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Full text of "Fortschritte Der Medizin. Band 30.1912. Teil 1 S 1 833. Illinois"

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Fortschritte der Medizin 


Unter Mitwirkung hervorragender 
Fachmänner herausgegeben von 


Professor Dr. G. Köster Priv.-Doz. Dr. v. Criegern 

in Leipzig in Leipzig 

Professor Dr. H. Vogt 

in Wiesbaden 

Redaktion: Dr. Rigler-Darmstadt 


1912 

XXX. Jahrgang. 




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Carl 


Halle a. S. 

Marhold Verlagsbuchhandlung. 


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30. Jahrgang 


1912. 


Tortscbritte der Itiedizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Priu.-Doz. Dr. u. Crlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


€rsd>elnt wöchentlich sum Preise von 8 (Darb für bas 
KJ r 1 ßalbjarbr. 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 


4. Januar 


Vorwort. 

Mit. der vorliegenden Nummer gehen die 

„Fortschritte der Medizin“ 

in ihren 30. Jahrgang. Die Zeitschrift zählt somit zu den ältesten me¬ 
dizinischen Fachblättern. 

Getreu unserem bisherigen Programm wollen wir auch weiterhin 
unseren Lesern durch Eigenarbeiten und Berichte vermitteln, was 
für den Praktiker bei seiner oft so überaus mühevollen und viel¬ 
seitigen Tätigkeit von Nutzen ist. Bei der Absicht der Durchführung 
dieses Gesichtspunktes befindet sich die Redaktion in voller Ueberein- 
stimmung mit dem Verlage, der Firma Carl Marhold Verlags¬ 
buchhandlung in Fl a 1 1 e a/S., in deren Besitz die „Fort¬ 
schritte der Medizin“ übergegangen sind. 

In das Hcrnusgeberkollegium ist Herr Professor Dr. Heinrich 
Vogt, Wiesbaden, eingetreten, der schon lange ein Freund 
unserer Zeitschrift ist und wir danken ihm für seine freundliche Bereit¬ 
willigkeit. Nicht minder gebührt dieser Dank aber auch den bisherigen 
Herausgebern und unseren hochgeschätzten Mitarbeitern, die gleichfalls 
zum Teil schon lange Jahre den „Fortschritten der Medizin“ ihre so 
wertvolle Unterstützung gewähren. 

Die grosse Ausdehnung der medizinischen Literatur hat die Ver¬ 
lagsbuchhandlung veranlasst, den Umfang der einzelnen 
Hefte zu erhöhen, damit speziell im Referatenteil alles für die 
Praxis Wichtige in kurzen, aber dabei erschöpfenden Berichten wieder¬ 
gegeben werden kann. 

Dass infolgedessen eine kleine Preiserhöhung notwendig war, wer¬ 
den unsere Leser hoffentlich nicht übel vermerken, uns vielmehr ihre 
Freundschaft erhalten, und wir hoffen ausserdem, dass recht zahlreiche 
neue Leser unsere alten Freunde durch den jetzt beginnenden 30. Jahr¬ 
gang begleiten werden. 

Darmstadt und Halle a/S., Januar 19P2. 

Redaktion und Verlag 
der „Fortschritte der Medizin“. 

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Eschle, 


Originalarbeiten unö Sammelberichte. 


Die perverse oder paradoxe Innervation. 

Von Franz C. R. Eschle. 

Auf Grund eines grossen und kritisch analysierten Materials 
ist von 0. Rosen hach zuerst im Jahre 1880 darauf hingewiesen 
worden, dass meistens in falscher Beurteilung der Situation statt 
der gelähmten oder durch abnorme Hemmungen im Zustände der 
Inaktivität verharrenden Muskeln die sekundär stärker innervierten 
Antagonisten für die primär affizierten Organe angesehen werden, 
bei denen dann irrtümlich Krampf, spastische Lähmung oder Kon¬ 
traktur festgestellt wird. Die Lehre von der „perversen Inner¬ 
vation“ -— die Bezeichnung hat der mehr als auf einem Gebiete bahn¬ 
brechende Forscher seiner eigenen Angabe nach von B. F r ä n k e 1 über¬ 
nommen, der damit zuerst gewisse Verhältnisse am Larynx kennzeichnete 
— ist von Rosenbach dann weiter in einer Reihe von Abhandlungen 
ausgebaut und von mir als seinem Schüler an der Hand einer nicht ganz 
kleinen Zahl eigener Beobachtungen an Beispielen erläutert und demon¬ 
striert worden, ohne dass es dadurch bis auf den heutigen Tag gelungen 
wäre, die totale Verkennung der in Rede stehenden Vorgänge, allgemein 
auszuschlicsscn. Denn immer wieder begegnet man einer solchen in den 
Fachzeitschriften, selbst in Lehrbüchern. 

Die funktionelle Störung, die Rosenbach als 
„perverse oder paradoxe Innervation“ bezeich¬ 
net hat, ist als das Unvermögen zu definieren, 
kinetischelmpulse mit dem gerade hinreichenden 
Kraft mass nach der Peripherie zu senden. 

Bei allen komplizierten, oder „koordinierten“ Bewegungen kommt 
ja niemals eine Muskelinnervation in Frage, ohne dass nicht zu¬ 
gleich die Mitwirkung antagonistisch tätiger Elemente in der Gruppe 
dazu erforderlich wäre. Auch diese müssen innerviert oder wenigstens 
in einen besonderen Tonus versetzt sein, wann eine zweckdienliche Aktion 
überhaupt zustande kommen oder gar das Ziel auf kürzestem Wege und 
unter \ ermcidung jeder unnützen Kraftverschwendung, d. h. ohne vor¬ 
schnell sich einstellende Ermüdungserscheinungen mit allen ihren Folgen 
erreicht werden soll. Bei dem Akte der Armbeugung z. B. wird doch 
nicht bloss der Biccps innerviert, sondern, abgesehen davon, dass auch 
der Brachialis internus zur Unterstützung herbeigezogen wird, muss auch 
ein entsprechender Komplex von Antagonisten, hier also der Triceps und 
der Anconaeus quartus Impulse in entgegengesetztem Sinne erhalten, 
damit deren Innervation sukzessive bis zu einem gewissen Grade nach¬ 
lässt und dadurch eine abgestufte, planvolle Bewegung des Armes nach 
einem bestimmten Ziele hin zustande kommt. Nur dadurch also, dass 
mit den motorischen zugleich tonische Impulse nach der Peripherie ge¬ 
langen, bloss dadurch, dass mit der Mobilisierung einzelner Muskeln einer 
Gruppe abgestufte Hemmungen ihrer Antagonisten Hand in Hand gehen, 
wird jene Harmonie in den Bewegungen erreicht, die wir „Koordination* 1 
nennen. 

Wird aus irgend einer Veranlassung ein stärkerer oder schwächerer 
als der adäquate Impuls zur Peripherie geschickt, so muss „Koordinations¬ 
störung“, „Ataxie“, „Disjunktion“ die Folge sein. Diese Begriffe decken 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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sich nun keineswegs mit dem der „perversen Innervation“ ,wie das offen¬ 
bar noch vielfach angenommen wird. Denn bei dieser handelt es sich 
ausschliesslich um eine rein funktionelle Anomalie; durch diese 
im Attributiv „funktionell“ zum Ausdruck kommende Einschränkung 
des Begriffes wird aber das Vorhandensein eines 
gewissen Mas s es von „Dystoni e“, von primär lei c h - 
t e r Ermüdbarkeit oder funktioneller Schwächt» 
einzelner Komponenten des Systems als letzte 
Ursache dieser Veränderung in den Innervations¬ 
verhältnissen nicht ausgeschlossen. Und wenn auch die 
perverse Innervation in vielen Fällen dadurch be¬ 
dingt ist, dass gerade zu solchen schwächer oder 
weniger leicht in Tätigkeit zu v e r s e t z e n d e n G r u p - 
pen ein entsprechend stärkerer Impuls gesandt 
werden und dieser, um denselbenEffekt wie früher 
zu erzielen, e i n en oder mehrere der m i t w i r k e n d e n 
Muskeln in weit stärkerem Masse treffen muss, 
als das sonst nötig war, so gilt doch der etw as pa¬ 
radox klingende Satz, dass man infolge der per¬ 
versen Innervation das Resultat als „patholo¬ 
gisch“ bezeichnen muss, trotzdem die Einzellei¬ 
stungen der Elemente im Sinne der eie m e n t a r e n 
Konstruktion, also „physiologisch“ tätig waren. 

An sich hat aber die perverse Innervation, als 
deren Folge sich Koordinationsstörung oder 
Ataxie ergibt, nach Rosen bach mit motorischer 
Schwäche nichts zu tun. Vielmehr erfolgt bei ausgesproche¬ 
ner perverser Innervation, immer wenn die Aktion bestimmter Muskeln 
in einer für das Zusammenwirken prädestinierten Gruppe auf Wider¬ 
stand stösst (oder ein solcher auch nur irrtümlich vorausgesetzt wird !) 
deren Beschickung mit einer gesteigerten Energiequote 
und zwar unverkennbar in der Tendenz, die widerwillig gehorchenden 
Teile in Gang zu setzen. Die Bewegungen werden also kraftvoll, ja mit 
einer gewissen Verschwendung von Kraft ausgeführt. Die Ataxie kann 
allerdings mit motorischer Schwäche verknüpft sein; beide Störungen 
sind aber dann als selbständig und voneinander unabhängig aufzufassen. 

Nicht alle „abnormen“ Innervationsakte funktioneller Natur 
sind an sich schon „pervers“ oder „paradox “. Wir brauchen 
ja nur an diejenigen Fälle von teilweisem oder völligem Zessieren der 
regulären Innervation zu denken, wie sie eine Unterbrechung der Bezie¬ 
hungen zwischen den beiden Hirnhälften oder deren innerer und äusserer 
Grenzflächen — psychologisch gesprochen eine Störung der Empfindun¬ 
gen und Wahrnehmungen — zur Folge hat und wie sie unter anderm 
beim Auftreten von Schwindelerscheinungen beobacht* t 
werden! „Pervers“ ist nur die Innervation in fal¬ 
scher Richtung, so dass der intendierte Effekt 
dadurch beeinträchtigt oder unter Umständen 
sogar völlig vereitelt wird. Bei der perversen 
Innervation besteht das Pathologische in der 
zweckwidrigen Kombination der am B e w e g u n g s - 
a k t beteiligten Muskeln. 

Die perverse Innervation ist gekennzeichnet 
durch ihre engen Beziehungen zu Willensakten. 

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Eschle. 


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Aber sie kann sieh mitunter in Gruppen abspielen, die zur Erzielung 
eines vollkommenen Effektes unter normalen Verhältnissen zwar durch¬ 
aus automatisch arbeiten, aber doch in ihrer Aktion vom Willen ab¬ 
hängig sind. Und wenn auch mit der typischen perversen 
Innervation häufig ein anderer Vorgang kombiniert ist, der 
der Reflex hemmung oder -erregung rein funktio¬ 
neller Natur, wobei eine Muskelgruppe — aber nur für die 
Dauer jedes Innervationsaktes — reflektorisch in eine relativ zu starke 
oder zu schwache Tätigkeit versetzt wird, so muss doch grundsätzlich 
von d esen nicht immer streng auseinanderzuhaltenden Formen min¬ 
destens eine dritte prinzipiell abgetrennt werden, bei der die pathologische 
Innervation längere Zeit andauert, um sich dann früher oder 
später, spontan oder unter Anwendung von geeigneten (die Erregbarkeit 
herabsetzenden) Mitteln 7u lösen: es ist dies der Vorgang des 
tonischen oder klonischen Krampfes. 

Vieles, was wir fälschlich als „Krampf“ bezeichnen, ist bloß eine 
rhythmische perverse Innervation durch Leitung des immer wiederkehrenden 
Impulses in eine bestimmte, einseitige Richtung. Und weil, wo eine Läh¬ 
mung oder Parese von Muskeln überhaupt in Frage kommt, dies gerade 
die Richtung nach den nicht gelähmten oder nicht paretischen Gruppen 
ist, begegnet man immer wieder dem Irrtum, daß die an sich se¬ 
kundär stärker und oft wirklich pervers inner vier¬ 
ten Antagonisten statt der gelähmten Muskeln für 
die durch „Krampf* oder „spastische L ä h m u n g“ b z w. Kon¬ 
traktur primär affizierten Organe angesehen werden. 

Denn ganz dasselbe wie vom „Krampf“ gilt von einer großen Zahl der 
vermeintlichen „Kontrakturen“. Immer wieder ist von Rosenbach (und auch 
von mir) darauf hingewiesen worden, daß dem Stadium der paralytischen Dege¬ 
neration eines Muskels bald unvermeidlich die Kontraktion seines Antagonisten 
auf dem Wege perverser Innervation folgt. In einem solchen Falle haben wir es 
also im Gegensätze zu der wirklichen „paralytischen“ oder „passi¬ 
ven“ Kontraktur (der Verkürzung und Schrumpfung gelähmter Muskeln, 
deren Spannungen dann zu dauernden Stellungsveränderungen in den Ge¬ 
lenken führen) mit einer „aktiven“, „spastischen“ Kontraktur, 
eigentlich einer Pseudokontraktur, dem höchsten Grade sekundärer 
Anspannung jener Muskeln zu tun, deren Antagonisten gelähmt sind. Um so 
näher liegt die falsche Schlußfolgerung, wenn man einen Muskel nach einem 
längeren oder kürzeren Stadium dieses spastischen Zustandes atrophieren sieht. 
Eine solche Inaktivitätsatrophie kommt aber nur nach monate- oder jahre¬ 
langem Bestehen einer Pseudo-Kontraktur zustande. In der Regel bildet sich, 
wie Rosenbach nachgewiesen hat, nur eine Hypotrophie, eine Volumsab¬ 
nahme aus, die mit Degeneration eigentlich nichts zu tun hat, da der Muskel 
funktionsfähig bleibt und sogar die Erhöhung seines Tonus durch Steigerung - 
des Sehnenphänomens deutlich erkennen läßt. Nach der Wiederherstellung 
der normalen Verhältnisse nimmt er schnell wieder sein normales Volumen, 
an, kann sogar hypertrophieren. Jene Hypotrophie verhält sich nach Rosen¬ 
bach zur Degeneration des wirklicher Kontraktur verfallenen Muskels wie der 
wenig beanspruchte Muskel eines Gesunden zu dem zirrhotischen bei unheil¬ 
barer peripherer oder spinaler Lähmung. 

Der Unterschied zwischen Krampf und per¬ 
verser Innervation und ihren Folgczuständen be¬ 
ruht ebengrundsätzlich a u f d e m Ausserbetracht¬ 
bleiben oder Mitspielen des Willensaktes. Und gerade 
dadurch offenbart sich die fundamentale Bedeutung 
dieser Differenzierung auch in therapeutischer Hin¬ 
sicht. Während man in dem einen Falle nämlich von 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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sedativen und die Reflextätigkeit herabsetzenden 
Mitteln eine Besserung erhoffen kann, darf man 
in allen Fällen funktioneller Natur, in denen die 
perverse Innervation eine Rolle spielt, einen Er¬ 
folg nur bei solchen Methoden voraussetzen, die 
versuchen, auf Grund eines eingehenden Studi¬ 
ums des Mechanismus der vorliegenden Funktions¬ 
störung durch rationelle Gymnastik einzelner 
M uskeln und grösserer funktioneller Einheiten 
fl e n Ausgleich beim Patienten gcwissermassen 
durch richtigere Dirigier ung seines Willens 
herbeizuführen. 

Gerade dieser praktische, therapeutische Gesichts¬ 
punkt ist für Rosen hach die Veranlassung gewesen, die verschiede - 
nen Formen ,, funktioneller Stimmlähnumi /“ riech ihrer Genese und in 
ihrem Verhältnis zur paradoxen Innervation eingehend zu studieren. 1 ) 2 ) 

Tatsächlich ist nichts mehr als gerade ein Teil dieser Zustände, 
deren Analyse s. Z. Rosenba c h in den Stand setzte, die Anschauung 
zu widerlegen, als ob die „hysterischen “als ,,Krampf“ oder „Lähmung 
aufgefassten, wie die rein „psychisch“ bedingten Formen vollkommenen 
Stimmverlustes von Grund aus verschieden wären, geeignet als eine Art 
von Paradigma für die perverse Innervation zu dienen. Ich habe oabei 
in erster Linie diejenigen Fälle „spastischer Aphonie“ im Auge, die man 
beim ersten Anblick des laryngoskopischen Bildes allerdings geneigt sein 
könnte, für abhängig von einem wirklichen Krampfe der Sehliessmuskeln 
des Kehlkopfes zu halten. Sehen wir doch beim Versuche zu phonieren 
nicht nur die echten Stimmbänder fest aneinander gerückt und wie die 
sich nähernden Ligg. spuria auf jene aufgepresst werden, sondern wie 
ich mich, durch Rosenbach hierauf aufmerksam gemacht, mehrfach 
überzeugen konnte, dass häufig sogar die Aryknorpel überkreuzt werden. 
Dadurch wird ein so feste? Verschluss der Stimmritze erzielt, dass das 
Gesicht des Knabens während des Phonationsversuches zyanotisch wird 
und unmittelbar nach dessen Aufgeben eine tiefe seufzende Inspiration 
erfolgt. Auf die Aufforderung zum Husten erfolgt nur ein ausserordent¬ 
lich klangvoller, bellender Hustenstoss als Folge einer gewissermassen 
explosiven Sprengung des Verschlusses, der, wäre er von wirklichem 
Krampfe abhängig, doch nicht willkürlich gelöst werden könnt« 1 . Nicht 
minder wie die Kehlkopf- sind hier auch die Bauchmuskeln an dem per¬ 
versen Akte beteiligt 

In einer zweiten Reihe von Fällen aber ist die quantitativ verstärkte 
Innervation in falscher Richtung an der alleinigen Tätigkeit der Exspi¬ 
rationsmuskeln, namentlich der Bauchpresse zu erkennen und dadurch 
das Unvermögen zum Anblasen der Stimmbänder bedingt. Man sieht 
hier deutlich, wie die Bewegungsimpulse von den mit der Ausführung dos 
motorischen Aktes gleichsam rite betrauten Muskeln auch auf andere und 
zwar solche ausstrahlen, die die gewollte Bewegung nicht nur nicht fördernd, 
sondern sogar in ausgesprochener Weise hindernd beeinflussen: nämlich 
die Bauch- und unteren Brustmuskeln, die in eine tonische oder förmlich 
tetanische Kontraktion geraten und diese Partien des Rumpfes teils in 

') 0. Rosenbach. Zur Lehre von den Stimmbandlähmungen. Monatsschrift 
für Ohrenheilkunde. 1882, N. 3. 

2 ) F. C. R. Esc hie. Funktionelle Stimmlihmung und Sti nmban ilähmung. 
Die Heilkunde 1911, Nr. 20 u. 21. 


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Eschlo. 


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einer forziorten Inspirafcions-, teils in ebenso starken Exspirationsstellung 
tixieren. Während der gewöhnliche Phonationsakt darin besteht, dass 
durch Innervierung einer nicht zu starken, d. h. iin Umfange den Be¬ 
dürfnissen gerade angepassten Exspiration und durch zweckmässig ein¬ 
geschaltete Inspirationen ein regelmässiges Crescendo und Decrescendo 
erzielt und die Luft allmählich durch die Stimmritze ausgestossen wird, 
findet hier, wie man sich durch Inspektion und Palpation überzeugen 
kann, eine Innervation der Muskeln wie zum Zwecke des Fressens, bei tief¬ 
gehendem und in stärkster Exspirationsstellung fixiertem Zwerchfell statt. 

Um auf das oben erwähnte — übrigens auch schon von Rosen- 
b a e h angeführte — Beispiel der Armbeugung zurückzukommen: diese 
bleibt aus, wenn ich eine Erregung in den betreffenden Arm sende, aber 
neben dem zu innervierendm Muskel auch seinen Antagonisten in gleich 
starker Weise innerviere; der Arm bleibt dann in normaler gestreckter 
Stellung, aber beim Betast m fühlt man den Triceps und Biceps in gleicher 
Weise sich anspannen. Und je gleich massiger die Verstärkung der Inner- 
vationsimpulse ist, desto stärker ist die tonische Kontraktion der Muskeln, 
die ganz starr werden, aber ohne dass es, weil sich die Wirkungen auf¬ 
hohen, zu einer Bewegung des Gliedes kommt. Schicke ich nun aber in 
kurzen Intervallen zu beiden Teilen Innervationen, so erziele ich je nach 
der Stärke der Impulse entweder Zittern oder k r a m p f h a f t e 
Bewegungen, niemals eine richtige Beugung, wie sie für einen 
bestimmten Zweck gerade erfordert wird. 

Die Beugung des Arms bleibt aber natürlich auch dann aus, wenn 
ich überhaupt keinen Innervationsimpuls nach der Peripherie schicke und 
die Muskeln in schlaffem Zustande verharren lasse. D. h. im Hinblick 
auf die voraufgegangenen Ausführungen: der Gesamtheit der bisher ge¬ 
schilderten Fälle, die übrigens meist dem Umstande ihre Entstehung ver¬ 
danken, dass — wegen vorübergehender Erkrankung der Schleimhäute 
der oberen Luftwege oder auch einzelner Muskelpartien — die eine Zeit¬ 
lang ausser Betrieb gesetzten Teile auch nach dem Schwinden der Ur¬ 
sache fortdauernd nicht mehr in regulärer Weise inuerviert werden, 
stehen, wie schon angedeutet, andere gegenüber, bei denen die Fähigkeit 
zu sprechen, durch „Schrecklähmung“ oder nach einer sonstigen äusseren 
Veranlassung in der Regel ganz plötzlich verloren geht. Auch bei patho¬ 
logischen Rauschzuständen kommt das nicht selten vor. Nicht ohne eine 
gewisse Berechtigung hat man ja die rein p s y c h i s c h e Provenienz 
betont. Fraglich ist es nur, oh in diesem Umstande ein Unterschied von 
fundamentaler Bedeutung für Theorie und Praxis, für die Analyse des 
Vorganges resp. die Erklärungseiner Genese und für unser therapeutisches 
Handeln bei dieser Kategorie von Zuständen gegenüber der vorher ge¬ 
schilderten erblickt werden muss. In beiden Fällen, bei der transitori¬ 
schen „freiwilligen Stummheit“ sowohl, wie bei der auf typischer 
perverser Innervation beruhenden „funktionellen 
A p h o n i e“ erhält der Willensakt ein pathologisches Gepräge, aber das 
eine Mal durch ein von Hause aus krankhaftes Wollen, das andere Mal 
durch die Unzulänglichkeit im Können gegenüber einem ganz regulären 
W ollen. Dort ist allein das Zentrum der Kombination verantwortlich zu 
machen, hier in ganz hervorragendem Masse auch die Eigenart der kom¬ 
binierten Elemente, sich den von der Zentralstelle im Interesse des Gan¬ 
zen erteilten Direktiven anstandslos zu fügen — dort liegt der Fehler in 
originärer ,4bulie, in dem Ausbleiben des Entschlusses, hier in der unge¬ 
nügenden Disziplinierung der die Beschlüsse vollziehenden Instanzen — 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


dort allein in den krankhaften Vorstellungen, hier in der mangelnden 
Herrschaft über den Innervationsmechanismus. Aber auf der anderen 
Seite werden wir doch auch wieder Rosenbach darin beistimmen 
müssen, dass nicht nur der Effekt für das leidende Individuum in beiden 
Fällen der gleiche bleibt, dass nicht nur in beiden Fällen der Willensakt 
an sich die in letzter Linie ausschlaggebende Rolle spielt, sondern dass 
auch der ganze Unterschied schliesslich nur darauf hinausläuft, dass in 
dem einen Falle die Kräfte des Organismus darauf verwendet werden, die 
unter normalen Verhältnissen auf einen bestimmten sensiblen Reiz hin 
mit Sicherheit eintretenden (Muskel-) Reflexe bereits im Zentrum zu 
hemmen, während in dem anderen Falle den an die Peripherie gesandten 
und dort in einer Muskelbewegung zum Ausdruck kommenden Reize 
ein äquivalenter oder stärkerer Retz in antagonistisch wirkenden 
Bahnen nachgesandt wird. 

Hierzu kommt, dass sich in praxi die Klassifizierung in diese oder 
jene Rubrik doch nicht ganz so einfach gestaltet, wie es auf den ersten 
Rück den Anschein hat, wenn man ausschliesslich den ,,freiwilligen“ Cha¬ 
rakter der „transitorischen Stummheit“ betont. Nur in einem Teil der 
Fälle wird tatsächlich von einem bestimmten Momente ab gar kein Ver¬ 
such mehr gemacht, den Sprechapparat in Gang zu setzen, so dass alle bei 
der Stimmgebung beteiligten Muskeln in vollständiger Ruhe verharren und 
der Patient trotz aller Aufforderungen zum Sprechen weder die Zunge 
noch die Muskeln des Kehlkopfes, weder die des Atmungsapparates, noch 
(wenigstens hier für die Stimmgebung und die diese begleitenden Aus¬ 
drucksbewegungen in Betracht kommen) die des Gesichtes bewegt. Bei 
einem andern Teil ist dies aber durchaus der Fall. Wir finden Pa¬ 
tienten, bei denen nicht nur Lippen-, Gesichtsbewegung und Zungen¬ 
haltung derjenigen eines normal Sprechenden analog ist, so dass ein auf¬ 
merksamer Beobachter trotz des Ausbleibens jeder Phonation wenigstens 
einen grossen Teil der intendierten Aeusserungen von ihren Mienen ablesen 
kann, sondern auch stossweise vollführte, allerdings relativ schwache Be¬ 
wegungen ler Bauchpresse, und vor allem ohne die zum Sprechen er forder¬ 
liche gleichmässige Aktion der Atmungsmuskulatur zu konstatieren sind. Es 
tritt gerade hierin die Beziehung zu den nach den bisherigen Darlegungen 
nl« auf perverser Innervation beruhende Formen funktioneller Aphonie 
zutage. Als typische Erscheinung findet sich immer das Ausbleiben jeder 
phonetischen Stimmbandspannung wie jeder anderen Aktion seitens der 
Kehlkopf- und der eigentlichen Atmungsmuskulatur. Dadurch ist das 
transitorische Ausbleiben jeder Lautbildung bei Sprechversuchen erklärt, 
das sich in diesen Fällen so hochgradig bemerkbar macht, dass man in 
diesen — nach dem über die andere Kategorie von Fällen Gesagten eigent¬ 
lich ungerechtfertigterweise — wegen der hier zeitweilig abhanden ge¬ 
kommenen Fähigkeit selbst zum leisesten Flüstern die Bezeichnung ,,Ap- 
sithyrie“ (tpvf)igi£o)„ susurro, sonum tenuiorem edo) reserviert hat. 

Hier wie in der ersten Kategorie ist ausser der schon betonten Inte¬ 
grität der stimmbildenden Apparate im weitesten Sinne das Wesentliche 
an dem Krankheitsbilde, dass die Lautgebung gerade beim 
Sprechen verhindert, für andere reflektorische 
oder vom W illen abhängige Akte aber möglich ist; 
die Beobachtung, dass diese Kranken immer zu husten, zu lachen, zu 
seufzen, zu weinen usw. vermögen — und zwar mit den dafür charakte¬ 
ristischen Lauten — ist bisher von keinem der Autoren, die sich mit 
diesen Vorgängen beschäftigt haben, bestritten worden. 


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Eschle, 


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Von Hosenbach zuerst ist es ausgesprochen worden, dass b e i 
allen organischen und funktionellen Störungen 
des Nervensystems Reizerscheinung, Hemmung, 
Leitungsunterbrechung und Beeinflussung der 
motorischen und sensiblen Bahnen auf dem W e g e 
des Reflexes nur Abstufungen in den Folgen der¬ 
selben Schädigung sind. Nirgends aber sehen wir das in dem 
Masse deutlich, wie an der Vielgestaltigkeit der Formen, unter denen uns 
die Hysterie entgegentritt. Das gemeinschaftliche Band, das die hier 
gegenüber gestellten Gruppen von Fällen umschlicsst, ist gerade ihre Ge¬ 
nese auf dem Boden der Hysterie. 1 ) Schon in dem Voraufgegangenen 
ist es auseinandergesetzt worden, dass im Gegensätze zum wirklichen 
Krampfe und zur wirklichen Lähmung die mannigfaltigsten Aeusserungen 
der Hysterie: Hysterischer Krampf, hysterisches Zittern, hysterische 
Kontraktur, hysterische Lähmung, die zu .Zeiten die verschiedensten 
Muskelgebiete betreffen, derselben Ursache und oft nur einer quanti¬ 
tativ — nicht immer qualitativ — verschiedenen Erregung derselben 
Nervenbahnen ihre Entstehung verdanken. Es ist ja gerade für das We¬ 
sen des als Hysterie bezeichneten Krankheitszustandes charakteristisch, 
dass in dem einen Falle die A b u 1 i e , in dem andern die Hyper- 
k i n e s e vorwaltet und dass nur aus dem Voi wiegen des einen oder andern 
Zustandes die sogenannten „Lähmungen“ und die verschiedenen soge¬ 
nannten „Krampfformen“ entstehen. Die Formen sogenannter Ap- 
sithyrie sind identisch mit der schlaffen hysterischen Lähmung, der 
hysterischen Parese, die Formen funktioneller Aphonie mit verstärkter 
Innervation aber identisch mit den krampfartigen Zuständen bei der 
Hysterie. Nur liegt im ersteren Falle die primäre 
Störung im Zentrum des Bewusstseins und der 
Willensimpulse, im zweiten findet der vom Ge¬ 
hirn kommende Impuls in irgend einem peri¬ 
pheren Teile, sei es nun in einer Nervenbahn, einem 
koordinatorischen (spinalen oder zerebralen) 
Zentrum oder einem krankhaft affizierten M u s - 
kel, abnorme Leitungswiderstände vor. 

Und eine perverse Innervation bleibt der Akt 
doch immer, auch wenn die Innervation nicht als 
Muskelaktion zum äusseren Ausdrucke gelangt, 
sondern gleichsam schon im Innern dadurch 
unterdrückt wird, dass die im Gehirn a u f t au¬ 
ch e n d e Bewegungsvorstellung durch eine adä¬ 
quate hemmende Vorstellung sofort ausgelöscht 
w i r d. 

Im Hinblick auf die rein praktischen Ziele des 
Arztes aber, der nicht an der Verfolgung von Zu¬ 
sammenhängen im Organismus — sei sie theore¬ 
tisch noch so interessant — Genüge findet, son¬ 
dern auf Abhilfe gegen Uebelstände im psycho¬ 
somatischen Betriebe des ihm sich anvertrauen¬ 
den Menschen sinnt, wären diese Unterscheidun- 

') Die Fälle von sogen. „Mutiemus“ oder „Mutnoismus“ bei ausge¬ 
sprochenen Formen des Irreseins und speziell als Bestandteil des negativistischen Sym- 
ptomenkomplexes können hier füglich ausser acht gelassen werden, um so mehr, als sie 
nicht eigentlich „transitorisch“ in dem hier genannten Sinne sind. 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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gen ohne jeden Wert, wenn} sich nicht auch aus 
ihnenfruchtbareGesichtspunktefürdieBehand- 
lung ergäben. Und wenn die Verschiedenheit der 
Gesichtspunkte für eine rationelle Therapie der 
beiden zuletzt behandelten Krankheitsformen 
auch nicht in so fundamentaler Weise hervortritt, 
wie hei der scharfen Trennung der vom Willen ab¬ 
hängigen Vorgänge und der von diesem ganz unab¬ 
hängigen richtigen Krämpfe, hei denen man ja von 
sedativen und die Reflextätigkeit herabsetzen¬ 
den Mitteln Erfolg erwarten darf, so befähigt uns 
andrerseits allein das eingehende Studium des 
Mechanismus der hier behandelten Hauptgruppen 
von funktionellen Störungen zur Entzifferung 
des Wegweisers für eine rationelle Therapie, so¬ 
bald wir an den Punkt gekommen sind, wo trotz 
gleicher Anfangsrichtung die Marschrouten 
nach dem einen und dem anderen Ziele schliess¬ 
lich doch divergieren müssen. 

Da beiden Kategorien von Fällen ihre Abhängigkeit von Willens¬ 
akten gemeinsam ist, so wird auf beide die Beeinflus¬ 
sung des Willens auf psychischem Wege eine un¬ 
umgängliche Vorbedingung für die Erzielung der 
Genesung sein. 

Nur ist in den Fällen von Abulie jede Form psychi- 
scherTherapie erfolgreich, sobald sie geeignet ist, die lahm¬ 
gelegte Initiative, sei es durch die Macht von Vernunftgründen (Aufklä¬ 
rung), sei es auf mystischem Wege (Hypnose, Suggestion), sei es durch 
energisch wirkende psychische Eindrücke irgend welcher anderen Art, die 
im Vordergründe des Bewusstseins stehenden unzweckmässigen Vorstel¬ 
lungen durch zweckmässigere zu verdrängen. Alles kommt hier darauf 
an, den Kranken aus seiner Apathie aufzurütteln, d. h. bald durch 
zielbewusste Vorbereitung, bald auf dem Wege der Katastrophe seine 
Psyche zur Produktion von Entschlüssen zu reizen, zu der ihm im Sta¬ 
dium „resolutorischer Insuffizienz“ 1 ) jede Initiative abhanden gekommen 
war. Dafür, wie schnell nicht nur durch fortgesetzte Ermahnungen sei¬ 
tens der Umgebung und des Arztes, sondern auch unter dem Einflüsse 
irgend einer starken Emotion, die rein psychisch bedingte Sprechlähmung 
gehoben werden kann, Beispiele anzuführen, ist überflüssig, da seit der 
— durchaus nicht märchenhaft klingenden — Heilung des biblischen 
Zacharias, ja schon seit der des stummen Sohnes des Cyrus gerade der 
Verlauf dieser Form oft genug beobachtet und beschrieben wurde. „Ist 
sie doch,“ wie Rosenbach sagt, „immer das dankbarste Objekt von 
Heilversuchen nach wissenschaftlichen und laienhaften Methoden gewesen. “ 

Zur Beseitigung aber der bloss relativ und in Anbe- 
trachtderbesonderenVerhältnissealsUnzuläng- 
lichkeit des Willens zu bezeichnenden Anomalie 
bedarf es einer dem Wesen der fehlerhaften 
Innervation individuell angepassten, die psychi¬ 
schen und somatischen Komponenten des Lei- 


l ) Vgl. F. C. R. Esohle, Die krankhafte Willensschwäche und die Aufgaben 
der erziehlichen Tneiapie. Fischois med. Buchh. (H. Kornfeld) Berlin 1904. 


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Eschle, 


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(lens im E i n z e 1 f a 11 e gleich massig berücksich¬ 
tigenden M e t h o d e. 

Mit andern Worten: wo der Kampf sich allein 
im dirigierenden Zentrum a b s p i e 1 t, bildet auch 
dieses den ausschliesslichen Angriffspunkt für 
die Therapie — wo jener an die Peripherie verlegt 
ist, muss, unbeschadet dererhöhten Anforderun¬ 
gen an die Zentrale zwecks Mobilisierung aller 
disponiblen Hilfstruppen auch durch fortge¬ 
setzte Bahnung der Wege und durch planvolle 
Exerzitien der pervers agierenden Teile dem Pa¬ 
tienten eine Basis zur richtigeren Direktion sei¬ 
nes Willens geschaffen werden. 

Mir haben bisher nur die wirklichen „Stimmlähmungen 11 im 
Gegensatz zu den ,,Stimmbandlähmungert\ die ja gewöhnlich die 
Stimme nicht zum Verschwinden bringen, sondern nur ihre Stärke und 
ihren Charakter modifizieren, in den Rahmen unserer Betrachtungen ge¬ 
zogen. Wie verhält es sich nun mit diesen ? Handelt es sich bei der 
Stimm band lähmung um perverse Innervation oder um wirkliche 
Lähmung ? 

Ein Teil dieser rekurrierenden Paresen hat sich nach Rosen¬ 
bachs Untersuchungen schliesslich doch als „Druck-“ oder richtiger als 
organisch bedingte Lähmung erwiesen. 

Wo es sich aber um wirkliche organische Lähmungen handelt, sehen wir 
ausnahmslos die nach Rosenbach (oft unter Würdigung der Verdienste des 
englischen Laryngologen S e m o n, der unabhängig von ihm, wenn auch 
etwas später, Untersuchungen über die Funktion der Stimmbänder bei Rekur- 
renzlähmung vornahm, auch als „Rosenbach-Semonsches Gesetz“) 
benannte Regel bestätigt, daßAffektionenderNervenstämmeund 
der Zentralorgane bei Beteiligung verschiedener Muskel¬ 
gruppen oder bestimmter Nervenfasern eine viel später 
und mit geringerer Intensität in Erscheinung tretende 
Lähmung der Beuger und der ihnen gleichwertigen (weil 
Teile des Körpers von seiner Axe oder seiner Mitte ent¬ 
fernenden) Adduktoren, Verengerer und Schließer zur 
Folge haben als der Strecker und der diesen gleichwerti¬ 
gen (weil die Entfernung von der Körpermitte bewirken¬ 
den) Abduktoren, Erweiterer und Öffner, deren Innerva¬ 
tion unter normalen V erhältnissen in den verschiedensten 
Muskelgebieten, selbst in der Ruhe ü b e r w i e g t. ‘) 

Für einen grossen Teil der Fälle aber möchte ich doch — und ich 
glaube mich darin nicht in Widerspruch mit der Auffassung meines 
verstorbenen Lehrers und Freundes zu befinden — an der Zugehörig¬ 
keit zum Typus der perversen Innervation festhalten. Selbst wenn ich 
mich auf den ja immer etwas heikein Schluss ex juvantibus nicht zu 


*) Vergl. 0- Rosen bach, Zur Lehre von der doppelseitigen totalen Lähmung 
d. N. laryngeus inferior. Breslauer ärztl. Ztsehr. 1880, Nr. 2 u. 3. 

Ders., Ueber die Lähmung der einzelnen Faserngattungen d. N. laryngeus recurrens. 
Berl. kl. W. 1884, Nr. 17. 

Ders., Ueber das Verhalten der Schliesser und Oeffner der Glottis bei Affektionen 
ihrer Nervenbahnen. Virchows Archiv, Bd. 99; 1885. 

Ders., Zur Lehre von der verschiedenen Vulnerabilität der Rekurrensfasern. Berl. 
kl. W., 1888. Nr. 8. 

Ders., Ist der Satz von der verschiedenen Vulnerabilität der Rekurrensfasern be¬ 
rechtigt ? Arch. f. Laryngologie Bd. VI, 3; 1897. 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


II 


sehr verlasse, so glaube ich doch meine Folgerungen durch das oft 
geradezu epidemieartige Auftreten dieser Form der Störung in Unter¬ 
mischung mit Fällen von „Stimmlähmung“ und ihr Umsichgreifen auf 
dem Wege der Imitation einigermassen einwandfrei begründen zu 
können. 

Eine solche als richtige psychische Epidemie anzusprechende 
Häufung von Fällen funktioneller Stimm band lähmung in dem hier 
charakterisierten Sinne grassierte anfangs der neunziger Jahre unter 
den weiblichen Bewohnern, speziell den Ladnerinnen und Dienstmädchen 
der Stadt Freiburg, die während meiner Tätigkeit an der dortigen 
medizinischen Universitätspoliklinik hier massenhaft Hilfe suchten, zu¬ 
mal die Erfolge der hier angewandten Therapie, auf die ich unten noch 
zurückkommen werde, bald mir und den unter meiner Leitung 
arbeitenden jüngeren Kollegen — sehr gegen unseren Wunsch — etwas 
wie den Ruf von Spezialisten auf diesem Gebiete in den in Betracht 
kommenden Kreisen verschafft hatten. 

Durchaus im Gegensätze zur „Aphonie“, der rein funktionellen Affek¬ 
tion, steht als organisch bedingter Vorgang die ,,A p h a s i e“, bei der aber 
zwei Formen auseinandergehalten werden müssen. 

Bei der „m otorischen oderataktischen Aphasie“ finden wir 
auch wieder die Koordination der an der -Sprechbildung mitwirkenden Muskel¬ 
gebiete beeinträchtigt oder verloren gegangen — aber durch Lähmung in¬ 
folge von Traumen, Apoplexien, embolischen oder entzündlichen Erweichungs¬ 
herden, Neubildungen usw., die ausschließlich oder in Gemeinschaft mit 
anderen Hirnteilen das motorische Sprachzentrum, also die dritte Stirnwindung, 
und zwar meistens (bei Rechtshändern) die der Jinken Hemisphäre betroffen 
haben. 

Gar nicht in Parallele zur „Aphonie“ zu stellen hingegen ist die „sen¬ 
sorielle oder amnestische Aphasie“, der Verlust des Sprach¬ 
verständnisses bzw. der sprachlichen Erinnerungsbilder bei Läsionen der 
Großhirnrinde, wie man annimmt, durch Zugrundegehen der (nicht sehr 
glücklich als „transkortikale“ bezeichneten) Bahnen, die die Erinnerungs¬ 
bilder der Gegenstände mit dem akustischen und optischen bzw. motorischen 
Sprachzentrum verbindet. Da hier (ausnahmsweise auch einmal) die Sprech¬ 
fähigkeit erhalten bleibt, so dass nur das Verständnis für die Wortbilder 
in Form der Wort- (Rinden-, Seelen-) Taubheit oder -Blindheit (mit den 
Folgen der „Agraphie“ und „Alexie“ der Unfähigkeit zu schreiben und 
zu lesen, neben der gesprochene Worte zu verstehen) gelitten hat, würde 
man tatsächlich besser als von „Aphasie“ in diesen Fällen, wie das Tren¬ 
delenburg schon vor nahezu einem halben Jahrhundert vorschlug, von 
„A s y m b o 1 i e“ sprechen. 

Zu den die Sprache pathologisch gestaltenden perversen Inner¬ 
vationen gehört w’eiter das Stottern (Dysarthria syllabaris spastica). 
„Dysarthrie“ ist der Ausdruck für jededurchFunktionsunfähigkeitder beim 
Sprechen tätigen Muskeln bedingte Sprechstörung, ohne dass der Begriff 
an sich zu der Frage Stellung nimmt, ob jener ein organischer Prozess 
zugrunde liegt oder nicht. In einem Falle kann relative, 
in einem andern absolute funktionelle Schwäche, 
in einem dritten wirklicheLähmung eines Teiles 
der beim Sprechakt mit wirkenden Muskeln die 
Dysarthrie bedingen. Immer handelt es sich um 
eine ,,K oordinationsstörun g“, aber nicht in jedem 
Falle von Dysarthrie um das, was wirnach der 
oben gegebenen Definition unter „perverser 
Innervation“ verstehen. 


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Eschle, Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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Liegt wirkliche Lähmung vor, so kann sie, je nachdem sie 
die Lippen-, Zungen- oder Gaumenmuskeln betrifft, zu einer auf die Bil¬ 
dung der Lippen-, der Zungen- oder Gaumenlaute beschränkte Artikulations¬ 
störung führen. Bei einer kombinierten Störung näselt der Kranke schwächer 
oder stärker oder spricht, „als ob er einen Kloß im Munde hätte-.“ Ge¬ 
rade diese Form und dieser höhere Grad der Artikulationsstörung wird 
besonders (wenn auch nicht ausschließlich) bei Erkrankungen der Medulla 
oblongata beobaclnet (Bulbärparalvse) und deshalb auch kurzweg als „bul- 
bäre Sprache“ bezeichnet. Ist die Sprache zum unverständlichen Italien 
geworden oder infolge kompletter Lähmung der Artikulationsmuskulatur 
ganz aufgehoben, so wird der Zustand als „A n a r t h r i e“ bezeichnet. 
Keinesfalls darf er mit „Aphasie“ verwechselt werden. 

Bei der Beobachtung der Sprachentwicklung des Kindes schon sehen 
wir, wie verschiedenartig nicht nur individuell, sondern auch nach der 
Artikulation der einzelnen Laute die anfänglich zu überwindenden Schwierig¬ 
keiten sind. Mit der Aussprache der Konsonanten namentlich liegt be¬ 
kanntlich eine Zeitlang jedes Kind mehr oder minder im Kampfe. Wird 
diese im frühesten Kindesalter „physiologische“ Eigenart, in späteren Jahren 
durch mangelnde Übung, Angewöhnung (oft z. B. dadurch, daß die Eltern 
an der Unbeholfenheit dieser sogen. „Kindersprache“ ihre Freude haben 
und sie bewußt im Verkehr mit den Kleinen fortgesetzt imitieren) oder 
auf Grund von merklichen Fehlern der Sprachorgane beibehalten, so be¬ 
zeichnet man die sich nun als „pathologisch“ dokumentierende Sprechweise^ 
das Unvermögen, gewisse Buchstaben, namentlich im Zusammenhänge, aus 
zusprechen, als „ Stammeln “ (Dysarthria literaiisj. 

Unter den besonderen Abarten des Stammelns ist das Lispeln, der 
„Sigmatismus i n t e r d e n t a 1 i s“ die bekannteste. Von „Para¬ 
sigmatismus“ spricht man, wenn anstelle des S oder der mit ihm 
kombinierten Zischlaute andere Konsonanten (z. B. ein F-, Pf- oder 
T-Laut) substituiert werden. Aus der undeutlichen Aussprache der Kehl¬ 
laute resultiert der „Gammacismus“ und (z. B. wenn das Kind „tomm“ 
statt „komm“ sagt) der „Paragammacismus“, aus dem Unvermögen, da3 
L auszusprechen der „Lambdacismus“ resp. „Paralambdacis- 
m u s“ (wenn z. B. ein Stammler in einem bekannten Lustspiel statt „Pension 
Schöller“ immer Pension Schönner sagen muß), aus dem das R. auszu¬ 
sprechen der „Rhotacismus“ resp. „Pararhotacismus“ usw. usw. 

Beim Stottern hingegen ist der einzelne Laut gut gebildet, aber 
seine Vokalisation im richtigen Moment gehindert. Im Gegensatz zum 
Stammeln als „qualitativer“ Störung haben wir es hiermit einer „q uan- 
t i t a t i v e n“ zu tun. Wenn das Stottern sehr arg ist. sieht man die 
,,k rampfhaft e“ perverse Innervation auch auf die Muskeln des Ge¬ 
sichts, des Halses und des Thorax übergreifen, so dass es zu Respirations- 
stockungen durch diese zu momentanen Störungen der Zirkulation und 
bei den höchsten Graden zu ganz beängstigenden Zuständen kommen 
kann. Wie alle perversen Innervationen wird das Stottern im Zustande 
der körperlichen Ermüdung wie der seelischen Erregung durch Freude, 
Angst, Schreck usw., aber auch immer dann stärker, wenn 
aus irgend einem Grunde “die Unbefangenheit 
verloren geht. 

Gera d'e für das Stottern ist man auf empiri¬ 
schem Wege schon lange auf die hier einzig ange¬ 
brachte Art der Behandlung gekommen, die im 
Sinne des oben Gesagten nur in einem Zusammen¬ 
wirken psychotherapeutischer Beeinflussung 
mit methodischer Gymnastik der pervers agieren¬ 
den Muskeln bestehen kann. (Forts, folgt.) 



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Fischl, Zur Klinik des MasL-rnexanthem’s. 


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Zur Klinik des Masernexanthem’s. 

Von Prof. Dr. Rudolf Fischl. 

Ich habe in zwei Artikeln, welche in Nr. 38 desJahrg. 1911 der Fort¬ 
schritte der Medizin erschienen sind, den Versuch gemacht, neuere Erfah¬ 
rungen und Ansichten verschiedener Autoren auf dem Gebiete der Patho¬ 
logie und Therapie der Scarlatina mit eigenen Beobachtungen zu ver¬ 
gleichen u»d will es diesmal unternehmen, meine Erlebnisse mit Masern- 
kranken, so weit sie durch abweichendes Verhalten von der Norm ein 
gewisses Interesse haben, kurz zu schildern. 

Ich erhebe dabei durchaus nicht den Anspruch, mit bisher gänz¬ 
lich unbekannten Symptomen oder Verläufen zu kommen, glaube 
aber, dass die zu schildernden Erscheinungen, welche mich im Einzel¬ 
falle stets überraschten, immerhin selten und nicht ohne praktischen 
Wert sind, so dass aus diesen Gründen ihre Mitteilung berechtigt er¬ 
scheint. 

Die alte Erfahrung, dass Erkrankungen bei Kollegen und in deren 
Familie sich fast immer durch ganz merkwürdige Wendungen aus¬ 
zeichnen, kann ich durch ein bemerkenswertes, die Masern betreffendes 
Beispiel vermehren. 

Ich wurde vor einigen Jahren dringend zu einem in einer deutsch¬ 
böhmischen Stadt tätigen Kollegen gerufen, dessen jüngster, damals 
etwa fünf Jahre zählender Sohn im Gefolge von Morbillen, die bei 
seinen zwei anderen Brüdern einen ganz normalen und leichten Ver¬ 
lauf genommen hatten, an einer schweren Nierenblutung erkrankt 
war. Man hatte bereits vor meiner Ankunft eine Gelatineinjektion in 
den linken Oberschenkel gemacht, wobei unglücklicherweise die Kanüle 
der Spritze abgebrochen und in die Muskulatur eingedrungen war. 
Als ich den Jungen zuerst sah, fand ich ihn hochgradig anämisch, die 
Haut zeigte noch Reste von Pigmentation des vor acht Tagen aus¬ 
gebrochenen mittelschweren mit mässigem Fieber verlaufenen Exan¬ 
thems, an ihr selbst sowie an den Schleimhäuten waren keinerlei Blu¬ 
tungen zu konstatieren, hingegen sickerte durch den die Einstichstelle 
am Oberschenkel deckenden Verband reichlich hellrotes Blut hervor, 
und der mir vorgewiesene Harn erwies sich als fast nur aus Blut be¬ 
stehend. Dieses Symptom war in der Nacht des Vortages zum ersten 
Male beobachtet worden. Die genauere Untersuchung des Urins ergab 
einen dem Blutgehalte entsprechenden Eiweissgehalt und mikroskopisch 
reichlichste meist in Stechapfelform sich präsentierende Erythrocyten, 
sowie einzelne Leukocvten, sonst jedoch keinerlei Formelemente. 

Auf Grund dieser Erscheinung in Zusammenhalt mit der unstill¬ 
baren Hautblutung konnte die Diagnose auf hämorrhagische Diathese 
gestellt werden, die sich bei dem Knaben, welcher früher niemals an 
stärkeren Blutungen gelitten hatte, offenbar im Gefolge der Masern¬ 
infektion entwickelte. 

Da ich aus früheren Erfahrungen wusste, dass die sonst so wirk¬ 
same Behandlung innerer Blutungen mit Gelatine gerade in jenen 
Fällen versagt, bei welchen die Hämorrhagien auf skorbutischer oder 
ähnlicher Grundlage entstehen, riet ich zu energischer antiskorbutischer 
Diät, welche in Form frisch ausgepressten Fleischsaftes und von Frucht¬ 
säften zur Anwendung kam, liess innerlich Plumbum aceticum in Pulver¬ 
form reichen und konnte mit aufrichtiger Freude konstatieren, dass 
sich unter dieser Therapie das Bild überraschend schnell änderte, so 


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Fischl, 


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dass schon am Abend ein viel lichterer Harn entleert wurde, die Blu¬ 
tung am Oberschenkel bald sistierte und am nächsten Tage die hämor¬ 
rhagischen Symptome vollständig geschwunden waren. Als ich den 
Knaben einige Wochen später sah, zeigte er wohl noch einen ziemlichen 
Grad von Anämie, hatte sich aber sonst völlig erholt und ist seitdem, 
wie ich den Mitteilungen seines Vaters entnehme, vollkommen gesund 
geblieben. 

Hämorrhagische Diathese bei Masern ist an sich ein sehr sel¬ 
tenes Vorkommnis, das in der Regel nur die -schwersten Fälle begleitet 
und eine Komponente der bei solchen auftretenden septischen Sym¬ 
ptome darstellt ; ihr Erscheinen in Form einer isolierten Nierenblutung, 
deren eigentliche Natur erst durch den angewandten therapeutischen 
Eingriff mit seinen Folgen richtig gedeutet werden konnte, ist gleich¬ 
falls bemerkenswert, so dass ich aus diesen Gründen die Mitteilung des 
Falles für berechtigt halte. 

Dass rasch einsetzende Fiebersteigerungen besonders bei jünge¬ 
ren Kindern imstande sind, Konvulsionen hervorzurufen, ist eine wohl 
allbekannte Tatsache, dass aber ein schnell erfolgender und starker 
kritischer Fieberabfall die gleiche Wirkung haben kann, ist gewiss 
selten und mir im Laufe einer mehr als sechsundzwanzigjährigen ärzt¬ 
lichen Tätigkeit erst einmal, und zwar wieder bei Masern, begegnet. 
Es handelte sich um einen damals sechsjährigen Knaben, welcher eine 
ziemlich schwere Maserninfektion akquiriert hatte, die mit starkem 
Exanthem, quälendem Husten und sehr hohem, bis 40,8 Grad steigen¬ 
dem Fieber einherging, jedoch weder im Bereiche der Atmungsorgane, 
noch sonstwie Komplikationen zeigte. Am vierten Krankheitstage 
trat innerhalb weniger Stunden der Fieberabfall und zwar von mehr 
als 40 auf 36,8 Grad ein, und gleichzeitig kam es bei dem bis dahin 
in seinem Sensorium vollkommen freien intelligenten Knaben zu einem 
mit Verlust des Bewusstseins einhergehenden eklamptischen Anfall, 
der etwa eine Viertelstunde währte und begreiflicherweise sowohl mich 
als die Umgebung in grössten Schreck versetzte. Ich applizierte ein 
Chloralklysma, welches rasch seine schlafbringende Wirkung ent¬ 
faltete, und am nächsten Tage war bei dem Kinde nicht das geringste 
krankhafte Symptom mehr nachzuweisen. Der Knabe ist auch in der 
Folge gesund geblieben, und namentlich die unter solchen Verhält¬ 
nissen bei Masern nächstliegende Befürchtung einer tuberkulösen 
Meningitis, zu welcher die Konvulsionen das Vorspiel gebildet hätten, 
hat sich erfreulicherweise nicht erfüllt. 

Ich kann mir dieses eigentümliche Vorkommnis nicht anders 
deuten, als dass ebenso wie eine plötzliche Ueberhitzung der Hirn¬ 
oberfläche als krampfauslösender Reiz wirkt, wofür wir ja ausser der 
klinischen Erfahrung auch experimentelle Beweise haben, auch eine 
schnell und unvermittelt eintretende Abkühlung eventuell den gleichen 
Effekt haben kann. 

Die Schwester des Patienten, heute eine blühende Frau und 
Mutter zweier kräftiger Kinder, welche die Masern aus der gleichen 
Infektionsquelle akquiriert hatte, bot gleichfalls einen eigentümlichen 
Verlauf derselben dar. Das Exanthem stand lange, das Fieber war 
hoch, der Husten sehr heftig, die Atmung stark beschleunigt, und als 
unangenehme Nebenerscheinung bestanden ziemlich heftige und lange 
anhaltende Diarrhöen, welche das Kind sehr herunterbrachten. Schliess¬ 
lich blasste der Ausschlag aber doch ab und der Husten wurde geringer, 


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Zur Klinik des Masernexanthem’s. 


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jedoch das Fieber und die jagende Respiration blieben bestehen, und 
unter diesem Bilde entwickelte sich allmählich ein Zustand, der dem 
Syrnptomenkomplex einer an Masern sich anschliessenden Miliar¬ 
tuberkulose zum Verwechseln glich. Ich wurde daher in meiner Vor¬ 
hersage immer reservierter, bat einen Kollegen zum Konsilium, welcher 
auch nicht viel mehr Trost spenden konnte, und sah der Zukunft recht 
besorgt entgegen. Befremdend an dem Verlaufe blieb es aber, dass 
keine richtige Steigerung der Lungensymptome eintrat, der anfangs 
heftige Husten an Intensität entschieden nachliess, das Abdomen sich 
meteoristisch vorwölbte, die Milz anschwoll und die Stühle ein Aus¬ 
sehen zeigten, wie wir es beim Abdominaltyphus beobachten. Ich 
will noch bemerken, dass die Suche nach Roseolen, die übrigens 
an der durch die starke Masernpigmentation veränderten Haut sehr 
schwer zu sehen gewesen wären, ohne Ergebnis blieb und auch die 
Untersuchung des Augenhintergrundes keine Choroidealtuberkel zeigte. 
Feinere diagnostische Methoden, wie wir sie heute in solcher Situation 
in Anwendung ziehen, gab es damals, — die Sache datiert 22 Jahre 
zurück, noch nicht, und so blieb denn der bange Zweifel lange Zeit 
bestehen. Als sich schliesslich unter lytischem Fieberabfall alles in 
Wohlgefallen auflöste, gewann ich die Ueberzeugung, dass das Krank¬ 
heitsbild durch eine dem Masernverlaufe auf seiner Höhe folgende 
Typhusinfektion bedingt gewesen sei, deren Quelle vielleicht in der 
dem gänzlich appetitlosen Kinde gereichten Rohmilch zu suchen war. 

Die Interferenz zweier akuter Exantheme, Mischinfektionen von 
Masern mit Pertussis oder Diphtherie, das sind Dinge, welche ich im 
Laufe der Zeit wiederholt beobachten konnte und wofür ich einzelne 
bemerkenswerte Beispiele noch anführen werde, eine derartige Koin¬ 
zidenz, wie die geschilderte, ist mir jedoch weder vorher noch nachher 
wieder begegnet. Sie würde jetzt, wo wir durch die Agglutinations¬ 
probe oder Züchtung der Bazillen aus den Dejekten die Sachlage rascher 
zu klären vermögen, nicht so lange unentschieden bleiben, der Fall 
lehrt uns aber, auch in derartiger scheinbar verzweifelter Situation 
in seiner Prognose vorsichtig zu sein und an die Möglichkeit eines sol¬ 
chen Zusammentreffens zu denken. 

Ich habe bereits erwähnt, dass Mischinfektionen von Masern und 
Keuchhusten durchaus nicht selten sind, und es ist ja eine alte Er¬ 
fahrung, dass diese beiden Infektionskrankheiten gewisse Beziehungen 
zu einander zeigen, welche sich besonders darin aussprechen, dass 
Masern- und Keuchhustenepidemieen sich oft folgen. Die hohe Vulne¬ 
rabilität der Haut Masernkranker manifestiert sich darin, dass Blutungen 
in dieselbe oft Vorkommen und bei halbwegs intensiverem Exanthem 
nahezu die Regel bilden. Gestaltet sich die Situation so, dass auf der 
Höhe des Pertussisverlaufes die morbillöse Infektion hinzutritt, so 
kommt es mitunter zu geradezu grotesken Erscheinungen, als deren 
charakteristisches Paradigma ich die Krankengeschichte zweier Ge¬ 
schwister kurz mitteilen will. Es handelte sich um einen fünf Jahre 
alten Knaben und seine um ein Jahr jüngere Schwester, welche auf 
der Höhe eines Keuchhustens, dessen spastisches Stadium etwa zwei 
Wochen bestand (sie waren beide aus verschiedenen Quellen infiziert 
worden und fast gleichzeitig erkrankt) in einem Intervall von 14 Tagen 
die Masern akquirierten, welche besonders bei dem zuerst erkrankten 
Knaben, der häufigere und sehr intensive Hustenanfälle darbot, eine 
vollständige Durchblutung der YVangenhaut zur Folge hatte, die zu 


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Fisch], 


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einer so kolossalen Anschwellung des Gesichtes führte, dass das Kind 
dadurch hochgradig entstellt war. Es brauchte eine ganze Reihe von 
Wochen, bevor unter den üblichen Farbenveränderungen das Gesicht 
wieder normal wurde. Bei dem Mädchen verlief die Sache etwas glimpf¬ 
licher und beschränkte sich auf ausgedehnte Suffusionen der Lidhaut, 
wie man ihnen auch bei unkompliziertem Keuchhusten begegnet. 

Auch für die Kombination von Masern mit Diphtherie bin ich 
in der Lage, einen durch seinen weiteren Verlauf recht interessanten 
Fall zu berichten. Es handelte sich um ein sieben Jahre altes Mädchen, 
welches von seinem jüngeren Bruder, der die Masern in der Schule 
akquiriert hatte, infiziert worden w r ar und bei noch stehendem Exan¬ 
them eine ausgedehnte Rachendiphtherie zeigte, deren Quelle nicht 
eruiert werden konnte, und die wie ich nebenbei erwähnen will, auf 
die Ohren Übergriff und daselbst zu schweren Zerstörungen führte, 
welche später den Gegenstand ausgedehnter operativer Eingriffe bil¬ 
deten. Als ich das Kind, welches in einer nordböhmischen Provinz¬ 
stadt lebte, zum ersten Male sah, bot es wohl das Bild einer schweren 
Erkrankung und zeigte eine hochgradige Herabsetzung seines Hör¬ 
vermögens, verhielt sich jedoch psychisch vollkommen normal und ant¬ 
wortete auf laut gestellte Fragen in ganz präziser Weise. Bei meinem 
zweiten etwa eine Woche später erfolgenden Besuche fand ich aber 
die Situation völlig verändert. Die Kleine hatte vollständig zu reden 
aufgehört, verweigerte die Nahrungsaufnahme und geriet bei jedem Ver¬ 
suche, diese zu erzwingen, in geradezu tobsuchtartige Erregungszustände, 
die so heftig waren, dass die auf der Strasse Vorübergehenden darauf auf¬ 
merksam wurden. Ich schob die Sache anfangs auf die totale Hör¬ 
unfähigkeit und versuchte es, mich mit dem Kinde auf schriftlichem 
Wege zu verständigen, indem ich meine Fragen auf eine Schiefertafel 
schrieb und der Patientin zu lesen gab, doch reagierte sie auch darauf 
entweder gar nicht oder mit starker Exaltation, lag in den Zwischen¬ 
pausen dumpf vor sich hinbrütend mit finsterem Gesichtsausdruck da 
und zeigte für die Geschehnisse in ihrer Umgebung nicht das geringste 
Interesse, so dass sie den ausgesprochenen Eindruck einer psychischen 
Störung machte. Dabei war ihr Gesamtbefinden entschieden besser 
geworden, die Temperatur stand nicht mehr viel über der Norm, der 
Rachen hatte sich unter dem Einllusse wiederholter hoher Serumdosen 
(in toto 10000 Immunitätseinheiten) fast gereinigt, und nur der reichliche 
fötide Ausfluss aus beiden Gehörgängen gemahnte an die überstandene 
schwere Infektion. 

Auf meine Recherchen erfuhr ich, dass die Nahrungsaufnahme 
die ganze Zeit über eine sehr mangelhafte gewesen sei, bis sich endlich 
der vorliegende Zustand absoluter Nahrungsverweigerung eingestellt 
hätte. 

Das Fehlen sonstiger zerebraler Symptome und der entschiedene 
Rückgang der lokalen Erscheinungen veranlassten mich zu der Ansicht, 
dass es sich um eine durch die Inanition bedingte psychische Störung 
und auf gleicher Grundlage beruhende Delirien handeln dürfte, wofür 
auch der Umstand sprach, dass die Patientin seit meinem ersten Be¬ 
suche ganz beträchtlich abgemagert war. Auf Grund dieser Meinung 
empfahl ich, es mit der Ernährung auf rektalem Wege zu versuchen. 
Dies gelang in ganz befriedigender Weise, so dass dem Kinde zweimal 
täglich je ein halber Liter Milch mit einem Eigelb, Mehl und Salz bei¬ 
gebracht werden konnte, und unter dem Einflüsse dieser Therapie trat 


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Zur Klinik des Masernexanthem’s. 


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innerhalb weniger Tage ein völliger Umschwung im psychischen Verhalten 
ein. das Rind wurde wieder teilnehmend, beantwortete laut gestellte 
Fragen in vollkommen korrekter Weise und war innerhalb einer Woche 
so weit, dass es wieder spontan Nahrung nehmen konnte und sich bei 
sich hebendem Appetit relativ schnell erholte. Ich will noch ergänzend 
bemerken, dass die später vorgenommene Operation an den Ohren, 
die beiderseits ausgedehnte Zerstörung des Labyrinths darboten, ein 
auch in bezug auf die Hörfunktion so gutes Resultat lieferte, dass die 
Kleine einem nicht zu leise geführten Gespräche zu folgen vermag 
und in der vordersten Bank sitzend am Schulunterricht teilnimmt. 

Im Gefolge schwerer Typhen, sowie nach Laparotomien mit 
nachheriger Hungerkur hai e ich solche Zustände, allerdings niemals 
in so ausgesprochener Weise, einige Male beobachtet, als Begleiterschei¬ 
nung akuter Exantheme waren sie mir neu, und ich hielt es daher für 
nicht unangebracht, auch diesen recht lehrreichen Fall hier kursorisch 
zu schildern. 

Hautemphysem bei Kindern ist eine im ganzen ziemlich seltene 
Erkrankung, deren Ursache zumeist in gangränösen Prozessen an der 
Lungenoberfläche zu suchen ist; weniger häufig sind es oberflächliche 
Zerreissungen der Lungensubstanz, wie ich dies in zwei Fällen von 
kapillarer Bronchitis gesehen habe, welche dasselbe hervorrufen. An¬ 
lässlich einer ausserordentlich schweren Masernepidemie, welche ich 
zu Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts im Münchener 
Kinderspital zu beobachten Gelegenheit hatte, und die durch eine 
ausgesprochene Tendenz zu brandigen Prozessen charakterisiert war, 
welche sich in nomatöser Erkrankung der Wangen- und Genitalschleim¬ 
haut sowie in Gangräneszenz der bronchopneumonischon Lungenherde 
manifestierte, gehörte Hautemphysem zu den gar nicht ungewöhnlichen 
und stets ominösen Erscheinungen. Seitdem hatte ich nur noch einmal 
bei Masern Gelegenheit, ein solches nach Morbillen zu konstatieren, 
und zwar bei einem acht Jahre alten Knaben, welcher schwere Masern 
mit einer rechtsseitigen Pleuropneumonie darbot, jedoch keine Symptome 
von Lung f ngangrän zeigte und ziemlich unvermittelt, wohl infolge 
eines heftigen IJustenstosses, ein sich rasch über den ganzen Thorax 
ausdehnendes Hautemphysem zeigte. Dasselbe verlor sich innerhalb 
dreier Tage, und fast gleichzeitig gingen die Lungenerscheinungen 
zurück, ohne bei dem Kinde irgendwelche Spuren zu hinterlassen. 

Was dem Beginn und die Prodromalsymptome der Masern anlangt, 
so beobachtet man auch da manche Abweichungen von dem gewöhn¬ 
lichen Verhalten, die dem Mitteilung wert erscheinen. Speziell die von 
Koplik beschriebenen kalkspritzerartigen Flecke an der Wangen- 
schleimhaut, welche, wenn sie frühzeitig, also noch vor dem Katarrh 
der Schleimhäute, auftreten und, was die Hauptsache, auch bemerkt 
werden, einen Schutz der Umgebung vor der sonst fast unvermeidlichen 
Maserninfektion ermöglichen, fehlen in einem allerdings kleinen Teile 
der Fälle oder kommen so spät zum Vorschein, dass eine Verwertung 
derselben in dem angedeuteten Sinne nicht möglich wird. 

Es gibt aber auch Masernfälle, in denen die katarrhalischen 
Initialsymptome so gering ausgesprochen sind, dass ein Verdacht auf 
Morbillen kaum geweckt wird. 

So sah ich im vorigen Jahre in einem böhmischen Badeorte die 
etwa 14 Jahre alte Tochter eines elsässisehen Industriellen, welche 


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Fischl, Zur Klinik dos Mnsornoxanthom’s. 


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Tags vorher unter Fieber und Kopfschmerzen erkrankt war. Bei meinem 
Besuche mit dem behandelnden Arzte konnten wir ausser der ziemlich 
hohen Temperatur (39,6 Grad) nichts anderes als eine massige Kon¬ 
junktivitis finden, Hachen und Wangenschleimhaut waren vollständig 
blass, und ebenso bestand weder Schnupfen noch Husten. Wir waren 
daher nicht in der Lage, eine bestimmte Diagnose zu stellen und beide 
recht überrascht, als wir bei unserem am nächsten Morgen erfolgten 
Besuche im Gesicht ein bereits deutlich sichtbares Masernexanthem 
nachweisen konnten, welches sich dann rasch verbreitete und den ge¬ 
wöhnlichen Verlauf nahm, wobei Schnupfen und typisches Enanthem 
im Rachen sich einstellten, der Husten aber vollständig ausblieb. Dieses 
geringe Hervortreten der katarrhalischen Symptome und ihr relativ 
spätes Erscheinen mag auch der Grund gewesen sein, dass sich der Fall 
durch eine äusserst geringe Infektiosität auszeichnete, denn die beiden 
Brüder der Patientin, zwei Jünglinge von 16 und 18 Jahren, die beide 
noch keine Masern gehabt hatten, erkrankten trotz der in Ansehung 
der Umstände sehr mangelhaften Isolierung nicht. Dass es sich um 
unzweifelhafte Masern und nicht etwa um Rubeolen gehandelt hat, ging 
daraus hervor, dass sowohl das Exanthem den typischen Charakter 
des Masernausschlages zeigte, als auch der Rachen ein ganz charak¬ 
teristisches Enanthem darbot; weiter sprachen auch das hohe Fieber 
und die Abgeschlagenheit für diese Diagnose, welche durch das Fehlen 
jeglicher Nackendrüsenschwellung weiter gestützt wurde. Das Koplik- 
sche Zeichen hat in diesem Falle dauernd gefehlt, was ich jedoch wieder¬ 
holt bei klassischen Morbiden konstatieren konnte. 

Auch eine abnorme Lokalisation des Exanthembeginnes, der sich 
ja bei Masern in der Regel zuerst im Gesicht etabliert, kann zu dia¬ 
gnostischen Schwierigkeiten führen. So sah ich vor Jahren einen Fall, 
bei welchem die ersten Spuren des Ausschlages an den Hand- und Fuss- 
tellern zu sehen waren, von da aus über die Extremitäten zogen und 
erst ganz zum Schlüsse den Stamm und das Gesicht ergriffen, ein ganz 
eigentümliches Verhalten, das mir seither nicht wieder begegnet ist. 

Bei der bekannten hohen Infektiosität der Masern und ihrer 
fast unvermeidlichen Ansteckungskraft im katarrhalischen Initial¬ 
stadium, welches in der Regel von der Umgebung nicht richtig einge¬ 
wertet wird, so dass der Arzt meist erst am Schlüsse desselben gerufen 
wird, müssen wir Kinder, welche trotz intimer Berührung mit dem 
Patienten in dieser kritischen Zeit nicht erkranken, als wenigstens 
derzeitig masernimmun ansehen. Ich verfüge über mehrere derartige 
Beobachtungen, die allerdings gegenüber dem gewöhnlichen Verhalten 
stark zurücktreten. Nicht immer handelt es sich um eine die ganze 
Kindheit hindurch anhaltende Immunität, denn einige dieser Kinder 
erkrankten später aus anderer Quelle doch, manchmal aber scheint 
eine absolute Unempfänglichkeit zu bestehen, da auch wiederholte 
und intensive Infektionsgelegenheiten nicht zur Erkrankung führen. 

Ich halte daher aus diesem und anderen Gründen den fatalistischen 
Standpunkt, im Falle einer Masernerkrankung in einer Familie, die 
anderen Kinder nicht erst zu isolieren, da es ja doch nichts nütze, für 
durchaus ungerechtfertigt. Die Masern sind durchaus nicht immer 
jene harmlose Erkrankung, als die sie in Laienkreisen gelten, und bei 
energischem Vorgehen gelingt es sicher, wenigstens einen Teil der 
Kinder vor der Ansteckung zu schützen, besonders wenn man in Epi¬ 
demiezeiten fleissig die Rachenhöhle und Wangenschleimhaut auf 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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Prodromalsymptome untersucht, was ich namentlich den Schulärztrn 
ans Herz legen möchte. 

Seihst das scheinbar so bekannte und ziemlich einförmige Bild 
des Masernverlaufes gestaltet sich also an grossem Material und bei 
sorgsamer Beobachtung recht vielgestaltig, und was mir im Laufe 
der Jahre an interessanten Besonderheiten in die Hände gespielt wurde, 
bin ich bemüht gewesen, in den vorliegenden Zeilen möglichst getreu 
zu schildern. 


Autoreferate unö Mitteilungen 
aus der Praxis. 


Über Schwangerschaftsveränderungen im Larynx. 1 ) 

Von Dr. R. Imhofer, Piag. 

Vortragender knüpft an seine klinischen Untersuchungen über 
Schwangerschaftsveränderungen in den oberen Luftwegen an, die kon¬ 
form mit den Untersuchungen anderer Autoren das Vorkommen von 
Schwellungszuständen an der Hinterwand des Larynx bei ca. 50 Proz. 
aller Gravider ergeben haben. Der Zweck der diesmaligen Untersuchun¬ 
gen war der, festzustellen, ob diesen Veränderungen ein pathologisch 
anatomisches Substrat zugrunde liegt und die in dieser Hinsicht allein 
in der Literatur existierenden Angaben Hofbauers nachzuprüfen. 

Im wesentlichen hat J. alles gesehen, was H o f b a u e r beschreibt, 
also Dilatation der Gefässe, Lymphozyteninfiltration der Schleimhaut, 
Befund von Plasmazellen, Epithelwucherung, nur den von Hofbauer 
erhobenen Befund deziduaähnlicher Zellkomplexe konnte er nicht be¬ 
stätigen. Dagegen bestreitet Vortragender auf das entschiedenste jeg¬ 
lichen Zusammenhang dieser Veränderungen mit der Gravidität und hält 
dieselben lediglich für subakute entzündlich-katarrhalische Veränderun¬ 
gen, die sich im Larynx eines jeden Erwachsenen finden. Zum Beweise 
dessen demonstriert Vortragender Präparate der Kehlköpfe gravider und 
nichtgravider Frauen, welche diese Veränderungen in wechselnder In¬ 
tensität zeigten. Auch der Todesursache kommt eine nicht, zu unter¬ 
schätzende Bedeutung zu. Daraus folgerte J., dass ein zuverlässiges 
Urteil über Schwangerschaftsveränderungen im Larynx an menschlichem 
Leichenmateriale nicht gewonnen werden könne und hat seine Unter¬ 
suchungen an Tieren (15 trächtige Meerschweinchen, 7 Kontrolliere) fort¬ 
gesetzt, wo sich die pathologischen Veränderungen wesentlich reduziert 
zeigten. Es fand sich hier nur Quellung, vermehrte Abstossung und Leu- 
kozyteridurchwanderung des Epithels, ferner Auflockerung und 
Quellung des Bindegewebes, die bis zu leichtem Oedem gedeihen konnte; 
alle übrigen entzündlichen Veränderungen fehlten beim Tiere. 

Vortragender bemüht sich nun, zwischen den klinischen und patho¬ 
logisch-histologischen Befunden einen Einklang herzustellen und gelangt 
zu der Anschauung, dass es sich um vasomotorische Veränderungen 
handle, analog gewissen Erkrankungen der Haut (oedema Quincke usw.); 
er setzt seine Befunde mit denen, die K r e i b i c h bei den oben genann¬ 
ten Veränderungen der Haut erhoben hat, in Parallele und ist geneigt, 


') Die O.iginalmitU’ilurf; erscheint in cier ..Zeiticlir fl 
Bund IV. 


für lAiyn;olog e 


2 * 


und 


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20 


Referate und Besprechungen. 


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den Begriff diktatorische Hyperämie auch für diese zu akzeptieren; dass 
irgendwelche entzündliche Veränderungen durch Gravidität im La- 
rynx hervorgerufen würden, bestreitet J. nach seinen Befunden auf das 
entschiedenste. 

Vortragender wendet sich nun der Frage zu, ob diese Befunde 
irgendwelche Anhaltspunkte für die Beurteilung der Frage — Larynx- 
tuberkulose und Gravidität ergeben. Er meint, dass eine Prädisposition 
der Graviden für die Erkrankung an Kehlkopftuberkulose aus diesen Be¬ 
funden sicher nicht abzuleiten wäre; wohl aber könnte die Quellung 
und Auflockerung des Bindegewebes mit einen Faktor bilden, der das 
rapide Fortsclueiten der Larynxphthise in der Gravidität und den dele¬ 
tären Verlauf derselben erklären könnte; denn wie aus den Untersuchun¬ 
gen verschiedener Autoren hervorgeht, ist die Abkapselung durch Binde¬ 
gewebe, dasjenige, was bei Larynxphthise seitens der Gewebe zur Heilung 
geschieht und so meint J., dass ein gequollenes und in seiner Struktur 
verändertes Bindegewebe dieser Aufgabe nicht nachzukommen geeignet 
wäre. Vortragender demonstriert schliesslich an Präparaten eines Falles 
von Larynxtuberkulose bei Gravidität, dass es sich tatsächlich um eine 
bindegewebsarme, zum Zerfall tendierende Form dieser Erkrankung 
handle. 


Referate und Besprechungen. 

Allgemeine Pathologie. 

Hfrtz, E., (Paris), Le syndrome angiospasmodique. (Bullet, mödical, Nr. 71. 
S. 785—788. 1911.) 

Wer die medizinischen Zeitschriften nicht bloß auf theoretisch oder 
praktisch beachtenswerte Einzelheiten durchsieht, sondern wer darin den 
Geist der Zeit zu erkennen sucht, wird beobachten, wie in der letzten Zeit 
wieder mehr der Sinn für Allgemeinkrankheiten, für Diathesen, Prädisposi¬ 
tionen u. dgl. erwacht. Man diagnostiziert die Tuberkulose nicht mehr bloß 
auf Grund des nachgewiesenen Bazillus, sondern wieder — wie einst — 
auf Grund des Allgemein-habitus; die modern werdende innere Sekretion nötigt 
ganz von selbst, die Wirkungen der mysteriösen inneren Sekrete auf den 
Gesamtorganismus in Erwägung zu ziehen; bei den Vererbungsfragen hat 
man es gleichfalls nicht mit isolierten Organen zu tun, und in dieser Rich¬ 
tung wirken noch mancherlei andere Faktoren. Uns Deutschen hängt die 
Virchowsehe anatomische Denkweise noch merklich an. Die Franzosen 
standen nicht so stark unter dem Einfluß dieser historischen Persönlichkeit, 
deshalb entwickeln sich dort die neuen Ideen leichter, vielleicht oft zu leicht, 
mehr als geistreiche Gedankenspiele, denn als erweisliche klinische Tatsachen. 
Immerhin schadet es uns nichts, über die Grenze zu schauen. So hat II i r t z 
die lokalen Zirkulationsstörungen, welche zur Raynaudschen symmetrischen 
Gangrän führen, verallgemeinert und eine Maladie angiospasmodique aufge¬ 
stellt, welche etwa unseren ,,Gefäßkrisen“ entspricht. Es gibt ohne Zweifel 
eine nicht unbeträchtliche Anzahl von subjektiven und objektiven Störungen 
an jedem Teile des menschlichen Körpers, ohne daß die pathologisch- 
anatomische Untersuchung eine greifbare Veränderung nachweisen könnte. 
In übertriebener Überschätzung der Anatomie und des Mikroskops verwies 
man früher solche Dinge in das Gebiet des Nervösen, Hysterischen, Ein¬ 
gebildeten; heute scheinen funktionelle Störungen am Gefäßapparat an Stelle 
dieses Erklärungsprinzips zu treten. H i r t z schreckt vor keinem Organ 
zurück; an allen können sich, teils isoliert, teils in Kombinationen, angiospas- 
modische Erscheinungen etablieren, seien es nun kalte Hände oder Füße, 
Migräneanfälle, Melancholien (als spasmes des vaissoaux capillaires du cer- 
veau), Leberkoliken, Diabetes, orthotische Albuminurien, Angina pectoris 



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Referate und Besprechungen. 


21 


usw., ja, schließlich ist der Vater dieses Gedankens geneigt, die Hysterie 
und Neurasthenie, wenn nicht ganz, so doch zum großen Teile in seiner 
Maladie angiospasmodique aufgehen zu lassen. 

Es ist eine richtige Erkenntnis, welche H i r t z nur nicht genügend 
scharf hervorhebt, daß die ursprünglichen Funktionsstörungen im Laufe 
der Zeit zu anatomischen Veränderungen führen (bei uns betrachtet inan den 
Causalnexus zumeist umgekehrt); darin liegt das Prognostisch-Fatale der 
zunächst harmlosen Krankheit. Natürlich treten diese Veränderungen bei 
dem einen früher, beim anderen später edn; das hängt eben von der Gesamt¬ 
konstitution ab, die sich gleichfalls noch immer nicht anatomisch fassen läßt. 
Therapeutisch ist nicht viel zu machen, um so mehr prophylaktisch durch 
Vermeidung jeder übermäßigen Inanspruchnahme des Gefäßsystems. Wenn 
sich das nur in praxi so leicht erzielen ließe! 

Im übrigen kommt auch in den Hirtzschen Kombinationen das alte 
anatomische Denken noch deutlich zum Ausdruck. Er klebt zwar nicht an 
einem bestimmten Organ, aber an dem von den Anatomen aus dem Organis¬ 
mus herauspräparierten Gefäßsystem, welches er — das anatomische Denken 
verrät sich dabei deutlich — als geschlossenes, für sich bestehendes Köhren¬ 
system in die Kapillaren hinein verfolgt und in einen gewissen Gegensatz 
zum sog. Parenchym setzt. Trotz der eleganten Darstellung im Original 
lassen sich die Lücken im Aufbau nicht verkennen, aber eine schätzenswerte 
Anregung nimmt der Leser doch schließlich mit. Eis könnte ja wirklich so 
sein, wie H i r t z sich das denkt. Buttersack-ßerlin. 

Dupr6E. (Paris), La Constitution Emotive. (Paris medical Nr. 46. 1911.) 

Seit dem Aufsatz von W. James: What is an emotion?, welche 1884 
in der Zeitschrift Mind erschienen ist, und seit C. Langes Studien über 
die Gemütsbewegungen, sind diese letzteren nicht mehr von der Tages¬ 
ordnung verschwunden; namentlich in Frankreich unter dem Einfluß 
von Kibot wird dieser Seite der Psyche immer mehr Aufmerksamkeit 
geschenkt. Je schwieriger es ist, in dem Ozean des Seelenlebens einen 
sicheren Ankergrund zu finden, um so verlockender erscheint es, die gemüt¬ 
liche Erregbarkeit in den Mittelpunkt zu rücken und von da aus einen 
Versuch zu machen, die mancherlei normalen, problematischen, ev. sogar 
pathologischen Naturen zu begreifen. Einen weiteren Beitrag hierzu liefert 
Dupre im vorliegenden Aufsatz; er hat s. Zt. den terminus technicus 
der Constitution emotive geschaffen, welcher vielen Anklang gefunden hat. 
Dabei ist das Gleichgewicht der Seele, die aequa mens, gestört, es besteht 
ein diffuser Erethismus der Gefühlsphäre und eine Schwäche der Hem¬ 
mungen, so daß Reaktionen resultieren, die durch ihre Lebhaftigkeit, Aus¬ 
dehnung und Dauer das normale Maß übersteigen und den Betreffenden 
hindern, sich neuen Situationen anzupassen, plötzlichen Ereignissen besonnen 
gegenüberzutreten. Da es in der Natur keine lehrbuchmäßigen, fixen Typen 
gibt, sondern nur Schwankungen um gewisse mittlere Werte, so wird jeder 
leicht einsehen, daß von den Persönlichkeiten mit der größten, patho¬ 
logischen Erregbarkeit eine wahre Leiter von Zwischenstufen zu den gefühl¬ 
losen, herzlosen, pomadigen Gesellen hinüberführt. 

Ist nun auch die Emotivite in letzter Linie eine psychische (Qualität, 
so läßt sie sich doch auch in physiologischen Symptomen objektiv und 
exakt fassen. Dahin gehören zunächst die gesteigerten Reflexe; nament¬ 
lich können derartige Individuen das Kitzeln nicht ertragen, und ihre Pu¬ 
pillen reagieren auf Licht und Schmerz mit besonderen Geschwindigkeiten 
und Amplituden; auch Oszillationen der Pupillen finden sich oft. Charak¬ 
teristisch ist dabei, daß die Reflexe nicht dauernd, sondern nur zeitweise 
gesteigert sind. 

Die sensible und sensorische Hyperästhesie dokumentiert sich des ferneren 
im Mienenspiel, im Verhalten der Stimme, im schnellen Wechsel der E'arben, 
Dermographismus, in bald kalten, bald heißen Händen und E'üßen. Schweiße, 
Speichelfluß treten auf, aber auch absolute Trockenheit des Mundes usw., 
kurz, jede Sekretion kann als Index der Emotivite dienen, aber ebenso auch 


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Re'erate und Besprechungen. 


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die den Drüsen koordinierte kontraktile Sphäre: Spasmen im Gebiete der 
glatten Muskeln treten auf im Gebiet der musc. pharyngei, des Oesophagus 
(Gefühl des Kloßes), Magen-, Darmkrämpfe, Blasenkrämpfe mit Pollakurie. 
Neben diesen tonischen Zuständen reihen sich klonische Zitterbewegungen, 
wozu auch manche Formen von Irregularitäten in Herz- und Atemtätigkeit, 
Beklemmungen, Angstgefühle, Dyslalie gehören; und weil die Störungen in 
den einzelnen Organen sich beliebig kombinieren, so entstehen die verschieden¬ 
artigsten Svmptomenkomplexe, ja gerade ihre Kombination ist das Wichtige; 
denn einzeln können alle die genannten Iieflexabnormitäten Vorkommen, 
ohne daß der Betr. irgendwie ein emotioneller Mensch wäre. Bis zu einem 
gewissen Grad ist erhöhte Emotivitö normal bei Kindern und bei Frauen; 
erst in der weiteren normalen Entwicklung bilden sich eben langsam die 
Hemmungen hei aus, welche den Menschen eigentlich erst zum vollen Menschen 
machen. Entwickeln sich diese Hemmungen nicht richtig oder werden sie 
von den erzielenden Faktoren nicht ausgebildet, so haben wir Menschen 
vor uns, die man liebenswürdiger Weise als plötzliche, impulsive Naturen 
bezeichnet. Dij intellektuelle Sphäre braucht dabei aber nicht gelitten zu 
haben; man findet im Gegenteil dabei oft une intelligence normale et 
souvent supörieure, ja sogar eine Steigerung der Phantasie-Tätigkeit, welche 
sich bei besonders begnadeten Sterblichen zu künstlerischem Genie steigern 
kann. Aber Neuropsychopathen bleiben solche Erscheinungen doch, und 
zwar sind hauptsächlich Angst und Furchtsamkeit die Merkmale, welche 
dabei hervortreten, unbeschadet gelegentlicher Wutausbrüche und dergl. Die 
Übergänge der Emotivite zur Hysterie und Neurasthenie ergeben sich von 
selbst. 

Und die Therapie? wird der Leser fragen. — Dupre berührt dieses 
Kapitel nicht, aber man erkennt leicht, daß der Schwerpunkt in der Er¬ 
ziehung in der Jugendzeit liegt. Madame de Maintenon hat den springen¬ 
den Punkt in der Conservation sur l’elevation richtig herausgehoben: La 
veritable elevation est de savoir se passer de la fortune quand eile nous fuit, 
et de ne nous pas enivrer quand eile nous est üavorable. Das nennt man 
Charakter haben; aber auf dessen Ausbildung wird leider weniger Gewicht 
gelegt als auf Vielwissen. Buttersack-Berlin. 


Bakteriologie und Serologie. 

Bruschettini A. u. Calcaterra E. (Genua), Über inaktiviertes hämolytisches 
Serum. (Annali dell’ Istituto Maragliano Vol. IV. Fase. 6/6. S. 261. 1911). 

Die beiden Forscher wollten erfahren, ob inaktivierte Sera in den 
Alexinen des Körpers selbst das erforderliche Komplement finden, um ihre 
spezifische Funktion zu äußern. Von einem hochwertigen Serum, welcheb 
Meerschweinchen-Blutkörperchen auflöste, spritzten sie 4 ccm drei kräftigen 
Kaninchen in die Ohrvenen; dieselben starben prompt. Dagegen zeigten 
drei andere, welchen dasselbe Serum, aber nach Erwärmung auf 56 0 appli¬ 
ziert war, keinerlei Symptome. Daran schlossen sich dann weitere Ver¬ 
suche mit aktivem bezw. inaktiviertem hämolytischem Serum, welches in 
Kollodiumsäckchen eingeschlossen 24 Stunden in der Peritonealhöhle von 
Kaninchen verweilt hatte. Die Resultate werden folgendermaßen präzisiert: 

1. ein hämolytisches Serum verliert im Peritonealsack das Vermögen, 
die Blutkörper des betr. Tieres aufzulösen; 

2. das Vermögen kann durch Zusatz von neuen Alexinen wieder herge- 
stellt werden; 

3. ein inaktiviertes Serum gewinnt auch dann seine hämolytische Eigen¬ 
schaft nicht wieder; 

4. die Peritonealflüssigkeit ist nicht imstande, inaktives Serum zu reak¬ 
tivieren. Buttersack-Berlin. 

Am. Barloeco (Genua), Autolyse lind Lipoidgehalt (snl contenuto lu 
lipoidi negli autolizzati posti a contatto di tossina difteritica). (Annali dell’ 
Istituto Maragliano. Vol. IV. Fase. 6/6, pag. 270—276. 1911.) 

Barlocco hat sich die Frage vorgelegt, ob der Gehalt an Lipoiden 


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lieferst* und Besprechungen. 


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in Organen, welche der Autolyse überlassen bleiben, zu- oder abnimmt, 
wenn ihnen Bakteriengifte beigeniengt sind. Er verwendete zu den Ver¬ 
suchen, welche diese Fragen lösen sollten, Rindsleber und als Gift das 
Diphtherietoxin und konstatierte dann, daß bei Zusatz von letzterem weniger 
Lipoidkörper gefunden wurden (un’ apprezzabile reduzione dell’ estratto 
posto a contatto con toss. dift. in varia concentrazione anche breve tempo 
dalt ’avvenuto contatto). Buttersack-Berlin. 


Innere Medizin. 

Sticker G. (Bonn), Perkussion. (Eulenburgs Realenzyklopädie. 4. Aufl. 
XI. S. 524—556. 1911.) 

Die Kunst des Perkutierens ist teils durch die Röntgenstrahlsn, teils 
durch allerhand theoretische und praktische Spitzfindigkeiten etwas in den 
Hintergrund gedrängt worden; sehr zum Schaden der Ärzte, denn ein ge¬ 
schultes Auge und eine geschulte Hand werden immer die Basis des 
Diagnostizierens bleiben. Wer sich schnell und in anregender Weise über 
die modernen Formen und Theorien des Beklopfens orientieren will, dem 
seien die Stick er’sehen Auseinandersetzungen in der Eulenburgschen 
Realenzyklopädie empfohlen. Buttersack-Berlin. 

