktischen Psychiaters P Hat sich denn
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v. Nießl-Mayendorf,
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die tiberwertige Idee von der Unfehlbarkeit der aus den Versuchsergeb¬
nissen gezogenen Schlüsse auf die objektive Feststellung der Ermüdung
des Nervensystems so fest in diese Köpfe eingefressen, daß der mangelnde
Nachweis der Ermüdung nicht vielmehr auf ihrer mangelhaften Methode
oder der mangelhaften Handhabung ihrer Methode beruhen könne?
Genug, die sedative Wirkung der Dauerbäder ist in vielen Fällen eine
ganz eklatante. Beicht dieselbe nicht hin, um den Kranken für die
Nacht Schlaf zu verschaffen, so gebe man am Abend noch ein Hypno-
tikum, etwa Veronal 0,5, Trional 1,5, Paraldehyd 4,0.
Hält man maniakalisch Kranke mehrere Tage oder Wochen im
Dauerbade, so gewahrt man eine Abnahme der sedativen Wirkung. Die
Kranken schlafen wieder schlechter oder sie schlafen gar nicht, sie fangen
wieder an zu brüllen und zu toben. Es tritt eine Angewöhnung an dies
physikalische Therapeutikum ein, wie wir dies bei den chemisch wirken¬
den Beruhigungsmitteln zu sehen gewolint sind. Man wird in solchen
Fällen am besten mit den Bädern einige Zeit aussetzen und statt der¬
selben Medikamente geben.
Die andauernde Berührung der Haut mit dem Wasser hat Aus¬
schläge (Eczema marginatum usw.) zur Folge, die sich, sobald der
Kranke wieder im Bett behandelt wird, nach kurzer Zeit wieder ver¬
lieren. Neben diesen findet man Mazerationen der Haut, die ohne
Belang sind. Unangenehmer sind die zuweilen auf tretenden Furunkel,
welche kontagiöser Natur sind, so daß die Wannen außer Gebrauch
gesetzt werden müssen.
Andere hydrotherapeutische Prozeduren, als die Dauerbäder, sollten
heute nur mehr im Notfälle Verwendung finden, wie die lauwarmen
oder gar die kalten Packungen. Nur für die höchsten Grade tobsüchtiger
Erregung bleibe diese nasse Zwangsjacke Vorbehalten. Die Dauerbäder
sind sowohl für die leichteren Formen sowie die schweren motorischen,
Verwirrtheitszustände der Manie ein bewährtes Beruhigungsmittel; sie
spielen die Hauptrolle unter den Waffen, welche dem Arzt gegen diese
Krankheit zu Gebote stehen.
In zweiter Linie steht erst die medikamentöse Behandlung, wenn¬
gleich sie die ältere ist. Abführ- und Brechmittel waren beliebte Dispen¬
sationen, indiziert durch ihre ableitende, die Himhyperämie vermin¬
dernde Wirkung. In diesem Glauben wuirden auch Blutegel hinter die
Ohren gesetzt. Solche Medikationen sind durchaus nicht lächerlich;
die Idee ihrer Heilkraft ist dieselbe wie diejenige, welche der Anwendung
der ebenso gepriesenen Dauerbäder zugrunde lag. Auch ihre Erfolge
sind ja aus der Beseitigung örtlicher Hyperämien durch Regelung des
Blutuiiilaufs zu erklären. Die Kontraindikationem gegen diese Mittel
aber, wie sie sich aus der Erfahrung mit ihnen ergaben, sind: 1. viel
zu vehemente, drastische Wirkungsweise, 2. der durch sie erzielte, viel
zu kurze Effekt, 3. die schädlichen Nebenwirkungen.
Vielleicht mit Unrecht sind gewisse chemisch wirkende pflanzliche
Substanzen heute außer Kurs gekommen. Dazu gehörten wirksame
Bestandteile der Digitalis purpurea, des Conium maculatum, der Tinctura
Hyoscyami, des Secale cornutum, der Stryclmus nux vomica. Die
Tinctura digitalis wurde von den Engländern 3—4 mal täglich zu
1—2 Gramm verordnet. Der wirksamste Bestandteil der Digitalis¬
blätter ist das Digitoxin, •welchem wohl der Einfluß auf die Verengerung
der peripheren Blutgefäße zuzuschreiben ist. Mit dieser geht eine
Steigerung des Blutdruckes Hand in Hand, welcher bei größeren Gaben
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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sinkt. Wegen der gefäßkonstriktorischen Wirkung wäre das Mittel
auch, heute noch zu versuchen. Auch die Pillules sedatives wären zu
empfehlen:
Ep.: Fol. Digital, in pulv. 5,0
Morpliini hydrochlorici 0,3
Camphorae 2,0
Conserv. Eosarum q. s.
ut. f. pilulae Nr. 40 Consp. Lycopodio.
D. S. Anfänglich 2 mal täglich 1 Pille, später 2 mal 2 Pillen zu nehmen.
Das Conium wurde ebenfalls von englischen Ärzten empfohlen,
und zwar 3mal täglich 7,50 Gramm bei Frauen und 11,25 Gramm
bei Männern in der Form des Succus Conii, schnell steigend. Das Coniin,
welches zu den stärksten Giften zählt, lähmt die motorischen Nerven¬
endigungen. Ein günstiger Einfluß auf die Erregung Maniakalischer
kann dadurch erklärt werden, daß die Dilatation der Binden arterien
auf einer Eeizung des Sympathikus, nämlich jener feinsten Fäserchen
beruhe, welche die longitudinale Gefäßmuskulatur innervieren, deren
Vorhandensein an Längsschnitten durch die Wände größerer Stämm-
chen sich überzeugend präsentiert. Mit Mendel würde ich dafür sein,
auch heute noch mit dem Coniin Versuche zu machen, und zwar in
der Form des Conium hydrobromicum.
Ep.: Conii hydrobromici 0,02
Aqu. destillatae 100,0
Aqu. Menth, pip.
Syr. simpl. aa 25,0
M. D. S. 3mal täglich 1 Eßlöffel zu nehmen.
Bei Hypomanien mit Orientiertlieit gebe man das schwächere
Ep.: Conii hydrobromici 0,02
Syr. simpl. 100,0
M. D. S. 3mal täglich einen Teelöffel.
Von Campbell wurde die heute nicht mehr in Gebrauch stehende
Tinctura Hyoscyami verordnet. Von den beiden wirksamen Bestand¬
teilen der Folia Hyoscyami, dem Hyoscyamin und Hyoscin, ist das
letztere wohl von wesentlicherer Bedeutung. Wir haben es ßchon als
ein heroisches Sedativum für den heftig Widerstrebenden bei der Ein¬
lieferung in die Anstalt kennen gelernt. Wie das Coniin, lähmt auch
das Hyoscin die motorischen und sensibeln Nervenendigungen. Die
Entfaltung seiner Heilkraft beruhte daher auf einer Parese der vaso¬
motorischen Dilatatoren, welche bei der Manie als krankhaft kontra¬
hiert, zu denken wären. Heute wird man die Tinktur durch den Extrakt
ersetzen.
Ep.: Extracti Hyoscyami 3,0
Pulv. Ead. Liquir. 1,5
Succi Liquiritae 1,0
M. f. pil. Nr. 30 Consp. Lycopod.
D. S. 3 mal täglich 2 Pillen.
Mendel hatte einen dauernden Erfolg bei einem Maniakus durch
Injektionen mit Secale cornutum erreicht. Von 2,0 Extract. secal. cornut.
aqu. in 6 Gramm Aqu. wurde morgens und abends 1 / 2 Spritze ge¬
geben. Im ganzen wurden 10 Gramm des Medikamentes dispensiert.
Die wirksamen Substanzen des Ergotins sind die Sphacelinsäure und
das Cornutin, beide verursachen eine Verengerung der Gefäße und
Blutdrucksteigerung.
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1216
v. Nießl Mayendorf,
A
Nun gibt es einige Medikamente, deren Anwendung bei der
Manie von einzelnen Autoren empfohlen, während sie von anderen als
ganz nutzlos verworfen wird. Dazu gehören das Opium, das Mor¬
phium, die Brompräparate, das Atropin. Das Opium wurde zuerst
von Nasse in Fällen von Manie gegeben, welche länger als vier Monate
dauerten und nur Ideenflucht und Bewegungsdrang erkennen ließen
bei ungestörter Orientierung und normalem Zusammenhang der Ge¬
dankengänge. Jolly hat das empfohlene Medikament an 15 Kranken
wieder versucht. Er fing mit 3mal 10 Tropfen Opiumtinktur pro die
an und stieg bis zu 3 mal 40 Tropfen (ausnahmsweise auch 3 mal 45).
Die Besserung hinsichtlich einer Verlangsamung des Gedankenablaufes
sei offensichtlich zutage getreten. Ein Drittel seiner Fälle sali Jolly
durch die Opiumkur genesen, während Nasse von 76 Maniakalisehen
22 geheilt haben wollte. Auch Magnan hatte Erfolge mit der Opium¬
behandlung gehabt. Er begann mit 15 Tropfen der Tinktur und stieg
bis zu 4 oder 5 g täglich, ja ausnahmsweise bis zu 10—15 g. Wie
bei allen anderen Mitteln, die wir hier gegen die maniakalische Er¬
regung angeführt haben, ist die Wirkungsweise des Opiums eine läh¬
mende und daher auf die Großhirngefäße eine erweiternde. Bei der
Manie muß dies jedoch nichjt der, Fall sein, da die longitudinalen
Muskelfasern der Gefäße, deren pathologischer Beizzustand die Ver¬
größerung der Gefäßlumina zur Folge hat, dem Opium gegenüber
weit weniger widerstandsfähig sein können als im normalen Zustande,
während die nicht ermüdeten, antagonistischen Vasokonstriktoren nun¬
mehr die Oberherrschaft erlangen und eine Zusammenziehung der Gro߬
hirnarterien bewirken. Mendel verhält sich dem Opium gegenüber
ganz ablehnend, ja er meint, es sei je nach iseiner Wirksamkeit oder
Unwirksamkeit differentialdiagnostisch zu verwerten, eine durch Opium
günstig zu beeinflussende Manie sei überhaupt keine, sondern eine
agitierte Melancholie. Niemand wird, wie ich glaube, ohne weiteres
diesen extremen Standpunkt teilen.
Das Ziel der therapeutischen Bestrebungen war stets, die soge¬
nannten Anfälle zu coupieren. Insbesondere spielte dieses Vorbeugen
bei der periodischen Manie eine Bolle. In dieser prophylaktischen
Beziehung sollen Morphiuminjektionen etwas geleistet haben (Knecht).
Bromkali wird in großen Dosen empfohlen bei der menstruellen Manie
von v. Krafft-Ebing, ferner von Magnan gegen verschiedenartige
maniakalische Zustände, zumeist in einer Verbindung mit Chloral-
hydrat. Das Bromkali wurde nach dem Essen, das Chloralhydrat
(2 Gramm) vor dem Schlafengehen gegeben. Kohn wollte sogar mit.
8 bis 10 Gramm Bromkali, maniakalische Anfälle hintangeh alten
haben. Mendel hält von der Bromtherapie nichts.
Ich glaube, wir lassen Kohn und Mendel ganz ruhig darüber
streiten, ob wir mit dem Bromkali bei der Manie etwas ausrichten
können oder nicht, vergessen aber nicht, daß wir mit unseren Medika¬
menten nicht Krankheiten, sondern Kranke heilen wollen, und daß
oft eine individuelle Beschaffenheit der mit diesem oder jenem
Behandelten für die Erfolge oder das Versagen eines Medikamentes
ausschlaggebend gewesen ist.
Dies gilt wohl auch für die divergenten Ansichten über die Mög¬
lichkeit, den maniakalisehen Anfall mit dem Atropin zu coupieren,
welche Hitzig durch einschlägige Versuche bewiesen zu haben glaubte.
Hitzig ging auf der II. Versammlung der Vereinigung mitteldeutscher
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1217
Psychiater und Neurologen in Halle a. d. Saale, am 24. Okt. 1897 noch
weiter, indem er erklärte, vollkommene Beseitigung von Exzitations¬
zuständen, Heilung von bisher als unheilbar angesehene Krankheits¬
formen durch Atropin erreicht zu haben. Er injizierte 0,1—0,3 Milli¬
gramm, steigend bis 1,0 Milligramm mehrmals täglich, unmittelbar
vor Beginn der Anfälle, wochenlang. Es handelte sich hauptsächlich
um Fälle periodischer Tobsucht.
Endlich wurden günstige Resultate mit Str 5 'chnininjektionen ge¬
sehen. Wie Sie sehen, ist der Arzneischatz gegen die maniakalische
Erregung, welchen wir im Laufe der Jahre durch Erfahrungen
einzelner gewonnen haben, kein beschränkter. Es steht Ihnen frei,
gegebenenfalls mit diesem oder jenem einen Versuch zu machen, ja,
ich rate Ihnen sogar dazu. Es ist dies viel zweckmäßiger, als
wenn Sie bei dem heute fast allein gebräuchlichen Skopolamin
stehen bleiben, dessen Gefahren seinerzeit über-, heute aber jedenfalls
unterschätzt werden. Behalten Sie sich Ihre Skopolaminspritze für
den Gipfel der Erregung, den wilden Bewegungsdnang bei vollstän¬
diger innerer Inkohärenz vor. Nicht nur die individuelle Reaktions-
Weise vereitelt oft in ein Medikament gesetzte Hoffnungen bei seiner
Anwendung im speziellen Falle, sondern die sicher vielfach ihrem patho¬
logischen Wesen nach durchgreifende Verschiedenheit der Krankheits¬
bilder, welche unter „Manie“ gefaßt, rubriziert und als Manie behan¬
delt werden.
Ebensowenig als es ein spezifisches Heilmittel gegen den patho¬
logischen Stimmungszustand der maniakalischen Erregung gibt, eben¬
sowenig gibt es nur für diese psychische Erkrankung passende Schlaf¬
mittel. Der Schlaf fehlt auf der Akme ja oft vollständig. In diesen
Fällen empfehle ich außer den Dauerbädern, die hier ihre segensreichste
Wirkung entfalten, 3mal täglich 2 Gramm Bromkali in Wasser. Abends
vor dem Schlafengehen Chloralum formamidatum 2 1 / 2 bis 3 Gramm.
Auch das von Becker eingeführte Veronalnatrium per Klysma, welches
sogar das Hyoscin ersetzen soll, wäre zu versuchen.
Vorschriften zur Einhaltung einer besonderen Diät halte ich nicht
für erforderlich, auch nicht für Tätlich, da jeder gegebene Fall in dieser
Beziehung nach seinen besonderen Umständen zu behandeln sein wird.
Man wird selbstverständlich den Maniacus als Kranken ansehen, ihn
weder rauchen, noch Bier trinken lassen, ihn auf Krankenkost setzen,
wenn die Erregung zu erheblicheren Graden sich gesteigert hat. Ob
gerade eine Milchdiät, wie sie Mendel vorschlägt, etwas spezifisch Be¬
ruhigendes für die Maniaci hat, wird sich wohl schwer beweisen lassen,
es müßte denn sein, daß es gelänge, die Manie mit der „Milch der*
frommen Denkungsart“ zu heilen.
Ich habe bei der Therapie der Melancholie über einen Punkt
nicht gesprochen, welcher bei vielen Geisteskrankheiten von der größten
Bedeutung, für die Melancholie aber von wenig Belang zu sein scheint,
der prophylaktischen Hygiene. Die Manie, welche zu den am leichtesten
rezidivierenden Geisteskrankheiten gehört, ist nach ihrer Heilung am
Wiederauftreten mit allen Mitteln zu bekämpfen. Sie wissen, daß
es ein menstruelles Irresein als Manie gibt, es wird von puerperalen
Manien gesprochen, die beständig zwischen maniakalischer Höhe und
melancholischem Zusammensinken pendeln den Cyklothymien die perio¬
dische Manie, die zirkulären Doubletten als Erneuerungen der Krankheit
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1218
Referate und Besprechungen.
in bestimmten Intervallen, ja, das einfache, reine, akute klinische Symp¬
tom der Manie, in ihnen allen liegt der Keim zur Wiederholung, wenn
es auch einmalige Manien im Leben geben soll. Die Schädlichkeit für
die Psyche, welche sich aus den psychologischen Vorgängen der Men¬
struation ergeben, zu beseitigen, ist sehr schwer. Man wird jedoch
solchen Personen, bei denen die Psyche sich während dieses Prozesse^
verändert, besondere Schonung und Rücksicht auf ihren Zustand ans:
Herz legen, sowie die Folgen auseinandersetzen, welche die Nicht¬
beachtung der ärztlichen Ratschläge haben könnten und erfahrungs¬
gemäß haben würden. Einem Mädchen das Heiraten zu verbieten, weil
sie eventuell an einer puerperalen Manie erkranken könnte, ist natürlich
ein Unding. Ebenso ungerechtfertigt ist das Verbot des sexuellen Ver¬
kehrs Eheleuten gegenüber, angesichts einer puerperalen Geisteskrank¬
heit der Frau. Die Cyklothymiker, welche zumeist außerhalb einer
geschlossenen Anstalt ihre psychische .Wellenbewegung ablaufen lassen,
müssen, was allerdings sehr schwer hält, und ein j)ium desideriulm
bleibt, an eine regelmäßige Lebensweise gewöhnt werden. Vor allem
ist der Alkohol für sie zu streichen. Ich habe eine Persönlichkeit
gekannt, bei welcher nach Abgewöhnung des Genusses großer Bier¬
mengen, dem sie früher ergeben war, die psychopathologischen Phasen
weit gelinder verliefen als zuvor. (Schluß folgt).
Referate und Besprechungen.
Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie.
M. Neu (Heidelberg), Zur Klinik und pathologischen Anatomie der
malignen Hypemephrome. (Zeitschr. für gyn. Urol., Bd. 2, H. 6, 1911.)
Eine 76jähr. Frau, die vorübergehend an Hämaturie leichtesten Grades ge¬
litten, erkrankte plötzlich kurz hintereinander mit Fieber und Schmerzen
in der rechten Bauchseite. Daselbst fand sich ein mannskopfgroßer Tumor
von derber, solider Konsistenz, schmerzhaft, bis zwei Querfinger unterhalb
des Rippenbogens reichend, der untere Pol war von der Vagina aus zu er¬
reichen. Es wurde die Fehldiagnose auf Stieldrehung eines Ovarialtumors
gestellt. Bei der Medianlaparotomie in Choloroform-Äthernarkose stellte
es sich heraus, daß es sich um einen mit der rechten Niere zusammenhängen¬
den Tumor handelte. Nach Spaltung des Peritoneums Auslösung des Tumors
samt Niere und Exstirpation. Alles wurde geschlossen. Tadellose Rekon¬
valeszenz; 5 Monate später lebte die Frau noch und war aufgeblüht. Trotz¬
dem bezweifelt N. eine Dauerheilung, denn die mikroskopische Untersuchung
ergab den Befund eines typischen malignen Hypernephroms, welcher ein¬
gehend geschildert und durch Abbildungen illustriert wird. Die meisten
Autoren schätzen die Rezidivierung auf über 50%. Bezüglich der Diagnose
macht N. auf die vorübergehende Hämaturie und das initiale Fieber nach-
drticklichst aufmerksam unter Hinweis auf die ausgezeichnete Arbeit von
Israel. R. Klicn (Leipzig).
O. Lustig, Beitrag zum Studium der Veränderungen der Reaktion
des degenerierten Nerven auf den elektrischen Reiz. (Öasopis l<*karüv ces»k<cb,
Nr. 48—50, 1910.) Beim degenerierenden Nerven tritt sehr bald eine Um¬
kehrung des Pflüger’schen Gesetzes über die Polarwirkung ein: bald nach
dem Durchschneiden des Nerven reizt die Anode bei der Stromschließung,
die Kathode bei der Stromöffnung. Diese Erscheinung, die als terminale
Erscheinung der Nervenerregbarkeit aufzufassen ist, beginnt am Querschnitt
des NerveD und greift mit fortschreitender Degeneration auf die benachbarten
Partien über. Der Schwellenreiz wächst für die Anode schneller als für die
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Referate und Besprechungen.
1219
Kathode, aber diese erschöpft den Reiz mehr; legt man nämlich die Kathode
auf den vorher durch die Anode gereizten Nerven, dann ruft dieselbe eine
deutliche Reaktion schon bei einer kleineren Intensität hervor als früher
die Anode, während die Anode den vorher durch die Kathode gereizten
Nerven nicht einmal bei wesentlich stärkerer Intensität zur Reaktion bringt.
Kumulieren sich mehrere degenerierende Einflüsse (Durchschneiden, Aus¬
trocknung, geschwächtes Individuum), dann wird der Eintritt der Reak¬
tionsumkehrung beschleunigt. G. Mühlstein (Prag)..
M. Herz (Wien), Über gesteigerte pulsatorische Bewegungen der Arte¬
rienwände. (Die Heilkunde, Ärztl. Standesztg., Nr. 4, 1911.) Wenn wir
an einer peripheren menschlichen Arterie, welche normalerweise nicht wahr¬
nehmbar pulsiert, schon beim leisen Auflegen des Fingers die Pulsationen
wahrnehmen können, oder wenn diese sichtbar werden, oder wenn wir an
einer Arterie eine Steigerung der schon unter normalen Verhältnissen vor¬
handenen Pulsationen konstatieren können, dann bestehen folgende Möglich¬
keiten: 1. können die Druckschwankungen, welche das Herz durch seine
Kontraktionen im Arteriensystem erzeugt, weit über die Norm gesteigert
sein; 2. kann die Arterienwand nachgiebiger geworden sein; und 3. kann die
Arterie infolge von pathologischen Veränderungen ihrer Wand anstatt in
gerader Linie in einem Bogen oder in einer Schlangenlinie verlaufen. Der
Fall 1 tritt bei der Aorteninsuffizienz ein. Bei der Messung des systolischen
Druckes finden wir hier eine bedeutende Erhöhung, in der Diastole hingegen
kann der Druck bis auf 0 absinken, ja negativ werden, zumeist aber liegen
Kombinationen von zwei oder aller drei Faktoren vor. Von besonderem
Interesse sind diejenigen Pulsationen, welche durch Gestaltsveränderungen
der der direkten Beobachtung entrückten Aortenwurzel verursacht werden.
Ist die aufsteigende Aorta in höherem Grade verlängert, dann sinkt das
Herz nach unten, und der Aortenbogen wird gehoben. Oft ist die Bewegung
so bedeutend, daß die pulsatorischen Bewegungen des Bogens sich deutlich
sichtbar im Jugulum machen. Bei geringeren Graden kann man die Pulsa¬
tionen mit dem in das Jugulum eingeführten Finger tasten. Zugleich sind
auch die Ursprungsstellen der Subklavia und der Karotiden in die Höhe
gerückt, so daß die ersteren über das Niveau der Schlüsselbeine gehoben
und große Pulsationen in den Supraklavikulargruben sichtbar oder in großem
Ausmaße tastbar werden. S. Leo.
Innere Medizin.
A. Müller (Wien), Geschmacksparästhesie auf arteriosklerotischer
Grundlage. (Zentralbl. für innere Med., Nr. 28 u. 29, 1911.) Der 52jährige
Patient hatte seit 3 Wochen unausgesetzt einen intensiv süßen Geschmack
im Munde, der ihn quälte. Oppressionsgefülil auf der Brust, Kurzatmigkeit
bei Anstrengungen. Ziemlich ßtarker Raucher. Herzvergrößerung nach links,
Verstärkung des zweiten Aortentones, Blutdruck 175 mm Hg, kein Nerven¬
leiden.