Wilhelm Ebstein (Göttingen), Die Beziehungen der Koprostase zum 
Bronchialasthma. (Deutsche medizinische Wochenschrift, 'Nr. 42, 1911.) 

Nach Erwähnung eines schon früher mitgeteilten Falles von schwerem 
Bronchialasthma, das nach Beseitigung einer hochgradigen Koprostase ge¬ 
heilt worden war, teilt Ebstein die Krankengeschichte einer 42 jährigen 
Frau mit, die ihre intensiven Asthmaanfälle mit der Heilung einer hart¬ 
näckigen Koprostase verlor. Nach 9 Jahren traten die Anfälle wieder 
auf, und es zeigte sich bei der Untersuchung, daß wiederum eine hart¬ 
näckige Stuhlverstopfung bestand. Auch da hörten die AnfäHe nach Ver¬ 
schwinden der Koprostase allmählich auf. 

Wenn man der Einteilung des Bronchialasthmas nach Lenhartz in ein 
solches, bei dem ausschließlich eine Erkrankung der oberen oder tieferen 
Luftwege in Frage kommt und in ein rein essentielles nervöses folgen will, 
so muß man annehmen, daß die bei letzterem bestehenden nervösen Sym¬ 
ptome in manchen Fällen durch toxische Einflüsse hervorgerufen werden. 
Zu den dabei in Betracht kommenden toxischen Substanzen gehören unter 
anderere die bei der Koprostase sich entwickelnden Darmgifte. 

Es empfiehlt sich daher bei jedem Fall von Bronchialasthma die Funk¬ 
tion des Darms zu prüfen. ' F. Walther. 

Moaöanin, S., Über das Vorkommen von eosinophilen Zellen im Magen¬ 
salte bei Achylia gastrica. (Wien. klin. Woch. Nr. 38, 1911.) 

Daß man bei Achylia gastrica eine Vermehrung der eosinophilen Zellen 
in der Magenschleimhaut findet, ist bereits mehrfach festgestellt wordeln; 
dagegen ist über ihr Vorkommen im Magensaft Achylischer bis jetzt nichts 
veröffentlicht. ’Verf. schildert einen Fall von Achylie mit gastrogenen 
Diarrhöen, bei dem sich im Ausgeheberten eosinophile Zellen fanden; daneben 
bestand eine Colica muco-membranacea mit eosinophilen Zellen im Schleim. 

M. Kaufmann. 

A. Laboulais und R. Goitfon, Eine Modifikation des Mathieu-Rämondschen 
Verfahrens zur Bestimmung der Mageninhaltsmenge. (Boas’ Archiv. Heft 4, 
1911.) 

Das Prinzip des im Mathieuschen Laboratorium ausgearbeiteten Ver¬ 
fahrens, das ebenso einfach wie zuverlässig sein soll, besteht darin, daß 
man im Magen selbst eine bestimmte Menge einer in ihrem Titer bekann¬ 
ten Lösung von phosphorsaurem Natron mit dem Rückstand des zu bestim¬ 
menden Mageninhalts vermischt. Man geht so vor, daß man zuerst eine 
Mageninhaltsprobe entnimmt, dann zu dem im Magen bleibenden Rückstand 
v durch die Sonde eine Menge q einer Natriumphosphatlösung vom bekannten 
Titer n eingießt, gut mischt, eine neue Probe entnimmt und dere-n Phos¬ 
phattiter n’ mittelst der Uranmethode bestimmt. Der Rückstand v ergibt 


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Referate und Besprechungen. 


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sich dann aus der Formel nq = n’ (v - r q), also v = ■ . , ^ — Die Ge- 

£“. n 

samtmenge findet man durch Addition von v zu der erst ausgeheberten 
Menge. Letztere soll bei reichlichem Mageninhalt reichlich bemessen wer¬ 
den, damit man nachher nicht in so grouer Verdünnung arbeitet; ist nicht 
viel Inhalt da, so kann man auf die vorherige Inhaltsentnahme ganz ver- 
verzichten; v bedeutet dann gleich den Gesamtinhalt. M. Kaufmann. 

Mlcheli, F., Unmittelbare Effekte der Splenektomte bei einem Fall von 
erworbenem hämolytischem splenomegalischen Ikterus Typus Hagem-Wldal 
(Spleno-hämolytischer Ikterus). (Wien. klin. Woch. Nr. 36, 1911.) 

Bei dem aus der Turiner medizinischen Klinik stammenden Patienten 
handelte es sich um einen seit 3 Jahren bestehenden typischen und schweren 
Fall der genannten Affektion bei einem 22jähr. Individuum. Die Splenek- 
tomie beseitigte fast sprunghaft alle Symptome der Krankheit: die Urobilinurie, 
den Ikterus, die Leberschwellung, die Symptome der schweren Anämie, 
und der Patient verließ geheilt die Klinik; Verf. würde die Heilung für 
sicher definitiv halten, wenn nicht eine aus Versehen zurückgelasseine Neben¬ 
milz mit der Möglichkeit eines Rezidivs rechnen ließe. Der Fall beweist 
jedenfalls eine ätiologische Rolle der Milz bei der Entstehung des Krank¬ 
heitsbildes. M. Kaufmann. 

Pribram, E. E., Über das Vorkommen des Neutralschwefels im Harn 
und seine Verwendung zur Karzinomdiagnose. (Wiener klin. Woch. Nr. 36, 1911.) 

Verfasser prüfte an dem Krankenmaterial der v. Eiselsbergschen Klinik 
die von Salomon und Saxl angegebene Karzinomprobe nach. Von vierzig 
Karzinomfällen gaben ungefähr GO Prozent positive Reaktion, von 5 Sar¬ 
komen drei. Die Reaktion ist aber nicht spezifisch, da auch sicher jucht 
karzinomatöse Individuen positive Proben gaben, von 40 untersuchten Fällen 
14. In Anbetracht dessen, daß doch der größte Prozentsatz positiver Reak¬ 
tionen bei Karzinomkranken gefunden wird, kann wohl die Reaktion im 
Vereiu mit der klinischen Untersuchung und andern Karzinomreaktionen zur 
Unterstützung einer Diagnose verwendet werden. Versuche, die zur Aus¬ 
fällung des leichter oxydierbaren Anteils des Neutralschwefels in der ur¬ 
sprünglichen Probe benutzte ILO- durch Kaliumpermanganat zu ersetzen, 
ergaben, daß ersterer doch den Vorzug verdient. M. Kaufmann. 

Fleckseder, R., (Wien). Klinische und experimentelle Studien über Ka- 
lomeldiurese. (Wien. klin. Woch. Nr. 41, 1911.) 

Nach den Tierversuchen des Verfassers besteht bei der Kalomeldiurese 
eine beträchtliche Hydrämie, keine Bluteindickung. Es kann sich also dabei 
jedenfalls nicht, wie vielfach angenommen wird, um eine diuretische Wir¬ 
kung auf die Nieren handeln; vielmehr macht das Kalomel Dünndarmdiarrhöe 
und zwar durch Lähmung der Lymphresorption und gesteigerte Peristaltik; 
die rasch zufließenden Wassermengen werden im Dickdarm resorbiert, be¬ 
wirken akute Hydrämie und dadurch Diurese. Eine Kalomelkur soll immejr 
nur als ultimum refugium gemacht werden; denn ein schwaches Herz kann 
dem mächtigen Flüssigkeitsstrom nicht gewachsen sein und kollabieren, und 
ganz sicher vor einer Intoxikation ist man nie. Die Einzeldosis ist 0,2, 
kombiniert mit 0,005 Extr. Opii, zur Verhütung von Dickdarmdiarrhöen. 
Man beginnt mit 2x0,2 und steigt bis 4x0,2, ja 6x0,2, um dann 
binnen 2—3 Tagen, die Dosen verkleinernd, abzubrechen. Indiziert ist ein 
Versuch mit Kalomel: 1. bei schwerem kardialem Hydrops, wobei man daneben 
oder vorher Digitalis gibt, 2. bei luetischen Affektionen: Meeaortitis mit 
Hydrops, Leberlues mit Pfortaderstauung, Nierenlues mit allgemeinen Hy¬ 
drops, 3. bei Aszites durch Pfortaderstauung, wenn durch natürliche Ad¬ 
häsionen oder Talma für Kollateralbahnen gesorgt ist. Kontraindika¬ 
tionen sind: 1. Idiosynkrasie, 2. Peritonitis oder Darmverschluß, 3. Paren¬ 
chymatöse Nephritis, dagegen nicht Stauungsalbuminurie oder luetische 
Nephritis. M. Kaufmann. 

S6zary, A. (Paris), Vorteil täglicher Auskultation Tuberkulose-Verdächtiger. 
(Progr. möd., Nr. 37, S. 453—454. 1911.) 

Wenn man Personen, welch' im allerersten Stadium einer tuberkulösen 



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Referate und Besprechungen. 


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Er kommt zum Schluß, daß dies bislang mit keinem der vorhandenen Mittel 
möglich ist. Des weiteren untersucht er genau die Frage, inwieweit die 
Ernährung eines Weibes hinreicht, um das durch die Laktation in ihrem 
eigenen Organismus geschaffene Defizit zu decken. Er zeigt durch einzelne 
Beispiele, daß die Gefahr besteht, daß die Energieverluste durch die Milch 
die Menge der zugeführten Kalorien überschreiten, so daß eine Unterernäh¬ 
rung resultiert. Auch der Reservestoff des weiblichen Körpers an Salzen 
kann evtl, insuffizient werden. Es besteht also im allgemeinen kein Hinde¬ 
rungsgrund, von einer Frau so viel Milch zu gewinnen, als sie produzieren 
kann, aber man hat auch die Pflicht, durch sehr energische Überernährung 
dafür zu sorgen, daß sie keinen körperlichen Schaden erleidet. 

Frankenstein-Cöln. 

Zangemeister (Marburg), Beitrag zur Auffassung und Behandlung der 
Eklampsie. (Deutsche medizinische Wochenschrift, Nr. 41, 1911.) 

Alle bisherigen Erklärungen für die Entstehung der Eklampsie haben 
sich nicht behaupten können, Zangemeister hält sie für eine Art 
Reflexepilepsie. Natürlich muß zu deren Auftreten ein dazu prädispo¬ 
niertes Zentralorgan vorhanden sein. Welches Agens nun dabei eine Rolle 
spielt, ist unbekannt, ebenso die Art seiner Wirkung, nur so viel scheint 
lest zu stehen, daß es anämisierend wirkt. Das auslösende Moment bilden 
die Wehen. Die Eklampsie kommt nur in einer Epoche zum Ausbruch, 
in der Wehen vorhanden sind. Wie die Wehen auf das Zentralorgan 
wirken, ist nicht bekannt, vielleicht besteht analog des Gefäßspasmus in 
der Niere auch ein solcher im Gehirn. Als Ursache für die zerebralen 
Erscheinungen dürfte die Annahme einer Gehirnanämie in Frage kommen. 
Durch diese Anämie wird ein Ödem des Gehirns hervorgerufen und dieses 
hat wieder eine Druckerhöhung zur Folge. Diese Annahme glaubt nun 
Zangemeister durch 3 Fälle bestätigt gefunden zu haben. Da die Therapie 
einmal darin zu bestehen hat, daß das auslösende Moment, die Wehen, so 
rasch wie möglich durch schnelle Entbindung beseitigt wird, dann aber 
auch, wie Z. recht hat, darin, daß gegen, das' Zcntralorgan selbst von¬ 
gegangen wird, indem die Druckerhöhung des Gehirns entfernt wird, so 
ging Z. in den 3 sehr schweren Fällen in der Weise vor, daß er den 
.Schädel eröffnete und die außerordentlich stark gespannte, fast harte Dura 
mittels Kreuzschnitt inzidierte. Eis quoll darauf eine große Menge seröser 
Flüssigkeit heraus und nach und nach stellte sich die vorher völlig fehlende 
Pulsation des Gehirns wieder her. Die Anfälle wurden nach der Operation 
seltener und leichter. 2 Patientinnen genaßen, eine kam ad exitum. Der 
Grund für den exitus ist nicht mit Bestimmtheit anzugeben. Wenn Z. 
auch die Trepanation nun nicht als allgemeines Behandlungsverfahren an¬ 
geben will, so hat sie doch sicher zur Klärung der Entstehungsursache 
beigetragen, und in desolaten Fällen dürfte doch ein Versuch mit dieser 
Therapie angebracht erscheinen. F. Walther. 

Petersen (Frankfurt a. M.), Ein neues Okklusivpessar. (Deutsche medi¬ 
zinische Wochenschrift, Nr. 42, 1911.) 

Petersen hat ein Okklusivpessar konstruiert, das erstens bei seiner 
Einführung nicht der Mitwirkung des Arztes bedarf, zweitens sich nicht 
nach kurzer Zeit falsch legt und endlich keine Retention von Sekret und 
somit Entstehung von schlechtem Geruch im Gefolge hat. Durch An¬ 
fügung eines eigenartig geschweiften Bügels an einem dem Mensinga’schen 
Ringe ähnlichen Verschlußring hat er erreicht, daß das Pessar leicht 
eingeführt werden kann, sich automatisch richtig legt, dem Druck der 
Brauchpresse nicht nachgibt und eine Ansammlung von Sekret vermieden 
wird. Es ist in 3 Größen, eine für sehr enge Genitalien, eine fü r un¬ 
verheiratete und eine für verheiratete Frauen von der Fa. Benin in Leipzig 
unter dem Namen Graziellapessar zum Preise von 3 oder 4—5 Mark in 
den Handel gebracht worden. F. Walther. 



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Referate und Besprechungen. 


27 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Opplkoter (Basel), Die nekrotisierende Entzündung bei Scharlach in Kehl¬ 
kopf, Luftröhre und Oesophagus. (Arch. f. Lar., XXV, H. 2.) 

Häufiger als die meisten Autoren annehmen, descendiert die Scharlach¬ 
diphtherie auf die tieferen Wege. Unter 128 Sektionsprotokollen von 
Scharlachleichen fand 0. 66 mal nekrotisierende und ulceröse Prozesse in 
Kehlkopf, Trachea und Speiseröhre verzeichnet. Mit sehr wenigen Aus¬ 
nahmen bestand gleichzeitig Scharlachdiphtherie im Rachen. Der Kehl¬ 
kopf war 62 mal, die Trachea 14 mal, die Bronchien 3 mal, der Oesophagus 
15 mal befallen; in allen Organen sind die oberen Partien bevorzugt. 12 mal 
war Tracheotomie notwendig geworden, 3 mal war der Tod durch Ver¬ 
blutung eingetreten. Die Geschwüre sind bald flach und unregelmäßig, bald 
scharfrandig und tief; der nekrotische Prozeß pflegt tiefer zu greifen als bei 
echter Diphtherie. — Die Komplikation scheint vorwiegend bei kleinen 
Kindern und in schwer septischen Fällen einzutreten. Dadurch wird die 
Untersuchung intra vitam sehr erschwert, und man kann nicht feststellen, 
wie oft Kehlkopf- usw. Komplikationen bei solchen Kranken Vorkommen, 
die den Scharlach überstehen. Fälle von Oesophagus-Strikturen nach 
Scharlach beweisen diese Möglichkeit. Jedoch verschlechtert die Kehlkopf¬ 
erkrankung die Prognose sehr, und ihre Häufigkeit mahnt, die Lokalbehand¬ 
lung der Rachendiphtherie (durch Auswischen mit Desinficientien) nicht zu 
vernachlässigen. Arth. Meyer-Berlin. 

F. Hobm ier (Greifswald), Zur Behandlung rachitischer Knochenver- 
krümmungen. (Deutsche medizinische Wochenschrift, Nr. 2, 1911.) 

Hochgradigere auf Rachitis beruhende Knochenverkrümmungen müssen 
aus sozialen Gründen beseitigt werden. Was den Zeitpunkt des opera¬ 
tiven Eingriffs anbetrifft, so gehört Hohmeier zu den Autoren, welche 
das floride Stadium bis zum 4. Lebensjahr abwarten, bei zunehmender 
Verkrümmung aber dann operativ Vorgehen. Bei sehr frühem Umgreifen 
kann durch länger fortgesetzte Schienenbehandlung allein schon ein be¬ 
friedigender Erfolg erzielt werden. Hierzu eignen sich die von Krauss 
sen. angegebenen Gipsschienenverbände oder die Langeschen Zelluloidstahl¬ 
schienen. Da nun die bei hochgradigeren Verkrümmungen in Frage kom¬ 
menden operativen Verfahren der Osteotomie und Osteoklase große Mängel 
und Gefahren anhaften, so hat H. das von Röpke und Anzoletti empfohlene 
Verfahren mit einigen Modifikationen in 7 Fällen erprobt. Es beruht 
darauf, die durch immobilisierende Verbände hervorgerufene Knochen¬ 
atrophie zur Ausgleichung der Krümmungen zu benutzen. Er ging in der 
Weise vor, daß das Bein 4, bei älteren Kindern 6 Wochen in Gipsverband 
gelegt wurde, wodurch die Knochen eine gewisse Weichheit erlangen. Nun 
wird im Aetherrausch das Redressement vorgenommen. Zeigt sich aber 
bei der in der Narkose versuchten Geradestellung ein Widerstand, so 
wird zunächst nochmals ein Gipsverband für 2—4 Wochen angelegt. Dann 
ist meist eine ideale Korrektur selbst der schlimmsten Verkrümmungen 
möglich. Es wird hierauf wieder ein Gipsverband angelegt, der 4 Wochen 
liegen bleibt, um dann eine energische mediko-mechanische Nachbehand¬ 
lung zu beginnen. Nach weiteren 14 Tagen schließt sich eine Belastung 
des Beins in einfachen Schienenapparaten an, die ein halbes Jahr zu tragen 
sind. Die erzielten Erfolge veranlassen Ii., die Methode besonders bei 
älteren Kindern zum mindesten zu versuchen, bevor man die Osteoklase 
oder Osteotomie ausführt. Nur da, wo das Röntgenbild eine Sklerose des 
Knochens zeigt, kann allein die Osteotomie in Betracht kommen. 

F. Walther. 

Constantin (Marseille). Hörprüfung bei kleinen Kindern. (Arch. internal, 
de lar., 1911, Bd. 32, Nr. 1.) 

Oft wird man vor die Frage gestellt, ob ein Kind taub ist oder hört, 
das etwa mit 2 oder 3 Jahren nicht sprechen lernt. Die Beantwortung der 
Frage ist gar nicht leicht, die Technik der Untersuchung nicht jedem ge- 


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28 Referate und Besprechungen. 

läufig. Das Kind soll auf den Knien einer Hilfsperson gehalten werden,, 
die Ohren von den Haaren frei gemacht. Mit ungewohnten Gegenständen 
(Reflektor, elektrische Lämpchen) lenkt man seine Aufmerksamkeit ab. Hann 
spricht man hinter ihm, erst flüsternd, dann mit lauter Stimme Worte ver¬ 
schiedener Tonhöhe, sowie des Kindes eigenen Rufnamen. Dann hält man 
Stimmgabeln verschiedener Höhe ungesehen vor das Ohr, aber so, daß nicht 
etwa die taktile Empfindung der Vibration wahrgenommen werden kann. 
Auch Pfeifen jeder Art können zur Untersuchung dienen. Hört das Kind, 
so mall sich Freude oder Staunen in seinen Mienen, oder es dreht 
gar den Kopf nach der Seite des Tons. -— Prüfung der Schalleitung durch 
die Kopfknochen ist recht schwer. Die Uhr ist kaum brauchbar, oder 
höchstens, indem man eine gehende und eine stehende abwechselnd benutzt. 
Stimmgabeln kann man nur von a 1 aufwärts zur Untersuchung der Knochen¬ 
leitung verwenden, da tiefere ein Erschütterungsgefühl hervorrufen. Sie 
müssen auch erst in Ruhe, dann schwingend aufgesetzt werden. Mit all 
diesen Methoden und Kunstgriffen sind feinere quantitative Bestimmungein 
zwar nicht möglich, immerhin kann man bei genügender Geduld ein gutes, 
leidliches oder fehlendes Hörvermögen unterscheiden. Arth. Meyer-Berlin. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Tollens (Kiel), Über den Monobenzylester des Äthyien-Glykolls, das ßistin,. 
als Mittel gegen Krätze. (Deutscho medizinische Wochenschrift, Nr. 44, 1911.) 

Gegen Skabies verwandte Tollens das Ristin, den Monobenzylester des 
Aethylen-Glykolls, gemischt mit Glyzerin und Alkohol. (10 g Ristin, 25 g 
Alkohol, 5 g Glyzerin). Damit werden die Kranken binnen 24 Stunden 
dreimal eingeiieben, wozu etwa 100—150 g erforderlich sind. Ein Haut¬ 
reiz tritt darnach nicht auf, das Krätzeekzem verschlimmert sich nicht, 
Nierenschädigungen kamen nicht zur Beobachtung. Alle Fälle kamen zur 
Ausheilung und blieben rezidivfrei. Auf den Juckreiz wirkt das Mittel 
außerordentlich beruhigend. Da es geruchlos, unschädlich und sauber in 
der Anwendung ist, kann es T. nur empfehlen. F. Walther. 

Galewsky (Dresden), Uber Nebenwirkungen bei intravenösen Salvarsan- 
injektionen bedingt durch Kochsalzlösung. (Deutsche medizinische Wochen¬ 
schrift, Nr. 38, 1911.) 

Die nach intravenösen Salvarsaninjektionen häufig beobachteten Stö¬ 
rungen, die in Arsenzoster, Darmkoliken, Erbrechen, heftigem Durstgefühl 
bestehen, glaubt Galewsky darauf zurückfüliren zu müssen, daß die Koch¬ 
salzlösung nicht absolut keimfrei gewesen ist. Er fordert daheir eine völlig 
keimfreie Lösung, dre stets frisch zubereitet werden muß und nicht, wiedem 
aufgekocht werden darf. Daß eine geringere Konzentration der Lösung 
die Schuld an den genannten Störungen tragen könnte, wie andere Autoren 
annehmen, hält er nicht für wahrscheinlich. F. Walther. 

Lc Double (Tours), Zum Alter der Syphilis. (Gazette m6d. de Paris, 
Nr. 110, S. 282. 1911.) 

Der Professor von Tours geht von der These aus, daß die Affen der 
neuen Welt refraktär seien gegen die Syphilis-Impfung, während bei jenen 
der alten Welt die Impfungen glücken. Er nimmt diese Unempfänglichkeit 
der amerikanischen Affen als Beweis einer fortgesetzten Vakzination mit 
dem Syphiliserreger, welche im Laufe der Jahrhunderte eben die Immuni¬ 
tät zur Folge gehabt habe. Umgekehrt beweist die Impfbarkeit der Affen 
der alten Welt, daß für sie das Contagium etwas Neues sei, daß mithin Europa 
die Spirochaeta pallida erst dem Christoph Kolumbus verdanke. 

Überraschend ist diese Beweisführung ohne Zweifel, ob aber auch richtig? 

Buttersack-Berlin. 

Rocaz, Thyreoidea bei Ekzemen. (Gaz.m6d.de Paris, Nr. 110, S. 281. 1911.) 

Nach dem Vorgang von Moussous 1904 hat Rocaz nicht bloß Er¬ 
wachsenen, sondern auch Säuglingen Thyroi'din gegen Ekzeme aller Art 



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Referate und Besprechungen. 


29 


gegeben und davon ausgezeichnete Resultate gesehen, wenn die Dermatosen 
auf „arthritischer“ Basis beruhten und nicht durch Autointoxikationen vom 
Darm aus bedingt waren. (Behufs Ergründung der Ätiologie empfiehlt es 
sich, nicht bloß den Säugling genau anzusehen, sondern auch seine Eltern.) 
R. gibt das Schilddrüsen-Prinzip in Form von Thyroi'din 0,05 g pro die in 
etwas Wasser gelöst; nach einigen Tagen steigt er auf 0,1 g. Mohr sei 
— bei Säuglingen — kaum je erforderlich. Nebenwirkungen hat er nicht 
beobachtet. Buttersack-Berlin. 

VVidal F. u. Welll A., Pruritus bei Morbus Brighti. (Gazetto med. de 
Paris Nr. 113, S. 308. 1911.) 

Über die Ätiologie der Dermatosen, speziell de.s Pruritus, wissen wir 
verhältnismäßig wenig. Die beiden Kliniker führen die Affektiou auf auto¬ 
toxische Prozesse zurück, welche zumeist von den Nieren ausgehen. Haupt¬ 
sächlich sind es stickstoffhaltige Körper, daneben aber auch Kochsalz, 
welche die fatalen Beschwerden hervorrufen. Eine geeignete Diät und 
Therapie, ev. eine Lumbalpunktion, beseitigen den Pruritus. 

Buttersack-Berlin. 


Medikamentöse Therapie. 

Möllers u. Heinemann (Rudolf Virchow-Krankenhaus), Über die stomachale 
Anwendung von Tuberkulinpräparaten. (Deutsche medizinische Wochenschrift, 
Nr. 40, 1911.) 

Auf Grund zahlreicher tierexperimenteller Erfahrungen, sowie von Ver¬ 
suchen am Menschen kommen Möllers und Heinemann zu folgenden Schlu߬ 
sätzen: 

1. Es ist praktisch möglich, das Tuberkulin in Kapseln zu reichen, 
die zwar der Verdauung des Magensaftes widerstehen, aber unter Wirkung 
des Darmsaftes zur Auflösung gebracht werden. 

2. Unter dem Einfluss des Pepsins und Trypsins wird die spezilisch 
wirksame Substanz des Tuberkulins stark geschädigt. Diese Schädigung 
läßt sich experimentell nachweisen durch den Ausfall 

a) der Pirquetschen Reaktion, 
l>) des Meerschweinchenversuchs, 

e) der Komplementbindungsmethode nacli Bordet und Gengou. 

3. Selbst hochgradig tuberkulinempfindliche Menschen haben bei sto- 
machaler Verabreichung Dosen bis zu 1000 mg Alttuberkulin und 100 mg 
Bazillensubstanz in den meisten Fällen ohne jede Fieber- oder sonstige 
Allgemeinreaktion wie ohne Hei (Reaktion vertragen. 

4. Auch bei den mit hohen Tuberkulindosen stomachal behandelten 
Patienten läßt sich eine Tuberkulinimmunität nicht nachweisen, und zwar 
weder durch Auftreten von Antikörpern im Blutserum, noch durch Ver¬ 
schwinden der Pirquetschen Reaktion noch dnreh Herabsetzung der Re¬ 
aktionsfähigkeit gegen subkutan gegebene kleine Tuberkulindosen. 

5. Für diagnostische Zwecke ist die innerliche Tuberkulinbehandlung 
wegen ihrer unsicheren Wirkung vollkommen ungeeignet. 

Therapeutisch schadet die stomachale Verabreichung von Tuberkulin 
zwar nicht, ist aber wegen der Abschwächung der spezifischen Substanz 
durch die Verdauung, wegen der mangelnden Resorption und der un¬ 
sicheren Dosierung gleichfalls abzulehnen. Die stomachale Verabreichung 
von Tuberkulinpräparaten ist daher weder zu diagnostischen noch zu 
therapeutischen Zwecken geeignet, die subkutane Therapie zu ersetzen. 

F. Walther, 

Juliusburger (Steglitz), Adalin bei Entziehung von Morphium und Alkohol. 
{Deutsche medizinische Wochenschrift, Nr. 43, 1911.) 

Bei Morphium- und Alkoholentziehungskuren bedient sich' Juliusburger 
des Adalins in Verbindung mit Trional. Damit konnte er in 2—3 Tagen 
das Morphium entziehen, wobei außerdem noch Bettruhe und prolongierte 
warme Bäder in Anwendung kommen. Vor allem die Unruhezustände und 
•quälenden Organgefühle wurden dadurch gemildert. Die Kombination mit 


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30 Referate und Besprechungen. 

Trional oder einem ähnlichen Mittel war gegen die hartnäckige Schlaf¬ 
losigkeit sehr zweckmäßig. 

I!ei der Alkoholentziehung gibt er von vornherein Digalen. Gegen 
die Angst- und Unruhezustände leistete das Adalin gute Dienste. 

F. Walther. 

Bei der Behandlung der traumatischen Erosionen der Cornea ist nach 
Foulard erstes Vorbeding ein aseptisches Anaesthetikum, da meist die 
spätere gefährliche Wendung dieser Wunden von nicht aseptischen Anaeste- 
tizis kommt. Er halt sich deshalb Ampullen mit 4 % Kokainlösung, die er 
mit ausgekochter Pravarspritze einträufdt. Dann wäscht er das anaesthe- 
tischo Auge mit etwas Watte mit 0,1:500,0 Hg-cyanur und leg. 
für 2 Tage einen Occlusivverband darüber. (Bull, gener. ther. 191.1, 7.) 

v. Schnizer-Höxtcr. 


Physikalisch-diätetische Therapie. 

V. Chlumsky (Krakau), Über die elektrische Durchwärmung (Diathermie). 
(Wiener klin. Rundschau, Nr. 45, 1910.) 

Als Diathermie, Transthermie, Thermopenetration, oder 
D u r c h w ii r m ung bezeichnen wir die Anwendung von hochge¬ 
spannten elektrischen Strömen mit zusammengedrängten 
Schwingungsgru p p e n, die im Körper nicht mehr die Empfindung 
eines elektrischen Stromes, sondern die Empfindung flüssiger Wärme er¬ 
zeugen. Die Elektrizität verändert sich im Körper in 
W ä r m e, indem sie die Gewebe gleichsam wie den Faden einer elektrischen 
Lampe erhitzt. Die Entdeckung dieser Tatsache stammt von Z e y n e k, 
der seine Beobachtungen im Jahre 1898 angestellt hat. — Das Anwendungs¬ 
gebiet der • neuen Methode erscheint, wenn man bedenkt, wie viel wir 
mit der Wärme schon auf der Oberfläche des Körpers ausrichten können, 
als ein sehr ausgedehntes: Ablagerungen von Salzen in den Gelenken, 
großen Drüsen und Gefäßen, Verwachsungen nach Entzündungen, Ver¬ 
steifungen, Stauungen und vielleicht auch Steinbildungen lassen sich mit 
der in die Tiefe dringenden Wärme angreifen. Indessen betont der Ver¬ 
fasser mit bemerkenswertem Freimute, daß er neben ausgezeichneten Er¬ 
folgen auch zuweilen Enttäuschungen erlebt habe. — Immerhin haben wir 
hier ein Heilverfahren an der Hand, das weitere Prüfung verdient. Daß 
Vorsicht dabei notwendig ist, weil ein starker und sehr hochgespannter 
Strom zur Anwendung kommt, daß kleine Verbrennungen nicht ausbleiben 
werden, bevor die nötige Übung erworben ist, braucht nicht weiter hervor¬ 
gehoben zu werden. Der Verfasser schließt deshalb seinen Aufsatz mit 
den Worten: „Ich mache die Herrn Kollegen auf dieses Heilmittel auf¬ 
merksam und bitte es zu prüfen.“ Steyerthal-Kleinen. 


Allgemeines. 

Boruttau, II. (Berlin-Grunewald), Leib und Seele. Grundzüge der Phy¬ 
siologie dos Nervensystems und der physiologischen Psychologie. Heft 92 von: 
Wissenschaft und Bildung. (1911. Quelle u. Meyer. Leipzig. 138 S. M. 1.25.) 

Philosophisches Denken, das Bestreben dem Zusammenhang der Erschei¬ 
nungen nachzuforschen, ist heute nicht gerade modern. Der Durchschnitts¬ 
mensch genießt den Augenblick, d. h. er registriert mit Lust oder Unlust 
die verschiedenen Ereignisse, erklärt Austern und Sekt für gut, manche 
sezessionistische Bilder für scheußlich; aber wie er eigentlich zu seinen 
Urteilen kommt, welchen Platz er selber im Kreislauf der Dinge einnimmt, 
darüber denkt er kaum nach, ja, er ist sogar geneigt, solche Versuche zu 
belächeln. Freilich, man kann das dem Zeitgenossen nicht verübeln. Die 
angeschnittenen Fragen sind schließlich doch recht kompliziert und wego- 
kundige Führer in dieses Gebiet selten. Da darf ge-wiß auf das vor¬ 
liegende Büchelchen aufmerksam gemacht werden. Es führt den Mediziner 
aus dem ihm geläufigen Reich der Histiologie des Nervensystems spielend 



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Bücherschau. 


31 


in das der Empfindungen und Vorstellungen, und weil man hier noch experi¬ 
mentieren kann, so fühlt sich der naturwissenschaftliche Leser auch auf 
diesem vorgeschobenen Posten noch ganz sicher und heimisch. Aber indem 
er nun die Ergebnisse der psychologischen Experimente, der Intelligenz¬ 
prüfungen verarbeiten soll, indem er sich vor den Vergleich der Menschen- 
und der Tierseele gestellt sieht und die Entwicklung des Denkens beim 
Kinde verfolgt, tauchen auf einmal die letzten Fragen dev Philosophie auf, 
jene über das Verhältnis zwischen Physischem und Psychischem. Das Buch 
ist durchweg mit bewunderungswürdigem Geschick und fesselnd geschrieben, 
aber in seinem letzten Kapitel steigert sich die Spannung beinahe zu dramati¬ 
scher Höhe, wenn dis verschiedenen Versuche der einzelnen Epochen darge- 
stellt werden, das Körperliche und das Geistige zu vereinen, und wenn 
schließlich die idealistische Weltanschauung siegt. 

Als Gegengewicht gegen die übliche Zeitschriftenlektüre, wie zur Hebung 
des geistigen Niveaus kann das kleine Buch warm empfohlen werden. 

Buttersack-Berlin. 

In L e y s i n ist in diesem Sommer Dr. Exchaquet gestorben. Zwar 
ist er in der internationalen medizinischen Welt wenig hervorgetreten, hat keine 
Vorträge gehalten und keine gelehrten Arbeiten geschrieben, und trotzdem 
herrscht aufrichtiger Schmerz über seinen Verlust, weil er ein Charakter 
war. „Er ließ sich,“ rühmt ein Nekrolog, „nicht von übertriebener Be¬ 
geisterung für irgend ein neues Heilmittel hinreißen. Seinem vorsichtig- 
reservierten Denken in therapeutischen Dingen entsprach es mehr, zunächst 
einmal eine neue Idee, eine neue Methode sich erproben zu lassen, ehe 
er sich damit einließ. Er war vor allem Kliniker und Beobachter; er 
besaß in hohem Grade jenen klinischen Sinn, welchen die alten Ärzte mit 
Fleiß und Eifer erstrebten und den wir heutigen allzusehr hinter sog. objekti¬ 
ven Methoden zurücktreten lassen, welche nur scheinbar wissenschaftlicher 
sind. Exchaquet hatte einen guten, sicheren und schnellen Blick. Er 
erfaßte den Zustand seines Patienten sofort und verlor sich nicht in über¬ 
flüssigen Nebensächlichkeiten; sein zuverlässiges klinisches Urteil und seine 
erprobten Ratschläge nützten den Kranken mehr als viele Drogen und Re¬ 
zepte. Exchaquet war mehr als ein guter Doktor: er war ein guter 
Mensch und ein vornehmer Charakter.“ (Revue medicale de la Suisse romando 
1911. S. 655—658). 

Fürwahr, das ist ein schöner Nachruf, erstrebenswerter als so manche > 
„Brimborium“ (Voltaire), wonach leider! gar zu viele geizen. 

Buttersack-Berlin. 


Dücherschau. 

B -nario, J. über Neurorezidive nach Salvarsan- und Quecksilberbehandlung. Ein 

Beitrag zur Lehre von der Frühsyphilis des Gehirns. Mit einem Vorwort von Wirkl. 
Geh. Rat Dr. Ehrlich. Mit 1 Tafel und 5 Figuren im Text. 195 Seiten. Preis geh. M. 7.—. 
München 1911. Verlag von G. F. Lehmann. 

Kinkelstein, H. Lehrbuch der Säuglingskrankheilen. Zweite Hälfte, Abteilung II. 
Preis M 4.—. Berlin 1911. Verlag von Fischers med. Buchhandlung, H. Kornfeld. 

Jessner, 8. Juckende Hautleiden. Vierte umgeaibeitete Auflage. 120 Seiten. Preis 
M. 2.—. Würzburg 1911. Verlag von Curt Kabitzseh. 

Knoll. Pharmaka. 373 Seiten. Ludwigshafen 1911. Knoll & Co. 

Kuhn, E. Die Lungensaugmaske in Theorie und Praxis. Physikalische Behand¬ 
lung von Lungenkrankheiten. Blutarmut, Keuchhusten, Asthma, Kreislaufstörungen und 
Schlaflosigkeit. Zusammenfassende Ergebnisse aus Literatur und Praxis. Mit 24 Abbild, 
im Text. 34 Seiten, Preis M 1.—. Berlin 1911. Verlag von Julius Springer. 

Lichtwitz, A. über die Anwendung der Hyperämie als Heilmittel in der Zahnheil¬ 
kunde mit besonderer Berücksichtigung einer neuen Methode. Aus der Sammlung von Vor¬ 
trägen aus dem Gebieto der Zahnheilkunde. 7. Heft. 40 Seiten, Preis M. 1.—. Leipzig 
1911. Verlag der Dykschen Buchhandlung. 


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32 


Bücherschau. 


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Salzer, Fr. Diagnose und Fehldiagnose von (iehirnerkranknn^en aus der Papilla 
nervi optici. Mit 29 Abbildungen auf 2 farbigen Tafeln. 18 Seiten. Preis M. 1.50. München 
1911. Verlag von J. F. Lehmann. 

Selieffer, V. Wirkungsweise und Gebrauch des Mikroskopes und seiner Hitfsappa- 
rate. Mit 89 Abbildungen im Text und 3 Blendenblättcrn. 116 Seiten. Preis M. 2.40. 
Leipzig-Berlin 1911. Verlag von B. G. Teubner. 

Stettner, E. über t'aissonkrankheiten mit pathologisch-anatomischer Beschreibung 
eines Falles. Aus den Würzburger Abhandlungen. Einzelpreis M. 0.85. Würzburg 1911. 
Verlag von Kabitzseh. 

Sternberg. Dr. W\ (Berlin), .Spezialarzt für Ernährungstherapie Diät und 
Küche. (Einführung in die angewandte Ernährungstherapie. Würzburg. Kurt 
Kabitzseh. 1911. 5 M. 188 S. 

in 3 Absch litten wird behandelt zunächst die menszi liehe Nahrung 

und die menschliche Ernährung, Bezeichnung und Begriff von Diät (das rohe 
Lebensmittel) und Küche (das fertige Endprodukt der Garküche, übertragen 
auch die Summe v.on Diät mitsamt dem der Küche zukommenden .Teil). 

Dann wird Diät und Küche besprochen hinsichtlich ihrer Leistungs¬ 
grenzen, ihrer objektiven und subjektiven Faktor ela, objektiver Nahrungs¬ 
bedarf und subjektives Nahrungsbedürfnis, dann die Leistung von Diät und 
Küche (Stoffwechsel, Behandlung und Ernährung), endlich Diät und Küche 
in den Wissenschaften. 

Den Schluß bildet Diät und Küche in der Therapie. 

Ein eigenartiges Buch, das entschieden Neues bringt. Aber Verf. bleibt 
seiner eigenen Li hre nicht trel i, indem er das Neue, das Interessenten 
selbst nachlesen müssen, nicht gerade so serviert, daß es den Appetit an¬ 
regt. Einmai stellt er das eigene Ich allzuhäufig in den Vordergrund und dann 
sind die vielfach an Angriffe gegen die Univco-sitätsprofessoren allzu oft, 
fast in derselben Form wiederholt. v. Schnizer-Höxter. 

KnolPs Pharmaka. 

Zur Feier ihres 25 jährigen Bestehens hat die Firma in einem I’racht- 
band eingehende Berichte über die von ihr in den Handel gebrachten Prä¬ 
parate erscheinen lassen. Besser alä weitschweifige Worte bringen die Na¬ 
men dieser Präparate die Bedeutung der Firma zum Ausdruck: Anthrasol, 
Arsen-Triferrin, Bromural, Digipuratum, Diuretin, Eugallol, Ichthalbin, Jo- 
diyal, Kode'in-Tabhtten, Lenigallol, Santyl, Tannalbin i:sw. sind Worte, die 
in der ganzen Kulturwelt einen guten Klang haben. 

Für fast die meisten Indikationen findet der Arzt dai’in Rat, und da in 
bestimmten Zeiträumen Nachträge erscheinen sollen, so entsteht ein jeweils 
auf der Höhe der Zeit stehender zuverlässiger Ratgeber, den jeder um so 
mehr schätzen wird, je mehr er von Anpreisungen aller Art überschüttet 
wird. Buttersack-Berlin. 


Notizen. 


Der 33. Baineologenkongreß wird Anfang März 1912 unter dem 
Vorsitze von Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Brieger in Berlin tagen. Anmeldungen 
von Vorträgen und Anträgen sind zu richten an den Generalsekretär der 
Baineologischen Gesellschaft, Geh. San.-Rat Dr. Brock, Berlin, Thomasius- 
straße 24. 

Die höchste Auszeichnung, der Staatspreis, wurde auf der Hygiene-Aus¬ 
stellung in Dresden der Reiniger, Gebbert u. Schall A.-G. Berlin, Stammhaus 
Erlangen, für ihre Röntgen- und elektromedizinischen Apparate verliehen. 


Druck von Julius Beltz, Hof buch dr ucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912. 


fortscbritte der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hertiusgegeben von 

Prof. Dr. 0. Köster Prio.«Doz. Dr. u. Erlegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


€rsd>elnt wöchentlich jum preise von 8 Olarh für bas 
Mr O Balbjahr. 

I Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 


11. Januar 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Stillfähigkeit und Psychiatrie. 

Von Dr. med. Eisenstadt. 

Die Frage der Stillfähigkeit wurde am 28. Juni 1911 in der Berliner 
medizinischen Gesellschaft erörtert. Dabei förderten sowohl die Referate 
(Franz und H e u b n e r) als auch die Diskussion Tatsachen zutage, 
welche die Anhänger der Bunge sehen Theorie (Aerztl. Sachverst.-Ztg. 
1909, Nr. 16/17) mit bestem Danke annehmen können. Es handelt sich 
um folgende Beobachtungen (Vergl. Berl. klin. Wochenschr., 28/1911): 

I. Während dieStiillust sich in den letzten Jahren gebessert hat, so 
fand Franz doch gerade bei Arztfrauen die meisten Schwierigkeiten 
hinsichtlich des Selbststillens, „die nicht immer überwunden worden 
sind“. Ich glaube, dass die Arztfrauen ganz entschieden gegen eine 
etwaige Behauptung, sie seien wenig zum Selbststillen geneigt, in Schutz 
genommen werden müssen. Einmal haben sie Zeit zur Kinderpflege und 
brauchen sich nicht ihren Säuglingen wie etwa die Kaufmannsfrauen, die 
ini Geschäft des Mannes mithelfen müssen, zu entziehen. Zweitens wird 
der Wert der Brustnahrung gerade von den Arztfrauen geschätzt, 
denen nur zu oft Kinder mit mannigfachen Infektionskrankheiten in die 
Wohnung gebracht werden. Es muss also weniger Stillunlust als Still¬ 
unfähigkeit hei ihnen verbreitet sein. 

II. Nach der Herkunft der Ehefrauen und ledigen Mütter müssten 
ganz selbstverständlich 100 Proz. der Wöchnerinnen in Geburtshilflichen 
Kliniken und Hebammenlehranstalten mindestens im Wochenbett stillen 
können. Denn diese aus einer unbemittelten Bevölkerungsschicht stam¬ 
menden Frauen sind doch gewiss oder wahrscheinlich von ihren Müttern 
noch zu 100 Proz. gestillt werden. Und ganz sicher müsste dieser Pro¬ 
zentsatz für Berlin mit dem starken Einschlag des gut stillfähigen sla¬ 
wischen Volkselements gelten. In der Tat hat auch Franz sowohl in 
Jena, Kiel als auch Berlin diese ausserordentlich agitatorische Zahl er¬ 
reichen können. Ob aber die kleinen Zahlen für Tübingen (79,0 Proz.), 
Zürich (66,0—70,0), Basel (25,3 Proz) lediglich durch mangelndes Inter¬ 
esse der betreffenden Geburtshelfer zustande gekommen sind, erscheint 
doch zweifelhaft. Sobald aber trotz der grössten Bemühung diese 100 
Prozent nicht erreicht werden, hat man keine Berechtigung mehr zu der 
Behauptung, dass es eine physiologische Stillunfähigkeit nicht gibt. 

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Uebrigens widersprechen sich hier Franz und H e u b n e r. Nach 
Franz sind Fälle von absoluter Stillunfähigkeit enorm s e 1 t e n; 
nach H e u b n e r ist die Stillfähigkeit während der ersten Monate bei 
der grössten Zahl der Frauen in physiologischer Weise vorhanden. 

Es ist ausserordentlich wichtig darauf hinzuweisen, dass wenn in 
den Entbindungsanstalten nur 95 oder 90 Proz. selbststillende Wöchne¬ 
rinnen zu erreichen sind, diese Differenz, dieses Zuriickhleihen unter den 
Forderungen Heubners und Franz’ nicht sehr gering, sondern über¬ 
mässig gross anzuschlagen ist. 

Denn in den Entbindungsanstalten ist nicht nur eine dauernde Be¬ 
aufsichtigung des Stillgeschäftes möglich, sondern auch die Auslese dieser 
Frauen ist dem Stillen günstig, weil dieselben wahrscheinlich von still- 
fähigen Müttern stammen. Dagegen ist ein beträchtlicher Teil der Mütter, 
welche die privaten Aerzte behandeln, schon überhaupt nicht 
mehr gestillt, sondern mit der F I asc h e aufgezogen 
worden. Wenn also in dem Säuglingsheim, dessen Berichte H eub- 
n e r vorführt, >/, der aufgenommenen Frauen nicht imstande war, drei 
Monate lang zu nähren, in Berlin aber nach der Volkszählung von 1905 
ein Drittel der Mütter nicht gestillt hat, so wäre es ganz verkehrt, daraus 
einen Vergleich zu ziehen, zwischen den tüchtigen Anstaltsärzten und den 
böswilligen Privatärzten. Heubner hält es auch für fraglich, ob die 
in der Anstalt gewonnenen Erfahrungen auf die Gesamtbevölkerung über¬ 
tragbar sind. 

III. Dass eben nur in der Privatpraxis die schweren und allerschwer¬ 
sten Fälle von Stillunfähigkeit zu sehen sind, dafür sprechen die Beob¬ 
achtungen von dem häufigen Vorkommen der Mastitis in der Privat¬ 
praxis im Gegensatz zu deren Seltenheit in der Anstalt. F i n k e 1 - 
stein führt hierzu aus: „Ich kann die Zahl der schweren Mastitiden in 
den 11 Jahren meiner Anstaltserfahrung an den Fingern abzähien, ob¬ 
wohl wir ständig 25 Ammen beschäftigen. In der Privatpraxis ist die 
Zahl erschreckend gross. Das wird mir von allen Kollegen bestätigt.“ 

Zu diesem Punkte teilt auch L. Landau seine Erfahrungen mit. 
Er verbietet das Nähren überall da, wo auch nur ein Furunkel bei einer 
Gebärenden zu entdecken ist. Es kommen sonst durch £chte Staphylo¬ 
kokkeninfektionen Mastitiden von äusserster Hartnäckigkeit und pro¬ 
trahierter Dauer zustande; diese heilen nicht nach einer einzigen Inzision* 
sondern es bilden sich in der Brust immer neue Herde, die wiederholte 
Eingriffe erfordern. Nach Finkeistein ist die Aetiologie dieser in 
der Privatpraxis so häufig auftretenden Mastitis erstens darin zu suchen* 
dass „diejungen Mütter fast den ganzenTagStillversuche machen müssen, 
anstatt regelmässig nur 5—6 mal am Tage eine mässigc Zahl von Minuten 
anzulegen. Vielleicht kommt es dadurch zur Mazeration der Warzen.“ 
Zweitens meint er, wird zuviel desinfiziert, man ist zu reinlich. In der-An¬ 
stalt werden die Brüste weder vor dem Trinken abgewaschen noch mit 
Alkohol desinfiziert. 

Hier muss man über den Wechsel der Krankheitsbilder und Krank¬ 
heitsanschauungen sich wundern. Vor einigen Jahrzenten war die 
eitrige Mastitis gar nicht so lebensgefährlich, die Frauen legten verschie¬ 
dene nicht aseptische Sachen auf und hatten den Erfolg, dass das „Ge¬ 
schwür von selbst aufging“. Es muss wohl damals die zikrumskripte Form 
der Mastitis vorgeherrscht haben. Früher lernten wir, dass Sauberhalten 
und Desinfizieren das beste Mittel zur Verhütung der Mastitis sei. Heute 
wird das für schädlich erklärt und soll die diffusen, lebensgefährlichen 



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•Stillfähigkeit und Psychiatrie. 35 

Mastitiden ^bewirken, die man jetzt in der Praxis öfter zu sehen 
bekommt! • 

Nach meiner Ansicht werden die Berliner Aerzte gut tun, die 
Anamnese genau nach der Anleitung des Physiologen von Bunge zu 
ermitteln, damit sie nicht in ihrer Privatpraxis durch schematische An¬ 
wendung der Stillpropaganda bösartige Mastitiden zu Gesicht bekommen. 
Die Anamnese erhebe man nicht bei der Wöchnerin, sondern beim Manne 
oder bei der Verwandtschaft. Fällt dieselbe ungünstig aus und ist die 
Menge der Nahrung gering, so ist mindestens die gemischte Ernährung 
des Säuglings indiziert. 

Beim ersten Auftreten lymphangitischer Stränge an der Brust, das 
ich schon nach 2 Tagen des Wochenbettes beobachten konnte, ist alles 
weitere Stillen streng zu verbieten. Wenn die Anamnese günstig ausfällt, 
ist das Weiternähren trotz sichtlich wrnnder Warzen ohne Desinfektion 
dringend anzuraten. 

Einstweilen besitzen wir noch keine Mütterheime, in welchen alle 
Mütter ohne Unterschied des Standes gezwungen sind, ihre Kinder selbst 
zwei Jahre zu stillen, soweit sie die Fähigkeit besitzen. Weder von einer 
gesetzlichen Verpflichtung, noch von Ermahnungen an die Aerzte, 
w r elche in solchen Dingen meist gar nicht um Rat gefragt werden, ist eine 
Verlängerung der Stillzeit zu erwarten. 

IV. Die von A s c h o f f betonten Schwierigkeiten der Ammen¬ 
wahl sind der beste Beweis dafür, dass gegenwärtig nichtmehr jede 
Fran stillen kann. Wenn der Säugling in der Gegenwart ein solcher Fein¬ 
schmecker geworden sein soll, dass er nicht mit jeder Amme zufrieden 
ist, wie liesse sich dann die Tatsache erklären, dass Säuglinge die Nahrung 
ihrer Grossmütter anstandslos genommen haben ? Wäre es in der Wirk¬ 
lichkeit so, wie Franz ausgeführt hat, dass alle Mütter stillfähig und 
die stillunfähigen enorm selten sind, so hätte man in der Praxis gar keine 
Schwierigkeiten in der Ammenwahl. Ja, die ledigen Mütter würden dann 
zu einem grossen Prozentsatz den Ammenberuf ergreifen, der doch in 
Berlin recht häufig mit 45—50 Mark monatlich gern bezahlt wird. Tat¬ 
sächlich ist aber bei diesen ledigen Müttern die Zahl der vermindert Still- 
fähigen, welche-Bunge zu den Stillunfähigen rechnet, enorm gross. 
Die physiologische Chemie hat uns noch keine Unterschiede in der Nah¬ 
rung stillfähiger und stillunfähiger Mütter gelehrt und die verschiedenen 
Typen, welche Heubner hinsichtlich der verringerten Ergiebigkeit 
aufstellt, sind recht interessant, dennoch bleibt das Gedeihen des 
Säuglings bisher der einzige Massstab für die Beurteilung der Güte der 
Muttermilch. Es gibt sowohl Ammen als auch Mütter, an deren Brust 
der Säugling nur vegetiert, ja sogar dauernd abnimmt, während noch so 
heruntergekommene Kinder die Nahrung einer voll stillfähigen Amme 
gern und mit bestem Erfolge nehmen. Es gibt Ammen, die bei der dürf¬ 
tigsten Ernährung hochwertige Muttermilch haben und andere, die trotz 
geeignetster ärztlich beaufsichtigter Verpflegung ein Fortschreiten der 
ihnen überwiesenen Kinder nicht erkennen lassen« Das sind Beobach¬ 
tungen, die nur durch die Annahme einer weit verbreiteten Verminderung 
der Stillfähigkeit zu erklären sind. 

Soweit die Tatsachen welche die erwähnten Verhandlungen zu 
Tage gefördert haben. Man pflegt die Bunge sehe Theorie dahin zu 
entstellen, dass sie lediglich zum Inhalte habe, der väterliche Alkoholismus 
sei die Ursache für die Stillunfähigkeit und führt dann dagegen an: jede 
Frau kann stillen und viele Töchter von Trinkern können stillen. Damit 

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hält man die Unhaltbarkeit dieser Theorie für erwiesen. Nun ist es 
allerdings auf den ersten Blick misslich, gegen den Alkoholismus als über¬ 
zeugter Abstinent zu Felde zu ziehen und zugleich den Alkoholismus in 
den Mittelpunkt ätiologischer Untersuchungen zu stellen, aber deshalb 
dem Vlkoholgegner die Fähigkeit der vorurteilsfreien Forschung abzuer¬ 
kennen, geht doch zu weit, ßung e erkannte auf Grund seiner Statistik 
die Stillunfähig!. Jt als eine Massenerscheinung und meinte, dass ein 
und dieselbe massenhaft auftretende Ursache, als welche sich die Zu¬ 
nahme der Syphilis oder des Alkoholismus darbot, hier wirken müsse. 
Aber wenn man seine Broschüre vollständig liest, muss man zugeben, 
dass die Annahme des väterlichen Alkoholismus als einer Ursache der 
Stillunfähigkeit nur e i n e n T e i 1 sei n e r T h e o r i e bildet. Es muss 
doch immer wieder betont werden, dass Bunge auf Grund seiner Er¬ 
hebungen über das Stillen zu einer Entartungstheorie gelangt. 
„Die Unfähigkeit zu stillen ist keine isolierte Erscheinung. Sie paart 
sich mit anderen Symptomen der Degeneration, insbesondere mit der 
Widerstandslosigkeit gegen Erkrankungen aller Art: an Tuberkulose, an 
Nervenleiden, an Zahnkaries.“ Da Bunge zu der Erkenntnis von der 
ursächlichen Bedeutung des Alkoholismus auf diesem Gebiete gelangt, so 
sprechen die Beobachtungen B I u h m s keineswegs gegen diese Theorie. 
Denn es ist ja bekannt, dass notorische Säufer nicht regelmässig idiotische 
Kinder erzeugen. Die Keimschädigung des Erzeugers durch Alkoholismus 
setzt im Gegensatz zur Erbsyphilis durchaus proteusartig wechselnde 
Konstitutionsschädigungen der Kinder. 

Es kann die Stillfähigkeit der Töchter von Alkoholikern voll er¬ 
halten und dennoch die angeborene Neigung zu Tuberkulose, Zahnkaries, 
Nervenleiden bei ihnen vorhanden sein. Sie gehören dann bereits in die 
Gruppe der vermindert Stillfähigen. Die voll stillfähigen Mütter hingegen 
sind tuberkulosefest, haben vorzügliche Zähne und eine normale Psyche. 

An diesem Punkte ist es Aufgabe des Psychiaters, an der Diskussion 
über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Bungeschen Theorie teilzu¬ 
nehmen. Die medizinische Statistik, sofern sie das jugendliche Alter be¬ 
trachtet, gibt ihr jedenfalls feste Stützen: Zunahme der Zahnverderbnis, 
der Tuberkulose und des Selbstmords im jugendlichen Alter, das zusam¬ 
men bestätigt die Richtigkeit dieser Entartungstheorie. 

Es fehlt aber noch der kasuistische, klinische Beweis. Vor allem ist 
es notwendig, mit Hilfe der Psychiatrie bezw. der Psychologie zu er¬ 
mitteln, wie beschaffen die Psyche voll stillfähiger Mütter ist bezw. sein 
muss, insbesondere, welche sozial- und sexualpsychische Eigenschaften 
sie haben. Sozialpsyche umschliesst die Mutterliebe, das psychische Ver¬ 
hältnis zu den nächsten Verwandten, zu den Standesgenossen, zur Ge¬ 
meinschaft im weiteren Sinne. Die Untersuchung dieser normalpsychi¬ 
schen Mütter ist notwendig, weil sowohl in sozial- als in sexualpsycholo- 
gischer Hinsicht die Erziehung einen weittragenden Einfluss hat. Diese 
Ausführungen mögen auch nur die Psychiater von Fach zur Weiterver¬ 
folgung des von Bunge entdeckten Problems anregen. Dasselbe hat 
in sozialhygienischer Beziehung eine hohe Bedeutung. Vielleicht gelingt 
es nämlich den Schulnervenärzten, durch eingehende Beobachtung die¬ 
jenigen Mädchen zu erkennen, welche voraussichtlich nach der künftigen 
Verheiratung voll stillfähige Mütter sein werden und so die Gattinnen¬ 
wahl zu beeinflussen. Zu diesem Zwecke halte ich auch die öffentliche 
Bekanntmachung der nach einem Jahre des Selbststillens mit Prämien 
belohnten Mütter für erforderlich. 



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Stillfähigkeit und Psychiatrie. 


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Während also bei den voll stillfähigen bezw. nur stillunlustigen 
Müttern keine abnormen psychischen Erscheinungen zu finden sind, 
müssten die vermindert stillfähigen und stillunfähigen Frauen bestimmte 
psychopathische Züge auf angeborener Grundlage zeigen. Was nun die 
Sexualpsyche betrifft, so ist es ja dem praktischen Arzt nur höchst selten 
vergönnt, in dieses Geheimnis Einblick zu erlangen. Ob die Aerzte noch 
mit der vor Jahren ausgesprochenen Anschauung eines anerkannten Ciy- 
näkologen, dass die deutschen Frauen in ihrer Majorität kühl sind, über- 
einstimmen, weiss ich nicht. 1 ) 

Merkwürdig bleibt es, wie 22 —24 Jahre alte Ehefrauen schon nach 
der Geburt des ersten Kindes mit der dauernden Anwendung der be¬ 
kannten Massnahmen zur Konzeptionsverhütung einverstanden sind. 
Sollten Erziehung und gesellschaftliche Rücksichten den angeboren nor¬ 
malen Geschlechtstrieb des Weibes völlig unterdrücken können oder ist 
bei diesen Frauen der Geschlechtstrieb von Hause aus pathologisch ver¬ 
ändert ? Fast neigt man zu dem letzteren Urteil, wenn man derartige, 
zugleich stillunfähige Frauen mit ihren kinderreichen, stillfähigen Müttern 
und Grossmüttern vergleicht. Ueber diese schwierige Frage — es ist ja 
auch zu erwägen, ob der Geschlechtstrieb des Mannes herabgesetzt ist — 
müssten die verheirateten praktizierenden Aerztinnen Nachfor¬ 
schungen anstellen. 

In sozial psychischer Beziehung hingegen ist das Vorkommen von 
Störungen der Mutterliebe bei stillunfähigen bezw. verminderten still¬ 
fähigen Müttern nicht zu bezweifeln. Diese bereits in meiner früheren 
Arbeit aufgestellte Behauptung hat A. B 1 u h m in ihrer Besprechung 
(Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie 1910, S. 650) durchaus zu¬ 
rückgewiesen. Hier möchte ich mir aber den Hinweis darauf erlauben, 
dass nach den Berichten der Zeitungen jetzt eine neue Art von Kindes¬ 
mörderinnen häufig zu werden beginnt. Zu dem bekannten Typus der 
ledigen Kindesmörderin (vergl. das entsprechende Gedicht Schillers), 
welche ihr Kind als die Ursache ihrer gesellschaftlichen Entwertung und 
Ausstossung beseitigt, kommen jetzt die Fälle, in welchen legitim 
verheiratete Frauen ihre eigenen Kinder umbringen. Als Motive 
finden sich in den Zeitungsberichten Eifersucht oder Reue über die Ehe¬ 
schliessung. W. Hanauer bemerkt in seinem Buche ,,Die soziale Hy¬ 
giene des Jugendalters“, Berlin 1911, Seite 13: ,.Lieblosigkeit und Un¬ 
verstand den Kindern gegenüber kann man allerdings auch in den besser 
situierten Kreisen antrefTen.“ Also stehen meine Beobachtungen nicht 
allein. 

Es muss den Aerzten ferner aulTallen, dass jetzt manche junge 
Ehefrauen mit ihrer jahrelangen Kinderlosigkeit durchaus zufrieden sind, 
und nicht, wie es bei früheren Frauengenerationen der Fall war, Zufrieden¬ 
heit simulieren, tatsächlich aber sich darüber tief unglücklich fühlen. 
Ich denke dabei nur an Ehefrauen, die sehr wohl in der Eage sind, die 
Kosten für Kuren bezw. gynäkologische Behandlung zu bestreiten. 

Solche Frauen fühlen sich vielmehr tief unglücklich, wenn das jahre¬ 
lange Keinkindsystem plötzlich ohne Behandlung durch eine Ko > eption 
unterbrochen wird. Zum Glück ist dieser Typus wohl selten g genüber 
den Frauen, die schon nach einjähriger Sterilität sich behandeln lassen. 

Hiernach gibt es doch wohl in der Praxis Frauen, denen die Eigen- 

fß 9 Vergl. die Beobachtungen O. A d 1 e r 8 (Die mangelhafte Oeschlechtse «plindung 
de« Weibes, Berlin 1911, "2. Aufl.). der die sexuelle Anästhesie bei 20—M) Proz. aller 
Frauen annimmt. 


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Eisenstadt, 


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schaft der Mütterlichkeit fehlt. Bei den voll stillfähigen Müttern strahlt 
die natürliche Mutterliebe in alle Handlungen aus, sie verstehen ohne Pä¬ 
dagogik ihre Kinder zu liehen oder zu strafen, sie nehmen Interesse auch 
an fremden Kindern. Bei den stillunfähigen und vermindert stillfähigen 
Müttern meiner Beobachtung steht entweder das leidende Ich dauernd 
im Vordergründe aller Sorgen und Handlungen, oder die leidenden Kin¬ 
der. Mit Recht werden die Sprösslinge der Einkind- und Zweikinderehen 
als Angstkinder bezeichnet, weil diesen Mütter die natürliche psychische 
Orientierung, welche die Grossmütter noch besassen, fehlt. Die natürliche 
Mutterliebe hält instinktiv die richtige Mitte zwischen Uehertreibung 
(Angst) oder Gleichgültigkeit in der Kindererziehung. 

Interessantes Material über die veränderten Beziehungen zwischen 
Mutter und Kind geben uns Mütter und Kinderärzte. „Ihre 2 Kinder 
machen ja mehr zu schaffen, als meine 4“, hört man wohl hier und da. 

In einem jüngst erschienenen Buche „Die Krankheiten des Kindes¬ 
alters“ führt .1. Ruhemann über die Hysterie (S. 364, 365) aus: 
„Das Auftreten der Hysterie vor der beginnenden Reifung lehrt, dass die 
so gern ursächlich in Anspruch genommene Sexualität, mag sie sich ab¬ 
norm früh entwickeln, mag sie sich in krankhafter Weise zeigen, keine 
beherrschende, auslösende Rolle spielt .... Weit eher spielen Fehler 
der Erziehung, Verpimpelung, Verweichlichung, zu grosse Aengstlichkeit, 
das Beispiel abnormen Launerwe 'isels bei den Eltern, äffische Ver¬ 
götterung der Kinder eine Rolle, fre iieh nur bei solchen, welche bereits, 
sei es durch Vererbung, sei es durch Veranlagung ein widerstandsloses 
Nervensystem haben, dessen hysterische Eigenart freilich ungeklärt ist. 
Bei dieser Auffassung ergeben sich eine Reihe vorbeugender Rat¬ 
schläge. . . . 

Man muss versuchen, nicht jedes Kind für ein Wunderding anzu¬ 
sehen und demgemäss nicht in allen seinen Betätigungen anzustaunen...: 
man muss versuchen, ihm gegenüber stets eine gleichmässige Laune zu 
bewahren, da das Verhimmeln, Abküssen, abwechselnd mit gleichgültigem 
Beiseiteschieben auch die Launenhaftigkeit bei dem Kinde erweckt. 
Gleichmässiges, gerechtes und wahrheitsliebendes Verhalten gegen dieses 
sei das erste Gebot; man denke daran, dass nicht selten eine gewisse Nei¬ 
gung zur Lüge den Hysterikern zu eigen wird; dieser von vornherein zu 
begegnen, möge beherzigt werden.“ Derselbe Autor meint im Kapitel 
Stickhusten (Seite 274, 275): „Aus Furcht Anfälle zu erregen, geben die 
Eltern den (erkrankten) Kindern in jeder Beziehung nach und üben so 
auf diese einen ungemein verwöhnenden Einfluss aus, der noch lange Zeit 
zu spüren ist. Der Keuchhusten verdirbt oft Moral und Charakter.“ 
Dass die Syphilis oft Moral und Charakter verdirbt, weil der Erkrankte 
sein Geheimnis stets zu verbergen sucht, ist den Aerzten bekannt: neu 
ist eine derartige Wirkung beim Keuchhusten. 

Es dürften wohl derartige auffallende psychische Beobachtungen 
bei Müttern und Kindern weniger auf falsche Erziehung, als auf einen 
vererbten Zusammenhang zurückzuführen sein. 

Um nun A. B 1 u h m und die übrigen Gegner der Bunge’schen 
Theorie weiter zu überzeugen, schlage ich folgenden Weg der Verständi¬ 
gung vor. Ich erkläre mich bereit, meine Schulfälle von Stillfähigkeit, 
verminderter Stillfähigkeit und Stillunfähigkeit einem Kollegium von 
Psychiatern, inneren bezw. Tuberkuloseärzten und Zahnärzten zwecks 
wiederholter Beobachtung und Begutachtung bekannt zu machen und 


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Stillfähigkeit und Psychiatrie. 39 

werde erst nach dem Endurteil meine Angaben über stattgehabte Stillung 
ihnen vorlegen. 

Indem so ein unparteiisches Kollegium über je 2, im ganzen über 
ti Fälle seine Meinung abgibt, wird für die kasuistische Erledigung der 
Frage der Stillfähigkeit und -Unfähigkeit ein Beispiel geschaffen. 

Es ist mir nun gelungen, drei Familien aufzutreiben, in welchen 
die älteste Tochter voll stillfähig, die jüngste vermindert stillfähig ist 
I. Die älteste Schwester der in meiner früheren Arbeit aufgeführten 
Amme, hat ihre sämtlichen 12 Kinder selbst gestillt. Sie ist über das 
Treiben der jüngsten Schwester entrüstet und wünscht keinesfalls deren 
Rückkehr ins Dorf. Diese jüngste Schwester hat sich nämlich im Dorfe 
jeden Abend herumgetrieben und mit allen jungen Männern zu tun ge¬ 
habt. In Berlin hatte sie gleichfalls mit mehreren Männern Verkehr, so 
dass der Vater ihres Kindes unermittelt blieb. Sie war eine vorzüglich 
stillende Amme, wie das Gedeihen des ihr anvertraute/i Kindes bewies. 
Dennoch war ihre Zahnkaries und schwere Hysterie auffällig. Ein Kol¬ 
lege, der sie in einem hysterischen Anfalle sah, meinte, solche Person sei 
zu nervös, um als Amme gebraucht werden zu können. Um ihr eigenes 
Kind kümmerte sie selbst sich so gut wie überhaupt nicht und hätte es 
am liebsten gesehen, wenn es gestorben wäre. Jedoch schmeichelte es sie, 
von der Pflegefrau zu hören dass der Junge schön sei und gut gedeihe. 
Nach Beendigung der Ammenzeit war ihre Verliebtheit nicht minder arg 
entwickelt als im Dorfe; mit jedem Manne, den sie als Dienstmädchen 
erblickte, suchte sie anzubändeln. Sie ist das jQngste Kind eines noto¬ 
rischen Säufers, der oft genug, betrunken auf der Strasse liegend, von 
den Dorfbewohnern aufgefunden w’urde. 

II. Die Schwestern G. stammen ebenfalls von einem notorischen 
Säufer ab. Die älteste Gl. und jüngste G2. (welche auch das jüngste Kind 
ist), unterscheiden sich äusserlich. Jene ist einen Kopf grösser als diese 
und hat trotz des höheren Alters noch gute Zähne, während die letztere 
trotz eines Alters von 25 Jahren auffallend viele Plomben und künstliche 
Zähne hat. G 2. hat einen deutlichen Habitus phthisicus. 

Nach der Geburt ihres zurzeit einzigen Kindes stellte sich ein drei 
Monate dauernder Husten ein, der von einigen Aerzten als Lungenspitzen¬ 
katarrh angesehen w r urde, aber wieder von selbst verschwand. Ueber ihre 
Libido habe ich nur Aussagen von ihrer Schwester, die sich wundert, 
dass sie mit dem Präservativverkehr und dem einen Kinde trotz 
der Vorliebe für Zoten zufrieden ist. Bei ihr, G. 1, sind die vorhan¬ 
denen 4 Kinder in den ersten 6 Jahren der Ehe geboren worden. G. 1 
hat sämtliche 4 Kinder, G. 2 auch ihr Kind -selbst lange gestillt. 

Wenn diese beiden Schwestern eine Frühehe geschlossen hätten, 
statt einer Spätehe, so würden wohl noch deren Töchter die Fähigkeit 
des Selbststillens besitzen, obwohl bei G. 2 vielleicht eine Disposition 
zu Tuberkulose besteht. 

A. B 1 u h m macht v. Bunge den Vorwurf, er habe bei der Auf¬ 
stellung seiner Hypothesen zu wenig daran gedacht, dass der Mensch 
zwei Eltern besitzt. Gewiss ist dieser Vorwurf nicht unberechtigt, denn 
wenn der Gatte einer wie eben gezeichneten vermindert still fähigen Frau 
bis zur Eheschliessung sich des Alkoholgenusses enthalten hat, und in 
der Ehe weiter enthält, so wäre es möglich, dass 20 Jahre später bei den 
Töchtern dieses Ehepaares die Fähigkeit Selbststillens erhalten bleibt 
und die Degenerationszeichen (Zahnverderbnis und Neigung zur Tuher- 


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Eisonstadt, 


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kulose) durch die Mischung mit den guten Keimanlagen des Vaters aus¬ 
getilgt werden. 

Für solche Ausnahmen würde von Bunges Satz: „Die Kinder 
werden ungenügend ernährt und so steigert sich die Entartung von Gene¬ 
ration zu Generation“, nicht zutroffen, es würde ja vielmehr hier eine 
Regeneration eintreten, was aber, wie gesagt, erst nach 20 Jahren ent¬ 
schieden werden kann. 

In der Praxis kommen aber diese Ausnahmen gar nicht in Betracht, 
so lange die Spätehe und die Trinksitten des spät heiratenden Mannes 
unausrottbar sind. Dadurch wird sowohl die Stillunfähigkeit als die 
übrigen Degenerationszeichen in der Tat von Generation zu Generation 
gesteigert. 

Folgende Aufzeichnung veranschaulicht diesen schnellen Wechsel. 
Das Kassenmitglied F. P. konsultierte mich am 1. Juni 1011 wegen Blut¬ 
armut bei Gravidität. Nach ihren Angaben war bei der Eheschliessung 
der Eltern ihr Vater, ein Arbeiter, 28 Jahre, ihre Mutter 20 Jahre alt. 
Sie hat 7 Geschwister, die sämtlich von der Mutter 12—14 Monate gestillt 
wurden. Sie selbst ist das älteste Kind, jetzt 22 Jahre alt und 3 Jahre 
verheiratet, hatte ihr erstes Kind, das gestorben ist, 11 Wochen genährt. 
Länger konnte sie das Nähren nicht fortsetzen, weil sie eine doppelseitige 
Brustdrüsenentzündung bekam. Ein ganzes Jahr brauchte sie, um von 
derselben im Krankenhause geheilt zu werden. Die Untersuchung ergibt 
an Herz und Lungen keinen krankhaften Befund, keinen Lungenspitzen¬ 
katarrh. Seit 10 Tagen leidet sie an Nachtschweissen. Es fehlen ihr 
6 Zähne, die zum Teil nach der Krankheit ausgefallen, zum Teil vom 
Zahnarzt gezogen worden sind. 

IH. Zwei Schwestern H. stammen von einem Vater, der als Rhein¬ 
länder nur massig Wein, Bier überhaupt nicht, getrunken haben soll. 
Die älteste Schwester H. 1 besitzt 4 Kinder, welche sie sämtlich lange 
genährt hat. Die jüngste, H. 2, zurzeit 36 Jahre alt, heiratete zu 30 
Jahren und hat 2 Kinder. Bei beiden versuchte sie, zu stillen. Aber länger 
als 2 Monate dauerte das nicht, weil die Nahrung trotz aller Bemühungen 
des Hausarztes von selbst versiegte. Gelegentlich einer Beratung für 
ihren an Koronarsklerose leidenden Mann, dem ich von einer ausschliess¬ 
lichen Benutzung des Präservativs bei der Schwere der Beschwerden 
abriet, erklärte sie, dass sie irgend welche Empfindung beim ehelichen 
Verkehr nicht habe und daher auch völlig enthaltsam leben könne. Ein 
anderes Mittel als das Präservativ käme für sie nicht in Betracht, da 
sie nur 2 Kinder — trotz ihrer Wohlhabenheit! — ernähren könnten. 
Ob hier die Herabsetzung der Libido auf äussere, erziehliche Einflüsse 
oder auf angeborener Grundlage beruht, vermag ich nicht zu entscheiden. 

Auf Grund weiterer Beobachtung muss ich erklären, dass ihre 
Mutterliebe mir durchaus simuliert zu sein scheint. Sie könne nicht, 
sagte sie ihrem Manne, mit einem Dienstmädchen auskommen, denn 
dann müsste sie selbst mit ihren Kindern Spazierengehen, und das 
wäre ihr gegenüber dem Gerede der Leute unerträglich. Von einer 
Neigung zur Tuberkulose kann ich bei ihr nichts finden. 

Bei diesen drei jüngsten Schwestern ist die Verstandestätigkeit als 
hochwertig zu bezeichnen. Die Defekte liegen in der Gefühlssphäre und 
sind im Bunde mit den Störungen der Stillfähigkeit meines Erachtens im 
Vergleich zu den ältesten Schwestern ein offenkundiger Beweis für das 
Bunge sehe Gesetz, mindestens fordern diese Beobachtungen zu 
weiteren auf. 


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Stillfähigkeit und Psychiatrie. 


41 


Diese Unterschiede zwischen ältester und jüngster Schwester wer¬ 
den die Rassehygieniker geneigt sein, auf die Altersverschiedenheit des 
Vaters hei deren Erzeugung zu schieben; verlangen ja manche, die 
Kindererzeugung nach dem 50. Lebensjahre zu verbieten. Es ist mir aber 
ein Fall bekannt, in welchem eine voll stillfähige Mutter aus einer Ehe 
stammt, in welcher der Gatte 55, die Gattin 32 Jahre alt bei der Ehe¬ 
schliessung waren. Man muss vielmehr daran denken, dass mit dem 
höheren Alter auch die Summe des genossenen Alkohols steigt. Inter¬ 
essant ist hier, dass der bekannte Tuberkuloseforscher B r e h m e r unter 
500 seiner Görbersdorfer Patienten auffallend viel Sechst- und später Ge¬ 
borene fand. (Zitiert nach A. P 1 o e t z, Ziele und Aufgaben der Rassen¬ 
hygiene. Sonderabdruck aus dem Bericht des Deutschen Vereins für 
öffentliche Gesundheitspflege über die XXXV. Tagung dieses Vereins 
Seite 16.) 

Das Nichtstillen an sich vermag die natürliche Mütterlichkeit der 
Vollstillfähigen nicht herabzusetzen, das konnte ich dreimal beobachten. 

Hier ist auch folgendes Erlebnis mitzuteilen. Eine voll stillfähige 
Mutter, die auf meinen Wunsch l 1 /« Jahre ihr zweites Kind gestillt hat, 
gab dem ersten Kinde auf Anraten ihres früheren Arztes nicht die Brust, 
sondern ausschliesslich Backhausmilch ein ganzes Jahr. Das Kind gedieh 
dabei gut, zeigte nie Verdauungsstörungen, bekam' auch während der 
Sommerhitze in der Grossstadt keinen Darmkatarrh. Dagegen gab eine 
absolut stillunfähige Mutter, die bei ihren beiden Kindern 8 Tage er¬ 
folglose Stillversuche gemacht hat, dem ersten Kinde auch vom ersten 
Tage an Backhausmilch. Es trat nach vier Wochen ein mit schwerer 
Abmagerung verbundener Darmkatarrh auf, so dass ein zugezogener be¬ 
kannter Kinderarzt in der sofort eingeleiteten Ammenernährung die 
einzige Möglichkeit das Kind zu retten erblickte. Er meinte die Er¬ 
krankung darauf zurückführen zu müssen, dass die Backhausmilch nicht 
immer garantiert frisch sei. Offenbar aber waren die angeborenen Fähig¬ 
keiten der Verdauung bei beiden Kindern infolge ihrer verschiedenen 
Abstammung verschieden, so dass der erstere Säugling diese Kuhmilch 
anstandslos vertragen hat. 

Der Grund des Nichtstillens ist nicht immer, wie man infolge der 
jetzt üblichen Propaganda anzunehmen geneigt ist, Unlust der Frau. 
Oft sieht auch der Mann, ohne genügende Rücksicht auf das Wohlergehen 
der Kinder — in völliger Unwissenheit über die Bedeutung natürlicher 
Säuglingsernährung — um die Schönheit der Frau zu erhalten, oder sie 
nicht anzustrengen, diese Betätigung der Gattin ungern, oder es sind zu¬ 
fällige Krankheiten, Hohlwarzen, oder auch durch berufliche Verhält¬ 
nisse bedingte Hindernisse nach Ansicht des Gatten oder der Gattin vor¬ 
handen. Ohne Zwang lässt sich M a y e t s berechtigte und aus demo¬ 
graphischen Beobachtungen hergeleitete Forderung des langdauernden 
Selbststillens nicht durchführen. 

Die psychologische bezw. psychiatrische Beobachtung jeder ein¬ 
zelnen Mutter ist eine Aufgabe ärztlicher Gewissenhaftigkeit; die Ermit¬ 
telung derjenigen Mädchen, welche voraussichtlich in der Ehe vollstill¬ 
fähige Mütter sein werden, bildet die dringlichste Forderung der sozialen 
Hygiene. Ich bestreite nicht, dass die geistige Arbeitsfähigkeit der ver¬ 
mindert stillfähigen und stillunfähigen Ehegattinnen gut erhalten sein 
kann und dass diese ihre Verstandestätigkeit für die Erziehung der 
Kinder Gutes zu wirken vermag. Ja diese Erziehung ist vielleicht der¬ 
jenigen, welche die natürliche Mütterlichkeit instinktiv bewirkt, in man- 


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42 Eisenstadt, Stillfülligkeit und Psychiatrie. 

chen Stücken überlegen. Allein es liegt die Gefahr vor, dass die gleich¬ 
zeitig vorhandene physische Minderwertigkeit der ersteren Gruppe der 
Nachkommenschaft weitergegeben und ihren Trägerinnen verderblich 
wird, wenn sie nicht die genügende Wohlhabenheit oder Rücksicht des 
Ehemannes für dauernde Pflege ihrer Gesundheit vorfinden. 

Ich kenne Mütter, die trotz ihrer Hämophilie, Kyphose, Herzfehler, 
Zuckerkrankheit, Basedow'sehen Krankheit und Chlorose voll stillfähig 
sogar bei vielen Kindern waren. Die Aufgabe der psychologischen For¬ 
schung ist es, das Gefühlsleben der voll stillfähigen Mütter ohne Rück¬ 
sicht auf deren körperliche Verfassung uns genau zu schildern und so dem 
Arzte der Zukunft Vorschläge für die Gattinnenwahl zu lehren. 

Der medizinische Begriff der Konstitution bleibt hier unvollständig. 
So meinen manche Aerzte, die Neger, Polen, die Araber seien zur Hysterie 
disponiert und erblicken hierin eine Rasseneigenschaft. Da aber deren 
Frauen vorzüglich stillfähig sind, so wäre es verfehlt, sie, um die Verer¬ 
bung der hysterischen Konstitution bei den Nachkommen zu verhüten, 
von der Fortpflanzung auszuschliessen. Hier scheiden sich eben die Wege 
der Rassehygieniker und Sozialhygieniker. Jene suchen ein bestimmtes 
Optimum zu züchten, sei es körperlich grosse und schöne Menschen zu 
verbinden, sei es eine bestimmte anthropologische Rasse zu erhalten, sei 
es Menschen, die von erblichen Krankheiten frei gefunden sind, zwecks 
Krankheitsverhütung und konstitutiver Verbesserung der Nachkommen 
zu vereinigen. Diese hingegen verlangen nur ein bestimmtes Minimum der 
Züchtung: jeder Angehörige der (staatlichen) Gemeinschaft soll eine 
solche Gehirntätigkeit mit auf die Welt bringen, welche ihn befähigt, sich 
im wirtschaftlichen Kampfe ums Dasein selbst bei schwächlichem Körper¬ 
bau und hässlichem Aussehen zu erhalten oder aufzusteigen; und sie er¬ 
reichen diesen Zweck, wenn die Mütterlichkeit durch alle Generationen 
festgehalten, wenn nur Mädchen, die dereinst voll stillfähige Mütter sein 
werden, zur Fortpflanzung zugelassen werden. 

Wenn aber, wie es gegenwärtig der Fall ist, vermindert Stillfähigen 
und Stillunfähigen die Ehe gestattet wird, so werden deren Entartungs¬ 
erscheinungen den Nachkommen vererbt, es entstehen Individuen, die 
leichte oder schwere Psychopathie zeigen und daher sowohl im wirtschaft¬ 
lichen Ringen, als auch im Kampfe ums Dasein der Völker kaum mitkom¬ 
men können, mögen sie auch auf Grund der Mischung ihrer Erzeuger 
mancherlei Talente oder geniale Anlagen offenbaren. 

Unsere Kultur selbst enthält soziale Einrichtungen, welche für 
die Nachkommen ihrer Begründer verderblich sind, nämlich ein 
hoch entwickeltes Verkehrs- und Eisenbahnnetz, welches der Aus¬ 
breitung des Alkoholismus ebenso wie der Prostitution förderlich ist, 
die Spätehe und die Auffassung der Ehe als einer materiellen Versorgung. 
Da können wir v. B u n g e und M a y e t nicht genug dafür danken, dass 
sie, jener auf indirektem, dieser auf direktem Wege, die bei den Aerzten 
in Vergessenheit geratene Bedeutung des langen Selbststillens für die 
Kinder wiedererkannt haben. Den Wert der von Bunge’schen Ent¬ 
deckung. die sich erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Anerken¬ 
nung verschaffen wird, erblicke ich nicht in der Erkenntnis von der ur¬ 
sächlichen Bedeutung des väterlichen Alkoholismus für die stillunfähige 
Tochter, sondern der Wert seiner Entdeckung liegt darin, dass die Still¬ 
fähigkeit eine angeborene, vererbbare Grundlage hat und mit bestimmten 
physischen und psychischen Eigenschaften (Erhaltung und gute Be¬ 
schaffenheit der Zähne, Tuberkulosefestigkeit und normale weibliche 



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Eschle, 




gangenes L u f t s c li 1 u c k e n), das unter dem Einfluss depressiver Zu¬ 
stände vielfach habituell gewordene Seufzen und damit oft im Zusammen¬ 
hänge stehend ein unwillkürliches Plätschern im Magen sowie das ge¬ 
wöhn h eitsmässige Erbrechen Hysterischer. Weiter gehören hierher der 
Stimmritzenkrampf (Largngospasmus ), der nicht gar so selten hei jün¬ 
geren Hysterischen zu übereilten Tracheotomien Anlass gegeben hat, der 
Gähn- und Nieskrampf und die Tussis hysterica , die bald in der pa- 
roxismalenForm eines krampfhaften, rauhen, bellenden und stark 
explosiven Hustens, bald als kontinuierliches, trockenes aus 3—t gleichen 
und durch keine inspiratorische Phase getrennten räuspernden Bewe¬ 
gungen zusammengesetztes Hüsteln auftritt und dann die Umgebung 
geradezu zur Verzweiflung zu bringen imstande ist.') 

Die ,, hysterischen Krämpfe “ gehören ja, wie schon oben ausge¬ 
führt, ganz allgemein hierher. 

Aber.auch wenn wir von dem gleichzeitigen Vorkommen anderer 
Stigmata absehen, die das einzelne Symptom zweifellos in das Gebiet 
der Hysterie weisen, so beruhen auch ganz allgemein lokale Muskel- 
krämpfe selten auf direkter Reizung des Nervenstammes, sondern in der 
grossen Mehrzahl der Fälle auf perverser Innervation. Das geht z. B. 
für den bei ausgesprochenen Neurasthenikern so häufig zu beobachtenden 
Fazialiskrampf (Prosopospasmus, Tic conoulsir) unter anderem daraus 
hervor, dass Oppenheim ihn zuweilen sich aus krampfhaften Kontrak¬ 
turen des Orbieularis palpebrarum entwickeln sah, die zur Unterdrückung 
des Schielens anfänglich willkürlich erzeugt werden. Aehnliches gilt für 
die Provenienz der Krämpfe im Gebiet des Hypoglossus ( Zungen¬ 
krampf\ Glossospasmus), ebenso der Hals- und Nackenmuskelkrampf J 
an dem sich namentlich die Muskeln beteiligen, die unter der Herr¬ 
schaft des Accessorius W i 1 1 i s i i stehen, und nicht minder für 
die der Krämpfe des O b 1 i q u u s inferior (ftotationskrampf, 
Tic rotatoire). 

In der Regel mit andern ausgesprochenen Symptomen der Hysterie 
vergesellschaftet ist dagegen der ,, saltatorische “ oder ,, statische fteflex- 
krampf “ (B amberge r), bei dem der Patient, sobald er mit den 
Füssen den Boden be/ührt, in hüpfende oder tanzende, durch klonische 
Zuckungen in der Wadenmuskulatur bedingte Bewegungen gerät. Hier 
aber ebenso wie bei der Abasie und Astasie der Hysterischen (A. Eulen¬ 
burg, H. Oppen hei in), der Unfähigkeit zum Stehen und Gehen, 
während die Betreffenden sich auf allen Vieren fortzubewegen, auch zu 
schwimmen und andere lokomotorische Akte gut auszuführen imstande 
sind, konkurrieren mit der perversen Innervation in einem so beträcht¬ 
lichen Masse psychogeneMo m e nte, dass sie nur mit gewissen, 
oben eingehend geschilderten Formen der „hysterischen Stummheit“ in 
Parallele gestellt werden können. 

Ueberall tritt uns hier die Erscheinung entgegen, dass im Zu¬ 
sammenhänge mit einer unverkennbaren Schwäche des Willens die Kran¬ 
ken auf der einen Seite schon durch relativ geringe Arbeitsanforderungen 
aufs äusserste ermüdet werden, während sie auf der anderen Seite wieder 
— an ungehöriger Stelle ein Maximum von Arbeit zu produzieren ver¬ 
mögen. Alles kommt also in diesen Fällen darauf an, 
die verloren gegangene Fähigkeit zu r_^U nterdrük- 


') Vergl. O. Rosenbach, Ueber hysterisches Luftschlacken, Rülpsen und re¬ 
spiratorisches Plätschern im Magen. Wien. m. Presse, 1889, Nr. 14 u. 15. 


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[f p Die perverse oder paradoxe Innervation. 45 

kung gewisser stark wirkender (somatischer oder 
psychischer) Impulse mit Hilfe erziehlich-thera¬ 
peutischer Massnahmen wiederzugewinncn. Vom 
Grade der geistigen Reife und Bildung des Pati¬ 
enten wird es abhäng en, welchen Weg wir im Ein¬ 
zelfalle einschlage n. Denn die erziehliche Form 
der Therapie umfasst nicht lediglich die Aufklä- 
rungund Belehrung. W i e v o n Rosenbach undauch 
von mir verschiedentlich hervorgehoben worden 
ist, bat ja auch — wir brauchen dabei nur an die 
Erziehung des Kindeszu denken — die zielbewusste 
Erregung von Unlustempfindungen als Hemmungs¬ 
mittel unzweckmässiger oder unzeitiger Vorstel¬ 
lungen, Reflexe und Triebe in der Erziehung dann 
ihre Berechtigung, wenn das geistige Niveau das 
Erfassen gegebener Aufklärungen noch nicht zu¬ 
lässt. Und eine solche „strafende“ Abart der er¬ 
ziehlichen Therapie durch gewisse unangenehme 
oder schmerzhafte Prozeduren wird namentlich 
bei jüngeren Patienten oder solchen in Betracht 
kom menmüssen, die, wie m an dieshäufig hört, ein 
Lustgefühl bei der Produktion ihrer perversen 
Akte empfinden, weil sie von ihrer Umgebung ver¬ 
wöhnt sind und noch mehr zu erreichen hoffen, je 
m ehr siediesedurchdieabnormenVorgängein Er¬ 
staunen zu setzen oder ihr Mitleid zu erregen wissen. 
Hier ist nach Rosenbachs und meinen Erfahrungen 
die energische Anwendung des faradischen Pin¬ 
sels das beste Mittel, um unter dem Deckmantel 
eines direkt heilenden Agens auf eine energische 
Hemmung der zur zweiten Natur gewordenen will¬ 
kürlichen Aktionen wie der vom Willen beeinfluss¬ 
baren Reflexbewegungen hinzuwirken. „Der Kranke,“ 
sagt Rosenbach, „ so vor die Wahl gestellt, Massregeln, die grosse 
Anforderungen an seine Widerstandskraft oder an seine Gewohnheiten 
bedeuten, längere Zeit hindurch zu ertragen oder sein Verhalten zu än¬ 
dern, wird auf diesem Wege bei weitem geneigter, Selbstbeherrschung im 
Sinne der Anforderungen des Arztes zu üben, gewisse Sensationen und 
Erregungen zu unterdrücken und die richtigen, ihm anfangs unausführbar 
scheinenden Innervationen in ausgiebigem Masse anzuwenden. Er wird 
das aber um so eher tun, je weniger er ahnt, dass das eingeschlagene Ver¬ 
fahren eigentlich zu der Kategorie der Straf- oder Abschreckungsmittel 
gehört, durch die eine gewisse Selbstdisziplin erweckt werden soll.“ 1 ) 
So hatte ich die schon erwähnten Patientinnen mit Stimm- und 
Stimmbandlähmung, die eine Zeitlang in Freiburg massenhaft in meine. 
Behandlung kamen, anfänglich auf dem Wege der Suggestion oder Hyp¬ 
nose und gleichzeitiger Applikation des galvanischen Stromes behandelt; 
durchschlagende Erfolge aber erzielte ich erst durch die schmerzhafte 
Faradisation. Von innerlich dargereichten Mitteln hinwiederum ver¬ 
sagten alle mit Ausnahme der Asa foetida und selbst diese, wenn ich sie 


■) O. Rosenbach, Nervöse Zustände und ihre psychische Behandlung. Zweit 
Aufl., Fischers med. Buchh. (H. Kornfeld), Berlin 1903. 


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Esohle, 


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in der Form silberüberzogener Pillen und nicht, wie später nach Erken¬ 
nung des in diesen Fällen wirksamen Prinzips in Gestalt der durch keine 
Korrigientien verdeckten, widerlitji schmeckenden und riechenden 
Tropfen gab. 1 ) 

Zu den für die Patienten unangenehmen und 
nurdadurch erzieherisch wirkenden Massnahmen 
rechne ich auch eine etwas kurze, ja schroffe Art 
derBegegnung. Zu dieser wird man aber wohl nur in 
solchen Fällen erfolgreich seineZuflucht nehmen, 
wo das Vertrauen des Patienten trotz aller Ver¬ 
suche zur Auflehnung durch bei ihnen selbst oder 
andern erzielte Erfolge im Grunde sicher fundiert 
ist und deren Widerstreben gegen die ärztlichen 
Anordnungen — wie bei gewissen Damen sogen. 
,, besserer “Kreise — nur auf dersonst ihnen über¬ 
all entgegen gebrachten zu grossen Nachsicht und 
Rücksicht und auf der Ueberzeugung beruht, dass 
sie ihre Launen schliesslich doch überall durch¬ 
setzen. 

In recht enger Beziehung zu den geschilderten hysterischen Zu¬ 
ständen wegen der Entstehungsweise sowohl wie wegen der Mannig¬ 
faltigkeit ihrer Lokalisation steht die bei den traumatischen Neurosen *) 
zu beobachtende Innervation. 

Neben der direkten Beeinflussung der Gewebe durch die K i n e - 
tos e 3 ), die bei der Genese der „Unfallneurosen“ wenn nicht 
die einzige, so doch mindestens die Hauptrolle spielt und neben 
den durch Vermittelung des Nervensystems auf verhältnismässig weite 
Entfernungen hin sich fortpflanzenden realen, d. h. molekularen Gleich¬ 
gewichtsstörungen, spielen hier indirekt noch Veränderungen der psy¬ 
chischen Reaktion mit, die namentlich die Willenssphäre beeinflussen 
(Hypochondrie, Abulie), und damit in Konkurrenz mit der auch nach 
Paralisierung der lokalen Alterationen im eigentlichen Sinne durch die 
nachbleibende Ermüdbarkeit des Nerven-Muskelsystems eine besondere 
Disposition für paradoxe Innervationen jeder Form schaffen. Vielfach 
werden ja diese Symptome in allen ihren Venenten nach der motorischen, 
sensiblen und sekretorischen Seite hin geradezu als hysterisch (daher der 
Name „Unfallhysterie“) aufgefasst. 

Auch hier werden die I m pulse nach einer Rich¬ 
tung abgelenkt, die mit der wirklichen Willensin¬ 
tention oft ganz auffällig kontrastiert. Undge- 
radedieserUmstandführtdannsohäufigzurVer- 
kennung,wennnichtdesZustandes,sodochseines 
Mechanismus und Ai der irrigen Voraussetzung 
von Böswilligkeit und Simulation bei dem von 
einem derartigen Unfall Betroffenen. 

Bei Kranken, deren Intelligenz ebenso wie 
ihr Wunsch, geheilt zu werden, ausser allem Zwei¬ 
fel steht, muss dann natürlich ein ganz anderer 
Weg eingeschlagen werden, als in solchen Fällen, 

’) Vergl. auch das Kapitel „Hysterie“ in Esc hie, Grundzüge der Psychiatrie. 
Urban & Schwarzenberg. Berlin u. Wien 1907. 

2 ) Vergl. dieses Kapitel in meinen „Grundzügen der Psychiatrie“. 

3 ) Vgl. meine demnach t au gleichem Oit erscheinende Abhandlung hierüber. 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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in denen berechtigterweise das Gegenteil ange¬ 
nommen werden darf. 

Sobald erkannt wird, dass das Leiden nur von 
gewissen, mehr oder weniger feststehenden fal¬ 
schen Voraussetzungen ausgeht, ist vnr allem der 
Versuch zu machen, den Vorstellungskreis des 
Kranken mit andern Ideen zu erfüllen, indem 
man ihm die feste und bestimmte Versicherung ab¬ 
gib t — die aber natürlich nur das Resultat einer 
genauen Untersuchung sein darf — dass die in Frage 
kommenden Organe trotz der unleugbaren Be¬ 
schwerden nicht für die normale Leistung insuffi¬ 
zient sind, sondern nur infolge teils zu schwacher, 
teils zu starker Leistungen einzelner a rn Mecha¬ 
nismus beteiligter Elemente nicht mit dem beab¬ 
sichtigten Erfolg funktionieren, dass aber bei ge¬ 
nügender Willensenergie und unter ärztlicher 
Anleitung und Kontrolle vorgenommene Uebung 
in absehbarer Zeit die normale Harmonie wieder¬ 
herzustellen sei. 

Von der Eigentümlichkeit des Einzelfalles 
wird es dann abhängen, inwieweit zur Ergänzung 
und Unterstützung dieses aufklärenden Verfah¬ 
rens lokale Massnahmen herbeiz u ziehen sind. 
Diese können, wenn sich hinterher doch noch Zwei¬ 
fel an dem hinlänglichen Masse von Verständnis 
oder auch von eigener Iniative ergeben, neben 
Uebungen an Apparaten und anderen Formen der 
Gymnastik sehr wohl auch in den erwähnten 
„strafenden“ Hilfsmitteln für die Disziplinie¬ 
rung der pervers agierenden Muskeln bestehen. 
Und diese werden, unter Umständen in Kombina¬ 
tion mit dem rein mystischen, d. h. suggestiven 
Verfahren bei einer dritten Kategorie von Pati¬ 
enten ausschliesslich Anwendung finden m üssen, 
bei denen Mangel an Intellekt und gutem Willen 
zugleich die Erreichung des Zieles erschwert. 

Eineandere Form der perversen Innervation, 
bei der ich die unzweifelhafte therapeutische 
Ueberlegenheit des faradischen Stromes gegen¬ 
über dem galvanischen bald erkannte, war das 
speziell in der Poliklinik so häufig zur Behandlung 
kommende nächtliche Bettnässen älterer Kinder. Zuerst 
glaubte ich die Superiorität dieser elektrischen Behandlungsmethode 
durch die suggestive Wirkung des mit Geräusch und Funkenerzeugung 
arbeitenden Induktionsapparates bezw. auch durch die Wahrnehmbar¬ 
keit des Stromes für die Hautnerven erklären zu können. Ich versuchte 
aber vergeblich, den gleichen Effekt auch durch die bekanntlich mildeste 
Form der Applikation des faradischen Stromes durch die sogen, „elek¬ 
trische Hand“ zu erzielen, eine Methode, bei der infolge der direkten Ver¬ 
bindung nur eines Poles mit dem Behandelten, der andere mit dem Be¬ 
handelnden die Schliessung des Stromkreises nur durch die manuelle Be¬ 
rührung erfolgt, so dass auf dem Wege ständiger Kontrolle durch die Hand 


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Eschle. 


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desArztes dio feinsten Abstufungen bis zu solchen Stromstärken möglich 
sind, die die Schwelle der Wahrnehmbarkeit gerade überschreiten. Für die 
suggestive Wirkung waren auch hier alle Bedingungen gegeben, nichts¬ 
destoweniger versagte diese Therapie konstant, während schon nach 1—2 
oder höchstens 3 Sitzungen, in denen schmerzhafte faradische oder die 
gleichfalls höchst unangenehmen Kontraktionen der Bauch- und Blasen- 
muskulatur verursachenden kombinierten *) Ströme mit häufigen Vol- 
taischen Alternativen Verwendung fanden, ganz auffällige Heilerfolge 
erzielt waren. 1 ) 

Von ganz anderen Gesichtspunkten hingegen 
werden die Bemühungen zur Heilung solcher per¬ 
verser Innervationen aus zu gehen haben, in de¬ 
nen zwar auch der Willensreiz oder der tonische 
Impulsin eine bestimmte Bahn stärker einstrahlt, 
als dasdie Ab wicklungdesregulären Bewegungs¬ 
vorganges gebietet und in denen durch diese Ano¬ 
malie zwar auch Störungen hervorgerufen werden, 
die bei Verkennung ihres Mechanismus leicht 
auch für „L ä h m unge n“ oder „K r ä-m p f e“ gehalten 
werden, bei denen aber von einer krankhaftenVor- 
Stellung gar nicht gesprochen werden kann oder 
wenn dieses (in einem ganz minimalen Umfange) 
in einem Falle je einmal zu trifft, doch der lokale 
Faktor, d i e Schwäche einzelner Muskelgruppen 
oder ihre Ueberanstrengung in erster Linie ver¬ 
antwortlich zu machen ist. 

Das trifft vor allem für den ,, Ziliaroder „Jlkkommodations- 
krampf “ ferner den Schreibkrampf" und andere „ koordinatorische 
ßeschäfiigungsneurosed 1 zu. 

Doch beschränken wir uns bei dieser Revue auf die beiden erst¬ 
genannten Formen I Sicher ist zunächst eins, dass man nämlich alle diese 
Fälle ganz ungerechtfertigterweise den „Krampfkrankheiten“ zurechnet 
und dass die Funktionsstörungen auch hier lediglich dadurch zustande 
kommen, dass gewisse Muskelgruppen wegen der Schwäche resp. Ueber- 
windung ihrer Antagonisten stärker innerviert werden als die normale 
Synergie es erfordert. 

Die Ursache des sogen. Akkommodationskrampfes ist 
bekanntlich in einer „krankhaften“, d. h. äusserst intensiven und fort¬ 
dauernden Kontraktion des M. ciliaris s. tensor chorioideae zu suchen, 
einer Innervation, die, wenn sie mit dem richtigen Mass und im richtigen 
Moment stattfindet, dem unbewafTneten Auge des Emmetropen und 
Hypermetropen durch Bewirkung einer Erschlaffung der Zonula Zirniii 
und damit einer stärkeren Krümmung der ihrer natürlichen Elastizität 
folgenden Linse die Einstellung des Auges für die Nähe ermöglicht. 
Erfolgt die Kontraktion des Tensor aber zu lange und mit zu grosser 
Energie, so vermag sie eine scheinbare Myopie zu schaffen oder beim 
Myopen selbst einen erheblich höheren Grad von Myopie vorzutäuschen, 
wofern nicht noch Komplikationen dadurch erfolgen, dass der vermeint¬ 
liche „Krampf“ plötzlich in den Zustand scheinbarer „Lähmung“ bezw. 

l ) Vergl. Eschle, Die krankhaft« Willensschwäche und die Aufgaben der psy¬ 
chiatrischen Therapie. Fischers med. Buchh. (H. Kornfeld) 1904. 

Ders., Psychische Therapie. Eulenburgs Encycl. .Tahrb. Bd. XV (Neue Folge 
VI), 1908. 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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„Parese“ übergeht Ich selbst habe in meiner Anstalts- und auch in mei¬ 
ner konsultativen Praxis gelegentlich der aus anderer Veranlassung vor¬ 
genommenen Untersuchungen eine ganze Reihe von Patienten allein 
innerhalb weniger Jahre gesehen, die in sogen. „Okularien“ auf Grund 
der von ihnen selber gestellten Diagnose mit ungeeigneten Brillen ver¬ 
sehen ,worden waren. Statt eines leichten Konvexglases, das in 
solchen Fällen ausnahmslos treffliche Dienste tut, wenn der vermeint¬ 
lich Kurzsichtige über das Wesen der Störung aufgeklärt wird, hatten 
sie eben Konkavbrillen erhalten, deren Gebrauch dann zu weiterer 
Verstärkung der perversen Innervation und mit der Begünstigung der 
irrigen Auffassung von der Art der vorliegenden Refraktionsanomalie 
auch zu den schlimmsten Befürchtungen über bevorstehende totale 
Erblindung usw. Anlass gab. 

Die perverse Innervation des Ziliarmuskels trägt aber zweifellos 
auch das ihrige dazu bei, schon während der Schulzeit den Grund zu 
jener ,.progressiven Myopie“ zu legen, die die Lebensarbeit ihres Trägers 
namentlich darum so schwer beeinträchtigt, wenn sie ihn dauernd an den 
Schreibtisch verweist. 

Wenn auch nicht als „Akkommodationskrampf“ im eigentlichen 
Sinne, aber doch als ein ganz ähnlicher, auf perverser Innervation be¬ 
ruhender Vorgang au fzu fassen ist der zuerst von Fron m ü I 1 e r als 
Myopie in distans bezeiehnete und dann von A. v. G r a e f e eingehend 
erforschte Zustand, bei dem, wenn einmal eine F.instellung des Auges für 
die Ferne nicht möglich ist, nunmehr eine direkt konträre Akkommodation 
eingeleitet wird. Solche Myopen, die für die Lage ihres Fernpunktes eine 
unverhältnismässig geringe Akkommodationstiefe besitzen, können eben 
infolge der eingeleiteten perversen Innervation dann auch solche ferneren 
Objekte nicht mehr unterscheiden, die ein in weit höherem Grade Kurz¬ 
sichtiger ganz deutlich sehen würde. 

Ebenso gehört die als ,,akkommodative Asthenopie“ bezeiehnete 
relative Insuffizienz der mm. interni bei Hypormetropisehen hierher. Als 
perverse Innervation legitimiert sie sich ja zweifellos dadurch, dass, sobald 
der Versuch gemacht wird, behufs Fixierung eines nahen Gegenstandes 
die Augenachsen über ein gewisses Mass hinaus in Konvergenz zu bringen, 
das eine Auge nach aussen abweicht, also die entsprechenden recti im 
Sinne der Divergenz innerviert werden (und zwar nicht nur in dem Um¬ 
fange wie das auch beim gesunden Auge bei Verdecken eines derselben 
und Fixierung eines nahe gelegenen Punktes statt findet). 

Eine weitere und zwar geradezu typische Form der 
perversenlnnervationist der ,, Schretbhampr “, wie er durch 
eine irrationelle und mit unnötigem Kraftaufwande verbundene Art des 
Schreibens verursacht wird. Am häufigsten tritt er r.n den Bnigemus- 
keln bei ..krampfhaftem“ Andrücken des die Feder haltenden Daumens 
gegen den Zeige- und Mittelfinger in Erscheinung. In andern Fällen 
sind die Streck- oder die kleineren Handmuskeln, speziell die mm. lum- 
bricales der Sitz des äusserst lästigen und oft sehr schmerzhaften Uebels. 
Nicht selten sieht man aber die perverse Innervation bis in die Vorder¬ 
muskulatur ausstrahlen. 

Neben Gymnastik, Massage, der Anwendung des faradischen 
und galvanischen Stromes zur Tonisierung der dem Kampfe unter¬ 
worfenen Partien ist man auf die Beseitigung fehlerhafter Angewöh¬ 
nungen in der Körper-, speziell in der Handhaltung, auf den Ersatz unge¬ 
eigneten, den nötigem Kraftaufwand begünstigenden Schreibmaterials 

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Eschlo 


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(zu spitzer und zu harter Fedein, zu rauhen Papiers), sowie schliesslich 
auf die Konstruktion gewisser mechanischer Hilfsvorrichtungen bedacht 
gewesen. Die im grossen und ganzen nicht sehr ermutigenden Er¬ 
fahrungen mit diesen Schreibzeugen sind im wesentlichen wohl darauf 
zurückzuführen, dass man sich, wie so oft im Lehen, von dem Kultus 
eines \\ ortfetischs und dem Typ des traditionellen „Federhalters -1 
nicht zu emanzipieren vermochte, der doch immer — wenn auch in 
verschiedenem Grade die Mitwirkung gerade der pervers agierenden 
Muskelgruppen für sein Festhalten erfordert. Eist in allerneuester 
Zeit ist, wie ich auf Grund eigener Beobachtung wohl anzunehmen 
mich berechtigt glaube, das Problem durch die Herstellung einer mit 
der vollen Hand zu haltenden oder, richtiger, an ihr hängenden und 
speziell die Mitwirkung des Daumens beim Umgreifen ausschaltenden 

— übrigens auch wieder als Federhalter“ bezeichneten — Vorrichtung 
gelöst oder mindestens seiner Lösung recht nahe geführt worden 1 

W eil für die Gruppierung der in Frage stehenden Zustände in erster 
Linie die gemeinsamen t herapeutis c h e n Gesichtspunkte mass¬ 
gebend bleiben sollen, sei hier auch derjenigen Fälle von perverser Inner¬ 
vation gedacht, die sich im Anschluss an n o c h bestehe n d e 
hlyulqivn 2 ) ausbilden, oft allerdings auch — in ganz ähnlicher Weise wie 
die als Folgen von Unfällen aultretenden — nach der Heilungder 
schmerzhaften Muskelaffektion jahre- oder gar 
lebenslang persistieren, sobald die paradoxen 
Aktionen erst einmal gewohnheitsmässig gewor¬ 
den sind. 

Neben der Neurasth e n i e und der zu ihr in unverkennbaren 
Beziehungen stehenden Chlorose schafft noch eine ganze Reihe an¬ 
derer AfTektionen — mag man diese nun zu den eigentlichen „Konsti¬ 
tutionskrankheiten“ zählen, wie gewisse Formen des Dia¬ 
betes und derFettleibigkeit oder, ohne beim heutigen Stande 
unseres Wissens eine definitive Entscheidung über ihre Stellung im 
System troITen zu können, sie nur als mit schweren Alterationen der 
Kräfteökonomie einhergehend betrachten, wie den chronischen 
Alkoholismus, die unter dem Bilde der c h r o n i s c h e n Ne¬ 
phritis oder der Arteriosklerose subsumierten Veränderungen 

— mit in ganz hervorragendem Masse eine Disposition zu funktionellen 
Myopathien, d. h. neben Myitiden und Myalgien verschiedenartigster 
Provenienz konsekutiv eine solche zur perversen Innervation. 

Ohne mich in die Details dieser in einem andern Kapitel besonders 
zu behandelnden, gerade für den Praktiker so ungemein wichtigen Zu¬ 
stände zu verlieren, will ich hier nur einige wiederholt! von mir gemachte 
Beobachtungen erwähnen: zunächst die, daß die so häufig unter dem Bilde 
einer Metatarsalgie im Flexor digitorum communis longus 
an der Fußsohle lokalisierten Schmerzpunkte durch Vermittelung einer 
perversen Innervation auch allmählich zur Ursache einer abnormen Haltung 
des Fußes beim Gehen werden, die zur ganz irrtümlichen Deutung der 
Beschwerden führt. Jede ärztliche Generation hat je eine Vorliebe für 


') Vgl E- C. R. Esc hie, Z;r Behandlung des Schreibkampfes. Ärztliche 
R'inchrha-i., 1911, N-. 52. 

Der er«ä‘mt - ,S :hreibkrampf Feierhai e “ wi d von der Mega-l’at -nt G. m.b. H. 
in Hei lelberg-Handsohuhsheim veit i ben (Preis M. 5. —) 

2 ) Vergl. meine demnächst an gleichem Ort erscheinende Abhandlung über dieses 
Thema, sowie den Artikel „Funkti nelle Myopathien“ in Eulenburgs Encyclop. Jahrb. 
Neue Folge Bd. VIII, 1910. 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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einen beschränkten Kreis von Diagnosen und heute muß offenbar immer 
der vermutete „Plattfuß“ herhalten, wie ich mich aus den mir als 
Dokumente für die Auffassung der Ärzte von der Art des Leidens vorgeleg¬ 
ten (in diesen Fällen nicht nur unnützen, sondern durchaus schädlich wir¬ 
kenden) Plattfußeinlagen verschiedensten Systems — in den letzten zwei 
Jahren allein achtmal — überzeugen konnte. 

Eine oft ganz charakteristische Form der perversen Innervation fand 
ich ferner, wie oben schon angedeutet, bei Alkoholikern, bei Pa¬ 
tienten mit Fettleibigkeit e functione rninori und dar¬ 
unter namentlich bei solchen mit nebenhergehender, aus 
gleichem Grunde entstandener Melliturie. Die hier auf¬ 
tretenden, mit großer Schmerzhaftigkeit verbundenen Bewegungsstörungen 
befallen nicht selten momentan bei jeder hastigeren Aktion und meistens 
von dort lokalisierten Schmerzpunkten ausgehend, mit Vorliebe die Unter-, 
Oberschenkel-, Bauch- und Brustmuskulatur. Seitdem ich gewöhnt bin, 
meine Exploration auf diesen Punkt auszudehnen, fiel es mir auf, wie häufig 
man gerade bei den erwähnten Kategorien von Patienten ’neben Klagen über 
„Wadenkrämpfe“ ein durch seine Lokalisation merkwürdiges Symptom 
anamnestisch eruieren kann: nämlich krampfhafte Kontraktionen, 
zunächst die den Obliquus abdominis, den Latissimus 
dorsi und den Serratus betreffend, oft bis in die Ober¬ 
armmuskulatur ausstrahlen und von den Klienten namentlich dann 
aufs unangenehmste empfunden werden, si alvo dejecta anum pertergunt. 

Bei allen zu dieser Gruppe gehörigen Formen 
der perversen Innervation muss es das erste Be¬ 
streben der Therapie sein, zunächst durch lokale 
Massnahmen das möglichste zur angemessenen 
Beschränkung der Aktionen seitens der zu stark 
innerviertel! Muskeln zu tun. sei es durch Verordnung 
einer passenden Brille (bei den erwähnten Störun¬ 
gen der Augenmuskeln), sei e s d u r c h rationelleres 
Schreibmaterial. Angewöhnung einer richtigen 
Federhalt u n g und die schon erwähnten technischen 
Hilfs Vorrichtungen (beim Schreibkrampf) oder 
durch Massage und elektrische Behandlung (bei 
der durch schmerzhafte Muskelaffektionen ver¬ 
ursachten perversen In nerv atio n). Abertrotzdem 
dürfen wir in keinem dieser Fälle vergessen, dass 
auch nach Beseitigung derUr Sachen die Neigung 
zu zweckwidriger Kombination von Muskeln auf 
Grund einer gewissen Unzulänglichkeit der 
Willensakte bestehen bleibt. Diese tritt gerade 
bei der Ueber windung der gewohnheitsmässig 
gewordenen Hemmungen resp. der Unlustgefühle 
zu Tage, diebeiderkürzeren oderlängeren Inak¬ 
tivität einzelner Muskeln und M u s k e 1 g r u p p e n 
der Erzielung des normalen synergetischen 
Effektes im Sinne richtiger Koordination vor¬ 
derhand noch entgegenzustehen pflegen; denn 
die kinetischen Impulse wurden ja eine Zeit hin- 
durchsogütwieaussehliesslich ihren Antagonis¬ 
ten zu geführt. (Forts, folgt.) 


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02 


Referate und Besprechungen. 


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Referate und Besprechungen. 

Allgemeine Pathologie. 

Winter (Königsberg), Die Bekämpfung des Krebses im Königreich Preussen. 
(Monatsschr. für Geb. und Gyn. Bd. 33, p. 754.) 

Der um die Propaganda der Krebsbekämpfung hochverdiente Autor legt 
in diesem Aufsatze seine Erfahrungen nieder, die er in der Aufklärung des 
Publikums in der Provinz Preußen gemacht hat. Er weißt nach, daß es 
nötig ist, den praktischen Arzt, dessen Mitwirkung es unbedingt für die Er¬ 
reichung der Frühoperation bei Gebärmutterkrebs bedarf, noch besser 
zu instruieren, als dies bisher der Fall war. Dies muß einmal durch den 
akademischen Unterricht und andererseits durch die Fortbildungskurse und 
die medizinische Presse erfolgen. Auch die Belehrung der Hebammen be¬ 
züglich der ersten Erscheinungen des Gebärmutterkrebses müßte noch wei¬ 
ter ausgebildet werden, endlich ist die Belehrung, Aufklärung des Publi¬ 
kums von eminenter Wichtigkeit. Dieses Ziel muß erreicht werden durch 
belehrende Vorträge öffentlicher Redner, der Hausärzte, ferner durch Be¬ 
lehrung in Publikationsorganen, d. h. also in der Tagespresse, in Kreisblättern 
und eventuell durch Merkblätter. Demnach schlägt W. vor, das Krebs¬ 
komitee solle alle Kliniken durch ein Rundschreiben auffordern, belehrende 
Aufsätze in den ärztlichen Zeitschriften von Zeit zu Zeit erscheinen zu lassen, 
weiterhin die Belehrung der Ärzte selbst in die Hand nehmen, die Be¬ 
lehrung der Hebammen und des Krankenpflegerpersonals ebenfalls in ent¬ 
sprechender Weise in die Wege leiten und die Aufsätze, welche für die 
Tagespresse und Kreisblätter, sowohl als auch für die Merkblätter in Be¬ 
tracht kämen, selbst ausarbeiten. Frankenstein-Cöln. 

Senator, H. Nierenkrelslauf und aiterleller Blutdruck. (Zeitschrift für 
klin. Medizin, 1911, Bd. 72, p. 189.) 

Die physikalische Theorie der Drucksteigerung und anschließenden Herz¬ 
hypertrophie bei Nierenkranken läßt sich nicht halten. Werden z. B. Katzen 
tief narkotisiert, so daß sensible Reizungen den Blutdruck unbeeinflußt lassen, 
und wird ihnen Paraffin in den Ast einer Nierenarterie gespritzt, so wird der 
Blutdruck in der Karotis und im Aortensystem nicht erhöht. Man muß 
nach andern als rein mechanischen Ursachen sich umsehen. Es kommen in 
Betracht: Abscheidung einer den Blutdruck steigernden Substanz (Tiger- 
stedt-Bergmannsches Renin) durch die gesunden Nieren. Diese Sub¬ 
stanz geht vergifteten (Chromsäure, Sublimat) oder sonst schwer geschädig¬ 
ten Nieren verloren. Andererseits genügt der Ausfall einer entsprechenden 
Masse von Nierengewebe, um Drucksteigerung und linksseitige Herzhyper¬ 
trophie herbeizuführen. Die Zunahme des „Reststickstoffs“ (Harnstoff, Harn¬ 
säure, Ammoniak und andere Stoffe der „inneren Sekretion“) tritt beson¬ 
ders bei der chronischen interstitiellen Nephritis hervor, daneben ist auch 
die verstärkte Wasserabsonderung zu beachten. Ob nun bei Ausfall von 
Nierengewebe andere Organe vikariierend die Blutdrucksteigerung bewirken 
(Nebennieren, chromaffines System, Hypophyse u. a.), ist noch nicht aus¬ 
reichend erwiesen; auch ist es nicht ganz abzulehnen, daß auch Blutdruck 
erniedrigende Organsekrete (vielleicht des Pankreas) in ihrer Wirkung her¬ 
abgesetzt sind und so zur Blutdrucksteigerung beitragen können. Jedenfalls 
sind es nicht die Nebennieren allein, die bei Lösung dieser Fragen in Be¬ 
tracht kommen. H. Vierordt-Tübingen. 

Hudson, A. A. (Landrindod Wells), Die Behandlung des erhöhten Blutdruckes 
durcli nicht-arzneiliche Verfahren. (Practitioner, Bd. 87, Nr. 3.) 

Hudson rät, bei allen Patienten, die über die Jugend hinaus sind, den 
Blutdruck zu untersuchen, erweist er sich als erhöht, so muß durch Unter¬ 
suchung des Herzens, des Urins und der Gefäße seine Ursache festgestellt 
werden (diese Regel ist für einen Badearzt wie H. begreiflich, für den 
Praktiker natürlich nur mit Einschränkungen brauchbar). Ist der erhöhte 



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Referate und Besprechungen. 


53 


Blutdruck nur eine kompensatorische Erscheinung, so darf man in der 
Regel nicht direkt gegen ihn vorgehn. Wo ihm nicht gröbere Organerkran¬ 
kungen zu gründe liegen, pflegt er auf Übermaß im Essen und Trinken 
(auch von Kaffee oder Tee), andauernde Aufregungen und geistige oder kör¬ 
perliche Anstrengungen, oder auf chronischer Konstipation zu beruhen. Es 
ist wichtig, ihn herabzusetzen, ehe er zur Arteriosklerose führt, da er deren 
ständiger Begleiter ist. 

Die Symptome des erhöhten Blutdrucks sind gewöhnlich unbestimmter 
Natur, Kopfschmerz, leichte Verdauungsstörungen, geringe Kurzatmigkeit, 
Müdigkeit und trotzdem Schlaflosigkeit. Der Urin ist normal oder zeigt ge¬ 
ringe Spuren Eiweiß, zuweilen finden sich im Augenhintergrund kleine 
Hämorrhagieen der Retina. 

In akuten Fällen, wo es sich um sofortige Herabsetzung des Blutdrucks 
handelt, leistet eine kühle Packung (ca. 22 0 C) gute Dienste. Güwöhnlich 
aber handelt es sich um chronische Beschwerden, die in schweren Fällen 
mit Bettruhe und allmählichem Übergang zu leichter Körperbewegung, mit 
elektrischen Lichtbädern (andere Schwitzverfahren werden es wohl aucli 
tun) und Sauerstoffbädern, welche stark auf die Ilautgefäße wirken, zu 
behandeln sind. Massage erweist sich deshalb als nützlich, weil sie die 
Zirkulation und den Stoffwechsel anregt. Die Hauptsache aber ist die Diät: 
Die Ernährung muß auf das Notwendige eingeschränkt werden, wobei in¬ 
dessen ohne Schematismus zu verfahren und nicht allein auf das Eiwei߬ 
quantum Wert zu legen ist. Hier hängt der Erfolg zum größten Teile 
vom guten Willen und der Energie des Patienten ab. Als nützlich zur 
Säuberung des Darms erweist sich auch die Sauermilch und ihre exotischen 
Spielarten Kefir, Yoghurt und die Mineralwässer, sofern sie leicht abführend 
wirken. Fr. von den Velden. 


Bakteriologie und Serologie. 

Gilderueister (Berlin), Wirkling des Antiformins auf Bakterien, Toxine 
verschiedener Herkunft, rote Blutkörperchen und Serum-Efweiss. (Arbeiten 
aus dem Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. 38, H. 2.) 

Verfasser hat Untersuchungen über die Zeitdauer der durch Anti- 
formin verursachten Auflösung der pathogenen Bakterien angestellt. 

Daneben wurden Vergleichsversuche mit Eau de Javelle und Natron¬ 
laugenmischung gemacht. 1 <>» Eau de Javelle-Lösung kann Vibrionen nicht 
auflösen. Überhaupt zeigte sich, daß sämtliche Mittel mit viel geringerer 
Energie Bakterien zur Auflösung bringen als das Antiformin. Aus den Un¬ 
tersuchungen über die Einwirkung von Eau de Javelle, Natronlauge und 
Antiformin auf bakterielle Gifte (Diphtherietoxin, Ruhrtoxin, Tetanustoxin), 
weiter auf pflanzliche Gifte (Ricin, Pfeilgift), endlich auf tierische Gifte 
(Kobragift, Aalserum, Rinderserum) geht hervor, daß das Antiformin sämt¬ 
liche Gifte zu zerstören imstande ist. Aus den Versuchen über die Ein¬ 
wirkung des Antiformins und seiner Komponenten auf rote Blutkörperchen, 
Komplement und Blutserum ergibt sich folgendes: 

Dem Antiformin und seinen Komponenten kommt eine ausgesprochene 
hämolytische Eigenschaft zu und zwar häniolysiert das Antiformin am stärk¬ 
sten (0,1 o/u) (Eau de Javelle 0,5 »o, Normalnatronlauge in 1 <yo iger Lö¬ 
sung). Zusatz von Meerschweinchenserum zu Lösungen des Antiformins und 
seiner Komponenten ergibt für Antiformin eine stärkere Beeinträchtigung 
seiner hämolytischen Fähigkeit als für Eau de Javelle und Natronlauge-. 
Antiformin verändert sehr bald Serum-Eiweiß, so daß der Nachweis durch 
Präzipitation nicht gelingt. Auch ist der Nachweis eines mit Antiformin 
vorbehandelten Serum-Eiweißes mittels der Anaphylaxie erschwert und un¬ 
sicher. * Schürmann. 

Simon,. F. B. (Zürich), Ein Fall von Senimaiinphylaxie. (Korr.-Bl. für 
Schweizer Arzte 1911, 26.) 

Das Deutschmann-Serum wird von mit Hefe vorbeliamlelten Pferden 
gewonnen, es soll die Leukozytose anregen und zur Behandlung der verschie- 


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Refeiato und Besprechungen. 


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denstm Infektionen dienen; die Zahnärzte benutzen es bei Zahnwurzelentzün¬ 
dungen. Was dabei herauskommen kann, hat S. erfahren: ein schwerer, 
sich wiederholender Kollaps bei einem gesunden, vorher nie mit Serum 
behandelter. Manne, nebst Schüttelfrost, Erbrechen und Exanthem. 

S. fragt mit Recht, was werden soll, wenn Sera, deren Wert noch 
gar nicht erwiesen ist, kritiklos eingespritzt und dadurch der Boden für zahl¬ 
reiche Fälle von Anaphylaxie geschaffen wird; und Ref. fügt hinzu: wenn 
nun auch die Zahnärzte Serum spritzen, so werden die Hebammen und Heil¬ 
gehilfen bald auch anfangen. Wozu hat man den Zahnärzten das Narkoti¬ 
sieren verboten, wenn man ihnen das Einspritzen von Serum (und Kokain!) 
erlaubt? Fr. von den Velden. 

Lindemann (Berlin), Beiträge zur Kenntnis der Pneumokokkeninfektion. 
(Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamte. Bd. 38, H. 2.) 

Bei der akuten Pneumokokkensepsis des Kaninchens und der Maus 
kommt die Gif Wirkung wohl nicht durch absterbende Pneumokokken zu¬ 
stande. Schwere Allgemeinerscheinungen haben wohl nicht ihre Ursache 
in dem Absterben und der Auflösung von Pneumokokken. Experimentell ließ 
sich eine reichliche Auflösung der Pneumokokken im erysipelatös geschwolle¬ 
nen Kaninchenohr nur selten nachweisen. Normale Lysine des Serums kom¬ 
men wohl nicht in Betracht bei der Bakterienzerstörung. Vielleicht geben 
die im Verlaufe der Infektion gereizten Zellen Stoffe ab, die zur Bakterien¬ 
auflösung mit beitragen. 

Es ist erwiesen, daß abgetötete Pneumokokken in den Körpersäften 
der Maus und des Kaninchens aufgelöst werden. Die bei akuten Pneumo- 
kokkenseptikämieen gefundenen typischen Stoffe haben mit den Immunstoffen 
nichts zu tun, auf denen bei der gleichen Tierart dre normale Immunität 
(gegen avirulente) und die erworbene Immunität (gegen virulente) Pneumo¬ 
kokken beruht. Schürmann. 

Bürgers (Königsberg), Über das Choleragift. (Zentralbl. f. Bakt Bd. 60 
H. 1/2). 

Verf. kommt auf Grund seiner Versuche zu der Ansicht, daß „wir 
auch noch heute die Endotoxine Pfeiffers als das echte Choleragift an¬ 
erkennen müssen“. Schürmann. 

Springer (Rostock), Ein Fund von Bazillus paratyphi Typus A in der 
Gallenblase nebst Einwirkung der Bakterien der Typhus-Colt-Gruppe auf ver¬ 
schiedene Zuckerarten. (Centralbi. für Bakter. Bd. 60, H. 12.) 

Gewonnen wurde ein dem Bazillus paratyphus nanestehendes Bakterium 
aus der Gallenblase einer nie an Typhus oder ähnlichen Erscheinungen erkrank¬ 
ten Frau, die vor ca. 30 Jahren 2 Jahre hindurch an Gallensteinkoliken 
gelitten hatte. Bei der Operation fand man eine mit Gallensteinen gefüllte 
Gallenblase neben einem Karzinom am Ductus choledochus. 

Den zweiten Teil der Arbeit bilden Ergebnisse über Einwirkungen von 
Typhus- und Coli-Stämmen auf Zuckerarten (Fruktose, Maltose, Rohrzucker, 
Laktose und Dulcit). Im Original nachzulesen. Schürmann. 

Belegh, Fiume, Beiträge zur Ätiologie der Maul- und Klauenseuche. 
(Zentralbl. f. Bakt. Bd. 60, H. 1 u. 2.) 

Im Original nachzulesen. Schürmann. 

Alinquist (Stockholm), Studium über filtrierbare Formen in Typhuskulturen. 
(Centralblatt für Bakter. Bd. 60, H. 3, 4.) 

Beim Filtrieren von Typhuskulturen durch Berkefeld-Filter wurden kleine 
Körnchen gefunden, die in Zimmertemperatur und noch bei 10° auf Lakto¬ 
seagar eine dicke hellgelbe Kultur hervorbringen. Diese Körnchen sind 
für Kaninchen und Meerschweinchen nicht pathogen. Nach intravenöser 
Injektion dieser Körnchen bilden Kaninchen ein die Körnchen und gewisse 
Typhusstämme agglutinierendes Serum. Verf. hat die Körnchen Bakterium 
antitiphosum genannt. (Um den Mangel an Namen aufzuhelfen!) 

Schürmann. 

Signorclli (Neapel), Agglutinationsversuche mit Bazillen der Lungenpest. 
(Centr. für Bakt. Bd. 60, H. 3/4. 

Serum der gegen Pest geimpften Personen hat agglutinierende Eigen- 



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Referate und Besprechungen. 


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schäften. Ausgesprochener sind sie bei den mit dtim Lustig -Galeotti- 
schen Nukleoproteid vakzinierten Individuen. Sera, die mit Beulenpest¬ 
bazillen hergestellt waren, agglutinieren auch bei großer Verdünnung die 
Bazillen der Lungenpest aus Fu-tseha-tien. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Grödel, Frz. M. Studien über Herzgrösse und Herzlage. (Zeitschrift für 
klin. Medizin, 1911, Bd. 72, p. 310.) 

„Röntgenkinematographische“ Aufnahmen führen Gr., entgegen den An¬ 
sichten anderer Untersucher, dazu, während normaler ruhiger Atmung eine 
Bewegung des Herzens auf und ab anzunehmen, für die linke Herzseite meist 
stärker, als für die rechte, besser fixierte. Inspiratorische Dislokation und 
Drehbewegung des Herzens täuschen häufig eine Volumsänderung vor, wäh¬ 
rend tatsächlich eine solche fehlt und auch bei stärkster Inspiration äußerst 
gering ist. Auch eine inspiratorische Volumszu- oder abnahme einzelner 
Herzabschnitte u. a., was schon aufgestellt wurde, läßt sich röntgenkinemato- 
graphisch nicht nachweisen. Für etwaige Änderungen ist höchstens der wäh¬ 
rend der Atmung wechselnde Zug und Druck des Herzbeutels auf das Herz 
verantwortlich zu machen; Abnahme des Querdurchmessers wird durch stärkere 
Zunahme des Längsdurchmeesers reichlich ausgeglichen. Zu der Abhandlung 
sind die Skizzen auf Tafel VII zu vergleichen. H. Vierordt-Tübingen. 

Geißler (Neuruppin), über Dextrokardie. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 36 
und 37, 1911.) 

Die Verlagerung des Herzens nach rechts, insbesondere wenn sie als 
Teilerscheinung eines völligen Situs in versus viscerum 
auftritt, scheint in erster Linie anatomisches Interesse zu beanspruchen, 
doch beweist der Aufsatz des Verfassers, daß wir auch in der Praxis 
damit zu rechnen haben. Von den mitgeteilten sechs Fällen zeigten vier 
eine völlige Verlagerung der Eingeweide. Besonders inter¬ 
essant ist, daß zwei davon Soldaten betrafen, die dem Verfasser 
in seiner Eigenschaft als Militärarzt zu Gesicht gekommen sind. Der eine 
der beiden Leute wurde vorübergehend im Lazarette wegen fllerzgeräusches 
behandelt und war, nachdem diese Erscheinung sich verloren hatte, dienst¬ 
fähig, der andere wurde bei der Musterung entdeckt und gab an, daß 
er nie Beschwerden von seinem Zustande gehabt habe. — Auch der fünfte 
Fall betraf einen Soldaten, der dem Lazarette zuging und zwar ebenfalls wegen 
eines Herzgeräusches. Die Untersuchung bzw. Durchleuchtung des Mannes 
ergab: Herz rechts, Leber rechts. — Der letzte der beschriebenen Patienten 
hatte seine Dextrokardie durch eine ausgedehnte linksseitige Pleuritis er¬ 
worben. — Daß ein Grenadier mit totalem Situs inversus 
den vollen Heeresdienst tun kann, ist bemerkenswert und 
läßt vermuten, daß gewiß viele solcher Abnormitäten unentdeckt in der 
Welt umherlaufen. Steyerthal-Kleinen. 

Daily, J. F. II. (London), Einige Punkte ln der Prognose der Herzerkran* 
kungen. (Practitioner, Bd. 87, H. 3.) 

Daily legt für die Prognosenstellung besonderen Wert darauf, daß sich 
der Arzt ein klares Bild von der Leistungsfähigkeit des Herzens zur Zeit, als 
es noch gesund war, zu verschaffen sucht. Erst hierdurch bekommt die 
Funktionsprüfung ihren richtigen Wert. Was man hören, sehen und fühlen 
kann, ist heute in den Hintergrund gedrängt durch Sphygmographen, Blut¬ 
druckmesser usw., aber D. ist der Ansicht, daß ersteres wieder mehr zu 
Ehren kommen wird. 

Herzkrankheiten werden von Frauen besser und länger ertragen pls 
von Männern, besonders in den nicht körperlich arbeitenden Klassen, auch 
deshalb, weil bei ihnen die prognostisch üble Arteriosklerose seltener vor¬ 
kommt. 

Heredität ist insofern in Betracht zu ziehen, als die Prognose durch in 
der Verwandtschaft vorgekommene Herzkrankheiten verschlechtert wird. 


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Referate und Besprechungen. 


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Besonders schlecht ist die Prognose bei Kindern unter 10 Jahren. In 
der Pubertätszeit bessern sich oft Herzfehler. Phlegmatiker vertragen einen 
Herzfehler besser als Temperamentvolle. 

Die Klappenfehler ordnet D. von den schweren zu den leichten so: Aorten- 
und Mitralerkrankung kombiniert, Aorteuinsufiizienz, Mitralstenose, Aorten¬ 
stenose, Mitralinsuffizienz. 

Was die Deutung der Geräusche betrifft, erklärt er präsystolische Ge¬ 
räusche für keine sicheren Kennzeichen von Mitraliserkrankung; außer an 
der Aorta seien sie eher ein Zeichen hinreichetader als gestörter Kompensation. 

Fr. von den Velden. 

Saltzkow, S. (St. Gallen), Ätiologie der Arteriosklerose. (Korr. -Bl. für 
Schweizer Ärzte 1911, 26/27.) 

S. kommt zu dem Resultat, daß die Arteriosklerose im wesentlichen 
durch infektiöse Prozesse (gemeint sind Phthise, Diphtherie, chronische 
Gastroenteritis, Furunkulose, rezidivierende Appendizitis) hervorgerufen 
werde, und zwar schon im Kindesalter; erst in zweiter Linie kommen ihm 
Tabak, Blei und besonders Alkohol. Den Namen einer Alterskrankheit be¬ 
streitet er ihr, ja er möchte sie eine juvenile Krankheit nennen, weil eie 
nach seiner Beobachtung schon in der Jugend, ja in der Kindheit beginnt. 

Fr. von den Velden. 

Grau, 11. über die luetische Aortenerkrankung. (Zeitschrift für klin. 
Medizin, Bd. 72, p. 292.) 

Grau hält nach Düsseldorfer Material die Erkrankung für „außerordent¬ 
lich häufig“. Vorwiegend ist das mittlere Lebensalter befallen; meist kom¬ 
men die Beschwerden erst, wenn (nach oft lange sich hinziehender Symptom- 
losigkeit) die Kompensation nachläßt, im Gegensatz zu nicht-luetischen 
Aortenerkrankungen, die sehr früh Beschwerden zu machen pflegen. Nicht 
so selten sind psychische Störungen, Wassermann-Probe zumeist, doch nicht 
ohne Ausnahme, positiv; der Tod tritt oft (durch Myokardveränderungen oder 
sonstige syphilitische Erkrankungen) früh ein, noch ehe es zur Ausbildung 
eines eigentlichen Aneurysmas gekommen ist. Therapeutische Erfolge sind 
selten, aber bei frühzeitig gestellter Diagnose doch beobachtet. Salvarsan 
wird sich freilich bei ausgesprochener Herzaffektion nicht anwenden lassen. 
Unter- den mitgeteilten 23 Fällen befindet sich nur 1 weiblicher (55 jährige 
Näherin). H. Vierordt-Tübingen. 

Obonmivor, Fr. u. Popper, lliuro. Über Uräinle. (Zeitschrift für klin. 
Medizin, 1911, Bd. 72, p. 332.) 

Die Verfasser gründen ihre Auseinandersetzungen auf eine große Zahl 
von Krankenbeobachtungen (K. K. Rudolfstiftung in Wien) und anschließende 
genauere chemische Untersuchung des durch Aderlaß gewonnenen Blut¬ 
serums. Sie kommen zum (gekürzt wiedergegebenen) Schluß: Die Urämie 
ist als eine Vergiftung zu betrachten, hervorgerufen durch Retention von 
Harnbestandteilen oder ungenügende Ausscheidung von Stoffwechselproduk¬ 
ten. . . . Das wechselnde klinische Bild, die in jedem einzelnen Fall wech¬ 
selnde Ausscheidungskraft der kranken Niere für verschiedene Körper 
lassen eher darauf schließen, daß es sich um verschiedene Körper oder 
Gruppen solcher handelt. Indikan ist in der überwiegenden Zahl der urämischen 
Sera in größerer oder geringerer Menge nachweisbar; sein Auftreten ist 
charakteristisch für Urämie, auch ist die Anwesenheit anderer aromatischer 
Substanzen im urämischen Serum sehr wahrscheinlich. In der überwiegen¬ 
den Zahl der Urämie-Fälle ist Erhöhung der molekularen Konzentration 
und N-Retention zu finden. Auch Retention von Harnbestandteilen überhaupt 
(aber nicht immer derselben Körper) läßt sich in jedem Fall von Urämie 
nachweisen. H. Vierordt-Tübingen. 


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Referate und Besprechungen. 


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Chirurgie und Orthopädie. 

Berry. J. (London), Schusswunden und Ihre Behandlung. (Practitioner, 
Bd. 87, H. 8.) 

Aus des Verf. Erfahrungen geht hervor, daß nicht nur beim Publikum, 
sondern auch unter den Ärzten das falsche Bestreben, vor allem die Kugel 
zu entfernen, noch sehr verbreitet ist. Sie soll nur dann entfernt werden, 
wenn sie in der Nähe des Gehirns, Rückenmarks, großer Gefäße, deir 
Bauchorgane oder in einem Gelenk liegt, und auch dann soll der Versuch 
nur gemacht werden, wenn die äußeren Bedingungen günstig und die Lage* 
der Kugel bestimmbar ist. Am Kopf sollen nur imprimierte Fragmente 
entfernt werden, die Kugel aber nur dann, wenn ihre Lage genau bekannt 
und die Entfernung ohne Schädigung des Gehirns möglich ist. Laparotomien 
sollen nur gemacht werden, wenn sie bald nach der Schußverletzung mög¬ 
lich sind, andernfalls ist der bessere Plan, den Verletzten einige Tage absolut 
hungern zu lassen und Abführmittel zu vermeiden. Abgesehen von diesem 
Fällen soll sich der Arzt darauf beschränken, die Schußöffnung aseptisch, 
und zwar trocken, zu verbinden (wobei B., was nicht oft genug geschehen 
kann, wieder darauf aufmerksam macht, daß frische Wäsche hinreichend 
aseptisch ist, um in Notfällen als Verband zu dienen). Die Infektionsgefahr 
von seiten mitgerissener Kleiderteile wird sehr überschätzt. Wasser und 
auch antiseptische Lösungen sollen im allgemeinen von einer Schußwunde 
fernbleiben, muß eine zerfetzte Wunde gereinigt werden, so hat das nur 
mit Instrumenten zu geschehen. Sepsis ist im allgemeinen bei einer Schu߬ 
wunde nur zu erwarten, wenn der Magen oder Darm eröffnet ist. Natürlich 
hat auch das Sondieren der Schußkanäle im allgemeinen zu unterbleiben. 

Sehr wichtig ist es, weitere Schädigung des Verletzten durch den Trans¬ 
port zu vermeiden, nicht nur bei Bauchverletzungen, sondern auch bei Knocnen- 
schüssen, da leicht durch Splitter Gefäße verletzt werden. 

Schließlich darf der Arzt nicht vergessen, daß Friedenswunden gewöhn¬ 
lich zu Gerichtsverhandlungen führen. Will er dort nicht eine traurige 
Figur spielen, so muß er die Schußwunden auch mit gerichtlich-medizinischen 
Augen ansehen, ehe er den Tatbestand durch Eingriffe verdunkelt. 

Fr. von den Velden. 

Bätzner (Berlin), Zur Trypsinhehandlung der chirurgischen Tuberkulose. 
(Arch. für kl. Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Nachdem man erkannt hatte, daß die Ausheilung der Tuberkulose sich 
an Fermentprozesse knüpfte, wie solche durch Jodoi'orminjektionen in dem 
tuberkulösen Prozeß hervorgerufen werden, teilt Verfasser seine Erfahrungen 
und Versuche mit der Trypsinbehandlung mit. Er gibt dem Fairschild’schen 
Präparat (New-York) den Vorzug und stellt als besonders günstig zu beein¬ 
flussen die Erkrankung der Sehnenscheiden, Schleimbeutel und Abszesse hin; 
jedoch wurden vom Verfasser auch bei der Gelenk- und Knochentuberkulose, 
wie die beigefügten Krankengeschichten zeigen, sehr schöne Resultate er¬ 
zielt. Das Trypsin wird in Ampullen bezogen und am besten mit der zehn¬ 
fachen Menge Kochsalzlösung verdünnt eingespritzt. Die Menge des zu inji¬ 
zierenden Trypsins hängt von der Individualität des Falles ab; in zwei- bis 
sechstägigen Pausen werden 1—2 ccm injiziert. Die oft auftretende Reaktion 
bedeutet keine Schädlichkeit. Im übrigen wurden nie Schädigungen km statiert. 

Vorschütz-Cöln. 

Friedrich (Marburg), Die Gesetzmässigkeit der Inkubationszeit bei der 
peritonalen Infektion mit nicht vorher im Körper angezüchtetem Kciinmatcrial- 
(Arch. für kl. Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Verfasser führt parallel den Versuchen am Muskel, Infektionskeime in 
die Wunde desselben zu bringen und zu prüfen, welcher Zeitraum zwischen 
Infektion und Infektionsausbruch liegt, dieselben Versuche in der Bauch¬ 
höhle von Meerschweinchen aus, indem er ein kleines Stückchen Gartenerde 
in aseptische Mullkompressen eingehüllt, in die Bauchhöhle versenkte. Es 
ergab sich auch hier dieselbe Gesetzmäßigkeit, daß nach 6 Stunden die 


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Heferate und Besprechungen. 


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Infektion ausbrach, daß nach 8 Stunden die Tiere vielleicht noch zu retten 
waren, darüber hinaus aber sämtliche Tiere zu Grunde gingen. Es ist 
also auch hierbei ein biologisches Gesetz in großer Gleichmäßigkeit Vorhände«. 

Vorschütz-Cöln. 

Matti (Born), Über einen Fall von Fistula colli mediana, hervorgegangen 
aus einem in ganzer Länge offen gebliebenem Ductus-thyreoglossus. (Arch. 
für kl. Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Mitteilung eines Falles von Fistula colli mediana, wo vom Processus 
pyramidalis bis zum Foramen coecum der Zunge der Ductus thyreoglossus 
offen geblieben war. Es ist dieses detf erste in der Literatur beschriebene 
Fall, der zugleich beweist, daß der Verlauf des Ductus nicht vor dem 
Zungenbein, sondern hinter demselben verlaufen kann, gegenüber den bis¬ 
her auf embryologischen Wege geforschten Tatsachen und Befunden, die 
stets ergeben haben, daß der Ductus vor dem Zungenbein verlaufen müsse; 
histologische Bilder sind beigefügt. Vorschütz-Cöln. 

Kümmel (Hamburg), Über intravenöse Äthernarkose. (Arch. fiir kl. 
Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Der Verfasser tritt in begeisterter Weise für die intravenöse Äther¬ 
narkose ein und will sie vornehmlich angewandt wissen bei allen Opera¬ 
tionen am Kopf und Hals, sowie bei schwer heruntergekommenen Individuen, 
bei denen die ständige Zufuhr von NaCl-Lösung als Analeptikum wirkt. Kontra- 
indiziert ist sie bei Patienten mit Arteriosklerose und starker Plethora. 

Bezüglich der Technik sei darauf hingewiesen, daß der Verfasser 

aus zwei Gefäßen Kochsalz nnd Ätherkochsalz zufließen läßt, und je nach 
Bedarf den Hahn der einen oder anderen Lösung öffnet. Es wird eine fünf- 
prozentige Ätherkochsalzlösung verwandt; alle Patienten bekamen vorher 
eine Spritze Scopoiamin-Morphium. Er hat die Methode bei 90 Fällen aus¬ 
probiert und nur in 2 Fällen, sehr aufgeregten Leuten, war sie nicht ideal, 

so daß man zu Ch CI 3 greifen mußte. Schädigungen sind nie beobachtet 

worden; die Vorteile bestehen einmal in der steten Darreichung von NaCl- 
lösung mit einem Analeptikum, dann aber auch in dem schnellen Erwachen 
nach der Narkose ohne üble Nachwirkungen. Es folgen kurz die Kranken¬ 
geschichten. Vorschütz-Cöln. 

Arnd (Bern), Die Rektalnarkose mit Ätherlösungen. (Aich, für kl. Chir¬ 
urgie. Bd. 95, Heft 1.) 

In einer Reihe von Fällen hat Verfasser 5 »o tige Ätherlösungen in das 
Rektum einfließen lassen, nach vorherigen zweimaligen Dosen von Scopoia¬ 
min-Morphium; außer in einigen Fällen war die Narkose gut, jedoch mußte 
zeitweise zur Tropfnarkose gegriffen werden. Auch die manchmal auftreten¬ 
den Atmungsstörungen führt Verfasser auf die noch zu geringe Erfahrung 
in der Technik zurück und hofft, daß bei sorgfältiger auf größere Er¬ 
fahrung sich stützender Technik die Narkose durch Äthereinläufe sich als 
sehr brauchbar erweisen werde. Jedenfalls wird die /Gefahr der Trombenbildung, 
wie sie bei intravenösen Ätherinjektionen vorkommt, sicher vermieden. Es 
folgen kurz die Krankengeschichten. Vorschütz-Cöln. 

Küttner (Breslau), Die Desinfektion der Hände und des Operationsfeldes. 
(Arch. für kl. Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Trotz jahrelanger intensiver Arbeit, die Haut der Hände zu desinfi¬ 
zieren, gibt es bis jetzt keine absolut sichere Methode, dieses zu erreichen. 
Nachdem man auf chemischem Wege nicht zu dem gewünschten Resultate 
kam, glaubte man das mechanische. Moment mit bestem Erfolge heranziehen 
zu können. Es wurden deshalb die Haut überzieheinde Schichten verwandt, 
deren es eine ganze Reihe gibt. Aber auch diese Methode bürgerüe 
sich nicht allgemein ein und schließlich griff man zu dem, absolut sicher 
die Haut deckenden Gummihandschuh, nachdem in der Fabrikation absolut 
sicher sterilisierbare Handschuhe geliefert wurden. Die Desinfektion mit 
strömendem Dampf ist die beste. Jedoch haftet dieser Methode der Umstand 
des zu teuren Betriebes an. Es ist deshalb wohl bei der größten Mehrzahl der 


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Referate und Besprechungen. 


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Chirurgen die Alkoholdesinfektion im Gebrauch, als solche, die nach bakterio¬ 
logischen Untersuchungen sich als die beste, wenn auch nicht als die absolut 
ideale erwiesen hat. Das Operationsfeld wird am sichersten mit einer fünf- 
prozentigen Jodtinkturlösung desinfiziert, nach der Grossichschen Methode. 

Vorschütz-Cöln. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Franqu6, Otto von (Giessen), Beiträge zur Operation der Prolapse nebst 
kurzen Bemerkungen zur anatomischen Ätiologie Vj (Monatsschr. für* Geb. und 
Gyn. Bd. 33. 571.) 

Heidenhain, L. (Worms), Prolaps und, Retrovcrsio. ibidem, p. 587.) 

Sippel, A. (Frankfurt a. M.), Zur Ätiologie und operativen Behandlung 
des Uterusprolapses, (ibidem, p. 610.) 

Es ist außerordentlich interessant, in diesen drei Aufsätzen sozusagen 
die ganze Prolapsfrage aufgerollt und kritisch besprochen zu sehen. Wäh¬ 
rend Heidenhain die Bedeutung des Levator ani für die Ätiologie des 
Prolapses besonders hervorhebt, auf die zuerst Tandler und Haibau 
hingewiesen haben, lehnt Sippel diese Auffassung energisch ab und nähert 
sich hierbei mehr den Anschauungen Franques, der sich nicht zu einer 
einheitlichen Ätiologie der Prolapse bekennen kann. Es ist natürlich un¬ 
möglich, daß bei derartig differenten Anschauungen über die Ätiologie der 
Prolapse bei der Therapie eine Einheitlichkeit sich erzielen läßt. So inter¬ 
essant die genauere Ausführung der diesbezüglichen Anschauungen für den 
Gynäkologen ist, dürften die kurzen Aphorismen für den Zweck dieses 
Referates genügen. 

Der Schluß, den wir gemeinsam aus den drei Arbeiten ziehen können, 
ist nämlich der, daß wir vorläufig anerkennen müssen, daß wir zur ope¬ 
rativen Behandlung der Prolapse uns unbedingt vor Schematismus hüten 
müssen. So mannigfaltig die Entstehung der Prolapse zu sein scheint, 
ebenso dringend ist die Forderung zu erheben, bei jeder Prolapsoperation zu 
individualisieren. Deshalb kann Ref. die stark schematisch gehaltene Ar¬ 
beit Heidenhains trotz ihres sicher guten Kernes nicht ohne weiteres 
gutheißen. Frankenstein-Cöln. 

Jäger, Oskar (Elberfeld), Über Spontangeburten bei engem Becken. 
(Münchener med. Wochensclir. 1911, p. 1400.) 

J. untersucht am Materiale der Elberfelder Hebammenlehranstalt die 
Frage, in welchen Fällen von engem Becken der Praktiker noch .auf die* 
spontane Geburt eines lebenden Kindes rechnen kann. An der Hand einer 
übersichtlichen Tabelle zeigt er zunächst, daß bei Beckenverengerungen 
bis zu einer Conjugata diagonalis von 9*/* herab der spontane Geburtsverlauf 
das Gewöhnliche ist, daß dagegen bei einer Conj. diag. von 9 1 /* auf einei 
spontane Geburt nicht mehr gerechnet werden darf. Der Praktiker, der 
nicht selbst größere Eingriffe bei engem Becken ausführen will, müßte dem¬ 
nach alle Frauen mit einer Conj. diagonalis von 10 cm einer Anstalt über¬ 
weisen. 

Die sonstigen Bemerkungen über die Geburtsleitung bei engem Becken 
bieten nichts Neues. 

Fr ankenstein-Cöl n. 

Stern, Albert (Frankfurt a. Main), Zur Behandlung verkümmerter, hohler 
und wunder Brustwarzen. (Münchn. n.ed. Wochensclir. 1911, p. 1360.) 

Die Kalamität der Brusthütchen hat schon mehrfach zur Konstruktion 
neuer Formen geführt. Alle diese verschiedenen Modelle, die sich wohl 
meist nur durch ihre Form unterschieden, bestehen aus einer Glaskappe, 
auf welche ein Gummihütchen aufmontiert ist. Allen haften verschiedene 
Nachteile an, welche nach den Erfahrungen des Ref. am besten noch durch 
das sogenannte skandinavische Modell vermieden werden. St. hat nun ein 
Gummiwarzenhütchen mit breitem Rand konstruiert, das verschiedene Vor¬ 
teile bieten soll. Es ist auskochbar, läßt sich vermittels eines Hohlringes 
luftdicht aufsetzen und gestattet dem Kinde ein direktes Ausmelken der 


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Referate und Besprechungen. 


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Brustwarze durch das weiche Gummihütchen hindurch. Das Hütchen wird 
unter dem Namen „Infantibus“ vertrieben. Frankenstein-Cöln. 

Ileiinuiin, Fritz (Breslau), ('her Postpartuinblutuiigen. (Münchner nied 
Wochenschr. 1011, p. 1228.) 

H. berichtet über 12 000 klinische Geburten mit 172 postpartalen Blu¬ 
tungen; von den atonischen Blutungen ging keine Frau zu Grunde. Diese 
Resultate wurden erreicht fast lediglich durch die abwartende Behandlung 
der dritten Geburtsperiode, bei der unter genauer Beobachtung des.' Stan¬ 
des und der Qualität des Uterus bis zu 4 Stunden mit der Expression der 
Plazenta gewartet wurde. Die Frage nach der Lösung der Plazenta wurde 
durch den Winckelschen Handgriff kontrolliert und nach vollendeter 
Plazentarlösung diese durch Druck auf den Fundus herausbefördert. Die 
Behandlung der atonischen Nachblutungen bestand in Secacorineinspritzungen 
und heißen Uterusdouchen; Tamponade, Uterusdislokationen, Adrenalin, Mom- 
burgscher Schlauch wurden nicht angewandt. Rißblutungen wurden durch 
Umstechung gestillt. Frankenstein-Cöln. 

Ilab,VHaus (Wien), Pituitrin als gynäkologisches Styptikum. (Münchener 
ined. Wochenschr. 1911, p. 1554.) 

Das Pituitrin scheint bei Metrorrhagien sehr guten Erfolg zu gewähr¬ 
leisten auch dann, wenn die bisher üblichen Styptika versagten. Die Blu¬ 
tungen standen nach subkutaner Injektion von 2—3 ccm in 33 «« am fersten, 
in 36 o/o am zweiten Tage. Die orale Darreichung scheint keinen sicheren 
Erfolg zu gewährleisten, hier nimmt man besser Hypophysistabletten. 

Frankenstein-Cöln. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Mattheus. H. Die Üifferentialdiagnose der Tabes. (Practitioner, Bd. 87, H.3.) 

Ein erwachsener Mann, dem öfters unversehens das Knie cinknickt 
(was zum Sturz und sogar zu Frakturen führen kann) ist auf Tabes ver¬ 
dächtig, denn der Reflex des Extensor cruris ist gestört. Nicht selten ist 
eine länger dauernde, unerklärliche Verstopfung das erste Symptom der 
Tabes; in solchen Fällen ist schon die Kolotomie ausgeführt worden, ehe 
die richtige Diagnose gestellt wurde. Auch auf Tabes beruhende Blasen- 
beschwerden und Hämaturie haben schon zu übereilten Operationen geführt. 
Zu erwähnen sind ferner lokalisierte Ödeme und Anasarka mit plötzlichem 
Auftreten. Die gastrischen Krisen verlaufen in sehr verschiedener Weise 
und können fast allen Störungen im Gebiet des Unterleibs gleichen, so daß 
sie schon zu den mannigfachsten Operationen geführt haben. 

Fr. von den Velden. 

Porrlni, (1. (Genua), Sulla menlnglte cerebrospinale. (Annali dell’ Istituto 
Maragliano. Vol. IV. Fase. 5/6._S. 327—336. 1911.) 

Auf Grund klinischer und bakteriologischer Studien kommt P o r r i n i 
zu folgenden Schlüssen: die eitrige Zerebrospinalmemingitis kann von verschie¬ 
denen Keimen bedingt sein. Ohne eingehende biologische, epidemiologische 
und bakteriologische Untersuchung darf man nicht ohne weiteres auf den 
Meningokokkus schließen; denn Strepto-, Pneumo- und andere Kokken können 
das gleiche klinische Bild liefern. 

Der Pharynx ist als Eingangspforte für alle diese Krankheitserreger an¬ 
zusehen. Buttersack-Berlin. 

Vorschiilzc, Epilepsie und Epileptin. (Allgem. rned. Centralzeitung, 1911, 39.) 

Epileptin ist eine Kombination altbewahrter Heilmittel gegen Epilepsie: 
Brom, Zinkoxyd, Borax, Phenacetin, Kochsalz u. a., hergestellt vom Labora¬ 
torium für Therapie zu Dresden. Eine definitive Heilung ist mit dem Mittel 
nicht zu erzielen, es unterdrückt aber die Anfälle», mildert deren Intensität 
und verdient deshalb weitere Beobachtung. v. Schnizer-Höxter. 

Mnnlio Ferrari (Genua), Alkohol und Zentralnervensystem. (Annali dell’ 
Istituto Maragliano, Vol. IV., Fase. 5/6. 1911.) 

Die Versuche wurden mit Methyl-, Äthyl- und Amylalkohol angestellt 



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Referate und Besprechungen. 


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und ergaben im wesentlichen die gleichen Resultate; nur waren die Verände¬ 
rungen bei Amylalkohol hochgradiger. Ergriffen waren die Ganglienzellen 
des Rückenmarks, der Hirnrinde, die Meningen und die Blutgefäße, haupt¬ 
sächlich aber die großen Vorderhornzellen. Bei chronischer Intoxikation 
war häufig auch eine kleinzellige Infiltration vorhanden. — Über die Suk¬ 
zession des pathogenetischen Geschehens sagt Ferrari nichts. 

Buttersack-Berlin. 

Göschcl, Dr., (Heilbronn'. Erfahrungen mit Broraural in der Bühnenpraxis. 
(Klin.-Therap. Woclienschr. 1911, Nr. 41.) 

Der Theaterarzt hat oft und viel Gelegenheit, sich mit dem Seelenleben 
seiner Pflegebefohlenen zu befassen; die verschiedensten Grade von Nerven¬ 
störungen, von leichter Überreizung bis zu schweren hystero-neuropathischen 
Zuständen, erheischen sein Eingreifen. Trotz der Reichhaltigkeit der zu 
Gebote stehenden Mittel ist die Anzahl der unschädlichen, rasch und sicher 
wirkenden und ohne Berufsunterbrechung anzuwendenden Mittel verhältnis¬ 
mäßig klein. Am besten entspricht diesen Anforderungen das Bromural, 
das der Verfasser mit gutem Erfolge in seiner Praxis verwandte. Einige 
charakteristische Fälle werden näher besprochen; so z. B. eine Hysterie mit 
Kollapszuständen und schwerer Cephalalgie, die auf Bromural prompt reagierte. 
Ferner mehrere Fälle lange bestehender Neurasthenie mit jedesmal meh¬ 
rere Tage dauernder Schlaflosigkeit und endlich unregelmäßige Menses mit 
Dysmenorrhoe, wobei das Bromural eine vorzügliche Wirkung gegen die Kreuz- 
und Unterleibsschmerzen entfaltete. 

Außerdem ergaben die Versuche mit Bromural bei Anwendung gegen 
das Lampenfieber gute Resultate. Bei einem großen Teil der von diesem 
quälenden Nervenaufregungszustand Befallenen wirkte nach Angabe der Be¬ 
treffenden das Mittel sedativ. 

In keinem einzigen Falle war eine Abneigung gegen das Mittel, Klagen 
über unangenehmen Geschmack, Unbekömmlichkeit nach irgend einer Seite 
hin oder belästigende Nebenwirkungen zu verzeichnen. Es kam dem Verf. 
hauptsächlich darauf an, die auffallend rasche und gute Wirkung des Bromu¬ 
rals, als Sedativum und Hypnotikum bei nervösen oder neuropathisch ver¬ 
anlagten Personen, die täglich angestrengt geistig arbeiten müssen, fest¬ 
zustellen. Neumann. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Sibley, \V. K. (London), Die Behandlung der Hautkrankheiten mit Hyperämie. 
(Practitioner, Bd. 87, H. 3.) 

Sibley betrachtet die Hyperämie als ein Mittel, den Stoffwechsel und die 
Ausscheidung unerwünschter Stoffwechselprodukte örtlich zu steigern. Da 
viele Hautkrankheiten auf mangelhafter Ernährung der Haut beruhen, so 
war von vornherein anzunehmen, daß sie durch Hyperämie günstig beein¬ 
flußt würden. 

S. verwendet Stauungsbinden, heiße Luft und Sauggläser. Hyperämie 
(Sonnen- und Sandbäder, heiße Quellen, Kataphsmen) sin! von jeher an¬ 
gewandt worden, doch ist die Anwendung jetzt bequemer und besser inodifi- 
zierbar geworden. 

Großen Wert legt S. darauf, daß die Haut frei schwitzen kann, wozu 
Trockenheit der Luft erforderlich ist. Unter den Heißluftapparaten lernt 
mancher das Schwitzen, das er-nie gekannt hat (was übrigens auch bei 
Anwendung von Linden- oder Holunderblüten vorkommt). Im lokalen Hei߬ 
luftbad wird nicht nur die Temperatur des betr. Körperteils, sondern des 
ganzen Körpers um 1 / 2 ° erhöht, der Puls und die Atmung beschleunigt, es 
nimmt also der ganze Mensch an der Erhöhung des Stoffzerfalls teil. 

Bei der Anwendung der Sauggläser ist es wichtig, die Luft nur so stark 
zu verdünnen, daß das Glas eben haften bleibt und kein Schmerz auftritt. 


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Referate und Besprechungen. 


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Mit stärkerer Saugung wird leicht 'Schaden angerichtet, besonders bei Lupus 
und allen hyperämischen Zuständen. 

Durch strahlende Hitze (Glühlicht) werden erfolgreich behandelt Ekzem, 
besonders chronisches, Erythema nodosum, Ichlhyosis, Psoriasis, Raynaudsche 
Krankheit, Sklerodermie, syphilitische und andere torpide Geschwüre; Saug- 
gliiser zieht S. vor bei Akne. Akne rosacea, Alopecia areata, lokalisiertem 
Ekzem, Lupus, Frostbeulen, Narben, bei denen es gelingt, wenigstens die 
Einziehung zu beseitigen, Seborrhoe und Sykosis. 

In vielen Fällen dient die Hyperämie dazu, die Haut empfänglicher 
für die Salben und Linimente zu machen und stellt allein keine hinreichende 
Behandlung dar. Überhaupt ist sie keine Panacee und muß mit Vorsicht und 
ohne zu hochgespannte Erwartungen angewandt werden. 

Die Röntge nstrahlenbehandlung der Hautkrankheiten ist nach S.'s An¬ 
sicht auch nur eine Abart der Hyperämisierung, und zwar eine gefährlichere^ 

Bemerkenswert ist noch, daß man auch die Pigmentierung der Haut 
durch Hyperämie beeinflussen und Leukoderma beseitigen kann, wobei man 
sich nur hüten muß des Guten zuviel zu tun. Fr. von den Velden. 

Wehner, Br. (Berlin), Über die Behandlung hartnäckiger, nässender 
Ekzeme. (Therapie der Gegenwart. 1911, Nr. 9.) 

Um selbst .sehr hartnäckige Ekzeme rasch zur Heilung zu bringein, 
wendet Verfasser folgendes Verfahren mit Erfolg an: Man preßt ein mit 
5 o,o iger Höllensteinlösung getränktes Wattebäuschchen wiederholt fest 
auf die feuchten Ekzemstellen bis völlige Trockenheit der Stellen eingetreten 
ist. Die Flächen werden mit einer 3—5 proz. Lenigallolzinkpasta, die messer¬ 
rückendick auf ein Mullläppchen gestrichen wird, bedeckt; darüber kommt 
ein fester Verband. Zur Nachbehandlung verwendet man zweckmäßig eine 
Teerpaste. Sollte nach drei Tagen ein vollkommenes Aufhören des Nässens 
nicht eingetreten sein, so wird die Lenigallolpaste nochmals für drei Tage 
angewandt. Es empfiehlt sich, das Lenigallol nicht länger als drei Tage 
hintereinander anzuwenden, und dann eine Pause von ein bis zwei Tagen ein¬ 
zuschieben. In der Zwischenzeit behandelt man mit Zinkpaste oder Zinköl. 

Das Verfahren beruht auf der reduzierenden Wirkung des Lenigallols. 
Das gebildete Silberalbuminat wird unter Schwarzfärbung reduziert und bildet 
ein trockenes, festes Häutchen, unter dem die Heilung ungestört vor sieb 
geht. Der Vorgang ist etwa der Reduktion des Silbers der photographischen 
Platte gleichzustellen. 

Eine Reizwirkung ist bei Anwendung einer 3—5 proz. Paste und nur 
dreitägiger Anwendung mit darauffolgender Pause ausgeschlossen, dafür kom¬ 
men die vorzüglichen Eigenschaften des Lenigallols, besonders seine prompte 
juckstillende Wirkung zur Geltung. Neumann. 


Physikalisch-diätetische Therapie. 

Fritsch, Dr. K., Jodipin im Röntsrenbildc. (Beiträge zur kl. Chirurgie» 
Bd. 75, Heft 1 u. 2.) 

ln zwei vom Verfasser beschriebenen Fällen wurden bei Röntgendurch¬ 
leuchtung eigentümliche, teils diffuse, teils zirkumskripte Schatten beob¬ 
achtet, die anfangs eine diagnostische Fehlerquelle boten, dann aber als von 
früheren Jodipininjektionen herrührend festgestellt wurden. Ähnliche Fest¬ 
stellungen sind auch von anderen Seiten gemacht worden, in neuester Zeit 
berichteten darüber Härter und Dahlhaus. Während einzelne Autoren aus den 
Befunden auf eine durch das Jodipin verursachte Verkalkung oder Verknöche¬ 
rung geschlossen hatten, konnte von anderen, so auch in einem der vorliegen¬ 
den Fälle durch Operation nachgewiesen werden, daß eine ossifizierende 
Muskelerkrankung als Folge der Jodipininjektionen auszuschließen ist. Fritsch 
hat die Frage daraufhin experimentell geprüft, indem er einem Hunde Injek¬ 
tionen von 10 ccm 25 proz. Jodipin in die Oberschenkelmuskulatur injizierte. 
Das nach vier Wochen aufgenommene Röntgenbild zeigte die bewußten 


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Referate und Besprechungen. 


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Schatten mit auffallend genauer Zeichnung der Muskeln bis in die einzelnen 
Fibrillen. Nach einem weiteren Vierteljahr wurden Probeexzisionen aus der 
betroffenen Muskulatur gemacht, wobei das Jodipin in kleinen Tröpfchen her¬ 
austrat. Makroskopisch und mikroskopisch zeigte sich keinerlei Reaktion 
des Gewebes, weder Leukozyten noch Wucherungen waren an den Bindege¬ 
webs- und Muskelelementen nachweisbar. Die auffallenden Erscheinungen 
auf Röntgenbildern nach Jodipininjektionen beruhen also allein auf der lin- 
durchlässigkeit des aufgespeicherten Jodipins. Eine Muskel- und Fasziener¬ 
krankung infolge jener Injektionen existiert nicht. Es lag nahe, die graphische 
Darstellung des Jodipins im Röntgenbilde praktisch zu verwerten. Die Ver¬ 
suche von Fritsch führten zu bemerkenswerten Resultaten. Die Jodipininjek¬ 
tionen sind hiernach als wertvolles, im Gebrauche einfaches Hilfsmittel zur 
Diagnostizierung bezw. bildlichen Darstellung von Hohlräumen, insbesondere 
von Fistelgängen anzusprechen. Vor dem Jodoformglyzerin hat das Jodipin 
große Vorzüge. (Auch angesichts der häufigen therapeutischen Verwertung 
der Jodipininjektionen ist die Feststellung von Interesse, daß das injizierte 
Jodipin tatsächlich in unverändertem Zustande deponiert wird, also ganz 
allmählich zur Aufsaugung kommt und daß es nicht die geringsten Reizer¬ 
scheinungen verursacht.) 

Müller. 0. u. Veiel, I'. (Tübingen), Beitläge zur Krelslaufphysiologic des 
Menschen, besonders zur Lehre der Blutverteilung. II. Teil: Die gashaltigen 
Bäder. Sammlung klin. Vortiage Nr. 630/632. Ambrosius Barth, Leipzig. 

In ihren fwigesetzten, eingehenden Untersuchungen über die Wirkung von 
Bädern kommen die Verfasser in diesem Teil ihrer Arbeit wesentlich zu 
folgenden Schlüssen: 

Ein kühles C0 2 -Soolebad von 31—32° C wirkt 1. als Herz- 
und 2. als Vasomotorenmittel. 

ad 1. Es erzielt eine mäßige Herabsetzung der Schlagfolge, eine Ver¬ 
größerung des Schlagvolumens (es wird mehr Blut mit jedem Herzschlage 
befördert), durch tiefere Atmung eine Erleichterung des venösen Abstroms 
zum Brustkorb und rechten Herzen. Die ganze Zirkulation wird beschleunigt, 
dadurch Gelegenheit zum Ausgleich von Stauungen. 

ad 2. Die gesamten peripheren Arterien ziehen sich zusammen; etwas 
Bpäter erweitern sich sekundär die Gefäßgebiete des Bauches uw wos Ge¬ 
hirnes, ohne jedoch ihre Spannung (Tonus) völlig zu verlieren, so daß ihr 
Effekt für den Blutdruck nie dem der peripheren Kontraktion — der ihn 
erhöht — gleichkommt bezw. ihn ausgleicht. Gleichzeitig tritt eine Hyper¬ 
ämie kapillärer Art der Haut ein — bedingt durch den direkten Reiz sei¬ 
tens der C0 2 und event. auch der Soole, die einen der Gründe des Wärine- 
gefühls darstellt. Diese kapilläre Hyperämie entlastet das Herz nicht ge¬ 
nügend. Da es erwiesen ist, daß die Kapillaren nur '/is des Widerstandes 
im Gefäßsystem,, die Arterien — hauptsächlich die kleinen — dagegen 
u ht darstellen. Also Vergrößerung der Herzarbeit = Anstrengung 
in kühlen C0 2 -Soolebädern. 

Ein laues C0 2 -Soolebad (33—34 0 C) steigert nur ganz leicht die 
Widerstände für das Herz und übt es in geringem Maße. Die Frequenz bleibt 
meist unverändert. Das Schlagvolumen ist nur wenig vergrößert; die Kon¬ 
traktion der peripheren Gefiße fällt fort und somit fehlt die oben be¬ 
schriebene Änderung der Blutverteilung. 

Ein C0 2 -Soolebad von 36 0 C steigert die Frequenz und das Schlag¬ 
volumen, die Atmung ist flach, wodurch der venöse AbRrom nicht gefördert 
wird. Die äußeren Arteneu erweitern sich stark, so daß trotz vergrößer¬ 
ten Schlagvolumens und leichter, kompensatorischer Zusammenziehung der 
Arterien des Bauches und Gehirns, der Blutdruck sinkt. — Die Herzan¬ 
strengung ist kleiner. 

Die Sauerstoff - und Vierzellenbäder — bei mittlerer Strom¬ 
stärke — haben als mildere Prozeduren, als Überleitung und da. wo man CO,- 
Bäder nicht zu geben wagt, zu gelten. Im übrigen ist ihre Wirkung analog den 
C0 ; -Bädern, wobei bemerkt werden muß, daß zwischen galvanischen, faradi- 


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Re terato und Besprechungen. 


sehen und Wechselstrom-Bädern kein prinzipieller Unterschied zu bestehen 
scheint. Auch besteht kein solcher zwischen Anode und Kathode. Bei wachsen¬ 
der Stromstärke nehmen die periphere (Jefaßkontraktion, das Schlagvolumen 
und der Blutdruck zu. Krebs-Falkenstein. 


Medikamentöse Therapie. 

Wenn bei Magengeschwüren das Bild ein beunruhigeindes ist, so gibt 
Denarie-Chambery zunächst eine Lavement mit */ t 1 physiologischer Koch¬ 
salzlösung. dann stündlich abwechselnd 2 auf Eis gekühlte Arzneien, von 
denen die eine Ergotin, die andere Eisenchlorid enthält. Am 2. Tage auf 
Eis gekühlte Milch kaffeelöffelweise. Vom 3. Tage an 0,5 Salol in etwas 
Milch morgens, darnach l /s Stunde Rückenlage, 30 Tage lang. Dann vom 
t. Tage ab Eigelb, Suppen, Pürees, erst nach dem 30. Tage Brot und 
Fleisch. Das Salol, das einmal die Hyperazidität des Magens vermindert, 
dann aber auch die Vernarbung des Geschwürs beschleunigt, muß monate*- 
lang (mit Pausen) genommen werden. (Bull, gener. de ther. 1911, 7.) 

v. Schnizer-Höxter. 

Bullere, Walter (Oberapothekenrevisor), Ersaizpräparate. (Annales de 
Pharmacie, 1011, Nr. -1.) 

Die meisten Medikamente chemischen Ursprungs werden unter Schutz¬ 
namen in die Therapie eingeführt, da die Fabrikanten den berechtigten Wunsch 
haben, sich den- Erfolg der jahrelangen physiologischen Experimente und 
der klinischen Versuche zu sichern. Ein Teil dieser Präparate wurde in die 
Pharmakopoen unter ihren chemischen Namen aufgenommen und diesen als 
Synonym der geschützte Name zugesetzt. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, 
daß der Apotheker ein beliebiges Ersatzpräparat statt des vom Arzte ver- 
ordneteu Originalpräparats abgeben darf. Verfasser untersuchte vergleichs¬ 
weise verschiedene Ersatzpräparate, die unter dem Namen des wortgeschütz¬ 
ten Präparates abgegeben wurden, unter anderen auch Diuretin und die dafür 
•abgegebenen Ersatzpräparate. 

. Während nach der Methode von Vulpius im Diuretin 0,79 bis 0,83 g 
Theobromin zur Wägung gelangen, ergab das Ersatzpräparat nur 0,26 bis 
0,27 g Theobromin, also nur den dritten Teil des im Originalpräparat ent¬ 
haltenen Theobromins. 

Aus diesem Befunde ergibt sich, daß man den Ersatzpräparaten nur mit 
dem größten Mißtrauen begegnen kann. Neumann. 

Kolde, Wnlfgang (Erlangen), Uber Versuche mit Pantopun ln der Geburts¬ 
hilfe. (Münch, med. Wochenschr 1911, p. 1499.) 

K. berichtet über einschlägige Versuche an der Frauenklinik in Er¬ 
langen. Er verfügt über 50 Fälle mit 2 »« Mißerfolg und nur 30 «o Schmerz¬ 
linderung, während in den übrigen Fällen von einem guten Erfolg, d. h. 
einem vollständigen Dämmerschlaf gesprochen wird. Allerdings möchte Ref. 
darauf hinweisen, daß aus der Arbeit nicht hervorgeht, ob die Beurteilung 
des Dämmerschlafes nach dem doch sehr wichtigen II a u ß sehen Bchcma 
erfolgt ist. 

Das Wesentlichste der Arbeit ist der Nachweis, daß die beim Mor¬ 
phium-Skopolamindämmerschlaf sehr häufig beobachtete Oligopnoe und 
Asphyxie des Kindes beim Pantopon-Skopolamin nur in Ausnahmefällen vor¬ 
zukommen scheint; ebenso scheinen die Exzitationszustände seltener zu sein. 
Sollten diese Beobachtungen durch weitere Untersucher gestützt werden, 
so würden sicher weitere Kreise sich diesen Injektionen zuwenden. Ref. 
betont, daß gerade diese beiden Mängel des Morphium-Skopolamin-Dämmer- 
schlafs ihn von dessen häufigerer Anwendung abgehalten haben. 

Frankenstein-Cöln. 


Druck von Julius Reit 7 , Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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30. Jahrgang 


1912. 


Tomcbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

her&usgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prlo.-Doz. Dr. p. Eriegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 3. 


erscheint wöchentlich sum preise von 8 (t)arh für öos 
Balbjobr. 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 


18. Januar 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Traumatische Hysterie. 

Von Dr. med. Hans Haenel, Naturarzt in Dresden. 

Nach einem Vortrage in der Gesellschaft für Natur- u. Heilkunde zu Dresden am 14. X. 11. 

In die so viel umstrittene Ursachenlehre der Hysterie schien durch 
die Beobachtungen von Hysterie nach Trauma ein helleres Licht zu fallen. 
Hier sah man eine eindeutige, dem Kreis der Deutungen und Vermutun¬ 
gen entrückte Ursache vor sich, und in der Gleichung mit zwei und mehr 
Unbekannten, die das Hysterieproblem darstellt, schien die eine Grösse 
jetzt wenigstens bekannt. Bei genauerem Zusehen ist aber in Wahrheit 
dabei nicht viel gewonnen. Schon die Art des Traumas bedurfte eines 
genaueren Studiums. Es fiel sofort auf, dass längst nicht jede Verletzung 
zu einer Hysterie führt, sondern dass die grösste Mehrzahl derselben ohne 
weitere nervöse Folgen heilt. Es fiel ferner auf, dass zwischen der Grösse 
der Verletzung und dem Grade der sich anschliessenden Nervenerkran¬ 
kung keinerlei bestimmtes oder gleichmässiges Verhältnis besteht: 
Schwere Verstümmelungen heilen nicht selten, ohne am Nervensystem 
Spuren zu hinterlassen, andererseits sieht man, wie ein leichter PufT, eine 
unbedeutende Schramme, ja schon die knapp noch vermiedene Gefahr 
zu langanhaltendem nervösen Siechtum führen. In diesem letzteren 
Punkte liegt nun schon der Schlüssel zur Erklärung der'Widersprüche: 
es kommt nicht sowohl auf die mechanischen Verhältnisse an als auf die 
seelischen Bedingungen, unter denen das Trauma wirkt und zu denen es 
Anstoss gibt. Ein Beispiel, auf das schon wiederholt hingewiesen wurde: 
Es dürfte noch kaum eine echte Neurose nach einem Mensur-Schmisse 
vorgekommen sein, obgleich diese Verletzungen ja die sonst so bedenkliche 
Schädeloberfläche absichtlich bevorzugen. Ebenso sind im Kriege und 
nach demselben die Neurosen im Verhältnis zu der Zahl der überhaupt 
vorgekommenen Verletzungen ohne Frage sehr wenig zahlreich. Unfälle 
bei Wettkämpfen, Rennen, auf Forschungsreisen und Rettungs-Expe¬ 
ditionen heilen fast regelmässig ohne hysterische Nacherscheinungen. — 
Für die Geringfügigkeit der Verletzungen, die man dagegen bei „Trau- 
matikem“ oft in der Anamnese findet, brauchen wohl keine Beispiele an¬ 
geführt zu werden. 

Der Satz sei also vorangestellt: Ein körperliches Trauma genügt 
nicht, um eine traumatische „Neurose“ zur Folge zu haben; es muss zu¬ 
gleich ein Trauma seelischer Art sein. 

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Haenel, 


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Und so stehen wir doch wieder mitten in der Frage nach der Psy¬ 
chologie und damit nach dem Wesen der hysterischen Neurose. Unter 
Hysterie hat seit den ältesten Zeiten fast jede Generation, ja fast jeder 
Autor etwas anderes verstanden, und die rasche Reise, die uns Steyer- 
t h a 1 durch die Geschichte der Hysterie führt'), gibt dafür lehrreiche 
und unterhaltende Beispiele genug. 

Das Einzige, worüber man sich heute wohl einig ist, ist, dass es 
sich bei der Hysterie um eine Psychose handelt, und zwar um eine Psy¬ 
chose, die mit körperlichen Symptomen verknüpft ist und zu solchen 
führt. 

Wenn hier bisher die Worte traumatische Neurose und Hysterie 
unterschiedslos gebraucht wurden, so geschah dies, weil sich in der Praxis 
eine scharfe Grenze zwischen beiden sehr oft nicht ziehen lässt. Will man 
theoretische Unterscheidungen treffen, so hält man sich am besten an 
die hysterischen Stigmata, die körperlichen Spiegelbilder des spezifischen 
Seelenzustandes der Hysterischen, also die oberflächlichen und tiefen 
Anästhesien in dem bekannten Abgrenzungstypus, die Störungen der 
Sinnesorgane, Gesichtsfeldeinengung, Anosmie, Schmerzpunkte, usw. 

Einfach wird die Diagnose auch, wenn sich hysterische Lähmungen 
oder vasomotorisch-trophische Störungen einstellen. Zu den letzteren 
möchte ich aber — nebenbei gesagt — die nur allzuleicht diagnostizierte 
Dermographie noch nicht rechnen; ein bis 10 oder mehr Minuten dauern¬ 
des „Nachröten“ nach einem scharfen Strich mit dem Hammerstiel auf 
dem Rücken ist ein normaler Vorgang, erst wenn echte Quaddelbildung 
auftritt, darf von einer vasomotorischen Uebererregbarkeit gesprochen 
werden. Jedenfalls aber sind die Stigmata keine conditio sine quä non 
zur Stellung der Diagnose Hysterie. 

Wir werden also nachdrücklich auf die Betrachtung des Seelenzu¬ 
standes der Unfall-Verletzten hingewiesen; aber auch dieser wird zur 
eindeutigen Herausschälung der Diagnose Hysterie nicht immer ausrei¬ 
chen. Treten freilich Dämmerzustände, Bewusstseinseinengung, konvul¬ 
sivische Anfälle auf, dann hat es der Gutachter leicht. Bei der grossen 
Mehrzahl der Traumatiker findet man aber einfach das bekannte Bild 
des mürrischen, unzufriedenen oder kleinmütigen, ja hoffnungslosen, in 
die Betrachtung der eigenen Körperzustände versunkenen, energielosen 
Kranken, und es ist so ziemlich der Willkür des Gutachters überlassen, 
ob er dafür die Bezeichnung Neurasthenie, Psycho-Neurose, Hysterie 
oder Hypochondrie anwenden will. Das Suchen nach körperlichen Sym¬ 
ptomen ist natürlich notwendig; man soll aber nicht meinen, mit der Fest¬ 
stellung eines Lidflatterns oder Fingerzitterns, eines „Nachrötens“ oder 
lebhafter Sehnenreflexe etwas wesentliches zur Differentialdiagnose bei¬ 
getragen zu haben. All diese kleinen Funktionsstörungen sind bei Ner¬ 
venkranken aller Art so alltäglich, werden einzeln oder vereinigt auch bei 
Gesunden so häufig angetroffen, dass sie nur in Verbindung mit anderen 
Krankheitserscheinungen und unter Berücksichtigung des Gesamtbildes 
des Kranken verwertet werden dürfen. 