Patient war ohne Erfolg lokal und mit Brom behandelt worden. Er
erhielt außer einem Mittel zur Mundspülung (Tinct. myrrhae, Tinct. ratan-
hiae) Diuretin (dreimal 0,5'g) verordnet, da an der Diagnose einer Arterio¬
sklerose nicht zu zweifeln war. Merkwürdig und unerwartet war die prompte
Wirkung des Diuretins auf die Geschmacksparästhesie. Pat. verlor sie vom
ersten Tage an völlig. Daß dies kein Zufall war, ging daraus hervor, daß
sie nach Aussetzen des Medikamentes mehrfach wieder erschien, um sich wie¬
der durch Diuretin beseitigen zu lassen. Gegenwärtig nimmt er dauernd
Diuretin und ist seit einem Jahre beschwerdefrei.
Ferner wird noch ein Patient mit anfallsweisen Schmerzen in der Zunge
erwähnt. Es handelte sich um einen Arteriosklerotiker, der nach der Ver¬
ordnung von Diuretin sich nach einer Woche wieder vorstellte und von einer
bedeutenden Besserung berichtete. Neumann.
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1220
Referate und Besprechungen.
R. T. Williamson (Manchester), Das Ende des Diabetes und der Gly-
kosurie. (Practitioner, Bd. 86, H. 6.) Wenig bekannt ist, daß Diabetes auch
zu plötzlicher Herzlähmung führen kann. Zuweilen schlägt er in chronische
Nephritis um, unter Abnahme und schiießlichem Verschwinden der Zucker*
Sekretion; zu Diabetes hinzu tretende Albuminurie ist ein übles prognosti¬
sches Zeichen. Ein ähnliches, theoretisch interessantes Verhalten zeigt sich,
wenn Phthise oder Leberzirrhose zum Diabetes hinzu treten: auch hier schwin¬
det die Zuckerabsonderung. W. hat nie eine wirkliche Heilung des Diabetes
beobachtet, will aber die von anderen behaupteten nicht in Zweifel ziehen;
jedenfalls kann man annehmen, daß es durch frühzeitige konsequente Be¬
handlung gelingt, die Fähigkeit der Zuckerzersetzung wieder soweit herzu-
stellen, daß man im praktischen Sinn von Heilung sprechen kann.
Obgleich Glykosurie völlig und dauernd verschwinden kann, so muß
man doch stets die Möglichkeit im Auge behalten, daß sie der Anfang des
Diabetes ist. Fr. von den Velden.
W. Weintraud (Wiesbaden), Die Behandlung der Gicht mit Phenyl-
chinolIncarbonsäure (Atophan) nebst Bemerkungen über die diätetische Thera¬
pie der Krankheit. (Therap. d. Gegenwart: Nr. 3, 1911.) Atophan ist ein
neues Mittel, um den schmerzhaften Gichtanfall zu erleichtern und seinen
Ablauf zu beschleunigen, wie alle diese Mittel zweischneidiger Natur und
nicht schematisch, sondern nur unter genauer Kontrolle der Harnsäurebildung
und -ausscheidung anwendbar, wenn man nicht Schaden anrichten will:
also nichts für den praktischen Arzt und noch weniger für die beliebte
Selbstbehandlung. Es ist, wie W. zugibt, nur ein symptomatisches Mittel
und so wenig ein Heilmittel der Gicht wie irgendein anderes.
Von praktischem Interesse sind dagegen die auf Grund eigner Er¬
fahrungen beruhenden Ansichten W.s über die Gichtbehandlung, daß näm¬
lich „nicht diejenigen am besten fahren, die im Sinne purinfreier Er¬
nährung am konsequentesten ihr diätetisches Regime einhalten, sondern viel¬
mehr die, welche durch regelmäßige ausgiebige Muskelaktion und durch
immer wiederholten Gebrauch warmer Bäder ihrer krankhaften Diathese
Rechnung tragen“. W. hält die purinfreie Diät nicht für den Kernpunkt der
Gichtbehandlung, ja verzichtet für gewöhnlich auf sie. Wenn er nicht den
Alkohol verbannte, stände er völlig auf dem Standpunkte S y d e n h a m’s.
Fr. von den Velden.
L. Lichtwitz (Göttingen), Ein Beitrag zur Therapie der Azidose.
(Therap. Monatsh., Febr. 1911.) Bei der diabetischen Azidose zeigt das
doppelkohlensaure Natron trotz seiner sonstigen Vorzüge oft unangenehme
Nebenwirkungen. Die Entwicklung von C0 2 durch die Salzsäure des Magens
bewirkt ein Gefühl der Fülle. Die Absättigung der Salzsäure und der
schlechte Geschmack des Salzes schädigen den Appetit. Ferner treten bei
größeren Mengen des Salzes leicht Durchfälle auf, die bei dem geschwächten
Allgemeinzustand nicht leicht genommen werden können. Deshalb schlägt
L. als Ersatz das zitronensaure Na vor. Es hat einen ganz schwachen,
salzigen Geschmack. Es kann vielen Speisen zugesetzt werden und besonders
auch in wässeriger Lösung unter Zusatz von Zitronensaft gereicht werden.
Die Verbrennung des Zitrats ist auch bei schwerem Diabetes nicht gestört.
Ferner ist das Natr. citric. beim Coma diabeticum dem Bikarbonat überlegen,
da letzteres wegen seiner stark alkalischen Reaktion unmöglich injiziert
werden kann. Das Zitrat dagegen hat nur eine schwach alkalische Reaktion,
die durch Zitronensäure leicht neutralisiert w r erden kann. Man kann also
die unangenehme intravenöse Infusion von Na. bicarb. durch die subkutane
von neutralem Na. citr. ersetzen. S. Leo.
Gynäkologie und Geburtshilfe.
F. Schauta (Wien), Gynäkologische Tagesfragen. Tuberkulose und
Schwangerschaft. (Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 33, S. 265.)
Die Untersuchungen der zahlreichen Autoren, welche diese Frage schon be-
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Referate und Besprechungen.
1221
arbeitet haben, ergaben, daß in etwa Z U der Fälle die Tuberkulose in der
zweiten Hälfte der Schwangerschaft und im Wochenbette rascher fortschreitet.
In dieser Zeit ist eine diätetische Beeinflussung der Krankheit (Heilstätten -
behandlung) kaum möglich. Die künstliche Unterbrechung der Schwanger¬
schaft in den ersten Monaten ist sicher geeignet, die Heilung des Lungen -
Prozesses zu unterstützen. Die Rücksicht auf das Kind ist bei den aller¬
meisten Fällen nicht ausschlaggebend.
Demnach ist die Indikation zur Einleitung des Abortes in jedem Falle
gegeben, in dem die Diagnose Tuberkulose feststeht, da man ev. mit der
Behandlung zu spät kommt, wenn, wie zumeist, das Vorschreiten in späterer
Zeit der Schwangerschaft einsetzt. Lieber opfere man das bei Tuberkulose
der Mutter ohnehin zweifelhafte Leben des Kindes als diese. Heilstätten -
behandlung bei Tuberkulose ist von zweifelhaftem Erfolge und nur in einer
verschwindenden Minderzahl erreichbar. Unterbrechung der Schwangerschaft
in der zweiten Hälfte nützt nichts und schadet nicht selten.
Schauta empfiehlt bez. der Technik Hysterotomia anterior ev. mit
doppelter Unterbindung der Tuben zur Sterilisierung und Deckung des
uterinen Tubenstumpfes mittels des Lig. rotundum. Frankenstein (Köln).
Otto v. Franqug, Zur Klinik der weiblichen Genitaltuberkulose. (Med.
.Klinik, Nr. 27, 1911.) v. F. widerspricht auf Grund seiner Erfahrungen in
einer Reihe von Punkten den Ansichten der beiden Referenten auf dem dies¬
jährigen Gynäkologenkongreß, Jung und Kr önig. v. F. ist der Meinung,
daß der hämatogene Infektionsweg gegenwärtig überschätzt werde. Sei es
doch noch niemals gelungen, auf diesem Wege experimentell eine Tuben -
und Uterustuberkulose zu erzeugen. Sodann sei eine befriedigende Erklärung
für das ganz regelmäßige Erstbefallensein der Tuben bei ursprünglicher
Freiheit des Uterus für die hämatogene Infektion bis heute nicht gegeben.
Dagegen erkläre sich die Bevorzugung der Tuben ganz einfach bei der An¬
nahme des peritonealen Infektionsweges, den v. F. für sehr viel häufiger
hält, als dies allgemein geschieht. Bisweilen erfolge aber zweifellos auch
vom Introitus und der Vagina her auf dem Wege der Lymphbahnen des Lig.
latum die Infektion der Tuben. Solche Fälle habe v. F. früher a. a. O.
beschrieben. — Zur Stellung der Diagnose solle man nur ausnahmsweise,
und dann sehr vorsichtig ohne Laminariadilatation die Ausschabung machen.
Eine Knötchenbildung im Douglas komme auch bei nicht tuberkulöser Adeno-
myositis uteri vor. Die Tuberkulinreaktion kann v. F. nicht als zuver¬
lässig anerkennen, weder nach der positiven noch nach der negativen Seite
hin, bei Darmverwachsungen sei direkt vor der Injektion zu warnen. —
Therapeutisch hält v. F. unbedingt an der Laparotomie mit Entfernung
der erkrankten Tuben bez. auch des Uterus fest. Er hatte damit stets vor¬
zügliche Primär- (unter 37 Fällen kein Todesfall) und auch gute Dauerresul¬
tate erzielt. Die konservative Behandlung komme nur für die obersten
Zehntausend ernstlich in Betracht. Man vergesse auch nicht, daß gerade
in tuberkulösen Uteris nicht gar so selten sich Karzinom entwickle. Nur bei
sehr ausgedehnten Verwachsungen mit dem Darm erzwinge man die Ent¬
fernung der Tuben nicht . R. Klien (Leipzig).
A. Sitzenfrey (Gießen), Zur Bakteriologie und Histologie fieberhafter
Uterusmyome. (Archiv für Gyn., Bd. 94, H. 1, 1911.) Unter 15 Myom-
fällen, die vor der Operation Temperatursteigerungen, z. T. nur
subfebriler Art, aufwiesen, und in denen extragenitale Ursachen auszu-
schließen waren, ergab die bakteriologische Untersuchung der exstirpierten
sechsmal das Vorhandensein pathogener Keime im Myomgehalt, siebenmal
war das Ergebnis negativ. Diese Fälle werden eingehend beschrieben. Dem¬
nach kommt die bakterielle Infektion rein interstitieller Myome gar nicht
so selten vor, sie erfolgt wohl hauptsächlich auf dem Blutweg. Begünstigt
wird das Seßhaftwerden der Mikroorganismen, wie das vorliegende Material
beweist, durch degenerative Vorgänge im Myom, Erweichung, Nekrose, entra-
ligamentäre Entwicklung, thrombotische Vorgänge. Einer der Fälle ging an
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1222
Referate und Besprechungen.
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Lungenembolie zugrunde, es 'handelte sich um ein Riesenangiomyom mit
thrombotischen Prozessen in den Venen. Daß die anderen Fälle alle mit dem
Loben davon kamen — es handelte sich z. T. um Streptokokken und gelbe
Staphylokokken —, schiebt B. auf die Art der Operation nach v. Franque,
wobei bekanntlich erst nach Auslösung des Uterus bis zur Scheide herab als
letzter Akt die Scheide eröffnet wird und zwar von vorn. Je nachdem
komplizierte Wundverhältnisse Zurückbleiben oder nicht, wird nach unten
dräniert oder nicht. Auch hakt v. Franque nie ein Myom an. — S. rät
dann noch dringend von einer Röntgenbehandlung fiebernder oder er¬
weichter Myome ab. R. Klien (Leipzig).
Psychiatrie und Neurologie.
Bechterew, Über die Anwendung der assoziativ-motorischen Reflexe
als objektives Untersuchungsverfahren in der klinischen Neuropathologie und
Psychiatrie. (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 5, H. 3.) Kombiniert
man den den gewöhnlichen Reflex hervorrufenden Reiz mit einem beliebigen
anderen (z. B. die elektrische Reizung der Fußsohle mit einem akustischen
Reiz), so entsteht nach einer Anzahl solcher Assoziationen ein assoziativ -
motorischer Reflex, indem dann der akustische Reiz allein im obigen Fall
den Fußreflex bewirkt. B. glaubt, daß diese Methode z. B. Taubheitssimu-
lauten entlarven kann, daß man hiermit wirkliche Lähmungen von schein¬
baren unterscheiden kann, indem der assoziativ-moto rische Reflex bei zere¬
bralen Lähmungen sich nicht findet, wohl aber bei hypnotisch suggerierten.
Zweig (Dalldorf).
G. Anton (Halle), Zur Diagnose und Behandlung der Geschwülste im
vierten Gehirnventrikel. (Arch. f. Psych., Bd. 48, H. 2.) 4 Fälle und ein Fall
von Kleinhirnagenesie. Diagnostische Anhaltspunkte für die übrigens meist
vom Dach der Rautengrube ausgehenden und ausschälbaren Tumoren oder
Zysten sind Wechsel von schwerer allgemeiner zerebraler Störung, Kopf¬
schmerzen, Schwindel, Erbrechen bzw. Puls- und Atemstörungen mit Perioden,
in denen der Kranke sich relativ wohlfühlt. Ferner zerebellare Ataxie und
leichter Nystagmus sowie das Eintreten des plötzlichen Todes. Therapeutisch
empfiehlt sich vor allem die Druckentlastung des 3. oder 4. Ventrikels durch
Balkenstich oder durch Ventrikelpunktion, welche überhaupt Operationen
zwecks Entfernung von Gehirntumoren stets vorausgehen sollten.
Zweig (Dalldorf).
M. BcIIetrud et P. Froissärd (Pierrefeu), Pour servir ä l’histoire des
traumatismes cräniens (Arch. de Neur., Juni 1911.) An der Hand zweier
Fälle von Dem. pr. mit einem Trauma in der Anamnese weisen die Verfasser
aufs eindringlichste auf eine möglichst sorgfältige Anamnese hin, die oft
durch unrichtige Angaben der Umgebung absichtlich gefälscht wird. Meist
ergeben sich dann Störungen auch schon vor dem Unfall.
Zweig (Dalldorf).
Medikamentöse Therapie.
G. Zuelzer (Berlin), Die Hormontherapie. 1. Das Peristaltikhormon
„Hormonal“. (Ther. der Gegenwart, Nr. 5, 1911.) Der von dem englischen
Physiologen Starling stammende Ausdruck Hormon bezeichnet Sekretions-
Produkte des Körpers, die dazu bestimmt sind, an einer entfernten Stelle
Funktionen in Gang zu bringen, ohne die nervöse Leitung in Anspruch zu
nehmen. Ein bekanntes Beispiel ist das Cedronalin, das z. B. imstande ist,
Hefezellen zur Zuckerproduktion anzuregen. Basch hat gezeigt, daß aus
der Plazenta ein Hormon hergestellt werden kann, das die Milchsekretion
anregt; ist das Tier noch virginal, so muß außerdem ein aus dem befruch¬
teten Ovarium hergestelltes Hormon eingespritzt werden.
Z. hat nun im Verein mit Dohru und M a r x e r ein Peristal tikhormon
extrahiert, das während der Verdauung in der Magenschleimhaut gebildet
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Referate und Besprechungen.
1223
und wahrscheinlich in der Milz aufgestapelt wird, denn es kann aus der
Milz gewonnen werden (Hormonal, Schering). Es ist, intramuskulär oder
intravenös injiziert, ein pcristaltikanregendes Mittel, das sich bei Ileus usw.
bewährt hat.
K r a h 1 hat in seiner Eröffnungsrede zum letzten Kongreß für innere
Medizin gesagt, „die Skepsis sei immer eine undankbare Sache“, das ist sie
auch gewiß für den, der sie ausspricht, aber durch Undank soll sich be¬
kanntlich der Arzt nicht stören lassen, sonst hätten wir längst die kranke
Menschheit sich und ihrem schwarzen Freund überlassen. Gerade an Mitteln,
die die Peristaltik anregen, fehlt es uns doch am wenigsten, und zwar an
solchen, bei denen nicht, wie bei dem Hormonal, Fieber, Schüttelfrost und
Kollaps riskiert wird, und die nicht nur um teures Geld zu bekommen sind.
Z. teilt auch mit, daß eine einmalige Injektion von Hormonal genügen
könne, um eine seit Jahfen bestehende Verstopfung auf Jahre zu beheben.
Daß es sicli hierbei um eine kräftige Suggestivwirkung handelt, wird wohl
niemand bezweifeln und selbst Z. gibt zu, daß diese Wirkung unaufgeklärt
sei, kommt also dem Zweifel auf halbem Wege entgegen.
Fr. von den Velden.
H. Bosse (Riga), Zur Behandlung der Larynxtuberkulose mittels des
C>cloform-Anästhesin-Coryfinsprays. (Zentralbl. für innere Med., Nr. 24,
1911.) Die Erfahrungen Baumgartens, daß nach Berieselung des Kehl¬
kopfs mit einer 4—5%igen Lösung von Cycloform oder Anästhesin in Coryfin
die Schluckbeschwerden Tuberkulöser mehrere Stunden, zum Teil bis zum
anderen Tage gebannt sind, kann Verf. voll und ganz bestätigen. Zur Appli¬
kation empfiehlt sich am besten der „Glaseptic“-Nebelzerstäuber von Parke,
Davis <$: Co., mit dem die Patienten nach kurzer Anweisung in der Sprech¬
stunde recht gut fertig werden können. Der Apparat ist recht handlich und
kann bequem in der Tasche mitgeführt werden. Neumann.
Vergiftungen.
O. Peischer (Innsbruck), Die Gefahren des Leuchtgases. (Reichs-Med.-
Anzeiger, Nr. 12, 1911.) Sehr wichtig ist das Schließen des an der Wand
befindlichen Schlauchhahnes nach Benutzung des mit einem Schlauche ver¬
bundenen Gasappaartes, damit ein allfälliges und gern vorkommendes Ab-
gleiten des Schlauches keine Gasausströmung zur Folge haben kann. Um
diese Schließung zu erzwingen, sollten einflammige Gasapparate, wie Hand¬
kocher, Stehlampen, kleine Gasöfen, Bügelapparate, Bunsenbrenner, stets
ohne Hähne sein und der Verkauf solcher mit Hähnen direkt verboten
^werden; selbst zweiflammige Apparate könnten so hergestellt werden, daß
ein Hahn sich nur bis zur „Flammenkleinstellung“ drehen, jedoch nicht ganz
schließen läßt, so daß auch hier der Wanderschlauchhahn geschlossen werden
muß. Größere als zweiflammige Gasapparate sollten überhaupt nicht mit
Schlauch, sondern fix mit Röhren verbunden werden. Um Unglücksfälle
durch Abzugs- oder Verbrennungsgase zu vermeiden, sind jetzt polizeiliche
Vorschriften erschienen für den Anschluß großer Gasapparate, als Gasherde,
Gasbadeöfen und größere Gasöfen, an gutziehende Kamine; verbesserte Kon¬
struktion an diesen Apparaten in Verbindung mit dieser Vorschrift lassen
erhoffen, daß Unfälle durch Abzugsgase ganz verschwinden werden. Da¬
gegen bleibt leider das Bestreben der Baumeister bestehen, die Badezimmer
so klein als nur möglich zu machen, so daß das Gas nur dann genügend.
Luft zur Verbrennung findet, wenn die Türe des Badezimmers oder ein
Fenster offen gehalten wird; im anderen Falle ersticken die Flammen und
das Gas strömt unverbrannt in den Kamin ev. in den Raum'. Daher die
Vorschrift. Bei kleinen Badezimmern ist während der Badebereitung das
Badezimmer zu lüften. Ferner soll auf das Bauen größerer luftreicherer
Badezimmer hingewirkt werden. S. Leo.
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Bücherschau.
Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden.
Fackenheim (Eisenach), Fremdkörper im Halse. (Ther. Monatsh., Juni
1911.) Ein junges Mädchen kam zu F. mit Schlingbeschwerden, die sie auf
eine verschluckte Gräte zurückführte. Die Untersuchung mit Tages- und
konzentriertem elektrischen Licht ließ nirgends eine Gräte erblicken; dabei
war die Patientin so empfindlich, daß die leiseste Berührung der Mandel
mit einer Pinzette sofort Erbrechen hervorrief; das Abwischen der Mandel
mit einem in Kokain getauchten Wattebausch, das F. oft gute Dienste ge¬
leistet hatte, war ohne Erfolg. Da kam F. auf die Idee, die Gräte zu färben
und empfahl der Patientin den Genuß von Heidelbeerkompott. Als die
Patientin hierauf wiederkam, war F. frappiert über das Bild: auf der Innen¬
seite der linken Mandel ragte eine 1 mm lange blaugefärbte Spitze hervor,
die sich vorzüglich gegen die rote Mandel abhob und leicht mit der Pinzette
entfernt werden konnte. S. Leo.
Bücherschau.
Max Klotz (Straßburg), Die Bedeutung der Konstitution für die Säuglingsernährung.
Würzburg. Kurt Kabitzsch (A. StubePs Verlag). 85 Pfg.
„Nicht in der Nahrung, sondern beim Säugling ist viel häufiger, als man
zurzeit noch glaubt, die Schuld des Nichtgedeihens zu suchen. Die Kenntnis der
Konstitutionsanomalien, deren Studium jetzt wieder in den Brennpunkt ärztlichen
Interesses und Studiums rückt, ist der Schlüssel nicht sowohl für das Verständnis
zahlreicher pathologischer Erscheinungen beim Kinde als auch ihrer erfolgreichen
Behandlung. Optimum medicamentum est cibus opportune datus“. Wenn irgendwo,
so hat dieses Wort in der Säuglingspflege volle Geltung. K. gibt einen Überblick
über die zur Zeit ja noch strittigen und nicht allgemein anerkannten Diathesen,
denen er dann mit verschiedenen Ernährungsregimen zu Leibe geht.
Ein überaus verdienstliches Werkchen, das nicht nur dem Kinderarzt, sondern
ganz besonders dem praktischen Arzt Fingerzeige gibt, die ihm bei der individuellen
Säuglingsfürsorge wertvolle Dienste leisten können. Reiß (München).
F. Kuhn (Kassel), Die Verhütung und operationslose Behandlung des Gallenstein¬
leidens. Der Arzt als Erzieher, Heft 10. 5. u. 6. vermehrte Auflage. München.
Verlag der Ärztlichen Rundschau (Otto Gmelin). 2 Mk.
In 5. und 6. vermehrter und verbesserter Auflage liegt das Werkchen vor
uns, dem wir weiteste Verbreitung wünschen möchten, zum Heile aller der Kranken,
die von ihrem schmerzhaften Leiden durch ein Mittelchen befreit werden möchten,
das ihnen natürlich niemand geben kann. Das Buch will nirgends den Arzt ersetzen,
im Gegenteil ihm seine Tätigkeit am Krankenbett nur erleichtern. Die Art, wie
von Kurpfuschern und Wunderärzten die armen Kranken hinters Licht geführt
werden, ist eingangs erwähnt. Öle, welche im Darm zu Seife werden und ihn dann
als kleine grüne Kugeln verlassen, werden für gequollene Gallensteine ausgegeben;
als wenn der Abgang von Steinen gleichbedeutend mit Heilung wäre. Der 1. Teil
des Büchleins ist den prophylaktischen Maßnahmen gewidmet; im 2. Teil wird die
operationslose Behandlung des Leidens erörtert, während im 3. Teil kurz die schweren
Fälle von Gallensteinleiden, bei denen die Operation indiziert ist, behandelt w r erden.