Das Bild „des“ traumatischen Hysterikers zu zeichnen, ist deshalb 
so schwierig, weil die Psychogenese trotz der scheinbar so einfachen 
Verknüpfung: Trauma-Hysterie doch eine so vielfältige ist. 

Wird ein Verletzter hysterisch durch Disposition ? Oft gewiss, 
wenn Arbeitsscheu, Alkoholismus, mangelhafte Selbstdisziplin, Absonder- 


') VVaj ist Hyst'riüT Haie, Marhold. 1908. 



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i Traumatische Hysterie. 


67 


lichkeiten des Charakters bestanden. Aber wir sehen, dass auch aus 
voller Gesundheit und verantwortungsvoller Tätigkeit heraus Menschen 
durch Unfall hysterisch werden. Hier sind die Pfade der Individualpsy¬ 
chologie oft unentwirrbar. Das eine steht jedenfalls — trotz künstlicher 
Deutungsversuche im gegenteiligen Sinne— fest: bei Unfalls-Hysterikern 
ist von einer Verdrängung oder Konvertierung des Affekts nicht die 
Rede, derselbe wird im Gegenteil bewussterweise gepflegt und in der 
Erinnerung bewahrt. — Wir finden durch die Mannigfaltigkeit der Bil¬ 
der wohl am besten hindurch, wenn wir einige grössere psvcho-palho- 
logische Gruppen abzusondern versuchen. 

I. Da wären zuerst die Fälle anzuführen, die als fertige Hysterie dem 
Arzte zu Gesicht kommen und bei denen erst die genaue Anamnese ergibt, 
dass ein Trauma bei ihrer Entstehung im Spiele gewesen ist. Wir wissen, 
dass es heute eineganze Schule gibt, die so w’eit geht, jede Hysterie als eine 
traumatische zu bezeichnen, in dem Sinne, dass ein einmaliges äusseres 
Ereignis oder eine Kette von solchen der Bew'usstseinstätigkeit Anlass 
gibt, dauernd in abnorme Bahnen zu geraten. Dieses krankmachende 
Erlebnis sei in den allermeisten Fällen ein sexuelles und werde nach ganz 
spezieller psychischer Gesetzmässigkeit in der Regel vom Pat. vergessen, 
verdrängt oder umgedeutet. Die Zahl der von Freud und seinen Schü¬ 
lern beschriebenen Fälle dieser Art ist heute schon so gross, dass an dem 
Vorkommen, ja der Häufigkeit der nach diesem Mechanismus entstan¬ 
denen Hysterien kein Zweifel mehr sein kann. Ebenso sicher aber ist, 
dass dieser psychische Mechanismus nicht der einzige bei der Hysterie vor¬ 
kommende ist, weder was die sexuelle Natur des Traumas noch was die 
,,Verdrängung“ betrifft. Eine traumatische Hysterie der ersteren Art 
war 7 . B. folgender Fall: 

Ein 28 jähriger Mann kommt mit einer eigenartigen spastischen 
Kontraktur des r. Fusses, die sich angeblich spontan seit einigen Wochen 
entwickelt und langsam verschlimmert hat. Die Diagnose schwankte 
längere Zeit zwischen organischer und funktioneller Lähmung; auf ein¬ 
dringliches Befragen stellte sich heraus, dass Pat. auf einem Spaziergang 
einmal über eine Wurzel gestolpert war und sich den Fuss etw’as „ver¬ 
treten“ hatte. Die kaum vor sich seihst eingestandene Sorge, die Ver¬ 
letzungkönne Folgen haben, hatte den Pat. zu der abnormen Fusshaltung 
geführt; sie war nach einiger Zeit aus der anfangs willkürlichen Scho¬ 
nungsstellung in eine unwillkürlich eintretende und willkürlich nicht mehr 
korrigierbare Lähmung übergegangen. Das Trauma w r ar nicht verdrängt, 
sondern einfach vergessen worden, Nachdenken im Wachen brachte es 
wieder in Erinnerung; auch in der Hypnose, die rasche Heilung herbei¬ 
führte, kam kein komplizierteres Motiv, kein seelischer Konflikt zum Vor¬ 
schein. Charakteristisch war die nachträgliche Angabe des Pat., er habe, 
als nach längeren vergeblichen Versuchen mit einer auf ein organisches 
Leiden gerichteten Behandlung zum ersten Male das Wort „Hypnose“ 
fiel, gleich gewusst, dass die ihn würde heilen können. Aber diese seine 
Einsicht in die Natur seines Leidens genügte doch nicht, um nun die Kon¬ 
traktur zu überwinden resp. zu unterlassen, es musste die Suggestion von 
aussen in der übrigens ganz oberflächlichen Hypnose noch dazukommen. 
Bezeichnend für das eigentümliche Wechselspiel zwischen Bewmsst und 
Unbewusst bei der Hysterie! 

II. Handelt es sich in solchen Fällen um eine Autosuggestion, um 
Vorgänge, die der Patient nur mit sich allein abmacht, so kann man in 
einer zweiten Gruppe die Fälle zusammenfassen, wo Fremdsuggestionen 

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Haenel, 


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zur Entwicklung des Krankheitsbildes w e s e n 11 i c li beitragen. Diese 
stellen dann gewisserniassen noch ein Hilfstrauma dar, das gelegentlich 
verderblicher wirkt als das erste. Auch bei dieser und den folgenden 
Formen bedarf es keiner mehr oder weniger geheimnisvollen Verdrängung 
oder Amnesie, sondern der Vorgang spielt sich recht sichtbar an der Ober¬ 
fläche des Seelenlebens ab. 

Oft sind es die Verwandten, die durch ihre unsachgemässe Sorge in 
dem Pat. erst den spezifischen Gemütszustand heraufzüchten, oder die 
Arbeitsgenossen; bei Kindern die überängstlichen Eltern, die es verhin¬ 
dern, dass eine körperlich bedeutungslose oder restlos geheilte Verletzung 
auch psychisch restlos verschwindet. Viel Unheil richten in dieser Be¬ 
ziehung die Kurpfuscher an. die mit Schematismus und Wichtigmacherei 
die Aufmerksamkeit der Kranken in Spannung erhalten. Aber auch die 
Aerzte dürfen hier nicht vergessen werden: es muss immer wieder darauf 
hingewiesen werden, von welch ausschlaggebender Wichtigkeit die erste 
Untersuchung nach der Verletzung durch den Arzt ist. Eine ungünstige 
Prognose legt da nur zu oft den Grund zu krankhaft fixierten Vorstel¬ 
lungen, gegen die spätere Aerzte und Gutachter dann vergeblich ankämp¬ 
fen. Ein unbedachtes Wort, ja ein Hochziehen der Augenbrauen, eine 
bedenkliche Miene genügt, um Kranken, die in der gespanntesten Erwar¬ 
tung zum Arzte kommen, ungünstig zu beeinflussen und für alle weitere 
Psycho-Therapie zu verderben. Möge jeder Arzt sich stets vor Augen 
halten, dass die kleinste Verletzung den Ausgangspunkt einer Hysterie 
bilden kann, und dass er nicht nur einen zu verbindenden Finger oder 
eine zu nähende Schnittwunde vor sich hat, sondern einen Menschen in 
einem ausserordentlichen, für Suggestionen aller Art höchst empfäng¬ 
lichen Gemütszustände. Denn bei einem Verletzten ist der Nährboden 
für ein ermutigendes, zuversichtliches Wort sicher meist ebenso günstig 
wie für ein bedenkliches oder zweifelhaftes, und diese einfachste vorbeu¬ 
gende Psycho-Therapie sollte jeder Arzt treiben, selbst auf die Gefahr 
hin, durch eine zu gut gestellte Prognose die Grösse seiner ärztlichen 
Leistung zu schmälern oder seine Prognose später in einem oder dem 
anderen Punkte ändern zu müssen. 

III. Diese vorbeugende Behandlung ist um so wichtiger, als im Zeit¬ 
alter der gesetzlichen und Privatversicherungen eine mächtige Suggestion 
dauernd in dem Sinne ausgeübt wird, dass Unfall und Invalidität aufs 
engste miteinander verknüpft sind. Und damit kommen wir zu der 
dritten, modernsten Gruppe der traumatischen Hysterien, der ,,Renten¬ 
hysterie“. 

Der psychische Mechanismus dieser Form ist ja oft genug dar¬ 
gestellt worden, und lange genug hat es gedauert, bis der grundsätzliche 
Unterschied von der Simulation gefunden wurde, — was nicht hindert, 
dass praktisch die Grenze oft genug nicht gezogen w'erden kann. Um die 
Typen kurz zu formulieren: der Simulant spielt eine nicht vorhan¬ 
dene Krankheit; der Uebe'rtreiber fügt freiwillig zu vorhandenen 
Krankheitserscheinungen Zutaten bei; der Hysteriker tut unter Um¬ 
ständen beides, aber unfreiwillig und aus einer Ueberzeugung, die zu 
ändern nicht oder nicht mehr in seiner Macht steht. 

Wenn die Bedeutung des psychischen Faktors nicht aus der Einzel¬ 
beobachtung schon hervorginge, — die Statistik gibt einen unwider¬ 
leglichen Beweis für die Wesensänderung, die der Unfall einging, als er 
entschädigungspflichtig wurde. Die ungeheure Vermehrung der trauma¬ 
tischen Hysterien nach der Einführung einer gesetzlichen Unfallversiche- 



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Traumatisches Hysterie. 


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rung ist ja nicht nur ein internationales medizinisch-psychologisches, 
sondern auch ein sozialpolitisch hoch bedeutsames Phänomen geworden. 
Ganz von selbst richtete sich die Aufmerksamkeit jetzt auf den Anteil 
der Begehrungsvorstellungcn, die vorher in der Psychologie des Hyste¬ 
rikers kaum eine Rolle gespielt hatten. 

Und hier ist es nun doch nicht zu umgehen, sich eine grundsätz¬ 
liche Ansicht über das Wesen der Hysterie zu bilden, weil es von 
diesem Punkte vielleicht am leichtesten zugänglich ist. — Wenn den see¬ 
lisch normalen Menschen eine Krankheit trifft, so ist sein erstes, ursprüng¬ 
liches Streben, dieselbe wieder loszuwerden; er spiegelt als handelndes 
Individuum den Vorgang wieder, den die einzelne Zelle bei Störung ihrer 
Tätigkeit abwickelt: möglichst rasche und vollständige Rückkehr in den 
Normalzustand. Die Krankheit ist also etwas, was geflohen oder abge- 
stossen wird. Was kann nun den Menschen veranlassen, diese Reaktion 
in ihr Gegenteil zu verkehren, d. h. die Krankheit festzuhalten oder auf¬ 
zusuchen ? Es muss von irgendwo her ein starkes Motiv kommen, was 
die Krankheit als einen Gewinn, nicht mehr als einen Verlust an Glücks¬ 
oder Lustgefühl erscheinen lässt. Die Simulation scheidet hier von vorn¬ 
herein aus, weil sie ja keine Krankheit ist. der Simulant nicht im eigent¬ 
lichen Sinne „leidet“: von den krankhaften Simulanten wird noch zu 
sprechen sein. — Anders ist es mit den Selbstbeschädigungen und 
Verstümmelungen, die aus den verschiedensten Gründen vorgenommen 
werden: hier liegt schon eine Verkehrung vor: ein Unlustgefühl wird ge¬ 
sucht, um ein Lustgefühl auf anderem Gebiete dafür einzutauschen, mag 
dies Befreiung vom Militärdienst oder Gewinn an religiösen Gütern — 
Askese — oder Befriedigung der Eitelkeit — Tätowierungen usw. — oder 
sonstwie heissen. Festzuhalten ist, dass sich dies bis hierher alles im vollen 
Lichte des Bewusstseins abspielt. Zur Seelenkrankheit kommt es erst, 
wenn dieser Wille zum Leiden dem Betreffenden nicht mehr klar zum 
Bewusstsein kommt. Von dem ursprünglichen intellektuellen Motiv ist 
dann meist nur die Affektlage übrig geblieben, der eigentliche In¬ 
halt aber unbewusst geworden. Solcher Motive gibt es nun sehr viele, 
und sehr oft trifft sicher die von Freud ausgebildete Lehre zu, die 
sexuelle Wünsche und Erlebnisse als Ausgangspunkt auffindet. Bei die¬ 
sen sexuellen Vorgängen findet sich stets eine enge Mischung zwischen 
positiven und negativen, suchenden und fliehenden, treibenden und hem¬ 
menden Strebungen, ein unendlicher KonfliktsstofT von stärkster Ge¬ 
fühlsbetonung; Wollust und Leiden liegen oft gar nicht im Widerstreit, 
sondern sind identisch geworden: der konvulsivische Anfall wird zum 
phantastischen Surrogat des Koitus. 

Wo es sich also nachweisen lässt, dass das hysterische Symptom 
einen sexuellen Inhalt hat, — der freilich oft durch Verschiebungen, 
Svmbolisierung, „Konversionen“ sehr versteckt sein mag, — da ist es 
psychologisch verständlich, dass zwischen Loswerdenwollen und Fest¬ 
halten einmal das letztere die Oberhand behält. — 

In anderen zahlreichen Fällen ist der grosse, bedeutungsvolle Effekt 
der Furcht als Mittel- und Ausgangspunkt hysterischer Symptome 
zu erkennen. Schon im normalen Leben liegt die Regung der Furcht, 
die ein Ding fliehen heisst, mit der gegenteiligen, die zu dem Dinge 
hinzieht, oft sehr eng beisammen. Es sei an den Höhenschwindel er¬ 
innert: die Furcht, zu nahe an den Abhang zu kommen, ist verbun¬ 
den gerade mit einem Impulse zum Vornüberneigen; oder die weitver¬ 
breitete, noch keineswegs krankhafte Vorstellung, eine feierliche Hand- 


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70 Haenel, Traumatische Hysterie. 

lung, eine Predigt o. a. durch irgendeine Auffälligkeit, einen Ruf, ein 
Schimpfwort, stören zu müssen, ln anderen zahlreichen Fällen ist es 
die Furcht vor einer bestimmten Krankheit, die den Pat. gerade deren 
Symptome besonders stark empfinden lässt. Die Furcht steht wie eine 
unübersteigliche Schranke vor dem gewünschten Ziele: Was ist z. B. 
die „pseudospastische Parese“ Fürstners anderes als das ins Gro¬ 
teske vergrösserte Bild der Angst vorm Gehen ? 

Eitelkeit, das Bedürfnis, Beachtung zu finden um jeden Preis, ist 
ein weiteres bekanntes Motiv, das unter Umständen imstande ist, das 
.,Gesundheitsgewissen“, wie es 0. Kohnstamm 1 ) treffend bezeich- 
nete, zum Schweigen zu bringen oder zu übertönen. Es wäre mehr 
als wunderbar, wenn nicht schliesslich auch direkte materielle Vorteile, 
die Aussicht auf bares Geld und bequemeres Leben imstande wären, 
im gleichen Sinne zu wirken. Dabei leidet der traumatische oder 
besser Renten-Hysteriker ebenso wirklich wie irgend eine Patientin 
mit hysterischer Paraplegie, und das unterscheidet ihn vom Simulanten; 
das Gesundheits-Gewissen ist aber nicht mehr stark genug, um als 
Wille zur Ueberwindung und Abstossung des Leidens zur Geltung zu 
gelangen. Da das Leiden aber etwas rein Subjektives ist, leuchtet 
es ein, auf welche Schwierigkeiten die Unterscheidung von Simulation 
und Hysterie oft stossen muss, und da Leiden auch graduell sehr 
verschieden ist, wird der Differential-Diagnose oft etwas Willkürliches 
anhaften. Wenn der Ausdruck mit dein Innenzustande nicht mehr 
übereinstimmt, handelt es sich um Simulation („Grimasse“); ist aber 
bei lange fortgesetzter Durchführung der gefälschten Ausdrucksbe¬ 
wegung der Seelenzustand selbst verändert, dem Ausdruck angepasst 
worden, so ist ein hysterischer Simulant entstanden. Mit dem Nach¬ 
weise der psychischen Veränderung steht und fällt die Diagnose der 
traumatischen Hysterie. 

Das beim Gesunden nach festen Normen geregelte Verhältnis von 
Bewegungs-, Hemmungs- und Ausdrucks-Innervationen ist in den ge¬ 
nannten 3 ersten Gruppen durch abnorme Seelen Vorgänge gestört. 

Suchen wir nach einem gemeinsamen Ausgangsmoment für diese 
Störung, so können wir (‘in solches vielleicht in dem Schreck erken¬ 
nen. Keinem Affekte kommt eine derartige Wirkung auf die motorische 
Sphäre zu wie diesem; keiner „lähmt“ in solchem Masse, setzt ganze 
Bewegungsgruppeu ausser Funktion, verwirrt feststehende Koordina¬ 
tionen, hebt gewohnte Hemmungen auf und erzeugt momentan neue, un- 
zweckmässige, ja, diese tiefgreifende Wirkung erstreckt sich bekanntlich 
auch auf das autonome Nervensystem. Waren diese psycho-motorischen 
Störungen bei dem Trauma sehr ausgeprägt, so können sie manchmal 
sehr lange zu ihrem Abklingen gebrauchen, ja unter Umständen das ganze 
Krankheitsbild im Sinne einer unbewussten Inkongruenz zwischen Inhalt 
und Ausdruck, d. h. im Sinne einer Hysterie färben. So hatte einer mei¬ 
ner Patienten zu wissenschaftlichen Zwecken den Vesuv während seines 
letzten Ausbruches bestiegen und dabei stundenlang in gewollter Lebens¬ 
gefahr geschwebt; er kam gesund wieder herunter, erlitt nicht lange 
darauf einen unbedeutenden Eisenbahnunfall, fast ohne körperliche Be¬ 
schädigung, aber erlebte dabei einige bange Minuten vermeintlicher 
Lebensgefahr und trug eine Hysterie davon, die ihn jahrelang arbeits¬ 
unfähig machte. 


*) Tli. d. Gegenwart, Febr. 1911. 


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Eechle, Die perverse oder paradoxe Innervation. 


71 


IV. Der Schreck mit seinen ausgesprochenen vasomotorischen Be¬ 
gleiterscheinungen bildet einen Uobergang zu den Fällen, wo jener Regula¬ 
tionsmechanismus der höheren Psycho-Motilität nicht von der seelischen, 
sondern von der organischen Seite her eine Störung erfährt. In diese 
4. Gruppe gehören die Verletzungsfälle, fast ausschliesslich Kopfverlet¬ 
zungen, in denen das Gehirn selbst so geschädigt wurde, dass es jenen 
fein abgestimmten Mechanismus nicht mehr richtig spielen lassen kann. 
Von der traumatischen Psychose im weiteren Sinne unterscheidet sich 
diese Form der traumatischen Hysterie dadurch, dass sie sich im wesent¬ 
lichen eben auf die psychomotorische Sphäre, die Hemmungen und Aus- 
druckshewegungen, beschränkt. Diese Gruppe umfasst die Fälle von 
schwerem Hirntrauma —erfahrungsgemäss häufiger die ohne Schädelbruch 
als mit solchem — Durahämatomen, Hirnquetschung: sie steht den Fäl¬ 
len nahe, die man mit einem sprachlich wenig glücklichen Ausdruck als 
„Pseudo-Hvsterien“ hei organischen Nervenleiden bezeichnet hat. 

Uns allen sind solche Fälle bekannt, wo ein Hirntumor, eine multiple 
Sklerose, eine progressive Paralyse o. a. sich lange Zeit unter dem Bilde 
einer Hysterie abspielt, bis durch Entdeckung eines eindeutig organischen 
Symptoms die Erklärung für das hysterische Benehmen gefunden wird. 

V. Ohne scharfe Grenze reiht sich dieser Gruppe eine fünfte an, wo 
man von einem chronischen Trauma reden könnte. Es sind hier gemeint 
die Fälle mit andauernden peripheren oder zentralen Schmerzen, etwa 
mit einem Amputations-Neurom, einer Gelenkversteifung, einem chroni¬ 
schen Magengeschwür, einer fixierten Retroflexio uteri u. a. m. Nichts 
hindert, solche quälende Zustände ebenfalls als ein täglich wiederholtes 
Trauma aufzufassen, das schliesslich imstande ist, zu jener Störung der 
psychischen Gesamtpersönlichkeit zu führen, als die wir die Hysterie 
kennen gelernt haben. 

Damit dürften die Haupttypen der traumatischen Hysterie kurz ge¬ 
kennzeichnetsein. Für die Kenntnis von dem Wesen der Hysterie geht dar¬ 
aus das hervor, dass es sich bei ihr nicht um eine fest um¬ 
schriebene Krankheit, sondern um eine abnorme 
Reaktions weise des Individuums handelt (Gaupp); 
und als weiteres Ergebnis sei nochmals hervorgehoben, dass die ,,Ren- 
ten-Hvsterie“ unter den traumatischen Hysterien zwar eine wichtige, 
sicher auch weit verbreitete Form ist, dass aber keinesfalls mit der Zu¬ 
rückführung auf die Begehrlichkeit immer die Krankheit erklärt werden 
kann. In jedem Falle lohnt auch beim Traumatiker eine möglichst ein¬ 
gehende Analyse der psychischen Persönlichkeit. 

Die perverse oder paradoxe Innervation. 

Von Franz C. K. Eschle, 

(Schluss.) 

Anders wieder gestaltet sich die Methodik des therapeutischen Vor¬ 
gehens bei jener Art der perversen Innervation, wie sie sich in bestimmten 
Formen der Dysurie, der Impotenz und in gewissen anderen Zuständen 
dokumentiert, die man gewöhnlich als psychisch bedingte Störungen auf¬ 
fasst. Neben dem psychischen Moment spielt hier meiner Ansicht nach 
aber auch die perverse Innervation in der grossen Mehrzahl der Fälle (viel¬ 
leicht stets ?) insofern eine — und zwar recht bedeutsame — Rolle, als 
in ähnlicher Weise, wie wir das schon bei der Apsithyrie kennen lernten, 
der richtige, d. h. für die Abwicklung der Aktion zweckmässige Impuls 


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72 


Esc hie. 


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von einem konträren, in antagonistischen Bahnen verlaufenden, über¬ 
holt wird. Alle diese Zustände demonstrieren uns die Gültigkeit des 
Satzes, dass die Erhaltung der richtigen reflektorischen Spannungen (der 
tonomotorischen Innervation) in bcstimmtenGruppen von Muskeln gerade 
durch das Bestreben, die automatische Synergie bewusst zu beeinflussen 
resp. zu analysieren, gestört wird. Nur derjenige also vermag Bewegungen, 
ob sie nun erlernt sind oder rein triebartig Zustandekommen, in wirk- 
lich vollkommener Weis e abzuwickeln, der während der Aus¬ 
führung seine Aufmerksamkeit auch auf andere Dinge zu richten, d. h. 
den Ablauf der tonomotorischen Impulse, nachdem die Einstellung durch 
den Willensakt einmal erfolgt ist, vollständig der Automatic des Systems, 
der selbsttätigen (antagonistischen) Regulierung der einzelnen Gruppen 
zu überlassen vermag. 

Bei einem Menschen, der ohne deutliche Zeichen von Erschöpfung 
— abgesehen von diesen oder jenen auf Neurasthenie hinweisenden Sym¬ 
ptomen — und ohne nachweisbare Erkrankung des Nerven-, des uro- 
poetisehen oder eines zu diesem in Beziehung stehenden Systems Schwie¬ 
rigkeiten bei der Urinentleerung hat oder im kräftigsten Alter häufiger 
ein Fiasko bei den Versuchen zur Dokumentierung seiner animalischen 
Männlichkeit erleidet, kann die Störung direkt, auf psychischem Wege 
zustande gekommen sein, indem von vornherein hemmende Vorstellungen 
(Schreck, Furcht, bei der Impotenz auch Ekel, moralische Bedenken 
usw.) dem perzipierten Reiz die Wage halten, oder indirekt durch 
paradoxe periphere Hemmungen, indem irgendwelche negative Affekte 
den Strom des Wollens in falsche Bahnen leiten. 

Das gilt aber ebenso auch für viele Fälle von Tachykardie , Tirady- 
kard/e und Pulsarhytmie. Begünstigt wird die peripherische Hemmung 
dabei auch vielfach auf Grund ein- oder mehrmaliger übler Erfahrungen 
durch die Furcht vor dem N ic h tgeli ngen, z. B. der Blasen¬ 
entleerung bei nervöser Dysurie, der Kohabitation bei ner¬ 
vöser Impotenz, aber auch das im Grunde von einem Willens¬ 
akte (nämlich dem Willen, nicht weiter wachen zu wollen und bewusst 
das Spiel der Affekte für einige Zeit abbrechen zu wollen), Einschlafens 
bei nervöser JJgrypnie und der hinlänglichen SauerstofTversorgung in 
vielen Fällen von nervöser Stenokardie.') 

In der Tendenz, den Innervationsvorgang mit ängstlicher Span¬ 
nung in seinen Details zu verfolgen und bewusst korrigieren zu wollen, 
ist eine Unzulänglichkeit des Willens immerhin insofern zu sehen, als eine 
den höchsten Anforderungen entsprechende „Willensenergie“ — auch das 
klingt vielleicht, aber nur im ersten Moment und für denjenigen paradox, 
dem die Beschäftigung mit psychologischen Problemen fern liegt — neben 
der Fähigkeit, seinen Willen trotz entgegengesetzter Schwierigkeiten 
durchzusetzen, in nicht minderem Grade die andere umfasst, im gege¬ 
benen Moment auch einmal, wie Windelband sich ausdrückt, 
„nicht wollen zu wollen“. 

Therapeutisch kann es sich also in sämtlichen 
zuletzt aufgeführten Fällen nicht wie bei der 
vorher besprochenen Klasse von Störungen uni 
Handhaben zur bewussten Verstärkung der Inner¬ 
vationen, sondern nur um solche zu ih rer Vermin¬ 
derung resp. Unterlassung handeln. 

*) Vergl. meine Abhandlung über das „Asthma“ in dieser Zeitschrift. 1911, Nr. 
14—16. 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


73 


Für die nervöse Dysurie speziell hat D u b o i s ‘) die in praxi sich 
immer verzüglich bewährende Parole für den Patienten ausgegeben: 
,,Nicht drängen, sondern ruhig laufen lassen!“ Hier und auch sonst 
oft hilft aber auch die bewusste Ablenkung der Gedanken von dem sich 
sonst unter Intervention bewusster Hemmungen unvollkommen voll¬ 
ziehenden Akte. So verfiel — um das durch Beispiele aus meiner eigenen 
Erfahrung zu illustrieren — ein von dysurischen Beschwerden (ohne jede 
organische Basis) geplagter Gelehrter, der sich in seinen Mussestunden 
mit Obstkultur beschäftigte, mit Erfolg'ganz von selbst darauf, bei dem 
Akte der Blasenentleerung sich jedesmal willkürlich in Gedanken das 
Astgerüst eines der von ihm herangezogenen Spalierbäume zu rekon¬ 
struieren. Ein höherer Beamter, angehender Fünfziger, konnte den lange 
verloren gegangenen Schlaf wiederfinden, wenn er sich vermittelst seiner 
etwas lückenhaft gewordenen Schulreminiszenzen die Lösung mathema¬ 
tischer Aufgaben, z. B. den Beweis des Pythagoräischen Lehrsatzes zu 
vergegenwärtigen suchte. Verheirateten, sich impotent fühlenden Neur¬ 
asthenikern habe ich verschiedentlich mit bestem Erfolg den Rat gegeben, 
sich, ohne das Ehebett zu fliehen, ein halbes Jahr lang jeder sexuellen 
Betätigung zu enthalten — dies mit dem Hintergedanken, dass nach zeit¬ 
weiliger Sistierung der fruchtlosen und deshalb die Furcht vor dem Fiasko 
immer fester begründenden Kohabitationsversuche in absehbarer Zeit 
doch gegen die Vorschrift gehandelt werden wird. F)s ist merkwürdig, 
wie bei einer gewissen Akkumulation der natürlichen Reize, eventuell 
noch ihrer Verstärkung durch den so tief in der menschlichen Natur 
begründeten Anreiz alles Verbotenen und durch die Freude teils an der 
Sache selbst, teils daran, den Arzt hinter das Licht geführt zu haben, 
alle Hemmungen schwinden. Und dieses erste Gelingen wird dann zum 
Anlass für häufige und gründliche Repetitionen des immer leichter be¬ 
wältigten Pensums. 

I n'einem unverkennbaren Gegensatz zu dieser 
Art des psychotherapeutischen Vorgehens steht 
das Verfahren bei einer anderen durch perverse Innervation 
bedingten Form der urohinetischen Insuffizienz , die Rosenbach 
mit der auf gleicher Grundlage zustande kommenden Varminsuffi- 
zienz in Parallele gestellt hat. 

Manche Affektionen nämlich, die wir als Ausdruck einer typischen 
Striktur bezw. Stenose ansehen, sind nach Rosenbach*) weder die 
Folge einer dauernden Gewebsveränderung (Narbenbildung), noch eines 
Krampfes oder einer Kompression, sondern nur eine solche einer pare- 
tischen Schwäche der automatischen motorischen Innervation und zwar 
wiederum auf Grund derselben mangelhaften Herrschaft über die will¬ 
kürlichen Impulse, die zu ihnen den Anstoss geben. In vielen Fällen 
von beträchtlicher, anscheinend organisch erVer- 
engung in der Pars prostatica der Urethra und 
selbst in deren vorderen Teilen kann man feststellen, dass 
unter dem Einfluss der Ruhe und der Narkotikajin auffallend kurzer 

*) P. D u b o i 8 , Die Psychoneurosen und ihre psychische)Behandlung. Übersetzt 
vod R i n g i e r , Bern, A. Francke, 2. Aufl. 1910. 

*) Vergl. O. Rosenbaoh, Ueber funktionelle Diagnostik und die Diagnose der 
Insuffizienz des Verdauungsapparates. Klin. Zeit- und Streitfragen 1890. H. 5. 

Dere., Beiträge zur Pathologie und Therapie der Verdauungsorgane. Archiv für 
Verdauungskrankh. Bd. I. 1895. 

Ders., Ueber Dyspepsie bei motorischer Insuffizienz des Hamapparats (urokine- 
tische Insuffizienz). Deutsche m. W. 1899, Nr. 33—35. 


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Kachle, 


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Zeit das anfänglich oft unüberwindlich scheinende Hindernis so schw indet 
dass nunmehr jedes Bougie mit Leichtigkeit passieren kann. Das Gleiche 
gilt für die bei Nervösen und Blutarmen überaus häufig zu beobachtende 
Dyskinese des Verdauungsapparates, der mindestens ebenso oft als 
ein Geschwür, eine Narbe oder Adhäsion lediglich ein abnormer Nerven¬ 
einfluss zugrunde liegt. Aber selbst in den ersterwähnten Fällen handelt 
es sich meistens nicht um die angenommene „Darmstenose“ oder gar 
„Darmokklusion“ durch V erlegung des Lumens, sondern um eine durch 
jene lokalen Störungen auf reflektorischem Wege kewirkte sekundäre 
motorische Insuffizienz. Hier lässt sich bei der meist starken Erhöhung 
der Abflusswiderstände allen Mitteln, die die Koprostase beseitigen, we¬ 
nigstens ein augenblicklicher Erfolg nicht absprechen. Die auf Grund 
einer an sich falschen Diagnose resp. verfehlten Analyse des Vorgangs vor¬ 
genommene Anlage eines künstlichen Afters oder die Enterostoinose hat 
hier tatsächlich oft die zunächst vorliegenden Gefahren beseitigt. An¬ 
dererseits wird es aber auch erklärlich, dass so viele Fälle von vermeint¬ 
licher Darmstenose einer operativen Therapie unzugänglich sind, nämlich 
alle diejenigen, in denen es sich nicht um eine zirkumskripte, sondern um 
eine diffus auftretende Parese der das Darmlumen erweiternden Muskel¬ 
züge handelt und we nicht die blosse Kontinuität der motorischen 
Leistung beeinträchtigt, sondern geradezu deren völliger Ausfall durch 
ausgedehnte tote Strecken bewirkt wird. Der normal erregte Teil hat 
dann trotz aller Anstrengungen nicht die Kräfte für die Hinwegschaffung 
des Inhalts über diese nicht aspirierenden Strecken zur Verfügung und 
dem Kranken kann nicht durch Laxantien, die eine Steigerung der Er¬ 
regbarkeit bewirken, sondern nur durch die Wiederherstellung des Organ¬ 
tonus gedient sein. In dieser Hinsicht bewähren sich analog den Fällen 
von anscheinender Harnröhrenstriktur auf gleicher Grundlage arn besten 
kleine Dosen von Opium undBelladonna; indem sie hier 
nicht etwa auf die Beseitigung eines Krampfes, sondern auf eine Vermeh¬ 
rung der inneren „wesentlichen“ d. h. Kräfte schaffenden Organarbeit 
unter Sistierung der „ausserwesentlichen“, also lediglich in Bewegung 
zutage tretenden und Kraftvorräte verzehrenden Arbeit hinwirken. 
Erst mit der Wiederherstellung des regulären 
Organton us ist die Möglichkeit wiedergewonnen, 
die „katas taltischen“, analwärts gehenden, stoss- 
wrisen Wellen (gegenüber den peristaltischen, rotatorischen) durch 
willkürliche Akte zu verstärken. Und erst damit 
die Grundlage für die dann in Angriff zu neh¬ 
mende Disziplinierung des Darms nach den heute 
schon therapeutisches Allgemeingut geworde¬ 
nen Grundsätzen. 

Alle Bedingungen, um dem Typus der perversen Innervation zu¬ 
gezählt zu werden, erfüllt schliesslich nach R o s e n b a c h 1 ) auch di- 
jenige Störungjdie man in ihren Endstadien als Tabes dorsalis l>ezeich- 


*) Vergl. 0. Rosenbach, Experimentelle Untersuchungen über Neuritis. Arch. 
f. exper. Pathol. u. Pharmak. Bd. VI, 1877. 

Ders., Bemerkungen zur Mechanik des Nervensystems. Deutsche m. W. 1892, 
Nr. 43, 45. 

Ders., Der Nervenkreislauf und die tonische (oxygene) Energie. Berl. Klinik 
1896. H. 101. 

Ders., Zur Lehre von der spinalen muskulatorischen Insuffizienz (Tabes dorsalis). 
Deutsche m. W. 1899, Nr. 10—12.; 


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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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net. Und einem jeden, der die strengen Konsequenzen aus den Darle¬ 
gungen dieses Autors zu ziehen wagt, muss es nicht nur mit Rücksicht 
auf die Gemeinsamkeit der für das gesamte Nervensystem gültigen ener¬ 
getischen und nicht minder der ätiologischen Verhältnisse fraglich er¬ 
scheinen, nicht nur ob die heute so streng vorgenommene Scheidung 
zwischen der Tabes und gewissen Systemerkrankungen aufrechterhalten 
werden kann, sondern auch ob man berechtigt ist, auf Grund einzelner 
Symptome, die (auch) der Tabes eigen sind, schon dies Leiden selbst, 
also die volle Degeneration der Hinterstränge zu diagnostizieren. 

Gerade unter Betonung der Notwendigkeit, 
auf Grund meiner eigenen mit den Beobachtungen 
Rosenbacbs übereinstimmenden Erfahrungen 
kann gar nicht scharf genug unterschieden wer¬ 
den, zwischen der anfangs nur funktionellen Er¬ 
krankung, die aber auch stationär bleiben kann, 
und der anatomisch nachweisbaren, irreperablen 
Atrophie der zentripetalen (sensiblen) Nerven¬ 
fasern und bestimmter Abschnitte des Rücken¬ 
marks (der Hinterstränge und der Clark e’schen 
Säulen)bezw. auchdes Gehirn s(u. a. seinen optischen 
Bahnen), also dem Endprozess, wie er sich in einem 
andern Teil der Fälle ohne merkbare Einwirkung 
äusserer schädlicher Einflüsse nach Jahren mani¬ 
festiert. Und wer die Notwendigkeit einer grösseren 
Betonung des prognostischen Moments in jeder 
Diagnose, dieAnspruch auf diesenNamen erhebt, 
zuzugeben geneigt ist, wird diese Unterscheidung 
gelten lassen müssen. 

Als Beleg für die Berechtigung der hier vorgetragenen 'Auffassung kann 
ich u. a. einen Sanitätsoffizier aufführen, der vor (nunmehr 22 Jahren wegen 
„Tabes“ pensioniert wurde, aber trotz unveränderten Fortbestehens der damals 
zu seiner Verabschiedung führenden Symptome noch heute ungeschmälert 
seinen Beruf als Arzt ausübt. 

Auch die erwähnte graue Degeneration ist keine primäre Atrophie 
oder gar eine lokale Entzündung, wie manche Autoren meinen, sondern 
der natürliche anatomische Ausdruck der postkompensatorischen, d. h. 
erst nach einer Periode der Mehrarbeit auftretenden Insuffizienz, die 
also der Degeneration nach Hypertrophie gleichgesetzt werden muss. 
Es muss mithin ein erstes Stadium muskulärer Dys¬ 
tonie resp. die individuelle, auf embryonaler 
Disposition beruhende und sich zunächst nur in 
perverser Innervation äussernde funktionelle 
Anomalie der muskulatonischen resp. R e f 1 e x a p pa¬ 
rat e , die zwar in äusserem Zusammenhänge mit den gewöhnlich als. 
primär ausschlaggebend betrachteten Störungen im Gebiete des spi¬ 
nalen Hautnervensystems und der zerebrospinalen Bahnen steht, aber 
nicht schlechtweg mit Störungen der Sensibilität in den die bewussten 
Empfindungen und Willensimpulse leitenden zerebrospinalen Bahnen 
identisch ist, vor einem zweiten Stadium der kompen- 
satorischenVorgänge im muskulatonischen Appa- 1 
rate (also einem ersten Stadium oder vielleicht sogar einer besonderen 
Form der Tabes) unterschieden werden; beide Stadien sind schliesslich 
aber von einem dritten (Ausgangs-) Stadium mit Er- 


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Eschle, 


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Schöpfung der Kompensationsvorrichtung und 
Degeneration der Hinterstränge scharf zu trennen. 

Schon im ersten (und, wie nicht genug betont werden kann, häufig 
vollkommen stationär bleibenden) Stadium der muskulatonischen In¬ 
suffizienz ist Ataxie vorhanden, nur kann sie nach den gewöhnlichen 
Methoden nicht immer nachgewiesen werden. 

Das Wes t p li a 1 sehe Zeichen (das Fehlen des Kniephänomens) ist 
oft nicht deutlich ausgesprochen; das gleiche gilt von dem R o m b e r g- 
schen Symptom (dem Schwanken bei Augenschluss oder dem Argyll- 
Robertson sehen (der reflektorischen Pupillenstarre), sie sind 
nicht hinlänglich beweisend, obwohl gerade dieses letzte Zeichen der 
vollen Entwicklung des Leidens oft jahrelang vorausgeht und nach 
einem Worte H. O p p e n h e i m s vielfach ,,wie ein Mene-Tekel 
das künftige Schicksal des Individuums vorausverkündet. Eher 
dürfen die beiden von Rosenbach beschriebenen und entsohieden 
in weiteren ärztlichen Kreisen in ihrer grossen Bedeutung noch immer 
nicht hinlänglich gewürdigten Phänomen als Frühsymptome des Zu¬ 
standes gelten, obwohl sie für sich allein natürlich auch keineswegs 
,,pathognomonisch“ sind. Eines dieser Zeichen, beruhend auf der — 
übrigens auch von Rosenbach zuerst festgestellten — Tatsache 
der Reziprozität der Sehnen- und Hautreflexe ist die nachweisliche 
Verstärkung des Bauchdeckenreflexes und anderer Hautreflexe, wie sie 
gleichzeitig mit dem antagonistischen Erlöschen der Pateller- 
(und anderer Sehnen-) Reflexe oder meistens noch an diesen 
konstatiert werden kann. Das zweite Rosenbach sehe Frühsymp¬ 
tom tritt in dem Unvermögen zu tage, sich mit geschlossenen Augen 
auf die Zehen zu stellen und so stehen zu bleiben, trotzdem die grössten 
Anstrengungen hierzu gemacht werden. Diese Erscheinung hängt nicht 
in erster Linie vom Verluste der sensiblen oder taktilen Innervation 
oder von Störungen der bewussten Empfindung von der Körper- 
ob'erfläehe, sondern von Anomalien der tonischen intern-motorischen, 
d. h. automatisch wirksamen statischen Innervation ab.. E s 
ergibt sich aus ihr ein ganz charakteristischer 
Beweis für die Existenz einer perversen In¬ 
nervation bei hohen, aber doch nicht so hohen 
Anforderungen, dass der Normale sie nicht 
ohne Schwierigkeiten erfüllen könnte. Ein ge¬ 
sunder Mensch, der diesen Versuch zwei- bis dreimal wiederholt, wird 
das trotz etwaigen Schwankens im Beginn, immer befriedigend zuwege 
bringen, während sich bei dem geringsten Mangel an Koordinationsver¬ 
mögen, wie es die „Tabiker“ im ersten Stadium oder richtiger, die Pa¬ 
tienten mit spinaler muskulärer Dystonie zeigen, dieser Akt nicht aus¬ 
führen lässt. Erst später tritt in der Regel die per- 
verselnnervationb eiderPrüf ungaufdasRomber g- 
sche Symptom zutage und stets* viel später nach 
dem Uebertritt in das zweite Stadium, in dem 
Schleudern der Beine, wie es der richtige Tabiker 
zeigt. 

Rosenbach lässt es dabei unentschieden, ob es sich bei diesen 
Prozessen um eine primäre Hypertonie oder Atonie, resp. um eine Kom¬ 
bination beider Innervationsanomalien der quergestreiften und glatten 
Muskulatur handelt. Charakteristisch ist dabei aber 
inimerdasPrävalierendertonischenlnnervation 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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seitens des subkortikalen Gehirns über die vom 
Rückenmark ausgehende und somit das relative 
Ueberwiegendes Tonus der Strecker, Abduktoren 
und Erweitern von Hohlräumen über den der Beu¬ 
ger, derAbduktoren und Sphinkteren. 

So wenig der Befund von Tuberkelbazillen im Sputum sich in 
allen Fällen mit dem klinischen Befunde der Phthise oder der tiefgreifen¬ 
den Destruktion des Lungengewebes deckt, so wenig werden also aus allen, 
die das Homberg sehe, Rosen hach sehe, W e s t p h a 1 sehe oder 
ein anderes ,,spezifisches“ Zeichen darbieten, Tabiker im wahren Sinne 
des Wortes. Man soll allerdings immer eingedenk der Möglichkeit sein, 
dass sich die rein funktionelle Störung, (die spinale Dystonie) zur Atrophie 
der spezifischen Elemente fortbilden kann. Und zwar ist der Ueber- 
gang in weiteren Stadien sowohl in Fällen möglich, in denen 
wir die gefährlichen Einflüsse auf den Prozess zu kennen glauben, 
als auch in solchen, wo wir nach dem heutigen Standpunkte 
der Wissenschaft keine erkennbare Verschlimmerungsursache nach- 
weisen können. Aber ebenso unwissenschaft wie unhuman ist es, ohne 
weiteres und ohne Differenzierung der einzelnen Stadien den infausten 
Ausgang durch die dem Kranken selbst oder seinen Angehörigen bekannt, 
gegebene Diagnose „Tabes“ zu präjudizieren. 

A b e r s oho n im Stadium der spinalen Dystonie 
haben wir eine Form der perversen Innervation 
vor uns, die durch bewusst vollzogene Willens¬ 
akte nicht gebessert werden kann. Wir müssen uns 
hier auf eine rein präventive Therapie beschrän¬ 
ken. Enthaltsamkeit von jeder relativ und subjektiv als Anstrengung 
empfundenen körperlichen und geistigen Betätigung bilden neben der Ver¬ 
wendung von Gelegenheiten zur Erkältung das ganze hygienische Re¬ 
gime. Mährend sonst normale Betätigung und selbst durch nicht zu 
häufig wiederholte übermässige Beanspruchung unter angemessenen Le¬ 
bensbedingungen nie zur Erschöpfung, sondern nur zur besseren Aus¬ 
bildung der Organe führt, ist bei der kongenitalen Dis¬ 
position zur muskulatonischen Insuffizienz 
die Grenze des individuell Zulässigen schwer 
oder gar nicht zu ziehen und wer sich ein¬ 
bildet, den glücklichen Ausgang auf Rechnung 
seiner therapeutischen Eingriffe oder ge¬ 
wisser Kuren setzen zu dürfen, hat in den Augen 
des Skeptikers seine Erfolge wie so oft nur dem 
Zufall oder seiner eigenen Neigung zu verdanken, 
aus dem post auf das propter zu schliessen. 

Diese Tatsache bedarf vielleicht um so mehr einiger .Erläuterung, als 
ihr nicht nur die Befunde an der Pupille, sondern auch die Feststellung 
Rosenbachs, daß die Sehnenreflexe Vorgänge an den Streckmuskeln, die 
Hautreflexe solche an den Beugern repräsentieren, auf den ersten Blick zu 
widersprechen scheinen. 

Wir müssen uns zunächst vergegenwärtigen, daß M y d r i a s i s res p. 
Pupillenstarre, Strangurie, Defäkationsstörungen usw. 
sich erst in dem als wirkliche Degeneration der Hinterstränge dokumentieren¬ 
den Stadium der progressiven Ataxie einstellen und daß, eben weil die Un¬ 
wegsamkeit sich gerade auf die aufsteigenden Bahnen erstreckt, die 
auf reflektorischem Wege sich vollziehenden motorischen Leistungen, nun¬ 
mehr allein auf den Ablauf innerhalb des spinalen Reflexbogens engewiesen 


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Esc hie, 


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ist. Die gewissermaßen einen Rheostaten für den Rückenmarksakkumulator 
darstellende Station des subkortikalen Gehirns und dessen moderierender Ein¬ 
fluß auf die Äußerungen des Rückenmarks- (Verengerer-) Tonus ist damit 
ausgeschaltet, so relativ gering dessen Valenz auch sein würde, wäre die 
antagonistisch arbeitende Zentrale nicht außer Betrieb gesetzt. 

Gerade aber solange als die zum Gehirn durch das Rückenmark auf¬ 
steigenden Bahnen noch nicht der Degeneration verfallen sind (oder gar 
nur im vorerwähnten „zweiten Stadium“ kompensatorisch in verstärktem 
Maße in Anspruch genommen werden) müssen die Sehnenreflexe abge¬ 
schwächt werden, deren Stärke hängt unmittelbar von der inneren Spannung im 
Muskel, mittelbar auch von der seines Antagonisten ab, sobald die Spannung 
der Beuger bei unzulänglicher tonischer Beeinflussung durch das Rückenmark' 
und relative überwiegen der Gehirninnervation den unter dem Einfluß dieser 
stehenden Streckmuskulatur nicht das Gleichgewicht zu halten vermag. 

Der Antagonismus oder richtiger die Reziprozität der Reflexe hinwie¬ 
derum hat unter den gleichen Verhältnissen die Verstärkung der Haut¬ 
reflexe zur Folge! 1 ) 

Aus diesen Betrachtungen ergibt sich, daß der jewei¬ 
lige Tonus der Beuger wie der Strecker in direktem Ver¬ 
hältnis zu dem des Innervationsorgans, die Intensi¬ 
tät der erhaltenen Reflexe aber in umgekehrtem Ver¬ 
hältnis zu der relativen Prävalenz des jeweils für ihre 
tonische Innervation in Betracht kommenden Systems 
steht. 

Für das Verhalten der Pupillen kommt demgegenüber der Um¬ 
stand in Betracht, daß ihr Sphinkter von einem Gehirnnerven (dem Okulo- 
motorius), ihr Dilatator aber von dem durch vielfache Anschlüsse mit dem 
Rückenmark verbundenen Sympathikus versorgt wird. Wir können uns jeder¬ 
zeit in den typischen Fällen von (rein motorischer) Hemiplegie davon über¬ 
zeugen, wie mit der Lähmung des sonst als Zentrum fülr die Erweiterer 
dienenden Gehirns neben dem Schwinden der Beugereflexe (in erster Linie 
des Bauchreflexes) auch eine Erweiterung der Pupille auf der gelähmten Seite 
(in Gegensatz zu ihrer Verengerung bei Hirnreizung) erfolgt. Obwohl sonst 
bei allen Sphinkteren die Tendenz zum Geschlossenbleiben bei Verminde¬ 
rung der Einflüsse des subkortikalen Gehirns offensichtlich zutage tritt, 
erhält unter den gleichen Umständen oder, was dasselbe ist, bei relativer 
Prävalenz des Rückenmarks der Dilatator pupillae das Übergewicht, während 
andrerseits ein Überwiegen des Gehirntonus in dem Übermaß und der 
Kontraktion des Sphinkter pupillae ebenso seinen Ausdruck findet wie die 
Verschiebung des Gleichgewichts der beiden antagonistisch arbeitenden 
Systeme zugunsten des Gehirns durch völlige oder partielle Außerbetrieb¬ 
setzung des Rückenmarks. 

Das erste Prinzip einer rationellen Behänd- 
1 n n g w i r d a u c h h i e r s e i n , dem Patienten, die Ano¬ 
malie seines Nervenlebens in schonender und 
seinem intellektuellem Niveau entsprechender 
Weise klarzulegen sowie in ihm die Ueborzeu- 
gung zu wecken u n d z u festigen, dass wie bei 
andern Formen der perversen Innervation so 
auch hier ohne eine dem Zustande angemessene — 
und im Gegensätze zu jenen nicht eine scho¬ 
nungslos, sondern in diesem Falle mit grösster 
Vorsicht aus zu übende — Tätigkeit eine Besse- 

J )0. Rosenbach, Die diagnostische Bedeutung der Reflexe. Zentralbl. f. 
Nervenheilk. u. Psychiatrie 1879, Nr. 9. 

Dera.. Das Verhalten der Reflexe bei Schlafenden. Zeitschr. f. kl. Med. Bd. I. 

1880 . 



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Die perverse oder paradoxe Innervation. 


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rung oder gar Heilung nicht möglich sei, dass 
aber fürdieBeseitigung des allzu starken Ebbens 
und Fl Utens im Nervensystem besondere, g e - 
wissermassen auf dem Wege des therapeutischen 
Experiments für jeden Einzelfall erst noch zu 
ermittelnde Massnahmen vorteilhaft sein kön¬ 
nen. Hierbei ist dem Patienten darüber, dass 
die den individuellen Verhältnissen angepasste, 
hygienische und ev. durch Medikamente beein¬ 
flusste Lebensweise ohne Unterbrechung jahre¬ 
lang eingehalten werden muss, von vornherein 
keinZweifel zu lassen,, so sehr man anch trotz 
de6 Bestrebens, jenem klaren Einblick in den 
Ernst der Situation zu verschaffen, jede Schwarz¬ 
malerei vermeiden wird. 

Nicht nur bei dieser, sondern auch bei allen andern Formen der 
perversen Innervation schützt eine solche nüchterne Erklärung, die 
alle utopischen Hoffnungen ausschliesst, aber zu eingehenden Beratungen 
über die Gestaltung der Lebensführung in allen Details und, was nicht 
am geringsten anzuschlagen ist, auch zur Aufstellung fester Normen über 
die (vom Patienten selber vielfach viel zu gering bemessene) Intensität 
und Extensität einer zielbewussten Berufstätigkeit führt, wie Rosen- 
b a c h sagt, „besser vor Enttäuschungen als die faszinierenden Eröff¬ 
nungen, durch die man dem Wunderglauben entgegenkommt, indem man 
eine der gerade im besonderen Rufe stehenden Methoden als untrügliches 
Heilmittel und schnell wirkende Panacee suggeriert“. 

Diese Art des Vorgehens steht allerdings in 
vollendetem Gegensätze zur suggestiven resp. 
hypnotischen Methode 1 ), die stets die Empfin¬ 
dung einer gewissen Scharlatanerie — wenn nicht 
beim Patienten, so doch beim Arzte selbst — her¬ 
vorruft und ausserdem, wie Rosenbach sagt, noch 
zur weiteren „V erdummungdes Publikums führ t“. 
Mindestens bringt das suggestive Verfahren den 
Patienten in eine Art mystischer Abhängigkeit 
vorn Behandelnden und hält ihn davon ab, sein 
logischesDenkenzuübenunddenfürdiedauernde 
Genesung unumgänglichen Weg der Wahrheit 
selbst zu finden. Und so deprimierend für viele 
der Ausspruch des Arztes anfänglich ist, dass sie 
nur durch eigene Initiative und nicht sofort, son¬ 
dern nur durch ständig fortgesetzte Selbstdiszi¬ 
plinierung genesen können — so verzagt manche 
Patienten werden, denen man von vornherein 
Rückfälle prognostiziert, die zwar wieder durch 
besondere Anstrengungen überwunden werden 
müssen, a b e r h e i einiger E n e r g i e a u c h immer leich¬ 
ter überwunden werden können — so gut ist in der 
Mehrzahl der Fälle der Erfolg, wenn sich der Kli¬ 
ent die Darlegungen des wissenschaftlich gebil- 


*) Vergl. F. C. R. Eschle, Suggestion — Hypnose — Erziehliche Therapie. 
Aerztliche Rundschau 1907, Nr. 5. 


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80 Eachle, Die perverse oder paradoxe Innervation. 

deten und lebenserfahre nenArztes zu eigen macht. 
Von dessen Seite allerdings setzt das meistens eine recht aufopfernde 
praktische Betätigung, wenigstens anfangs und zur Zeit des ersten Rück¬ 
falls voraus. 

Immer kommt es in erster Linie also darauf an, 
die Energie des Patienten in einer Weise zu heben, 
dass er es lernt, den von verhältnismässig gerin¬ 
gen Reizen in extensive Bewegung gesetzten Re¬ 
flex in e c h a n i s rn u s zu hemmen, anstatt jene mit 
willkürlichen Bewegungen zu beantworten. Oft ist 
eine Lokalbehandlung neben der psychischen von Erfolg, z. B. die An¬ 
wendung des faradischen Stromes, die Einführung von Schlundsonden, 
eine zweckmässig variierte Berührung mit Larynxsonden, Pinselungen 
mit schwachen Lösungen — kurz irgend eine mehr oder weniger unange¬ 
nehme M assregel, sofern sie nur gleichzeitig durch Ablenkung der Aufmerk¬ 
samkeit die Reizschwelle für die Erregungen herabsetzt, vor allem aber 
auch beim Patienten die Ueherzeugung erweckt, dass dies tatsächlich 
möglich ist. Anderseits kann hier wiederum jede Lokalbehandlung 
durchaus unangebracht sein, nämlich dann, wenn sie geeignet ist, die 
Aufmerksamkeit des Kranken noch mehr dem pervers vollzogenen Akte 
zuzuwenden und seinen Ablauf mit ängstlicher Spannung zu verfolgen. 

Sicher bildet die Erziehung zur Ruhe und Konzen¬ 
tration eine der bedeutsamsten Aufgaben der Nervenhygiene. Und 
auf Grund dieser Erwägungen hat man methodische „Ruhe¬ 
übungen“ in das psychotherapeutische Arsenal aufgenommen. Das Ver¬ 
fahren ist neuerdings von L. Hirschlaff 1 ) sogar zu einer besondern 
Technik ausgebildet worden, indem er versucht hat, mit Hilfe besonderer 
Apparate unter Fernhaltung aller äusserer Sinnesreize die Entspannung 
der willkürlichen Muskulatur und die Ablenkung der Aufmerksamkeit 
von pathologischen Innervationen durch die geistige Konzentration auf 
einen im vorliegenden Falle normal verlaufenden Vorgang, z. B die 
Phasen der eigenen Atmung zu erleichtern. 

Vielederoben er wähnten Massnahmen wirken 
ohne irgendwelche umständliche Zurüstungen in 
gleichem Sinne und mir scheint es in erster Linie 
darauf anzukommen, dass der Arzt schon allein 
durch seine Gegenwart bezw. seine Persönlichkeit 
eine Atmosphäre wohltuender Ruhe und Zufrie¬ 
denheit um sich zu verbreiten versteht, die, so vor¬ 
züglich jene komplizierteren Apparate sich ge¬ 
wiss in manchen Fällen bewähren werden, durch 
eine schablonenhaft ausgeübte Polyprag mosyne 
leicht beeinträchtigt wird. 

Das, was angestrebt werden muss, und zwär mit allen Mitteln, ist, 
den an einer Regulationsstörung physischer oder psychischer Natur lei¬ 
denden Kranken zur natürlichen Lebensführung, d. h. 
zu richtigen Vorstellungen und entsprechender 
Berufstätigkeit zu erziehe n. 2 ) Die Norm des Willens und 

') L. Hirschlaff, Ueber Ruheübungen und Ruheübungsapparate. Münch, 
med. Wochenschr. 1911, Nr. ß. 

*) Vergl. F. C. R. E s c h 1 e, Die Erziehung zur Arbeit und durch Arbeit als 
souveränes Mittel der psychischen Therapie. Zeitschr. f. Psychotherapie u. med. Psycho¬ 
logie. Bd. I, H. 1; 1909. 



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Referate und Besprechungen. 


81 


der Vorstellungen, die abnormen Hemmungen und Erregungen müssen 
geändert werden. Und dazu gehört, dassauch geistige Exer¬ 
zitien mit den Perioden der Muskeltätigkeit nach 
bestimmte m Plan und mit methodischer Steige¬ 
rung ab wechseln. 

Schliesslich ist im Hinblick auf die heutige Gepflogenheit der 
Aerzte, die Diagnose zu schematisieren, und des Publikums, sicli selber 
für jede Krankheitsäusserung den allein massgebenden „Spezialisten“ zu 
suchen, gerade auch wieder von Rose n b a c h 3 ) hervorgehoben wor¬ 
den, wie richtig es ist, den Patienten von Anfang an darauf hinzu weisen, 
dass seine Krankheit sich in mannigfachen, durchaus verschiedenen 
Erscheinungen und Lokalisationen äussert und dass eine neue Er¬ 
scheinungsform keine neue besorgniserregende 
Krankheit ist, sondern ebenso wie die früheren 
Symptome bewertet und durch Selbstbeherr¬ 
schung und gewisse einfache Massnahmen regu¬ 
liert werd en muss. ,,W e r d u • einsieht,“sagt Rosen¬ 
bach, ,,u nddanachhandelt,wirdgeheiltod erführt 
doch ein leidlich erträgliches Leben; alle aber, 
die nichts anderes können, als sich selbst be¬ 
mitleiden und in fruchtlosen Hoffnungen er¬ 
schöpfen, erfüllen nur den Beruf, Heilanstalten 
zu bevölkern und Aerzte n und Kurpfuschern das 
Material für leider sehr kurz dauernde Wunder¬ 
heilungen zu liefer n.“ 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Knhlbrupge (Utrecht), I)ie Gäriingskrankheiten. Berbl-beri, Skorbut,. 
Barlowsehe Krankheit, Cholera nostras n. a. (Centralbl. für Bakt. Bd 60, 
H. 3/4.) 

Durch einseitige stärkehaltige oder an Kohlehydraten reiche Nahrung 
wird die Autosterilisation aufgehoben und die normale Darmflora infolge der 
Entwicklung von gärungserregenden Mikroorganismen verdrängt, und Krank¬ 
heiten hervorgerufen, die zu der Gruppe Beriberi, Skorbut usw. gehören. 
Verf. nennt diese Krankheiten Gärungskrankheiten. „Durch ihre Periodi¬ 
zität zeigen diese Krankheiten zwar Verwandtschaft mit dein Infektions¬ 
krankheiten im gewöhnlichen Sinne.“ Beide werden durch Mikroorganis¬ 
men hervorgerufen. Einige Mikroorganismen gehören zu einer Gruppe, von 
denen der Bazillus oryzae d. Repräsentant ist. Sie kommen in Mehlsorten 
usw. vor. Die Entwicklung dieser Bazillen im Darme kann eingeschränkt 
werden durch Nahrungsmittel, die freie Säure enthalten. 

Während des letzten Sommers behandelte K. die Sommerdiarrhoe bei 
Säuglingen mit ungekochter Milch (da sie mehr Säure bildet), viel Zitronen¬ 
saft, bei Erwachsenen mit Fruchtsäften, Früchten, sauren Gurken. Es zeigte 
sich kein Sterbefall; „der therapeutische Erfolg war überraschend gut“. 

Schür mann. 

Calcaterra (Genua), Lecithin und Toxizität der Diphtheriebazillenkulturen^ 
(Centr. für Bakt. Bd. 60, H. 1/2.) 

In einer früheren Arbeit von C. wurde die antitoxische Wirkung r.ach- 

l ) O. Rosenbacii, über psychische Theapi- innerer K ankheitm. BerL 
Klinik H. 25; 1890. 


6 


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82 


Referate und Besprechungen. 


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gewiesen, welche das Lecithin aufweist, wenn es mit Diphtherietoxin in 
Berührung gebracht wird. 

Werden Lecithinemulsionen in der richtigen Dosis der Nährbouillon 
zugesetzt, die zur Anlegung von Diphtheriebazillenkulturen dienen sollen, 
so wird auch, hier die Entwicklung des Keimes mehr oder minder ge¬ 
hemmt und die Toxizität der Kulturen neutralisiert 

Schnrmann. 

Friese (Beuthen), Ein Färbegestell zur Tuberkclbazillenfärbung. (Centralbl. 
für Bakt. Bd. 60, H. 3/4.) 

Ein von der Firma Lautenschläger, Berlin N. 39 zu beziehendes Färbe¬ 
gestell, das nur für einen großen Laboratoriumsbetrieb einiges Interesse 
bieten kann. Abbildung im Original. Schürmann. 

Pllon (Tübingen), Blut - Soda - Agar als Elektivnährbmlen für Cholera- 
Vibrionen. (Centr. für Bakt. Bd. 60, H. 3,4.) 

Dem Dieudonneschen Nährboden sollen nach Verf. viele Mängel an¬ 
haften. Erstens ist er erst 24 Stunden nach der Herstellung zur Impfung 
brauchbar und zweitens kann man nicht zu jeder Zeit gebrauchsfertigen 
Dieudonneschen Elektivnährboden zur Hand haben. Auch sollen viele cholera¬ 
ähnliche Vibrionen ebenso gut wie die Choleraerreger auf dem Dieudonne¬ 
schen Nährboden wachsen. 

Verf. ersetzte die Lösung von Kalilauge in dem Dieudonneschen Nähr¬ 
boden durch eine Lösung von Natriumkarbonat. 

Choleravibrionen vertragen viel mehr Soda als Natronlauge: 

Bereitung des Nährbodens: Mischung von defibriniertem Blut 
und einer Lösung, die 12 Proz. kristallisierten Natriumkarbonats enthält, 
zu gleichen Teilen. Zu 3 Teilen dieses nicht sterilisierten Gemisches fügt 
man 7 Teile neutralen 4 proz. Nähragar. Dieser Blutsodaagar ist l /* Stunde 
nach dem Ausgießen in Petrischalen zum Gebrauch fertig. 

Choleravibrionen wachsen sogar noch gut bei 13 proz. Sodagehalt. 
Choleraähnliche Vibrionen werden stark auf den Sodaplatten zurückgehalten; 
stark gehemmt werden alle Nicht-Vibrionen. Schweineblut, Ziegenblut und 
Kaninchenblut ergaben gleich gute Resultate. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Pearson, S. V. (Norfolk), Die Indikationen des künstlichen Pneumothorax 
bei Schwindsüchtigen. (Practitioner, Bd. 87, H. 3.) 

Es ist ein heroisches, nur selten mit Erfolg anwendbares Mittel, das 
in der Regel nur für schwere und sonstiger Behandlung nicht zugängliche 
Fälle taugt; unüberlegt angewandt, führt es leicht dazu, einem verlorenen 
Kranken unnötige Aufregung und Schmerzen zu verursachen. Doch ge¬ 
lingt es in einzelnen, sich besonders eignenden Fällen schöne Resultate 
zu erzielen. Die Hauptbedingung ist völlige oder, da dies bei schweren 
Tuberkulosen selten zutrifft, fast völlige Gesundheit der anderen Lunge. 
Oft scheitert der Versuch an Adhäsionen oder Schwarten, deren Anwesen¬ 
heit schwer festzustellen ist. Man soll die Operation nicht ausführen, wenn 
man nicht den Kranken noch l 1 /; Jahre im Sanatorium behalten kann, und 
soll nicht glauben, daß er je wieder in erheblichem Maße arbeitsfähig wird, 
selbst nicht in den sogenannten leichten Berufen mit ihrer langetn Arbeitszeit. 

Fr. von den Velden. 

Barker, Arthur E. (London-) Lymphgefässinfektion nach Appendlritis ohne 
Peritonitis, (Practitioner, Bd. 87, H. 3.) 

Daß sich an Appendizitis Abszesse der Nierengegend und der Regio 
subphrenica anschließen können, ist lange bekannt, daß aber dergleichen 
Vorkommnisse auch nach einer Appendizitis, die so gering war, daß sie 
nicht beobachtet wurde, eintreten können, zeigen einige von Barker be¬ 
obachtete Fälle. Sie haben das gemeinsam, daß die erwartete Appendizitis 
bei der Operation nicht gefunden wurde, wohl aber ein Abszeß zwischen 
den Mesenterialblättern oder hinter dem Peritoneum parietale, das äußerlich 
ohne Spur von Entzündung war. Im ersteren Falle eröffnete B. intraperi- 



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Referate und Besprechungen. 


83 


toneal nach Abgrenzung des Operationsfeldes mit Tampons, im letzteren 
zog er es vor, nach Schluß des Peritoneums sich von außen her zwischen 
Peritoneum parietale und Muskulatur stumpf einen Weg zu dem Abszeß 
zu bahnen. Bei größeren Abszessen könnte auch die Eröffnung von hinten 
her in Frage kommen, kleinere werden wohl stets erst nach Eröffnung 
des Peritoneums diagnostiziert werden können. 

in einem Falle waren die mesenterialen Lymphdrüsen geschwollen und 
der Abszeß offenbar durch ihre Vereiterung entstanden. 

Fr. von den Velden. 

Fucke (Düsseldorf), Über die Entstehung des Lungenblutens und seine Be¬ 
handlung mit Digitalis. (Tlierap. der Gegenwart 1911, 9.) 

Focke, über dessen Bemühungen, die in Vergessenheit geratene Digitali»- 
behandlung der Lungenblutung neu zu beleben, hier schon berichtet wurde 
(1910 S. 1458), teilt weitere Beobachtungen mit, die ihm seine Erfahrungen 
bestätigen. Er ist zu der Ansicht gekommen, daß die Lungenblutung zwar 
zuweilen durch Zerreißung eines kranken Gefäßes, in der Regel aber durch 
Diapedese aus gesunder Schleimhaut stattfinde und auf einer „ungeeignetem 
Blutverteilung im Thorax“ beruhe. Von besonderem Interesse ist seine An¬ 
sicht, daß die Annahme von 60—90 <y 0 Schwindsüchtigen unter den Hä- 
moptoikern zu hoch sei und unnötiger Ängstlichkeit Vorschub leiste. 

Fr. von den Velden. 

Dutolt, A. (Lausanne), Ergebnisse der Ziegennieren-Seruin-Therapie bei 
chronischer Nephritis. (Korr.-Bl. für Schweizer Ärzte, 1911, 29.) 

Diese Therapie ist hauptsächlich von französischen Beobachtern er¬ 
probt worden, es wird deshalb erlaubt sein, an ihrem Enthusiasmus einen 
kleinen Abstrich zu machen. Ihre theoretische Grundlage ist die Beobach¬ 
tung, daß die Niere außer der äußeren auch eine innere Sekretion ausübt. 
Gewonnen wird das Serum aus dem Blut der Vena renalis von Ziegen. 
Die diuretische Wirkung des Serums scheint nur selten auszubleiben, ihre 
Folge ist eine bessere Ausscheidung der giftigen Substanzen, deren An¬ 
häufung die Urämie zur Folge hat. Ferner nimmt gewöhnlich die Toxizität 
des Urins im Verlauf der Serumbehandlung ab, weshalb man auch einen 
Einf luß derselben auf die Leberfunktion angenommen hat. 

Natürlich kann das Nierenserum keine zerstörte Niere verjüngen, son¬ 
dern nur über einen Moment der Gefahr, insbesondere über die Urämie, hin¬ 
weghelfen. Dem Ref. möchte es deshalb scheinen, daß es mehr für die 
Behandlung akuter als chronischer Nephritiden geeignet sei, welcher Ansicht 
auch verschiedene Autoren sind. Einige Fälle chronischer Nephritis, über 
die D. berichtet, sind nach vorübergehender Besserung bald gestorbefn 
oder haben ihre bedrohlichen Symptome behalten, andere freilich zeigten 
sich dauernd gebessert, was ja auch bei andern Arten der Behandlung 
vorkommt. 

Dutoit prophezeit der Nierenserumtherapie eine große Zukunft, aber 
auf die Dauer dürfte es doch nicht angehen, sich die innere Niereinsekretion 
vom Geschlechts der Ziegen besorgen zu lassen. 

Fr. von den Velden. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Heyde, H. von der (Jena), Experimenlellbiolopische Untersuchung über den 
Geburtseintritt. (Münchener med. Wochenschrift 1911, p. 1705.) 

Die Frage nach der Ursache des Geburteintrittes ist schon s.it Sokrates 
Zeiten erwogen, bisher aber noch nicht in einwandfreier Weise gelöst wor¬ 
den. Es war klar, daß die modernen biologischen Untersuchungsmethoden 
sich diesem Probleme zuwandten, um so mehr, als die Erfahrungen von 
Schauta und Basch über den Fall der zusammengewachsenen Schwestern 
Blatschek, von denen die eine zur Geburt kam, in dieser Richtung hin Probleme 
zu lösen versprachen. Man versuchte zunächst dieses natürliche Experiment 
durch zu Parabiose vereinigte Tiere zu lösen. Heyde versuchte auf andere 
Weise diesem Problem etwas näher zu kommen, indem er zunächst Ver- 

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Referate und Besprechungen. 


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suche machte, um den Eintritt der Geburt durch Injektion von Serum Kreissen¬ 
der hervorzurufen. Die Versuche in dieser Richtung schlugen fehl. Dagegen 
konnte Verf. Erfolge erzielen durch Injektion fötalen Serums in den Körper 
Gravider. Es gelang ihm hierdurch bei Graviden den Geburtseintritt unab¬ 
hängig vom Ende der Gravidität hervorzurufen. In einzelnen Fällen erzielte 
er nur vorübergehende Wehen. Endlich konnte er eine bedeutende Beein¬ 
flussung bei Wehenschwäche durch Injektion des fötalen Serums sehen. 
Verf. glaubt demnach, die Geburt als einen anaphylaktischen Vorgang auf¬ 
fassen zu müssen. Als in Betracht kommendes körperfremdes Eiweiß wirkt 
im Versuch bei Menschen eben das fötale Serum. Es wäre möglich, daß kon¬ 
zentrierte Organextrakte, z. B. von Ovarien, ähnliche Ergebnisse zeitigen. Es 
wirkt also fötales Serum als wehenanregendes Mittel bei primärer wie auch 
bei sekundärer Wehenschwäche. Diesbezügliche Versuche bei Eklampsie 
belehrten den Verfasser, daß es sich hier wohl um (ähnliche Erscheinungen 
handeln dürfte, vielleicht nur in anderer Stärke. 

Frankenstein-Cöln. 

Seil heim, Hugo (Tübingen), Über die Beziehung der Tuberkulose zu den 
weibliehen Genitalien. (Münchener med. Wochenschrift I9il, p. 1657.) 

Die Diagnose der tuberkulösen Erkrankungen des weiblichen Genital¬ 
apparates läßt sich nur unter Berücksichtigung feinerer Avertisments bei 
genauem Absuchen des ganzen Körpers stellen. Zu berücksichtigen sind 
hier die Bildungsfehler der weiblichen Genitalien, die Erkrankung des Becken¬ 
bauchfells (hier sei an die Knötchenbildung erinnert), endlich die genaue 
Untersuchung der Uterusschleimhaut mittels Probecurettage, eventuell auch 
der Ausschluß anderer Infektionsmöglichkeiten. Die Therapie läßt sich nur 
unter genauer Berücksichtigung und exakter Stellung der Diagnose ent¬ 
sprechend durchführen. Im Vordergründe stehen konservative Maßnahmen, 
während mit operativen Eingriffen möglichst Maß gehalten werden muß. 
Unangebracht erscheint die Operation bei gleichzeitiger florider Tuberkulose 
anderer Organe. Der Nachweis des Fortschrittes der Erkrankung wird eine 
strikte Indikation zu chirurgischen Eingriffen bieten. Hierbei wird genau 
zu überlegen sein, daß der Eingriff im Gesunden vorgenommen werden 
muß, andererseits daß nach Möglichkeit die gesunden Teile der Genitalien 
Zurückbleiben. Ganz besonders vorsichtig soll man mit der Entfernung der 
Ovarien sein, was sich dadurch ermöglichen läßt, daß die Eierstöcke selten 
an Tuberkulose erkranken. 

In der Geburtshilfe ist besonders darauf aufmerksam zu machen, daß 
ein strikter Unterschied zwischen aktiver und inaktiver Tuberkulose ge¬ 
macht werden muß. Bei aktiv tuberkulösen, nicht schwangeren Frauen soll 
unter allen Umständen die Tuberkulose inaktiviert werden, bevor es zur 
Schwangerschaft kommt. Bei aktiv tuberkulösen, schwangeren Frauen soll 
die Gravität möglichst frühzeitig unterbrochen und eine weitere Schwanger¬ 
schaft verhindert werden, bis nach Inaktivierung der Tuberkulose. Inakti¬ 
vierung der Tuberkulose muß durch diätetische Maßnahmen und Behand¬ 
lung der tuberkulösen Prozesse versucht werden. Bei inaktiver Tuberkulose 
kann nur eine schonende Betätigung der Fortpflanzung zugelassen werden, 
weil die Gefahr der Reaktivierung eines inaktiven Herdes besteht. Es wird 
gerade in diesen Fällen ein Gegenstand des ärztlichen Taktes sein, ob eine 
vorhandene Schwangerschaft unterbrochen oder das Zustandekommen 
einer Schwangerschaft verhindert w'erden soll. In diesen Fällen wird 
es der exakten Zusammenarbeit eines inneren und eines geburtshilflichen 
Spezialisten bedürfen. Wir dürfen uns nicht verhehlen, daß es in einzelnen 
Fällen von inaktiver Tuberkulose durch die Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft nicht gelingen wird, das Fortschreiten des Prozesses aufzuhalten. 
Insbesondere ist die Unterbrechung der Schwangerschaft in der zweiten 
Hälfte überflüssig. Es wird sich in diesen Fällen empfehlen, die Lebens¬ 
fähigkeit der Frucht oder besser noch, die normale Geburt abzuwarten, da 
der Mutter kaum durch Einleitung einer Frühgeburt zu helfen ist. End¬ 
lich dürfen wir uns nicht verhehlen, daß auch bei frühzeitiger Unterbrechung 



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Referate und Besprechungen. 


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der Schwangerschaft bei aktiven tuberkulösen Prozessen nicht immer ein 
Aufhalten des fortschreitenden Prozesses gewährleistet werden kann. Die 
von S. diesbezüglich genauer beobachteten Fälle zeigen letztere Erfahrung 
leider sehr eklatant. Frankenstein-Cöln. 

Rosenstein, M. (Breslau), über Missed Abortion. (Monatsschrift für Ge¬ 
burtshilfe und Gynäk. Band 33, p. 764.) 

An der Hand eines schweren Falles, der unmittelbar nach der spontanen 
Geburt einer vier Monate retinierten Frucht verblutete, bespricht der Autor 
die einzelnen Erscheinungen dieses Krankheitsbildes mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der schweren Verblutungsgefahr. In dem Falle, welcher tödlich 
endete, handelte es sich um eine 23 jährige Frau, bei der es unmittelbar 
nach der Geburt von Frucht und Plazenta sehr stark blutete, wobei die Blutung 
sich mit keiner der üblichen Methoden stillen ließ. Uterustamponade, An¬ 
wendung des Momburgschen Schlauches und ähnliche Mittel ließen voll¬ 
ständig im Stich, so daß leider in Extremis zur Totalexstirpation des Uterus 
geschritten wurde. Trotzdem ließ sich der tödliche Ausgang nicht aufhalten. 
Die mikroskopische Untersuchung der entfernten Gebärmutter zeigte nur, 
daß die Gefäße der Plazentarstelle hyalin degeneriert waren, so daß von 
einer Media- oder Adventitia nicht mehr das Geringste zu sehen war. Es 
fehlten also alle kontraktilen Elemente der Gefäßwand, wodurch die starke 
Blutung erklärlich ist Die genaue Betrachtung dieser und ähnlicher Fälle 
führt zu der Annahme, daß es zweckmäßig erscheinen dürfte, bei Missed 
Abortion nicht erst die spontane Entbindung abzuwarten, sondern nach Fest¬ 
stellung des Krankheitsbildes unmittelbar die Entfernung der retinierten 
Frucht zu betreiben. Dieses Vorgehen bietet auch weiterhin den Vorteil, 
im Operationssaale alle Mittel zur Blutstillung bereit zu haben, andererseits 
darf man so hoffen, daß die Gefäße um so weniger degeneriert, weshalb auch 
die Blutungen um so weniger abundant sein werden, je früher die Frucht 
entfernt wird. Es ist für den Praktiker von hohem Werte, sich der Ge¬ 
fahren dieses Krankheitbildes bewußt, und bei der Behandlung dieses Zu¬ 
standes auf große Blutungen gefaßt zu sein. Die Bemerkungen Rs. über 
die Anwendung der Laminariadilatation kann Referent nicht unterschreiben. 
Die Untersuchungen von A s c h o f f, die R. gegen die Laminariadilatation 
ins Feld führt, sind doch zu theoretisch um vor der Hand wenigstens für 
die Praxis Wert zu haben. Frankenstein-Cöln. 

Ifegar, Karl (Freiburg), über die Erweiterung des Gebärmutterhalses zu 
gynäkologischen Zwecken und zur Einleitung des künstlichen Aborts. (Münchn. 
med. Wochenschr. 1911, p. 1551.) 

ln einem sehr breit angelegten Aufsatze wird die bis zum Übermaß in der 
Spezialpresse breitgetretene Dilatationsfrage behandelt. H. kommt zum 
Schlüsse, daß für die meisten gynäkologischen Zwecke (Curettage, Spülung, 
Ätzung usw.) die Metalldilatatoren ausreichen. Bis ist dem Autor wohl zu¬ 
zugeben, daß es in der Gynäkologie nur in den allerwenigsten ^Fällen 
nötig sein wird, den Uterus auszutasten. 

Bezüglich der Abortfrage kann Ref. aber nicht so ganz zustimmen. 
Die Behauptung, daß bei ganz jungen Eiern die Erweiterung mit Metall¬ 
dilatatoren, Curettage und nachfolgende Tamponade genüge, läßt sich nicht 
aufrechterhalten. Dieses Vorgehen dürfte in der Praxis nur in der Hand 
eines sehr geübten Gynäkologen stets erfolgreich sein; ich erinnere hier 
nur an den „berühmten“Fall von Ott (cf. Handbuch der Geburtshilfe 
zitiert von Werth). Ebenso ist die Behandlung der Frage, ob Laminaria- oder 
Gazedilatation vorzuziehen ist, ziemlich einseitig behandelt. Ein Teil der Mängel, 
welche der Laminariadilatation anhaften, lassen sich auch bei der Gazetampo¬ 
nade nicht vermeiden. Ganz besonders vorsichtig aber muß man mit der 
Behauptung sein, daß die sicher sehr interessanten Tubenbefunde Ammers¬ 
bachs nur der Laminariaanwendung zuzuschreiben sind, da gleichartige 
Untersuchung nach der Gazedilatation noch fehlen und es naheliegt, anzu¬ 
nehmen, daß die Tubenveränderungen durch die Dilatation an sich 
und nicht durch die Dilatationsart hervorgerufen wurden. Jedenfalls 


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Referate und Besprechungen. 


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möchte Ref. hervorheben, daß die Kombination von Metalldilatatoren und 
Laminaria unter Benutzung der in der jüngsten gynäkologischen Literatur 
niedergelegten technischen Hilfsmittel (besser gesagt „Kniffe“) der Gaze¬ 
tamponade mindestens ebenbürtig ist. Frankenstein-Cöln. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Glaser, G. (Münsingen), Psychiatrische Mitteilungen. (Korr. -Bl. f. »Schweizer 
Ärzte, 1911, 27.) 

Kommt in einer sonst unbescholtenen Familie ein Fall von GeisteskranK- 
heit vor, so müssen bekanntlich äußere Anlässe, zumal solche gemütlicher 
Art, als ausreichende Ursachen herhalten, alte Tanten sind aus Liebes¬ 
kummer verrückt geworden und fünfzig Jahre geblieben, bei Männern gilb 
gewöhnlich Syphilis als ausreichender Grund, oder auch schlechte Erziehung 
oder frühzeitige sexuelle Betätigung usw. Diese populäre Ätiologie 
herrschte lange auch unter den Ärzten, bis die Zeit anbrach, wo sie nur noch 
chronische Vergiftungen und Entartungen des Gehirns und seiner Gefäße 
gelten lassen wollten. Damals hielt man auch jede psychische Einwirkung 
auf die Kranken für unnütz und warnte davor, mit ihm von seiner Krankheit 
zu sprechen. Dies hat sich geändert, seitdem Hypnotismus, Psychoanalyse 
und Überredungsmethode in die Behandlung der Geisteskranken einge¬ 
führt sind. Glaser meint, daß augenblicklich diese Verfahren ebenso wie die 
psychischen Anlässe der Geisteskrankheiten überschätzt werden, daß man 
später die Schwäche der Organe, die auf das iGemütsleben Einfluß haben, 
wieder für wichtiger halten werde. Er glaubt auch, daß der Wettstreit der 
psychischen Behandlungsmethoden nichtig sei, das wesentliche und ihnen 
gemeinsame sei der Wille des Arztes, zu helfen und die Überzeugung, es zu 
können, und der Glaube des Kranken an die Wirksamkeit der Heilmethode. 

Die schwierige und dunkele Frage, worin die Disposition zu geistigen 
Erkrankungen bestehe, sucht er durch Anführung der nicht seltenen Fälle 
zu beleuchten, daß Geisteskranke während fieberhafter Erkrankungen, oder 
langdauernder Eiterungen wieder klar werden — leider nur für die Dauek 
der Krankheit; ferner durch die Beobachtung, daß Beschäftigung im Freien 
häufig günstig wirkt. Diese Fälle zeigen, wie sehr die Geisteskrankheit 
mit dem Haushalt des ganzen Körpers zusammenhängt (was die Alten wohl 
wußten, die die Leber als Sitz der Begierden annahmen, den Namen Hypochon¬ 
drie, d. h. Unterleibskrankheit schufen und für Zwerchfell und Gemüt den¬ 
selben Namen [phrenes] hatten). 

Als eine hoffnungsvolle Errungenschaft nennt er die Sterilisierung 
der Geisteskranken, die er bei Frauen wiederholt veranlaßt hat, und teilt 
mit, daß die Stadt Zürich schwachsinnigen Frauen zur Wahl stellt, dauernd 
im Armenhaus zu bleiben oder sich kastrieren zu lassen. 

Fr. von den Velden. 

Oppenheim, H. (Berlin), Erfahrungen über Salvarsan bei syphilitischen 
und metasyphilitischen Erkrankungen des Nervensystems. 

Von besonderem Interesse ist diese kurze Zusammenstellung von hundert 
Fällen aus Oppenheims Praxis auf einem Merkblatt, das auf der diesjährigen 
Tagung des Vereins der Nervenärzte verteilt wurde. Zu einem Referat 
ist diese Mitteilung ihrer Natur nach nicht geeignet, es sei hier nur erwähnt, 
daß die Erfolge hinter den Versagern und schädlichen Einwirkungen recht 
in den Hintergrund treten. Unter 44 Fällen von Tabes findet sich nur 
einer, bei dem eine Besserung (des Allgemeinbefindens mit Gewichtszu¬ 
nahme) eintrat, die aber ebensogut auf die gleichzeitig vorgenommene Mast¬ 
kur zurückgeführt werden kann; „kein Erfolg“, „Status idem“ oder auch 
Verschlechterung nach der Injektion sind die gewöhnlichen Vermerke. Bei 
Paralyse findet sich keine einzige Besserung, ebenso bei den anderweitigen 
Nervenkrankheiten bei Syphilitikern. Die Rubrik „nervöse Krankheiten an¬ 
scheinend durch Salvarsan“, 8 Nummern enthaltend, ist um so beweiskräf¬ 
tiger, als sie von einem Forscher von großer Objektivität und ienormer Erfah- 



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Referate und Besprechungen. 


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rung, und nicht etwa von einem prinzipiellen Gegner der medikamentösen 
Therapie der Syphilis mitgeteilt ist. Fr. von den Velden. 

Sommer, M. (Bendorf), Zur Frage der nosologischen Selbständigkeit der 
Hypoehondrie. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 2.) 

Hypochondrische Symptome kommen bei den verschiedenen Erkrankungen 
auch in sehr dominierender Weise vor, daneben gibt es aber doch ein 
eigenes Krankheitsbild der Hypochondrie, welches der Gruppe der psychogenen 
Erkrankungsformen zuzurechnen ist. Außer durch diese Ätiologie ist das¬ 
selbe charakterisiert durch das Auftreten eines stets gleichen Symptomen- 
bildes, indem die Wahnideen sämtlich dem Gebiet des Bewußtseins der 
Körperlichkeit entstammen, ferner durch den chronischen Verlauf, der aber 
nicht zu intellektuellen Schwächezuständen führt. Im Gegensatz zur Hysterie 
ist der Hypochonder nicht suggestibel, es fehlen ihm alle hysterischen 
Stigmata, und es kommt nicht zur Ausbildung eines hysterischen Charakters, 
andrerseits zu den obigen typischen Wahnideen. Von der Paranoia unter¬ 
scheidet sich die Hypochondrie durch das Fehlen der Weiterbildung und 
Systematisierung der Wahnideen sowie durch die stark hervortretende Be¬ 
herrschung der ganzen Persönlichkeit bei der letzteren. Von den hypochon¬ 
drischen Ideen auf dem Boden der psychopathischen Konstitution und dem 
Entartungsirresein ist eine Abgrenzung ebenfalls möglich durch das Fehlen 
der Phobieen, Zwangszustände und primären Stimmungsanomalien. Gegen 
Neurasthenie spricht das Fehlen aller Ermüdungs- oder Erschöpfungssym¬ 
ptome sowie der gesteigerten nervösen Reizbarkeit. Gegen eine Depression 
als Phase des manisch-depressiven Irreseins ist hervorzuheben das Fehlen 
der primären Depression und der depressiven Wahnideen. 

Zweig-Dalldorf. 

Lederer (Straßburg), Die Bedeutung des neuro- und psychopathischen 
Konstitution für den Ablauf fieberhafter Erkrankungen. (Monatsschr. f. Kinderh. 
Heft 6.) 

An Beispielen wird uns die Bedeutung der neuro- und psychopathischen 
Konstitution für den kranken Organismus vor Augen geführt. Es kommen 
dabei schwerste Apathien neben starken Erregungszuständen, die sich oft 
zu Krämpfen steigern, vor. Schwierig ist auch die Anorexie psychopathischer 
Kinder zu bekämpfen. Mit Recht weist Verfasser auf eine streng individuali¬ 
sierende Pflege und Therapie bei solchen Kindern hin. Fälle, wie sie Lederer 
beschreibt, sind jedem Praktiker wohl bekannt. Es ist nur zu billigen, 

wenn Verfasser betont, daß derartige Kinder viel besser vom Hausarzt 
als vom Spezialisten behandelt werden. Das Benehmen der leicht erregbaren 
Kinder bei der ersten Untersuchung durch einen fremden Arzt, vor dem 

die Kinder unruhig sind, strampeln und schreien, ist auch nicht geeignet, 

die Sicherheit der Diagnose zu erhöhen. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Schob (Dresden), Ein eigenartiger Fall von diffuser arteriosklerotisch 

bedingter Erkrankung der Groß- und Kleinhirnrinde; paralyseähnliches Krank¬ 
heitsbild. (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 2.) 

Der betr. Kranke ist im 3. Lebensdezennium mit heftigen Kopfschmerzen 
und großer Reizbarkeit sowie Gedächtnisabnahme erkrankt mit zeitweise« 
depressiven Verstimmungen. 4 Jahre nach dem Krankheitsanfang bestände« 
Klagen über Doppeltsehen und objektiv körperliche Unsicherheit des Ganges, 
starkes Silbenstolpern, Schlaffheit der Gesichtsmuskulatur, zittrige Schrift, 
Erhöhung der Patellarreflexe und zugleich neben völliger Orientierung schwer¬ 
fälliger Gedankenablauf, Verarmung des Vorstellungskreises, Gedächtnis¬ 
defekte speziell für die letzte Vergangenheit und vor allem ein gewisses 
Krankheitsbewußtsein d. h. eine Depression bei Hinweis auf seine geistige 
Schwäche. Ein Jahr zuvor war ein Ohnmachtsanfall aufgetreten. Im Laufe 
der Jahre trat zunehmend Verblödung ein. Die Sektion nach 15 jähriger 
Krankheitsdauer ergab arteriosklerotische Veränderungen an den Gefäßen 
und im Gehirngewebe. Wichtig ist also das Auftreten einer progressive« 
arteriosklerotischen Demenz im 3. Lebensjahrzehnt, ferner die paralyseähn- 


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Referat« und Besprechungen. 


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liehen Symptome vor allem bezg. der Sprache und Schrift. Klinisch ist 
bei solchen Bildern für Arteriosklerose zu verwerten die lange bestehen 
bleibende affektlose Krankheitseinsicht und die erhaltene Orientierung, wei¬ 
terhin bei der Intelligenzprüfung weniger der Befund eines Ausfalls als einer 
Erschwerung des Vorstellungsablaufs, der Auffassung und der Reproduk¬ 
tionsfähigkeit, dazu kommt der Anfang mit Gereiztheit und Unruhe sowie 
mit Kopfschmerzen, Schwindelanfällen und Gedächtnisschwäche. 

Zweig-Dalldorf. 

Lafora, G. R. und Ulueck (Washington), Beitrag zur Histopathologie der 
myoklonischen Epilepsie. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 1.) 

Das seltene Krankheitsbild ist charakterisiert durch epiieptiforme An¬ 
fälle, allgemeine klonische Zuckungen in den Zwischenräumen und schnall 
fortschreitende Demenz. Die Zuckungen sind blitzartig und rhytmisch, be¬ 
fallen manchmal einen Muskel, manchmal eine Muskelgruppe, mitunter auch 
nur einige Fasern eines Muskels und dauern während des Schlafes fort. 
Sie sind weder durch den Willen noch durch willkürliche Bewegungen be¬ 
einflußbar und werden durch psychische Erregungen verstärkt. Die Epi¬ 
lepsie, welche in der Hälfte der Fälle den myoklonischen Zuckungen hin¬ 
sichtlich der zeitlichen Entwicklung des Leidens vorausgeht, ist durch das 
Fehlen der aura sowie des klonischen Stadiums, des Zungenbißes und des 
postkonvulsiven Komas charakterisiert und äußert sich außer durch die 
fortschreitende Demenz, durch Zustände von Bewußtlosigkeit. Anatomisch 
fand sich intrazelluläre Amyloidkörperchenbildung, die nicht als Ermüdungs- 
Symptom aufgefaßt werden kann, weil sie in den Betzschen Zellein (fast 
fehlte, vielmehr auf eine Stoffwechselstörung zurückzuführen ist ebenso wie 
die klinischen Symptome. ' Zweig-Dalldorf. 

Lafora, G. R. (Washington), Beitrag zur Kenntnis der Alzhetmerschen 
Krankheit oder präsenilen Demenz mit Herdsymptomen. (Zeitschr. für die ges. 
Nour. und Psych. Bd. 6, H. 1.) 

Im Alter zwischen 50—60 Jahren und noch früher tritt in langsamer 
Entwicklung Gedächtnisschwäche, Personenverkennung und Unorientiertheit 
auf, oft begleitet von einer gewissen Unruhe und Erregung mit Unsaubelr- 
keit und der Neigung zur Zerstörung. Im Vordergrund stehen sehr oft 
Herdsymptome (aphasische, paraphasische mit Wortperseverationen, auch 
asymbolische und apraktische). Allmählich werden die Kranken ganz stumm 
und verblödet und sind kindlich in ihrem Benehmen, mitunter werden sie 
dazwischen ängstlich und unruhig. Körperlich besteht allgemeine Schwäche, 
unsicherer Gang, auch Spannungen in den Beinen und leichte Herabsetzung 
der Pupillen-Reaktion. Der anatomische Befund interessiert hier nicht. 

Zweig-Dalldorf. 

Zappert, J. (Wien). Rückeninarksuntersuchungcn bol Tetanie. (Monatsschr. 
f. Kinderh. Bd. X, Heft 5.) 

An 6 Fällen, die zur Sektion kamen, führt Zappert den Nachweis, 
daß die Kindertetanie sowohl im Rückenmark als in den Spänalganglien 
keine Veränderungen setzt, welche als pathologisch aufgefaßt werden können. 

' A. W. Bruck-Kattowitz. 

Ossipow, V. P. (Kasan), Zur Frage über die Behandlung der Ischiasfälle mit 
Injektionen von abgekühlter Kochsalzlösung. (Monatsschr. für Psych. u. Neur. 
Bd. 30, H. 1.) 

Von den 10 behandelten chronischen Fällen sind 6 geheilt, 4 erheb¬ 
lich gebessert worden. Auch nach den von 0. angewandten kleinen Dosen 
(nicht über 60 ccm) traten nicht unbeträchtliche Temperatursteigerungen oft 
erst nach der zweiten oder dritten Injektion auf als Folge der Reizwirkung 
des Kochsalzes auf das Wärmezentrum. Anwendung der Lockeschen Flüssig¬ 
keit (Natr. chlorat. 0,9 o/o, Calcium chlorat. 0,024 o/ 0) Kal. chlor., Natr. 
bicarbonic. ää 0,2 <y 0 , Traubenzucker 0,1 o/ 0 ) mildert die Höhe des Fiebers 
beträchtlich oder verhindert es ganz. Zu erwähnen sind noch die heftigem; 
Schmerzexazerbationen nach der Injektion im Oberschenkel oder in der Wade. 
Massage und warme Kompressen mildern dieselben. Stationäre Behandlung 



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Referate und Besprechungen. 


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ist empfehlenswert. Herzfehler, ausgesprochene Arteriosklerose und Tuber¬ 
kulose sind Kontraindikationen. Zweig-Dalldorf. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Herder, Alexander (Charlottenburg), Prophylaxe und Therapie der Oph- 
thalmoblenorrhoe der Neugeborenen. (Münchener med.Wochenschr. 1911, p. 1667.) 

Nachprüfungen des von v. H e r f f, Basel, empfohlenen Sophol er¬ 
gaben eine ausgiebige prophylaktische Wirksamkeit dieses Präparates. Seine 
Reizwirkung ist gegenüber dem Argentum nitrikum verschwindend klein, 
seine prophylaktische Kraft sehr groß. Bei längerer Aufbewahrung der 
Sophollösung (5 o/o) kommt es auch zu Zersetzungen, die eventuelle' Reizwir¬ 
kung verursachen können. Also kurz, die Arbeit stellt eine Bestätigung der 
v. F°rf f ?chen Emnfehlung dar. Frankenstein-Cöln. 

Birk, W. (Charlottenburg), Der Stoffwechsel des Kindes während der 
ersten Lebenstaire bei künstlicher Ern'hnintr. (Beiträge zur Physiologie des 
neugeborenen Kindes Momtschr. für Kinderh. IV. Mitteilung, Bd. X, Heftl.) 

Nachdem Birk in einer früheren Mitteilung dargelegt hatte, wie sich 
unter physiologischen Verhältnissen, d. h. bei Ernährung des Kindes mit 
Kolostrum, die Einleitung des extrauterinen Stoffwechsels gestaltet, folgen 
jetzt 2 Versuche, die an neugeborenen aber künstlich genährten Kindern 
angestellt wurden. Bei künstlicher Ernährung wird rund die Hälfte des 
eingeführten Stickstoffes im Urin wieder verausgabt. Bei natürlicher 
Ernährung dagegen wird nur ’/«— 1 /i ausgeschieden. Daraus würde sich also 
ein fundamentaler Unterschied zwischen künstlicher und natürlicher Ernäh¬ 
rung des neugeborenen Kindes ergeben. 

Auch beim Mineralumsatz zeigen sich erhebliche Differenzen. Beim 
normalen Kinde verläuft sowohl im Gewichtsabfall wie im Anstieg der 
Mineralstoffwechsel positiv. Es verhält sich demnach genau so wie das 
gesunde und physiologisch ernährte Brustkind. Anders beim pathologischen 
künstlich ernährten Kinde; hier wandelt sich die positive Bilanz bald in 
eine negative um. 

Im weiteren gibt Birk eine sicher klinisch nachgewiesene, sehr inter¬ 
essante Beobachtung. Er sagt, daß je länger die Periode der Unterernäh¬ 
rung beim Neugeborenen dauere, um so intensiver zeigen sich späterhin 
die Symptome der exsudativen Diathese. 

A. W. Bruck-Kattovit-. 

Schirmer, !)r. (Riogersburg), Zur Behandlung der Magen-Darmstörungen bei 
künstlich ernährten Kindern. (Wiener medizin. Wochenschrift 1911, Nr. 39.) 

Die Beobachtungen wurden an künstlich ernährten Kindern, die sämt¬ 
lich in ungünstigen hygienischen Verhältnissen lebten, angestellt. Nach gründ¬ 
licher Entleerung des Darmtraktus durch Kalomel wurde Tannalbin gegeben; 
auch bei Rezidiven verordnete Verfasser zuerst Kalomel und dann, d. h. ein 
bis drei Tage später, begann er mit einer systematischen Tannalbinkur, bei 
gleichzeitig einsetzender strenger 24 stündiger Abstinenz. Das Tannalbin wurde 
stets in Tabletten verwandt; diese wurden in zerriebenem Zustand dem 
Flascheninhalt beigemischt und von den Säuglingen stets genommen. 

Die Erfahrungen bei Dyspepsie, Cholera infantum und Dickdarmkatarrh 
zeigten nach kurzer Zeit zuerst einen Einfluß auf die Farbe des Säuglings¬ 
stuhles, dann wurde die Konsistenz beeinflußt und die Zahl der Stühle 
nahm langsam ab. Sehr deutlich war in allen Fällen der Einfluß auf das 
Körpergewicht der Säuglinge, das regelmäßig nach zwei bis drei Wochen 
zu steigen anfing. Unverkennbar war auch die Besserung des subjektiven 
Befindens, die dadurch zum Ausdruck kam, daß Kinder, die durch fast be¬ 
ständiges Schreien sich und ihre Umgebung wochenlang gequält hatten, nun¬ 
mehr in normalen Intervallen ungestört schliefen. Besonders erwähnt Ver¬ 
fasser noch, daß von 22 Cholera infantum-Erkrankungen mit durchwegs 
schweren und ausgeprägten Symptomen bei Tannalbinanwendung 20 vollstän¬ 
dig ausheilten. 

Auch bei verschiedenen Darmaffektionen Erwachsener wurde das Prä- 


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Referate und Besprechungen. 


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parat mit Erfolg verwandt, so namentlich bei Durchfällen von Phthisikern. 
Sch. möchte zum Schlüsse das Anwendungsgebiet des Tannalbins noch um 
eine Indikation erweitern. Bei einer Influenzaepidemie mit vorwiegend gastro¬ 
intestinalen Erscheinungen konnte er sich von der guten Wirkung des Prä¬ 
parates bei den oft sehr hartnäckigen Darmsymptomen überzeugen und 
möchte auf Grund seiner Erfahrungen an etwa 50 Fällen das Präparat bei 
Influenza mit gastro-intestinalem Typus empfehlen. Neumann. 

Feer, E. (Zürich), Gibt es eine erschwerte Zahnung als Krankheitsursache 
im ersten Klndcsalter ? (Korr.-Bl. für Schweizer Ärzte 1911, 25.) 

Feer möchte die Dentitionskrankheiten, die früher eine große liolle 
spielten und noch jetzt als Beruhigung sowohl für die Mutter als für den 
Arzt, dem keine bessere Diagnose gelingen will, einen allzugroßen Platz 
einnehmen, auf Null reduzieren. Hier scheint er aber doch dem Ref., wenn 
die anderen den Topf zerbrechen, den Deckel zu zerschlagen. Dem Ref. ist 
es bei manchen Kindern wiederholt geglückt, aus einer Urtikaria den richtigen 
Schluß auf einen durchbrechenden Zahn zu ziehen. Nun sagt zwar Feer 
mit Recht, daß die kleinen Kinder 1 /;t —■/« der Zeit mit Zahnen zubringen, 
daß deshalb der Fall sehr häufig eintreten müsse, daß während einer Er¬ 
krankung ein Zahn durchbreche. Aber solche Zusammenhänge sind mehr 
Sache des Gefühls als einer statistischen Berechnung, und daß die Aufregung 
und Ruhelosigkeit, in die schwer zahnende Kinder versetzt werden, ihrem 
Wohlbefinden in solchem Maß Eintrag tun könne, daß daraus geringere 
Störungen hervorgehn — an ernstere Erkrankungen wird man wohl nicht 
denken dürfen — wird schwer in Abrede zu stellen sein. 

Immerhin ist es gut, wenn man sich nicht zu schnell beim „Zahnen 
über das Brüstchen“ beruhigt. Fr. von den Velden. 

Ohren-, Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Gerber (Königsberg), Meningitis nach larvlerter Nebenhöhleneiterung. 

(Zeitschr. für Ohrenheilk., 63. Bd., S. 150.) 

Frau M., 32 J. alt, „erkältete“ sich Anfang Januar 1911 und mußte sich 
am 8. Jan. wegen starker Kopfschmerzen zu Bett legen. Am 10. stellte sich 
linksseitige Mittelohreiterung ein, am Mittag desselben Tages Bewußte 
losigkeit. 

Am 11. trat die Frau in klinische Behandlung: starkes Ohrenlaufen, 
Warzenfortsatz druckempfindlich, ebenso freilich der ganze übrige Schädel. 
Reflexe erhöht, keine Nackenstarre. Puls unregelmäßig. Körperwärme nicht 
mitgeteilt. Lumbalpunktion: Liquor trüb, unter geringem Druck. — Auf¬ 
meißelung des Warzenfortsatzes: Knochen gesund, kein Eiter. Am Dache 
des Antrum wird die harte Hirnhaut freigelegt, sie wölbt sich stark vor. 
Kreuzschnitt in die Dura, Hirnpunktion, nirgends Eiter. Freilegung dee 
Sinus, gesund. Am 13. Tod unter meningitischen Erscheinungen. — Die 
Leichenöffnung ergab eiterige Entzündung der weichen Hirnhaut. Die Sieb¬ 
beinzellen sind mit dickem, grüngelbem Eiter gefüllt, die rechte Stirn¬ 
höhle gleichfalls, linke Stirnhöhle fehlt. Auch beide Oberkieferhöhlen und 
die Keilbeinhöhlen enthalten reichlich Eiter. — Im Eiter der Nebenhöhlen 
ebenso wie im Liquor cerebrospinalis wurden Pneumokokken gefunden. 

Die Mittelohreiterung beherrschte von ihrem Auftreten an das Krank¬ 
heitsbild derart, daß die schwere Erkrankung aller Nasennebenhöhlen über¬ 
sehen wurde; die Krankheitserscheinungen, insbesondere die meningitischen, 
waren durch das Ohrenleiden — anscheinend — zur Genüge erklärt. Erst 
die Sektion zeigte, daß die Mittelohrräume völlig unschuldig waren, und 
daß die Eiterung im Schädelinnern ihren Ausgang von den Siebbeinzellen 
genommen hatte, ihren Weg durch die Lamina cribrosa hindurch erin- 
schlagend. — 

Fälle wie der vorstehende, in denen eine Otitis eine Erkrankung der 
Nasennebenhöhlen völlig verdeckte, sind schon mehrfach beschrieben wor¬ 
den. Sie beweisen, daß mit der Möglichkeit rhinitischer Herkunft einer 



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Referate und Besprechungen 


91 


Hirnerkrankung nicht immer genügend gerechnet wird. Die an sich selbst¬ 
verständliche Mituntersuchung der Nase bei jeder Mittelohr¬ 
krankheit muß sich auch auf die Nebenhöhlen erstrecken, gana 
besonders dann, wenn gleichzeitig krankhafte Hirnerscheinungen vorhanden 
sind. Auf alle Fälle ist aber die Nebenhöhlenuntersuchung nachzuholen, 
wenn die operative Freilegung der Mittelohrräume Verhältnisse aufgedeckt 
hat, die zur Erklärung der Hirnsymptome nicht geeignet sind. Ob freilich 
im vorliegenden Falle die Stellung der richtigen Diagnose nach der Ohren¬ 
operation noch viel an dem Ausgange geändert hätte, ist stark zu bezweifeln. 

Richard Müller-Berlin. 

PifTl, 0. (Prag), Über retrobulbäre Neuritis infolge von Nebenhöhlen- 

•erkrankungen. (Zeitschr. für Ohrenheilk., 03. Bd., 8 . 231.) 

Die Augenhöhle — nach oben hin begrenzt von der Stirnhöhle, nach 
innen von den Siebbeinzellen und nach untern von der Oberkieferhöhle — 
steht bei Erkrankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen stets in Gefahr 
mitzuerkranken, und es ist zweifellos, daß besonders die entzündlichen 
Erkrankungen der Augenhöhle zum größten Teile ihren Ausgang von Entzün¬ 
dungen der Nasennebenhöhlen nehmen, Aus diesem Grunde ist es unbedingt 
nötig, daß bei den in Rede stehend ein Affektionen der Augenarzt in enger 
Fühlung mit dem Nasenarzt bleibt. Selbst wenn die Krankengeschichte 
keinerlei Anhalt für eine überstandene oder noch bestehende Nasenkrank¬ 
heit bietet, ist bei Kranken mit Sehnerven-Entzündung hinter dem Aug¬ 
apfel die Nase mit ihreji Nebenhöhlen auf das eingehendste und sorgfältigste 
zu untersuchen. 

So wurden in Prag der Nasenklinik im Laufe von 2 Jahren 824 Kranke 
von der Augenklinik zugewiesen, und in 70 “/o dieser Fälle wurden krank¬ 
hafte Veränderungen an der Nase und ihren Anhängseln festgestellt. Im 
Vordergründe des Interesses standen die Nasennebenhöhlen, die in nicht 
weniger als 67 Fällen erkrankt gefunden wurden. Unter 37 Kranken mit 
retrobulbärer Neuritis waren 30 nasenleidend; von ihnen wurden drei auf 
der Nasenklinik operativ behandelt. Der erste Fall betraf einen 34 Jahre 
alten Mann, bei dem trotz wiederholter Operationen in der Nase das Augen¬ 
licht allmählich fast ganz erlosch, der Kranke endete durch Selbstmord. 
Bei den anderen zwei Operierten, einem Arbeiter von 28 und einem Schlosser 
von 60 Jahren, war der Ausgang günstig: es gelang, bei beiden ein leidlich 
gutes Sehvermögen zu erhalten. 

Hinsichtlich der Behandlung gilt, daß man bei Augenhöhlenentzündungen 
infolge von akuten Nebenhöhleneiterungen mit vollem Rechte sich konser¬ 
vativ verhalten kann, solange keine Gefahr für den nervösen Apparat des 
Auges besteht Bei beginnender Sehnervenerkrankung muß aber, ebenso wie 
bei chronischen Nebenhöhleneiterungen, operativ vorgegangen werden. 

Richard Müller-Berlin. 

Grünberg, K. (Rostock), Spirochätenbefuiide iin Felsenbein eines luetischen 
Fötus. (Zeitschr. fiir Ohrenheilk., 63. Bd., S. 223.) 

In einer großen Reihe von Organen eines totgeborenen, 8 Monate 
alten Fötus waren Spirochäten nachgewiesen worden, so daß anzunehmen war, 
daß sich auch im Bereich des Felsenbeins welche finden würden. Die Annahme 
ward durch die Untersuchung bestätigt; es fanden sich Spirochäten im Felsen¬ 
bein in überraschender, riesiger Menge, sie lagen aber nicht wahllos zer¬ 
streut, sondern bevorzugten die Gefäße und vor allem die Nerven. 

In den Gefäßen saßen sie innerhalb der Gefäßwand und im gefä߬ 
umgebenden Gewebe, dagegen in der Gefäßlichtung nur ganz vereinzelt, 
ln den Nerven lagen sie zwischen den Nervenfasern, diesen gleich gerich¬ 
tet so daß sie auf Querschnitten ebenfalls quer getroffen nur als feine 
schwarze Punkte auftraten. Am Hörnerv fiel es auf, daß sie sich nur im 
Stamme des Vorhofs und des Schneckenastes fanden, während sie nach 
dem Eintritt der Nervenäste in die engen Knochenkanäle der Labyrinth¬ 
kapsel in den feineren Verzweigungen gänzlich fehlten. 

Gröbere pathologische Veränderungen fanden sich weder in den massen- 


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!>2 Koforato und Besprechungen. 

haft Spirochäten beherbergenden noch in den frei von ihnen befundenen 
Geweben. Auch eine Störung in der Entwicklung der verschiedenen Teile 
des Felsenbeins konnte nicht festgestellt werden. 

Bisher lagen Berichte über Spirochätenbefunde im Felsenbein bei an¬ 
geborener Syphilis nicht vor. 

Richard Müller-Berlin. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Pohliinum, I)r. (Frankfurt a M. Meine Erfahrungen mit Jodival in der 
dermatolog. Praxis. (Berliner Klinische Woohenschrift 1011, Nr. 43. j 

Ebenso wie die Hg-Therapie ist auch die Jodtherapie allein auf Grund 
empirischer Befunde als antisyphilitische Kur eingeführt. Die großen Fort¬ 
schritte der experimentellen Therapie zeigen uns aber, daß wir uns die 
Wirkung der beiden letzten Antisyphilitika in ganz verschiedener Weise zu 
denken haben, denn während das Quecksilber spirochätentötend wirkt, kann 
man den Jodverbindungen eine solche Eigenschaft in keiner Weise zuschreiben. 
Mag man sich diesen Einfluß des Jpdes in einer chemischen Bindung der 
Toxine vorstellen oder in einer Erhöhung der physiologischen entgiftenden 
Tätigkeit der Schilddrüse, jedenfalls kommen wir zu einer klarerem An¬ 
schauung der Jodwirkung. Auf Grund dieser Überlegung müssen wir aller¬ 
dings sagen, daß die bisherige Therapie mit Jodkalium mit unseren theoreti¬ 
schen Betrachtungen nicht mehr in guter Übereinstünmung steht. Denn an¬ 
genommen, das Jod lagere sich direkt an die Toxine an, so müssen wir be¬ 
denken, daß diese Toxine im Körper nur in kaum wägbarer Menge vorhan¬ 
den sind, und daß infolgedessen das Jod, welches in diesen Komplex ein- 
treten könnte, auch nur sehr minimal sein kann. Für den Fall, daß aber 
noch neue Toxine gebildet werden, ist es zweckmäßig, den Körper stets 
unter einer gleichmäßigen, milden Jodwirkung zu halten. Die außerordent¬ 
lich hohen Dosen, die wir mit Jodkalium gegeben haben, sind häufig bloß 
nutzlos durch den Körper gespült. Weil dem Jodkalium Lipoidlöslichkeit 
mangelt, gelangt es nicht in das Fettgewebe und vor allem nicht in das 
Nervengewebe und kann selbst bei sehr kräftigen Dosen dort keine , thera¬ 
peutische Wirkung ausüben. 

Zur Erzielung eines guten therapeutischen Effekts der Jodtherapie in 
der Syphilis müssen wir also ein Jodpräparat in nicht hohen Dosen, aber 
lange Zeit hindurch -geben, und möglichst ein Jodpräparat, welches lipotrope 
und neurotrope Eigenschaften zeigt. Von diesem Standpunkt aus empfiehlt 
sich das Jodival als zweckmäßigstes der neueren organischen Jodverbin¬ 
dungen; insbesondere hat es noch den Vorteil vor den Jodalkalien, daß seine 
Wirkung kräftig, aber gleichmäßig ist und daß es erst im Dünndarm eine 
resorptionsfähige Lösung bildet und infolgedessen den Magen in keiner Weise 
irritiert, wie wir dies so häufig beim Jodkalium sehen. 

In seiner Kasuistik führt Verfasser solche Fälle an, die bei Jodkalibe¬ 
handlung sehr unangenehme Erscheinungen zeigten, während Jodival gut 
vertragen und erfolgreich angewandt wurde. Unter den Jodismuserschei¬ 
nungen, die auch schon bei äußerst geringen Dosen von Jodkali auftraten, 
werden starke Akne, Salivation, Glottisödem, starker Schnupfen, Augentränen, 
Hustenreiz und Trockenheit im Halse und endlich beschleunigte Herztätig¬ 
keit genannt. Alle diese Erscheinungen wurden bei Jodivalverwendung ver¬ 
mieden. Es zeigte sich höchstens ein geringer Jodschnupfen. Besondere 
Hervorhebung verdient vielleicht die Tatsache, daß ein Einfluß auf die 
Herztätigkeit durch das Jodival nicht zu konstatieren war. 

Auf Grund der genannten Fälle, in welchen eine starke Idiosynkrasie 
gegen Jodkali bestand, Jodival aber gut vertragen wurde, und auf Grund 
weiterer Erfahrungen mit Jodival, das in einzelnen Fällen bis zu 200 Tablet¬ 
ten ohne Magenbeschwerden gegeben wurde, glaubt Verfasser im Jodival 
ein gutes Filfsmittel neben Salvarsan und Quecksilber in der Syphilisbe¬ 
kämpfung empfehlen zu können. Neumann. 


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Referate und Besprechungen. 


93 


Medikamentöse Therapie. 

Freudenherg, Ernst (Weinheim i. B.), Versuche mit Diuretlzis an ehlorarm 
gemachten Tieren. (Inaugural-Dissertation, München 1910.) 

Der Nachweis Grünwalds, daß bei Tieren, die durch bestimmte Fütterung 
ehlorarm gemacht sind und chlorfreien Harn ausscheiden, namentlich durch 
Diuretin wieder Chlorausscheidung herbeigelführt werden kann, wird für 
eine Reihe weiterer Diuretika erbracht (Harnstoff, Azetate, Terpinhydrat, 
Oleum Juniperi, Kalomel). Eine Reihe von Diuretizis besitzt bei Verabreichung 
von Mengen, die die Wasserausscheidung unbeeinflußt lassen, bei derartig 
vorbereiteten Tieren bereits eine chlortreibende Wirkung. Als solche Diuretika 
erwiesen sich vor allem Terpinhydrat und die Azetate. 

Bei den Azetaten bedarf die Chloridsekretion bei längerer Verabreichung 
immer höherer Dosen, um erregt zu werden, so daß sie auf kleinere Dosen 
überhaupt nicht mehr in Gang kommt. Dagegen wirken kleine Dosen später 
wassertreibend als zuerst. 

Die Azetate bewirken in Mengen über 2,5 eine rasch wieder verschwin¬ 
dende Albuminurie. 

Bei der Harnstoffdiurese produzieren große Dosen relativ mehr Chlor 
und weniger Wasser als kleine. Die Verhältnisse sind also umgekehrte wie 
bei Terpinhydrat und den Azetaten. 

Wasserdiurese lässt beim chlorarmen Tier die Chlorausscheidung unbe¬ 
einflußt. 

Die naheliegendste Erklärung dieser Tatsachen ist die, daß die Abson¬ 
derung des Wassers und der Chloride bis zu einem gewissen Grad selb- - 
ständigen Funktionen der Niere entsprechen, die daher auch in gewissen 
Grenzen getrennt voneinander pharmakologisch beeinflußbar sind. 

Alle energisch chlortreibenden Diuretika führen zu einer 'Verminderung 
des Chlors im Blut, wie Grünwald schon Tür das Diuretin nachgewiesen hat. 

Die Gefrierpunktserniedrigung im Blute erfuhr auch bei den stärkeren 
Kochsalzentziehungen durch Diuretin und Azetat keine Verminderung. 

Neumann. 

Sacoone, Dr. A., Ass. a. Institut für Pharmak. u. Therap. der Kgl. Uni¬ 
versität (Neapel), Einfluss einiger Diuretika auf die C!-Ausscheidung beim 
Hunde. (Arch. int. de pharm, et therap. 1911, Bd. 21.) 

Die untersuchten Diuretika Coffein und Diuretin bedingen bei normalen 
Hunden eine Verminderung der Chlorausscheidung im Harn. Diese Ver¬ 
minderung zeigt sich sowohl bei diuretischem Effekt als auch ohne ihn. 

Sie ist sowohl eine alsolute als auch eine relative, entsprechend dem prozenti¬ 
schen Verhältnis der Chloride im Harn. Auch w’enn man eine kräftige 
Gabe Kochsalz der Nahrung zusetzt und die Tiere unter die Einwirkung 
der Diuretika bringt, erhält man eine deutliche Verminderung der Chloride 
im Harn. Wenn man mit der Zufuhr des Diuretikums auf hört, vermehrt sich 
die Chlorausscheidung allmählich bis zur Rückkehr zur Norm in sehr kurzer 
Zeit (1-—3 Tage). Die Verminderung der Chlorausscheidung tritt mehr hervor, 
wenn man hohe Dosen anwendet, und ist bei toxischen Gaben am meisten 
ausgeprägt. Neumann. 

Magerstedt, Dr. (Weissensee b. Berlin), Meine Erfahrungen mit Styptol. 
(Deutsche Medizinal-Ztg. 1911, Nr. 39.) 

Verfasser berichtet über seine Styptolerfahrungen in etwa 50 Fällen. 
Stets ließ sich die prompte Wirkung auf die Blutung des Genitaltraktus nach 
den verschiedensten Ursachen feststellen, ohne daß schädliche Nebenwirkungen 
auftraten. Bei Aborten verordnete Verfasser je nach dem Alter der Gravidität 
6—8 Tabletten und erzielte gleich am ersten Tage schnelle Stillung der 
Blutung und gute Rückbildung des Uterus. Gleich günstige Erfahrungen hatte 
Verfasser durch Styptol nach Entbindung mit Kunsthilfe, die Blutung hörte 
bald auf und der Uterus bildete sich zurück. Es trat eine deutliche Abnahme 
der Wochenbettblutung und der Sekretion ein. Bei einem Partus hatte Ver¬ 
fasser die manuelle Plazentarlösung besorgt, da sich wegen starker Blutung 


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94 


Biicherschau. 


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ein Eingreifen später als nötig erwies, verordnete Verfasser versuchsweise 
10 Tabletten Styptol täglich, worauf Rückbildung des Uterus und Auf hören 
der Blutung sich prompt einstellte. Auch bei zahlreichen Menorrhagien aus 
verschiedenen Ursachen bewährte sich Styptol. Neumann. 

In seinen „Beiträgen zur Typhusepidemie vom Frühjahr 1910 in Freiburg 
i. Br.“ hebt A. Wunderlich als Herzmittel ganz besonders das Digipuratum 
hervor, das in der Freiburger medizinischen Klinik subkutan gegeben wurde. 
Weil bei diesem Präparat bei der subkutanen Reichung die Digitaliswirkung 
in kurzer Zeit eintritt, so erwies es sich bei akutem Herzversagen als sehr 
wertvoll. Kleine, schmerzhafte Infiltrate an der Einstichstelle mußten aller¬ 
dings mit in den Kauf genommen werden. (Inaugural-Dissertation Fredburg 
i. Br. 1911.) R. 

Von der Münchener pharmazeutischen Fabrik wird ein neues Mittel in 
den Handel gebracht, das „Sotopan“. Es soll vor allem bei Influenza und 
ähnlichen Erkrankungen gute Dienste leisten. Als seine Bestandteile werden 
genannt: Chinin, Brom, Glyzero-Phosphorsäure (Spaltungsprodukt des Lezi- 
tins), Ferr. lact, und Geschmackskorrigentien. R. 

Westphal, l)r. Otto (Erbach i. Rheingau), Jodival in der Allgemeinpraxis» 
(Medico. 1911, Nr. 43.) 

Der Verf. überzeugte sich zuerst an sich selbst von der guten Jodwir¬ 
kung und der vorzüglichen Verträglichkeit des Jodivals und verwandte das 
Präparat dann mit ausgezeichnetem Erfolg in seiner Praxis z. B. bei ausge¬ 
sprochener Arteriosklerose mit Schwindelanfällen, bei asthmatischen Be¬ 
schwerden infolge von starker Korpulenz, bei Bronchitis usw. Zur Demon¬ 
strierung seiner Erfahrungen geht er näher auf einen Fall von stenokardi- 
schen Beschwerden mit beginnender Arteriosklerose ein, wo das Jodival 
eine sehr günstige Wirkung zeigte ohne irgend welche Magenstörungen 
hervorzurufen; es ließ sich im Gegenteil eine starke Vermehrung des Appetits 
bei dem Patienten feststellen. Als Dosis gab Verf. 3 mal täglich 1 Tablette; 
ein Zeichen der guten Jodwirkung war, daß sich bei einer Erhöhung der 
Dosis auf 3 mal täglich 2 Tabletten Jodschnupfen einstellte, der aber beim 
Zurückgehen auf 3 Tabletten pro Tag schnell wieder verschwand. Der Verf. 
erklärt, daß er von der Verordnung sonstiger Jodmittel gänzlich abge¬ 
kommen sei. R. 


Bücherschau. 


Otto Schöner (Rottach am Tegernsee), Die praktische Vorausbestiinmung des Ge¬ 
schlechts beim Menschen. 4. Aufl. Berlin-Leipzie, Verlag Schweizer & Co. — 168 Seiten. 
Preis 3,5C M. 1911. 

In das Dunkel der auf die Erhaltung der Art abzielenden Vorgänge wirft das 
Buch von Schöner interessante Lichtblicke. Er hat aus alten Taufregistom und aus 
Beobachtungen in der Praxis und an Entbindungsanstalten mit Geist und Energie sta¬ 
tistische Zusammenstellungen gemacht, aus denen folgende Sätze erhellen: 

Das menschliche Ei besitzt seire absolute Geschlechtsanlage bereits vor der Be¬ 
fruchtung. Die männliche Samenzelle beeinflusst nur die Bildung der aus dem äusseren 
Keimblatt hervorgehenden Organe, das sind die Sinnesorgane und das Gehirn (S. 34). 

Jedes Ovarium liefert in abwechselnder Reihenfolge ein Ei, aber so, dass das 
rechte Ovarium zwei männliche und ein weibliches Ei, das linke zwei weibliche Eier und 
dann ein männliches bei den Ovulationen abstösst. 

Das Gesetz der Geschlechtsaltemation besagt, dass die Eier sich immer in ent¬ 
gegengesetzter Geschlechtsanlage vom rechten zum linken Ovarium folgen. Will man 
daraufhin das Geschlecht des zu erwartenden oder auszulösenJen Kindes bestimmen, so 
beniitzt man dieses Ovulationsschema: Es liefert zunächst 

das rechte Ovarium einen Knaben, dann dos linke ein Mädchen 
dann ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, ,, 

,, ,, ,, ,, ein Mädchen, ,, ,, ,, ,, Knaben 

dann wiedor das rechte Ovarium einen Knaben, dann das linke ein Mädchen u. s. f. 



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Bücherschau. 


95- 


Welches Ovarium bei der diesmaligen Menstruation (oder Gravidität) in Tätigkeit 
gewesen ist, lässt sich durch den Druckschmerz bei Palpation eruieren. Man braucht 
also nur das Geschlecht des vorangegangenen Kindes und die Zahl der zwischenliegenden 
Ovulationen zti kenner, um angeben zu können, ob diesmal ein K- oder M-Ei frei ge¬ 
worden ist. 

Schöner geht dabei stillschweigend von der Voraussetzung aus, dass alle 
Frauen gleich seien und dass nur alle 4 Wochen ein Ovulum abgestossen werde. Vielleicht 
neigt der eine oder andere mehr zu der Ansicht, dass die eine Frau in ihrem Wesen und 
Charakter wie in ihren Eierstöcken mehr männliche, die andere mehr weibliche Qualitäten 
hat. Und wenn eine Flau in den 30 Jahren ihrer Geschlechtsreife nur 12 X 30 = 360 
Ovula braucht, wozu gibt die sonst so sparsame Natur ihr beim Eintritt in die Pubertät 
deren 36 000 mit ? Indessen, wenn sich das Schöner 'sehe Zahlengesetz dauernd als 
zuverlässiger Schlüssel bewährt, so müssen diese Fragen eben anders formuliert werden. 
Jedenfalls werden die beteiligten Kreise die Broschüre gewiss mit regem Interesse lesen. 

Buttersack (Berlin). 

Jublläumskatalog der Verlagsbuchhandlung Wilhelm Engelmann in Leipzig. 1811 

bis 1911. In diesen Tagen beging die Firma W. Engelmannin Leipzig das Fest 
ihres 100 jährigen Bestehens. An diesem Familienfest nimmt dio Medizin einen ganz be¬ 
sonders herzlichen Anteil; haben doch in dem ganzen Zeitraum unausgesetzt enge Bezie¬ 
hungen hinüber und herüber bestanden. 

L a r r e y’s medizinisch-chirurgische Denkwürdigkeiten und S c a r p a’s anato¬ 
misch-chirurgische Abhandlungen über die Brüche sind mit die ersten Erscheinungen des 
Verlags, und wie er heute im Mittelpunkt des naturwissenschaftlichen Lebens steht, 
weiss ein jeder; wer hätte nicht Bchon von O s t w a 1 d's Kli ssikern der exakten Wissen¬ 
schaften, welche bald 200 Bände umfassen, gehört! 

Die ganze Geschichte der Medizin des XIX. Jahrhunderts rollt sich vor unseren 
Augen ab, wenn wir die Autorenliste durchblättern. An die erste Zeit der Auskultation 
und Perkussion erinnert Raciborski, an jene der Laiyngoskopie 0 z e r m a k. 
Schleiden, der Mann, auf dessen Zellenlehre wir basieren, liess so ziemlich alle seine 
Werke bei W. Engelmann erscheinen, und die Gegenbaur, Köllicker, His 
sen., A. v. Bezold, Räuber, Huxley, Flechsig, Roux, Kraopelin 
W. Wundt, Ostwald setzten die Reihe fort. Eine lückenlose Liste von Fachge- 
nossen, die im Engelmannschen Verlag Gastrecht genossen, würde Seiten füllen. Und dann 
die periodischen Zeitschriften! Schon vor unserem nicht entbehrlichen Vircbow-Hirsch 
nahm der genialste Chef des Hauses, Dr. Wilhelm Engelmann (1833—1878), der sein 
Haus auf die heutige Höhe brachte, Job. J a c. Sachs Repertorium für die Lei¬ 
stungen der gesamten Heilkunde in seinen Verlag, und der verschiedenen Jahrbücher, 
Zeitschriften, Festschriften, Handbücher und Sammelwerke aller Art ist Legion. 

Aber so glänzend auch der Aufschwung im allgemeinen auch gewesen ist, so sahen 
die Firma und die Wissenschaft doch auch trübe Zeiten. Dass der Verleger seinen Freun¬ 
den C. Th. v. S i e b o 1 d und Köllicker, den Herausgebern der Zeitschrift für wissen¬ 
schaftliche Zoologie auch unter pekuniären Opfern aie Treue hielt, sei ihm unvergessen. 

Uns allen steht noch die gewinnende Persönlichkeit des Physiologen T h. IV. 
Engelmann vor Augen. Dieser Mann war kein einseitiger Fachgelehrter, seine In¬ 
teressenkreise erstreckten sich vielmehr nach allen Richtungen. Dieser Geist lebte auch 
in seinem Vater, welcher den anderen Disziplinen einen ebenso grossen Raum in seinem 
Verlag einräumte, wie der unserigen. Seine Briefwechsel mit Gervinus, Nietzsche,. 
KlausGroth und später die des Physiologen mit J o h. Brahms bilden eine Zierde 
der Festschrift. Vfl 

Die Wissenschaft schreitet immer vorwärts, selbst wenn sie scheinbar zu über¬ 
wunden geglaubten Standpunkten zurückkehrt. Aber sie bedarf dringend solcher gross¬ 
zügig geleiteter Bundesgenossen, wie der Engelmannsclie Verlag einen darstellt. Seine 
derzeitigen Inhaber stehen ihren Vorfahren nicht nach, so dass die Hoffnung berechtigt 
ist, da«s das Haus auch künftighin reiche. Blüten am Baume der Erkenntnis trage. |Q. 
d. b. v. Butt er sack (Berlin). 

Havelock Ellls, Die Welt der Träume. (Dtsch. Orig. Ausgabe, v. H. Kurella. 
Würzburg, Kabitzsch 1911. 300 S.) 

Ellis, bekannt durch seine interessanten sexualpsychologischen Bücher, 
sucht in diesem mit gewohnter Gründlichkeit und umfassender Berücksich¬ 
tigung der Literatur geschriebenen Buch die Rätsel des Traums auszulegen, 
ja er wagt sich sogar mit anerkennenswertem Mute an die Möglichkeit 
des Wahrträumens und die Symbolik des Traums, welche Untersuchung 


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96 


Notizen. 


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allerdings mit dem Verdikt abschließt, daß die Oneiromantik definitiv in 
die Sphäre des Aberglaubens und der Altweibermärchen herabgesunken sei. 

Da das Träumen mit der heutigen praktischen Medizin keine nähere 
Verwandtschaft besitzt, mag diese kurze Anzeige genügen. 

Fr. von den Velden. 

Die Helium,' der giehtisrh-rheumatisrhen Erkrankungen gemäss der erfolg- 
reichst bewährten Methode von I)r. J. Kittel (Franzensbad), in gemein¬ 
verständlicher wissenschaftlich-populärer Darstellung von J. F. Kleine. Berlin 
1911. 126 S. 

Der Verfasser ist kein Arzt, sondern ein von Kittel Geheilter, was 
mancherlei Unklarheiten in der sehr weitläufigen Darstellung zur Folge 
hat. Nach Kittel ist mit Diät bei der Gicht und dem’ Rheumatismus nichts 
anzufangen und von Erblichkeit keine Rede, ihre einzige Ursache sind Er¬ 
kältungen und Durchnässungen. Aber die Theorie soll uns nicht stören, 
wenn nur die Praxis erfolgreich ist, und in dieser Beziehung scheint Kittel 
durch geschickte und vorsichtige Massage, mit der er die Uratablagerungen 
teils beseitigt, teils mobil macht oder auch nur, wie er annimmt, ihre 
vorstehenden Spitzen zerdrückt, gute Erfolge zu haben. Leider kann ihm 
das nicht ohne weiteres nachgemacht werden, da offenbar eine besondere 
Schulung dazu gehört. Außer den Sehnen- und Gelenkablagerungen nimmt 
Kittel auch solche in und unter der Haut und im Becken in Angriff und 
berührt sich so einerseits mit Th. Brandt, andererseits mit Cornelius, dem 
Spezialisten für die Behandlung der empfindlichen Knoten der Galea apo- 
neurotica. Interessant sind seine Mitteilungen über faustgroße knotige Ab¬ 
lagerungen in der Kreuzbeingegend und am oberen Beckenrand, die er bei 
chronischer Lumbago beobachtet hat. Sehr merkwürdig aber ist teine Be¬ 
hauptung, daß nach der Massagebehandlung die Gicht dauernd beseitigt 
sein und nicht wiederkehren soll, wenn nicht neue schwere Erkältungen 
Vorkommen, einerlei wie der Geheilte lebt, vorausgesetzt, daß er grobe 
Exzesse meidet. Fr. von den Velden. 


Notizen. 


Bemerkungen zu dem Referat von Zweig (Dalldorf) über die Arbeit von 
Runge (Kiel): Ule (ienerationspsychnsen des Weibes. (Arch. für Paycli. Bd. 
48, H. 2.) Diese Zeitschrift Nr. 47. 1911. 

In dem Referat über meine Arbeit sagt Zweig wörtlich folgendes: 
„Die Aborteinleitung ist außer bei Eklampsie bei epileptische(n und hyste¬ 
rischen (??? Ref.) Psychosen bei lebensbedrohenden Erscheinungen an¬ 
gezeigt.“ 

Hierzu möchte ich folgendes bemerken: Der Referent hat durchaus 
Recht, hinter die Behauptung, daß bei hysterischen Psychosen mit lebems- 
bedrohlichen Erscheinungen die Aborteinleitung angezeigt sei, drei Frage¬ 
zeichen zu setzen. Mit dem gleichen Rechte aber dürften die drei Frage¬ 
zeichen hinter das Referat zu setzen sein, da ich eine solche Behauptung 
nie aufgestellt, vielmehr wörtlich folgendes geschrieben habe: 

„Bei den Hysteriepsychosen wird allemal die Psychose auch ohne Ein¬ 
leitung des künstlichen Aborts heilen, wie mehrere unserer Fälle zeigen. 
Gerade bei diesen Psychosenformen ist eine besondere Zurückhaltung am 
Platze, zumal augenscheinlich gerade hier am meisten von den Kränkeln 
die Einleitung des Aborts verlangt wird.“ Dr. Runge-Kiel. . 

Hierzu bemerkt Zweig-Dalldorf: 

Der von R. beanstandete Satz sollte lauten: „Die Aborteinleitung ist außer 
bei Eklampsie bei epileptischen und choreatischen (??? Ref.) Psychosen 
bei lebensbedrohenden Erscheinungen angezeigt.“ 

. Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912. 


Tomcbritte der Medizin* 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herauBgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. v. Erlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Qrüner Weg 86. 


€r«(beint wöd>enllld> sum preise von 8 (T)orh für bas 
lü r A Balbjabr. 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a.S. 


25. Januar 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Zum Kapitel: Kurpfuscher. 

Von Oberstabsarzt Dr. Buttersack-Borlin, 

Eine merkwürdige Begebenheit hat der Chronist aus Lissabon zu 
registrieren. Da tauchten gegen Ende 1911 zwei Chinesinnen in der 
schönen Tajo-Stadt auf und kurierten kranke Augen. Ihr Ruf ver¬ 
breitete sich schnell und das Volk strömte in hellen Scharen herbei. 
Die Regierung fürchtete eine politische Verschwörung und wollte den 
beiden bezopften Heilkünstlerinnen ohne Approbation das Handwerk 
legen. Aber das Volk ergriff für sie Partei, organisierte einen Wach¬ 
dienst zu ihrem Schutze, sammelte Geld, hielt ein grosses Meeting in 
la Rotunda ab und zog manifestierender Weise zum Hause des Prä¬ 
fekten. Die Polizei konnte das natürlich nicht zulassen, sondern rückte 
mit berittenen Schutzleuten heran. Aber der tolle Haufen liess sich 
nicht einschüchtern, warf mit Steinen, schoss mit Pistolen und liess 
Bomben explodieren, wodurch mehrere Menschen getötet und viele 
schwer verwundet wurden. Auch die Krankenhäuser wurden gestürmt, 
um die Aerzte in ihrer Tätigkeit zu hindern. Nur mit Mühe gelang es, 
die Ruhe wieder herzustellen, und nur mit List, die beiden Engel aus 
dem Reiche des Himmels beiseite zu schaffen. 

Wie tief steckt doch unsere Zeit mit ihrem hingebenden Glauben 
an mystische Unbegreiflichkeiten noch in ihren prähistorischen Kinder¬ 
schuhen ! Gewiss hat Mirabeau recht: ,,Les charlatans sont un 
des plus grands fleaux du peuple. 11 est indispensable d’ en purger 
la soci^te. Tout remede secret doit etre traitd comme une imposture, 
et tout homme qui le debite comme un charlatan“ (Discours et opinions, 
Tome III. 1820. Sur l’education nationale S. 522). Aber Lope de 
Vega hat nicht weniger recht: ,,Vernunft wird niemals mit der Tor¬ 
heit fertig“. (Demetrius I. 1.) 

Der Glaube an Metaphysisches ist dem Menschengeschlecht nun 
einmal angeboren und lässt sich auch durch noch so exakte Forschungen 
nicht völlig ausroden. Als französische Ingenieure in der Sahara einen 
Brunnen gruben und in dessen Umgebung eine Oase entstehen Hessen, 
hielten die Eingeborenen das für Zauberei. Diese Erklärung erschien 
ihnen viel „natürlicher“, als eine solche mit Hilfe mechanischer und 
physikalischer Kenntnisse. Ohne Zweifel haben die fortgeschrittenen 
Menschen die moralische Pflicht, ihre Genossen vor Schädigungen 

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Sternborg, 


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durch Kurpfuscher usw. zu behüten. Allein diese Erscheinungen sind 
nichts als die personifizierte Befriedigung eines in den breiten .Massen 
vorhandenen Bedürfnisses. Nehmen wir sie hinweg, so wachsen — wie 
bei der lernäisehen Schlange — sofort neue Köpfe nach. Die Annahme, 
dass alle Menschen, welche im XX. Jahrhundert leben bezw. vege¬ 
tieren. nun auch kulturell auf dessen Höhe stünden, ist eben prinzipiell 
falsch. An dem historisch errungenen Standpunkt — schrieb schon 
der grosse Kliniker C. A. Wunderlich — nimmt nicht sogleich 
die Masse teil; vielmehr hängt sie aus Gewohnheit, aus Respekt oder 
Gedankenlosigkeit vielfach noch an jenen, welche die Wissenschaft 
längst hinter sich hat. Und so treffen wir heutigen Tages noch, wohin 
wir blicken, die lebendigen Repräsentanten für alle Perioden der Ver¬ 
gangenheit. 

In den Epidemien des Gesundbetens, von denen man von Zeit zu 
Zeit liest, begegnen wir Ausläufern des Dämonen- und Hexenglaubens, 
des Hauchzaubers, der Ekstase und der Manipulationen des sibirischen 
Scharnana und des afrikanischen Fetischpriesters, wie sie auch zeitlich 
und örtlich abgcwandelt im Corroborri-Tanz der Australier in die Er¬ 
scheinung treten. Und wenn die Richter aller Länder über Kurpfuscher 
— wenn überhaupt — nur geringe Strafen verhängen, so hat das seinen 
Grund vielleicht nicht zuletzt in einem hohen Grade von psychologischem 
Verständnis für deren Treiben. Für moderne, naturwissenschaftlich er¬ 
zogene Aerzte mögen die Prozeduren der Charlatans, Pfuscher una wie 
sie heissen, unbegreiflich sein; für den Historiker und Psychologen sind 
sie es nicht. Ihm sind sie psychologische Atavismen etwa analog dem 
Wurmfortsatz oder einer Kiemengangszyste, und wenn er auch weder 
das eine noch das andere mehr für zeitgemäss hält, wird er doch die 
Erscheinungen an sich als einstens berechtigte vorsintflutliche Ent¬ 
wicklungsphasen des menschlichen Geistes betrachten und ihnen nach 
dem schönen Spruch höchster Kultur gegenübertreten: que comprendre, 
c’est pardonner. 


Ein Versuch zur physiologischen Begründung des unstill¬ 
baren Erbrechens der Schwangeren. 

Beitrag zur angewandten Ernährungs-Therapie. 

Von Dr 'Wilhelm Sternberg, Spe/.ialar/.t für E:näluu.'igs-Therapie in Be lin. 

Keine einzige physiologische Funktion steht so sehr unter dem Ein¬ 
fluss der verschiedensten Reize wie der für die Erhaltung wichtigste Vor¬ 
gang. Und das ist die Ernährung im engeren Sinne des Wortes, die na¬ 
türliche Ernährung auf natürlichem Wege durch den Mund. Die Mund- 
Verpflegung 1 ), die Nahrungs-Aufnahme und die Lust zur Nahrungs-Auf¬ 
nahme, der Appetit, werden von den mannigfachsten Seiten beeinflusst. 
Aber weder die Ernährungs-Therapie noch die Physiologie der Ernährung 
schenken dieser ersten Periode der Eröffnung, dieser ersten Phase der 
Ernährung ausreichende Beachtung. Dabei greift die Pathologie der 
Ernährung in die verschiedensten Spezialdisziplinen hinein. So sind die 

*) Dr. Grass mann meint neulich in der Münch, med. Woch. 5. De*. 
1911. S, 2622, Nr. 49 gelegentlich der Besprechung meinor Schrift: „Diät und Küche“: 
„Mundverpflegung“. „Steinbcrg prägt auch neue Ausdrücke für seine Sache,und 
scheint die altsprachlichen da und dort rieht mehr verstehen zu wollen“. Dieser Vor¬ 
wurf i3t nicht nur unberechtigt sondern fällt auf den Kritiker zurück. Denn das 
Wort: „Mundverpflegung“ ist gar kein neu von mir geprägter Ausdruck etwa, sondern 
n der Literatur der deutschen Militärwissenschaften längst gebräuchlich. 


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Zur physiol. Begründung des unst llbaren Erbrechens der Schwangeren. 99 


Uebelkeit, das Uebelsein und das Ekelgefühl, äusserst häufige Symptom 
der inneren Klinik, die ich als Steigerungen der Appetitlosigkeit an¬ 
sehe, noch niemals in der inneren Medizin, auch in der Diäto-Therapie 
noch nicht einer Erörterung gewürdigt worden. Diese Zustände sind 
kaum als zusammengehörig und vollends nicht einmal als Vorgefühle 
der Brechneigung in ihrem Wesen erkannt, dagegen in der älteren 
Gynäkologie bereits häufig mit der Abneigung gegen die Nahiungs- 
Aufnahine in Verbindung gebracht worden. Schon S i e b o 1 d *), 
0 s i a n d e r *), Charles West 3 ) u. a. in. weisan darauf hin, 
wie ich 4 ) ausführe, H egar s ) stellt sogar auch in anderer Hin¬ 
sicht die Stufenleiter von Gleichgültigkeit. Abneigung und Ekel fest. 
Brechneigung tritt ja gerade auch den Frauenärzten in der Praxis 
seit jeher als ein Symptom der Gravidität entgegen. Ebenso 
ist das Erbrechen und besonders das unstillbare Erbrechen in der 
Schwangerschaft ein gleichfalls der Geburtshilfe angehörendes Grenzge¬ 
biet. Um so seltsamer ist dann aber die Tatsache, dass über die patho¬ 
logische Physiologie dieses Phänomens nicht eine der verschiedenen Spe¬ 
zialdisziplinen irgendwie Aufschluss geben kann, weder die Gynäkologie 
und Geburtshilfe noch die Ernährungs-Therapie oder die Neurologie. 

Der Spezialarzt für Nervenheilkunde Rudolf F ö r s t c r - Berlin 
beschreibt soeben einen mit dem Spezialarzt für Frauenheilkunde, 
P. Rat licke behandelten Fall von unstillbarem Erbrechen in der Mün¬ 
chener Mediz. Wochenschrift vom 15. August 1911, Nr. 33, S. 1780: 
„Zur Therapie des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren“ und fügt 
hinzu: 

„Das Bemerkenswerte an diesem Fall war das Folgende: Sobald 
der Uterus, dessen Zervix nach rechts abgelenkt stand, vorgezogen wurde, 
hörte das Erbrechen auf. Dies Hesse sich ohne weiteres als psychischer 
Effekt der bevorstehenden Operation, event. als unmittelbare Schmerz¬ 
wirkung. erklären. Auffallenderweise blieb aber das Erbrechen von 
der Einlegung des Stiftes — L a m i n a r i a — an fast 
völlig aus, obwohl eine Ablenkung durch etwaigen Druckschmerz 
der Scheidentamponade offenbar nicht vorlag. Die Patientin verspürte 
angeblich keinerlei Druck, sie fürchtete sich nicht vor dem Kommenden, 
sie fühlte sich wohl, sie schlief während der Nacht, in welcher der Stift 
lag. und sie genoss zwei Tassen Bouillon mit Ei am folgenden Tage, ohne 
zu erbrechen. Lediglich die Möglichkeit, dass bereits eine die Entwick¬ 
lung des Embryos gefährdende Blutung stattgefunden hatte, hielt uns 
ab. den Stift zu entfernen und die Vollendung der Schwangerschaft zu 
versuchen. Es bleibt aber bei Beurteilung der vorstehenden Tatsachen 
beinahe kaum eine andere Erklärung übrig, als dass die A nders- 
lageru ng der Gebärmutter den plötzlichen Umschwung in dem 
Befinden der Kranken herbeigeführt hat. Dass reflektorisch die Ausstopfung 
der Scheide einen so lange dauernden und so vollkommenen Einfluss ge¬ 
habt hat, ist wohl nicht so wahrscheinlich. Dass die erwähnten paramc- 

*) Siebold, 1815. I. Kapitel: Von dem Ekel, Uebelsein und Erbrechen der 
Schwangeren. Bd. 2, S. 5, § 883. 

2 ) Osiander, Handb. d. Entbindungskunst, 1829. Bd. 1. Absohn. 2, S. 379. 
381 u. 389. 

2 ) C h a r 1 e s West, Uebers. v. Langenbeck. 1800. Göttingen, Vandenhoek 
& Ruprecht, S. 468: „Uebelkeit und Erbrechen“. 

4 ) „Das Krankheitsgefühl“, Pflüger-. Areh. 1910, Bd. 134, S. 115. — „Der Appetit 
in der exakten Medizin“. Ztschr. f. Sinnesphysiologie 1911, Bd. 45, S. 454. 

4 ) H e g a r , „Der Geschlechtstrieb“. 1894. Stuttgart, F. Enke. S. 6. 


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Irischen Stränge die Ursache des Erbrechens waren und ihre Dehnung 
beim Einlegen des Stiftes die Erleichterung schafften, kann vermutet 
werden. 

Jedenfalls scheint mir in dem vorliegenden 
Falle die Lehre zu liegen, dass hei unstillbarem 
Erbrechen ein Versuch mit einer Verlagerung der 
Gebärmutter, etwa ein Vorziehen und Fixieren in 
leicht geänderter Position, gemacht wird. 

Es wäre dieser Eingriff jedenfalls unvergleichlich harmloser, als die 
nicht unbedenkliche Zuführung vieler Narkotika, deren Einwirkung auf 
den Embryo doch nicht auszuschliessen ist. Manbrauchtediese 
Umlagerung des Uterus nicht erst in der Zeit der 
Schwangerschaft zu machen, sondern könnte ihn, 
nachdem eine Schwangerschaft durch starkes Er¬ 
brechen gefährdet war, vor der Neuschwängerung 
in anderer Lage zu fixieren versuchen. 

Nicht angängig wäre natürlich die Erprobung einer festen Aus¬ 
stopfung der Scheide und die Einlagerung eines quellenden Stifts in die 
Gebärmutter während der Schwangerschaft, weil hierdurch die Lösung 
des Embryos veranlasst werden kann.“ — 

Allein dabei wird doch, wie gewöhnlich in der modernen Neuro¬ 
logie und Gvnäkologip, eine allgemein anerkannte Tatsache übersehen, 
die aus leicht begreiflichen Gründen in der modernen Literatur keine 
Stätte der Erwähnung mehr finden kann. Auch H. VV. Freund 1 ) über¬ 
geht sie. Das ist folgende Erfahrungstatsache: Vordem, in der Zeit, da 
man den Pressschwamm noch zur Einleitung der Frühgeburt anwandte, 
beobachtete man das Aufhören des unstillbaren Erbrechens regelmässig, 
wenn man den Pressschwamm in die Höhle des bekanntlich äusserst 
empfindlichen inneren Muttermunds einführte. Und, was besonders 
charakteristisch ist, das Erbrechen liess auch dann nach, selbst wenn der 
Abort durch diesen Reiz überhaupt nicht einmal eingeleitet wurde. Aus 
dieser Tatsache ergibt sich mit Evidenz die Erkenntnis, dass nicht etwa 
die Ausdehnung des Uterus, wie man eine Zeitlang gern annahm, die Ur¬ 
sache für das Erbrechen sein konnte. Andererseits konnte auch nicht die 
Entleerung derUterus-Höhle die Heilung, die Beseitigung des Erbrechens 
bedingt haben. Aber welcher Reiz eigentlich die Reizwirkung des reflek¬ 
torischen Erbrechens auslöst, diese Frage blieb doch noch offen. 

Jedenfalls musste aber die Heilung des Erbrechens durch den 
äusserst leichten mechanischen Reiz bedingt sein, den der wie ein indiffe¬ 
renter Fremdkörper wirkende Pressschwamm auf die äusserst empfind- 
liche Stelle des inneren Muttermundes ausübt, indem er, die Höhle voll¬ 
ständig ausfüllend, zart und leicht drückt. Und noch viel zarter und 
leichter als dieser schon äusserst leichte Reiz müsste der Reiz angenom¬ 
men werden, der die ungeheure Reizwirkung des unstillbaren Erbre¬ 
chens bedingt hätte. Das Seltsamste vollends wäre die Tatsache, dass 
ein und derselbe mechanische Reiz die Reizwirkung und auch die Besei¬ 
tigung der Reizwirkung zur Folge hat. Das widerspricht scheinbar allen 
bisher bekannten Tatsachen. Und doch ist ein Reiz bekannt, der alle 
diese Eigentümlichkeiten aufweist. Ein derartiger leichter Reiz mit solch 
ungeheurer Reizwirkung, die wiederum durch denselben Reiz von auf- 

l ) H. W. Freund, „Ueber Erbrechen und unstillbares Erbrechen der Schwan¬ 
geren“. Ztschr. f. ärztl. Fortbildg. 1908, Nr. 23. 


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Zur physiol. Begründung des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren. 101 


fallend geringfügiger, der ersteren aber überlegenen Reizgrösse kompen¬ 
siert und beruhigt wird, ist der Kitzel und das Jucken mit den Re¬ 
flexen, die durch das Kratzen oder das Drücken und die Friktion be¬ 
seitigt werden. Nur ist auch das Phänomen des Kitzels der gesamten 
Physiologie bisher ganz entgangen. Da diese Beobachtungen bei unstill¬ 
barem Erbrechen an die Erscheinungen des Kitzelns und des Kratzens 
erinnern, so dürfte es sich fragen, ob nicht diese lästigen Symptome der 
Gravidität in solchem Zusammenhänge möglicherweise eine Erklärung 
zu Hessen. 

Freilich ist der Kitzel doch ein Gefühl, und es handelt sich gar 
nicht um eine klinische Erscheinung des Gefühls in der Gravidität, 
sondern um Erbrechen. Zudem leitet in Wirklichkeit gerade das sub¬ 
jektive Kitzelgefühl ein jedes Lebewesen auf die das Jucken empfindende 
Oertlichkeit am Körper instinktiv von selbst hin, während ja bei den 
Graviden davon gar nicht die Rede ist. Schliesslich bedürften doch noch 
drei weitere Gesichtspunkte der eingehenden Behandlung. 

Die Ausfüllung des inneren Muttermundes mit dem Pressschwamm 
oder mit dem Laminaria-Stift stellt jedenfalls eine mechanische Einwir¬ 
kung auf den Tastsinn dar. 

1. Es wäre also der ursächlicheReiz für die Krankheitserscheinung 
und der ursächliche Reiz für die Beseitigung dieser Krankheitserschei¬ 
nung. also die Heilung, genau der nämliche, gewissermassen homöo¬ 
pathische. 

2. Denn dieser taktile Reiz ist überdies, hier wie da, ein verhältnis¬ 
mässig recht kleiner. Sowohl der Reiz des inneren Muttermundes — 
wenn man einmal annehmen wollte, dass er es ist, der das Erbrechen ver¬ 
ursacht —, wie der Reiz am inneren Muttermund, der diesen ersten Reiz 
beseitigt, ist durch eine gewisse, förmlich homöopathische Geringfügigkeit 
ausgezeichnet. Der einzige Unterschied beider Reize liegt in der mini¬ 
malen Differenz der Intensität ihrer Reizgrösse. 

3. Schliesslich fragt es sich: Wie mag es denn nur kommen, dass 
die blosse Leere eines Hohlorgans oder eines Lumens einen reizenden Ein¬ 
fluss auf die dort ruhenden Nerven auszuüben vermag? Wie mag es 
denn bloss kommen, dass ein indifferenter Fremdkörper in dieser Höhle 
als mechanisches Reizmittel zur Beruhigung dieserNerven beitragen kann ? 
Wir sind doch im Gegenteil gewohnt, das Entgegengesetzte, zumal beim 
Tastsinn zu beobachten. Denn der Fremdkörper verursacht doch ge¬ 
wöhnlich gerade Krankheitserscheinungen und Schmerz, so dass unser 
therapeutisches Handeln gerade auf die Wegnahme des Fremdkörpers 
gerichtet ist. Das Positive, das Additive ist also gewöhnlich die Krank¬ 
heit, hier aber das Heilmittel. Das Minus, die Abstraktion, ist gemein¬ 
hin die Heilung, hier aber die Krankheitsursache. 

Jedenfalls deutet manches in Reiz und Rcizwirkung darauf hin, 
dass das unstillbare Erbrechen ein Reflex seitens des Tastsinnes ist, des 
physikalischen Sinnes unter den niederen Sinnen. Damit gewinnt die 
Physiologie der niederen Sinne eine besondere Bedeutung auch für die 
Praxis. 

Das, was die niederen Sinne vor den höheren auszeichnet, ist ihre 
Fähigkeit zur unmittelbaren Erregung der Gemeingefühle. Daher be¬ 
dürfen sie weniger der Erziehung und Ausbildung als die höheren Sinne. 
Unzweifelhaft ist der Sinn, der am meisten Gemeingefühle zu erzeugen 
vermag, der Tastsinn. Diese hervorragende Beteiligung des Tastsinnes 
an der Erzeugung von Gemeingefühlen brachte es mit sich, dass die Phy- 


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siologie die Abhandlung der Geineingefühle häufig an die des Tastsinnes 
anknüpft oder beide Gebiete gar vereinigt, so wenig diese auch, streng 
logisch genommen, zusammengehören. Ich ') habe darauf hingewiesen. 
Das grundlegende Werk von Ernst Heinrich W e b e r *) führt den Titel: 
„Die Lehre vorn Tastsinn und Gemeingefühl“. Tatsächlich vermag aber 
der Tastsinn, Gemeingefühle sogar nach den beiden entgegengesetzten 
Richtungen zu erregen, nach der positiven und nach der negativen Seite 
hin. Denn er erzeugt die Gemeingefühle der höchsten Unlust, den 
Schmerz, und ebenso die Gemeingefühle der höchsten Lust, die Wollust. 
Der Tastsinn ist daher der Sinn, welcher der Erhaltung der Art vorsteht. 
Dementsprechend können Tasteindrücke von einem einzigen relativ un¬ 
bedeutenden Punkt der Genitalsphäre Gemeingefühle und Reflexbewe¬ 
gungen nach den vom Reizpunkt weit entfernten Stellen hervorrufen. 

Von der Mamilla können durch Tasteindrücke Reflexe nach dem 
Uterus und ebenso in umgekehrter Richtung ausgelöst werden. Sogar 
die Tasteindrücke der Lippen beim Küssen lösen Reflexe nach den fern¬ 
sten Stellen der Sexualsphäre aus. Und auch dieses Verhältnis ist ein 
reziprokes. 

Unter den Gemeingefühlen zeichnet sich besonders ein Gemein¬ 
gefühl durch die Macht der Empfindungsgrösse und im Gegensatz dazu 
gerade durch die Kleinheit der Reizgrösse aus. Und das ist das Kitzel¬ 
gefühl. Das auffallende Missverhältnis zwischen Kleinheit der Reize und 
Grösse der Reizwirkung beschränkt sich dabei nicht bloss auf die ört¬ 
lichen Verhältnisse, sondern dehnt sich auch auf die Beziehungen der 
Zeit und der Art aus. 

Die Reizung darf nur eine höchst feine und leise sein, wenn anders 
ein Kitzelgefühl erregt werden soll. Denn andernfalls stellt sich statt 
des Kitzelgefühles das Schmerzgefühl ein. Esschliessen sich aber Schmerz- 
und Kitzelgefühle in mannigfacher Beziehung geradezu aus. Diese minu- 
fiöse Kleinheit in doppelter Beziehung ist es auch, weshalb sich die 
Kitzelgefühle der Erforschung bisher entzogen haben. Denn im allge¬ 
meinen hat man in der Wissenschaft diese Probleme von Momenten ver¬ 
nachlässigt, die sich durch eine besondere Kleinheit auszeichnen. Den 
Grund für die Tatsache, dass man das Problem von der Wirkung der fast 
homöopathischen Dosis der Gewürze übersehen hat, mit Hilfe deren die 
Küche zur Erregung des Appetits die Abwechslung erzielt, oder das Pro¬ 
blem vom Wesen der Genüsse, die Probleme der Appetitlichkeit, des Ekels 
usf., führe ich darauf zurück, dass man sich lediglich mit der Erkenntnis 
der gröberen Effekte begnügt. 

Und gerade der Schwamm erweist sich als vorzügliches Instrument 
zur leichten Reizung und Erregung des Kitzelgefühls. 3 ) 

Lässt man nämlich Perlen von Gasblasen, etwa Luft, am Körper 
aufsteigen, so hat man ein deutliches Kitzelgefühl. . Die Ausführung 
dieses Versuches ist sehr leicht und höchst einfach, wenn man im Bade 
einen Schwamm, dessen Poren mit Luft gefüllt sind, unmittelbar am 
Körper so ausdrückt, dass die Gasblasen im Wasser aufsteigen, der Kör¬ 
peroberfläche entlang. Die Anwesenheit der Gasblasen am Körper allein 


M „Die Kitzelgefühle“. Ztrbl. f. Fhysiol. XXIII. Nr. 24. 

2 ) Braunschweig 1851. 

3 ) Sternherg, „Zur Physiologie des Kitzelgefühls“. Fortschr. d. Med. 1911. 
Nr. 29. 8. 3. — „Die Physiologie der Kitzelßefiible“. Ztschr. f. Psychologie 1911. 
Bd. 60, S. 73 - 109. 


Go 'gle 


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Zur physiol. Begründung des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren. 103 


übt noch nicht den Kitzelreiz aus, wie man sich leicht irn Kohlensäure¬ 
bad überzeugen kann. 

Auch macht man vom Pressschwamm als dem bequemsten Mittel 
zur leichten Reizung und Erregung des Kitzelgefühls in der Praxis Ge¬ 
brauch. In den Zoologischen Gärten ersetzt man den Kitzel, den die 
mütterliche Zunge bei den im Freien lebenden Tieren ausübt, durch den 
Kitzel der äusseren Haut der Exkretionsorgane mittels des Schwammes, 
um die Entleerung der Hohlorgane bei den jungen Tieren zu ermöglichen. 

Dieselbe Geringfügigkeit desselben taktilen Reizes charakterisiert 
auch die Beseitigung der Reizempfindung. Geringfügiges Drücken und 
Kratzen genügt, den Juck- oder Kitzelreiz zu unterdrücken oder zu be¬ 
ruhigen. Kitzeln, Jucken und Kratzen sind dieselben Funktionen, ledig¬ 
lich durch die Intensität der Reizgrösse verschieden, wie ich l ) eingehend 
erörtert habe- Das deutet schon die Sprache an, die jede Bezeichnung 
zugleich für alle drei Tätigkeiten verwendet. 

Zugegeben aber schon, dass die Vorgänge des Kitzels oder des 
Juckens, die nach meinen s ) Ausführungen ganz identisch sind, sowie die 
dadurch bedingte reflektorische Reizwirkung und der das Jucken beruhi¬ 
gende Reiz des Kratzens mittels eines Fremdkörpers von festem Aggre¬ 
gatzustand einige Aehnlichkeit mit den besagten Erscheinungen bei der 
Hyperemesis gravidarum haben, so drängt sich doch die Frage auf: 

Wie ist es denn aber nur zu erklären, dass gerade die blosse Leere 
der Höhle am inneren Muttermund einen reizenden Einfluss auf die dort 
ruhenden Nerven auszuüben vermag? 

Wie ist es denn bloss zu erklären, dass die Anwesenheit eines in¬ 
differenten Fremdkörpers, wie es der Stift ist, als mechanisches Reiz¬ 
mittel zur Beruhigung dieser Nerven beitragen soll ? 

Diese Fragen sind genau dieselben wie die, die aufgeworfen werden 
müssen, wenn man das Wesen des Hunger-Gefühles ergründen will. 
Auch da fragt es sich: Wie kann es denn bloss kommen, dass die Leere 
der Magen-Höhle einen reizenden Einfluss auf die ruhenden Magennerven 
auszuüben vermag ? 

Wie ist es denn bloss zu erklären, dass die Anwesenheit indifferenter 
Fremdkörper, selbst nutzloser, unverwertbarer, unresorbierbarer, ja un¬ 
verdaulicher Fremdkörper in der Magen-Höhle als mechanisches Reiz¬ 
mittel zur Beruhigung der das Hunger-Gefühl wachrufenden Magenner¬ 
ven beitragen soll ? All diesen Problemen ist R. Turro 3 ) bequem aus 
dem Wege gegangen. 

Diese scheinbar unlöslichen Fragen deuten ja auch einerr.vollkomme- 
nen Widerspruch zu sämtlichen bekannten Erscheinungen an. Und doch ist 
schon einem jeden Laien ein Vorgang bekannt, der mit dem beregten die 
grösste Aehnlichkeit hat. Denn auch da handelt es sich um einen tak¬ 
tilen Reiz. Auch da handelt es sich um einen Reiz von recht geringfügiger 
Art. Auch da kommt die Leere einer Körper-Höhle in Betracht, die einen 
reizenden Einfluss auf die ruhenden Nerven ausüben muss. Auch da han¬ 
delt es sich um eine im Gegensatz zur Geringfügigkeit des Reizes stehende 


*) ,,Die Physiologie der Kitzelgefühle“. Ztschr. f. Psychologie 1911. 

*) „Kitzel- und Juckempfindung“. Ztschr. f. Sinnesphysiol. 1909. Bd. 45, 
Seite 51. 

3 ) Professor R. Turrö, Direktor des städt. bakteriolog. Laboratoriums zu Bar- 
cel >na, „Die physiologische Psychologie des Hungers“. Ztschr. f. Sinnesphysiol. Bd, 4". 
— „Ursprünge der Erkenntnis. I. Die physiologische Psycholoige des Hungers“ 1911. 
Leipzig, Ambr. Barth. 


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gewaltige Reizwirkung. Auch da macht sich die Reizwirkung in Störungen 
seitens des Verdauungs-Systems geltend. Auch da kommt es sogar zum 
Erbrechen. Und schliesslich bringt auch da derselbe taktile Reiz die Be¬ 
ruhigung der Nerven, nur dass der Reiz auch da in erhöhter Intensität 
wirken muss, indem wiederum ein indifferenter Fremdkörper von festem 
Aggregatzustande, ebenfalls ein Stift, eine gewisse Friktion ausüben muss. 
Und dieser Vorgang ist das Zahnen der Säuglinge. 

Seit den ältesten Zeiten führen die zahnenden Kinder die Finger 
in den Mund und reiben sich das Zahnfleisch oder suchen andere Gegen¬ 
stände gerade von festem Aggregatzustand. Beissen und brechen wollten 
sie vordem nicht. Jetzt fangen sie an, beissen zu wollen. Sie be¬ 
ruhigen sich nicht mehr mit derselben Consistenz der Nahrung. Der 
flüssige Aggregatzustand der Nahrung, der monatelang genügt hat, 
befriedigt sie nicht mehr. Sie haben Verlangen auch nach fester 
Nahrung. Es entwickelt sich der Appetit auf andere Consistenz. Mit 
vollem Recht besänftigen die Frauen seit jeher die zahnenden Kinder, 
indem sie mit ihrem Finger dasZahnfleisch reiben oder ihnen einMateria! 
von festem Aggregatzustand, den Zahnring, in den Mund legen. Und 
dieser mechanischen Reizung ist eine gewisse Beeinflussung der reflek¬ 
torischen Vorgänge der Dentition doch nicht abzusprechen. 

Aus dieser allbekannten Tatsache habe ich >) entnommen, dass 
jenes Unlustgefühl der zahnenden Kinder nichts anderes als der Kitzel 
ist, eine Ansicht, die bereits Hippokrates J ) und Plato 1 2 3 ) geäussert haben. 
Dieses subjektive Bedürfnis der zahnenden Kinder nach Friktion des 
Mundes mit festen Gegenständen ist nichts anderes als das Bedürfnis, 
das Tiere und Menschen seit den ältesten Zeiten treibt, die juckenden 
Stellen des Körpere an Gegenständen von festem Aggregatzustand zu 
reiben und sogar „wund“ zu kratzen. 

Homer 4 * ) sagt bereits: 

Welcher von Tür zu Tür an den Pfosten die Schultern sich reihet. 

ös JioXXfjoi rpXifjm ziagamas (pUipncu wfiovs- 

Während der Schmerz jede Vermeidung einer heftigen Berührung 
der schmerzenden Stelle mit einem Gegenstände von festem Aggregat¬ 
zustande veranlasst, bewirkt der Kitzel das gerade Gegenteil. Nun er¬ 
kennt man erst, warum das Allgenieingefühl der Wollust, des Appetitus 
coeundi, der Brunst, das ich 6 ) gleichfalls als Kitzelgefühl auffasse, an den 
Tastsinn anknüpft. Der unwiderstehliche Drang nach Befriedigung, den 
gerade die Kitzelgefühle erheischen, stellt sich im biologischen Sinne 
gleichsam wie die Anziehungskraft im anorganischen Reich dar. Daher 
habe ich die Kitzelgefühle im organischen Reich geradezu der Anziehungs¬ 
kraft, der chemischen, physikalischen und elektrischen Anziehung, 
gleichgestellt. Und diese Eigentümlichkeit der Anziehungskraft, welche 
die beregten Gemeingefühle des Tastsinnes im Gefolge haben, ist es, 
welche gerade den Tastsinn so sehr geeignet macht zur Verwendung für 
die röhrenförmigen Kanäle und Hohlorgane. Denn auf diese Weise dient 
der Tastsinn mittels Erregung der Kitzelgefühle gewissermassen als un- 


1 ) „Die physiologische Grundlage des Hungergefühls“. Ztschr. f. Sinnesphysiol. 
1911, Bd. 45, S. 84. — „Die Kitzelgefühle“. Ztbl. f. Physiol. Bd. XXIII., Nr. 24, S. 4. 

2 ) III. Abschnitt der Aphorismen, 25. Absatz. 

) Phädros XXXII, 251 c . 

4 ) Odyssee, XVII, 221. 

*) „Die Kitzelgefühle“. Ztbl. f. Physiol., Bd. XXIII. Nr. 24, S. 2. — „Die phy¬ 

siologische Grundlage des Hungergefühls“. Ztschr. f. Sinnesphysiol. 1911, Bd. 45. S. 84. 


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Zur physiol. Begründung des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren. 105 


widerstehliche Aufforderung zur energischen Füllung der leeren Hohl¬ 
organe mit Stoffen von festem Aggregatzustand. Er ist der Sinn, mit 
dessen Hilfe wir die Leere der Hohlorgane, die Inanition, fühlen und die 
Aufforderung zur Füllung, zur Völlerei wahrnehmen. Nun erst wird es 
verständlich, warum gerade der Tastsinn vorzugsweise den beiden Sy¬ 
stemen zur Wache vorgosetzt werden musste, welche der Erhaltung zu 
dienen haben, der Erhaltung der Art und der Erhaltung des Individuums. 

Denn der Kitzelreiz in inneren Hohlorganen, wie im Meatus auris 
externus, in der Vagina, im Rektum z. B. bei Hämorrhoiden, Darmwür¬ 
mern u. a. m. wird nur dann beseitigt, wenn ein Fremdkörper das Lumen 
möglichst vollständig ausfüllt, förmlich pessarartig, so dass die Wandung 
des Hohlorgans möglichst an allen Teilen gedrückt und gerieben wird. 
Das ist der Grund, warum ich auch die Libido sexualis, das sexuelle Ge¬ 
lüste, die Liebe, das sexuelle Bedürfnis, den Geschlechts-Trieb des Weibes 
für nichts anderes halte als geradezu für den Pruritus vaginae. Und ebenso 
sehe ich den Nahrungs-Trieb, das Nahrungs-Bedürfnis, als Kitzelreiz an. 
Der Hunger, das subjektive Bedürfnis, die Magen-Höhle und nur die 
Magen-Höhle mit Fremdkörpern von festem Aggregatzustand mög¬ 
lichst vollständig anzufüllen, ist nichts anderes, als der Pruritus sto- 
machi. *) Der Appetit, das subjektive Bedürfnis, die Mund-Höhle 
und nur die Mund-Höhle mit Fremdkörpern von festem Aggregat¬ 
zustande möglichst vollständig anzufüllen, ist nichts anderes als 
der Gaumenkitzel, Pruritus palati, Pruritus oris. So erklären sich nach 
meinen 2 ) Darlegungen ungezwungen manche ungelöste und unlösbare 
Rätsel. Denn das war ja das schier Unbegreifliche bis jetzt gewesen, 
dass alle Tiere seit jeher, auch die eben erst aus dem Ei geschlüpften 
Jungen, doch sofort schon die Nahrung in die Mund-Höhle und durch 
die Mund-Höhle in die Magen-Höhle zu transportieren wissen, ebenso 
sicher und ebenso regelmässig wie die erwachsenen Tiere, ja wie die Men¬ 
schen selbst, weshalb Aristoteles von /jufirmara äv&QOinlvrfg Zcofjg redet. 

Das war ja gerade das Unbegreifliche, warum es sich denn noch 
niemals ereignet hat, dass ein Lebewesen im Fall von Hunger oderAppetit 
die Nahrung in eine andere Körper-Höhle, etwa in die Nasen-, After-, 
Ohr-Oeffnung bringen wollte. 

Die beste Lehrmeisterin und Leiterin ist eben die subjektive Emp¬ 
findung. Und das ist der Kitzel. 

Nimmt man freilich an, dass der beregte Reiz am inneren Mutter¬ 
mund bei Hyperemesis gravidarum wirklich ein Kitzelreiz sei, dann 
bleibt doch immer noch eine auffallende Erscheinung unerklärt. Es 
fragt sich nämlich, warum gerade das Erbrechen als reflektorische 
Reaktion auf den Kitzelreiz erfolgt. 

Aber Erbrechen erfolgt bei Schwangeren ohnehin leichter. Es be¬ 
steht gewissermassen eine nausiophile Diathese oder Nausiophilie in der 
Zeit der Gravidität, die als Aequivalent der Spasinophilie im Kindesalter 
an die Seite zu setzen wäre. Daher werden schwangere Frauen leichter 
und nachhaltiger seekrank als nicht schwangere. Diese Tatsache hat 
nicht einmal 0. Rosenbach*) in seinem Werk: „Die Seekrankheit“ er- 


3 ) „Die physiologische Grundlage des' Hungergefühls“. Ztschr. 1. Sinnesphysiol. 
1911, Bd. 45. 

*) ,Der Appetit in der exakten Medizin“. Ztschr. f. Sinnesphysiol., Bd. 45, S. 450 
und 451. 1911. 

3 ) Wien 1896. Alfred Hölder. Spezielle Pathologie und Therapie v. Nothnagol. 
XII. Bd., 2. Hälfte S, 11: „Disposition und prädisponierende Momente“. t 


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106 


Sternberg, 


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wähnt. Sogar nicht gravide Frauen, selbst Virgines haben schon während 
der Menses oft Uebelkeiten iuid selbst Brechneigung, ja wirkliches Er¬ 
brechen. Nur Valentin 1 ) scheint das hervorgehoben zu haben. 

Auch ist schon der psychische Faktor als Ursache für die Brech¬ 
neigung und für den Ekel durch die Schwangerschaft überhaupt gestei¬ 
gert. Gerade bei Küchen-Arbeiten oder beim Zusehen der Herrichtungen 
in der Küche durch andere stellt sich leicht Brechreiz uud Brechneigung 
der Graviden ein. Das Merkwürdige dabei ist die Tatsache, dass es durch¬ 
aus nicht etwa der Anblick von irgendwie Ekelhaftem oder der üble 
Küchen-Geruch zu sein braucht, der den Brechreiz veranlasst. Vielmehr 
erfolgt selbst dann leicht Erbrechen, wenn die gravide Frau das appetit¬ 
lichste Essen auch in der kalten Küche für ihre eigene Familie zubereiten 
lässt oder auch nur zu bereiten sieht. Der Anblick genügt oft schon. Die 
Gravide verhält sich hierin genau so wie der Seekranke. Auch diese 
Eigentümlichkeit der Seekranken hat Rosenbach übersehen. Brech¬ 
neigung entsteht, hier wie da, ain leichtesten dann, wenn überhaupt 
irgend etwas, was an die Nahrungs-Aufnahme erinnert, vor Augen ge¬ 
führt wird. Diese beiden Beobachtungen sind freilich in der Medizin 
noch niemals in der Literatur verzeichnet worden. Selbst in der Ar¬ 
beit: ,,D iätetische und physikalische Behandlungsmethoden während 
der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes“, in dem Ab¬ 
schnitt des Merkes: „Die diätetisch-physikalische Therapie“ 2 ) von Dr. 
Georg Zülzer übergeht sie Bruno Wolff. Und zu diesen Fehlern kommt 
denn ein weiterer tatsächlicher Fehler, der aus der Vernachlässigung 
dieser populären, alltäglichen und leicht nachkontrollierbaren Be¬ 
obachtungen resultiert. Man verwendet nämlich, aus leicht erklärlichen 
Gründen, die graviden Frauen in den gynäkologischen Krankenhäusern 
wohl auch zum Küchen-Dienst, wie dies Ahlfeld 3 ) und ich 4 ) angeben. 

Ausserdem ist noch eine weitere Empfindlichkeit, die mit der Brech¬ 
neigung gleichfalls in Verbindung steht, in der Gravidität erhöht. Selt¬ 
samerweise ist auch diese Erscheinung in der gesamten Literatur der 
verschiedensten hierfür in Betracht kommenden spezialmedizinischen 
Wissenschaften übergangen geblieben. Das ist die Erhöhung der taktilen 
Empfindlichkeit der Mund-Höhle und der damit in Verbindung stehenden 
Erregbarkeit des Würg-Reflexes, des antagonistischen Reflexes vorn 
Schluck-Reflex. Es ist eine fast jeder Mutter bekannte Erfahrung, dass 
der äusserst leichte Reiz des Gurgelns am Morgen und des Mundspülens 
schon Würgen und Uebelkeit in der Schwangerschaft erregt und den 
ersten Brechreiz ebenso abgibt, wie z. B. bei Pertussis der mechanische 
wahre Gaumenkitzel durch trockene Speisen den Hustenkitzel auslösen 
kann. Das ist gewöhnlich sogar die erste Empfindung, die die Diagnose 
der Gravidität wahrscheinlich macht. Das Erbrechen und die Brech¬ 
neigung gerade gelegentlich des morgeritlichen Gurgelns ist das erste 
Anzeichen des Erbrechens der Schwangeren. 

Gravide Frauen lassen sich ja auch Mund-, Rachen- und Kehlkopf- 


’) Valentin, „Grundriss der Physiologie des Menschen“, 1851 Braunschweig. 
S. 675. 

J ) Berlin 1909. Otto Salle. 

3 ) Ahlfeld, Erlebnisse und Erfahrungen mit eigener Küchen Verwaltung in Frauen¬ 
kliniken und Hebammenleliranstalton“. Klin. Jahrb. 19 >5. Bd. XIV, S. 41—49. 

4 ) „Alto und neue Anstaltsküchen in den Kliniken der Universität Giessen“. 
Fortschr. der Med., 1911. Nr. 21. 


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Zur physiol. Begründung des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren. 107 


Höhle nicht so leicht untersuchen wie vor oder nach der Gravidität. 
Das wissen die Frauen sogar selber. ,,Das Essen kommt wieder hoch“, 
sagen dabei die Graviden voller Furcht. Schwangere Frauen in bester 
Gesundheit lassen sich ebensowenig leicht wie die Frauen in Krankheit 
oder die Kinder in der Dentition im Munde berühren, ohne noch 
nachher lange Brechreiz zu emplinden. Manchen Frauen kann man daher 
nicht einmal versuchen, die belegte Zunge abreiben zu lassen. So hoch¬ 
gradig ist die Hyperästhesie, genau so wie in der Dentition. Der Mund ist 
eben der kitzlichste Körperteil. Um so auffallender ist die Tatsache, 
dass diese Beobachtung in der Literatur weder der Zahnheilkunde noch 
der Laryngologie registriert ist. Ich ') habe darauf hingewiesen. 

Die Gravidität erhöht .schliesslich nrch eine Empfindlichkeit, die 
wiederum mit der Brechneigung im Zusammenhang steht. Das ist die 
Sinnesempfindung des Geruches. In der Gravidität ist die Reizbarkeit 
für alle sinnlichen Empfindungen gesteigert. Zumal die Geruchs-Empfind¬ 
lichkeit ist aufs äusserste erhöht. 

In dieser Beziehung verhält sich die gravide Frau in bester Gesund¬ 
heit wie jeder Kranke. „Wenn ich die Medizin bloss rieche, wird mir übel 
und schlimm, gauz ekelig uud schlecht. Daher kann ich auch nicht essen 
und habe den Appetit verloren“; „Wenn ich bloss das Essen von weitem 
sehe oder gar rieche, wird mir übel“. Das sind die gewöhnlichen Augaben 
der meisten appetitlosen Kranken, ebenso wie die der empfindlichen Gra¬ 
viden oder der Seekranken. Dass aber kein Sinn so leicht Ekel zu erregen 
vermag wie gerade der Geruch, das ist eine Tatsache, die selbst Plu- 
larch s ) schon hervorhebt: 

7 / öti uAhara vavriav xtvel libv alodrjoeui* fj oo>/ or/ot-;. 

Aus diesen Gründen ist gerade die Brechneigung in der Schwanger¬ 
schaft erhöht. Aus diesen Gründen ist gerade das Symptom des Erbre¬ 
chens und die grosse Neigung der Frauen zu reflektorischem Erbrechen 
in der Zeit der Schwangerschaft, der hervorstechenden Häufigkeit und 
Bevorzugung nach, als Aequivalent etwa dem Symptom der Krämpfe 
und der Tendenz zu Konvulsionen in der Zeit der Kindheit gl eich zuset zeia, 
für deren hervorstechende Häufigkeit die Kinderheilkunde ja auch noch 
nicht die physiologische Begründung geliefert hat. 

Ich möchte daher als die physiologische Grundlage für die ge¬ 
waltige Reizwirkung des unstillbaren Erbrechens der Schwangeren den 
geringfügigen Reiz des Kitzels an der so sehr empfindlichen Stelle des 
inneren Muttermundes ansprechen und als Grund für die Heilung den 
minimalen Reiz des Druckes auf die kitzelnde Stelle durch den Fremd¬ 
körper des Laminariastiftes. Die Reizgrösse dieses Reizes, der im wesent¬ 
lichen derselbe mechanische ist wie jener, ist ja ebenfalls bloss gering¬ 
fügig, sie übertrifft aber den kleinen Reiz des Kitzels doch noch und über¬ 
windet ihn dadurch, ebenso wie das Drücken und Kratzen an der Haut 
das Juekgefüh! überwindet und beseitigt. Ist das richtig, dann muss die 
Therapie des unstillbaren Erbrechens der Graviden in dieser Richtung 
versucht werden. Ich möchte empfehlen, nicht bloss bei Hvperemesis 
«ravidarum, sondern auch bei allen nervösen Zuständen ausserhalb 
der Gravidität, die jeder Therapie trotzen, die Einlegung eines La- 
minaria-Stiftes zu versuchen. 

l ) „Der Appetit in der exakten Medizin“. Ztschr. f. Sinnesphysiol. 1911, Bd. 45, 
S. 454. 

’) Aetia physica. Ätna (pvoixä. IA’. J<ö t i /uiXXov ravruoat t rjv t?d/arrav 
n/Jovrn; Pj loi’s juna/tovi;, xäv er yaÄrjvj) JiXiwar, Mor 914 e. 


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Seemann, 


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So könnten möglicherweise die Fortschritte der Forschung über das 
Appetit-Problem, das mir ') mit dem Problem der Hyperemesis gravida¬ 
rum im innigsten Zusammenhang zu stehen scheint, und die Erweiterung 
der theoretischen Ernährungs-Physiologie und allgemeinen Ernährungs- 
Lehre zur angewandten Ernährungs-Therapie und praktischen Diätetik 
auch der Frauenheilkunde Anregungen geben und früheren Beistand ent¬ 
lohnen, wie umgekehrt die Diätetik aus der Geburtshilfe, Neurologie, 
Laryngologie schöpfen kann. Deshalb darf sich gerade die Ernährungs- 
Therapie nicht mehr wie bisher bloss auf Chemie, Diät, Verdauungs¬ 
und StolTwechsel-Lehre beschränken. 