Reiß (München).
Fr. Lange u. P. Martin Ulbrich (Magdeburg-Krakau), Erklärendes Handwörterbuch
zum Gebrauch für Diakonissen, Krankenpfleger usw. Potsdam 1911. Stiftungsverlag.
64 S. 80 Pfg.
Während in früheren Jahrhunderten die gelehrte Welt sich durch eine eigene
Sprache von den Laien abschloß, hat neuerdings das entgegengesetzte Prinzip Platz
gegriffen. Von der irrigen Voraussetzung ausgehend, daß alle Menschen gleich
seien, mithin auch alles gleich verstehen müßten, sucht man die Schranken nieder
zu reißen, welche einstens die verschiedenen Geisteswelten trennten, und wähnt
das Ziel durch Aufklärung, populäre Vorträge u. dergl. zu erreichen. Auch das
vorliegende erklärende Handwörterbuch gehört hierher. Es stellt ein Diktionnaire
der medizinischen Facliausdrücke dar und wird ohne Zweifel von strebsamen
Krankenpflegern mit Vorteil benützt werden, ganz besonders aber von Ärzten im
Verkehr mit deutschtümelnden Behörden. Buttersack (Berlin).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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29. Jahrgang.
1911.
Tortscbritte der Medizin.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner
herausgegeben von
Profmer Dr. 0. Köster Pric.-Doz. Dr. t>. Erlegern
in Leipzig. in Leipzig.
Schriftleitung: Dr. RIgler in Darmstadt.
Erscheint wöchentlich zum Preise von 5 Mark
Nr. 52. <° r da “ » i . lb . Jahr - . . . 28. Dezbr.
- Verlag vou Georg Thleine, Leipzig. .
Originalarbeiten und Sammelberichte.
Vorlesungen über
Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
Von v. Kleßl-Mayendorf.
(Schluß.)
IV.
Die epileptischen Psychosen.
M. H.! Sie wissen alle, daß es Menschen gibt, die bis in ihr hohes
Alter an Fallsucht leiden, ohne je geistig zu erkranken. Wenn Sie
diese Individuen aber näher betrachten, so sehen Sie gar bald, daß
die überwiegende Mehrzahl der Epileptiker psychisch anders geartet
ist als wie Sie, finden auch, daß die Abnormitäten der psychischen
Physiognomie bei den einzelnen gewisse gemeinsame Merkmale zeigen.
Aus diesen wiederkehrenden Eigenschaften konstituiert sich der epi¬
leptische Charakter. Dieser bestimmt das Wesen, Benehmen, Auftreten
des Kranken. Hat man des öftern Gelegenheit, Epileptiker zu sehen,
so vermag man vielfach beim ersten Anblick, ohne etwas von den Ab¬
fällen gehört zu haben, die Diagnose zu stellen, so eigentümlich ist
die Erscheinung des Epileptikers. Das Antlitz meist kongestioniert,
die Miene unbeweglich, gespannt, manchmal starr und ausdruckslos.
Die anscheinende Leere in den Zügen darf als ein äußeres Zeichen
von Barheit entbindbarer Gedankengänge gefaßt werden, die Entbind-
barkeit ist es eben, die verloren ist, nicht der Schatz der Vorstellungen,
welcher hinter dieser nichtssagenden Außenseite sich verbirgt. Denken,
Sprache, Bewegungen erfolgen abnorm langsam, alles ist gleichsam
gebunden. Die Reize, welche von der Außenwelt kommen, scheinen!
häufig gar keine Reaktion hervorzurufen, die Spuren ihrer Wirkungen
speichern sich aber auf, um dann bei äußeren Anlässen, ungeahnt und
plötzlich entfesselt hervorzubrechen. Wie der Raptus katatonicus
monatelange Schweigsamkeit und Regungslosigkeit jäh- durchbricht, so
explodiert die epileptische Psyche, in sinnlose Wut und Raserei vulkan¬
artig, aller Widerstände ledig.
Die Kenntnis dieser wenigen hier herausgehobenen Züge des epi¬
leptischen Charakters ist für den praktischen Arzt sehr wichtig, weil
sie ihm eine ganz bestimmte Behandlungsweise solcher Patienten auf-
erlegt.
Ich habe absichtlich nicht von epileptischem Schwachsinn ge¬
sprochen, weil selbst bei ungewöhnlich hoher Begabung die epileptiseJie
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Hemmung eine Verlangsamung der Gedankengänge bedingt, welche bei
dem Schwachsinnigen nicht durch Hemmung, sondern durch Armut
an Gedankengängen selbst verursacht wird. Die erste Voraussetzung,
bei der Behandlung des Epileptikers mit diesem in einen seelischen
Kontakt zu kommen, dessen Vertrauen zu gewinnen, ist Geduld. Sie
dürfen nie in der scheinbaren Gleichgültigkeit auf Ihre Anregung hin
Unwilligkeit bei dem Epileptiker vermuten, sondern sein indolentes
Verharren beruht auf einer Verlangsamung der Großhirn Vorgänge.
Ganz besonders wird in der Schule von psychologisch ungebildeten,
unerfahrenen Lehrern gegen epileptisch veranlagte Jungen gesündigt.
Was von dem Lehrer als „Begriffsstutzigkeit“ angesehen wird, ist
ein von dem Willen des Kindes ganz unabhängiges und unbeeinflu߬
bares abnormes Funktionieren des Großhirns. Die unverdienten Schläge
verbittern das Kind und entwickeln jenen Trotz, der dann mißverständ¬
licherweise als eine Erscheinung sittlicher Minderwertigkeit aufgefaßt
wird, während er in Wahrheit die natürliche Folge einer unvernünftigen
Erziehung ist. Von einer ethischen Depravation der Epileptiker, wie
sie besonders in älteren Werken, aber auch noch bei Binswanger in
schwarzen Farben geschildert wird, habe ich mich nie überzeugen
können. Es dürfte sich in den beschriebenen Fällen stets um eine
Verwechslung des epileptischen mit dem hysterischen Charakter ge¬
handelt haben. Es handelt sich hier nicht um einen Wortstreit,
sondern um zwei wesentlich verschiedene Erscheinungen, denen sicher
auch differente körperliche Konstitutionen zugrunde liegen, wenn wir
auch heute uns über die Art derselben noch nichit die geringste ,Vor-
stellung machen können. Der Epileptiker handelt stets in der Abwehr,
der Hysteriker aus Freude an der Verwicklung, die er herbeiführen
will oder herbeigeführt hat.
Sie haben gehört, daß der gehemmte Epileptiker imgemein reiz¬
bar ist, Sie werden daher in der Behandlung dieser Kranken Geduld
mit feingestimmten Zartgefühl zu verbinden haben. Daß liier zu
nur ein gebildeter Arzt fähig ist, der mit instinktivem Takt alles
fernzuhalten weiß, was verletzen und schmerzen könnte, liegt auf der
Hand. Das Verhalten der Epileptiker zu dem behandelnden Arzt ist
mir stets ein feines Reagens für dessen psychiatrische Befähigung ge¬
wesen. Das gilt sowohl für die psychisch Instabilen als für die epilep¬
tisch Schwachsinnigen. Ein Arzt, der mit einem solchen umzugehen
versteht, sich dessen Zuneigung erwirbt — und das wird er nur dann,
wenn er die beiden oben her vor gehobenen Eigenschaften dem Kranken
gegenüber sich anzueignen versteht — hat ihn dann ganz in seiner
Gewalt. Als mir einmal in einer großen Anstalt ein Haus mit epi¬
leptischen Insassinnen zu ärztlicher Behandlung übertragen wurde,
stieß ich auf eine festverschlossene Zelle. Dieselbe wurde von Ärzten
und Wärterinnen gemieden und nur zur Vornahme der notwendigsten
Besorgungen betreten. Der Grund lag in der Gefahr, welche die Epi-
leptika für jeden zu bedeuten schien, der sich ihr näherte. Ich fand
eine am Boden halb nackt im Unrat wühlende Frau, die auf meinen
freundlich teilnehmenden Zuspruch keineswegs mit der Miene des An¬
griffs reagierte, die ich erwartete. Im Gegenteil, ungemein willfährig
ließ sie sich heraus führen, reinlich kleiden und gar bald fand ich sie
unter den anderen Kranken, fleißig bei der Handarbeit, eine der harm¬
losesten Insassinnen des Hauses. Allerdings hatte ich sie auch einer
Wärterin an vertraut, welche von mir entsprechende Weisung erhielt.
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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und der ich sicher war, daß sie diese Weisungen auf das Pünktlichste
befolgte. Nie wieder hatte sich ein Anlaß ergeben, die so gefürchtete
Frau zu isolieren.
Die geschilderte psychische Abnormität steht in keinem Verhält¬
nis zur Zahl, Schwere, Dauer der Anfälle oder der Länge der Zeit
ihres Bestehens. Vielleicht ließe sich eine Beziehung des epileptischen
Charakters zu den psychischen Alienationen der Epileptiker kon¬
struieren. Sie wissen, daß auch die schweren Geisteskrankheiten der
Epileptiker, ja, der epileptische Blödsinn, nicht mit der Intensität der
Anfälle parallel geht. Wenn sich für beide Erscheinungsweisen eine
gemeinsame pathologische Grundlage fände, müßte durch einen ver¬
schiedenen Angriffspunkt, einer verschiedenen Lokalisation des krank¬
haften Prozesses diese Verschiedenheit der klinischen Äußerungsformen
erklärt werden. Hier ist Gegenstand unserer therapeutischen Kunst
der geisteskranke Epileptiker, und insofern man den gleichen, patho¬
logischen Prozeß sowohl der seelischen Veränderung als dem Anfall
supponiert, darf man sich von Heilmitteln, die sich gegen diesen er¬
probt haben, auch gegen jene Erfolg versprechen. Das Bromkali, das
epileptisch-spezifische Therapeutikum, welches nicht nur im mensch¬
lichen Organismus, sondern auch bei dem Eisbären, welcher in unser
Klima gebracht, durch ungewohnte Temperatureinflüsse und Stoff¬
wechselveränderungen . epileptisch geworden ist, so heilkräftige (Wir¬
kung entfaltet, daß die Anfälle vollständig wegbleiben, versagt bei
der epileptisch kranken Psyche, so daß wir immer fragen müssen,
ob denn wirklich dieselbe pathologische Ursache dieselbe klinische Er¬
scheinung erzeuge oder ob nicht die verschiedensten krankhaften Stö¬
rungen des Körpers zu derselben klinischen Form Anlaß geben können.
Ziehen wir hier ferner die von uns in vorangehenden Vorlesungen immer
und immer wieder betonte individuell-verschiedene Reaktionsfähigkeit
auf Gifte in Betracht, so wird man einsehen, daß wir vorläufig jede
Vorstellung von dem Zustandekommen des psychopathologischen Pro¬
zesses der psychischen Epilepsie beiseite setzend, einzig aus der äußeren
Erfahrung die Heilkraft dieses oder jenes anzuwendenden Medikamentes
erschließen müssen.
Da der epileptische Anfall und die epileptische Geistesstörung
in therapeutischer Hinsicht als zwei verschiedene Zustände zu behan¬
deln sind, so sehe ich mich der Aufreihung aller jener Heilmittel ent¬
hoben, welche seit dem Altertum, mit und ohne Erfolg, von den Ärzten
zur Verhütung und Beseitigung der epileptischen Krämpfe verordnet
und angepriesen wurden. Zu didaktisch vereinfachter Übersicht möchte
ich aus der klinisch polymorphen Gestaltung epileptischer Psychosen
5 Gruppen herausheben, wenn ich auch zugebe, daß fast alle psycho¬
pathologischen Krankheitsbilder auf epileptischer Basis, wenn auch nur
vorübergehend, sich entwickeln können. Ob ein Jahrzehnte hindurch
von epileptischen Anfällen heimgesuchtes Individuum schließlich einer
progressiven Paralyse anheimfallen könne, wie Griesinger meinte,
bliebe erst durch einwandfreie Beobachtungen zu erweisen.
Die häufigste Form der epileptischen Seelenstörung ist der Dämmer¬
zustand. Es gibt, wie Sie wissen, Zustände von Verwirrtheit, die dem
epileptischen Anfall vorangehen, solche, die demselben folgen oder ihn
endlich ganz ersetzen. Im ersten Falle präepileptischen, im zweiten
von postepileptischen Dämmerzuständen, im dritten von epileptischen
Äquivalenten. Der Dämmerzustand, wenn er ausgeprägt ist, ist, wie
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v. Nießl-Mayendorf,
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schon der Name sagt, ein Zustand der geistigen Unklarheit, der Ver¬
wirrtheit, welche Halluzinationen und flüchtige Wahnideen kompli¬
zieren. Es ist ganz unzutreffend, eine bestimmte Krankheitsform
der halluzinatorischen Verwirrtheit mit Meynert’s Amentia zu identi¬
fizieren. Dies ist nur l>ei völliger Unkenntnis der betreffenden Arbeit
Meynert’s möglich. Meynert verstand unter Amentia jede akut
aufgetretene krankhafte Assoziationsschwäche des Vorderhirns und be¬
griff daher mit dieser den epileptischen Dämmerzustand. Natürlich
ist nicht die Abwesenheit der Assoziationen das Charakteristische,
sondern wir finden im Gegenteil oft eine Abundanz, nur in ungeord¬
netster Folge.
Die Dämmerzustände brechen, wie ein Anfall, meist plötzlich
hervor und zwingen die Umgebung angesichts der alarmierenden Sym¬
ptome, der vollkommen inkohärenten Äußerungen und des wilden Be-
wegimgsdranges des Kranken denselben in eine geschlossene Anstalt
zu schaffen. Hier ist dann die Bettbehandlung, welche den Kranken
ruhig stellt, die idealste, jedoch so gut wie nie durchführbar. Mit
mechanischem oder chemischem Zwang (Hyoscinspritze) den Kranken
an das Bett zu fesseln, halte ich für ganz irrationell. Die Beschränkung
seiner Bewegungsfreiheit steigert die motorische Unruhe, weil sie be¬
ängstigend wirkt, die Wirkung des Hyoscin läßt bald nach und zieht
erfahrungsgemäß eine gesteigerte Erregung nach sich. Ich lasse also
nur die Hyoscin-Morpliiunispritze zum Zw r ecke der Einlieferung des
Kranken gelten. Wenn es irgend das Verhalten des Kranken und die
Einrichtungen der Anstalt gestatten, halte man denselben nicht etwa
unter einer Hängematte im Bette oder bringe das Walter’sche Schutz¬
bett, mit den giebelig oben zusammenstoßenden Seitenwänden in An¬
wendung. Ich würde am meisten die Isolierung im Dauerbade, natür¬
lich unter steter Überwachung eines Pflegers empfehlen, und zwar des¬
halb, weil der laute Kranke selbst bei Bettzwang doch immer nur auf
der Station der Unruhigsten gehalten werden kann, diese aber, wenn
er sich etwas beruhigt, ihn immer wieder von neuem erregen. Es bleibt
dann doch nichts übrig als ein drastisches Sedativum zu geben. Im
separierten Raume hingegen wirkt einerseits die Isolierung, anderer¬
seits das den Blutkreislauf regulierende warme Wasser beruhigend.
Es ist mir wohl bekannt, daß die therapeutischen Resultate der (auf
Tage und Wochen prolongierten Bäder bei den epileptischen Dämmer¬
zuständen keineswegs so erfreulich zu sein pflegen als bei den rein
manischen Formen auf idiopathischer Grundlage. Ich möchte auch die
Badezeit nicht in jenem Zeitumfang angewandt wissen wie bei |der
Manie. Laufen ja die Dämmerzustände überhaupt weit rascher ab,
erledigen sieh innerhalb von Wochen, während eine manische Erregung
in der Regel monatelang anliält. Auf Stuhlgang (Einlauf), Mundpflege
(Auswischen des Mundes mit einem in eine dünnere Kalihypermangani-
cumlösung oder eine Tliymollösuiig 1 :1000 getauchten Lappen), Nah¬
rungsaufnahme ist die größte Aufmerksamkeit zu richten. Die Kranken
sträuben sich nur selten zu essen, man findet im Gegenteil oft eine
wahre Freßgier.
Man beläßt die Kranken nur während des Tages im Wasser xm,d
bringt sie des Abends zu Bett, wo sie die Nacht über bleiben. Werden
die Kranken durch das Bad selbst nicht beruhigt, so .gebe man eine
Klysma mit Veronal-Bromnatrium nach Becker. Von den inneren
Schlafmitteln versuche mau zuerst das Paraldehyd.
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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Rp.: Paraldehydi 8,0
Aquae destillatae 100,0
Syrapi Gort. Aurant. 30,0
S. Die Hälfte vor dem Schlafengehen zn nehmen.
Wirkt dies nicht, oder besteht eine Kontraindikation gegen dasselbe
wegen einer Magenaffektion, schreite man zu dem energischer wirken¬
den Chloralum formamidatum (2 1 / 2 Gramm vor dem Schlafengehen).
Es wird nun zu erwägen sein, ob wir kein Medikament besitzen,
welches das epileptische Äquivalent ebenso hinanzuhalten vermag wie
in vielen Fällen die Brompräparate den epileptischen Anfall. Die
bisher gemachten Erfahrungen antworten so ziemlich übereinstimmend
mit „Nein“. .Wenn einmal Bromkali beruhigt hat, so ist damit noch .
nicht bewiesen, daß dieses Präparat ein Spezifikum für die Krankheit,
sondern höchstens für den Kranken gewesen ist. Croner teilt Rezepte
aus der Berliner Psychiatrischen Klinik mit, w r elche eine Kombination]
des Bromnatrium mit dem Opium als Sedativum bei Dämmerzuständen
empfehlen. Die furibunden Delirien der Epileptiker lassen die An¬
wendung eines prompt und bald wirkenden Beruhigungsmittels nicht
zu. In dieser Beziehung hat mich die Morphiumspritze nie im Stich
gelassen. Das Morphium hat vor dem Hyoscin den Vorteil, daß der
Gefäßkrampf nicht so vehement eint ritt und daher auch die Relaxations¬
erscheinungen keine so heftigen sind. Da man in solchen Fällen dem
Kranken die Morphiumspritze nicht in die Hand gibt, ist Angewöhnung
nicht zu befürchten. Vielleicht wird sich in Zukunft das Pantoponj
bei Dämmerzuständen bewähren.
Die Entlassung geschehe bei einem akut psychisch erkrankten
Epileptiker mit größter Vorsicht. Wiederholt sah ich nach schwerer
Verwirrtheit lucida intervalla, an welche sich dann Erregungszustände
anschlossen, die zu einer neuerlichen Internierung des Kranken zwangen.
Die Verwirrtheit klärt sich, es bleiben jedoch oft Beziehungs- und
Verfolgungsideeii zurück, die nach Wochen wieder verschwinden. Diese
Wahnideen, die für den Laien oder den ärztlichen Nichtkenner etwas
Beunruhigendes haben, geben eine günstige Prognose, müssen aber wegen
der allenthalben hervortretenden Gewalttätigkeit des Epileptikers in
der Anstalt behandelt werden. Wie sich in die halluzinatorische Ver-
ivirrtheit von Nichtepilektikern Stadien vollständigen Stillstands aller
Hemisphärenleistung schieben, so unterbricht die wildesten motorischen
Entladungen ein epileptischer Stupor. Nichts ist gefährlicher als einen
dieser schwer Gehemmten zu berühren, anzufassen, ja, auch nur anzu¬
reden. Ganz unberechenbare Reaktionen werden da provoziert, der
Kranke explodiert wie ein Pulverfaß, in welches ein Funke fällt.
Im epileptischen Dämmerzustände ist der Kranke im höchsten
Grade gemeingefährlich. Ich habe es erlebt, daß eine gute Mutter
unter dem kategorischen Imperativ solch krankhafter Impulse ihre
fünf kleinen Kinder aus dem vierten Stockwerk auf die Straße hinab¬
schleuderte. In der Anstalt angelangt, versank sie in einen tiefen
Stupor und hatte kein Erinnern an ihre fürchterliche Tat. Wäre recht¬
zeitig ein ärztlicher Berater bei den ersten Spuren geistiger Unklar¬
heit und Widersinnigkeit im Handeln zugezogen worden, und hätte
man die nachweislich an epileptischen Anfällen leidende Frau sofort
einer geschlossenen Anstalt zugeführt, das Unglück wäre verhütet
worden. Sobald die Diagnose eines epileptischen Dämmerzustandes fest¬
steht, ist jeder Arzt verpflichtet, ein Dringlichkeitsattest zur
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v. Nießl-May endorf,
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Aufnahme des Kranken in eine Irrenanstalt auszustellen.
Unterläßt er dies, so begeht er einen Kunstfehler und ist für alle Kon¬
sequenzen verantwortlich zu machen, welche sich aus dieser Unter¬
lassungssünde ergeben.
Eine häufige und für den ärztlichen Praktiker ungemein wichtige
Form der psychischen Epilepsie ist die epileptische Verstimmung.
Sie ist eine sj’mptomatische Erscheinung, die auf dem Boden epileptischer
Veranlagung her vor tritt, auch ohne daß ausgeprägte Anfälle die Be¬
ziehung zu der Krankheit Epilepsie manifest werden lassen. Oft nur
kurzdauernde Schwindelattacken, minutenlange Absences als petit mal.
vielleicht ein paar nächtliche Anfälle mit Zungenbiß. Allerdings kom¬
men die Verstimmungen auch bei schweren Epilepsien mit gehäuften
Anfällen vor. Wenn man durch die Abteilung geht, sieht man hier
einen sonst geselligen Mann sich in die Ecke drücken, vor sich hin¬
starren und auf Befragen über die Ursache seines Verhaltens gibt er
tief bedrückt, resignierend die Auskunft: ,,Es sei ja doch alles zu nichts
nütze, er könne ja doch nicht wieder gesund werden“ usw. Dort eine
Frauensperson, laut schluchzend, in Tränen aufgelöst. Auf Befragen
warum sie weine, gibt sie zur Antwort: „Sie wisse es selber nicht. Am
liebsten wäre es ihr, wenn schon alles zu Ende wäre.“ Tags darauf
oder zwei bis drei Tage später, (sind beide wieder heiter und guier
Dinge, ohne zu wissen, warum sie eigentlich traurig waren. Solche
Patienten sind natürlich nicht anstaltsbedürftig, wenn nicht ander¬
weitige Umstände eine Internierung nötig machen. Einen Selbstmord¬
versuch habe ich bei diesen flüchtigen Verstimmungen — und das
Flüchtige ist eben das Charakteristische der Verstimmungen — nie
gesehen. Es ist wuchtig, daß der Gemütszustand von dem Arzt und
der Umgebung richtig erkannt und beurteilt wird. Agrypnie habe ich
dabei nicht beobachtet. Außerordentlich bewährt hat sich mir in solchen
Fällen das Bromkali in höherer Dosierung (4,0 bis 6,0 Gramm pro die
in refracta dosi). Ich kombiniere diese Medikation mit einem einhalb¬
stündigen, lauwarmen Bad vor dem Schlafengehen.