Die Hebung der Diurese mit Diurase. 

Von Dr. med. Seemann-Berlin. 

Jeder Praktiker dürfte darin mit mir übereinstimmen, dass wir 
kein Diuretikum haben, das uns gelegentlich nicht im Stiche lässt, 
und vor allem keines, das nicht mehr oder weniger Nebenerscheinungen 
oder gar Giftwirkungen nach sich zieht: alles um so wichtiger, als der 
Heilungsplan verlangt, dass ein solches Mittel längere Zeit gegeben 
werden muss. 

Die Nebenerscheinungen fürchten wir aber bei den in Frage kom¬ 
menden Komplikationen besonders und man wird mir recht geben, 
wenn ich sage, dass wir oft ratlos oder mit wenig Hoffnung vor der 
Wahl des geeigneten Mittels stehen, besonders in jenen Fällen, wo die 
Ursache der verminderten Diurese zweifelhaft und wo wir .schonend 
und event. tastend Vorgehen möchten. Es ist daher notwendig, oder 
wie Glässner*) ganz kürzlich sich äusserte, ,,zu verstehen, wenn 
die chemische Industrie immer und immer wieder neue Stoffe sucht, 
um ein konstant wirkendes Diuretikum ausfindig zu machen“. Ganz 
kann das ja aus ätiologischen Gründen nie gelingen, aber das Mittel, 
das diesem Ziele am nächsten kommt, wird der ärztlichen Welt sehr 
willkommen sein müssen. 

Ein solches Mittel soll vor allem helfen, wenn das Sieb der Nieren 
verstopft oder wenn eine Stauung im grossen oder kleinen Kreisläufe 
Wasserretentionen verursacht; dann event. auch, wenn das Herz das 
kausale Moment abgibt. Immerhin haben wir im letzten Falle spe¬ 
zifischer wirkende Substanzen, die in Verbindung mit einem Diuretikum 
sichere Wirkung bringen können. 

Wir wissen, dass bestimmte, alkalische Salze die Osmose regeln 
und so das Wasser aus den Geweben in die Blutbahn ziehen. In erster 
Linie gehören hierher die Zitrate, Azetate, Tartrate von Kalium-Am- 
monium (Smith 3 ) weniger von Natronsalzen. 

Nach den Resultaten von B ü r g i 4 ) nun, der nachgewiesen hat, 
dass in Verbindung obiger Substanzen andere spezifischer wirkende 
Diuretica eine viel energischere Wirkung bei viel geringerer Dosis 
verursachen, kommen wir hier zu einer wohl die wissenschaftliche 
Therapie bereichernden Lösung. 

Wir müssen — abgesehen von einer angenehmen Darreichungs- 

*) ,,Diüt und Küche“. VVürzburg 1911, Gurt Kabitzsch, S. 61. 

J l Priv.-Doz. Glässner: Tber. Mtsh. 1911/8. 

") Smith: British medical. Journ 1911 Feh. 

‘) Bürgi: Berl. kliu. Woehenschr. 1911 No. 21. 



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Die Hebung der Diurese mit Diurase 


109 


form — ein Mittel finden, das absolut unschädlich ist und ausser 
diuretischen, auch sonst gute Wirkung auf den Organismus hat. Da 
zeigen uns weiter einen richtigen Weg die Arbeiten von G 1 ä s s - 
ner 1 ). Darnach sind die Aminosäuren vor allem das Glykokoll 
besonders geeignet, mit obigen Substanzen zusammen, hier eine 
Lücke in der Reihe der Diuretika auszufüllen. Um aber das noch 
sehr teure Glykokoll durch einen weiteren Faktor in der Dosis zu ver¬ 
ringern, steht uns noch das ebenso unschädliche Terpinhydrat zur 
Verfügung. 

Ganz nach den, betreffend Arzneikombinationen gemachten Beob¬ 
achtungen von Ziehen 1 ) u. a. für Hypnotika u. a., erhalten wir nun 
in dieser Verbindung — Diurase genannt — bei Darreichung eine 
derartig günstige Diurese, dass wir es wirklich ein hervorragendes 
Diuretikum nennen können. 

Gibt man Gesunden, unter entsprechenden Kontrollversuchen 
natürlich, Diurase, so steigt die Diurese bis auf 1800 und 1900 ccm 
der Harnmenge, wo vorher 1200—1500 die Regel war. Das hat sich 
bei jeder Wiederholung immer wieder gezeigt. Gibt man cs in geeig¬ 
neten Krankheitsfällen — genaueres darüber an anderer Stelle -— so 
beobachtet man durchgängig nicht allein eine rasche Hebung der Diurese 
und Schwinden der Symptome, sondein auch der Allgemeinzustand 
gefällt einem rasch besser. 

Ganz besonders möge man Diurase therapeutisch dort verwenden, 
wo lediglich verminderte Harnmenge noch ohne bestimmte patho¬ 
logische Erscheinungen besteht: F'älle, wie sie auch unter Erwach¬ 
senen wie Kindern häufiger sind, als man annimmt. Es sind jene Fälle, 
bei denen prophylaktisch einzugreifen sein wird, Fälle, bei denen manch¬ 
mal die Nervenkraft, event. auch die Herzkraft leicht gestört ist. So 
z. B. bei sensiblen Kindern, über dessen mancherlei Symptome kürzlich 
Czerny 3 ) eingehender berichtete, oder nach Infektionskrankheiten. 
Durch einfache Darreichung von Diurase wird eine Hebung der Diurese 
und bald auch sonst allgemein gute Wirkung hervorgerufen. Das Mittel 
tut hier in zweifacher Weise seine Wirkung. 

Ich glaube nicht, dass es wünschenswert ist, nach einem Mittel 
zu suchen, das gleichzeitig Kreislauf und Herzmuskel beeinflusst; 
diese beiden Zwecke sollten in der Therapie auseinandergehalten werden. 
Wenn wir nur ein gutes, auch auf die Dauer un¬ 
schädliches Diuretikum haben; denn auf die Herzkraft 
einzuwirken, haben wir stets Hilfsmittel, die dann im gegebenen Falle 
mitgegeben werden können (Digitalis, Coffein usw.) Es ist bei beiden 
Wirkungen in eine m Mittel nicht möglich, doit, wo nur die diu- 
retische Wirkung erstrebt wird, die andere auszuschliessen. 

Wir haben übrigens bei renalem Hydrops um so mehr nötig. Mittel, 
die nicht zu heroisch wirken, anzuwenden und die physiologischen 
Voraussetzungen zu erhalten, weil bei rapider Beseitigung der Oedeme 
urämische Zustände hervorgerufen werden können, infolge Aufnahme 
gelöster Giftstoffe in den Kreislauf. Diurase ist hier derart zusammen¬ 
gesetzt, dass es solchen Ereignissen vorbeugt. Daher ist es auch rat¬ 
sam, dort wo man zuerst zu einem anderen Diuretikum gegriffen hat 
(Theobrominpräparate etc.) Diurase abwechslungsweise zu geben. 

*) Glässner: 1. c. 

’l Ziehen: Ver. Ber. D. med. Woehenschr. I9U7. 

s ) Zeilschr. f. ärztl. Kortbild. 1911 p. d.,0. 


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Referate und Besprechungen 


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Ich werde Gelegenheit nehmen, auf speziellere Beobachtungen 
zurückzukommen. Heute wollte ich nur infolge meiner Erfahrungen 
zur Erprobung der Diurase bei allen Fällen von Verdacht oder 
bestimmten Symptomen verlangsamter oder sonst 
irregulärer Diurese, hei akutem renalem Hydrops, 
bei chronischen Fällen, bei Affektionen des Herzens (mit 
oder ohne Digitalis oder Coffein) oder bei sonstigen Ursachen (Leber¬ 
kreislauf) auf fordern; denn nur auf diese Weise wird über den wahren 
Wert eines Mittels, dessen Indikationen so häufig sind, und das bei 
vielen, auch ernsten AfTektionen dem Praktiker wertvoll sein kann, 
rascher ein richtiges Urteil gefällt werden können. 

Man gibt stündlich bis 3—4 mal täglich zwei bis vier Tabletten 
(je nach der Schwere der Fälle ev. einschleichend) bis die Erschei¬ 
nungen geschwunden, dann gebe man das Mittel noch kurze Zeit weiter. 
Ebenso setze man. falls diese Mittel nötig waren, sobald es angängig 
ist, Digitalis oder Coffein usw. aus und gebe Diurase allein noch kurze 
Zeit weiter. Je früher man mit Diurase einsetzt, um so rascher der 
Erfolg. Die Tabletten können auch in Wasser gelöst genommen 
werden. 


Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Uhland, (Rottweil), Innere Desinfektion und Schutzwirkung durch Formal- 
dehyduni solutum gegenüber dem Milzbranderreger. (Centralbl. für Bakteriologie, 

Bd. 57, H. 2.) 

Die sich ergebenden Resultate der Versuche des Verfassers sind folgende: 

1. Formaldehyd (intravenös) vor der Milzbrandinfektion gegeben, ver¬ 
hindert den Tod des Versuchstieres. 

2. Gleichzeitige Infektion und intravenöse Formaldehydbehandlung ver¬ 
zögert den Tod des Tieres. 

3. Nach der Infektion erfolgte Behandlung mit Formaldehyd ist 
wirkungslos. 

Verfasser halt die FormaldehydWirkung für nicht desinfizierend, son¬ 
dern glaubt, daß die Schutzstoffe des Körpers gegen die Infektion durch das 
Formaldehyd vermehrt werden. Die durch Formaldehyd hervorgerufene 
Leukozytose ist nicht allein als schützender Faktor anzusehen, denn „es 
besteht die Schutzwirkung auch dann noch, wenn sich die Vermehrung der 
weißen Blutkörperchen längst wieder ausgeglichen hat.“ 

\ iolmehr scheint eine vermehrte Bildung von Immunkörpern durch das 
Formaldehyd herbeigeführt zu werden. Schürmann. 

Pinzani (Turin), Ein neuer Apparat zur Formaldehydbereitung. (Centralbl. 

für Bakteriologie, Bd. 57, H. 2.) 

Im Original nachzulesen. Schürmann. 

Monaco (Palermo), Über die Virulenz des Pneumokokkus und Streptokokkus. 
(Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 57, H. 2.) 

Im aktiven wie inaktiven Pneumokokken-Immunserum lebt der Pneumo¬ 
kokkus ebensogut wie im normalen Serum. 

Die Bakterien sind nach Verweilen im Immunserum ganz oder teil¬ 
weise agglutiniert. Die Kulturen des Immunserums leben bis zu drei Mona¬ 
ten. Ire. Ir. munserum verliert der Pneumokokkus sehr bald seine Virulenz, 


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Referate und Besprechungen. 


111 


die sieh auch in geringem Maße auf die nachfolgenden Generationen über¬ 
trägt. Die Immunkörper des Kaninchens und des Esels sind untereinander 
nicht different in bezug auf den Pneumokokkenrezeptorenapparat. 

Ein Streptokokkenimmunserum verhält sich den Streptokokken gegen¬ 
über ebenso wie Pneumokokkenimmunserum gegenüber Pneumokokken. Nur 
wirkt es nicht Virulenz abschwiichend. Schürmann. 

Well, über die Bedeutung der Leukozyten bei der Intraperitonealen Cholera- 
Infektion des Meerschweinchens. (Centralbl. für Bakteriologie, Bd 59, H. 4.) 

Die Injektion lebender Leukozyten verleiht Meerschweinchen einen 
starken Schutz gegen sensibilisierte Choleravibrionen selbst dann, wenn durch 
komplementbindende Mittel die Säftewirkung ausgeschaltet wird. Gegen¬ 
über nicht sensibilisierten Vibrionen ist die Leukozytenwirkung bedeutend 
schwächer. Die durch Eingefrieren abgetöteten Leukozyten verhalten sich 
bei der gleichen Versuchsanordnung völlig wirkungslos. Diese Tatsache, 
sowie die Notwendigkeit des Immunserums für eine stärkere Leukozytenwir¬ 
kung beweist, daß für die Leukozytenbakterizidie im Tierkörper die Phago¬ 
zytose eine Rolle spielt. Weiter zeigen die Versuche, daß die Leukozytein 
ohne' Mitwirkung von Komplement Choleravibrionen im Tierkörper abtöten. 
Die Bakterizidie der Leukozyten tritt unabhängig von der Säftebakteriolyse 
auf und bedingt wahrscheinlich die Unmöglichkeit, die Virulenz echter 
Choleravibrionen in erheblichem Maße zu steigern. Schürmann. 

PrauDnitz, Karl, Zur Frage nach der Natur des Choleraantlgeus. (Centralbl. 
für Bakteriologie, Bd. 59, H. 4.) 

Ein aus Öse Choleravibrionen gewonnenes wässriges Extrakt, durch 
ßerkefeld- oder Pukall-Filter filtriert und Kaninchen intravenös injiziert, 
löst einen starken immunisatorischen Effekt aus. Ein aus 0,1—0,2 g trockenen 
Choleravibrionen (dem etwa 25 000 fachen Multiplum der unter 1. verwende¬ 
ten Kulturmenge) vermittels 80—85 proz. Alkohol gewonnenes Extrakt, 
durch Berkefeld- oder Pukall-Filter filtriert und Kaninchen intravenös inji¬ 
ziert, ruft keine deutliche Antikörperproduktion (Agglutinine, Rakteriolysine) 
hervor. Muttermilch und Levaditi erhielten andere Resultate wie Verfasser. 
Diese Autoren haben ihre alkoholischen Aufschwemmungen nur durch Zentri¬ 
fugieren und Papierfiltration zu klären versucht. Hierbei mußten kleinere 
Mengen ungelöster Vibrionensubstanz emulsioniert verbleiben, die nach den 
angeführten Feststellungen von Pfeiffer, sowie von Friedberger und Moreschi 
zur Auslösung der gefundenen Immunitätsreaktionen ausreichen dürften. Das 
vom Verfasser verwendete alkoholische Vibrionenextrakt zeigt weitgehende 
unspezifische Komplementbindung. Dagegen zeigte der im Alkohol unlös¬ 
liche Vibrionenrückstand eine hochgradige Spezifizität dieser Reaktion und 
übertrifft damit bedeutend die nicht mit Alkohol vorbehandelten Vibrionen. 
Durch die vorherige Extraktion mit Alkohol w r erden aus den Vibrionen ge¬ 
wisse Substanzen entfernt, die die Spezifizität des Komplimentbindungsver¬ 
suches zu stören pflegen. Schiirmann. 

Casagrandi (Cagliari), Zur Ätiologie der Menschenpocken. (Centralbl. für 
Bakteriologie, Bd. 57, H. 5.) 

Das Variolavirus passiert die feinstporösen Kerzen. Es wird von feinen 
granulären Elementen gebildet, die sich im Innern der sie beherbergenden 
Zellen vermehren. Schürmann. 

Bessau (Breslau). Verliert das Typhiisinununseruni durch Ausfüllung mit 
Typhusbazillen seine schützende Wirkung Im Pfeifferschen Versuch? (Centralbl. 
für Bakteriologie, Bd. 59, H. 5/7.) 

Die Antikörper des Typhusimmunserums sind an die Typhusbazillen¬ 
substanz gebunden. Typhusimmunserum wird durch Ausfällen mit Typhus- 
bezillen völlig unwirksam. Diese zur Ausfüllung des Serums benutzte Kultur 
enifaltet dadurch, daß sie im Peritoneum des Meerschweinchens aufgelöst 
wird und so die an sie gebundenen Immunkörper frei werden, eine starke 
bakteriolytische Fähigkeit gegenüber frischen Typhusbazillen. Somit liegt 


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Referate und Besprechungen. 


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kein Grund vor, neben „den Pfeifferschen Bakteriolysinen“ im Typhus¬ 
serum besondere, bisher unbekannte Immunstoffe anzunehmen, denen die 
Schutzwirkung im Tierversuch zuzuschreiben wäre. 

Schürmann. 

Frei und Pokschlschewsky (Berlin), Zur Frage der sogenannten Säurefestig¬ 
keit. (Centr. für Bakter. Bd 60, H. 3/4.) 

Fortgesetztes Fortzüchten auf saurem Nährboden nimmt Pseudoped- 
sucht-, Thimothee- und Grasbazillen ihre Säurefestigkeit, läßt sie aber so¬ 
fort wieder erscheinen, wenn die Kulturen auf alkalischem Substrat weiter¬ 
gezüchtet wurden. 

Weniger resistent als Tuberkelbazillen gegenüber Antiformin erwiesen 
sich die Pseudoperlsuchtbazillen. „Resistenzunterschiede der säurefesten und 
der säureunfesten Modifikation konnten nicht gefunden werden.“ 

Schürmann. 


Innere Medizin. 

West, S. (London), Herzüberanstrengung, mit Bemerkungen über das Trai¬ 
nieren und einige verwandte Herzstörungen. (Practitioner, Bd. 87, H. 2.) 

Je ausgesprochener die subjektiven Störungen der Herztätigkeit sind 
(je mehr abnorme Gefühle in der Herzgegend vorhanden sind), desto un¬ 
wahrscheinlicher ist das Bestehen einer organischen Herzerkrankung. Kein 
Organ ist nervösen Einflüssen mehr unterworfen als das Herz. Beim Trai¬ 
nieren ist der Zusammenbruch häufiger dem nervösen als dem muskulären 
Teil des Herzens zuzuschreiben. Ersterer äußert sich durch Reizbarkeit, 
schlechten Schlaf und unangenehmes Träumen. Das Trainieren erschöpft 
die nervösen Kräfte, während es die muskulären vermehrt (daher die be¬ 
kannte intellektuelle Faulheit der Einjährigen). Erst nachdem das Trai¬ 
nieren einige Zeit vorüber ist, werden die geistigen Fähigkeiten wieder 
disponibel. Im Grunde w’aren sie immer da, aber die Energie stand nicht 
hinter ihnen, sondern war zeitweise auf die körperliche Seite abge¬ 
lenkt. Die erfolgreichsten Athleten zeichnen sich mehr durch Energie und 
Ausdauer, als durch körperliche Kraft aus und leisten späterhin oft auch auf 
geistigem Gebiet mehr als andere, wenn sie über die Zeit, in der (heutzutage 
besonders!) der Sport im Mittelpunkt des Interesses steht, hinweggekommen 
sind. 

Es ist sehr schwer, ein gesundes Herz zu überanstrengen, denn seine 
Reservekräfte sind kaum zu überschätzen; doch ist ein Herz, das stark 
hypertrophiert ist, in Gefahr schwach zu werden, wenn nicht rechtzeitig 
Schonung eintritt. Gewöhnlich versagen die Körpermuskeln früher als das 
Herz, und dies ist das beste Sicherheitsventil. 

Übrigens ist es schwer, bei trainierten Leuten eine Herzhypertrophie 
festzustellen, da gewöhnlich auch die Lungen hypertrophiert (nicht etwa 
emphysomatös) sind. Starke Hypertrophie kann bestehen ohne Herzgeräusche, 
und wenn solche vorhanden sind, sind sie gewöhnlich ohne klinische Be¬ 
deutung. 

In diesem Zusammenhang erwähnt West das „coeur des adolescents“, 
die bei gesunden, aber rasch gewachsenen und geistig oder körperlich 
angestrengten Knaben auftretenden Herzsymptome, die gewöhnlich eine 
längere Schonung oder völlige Ruhe verlangen. 

Die Behandlung überanstrengter Herzen verlangt das richtige Maß von 
Ruhe und Bewegung, das nicht leicht zu treffen und nur durch Versuche 
und häufige Kontrolle festzustellen ist. Hierauf beruht die Nauheimer Be¬ 
handlung, an der nichts neu ist und die ebensogut an einem andern Urte 
ausgeführt werden kann. Nur bringt man die Kranken in anderen Orten 
gewöhnlich nicht dazu. 

Herzstimulantia sind gewöhnlich von Übel oder doch nur in vorüber¬ 
gehenden Notlagen zu verwenden. Erregbare Herzen werden durch Opium 



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Referate und Besprechungen. 


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sehr günstig beeinflußt, das selbst bei vorgeschrittener Herzkrankheit meist 
mit Nutzen verwandt wird. 

Das Vorurteil gegen die Anwendung des Opiums in diesen Fällen ist 
durchaus unbegründet. Es ist sehr wichtig, unangenehme Gefühle in der 
Herzgegend richtig als nervöse Erscheinungen zu deuten, denen gewöhnlich 
keine organische Schädigung zu gründe liegt, da man sonst in Gefahr ist, 
Neurastheniker zu züchten. Fr. von den Velden. 

Skutetzky, Alexander (Prag). Über den Wert der Digitalistherapie bei der 
Behandlung des Typhus abdominalis. (Med. Klinik 1911, Nr. 22.) 

Unter Beibringung eines großen kasuistischen Materials wird die Digi- 
talistherapie im Verlaufe des Typhus abdominalis warm empfohlen. Die 
Darreichung von Digit. — meist wurde von Sk., der an der v. -Jakschschen 
Klinik gearbeitet hat, das Infus verwendet, hat einzusetzen, sobald sich 
Zeichen von Herzschwäche einstellen. Dem Infus wurde in schweren Fällen 
häufig noch Äther (20 Tropfen auf ein Infus) zugesetzt. Eingetretene Darm¬ 
blutungen bilden keine Gegenanzeige für die Einleitung der Digitalistherapie. 
Bei schwerem Kollaps ist zur Erzielung einer schnelleren Wirkung die 
Anwendung von Kampfer, Äther, Strophantin, Koffein und Kochsalzinfusion, 
sowie nötigenfalls Adrenalin vorzuziehen. R. Stüve-Osnabriick. 

Kuttner, L. (Berlin), Zur diagnostischen Bedeutung okkulter Magen- und 
Darmblutungen. (Med. Klinik 1910, Nr. 16—17.) 

Die Arbeit beschäftigt sich im wesentlichen damit die Fehlerquellen 
aufzudecken, denen die diagnostischen Schlüsse ausgesetzt sind, die aus dem 
Vorhandensein bezw. Nichtvorhandensein okkulter Darmblutungen gezogen 
werden. Es wird der Nachweis geliefert, daß bei einer chronischen Gastritis 
bezw. Achylia gastrica okkulte Magenblutungen, d. h. Blutungen, deren 
Nachweis nur mit besonderen chemischen Methoden möglich ist, die sich aber 
der Wahrnehmung durch das unbewaffnete oder bewaffnete Auge entziehen, 
beobachtet werden, während sie bei zweifellos vorhandenem Karzinom, be¬ 
sonders bei den Scirrhusformen, dauernd vermißt werden können. Es ist 
demnach nicht möglich, auf dem Vorhandensein oder Nichtvorhaudensein 
der okkulten Magenblutung die Differentialdiagnose zwischen chronischem 
relativ gutartigem Magenleiden und einer bösartigen Neubildung aufzubauen. 

— Ferner wird nachgewiesen, daß die Herkunft des durch die chemische 
Untersuchung des Mageninhaltes bezw. des Stuhles nachgewiesenen Blutes 
auf die verschiedenartigste Weise aus den Luftwegen (Nase, verschluckter 
Auswurf) und ferner aus sonst nicht nachweisbaren Quellen, wie kleinen 
Varizen des Ösophagus usw. stammen kann, und daß es viele Fälle gibt, 
in denen eine Quelle der okkulten Blutungen sich bei Autopsien überhaupt 
nicht nachweiscn läßt. Wird daher der diagnostische Wert der Untersuchung 
auf okkultes Blut durch die vorgebrachten begründeten Bedenken wesent¬ 
lich eingeschränkt, so will K. auf der anderen Seite auch den Wert der 
Untersuchung auf okkulte Blutungen nicht unterschätzt wissen, und hält 
die Untersuchung darauf bei allen hartnäckigen Verdauungsstörungen für 
dringend notwendig und bei etwaigem wiederholten Nachweis von okkul¬ 
ten Blutungen mit allen Mitteln dahin zustreben, nach Möglichkeit die Ursache 
der Blutung aufzudecken. Gelegentlich wird einmal die Diagnose durch den 
Nachweis der okkulten Blutungen in die richtige Bahn gelenkt werden können, 
doch muß vor übereilten Schlüssen gewarnt werden und mit Recht sagt 
daher Ewald, „die Diagnose ist durch den Nachweis einer okkulten Blutung 

— so paradox das klingt — nicht nur nicht erleichtert, sondern erschwert 

. worden“. R. Stüve-Osnabrück. 

Berndt, F. (Stralsund), Epileptische Anfälle infolge Appendizitis. (Med. 
Klinik, 1911, Nr. 18.) 

In dem Aufsätze werden zwei sehr lehrreiche Fälle mitgeteilt, in denen 
eine Appendizitis mit Krampfanfällen einherging, die epileptischen Charak¬ 
ter trugen und als Krämpfe reflektorischer Natur aufgefaßt werden. In beiden 
Fällen brachte die operative Enlf.rnung des erkrankten Wurmfortsatzes 
Heilung und Aufhören der Krämpfe; der eine Fall, in dem es sich um 

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Referate und Besprechungen. 


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einen akuten Anfall handolta, ist vor 10 Jahren operiert und seitdem auch 
von seinen Krämpfen geh Alt; im anderen Falle handelte es sich um einen 
solchen von chronischem, sich über Jahre hinziehenden Verlauf mit wieder¬ 
holten larvierten Antällan von Appendizitis, die als solche anfangs nicht 
erkannt wurden und schweren epileptischen Anfällen. Auch in diesem Falle 
sind die Krampfanfälle nach der Operation ausgeblieben; der seit dieser 
verstrichene Zeitraum war bei Erscheinen der Arbeit zwar noch ein 
relativ kurzer (4 Monate), aber der Kranke, der sehr heruntergekommen 
war, hat sich vorzüglich erholt. B. fordert zur Mitteilung etwa von anderer 
Seite gemachter Beobachtungen auf. R. Stüve-Osnabrück. 

Burnet, Sir 1t. W. (London), Die Flatulenz. (Practitioner, Bd. 87, Nr. 4.) 

Die Arbeit behandelt nur die Flatulenz ohne schwerere Erkrankung des 
Magens oder Darms. Die Flatulenz ist gewöhnlich Symptom einer langsamen 
und unvollkommenen Verdauung, und diese die Folge zu eiligen oder un¬ 
regelmäßigen Essens, zu vielen Trinkens beim Essen oder des Umstands, 
daß in abgehetztem Zustand gegessen oder gleich danach w r eitergearbeitet 
wird. Eine kleine Ruhepause vor und nach dem Essen ist für jedermann 
wünschenswert, für die Flatulenten aber durchaus notwendig. Ursachen geisti¬ 
ger Natur spielen überhaupt bei der Flatulenz eine große Rolle. Derartige 
Kranke glauben meist, daß gewisse Speisen an ihrer Flatulenz schuld sind, 
aber nur zum geringen Teil mit Recht. Das Ziel ist, sie dahin zu bringen, 
daß ,sie wieder alles vertragen, doch muß man zu seiner Erreichung oft 
durch ein Stadium beschränkter Diät hindurchgehen, in welcher Suppen, 
grobes oder rohes Gemüse, fettes Fleisch und rohes Obst fehlen. Alkohol 
in geringer Menge während der Mahlzeit genommen leistet nicht selten 
gute Dienste. Bei akuter Flatulenz erweist sich, wie bekannt, heißes Wasser, 
event. mit etwas Alkohol, probat. (Es ist überhaupt die praktischste und 
angenehmste Magenspülung, wobei der Magen noch den Vorteil hat, daß 
er wählen kann, ob er sich nach oben oder unten entleeren will, Ref.) 

Fr. von den Velden. 

Hutschison, St. (London), Die „Zöliakalkrankheit“ (Coeiiac Disease). (Prac¬ 
titioner, Bd. 87, H. 2.) 

Der wenig bekannte und nicht seltene Symptomenkomplex, 1888 von 
Gee aufgestellt, ist wiederholt neu entdeckt und unter den Namen „Aclioiie“ 
und „Infantilismus aus chronischer Infektion der Eingeweide“' beschrieben 
worden. Er ist eine chronische Zehrkrankheit der Kinder, gekennzeichnet 
durch Diarrhöe mit reichlichen, schwachgefärbten, übelriechenden Stühlen, 
oft mit neivösen Komplikationen, Schwäche der Beine und Tetanie; -wenn 
nicht Tod oder völlige Heilung, so erfolgt Zurückbleiben im Wachstum 
(Infantilismus). 

Die eigentliche Ursache ist dunkel, soziale Bedingungen scheinen keine 
ausschlaggebende Rolle zu spielen. Beginn meist im 2. oder 3. Lebens¬ 
jahr. Die Stühle sind auffallend reichlich, von der Konsistenz dicken Hafer¬ 
schleims, stinkend und blaß bis zu völlig weißer Farbe. Dabei besteht 
Anämie, Schlaffheit der Muskeln, Tympanitis, oft etwas Fieber. Die Tetanie 
kann bis zu epileptiformen Krämpfen gehn, ödem besteht zuweilen, die Kinder 
sind geistig f'ühreif und zeigen ein auffallendes Interesse für ihre Symptome. 

Die Sektion ergibt nur etwas Atrophie der Darmwand. Die Stühle 
enthalten viel F’ett, Fettsäuren und -seifen; die Harnstoffsekretion ist nor¬ 
mal, Gallenfarbstoff fehlt meist nicht ganz. Die Darmflora ist abnorm, 
aber wohl als F’olge, nicht als Ursache der abnormen Beschaffenheit des 
Darminhalts, der reich an unverdauter Nahrung aller Art ist. 

Differentialdiagnostisch kommt besonders abdominale Tuberkulose in 
Betracht, doch fehlen geschwollene Drüsen und Netzverdickung. 

Der Verlauf erstreckt sich über Jahre, mit Remissionen und trotz 
aller Vorsicht eintretenden Rückfällen. 

Die Behandlung ist hauptsächlich diätetisch. F'ett und Kohlehydrate, 
die schlecht verarbeitet werden, sind zu reduzieren, H. hat als die ge¬ 
eignetste Diät rohes oder halbrohes Fleisch, Fleischsaft, Magermilch, Gela- 


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tine und dextrinisierte Kohlehydrate (Mellins Nahrung u. ä.) gefunden. Die 
Kinder neigen sehr zu Erkältungen, die vermieden werden müssen. Opium 
und Silbernitrat wird gegen die Diarrhöe mit Nutzen gebraucht. Pankreas¬ 
präparate scheinen zuweilen wirksam zu sein. — 

Daß es sich um eine, wohl meist angeborene, Schwäche der Verdauungs¬ 
organe handelt, ist klar, doch ungewiß, ob der Fehler in der Darmwand, 
der Leber oder dem Pankreas sitzt; vermutlich mit wechselnder Stärke in 
allen dreien. Fr. von den Velden. 

Gral, Oskar n. Reh, Max, Über einen Harnbefund bei Karzinomatösen. 
(Med. Klinik 1911, Nr, 20.) 

Es handelt sich bei der in Rede stehenden Untersuchung um das Ver¬ 
hältnis zwischen den mit Alkohol (bezw. mit Schwermetallsalzen) aus dem 
Harne ausfällbaren Stickstoff verbind ungen zum gesamten im Harne vor¬ 
handenen Stickstoff. Nach Untersuchungen von Salkowsky u. a. soll der 
durch Alkohol fällbare Stickstoff im Harne von Karzinomatösen wesent¬ 
lich vermehrt sein. Graf und Reh haben indessen diese Beobachtung nicht 
bestätigen können; halten aber weitere Untersuchungen an einem großen 
Material für wünschenswert, da die Vermehrung der durch Alkohol oder 
Schwermetalle fällbaren stickstoffhaltigen Substanzen des Harnes für Ca. 
nicht pathognomonisch, woiil aber von gewissen, das Ca. gelegentlich be¬ 
gleitenden Stoffwechselstörungen abhängig zu sein scheint. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Brandenburg, Dr. E. \ Sternborg), Über die Entstehung der Kehlkopftuber¬ 
kulose. (Med. Klinik 1910, Nr. 17.) 

Von den für die Entstehung der Kehlkopftuberkulose in Betracht kom¬ 
menden Möglichkeiten, Entstehung durch Kontakt mit dem tuberkulösen 
Sputum, Entstehung der Infektion des Kehlkopfs auf hämatogenem oder 
lymphogenem Wege, wird die erstgenannte durch eine Feststellung Bran¬ 
denburgs wesentlich gestützt, wonach an dem Krankenmaterial der Heim¬ 
stätte Sternberg die Tuberkulose aller Stadien aufnimmt, sich ergab, daß 
in ganz überwiegendem Maße die Kehlkopftuberkulose das dritte Stadium 
der Lungentuberkulose komplizierte. Von den mit Lungentuberkulose be¬ 
hafteten Kranken (36 unter 393 = ca. 9 »o) befanden sich 33 im dritten, 
2 im zweiten und 1 im ersten Stadium der Lungentuberkulose. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Rings (M.-Gladbach), Tuberkulose der Lunge und des Rippenfells als Un¬ 
fallfolge anerkannt. (Med. Klinik 1911, Nr. 21.) 

W. V. war als 12 jähriger Junge während der Herbstferien in einem 
landwirtschaftlichen Betriebe vorübergegehend beschäftigt, wofür er eine 
kleine Geldentschädigung und die Kost erhielt. Beim Abfahren von Stroh 
von der Dreschmaschine am 15. August 1905 war V. behilflich und während 
die ersten Karren durch einen angestellten Knecht geführt wurden, führte 
der Junge den dritten allein. Hierbei wurde er von dem Pferde auf den 
Fuß getreten, kam zu Falle und wurde vom Pferde in die rechte Seite ge¬ 
treten. Es entstand ein Bruch von 3 Rippen mit Verletzung des Rippen¬ 
fells, der Lunge und Bluthusten. Im weiteren Verlaufe kam es zu einer 
doppelseitigen Lungen- und rechtsseitigen eitrigen Rippenfellentzündung, die 
operativ behandelt wurde. Nachdem von der Rheinischen Landwirtschaft¬ 
lichen Berufsgenossenschaft der Unfall als entschädigungspflichtiger Betriebs¬ 
unfall anerkannt war, entwickelte sich ein längeres Verfahren, in welchem 
die Rentenfestsetzungen verschiedentlich geändert wurden. Die Einzelheiten 
interessieren hier nicht. Nachdem schon im Jahre 1907 gelegentlich einer 
Schiedsgerichtssitzung der ärztliche Sachverständige einen Befund erhoben 
hatte, der auf beginnende Tuberkulose der Lunge hindeutete, wurde diese 
später im Jahre 1909 durch längere Beobachtung im Krankenhause zu 
M.-Gladbaeh unzweideutig festgesteilt und zwar waren beide Lungen bezw. 
Pleuren krank und besonders die rechte Lungenspitze affiziert. — Auf 
Grund der gesamten Sachlage, insbesondere im Hinblick auf die Geschichte 
der Krankheit wurde angenommen, daß mit einer an Sicherheit grenzenden 

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Referate und Besprechungen. 


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Wahrscheinlichkeit die tuberkulöse Erkrankung als eine mittelbare Folge 
des derzeitigen Unfalles anzusehen sei. Sowohl Berufsgenossenschaft wie 
Schiedsgericht traten dieser Auffassung bei. R. Stüve-Osnabrück. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Martens (Krankenhaus Bethanien-Berlin), Über chirurgische Komplika¬ 
tionen bei Otitis media. (Deutsche medizinische Wochenschrift, Nr. 38, 1911.) 

Der Forderung von Voß, alle Basisfrakturen, die durch Siebbein oder 
Ohr gegangen sind zu operieren, selbst wenn keine Eiterung besteht, kann 
Martens nicht billigen. Dagegen muß bei Basisfrakturen dann einge- 
schritten werden, wenn entweder eine Infektion droht oder eingetreten ist, 
oder wenn gleichzeitig eine Otitis media besteht, um die Infektion zu 
verhüten. M. führt sodann noch andere Folgeerscheinungen der Otitis 
media an, bei denen der Chirurg eingreifen muß, so die Kleinhirnabszesse, 
die eine ganz ungünstige Prognose geben, die Abszesse im Schläfenlappen, 
die etwas bessere Resultate liefern, weiter die epiduralen Abszesse, deren 
er 2 mit Erfolg operiert hat .und schließlich die Shiusthrombose, die er 
in 3 Fällen zur Heilung bringen konnte. F. Walther. 

Becker, Johannes, Förstersche Operation bei iabischen gastrischen Krisen. 

(Med. Klinik 1911. Nr. 20.) 

Die Förstersche Operation — Resektion hinterer Wurzeln — mit welcher 
bei Behandlung von gastrischen Krisen auf tabischer Grundlage gute Erfolge 
erzielt wurden, wurde von Becker an einer mit intensiven gastrischen 
Krisen behafteten, an Tabes leidenden Frau ausgeführt. Durch Resektion 
der 7—10 Dorsalwurzeln gelang die Beseitigung der Krisen vollkommen. 
Doch hatte die Operation einen unerwünschten Nebenerfolg, der darin be¬ 
stand, daß im Anschluß an die Operation und zweifellos durch diese ver¬ 
ursacht, eine Paraplegie beider Beine sich einstellte, die erst in 12 Wochen 
wieder zurückging. Da B. in dem Abfluß von Liquorflüssigkeit aus dem 
während der Operation hochgelagerten Beckenteile des Rückenmarkes die 
Ursache der Paraplegie vermutet, so wäre die im Interesse der Verminderung 
des Abflusses von Zerebrospinalflüssigkeit aus dem Gehirn geboten er¬ 
scheinende Tieflagerung des Kopfes in Zukunft nach Möglichkeit abzukürzen 
oder man umschnürt den Duralsack oberhalb und unterhalb der zu öffnen¬ 
den Partie temporär vorsichtig mit einem Faden, der nach erfolgter Aus¬ 
naht wieder entfernt wird. R. Stüve-Osnabrück. 

Murphys Behandlung der eitrigen Gelenkentzündung. (W. M. B. in Amer. 
Journal of Surgery, 1911/8.) 

Der Aufsatz gewährt einen Einblick in das noch unveröffentlichte 
Verfahren Murphys, das die Ausbildung von Ankylosen verhindern will. 
M. geht von der Beobachtung aus, daß die knöcherne Verwachsung nur 
einen kleinen Teil der Gelenkfläche einnimmt und von Stellen ausgeht, 
an denen die Synovialis durch Druck zerstört worden ist. Deshalb muß 
von vornherein das eitrige Gelenk durch Zug distendiert werden. Ferner 
wirkt Lufteintritt in die Gelenkhöhla zerstörend auf das Endothel und ver¬ 
ursacht Adhäsionen, weshalb Drains und große Inzisionen vermieden wer¬ 
den müssen. 

Murphy behandelt die Pyarthrosen mit wiederholter Aspiration und 
Injektion von 20 °o Glyzerin-Formalinlösung durch eine gewöhnliche Injek¬ 
tionsnadel. Die Injektion wird wöchentlich und mindestens dreimal wieder¬ 
holt, und das Gelenk während der ganzen Zeit stark extendiert. Zuweilen 
wendet er zugleich Eisblase oder heiße Umschläge an. Außer anderen 
Detailvorschriften ist zu bemerken, daß das Gelenk nach der Injektion 
etwa zwei Minuten bewegt wird, um die Flüssigkeit zu verteilen. Narkose 
ist nicht zu umgehen. 

So verfährt M. selbst bei ganz akuten und schweren Gelenkeiterungen, 



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Referate und Besprechungen. 


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nie macht er große Inzisionen. Dagegen scheinen tuberkulöse Gelenk¬ 
entzündungen sich für das Verfahren nicht zu eignen. 

Fr. von den Velden. 

Klose, E., Über die moderne orthopädische Behandlung der Gelcnktuber- 
kulosen. (Med. Klinik 1911, Nr. 21.) 

Die Arbeit beschäftigt sich mit der Behandlung der Tuberkulose des 
Hüft- und Kniegelenkes, die jetzt im Gegensatz zu früher eine konservative 
und vorwiegend orthopädische ist, indem abgesehen von zeitweiser Ruhig¬ 
stellung der erkrankten Gelenke und der Richtigstellung des Hüftgelenkes, 
Gehgipsverbände unter Ausschaltung des kranken Gelenkes von der Funktion 
angelegt werden. Die Methode der Redression des Hüftgelenkes und die 
Konstruktion und Herstellung der Verbände und Apparate, die niemals dem 
Bandagisten überlassen bleiben darf, wird unter Zuhilfenahme von Abbil¬ 
dungen genauer angegeben. Interessenten müssen auf die Originalarheit 
verwiesen werden. R. Stüve-Osnabrück. 

Fearnley, A. B., Behandlung der Analfisteln durch passive Kongestion. 
Practitioner, Bd. 87, H. 2.) 

Bekanntlich ist es nicht schwer, eine Analfistel kunstgerecht zu spalten, 
aber sie zur völligen Heilung zu bringen. In solchen Fällen hat F. mit 
gutem Erfolg den blinden Gang mit Bierschen Sauggläsern behandelt, die 
zuerst nur 5—10 Minuten täglich mit mäßiger Luftverdünnung, später 
stärker angewandt wurden. Dabei wurde die Fistel ausgespritzt, aber höchstens 
soweit tamponiert, daß das äußere Ende offen blieb. 

Fr. von den Velden. 

Rhoads, J. N. (Philadelphia), Experiment zur chirurgischen Drainage. 
(Amer. Journal of Surgery, 1911/11.) 

„Kapillarität allein kann den Eiter nicht aus dem Abdomen absaugen; 
aber vereinigt mit der Schwerkraft kann sie es aus jeder Wundhöhle.“ 
Diese Behauptung beweist Rhoads durch geschickte Versuche, die zeigen, 
daß über die Kapillarität die Lehrbücher der Physik voneinander viel Unsinn 
abgeschrieben haben. Ein drainierendes Material wie Gaze wirkt gerade 
wie ein Heber, die Kapillarität allein wirkt nur auf eine ganz geringe Strecke, 
ist aber der Schwerkraft Gelegenheit zum Eingreifen gegeben dadurch, daß 
das von der Flüssigkeitsquelle entfernte Ende der Gaze tiefer liegt, und 
gleichzeitig dafür gesorgt, daß der Flüssigkeitsstrom nicht durch Aus¬ 
trocknung der Gaze unterbrochen wird, so geht die Absaugung unbegrenzt 
weiter, solange etwas abzusaugen ist. Bei der Drainage der Bauchhöhle 
z. B. muß deshalb der Gazestreifen außerhalb der Wunde bis mindestens 
auf die Höhe der Matratze geführt, muß naß eingelegt und durch Be¬ 
deckung mit undurchlässigem Material am Austrocknen verhindert werden. 

Sehr geeignet zu Drainage sind biegsame Drähte, z. B. aus Aluminium, 
die mit Watte umwickelt sind. Außer beim Wundverband lassen sie sich 
zu Absaugung des Blutes aus Wundhöhlen, der Tränenflüssigkeit und des 
Speichels bei Augen- bezw. Zahnoperationen verwenden. 

Es ist klar, daß diese Beobachtungen von großer praktischer Wichtig¬ 
keit bei der Drainage von Wunden sind, deren Eingang höher liegt als die 
tiefste Stelle der Wunde. Fr. von den Velden. 

Tavel, E. (Bern), Über die subkutane Drainage des Aszites. (Corr.-Bl. für 
Schweizer Ärzte, 1911/23.) 

Tavel machte bei einem nach Talma operierten Fall von Leberzirrhose 
und Aszites die Beobachtung, daß dieser sich in das subkutane Bindegewebe, 
welches ödematös wurde, ergoß und ziemlich vollständig aufgesaugt wurde. 
Hierauf gründet er sein Verfahren, dessen Resultate nach den mitgeteilten 
Fällen nicht sehr glänzend sind, das aber doch ein brauchbarer Notbehelf 
zu sein scheint und jedenfalls leicht und ohne Narkose anzuwenden ist. 
Eine garnrollenähnliche Glasspule, deren Röhre etwa 1 cm lang ist, wird 
mit dem einen Ende in die Peritonealhöhle, mit dem anderen in das subkutane 
Gewebe gelegt und wirkt so als ein Dauerdrain ohne Luftzutritt. 

Merkwürdig ist, das ein ganz, ähnliches Verfahren ungefähr zu gleicher 
Zeit in England versucht worden ist. Fr. von den Velden. 


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Referate und Besprechungen. 


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YYolkowitsch (Kiew), Zur Behandlung der llppenförinigen Fisteln des 
männlichen Gliedes. (Arch. für kl. Chirurgie. Bd. 95, Heft 1.) 

Bei der Schwierigkeit, lippenförmige Fisteln der Harnröhre zur Aushei¬ 
lung zu bringen, ist das Veif ihren des Verfassers empfehlenswert; er 
verfahrt in der Weise, daß er nach breiter Freilegung der Harnröhre die 
Fistelränder exstirpiert; die Harnröhre quer durchtrennt und nun das zentrale 
Ende in das periphere hinein schiebt, nachdem er in dem weiblichen Teil 
zwecks besserer Verheilung die Schleimhaut entfernt hat. Zur Naht werden 
Matratzennähte empfohlen. Vorschütz-Cöln. 

Bassirr, A. (New-York), Dauernde Magendralnage bei postoperativer Dila¬ 
tation, Darmverschluss und Peritonitis. (American Journal of Surgery 1911 /10). 

Bei den angeführten Zuständen werden häufige Magenausspülungen mit 
Vorteil angewandt. Anstatt nun den Kranken immer wieder mit der Ein¬ 
führung des M; genschlauchee zu quälen, führt B. einen solchen von etwas 
dünnerem Kaliber durch die Nase ein und läßt ihn, mit einem Iieftpflaster- 
streif.n im Gesicht befestigt, solange liegen als er gebraucht wird. Er 
belästigt so wenig, daß der Kranke sprechen und sogar schlucken kann, 
und erlaubt jederzeit die Auswaschung des Magens und die Zufuhr von 
frischem Wasser, dessen Überschuß dann sofort wieder ausgehebert werden 
kann. Der an den Magenschlauch angefügte Trichter ruht in einem Wasser¬ 
becken in der Höhe der Matratze. Das Verfahren hat B. nicht nur’ausgedacht, 
sondern auch mehrfach als praktisch erprobt. Fr. von den Velden. 

(’oburn, R. C. (New-York), Die Vorteile der Stickstoffoxydul-Sauerstoffnar- 
kose mit Rücksicht auf die neue Aern der Chirurgie. (Amer. Journal of Sur- 
gery, 1911, Nr. 10.) 

Das Lachgas wurde bekanntlich, wie früher und hier und. da noch 
jetzt der Äther, zu einer Erstickungsnarkose verwendet (d. h. der Anästhe¬ 
sierte war während der Narkose darauf angewiesen, seinen Sauerstoffbedarf 
aus dem Anästhetikum selbst abzuspalten) und es * scheint seinen üblen 
Ruf hauptsächlich dieser Art der Anwendung zu verdanken. Neuerdings 
wird nun Lachgas in Verbindung mit Sauerstoff verwandt, und wenn auch 
nur die Hälfte von dem wahr ist, was Coburn an diesem Verfahren lobt, so 
muß es der Äther- und Chloroformnarkose überlegen sein. Lachgas r>oll 
die Atmungsorgane und die Nieren durchaus nicht reizen, keinen Narkosen¬ 
jammer veranlassen, viel weniger Choc hervorrufen und den besonderen 
Verzug haben, daß der Kranke 1—2 Minuten, nachdem das Lachsas weg- 
gelassen ist, erwacht (? Ref.). Besonders bei Diabetes soll es anderen 
Anästhetizis überlegen sein. 

Mit der „neuen Ära der Chirurgie“ meint C. die Ära der Rücksicht 
auf die heilenden Vorgänge im Körper. Während Äther und Chloroform 
die Phagozytose, Antikörperbildung usw. schädigen, soll Lachgas von diesem 
Schaden frei sein. 

Hoffen wir, daß es diese Vorzüge nicht bei der Reise über den Ozean 
verliert. Fr. von den Felden. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Blacker, G. F. (London), Über die Dysmenorrhöe. (Practitioner, Bd. 87, 
H. 4.) 

Eine gründliche Untersuchung, ob der Dysmenorrhöe anatomische Ver¬ 
änderungen zu gründe liegen, muß vorausgehn, wenigstens soweit es sich 
nicht um Jungfrauen handelt, bei denen man in der Regel wohl daran tut, 
zunächst die Wirkung der gebräuchlichen empirischen Verfahren zu er¬ 
proben; übrigens kann hier schon die Anamnese ohne körperliche Unter¬ 
suchung manchen Aufschluß geben. In der Mehrzahl der Fälle’ findet 
man keine anatomischen Veränderungen und muß sich mit der Annahme 
einer abnormen Kontraktion des Uterus und dergl. zufrieden geben. 

In vielen Fällen kommt man mit der Besserung des allgemeinen Ge¬ 
sundheitszustands aus oder mit der Verordnung, während der Menses zu 
Bett zu bleiben. Die alte Regel, zu Beginn der Menses (andere empfehlen, 



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Referate und Besprechungen. 


UV 


damit schon vor dem Beginn anzufrngen) krHtig abzuführen, bewährt sich 
noch immer und sollte, obgleich sie häufig nicht ausreicht, stets befolgt 
werden. Dem verbreiteten Hausmittel heißer Umschläge zieht Bl. ein Wasser- 
klisticr von 38°, das langsam eingeführt und eine Weile behalten wird, 
oder ein kleines heißes Stirkeklistier mit 2—3 g Bromkali als wirksamer 
vor. Senf wendet er in der Weise an, daß ein Tuch in heißem Wasser, 
dem 2 Teelöffel Senfpulver zugesetzt sind, ausgerungen und für Stuude 
von den Lenden bis zu den Oberschenkeln umgelegt wird. 

Von inneren Mitteln verpönt er den (auch bei uns in den unteren 
Klassen gebräuchlichen) Alkohol durchaus und betrachtet das Morphium 
nur als letzte Zuflucht. Phenacetin und seine Verwandten gibt er stets mit 
einem Zusatz von Koffein (V 4 de3 Phenacetins), Aspirin kann allein gegeben 
werden (0,3 mehrmals in Zwischenräumen von 2 Stunden). 

Hilf, das alles nicht, so bleiben die elektrischen Verfahren, in denen 
augenblicklich Läisse ist, und die Dilatation des Zervix, die Bl., obgleich 
ihre theoretische Grundlage durchaus unsicher ist, als oft wirksam aner¬ 
kennt, während er die eingreifenden Operationen am Zervix, wie sie einst 
viel geübt wurden, verwirft. Er führt sie mit Dilatationsstiften aus und 
legt Wert auf sehr langsame Erweiterung, weil die Gewebe des Zervix 
nicht, zerrissen werden dürfen. Ist die Dysmenorrhöe mit Abgang von 
Membranen verbunden (D. membranacea), so muß nach der Dilatation noch 
kürettiert werden, was zuweilen erst nach mehrfacher Wiederholung hilft. 

rür ganz verzweifelte Fälle bleibt schließlich die Exstirpation devs 
Uterus, die aber Blacker, dessen Titel und Würden sieben Zeilen anfüllen, 
nur einmal ausgeführt hat. Die Entfernung der Ovarien ist bei der Dys¬ 
menorrhöe zu verwerfen. Fr. von den Velden. 

Mayer, K. (Posen), Zur Kasuistik des wiederholten suprasymphysären 
Kaiserschnittes. (Münchener med. Wochenschr. 1911, p. 1306) und Harliuann, 
Karl (Remscheid), Elu weiterer Fall von wiederholtem suprasymphysärem Kaiser¬ 
schnitt nach Frank. (Münchener med. Wochenschr. 1911, p. 1307.) 

Aus beiden Arbeiten geht übereinstimmend hervor, daß man nach der 
ersten suprasymphysären Entbindung mit Narbenschwierigkeiten und Ver¬ 
wachsungen zu rechnen hat, daß ab3" die zervikale Uterusnarbe sehr resistent 
zu sein scheint. Mit der Indikationsstellang in der 2. Arbeit dürften nicht 
alle Geburtshelfer übereinstimmen. Frankenstein-Cöln. 

Kuhnow, Dr. A. (Berlin), über Ovaradentriferrin „Knoll“. (Der Frauen¬ 
arzt 1911, Nr. 10). 

In vielen Fällen von Chlorose, namentlich in Verbindung mit Dys¬ 
menorrhoe und Amenorrhoe, die auf mangelhafte oder infantile Entwicklung 
der Genitalien zurückzuführen sind, oft auch in solchen Fallen von Bleich¬ 
sucht, bei denen die Untersuchung scheinbar normalen Befund der Genitalien 
ergibt, lassen sich mit Ovaradentriferrin prompte Erfolge erreichen, während 
andere Therapie im Stiche läßt. 

Degenerative Veränderungen, Ovarialkysten, Oophoritis, Para- und Peri¬ 
metritiden, welche sich in der Ovarialgegend abspielen, chronische Metritiden, 
deren unangenehmste Folgen für die Patientinnen und deren Umgebung oft 
die dabei auftretenden hysterischen Erscheinungen sind, werden neben lokaler 
Therapie durch Ovaradentriferrin psychisch sehr gut beeinflußt. Besonders 
gute Erfolge erreichte Verfasser bei verschiedenen Fällen von sexueller 
Neurasthenie verbunden mit Frigidität, so daß dem Präparat ein 3’latz unter 
den Aphrodisiacis gebührt. Endlich verdient das Ovaradentriferrin als eines 
der vorzüglichsten Mittel gegen die Beschwerden des Klimakteriums, sowohl 
des vorzeitigen, durch Operation herbeigeführten, als auch der natürlichen 
Menopause genannt zu werden. 

Die Beschwerden des Klimakteriums nehmen oft Formen an, welche 
andere Krankheiten vortäuschen, so sei z. B. ein Fall erwähnt, in dem die 
Menopause ohne sonderliche Beschwerden mit 50 Jahren eintrat. Fünf Jahre 
später stellten sich Leibschmerzen, Kreuzschmerzen, Ziehen in den Beinen, 
erschwertes Gehen, bedingt durch eine so mangelhafte Beweglichkeit in den 


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Referate und Besprechungen. 


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Hüftgelenken ein, daß Patientin fast nicht die Beine spreizen, sie nicht nach 
außen rotieren konnte. Dieser Zustand blieb trotz aller angewandten Mittel 
4 Jahre lang stationär, ja er verschlimmerte sich langsam. Ovaradentriferrin 
besserte das Leiden in etwa 3 Wochen so, daß Patientin, die vorher kaum 
mit Stock und Krücke sich fortbewegen konnte, jetzt leidlich gut ohne Unter¬ 
stützung und ohne Schmerzen gehen kann, und die Besserung schreitet seit 
einigen Monaten langsam weiter fort. 

In gleicher Weise wurden Beschwerden des Greisenalters, mangelhafte 
Herztätigkeit, Atemnot, Atrophie der Muskulatur, allgemeine Schwäche usw. 
unter dem Einfluß von Ovaradentriferrin bedeutend gebessert. 

Neumann. 

Prof. Samuels-Baltimore hat die Gelhornsche Methode der Behandlung in¬ 
operabler Uteruskarzinome mit Azeton nachgeprüft (2—4 ccm reines Azeton 
werden in den von nekrotischem Gewebe mit der Curette möglichst befreiten 
und ausgetrockneten Uterus eingebracht und 15—30 Minuten darin gelassen, 
dann Abfluß und Tamponade mit azetongetränkter Gaze; alle 5—6 Tage 
Wiederholung). Die Resultate waren recht befriedigend: Milderung der 
Schmerzen, Verminderung des Ausflusses und der Hämorrhagieen, wenn 
auch keine Heilung. (Bull, gener. de ther. 1911, 9.) 

v. Schnizer-Höxter. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Oppenheim, H. (Berlin). Beiträge zur Pathologie des Rückenmarks. (Zeit¬ 
schrift für die ges. Neur. u. Psych. Bd. 5, H. 5.) 

Ebenso wie am oberen Rückenmark kommen im Konus- und Kaudagebiet 
Krankheitszustände von der Symptomatologie des Tumors vor, deren wirklicher 
Charakter nicht genügend geklärt ist, so daß man bei der Operation dieser 
auf die untersten Partien zu beziehender Erkrankungen auf Enttäuschungen 
gefaßt sein muß. Wichtig ist ferner eine Beobachtung, welche auf die Not¬ 
wendigkeit der mikroskop. Untersuchung hinweist, weil manche Tumoren 
sonst übersehen werden. Einige ausführliche Krankengeschichten sind 
diagnostisch lehrreich. Zweig-Dalldorf. 

Campbell, H. (London), Das krankhafte Erröten. (Practitioner, Bd. 87, 
H. 4). 

Das krankhafte Erröten ist in seinen höheren Graden ein viel ernst¬ 
hafteres psychisches Leiden als man gewöhnlich annimmt: es hat schon 
manchen aus Amt und Stellung getrieben, ist manchem eine beständige 
Obsession und nach seiner Ansicht das Einzige, was ihm die Lust am Leben 
verdirbt. Es wirkt viel eingreifender als andere körperliche Fehler: die 
Buckligen zeichnen sich bekanntlich durch Selbstbewußtsein und oft durch 
Eitelkeit aus, Leute mit Tiks, die beständig grimassieren oder grunzen, 
lassen sich dadurch nicht im geringsten stören, während die Erröter höheren 
Grades durchweg unter ihrem scheinbar so viel geringeren Fehler leiden. 
Dies hängt damit zusammen, daß sie durchweg psychasthenisch sind, von 
krankhaft reizbarem Temperament und labilem geistigem Gleichgewicht. In 
der Familienanamnese fehlen selten Neurosen, Epilepsie und (Geisteskrankheit. 

An der Psychasthenie ist es schwer, viel rzu bessern, aber die Erröter 
wären meist schon glücklich, wenn man ihnen dies äußere Symptom ihrer 
Schwachheit wegbrächte. Einiges leistet in dieser Beziehung ein Leben in 
freier Luft und die tadellose Funktion des Verdauungsapparates. Auch 
Singen und lautes Lesen erweisen sich nützlich. Mit Medizin ist wenig 
zu erreichen, höchstens ist Brom zuweilen brauchbar. Manchen hat C. 
geholfen, indem er sie durch Konvexgläser künstlich myopisch machte: 
sie können dann nicht mehr die Gesichter beobachten und aus ihnen Gründe 
zum Erröten schöpfen, worin es manche zu solcher Fertigkeit bringen, 
daß ihr Zustand an Paranoia grenzt. Natürlich muß der Arzt seinen psychi¬ 
schen Einfluß in Tätigkeit setzen, doch reicht er gewöhnlich nicht weit. 

Die schlimmsten Erröter muß man vor Berührung mit der Welt warnen, 



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während die leichteren es versuchen müssen, sich in Berührung mit ihr 
das dicke Fell anzuschaffen, dessen Mangel das Wesen des krankhaften 
Errötens ist. Fr. von den Velden. 

Schanz, Fritz (Dresden), Kopfschmerzen und Augenmuskelstörungen. (Med. 
Klinik 1911, Nr. 23.) 

In dem Vortrage weist Schanz nach, daß durch Störungen der Funk¬ 
tionen der Augenmuskeln nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch andere 
nervöse Störungen hervorgerufen werden können, die wie Übelkeit, 

Erbrechen, Schwindel, Beklemmung, Schlafstörung gar nicht an die Augen 
als Grundursache denken lassen, sondern auf andere Krankheitsgebiete hin- 
weisen und so nicht nur irre führen können, sondern wie Schanz an 
mehreren sehr lehrreichen Fällen zeigt, auch schon irre geführt haben. 
Nach Schanz sind es nun nicht nur die eigentlichen Akkomodationsmuskeln, 
welche die Ursache von Kopfschmerzen werden können, sondern auch Störun¬ 
gen der Innervation anderer Augenmuskeln, die zu den genannten Sym¬ 

ptomen führen können, und die ihrerseits teilweise durch Muskelschwäche, 
teilweise durch fehlerhafte Stellungen der Augen, besonders Schwäche der 
Konvergenz bedingt sind. Bei Neurasthenikern finden sich diese letztge¬ 
nannten Augenmuskelstörungen besonders häufig, und gerade diese Kranken 
klagen dann w-eniger über Schmerzen in den Augen, als über aller¬ 
hand andere nervöse Symptome, während sich bei Kranken mit reiner 
Akkomodationsasthenopie die Klagen meist auf die Augen selbst beziehen, 
und so auf die richtige Spur leiten. Da die oft lebhaften Beschwerden 
der an Schwäche der Augenmuskeln und Konvergenzstörungen leidenden 
Kranken durch die Verordnung einer passenden Brille mit einem Schlage 
zu beheben sind, so besitzt die Frage großes Interesse für die allgemeine 

Praxis, da sich aus naheliegenden Gründen, die sich aus der oben ge¬ 

schilderten Symptomatologie ergeben, solche Kranke bei Fehlen von Krank¬ 
heitserscheinungen oder Beschwerden an den Augen selbst sich an alle 
möglichen anderen Arzte wenden werden, nur nicht gerade an Augen¬ 
ärzte. Wenn auch die Auswahl der Brille dem Spezialisten im gegebenen 
Falle überlassen bleiben muß, so ist doch der Nachweis der Stellungs¬ 
anomalien des Auges bei muskulärer Asthenopie mit Hilfe des sogenann¬ 
ten Maddoxstäbchens und der Störungen der Konvergenz mit der von Graefe 
für diesen Nachweis angegeDenen Tafel auf eine verhältnismäßig einfache 
Weise möglich, so daß sich auch der praktische Arzt hiermit leicht vertraut 
machen kann. R. Stüve-Osnabriick. 

Marie, Dr. A., leit. Arzt d. Spitals in Villejuif (Seine), Erfahrungen mit 
Bromural in der Psychiatrie. (Arch. int. d. Neurologie 1911, Nr. 4.) 

Das Bromural wurde bei Paralyse, Epilepsie, Melancholie, degenerativen 
Geisteskrankheiten und Dementia praecox verwandt. Bei Paralyse mußte 
man 3—6 Tabletten und mehr pro Tag geben, die Wirkung hörte schon 
nach wenigen Stunden auf oder wurde durch Aufregungszustände unter¬ 
brochen. Die weniger schweren Erkrankungen reagierten am besten auf 
die sedative Wirkung des Bromurals. Bei den Fällen des dritten para¬ 
lytischen Stadiums hatten selbst starke Bromuraldosen keinen Erfolg. 

Die anderen Geisteskrankheiten zeigten sich bedeutend empfänglicher 
und zwar schon auf 0,3 g des Präparats. Die Wirkung trat meistens im 
Zeitraum ungefähr einer Viertelstunde ein. Beim Aufwachen machte sich kein 
Mattigkeitsgefühl bemerkbar und besonders ließen sich niemals Nebenwir¬ 
kungen von seiten des Verdauungstraktus beobachten. Bei zwei Melancholikern 
und bei einem degenerativen Geisteskranken mit Angina pectoris schien 
durch das Bromural eine gewisse Erleichterung des Beklemmungsgefühls 
einzu treten. 

Wenn auch das Bromural im allgemeinen bei Schlaflosigkeit infolge inne¬ 
rer Erkrankungen nicht einen ununterbrochenen Schlaf gewährleistet, ge¬ 
nügt bei älteren Patienten häufig schon die teilweise Nachtruhe zur Er¬ 
holung. Bei Dementia praecox, besonders Jugendirreseinsformen mildert das 


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Referate und Besprechungen. 


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Brcmural die katatonischen Anfälle. Außerdem ist es zu empfehlen bei 
Tachykardie sowohl thyreoiden als auch anderen Ursprungs. 

Nach den Selbstversuchen des Verf. beschleunigen normalerweise 
2 Tabletten das Einschlafen. Die Wirkung zeigt sich in einem Gefühl einer 
allgemeinen, unbestimmten Müdigkeit wie nach einer mäßigen körperlichen 
Anstrengung. Der Schlaf unterscheidet sich wenig vom normalen Schlaf und 
beim Erwachen machen sich keine Störungen bemerkbar. R. 

Josef Rollmann (Worms), Klinische Beobachtungen des Korsukowschen 
Symptomenkomplexes. (Wiener klin. Rundschau, Nr. 41, 1911.) 

Die P s y c h o s i s polyneu ritica Korsakows ist, so viele ur¬ 
sächliche Momente dabei in Betracht kommen können,ä t i o 1 o g i s c h als 
eine einheitliche Krankheit aufzufassen. Sie ist nämlich durchweg 
toxischen Ursprungs. In erster Linie steht der Alkohol, aber 
auch andere Gifte Arsen, Nikotin, Stickstoffoxyd, kommen in 
Betracht, ferner Infektionskrankheiten Typhus, Influenza, Syphilis, 
Leukämie, Malaria und puerperale Affektionen. Auch bei 
Paralyse, Dementia senilis, Schädeltraumen und nach 
Selbstmordversuchen wird das gleiche Krankheitsbild beobichtet. 
- - Das Charakteristische der Krankheit bestellt im Zusammentreffen einer 
multiplen Neuritis, besonders der unteren Extremitäten mit be¬ 
stimmten psychischen Störungen. Die Kranken sind über Ort und 
Zeit nicht unterrichtet und leiden an einer eigentümlichen Gedächtnisstörung, 
indem sie alle neuen Eindrücke schnell vergessen, während sie Vorgänge 
aus früherer Zeit klar erinnern. — Bei den vom Verfasser aus der Bonner 
Universitätsklinik mitgeteilten Fälle ist dreimal Potatorium ausdrücklich be¬ 
merkt, einmal handelt es sich um eine senile Demenz, einmal um eine 
Lues cerebri. — Der Verfasser kommt zu folgendem Schlüsse: „Da die 
verschiedensten Gehirnerkrankungen unter dem von Korsakow beschrie¬ 
benen Krankheitsbilde verlaufen können, so kann man dies nur als einen 
S y m p t o m enkomplex ansehn, nicht als ein selbständiges 
Leide n.“ Steyerthal-Kleinen. 

Kozowski, A. I). (Semstwo), Zur Pathologie des dellriuin acutum. (Allg. 
Zeitschr. f. Psych. Bd. 08, H. 4.) 

Aus klinischen und anatomischen Gründen, von denen mindestens die 
ersteren nicht allgemeine Anerkennung finden dürften, spricht sich K. für 
eine Trennung des del. acut, von der Amentia aus und will in dem ersteiren 
eine Erkrankung ■ sui generis sehen. Zweig-Dalldorf. 

Hofinann, F. B. und Dedekind, F. (Innsbruck). Untersuchung eines Falles 
von Myasthenia gravls. (Ebd.) 

Den Ilauptteil der Arbeit bilden die Resultate elektrischer Reizversuche, 
die hier nicht interessieren. Auch hinsichtlich der Symptome bietet der 
Fall keine Besonderheiten (Muskelerschöpfbarkeit und Erholungsfähigkeit mit 
myasthenischer elektrischer Reaktion). Es soll nur erwähnt werden, daß 
der Kranke Sauerstoffinhalationen sehr labte, nach denen er sich frischer 
fühlte, und daß ein anderer Autor die günstige Wirkung von Sperminum- 
Poehl-Injektionen früher herv,orgehoben hat. Zweig-Dalldorf. 

Kaufmann, M. (Halle). Uber die Behandlung von Neuritis mit Pilocarpin. 

(Ebd.) 

Bei akuter Neuritis bes. rheumatischer Natur (auch Ischias) sind sub¬ 
kutane Injektionen von ca. 0,01 g salzsaurem Pilokarpin der Behandlung 
mit Salizylsäure usw. überlegen. Auch bei veralteten Fällen sowie bei einem 
Fall von traumat. Affektion des 1. Zervikalplexus sah K. Besserung. Eine 
schädliche Wirkung des P. wird durch das Auftreten von Magen- und 
Darmsymptomen und stärkerer Schweißsekretion signalisiert, man muß dann 
aussetzen. K. empfiehlt ferner nach eigenen Erfahrungen und denen Williges 
die Behandlung der multiplen Sklerose mit subkutanen Arseninjektionem. 

Zweig-Dalldorf. 

Kaufmann, M. (Halle). Über hyst. Fieber. (Ebd.) 

Das hyst. Fieber beruht auf einer Störung der Wärmeregulierung infolge 


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Referate und Besprechungen. 


123 


von krankhafter Affektion der wärmeregulierenden Zentren des Gehirns. 
Auch andere bei der Hsyterie beobachtete vegetative Störungen sind ähnlich 
zu erklären. Zweig-Dalldorf. 

Hirschfeld, R. (Berlin), Myotonia atrophica. (Ebd). 

Die Hauptsymptome des seltenen Krankheitsbildes, von weichem H. 
einen Fall beschreibt, gehen aus seinem Namen hervor. 

Zweig-Dalldorf. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Glanelli, A. (Rom), Beitrag zum Studium der hereditären lues. (Friedreich- 
eches Syndrom.) (Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. 68, H. 4). 

Die Sektion eines mit den typischen Symptomen der Friedreichschen 
Erkrankung in Beobachtung gewesenen Mädchens ergab sowohl im Gehirn 
als im Rückenmark einen als luetisch zu deutenden Befund. G. möchte dahetr 
annehmen, daß die Friedreichsche Krankheit in einigen Fällen eher als 
ein durch die hereditäre lues hervorgerufenes Syndrom anzusehen ist, wie 
als nosographische Einheit. Zweig-Dalldorf. 

Schabad, J. A. u. Sorochowitsch (St. Petersburg), Die Behandlung der 
Rachitis mit Lebertranemulsionen und ihre Einwirkung auf den Stoffwechsel. 
(Monatschrift für Kinderh. X, H. 1.) 

Die Autoren kommen zu folgendem Schluß: 

Phosphorlebertran läßt bisweilen eine günstige Einwirkung auf die 
Kalkretcntion bei Rachitis vermissen, auch wenn der Kranke noch von der 
Rekonvaleszenz weit entfernt ist. Sowohl Lebertranemulsion als auch Leber¬ 
tran wirken günstig auf die Kalkretention bei Rachitis. Von verschiedenen 
Arten Lebertranemulsion hat die kalkazetathaltige Lebertranemulsion die beste 
Wirkung bei Rachitis, da dieselbe zehnmal mehr Kalk enthält, als die 
hypophosphithaltige Emulsion und da diese Kalkverbindung in hohem Grade 
von dem Organismus retiniert wird. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Brüning (Rostock), Über Harnröhrenvorfall bei kleinen Mädchen. Jahrb. 
f. Kinderh. 74, Heft 1—2.) 

Klinische Studie, welche zugleich ein Literaturverzeichnis der bereits 
mitgeteilten Fälle enthält. Die Arbeit verdient im Original nachgelesen 
zu werden. Die Prognose der seltenen Erkrankung ist günstig. Therapeu¬ 
tisch empfiehlt sich zunächst ein konservativer Versuch bei dem einfachen 
Prolaps, der nur den vordersten Teil der Harnröhre betrifft; bei de/m Tolal- 
prolaps ist die Operation dringend notwendig. In allen Fällen ist also zu¬ 
nächst der Grad des Prolapses der Urethra zu bestimmen, und danach sind 
die Maßnahmen zu treffen. Unter allen Umständen empfiehlt es sich, das 
Kind ins Bett zu bringen und zu versuchen, ob der Prolaps sich reponieren 
läßt. Bei kleinern Schleimhautvorfällen kann man durch kalte Kompressen 
oder Eisumschläge, durch Vorlegen von Tüchern, die mit Borsäurelösung, 
essigs. Tonerde oder Bleiwasser getränkt wurden, unter gleichzeitiger, par¬ 
tieller Kauterisation mit dem Paquelin Heilung zu erzielen suchen. Gelingt 
dies nicht, so zögere man nicht mit der Radikaloperation, die in der Ab¬ 
tragung des Prolapses mit dem Glüheisen oder besser noch mit Messen 
oder Schere und nachfolgender Naht besteht. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Tezner (Budapest), Uber die Spczifizität der Pirquetschen Reaktion. (Monat- 
schrift für Kinderh. Bd. 10, Nr. 3.) 

In der Pirquetschen Reaktion haben wir keine streng spezifische, son¬ 
dern eine allgemeine Allergie findet darin ihren Ausdruck, höchstwahr¬ 
scheinlich eine erhöhte Reaktionsfähigkeit gegen die Proteine all der 
Bakterien, mit welchen der Organismus derzeit infiziert ist. 

Vom klinischen Standpunkt bleibt die Pirquetsche Reaktion spezifisch, 
jedoch nicht für das Toxin, sondern für den Infizierten. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 


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Referate und Besprechungen. 


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Noeggerath u. Salle (Berlin), Headsehe Zonen bei beginnender Tuberkulose 
im Kindesalter. (Jahrb. f. Kinderh. 74, Heft 1.) 

Die Verff. empfehlen in die Untersuchungsmethodik zur Erkennung be¬ 
ginnender Tuberkulose die Feststellung der Headschen Zonen einzuführen. 
Jedenfalls ist bei dem Indizienbeweis indirekter Symptome, auf die sich die 
Diagnose der beginnenden Tuberkulose stützen muß, wesentlich auch dieses 
Hilfsmittel heranzuziehen. Die Untersuchung für Headsehe Zonen ist einfach. 
Man streicht mit irgend einem glatten Metallstift, unter sehr geringem 
Druck über die Haut. Die Untersuchten müssen nun angeben, ob und 
von wo an sie einen deutlichen Schmerz empfinden, und wo er wieder 
aufhört. Hie und da ist übrigens der Schmerz so deutlich, daß er zu 
reflektorischem Muskelzucken führt. Die Vorstellung Heads, daß bei Er¬ 
krankungen in einem Organe Sensibilitätsstörungen der Haut auftreten können, 
liegt der Arbeit zu Grunde. Das Unsichere der Methode zu diagnostischen 
Schlüssen beruht, wie schon Bartenstein hervorgehoben hat, in «ler Schwierig¬ 
keit solcher Beobachtungen im Kindesalter; ferner muß man sich klar sein, 
daß bei einer solchen Methode niemals eine absolut eindeutige diagnostische 
Antwort zu erwarten ist, namentlich aus dem Grunde nicht, weil ein Haut¬ 
bezirk zwar einem bestimmten Rückenmarksabschnitt entspricht, die ein¬ 
zelnen Spinalsegmente aber — und damit ihre Hautzonen — zu verschieb 
denen Organen gemeinschaftliche Beziehungen haben. 

Nach ihrer Kasuistik glauben sich die Verff. berechtigt, die Headschen 
Zonen im Kindesalter bei beginnender Lungentuberkulose für ebenso chark- 
teristisch zu halten wie die übrigen Organprojektionen. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Hirschfeld, Hanna (Heidelberg), Über das Verhalten der weissen Blut¬ 
körperchen bet kindlicher Tuberkulose. (Monatschr. für Kinderh. Heft 1, Bd. X.) 

Während über Blutbefunde bei Tuberkulose des Erwachsenen bereits 
eine sehr ausgedehnte Literatur vorliegt, zeigt es sich, daß das leukozytäre 
System bei der kindlichen Tuberkulose nur in wenigen Arbeiten spezielle 
Berücksichtigung gefunden hat. Die Verhältnisse des Blutes wurden an 
50 Fällen bestimmt. Dabei zeigte sich, daß prognostisch günstige Fälle 
jeglicher Form von kindlicher Tuberkulose-Neigung zur Lymphozytose und 
zuweilen auch zur Eosinophilie haben. Die bei Skrofulöse oft auftretendefa. 
Ekzeme werden zuweilen von Eosinophilie begleitet. Dieselbe neigt zum 
Sinken nach Abheilung des Ekzems. Bei Tuberkulininjektionen wurde eine 
Verschiebung des Blutbildes in gesetzmäßiger Weise nicht konstatiert. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Czerny, A. (Straßburg), Sind die adenoiden Wucherungen angeboren? 
Monatsschr. f. Kinderh. Bd. X, Heft 3.) 

Erdely beantwortet im Jahrb. f. Kinderh. Bd. 73 Seite 711 die Frage: 
Sind die adenoiden Wucherungen angeboren? auf Grund seiner poliklinischen 
Beobachtungen bejahend. Dies veranlaßt Czerny zu einer Gegenäußerung: 
Vielmehr ist bisher der Beweis, daß die Hypertrophie der Rachenmandel 
angeboren sei, nicht erbracht. Im Gegenteil ist das nach Bartensteins Unter¬ 
suchungen nicht der Fall. Die Hypertrophie der Rachenmandel entwickelt 
sich (bei Kindern mit exsudativer Diathese im 2. und 3. Lebensjahre. Czernys 
klinische Erfahrungen über den Symptomenkomplex der adenoiden Wucher 
rungen veranlassen ihn zu einem anderen Resume als es Erdely gibt. 
Czerny meint im Gegensatz zu diesem Autor, daß die Ernährungstherapie 
das wesentliche und die Operation in den meisten Fällen vermeidbar ist. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Schlieps (Straßburg), Wandertrieb psychopathischer Knaben nnd Mädchen. 
(Monatschr. f. Kinderh. Bd. X, Heft 2.) 

Bericht über 3 in der Straßburger Klinik beobachtete Fälle. Es han¬ 
delt sich um Individuen, die neuropathische Symptome zeigen, ohne In¬ 
telligenzdefekte aufzuweisen. Man könnte bei diesen Zuständen am ehesten 
an Hysterie denken. Die Hauptaufgabe der Behandlung des Wandertriebes 
besteht darin, diesen Trieb wie alle pathologischen Gewohnheiten zu durch- 



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Referate und Besprechungen. 


125 


brechen und nach einmaligem Davonlaufen eine Gewohnheit überhaupt nicht 
aufkommen zu lassen. Das Davonlaufen durch eine „rege Phantasie“ oder 
„sich früh zeigenden Tatendrang“ zu entschuldigen, wie das oft der Fall 
ist, ist grundfalsch. Hier muß der Arzt beizeiten einwirken. Ist einmal 
das Wandern habituell geworden, und hat sich ein regelrechtes Vagabun¬ 
dieren entwickelt, so kann nur Jugendfürsorgeanstalt oder Zwangserziehungs¬ 
heim helfen. A. W. Bruck-Kattowitz. 

Kaumheimer, L. (Heidelberg), Über akute Nephritis bei Kindern nach 
impetiginösen Hauterkrankungen. (Monatschr. für Kinderh. Bd. X, Heft 3.)§| 

Verfasser prüfte an einem größeren Nephritismaterial den Zusammen¬ 
hang der beiden Erkrankungen. Unter 223 Patienten sind 21, bei denen 
die Hauterkrankung die einzig bekannte Ätiologie für die Nephritis bildc/t. 
Kaumheimer faßt die Nephritis bei diesen Hautaffektionen als die Folge 
einer sekundären Pyodermie auf. 

Säuglinge sind vor dieser Nephritis fast völlig geschützt. Erwachsene 
werden viel seltener als Kinder davon getroffen. Meistens handelt cs sich 
um eine akute hämorrhagische Nephritis. Der Ausgang ist in weitaus der 
Mehrzahl der Fälle ein günstiger. 

Verfasser fordert in jedem Falle von impetiginösem Ekzem den Urin 
zu untersuchen und der weiteren Ausbreitung einer sekundären Kratzinfek¬ 
tion mit allen Mitteln entgegenzutreten. A. W. Bruck-Kattowitz. 

Broadbent, Sir J. (London), Die Masern. (Practitioner, Bd. 87, H. 4.) 

Die Masern hatten in diesem Jahre in England eine so hohe Mortalität, 

daß man daran denkt, sie anzeigepflichtig zu machen. Br. ist der Ansicht, 

daß mangelhafte Pflege an der hohen Mortalität die hauptsächlichste Schuld 
trägt, und daß besonders die Nachkrankheiten ihr zuzuschreiben sind. In 
der Behandlung legt er besonderen Wert darauf, daß die Kinder während 

der ganzen Zeit der Erkrankung zu Bett bleiben und in schweren Fällen 

noch einige Tage länger, daß die Zimmertemperatur dauernd 15—18° C 
beträgt, die Luft gut ventiliert und feucht ist. Das Auftreten von Stomatitis, 
Noma, Ohrenerkrankungen und Pneumonie glaubt er durch Ausspülung des 
Mundes mit Borwasser oder chlorsaurem Kali verhindern zu können. Bei 
höherem Fieber macht er laue Abwaschungen und bei Schlaflosigkeit und 
Delirien feuchte Packungen. Fr. von den Velden. 

Weide, E. (Dresden), Beitrag zur Ätiologie des Keuchhustens. Monatschr. 
für Kinderh. Bd. X, No. 1.) 

W. sucht an einem während einer Grippeepidemie im Dresdner Säuglings¬ 
heim beobachteten Fall von Grippe mit keuchhustenartigen Ilustenattackon 
den Nachweis zu führen, daß im Säuglingsalter verschiedenerlei Infektionen 
der oberen Luftwege das klinische Bild des Keuchhustens darbieten können. 
Dieser Fall, der klinisch das ganz typische Verhalten einer Pertussis 
zeigte, kann trotzdem nicht als echte Pertussis aufgefaßt werden, vielmehr 
hat die Grippe-Infektion klinisch das Bild des Keuchhustens imitiert. Das 
Kind blieb ruhig mit anderen Kindern in einem Zimmer, ohne jemand anzu¬ 
stecken. A. W. Bruck-Kattowitz. 


Medikamentöse Therapie. 

Citron, Dr. (Berlin), Ein Beitrag zur Behandlung der Seekrankheit. 
(Berliner Klin. Wochenschrift, 1911, Nr. 36.) 

Die Leichtlöslichkeit des Veronal-Natriums ermöglicht die rektale An¬ 
wendung in den Fällen von Seekrankheit, in denen die Darreichung per 
os infolge des starken Brechreizes unwirksam ist. C. verordnet es in Supposi- 
torien zu 0,5 g. Neben der Sicherheit der Wirkung fallt auch die Schnellig¬ 
keit des Eintritts auf. In der Regel stellt sich nach höchstens einer Stunde 
ein Gefühl der Beruhigung und des Wohlbehagens ein, das Ekelgefühl ver¬ 
schwindet, die Kranken bekommen Appetit. Die hypnotische Wirkung des 
Veronals tritt bei dieser Anwendung nicht allzusehr hervor. Bei der Eisen¬ 
bahnkrankheit dürfte sich das Mittel gleichfalls wirksam erweisen. 

Willcox und Collingwood haben in zahlreichen Fällen bei Nachlaß der 


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Referate nd Besprechungen. 


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Herzkraft, bei akuten Infektionskrankheiten, bei Pneumonie, bei Synkope, 
nach Chloroformnarkosen, nach Bauchoperationen und ähnl. mit großem Er¬ 
folg mit Alkohol gesättigten Sauerstoff einatmen lassen und dabei einon 
rapiden Erfolg konstatiert. Die Mischung reizt absolut nicht und schädigt 
weder Lungen noch sonst den Organismus. (Les nouveaux remödes. 1911, 16.) 

-.- v. Schnizer-Höxter. 

Chollsy in Bombery hat nach dem Vorgänge Bückers das Erysipel mit Mag¬ 
nesiumsulfat behandelt: mehrere Lagen Gaze werden aller 2 Stunden mit 
einer gesättigten wässerigen Magnesiumsulfatlösung getränkt. Schon nach 
wenigen Stunden tritt eine wesentliche Linderung der Schmerzen ein, nach 
1—3 Tagen sind Schmerz und Schwellung ganz beträchtlich zurückgegangen, 
ebenso ist die Temperatur in derselben Zeit gefallen. Die Methode eignet 
sich namentlich bei Erysipel des Gesichts und der behaarten Kopfhaut. 
(Les nouveaux remedes 1911, 16.) v. Schnizer-Höxter. 

Man kennt gegen die Folgeerscheinungen mittlerer Dosen Kokains (Er¬ 
legung der Vasokonstriktoren, Palor, Kälte der Extremitäten, Steigerung 
des Blutdruckes, kein bestimmtes Antidot. Grüet hat nun, selbst bei hohen 
subkutanen Dosen von Kokain, diese unangenehmen Nebenerscheinungen ver¬ 
hindert, indem er Stunde vor der Injektion den Boilauschen Trunk 
(100 Cafe infus und 0,01 Morphium) gab. Er hat dabei nie eine Synkope 
beobachtet. (Bull, genör. de ther. 1911, 8.) v. Schnitzer-Höxter. 

Marniesco-Bukarest hat mit Guayacol bei Lepra sehr befriedigende Er¬ 
folge gesehen. Er pinselt die befallenen Stellen 3 mal täglich, bedeckt 
sie dann mit Watte und gibt innerlich Pillen (Guayac. cristall. 6,0, Eu- 
calyptol 2,0 ut f. pil. No. 50) und zwar beginnend mit je 2 Stück mon- 
ge ns und abends, steigend bis 5. Er sah eine rapide Modifikation, Abfall 
der Krusten, Verminderung der Sekretion und größere Tendenz zur Nar- 
btnbildung. Keine Reizung. Nebenher Bäder von 35° mit Soda 25 Mi¬ 
nuten lang täglich. (Bull. g£n6r. de th£r. 1911, 10.) 

v. Schnizer-Höxter. 

Bei der Behandlung der Schwächen und Kachexie von chronischen 
Lungentuberkulosen gab Hamant Kampferöl und fand dabei folgende er¬ 
freuliche Nebenwirkung. Nach etwa 20 Tagen hatte der Appetit zugenommen, 
das Aussehen der Kranken war ein besseres, die Ilustenanfilb hatten sich 
gelegt, der Auswurf wurde weniger reichlich, weniger purulcat, das Fieber 
fiel, der Puls wurde kräftiger und größer. 

Er hält Kampfer für indiziert zu Beginn einer Tbc-Pleuritis, in anämi¬ 
schen Fällen und veralteten Fällen mit fieberhaften Komplikationen, bei den 
pneumonischen Formen chronischer Tbc und auch in gewissen akuten Fällen. 
Technik 10 »o Kampferöl mit sterilisiertem Olivenöl, täglich 1 ccm steigend 
bis zum 10. Tag, so daß es dann 10 ccm sind, die f'ür gewöhnlich nicht* 
überschritten werden. Diese 10 ccm werdetn auch viermal am Schenkel 
und in den Lenden injiziert, so 3—6 Monate lang. Bei einer pneumonischen 
Komplikation dreimal täglich 10 ccm. v. Schnizer-Höxter. 

Rudisch hat mit Atropin, sulf. bei Diabetes (anfangs 1 Milligramm 
3 mal täglich steigend bis 3 Milligramm 3 mal täglich) Besserung nicht nur 
im Allgcmeinzusland, sondern auch hinsichtlich der Zuckerausscheidung er¬ 
reicht. Bei Intoleranzsymptomen (rapidem Puls, Röte des Gesichts, Trocken- 
heit der Kehle, Pupillenstörungen) kurzes Aussetzen des Mittels. (Bull, 
gener. de ther. 1911, 9.) _ v. Schnizer-Höxter. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Therapie. 

Kiemperer, G. (Berlin), Die Verwertung reinen Traubenzuckers bei schweren 
Diabetikern. (Ther. d. Gegenwart, 1911/10.) 

Nachdem von Noorden gezeigt hatte, daß Diabetiker unter Umständen 


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Referate und Besprechungen. 


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Hafermehl gut vertragen;, bewies Blum, daß Weizenmehl sich nicht anders 
verhält. Dies brachte Klemperer auf den Gedanken, daß sich auch andere, 
wenn nicht alle, Kohlehydrate so verhalten könnten, weshalb er mit Trau¬ 
benzucker in recht ansehnlicher Menge (100—150 g täglich in Wasser 
zu gleichen Teilen, stündlich ein Löffel) den Versuch machte. Es fand 
sich, daß schwere Diabetiker, die bei gemischter Kost reichlich Zucker 
ausschieden und auch bei reiner Fleischkost nicht zuckerfrei wurden, diese 
Zuckervermehrung vertrugen, vorausgesetzt, daß sie gleichzeitig und 
schon einige Tage vorher kein Fleisch erhielten, sondern 
nur Vegetabilien; eine Bedingung, die auch für die Hafer- und Weizenkuren 
gilt. (Natürlich glückt das nicht bei allen Kranken gleich gut und leicht, 
bei manchen gar nicht.) Kl. schließt daraus, daß die Regel für alle Kohle¬ 
hydrate gelte, auch für Reis und Kartoffeln, wenn man die angegebene Vor¬ 
sichtsmaßregel beobachtet. 

Dio Verteile dieser Kohlhydratkuren springen in die Augen: die ange¬ 
nehme Abwechslung, die Wohlfeilheit und das gewöhnlich bald eintretende 
Verschwinden der Azidosis. 

Was die Erklärung der merkwürdigen Erscheinung betrifft, daß An¬ 
wesenheit von Eiweiß die Assimilation der Kohlehydrate bei Diabetikern 
hindert, so erklärt sie Kl. aus der Darmflora: die „enterale Fleischflora“ 
hindert die Entwicklung der Bakterien, die die Verarbeitung des Zuckers 
im Darmkanal besorgen. Diese können erst gedeihen, nachdem durch vege¬ 
tabile Kost oder noch besser durch Hunger die Fleischflora zum Schwin¬ 
den gebracht ist. Fr. von den Velden. 

Lorand, I>r. A. (Karlsbad), Die rationelle Ernährungsweise, praktische 
Winke über das Essen lind den Nutzen oder Schaden der verschiedenen Nahrungs¬ 
mittel. (Leipzig, Klinkhardt 1911. 381 Seiten.) 

Der viel und mit offenen Augen gereiste Verfasser, der auch an sich 
selbst viele Ernährungsversuche angestellt hat, erzählt hier in gemütlicher 
Breite- seine Erfahrungen. Er nimmt eine vermittelnde Stellung zwischen 
dem Ehveißenthusiasmus und der neuen extremen Fleischfeindlichkeit, 
zwischen Voit und Chittenden, ein. Als ideale Diät erscheint ihm, zumal 
für das mittlere Alter und Greisenalter, die Milch-Ei-vegetarische Diät, 
während er den großen Nutzen, den die Fleischnahrung für die wachsende 
Jugend hat, nicht verkennt. Den reinen Vegetarismus bekämpft er als 
gründlicher Kenner der vegetarischen Speisehäuser beider Welten und ihres 
Publikums. Gut wird sein Standpunkt gekennzeichnet durch die Kapitelüber- 
schrifs „Die Vorteile des Fleisches in kleineren Mengen und seine Nach¬ 
teile in größeren“. Dementsprechend ist er auch kein radikaler Aikohol- 
gegntr, sondern betont immer wieder, daß sich nicht eines für alle schickt, 
vielmehr die passende Diät eine Funktion der Tätigkeit, des Klimas und 
Gesundheitszustandes ist. Besondere Aufmerksamkeit ist der Kochkunst ge¬ 
widmet, wobei auch die Nährsalze zu ihrem Rechte kommen. Einige Kapitel 
beschäftigen sich mit der Erhöhung der intellektuellen, muskulären und 
sexuellen Funktionen durch die Diät und deren Einfluß auf die Lebensdauer. 

Die glückliche Ergänzung und Kontrolle theoretischer Ergebnisse durch 
die praktisch-ärztliche Erfahrung macht das Buch zu einer für den prakti¬ 
schen Arzt lehrreichen und nützlichen Lektüre. Fr. von den Velden. 

Ruhlmann, J. (Berlin-Wilmersdorf), Radioakiives Gebäck („Radiopan“)- 
(Med. Klinik 1911, Nr. 23.) 

R. hat durch den Hofbäcker Grundel-Berlin radioaktive Zwöebäcke her- 
steilen lassen, indem er Lösungen radioaktiver Salze, die von der Radiogen¬ 
gesellschaft hergestellt waren, sofort verbacken ließ, so daß auf ein Pfund 
Zwieback 100—1500 Mache-Einheiten kamen. Das Gebäck erwdes sich be¬ 
sonders auch in bezug auf die Radioaktivität als haltbar und wie Versuche 
an 20 Personen ergaben, bekömmlich und erfolgreich. Das Gebäck läßt 
sich für alle die Indikationen verwenden, in denen eine interne Radiotherapie 
angezeigt erscheint. Nierenschädigungen wurden nach dem Genüsse des 
Zwiebacks nicht beobachtet, auch nicht bei einer Dame, die ohne Belästigung 


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Referate und Besprechungen. 


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hintereinander 12 Pfund verzehrt hatte. Genommen werden bis 6 Zwie¬ 
backe täglich, unter Umständen mehr. R. Stüve-Osnabrück. 

Breiger (Berlin). Kann man die Höhensonne künstlich ersetzen? (Med. 
Klinik 1911, Nr. 18.) 

Nachdem sich mehr und mehr herausgestellt hatte, dass die günstige 
Heilwirkung der Sonnenstrahlen in größeren Höhen (über 1500 m Meeres¬ 
höhe) darauf beruht, daß die Sonnenstrahlen in jenen größeren Höhen 
reicher sind an wirksamen (ultravioletten) Strahlen als das Sonnenlicht 
in der Ebene, wo diese Strahlen zum größten Teile in der Atmosphäre ab¬ 
sorbiert sind, hat Breiger durch die Elektrizitätsgesellschaft „Sanitas“ (in 
Berlin, Friedrichstr. 131 d) mit Hilfe entsprechender Lampen, die eine reiche 
Bestrahlung mit ultraviolettem Licht vermöge ihrer Konstruktion gestatten, 
ein „künstliches Ilölrensonnenbad“ konstruieren lassen, dessen Anwendung 
keineswegs wie das bisherige Lichtbad, eine schweißtreibende Wirkung hat, 
sondern dessen Heilaffekt allein auf dem Reiz der Wirkung chemischer 
Strahlen beruht. Anfänglich nur zur Behandlung von Hautaffektionen ange¬ 
wandt. hat sich bei B. besonders bei allgemeiner Anwendung der Bestrah¬ 
lung ergeben, daß diese die Abnahme des Fettansatzes bei manchen Kranken 
begünstigte. Zu lange Bestrahlungen haben dieselbe Wirkung wie sie in 
bekannter Weise die Einwirkung des Sonnenlichtes in den größeren 
Berghöhen zustande bringt; aber sonst keine üblen Folgen; und solche 
Nebenwirkungen lassen sich durch vorsichtige Anfangsdosierung der Be¬ 
strahlung vermeiden. R. Stüve-Osnabrück. 


Allgemeines. 

ßotkin, S. S. u. Simniizki, S. S. Der mandschurische Typhus. (Zeitschrift 
für klin. Medizin, 1911, Bd. 72, p. 271.) 

Während des russisch-japanischen Kriegs wurde eine hauptsächlich im 
fernen Osten vorkommende — übrigens auch schon in Rußland, in St. 
Petersburg, beobachtete — Infektionskrankheit in einer ziemlichen Anzahl 
von Fällen studiert, die unter der erwähnten Bezeichnung beschrieben wird. 
Trotz eines ausgesprochenen Exanthems hat sie mit Fleckfieber nichts zu 
tun, auch nicht mit Abdominaltyphus, Paratyphus A und B. 19 (von 70) 
Fälle sind mitgeteilt, einer (No. 3) mit (unvollständiger) Nekropsie: Schleim- 
hautschwellung im unteren Dünndarm, auch Schwellung der Peyerschen Pla¬ 
ques, an 2 Stellen Nekrose, Mesenterialdrüsen vergrößert, auch die Milz 
und Leber. Die Krankheit beginnt plötzlich mit Schüttelfrost, bald Tempe¬ 
ratur von 39—40 u , febris continua, vom 9.—15. Tage an kritische oder 
lytische Lösung (zahlreiche Kurven auf Tafel VI); charakteristisch ist ein 
kleinfleckiges, roseolenartiges Exanthem (3.—4. Krankheitstag) über den 
ganzen Körper, auch das Gesicht, 2—3 Tage vor dem Temperaturabfall 
verschwindet es wieder. Bronchitis ist häufig, Kopfschmerz fehlt selten, es 
besteht, besonders in den Unterextremitäten, Schmerzhaftigkeit der Muskeln 
und Knochen, häufig ist Dikrotie des Pulses, die Leukozyten sind auf der 
Höhe der Krankheit vermindert, Albuminurie (ohne Nephritis) ist häufig, 
Diazo-Reaktion, oft schon in den ersten Krankheitstagen, positiv. Einmal 
ist eine Darmblutung beobachtet (II o r i u c h i). Über die Zeit der Inkubation 
ist nichts bemerkt, obwohl sie leicht festzustellen gewesen wäre (vergl. 
p. 284). Die Prognose ist im allgemeinen günstig. — Als Erreger wurde 
aus dem Blut der Roseolen und der Ellenbogenvene ein Bazillus gezüchtet, 
länger als der Eberthsche, feiner und zarter, sehr beweglich (mit 4 und 
mehr Fortsätzen), mit Anilinfarben, aber nicht nach Gram färbbar. Er 
wächst auf Agar, Gelatine, Kartoffel, vergärt Traubenzucker nicht, im 
Gegensatz zu Paratyphus-Bakterien, und bildet Indol. Dem Bazillus der 
Typhusgruppe und dem Coli-Bazillus gegenüber besteht von der 2. Woche 
ab geringe Agglutination (1:25—30). H. Vierordt-Tübingen. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912. 


Tortscbrittc der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prip.-Doz. Dr. u. Erlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 


Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadf, Qrüner Weg 86. 


Nr. 5. 


Erscheint wöchentlich jum Preise von s (T)arh för öos 

Baibjahr. j 1 Februar 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a S 


Originalarbeiten unö Sammelberichte. 


Decubitus und seine Verhütung. 

Vortrag gehalten am 16. Nov. 1911 in der Medizinischen Gesjllsrhaft zu Magdeburg 

von Dr. Ernst Mohr. 

M. H. I 

Bei keinem Leiden ist das Sprichwort: „Vorgesehen ist besser 
als nachbedacht“ wohl mehr am Platze als beim Decubitus. Bei schwe¬ 
ren und mit lange dauerndem Bettlager verbundenen Krankheiten 
ist es und muss es die grösste Sorge des Arztes sein, dass ein „Durch¬ 
liegen“ des Patienten mit seinen traurigen Folgen verhütet wird. Denn 
abgesehen von den Qualen des Patienten und der ungeheuren Müh¬ 
seligkeit und Schwierigkeit der Pflege eines mit Decubitus behafteten 
Kranken, kann dieser Hautbrand mit seiner Neigung weiter um sich 
zu greifen, zur direkten Todesursache werden. 

Allgemein wird der Decubitus als Druckbrand angesehen, 
d. h. als eine direkte Folge des Druckes, der durch das eigene Körper¬ 
gewicht des Patienten auf d i e Hautstellen ausgeübt wird, mit denen 
dieser auf der Unterlage aufliegt. 

Wenn ein Mensch zu Bett liegt, hängt die Grösse des Druckes 
auf die Haut von vielen Umständen ab. Man sollte meinen, dass die 
Haut einer schweren Person unter allen Umständen stärker gedrückt 
wird als die einer leichten. Das braucht aber keineswegs der Fall zu 
sein, da es ganz darauf ankommt, auf eine wie grosse Fläche der Druck 
sich verteilt. Wenn wir die Grösse des Druckes abschätzen wollen, 
z. B. auf die Kreuzbein- und Gesässgegend, wo erfahrungsgemäss Decu¬ 
bitus bei weitem am häufigsten auftritt, so kommt für diese Gegend 
bei Rückenlage auf einer geraden, unelastischen Lagerfläche das Körper¬ 
gewicht etwa von dem 1. Lendenwirbel bis zur Mitte der Oberschenkel 
in Betracht, da der untere Teil des Rückens hohl liegt und aych die 
Oberschenkel die Unterlage nicht berühren. Der obere Teil des Rumpfes, 
der Kopf, die Arme und die Unterschenkel haben ihre eigene Unter¬ 
stützung. Der Gesamtdruck auf die Beckengegend bei Rückenlage 
dürfte also höchstens ein Drittel des Körpergewichts betragen, bei 
einem Menschen von 75 kg also höchstens 25 kg. Das würde bei einer 
Lagerfläche von 10 x 10 cm einen Druck von 250 g auf 1 qcm er¬ 
geben, was etwa dem Drucke einer 20 cm hohen Quecksilbersäule 
entspricht. Bei einer Verteilung desselben Gewichts auf eine Fläche 

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Mohr, 


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von 15 x 15 cm - 225 qcm würde der Druck auf 1 qcm nur noch 
111p sein, also etwa einer 9 cm hohen Quecksilbersäule entsprechen. 

Da eine wohlgenährte Person infolge des guten Fettpolsters eine 
grössere Lagerfläche hat als eine magere, so kann unter Umständen 
bei einer solchen schweren Person der Druck auf die Haut geringer 
sein als bei einer mageren, leichten, wo eine kleinere Hautstelle infolge 
der mehr prominenten Knochen die Druckfläche darstellt. 

Am geringsten würde der Druck auf die Haut sein, wenn man 
den Körper in eine ihm ganz genau passende Form — etwa einen Gips¬ 
abguss — legte, w T o jeder Hautteil der Unterseite des Körpers sich auf 
die Form genau auflegt. In einem solchen Falle würde der Druck auf 
die Haut dem spezifischen Gewicht des Körpers entsprechend nur 
wenig mehr sein, als einer Wassersäule vom Durchmesser des Körpers 
entspricht, oder vielmehr noch etwas geringer, weil die Körperteile 
walzenförmig und verschieden dick sind, aber der Druck sich etw r as 
ausgleicht. Der Druck würde also bei einem mittelstarken Menschen 
an der tiefsten Stelle im Rücken höchstens 26 g auf 1 qcm betragen, 
was dem Druck von ca. 2 cm Quecksilber entspricht; an anderen Stellen 
würde er noch geringer sein. 

Ein so geringer Druck würde selbst unter den ungünstigsten Um¬ 
ständen keinen Druckbrand hervorrufen können, da wahrscheinlich 
der Tod des Individuums eher eintritt, ehe der Kapillardruck an den 
unteren Körperteilen bis auf 20 mm Quecksilber sinkt. 

Wir können bei Bettlage künstlich den Druck auf die Haut der 
unten liegenden Körperteile abschwächen, indem wir das Lager so 
zubereiten, dass die Druckfläche vergrössert wird. Die Menschen haben 
von uralten Zeiten her gewusst, — ohne sich vielleicht über die physi¬ 
kalischen Verhältnisse Gedanken zu machen—, was ein hartes und 
was ein weiches Lager ist. 

Hart ist ein Lager, wenn es nicht der Körperform angepasst und un¬ 
nachgiebig ist, so dass die verhältnismässig kleinen, prominenten Körper¬ 
teile den Druck allein auszuhalten haben. Weich nennen wir ein Lager, 
wenn es sich der jedesmaligen Körperhaltung und jeder Veränderung 
der Lage so anzupassen vermag, dass der darauf liegende Körper mit 
einer möglichst grossen Fläche zur Auflagerung kommt, so dass der 
Druck auf die Haut an jeder Stelle ein möglichst kleiner ist. Unwill¬ 
kürlich wird jeder handlungsfähige und empfindsame Mensch beim 
Liegen eine Körperstellung zu gewinnen suchen, wo er möglichst „be¬ 
quem“ liegt, d. h. wo bei ungezwungener Körperhaltung eine möglichst 
gute Druckverteilung stattfindet. Um das Gegenteil zu tun, ist er 
viel zu „gefühlvoll“, denn ein anhaltender stärkerer Druck wird nicht 
bloss unbequem, sondern macht auf die Dauer Schmerz, was ohne 
weiteres einem Menschen, dessen Sensibilität normal ist, Veranlassung 
gibt, die Körperhaltung zu verändern. 

In dieser Beziehung habe ich einmal ein interessantes Erlebnis 
gehabt: Es war vor etwa 18 Jahren ein vagabundierendes, etwa 
20 jähriges Mädchen in Haft genommen. Am nächsten Tage lag 
das Mädchen völlig bewegungslos im Bett ihrer Zelle. Die Augen 
waren geschlossen, die Glieder waren völlig schlaff. Das Mädchen 
hatte anscheinend keine Spur von Empfindung am ganzen Körper. 
Nadelstiche, selbst die Anwendung eines recht kräftigen fara- 
dischen Apparates unter Berührung der empfindlichsten Stellen der 
Haut mit dem elektrischen Pinsel verursachte keine Abwehrbewegung 



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Decubitus und seine Verhütung. 


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oder eine Aeusserung von Schmerz. Da legte ich — weil der Gemeinde¬ 
vorsteher und ich trotzdem an Simulation glaubten —, den einen Unter¬ 
schenkel des Mädchens mit dem Schienbein auf die Bettkante, und 
wir verliessen die Gefängniszelle, um unbemerkt von aussen das Mäd- • 
chen zu beobachten. M. H.! Es dauerte keine Viertelstunde, und das 
Mädchen zog das Bein aus der unangenehmen Lage zurück und war 
natürlich entlarvt. Man sieht, dass auch dem hartnäckigsten Men- - 
sehen schon ein gelinder Druck höchst peinlich ist, so dass er sich ihm 
möglichst schnell zu entziehen strebt. 

Ein dauernder Druck auf die Haut ist aber nicht nur unbequem 
und schmerzhaft; er ist auch gefährlich, wenn er grösser wird als der 
umgekehrt wirkende Druck innerhalb der Blutgefässe. Sowie der 
Druck von aussen grösser wird als der von innen ist, werden die Kapil¬ 
laren zusammengedrückt, blutleer. Die Zirkulation stockt, die Er¬ 
nährung hört auf, und die Haut muss schliesslich zugrunde gehen, ob¬ 
wohl sie ausserordentlich lebenszäh ist und stundenlang völligen Mangel 
an Ernährung^verträgt. 

Auf diese Weise, nimmt man an, entsteht der Decubitus. Der 
Druck ist nach dieser Auffassung die primäYe Ursache der Haut¬ 
nekrose. 

Für diese Ansicht spricht der Umstand, dass tatsächlich die Stellen, 
mit denen der Patient auf der Unterlage aufliegt, am häufigsten betroffen 
werden, und dass Patienten besonders dann davon befallen werden, 
wenn sie durch ihre Krankheit erheblich heruntergekommen sind, 
wenn die Blutzirkulation mangelhaft, der Blutdruck in den Kapillaren 
infolge von Herzschwäche an und für sich schon gering geworden ist.' 

Wenn aber der Druck auf die Haut als ursächliches Moment allein 
oder wenigstens hauptsächlich in Betracht käme, müsste die Ent¬ 
wicklung eines Decubitus mindestens sehr häufig in d e r Weise vor 
sich gehen, dass die Druckstelle zuerst blutleer, leichenfarbig würde, 
worauf sich dann nach einiger Zeit eine Demarkationslinie bilden würde, 
die die Grenze bezeichnete, wie weit die sonst ganz unverletzte Haut 
nekrotisch geworden ist. Der Vorgang müsste aber wenigstens recht 
häufig als „trockener Brand“, als „Mumifikation“ auftreten, denn die 
Säfte würden doch aus dem betreffenden Hautteile völlig von aussen 
nach innen gedrängt, wohin sie ohne weiteres entweichen könnten. 
Anstauung von Blut oder Serum würde nicht vorhanden sein. Der 
Zustand würde so ähnlich sein wie bei den am Kopfe von neugeborenen 
Kindern öfter zu beobachtenden Druckbrandstellen, die von längerem 
Aufliegen auf irgend einem spitzen oder scharfkantigen Knochen¬ 
vorsprung im mütterlichen Becken herrühren, und die ohne Reaktion 
nach Abstossung des nekrotischen Gewebes unter Hinterlassung einer 
Narbe als „Muttermal“ glatt verheilen. 

Ich will nicht bestreiten, dass sich ein Decubitus unter besonderen 
Umständen einmal in eben solcher Weise entwickeln kann, aber es 
muss doch tatsächlich recht selten Vorkommen. Ich wenigstens habe 
in über 20 jähriger Praxis noch keinen solchen Fall zu sehen bekommen. 
Demnach müssen für gewöhnlich andere Umstände als primäre Ursache 
des Decubitus in Betracht kommen. 

Dafür spricht schon, dass bei manchen Krankheiten z. B. Typhus 
Decubitus viel häufiger beobachtet wird als bei anderen z. B. Tuber¬ 
kulose, bei welcher trotz monate- und sogar jahrelangem Bettlager 
ein Durchliegen viel seltener vorkommt. Man kann aber nicht sagen, 

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Mohr, 


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dass bei der einen Krankheit der Druck grösser sei als bei der andern, 
oder dass die Herztätigkeit bei einem Typhuskranken schlechter sei 
als bei einem Phthisiker im letzten Stadium. 

Es dürfte sich daher verlohnen, zu untersuchen, wie sich ein Decu¬ 
bitus für gewöhnlich — mit einer gewissen Regelmässigkeit — ent¬ 
wickelt: 

Zunächst pflegt an der betreffenden Stelle die Haut rot zu werden 
und zwar frischrot. nicht etwa bläulich rot, dass man an venöse Blut¬ 
stauung denken könnte. Die Haut wird dabei etwas glänzend und 
fühlt sich warm und feucht an. Sie sondert eine seröse Flüssigkeit 
ab: die Haut ist „wund“. Ich möchte diesen Zustand (analog der 
Bezeichnung bei Verbrennungen) als den „ersten Grad“ des Decu¬ 
bitus bezeichnen. 

Es handelt sich dabei um eine Erscheinung, die wir auch bei sonst 
völlig gesunden Menschen, auch an uns selbst häufig beobachten können. 
Wir kennen alle das VVundsein der Säuglinge zwischen den Beinen 
und auch an der Vorderseite des Bauches, wo von einem erheblichen 
Druck keine Rede sein kann. Frauen mit stark entwickelten Brüsten 
nehmen öfter unsere Hilfe in Anspruch wegen Entzündung der Haut 
an den Stellen, wo die herabhängenden Brüste an dem Rumpfe an- 
liegen. Auch hier ist kein Druck vorhanden, der grösser wäre als der 
Blutdruck in den Kapillaren. Ferner wird ein jeder von sich selbst 
wissen, was ein „Wunder“ ist, was es zu bedeuten hat, wenn sich z. B. 
bei Wanderungen in der Analgegend ein sogenannter „Wolf“ bildet. 

Andererseits beobachten wir zeitweise bei gesunden Menschen 
an Druckstellen eine Entzündung der Haut, die zweifellos trotz vor¬ 
handenen erheblichen Druckes nicht auf diesen zurückgeführt werden 
kann. An heissen Tageu kommen öfter Leute zur Behandlung, die 
an den Druckstellen ihres Bruchbandes wund geworden sind. Der 
Druck eines Bruchbandes ist ganz erheblich, die Federspannung ent¬ 
spricht etwa 1500 g und wirkt auf eine verhältnismässig kleine Stelle 
ohne Unterbrechung. Die Fläche wird oft noch kleiner sein als 5 cm 
im Durchmesser; bei letzterer Annahme käme auf 1 qcm der Druck 
von ca. 75 g, was einen Quecksilberdruck von 58 mm entsprechen 
würde. Trotzdem kommt es nicht zu einer primären Nekrose der Haut, 
sondern nur unter besonderen Umständen entsteht zeitweise eine Haut¬ 
entzündung. Ebenso verhält es sich bei Leuten, die einen Klemmer 
tragen, wo der Druck auf die Nasenhaut noch grösser ist. Der F'eder- 
druck beträgt nach meiner Messung etwa 50 g, die Fläche ca. 2,5 x 
15 mm = 37,5 qmm auf jeder Seite der Nase. Das würde auf 1 qcm 
berechnet 130 g ergeben, was einem Quecksilberdruck von ca. 100 mm 
entspricht. Trotz dieses bedeutenden Druckes auf eine Hautstelle, 
die oberhalb des Herzens gelegen ist, wo also der Kapillardruck ge¬ 
ringer ist als an unterhalb gelegenen, habe ich noch niemals eine primäre 
Mumifikation der Haut beobachtet, nur zeitweise kommt es zu dem 
recht unangenehmen „Wundsein“. Auch unter dem drückenden Hut¬ 
rande kommt es an der Stirn an heissen Tagen hie und da zu einer 
Entzündung der Haut. 

Alle diese Erscheinungen sind übereinstimmend mit der Haut¬ 
entzündung,- die den ersten Grad des „Durchliegens“ bedeutet. Sie 
haben alle in ihrer Entstehung etwas Gemeinsames: Die Hautentzün¬ 
dung entwickelt sich an solchen Stellen, wo Feuchtigkeit entsteht 
(z. B. Schweiss) oder hingelangt (z. B. Urin, Fäzes), wo aber die Ver- 


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Decubitus und seine Verhütung. 


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dunstung stark beschränkt ist, und wo eine bestimmte gleichmässige * 
Wörme vorhanden ist. Die abgesonderte oder hingelangte Feuchtigkeit 
befindet sich an den betreffenden Stellen wie in einem Rrutraume, 
und die darin natürlich stets vorhandenen Mikroorganismen solcher 
Arten, für die die gegebenen Verhältnisse günstig sind, vermehren sich 
schnell ins Ungeheure und zersetzen die Säfte. Die entstehenden Zer¬ 
setzungsprodukte und die von den Mikroorganismen erzeugten spe¬ 
zifischen Gifte wirken stark reizend auf die schon durch die dauernde 
Feuchtigkeit erweichte und vielleicht durch etwas Reibung geschädigte 
Haut. Die Hornschicht wird mazeriert, die Mikroorganismen dringen 
weiter in die Tiefe und vermehren sich in dem ausgezeichneten Nähr¬ 
boden immer weiter. Nun greifen sie die lebenden Zellen direkt an: 
der Kampf auf Leben und Tod beginnt. 

ln diesem Kampfe kommt es darauf an. welche Abwehrmittel 
dein Organismus zur Verfügung stehen, um die Eindringlinge abzu¬ 
wehren. Ein sonst gesunder und handlungsfähiger Mensch wird die 
schmerzhaft gewordene Stelle schleunigst in geeigneter Weise behan¬ 
deln oder behandeln lassen, so dass die drohende Gefahr meist bald 
beseitigt ist unter Beihilfe der dem Organismus eigenen Hilfsmittel, 
die durch vieljahrtausende lange Kämpfe der Vorfahren erworben 
und auf ihn vererbt sind. 

Anders ist es aber, wenn der betreffende Mensch hilfslos im Bette 
liegt. Gerade die Stellen, wo der Körper die Unterlage am innigsten 
berührt, (die „Druckstellen”) sind es, die bei Schweissbildung am meisten 
feucht werden und am wenigsten durch Verdunstung trocknen und 
sich abkühlen können, sie sind es, die vom Pflegepersonal nicht immer 
kontrolliert werden können und die der gründlichen Reinigung am 
schwersten zugänglich sind und die solche doch am nötigsten bedürfen, 
da sie durch (event. unwillkürlich entleerten) Urin oder Fäzes am 
leichtesten beschmutzt werden, weil sie die tiefsten Stellen des liegen¬ 
den Körpers sind, wohin alles fiiesst. Unter solchen Ilmständen braucht 
noch nicht einmal der Blutzufluss verringert zu sein: da ist die Gefahr 
einer Infektion, einer Entzündung der Haut ganz von selbst, auch 
ohne Druck gegeben. 

Ist der Körper durch eine vorhergegangene oder noch bestehende 
Krankheit schon erschöpft, sind seine natürlichen Hilfsmittel im Kampfe 
mit Mikroorganismen anderer Art vielleicht z. T. verbraucht, so ist 
es leicht einzusehen, dass die neuen Feinde Sieger im Kampfe bleiben 
können, und es ist auch ohne die Annahme, dass durch Druck vorher 
die Haut schon abgestorben sei. ganz erklärlich, dass unter den ge¬ 
schilderten Umständen gerade die bekannten Körperstellen am meisten 
von der Entzündung befallen werden, die hinterher zum Brandig¬ 
werden der Haut und der tieferen Gewebe führen kann. 

Ich halte also nicht den Druck, sondern die Infektion für 
die primäre Ursache des Decubitus und ich bin zu der Ueberzeu- 
gung gekommen, dass mit Ausnahme weniger ganz besonderer Fälle 
das Durchliegen der Patienten und ebenso alle die erwähnten Haut¬ 
entzündungen, die mit dem ersten Grade des Decubitus identisch sind, 
vermieden werden können, wenn es gelingt, die I n f e k t i o n der 
Haut zu verhüten. 

Ja „wenn“! — Ich gebe ohne weiteres zu, dass es einzelne Fälle 
gibt, bei denen die Aussichten gering sind. Abgesehen von den Kranken, 
die an Pyämie oder Septikämie leiden, wo durch Abszessbildung von 


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Mohr, Decubitus und seine Verhütung. 


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innen her die Haut an beliebigen Stellen also auch an „Druckstellen“ 
zerstört werden kann, gibt es Fälle wie z. B. Wirbelbrüche, wo die 
Verletzten gelähmt sind und auch passiv nicht ohne Gefahr bewegt 
werden dürfen, so dass eine geeignete vorbeugende Behandlung äusserst 
erschwert ist, und trotz grösster Vorsicht und Aufopferung des Pflege¬ 
personals das Unglück eventuell doch nicht verhütet werden kann, 
dass sich der Verletzte durchliegt und auch daran schliesslich zugrunde 
geht. 

Aber ich meine, wenn die Gefahr des Decubitus weniger vom Druck 
als vielmehr von einer Infektion droht, und w : enn man demgemäss 
jeden Kranken, der voraussichtlich längere Zeit liegen muss, von An¬ 
fang an zielbewusst und konsequent, Tag für Tag mit geeigneten Mitteln 
vorbeugend behandelt, so muss mindestens in einer sehr grossen 
Zahl der Fälle ein guter Erfolg — Vermeidung eines Decubitus — er¬ 
zielt werden können. 

Ich halte es, um dieses Ziel zu erreichen, nicht für ausreichend, 
nur für eine weiche Lagerung unter event. Anwendung von Luft- oder 
Wasserkissen zu sorgen und den Kranken nur nach Beschmutzung 
mit Urin oder Fäzes mechanisch mit Wasser und Seife zu reinigen, 
sondern ich möchte befürworten, dass ausserdem kräftig wirkende 
Antiseptika von Anfang an angewendet würden und zwar nicht bloss 
nach besonderen Verunreinigungen, sondern regelmässig mehrmals 
täglich zur vorbeugenden Desinfektion der Haut des Patienten. Es 
ist auch sehr zweckmässig, alle Stoffe, die an den Stellen, wo 
erfahrungsgemäss die Haut leicht wund wird, den Körper direkt innig 
berühren, event. reiben, mit antiseptischen Substanzen zu reinigen 
und sogar zu imprägnieren. 

Das gilt nicht bloss für Krankheitsfälle, sondern überhaupt für 
alle Fälle, wo ein Wundwerden der Haut leicht einzutreten pflegt 
z. B. bei Benutzung von Bruchbändern, Klemmern, Schienenverbänden, 
künstlichen Gliedern usw. 

Es mag eine ganze Anzahl geeigneter Antiseptika vorhanden sein; 
nach meinen Erfahrungen möchte ich dazu das in den letzten Jahren 
etwas in den Hintergrund gedrängte Karbolwasser wieder empfehlen; 
auch Karbolsalbe ist für manche Fälle recht zweckmässig; dabei muss 
aber die Salbengrundlage etwas wasserhaltig sein. 

Ich habe mit täglich mehrmaligen Abwaschungen des Patienten 
mit Wasser und Seife und hinterher mit lproz. Karbolwasser recht 
gute Erfahrungen gemacht und niemals Schaden davon bemerkt. 

Ferner habe ich auch die „Unterlagen“ mit lproz. Karbolwasser 
besprengen und natürlich erst wieder trocknen lassen, ehe sie ver¬ 
wendet wurden. 

Damit diese Anordnungen aber trotz der Arbeit, die dadurch ent¬ 
steht, auch wirklich durchgeführt würden, habe ich den Angehörigen 
immer und immer wieder die Gefahren des Durchliegens geschildert 
und nicht aufgehört, den Eifer wieder anzuregen, der ja bei längerer 
Krankheitsdauer bekanntlich nur zu leicht nachlässt. 

Auf diese Weise ist es mir gelungen, auch in Fällen, wo das Ein¬ 
treten des Decubitus wirklich ernstlich zu befürchten war, sogar den 
ersten Grad des Durchliegens, das Wundwerden der Haut gänzlich zu 
vermeiden, und ich hoffe, dass mir auch in Zukunft vergönnt sein möge, 
diesen schlimmen Uebelstand eines langen Krankenlagers zu verhüten. 


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Wiszwianaki, Die Bedeutung der Nervenmatssage für den praktischen Arzt. 135 


Die Bedeutung der Nervenmassage für den praktischen Arzt. 

Von Dr. Wiszwianski, 

Neivenaizt in Berlin-Charlottenburg. 

Der wichtigste Grundsatz bei der ärztlichen Untersuchung ist 
die strenge Scheidung der Symptome in subjektive und objektive. 
Man verzeichnet zwar in der Anamnese die vielen subjektiven Klagen 
der Patienten, misst ihnen jedoch bei der Feststellung der Diagnose 
lange nicht die Bedeutung bei, wie dem objektiven Befund, der als 
anatomische Grundlage gilt. Charakteristisch sind ja für diese strenge 
Scheidung vor allem die Nervenkrankheiten. Bei diesen geschieht 
eine genaue Differenzierung zwischen den organischen Erkrankungen 
und denjenigen, die keine anatomische Grundlage haben und die man 
als funktionelle bezeichnet. Ziehen wir z. B. die wichtigsten Neurosen, 
wie die Hysterie und Neurasthenie in den Kreis unserer Betrachtung, 
so bemerken wir, dass die Patienten, wenn sie zum Arzte kommen, 
in erster Linie Linderung ihrer nervösen Beschwerden, die sich ja haupt¬ 
sächlich in einer mehr oder weniger starken Schmerzempfindung äussern, 
verlangen. Da man nun in solchen Fällen, weil es sich um kein ana¬ 
tomisch begründetes Leiden handelte, den Schmerz nicht lokalisieren 
konnte, gewöhnte man sich daran, die Krankheit mehr allgemein zu be¬ 
handeln und den „Locus doloris“ weniger zu berücksichtigen. Es kommt 
das wohl hauptsächlich daher, weil man diese funktionellen Beschwerden 
vielfach als rein zentralen Ursprungs, als mehr in der Psyche resp. 
Vorstellung des Kranken erzeugte Schmerzhalluzinationen ansah. 
Demnach suchte man auch von der Psyche aus einzuwirken und be¬ 
diente sich der verschiedensten psvcho-therapeutischen Methoden, wie 
z. B. der Hypnose, der Wachsuggestion, der Persuasion nach Dubois, 
sowie endlich der in der letzten Zeit so sehr verbreiteten psycho-ana- 
lytischen Methode Freud’s. Andererseits suchte man auch lokal, vor 
allem wenn die peripheren Symptome sich in den Vordergrund dräng¬ 
ten, durch physikalische Massnahmen einzuwirken, man ging jedoch, 
falls neben anderen Symptomen neue an anderen Körperstellen auf¬ 
traten, nicht so weit, die Schmerzquellen direkt zu berücksichtigen, 
denn man sagte sich, das Leiden wäre ja doch ein allgemeines, es käme 
auf eine Klage mehr oder weniger nicht an, da ja die Beschwerden 
nicht zu lokalisieren wären und es sich lediglich um sogen. Topalgien (vom 
gr. Tojrog Topos) handele. Den Patienten wurde der Trost gespendet, 
sie mögen sich nicht beunruhigen, ihr Leiden habe keine organische 
Grundlage, es wäre ein ,,r e i n nervöse s“. So beruhigt auch 
in vielen Fällen der Arzt mit seiner Prognose war, so wenig war damit 
dem Patienten gedient; denn es lässt sich nicht leugnen, dass in vielen 
Fällen, sowohl die psychotherapeutischen als die diätetischen Mass¬ 
nahmen versagten. In dieser Sackgasse der einseitigen Auffassung 
funktioneller Beschwerden setzt nun die Nervenmassage ein. Bereits 
vor einer Beihe von Jahren fand Cornelius gelegentlich einer 
Massagekur, der er sich selbst in Wiesbaden unterzog, dass die strei¬ 
chende Hand des Masseurs ihm an bestimmten Stellen des Körpers 
einen besonderen Schmerz erzeugte. Es waren das jedoch nicht die 
schon früher bekannten V a 11 e i x’schen Punkte, sondern Stellen am 
Körper, die an keine anatomische Lage gebunden waren. So kam er 
denn zur Ausbildung jener technischen Kunst, die er als Nervenpunkt- 
massage oder kurz als Nervenmassage bezeichnete. 


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Wiszwianski, 


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Untersuchen wir ein erkranktes Glied auf Nervenpunkte, indem 
wir es mit einer für ein gesundes Gewebe schmerzlos bleibenden Kraft 
drücken, so empfindet der Patient, wenn wir einen Nervenpunkt durch 
unsern Fingerdruck treffen, denjenigen Schmerz, über den er klagt. 
Der Nervenpunkt ist eine Stelle im Körper, die 
auf einen an sich normalen Reiz mit einer hierzu 
in keinem Verhältnis stehenden Stärke reagiert. 
Damit wären w r ir aber über ein subjektives Empfinden 
noch nicht heraus, wenn nicht der in der Nervenmassage geübte 
Arzt auch den Nerven p u nkt an jener Druckstelle fühlen 
würde; und zwar ist es ein kurz auffiackernder Widerstand, eine 
Muskelspannung, wie sie auch oft in gröberer Weise dann 
beobachtet wird, wenn man die Nähe einer erkrankten Muskelpartie 
berührt und sich die benachbarten gesunden Fasern kontrahieren, was 
man als ,,Defense musculaire“ bezeichnet. Das Fühlen dieser mo¬ 
torischen Spannung bereitet dem Anfänger oft unendliche Schwierig¬ 
keiten und kann sich der Finger erst langsam an jenes feine Empfinden 
gewöhnen, so dass der Arzt in der ersten Zeit auf die Angaben des 
Patienten angewiesen ist und ihn auch auf seine Schmerzäusserung 
hin beobachten muss. Zu erklären ist diese motorische Welle als ver¬ 
feinerter Reflex, indem der Druck auf einen Nervenpunkt sich den 
sensiblen Hintersträngen des Rückenmarks mitteilt und unter gleich¬ 
zeitiger zentripetaler Schmerzempfindung im Gehirn in zentrifugaler 
Richtung auf die motorischen Vorderhörner des Rückenmarks über¬ 
springt, wodurch die reflektorische Muskelkontraktion zustande kommt. 
Aus diesem Grunde ist es auch erklärlich, dass nur da ein Nervenpunkt 
zu fühlen ist, wo die Leitung durch die Hinterstränge ungestört von 
statten geht. Ist dieselbe im Rückenmark oder im Gehirn an irgend 
einer Stelle unterbrochen, so kann auch kein Reflex zustande kommen, 
so dass das Fehlen von Nervenpunkten für uns als ein 
fast sicheres Zeichen einer organischen Gehirn- oder Rücken¬ 
markskrankheit aufzufassen ist. 

Wie entstehen nun diese Nervenpunkte? Nach 
Cornelius kommen in erster Linie mechanische Reize 
in Betracht, die nicht nur den Nerven, resp. das Perineurium selbst, 
sondern auch seine Umgebung durch Druck oder Zerrung schädigen 
können, wobei es nach längerer Einwirkung solcher chronischen Reize 
zu einer Bindegewebswucherung, sogenannter Narbenbild ung 
kommen kann. Eine grosse Rolle bei der Entstehung der Nervenpunkte 
spielen auch diejenigen Reize der feinsten Nervenverzweigungen, die 
sowohl durch neuritische und perineuritische Prozesse als auch durch 
Muskelentzündungen (Rheumatismen), akute und chronische Infek¬ 
tionskrankheiten (wie Influenza, Malaria, Lues usw.), Stoffwechsel- 
erkrankungen (Gicht, Diabetes). Blut- und Gefässerkrankungen (Anämie, 
Arteriosklerose), Intoxikationen (mit Alkohol, Tabak, Quecksilber. 
Blei usw.) bedingt sind. 

In allen Fällen entsteht eine mechanische Behinde¬ 
rung und es bezweckt die Nervenmassage eine Beseiti¬ 
gung derselben, so dass ihre W i r k u n g auch als eine mech a- 
n i s c h e zu betrachten ist. 

Sind die Nerven punkte nur vereinzelt nachzuweisen, ist 
das Individuum besonders widerstandsfähig, so können auch gewisse 
Reize vertragen werden. Häufen sich aber dieselben, wie 



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Die Bedeutung der Nervenrnaesage für den praktischen Arzt. 


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z. B. bei grossen seelischen Erregungen, körperlichen Anstrengungen, 
akuten Vergiftungen mit Alkohol oder Nikotin, Infektions- und fieber¬ 
haften Erkrankungen (z. B. Influenza, Malaria usw.), so tritt eine 
dauernde Erregung aller Nervenpunkte ein und die 
Patienten empfinden jene schmerzhaften Aeusserungen im Nerven¬ 
leben, die sich von der einfachen Neuralgie bis zu dem kompli¬ 
zierten Svmptomenkomplex der Neurasthenie oder Hysterie 
steigern können, wobei allerdings der angeborenen und erworbe¬ 
nen Beizbarkeit der Nerven eine gewichtige Bolle beizumessen ist, 
da dann schon oft geringere Reize imstande sind, Erregungen der 
Nervenpunkte auszulösen. 

Sehr wichtig ist die Erfahrung, dass alle Nervenpunkte 
am ganzen Körper in einem gewissen Zusammenhang stehen, 
so dass die Erregung eines Punktes durch Reizung oder 
Druck sich wellenförmig auf andere übertragen kann, sowohl 
durch direkte Strahlung, als auch durch sprunghafte, 
dem Bewusstsein des Patienten unzugängliche Uebertragung. 
So erklärt sich auch das charakteristische Wechselspiel der 
nervösen Erscheinungen, die Auslösung von Schmerz¬ 
empfindungen an ganz fernliegenden Körpergegenden, das plötzliche 
Auftreten und Verschwinden gewisser Symptome gemäss der Lage 
und der Aeusserung der Nervenpunkte, die sowohl zen¬ 
trale, als periphere, sensible oder motorische sein 
können. Nach Cornelius geht dieses Auf- und Abfluten der Reiz¬ 
wellen in zentripetaler (sensibler) oder zentrifugaler (motorischer, vaso¬ 
motorischer, sekretorischer) Richtung ständig wie in einem geschlosse¬ 
nen Kreislauf von statten und bildet den leitenden Grundgedanken 
seiner N ervenpunktlehre, die vielfach angefeindet wurde, 
weil sie auf keinen physiologischen resp. pathologischen Grundlagen 
fest aufgebaut wäre und lediglich auf Grund praktischer Erfahrungen 
zur Erklärung der Vorgänge im Nervenleben herangezogen würde, 
ln letzter Zeit mehren sich jedoch die Stimmen, welche diese Nerven- 
kreislauftheorie nicht als so ganz phantastisch bezeichnen. 
So spricht James Mackenzie auch bereits von einem „stän¬ 
digen Strom von Erregungen, der durch die zentripetalen Nerven zum 
Rückenmark läuft und fortgesetzt die zentrifugalen Nerven, welche 
zu den Muskeln, Blutgefässen usw. gehen, beeinflusst“. So befindet 
sich auch nach Cornelius der im gesamten Nervensystem 
kreisende Strom ständig in einem gewissen Grade der Spannung (To¬ 
nus), wobei die Erregungswellen beim gesunden Menschen ungehindert 
kreisen, bis sie beim kranken auf einen Widerstand stossen, der 
sich dem Bewusstsein durch Schmerzempfindung kundgibt und eben 
als Nervenpunkt empfunden wird. Es ist somit klar, dass die 
Nervenpunktmassage in erster Linie die Beseitigung 
jenes Widerstandes zum Ziele haben muss und zwar zunächst 
durch mechanische Reizung aller zugänglichen Nerven¬ 
punkte, wobei auf die anfängliche Erregung derselben eine spätere 
Beruhigung, sowie schliesslich eine Beseitigung erfolgt und 
damit die Heilung der von den Nervenpunkten ausgehenden nervösen Be¬ 
schwerden herbeigeführt wird. Dieser Prozess geht jedoch nicht gleich- 
mässig von statten, im Laufe der Behandlung tritt ein vielfacher Wechsel 
zwischen Beruhigung und neuer Erregung ein mit den mannigfaltigsten 
Symptomen in zentraler und peripherer Hinsicht, welche Folge- 


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Wiszwianski, 


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Erscheinungen der Massage wir als Reaktionen bezeich¬ 
nen. Diese nervösen Wirkungen der Massage lassen sich 
nun nach verschiedenen Richtungen hin einteilen: 

I. Nach der zentralen Wirkung 

1. in die negative Welle, die eine beruhigende Wirkung, 

Ruhe, Müdigkeit, ja sogar Schlaf, 

2. in die positive Welle, die Reizbarkeit, Unruhe, Schlaf¬ 
losigkeit im Gefolge hat. 

II. Nach der peripheren Wirkung 

1. in hezug auf die Sensibilität (zentripetal), 

a) in die negative, beruhigende Welle mit darauf 
folgender Herabsetzung des Schmerzes bis zur Schmerz¬ 
losigkeit, 

b) in die positive, erregende Welle mit Schmerz¬ 
erzeugung in jedem Grade der Steigerung vom einfachen 
Kitzel bis zum höchsten Paroxismus; 

2. in bezug auf die Motilität (zentrifugal), 

a) in die negative, beruhigende Welle mit mo¬ 
torischer Beruhigung bis hinunter zur Bewegungslosigkeit 
resp. Lähmung, 

h) in die positive, erregende Welle mit folgender 
motorischer Unruhe, peripheren Krämpfen wie z. B. 
gesteigerter Peristaltik, Magendarmkrämpfen, Gänse¬ 
hautbildung usw. 

3. in bezug auf die Vasomotoren, 

a) in die negative Welle: Gefässlähmung, Hyperämie, 

h) in die positive Welle: Gefässkrampf, Anämie; 

4. in bezug auf die Sekretion 

a) in die negative Welle: Verminderung der Sekretion 
im weitesten Sinne, 

b) in die positive Welle: Vermehrung der Sekretion, 
Tränen-, Speichelfluss, Schweissausbruch u. a. m.) 

Diese genannten Erscheinungen werden nur sehr selten allein 
beobachtet und stehen in einem beständigen Wechselspiel. 
So z. B. hat meist die negative vasomotorische Welle (Hyperämie) 
eine positive sekretorische mit gesteigerter Sekretion zur Folge. Eins 
wird jedoch aus diesem bunten vielgestaltigen Bilde der Reaktionen 
klar, dass in ihnen die alleinige Erklärung für die vielfachen ner¬ 
vösen Begleiterscheinungen und Wirkungen der 
Massage zu suchen ist. Es ist ferner nicht zu leugnen, dass diese 
Reaktionen einerseits recht unangenehme Begleiterscheinungen abgeben, 
andererseits aber es uns auch ermöglichen, alle erregten und kranken 
Stellen im Körper zu erkennen. Beizeiten muss sich der Arzt daran 
gewöhnen, diese Aeusserungen der sensiblen sowie motorischen Sphäre 
im Auge zu behalten und die Abschwächung oder Steigerung des Druckes 
demgemäss zu regulieren, damit ihm der Wechsel und die Fülle der 
Erscheinungen nicht über den Kopf wachsen. 

Gemäss dieser Universalität der Erscheinungen gestaltet 
sich auch die Art unserer Unt ersuchung und Behandlung. 
Nach genauester Aufnahme der Anamnese und eingehendster Unter¬ 
suchung der inneren Organe einschliesslich des Nervensystems, gehen 
wir zur Feststellung der Nerven punkte über und zwar 
untersuchen wir nach dieser Richtung hin den ganzen Kör- 


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Die Bedeutung dor Nervenmansage~ für den praktischen Arzt. 


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per, gleichgültig, oh der Patient' über einen streng lokalisierten 
Schmerz in einem Trigeminusaste oder in einem Ischiadikus resp. in 
der Herz- oder Magengegend klagt. 

Durch diesen Modus der Untersuchung vermeiden wir das Lieber¬ 
sehen eines krankhaften Symptoms und hüten uns vor einer e i n- 
seitigen Lokalisation hei unserer Diagnose. Denn wie 
oft finden wir z. B. bei einer Ischias, die sich zunächst nur an einer 
Seite schmerzhaft geltend macht, bereits Nervenpunkte an der anderen, 
an der Schulter, ja sogar am Kopfe. Demnach bezeichnen wir auch 
die Erkrankung in vielen Fällen z. B. nicht als Ischias dextra, sondern 
sagen: ,,hier liegt eine allgemeine neuralgische Disposition (Nerven- 
punkterkrankung) mit spezieller Lokalisation des derzeitigen Schmerzes 
im Gebiete des rechten Ischiadikus vor“. 

Nach dieser Festlegung der NeiVenpunkte und E i n z e i c h- 
nung in ein besonderes S c h e m a ' beginnen wir sodann mit der 
.Massage, die in einer reibenden, drückenden, vibrie- 
r e n d e n , oft stärker und schwächer werdenden, an- und abschwellen¬ 
den Bewegung, meist der Mittelfinger, besteht. Die ganze T e c h- 
nik der Nervenmassage ist eine ziemlich schwierige; es ge¬ 
hört eine grosse Ausdauer und eine mehrmonatliche Uebung dazu, 
um die Nervenpunkte erkennen, feststellen und behandeln zu können. 

Der Verlauf einer Massagekur gestaltet sich nun gemäss 
den oben geschilderten vielfachen Reaktionsmöglichkeiten ebenfalls 
recht wechselreich. In der ersten Zeit tritt oft ein Anschwellen 
des Schmerzes auf, der sich auch in einem Hervorschiessen neuer Nerven¬ 
punkte kundgibt. Sehr bald jedoch, oft schon nach der 8.—10. Massage 
tritt ein Nachlassen der Symptome ein, die Patienten glauben sich 
bereits geheilt und wollen die Kur vielfach aufgeben. Aus dieser 
Besserung dürfen wir jedoch noch nicht auf eine D a u e r h e i- 
lung sehliessen, denn sehr bald kommen die Rückschläge. Es treten 
wieder neue Reizerscheinungen auf, wobei alles das zutrifft, was wir 
vorher als Reaktionen bezeichnet haben. Die Patienten merken sehr 
bald, dass die Besserung nur eine trügerische war und daher 
ist es Pflicht des Arztes, den Enthusiasmus derselben zur rechten Zeit 
einzudämmen, damit die Enttäuschung nicht um so schwerere psy¬ 
chische Schädigungen anriehte. Treten nun diese Reaktionen auf, so 
muss der Arzt wiederum ausserordentlich Obacht geben, damit ihm 
dieselben nicht über den Kopf wachsen; er muss sie zu taxieren verstehen, 
danach die Anzahl der Sitzungen richten und den Fingerdruck je nach¬ 
dem leichter oder stärker gestalten. 

Die durch die Reaktionen bedingten Klagen und S y m- 
p t o m e sind ausserordentlich vielgestaltig und individuell ganz ver¬ 
schieden. Bald klagen die Patienten über Müdigkeit, grosses Schlaf¬ 
bedürfnis, bald über Schlaflosigkeit. Bald ist es ein lästiges Kälte-, 
bald ein Hitzegefühl, welches Beschwerden macht. Oft stellen sich 
Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen, Magenkrämpfe ein, oft ist 
es die Haut, die in Form einer Urticaria oder eines Herpes der Nerven¬ 
massage ihren Tribut zollen muss. Kurzum, das ganze Bild der zentri¬ 
petalen resp. zentrifugalen Reaktionserscheinungen, die oben ein¬ 
gehend geschildert wurden. 

Demnach ist es klar, dass der Arzt, der die Lehre von den Reaktionen 
kennt, auch bei einseitig lokalisiertem Sitze der Be¬ 
schwerden bei jeder Sitzung den ganzen Körper mas- 


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Referate und Besprechungen. 


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sieren muss. Denn werden einzelne Punkte übersehen, vergisst man 
es, sie zu beruhigen, so stauen sieb an ihnen die Reizwellen, sie machen 
sich durch gesteigerte Schmerzempfindung besonders bemerkbar, sie 
fangen, wie Cornelius sagt, ,,nach Massage zu schreien an“. 

Was nun die Dauer der Behandlung anbetrifft, so ge¬ 
nügen im Durchschnitt 30—40 Massagen, um die Symptome 
zum Abklingen zu bringen. Es lässt sich darüber jedoch keine Norm 
aufstellen, da sich der Erfolg nach' dem Alter und der Widerstands¬ 
fähigkeit des Individuums richtet. 

Mit dem Prädikate Heilung sind wir besonders v o r s i c h- 
t i g und schränken uns in dieser Beziehung viel mehr ein, wie es bisher 
geschah. Denn wir erklären einen Patienten niemals, selbst beim voll¬ 
kommenen Aufhören seiner subjektiven Beschwerden, für geheilt, 
wenn er noch Nervenpunkte aufweist, mögen dieselben auch im Augen¬ 
blick beruhigt sein. — Es kann bei solchen Patienten immer wieder 
derFall eintreten, dass diese Punkte nach einiger Zeit wieder zu schmerzen 
anfangen und dass sich neue Reizwellen an ihnen stauen. Teilweise 
haben sich auch die Patienten an die Massage gewöhnt und verlangen 
nach der Beruhigung jener Punkte. Cornelius nannte diese Reak¬ 
tionen, gemäss dem eben Gesagten, auch „Hungerwellen“. Es gelingt 
nun vielfach schon nach wenigen Sitzungen, diese neu erregten Punkte 
zn beruhigen, wobei als Regel gilt, nicht so häufig wie bei der ersten 
Kur, vielleicht nur ein- bis zweimal wöchentlich zu massieren. Nun 
kommen selbstredend bei der Nervenmassage auch Misserfolge 
vor und zwar treten dieselben ein, wenn der betreffende Arzt die 
Technik nicht richtig beherrscht, die Punkte nicht fühlt, und an der 
falschen Stelle trifft, wenn die Punkte so tief liegen, dass sie dem mas¬ 
sierenden Finger nicht erreichbar sind, wenn die Reaktionen zu rasch 
aufeinander folgen und der Arzt die Herrschaft über sie verliert, wenn 
die Erregbarkeit des Nervensystems von vornherein bereits eine so 
gesteigerte ist, dass nicht einmal der Reiz der leichtesten Massage ver¬ 
tragen wird, endlich wenn der Arzt zu optimistisch ist und den Patienten 
bereits in der Periode der ersten trügerischen Besserung aus der Be¬ 
handlung entlässt, resp. wenn der Patient dieselbe aus eigenem Antriebe 
zu frühzeitig aufgibt. (Schluss folgt.) 


Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Küss,' Tuberkulintherapie. (La Tribüne medicale, 45. Jahrg , Nr. 6., S. 235 
bis 241. 1911.) 

Die in der Praxis stehenden Ärzte können sich häufig der Anwendung 
des Tuberkulins nicht entziehen. Für sie sind die Thesen gewiß von Inter¬ 
esse, welche der erfahrene Küss aufgestellt. 

1. Man darf nur kräftige Patienten der Kur unterwerfen, welche eine 
Reaktion auszuhalten imstande sind. Bei den anderen muß eine Präparierung 
hierfür, bestehend in Ruhe und Überernährung, vorher eingeleitet werden. 

2. Die Tuberkulinkur muß lange Zeit fortgesetzt werden; denn die 
Vernarbung, welche das Tuberkulin herbeiführt, entwickelt sich nur sehr 
langsam. 

3. Man muß die Kur aufs schonendste vornehmen und jede heftige 



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Referate und Besprechungen. 


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oder langdauernde Reaktion vermeiden. Je schwerer die Erkrankung, um 
so geringere Dosen dürfen in Anwendung kommen. Bei robusten Patienten 
beginne man mit ‘/so bis ‘/in mg Tuberkulin, bei zarteren Konstitutionen 
mit Vmi bis Vxoo mg; bei Patienten mit labilen Temperaturen mit 7soo mg, 
bei subfebrilen mit noch weniger, etwa mit Viaoo mg. 

4. Mehr als 2 Injektionen pro Woche soll man nicht machen. Je 
größer die Dosen, um 60 größer müssen die Intervalle werden. 

5. Von Zeit zu Zeit empfiehlt es sich, eine Pause von mehreren Mona¬ 
ten einzuschieben. 

Bei der Lektüre dieser Leitsätze vermutet man unwillkürlich eine Über¬ 
schrift des Aufsatzes etwa in dieser Fassung: Wie schützt man den Patienten 
am besten vor der Tuberkulin-Therapie? Buttersack-Berlin. 

Camisa, Bakteriologische Untersuchung des Blutes der Chorea minor-Kranken. 
(Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 57, H. 2.) 

Verfasser konnte aus dem Blute von an Chorea minor leidenden Men¬ 
schen in 6 Fällen unter 9 aus dem Venenblut einen Diplostreptokokkus 
isolieren, der konstante morphologische und kulturelle Charaktere aufweist. 
Auf der Höhe der Krankheit wird dieser Keim durch das Blutserum der 
Kranken in höherem Maße agglutiniert, als die gewöhnlichen Eiterstrepto¬ 
kokken. In der Rekonvaleszenz schwindet das Agglutinationsvermögen des 
Serums bald. 

Die Agglutination erwies sich jedoch als nicht spezifisch, da sie auch 
mit dem Serum Typhuskranker vorkommt. — Tierversuche ergeben eia 
negatives Resultat. Schürmann. 

Kirstein, (Stettin), Erfahrungen mit meiner Methode des Nachweises von 
Typhusbazillen ln Blutkuchen nach Verdauung derselben in trypsinhaltiger Rinder- 
galle. (Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 59, H. 4.) 

Verf. fordert in allen typhusverdächtigen Fällen während der ersten vier 
Krankheitswochen eine Untersuchung des Blutes resp. Blutkuchens mittels 
Vorkultur in trypsinhaltiger Rindergalle auf Typhusbazillen. Es ist not¬ 
wendig, möglichst große Blutmengen zur Untersuchung einzusenden. Auf 
jeden Fall gelingt sicher und leicht der Nachweis von Typhuserregern aus 
dem Blutkuchen mittels der Methode der Verdauung in trypsinhaltiger Rin¬ 
dergalle. Schürmann. 

Schlagenhaufer, (Wien), Über Pyocyaneusinfektlonen nach Lumbalanästhesie. 
(Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 59. H. 4.) 

Verfasser führt Fälle an, aus denen ersichtlich wird, daß der Bazillus 
Pyocyaneus durchaus nicht so harmlos ist, wie meistens geschildert wird. 
Es ist notwendig, daß die Chirurgen ihre Aufmerksamkeit auf den Baz. 
pyoc. hinlenken. Die Fälle sind im Anschluß an eine Lumbalanästhesie er¬ 
krankt. Man fand schließlich, daß die zur Verdünnung des Anästhesierungs¬ 
mittels verwendete NaCl-Lösung den Baz. Pyocyaneus enthielt. 

Schürmann. 

Loghem, (Amsterdam). Varietäten des Typhusbazillus und variierende Typhus¬ 
stämme. (Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 57, H. 5.) 

Zurückweisung der Behauptung von A. Fischer, daß die Typhusbazillen 
durch ihre Anforderung an die Stickstoffquelle scharf von den Kolibazillen 
getrennt werden können. 

Schürmann. 


Innere Medizin. 

Hutinel (Paris), Mediastinitis. (Bullet, medical, Nr. 65 u. 67, 1911.) 

Eine Hauptaufgabe der Anatomie-Studierenden ist es, die einzel¬ 
nen Organe hübsch säuberlich herauszupräparieren oder — mit an¬ 
dern Worten — das umgebende Bindegewebe wegzunehmen. Diese Aufgabe 
hat gewiß ihre Berechtigung. Unwillkürlich wird dadurch jedoch die Vor¬ 
stellung geweckt, als ob das Bindegewebe etwas Nebensächliches, eine 
quantite negligeable sei, und diese, der Ärztew’elt anerzogene Vorstellung 
ist falsch. In der Vorstellung der überwiegenden Mehrzahl stellt der tierische 


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Referate und Besprechungen. 


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Körper ein kunstvolles Mosaik dar, in welchem -- etwa wie in Demonstrations¬ 
modellen — die einzelnen Organe aufs genaueste verpaßt nebeneinander 
liegen. Aber daß die Organe nicht bloß räumlich nebeneinander liegen, 
sondern auch organisch untereinander verbunden sind, daß sie zusammenge¬ 
hören, diese Erkenntnis wird durch jene Methode des anatomischen Prä- 
narierens nicht geweckt. Man braucht den Gedanken nur anzudeuten, um 
weite Perspektiven in neue physiologische und pathologische Gebiete zu 
eröffnen. 

Von welch zentraler Bedeutung das geringgeschätzte Bindegewebe sein 
kann, zeigte der erfahrene Lehrer H u t i n e 1 vom Höpital des Enfants- 
Malades seinen Zuhörern in zwei Vorlesungen über die Entzündungen des 
mediastinalen Bindegewebs, qui n’occupent pas dans nos livres la place dont 
dies sont dignes. Im Gegensatz zu den Anatomen teilt er das Mediastinum 
in einen oberen und einen unteren Abschnitt, ist sich aber Mabei wohl be¬ 
wußt, daß in Wirklichkeit keine scharfen Grenzen, sondern zahlreiche Über¬ 
gänge bestehen. Auch bei rudimentären anatomischen Kenntnissen kann 
jeder leicht die klinischen Symptome ableiten, welche seitens der in das 
erkrankte mediastinale Bindegewebe eingebetteten Organe auftreten. Bei 
Mediastinitis superior: Dyspnoe, Stridor, Husten mit schleimigem Auswurf, 
Kongestion des Gesichts, Halses, der Arme, erweiterte Venen an der oberen 
Rumpfhälfte. Bei mediastinitis inferior: vornehmlich Störungen im Gebiet 
der Vena cava inferior, Leberschwellung, kalte Füße, Ödeme der Beine, 
Aszites, Albuminurie, Tachykardie, pleuritische und perikarditische Reizungen 
usw. Aber so einfach das alles zu sein scheint, in der Praxis ist die Diagnose 
schwierig, nicht bloß deshalb, weil man sich zumeist mit der Annahme von 
Bronchialdrüsenschwellung, Aortenaneurysma, vergrößerter Thymus zufrie¬ 
den gibt, sondern hauptsächlich deshalb, weil die entzündlichen Verände¬ 
rungen bald an dieser, bald an jener Stelle stärker sind und demgemäß 
klinisch verschiedene Bilder liefern. Ausschlaggebend ist, namentlich bei 
länger bestehenden Fällen, das Röntgenbild, welches diffuse, nicht auf ein 
bestimmtes Organ zu beziehende Schatten erkennen läßt. 

Die zunächst unklaren, bedrohlich erscheinenden Erkrankungen können 
in günstigen Fällen verhältnismäßig bald zurückgehen und scheinbar ad 
integrum führen. Auf der anderen Seite aber stehen die Fälle, in welchen 
aus der akuten Infiltration sich sklerotische, narbige Veränderungen ent¬ 
wickeln; diese bedingen dann eine Einschnürung, Beeinträchtigung mehr oder 
weniger zahlreicher Organe, eine periviscerite des Organes sus-et sousdia- 
phragmatiques und schließlich den Exitus. Man begreift sofort, wie unge¬ 
nügend in solchen Fällen Organdiagnosen: wie Perikarditis, Leberzirrhose 
und dgl. sind; das sind Bruchstücke, welche das pathologische Gesamtbild 
keineswegs an der Wurzel fassen. 

Wie entstehen nun solche Mediastinitiden? Hutinel ist geneigt, der 
Tuberkulose und der Lues bezw. ihrer Kombination einen großen Teil von 
Erkrankungen zuzuschreiben. Aber daneben kommen gewiß auch andere 
pathogene Keime in Betracht, sei es, daß sie von dem lymphatischen Ge¬ 
webe des Nasen-Rachenraumes oder vom Darm aus eingedrungen sind; 
„En sonime, le mediastin constitue un carrefour oü se pressent de tres 
nombreux Organes et oü se donnent rendez-vous les agents morbides les plus 
varies.“ 

Die Therapie ist noch ziemlich machtlos, abgesehen von Hg und chirur¬ 
gischer Lösung allzufataler Einschnürungen. Da bleibt der Zukunft so ziem¬ 
lich alles zu tun übrig. Aber für uns Heutige ist es schon als erheblicher 
Fortschritt zu begrüßen, wenn wir uns gewöhnen, nicht bloß die einzelnen 
Organe zu bewerten, sondern auch das, was zwischen ihnen liegt. 

Buttersack-Berlin. 

R£non, Louis (A. Poncet et R. Leriche), Der TuberkelbaziUus und die 
Drüsen mit innerer Sekretion. (La Tribüne medicale, 45. Jahrg., Nr. 7., 1911.) 

Das vorliegende Heft der Tribüne medicale bringt zwei Aufsätze von 
namhaften französischen Klinikern, welche dartun wollen, wie der Kochsche 



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Referate und Besprechungen. 


143 


Bazillus die Schild- und Zirbeldrüse, Nebennieren, Pankreas, Eierstöcke, 
Testikel beeinflußt und dadurch das ganze Gefüge des Organismus erschüttert. 
Daß man nicht früher auf diese Idee gekommen ist, liegt daran, daß der 
Tuberkelbazillus — sozusagen perfider Weise — an den genannten Organen 
sich gar nicht in seiner typischen pathologisch-anatomischen Form zu er¬ 
kennen gibt, sondern pich hinter scheinbar ganz banalen fibrös-sklerotischen 
Prozessen versteckt. Erst die Sero-Diagnostik hat ihn da aufgespürt. Zwar 
weiß man über die innere Sekretion verhältnismäßig wenig. Aber Poncet 
und L e r i c h e stehen nicht an, die verschiedenartigsten Symptome, wie 
Zirkulationsstörungen, Blutdruckerniedrigung, Tachykardie, Schwindel, Ohn¬ 
mächten, Kopfweh, Migräne, Ödeme, Gelenksteifigkeiten, Diabetes, atonische 
Zustände aller Art, Ichthyosis, Haarausfall, Mattigkeit und Apathie, Pig- 
mentation der Haut, Infantilismus, Menstruationsstörungen, Aborte, unge¬ 
nügende Milchabsonderung, allgemeine Schwächlichkeit des Skeletts, der Mus¬ 
kulatur und des Geistes beim männlichen Geschlecht auf Störungen der 
inneren Sekretion zurückzuführen. Und da sie nicht imstande sind, die 
einzelnen Symptome auf bestimmte Organe zu beziehen, so entziehen sie 
sich unangenehmen Ausfragern durch den Hinweis auf den pluriglandulären 
Charakter dieser neuen Tuberkelbazillenaffektion. 

K e n o n hat diesem Gedanken aufgegriffen und empfiehlt demgemäß 
Versuche mit der Opotherapie der genannten Drüsen, hauptsächlich l’opothera- 
pie associee permettant souvent une action multiple directe ou indirecte. — 
Vor einigen Jahren machte jemand den heiteren Vorschlag, man solle in 
ätiologisch dunklen Krankheitsfällen einen Hammel pulverisieren und davon 
den Patienten einnehmen lassen; der kranke Organismus werde dann schon 
die ihm fehlende oder zusagende Substanz herausfinden. Man sieht leicht, 
wie dieser Witz im Zuge des Renonsehen Gedankenganges liegt. 

Die zu Grunde liegende Idee ist sicherlich beherzigenswert; aber sie 
bedarf erst noch langer Durcharbeitung, ehe man sie der Allgemeinheit 
präsentieren darf. In ihrem heutigen Stadium dient sie mehr dazu, die Ge¬ 
müter zu verwirren, als sie aufzuklären. Buttersack-Berlin. 

Zur Therapie der Gicht. „Tollere nodosam nescit medieina podagram 
Nec formidatis auxiliatur aquis“. So klagte einst Ovid in seinen Eleg. de 
ponto, und so schien es. . . werde es ewig bleiben. Heute sind wir in der an¬ 
genehmen Lage, gleich über zwei Heilmittel der Gicht berichten zu können. 

H. Stern (New York) empfiehlt Schutzpocken-Impfung als schmerzlin¬ 
derndes Mittel bei gichtischen, rheumatischen, neuralgischen, neuritischen 
und angiosklerotischen Zufällen, also bei chronischen bezw. subakuten Leiden 
aller Art. Die Impfung lindere den Schmerz auch dann, wenn andere Thera¬ 
pien versagt hatten. Wie lange die Linderung anhält, ist allerdings nicht 
vorauszusagen. Mitunter scheint auch der pathologische Prozeß an sich — 
z. B. eine Phlebitis — günstig beeinflußt zu werden. Man impfe multipel 
möglichst nahe der sedes morbi. (Ztschr. f. physikal. u. diätet. Therapie, 
XV. Band, S. 679—681. 1911.) 

Wesentlich anders geht Falkenstein (Groß-Lichterfelde) vor. Er 
injiziert subkutan 2 com einer 1 o/„ fein geschlemmten Harnsäure-Aufschwem¬ 
mung (mit Zusatz von Cocain mur. 0,0075 und Adrenal. mur. 0,00005) 
und zwar 2 bis 4 mal in der Nähe des schmerzenden Gichtgelenks. Die 
Mischung ist in Ampullen unter dem Namen „Urosemin“ (Firma Hugo 
Rosenberg, Charlottenburg) im Handel. Die Injektionen seien zunächst nicht 
schmerzhaft, die Mitte w r erde weiß, die Umgebung schwelle in Handteller¬ 
große rot an. Nach 5—7 Stunden setze starkes Jucken ein, welches sich 
bis zum Schmerz steigern könne; gleichzeitig lasse der Gichtanfall nach. 
Nebenwirkungen habe er nicht beobachtet. Bei manchen Patienten genügen 
die erstmaligen Einspritzungen, bei anderen seien mehrfache Wiederholungen 
erforderlich. Aber selbst nach Beseitigung der Gichtschmerzen empfehle es 
sich, von Zeit zu Zeit je 2 Einspritzungen; ä 2 g in der Nähe der befallen ge¬ 
wesenen Gelenke folgen zu lassen. (Medizinische Klinik Nr. 45. 1911.) 

Buttersack-Berlin. 


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Referate und Besprechungen. 


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Friedmunn, G. A. (New-York), Die akute Magendilatation mit einem Versuche 
zur Aufklärung der Ätiologie. (Boas’-Archiv Bd. 17, 1911. Ergänzungsheft). 

Eine mechanische Ursache der akuten Magenparese hält Verfasser 
für unwahrscheinlich, eine zentrale Ursache dagegen für am wahrschein¬ 
lichsten, schon infolge der Ausfallserscheinungen seitens der verschiedenen 
Segmente des Darmtraktes, die als Organe mit glatter Muskulatur ihre 
motorischen Innervationsimpulse vom Zentrum im dorsalen Vaguskern er¬ 
halten können. Der Ösophagus ist an der Parese oder Paralyse des Magens 
nicht mitbeteiligt, da er nicht dieselben Impulse von diesem Zentrum erhält. 
Das Colon descendens, die Flexur und das Rektum sind ebenfalls nicht be¬ 
teiligt, da sie ihre Innervationsimpulse vom Plexus sacralis erhalten. Die 
Pulsbeschleunigung läßt sich mit der Lähmung eines herzhemmenden Zentrums 
erklären, die Abwesenheit von Schmerzen in schweren Fällen durch Läh¬ 
mung eines sensiblen Zentrums im dorsalen Vaguskern, die Respirationsbe¬ 
schwerden sowie das Fehlen von Erbrechen durch die Annahme der Läh¬ 
mung der segmentalen Atemzentren resp. Brechzentren. Für leichte Fälle 
der akuten Magenparese, die nicht letal enden, würde die Annahme anämischer 
Herde im Nucleus dorsalis vagi am Platze sein, während für schwere Fälle 
ein Degenerationsprozeß im Vaguskern und den segmentalen Zentren als 
Erklärung herangezogen werden kann. M. Kaufmann. 

Pewsner (Moskau), Ulcus duodeni; Symptomatologie und Therapie. (Boas’ 
Archiv, Bd 17, H. 5, 1911). 

Das Duodenalgeschwür kann ganz 'latent verlaufen und lediglich Anämie 
und Schwäche Vortäuschen; es kann zu ebenso plötzlich auftretenden wie 
verschwindenden Schmerzanfällen, zu „ulcero-duodenalen Krisen“ führen; 
oder es bewirkt 2—4 Stunden nach dem Essen auftretende Schmerzen im 
Oberbauch, die viel weniger wie die Schmerzen des Magenulkus von der 
Art des Gegessenen abhängen, und die durch Nahrungszufuhr gemildert wer¬ 
den, so daß man von Hungerschmerz spricht. Objektiv findet man meist, 
aber nicht immer, okkultes Blut in den Fäzes, ferner Druckschmerzpunkte, 
einen etwas über dem Nabel in der rechten Parasternallinie, einen hinten 
rechts am 1. Lendenwirbel. Die Magensekretion ist selten vermehrt, häufig 
vermindert. Therapeutisch ist in den Anfangsstadien, ehe man operiert, 
stets eine typische Ulkuskur mit Wismut zu versuchen; auch nach der Ab¬ 
heilung ist vorsichtige Ernährung und Kontrolle des Stuhls auf okkultes 
Blut nötig. M. Kaufmann. 

Gilbert und Chabroi, Die Milz als Ursache des Ikterus. (Paris mödical, 
Nr. 46, S. 429, 1911. — Compt. rend. de la Soc. de Biol. 14. Mai, 1911.) 

Die Frage des hämatogenen Ikterus ist immer noch umstritten. Die 
einen stellen ihn ganz in Abrede, andere erklären ihn durch eine primäre 
Zerbrechlichkeit der roten Blutkörperchen. Auf Grund von Versuchen mit 
Toluylen-Diamin werfen Gilbert und Chabroi ein neues Moment in 
die Debatte, nämlich dieses, daß die Zerbrechlichkeit der Erythrozyten durch 
übermäßige Produktion von Hämolysinen in der Milz bedingt sei. Der günstige 
Effekt von Milzexstirpationen in verzweifelten Fällen von chronischem Ikterus, 
wie z. B. der von Micheli in der Presse med. vom 6. September 1911, 
wird als Beweis für die neue Theorie angeführt. 

, Wer Lust hat, kann diesen Gedanken noch weiter ausbauen und wird 
dann noch mehr Organe und Gewebe ausfindig machen, von denen aus die 
Bildung der roten Blutkörperchen beeinflußt wird. Schade, daß wir über 
den letzten Punkt noch so wenig Sicheres wissen. Buttersack-Berlin. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Stephan (Königsberg), Über Epiphysenstörung am Schenkelhals und echte 
Sclienkelhalslrakturen im jugendlichen Alter. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. 
Bd. 109, S. 176.) 

Mitteilung von fünf im Krankenhaus der Barmherzigkeit in Königsberg 
behandelten Fälle mit Wiedergabe guter Röntgenbilder. Bei der epikritischen 



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Referate und Besprechungen. 


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Besprechung der Verletzungsform führt Verfasser an, daß die Verletzung im 
Gegensatz zu der früher geläufigen Anschauung keineswegs selten ist, daß das 
Leiden jedoch in den meisten Fällen verkannt und daher zumeist erst nach 
längerer Behandlung von seiten des Praktikers der Krankenhausbeobach¬ 
tung zugeht. Wenn auch zumeist ein markanter Symptomenkomplex: Be¬ 
wegungseinschränkung des Beines, • Außenrotation, Xdduktionsstellung, so¬ 
wie eine mäßige Flexionskontraktur — festgestellt wird, so verschuldet 
doch die auffällige Tatsache, daß die Beschädigten imstande sind umher¬ 
zugehen und sogar Arbeit zu verrichten, oft die Fehldiagnose. Die bei 
Jugendlichen starke Gelenkkapsel mit ihren widerstandsfähigen Verstärkungs- 
bändern läßt eben die Folgen des Bruches erst später deutlich hervortreten. 
Es ist zweifellos, daß manche veraltete Schenkelhalsfraktur früher ab 
gut ausgeheilte tuberkulöse Coxitis angesprochen worden ist; heute sichert 
das Röntgenbild die Diagnose. Die Therapie besteht in Streckverband mit 
permanenter Gewichtsextension (12—15 Pfund) auf die Dauer von 4—5 
Wochen nach exakter Reposition (ev. in Narkose). Frühzeitig sind Bewegungs- 
Übungen im Kniegelenk und vorsichtige Mobilisation der Hüfte vorzunehmen. 
Jede schwerere Belastung ist noch längere Zeit streng zu vermeiden. Bei 
Verheilung in schlechter Stellung kommt die subtrochantere, lineäre oder 
schräge Osteotomie in Frage. Fr. Kayser-Cöln. 

Matti, Hermann, Über die Genese der naeh Reposition eingeklemmter Her- 
nlen entstehenden Darmstenosen. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie, Bd. 110, S. 1. 

Bei einem 24 jähr. Mann stellten sich ungefähr 3 Wochen nach der 
Reposition einer rechtsseitigen indirekten Leistenhernie Koliken und Er¬ 
scheinungen von Darmstenose ein. Bei der etwa zwei Wochen später vorge¬ 
nommenen Laparotomie fand sich ungefähr 15 cm oberhalb der lleokoekal- 
klappe eine ringförmige Stenose eines an dieser Stelle mit einem Netzzipfel 
verklebten Dünndarmteils mit starker Auftreibung des oberhalb gelegenen 
Darmstücks. Resektion eines ca. 30 cm langen Darmstückes. Heilung. 
Die Darmwand bestand, wie die Untersuchung ergab, an der stenosierten 
Stelle aus hypertrophischer Muskularis und aus verdickter und sklerotischer 
Submukosa. Die Darmdrüsenschicht fehlte. Oberhalb der Stenose war 
eine hochgradige Arbeitshypertrophie nachweisbar. Eis handelte sich somit 
um eine primäre Schädigung der Mukosa und Submukosa, die zur Nekrose 
der Schleimhaut und der inneren Schichten der Submukosa geführt hatte. 
Sekundär und zwar infolge einer Infektion vom Darm aus bildete bich die 
eigentliche Bindegewebsneubildung. Dieser Vorgang ist nach Ansicht des 
Verfassers, welcher kritisch die in der Kasuistik vorliegenden Befunde ver¬ 
gleichend bespricht, typisch für die Entstehung der nach Brucheinklemmung 
eintretenden Darmstenose. Wir müssen nach Ansicht des Verfassers die 
Gruppe der sogenannten äußeren oder peritonealen Narbenstrikturen des 
Darms fallen lassen und grundsätzlich durch Nekrose der Mukosa und der 
innersten Schichten der Submukosa entstehende innere Narbenstenosen an¬ 
nehmen. 

Die Narbenstenosen nach Darmeinklemmung sind selten; die Kasuistik 
weist bisher nur 24 Fälle auf. Immerhin ist mit ihrem Vorkommen zu 
rechnen. Verfasser stellt daher die (praktisch wohl kaum durchführbare? 
Ref.) Forderung auf, in allen „Grenzfällen“, d. h. dann, wenn die Schnür- 
furchen des anscheinend noch lebensfähigen Darms sich deutlich verdünnt 
zeigen und verdünnt bleiben, die Resektion des Darms vorzunehmen, weil 
wir in all diesen Fällen mit einer sekundären Abstoßung der nekrotisieren¬ 
den Schleimhaut zu rechnen haben. Fr. Kayser-Cöln. 

Ritterhaus (Bochum), Freie Facienübcrpflanzung zur Deckung eines Bauch* 
wanddefekts und einer Darmfistel. (Deutsche Zeitschr. f. Chirug, Bd. 110, S. 609.). 

Bei einem 45 jährigen Bergmann, welcher eine Becken- und Darm¬ 
ruptur erlitten hatte, war im Anschluß an mehrfache Darmoperationen an 
der rechten Unterbauchgegend außer einer kleinen Darmfistel ein Bauch- 

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Referate und Besprechungen. 


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ivanddt fekt zurückgeblieben, welcher sich trotz ausgiebiger Mobilisierung 
und Yernähung der umliegenden Faszienmuskelschichten nur bis auf Hand¬ 
tellergroße schließen ließ. In diesen Defekt und somit über die Darmfistel 
gelagert wurde ein der Fascia lata des rechten Oberschenkels entnommener 
Faszienlappen durch Seidenknopfnähte befestigt; über dem transplantierten 
Lappen wurde die weithin mobilisierte Haut geschlossen. Die Faszie heilte 
m fieberfreiem glatten Wundverlauf in ganzer Ausdehnung derart, daß 
sich nach 8 Wochen der Defekt der Rauchwand durch eine straffe wider¬ 
standsfähige der Festigkeit der übrigen Bauchwand anscheinend nicht nach¬ 
stehende Platte geschlossen zeigte. 

Die Einheilung des Lappens in dem infizierten Wundgebiete ist ein 
glücklicher Zufall; abgesehen davon beweist die Beobachtung, wie auch 
die bis jetzt vorliegende umfangreiche Kasuistik, welche Verfasser kurz 
streift, daß die freie Faszientransplantation eine wertvolle Bereiche¬ 
rung unserer autoplastischen Methoden bedeutet. 

Fr. Kayser-Cöln. 

Spitzy, D. H. (Graz), Behandlung von Lähmungen mittels Nervenplastlk. 

(Allg. Wiener med. KJin.. 1911, Nr. 7—9.) 

Aus der eingehenden Arbeit, deren Details im Original nachgesehen 
werden müssen, sei hier nur hervorgehoben, daß Spitzy auf grund seiner 
Erfahrungen bei 30 Fällen die Nervenplastlk als ein ausgezeichnetes Mittel 
zur Behandlung von solchen Lähmungen empfiehlt, die anderweitig keine 
Heilung fanden. „Der Schwerpunkt in der Behandlung der schlaffen Läh¬ 
mungen liegt in der Frühoperation, für diese ist die zentral-partielle Opera¬ 
tion die Methode der Wahl; bei spastischen Lähmungen ist die Frühoperation 
besonders wirkungsvoll an der oberen Extremität, deren Bewegungsmechanis¬ 
mus sie nahezu normal zu gestalten vermag.“ Esch. 

Sidorenko-Petersburg kommt auf Grund ausgedehnter experi¬ 
menteller und klinischer Untersuchungen zu einem recht absprechenden Ur¬ 
teil über die Wirkung des Fibrolysins auf narbiges Gewebe. 
Die lymphagoge Wirkung des Fibrolysins ist nach S’s. Ansicht bisher nicht 
ein wandsfrei bewiesen; es kann nicht als ein spezifisches Leukozytose 
bewirkendes Mittel bezeichnet werden. Vor allem aber: an den histologi¬ 
schen Präparaten ist keinerlei Wirkung des Fibrolysins nachzuweisen. Die 
therapeutische Dosis des Mittels ist unschädlich und frei von unangenehmen 
Nebenerscheinungen. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. Nr. 110. S. 89.) 

Fr. Kayser-Cöln. 

Rosenbach, Eschker, Experimenteller Beitrag zur Pathogenese des UIcus- 
rotundum. (Archiv f. kiin. Chirurgie, Bd. 94, H. 3.) 

Nach kurzem Rückblick auf die momentane chirurgische Therapie des 
Magengeschwüres und die Versuche der experimentellen Erzeugung solcher 
beschreiben Verfasser ihre an Hunden vorgenommenen Versuche auf Grund 
der von Beneke angegebenen Methode, Adrenalin in die Magenwand ein- 
spiitzen. Fast bei allen Hunden konnten sie nach Einspritzung von 2 ccm 
Adrenalin in die Pylorusgegend Ulcera erzeugen, die bis markstückgroß 
waiun, jedoch nur bis auf die Muskularis, nicht in dieselbe hineingingen, 
[n einem Falle schien der Prozeß einen in die Tiefe fortschreitenden Charak¬ 
ter zu zeigen, und wurden hier schon leichte Veränderungen der Arterien 
mikroskopisch nachgewiesen, die sekundär entstanden, nunmehr den Grund 
für das chronische Ulcus abgeben. Vorschütz-Cöln. 

Gulcke (Straßburg), Experimentelle Untersuchungen über Tetanie. (Arch. 
f. klin. Chirurgie, Bd. 94, H. 3.) 

Verfasser will in seinen Versuchen an Hunden und Katzen nachweisen, 
daß zwischen Epithelkörperchen und Nebennieren eine gewisse Wechsel¬ 
wirkung besteht, indem die beiden Drüsen antagonistisch arbeiten. Zu diesem 
Zwecke exstirpierte er die Epithelkörperchen mit der Schilddrüse; es traten 
dann die typischen tetanischen Anfälle auf; wenn er nun die Nebennieren 


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Referate und Besprechungen. 


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entfernte, so traten bis zum Verenden der Tiere keine Zuckungen mehr 
auf; ließ er ein Stück Schilddrüse zurück, so war anfangs das Bild das 
gleiche, jedoch stellten sich die Anfälle nach 3, 69 und 10 Stunden 
wieder ein. wenn auch in geringerer Intensität. Die durch Epithelkörper¬ 
chenverlust entstandene manifeste Tetanie verschwindet, wenn Nebennieren 
Und Schilddrüse entfernt werden, bleibt jedoch bestehen, wenn eines der 
beiden Organe ganz oder Teile derselben zurückgeblieben sind. Somit würde 
auch ein Antagonismus zwischen Epithelkörperchen und Schilddrüse be¬ 
stehen. Vorschütz-Cöln. 

Cahn (Berlin), Benigne Epithelheterotopie als Ursache eines Mastdaruitumors. 
(Arch. f. klin. Chirurgie, Bd. 94. H. 3.) 

Kasuistischer Beitrag an der Iland eines Falles von gutartiger hetero- 
topischer Epithelwucherung auf entzündlicher Basis entstanden; der Tumor 
saß im Rektum und wurde durch Resektion entfernt; Übergang in Karzinom 
ist zweifelhaft. Es werden zum Schluß die Unterschiede zwischen Karzinom 
und gutartigem Tumor aufgezählt. Vorschütz-Cöln. 

Schoemaker (Haag), Über die Technik ausgedehnter Magenresektionen. 
(Arch. f. klin. Chirurgie, Bd. 94. H 3.) 

Verfasser will in allen Fällen von Magenresektion, auch wenn der 
Magen bis zur Kardia entfernt werden soll, die Methode Billroth 1. aller¬ 
dings etwas modifiziert, wieder in empfehlende Erinnerung bringen. Muß 
der Magen soweit entfernt werden, daß nur noch ein dünner Schlauch 
übrig bleiben kann und kein Platz für das Anlegen von Darmklemmen 
vorhanden ist, dann geht er so vor, daß er stets einen Scherenschlag macht 
und sofort wieder die Öffnung vernäht, sukzessive so fortfahrend bis der 
Magen durchtrennt ist; die starke Anspannung hindert das Austreten von 
Flüssigkeit; die Art. coron. sup. und inf. wurden an entsprechender Stelle 
unterbunden und Oment. majus und minus reseziert; zur Mobilisierung und 
Annäherung des Duodenums läßt er bis zur angelegten Serosanaht zwischen 
Magen und Duodenum den Magentumor in toto' mit dem Duodenum verbun¬ 
den, um dann eine bessere Handhabe zu gewinnen. Alsdann erst wird der 
Magen abgetrennt Eine Spannung ist nie eingetreten. Das Verfahren 
hat er dreimal mit Erfolg angewandt. Vorschütz-Cöln. 

Sasse. (Frankfurt), Zur Behandlung der akut eitrigen Appendizitis. (Archiv 
f. klin. Chirurgie, Bd. 94, H. 3.) 

Verfasser hat bei seinen 217 operierten Fällen vorr Appendizitis 2,41 o,o 
Sterblichkeit Gegenüber anderen maßgebenden Autoren, wie Rehn, 
Kümmel, Rotter, Sprengel hat er weit günstigere Resultate erzielt. Er 
schiebt diese Erfolge zurück, einmal auf die möglichst frühzeitig ausgeführte 
Operation, nach dem Standpunkte, die Appendizitis in jedem Stadium 
zu operieren, 2. darauf, daß er die Quelle der Infektion verstopft, den 
Appendix stets entfernt, damit kein Nachschub von Infektionsmaterial ent¬ 
steht und 3. dafür sorgt, daß die Bauchhöhle trocken ausgetupft wird. 
Sich stützend auf die Experimente, daß in der Bauchhöhle angesammelte 
Flüssigkeit den Bakterien nur als Nährboden dient, wird das Peritoneum 
bis zur völligen Trockenheit unter lokaler Besichtigung mit Gazetupfer ausge¬ 
trocknet. Ist das Peritoneum noch nicht allzusehr geschädigt, bildet es 
gleichsam noch keine eitersezernierende Granulationsfläche, wie Grawitz sich 
ausdrückt, so ist es imstande, mit der Infektion fertig zu werden und die 
Bauchhöhle wird wieder geschlossen. Gegen das Spülen der Bauchhöhle 
wendet er sich schon deshalb, weil die Spülflüssigkeit sich schließlich an 
einer tiefen Stelle ansammeln kann und als Nährboden dient. Einen Tampon 
bei breit geöffneter Bauchhöhle legt er in den Fällen mit vorgeschrittener 
Peritonitis ein, der unter Umständen täglich unter genauer Kontrolle durch 
das Auge gewechselt wird. Bei der diffusen Peritonitis wird im Anschluß 
an die Operation der Magen ausgespült und statt der subkutanen Kochsalz¬ 
infusion werden Kochsalzweinklistiere gegeben; um möglichst wenig GhCl, 
und Äther zu gebrauchen, gibt er vorher Scopomorphin. 

Vorschütz-Cöln. 

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Referate und Besprechungen. 


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Zupplnger (Zürich), Beitrag zur Mechanik der Luxation der einachsigen 
(jelenke. (Arcli. f. klin. Chirurgie, Bd. 94, H. 3.) 

\ erfasser beschreibt das Zustandekommen der Luxationen einachsiger 
Gelenke unter Zuhilfenahme der physikalischen wirksamen Momente, welche 
durch die Ansätze der Bänder und der Muskulatur bedingt sind. Die Arbeit 
ist wegen der breiteren ausführlichen Theorie besser im Original nach¬ 
zulesen. Vorschütz-Cöln. 

Brüning (Rastatt), Vergleichende Desinfektionsversuche mit Jodtinktur und 
Alkohol. (Arch. f. klin. Chirurgie. Bd. 94, H. 3,) 

Die auf dem letzten Chirurgenkongreß lebhaft diskutierte Frage der 
Desinfektionskiaft einzelner Mittel, die entschieden zugunsten der Jodtinktur 
ausgefallen ist, sowie die dieser Anschauung entgegentretende Meinung Kut¬ 
schers veranlaßten Verfasser, parallele Versuche mit Jodtinktur und Alko¬ 
hol an der Haut des Menschen anzustellen. Er kommt zu dem sicheren 
Resultate, daß die Desinfektionskraft der Jodtinktur der des Alkohols be¬ 
deutend überlegen ist und führt Kutschers entgegengesetzte Resultate auf 
fehlerhafte Versuchsanordnung zurück. Vorschütz-Cöln. 

v. Haberer, (Wien), Ule gestielte Nebennierentransplantation und ihre End¬ 
resultate. (Arch. f. klin. Chirurgie, Bd. 94, H. 3.) 

Kurz zurückgreifend auf seine diesem Gebiete angehörigen früheren Ar¬ 
beiten will Verfasser nunmehr nach Tötung der Tiere nachweisen, die teil¬ 
weise über 2—3 Jahre gelebt hatten, nachdem ihnen an einem Nebennieren¬ 
stiel die Nebenniere in die Nieren eingepflanzt war, daß auf diese Weise 
die Nebenniere mit voller Funktion überpflanzt werden kann und daß eine 
einzige Nebenniere zum Leben vollständig ausreicht. Die Frage, die Ver¬ 
fasser ebenfalls lösen wollte, ob es durch Implantation von Nebennieren 
zu den sogenannten Grawitzschen Tumoren in der Niere komme, fiel in 
sämtlichen Versuchen negativ aus, aber es zeigte sich ein völliger Neu- 
und Umbau der Nebennieren im mikroskopischen Bilde; in der Rinde wiegt 
die Bildung von Adenomen vor, in der Marksubstanz besteht eine unregel¬ 
mäßige über die ganze Fläche verstreute Anordnung, die Nebenniere ist 
vollständig umgewandelt, jedoch ist eine Tumorbildung nicht eingetreten. 
Die in einigen Fällen eingetretene Degeneration der Marksubstanz hat deai 
Tod des Tieres an Nebenniereninsuffizienz zur Folge und wird gegenüber 
der kräftig eingeheilten Rindensubstanz dadurch erklärt, daß dieselbe eine 
viel subtilere und schwerer zu verpflanzende Substanz ist. Die Aussichten, 
Nebennieren am Stiel bei Morbus-Adissonii zu verpflanzen auf heteroplasti¬ 
schem Wege sind bei der momentanen Technik und der Kleinheit der 
Gefäße noch aussichtslos. Vorschütz-Cöln. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

James, A. (Harrar), Puerperal Infection, its clinical Varietles and Treatment. 
(Bullet, of the Lying-in Hosp. Newyork, März 1911.) 