Die Epileptiker insgesamt, sowohl diejenigen mit schweren An¬
fällen als diejenigen, welche mit den sogenannten Äquivalenten als
solche gezeichnet sind, träumen sehr lebhaft und in diesen Träumen
spielen stark affektbetontc Halluzinationen, insbesondere des Gesichts
eine Rolle. Diese beängstigenden Träume sind oft sehr quälend und
lähmen bis in den Tag hinein die Arbeitsfähigkeit. Nicht nur jm
Schlafe, auch im wachen Zustande schleichen sich in das sonst klare
Bewußtsein Sinnestäuschungen. Sie stehen isoliert da, werden nicht
zum Gegenstand systematisierender Wahnbildung. Sie sind ebenso tran¬
sitorisch wie die Dämmerzustände, das petit mal, der Schwindel, die
Verstimmungen. Eine spezifische Behandlung dieser Zustände, wie der
Halluzinationen überhaupt, kennen wir nicht. Man wird einen Ver¬
such machen, die Kranken, welche natürlich ihre Berufstätigkeit unter¬
brechen müssen, zu isolieren. Manchmal wirkt diese Maßnahme über¬
raschend; in anderen Fällen steigern sich wieder die Halluzinationen
in der Abgeschiedenheit bei Fernhaltung äußerer Reize. Eine Anstalts-
bedürftigkeit ist nur dann gegeben, wenn die Halluzinationen ßehr
affektbetont sind und das Handeln der Kranken beeinflussen. Es sind
das dann wahre Zwangshandlungen, indem die Kranken sich der ge¬
bieterischen Macht der Halluzinationen willenlos fügen müssen. Es
tritt dieser Zwang jedoch verhältnismäßig selten so überwältigend bei
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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klarem Bewußtsein auf. Auch gegen diese Erscheinungsweise der Epi¬
lepsie hat sich mir das Bromkali erprobt. Vor allem nimmt die Affekt¬
betonung der Halluzinationen an Intensität ab und das ist sehr wuchtig.
Häufig wird der Schlaf durch die Halluzinationen gestört und man
verordnet dann Trional (1,5) und Veronal (0,5). Letzteres in Ver¬
bindung mit Bromkali (0,5) oder mit Phenacetin (0,25). In der Hegel
steht der Kranke über den Halluzinationen, er hat also völlige Krank¬
heitseinsicht.
Anders steht es mit jenen allmählich sich entwickelnden, chro¬
nischen, zu rascher S 3 ^stematisierung neigenden Wahnideen bei Epi¬
leptikern, über deren Vorkommen und Art ihres Erscheinen Buch holz
Kasuistisches berichtet hat. Bald erscheint in den Äußerungen des
Kranken die verkehrte Welt, durch pathologische kombinatorische Ge¬
dankenverbindung hingestellt, in egozentrischer Beleuchtung. Was hier
vorliegt, würden die älteren Ärzte oder Ziehen Paranoia chronica
genannt haben; heute spricht man von Paranoia schlechtweg, und zwar
wie ich später ausführen werde, mit Recht.
Es ist nicht leicht heute über die Therapie der Paranoia zu lehren,
und doch gebietet es die Wichtigkeit und leider auch die Häufigkeit
dieser schweren, unheilbaren Geisteskrankheit, dem praktischen Arzt
einige Fingerzeige zu geben. Hier handelt es sich um die Paranoia
epileptica. Diese unterscheidet sich von der idiopathischen Form durch
ihren Ursprung und die Anwesenheit von Halluzinationen. Auf eigene,
sehr schlagende Erfahrung gestützt, muß ich unbedingt der neuen Lehre
von der Paranoia ohne Halluzinationen beipflichten. In therapeu¬
tischer Hinsicht ist diese klinische Besonderheit nicht ohne Bedeutung.
Die halluzinatorischen Formen der chronischen Paranoia sind zweifel¬
los die leichter zu unberechenbarer Gewalttätigkeit neigenden. Wäh¬
rend ich die Behandlung des chronisch-systematisierenden Wahnes ohne
Halluzinationen, wenn irgend durchführbar, außerhalb der Anstalt für
nicht nur .möglich, sondern geradezu für geboten halte, erfordert das
Auftreten der zu Impulsen hindrängenden Halluzinationen kategorisch
die Internierung. Dieselbe wird bei der epileptischen Paranoia im
Interesse der öffentlichen Sicherheit von der Behörde erzwungen. Da
wir die epileptische Verrücktheit ebensow r enig zu heilen vermögen wie
die idiopathische, so kann auch hier unser Heilbestreben nur ein symp¬
tomatisches sein. Man wird außer geregelter Lebensweise, Schlafüber¬
wachung, Anhalten zu ab lenkender Beschäftigung die zeitweise auf-
tretenden, durch lebhafte Halluzinationen bedingten Erregungszustände
zu bekämpfen haben. Man wird hier von Medikamenten, welche ein¬
zunehmen sind, absehen und sich auf Injektionen oder Klismen be¬
schränken. Dies vornehmlich deshalb, weil der fast ausschließlich perse-
kutorische Inhalt der Wahnideen den Gedanken, vergiftet zu werden,
bei der Darreichung von Arzneien leicht neue Nahrung erhält und das
eventuell gewonnene Vertrauen des Patienten zerstört. Man injiziere
zwei Zentigramm des leichter löslichen Morphium sulfuricum oder gebe
ein Klysma mit Chloralhydrat (Chlorali hydrati 2,5, Aquae destillatae,
Mucilag. Gummi arab. aa 50,0). Der Schlaf, welcher infolge von außer¬
ordentlich lebhaften Halluzinationen zeitweise ganz fehlen kann, muß
mit den üblichen Mitteln erzwungen werden. Ein bestimmtes Medika¬
ment läßt sich nicht nennen. Was bei dem einen wirkt, versagt bei
dem anderen, man wird also versuchen.
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v. Nicßl-Mayemlorf,
Die häufigste psychische Abnormität, die sich an mit der Fall¬
sucht Behafteten vorfindet, i&t ein Defektzustand, welchen man mit
den Anfällen vielfach in ursächliche Beziehung gebracht hat, nämlich
der Schwachsinn. Von der einfachen Verlangsamung der Apperzeption
der Wahrnehmungen, von der Ungelenkheit und Umständlichkeit des
Denkens trotz reichen Vorstellungsschatzes bis zum Verschwinden
aller geordneten Zusammenhänge, welche folgerichtiges Denken und
das Streben einer Persönlichkeit voraussetzen, schiebt sich die Unzahl
von Graden und Nüancen. Der vollsinnige Epileptiker, wenn er nicht
von einer interkurrenten Geisteskrankheit heimgesucht wird, kann nicht
in einer Anstalt festgehalten werden, selbst wenn eine psychische Wieder¬
erkrankung mit Gemeingefährlichkeit wahrscheinlich ist. Der letztere
Umstand bedeutet eine große Schwierigkeit, die sich insbesondere bei
der forensischen Beurteilung von Epileptikern, und was mit ihnen zu
geschehen habe, fühlbar fmacht. Der schwachsinnige Epileptiker ist
notgedrungen Anstaltsinsasse. Er ist unbrauchbar im Leben und hilflos.
Wenn man heute Anstalten für Epileptiker errichtet, die nicht gleich¬
zeitig Irrenanstalten sind, so hat man vor allem die schwachsinnigen
Epileptiker vor Augen. Es kann fraglich sein, ob es dem psychisch
intakten Epileptiker zuträglich sei, zu einem Verkehr mit Persönlich¬
keiten derselben pathologischen Eigenart gezwungen zu werden. Diese
wird man auch besser von der Anstaltsbehandlung femhalten. Für
den stumpfen Schwachsinn oder den tiefen Blödsinn ist die Umgebung
natürlich irrelevant. Man hat. für die Ernährung des Epileptikers
salz- und eiweißarme Kost empfohlen und will durch diese Diät Erfolge
erzielt haben. Die Resultate der diesbezüglichen Erfahrungen stimmen
jedoch nicht überein ; von Heilerfolgen durch diese Art der Behandlung
bei der psychischen Epilepsie ist mir nichts bekannt. Dagegen wird
die primitivste ärztliche Erfahrung den in Freiheit lebenden Epilep¬
tiker vor Alkoholgenuß warnen, ja ihm ans Herz legen, Abstinent
zu werden.
Hochgradig Schwachsinnige bedürfen einer sehr sorgsamen Pflege.
Wenig angezeigt erscheint es mir, solche in ihrer psychischen Ent¬
wicklung vollkommen Verkrüppelte dauernd an das Bett zu fesseln,
wie ich das in einer Anstalt gesehen habe. Sind solche Geschöpfe auch
für einfache Arbeit nicht zu brauchen, so leiden doch die vegetativen
Funktionen durch die aufgedrungene, ganz überflüssige Bettruhe so
erheblich, daß ein dauernd krankhafter Zustand erst durch diese ge¬
züchtet wird. Man darf hier der Bequemlichkeit des Wartepersonals,
welches die Kranken im Botte leichter übersieht, nicht naehgeben, son¬
dern muß energisch das Interesse des Kranken wahrnehmen. Der infan¬
tile Geisteszustand der schwachsinnigen Epileptiker fordert vom Per¬
sonal die Hilfe zu den gewöhnlichsten, und notwendigsten körperlichen
Vorrichtungen. Der Kranke muß gewaschen, gebadet, der Mund muß
ihm mehrmals des Tages, am besten nach der Mahlzeit, ausgewaschen
werden; er muß angehalten werden, den Nachtstuhl zu benutzen und
sich zu säubern. Kranke, die unaufhörlich mit Kot und Urin ihr Bett
beschmutzen, müssen durch Einläufe, die zu einer bestimmten Tageszeit
gegeben werden, gewöhnt werden, zu dieser zu defäzieren. Auch ohne
Einlauf genügt später bloß das Hinführen auf das Klosett, um eine
Stuhlentleerung zu erreichen.
Es ist ein psychiatrischer Fehler, so weit in ihrer seelischen Ent¬
wicklung zurückgebliebene Geschöpfe zur Arbeit erziehen zu wollen.
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Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
1233
Es ist kein schlechter Wille, der zu besiegen ist-, sondern tatsächliche
Unzulänglichkeit, ."welche dem Kranken bewußt ist und ihn zur Ver¬
zweiflung treibt, wenn beständig unerfüllbare Anforderungen an ihn
gestellt werden. Man lasse den Schwachsinnigen ruhig spielen. Es
will damit nicht gesagt sein, daß jede pädagogische Härte von der
Behandlung ausgeschlossen werden soll. Im Gegenteil ist der beständige
Einfluß eines fremden Willens unbedingt von Nöten. Die Herrschaft
mache sich jedoch nicht aufdringlich, und zum Widerstande reizend,
bemerkbar. Vor allem bewahre man dem schwachsinnigen Epileptiker
gegenüber stets die Buhe und vergesse nicht die Reizbarkeit, welchen 1
diesen sonst so stupiden Individuen eignet. Es ist eine Erfahrungs¬
tatsache, daß der Schwachsinn hohen Grades zu periodischen Erregungs¬
zuständen disponiert. Dies ist auch bei den schwachsinnigen Epilep¬
tikern der Fall. Sei es, daß sich für dieselben im Körper selbst Anlässe
finden lassen (gehäufte Anfälle, Menses usw.), sei es, daß ohne jedes
innere oder äußere Moment ein Zustand wilder Ausgelassenheit mit
boshaften Streichen oder zorneswütigen Affektes hervorbricht. Brom¬
präparate haben bei dementen Epileptikern wieder gegen die Anfälle
noch gegen die Erregungszustände den geringsten Einfluß. Ich habe,
in meinem Epileptikerinnenhaus der Hamburger Staatsirrenanstalt über¬
haupt eine große Hartnäckigkeit der Patientinnen gegen Sedativa ge¬
funden. Nicht unwirksam erwiesen sich die recht harmlosen Klysmen von
Amylenhvdrat (6,0) mit etwas Eigelb. Mann kann auch bedeutend
höher dosieren und bringt die Kranken wenigstens mehrere Stunden
oder gar für einen ganzen Tag zur Buhe. Als Schlafmittel hat sich
mir, wenn das Paraldehyd herausgewürgt, ausgespuckt oder erbrochen
wurde, das Dormiol (0,5), natürlich nicht als regelmäßiges, einziges
Hypnotikum, sondern in Abwechslung mit Trional (1,5), Veronal (0,5),
Chloralamid (2,5) bewährt.
Zu einer sehr fatalen Wendung in dem Zustand dieser Schwach¬
sinnigen gestaltet sich das Auftreten gehäufter epileptischer Anfälle,
welche sich zu ganzen Serien geschlossen, über einen Tag hinaus er¬
strecken. Das Frühjahr scheint das Hervorbrechen solcher epileptischer
Status zu begünstigen. Machtlos steht der Therapeut dieser schwersten
Form epileptischer Erkrankung gegenüber. Trotz eiligsten Aufgebotes,
der erfahrungsgemäß wirksamen Klysmen mit Amylenhvdrat und Mor¬
phium chloral, trotz Äther-Kampferinjektionen und Kochsalzinfusionen
mußte ich die Insassinnen des Epileptikerhauses herdenweise hinsterben
sehen. Die gruppenweise Erkrankung im Status epilepticus weist auf
eine endemische, vielleicht auf klimatische Verhältnisse beruhende
Ursache hin.
Ich habe Ihnen in dieser Vorlesung einen kleinen Ausschnitt aus dem
großen Gebiete der speziellen Therapie der psychischen Epilepsie ge¬
geben, welcher dem eingangs aufgestellten Grundsatz getreu, nur in aus
eigener Erfahrung gewonnenen Ilichtlinien sich erschöpfte, welchen fol¬
gend, Ihnen die Antwort auf die Fragestellung im besonderen Falle er¬
leichtert werden soll. Feste Vorschriften gegen Krankheitserscheinungen
im allgemeinen und nicht für spezielle Fälle verleiten den Anfänger
an etwas zu glauben, was im Prinzip falsch ist und indem sie die
Bequemlichkeit gefährlich fördern, ersticken sie den Ansporn zu selb¬
ständiger Denkfähigkeit.
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1234 v.Nießl-Mayendorf, Vorlesungen über Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten.
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V.
Der Alkoholismus.
Als ich eines Abends einen Kollegen im Dienst zu vertreten hatte,
wurde ein Mann, auf einer Tragbahre festgeschnallt, ärztlich ein geliefert,
weil er im Hause, was ihm in die Hände fiel, zertrümmert hatte un-d
gegen seine Umgebung gewalttätig geworden war. Er hatte sich in der
sinnlosen Hingabe an seine wilden Gelüste die Kopfschwarte mit den:
scharfen Rändern von Glasscherben tüchtig zerfetzt; die "Wunden waren
jedoch mit schwarzen Krusten, wie mit Pech bedeckt, so daß Umfang
und Schwere der Verletzungen nicht zu übersehen waren. Den hageren,
blassen, stark schwitzenden Mann hüllte ein sehr defektes schmutziges
Hemd ein. Auf Befragen, warum er sich so ungeberdig benommen, gab
er als Grund an, weil man ihn gereizt hätte. Als man die Lederriemen
gelöst, sah man, daß er am ganzen Körper zitterte. Plötzlich verdrehte
er die Augen, erbleichte und drohte umzustürzen. Der Puls war faden¬
förmig und zuweilen kaum fühlbar. Bald aber erholte er sich und
drängte fort. Dabei zeigte er ein biederes Wesen und eine gehobene.
Stimmung.
Die Diagnose konnte nicht dem geringsten Zweifel unterliegen.
Worauf haben Sie nun als Arzt das erste und Ihr Hauptaugenmerk
zu richten ? Der vor Ihren Augen wiederholt auf tretende Kollaps
zwingt Sie vor allem, die Herzkraft zu heben und zu regeln. Sie stechen
mit einer Pravazspritze in eine Hautfalte am Arme ein und machen
eine Kampher- oder Ätherinjektion, wde dies in dem vorliegenden Fall
auch geschah. Der Puls wurde alsbald wieder voller und rhythmisch.
Da aber die Kollapse in ursächlichem Zusammenhänge mit dem
beständigen Aufstehen und Fortdrängen standen, mußte alles daran
gewendet werden, den Kranken im Bette zu halten. Die manuelle Gewalt
des Wärters Half nur wenig und beängstigte den Kranken. Einem
Wunsche des Wartepersonals behufs Isolierung des Kranken konnte
nicht stattgegeben werden, da die Gefahr vorlag, daß das unbehinderte
Herumlaufen in der Zelle die ohnehin schwer daniederliegende Herz¬
tätigkeit zum Verlöschen bringe. Es war daher nur an eine medika¬
mentöse Fesselung des Kranken zu denken. Ich gab ihm 5 Gramm
Paraldehyd in Wasser zu trinken mit der Suggestion, es wäre Schnaps,
was ich ihm anböte. Der Kranke trank willig, ja fröhlich den stark'
riechenden Schluck hinunter. Eine gewisse Beruhigung trat schon inner¬
halb weniger Minuten ein.
Nun ging ich daran, den Kopf zu säubern, die Wunden zu des¬
infizieren und zu verbinden; es war das dritte ärztliche Gebot, In¬
zwischen schlief der Kranke ein. Ich hatte den strikten Befehl ge¬
geben, nicht zu isolieren, jedoch mich sofort zu verständigen, falls)
er erw r achen und versuchen sollte, aus dem Bett zu steigen. Der Kranke
schlief die Nacht durch, den nächsten Tag war er wieder etwas un¬
ruhig, den dritten Tag war das Delirium abgeklungen. Der Mann'
war gerettet.
Ihnen allen werden in der täglicher* Praxis analoge Fälle Vor¬
kommen und der glückliche Ausgang hat bewiesen, daß meine Be¬
handlung die richtige war. Das Delirium tremens mit Herzschwäche
zu behandeln, ist eine häufige Aufgabe der ärztlichen Praxis.
So ungemein einfach, ja von selbstverständlicher Uberflüssigkeit
die Ratschläge scheinen mögen, die ich Ihnen hier gebe, so weisen sie
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Wilhelm Sternberg, Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche. 1235
Urnen doch therapeutische Wege, auf welchen Sie allein zu einem Sie
befriedigenden Ziele gelangen können. Hier heißt es im Gegensatz zu
der therapeutischen Praxis in anderen Situationen: ,,So und nicht
anders! ' Geben Sie dem Kranken Chloralhydrat, wie dies von Ärzten
getan wird, so ist derselbe bei seinem schwachen Herzen verloren. Lassen
Sie den Kranken isolieren, können Sie sicher sein, daß Sie am nächsten
Morgen ihn tot auf dem Boden der Zelle finden. Verabreichen Sie
dem Kranken Sulfonal, Trional, Veronal, so arbeitet sich der Kranke
eine halbe Stunde und noch länger ab, ehe die hypnotische Wirkung
ein tritt und die Herzkraft kann erlahmen. Das Par aide hyd wirkt
also hier wirklich in Verbindung mit der chemischen Jler'z
peitsehe lebensrettend.
Bonhoeffer, welcher dem Delirium tremens seine besondere Auf¬
merksamkeit zugewendet, tritt gleichfalls mit entschiedener Wärme
für die Anwendung des Paraldehyd bei dieser akuten Krankheit der
Gewohnheitstrinker ein, und wenn es auch kein spezifisches Mittel
gebe, den zeitlichen Ablauf dieser ohnehin zumeist sich nur auf Tage
beschränkenden Geisteskrankheit abzukürzen, so wirke dieses Hyp-
notikum durch die Herbeiführung eines oft die Krise bringenden Schlafes
auf den Heilungsvorgang beschleunigend ein. Auch die Isolierung hält
Bonhoeffer für unzulässig und gestattet sie nur bei normaler Herz¬
kraft des Deliranten und als Verlegcnheitsmaßnahme, wenn die Um¬
gebung durch den unruhigen Kranken zu stark irritiert wird. Außerdem
meint er, daß die Ablenkung des Kranken durch die sich mit ihm
beschäftigende Umgebung beruhigend wirke. Das ist theoretisch ganz
gewiß richtig, es muß jedoch diese Ablenkung nicht dadurch geschehen,
daß der Kranke in einem Raum verbleibt, in welchem sich andere Krank 1
befinden, sondern es wäre nötig, sich mit ihm speziell zu beschäftigen.
Daß selbst ein zahlreiches Wartepersonal kaum hinreichen würde, wollte
man einem jeden Deliranten einen Wärter zur Gesellschaft geben, wird
jeder einräumen, der aus eigener Erfahrung weiß, wie sparsam man
mit einzelnen Wachen sein muß, da sich oft plötzlich bei einem Patienten
die dringende Forderung nach einer solchen herausstellt, bei welchem ma .11
es gar nicht geahnt hat.
Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
Von Dr. med. Wilhelm Sternherg, Spezialarzt für Ernährungstherapie in Berlin.
(Schluß.)
Warme Speisen, zumal warme Fleischgerichte sättigen viel mehr und
schneller als kaltes Fleisch. Man sollte daher bei Entfettungskuren mög¬
lichst viel warme Mahlzeiten, jedenfalls auch Frühstücks- und Abend-Tisch
meist warm reichen. Andererseits sollte man bei Mast-Kuren oder bei
Appetitlosigkeit möglichst selten warme Speisen verabfolgen. Warme
Speisen, besonders warmes Fleisch erzeugt leichter Widerwillen; kalte
Küche hingegen erregt leichter Appetit. Kranke, die an hochgradiger
Appetitlosigkeit leiden und einen unüberwindlichen Ekel vor warmen
Gerichten haben, nehmen oft noch recht gern kalte Speisen, z. B. kaltes
Fleisch, zu sich. Daher gibt der Frauenarzt mit gutem Grunde und
bestem Erfolg bei Hyperemesis gravidarum nicht warme Küche, sondern
kalte; zumal warme Fleischspeisen sind grundsätzlich verboten. Dabei
ist aber noch besonders bemerkenswert, daß es nicht etwa der Geruch
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1236
Wilhelm Sternberg,
sein kann, der diese Einwirkung bedingt. Diese kommt nicht etwa da¬
durch zustande, daß der Geruch den Brechreflex bei warmen Speisen
leichter auslösen könnte. Denn ich habe jene Einwirkung der Temperatur
auf Appetit und Sättigung auch bei geruchlosen, an totaler Anosmie leiden¬
den appetitlosen Menschen beobachtet. Überhaupt wird hierbei der
Geruch im allgemeinen überschätzt, wie es scheint. Rubner 1 ) meint:
„Warme Fleischspeisen behagen besser, weil mit den Dämpfen auch mehr
riechende Stoffe sich verbreiten.“ Allein diese Beobachtung von Bubner
erscheint mir nicht richtig; das Behagen an warmen Speisen ist keines¬
wegs bloß darauf begründet, daß in der Wärme der Duft mehr hervor¬
tritt. Mir erscheint vielmehr das Behagen auch durch die Einwirkung
auf das Sättigungsgefühl bedingt. Es mildert freilich Kälte schon
an sich den Brechreiz.
In der täglichen Erfahrung ist diese Tatsache des Einflusses der
Temperatur auf das Sättigungsgefühl schon längst bekannt. Plinius 2 )
macht bereits auf einen gewissen Unterschied aufmerksam; wenn dieser
auch nicht der richtige ist, so ist doch die Tatsache bemerkenswert, daß
er den Unterschied dabei jedenfalls konstatiert: „Durch süße und fette
Sachen, wie auch durch den Trunk nimmt der Körper zu, und durch
trockene dürre und kalte Speisen wird er mager.“ „Augescunt corpora
dulcibus atque pinguibus et potu: minuuntur siccis, et aridis, frigidisque
ac siti.“ Deutlich hebt der Dichter Shaw 3 ) die physiologisch durchaus
zutreffende Tatsache hervor, indem er der Frau Warren die Worte in den
Mund legt: „Na, ich esse ganz gern; aber man braucht lange, will man
von kaltem Fleisch und Käse und Salat satt werden.“
Diese Einwirkungen auf das Sättigungsgefühl, auf Erhaltung des
Appetits und auf Verhütung des Ekelgefühls bedenkt unbewußt der tech¬
nische Fachmann der Küche. Daher ist die Zusammenstellung und die
Reihenfolge, welche er den Speisen zur Mahlzeit gibt, allüberall zu allen
Zeiten die nämliche geblieben trotz des lebhaften Wechsels aller anderen
Gepflogenheiten bei Tische. Bewußt berücksichtigt der industrielle Fach¬
mann der Küche seit je her all die physikalischen Faktoren bei der Wahl
seiner Reihenfolge. Der Küchenmeister beginnt mit der warmen Flüssig¬
keit der Bouillon und endigt mit festen Eisspeisen, wohl wissend, daß nichts
besser den Brechreiz beseitigt als eiskalte Temperatur. Albu 4 ) nimmt
freilich den gegenteiligen Standpunkt bezüglich der traditionellen Speisen¬
folge ein, indem er folgendes bemerkt: „Die gleiche Willkür in der Aus¬
wahl und Zusammenstellung der Nahrungsmittel und der Mahlzeiten sehen
wir auch in der Ernährung des Einzelnen. Sie spottet oft geradezu aller
Grundsätze der physiologischen Ernährungslehre. Welcher Widersinn starrt
uns z. B. aus jenen im großen und ganzen sich stets gleich bleibenden
Speisenkarten entgegen, wie sie auf den landesüblichen Fest- und Zweck¬
essen dargeboten zu werden pflegen. Der Hummer oder der in Remou¬
ladensauce getauchte Lachs am Anfang, das Trüffelfilet und der GefHigel-
und Wildbraten in der Mitte, Eis und Käse am Ende! Wer hätte je
gelehrt, daß diese Speisenfolge gesundheitsmäßig sei?“
Seit jeher unterscheidet die Küche Vorkost (Entrees), Mittelgang
(Entremets). und Nachtisch. Die Eingangsgerichte werden als Vorgerichte
*) Rubner, Lehrbuch der Hygiene, 1892, S. 462.
■) 11. Buch, § 118.
8 ) Bernhard Shaw, „Frau VV r arrens Gewerbe“. 2. Aufzug.
*) „Einige Fragen der Krankenernährung.“ Berliner Klinik, 1898, H. 115.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1237
der eigentlichen Hauptmahlzeit vorausgeschickt. Der Nachtisch beschließt
die Mahlzeit.
Die Vorkost, das Voressen, gustus, gustatio, promulsis der Römer,
die liors d’oeuvres sollen Appetit machen. Diese Speisen des ersten Ganges
7iQiüica TQtxTieL.ia sind nicht dazu bestimmt, zu sättigen, sondern bloß dazu,
den Appetit zu reizen. So sagt Jixctionohg 1 ) bei Aristophanes: ukk* i) nqo
deinrov ityr fxi t uaQxuv xcntdujucu;*
Die Vorspeisen sind daher für Appetitlose bei Mastkuren besonders
empfehlenswert, im selben Maße aber für Entfettungskuren verboten.
Als Mittelgerichte kommen die Fischspeisen an die Reihe. Diese
Fischgerichte gehen den Fleischspeisen stets voran. Die physiologische
Begründung für diese Tradition gibt die Tatsache, daß die Fischspeisen
weniger sättigen. Da die Wissenschaft der Diät diesen subjektiven Faktor
der Sättigung überhaupt vergessen hatte, systematisch mit in Rechnung
zu ziehen, bei dem „einfachen Rechenexempel einer jeden Entfettung“
wie H. Lüthje’ 2 ) das Prinzip der Entfettungskur nennt, gelangte sie zu
irrtümlichen Auffassungen über den Wert von Fisch- und Fleischnahrung.
„Sehr irrige Anschauungen“, meint Rubner 8 ), „werden vielfach über das
Fischfleisch gehegt; man hält es für wenig kräftig. Mageres Kalbfleisch
enthält nicht mehr Eiweiß als etwa das Hecht- oder Karpfenfleisch. Es
ist daher ein wenig berechtigtes Mißtrauen, wenn mau im Volke von dem
Fischeiweiß wenig Gebrauch macht.“ Allein auch diese Ansicht von
Rubner muß ich bekämpfen. Die verschiedene Bewertung von Fisch
und Fleisch seitens des Laienpublikums ist in der Tatsache begründet,
daß sich das Publikum in der Praxis doch nicht ausschließlich auf den
chemischen Nährwert beschränkt, wie die theoretische Wissenschaft.
Den kennt der Laie ja gar nicht. Das, wonach er sich vielmehr richtet,
ist der Sättiguugswert, den die Theorie bisher übersehen hat. Das ist das
Ei des Kolumbus. Daher kommt es, daß das Laienpublikum doch recht
hat und die Wissenschaft mit Rubner eben unrecht, wie ich 4 ) schon
hervorgehoben habe.
Empfiehlt sich also die Fischnahrung für Mastkuren, für manche
Zuckerkranke und die, deren Appetit darniederliegt, so ist sie verboten
für die Eettsiichtigen.
Die Speisen, mit welchen die Küche sättigt, bilden in der Technik
des Küchenmeisters den Höhepunkt der Mahlzeit und den Mittelpunkt
des Gastmahls. Sic heißen auf dem Küchenzettel pieces de r&sistance. Es
sind dies die Fleischgerichte. Da die mechanisch gröberen Gewebe der Fleisch¬
sorten eher sättigen als die zarten, so bringt der Küchenmeister mit gutem
Grunde jetzt zuerst das Schlachtfleisch zu Tisch und zwar die derberen
Fleischarten des Schlachtfleisches von strafferem Muskelgewebe, wie Rind¬
fleisch, Hammelfleisch usf. Erst dann läßt er noch die zarten w r eißen
Fleischsorten von Geflügel folgen. Eignen sich die zarten Fleischspeisen
von Geflügel, Hausgeflügel mehr noch als Wildgeflügel, für Appetitlose,
so sind die gröberen von Schlachtfleisch besonders für Fettleibige
empfehlenswert.
*) Acham 1112 (1122): „Doch ob vor der Mahlzeit ich das Pfefferlein essen
soll?* ist Hasenklein, Hasensauer, Hasenpfeffer, Zubereitung der Ein¬
geweide des Hasen mit dem Blut desselben.
-) Handbuch der ges. Therapie von Penzoldt u. Stintzing, 4. Aufl., 2. Bd., S. 11.
Rubner, 1. c. 8. 511.
4 ) „Krankeuernährung und Krankenküche*, S. 13. Stuttgart 1906. F. Enke.
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1238
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An den Schluß (1er Mahlzeit setzt die Kochkunst Süß- und Käse¬
speisen, Kaffee und Tabak.
Schon bei den Alten wurden als Nachtisch mensa secunda devttQca
tqc(7ts£cu Süßigkeiten und Obstgereicht. Daher stammt die Redensart ab ovo
usque ad mala, welche im übertragenen Sinne gleichbedeutend mit dem
Satz ist: Von Anfang bis zu Ende. So sagt Horaz: 1 )
„ tum pensilis uva secundas
Et dux ornabat mensas cum duplice ficu.“
„Dann zierte die trocken gehängte
Traube den Nachtisch uns und die Nuß und die doppelte Feige.*
Bezüglich der Verlegung von Süßspeisen an den Schluß der Mahlzeit
äußert sich Pawlow 2 3 ) folgendermaßen: „Der gewöhnliche Schluß der Mahl¬
zeit ist auch vom physiologischen Standpunkt leicht begreiflich. Das
Mittagessen wird gewöhnlich durch irgend etwas Süßes beschlossen, und
jeder weiß, daß die süße Speise etwas Angenehmes ist. Der Sinn hiervon
ist leicht zu erraten. Die Mahlzeit, die infolge des lebhaften Nahrungs¬
bedürfnisses mit Freuden begonnen wurde, muß auch trotz der Befriedigung
des Hungers mit einem angenehmen Eindruck schließen; hierbei darf jedoch
dem Verdauungskanal keine Arbeit aufgebiirdet werden, sondern es sollen
lediglich — wie durch den Zucker — die Geschmacksnerven angenehm
gereizt werden“. Diese Begründung von Pawlow habe ich 8 ) bereits zu
widerlegen versucht.
Erstlich legen gerade Süßspeisen dem Verdauungskanal sogar eine
große Arbeit mitunter auf. Dies bedingt der hohe Fettgehalt, den die
Küche gerade zu den Süßspeisen oft verwendet, sodann aber auch das
die Gestalt oder den Körper gebende Mittel, das Constituens, das Mehl.
Ferner kann man wohl auch nicht annehmen, daß nur deshalb, weil der
Geschmack des Süßen der angenehme ist, die Kochkunst aller Zeiten und
aller Völker die Süßigkeiten an den Schluß der Mahlzeit verlegt. Denn
dann wäre es ja gar nicht zu begreifen, warum die Kochkunst nicht mit
der Darbietung des angenehmen Geschmacks gleich die Mahlzeit beginnt.
Andererseits vermag die Kochkunst in ihrer vielgestaltigen Zube¬
reitung doch auch alle anderen Geschmacksqualitäten außer der süßen zu
Sinnesgenüssen zu verwenden. Deshalb könnte sie auch andere Geschmacks¬
qualitäten zum Schluß bieten, wenn sie bloß den Zweck verfolgte, am
Schluß den Geschmack zu reizen. Diese Gründe scheinen mir 4 * ) Pawlows
Behauptung zu entkräften.
Daher dürfte doch noch ein ganz anderer physiologischer Faktor
in Betracht kommen. Das ist auch tatsächlich der Fall. Süße Speisen
verlegen nämlich den Appetit und rufen das Sättigungsgefühl hervor. Dabei
ist es nicht etwa der Nährwert des Zuckers, welchem diese Wirkung zu¬
kommt. Denn auch Saccharin führt diesen Sättigungszustand herbei, ein
weiterer Beweis dafür, daß es lediglich der süße Geschmack ist, dem diese
Wirkung der Sättigung zukommt. Das Gleiche ist der Fall mit Kaffee
und Schokolade. Deshalb ist besonders wirkungsvoll eine Vereinigung
von Kaffee, Schokolade mit einem Süßstoff, der für sich schon den Durst
löscht und das Sättigungsgefühl hervorruft. Das ist der Süßstoff des Siiß-
l ) Sat. II, 2, 122 Lob anständiger Mäßigkeit.
2 J „Die Arbeit der Verdauungsdrüsen,“ S. 185. Wiesbaden 1898.
3 ) „Kochkunst und ärztliche Kunst/ S. 104. Stuttgart 1907. F. Enke.
x ) -Geschmack und Appetit.“ Zeitschrift für phvs. u. diät, Therapie, 1907/08,
Bd. 11, S. 5.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
1239
holzes. Eine solche Mischung zu einem schmackhaften Produkt habe ich
angefertigt
Wie Kaffee und Schokolade wirkt auch Tee auf das Sättigungs-
gefiihl und überdies durstlöschend, trotzdem es sogar ein hervorragendes
Diuretieum ist.
All diese Mittel sind daher für Entfettungskuren indiziert, für
Mastkuren und Appetitlose kontraindiziert. 1 )
In dieselbe Gruppe gehört noch ein weiteres Alkaloid-haltiges Genuß-
raittel, das die Kochkunst gleichfalls an den Schluß der Mahlzeit verlegt.
Das ist der Tabak. Auch die Frage, warum die faehgewerbliche Koch¬
kunst den Tabakgenuß erst zum Schluß bietet, ist in der theoretischen
Forschung nicht beantwortet, ja noch nicht einmal aufgeworfen worden.
Dagegen ist in der alltäglichen Praxis der Brauch so allgemein, daß ein
Verstoß dagegen geradezu als Mangel an Erziehung gedeutet wird. Man
soll nicht rauchen, wo Menschen essen. So sagt Knigge. Die inter¬
nationale Höflichkeit hat zu den verschiedensten Maßnahmen geführt,
ohne daß je die physiologische Begründung gegeben oder auch nur ge¬
sucht wäre. So kommt es, daß mancher diesbezüglicher Erlaß gar nicht
als hygienischer Fortschritt anerkannt, sondern als Rückschritt getadelt ist.
Dieses Schicksal hatte die Bestimmung in manchen Staatsbahnen, daß in den
Speisewagen nicht geraucht werden dürfte. Und doch hat sie einen sehr
triftigen Grund. Der physiologische Grund hierfür ist nämlich der, daß
Rauchen das Sättigungsgefühl hervorruft und sogar bei denen, welche
nicht selber rauchen, sondern den Rauch der anderen entgegennehmen
müssen. Das Rauchen verlegt sogar auch der nicht rauchenden Gesell¬
schaft den Appetit, selbst wenn diese aus passionierten Rauchern zusammen¬
gesetzt ist. So erklärt sich die allgemeine Sitte, nicht beim Essen zu
rauchen, nicht vor dem Essen zu rauchen und nicht im Rauchzimmer zu
essen. Wenn freilich in manchen Ländern bei einem lang ausgedehnten
Gastmahl, in der Mitte zwischen den Gängen sogar, Zigaretten zum
Rauchen gereicht werden, so verbindet man unbewußt mit dieser Sitte
den Zweck, die Verdauung anzuregen, um für die folgenden Genüsse
vorzubereiten und trotz der Sättigung den Appetit auf die folgenden Gänge
wieder herzustellen. Die Erleichterung nach einem kulinarischen Mahl
oder mitten während des Gelages ist ein physiologisches Bedürfnis und
ist zu allen Zeiten, wie ich' 2 ) angeführt habe, auf die verschiedenste Weise
von der Kochkunst erstrebt worden. Daher schiebt die Technik in die
Mitte der Gänge bei lang ausgedehntem Mahl mit gutem Grund und
Erfolg auch ein Eisgetränk. Jedenfalls ist der Tabakgenuß ebenso auch
der Kaffeegenuß, wie bereits bemerkt 8 ), methodisch bei Entfettungskuren
in Anwendung zu bringen. Die Fettleibigen sollten geradezu Raucher
werden. Nur ist nicht der richtige Zeitpunkt zu übersehen. Gerade
vor der Mahlzeit soll der Fette rauchen.
Es haben also tatsächlich die Maßnahmen der gewerblichen Küchen¬
meister in der Praxis für ihre Anordnungen der Reihenfolge durchaus
ihre physiologische Berechtigung, so sehr, daß sogar der theoretische
Forscher vom gewerblichen Fachmann hinterher lernen kann.
*) Sternberg, „Neue Gesichtspunkte für Entfettungskuren mittels diätetischer
Küche“. Therap. der Gegenwart, Novbr. 1910.
2 ) „Kochkunst und ärztliche Kunst“, S. 106. Stuttgart 1907. F. Enke.
3 ) „Kochkunst und ärztliche Kunst“, S. 105. Stuttgart 1907. F. Enke.
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Die Küche wirkt mit allen diesen Faktoren, welche der Physik an¬
gehören, auf die physiologischen Bedingungen des Geschmackssinnes. Aber
außer der Sinnes-Pliysiologie kommt für Küche und Keller auch noch
die Psychologie der Allgemeingefühle in Frage. Die Küche stellt die
Schmackhaftigkeit her. Indem sie dem Geschmack Sinnesgenüsse bietet,
bezweckt sie damit, deu Appetit zu erregen und wach zu halten. Denn
seihst bei fehlendem Hunger ist es der Geschmack, der am ehesten und
am leichtesten den Appetit erregt. Deshalb ist es auch die gute Küche,
welche sogar bei ganz appetitlosen Kranken den Appetit zu erregen ver¬
mag, wenn sie dem Geschmack des Kranken zu schmeicheln versteht. 1 )
Fehlt aber die Schmackhaftigkeit, oder erleidet auf irgend eine Weise
dio Siim:sempfmdlichkeit des Geschmacks und des Geruchs Einbuße, dann,
verringert sich auch der Appetit. Deshalb kann alles das, was den Ge¬
schmack und Geruch herabsetzt, schon ein einfacher Schnupfen oder eine
zahnärzt liehe Veränderung des Gebisses, den Appetit verlegen. Es ist höchst
bemerkenswert und bemerkbar, wie durch solche unbedeutende Verände¬
rungen der Verlust des Appetits eintreten kann. Weil dem Nasenkranken
alles gleichartig zu schmecken scheint, empfindet er keine Freude mehr
am Essen. Das ist der Grund dafür, daß er nun auch keine Eßlust
mehr hat, den Appetit verliert und weniger zu sich nimmt, so daß er
unter Umständen sogar abmagern kann. Wie ich 2 ) bereits ausgeführt
habe, verliert der Mensch, auch das Tier den Appetit, die Neigung, über¬
haupt Nahrung zu sich zu nehmen, schon dann, wann die psychische
Lustempfindung der Freude am Essen bloß nicht mehr in vollem Um¬
fange empfunden wird. Man verzichtet alsdann überhaupt auf die Nahrungs¬
aufnahme. Es führt also merkwürdigerweise schon die einfache Abwesen¬
heit der Freude zu so bedeutsamen Folgen.
Diese Beobachtungen lassen sich ebenfalls therapeutisch fiir Ent¬
fettungskuren wirksam ausnutzen.
Es ist ein leichtes, den Appetit zu verderben. Der Erfolg der
Marienbader und anderer Badekuren ist wenigstens zu einem Teil auch
darauf zurlickzufiihren, daß sie den Appetit verderben. Noch nach anderer
Richtung ist die Beeinflussung des Appetits zu erreichen. Wenn nämlich
dio physiologische Begründung vom Wesen des Appetits richtig ist 3 ),
dann müssen auch hier aktive Maßnahmen von Nutzen sein. So ist schon
eine einfache Bepinselung der Zunge oder der Nase mit Kokain geeignet,
den Appetit herabzusetzen. 4 ) Daher kann man die Fettleibigkeit von der
Naso und Zunge ans ebenso bekämpfen, wie man die Schmerzhaftigkeit
einer Körperstelle durch Anästhesierung des Zentrums, des Gehirns oder
des Rückenmarks beeinflussen kann.
Aber die Geschmacklosigkeit allein, der einfache Mangel an
Geschmack, also der Nullpunkt, bedingt doch lediglich Mangel an Appetit.
Diese Appetitlosigkeit kann man aktiv noch weiter treiben über den Null¬
punkt hinaus bis zuin negativen Wert und noch ein zweites psycho¬
logisches Gemeingefühl auch therapeutisch in Anspruch nehmen. Dieses
1 ) Sternberg, -Der Hunger." Zentralbl. für Physiologie, Bd. 23, Nr. 4, S. 111.
2 ) r Krankenernährung und Krankenküche“, S. 7. Stuttgart 1906. F. Enke.
3 ) Sternberg, r l)er Hunger.“ Zentralbl. für Physiologie, Bd. 23, Nr. 4, S. 116.
4 ) Sternberg, r Geschmack und Appetit.“ Zeitschr. für Sinnesphvsiol., 1908,
Bd. 43, S. 332. — „ Anästketika als Genußmittel und Arzneimittel für Diätkuren“.
Münchn. mcd. Wochenschr., 1911, Nr. 54.
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Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Köche.
1241
Gefühl ist der Ekel, der höchste Grad der Appetitlosigkeit. Denn das
Ekelgefühl ist das polare Gegenstück vom Appetit. Und tatsächlich
waren Ekelkuren früher außerordentlich üblich. Heutzutage sind die
Ekelkuren ganz aus der Therapie verschwunden. So mag sich wohl auch
die Tatsache erklären, daß weder die Pathologie noch die Physiologie
noch auch die Psychologie das Wesen des Ekelgefühls zu ergründen ver¬
sucht haben. Für Entfettungskuren ist aber die Erregung eines leichten
Ekels therapeutisch sehr dankbar. Man hat nur nötig, die Yomitiva in refracta
dosi zu geben, um das Vorstadium des Erbrechens, zu dem es in Wirklich¬
keit ja gar nicht kommen soll, zu erregen. Und das Vorstadium ist das
Ekelgefühl, die Übelkeit, der Widerwille, der höchste Grad der Appetit¬
losigkeit. Im Grunde genommen sind ja zahlreiche Darreichungen
von großen Fettgaben bei mancher Entfettungskur nichts weiter als
Ekelkuren.
Allein trotz der Herabsetzung des Appetits bis zur Umkehr ins
Ekelgefühl kann doch noch ein weiteres selbständiges Allgemeingefühl
bei Entfettungs-Kuren sehr quälend wirken. Das ist der Hunger. Denn
Hunger und Appetit sind zwei dem Ort und dem Wesen nach vollständig
verschiedene Empfindungen. Die Berücksichtigung des Schmerzgefühls
des Hungers kommt daher bei Entfettungskuren ebenso in Betracht
wie bei Ulcuskuron. Denn es ereignet sich hei Entfettungskuren {mit¬
unter, daß der Kranke gar nicht abnimmt, sondern zunimmt und trotz¬
dem das lästige Hungergefühl höchst schmerzlich empfindet. Deshalb
ist ferner die künstliche Anästhesierung der Magenschleimhaut zur
Beseitigung oder Verminderung des Hungergefühls für Entfettungs¬
kuren sehr wirksam.
Freilich darf ich nicht verschweigen, daß diese meine therapeutischen
Hatschläge durchaus nicht allgemein geteilt werden. So sagt Professor
Erich Meyer, Direktor der Universitäts-Poliklinik in Straßburg, indem
er meine Arbeit beurteilt: „Neue Gesichtspunkte für Entfettungskuren
mittels diätetischer Küche“ (Therapie der Gegenwart, 1910, Nr. 5L, S. 492)
in seinen Therapeutischen Monatsheften, April 1911, H. 4, S. 241: „Die
langatmige, mit gelehrten Literat urangaben, die bis auf Plinius zurück¬
gehen —, verzierte, Arbeit enthält die bereits vielfach publizierten
Anschauungen Sternbergs über den Wert der Geschmackswirkung
auf den Appetit. Bezeichnend für die „physiologischen“ Anschauungen
des Autors ist der bereits schon einmal von ihm gegebene Hatschlag,
Anästhetika zu verwenden, „um durch die Einwirkung auf die Zunge
den Appetit herabzusetzen und durch ihre Einwirkung auf die Magen¬
schleimhaut das Hungergefühl zu vermindern“.
An anderer Stelle werde ich diese Ansicht von Meyer
zu widerlegen suchen. Dia Folge davon ist aber die, daß die einen
Autoren auch diese Ergebnisse meiner Studien einfach annektieren,
andere sie ganz übergehen und die letzten schließlich ohne ihre Kenntnis
ganz rückständig bleiben. E. Neisser und H. Bräunin g geben
Ln ihrer Studie „Über normale und über vorzeitige Sättigung“
(M|ünch. med. Wo chens ehr. 1911, Nr. 37), die Lennhoff in der
Vossischen Zeitung (Sonntagsbeilage Nr. 39 vom 24. Sept.. 1911 zur
Voss. Ztg., Nr. 47fi. S. 309—311) in einem Aufsatz: „Hunger und
Schmachtriemen“ ausführlich bespricht, in der Hauptsache die Resultate
meiner Arbeiten wieder. Albu übergeht in seinem für Ärzte gehaltenen
Fortbildungskursus: „Über neuere Entfettungskuren“ (Zeitschr. fürärztl.
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1242 Wilhelm Sternberg, Eine neue Entfettungskur mittels diätetischer Küche.
Fortbild., 1911, Nr. 8) die durch mich gegebenen Fortschritte ganz.
Wie vordem in seinem Aufsatz „Ein Mittel zur Unterstützung der
Ernährung bei Magenkrankheiten“ Therapeut. Monatshefte, April 1898,
S. 182—185 übergeht Albu auch neuerdings in seiner Notiz „Sonder¬
ernährung und Sättigungsgefühl“, Münch, med. Wochenschr., 17. 10.
1911, Nr. 42, S. 2221, die Hauptsache, wie ich sie festgestellt habe.
Prof. Rosemann bleibt ebenso zurück mit seinen Anschauungen über
das Hungergefühl (Zeitschr. für Untersuchung der Nahrungs- und Genu߬
mittel, 1911, Bd. 22, S. 24—34) wie Semi Meyer („Zur Pathologie des
Hungergefühls“ Monatsschr. für Psych. u. Neurol., 1911, Bd. 26, S. 232
bis 237 und Zeitschr. für Psychol., 1911, Bd. 59, L. B., S. 279) und F.
H. Lewy-Breslau (Zentralbl. für Phys., Bd. 24 vom 28. Mai 1910, Nr. 5,
S. 196), der die Begriffe Hunger und Appetit nicht mit der für eine
psychologische Studie nötigen Schärfe auseinander hält.
Jedenfalls werden von mir die Begrenzungen der bisherigen Ent¬
fettungskuren überschritten, die durch die Beschränkung der Entfettungs¬
diät auf den objektiven Wert der Diät und somit auf die chemischen
Momente gegeben sind; und es werden auch die subjektiven, psychischen
Gemeingefühle in den Wirkungskreis der Therapie hin ein bezogen.
Diese werden zu einem Teil durch Faktoren beeinflußt, die der Physik
und Sinnesphysiologie angehören. Daher fügt meine neue Entfettungskur
den bekannten Faktoren aus der Chemie noch besondere therapeutische
Momente aus der Physik, Sinnesphysiologie und Psychologie hinzu.
Die Zusammenfassung sämtlicher therapeutischen Maßnahmen für
meine Entfettungskur hat folgendes Ergebnis,
a) Der Physik zugehörige Maßnahmen sind:
1. Vermeidung von Flüssigkeiten, die wenig sättigen oder
gar Appetit machen, vollends am Anfang der Mahlzeit; ebenso
Vermeidung von flüssigen Zubereitungen, wie weich gekochten
. Eiern, Bevorzugung von hart gekochten Eiern. Ebenso Ver¬
meidung von Fischfleisch, das weniger sättigt als Schlachtfleisch.
2. Beachtung des Volumens. Bevorzugung von Vegetabilien,
Gemüse, Kartoffeln.
3. Vermeidung der feinen mechanischen Zerteilung in der
Küche, also vor allem der französischen Küche; ebenso
Vermeidung von zartem jungem Fleisch und zarten Fleisch¬
teilen. Vernachlässigung von Geflügel, zumal Hausgeflügel.
Bevorzugung der groben Kost, also mehr der österreichischen
Küche.
4. Beachtung der Temperatur. Bevorzugung der warmen Küche
und Vernachlässigung der kalten Küche, auch zum Frühstück
und abends.
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b) Der Sinnesphysiologie zugehörige Maßnahmen sind:
I. Erregung des Sättigungsgefühls durch den Geschmack.
Umkehr der Reihenfolge der Speisen.
1. Beginn der Mahlzeit mit Süßigkeiten.
2. Beginn der Mahlzeit mit Kaffee.
3. Beginn der Mahlzeit mit Kakao, Schokolade.
4. Beginn der Mahlzeit mit Tabak.
II. Künstliche Erregung von Geschmacklosigkeit durch An¬
ästhesierung der Zunge und dadurch bedingte Erregung von
Appetitlosigkeit.
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Referate und Besprechungen.
124
c) Der Psychologie zugehörige Maßnahmen sind:
I. Beeinflussung des Appetits.
1. Verschiedene Maßnahmen, den Appetit zu verlegen und zu
verderben: Anästhesierung der Nase.
2. Erregung des Ekelgefühls durch Emetica in refracta dosi.
II. Beseitigung des Hungergefühls durch Anästhesierung der
Magenschleimhaut.
Mit der Erweiterung der Ernährungstherapie durch neuzeitliche
Entwickelung der Ernährungstechnik, wie sie durch die Küche geboten
wird, dürften im allgemeinen nicht bloß die Entfettungskuren und die
Mastkuren gewinnen, sondern diese Erweiterung dürfte der gesamten
Ernährungstherapie und klinischen Therapeutik zugute kommen. Dann
dürften für die Zukunft der angewandten Diätetik die .Worte Geltung
beanspruchen, die einst Cicero 1 ) an Atticus geschrieben hat: Sed
ego diaeta curare incipio, chirurgiae taedet.
Referate und Besprechungen.
Innere Medizin.
C. Jacobi (Tübingen), Über die Beziehungen der Blutdrüsen zu den
Lymphräumen mit besonderer Berücksichtigung der Hypophyse und der
Gehirnventrikel als Teile des Wärmeregulationsapparates. (Therap. Monatsh.,
Mai 1911.) J. glaubt auf Grund von Tierversuchen, daß der physiologische
Zweck der Hypophyse, die durch das Infundibulum in nächster Beziehung
zum 3. Ventrikel und damit zu den Seitenventrikeln und den Plexus choriodei
steht, darin zu suchen ist, daß sie durch Absonderung ihrer wirksamen Be¬
standteile, und zwar nicht ins Blut, sondern in die Lymphspalten der Ven¬
trikel, die Gefäße des Plexus und damit ihrer lymphbildenden Tätigkeit, so¬
wie die Zirkulation der in den Ventrikeln verlaufenden Hirngefäße regu¬
lierend beeinflußt, und so die Ernährung und Funktion verschiedener, in
der Umgebung der Ventrikel verteilter, die Wärmebildung und Wärmeabgabe
vermittelnder nervöser Apparate gleichzeitig im Sinne einer Regulation des
Wärmehaushaltes steigert oder herabsetzt. S. Leo.
Eppinger u. Rothberger, Durchschneidung der Tawara’schen Schenkel
des Reizleitungssystems. (Zeitschr. für klin. Medizin, Bd. 70, S. 1, 1910.)
Wird an Morphin-kuarisierten Hunden vom linken Ventrikel aus mit einem
kleinen Messerchen der Tawara’sche Schenkel des Reizleitungssystems durch¬
schnitten, was bei einiger Übung häufig gelingt und durch nachträgliche
Autopsie sichergestellt werden muß, so nimmt das Elektro-Kardiogramm die
Form rechtsseitiger Extrasystolen an, umgekehrt bei Durchschneidung des
rechten Schenkels. Durchschneidung beider Schenkel wirkt wie diejenige
des His’schen Bündels mit Auftreten von Kammerautomatie. Bleibt nach
der Durchschneidung des Tawara-Schenkels die Schlagfolge des Herzens
langsam, so zeigt sich vor der Ventrikelsystole die Vorhofzacke erhalten,
oft tritt aber Galopprhythmus ein. Herzarbeit und Blutdruck sind im
allgemeinen unverändert. Vielleicht kann auf Grund dieser Erfahrungen
partielle Blockierung (nur einer Kammer) auch beim Menschen unter
günstigen Umständen diagnostiziert werden. H. Vierordt (Tübingen).
*) Epistularum ad Atticum über quartus
K. Dec. a. 697 (57).
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IV. 3. (Nr. 89) Scr. Romae VIII
104 * : * ira ' from
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1244
Referate und Besprechungen.
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J. Zamazal, Der Einfluß des Berufs auf die Entstehung der Erkältungs¬
krankheiten. (Öasopis l^karöv ceskych, Kr. 10—17, 1911.) Statistische Unter¬
suchungen an einem riesigen Krankenkassenmaterial führten den Autor zu
dem Schluß, daß jene Berufe, welche den Menschen dauernd Erkältungs-
einflüssen auasetzen, keine Disposition zu Erkältungskrankheiten verur¬
sachen, auch dann nicht, wenn ein Wechsel zwischen großer Hitze und
großer Kälte stattfindet, daß dagegen jene Berufe, welche in geschlossenen
Lokalen ausgeübt werden, wo die genannten Einflüsse minimal sind, eine
größere Morbidität an Erkältungskrankheiten auf weisen. Der Mensch be¬
sitzt die Fähigkeit, Wärme Verluste in weiten Grenzen prompt auszugleichen.
Die Grenze, jenseits welcher die Kälteeinwirkung die normale Funktion des
Menschen stört, liegt außerhalb des Bereiches eines jeden klinisch be¬
glaubigten Erkältungstfaktors. G. Mühlstein (Prag).
Oh. Widmer (Zofinger-Adelboden), Die klimatische Behandlung des
Heufiebers und des sogenannten nervösen Asthmas. (Therap. der Gegenw.,
Nr. 3, 1911.) Eine außerodentlich interessante, an Anregungen reiche Arbeit
des selbstständig denkenden Verf., der selbst von Jugend auf Heufieber¬
kranker und durch seinen sommerlichen Praxisort zu reichen Beobachtungen
befähigt, größte Beachtung verdient.
Nach ihm, ist der Blütenstaub nicht die Ursache der Erkrankung,
sondern nur ein akzessorisches Moment. Die Erkrankung wird hervorgerufen
durch klimatische Einflüsse. „Die Zeit des Heufiebers fällt immer in die
Zeit, wo mit hohen Temperaturen die Luft ihren maximalen Feuchtigkeits¬
gehalt hat. Es ist die Zeit der größten Gewitterhäufigkeit — es ist bei
uns die ausgesprochene Zeit des Föhns.“ Daher auch zuweilen im Februar,
d. h. lange vor der Zeit der Blüte, Heufieberepidemien. Die Zeit der größten
atmosphärischen Aktivität ist die für den zu Heufieber Geneigten gefähr¬
lichste und zugleich die Zeit der Blüte; aber Heufieber kann auch durch
Eisenbahnstaub, durch Jod und Salizyl, ja ohne alle chemische und mecha¬
nische Veranlassung entstehen.
Der Heuschnupfen ist eine Wehraktion, die schlimmsten Heuasthmatiker
haben keinen Schnupfen und keine Konjunktivitis, und ein ordentlicher Mai-
schnupfen verhindert das Auftreten der schwereren Affektionen.
Der Klimawechsel wirkt nicht durch die Entfernung von Graspollen
— denn an dem fehlt es auch an den besten heufieberfreien Orten nicht —,
sondern durch die Änderung der atmosphärischen Einflüsse (von Moor will
W. nichts wissen, nur vom Hochgebirge, was wohl eine Einseitigkeit ist).
Die Zentren der Heufieberepidemien, d. h. die Stätten, in denen sich die
der Krankheit zugrundeliegende Überempfindlichkeit der Respirationsschleim'-
haut ausbildet, sind die großen Städte, die Schulen, die Versammlungslokale,
die dem Menschen die richtige Atmung abgewöhnen und keine Gelegenheit
zur Ausbildung der natürlichen Immunität gegen atmosphärische Schwan¬
kungen geben.
Die einzige sichere Therapie des Heufiebers ist der Klimawechsel, die
Behandlung der Nasenschleimhaut ist symptomatisch, aber immerhin nicht zu
verachten. Sie ,»bedeutet eine künstliche Anregung der Funktion dieses Ge¬
webes, das dadurch gemahnt und in den Stand gesetzt wird, seinen Dienst
der Vorarbeitung und Weiterleitung der äußeren Einflüsse zu tun“. Galvano¬
kaustik und Massage, auch die Bormentholsalben und das Adrenalin sind in
diesem Sinne brauchbar; dagegen will W. von Belladonna und Pollantin
nichts wissen.
Nicht nur jedem, der sich für das Heufieber interessiert, sondern
jedem, dem an der Würdigung atmosphärischer Einflüsse als Krankheits¬
ursachen liegt, sei das eingehende Studium der Widmer’schen Arbeit dringend
empfohlen. Fr. von den Velden.
Wagner (Salzbrunn), Sputumbeseitigung in offenen Kurorten. (Med.
Blätter, Nr. 11/12, 1911.) Spucknäpfe mit Trockenfüllung können in Kur-
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Referate und Besprechungen.
1245
orten nicht in Betracht kommen, weil der Wind auf der Promenade und in
der offenen Halle leicht ein Verstäuben des Inhaltes herbeiführt. Wir
müssen also mit Flüssigkeiten gefüllte Spucknäpfe verwenden. Nehmen
wir reines Wasser zur Füllung, so bleibt das Bedenkliche, daß beim Ent¬
leeren der Näpfe leicht das konzentrierte und virulente Infektionsmaterial
verschüttet wird. Desinfizientia haben kaum mehr als suggestiven Wert,
sie können sogar insofern schädlich wirken, als das mit dem Entleeren und
Reinigen der Gefäße betraute Personal glaubt, weniger vorsichtig sein zu
müssen. Aber auch in ästhetischer Hinsicht befriedigen die für Iden Massen-
gebrauch berechneten Spuckgefäße keineswegs. Die offenen Näpfe gewähren
mit den darin schwimmenden Sputumflocken, die sich unter der Einwirkung
der Desinfizientien zu größeren Ballen koagulieren und in ihrer schwefel¬
gelben Farbe mit der Rosenfarbe der Sublimatlösung kontrastieren, einen
ekelhaften Anblick. Diese Nachteile werden vermieden bei den Spuck-
gef äßen mit Wasserspülung. Diese sind, immer sauber, sie bedürfen keiner
Wartung und keiner Desinfizientien. Die Spülung muß so eingerichtet «ein,
daß sie die gesamte Innenfläche der Schale bestreicht und nicht etwa durch
Zentrifugalwirkung Sputumteile an trockenbleibende Randstellen schleudert.
Das Becken muß erhöht angebracht sein, so daß sein Rand etwa in Brust¬
höhe steht. Gerade gegen diese Forderung wird oft verstoßen mit dem Er¬
folg, daß unzählige Mal daneben gespuckt wird. Aber auch nachher, nach¬
dem das Sputum aus dem Speibecken in das Abflußrohr gelangt ist, muß
man an die Vernichtung der Bazillen denken, wenn der Ort nicht über eine
einwandfreie Kanalisation verfügt. Was die Spuckflaschen betrifft, die die
Patienten mit sich herumtragen sollen, so sind die bisher bekannten Modelle
noch sehr verbesserungsbedürftig. S. Leo.
R. R. Mehnert (Jamestown), Zur Behandlung der Ranula und anderer
zystischer Geschwülste. (Korrespondenzbl. für Schweizer Ärzte, Nr. 14,
1911.) M. hat eine Ranula, diese Crux medicorum, durch eine Injektion von
25% Tannin-Glyzerinlösung, die nach einigen Minuten ablaufen gelassen
wurde, zur dauernden Heilung gebracht. Die Reaktion war sehr stark, es
traten Schluckbeschwerden ein, die erst nach einer Woche schwanden, doch
vollständige, jetzt seit zwei Jahren bestehende Heilung. Ähnliche Resultate
hatte er bei Retentionszysten an den Lippen und empfiehlt das Verfahren
für kongenitale Halszysten und ähnliche. —
Dazu ist zu bemerken, daß die Heilung der Ranula mit ätzender In¬
jektion ja auch sonst zuweilen gelingt und der vereinzelte Fall nicht viel
beweist. Fr. von den Velden.
Hauser (Karlsruhe), Jothionbehandlung tuberkulöser Gelenkentzün¬
dungen. (Med. Klinik, Nr. 26, 1911.) An Hand einer Reihe von Kranken¬
geschichten kommt Verf. zu dem Resultate, daß in den Fällen von Gelenk-
tuberkulöse, bei denen die Knochenteile noch nicht angegriffen waren, sondern
nur die Weichteile in mehr oder mjiiider schwerer Form, ein deutlicher und
dauerhafter Rückgang der entzündlichen Prozesse erfolgt, selbst wenn andere
Behandlungsmethoden im Stiche ließen. Zur Anwendung gelangten meist
10% Jothionsalben unter Ruhigstellung des Gelenkes. Reizerscheinungen
lokaler Natur oder seitens der Nieren wurden nicht beobachtet. R.
T. A. Matthews, Ein Fall von „enterogener Zyanose“. (Practitioner,
Bd. 86, H. 6.) Der Fall zeichnet sich durch einige Besonderheiten aus, die
bei dieser seltenen Krankheit sonst nicht beobachtet werden. Die aus einer
Schwindsuchtsfamilie stammende 27 jährige Patientin wurde im Anschluß an
eine ,,Influenza“, bei der sie KaJiumchlorat und Phenacetin, die beide Mot-
hämoglobinämie hervorrufen können, eingenommen hatte, schwer zyanotisch
und etwas dyspnoisch ohne jede Veränderung an Herz und Lunge. Bald
folgten schwere Anfälle von Dyspnoe, die den Tod erwarten ließen. Das
Blut war braun und gerann langsam. Bemerkenswert war, daß Erbrechen,
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BeiefSWunu J3esprec.uuii Ä ^«.
M
ja bloßes Würgen die Zyanose besserte, während sie nach jeder Mahlzeit
(leider wird nicht gesagt, woraus die Mahlzeiten bestanden) stark zunahm.
Magenauswaschung besserte die Zyanose nicht. Später traten scheinbar ohne
Anlaß plötzliche (innerhalb einiger Sekunden eintretende) Remissionen der
Zyanose bis zu normaler Färbung ein, die aber nach einigen Minuten ver¬
schwanden. Im Verlauf der Monate besserte sich der Zustand unter Eintritt
von Colitis membranacea.
Das Blut zeigte keinen Mangel an Körpern und Hämoglobin, doch
wurde spektroskopisch Methämoglobin nachgewiesen. In den bisher beobach¬
teten Fällen bestand chronische Konstipation oder Diarrhöe, während im vor¬
liegenden Falle Störungen der Darmtätigkeit erst nach dem Verschwinden der
Zyanose auftreten. Daß Darmtoxine bei der Krankheit eine wichtige Rolle
spielen, ist wohl klar, weshalb auch M. der Ansicht ist, daß Eiweißnahrung
möglichst vermieden werden sollte. Die Besserung erfolgte im vorliegenden
Falle unter Verabreichung von Quebrachorinde, die im Gerüche steht, die
Fähigkeit des Blutes zur Aufnahme von Hämoglobin zu vermehren, doch
wagt M. nicht, ein Propter hoc zu behaupten. Fr. von den Velden.
G. Holzknecht u. D. Olbert, Atonie der Speiseröhre. (Zeitschr. für
klinische Medizin, Bd. 71, S. 91.) Die Verfasser nehmen an, daß nicht
wenige Fälle von sog. „Ösophagismus“ mit allerlei Schlingbeschwerden bei
fehlenden „gastrischen“ Symptomen eine verminderte Bewegungsfähigkeit
der Speiseröhre aufweisen und die breiigen Ingesta verzögert und unvoll¬
ständig mit Hinterlassung von Resten durchpassieren lassen, was bei der
radiologischen Kontrolle des Schluckaktes mit verschiedenen Wismutpräpa¬
raten deutlich herviortritt. Bei einer Anzahl dieser Fälle fehlt der Rachen-
rcflex. Eine Atonie soll die Ursache des übrigens manchmal ziemlich be¬
schwerdelos verlaufenden Leidens sein. Flüssigkeiten und größere feste
Bissen gehen besser durch. Der Sondenbefund ist negativ. Andere Fälle
sind wieder durch stärkere Beschwerden ausgezeichnet: Würgen, Kratzen
im Hals, Husten nach dem Schlucken, angebliche Erstickungsanfälle mit
Angst vor dem Essen, Regurgitation von abgeschluckten Speisen. Auf
Tafel I ist ein instruktives Röntgenbild wiedergegeben, mit 0,3 Sek. Expo¬
sitionszeit bei Atemhemmung aufgenommen. Der Ausdruck Pseudoösopha¬
gismus wird neben Dysphagia atonica vorgeschlagen.
H. Vierordt (Tübingen).
H. Hellendahl (Düsseldorf), Zur akuten Magendilatation. (Monatsschr.
für Geburtsh. u. Gyni, Bd. 33, S. 44.) An der Hand von vier eigenen Fällen
schildert H. unter Heranziehung der Literatur das vorliegende Krankheits-
bild. Zu seinen charakteristischen Symptomen gehört das in längeren Inter¬
vallen auftretende gußweise Erbrechen, die starke Auftreibung der Magen-
gegend durch große Testierende Flüssigkeitsmengen bei intakter Darmfunk¬
tion und ohne sonstige Erscheinungen einer Peritonitis.
Ätiologisch möchte H. eine primäre und eine sekundäre Magendilata¬
tion unterscheiden; unter letzterem versteht er die Magendilatation, die
durch einen primären Duodenalverschluß bedingt ist. Ersterer kann durch
direkten nervösen Einfluß auf die Magenwand unabhängig von jeder Infek¬
tion^) oder durch eine Infektion Zustandekommen.
Therapeutisch obenan steht die ausgiebige Magenspülung, ferner die
Schnitzler’sche Bauchlage oder die Beckenhochlage. Vor einer Operation
ist zu warnen.
Die Arbeit H.s ist eine ganz nützliche Zusammenstellung. Leider ist
der Teil über die Ätiologie des Krankheitsbildes entsprechend der Ver¬
worrenheit der diesbezüglichen Anschauungen in der Literatur recht unüber¬
sichtlich. Frankenstein (Köln).
Ernst Holzbach (Tübingen), Die pharmakologischen Grundlagen für
eine intravenöse Adrenalintherapie bei der Peritonitis. (Münchn. med.
Wochenschr., S. 1122, 1911.) H.’s fleißige Untersuchungen zeigen, daß die
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rein klinischen Empfehlungen der Adrenalin-Kochsalzinfusion durch Hei¬
denhain bislang auf etwa? unsicheren Füßen standen. H. experimentierte
nun mit Adrenalin am Frosche und zwar einmal am isolierten gesunden
Froschherzen, dann am entherzten Frosche und schließlich am Tiere, dem
Gehirn und Rückenmark zerstört war. Er fand nun, daß das Adrenalin
auf das Herz direkt deletär wirkt, durch Vermehrung der Systolen bis
zum systolischen Herzstillstand, nach vorhergegangener Blutdrucksenkung.
Beim Tiere ohne Herz ergab sich als Adrenalinwirkung eine wesentliche
Blutdrucksteigerung, die, wie man am Tiere ohne Hirn nachweisen kann,
durch direktes Angreifen des Mittels an den peripheren Gefäßen bedingt ist.
Weitere Versuche am mit Arsenik vergifteten isolierten Froschherzen
und am Kaninchen, das ebenfalls mit Arsenik vergiftet wurde, zeigten nun
die Adrenalinwirkung am kranken Organismus. Es ergab sich, daß sich nur
durch dauernde Zufuhr stark verdünnter Adrenalinlösungen konstante Wir¬
kungen erzielen ließen, während gleiche Adrenalingaben in kürzerer Zeit und
stärkerer Konzentration nur eine flüchtige Wirkung zeigten. Diese ^Erfahrung
dürfte einen wichtigen Fingerzeig zur Bekämpfung der Blutdrucksenkung
bei schwerer Peritonitis durch dauernde intravenöse Zufuhr verdünnter Adre¬
nalin-Kochsalzlösung abgeben. Frankenstein (Köln).
R. Friedmann (Posen), Purpura hämorrhagica nach Fibrolysininjek-
tionen. (Ther. der Gegenwart, Nr. 5, 1911.) Zu den mancherlei Gefahren
der Fibrolysinbehandlung, auf die an dieser Stelle wiederholt aufmerksam
gemacht wurde, tritt nun auch die Purpura, und zwar ist Fr.s Fall schon
der dritte veröffentlichte, von (Len unveröffentlichten abgesehn. Die sehr
rüstige alte Frau bekam, nachdem sie vorher schon einen Turnus von Injek¬
tionen durchgemacht hatte, beim zweiten schwere Purpura mit Zahnfleisch-
und Nasenbluten, das 14 Tage lang andauerte und erst nach Gelatineinjek¬
tionen stand. Dazu kam (infolge der Gelatininjektionen ?) eine Armlähmung
mit klonischen Krämpfen, die zwar wieder schwand, aber die ganze Kur
hinterließ einen Schwächezustand, so daß die Kranke sich nur noch wenig
und mit Anstrengung außer Bett bewegen kann. „Auch der Rheumatismus
ist vorläufig als geheilt zu betrachten“, setzt Fr. hinzu; die Heilung, so¬
weit sic eine solche ist, ist jedenfalls teuer erkauft. Fr. von den Velden.
A. Zweig (Dalldorf-Berlin), Die Behandlung des Decubitus. (Deutsche
med. Wochenschr.i Nr. 24, 1911.) Die Prophylaxe spielt bei der Behandlung
des Decubitus besonders bei unsauberen Pat. die Hauptrolle. Zweig lagert
daher derartige Kranke auf Holzwolle der Fa. Hartmann in Heidenheim
(Württemberg), und zwar wird diese etwa V 4 m hoch in der Bettstelle auf-
gesehüttet, nicht mit einem Bettuch bedeckt und der Pat. direkt darauf ge¬
lagert. Das Lager wird mehrmals am Tage aufgeschüttelt und bei Be¬
schmutzung erneuert. Außerdem wurden tägliche Reinigungsbäder verab¬
reicht.
Gegen den Decubitus selbst wandte Z. besonders folgende Salbe an:
Arg. nitr. 1,0, Balsam, peruv. 20,0, Vaselin, ad 100,0. Ferner leisteten
Kamillensitzbäder gute Dienste. War es schon zu Nekrosen gekommen, so
wurden diese energisch gespalten und entfernt. Nützt dies noch nichts,
muß mit der Sonde nach tiefer liegenden Herden geforscht werden.
F. Walther.
Sieur (Paris), Aseptische Meningitis. Bullet, med., Nr. 54, S. 606,
1911.) In der Societe de Chirurgie Nom 5. Juli berichtete Sieur von
3 Patienten, bei welchen im Anschluß an eine Phlegmone am Bein, an eine
Appendizitis und an eine eitrige Otitis maningitische Reizerscheinungen auf¬
traten. Bei den beiden ersten lieferte die Lumbalpunktion einen ganz nor¬
malen, keimfreien Liquor, beim dritten war derselbe ganz klar, (enthielt
aber Staphylokokken. Auch von anderer Seite (Kirmisson, T u f f i e r)
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Referate und Besprechungen.
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wurden analoge Beobachtungen mitgeteilt. Es gibt mithin auch aseptische
Reizungen der Meningen, und zwar, wh Tuffier gewiß mit Recht be¬
merkte, ,,plus souvent qu’on ne l’a ditJ“. Buttiersack (Berlin).
H. Curschmann (Mainz), Über die therapeutische Bedeutung der Lum¬
balpunktion. (Therap. der Gegenw., Nr. 6. 1911.) Curschmann ist ein
begeisterter Lobredner der therapeutischen Lumbalpunktion, schätzt ihre Ge¬
fahren gering ein und möchte sie vom praktischen Arzt ähnlich wie Bauch-
oder Pleurapunktion angesehen haben. Das wird ja wohl so kommen, wenn
die Generation derjenigen, die die Lumbalpunktion mit der Milch der Alma
mater eingesogen haben, im Rat der praktischen Ärzte vorherrschen wird;
bis jetzt bleibt sie wohl vorwiegend noch eine Krankenhausoperation, an die
der Praktiker wegen der möglichen Überraschungen, die besonders den
weniger Geübten treffen können, mit großer Zurückhaltung herangeht. Ob
der mögliche Schaden und zu erwartende Nutzen in einem vernünftigen Ver¬
hältnis stehn, wird wohl noch einige Zeit unentschieden bleiben. Es sei
deshalb auf die von C. aufgestellten Indikationen nicht eingegangen. Dem
Verf. ist es immer verdächtig vorgekommen, daß niemand die Lumbalpunk¬
tion schlechter verträgt als ein Gesunder, während doch sonst die Regel gilt,
daß der Gesündeste Eingriffe in seine körperliche Integrität am leichtesten
überwindet: sie muß also ein sehr schwerer Eingriff sein, der nur von dem
vertragen wird, dessen Reaktion auf Eingriffe schon in hohem Grade abge¬
stumpft ist. Fr. von den Velden.
J. Thomayer, Zur Pathogenese und Therapie der Delirien beim Abdo¬
minaltyphus. (Öasopis l^karuv ceskych, Nr. 19, 1911.) Bei einer Reihe von
Typhusfällen mit mehr oder minder stürmischen Delirien, ferner bei einem
Typhuskranken mit tiefem Sopor und verlangsamter Atmung fand Th. im
Harn Azeton. Reichte man diesen Kranken ein alkalisches Mineralwasser,
verschwanden die Delirien sehr schnell. Typhuskranke, die frei von Delirien
blieben, hatten kein Azeton im Harn. Th. schließt aus diesen Beobachtungen,
daß zwischen den Delirien bei Typhus, wenigstens bei einer Reihe der
Kranken, und dem Azeton ein Kausalnexus besteht, ohne angeben zu können,
welche Säure hierbei die Hauptrolle spielt. G. Mühlstein (Prag).
Gynäkologie und Geburtshilfe.
J. Bland-Sutton (London), Über rechtsseitigen Leibschmerz beim Weibe.
(Practitioner, Bd. 86, H. 6.) Der Chirurg denkt alsbald an den Wurmfort¬
satz, der Gynäikolog an die Tube, und bekanntlich haben bei der Nähe beider
Organe und der nicht seltenen Zugehörigkeit des Wurmfortsatzes zum kleinen
Becken zuweilen beide recht. Quälende und andauernde Schmerzen im Becken
können aber auch von im Ureter steckenden Steinen kommen. In dunkeln
Fällen untersucht Bl. deshalb die Uretermündungen und läßt Radiogramme
des Beckens anfertigen. Bei deren Deutung muß man freilich sehr vorsichtig
sein, die Phlebolithen, die schon bei 30jährigen Vorkommen und bei älteren
Frauen nicht selten sind, ferner Verkalkungen im Ovarium oder in Mesen¬
terialdrüsen ganz das Bild eines Nierensteins geben können. Überhaupt „ist
den X-Strahlen nicht ohne weiteres zu trauen, manchmal enthüllen sie mehr
als da ist und ein anderes Mal zu wenig“. Schwer deutbare Beckenschmerzen
entstehen zuweilen auch nach der Fixation einer beweglichen Niere; hier
hilft nur die Exstirpation der Niere. Auch die Hydronephrose macht zu¬
weilen Beschwerden, die zunächst dem Wurmfortsatz zugeschrieben werden,
der nach Bl.’s Meinung mehr Fehldiagnosen verschuldet als alle anderen
Bauchorgane zusammen.
Schmerz rechts vom Nabel kann außer vom Wurmfortsatz auch von
Magen- oder Duodenalgeschwür oder chronischer Cholezystitis mit Steinen
herrühren. Die Diagnose der rechtseitigen Leibschmerzen wird nicht selten
durch abnorme Lagerung des Blinddarms erschwert, der ins Becken hinab-
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Referate und Besprechungen.
1249
gesunken ist. Ein solcher von Gas geblähter Blinddarm, wie er bei Multi-
paren nicht selten ist, macht dumpfe, schon deutliche Schmerzen. Wieder in
andern Fällen ist die Wurzel des Übels eine Mastdarmfistel, die zu schwerer
Verstopfung geführt hat. Ehe man die Blinddarmoperationen so leicht nahm,
Würde nicht selten lange Zeit auf chronisches Magengeschwür behandelt,
während der Blinddarm der Sünder war, der durch Verdauungsbeschwerden
und -schmerzen ein Magenleiden vortäuschte. In Fällen, wo die äußere
Untersuchung keine Klarheit schafft, das Leiden aber hinreichend schwer ist,
um die Operation zu rechtfertigen, pflegt Bl. von einem nicht zu kleinen
rechtsseitigen Bauchschnitt aus die Obduktio in vivo zu machen und die
Beckenorgane, Ureteren, Blinddarm, Nieren, Gallenblase, Pankreas, Duo¬
denum, Pylorus und Leber zu untersuchen. Nur selten findet man hierbei
keine, häufig aber eine sehr plausibele Erklärung für Beschwerden, die in¬
folge der unzureichenden klinischen Untersuchungsmethoden bis dahin zum
Schaden der Kranken als hysterisch bezeichnet worden waren.
Fr. von den Velden.
F. Ke miau ne r (Wien), Zur Beurteilung der Pyelonephritis bei Schwan¬
geren. (Zeitschr. für gyn. Urol., Bd. 2, H. 6, 1911.) Es stellt sich immer
mehr und mehr heraus, daß die Pyelonephritis ein ausgesprochen chroni¬
sches Leiden ist, daß die Attacke, die uns gelegentlich einer Schwanger¬
schaft entgegentritt, meist nur eine Exazerbation einer latenten Erkrankung
ist. K. erinnert an die höchst bemerkenswerten Feststellungen von Göppert,
der die Pyelonephritis recht häufig bereits im frühesten Kindesalter
konstatieren konnte, dabei handelte es sich in 89% der Fälle um Mädchen.
K. beschreibt dann einen selbst beobachteten Fall von Pyelonephritis im
dritten Monat der ersten Schwangerschaft im Anschluß an akute Blasen-
erscheinungen, wo die Anamnese ergab, daß bereits in der Pubertät höchst¬
wahrscheinlich pyelonephritische Beschwerden bestanden hatten. Diese selbst
waren mit Wahrscheinlichkeit zurückzuführen auf eine in frühester Kind¬
heit erworbene Pyelonephritis im Anschluß an einen schweren Darmkatarrh.
R. Klien (Leipzig).
J. Jerie, Die Veränderungen in den Ovarien bei Traubenmole und
chorionepitheliomatösen Tumoren. (Sbornik klinicky, Bd. 12/16, Nr. 1—2.)
Analog der Gravidität kommt es auch bei der Hydatidenmole und beim
Chorionepitheliom durch eine Umwandlung der Zellen der Theca interna
zur Atresie der Follikel und durch Umwandlung der Zellen der Membrana
granulosa in Luteinzellen zur atypischen Atresie. Aus den atretischen
Follikeln entstehen multiple Zysten, die infolge der Hyperämie und der
ödematöser. Durchtränkung der Ovarien rasch wachsen und sehr groß wer¬
den können; sie sind mit einer Schichte Luteinzellen ausgekleidet. Der
Autor bezeichnet sie als Pseudocystoma luteinocellulare. Nach Ausstoßung
der Mole bildet sich die Geschwulst zurück. G. Mühlstein (Prag).
Alexander F. Ritter v. Winiwarter (Wien), Ein Fall von Hämatozele
retrouterina, bedingt durch Follikelblutung aus einem kleinzystisch degene¬
rierten Ovarium. (Zeitschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 68, H. 2, 1911.)
Hier und da ereignen sich Fälle von intraabdominalen Blutungen in das
kleine Becken hinein, die nichts mit einer Extrauterinschwangerschaft zu
tun haben. Solche Blutungen können u. a. aus den Ovarien stammen, und
zwar aus Follikeln, aus Corp. lut., auch aus dem Stroma (Ovarialapoplexien).
Im vorliegenden Fall war es bei einer 33jähr. Mehrgebärenden nach einem
Koitus zu einer Blutung: aus einem frisch geplatzten Follikel mit konse¬
kutiver Hämatozele gekommen. Das betreffende Ovarium war kleinzystisch
degeneriert und lag tief im Douglas. Natürlich war vor der Operation die
Diagnose auf Extrauteringravidität gestellt worden, was in Anbetracht der
gleichen Therapie, die anzuwenden ist, nicht schlimm ist.
R. Klien (Leipzig).,
Th. Heynemann (Halle), Der E. Fränkel’sche Gasbazillus in seiner Be¬
deutung für die puerperale Infektion. (Zeitschr. für Geburtsh. u. Gyn.,
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Bd. 68, H. 2, 1911.) Ausführliche Beschreibung zweier tödlich geendeter
Fälle von Infektion mit dem genannten Bazillus nach Abort. Beide Male
hatte sich eine jauchige Peritonitis entwickelt; in einom der Fälle wurde
laparotomiert. In diesem Fall fand sich der Gasbazillus in Reinkultur,
auch im Blut. In dem anderen fanden sich daneben noch Streptokokken u. a.
Das bakteriologische Verhalten der gefundenen Bazillen wird eingehend
geschildert. H. ist geneigt, in den meisten Fällen dieser Art eine Infektion
von außen anzunehmen. R. Klien (Leipzig).
A. Labhardt (Basel), Über die Sterilisierung der Frau. (Korrespondenz-
blatt für Schweizer Ärzte, Nr. 17, 1911.;) Obgleich wie gewöhnlich die Ge¬
setzgebung sehr langsam den Forderungen der Vernunft nachhinkt und der
Arzt, der die Sterilisierung ausführt, nicht immer vor üblen Folgen auf
rechtlichem Gebiete geschützt ist, wird die Sterilisierung doch mehr und
mehr, z. B. im Baseler Frauenspital in den letzten Jahren 40 mal, ausgeübt.
Falls man mit der Indikation nicht zu freigebig ist, ist sie ja sicherlich be¬
rechtigt. In Basel hält man sich an die Kehrer’sche Regel, die Operation
nur dann für angezeigt zu halten, wenn „eine neue Schwängerung eine
schwere, vielleicht unverbesserliche Gesundheitsschädigung oder den Tod zur
Folge haben könnte. In iBetracht kommen Phthise, schwere Herzfehler,
chronische Nephritis, Psychose, schwere Beckenverengerung (in Basel wird
der zweite Kaiserschnitt mit Sterilisierung verbunden), schwere Prolapse,
wie sio besonders nach der Hebosteotomie auftreten, Narben des Uterus mit
Perforationsgefahr; in zweiter Linie Tubergravidität. Dagegen ist der
Wunsch der Frau, keine Kinder mehr zu bekommen, keine hinreichende In¬
dikation.
Was die Methoden betrifft, so sollte die Entfernung der Ovarien
nur bei Osteomalazie ausgeführt werden, wo sie eine heilende Wirkung hat,
neben der die Ausfallserscheinungen nicht in Betracht kommen. Ob die
Röntgenbestrahlung hinreichend sicher wirkt, ist ungewiß, Ref. möchte es
bezweifeln, da. bei Männern nach 1—2 Jahren Wiedereintritt der Fruchtbar¬
keit beobachtet worden ist. Die Verödung des Uterus durch Dampf oder
Ätzmittel hat den schweren Nachteil, die Menstruation zu unterdrücken. Die
weitaus beste Methode ist die Unterbrechung des Tubenkanals, die auf die
verschiedenste Weis© ausgeführt wird, ohne daß bis jetzt Einigung über
die beste Methode erzielt wäre. L. durchtrennt nach Laparotomie die Tube
in der Mitte, zieht das proximale Tubenende aus dem Peritonealüberzug
hervor und umschnürt beide getrennt. Von den Operationen, die eine spätere
Wiederherstellung der Tubenleitung ermöglichen sollen, will L. nichts hören;
sie sind auch, wenn man sich an strenge Indikationen hält, schwerlich not¬
wendig. Fr. von den Velden.
Ferre (Pau), *Traitement de la R6troverssion de l’Utgrus gravide par
la Position däclive prolongöe. (Annales de Gyn. et d’Obstr., Juni 1911.)
In vier Fällen von Retroflexio uteri gravidi hat F. eine spontane Aufrich¬
tung des Uterus dadurch erreicht, daß er die Frauen ohne Keil- und Kopf¬
kissen ins Bett legte und das Fußende um 30 cm. erhöhte. Allerdings
waren 3—45 Tage erforderlich. R, Klien (Leipzig).
Paul Lequeux, Quelques Cas de Grossesse interstitielle. (b’Obstr.,
Mai 1911.) Fünf Fälle von interstitieller Schwangerschaft werden beschrie¬
ben und abgcbildet. L. unterscheidet mit Piscacek eine Schwangerschaft
im Uterus winkel (Grossesse angulaire) von der wirklich intersti¬
tiellen. Diese wieder sei einzustellen in drei Unterarten: in die wahre
interstitielle, in die tubointerstitielle und in die uterointerstitielle. Die zu¬
erst genannte muß entweder frühzeitig platzen oder sich in eine der beiden
nachgenannten um wandeln. Alle die bisher genannten Schwangerschaften
liegen innerhalb der physiologischen von Schleimhaut ausgekleideten Kanäle.
Anders ist das bei der intramuralen Schwangerschaft. Hier hat sich
die Eihöhle in die Muskulatur hinein entwickelt, entweder des Fundus
uteri oder der Seitenwand. — Bei der interstitiellen Schwangerschaft
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kommt es nur ausnahmsweise zu einem unvollständigen uterinen Abort,
meist platzt der Fruchtsack im zweiten oder dritten Monat, selten später.
— Zur Diagnose kann die eigentümliche Gestalt des Uterus dienen. Leider
ist eine Differentialdiagnose zwischen der harmlosen angularen und der Ver¬
hängnis vollen interstitiellen Schwangerschaft so gut wie ausgeschlossen.
Die Therapie besteht natürlich in der Laparotomie. Dieselbe bleibt eine
Probelaparotomie, wenn sich eine .angulare Schwangerschaft herausstellt,
anderenfalls wird der Uterus entfernt, mit Ausnahme der Fälle, in denen
die Schwangerschaft noch nicht älter als sechs Wochen ist; in diesen Fällen
komme auch die Resektion ä la Myomektomie in Betracht.
R. Klien (Leipzig).
I. I. Grekow (St. Petersburg), Zur Behandlung der Verletzungen des
Darms und des Mesenteriums, speziell der Flexura sigmoidea, bei geburts¬
hilflich-gynäkologischen Operationen. (Zeitschr. für Geburtsh. u. Gyn ,
B<1. 68, H. 2, 1911.) Bei Dünndarm Verletzungen gelegentlich von Aus¬
schabungen kommt natürlich nur baldige Resektion in Frage. Dagegen hat
G. in zwei Fällen von Verletzung des S. romanum resp. Abreißung von seinem
Mesenterium ein Verfahren mit Erfolg angewendet, welches wohl der Nach¬
prüfung wert sein dürfte: Laparotomie und Unterbindung etwa blutender
Gefäße. Sodann Einführung per rectum einer Kornzange in das Lumen
der meist zu einem dünnen Strang kollabierten Flexur; mit dieser Zange
wird die Schleimhaut bzw. die Darmwand erfaßt und nun unter manueller
Nachhilfe von oben die Flexur nach abwärts herausgezogen,
bis sie vor dem Anus liegt und bis das oberste Ende der Flexur einerseits —
welches auf etwa 6 cm ringsum mit Peritoneum überzogen ist —, und
andererseits das rektale Ende der Flexur in das Rektum hineingelangt, also
völlig in- bzw. evaginiert ist. Hier oben wird nichts genäht. Dagegen wer¬
den nach Einführen eines dicken langen Gummidräns in den unten quer
eröffneten zuführenden Flexurschenkel bis hinauf in das Colon descendens
die beiden außenliegenden Flexurschenkel mittels starken Fadens an das
Rohr einerseits, an die Haut der Nates andererseits angenäht. Die offen¬
baren Vorzüge der Methode sind: Nichteröffnen des Darmlumens, rascheste
Ausführung, Gewährleistung des Abganges der Darmgase u. a. — Die beiden
Fälle G.s heilten, wenn auch nicht per primam. Natürlich wurde die
Bauchhöhle nach oben und unten dräniert. In dem einen Fall durchbohrte
der Assistent sogar unglücklicherweise mit der Kornzange die Rektumwand
selbst, und es wurde durch dieses Loch die Flexur nach außen gezogen. —
Die beschriebene Methode lehnt sich an ältere Invaginationsmethoden an;
sie dürfto mit Vorteil auch bei Volvulus des S. romanum anzuwenden sein.
R. Klien (Leipzig).
H. Pruska (Prag), Über das Frühaufstehen der Wöchnerinnen. (Monats
schrift für Geburtsh. u- Gyn., Bd. 33, S. 331.) Über das Frühaufstehen der
Wöchnerinnen ist in den letzten Jahren soviel geschrieben worden, daß bei¬
nahe Mut dazu gehört, jede neue Arbeit über dieses Thema zu referieren.
Gerade bei der Besprechung der Resultate des Frühaufstehens zeigt sich die
Tatsache immer wieder, daß es unmöglich ist, alle Dinge zahlenmäßig zu
erfassen und statistisch zu beweisen.
P. berichtet über die Fälle der dritten geburtshilflichen Klinik in
Prag, w r o die gesunden, nicht genähten Wöchnerinnen am vierten Tage auf-
stehen durften. Durch Vergleich der „frühaufgestandenen“ Wöchnerinnen
mit denjenigen, w r elche bis zum vierten Tage das Bett nicht verlassen haben,
versucht er den zahlenmäßigen Nachweis der Vorteile des Frühaufstehens
zu erbringen. Leider übersieht er dabei vollständig, daß infolge der Aus¬
wahl der „Frühaufsteherinnen“ sich zwei ungleiche Vergleichswerte er¬
geben, denn die frühaufgestandenen Wöchnerinnen sind ganz gesund, während
die fiebernden oder genähten Wöchnerinnen eben nicht früh aufstehen durften
und infolgedessen das Konto der lange zu Bett liegenden Frauen belasten.
Verf. resümiert > das Frühaufstehen setzt die Morbidität des Wochen-
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Referate und Besprechungen.
bettes herab, Thrombosen und R-etroflexionen des Uterus nehmen ab, das
Allgemeinbefinden wird vorteilhaft beeinflußt. Wenn wir aber mit Rück¬
sicht auf obige Überlegungen statt des Wortes ,,Frühaufstehen“ präziser
sagen „bei gesunden Wöchnerinnen, denen man unbedenklich das Frühauf-
stehen gestatten darf“, so erhalten wir Binsenwahrheiten, deren Beweis durch
wissenschaftliche Arbeit überflüssig ist.
Im übrigen richten sich diese Bemerkungen des Ref. lediglich gegen
die vorliegende Arbeit und nicht gegen das Frühaufstehen.
Frankenstein (Köln).
G. A. Wagner (W ien), Zur Anästhesierungsfrage in der Gynäkologie.
(Monatsschr. für Geburtsh. u. Gyn., Bd. 32, S. 712.) W. bespricht in diesem
Aufsatze die Lokal- und die Lumbalanästhesie. Erstere ist nur in wenigen
Fällen in der Gynäkologie verwertbar, so bei der Naht alter kompletter
Dammrisse, Rekto- und Vesikovaginalfisteln, Vaginalplastiken usw. Die
Möglichkeit besteht, daß die Lokalanästhesie in derartigen Fällen in aus¬
gedehnterem Maße wie bisher angewandt werden könnte. Über eine größere
Erfahrung verfügt W. bez. der Lumbalanästhesie; er verfügt über 1100
Fälle ohne Todesfall, der dem Verfahren zur Last fiele. Als Vorteile sind
anzuführen: Fehlen einer Schädigung des Gesamtorganismus, vollkommene
Entspannung der Bauchdecken, wie sonst nur bei tiefster, d. h. gefährlicher
Narkose, selteneres Erbrechen und Pressen bei der Operation, größere Selten¬
heit von Apnöe und Kollaps. Als Nachteile sind anzuführen: die Versager,
die beschränkte Dauer der Anästhesie und die Subtilität der Methode. Als
besondere Kontraindikationen führt W. an: Allgemein septische Erkran¬
kungen, Gehirn- und Rückenmarkskrankheiten, habituellen Kopfschmerz,
nervöse Veranlagung.
Ref. kann sich dem etwas enthusiastisch geschriebenen Aufsatze nicht
anschließen, da er die Hauptgefahr der Lumbalanästhesie in der Subtilität
der Methode sieht, welche nur durch die ausgedehnteste Übung zu vermeiden
ist. Dies ist die Schranke, welche eich der Lumbalanästhesie meines Erachtens
bislang am hinderlichsten gezeigt hat. Frankenstein (Köln).
H. V. Klein (Wien), Die puerperale und postoperative Thrombose und
Embolie. (Archiv für Gyn., Bd. 94, H. 1, 1911.) In einer sehr breit ange¬
legten Arbeit bespricht K. die Erfahrungen der letzten IO 1 /* Jahre der Klinik
v. R o s t h o r n-W e r t h e i m. Einleitend wird ein historischer Überblick
der Thrombosefrage im allgemeinen gegeben und dabei der Unterschied
zwischen dem chemischen Vorgang der extravaskulären Blutgerinnung mit
Fibrinausscheidung und dem mechanischen Vorgang der intravaskulären
Thrombenbildung, einem Agglutinationsvorgang, bei dem die Blutplättchen
die Hauptrolle spielen, aufs schärfste betont. K. bekennt sich sodann als
überzeugter Anhänger der mechanischen Entstehung der Thrombose,
wenn auch gelegentlich lokale Infektionsvorgänge (Thrombophlebitis) mit¬
spielen. Die Hauptursache der Thrombose sei aber jedenfalls in der Blut¬
strom v e r 1 a n g s a m u n g gegeben. — Unter beinahe 35000 Geburtsfällen
kamen 76 Thrombosen vor, d. s. 0,22%; am meisten waren Erst-, dann
Zweitgebärende vertreten, das mittlere Lebensalter überwog. Im allgemeinen
waren pathologische Geburten vorherrschend, wobei natürlich Infektions-,
konstitutionelle und autotoxische Momente mit unterliefen, aber doch die
mechanischen dominierten. Die häufigste Zeit der ersten klinischen Er¬
scheinungen war der 8.—14. Tag. Gerade die Schenkel- und Beckenvenen
haben an sich bei Bettlage sehr ungünstige Zirkulationeverhältnisse. Viermal
ereigneten sich tödliche Lungenembolien, dabei war eine postoperativ nach
Porro, vier andere führten als Begleiterscheinung schwerer Sepsis allmählich
zum Tode, drei Embolien beschränkten sich auf Infarkte. Also 14 l /s%
Embolien aller puerperalen Thrombosen. Auf 9000 Geburten eine tödliche
Embolie; auf 500 Geburten eine Thrombose. Die Prophylaxe soll wo¬
möglich schon in der Schwangerschaft beginnen (Nieren, Varizen), in einer
guten Geburtsleitung und im Wochenbett sogleich in Gestalt von Bewegungs¬
übungen im Bett usw. bestehen. Bei eingetretener Thrombose Rückenlage,
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Referate und Besprechungen.
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Hochlagerung beider Beine durch Hochstellen des Fußendes des Bettes um
15—20 cm, und Umschläge mit essigsaurer Tonerde. Mit dem sog. Früh-
aufstehen der Wöchnerinnen hat die We r t h e im’sche Klinik die besten Er¬
fahrungen gemacht; natürlich wurden die Kontraindikationen, die eingehend
besprochen werden, peinlichst beachtet. Die Trendelenburg’sche Ope¬
ration bei subakuter Pyämie wird empfohlen. — Was die Thrombosen
nach gynägologischen Operationen anlangt, so ereigneten sich
- unter 5851 Operationen 70 Thrombosen, das sind 1,2%. Uterusmyome und
Laparotomien stellten auch in Wien das größte Kontingent. Außer der
Beckenhochlagerung schuldigt K. vor allem die Chloroform- aber auch die
Äthernarkose an und gibt unumwunden der Lumbalanästhesie den Vorzug;
reicht diese, abgesehen von den totalen Versagern, nicht aus, so gebrauche
man dann wenigstens nur sehr kleine Mengen Chloroform. Von den 70 post*
operativen Thrombosen endeten 15 tödlich durch Lungenembolien. Sechs
davon entfielen auf Myomoperationen. — K. wirft an der Hand einiger Fälle
die Frage auf, wie man sich bei schon Ante Operationen bestehender Throm¬
bose zu verhalten habe. Der Ausgangspunkt der tödlichen Embolien war
in 5U°/o der Fälle eine Thrombose der Vena femoralis. Die linke Femoral-
vene ist am häufigsten der Sitz der Thrombose, weil sie dreimal quer von
Arterien überkreuzt wird. Bei schweren Anämien und Herzinsuffizienz ist
einer kräftigenden Vorbereitung und Digalendarreichung vor der Operation
der größte Wert beizulegen. Auch nach Operationen spricht sich K. für
gemäßigtes Frühaufstehen aus. Hier sowohl wie bei Wöchnerinnen konnte
K. ein Sinken der Thrombosefälle, besonders aber der Emboliefälle nach-
weisen. Zum Schluß bespricht K. die bisherigen Resultate der Trendelen¬
bur g’schen Embolieoperation. Wenn auch noch kein Fall gerettet worden
sei, so sei die Operation doch in gewissen Fällen durchaus berechtigt.
R. Klien (Leipzig).
O. Höhne (Kiel), Über die Behandlung einer schweren Katheterismus-
verletzung der weiblichen Urethra. (Zeitschr. für gyn. Urolog., Bd. 2, H. 6,
1911.) Beschreibung einer der seltenen Fälle von „Fausse route“ der weib¬
lichen Harnröhre. Es hatte wahrscheinlich eine alte gonorrhoische Striktur
bestanden, der falsche Weg des Katheters ging in das Cavum Retzii. Nach
Aufnahme in die Klinik wurden zunächst suprasymphysär mittels Spritze
300 ccm Urin aspiriert. Da sich nach Verlauf von 8 Stunden der Urin als
,,keimfrei“ erwies, wurde die Sectio alta gemacht und von oben her die
Harnröhre sondiert. Es gelang dann einen Skene’schen Pferdefuß von unten
einzuführen. Naht der Blase und Dränage des Cavum Retzii nach außen
mit Gaze. Glatter Verlauf. Nach 10 Tagen Entfernung des Dauerkatheters;
sodann methodische Dehnung der Harnröhre. Die spätere Rekonvaleszenz
war durch einen Lungeninfarkt kompliziert. — Wäre der Urin infiziert ge¬
wesen. so würde H. die infrasymphysäre Blasendränage gemacht haben.
(Das Cavum Retzii hätte aber wohl daneben auch dräniert werden müssen.
Referent.) R. Klien (Leipzig).
J. Seff (New York), Eine schnelle Methode zur Heilung mastitischer
Abszesse. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 17, 1911.) Sobald ein lokali¬
sierter Schmerz an der Brust, sich zeigt, wendet Seff heiße Kompressen an,
die entweder zur Absorption der indurierten Stelle oder zur raschen Eiter¬
bildung führen. In letzterem Fall kleiner Einstich mit dem Messer, Aus¬
waschung mit Vftooo Sublimat und Einspritzung von Jodtinktur, welche
die Ausbildung einer geröteten Hautstelle um die Wunde zur Folge hat;
kleiner feuchter Verband. Diese Reinigungs- und Ätzungsmethode wird alle
1—2 Tage wiederholt. Die Abszeßwand verhärtet sich bald und die Heilung
findet in 10—14 Tagen statt. Alle so Behandelten konnten am 6. Tage wie¬
der stillen, sekundäre Abszesse traten nicht auf.
Auch andere oberflächliche Abszesse hat Seff mit ähnlich gutem Er¬
folg behandelt.
Wenn das in der Praxis so schön ist wie auf dem Papier, so ist das
Verfahren mit Freuden zu begrüßen. Fr. von den Velden.
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Referate und Besprechungen.
E. Aulhorn (Leipzig), Die Verwendung des Pantopons in der Geburts¬
hilfe. (Münchn. med. Wochenschr., S. 618, 1911.) Die Schmerzlinderung
der Wehen gelingt mit Pantopon allein nur schlecht, in Verbindung mit
Skopolamin sehr gut. A. injizierte bei regelmäßiger Wehentätigkeit 0,01
Pantopon und 0,0003 Skopolamin, nach V*—1 Std. die gleichen Mengen Panto- •
pon und Skopolamin. Er erzielte damit in vielen Fällen eine Verminderung
des Wehenschmerzes, ohne nennenswerte Verlängerung der Geburtsdauer.
Natürlich darf man die erste Injektion nicht zu spät, d. h. nahe der Aus¬
treibungszeit, oder zu früh, d. h. bevor eine geregelte Wehentätigkeit vor¬
handen ist, machen. Eine Schädigung der Kinder wurde nicht beobachtet.
Der Hauptvorteil der Pantopon-Skopolamin-Injektionen besteht in ihrer Ein¬
fachheit bez. der Dosierung im Vergleich zum Skopolamin-Morphium-Däm¬
merschlaf nach Ganss. Frankenstein (Köln).
M. Neu (Heidelberg), Zur Pharmakologie und klinischen Dignität der
Uterustonika. (Münchn. med. Wochenschr., S. 565, 1911.) Neu prüfte
pharmakologisch die Arbeiten von Franke- Hochwart, Fröhlich,
Hofstätter u. a. über die Uteruswirkung des Hypophysenextraktes (Pit¬
uitrin) nach und fand, daß dieses Präparat vor dem Suprarenin keinen Vor¬
zug hat. Er konnte feststellen, daß die Wirkung des Pitnitrins am Frosch -
Präparat der einer verdünnten Suprareninlösung gleichzusetzen ist; be¬
sondere arteigene Wirkungen, die es dem Suprarenin als uterinem Tonikum
vorziehen ließen, entfaltet es nicht. Neu empfiehlt demnach nach wie vor
das Suprarenin, dessen genauere Dosierung für die einzelnen Fälle der
experimentellen Forschung Vorbehalten bleibt. Frankenstein (Köln).
Chirurgie.
F. Harth (Athen), Ein neuer Stranghaken. (Deutsche med. Wochenschr.,
Nr. 34, 1911.) Harth hat für die Hernienoperation einen Haken zum Fest¬
halten des Samenstrangs konstruiert, der eine spiralförmige Gestalt hat,
durch die ein Herausgleiten des einmal festgehaltenen Strangs unmöglich
wird. Er rät zwei Haken anzuschaffen, deren einer für den Samenstrang
bestimmt ist, während mit dem anderen der Bruchsack gefaßt wird, wodurch
das Operieren außerordentlich erleichtert wird. Der Haken, der sehr ein¬
fach und billig ist, wird von der Fa. Stiefenhofer in München hergestellt.
F. Walther.
W. Uffenorde (Göttingen), Zwei bronchoskopische Fälle von Fremd¬
körperextraktion. (Therap. Monatsh., Mai 1911.) Der erste Fall lehrt,
daß man in Fällen von quellbaren Fremdkörpern möglichst rasch eine Über¬
weisung zur bronchoskopischen Extraktion herbeiführen soll, denn die
Chancen der bronchoskopischen Entfernung stehen im umgekehrten Verhältnis
zur Dauer des Verweilens dieser Fremdkörper in den unteren Luftwegen. Be¬
kommt der Operateur trotzdem den Fall erst nach längerer Zeit zur Beobach¬
tung, so empfiehlt sich, die untere Tracheotomie vorauszuschicken; der ge¬
quollene Fremdkörper kann dann aus der dilatierten Tracheotomiewunde ent¬
fernt werden. Im zweiten Falle war der Fremdkörper während eines Viertel¬
jahres verkannt worden. Der Fremdkörper haftete bald höher, bald fiel
er wieder in den Bronchus herab, dem entsprechend waj der kleine Patient
bald dyspnoisch, bald nicht. Der Arzt soll also in diagnostisch unklaren
Fällen auch an Fremdkörper denken, um so mehr, wenn irgendeine anam¬
nestische Angabe darauf hinweist. S. Leo.
H. B. Ingle, Die Verursachung und Verschlimmerung organischer
Krankheiten durch die Narkose. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 7, 1911.)
Ingle zeigt auf Grund vorwiegend deutscher Untersuchungen, daß die
Schädigungen durch die Narkose viel bedeutender sind als gewöhnlich an¬
genommen wird und nicht selten den durch die Operation gebrachten Nutzen
überwiegen. Alle Arten der Inhalationsnarkose machen beginnende fettige
Degeneration der inneren Organe und besonders im Epithel des Atmungs-
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Referate und Besprechungen.
1255
apparats, Auflösung roter Blutkörper, kleine Hämmorrhagien in den Alveolen;
nach einem Untersucher soll die Degeneration des Lungenepithels nur bei
der Äther-Sauerstoff-, nicht bei der gewöhnlichen Tropfmethode auftreten.
Äther wirkt besonders ungünstig bei Lungentuberkulose.
Nicht genügend beachtet werden die Kontraindikationen der verschie¬
denen Narkotika. Äther ist kontraindiziert bei Atherom und Aneurysma,
Nephritis, Lungenerkrankung, Alkoholismus, Gehirnverletzungen und wenn
Brechbewegungen während der Operation vermieden werden müssen; Chloro¬
form dagegen bei Herzerkrankung, Leberzirrhose, Diabetes und bei ßtark
Heruntergekommenen. Bei schwerer Anämie ist sowohl Äther als Chloro¬
form gefährlich.
Die Spinalanalgesie hält J. für gefährlicher als die Inhalationsnarkosen
und glaubt, daß das Gebiet ihrer Anwendung sehr klein werden wird. —
Es ergibt sich daraus die Mahnung, daß man mehr, als gewöhnlich
geschieht, die zu erwartenden Vorteile und Nachteile einer Operation be¬
sonders in Hinblick auf die Narkosenschädigungen gegeneinander abwägen,
und sich in der Auswahl des Narkotikums nicht nach der augenblick¬
lichen Mode richten sollte. Fr. von den Velden*
Postoperative Leiden im Sommer. (W. M. B. im Amer. Journal of
Surgery, Nr. 7, 1911.) Einige Bemerkungen, die bei dem diesjährigen un¬
gewöhnlichen Sommer auch bei uns von Interesse sind. Aufschiebbare
Operationen sollen in der heißen Zeit nicht vorgenommen werden, denn
wenn auch einzelne Kranke unter der Hitze nicht leiden, wird doch bei
anderen durch sie der Kampf zwischen Leben und Tod zum schlimmen ge¬
wendet. Polsterverbände sollen durch kleine Pflaster- oder Kollodium¬
verbände ersetzt werden. Leichte, d. h. wohl in diesem Falle: fleischarmo
Diät und häufiges Abwaschen verhindern Steigerungen der Innentemperatur.
Da die gewöhnliche Ventilation gewöhnlich versagt, empfiehlt sich die An¬
wendung elektrisch betriebener Ventilatoren. Fr. von den Velden.
Chirurgie in China. (Amer. Journal of Surgery, Nr. 6, 1911.) In
ihrem Buche „The Diseases of China“ berichten Jefferys und Maxwell,
daß Appendizitis in China außerordentlich selten, bei dort lebenden Europäern
und solchen Chinesen aber, die sich nach europäischer Art nähren, sehr ge¬
wöhnlich ist. Hier liegt also der oft behauptete Zusammenhang mit der
Diät klar zutage. Daß andrerseits die malignen Tumoren mit der Fleisch-
nahrung wenig oder nichts zu tun haben, ersieht man daraus, daß sie in
China außerordentlich häufig sind. Blasensteine sind sehr häufig und
Nierensteine nicht selten, obgleich Gicht fast nie vorkommt. Das unreine
Trinkwasser und der meist spärliche und konzentrierte Urin der Chinesen
scheint dabei eine Rolle zu spielen. Fr. von den Velden.
Kinderheilkunde und Säuglingsernährung.
L. F. Meyer (Berlin), Zur Behandlung der akuten und chronischen
Darmkatarrhe im Kindesalter. (Ther. Monatsh., Mai 1911.) Die Milch ist
in allen Fällen sofort auszusetzen und zwar mindestens noch 8 Tage, nach¬
dem die Stühle -wieder normal geworden sind. Auch dem sollte sie nur
mit Vorsicht gegeben werden, höchstens 2 /.-i Liter im Tag. Ferner soll ge¬
geben werden: Viel Eiweiß, in Form von Fleisch, weißem Käse, Schweizer -
käse, wenig Kohlehydrate; Fett ist bei Zufuhr geringer Kohlehydratmengen
erlaubt. Der Plan einer Behandlung wäre also, wie folgt: 1. Tag (ev. ein
Abführmittel, bei subakuten und chronischen Fällen nicht notwendig). Diät:
a) Eichelkakao; b) Weißer Käse, 2 Eßlöffel mit einer Scheibe englischen
Weißbrotes (bei jüngeren Kindern durch ein Haarsieb getrieben, in wenig
warmen Saccherinwasser suspendiert. 1 Eßlöffel weißer Käse wiegt ca. 60 g;
c) Suppe, 2 Eßlöffel fein püriertes, gekochtes oder rohes Fleisch; d) Weißer
Käse wie nbee hV Brei vnn 1 TiTinrlorl öffol foinom und L-ol+no
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Referate und Besprechungen.
oder härter gekochtes verriebenes Ei geben. — Am 2. Tag dasselbe. Am
3. Tag: Zulage von etwas Zwieback oder geröstetem Weißbrot oder Brötchen,
4. Tag: Zulage von fein püriertem Gemüse, besonders Spinat, Mohrrüben,
Bananen, kein Kohl. Allmählicher Übergang zur üblichen Kost. Bei einer
solchen Diät wird man nicht darüber zu klagen haben, daß die Kinder die
Speisen verweigern, oder daß sie Widerwillen zeigen wie bei den einfachen
und geschmacklosen Mehlabkochungen. S. Leo.
F. Göppert (Göttingen), Zur Behandlung der akuten und chronischen
Darmkatarrhe im 2. und 3. Lebensjahr. (Therap. Monatsh., Juni 1911.)
Bei Behandlung der Durchfälle ist die Milch sofort wegzulassen. Dann be¬
ginne man die Kur mit einem reichlichen halben bis ganzen Eßlöffel Rizinus¬
öl. Gerade bei Fällen mit Erbrechen pflegt das Öl ausgezeichnet zu wirken.
Öl hemmt nach Tabo r a die Magenperistaltik. Nur wenn die Kinder Zeichen
starken Verfalls oder schleimig-blutige Stühle mit Tenesmen zeigen, ist
es wünschenswert, zwei bis drei Liter warmen russischen Tee zur Darm¬
spülung mittels Irrigators und Magenschlauch zu verwenden. Man kürzt da¬
durch die Krankheitsdauer wesentlich ab. Bei älteren Kindern läßt man
statt dessen einen Liter russischen Tee mit Irrigator einlaufen und wieder¬
holt die Prozedur, nachdem das Kind die erste Menge entleert hat. Die
ersten 24 Stunden ist es nur in den schwersten Fällen empfehlenswert,
jegliche Nahrung außer Wasser oder mit Saccharin gesüßtem Tee auszu¬
setzen. In den meisten Fällen ist! der Appetit der Kinder noch so hoch¬
gradig, daß diese Verordnung nicht durchgeführt werden würde. Hier kann
man nach den ersten 6 Stunden eine Tasse klarer Brühe und weiter nach
10—12stündiger Karenz noch zweimal eine Tasse magerer Brühe mit ein
wenig Schleim reichen lassen. So gelingt es, den ersten Tag ohne Schaden
für das Kind erträglicher zu gestalten. Am 2. Tag besteht die Diät aus
3—4stündlich zu reichenden Schleimmahlzeiten, die abwechselnd mit und
ohne Fleischsuppe gekocht sind, die aber nie eine Menge von ca. 3 / 4 Tasse
übersteigen sollen. In dieser Zeit, ist es notwendig, dem Kinde reichlich
Wasser oder Tee zu gestatten. Kinder, die alles andere außer Milch ver¬
schmähen, kann man durch Eiweißwasser, das man nach dem Einrühren
des Eiweißes gekocht und durchgeseit, also fast von Eiweiß befreit hat,
täuschen. Am 3. Tag ist ein große** Teil der Kinder bereits soweit ge¬
nesen, daß die Eltern geneigt sind, die alte Ernährungsweise wieder aufzu¬
nehmen; ein anderer Teil zeigt noch immer 3—4-schleimige, stinkende Stühle.
Hier braucht man sich nicht vor der Zulage von Milch zu fürchten, unter
der Voraussetzung, daß die Menge der Nahrung, daher auch die Kohle¬
hydrate, nicht beliebig gesteigert wird. Die Diät besteht dann aus dreimal
täglich Vs Tasse dünnen Schleims mit 5—6 Eßlöffeln Milch und zweimal
einer Fleischsuppe mit Schleim jn etwas größerer Menge. Ist ein starker
Mißbrauch von Milch vorhergegangen, so kann man statt der Milchzulage
einen knappen Eßlöffel voll feingewiegtem Fleisch den beiden Br ühma hl Zeiten
zumischen. Dann kann man systematisch den Kostzettel reichlicher ge¬
stalten. S. Leo.
Berichtigung.
Wir werden um Aufnahme folgender Berichtigung ersucht:
„Bei der Besprechung meiner Dickdarmkrankheiten in Nr. 49, 1911 moniert
Kaufmann (Mannheim) folgende Sätze: Bei Kotstase fördern Spülungen harte
Kotmassen zum Vorschein. Eine große Wahl steht . . . zur Verfügung. Was an
der Satzbildung falsch ist, bleibt mir unverständlich; wenn er aber an Stelle des
zweiten geschrieben wissen will, ,man hat eine große Wahl 4 , so zeugt diese Kritik
von ungenauer Lektüre des Satzes bis an das Ende“. Schilling (Leipzig).
Druck von Emil Herrmann senior in Leipzig.
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