In das Newyorker Lying in Hospital werden viel fiebernde Wöchnerinnen 
eingeliefert, so daß Il.’s Anschauungen auf einem Material von nicht weniger 
als 825 Fällen beruhen und schon deshalb sehr beachtlich sind; noch mehr 
werden sie es durch ihre Klarheit und Einfachheit, weshalb sie ausführlicher 
als sonst üblich wiedergegeben sein sollen. An die Diagnosestellung 
soll der Kliniker mit dem Bakteriologen Zusammengehen; in vielen Fällen 
sichert der bakteriologische Befund vor der Vornahme gefährlicher Enchei- 
resen, und gestattet oft, nicht immer, eine einigermaßen sichere Prognose¬ 
stellung. — In Praxi verfährt II. folgendermaßen: Tritt Fieber- nach 
der Geburt ein, wird zunächst per exclusionem festgestellt, ob Puerperal¬ 
fieber vorliegt oder nicht. Ist ersteres der Fall, so wird nach Entleerung 
von Blase und Rektum Damm und Vulva inspiziert, das Abdomen abge- 



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Referate lind Besprechungen. 


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tastet. Wenn neben dem Fieber auch der Puls hoch ist, werden 
Kulturen aus dem Zervix- und Uterussekret angelegt, gleich, ob die 
Lochien stinken oder nicht. Dabei werden Vagina und Zervix inspiziert. 
Klafft letztere, so deutet dies auf Retention von Eihäuten oder Plazentar¬ 
resten hin. Ist der Puls dagegen im Verhältnis zum Fieber niedrig, 
wird weder eine vaginale Inspektion gemacht, noch werden Kulturen an¬ 
gelegt. Nach diesen vorläufigen Maßnahmen wird das Kopf¬ 
ende des Bettes erhöht, und es wird eine Eisblase auf den 
Unterleib gelegt, um so besseren Abfluß, Minderung der Schmerzen 
und eine Anregung des Uterus zu Kontraktionen zu erzielen. Ist am anderen 
Tag die Temperatur zur Norm zurückgekehrt, ist alles gut. Wenn nicht, so 
gibt nunmehr die inzwischen gewachsene Kultur die Indikationen 
des w eiteren Verhaltens an. — Bei Vorhandensein von Gono¬ 
kokken im Vaginal- bezw. Zervixsekret unterscheidet H. zwei Typen 
des Verlaufs. Bei dem ersten häufigeren Typus beginnt bereits 
sub partu das Fieber und hält 6—7 Tage an; früh ist die Temperatur 
normal, abends steigt sie auf 38,5—40°. Die Lochien riechen fötid, der 
Puls beträgt 80—100, das klinische Bild ist das der bakteriellen Toxämie. 
In etwa 12 <Vo dieser Fälle kommt es zur Entwicklung eine« intraperitonealen 
Beckenabszesses, unter Mithilfe von Streptokokken. Dann ist eine 
hintere Kolpotomie mit Drainage indiziert. Selten kommt es dagegen noch 
während des Wochenbettes zu einer Salpingitis. Diese entwickelt sich bei 
diesem Typus, wenn überhaupt, erst nach Wochen oder Monaten. Bei dem 
zweiten seltneren Typus von Gonorrhöe tritt das Fieber erst 
am Ende der ersten Woche, zwischen dem 5. und 7. Tage auf, 
meist plötzlich, gleich mit 39 p und mehr, dabei Schmerzen im Unter¬ 
leib. In diesen Fällen entwickelt sich meist sogleich eine Adnex affek- 
tion. II. ist der Meinung, daß in diesen Fällen die Gonokokken bereit« 
vor der Schwangerschaft tiefer in die Gewebe eingedrungen, dort latent 
liegen geblieben sind, und nun erst durch die puerperalen Involutions¬ 
vorgänge angeregt, ihr Werk beginnen. In 20 (i o dieser Fälle geht die 
Infektion über den Uterus hinaus, es kam sogar einmal zu Gelenkaffektionen. 
Die Therapie soll in beiden Gruppen gonorrhoischer Er¬ 
krankung durchaus konservativ sein, nicht einmal Scheidenaus¬ 
spülungen waren ungefährlich; intrauterine Spülungen oder gar Aus¬ 
schabungen waren vom größten Übel. Einzig und allein Sorge für guten 
Stuhlgang, Erhöhung des Kopfendes des Bettes, und die 
Eisblase auf den Leib, so lange Schmerzen vorhanden sind. Die 
gonorrhoische Erkrankung im Wochenbett ist ernst durch die entzünd¬ 
lichen Folgezustände, die von sehr langer Dauer zu sein pflegen und des 
öfteren später operative Eingriffe verlangen. Momentan tödlich sind sie 
fast nie. — Das Bakterium koli ruft eine schwere Toxämie 
hervor. Das Fieber beginnt zwischen dem 2. und 5. Tage, ist gleich 
sehr hoch und des öfteren treten ein oder zwei Schüttelfröste ein. Die 
Lochien stinken. In diesen Fällen wirken intrauterine Ausspü¬ 
lungen ausgezeichnet. — Diese sind wiederum streng kontraindiziert bei 
Streptokokkeninfektionen aller Art, wie das H. an 37 Fällen reiner 
Streptokokkentoxämie ausprobiert hat. Sie bewirkten da, ebenso wie die bei 
uns längst perhorreszierten Ausschabungen, böse Verschlimmerungen, wie 
Beckenexsudate, Peritonitis, Bakteriämie, übrigens fand H., daß in reinen 
Streptokokkentoxämien ohne Komplikationen meist keine Schüttelfröste ein- 
treten; das Fieber beginnt vor dem 5. Tage, der Puls ist sehr hoch, 
die Lochien riechen nicht, es sei denn, daß es sich um Mischinfektionen 
handelt oder um gleichzeitige Retention von faulenden Eihaut- oder I'lazen- 
tarresten. Die Behandlung soll, sofern keine- lokalen Komplikationen 
bestehen, ebenfalls lediglich in Erhöhung des Bett köpfendes 
und Applikation der Eisblase bestehen. — Die recht seltenen 
reinen Staphylokokkeninfektionen verlaufen meist mild. Rein 
abwartende Behandlung. — Bei Saprämie stinken die Lochien 


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150 


Referate und Besprechungen. 


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stets; sie enthalten keine pathogenen Keime. Oft besteht Eihauireten- 
t i o n. Dann soll man in den Fällen, bei denen das Fieber hoch ist, 
mit oder ohne Schüttelfröste, und die Prostration eine große ist, die Eihaut- 
reste digital entfernen, ev. mit folgender intrauteriner Ausspülung. — 
Bei den Beckenexsudaten unterscheidet H. genau zwischen extra- 
und i n t r a peritonealen, also zwischen Para- und Perimetritiden. l’arametri- 
tische Abszesse, meist auf Streptokokken beruhend, sind alsbald zu inzi- 
dieren. Nicht so die mehr nach Aborten sich entwickelnden intraperi¬ 
tonealen Beckenexsudate. Diese werden meist resorbiert; man inzidiere 
sie nur, wenn der Douglas deutlich durch den Eiter vorgedrängt wird. •— 
Das Bakterium k o 1 i ist dann äußerst gefährlich, wenn es 
als Spätinfektion zu einer bereits bestehenden Entzündung hinzutritt. 
Schwere retroparitoneale Phlegmonen und allgemeine Peritonitiden können 
sich entwickeln. — Ganz außerordentlich schlecht waren die Ausgänge 
bei allgemeiner puerperaler Peritonitis, sei es, daß dabei 
Streptokokken, Staphylokokken, beide zusammen, Bakt. koli allein oder mit 
Streptokokken oder auch gar keine Keime gefunden wurden. Von 
19 Fällen starben 18! 10 davon waren laparotomiert und drainiert worden. 
Allerdings kamen viele der Fälle sehr spät in die Behandlung, sehr oft 
bestand gleichzeitig Bakteriämie. Der einzige geheilte Fall war laparotomiert 
und drainiert worden; es handelte sich um eine Staphylokokkenperitonitis 
mit zahlreichen Adhäsionen und Eiterherden zwischen den Darmschlingen. 
— Von 28 Fällen reiner Bakteriämie (davon 22 mal Streptokokken) 
starben 25. Von den drei Genesenen hatte eine eine Pyämie, 
eine relativ günstige Komplikation. Von größtem Interesse sind 
jedoch die beiden anderen Fälle — Streptokokkämien ohne lokale 
Herde - hinsichtlich der angewandten Therapie. Der erste 
Fall hatte große Dosen normalen menschlichen Blutserums sub¬ 
kutan injiziert erhalten, nachdem das Hissche Leukozytenextraktserum ohne 
Erfolg angewendet worden war. Die zweite Pat. hatte 2 mal 1,8 Magne¬ 
sium sulfuricum in lgoiger Lösung intravenös injiziert be¬ 
kommen. Nach der ersten Injektion fiel die Temperatur für 4 Tage zur 
Norm, dann trat eine leichte Phlebitis der Vena saphena magna mit Fieber 
ein, was beides aber nach der zweiten Injektion verschwand. Jede Injek¬ 
tion war sehr langsam gemacht worden, um die von Meitzer ge¬ 
fürchtete Depression der Atmung zu vermeiden, was auch gelang. Es 
trat jedoch beide Male nach der Injektion ein Schüttelfrost ein. — 
Das war nicht der Fall bei einer letzten Pat., der H. 2 m a 1 360—400 ccm 
lo/oiger Magnesium sulf uricum-Lösung subkutan unter die 
Brust injizierte. Es handelt sich um eine schwere Streptokokken¬ 
infektion nach manueller Plazentarlösung. Nach der ersten Injektion 
fiel die Temperatur sofort von 40,5° auf 37 n für zwei Tage, stieg dann 
wieder auf 39,5 0 und fiel nach der zweiten Injektion dauernd zur Norm ab. 

R. Klien-Leipzig. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Liepmann, H. (Berlin), Über Wernickes Einfluß auf die klinische Psychi¬ 
atrie. (Monatssohr. für Psych. u. Neur. Bd. 30, H. 1.) 

Diese Arbeit in der ihr gebührenden Ausdehnung zu besprechen, ist 
an dieser Stelle nicht angängig, andrerseits eignet sie sich nicht zu einem 
kurzen Referat. Es sei daher nur erwähnt, daß das wichtigste Charakteristi¬ 
kum der W e r n i c k e sehen Psychiatrie die neurophvsiologische Erforschung 
und Klassifikation der Psychosen darstellt. W. versuchte die körperlichen 
und geistigen Symptome auf Herderscheinungen zurückzuführen, die Be¬ 
ziehungen des Gleichzeitigen in einem räumlichen Organ, also die Quer¬ 
schnittsbetrachtung, sind sein Objekt, während K r ä p e 1 i n s Psychiatrie sich 
mehr in zeitlichen Dimensionen (Ursache, Verlauf, Ausgang) bewegt. 

Zweig-Dalldorf. 


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Referate und Besprechungen. 


151 


Infektions- und autotoxische Psychose (Delirien, Amentia). (Von Geh. Med. 
Rat. Prof. E. Siernerling in Kiel. (Zeitschr. f. ärztl. Fortbildung, Nr. 21, 1911). 

Im Verlaufe einer jeden Infektionskrankheit, besonders des Typhus 
Gelenkrheumatismus, der Influenza kann es zum Ausbruch einer Psychose 
kommen. Diese kann aoer nicht von den übrigen Psychosen durch irgend¬ 
wie charakteristische Merkmale abgegrenzt werden. Betrachtet man alle 
in Frage kommenden Formen, so bietet sich einem eine überraschende Gleich¬ 
förmigkeit der psychischen Bilder. Als Haupttypus ist zu nennen die akute 
halluzinatorische Verwirrtheit, die Amentia. Die Störungen hängen einmal 
mit dem Beginn der Infektion und dann mit dem Fieberabfall enger zusam¬ 
men. Fieberdeliren und sog. Infektions- oder Initialdelirien sind nicht 
voneinander zu trennen. Ihre Hauptsymptome bestehen in Bewußtseins¬ 
trübung, Desorientiertheit und Sinnestäuschungen. Bei letzteren überwiege-n 
die akustischen und optischen. Dabei hat Siernerling den Eindruck, als ob 
sie durch Darreichung von Chinin und Natrium salizyl. sich verschlimmerten. 
An den Sinnestäuschungen ist die lebhafte Plastizität hervorzuheben, verbun¬ 
den sind sie nicht selten mit flüchtigen Wahnbiidungen ängstlichen Charak¬ 
ters, wodurch die Kranken ängstlich und unruhig werden. Sie haben eine 
hastige abgerissene Sprechweise und schreien oft anhaltend. Die Delirien 
sind flüchtig, kommen rasch und verschwinden schnell und gehen dabei 
parallel dem Steigen und Sinken der Temperatur. Beim Zustandekommen 
der Delirien spielen die Infektionserreger mit ihren toxischen Wirkungen 
die Hauptrolle und nicht die durch das Fieber bedingte Steigerung der 
Körpertemperatur und die damit einhergehenden Veränderungen der Zirkula¬ 
tion. Bisweilen zeigen sie eine gewisse Abstufung und Steigerung, so unter¬ 
scheidet z. B. Liebermeister beim Typhuskranken vier verschiedene Stadien 
der Delirien. Was nun die Amentia, von der die Fieberdelirien nur eine 
Abart sind, anbetrifft, so sehen wir ihre Entstehung auf die Akme, noch 
häufiger auf den kritischen Temperaturabfall folgen. Ihre Hauptsymptome 
sind traumhafte Verwirrtheit, zahlreiche unzusammenhängende Halluzina¬ 
tionen und Illusionen, einzelne Wahnideen, lebhafter Bewegungsdrang. Auf 
die FIrregung kann dann Stupor folgen. Die Kranken weisen Störungen des 
Gemeingefühls auf, ihre Sprechweise ist wechselnd, desgleichen ihre Stim¬ 
mung. Zuweilen ist die Erregung mehr motorischer Natur, es kommen 
katatonische Erscheinungen dazu. Hierzu gesellen sich noch schwere nervöse 
Begleiterscheinungen. 

Was den Verlauf der Psychosen anbetrifft, so ist er bei den im Fieber¬ 
abfall eintretenden protrahierter wie bei den im Beginn vorkommenden. 
Nur bei Kindern verlieren sie sich in Tagen oder Wochen, im übriglen 
halten sie 3—4 Monate an. In der Rekonvaleszenz machen sich allerlei nervöse 
Störungen bemerkbar, wie Gefühl der Denkerschwerung, der herabgesetzten 
Denkfähigkeit. Die Erinnerung ist oft nur eine ganz summarische, zuweilen 
besteht retrograde Amnesie. Die Prognose ist vom Charakter der Grund¬ 
krankheit abhängig. 

Pathologisch-anatomisch finden sich akute Schädigungen der nervösen 
Substanz und reaktive Wucherung des gliösen Stützapparates. 

Die Therapie hat hauptsächlich das Grundleiden im Auge zu halten. Es 
muß für genügende Bewachung gesorgt werden, die Unruhe und Schlaf¬ 
losigkeit ist zu bekämpfen. Während des Fiebers ist ein Eisbeutel auf den 
Kopf zu legen und am besten Laktophenin zu geben. Außerdem empfehlen 
sich protrahierte warme Bäder oder Einpackungen. Die Nahrung hat in 
breigen, flüssigen Speisen zu bestehen, ev. muß mit der Schlundsonde er¬ 
nährt werden. 

In forensischer Beziehung weist S. darauf hin, daß die strafrechtliche 
Bedeutung der Psychosen keine sehr große ist, treten sie doch gewöhnlich 
unter so heftigen Erscheinungen auf, daß sie sofort erkannt werden. Es 
kann zu plötzlichen Selbstmordversuchen und Selbstverstümmelungen kom¬ 
men, endlich auch zu Gewaltakten. Die Frage der Entmündigung kommt 
fast nie in Betracht. 


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F. Walther. 


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162 


Referate und Besprechungen 


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Parteuhelmer (Köln), Zur Kenntnis des Induzierten Irreseins. (Zeitschr. 

für die ges. Neur. und Psych. Bd. ö, H. 3.) 

Zur Annahme eines induzierten Irreseins ist die Bejahung der Frage nötig, 
daß der Kranke B. ohne den Einfluß des Kranken A. geistig gesund geblie- 
ben wäre Es muß der nachweisbar erblich nicht belastete, also zu geistiger 
Erkrankung nicht von vornherein disponierte Kranke B. lediglich durch den 
Umgang mit einem Geisteskranken in eine Geisteskrankheit verfallen sein, 
die in Inhalt und Form mit der Psychose des Ersterkrankten identisch ist 
und nach der Trennung auch einen selbständigen Charakter trägt und weiter 
ausgebaut wird: Folie communiquee der Franzosen. Diese Fälle sind selten 
und kommen wohl allein bei der Paranoia vor. Nicht hierher gehört die 
Folie simultanee, bei welcher sehr nahestehende Individuen infolge gleicher 
Schädigung psychisch erkranken, eine gegenseitige Beeinflussung aber aus¬ 
zuschließen ist, und vor allem gehört nicht hierher die Folie imposee, wo 
A. seine Wahnideen einem anderen aufdrängt, dieser sich aber derselben 
als einer fremden Sache entledigt, sobald A.’s schädlicher Einfluß aufhört. 
Zu trennen sind auch diejenigen Fälle, bei denen die Psychose des primär 
Erkrankten lediglich zur Gelegenheitsursache wird und eine schlummernde 
Disposition auslöst. Das ergibt sich auch schon aus den obigen Voraus¬ 
setzungen. Zweig-Dalldorf. 

Piersdorff (Straßburg), Über die Verlaufsarten der dem. präcox. (Monatsschr. 
für Psych. u. Neur. Bd. 30, H. 3.) 

P. scheidet unter den Verlaufsarten der dem. pr. eine große Gruppe 
ab, welche charakterisiert ist vor allem durch die periodische Wiederkehr 
identischer Exazerbationen mit remittierenden Zwischengliedern, ferner durch 
die in der Kegel nur geringe und mehr quantitative Demenz und deren lang¬ 
sames, allmähliches Eintreten. Die Gruppe zerfällt in 4 Unterabteilungen, 
die sich wieder zu zwei Paaren ordnen lassen, je nachdem Sinnestäuschun¬ 
gen und Wahnideen bestehen oder nicht. Innerhalb des ersten Paares be¬ 
steht entweder ein monotoner Affekt oder ein vorwiegend depressiver, bei 
beiden viele intestinale Sinnestäuschungen, doch fehlen dieselben auch den 
anderen Sinnesqualitäten nicht. Eine Systematisierung der Wahnideen tritt 
nicht ein. Das zweite Paar ist charakterisiert neben dem Fehlern von Wahn¬ 
ideen und Sinnestäuschungen durch die motorische Erregung, welche ent¬ 
weder auf die sprachlichen und mimischen Bewegungen beschränkt Bleibt 
(gezierte Sprechweise, unsinngemäßer Tonfall, Neigung zu seltenen Aus¬ 
drücken) oder als Bewegungsdrang mit Paroxysmen auf tritt. Diese letzte 
Form der Erkrankung liefert die meisten einer späteren dauernden Anstalts¬ 
behandlung bedürftigen Fälle infolge ihrer motorischen Erscheinungen und 
der starken augenblicklichen Reizbarkeit. Nach jeder dieser Exazerbations¬ 
phasen, deren Intervalle allmählich geringer werden, so daß schließlich 
ein Chronischwerden des akuten Stadiums eintritt, macht sich eine Zunahme 
der Demenz bemerkbar, und hieraus läßt sich auch erkennen, ob die eben 
abgeklungene Steigerung eine Exazerbation im obigen Sinne war oder nur 
ein Aufflackern z. B. von affektiv konstitutionellen Begleitsymptomen manisch- 
depressiver oder neuropathischer Natur. Zweig-Dalldorf. 

Schaffer, K. ((Budapest), Pseudobulbärparalyse, verursacht durch einseitigen 
corticalen Herd. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 2.) 

Bei einer 67 jährigen arteriosklerotischen Person entstand auf einen 
Insult hin eine linksseitige faciobrachiale Monoplegie sowie ein bulbärer 
Symptoinenkomplex. Die Obduktion ergab eine Erweichung in der vorderen 
Zentralwindung und des Operculums der rechten Hemisphäre. Die kortikal 
bedingte Pseudobulbärparalyse kann also auch durch einen einseitigen 
Herd entstehen mit Lokalisation im Operculum. Zweig-Dalldorf. 

Glljarowsky, W. (Moskau). Ein anatomischer Beitrag zur Frage über die 
Beziehungen der progress. Paralyse zu der Gehirnsyphilis. (Zeitschr. für die 
ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 1.) 

Viel häufiger, als man allgemein annimmt, scheinen vor oder neben einer 
Paralyse syphilitische Prozesse des Zentralnervensystems zu verlaufen: körn- 


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Referate und Besprechungen. 


153 


binierte Fälle. Bericht über die klinischen und anatomischen Erscheinungon 
eines hierher gehörenden Falles. Von den ersteren ist bemerkenswert die 
für Gehirnsyphilis unter den Anfangssymptomen des Leidens sprechende 
psychische Erschöpfung und Zerfahrenheit, die hochgradige intellektuelle 
Ermüdbarkeit und das Erhaltenbleiben der psychischen Persönlichkeit bei 
einer gewissen Krankheitseinsicht. Zweig-Dalldorf. 

Bayerthal, (Nervenarzt in Worms): Über den Erziehungsbegriff in der 
Neuro- und Psychopathologie. (..Medizinische Klinik“, 1911, Nr. 48.) 

Verfasser hatte in seiner Studie über „Erblichkeit und Erziehung in 
ihrer individuellen Bedeutung" (erschienen Wiesbaden 1911) die Behaup¬ 
tung aufgestellt, daß die Meinungsverschiedenheiten in bezug auf diesen 
Gegenstand zum Teil dadurch bedingt seien, daß auch in der ärztlichen 
Welt das vielgebrauchte Wort „Erziehung“ einer festen Begriffsbestimmung 
und Begriffsumgrenzung entbehre. Tn obiger Arbeit (der ausführlichen Publi¬ 
kation tines in einer gemeinschaftlichen Sitzung der Versammlung der 
deutschen Gesellschaft für gerichtliche Medizin und südwestdeutschen Irren¬ 
ärzte gehaltenen Vortrags) möchte Ref. den schuldigen Nachweis für diese 
Behauptung erbringen, den er in seiner auch für Laien bestimmten Schrift 
aus naheliegenden Gründen zu führen unterlassen hat. Verfasser charakteri¬ 
siert zunächst die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, die sich mit dem 
Erziehungsbegriff in der Neuro- und Psychopathologie verbinden, und übt 
an den zitierten Ansichten der verschiedenen Autoren die erforderliche 
Kritik. Er selbst versteht unter „Erziehung“ die Förderung und Hem¬ 
mung der ererbten Anlagen von der Befruchtung der 
Keimzelle an bis zum Beginne der Selbsterziehung in 
einem für das Wohl des einzelnen Individuums und der 
Gesamtheit günstigen Sinne mittels planmäßiger Einwir¬ 
kung. Wenn Verfasser auch hofft, mit dieser Definition in bezug auf 
Inhalt und Umfang des Erziehungsbegriffes das Richtige getroffen zu haben, 
so verhehlt er sich doch nicht, daß es auch in bezug auf den Erziehungs¬ 
begriff keine abschließenden Vorstellungen gibt, sondern daß jedes neue 
Zeitalter das Recht besitzt, diesen Begriff seinen eigenen Bedürfnissen ent¬ 
sprechend zu umgrenzen. Autoreferat. 

Kolb, G. (Kutzenberg), Die Familienpflege unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der bayerischen Verhältnisse. (Zeitschr. für die ges. Neur. u. Psych. 
Bd. 6, H. 3). 

Specht, G. (Erlangen), Über die Familienverptlegung der Geiste.kranken ln 
Bayern. (Ebd.) 

Die Familienpflege ist das natürliche Schluflglied der fortschreitend 
freiheitlichen Entwicklung unserer Anstalten von den „Tobhäusern“ über 
die geschlossenen Anstalten und die offenen Abteilungen der agrikolen An¬ 
stalten. Die Familienpflege hat sich allmählich zu einem therapeutischen 
Faktor ersten Ranges entwickelt, der in 54 »o der öfiemlichon deutschen 
Anstalten bereits gepflegt wird, bei weitem an der .Spitze in den preußischen. 
Die Familienpflege bildet für die Rekonvalcs.cntcn und die gebesserten Kran¬ 
ken den natürlichen Übergang in die absolute Freiheit, sie erhält und weckt 
am besten die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit und ist auch 
für eine Reihe von Kranken, die der Anstaltspflege rücksichtslos wider¬ 
streben, ein guter Aufenthaltsort, von der Entlastung der Anstalten ganz 
abgesehen. Namentlich die residuären Defektzustände der dem. präc. werden 
oft sehr günstig beeinflußt. Die Familienpflege kann erfolgen bei Pfleger¬ 
familien, in fremden Familien und in der eigenen. Daß Bayern hinsichtlich 
der Familienpflege so weit zurücksteht, hat, wie Specht ausführt, seinen 
Grund einmal in der ungenügenden Zahl der dortigen Anstalten, in der 
Eigenart von Land und Leuten sowie in finanziellen, in der Eigenart der 
bayrischen Heimat-. Armen- und Irrenfürsorgegesetzgebung begründeten 
Schwierigkeiten. Zweig-Dalldorf. 

Maas, 0. (Buch-Berlin), über eine besondere Form der Encephaiopathla- 
saturnina. (Meningitis serosa.) (Monatssclir. für Psych. und Neur. Bd. 30, H. 3.)' 

Die Meningitis serosa (Kopfschmerzen, Mattigkeit, Schwindel, Er- 


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Referate und Besprechungen. 


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brechen, Störungen seitens der Hirnnerven vor allem des Opticus mit Stau¬ 
ungspapille und ev. Amaurose, ungleiche Kürperrefl. ev. Babinski, taumeln¬ 
der Gang, Unklarheit und Teilnahmslosigkeit) kann ihren Grund auch in einer 
Bleiintoxikation des Betr. vielleicht auch des Vaters haben. Wichtig ist, 
daß M. in einem Fall die Ursache der Bleivergiftung in der Anwendung 
eines Haarfärbemittels zu sehen berechtigt war. In therapeutischer Hin¬ 
sicht ermahnt die Mitteilung, bei allen Fällen von Meningit. serös, an Blei¬ 
intoxikation zu denken und andrerseits bei rasch fortschreitender Sehstörung 
nach Bleivergiftung an Mening. ser., um durch Ventrikelpunktion oder 
Balkenstich druckentlastend wirken zu können. Zweig-Dalldorf. 

Hochsinger, K. (Wien), Fazlalisphaenomen und jugendliche Neuropathie. 

(Wiener klin. Wochenachr., Nr. 43, 1911.) 

Das isolierte Fazialisphänomen bei älteren Kindern und Jugendlichen 
hat unter allen Umständen eine pathologische Bedeutung. Es ist das sinn¬ 
fällige Symptom einer angeborenen neuropathischen Konstitution, welche 
sich bei den Eltern, insbesondere den Müttern durch das sehr häufig vor¬ 
handene gleiche Phänomen in Verbindung mit funktionellen Neurosen zu 
erkennen gibt. Das isolierte Fazialisphänomen ist ein Hauptattribut der 
psychischen Übererregbarkeit und Nervosität der Jugendepoche und haftet 
fester beim weiblichen als beim männlichen Geschlechte. Jugendliche Ner¬ 
vosität und infantile Übererregbarkeit bezw. Spasmophilie der Säuglinge 
gehören genetisch zusammen und beruhen in letzter Linie auf hereditärer 
neuropathischer Veranlagung. M. Kaufmann. 

Durand, E. J. (Paris), Ein weiteres Zeichen bei Basedow. (La Tribüne 
möd. 45. Jahrg., Nr. 9, S. 388, 1911.) 

Häufig findet man bei ßasedowkranken ganz im Anfang bezw. bei 
formes frustes, wenn Exophthalmus und Struma fehlen, eine Veränderung 
der Stimme. Sie wird matt, klanglos und verliert an Kraft (caracterisi 
par une sorte de matite, d'absence d’harmoniques, par une diminution de 
l’intensitö). 

Natürlich bemerkt der Arzt bei der ersten Untersuchung nichts davon, 
weil ihm ja der Vergleich mit früher fehlt. Aber die Angehörigen können 
zumeist Auskunft geben; man muß eben darnach fragen. 

Dem Zuge der Zeit folgend rekurriert Durand zur Erklärung seiner 
Beobachtungen auf une nevrite legere par intoxication. Hält man Bich 
kühl und ohne Spekulationen ins Gebiet der Möglich- bezw. Unmöglichkeiten 
nur an die von D. angegebenen akustischen Veränderungen, so sieht man 
sofort, daß es sich um verminderte Schwingungsfähigkeit der stimmbilden¬ 
den Organe handelt, mithin um eine Veränderung der elastischen Qualitäten. 
Wodurch diese ihrerseits bedingt ist, erfordert besondere Überlegungen. 
Nach dem derzeitigen Stand des offiziellen Wissens ist die Elastizität nicht 
an das Nervensystem angeschlossen; mit einer Neuritis ist mithin nicht viel 
anzufangen. Aber zuerst muß einmal die Tatsache als solche zweifellos er¬ 
härtet sein, und wenn sich dann Analoga auf anderen Gebieten finden sollten, 
würde die Erklärung leichter und weniger hypothetisch. 

Buttersack-Berlin. 

Steiner, G. (Straßburg), Über die Beziehungen der Epilepsie zur Links¬ 
händigkeit. (Monatsschr. für Psych. u. Neur. Bd. 30, H. 2.) 

Bei 89,5 ®/o seiner genuinen Epileptiker fand S. Linkshändigkeit ent¬ 
weder des Kranken oder seiner Familienmitglieder, so daß S. hieraus auf 
eine dispositionelle Minderwertigkeit der linken Hirnhemisphäre schließen 
zu können meint. Sollten Nachuntersuchungen seine Resultate bestätigen, 
so würde man in der persönlichen oder familiären Linkshändigkeit ein 
diagnostisches Postulat der genuinen Epilepsie erblicken können. 

Zweig-Dalldorf. 

Köper, E. (Jona), Heilerfolge bei Neurasthenie. (Ebd.) 

Die Heilerfolge bei der Neurasthenie sind durchaus günstige. 85,3 «> 
der in der dortigen Klinik Behandelten waren noch nach Jahren erwerbs¬ 
fähig. Die Hälfte der Fälle ist hereditär belastet, ohne daß !>e*i diesen 



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155 


die Prognose schlechter ist. Auffällig ist, daß das Erkrankungsalter an 
Neurasthenie außerordentlich mit demjenigen an Geisteskrankheit überein¬ 
stimmt, so daß man für beide wohl dieselben Entstellungsbedingungen anneli- 
men kann. Zweig-Dalldorf. 

Ossokin, N. (Berlin). Experimenteller Beitrag zur Wiederkehr des Knie¬ 
phinomens nach Pyramidenläsion bei Tabes dorsalls. (Ebd.) 

Die Wiederkehr der Pat. Refl. bei der Komplikation einer Tabes durch 
eine zerebrale Apoplexie erklärte man sich durch den Ausfall der den 
Reflex hemmenden vom Gehirn durch die Pyramidenbahn zum reflektorischen 
Zerebrospinalzentrum geleiteten Einflüsse. U. konnte diese Annahme experi¬ 
mentell bestätigen, indem der durch Exstirpation der Lumbalwurzeln bei einem 
Hunde verloren gegangene Pat. Refl. nach einer Läsion der Pyr. Hahnen 
in der Höhe der med. oblong, sich wieder einstellte. 

Zweig-Dalldorf. 

Fum aroal und jTramonti (Korn), Globulinreaktion, Albuminreaktion und 
Lymphocytose bei den organischen Erkrankungen des Nervensystems. (Ebd.) 

Die größte Bedeutung für die Erkennung syphilitischer oder meta¬ 
syphilitischer Erkrankungen des Zentralnervensystems kommt der Nonne- 
A p e 11 sehen Globulinreaktion (Trübung durch Zusatz von Ammoniumsulfat 
zur Spinalflüssigkeit) zu. Immerhin kommt es. wenn auch selten, zu einer 
solchen positiven Reaktion auch bei nicht spezifischer Erkrankung. Ent¬ 
scheidend ist in solchen Fällen für die Diagnose die spezifische Bethandlung, 
welche bei syphilitischer Provenienz ein Abklingen oder Verschwinden der 
Reaktion erzeugt, während bei den anderen Fällen das Resultat unverändert 
bleibt oder sogar deutlicher wird entsprechend der ausbleibenden Beein¬ 
flussung resp. des weiteren Vorwärtsschreitens des Prozesses. 

Zweig-Dalldorf. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Leven (Elberfeld), Zufälle bei Intravenösen Salvarsaninjektionen. (Med. 
Klinik 1911, Nr. 22.) 

Fälle von Kollaps unmittelbar im Anschluß an eine intravenöse Salvarsan- 
injektion sind schon vielfach mitgeteilt worden, während über die Ursache ihrer 
Entstehung im einzelnen, ob es sich dabei um toxische Wirkungen oder um 
Wirkungen von Verwendung zu kalter oder zu warmer Lösungen handelte, die 
Meinungen noch auseinandergehen. Ein auffälliges Vorkommnis dieser Art 
teilt L. mit. Bei einer Patientin im mittleren Alter wurden 0,3 g Salvarsan 
in üblicher Weise intravenös in den linken Arm injiziert. Die gesamte 
Menge der eingelaufenen Flüssigkeit betrug etwa 160 ccm. Unmittelbar 
nach der Injektion wurden die Kranke zyanotisch, klagte über Ohrensausen, 
Beklemmung und Übelkeit. Innerhalb weniger Minuten bekam das Gesicht 
ein gedunsenes Aussehen, insbesondere schwollen Lippen und die unteren 
Augenlider zusehends an, so daß die Lippen schließlich in zwei unförmige 
Wülste verwandelt waren; die Stimme wurde rauh und heiser, tonlos und 
schließlich konnte die Kranke überhaupt nicht mehr sprechen. Daneben 
stellten sich fortwährende Würgbewegungen und Kopfschmerzen ein. Auch 
die Zunge war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen. Die quälendsten 
Erscheinungen dauerten etwa 20 Minuten, der Puls blieb gut, doch wurde 
Kampfer subkutan angewandt. — Am nächsten Morgen hatte sich die Kranke 
gut erholt und bis auf ein mäßiges ödem der Augenlider waren alle Er¬ 
scheinungen verschwunden, so daß sie am Nachmittage des auf die Injek¬ 
tion folgenden Tages aus dem Krankenhause entlassen werden konnte. — L. 
stellt die Vermutung auf, daß es sich bei diesem Vorfälle um eine akute Lymph- 
stauung gehandelt habe, die an der Einmündungsstelle des Ductus Thoracicus 
erfolgt sei. R. Etüve-Osnabrück. 

Bjalokur, F. (Jalta), über fieberhafte Erscheinungen ln den späten Syphllls- 
stadlen. (Allg. Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 6 u. 6.) 

Bjalokur bespricht, ähnlich wie Imhof-Bion (Med. Klin. 1900, 


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Nr. 21) t ine Anzahl von ihm beobachteter Fälle, aus denen er den Schluß 
ziilu, daß das spätsyphilitische Fieber häufiger vorkommt, als man ge¬ 
wöhnlich annimmt. Es kann bei völligem Fehlen sonstiger klinischer Er¬ 
scheinungen auftreten. 

„Im letzteren Falle ist das Fieber sogar charakteristisch: es ist an¬ 
dauernd, greift die Kranken wenig an und weicht keiner anderen Behand¬ 
lung als nur der spezifischen (Jodkali). Von Schüttelfrösten und 
Schweißausbrüchen wird es in den meisten Fällen nicht begleitet. Sein Typus 
ist meistens derjenige von Febris intermittens cotidiana. Kopfschmerzen, 
namentlich des Nachts, sind häufige Erscheinung. Milz und Leber sind 
häufig geschwollen. Das subjektive Befinden und der Kräftezustand der 
Kranken sind befriedigend. Ein solches Fieber kann durch Ausschließung 
von Tuberkulose, Septikämie (Typhus, Endokarditis) und Malaria diagnosti¬ 
ziert werden. 

Am häufigsten tritt es als Komplikation des tuberkulösen Fiebers auf, 
und dann beseitigt die Jodkalibehandlung einen gewissen Teil der beim 
tuberkulösen Individuum gesteigerten Temperatur. 

Es ist augenscheinlich Zeit, daß man nicht mehr jedes schwer erklärbare 
Fieber als Malariafieber bezeichnet, wie dies namentlich die Franzosen tun, 
um so mehr, als man Malaria mit Sicherheit diagnostizieren kann und die¬ 
selbe der spezifischen Behandlung weicht. 

Bei niedrigen Temperaturen muß man in erster Linie an Tuberkulose, 
bei hohen Temperaturen in erster Linie an Septikämie und Syphilis denken.“ 

Esch. 

Lüth, Br. Willi., über den pathologischen Zusammenhang der VarieellenTnlt 
gewissen Formen von Zoster. (Monatsh. f. prakt. Dermat., 1911, Bd. 62, Nr. 12.) 

Im Jahre 1909 publizierte B ökav-Budapest 9 Fälle, bei denen 
bei Mitgliedern derselben Familie oder Kranken auf demselben Krankensaal 
auf Zoster Varizellen folgten. Eine ähnliche Beobachtung teilt Lüth mit. Die 
Frau eines Grenzkontrolleurs aus einem Orte an der russischen Grenze er¬ 
krankt an Herpes zoster, der sich in einem Herde über der linken Mamma 
bis zur Achselhöhle und in einem zweiten schmäleren vom 7. Halswirbel links 
von der Wirbelsäule bis zur Haargrenze lokalisiert. Die Bläschen der pek- 
toralen Eruption glichen genau voll ausgebildeten Impfpusteln, etwa vom 
sechsten bis siebenten Tage und zeigten über der Mamma die für Variola 
typische Delle. Da der ganze übrige Körper aber frei war, so wurde nach 
Sitz, Anordnung und Verlauf der Affektion die Diagnose Zoster sicher ge¬ 
stellt. Zugleich zeigte der 16 Monate alte Sohn ein kleines Bläschen 
mit trüben Inhalt an der Stirn. Zehn Tage später waren bei dem im Jahre 
vorher geimpften Kinde Körper und Gesicht mit Varizellen übersät. Da der 
Ehemann mit zahlreichen aus Rußland kommenden Reisenden zusammen¬ 
trifft, „so wäre es vielleicht denkbar, daß von der anderen Seite der Grenze, 
wo die Pocken endemisch sind, eine Infektion mit Variola zustande gekom¬ 
men ist, die bei der vor längerer Zeit geimpften Mutter in einem Zoster 
varioliformis, bei dem frisch geimpften Knaben in Varizellen ihren Aus¬ 
druck fand.“ Carl Grünbaum-Berlin. 

Meriun, Dr. Louis, Ein Fall von framboeslformer Syphilis. (Monatsh. f. 
prakt. Dermat., 1911, Bd. 62, Nr. 11.) 

Ausführliche Krankengeschichte usw. eines ungemein seltenen Falles 
von framboesiforiner Syphilis bei einem 31 jährigen Manne aus Prof. Unnas 
'Dermatologicum in Hamburg. Ein zweiter Fall von generalisiertem framboesi- 
formen Hautsyphilid wurde von Petrini de Galatz auf dem vierten 
deutschen dermatologischen Kongreß 1894 mitgeteilt. 

Carl Grünbaum-Berlin. 


Pphysikalisch-diätetische Therapie. 

Peyr6 (Bagnoles-de-l’Ome), Massage unter Wasser. (Annales de la Soc. 
d’Hydrologie m£d., 56. Bd., Nr. 11, S. 249, 1911.) 

G. Sticker war m. W. der erste, welcher die Palpation im Bade 
empfahl, mit der Begründung, daß da die Spannung der Bauchmuskeln weg- 


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Referate und Besprechungen. 


157 


falle und die inneren Organe der zufassenden Hand zugänglicher seien. In 
der normannischen Akratotherme B a g n o 1 e s (235 m über NN.) wird diese 
Beobachtung praktisch-therapeutisch verwertet, indem die Patienten mit Zir¬ 
kulationsstörungen im Bad massiert werden. Man beginnt mit Massage 
des Bauches und des Herzens und fügt dann sukzessive die der Extremi¬ 
täten an. 

Der Gedanke kommt mir glücklich vor. Er läßt sich aber wohl allent¬ 
halben ausführen und sei hiermit manuell geschickten, in der Massage be¬ 
wanderten Ärzten empfohlen. Buttersack-Berlin. 

Flemming (Berlin), Physiologische und pathologische Wirkungen des Höhen¬ 
klimas bei Hochfahrten im Freiballon. (Dtsch. med. Woch. Nr. 45 46, 1911.) 

Welcher Unterschied zwischen den Zeiten Alexanders des Großen, wel¬ 
chem Mazedonien, und uns Heutigen, denen die ganze Erdkugel zu klein 
vorkommt! Nicht lange wird es mehr dauern, bis an Nord- und Südpol 
kühne Reisende die Flaggen ihres Landes hissen, bis wir vom warmen 
Zimmer aus Depeschen mit Freunden tauschen, die sich irgendwo auf der 
Erdoberfläche befinden. Immer weiter schweift der Blick ins Unendliche, 
immer höher steigen Drachen und Ballons, um uns Kunde von den Luft¬ 
schichten zu bringen, welche unsere Erde umgeben. Solch ein expansiver 
Trieb führt auch immer wieder den ■ Stabsarzt F 1 e m m i n g in die Lüfte, 
und wenn er im vorliegenden Aufsatz von seinen biologischen Erfahrungen 
berichtet, so folgen wir ihm mit der größten Spannung. Im Vordergrund 
stehen natürlich die Erscheinungen des Sauerstoffmangels. Er ist die Ur¬ 
sache einer allmählich einsetzenden unglaublichen Apathie, hochgradiger Zya¬ 
nose, Pulsbeschleunigung und Dyspnoe. Der künstlichen Sauerstoffatmung 
ist deshalb ein besonderer Abschnitt gewidmet, insbesondere der Technik, 
d % h. der zweckmäßigsten Maske, einer Maske, die ganz gewiß auch in der 
irdischen Therapie hienieden mit Vorteil angewendet werden könnte (Firma 
„Oxygenia“ Berlin NW. 6, Schiffbauerdamm). Mit einem Vorrat von ca. 
400 Litern 0. für je 1 Stunde kann man sich gefahrlos in die höchsten 
Höhen wagen, vorausgesetzt natürlich, daß man über einen so festgefügten 
Organismus verfügt wie Flemming. 

Interessant ist die stetige Abnahme der Erythrozyten, die bakterizide 
Kraft der Sonnenenergie, welche z. B. Prodigiosuskeime und die sog. Typhus¬ 
bazillen in 5000 m Höhe bereits nach 20 Minuten tötet, sowie — bei 
schnellem Steigen bezw. Fallen - die Neigung zu Blutungen. Die ultra¬ 
violetten Strahlen wirken begreiflicherweise viel energischer und rufen aller¬ 
hand Störungen am Integument hervor; eine Verbreiterung des Spektrums 
konnte aber Fl. nicht nachweisen. — 

Luftreisen zu therapeutischen Zwecken liegen noch in weitem Feld. 
Wenn aber Fl. von der eigenartigen Ruhe erzählt, welche jenseits der Schorn¬ 
steine und Kirchtürme liegt, und von dem großen Gesichtswinkel, unter 
dem da oben die Sorgen des Lebens verschwunden, dann scheint damit ein 
Ideal-Heilmittel für die nervös-hastende Menschheit gegeben zu sein, deren 
Horizont zumeist durch das kleine Ich ausgefüllt ist und deren Krankheit 
eben darin ihren Grund hat. Die Reduktion der eigenen Persönlichkeit 
und ihres Interessenkreises würde manchen zu einem brauchbaren Men¬ 
schen machen. I. G. Lichtenberg mag ein ähnlicher Gedanke vorge¬ 
schwebt haben, als er schrieb: „Glaubt ihr denn, daß sich Entdeckungen 
bloß mit Vergrößerungsgläsern machen lassen? ich glaube, mit Verkleine¬ 
rungsgläsern oder wenigstens durch ein ähnliches Instrument in der intellek¬ 
tuellen Welt sind wohl mehr Entdeckungen gemacht worden.“ (Ideen, Maxi¬ 
men und Einfälle. 1827. S. 39.) Buttersack-Berlin. 

Medikamentöse Therapie. 

Boruttau, H. Kriterien des therapeutischen Wertes organischer Jodpräparate. 

(Aus der biochemischen Abteilung des städt. Krankenhauses im Friedrichshain 
in Berlin). (Deutsche Medizinische Wochensclirift, Nr. 43/1911.) 

Täglich wächst die Zahl der auf den Markt gebrachten organischen 


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Referat« und Besprechungen. 


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Jodpräparate; mit dem Bestreben, ihre therapeutische Wirksamkeit zu ver¬ 
vollkommnen, gehen leider offene und versteckte Angriffe auf die jeweiligen 
Konkurrenzprodukte einher, ebenso wie in der Literatur auch die Behaup¬ 
tung nicht fehlt, daß die Jodalkalien immer noch den Vorzug vor allen 
organischen Jodpräparaten verdienen. Der Verfasser unterzieht diese ganze 
Frage einer kritischen Prüfung an der Hand fremder und eigener Experi¬ 
mentalergebnisse. Die gleichmäßigere Zufuhr von Jod zu den Organen 
gegenüber den Jodalkalien kommt bereits denjenigen Präparaten, deren Jod 
prompt ausgeschieden wird, wie Jodglidine und Jodival, unzweifelhaft zu. 
Gegenüber diesen ist den Jodfettpräparaten Jodipin und Sajodin stark ver¬ 
zögerte Ausscheidung und damit Bildung unkontrollierbarer Joddepots vorge- 
woifen worden; andererseits soll bei Verwendung der letzteren Jod speziell 
im Fett und Nervengewebe zur Ablagerung gelangen. Aber verglichen mit 
derjenigen in der Schilddrüse und lymphatischen Organen ist diese „Lipo- 
tropie und Neurotropie“ geringfügig und ihr therapeutischer Wert bis jetzt 
nicht bewiesen. Um zwischen der schnellen Jodausscheidung bei den di jo¬ 
dierten und der protrahierten bei den monojodierten Fettsäuren einen Mittel¬ 
weg zu finden, hat man Ester der erstgenannten eingeführt (Lipojodin). 
Auch diese teilen mit den anderen Jodfettsäurepräparaten die Nachteile sehr 
wechselnder Ausnützung im Darm. Vorwürfe der Schädlichkeit, die manchen 
Präparaten gemacht worden sind — Magenreizung durch abgespaltene Jod¬ 
wasserstoffsäure, größere Giftigkeit im Tierversuch — sind nach den Aus¬ 
führungen des Verfassers übertrieben, wenn nicht ganz unbegründet. Bei 
aller Anerkennung der Bestrebungen, chemisch wohldefinierte Verbindungen 
einzuführen, gebührt immerhin den länger eingeführten und klinisch be¬ 
währten Repräsentanten der Jodeiweißkörper (Jodglidine) und Jodfette, die 
„jodierte Nahrungsmittel“ (Schule von Buergi) darstellen, ihr Platz in der 
Therapie. Neumann. 


Allgemeines. 

Camus, J. (Paris), Zur Entvölkerung Frankreichs. (Paris medical, Nr. 30. 
S. III. 1911.) 

Wen die Götter verderben wollen, den schlagen sie mit Blindheit. 
Waren es bis jetzt Rücksichten auf bequemes Leben und persönlichen Ge¬ 
nuß, welche jenseits der Vogesen meist die Zahl der Kinder beschränken 
ließen, so mischt sich nunmehr ein politischer Faktor bei. In den Arbeiter¬ 
vierteln werden Flugblätter verteilt des Inhalts: „Viele Kinder haben, heißt 
sich selbst an den Bettelstab bringen, heißt die Reichen durch Lieferung 
billiger Arbeitskräfte noch reicher machen. Also: habt möglichst wenig 
Kinder!“ Und wie das anzustellen ist, lehrt eine rührige Propaganda in 
volkstümlichen Kursen, demonstrations pratiques organisöes dans ce but 
en plusieurs centres ouvriers. 

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß viele Franzosen 
glauben, als sei uns Deutschen dieser Rückgang ihrer Bevölkerung Grund 
zur Freude bezw. Schadenfreude. Nichts ist falscher als solch eine An¬ 
nahme; gibt es doch in Deutschland ungezählte Sympathien für unser west¬ 
liches Nachbarland, seine Bewohner und seine Kultur, und mit herzlicher 
Teilnahme sehen wir das schöne Land seinem Schicksal entgegengehen, 
wohl wissend, daß auch unser einmal das gleiche Los wartet. Aber aufzu¬ 
halten ist der Verfall einer Nation ebensowenig wie der eines Individuums, 
und wenn auch B e r t i 11 o n in einem soeben erschienenen Buch über la 
döpopulation de la France Mittel dagegen angibt, so glaube ich nicht recht 
an deren Wirksamkeit, finde im Gegenteil in der Mitteilung von Camus 
eine Bestätigung des prophetischen Satzes seines Landsmannes G. Le Bon: 
„Le socialisme parait etre le plus grave des dangers qui menacent les 
peuples europeens. II achövera sans doute une döcadence que bien des causes 
pr^parent, et marquera peut-etre la fin de quelques-unes des civilisations 
de l’Occident“ (Lois psychologiques de l’evolution des peuples. 1907. S. 170). 



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Referate und Besprechungen. 


15» 


Aber nicht an der schwindenden Zahl seiner Einwohner wird Frankreich zu 
Grunde gehen, sondern jan mangelnder Energie, Initiative, am Seilwinden 
der Ideale. Mit Prämien, Polizeiverordnungen und dgl. läßt sich nichts er¬ 
reichen. Rettung ist nur von neuem Idealen, neuem Glauben, neuem Charak¬ 
ter zu erhoffen. Aber sind wir Menschen des 20. Jahrhunderts, die wir wie 
hypnotisiert auf chemische, physikalische, technische Erfindungen und Re¬ 
kordleistungen starren, dazu überhaupt noch fähig? 

Lehrreich ist ein Blick auf die Sittengeschichte Roms: 

„„Sed jacet aurato vix nulla puerpera lecto; 

„Tantum artes hujus, tantum medicamina possunt, 

„Quae steriles facit. 

und diesem Urteil Juvenals lassen sich genug analoge von Ovid, 
Plntarch, Seneca, Aulus Gellius anreihen. Aber sie zeigen uns 
nur den decursus morbi, nicht die Therapie. Buttersack-Berlin. 

606 vor der Acadömie de Mödecine. (Trib. inöd., Nr. 10, S. 420, 1911.) 

Die Fragen verschieben sich zu leicht unter unseren Augen, ohne daß 
wir uns dessen bewußt werden. Das Präparat 606 trat seinen Siegeszug 
an unter der Flagge: Therapia sterilisans magna. Aber allmählich wurde 
die Flagge niedergeholt und das Salvarsan ist immer mehr in die Reihe 
der auch sonst üblichen Antisyphilitika gerückt, mit denen es gute und 
schlechte Erfolge teilt. Die Diskussionen über seinen Wert gleichen einem 
Rückzugsgefecht. Der erste Ansturm des Mittels ist abgeschlagen; denn 
„ce n’tst pas un mödicament specifique; ce n’est pas un agent sterilisateur 
de la syphilis“. 

Wenn wir mehr historischen und kritischen Sinn hätten, dann wüßten 
wir, daß wirkliche Fortschritte sich immer nur gegen den Beifall der 
Menge Bahn brechen mußten, und wir würden schnelle Begeisterung, 
sofortigen Beifall für ein Signum mali ominis halten. Auf ihr kritisches 
Vermögen bilden sich viele etwas ein; aber fälschlicherweise. Denn Mon- 
tesquieus Satz gilt immer noch zu recht: „ce n’est pas l’esprit qui 
fait les opinions; c’est le coeur.“ Und Lichtenbergs Rat ist noch heute 
gleich beherzigenswert wie vor 100 Jahren: „Vorsichtigkeit im Urteilen 
ist, was heutzutage allen und jedem zu empfehlen ist. Gewönnen wir alle 
10 Jahre nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philosophischen Schrift¬ 
steller, so wäre unsere Ernte immer reich genug.“ Buttersack-ßerlin. 

Leeroux, L. (Paris), Das Automobil als HellmitteL (Paris mödical, Nr. 41, 
8.312—318, 1911.) 

Nichts entgeht dem Schicksal therapeutisch verwendet zu wer¬ 
den. Von den Blumen des Feldes und den Tieren des Waldes bis zur 
Elektrizität ist alles versucht worden, ob es sich nicht zum Wohle der lei¬ 
denden Menschheit verwerten lasse, und neuerdings sind die Röntgenstrahlen 
und das Radium beinahe Spezialdomänen der Medizin geworden. Die vielen 
Glücklichen, die kompaßlos auf den Wogen der Geschichte treiben, lassen 
sich allemal eine Weile von der letzten Nouveaute imponieren, schwören mit 
mehr oder weniger Fanatismus darauf, um nach einer Weile anderen Idolen- 
zu opfern. 

So scheint am Horizont ein neuer Faktor aufzutauchen, welcher der 
Klimato-Therapie Konkurrenz machen will: das Automobil. Hübsch friedlich 
sich in einen stillen Winkel am Meer oder im Gebirge zurückzuziehen, und 
da die Wunden des modernen Lebens auszuheilen, konnte natürlich auf die 
Dauer nicht zeitgemäß bleiben. Drum unternahmen die einen „zur Erholung“ 
waghalsige Bergbesteigungen, und die anderen wähnten, ihr erschüttertes 
Nervensystem in rauschenden Vergnügungen aller Art wiederherstellen 
zu können. Aber die ganz Fortgeschrittenen machen Automobiltouren, teils 
weil das etwas Besonderes ist, teils weil die Ärzte wunderbare Effekte davon 
rühmen. So wird auf diese Weise die Zahl der roten Blutkörperchen und 
der Hämoglobingehalt erhöht, die Lungen besser durchlüftet, der Stuhlgang 
geregelt, die Urinmenge gesteigert und der Stoffwechsel beschleunigt.; 


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Biicherschau. 


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von großer Bedeutung ist nicht zuletzt die Besserung des Schlafes. Also: 
man verordne Automobiltouren blutarmen Leuten, Neurasthenikern, Frauen 
mit „petite hysterie“, Patienten welche an nervöser Schlaflosigkeit, Überarbei¬ 
tung und nervöser Erschöpfung leiden, Gichtkranken und Tuberkulösen im 
Anfang ihres Leidens. 

Angezeigt ist ein mäßiger Automobilsport des ferneren für Schwangere, 
bei Uterin- und Adnexerkrankungen, bei kompensierten Herzfehlern, Hämor- 
lhoidcn und Varizen. Merkwürdigerweise hat das neue Heilmittel auch 
Kontraindikationen: fortgeschrittene Schwindsucht, Gallen-, Nieren- und 
Blasensteine, Insuffizienz des Myokards, Aortenerkrankungen, Epilepsie und 
Augenleiden. — 

Wenn Baglivi noch lebte, würde er sein (das 17.) Jahrhundert nicht 
mehr als das „rerum novarum scientiarumque feracissimum“ bezeichnen. 

Buttersack-Berlin. 

Petit (Paris), Är/te, Kranke und Serum. (Progr. med.,° S. 406, 1911.) 

Im Oktober 1910 wurde Dr. Lorot in Anklagezuständ versetzt, weil 
er seinen Patienten ein selbstfabriziertes Serum applizierte. Die erste In¬ 
stanz sprach ihn frei, aber der höchste Gerichtshof verurteilte ihn, weil er 
gegen das Gesetz vom 25. April 1895 verstoßen hatte. Dieses besagt 
in seinen beiden ersten Artikeln im wesentlichen folgendes: Abgeschwächte 
Keime, therapeutische Sera, Toxine und Antitoxine und analoge Dinge, 
sowie chemisch nicht definierbare Substanzen organischen Ursprungs, welche 
subkutan injiziert werden sollen, dürfen nur auf Grund eines behördlichen 
Erlaubnisscheins, nach vorangegangener Beurteilung seitens des conseil 
supörieur d’hygiene publique de France und der Academie de medecine abge¬ 
geben werden. Jedes Fläschchen muß einen Vermerk über Ort und Datum 
der Fabrikation tragen. Buttersack-Berlin. 

v. Fürth, 0. u. Lenk, E. (Wien), Das Wesen der Totenstarre und ihrer 
Lösung. (Winer klin. Wooh., Nr. 30, 1911.) 

Nach Ansicht der Verfasser handelt es sich bei der Totenstarre nicht 
um einen Gerinnungs-, sondern vielmehr um einen Quellungsvorgang, der 
durch die postmortale Säureanhäufung im Muskel bedingt ist. Umgekehrt 
ist die Lösung der Totenstarre durch eine Gerinnung der Plasmaeiwei߬ 
körper bedingt; diese geht mit einem verminderten Wasserbindungsvermögen 
des kolloidalen Systems, also mit einem Entquellungsvorgange einher. 

M. Kaufmann» 


Bücherschau. 


Rosenfeld, S., Kritik bisheriger Krebsstatistiken mit Vorschlägen für eine 
zukünftige österreichische Krebsstatistik. (W r ien-Loipzig, 1911. 8 # . 165 8. 

Verlag von Willi. Braumüiler. P.eis: 4 Kr. 80 h = 4 Mk.) 

Eine Statistik ist immer eine Aufgabe, von der man nie recht weiß, 
cb sie auch ganz den wirklichen Verhältnissen Rechnung trägt. Wenn der 
Verfasser den bisherigen Modus der Aufstellung von Krebsstatistiken ver¬ 
wirft, mit scharfen Worten Grenzen, Ziel und Technik einer brauchbaren 
Statistik kennzeichnet, so kann man ihm hierfür nur dankbar sein. Die 
Grundlage einer Krebsstatistik muß die Sterblichkeitsstatistik geben. Eine 
an die staatliche Mortalitätsstatistik angeschlossene Zählkartenstatistik wird 
verlangt. Für Lebensversicherungen, pathologische Institute und Kranken¬ 
häuser werden eigene Fragebögen vorgeschlagen. 

Schöppler-Regensburg. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912. 


Tomcbritte der Medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

bernusgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. v. Criegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


€rsd>eint w&cbenttlcb 3um Preise von 8 (Darb für bas 

Nr. 6 I ' ßalbjobr. 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 


8. Februar. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Immuntherapie der Tuberkulose. 

Mit Berücksichtigung der Tuberkulinreaktion, Tuberkuloseinfektion und Tuberkulose¬ 
immunität von Hans Much. 

Es kann im Folgenden natürlich nur die Rede sein von einer Tuber¬ 
kulosetherapie auf immunobiologischer Grundlage. Nun sind wir aber 
leider nicht in der glücklichen Lage, für diese Therapie mathematisch 
fixierbare Normen aufzustellen. Denn trotz eines gewaltigen Aufgebotes 
von Intelligenz und Arbeit steckt diese Therapie immer noch in den 
Kinderschuhen. Dennoch ist man durchaus berechtigt, ihre Grundlagen 
und die bisher gewonnenen Erfolge und Bestrebungen kurz zu skizzieren, 
weil erstens die Tuberkulose die schlimmte aller Seuchen ist, und jeder 
kleine Schritt vorwärts viel bedeutet, und weil zweitens ein weit¬ 
ausladender Bekämpfungsplan — wie ich glaube — nur mit 
Hilfe der Immunitätswissenschaft wird möglich sein. Und deshalb 
sollte versucht werden, gerade auf diesem Gebiete ein möglichst aus¬ 
gedehntes Interesse zu erwecken und dadurch zu gemeinsamer Arbeit 
aufzufordern. 

Es erscheint aber nicht möglich, nun gleich mit der Schilderung 
therapeutischer Bestrebungen zu beginnen, bevor wir uns nicht eine 
Antwort gegeben haben auf die Frage: Gibt es - überhaupt 
eine Tuberkuloseimmunität? Diese Frage muss natür¬ 
lich erst in bejahendem Sinne beantwortet werden, ehe wir überhaupt 
an eine Schilderung immunotherapeutischer Bestrebungen heran- 
gehen können, zumal — wie gesagt — der Erfolg dieser Bestrebungen 
nicht so ohne weiteres grobeinleuchtend erwiesen werden kann. 

Wollen wir aber eine Antwort auf die eben gestellte Frage geben, so 
müssen wir notwendigerweise weiter ausholen. Wir müssen zuerst 
die Tuberkulinreaktion, und dann auf Grund der damit 
gewonnenen Erkenntnisse die Tuberkulose-Infektion und 
Immunität besprechen. Dann erst können wir an die Schilderung 
therapeutischer Versuche herangehen. 

Die Tuberkulinreaktion. 

Die Tuberkulinreaktion ist eine Ueberempfindlichkeits- 
reaktion. Die Ueberempfmdlichkeit ist eine Teilerscheinung des Anti¬ 
körpers. Ebenso wie der Antikörper Bakterien vernichtet (Bakterio- 

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Much, 


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zidie), Bakterien für die Aufnahme in Leukozyten vorbereitet (Opsonin¬ 
reaktion), Komplement bindet, ebenso setzt er den Zustand der Ueber- 
empfindlichkeit und löst unter bestimmten Umständen das Ueber- 
empfmdlichkeitsphänomen aus. Wahrscheinlich gibt es zwei ver¬ 
schiedene Arten von Ueberempfindlichkeit: eine solche gegen Gifte 
und eine solche gegen geformtes oder ungeformtes Eiweiss und Fett. 

Die Ueberempfindlichkeit ist spezifisch. Die Gift über- 
empfindlichkeit harrt noch einer plausibeln Erklärung. Die Eiweiss- 
überempfindlichkeit scheint durch die Untersuchungen von W e i c h a r d 
und Friedberger ihrem Wesen nach ziemlich erklärt werden zu 
können. Es handelt sich bei ihr um eine parenterale Eiweiss¬ 
verdauung. Dieser Akt als solcher ist spezifisch. Ein gegen 
Typhusbazillen immunisierter Organismus vermag nur Typhusbazillen 
parenteral zu verdauen, gibt also nur bei Einverleibung von Typhus* 
bazillen eine Ueberempfindlichkeitsreaktion. Ebenso kann aber eine 
Ueberempfindlichkeitsreaktion erzeugt werden, wenn man einen 
Organismus mit einem nichtpathogenen Bakterium vorbehandelt 
(beispielsweise Prodigiosus) und hinterher dasselbe Bakterium ein¬ 
spritzt. Der dies Ueberempfmdlichkeitsphänomen hervorrufende Stoff 
scheint also unspezifisch zu sein (ein Eiweissabbauprodukt), während 
der zu seiner Entstehung führende Vorgang als solcher spezifisch ist. 

Ob das Tuberkulin ein Gift (Toxin) ist, können wir nicht mit Sicher¬ 
heit sagen. Demnach auch nicht, ob es sich bei der Tuberkulinreaktion 
lediglich um eine Giftüberempfindlichkeitsphänomen handelt. Auf jeden 
Fall aberj?ist das Phänomen als solches spezifisch. D. h. Indi¬ 
viduen, die niemals mit Tuberkulosevirus in Berührung gekommen 
sind, sind unempfindlich gegen Tuberkulin, sie reagieren nicht 
darauf. Andrerseits antwortet ein mit Tuberkulosevirus in Berüh¬ 
rung gekommener Organismus auf die Einverleibung von Tuberkulin 
mit einer Reaktion, er ist überempfindlich geworden. 

Die die Tuberkulinreaktion hervorrufende Substanz ist sowohl 
in den Leibern der Tuberkelbazillen enthalten, als auch wird sie in 
der klarfiltrierten Bouillon von Tuberkelbazillenbouillonkulturen ge¬ 
funden. Gewöhnlich benutzt man dies klare, eingedickte Filtrat unter 
der Bezeichnung Alttuberkulin. 

Alle Tuberkelbazillenstämme bilden qualitativ das¬ 
selbe Tuberkulin. Nur quantitativ können Unterschiede bestehen. 
Man muss daher mit genau eingestellten Tuberkulinen arbeiten. 

Je nach dem Orte, wo man das Tuberkulin in den Organismus 
einführt, bekommt man verschiedene Erscheinungsformen der Reak¬ 
tion. Nach diesen Erscheinungen unterscheidet man am besten drei 
Formen: Die Allgemeinreaktion, die Herdreaktion 
und die Lokalreaktion. 

Alle spezifischen Reaktionen des Antikörpers sind uun niemals 
lediglich ein Zeichen dafür, dass der Organismus zur Zeit der posi¬ 
tiven Reaktion unter der Einwirkung des betreffenden Erregers steht,, 
sondern ebensogut dafür, dass er darunter gestanden hat. 

Dennoch lässt sich eine solche Reaktion für die Diagnose 
verwerten, wenn sie durch die klinische Beobachtung kontrolliert 
wird. Wenn beispielsweise ein Kranker mit hohem, intermittierendem 
Fieber eine Typhusreaktion gibt und wenn er vor längerer Zeit keinen 
Typhus durchgemacht hat, so wird man sagen, dass die Reaktion auf 
eine zurzeit bestehende Typhusinfektion deute. So günstig in der 


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Immuntherapie der Tuberkulose. 


163 


diagnostischen Verwertung von Antikörperreaktionen liegen aber nur 
die Verhältnisse bei akuten Infektionskrankheiten. Denn hier ver¬ 
schwindet der Antikörper in absehbarer Zeit nach der Infektion ays 
dem Körper. Anders dagegen liegen die Verhältnisse bei den chro¬ 
nischen Infektionskrankheiten. Und ganz besonders schwer zu 
überblicken sind sie bei der chronischesten aller Krankheiten, der 
Tuberkulose. 

Hier ist ein Urteil deshalb besonders schwierig, weil in unsern 
Breiten nicht eine einmalige oder eine wenigmalige, sondern eine oft¬ 
malige, ja ständige Berührung mit dem Tuberkulosevirus vorkommt. 
Diese Berührung haftet in den meisten Fällen nicht, weil der Körper 
über immunisierende Mittel verfügt, um die aufgenommenen Erreger 
zu vernichten (s. später). Er ist also teils in dem ständigen Besitze 
von Immunkörpern, teils w'ird durch die dauernde Berührung mit tuber¬ 
kulösem Materiale die Bildung von Immunkörpern immer wieder von 
neuem angeregt. 

So kommt es denn, dass die durch die Tuberkulinreaktion nach- 
gew'iesenen Antikörper im Prinzipe nicht ein sicheres Zeichen aktiver 
Tuberkulose sind, sondern dass dadurch in letzter Linie nichts weiter 
gesagt wird, als dass der Körper irgendwann einmal mit Tuberkulose 
infiziert ist. 

Aktive und inaktive Tuberkülose lassen sich also prinzipiell 
durch die Tuberkulinreaktion nicht auseinander halten. Als Beweis 
für die Richtigkeit dieser Behauptung haben die oft zitierten Unter¬ 
suchungen von Franz und Hamburger zu gelten. Franz 
impfte ein österreichisches Regiment subkutan mit Tuberkulin 
und fand dabei — also bei der Auslese der Jugend — in 60—70 Proz. 
positive Reaktionen. Hamburger impfte 11—14 jährige Kinder 
mit der Intrakutanmethode (Lokalreaktion), die prinzipiell dasselbe 
ist wie die Subkutanmethode, aber viel feinere Ausschläge gibt. Er 
fand in 95 Proz. positive Reaktionen. Von aktiver Tuberkulose 
konnte bei fast all den von den beiden Untersuchern festgestellten 
Fällen keine Rede sein. 

Welche Schlüsse sich daraus des weiteren ziehen lassen, werden 
wir nachher sehen. Hier in diesem Zusammenhänge sei nur konstatiert, 
dass die Tuberkulinreaktion uns nur einen Aufschluss gibt über eine 
einmal gesetzte Tuberkuloseinfektion, gleichgültig, ob diese zu ge¬ 
fährlicher aktiver oder zu harmloser inaktiver Tuberkulose geführt hat. 

Scheinbar verliert die Reaktion dadurch an Bedeutung. Aber das 
ist nur scheinbar. Denn was sie für den Kliniker verliert, gewinnt sie 
für den Forscher, der durch epidemiologische Feststellungen zu einem 
Urteile über Tuberkuloseverbreitung und Entstehung, und damit zu 
einer Möglichkeit der Bekämpfung kommen will. — 

Anhangsweise sei hier noch erwähnt, dass unter bestimmten Um¬ 
ständen die Tuberkulinreaktion dennoch für den Kliniker zur Erken¬ 
nung aktiver Tuberkulose brauchbar sein kann. Nämlich einmal im 
Kindesalter und zweitens als sogenannte Herdreaktion. 

Im Kindesalter spricht eine positive Reaktion deshalb für 
aktive Tuberkulose, weil selbst die Kinder tuberkulöser Individuen 
frei von Antikörpern geboren werden, also eine passive Uebertragung 
mütterlicher Antikörper nicht vorkommt. Ebensowenig kommt ak¬ 
tive Bildung von Antikörpern auf Grund einer intrauterinen Infektion 
vor. Eine Tuberkulinreaktion beim Kinde ist demnach das Zeichen 

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Mach, 


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einer eingetretenen Infektion, von der es natürlich aus der Tuberkulin¬ 
reaktion nicht abzusehen ist, ob sie aktiv bleiben oder in eine inaktive 
Form übergehen wird. 

Unter Herdreaktion verstehen wir die Erscheinung, dass 
durch subkutane Tuberkulineinverleibung eine nachweisbare Ent¬ 
zündung in tuberkulösen Herden ausgelöst wird. Diese Entzündung 
kann sich entweder in subjektiven Schmerzen äussern, oder kann objek¬ 
tiv nachgewiesen werden. So beispielsweise bei Lungenherden aus¬ 
kultatorisch, bei Lupus, Larvnx- und Iristuberkulose durch das Auge. 
Es ist die beweisendste Form der Tuberkulinreaktion. 

Ob eine quantitative Bestimmung der Tuberkulinüber- 
empfindlichkeit zu einem ähnlichen Ziele führt, kann noch nicht gesagt 
werden. — 

Was nun die negative Tuberkulinreaktion anlangt, 
so ist diese nur bei Kindern — mit Ausnahme von Miliartuberkulose 
— mit Sicherheit zu verwerten. 

Beim Erwachsenen wird ihr Wert durch zwei Erfahrungen ein¬ 
geschränkt. Denn erstens kommt es vor, dass kachek t ische 
Tuberkulöse nicht mehr reagieren, was nicht auf einem Fehlen der 
Antikörper, sondern auf einem mangelnden Funktionieren des Ueber- 
empfindlichkeitsapparates beruht. Und zweitens kann ein positiv 
reagierender Körper durch vorherige Tuberkulinbehandlung zu einer 
negativen Reaktion gebracht werden, was vielleicht auf der Bildung 
von Antituberkulinen beruht. — 

Fassen wir also zusammen, so können wir sagen: 

„Eine negative Tuberkulinreaktion spricht für Tuberkulose¬ 
freiheit 1. im Kindesalter (ausser schwerer Miliartuberkulose). 

. 2. bei Erwachsenen, sofern kachektische Zustände oder 

reaktionshemmende Stoffe ausgeschlossen werden können. 

Eine positive Reaktion spricht mit Sicherheit für eine irgend 
wann einmal eingetretene Tuberkuloseinfektion. Zur Unterscheidung 
von aktiver und inaktiver Tuberkulose kann sie mit Sicherheit nur 
benutzt werden 1. im Kindesalter. 2. als Herdreaktion. 

Tuberkuloseinfektion und Immunität. 

Sehen wir somit, dass eine positive Tuberkulinreaktion beim 
Menschen immer nur durch das Setzen einer Tuberkuloseinfektion 
verursacht werden kann, und sehen wir ferner, dass die meisten 
erwachsenen Menschen auf Tuberkulin reagieren, so werfen sich drei 
Hauptfragen auf: 

1. Wann erfolgt in den meisten Fällen die Tuberkulose¬ 
infektion ? 

2. Ist die Tuberkulinreaktion immer auf die erste Infek¬ 
tion zurückzuführen ? 

3. Woher kommt es, dass so viele Menschen auf Tuberkulin 
reagieren, ohne tuberkulös zu sein ? 

Ad. 1. 

Nachdem man bei der Beantwortung dieser Frage lange im Dun¬ 
keln herumgetappt hatte, war es Behring, der durch einen kühn 
konzipierten und kühn vertretenen Gedanken- der Forschung neue 
und diesmal erfolgreiche Wege wies. Es ist das eine nicht hoch genug 
anzuschlagende Gedankentat des genialen Forschers. Er verwies die 


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Immuntherapie der Tuberkulose. 


165 


Infektion mit Tuberkulosevirus in die Kindheit und ermöglichte 
dadurch erst eine Klärung des bis dahin völlig dunkeln Gebietes. 

Die Tuberkulose ist eine Kinderkrankheit — 
darin gipfelt das Resultat der experimentellen, epidemiologischen, bio¬ 
logischen, pathologisch-anatomischen und klinischen Tuberkulose¬ 
forschung der letzten Jahre. 

Was die pathologisch-anatomischen Befunde anbetrifft, so musste 
schon die Statistik N a e g e I i s und Burchhards stutzig machen, 
worin festgestellt war, dass bei fast allen Menschen über 18 Jahren 
tuberkulöse Residuen zu finden waren. Hamburger hat dann 
in eingehenden Untersuchungen die Verhältnisse an Kinderleichen 
klargelegt. Seine Untersuchungen sind deshalb sehr wichtig, weil sie 
ausgeführt wurden an solchen Kindern, die nicht an Tuberkulose ge¬ 
storben waren. Die tuberkulösen Veränderungen wurden also erst 
an der Leiche alsNebenbefunde aufgedeckt. Eine solche Statistik 
gibt die folgende Tabelle, die besser als viele Worte dafür spricht, wie 
ein mit den Jahren steigender Prozentsatz tuber¬ 
kulöser Veränderungen festzustellen ist. 


1 Jahr 

| 2 Jahr | 3—4 Jahr [ 5—6 Jahr 7—10 Jahr 

11—14 J. 

1,5 Proz. 

| 9 Proz. | 30 Proz. 44 Proz. 86 Proz. 

77 Proz. 


Die pathologisch-anatomische Untersuchung ist 
aber nicht die feinste Untersuchungsmethode. So wissen wir einmal 
aus Untersuchungen von W o 1 f f , dass in vollkommen normalen 
kindlichen Drüsen die Muchsche granuläre Form des Tuberkulosevirus 
in für Tiere virulenter Form Vorkommen kann. Und wir müssen ferner¬ 
hin annehmen, dass nicht jede Infektion zu einer noch nach 
Jahren nachweisbaren tuberkulösen Veränderung zu führen 
braucht. Es ist deshalb die biologische Methode ein viel feineres 
Reagenz. Hier ist vor allem die Tuberkulinreaktion bedeutungsvoll. 

Schon die vorhin erwähnten Untersuchungen von Franz an 
dem Kerne österreichischer Jugend hatten auf eine bei der Mehrzahl 
der Menschen in unsern Breiten vorkommende Tuberkuloseinfektion 
hingewiesen. Aber eine methodische Klärung nach dieser Seite hin 
verdanken wir vor allem wiederum Hamburger. Denn erstens 
stellte er die Untersuchungen an Kindern an und zweitens be¬ 
diente er sich einer empfindlicheren Prüfungsmethode (Lokal¬ 
reaktion). Er untersuchte Kinder vom ersten bis vierzehnten Lebens¬ 
jahre und fand einen mit den Jahren steigenden Prozentsatz positiver 
Reaktionen. Und zwar zeigte es sich, dass der Prozentsatz rapide in 
die Höhe ging, und dass vom 10. Jahre ab eine negative 
Reaktion zu den Ausnahmen zählte. Aehnliche Unter¬ 
suchungen sind dann an den verschiedensten Stellen gemacht worden 
und zwar mit demselben Resultate, insofern die Untersucher dieselbe 
empfindliche Prüfungsmethode anwandten. 

Auch bei Benutzung anderer Reaktionen des Antikörpers (Ag¬ 
glutination. Komplementbindung) bekommt man in einem hohen 
Prozentsätze positive Reaktionen, und zwar in vielen Fällen, w r o von 
klinischer Tuberkulose keine Rede sein kann. Auch diese Reaktionen 
nehmen mit den Jahren an Häufigkeit zu. 

Wir sehen also, dass die meisten Menschen eine Tuberkulose- 
•nfektion durchmachen und wir müssen diese Infektion in das Kindes¬ 
alter des Menschen verlegen. 


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Much, 


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Ad. 2. 

Abgesehen von den ganz seltenen Fällen einer intraute¬ 
rinen Infektion und von der Ansteckung durch tuberkelbazillen¬ 
haltige Kuhmilch müssen wir annehmen, dass die Infektion des Kindes 
durch die in dem elterlichen Hause vorhandenen Tuberkelbazillen 
erfolgt (Römer). 

Nun wissen wir aber, dass wir im Leben andauernd mit Tuberkel¬ 
bazillen in Berührung kommen. Es erfolgen also die mannigfachsten 
Infektionen. Weist nun die Tuberkulinreaktion immer auf die erste 
Kindheitsinfektion zurück ? 

Diese Frage ist unbedingt zu bejahen. Denn durch die erste Be¬ 
rührung mit dem Tuberkulosevirus wird der Organismus ein für alle¬ 
mal umgestimmt. Kommt es zu einer schneller oder langsamer ver¬ 
laufenden Tuberkulose, so ist die Tuberkulinreaktion selbstverständ¬ 
lich auf die erste Infektion zurückzuführen. Kommt es aber zu keiner 
aktiven Tuberkulose, so ist ebenfalls die erste — diesmal überstandene 
Infektion im letzten Grunde für die Reaktion verantwortlich zu machen. 
Denn dadurch wird in diesem Falle dem Organismus die Möglichkeit 
gegeben, Antikörper zu bilden, und es ist prinzipiell gleichgültig, ob 
diese Antikörperbildung durch erneute Aufnahme und Vernichtung 
von tuberkulösem Virus zeitweilig verstärkt wird. Bestimmend ist 
doch die erste Berührung und die dadurch gesetzte Möglichkeit, 
Antikörper zu bilden. 

Ad. 3. 

Sehen wir nun, dass die Mehrzahl der Menschen auf Tuberkulin 
reagiert, und dass der grössere Teil von diesen Reagierenden 
von klinischer Tuberkulose frei bleibt, ein normales 
Alter erreicht und an irgend einer andern Ursache, nur nicht an Tuber¬ 
kulose stirbt, so müssen wir auf jeden Fall annehmen, dass diese Men¬ 
schen ihre Kindheitsinfektion überstanden haben. 

Nun pflegt aber meistens das Ueberstehen einer Infektion eine 
Immunität zu hinterlassen, die mehr oder weniger lange anhalten 
kann. Es wirft sieb deshalb die Frage auf, ob nicht auch dasUeber- 
stehen einer Tuberkuloseinfektion eine Immu¬ 
nität hinterlässt. Diese Frage ist unbedingt zu bejahen. 

Für das Bestehen einer Tuberkuloseimmunität sprechen die ver¬ 
schiedensten Gründe. 

Dass überhaupt eine Tuberkuloseimmunität möglich ist, hat 
Behring bewiesen bei der nächst dem Menschen am meisten durch 
die Tuberkulose gefährdeten Tierart, den Rindern. Er konnte zeigen, 
dass durch die Schutzimpfung mit lebendem menschlichen Tuber¬ 
kulosevirus Rinder vor einer tödlichen Tuberkuloseinfektion geschützt 
werden können. Deycke und Much haben dann jüngsthin auch 
mit totem Materiale unter bestimmten Umständen immunisieren 
können. 

Römer hat ferner die von Koch festgestellte Tatsache, dass 
tuberkulöse Tiere gegen eine Zweitinfektion mit Tuberkulose geschützt 
sind, experimentell sicher begründet. Solche Tiere sind also trotz ihrer 
bestehenden Tuberkulose gegen eine zweite Infektion immun. 

Für die menschliche Tuberkuloseimmunität lassen sich 
ebenfalls die verschiedensten Beweise erbringen. So fand Deycke 
im türkischen Reiche gänzlich tuberkulosefreie Gegenden. Kamen 
aus solchen Gegenden Türken nach Konstantinopel, um ins Militär 



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Immuntherapie der Tuberkulose. 

eingestellt zu werden, so fielen sie einer rapiden Tuberkulose anheim. 
Und wenn nun diese Leute die Tuberkulose in ihren bis dahin tuber¬ 
kulosefrei gewesenen Heimatsort verschleppten, so kam es hier zu 
einer verheerenden Seuche, die nicht unter dem Bilde der 
menschlichen, sondern der Rinder-Tuberkulose verlief. Erst nach 
einiger Durchseuchung der Gegend verliert die Seuche ihren schlimmen 
Charakter. Das heisst also, dass wir tuberkuloseinfiziert gewesenen 
Europäer geschützt sind gegen eine Infektion, denen ein in der Jugend 
nicht mit Tuberkulosevirus in Berührung gekommener Oragnismus 
erliegt. 

Aehnliche Verhältnisse sind für Argentinien (Römer) beschrie¬ 
ben. Ferner ist, worauf Wolff-Eisner mit Recht hinweist, be¬ 
kannt, dass Neger in Europa so häufig der Tuberkulose zum Opfer 
fallen, eben weil sie in Afrika niemals mit Tuberkulosevirus in Berüh¬ 
rung kamen, und sich deshalb auch nicht immunisieren konnten. 

Manche Berufe, wie z. B. der ärztliche, kommen besonders viel 
mit dem Tuberkulosevirus in Berührung. Und doch ist die Tuber¬ 
kulosesterblichkeit in ihnen nicht grösser. Wer in Laboratorien viel 
mit Tuberkelbazillen arbeitet, kann sich garnicht davor schützen, 
viel virulente Keime in sich aufzunehmen, ohne deshalb an Tuber¬ 
kulose zu erkranken. 

Es besteht zudem eine ganze Reihe klinischer Beobachtungen, 
die für eine Tuberkuloseimmunität, gesetzt durch eine Infektion, sprechen. 
So bekommen beispielsweise Lupuskranke nur sehr selten Phthise. 

Die Tuberkulose braucht demnach nicht vollkommen ausgeheilt 
zu sein, um Immunität zu setzen. In vielen Fällen wird es sogar so 
sein, dass ein kleiner Herd im Körper fortbesteht, ohne jemals klinische 
Erscheinungen zu machen. Dieser Herd, der ständig in Schach gehalten 
wird, schützt dann offenbar dauernd vor erneuten Infektionen. Nur 
so kann man die Befunde erklären, wo man bei der Sektion häufig 
einen vereinzelten und versteckten Tuberkuloseherd antrifft. 

Eine durch solche in Schach gehaltenenen Herde gesetzte Immuni- 
nität macht es ohne weiteres erklärlich, dass die Tuberkuloseimmunitä 
in diesen Fällen von so langer Dauer ist wie bei keiner anderen 
Krankheit. Aber auch durch das restlose Ueberstehen der esrsten 
Infektion wird eine solche lange Dauer der Immunität erreicht werden. 
Denn wir müssen nur daran denken, dass wir ständig mit Tuberkulose 
virus in Berührung kommen, dass also immer wieder von neuem Ab¬ 
wehrbewegungen Vorkommen müssen, durch die dann die vorhandene 
Immunität verstärkt wird. Diese gehäufte Berührung, die für manche 
in der Kindheit so schädlich ist, wird also für andere Fälle zu einem 
nicht geringen Vorteile. 

Wir werden es uns deshalb so vorzustellen haben, dass bei starker 
Infektionsdosis oder bei geringer Infektionsdosis aber schädlicher 
Konstitution die kindliche Widerstandsfähigkeit gegen das Virus ver¬ 
sagt. Es kommt dann zu einer schneller oder langsamer verlaufenden 
Tuberkulose. Bei geringer Infektionsdosis und guter Konstitution wird 
dagegen die Infektion in vielen Fällen überwunden und dadurch wird 
eine enorme Immunität gesetzt (R ö m e r). Eine.Ansteckung im höhe¬ 
ren Alter gehört bei uns zu den Ausnahmen, auf deren detaillierte 
Schilderung hier nicht eingegangen werden soll. 

Resümieren war also, so können wir sagen: 

1. Es gibt eine Tuberkuloseimmunität beim Menschen. 


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2. Sie entsteht durch Selbstimmunisierung. 

3. Sie ist von sehr langer Dauer. 

4. Sie ist meist enorm stark. 

5. Sie scheint nur in der Kindheit erworben werden zu können.*) 

Immun-Th'erapie. 

Wissen wir somit, dass es eine natürlich entstandene Tuberkulose¬ 
immunität desMenschen gibt, die an Stärke, wie es scheint, der künst- 
I i c h hervorgerufenen Pockenimmunität nicht nachsteht, ja sie wo¬ 
möglich noch übertrifft, so wäre es eigentlich der gegebene folgerichtige 
Gedanke, die natürlich entstehende Immunität nachzuahmen, und, 
ähnlich wie bei der Pockenschutzimpfung, eine künstliche 
Schutzimpf u n g herbeizuführen, damit womöglich alle Indi¬ 
viduen an dem Segen der Tuberkuloseimmunität teilhaben könnten. 

Angenommen nun auch, wir wären im Besitze eines brauchbaren 
Impfstoffes — und dem Ziele scheint man durch die aller jüngsten noch 
unpublizierten Ergebnisse, die i c h mit Deycke unter Mitarbeit 
von L e s c h k e gewonnen habe, allerdings sehr nahe kommen zu 
können — so würde sich einer allgemeinen Einführung einer Schutz¬ 
impfung gewiss eine solche Masse von Widerstand entgegensetzen, 
dass an eine Verwirklichung dieser Idee selbst in Jahrzehnten, ja viel¬ 
leicht nie zu denken sein wird. Sehen wir doch gerade in diesen Tagen, 
wie fanatisierter Unverstand an der grössten medizinischen Glanz- 
und Segenstat, der Pockenschutzimpfung, rüttelt. Ob sich nun aber 
das Ziel einer Tuberkuloseschutzimpfung in der Praxis jemals wird 
erreichen lassen oder nicht, das muss dem Forscher bei seiner Arbeit 
gleichgültig sein. Er wird es als das höchst zu Leistende bei seiner 
Arbeit stets vor Augen haben. Und sollte es einem gelingen, ihm nahe 
zu kommen, dann hat er für seine Person wenigstens das getan, was 
des Lebens eigentlicher Inhalt ist: seine Pflicht. 

In Praxi werden wir indessen nicht mit einer immunbiologischen 
Schutz impfung, sondern mit einer Heilung der schon aus¬ 
gebrochenen Tuberkulose zu rechnen haben. Sehen wir kurz zu. wie 
weit wir eine solche mit. inununobiologischen Mitteln herbeiführen 
können oder wie weit wir durch ebensolche Mittel die hygienischen, 
klinisch-diätetischen Massnahmen zu unterstützen imstande sind. 

Eine Krankheitsheilung auf immunobiologischem Wege kann 
auf zwei Wegen — wie wir das in unsern ersten Besprechungen sahen 
— erstrebt werden: 1. durch passive Immuntherapie, 2. durch 
aktive Vazkinctherapie. Auch kann man beide Prinzipien ver¬ 
einigen. 

Ad. 1. 

Eine passive Immuntherapie kann durch Stolle herbeigeführt 
werden, die sich entweder gegen die giftigen Substanzen der Mikrobien 
oder gegen die Lebensfähigkeit der Erreger richten. Wir sprechen 
dann von antitoxischen und antimikrobiellen (bakteriziden) Substanzen, 
die wir meistens gewohnt sind, im Serum immunisierter Individuen 
zu suchen. 


*) Neger, die erwachsen nach Europa kommen, werden sehr leicht tuberkulös. Andere, 
wenn sie schon als Kinder hinüberkommen. Ein bei mir arbeitender Arzt der schwarzen 
Rasse ist beispielsweise schon in frühster Jugend nach England gekommen. Ebenso sein 
Bruder. Beide reagieren auf Tuberkulin, sind aber klinisch keine Spur tuberkulös. 



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Immuntherapie der Tuberkulose. 


169 


Es hat nun auch nicht an Versuchen gefehlt, teils durch antitoxische, 
teils durch antimikrobielle Sera der Tuberkulose entgegenzutreten. 

So gibt es im Handel befindliche, vor allem gegen die toxischen 
Substanzen des Tuberkulosevirus sich richtende Sera, von denen die 
von Marmorek und Maragliano am meisten geprüft sind. 
Will man auch die Ansichten einiger Untersucher, die für eine günstige 
Wirkung des einen oder des andern Serums eintreten, so viel wie mög¬ 
lich berücksichtigen, so muss man doch sagen, dass von nennenswerten, 
leicht demonstrierbaren Heilerfolgen gar keine Rede sein kann. Ich 
selbst habe von beiden Seris so gut wie gar keine Wirkung gesehen. 

Jüngst hatte R u p p e 1 über ein Serum berichtet, das mehr anti¬ 
mikrobielle Eigenschaften zu haben scheint. Jedes bakterizide Serum 
muss natürlich die Reaktionen des bakteriziden Antikörpers geben. 
Es muss demnach agglutinieren, präzipitieren, komplementbinden, 
opsonieren, bakteriolysieren und Ueberempfindlichkeit machen. Wenn 
es das alles tut, so ist damit bewiesen, dass es sich um ein bakterizides 
Serum handelt. Aber über seine Heilkraft beim Menschen ist damit 
noch nichts gesagt. Denn ein solches Serum kann man beispielsweise 
auch ebensogut gegen Typhusbazillen erzeugen, indem man Tieren 
abgetötete Typhusbazillen einspritzt. Ein solches Serum ist aber, 
trotzdem es die ganzen Antikörperreaktionen gibt, für eine Typhus¬ 
heilung beim Menschen ganz unbrauchbar aus Gründen, die ich teil¬ 
weise schon in diesen Blättern andeutete. Es ist deshalb auch ein ge¬ 
wisser unnötiger Luxus, bei einem solchen Serum alle die e i n z e 1 n e n 
Antikörperreaktionen aufzuführen als Beweis für seine besondere Güte. 
Denn es ist selbstverständlich, dass ein hochwertiges Serum alle diese 
Reaktionen geben muss, da es ja nichts anderes sind als verschiedene 
Aeusserungen eines und desselben'einheitlichen Anti¬ 
körpers. Ich habe schon andern Ortes darauf hingewiesen, dass der 
theoretische Teil der Ruppelschen Ausführungen über sein Serum 
bedenkliche Mängel aufweist. (S. Lehrbuch der Immunitätswissen¬ 
schaft S. 250, 251.) Das wäre ja aber an sich ziemlich belanglos, wenn 
es praktisch brauchbar wäre. Darüber aber lässt sich einstweilen noch 
nichts sagen. Nach unsern sonstigen Erfahrungen steht aber leider zu 
erwarten, dass es sich um ein eklatantes Heilmittel kaum handeln wird. 

Auf den ersten Blick muss es Wunder nehmen, dass trotz der 
experimentell und biologisch erwiesenen bestehenden Tuberkulose¬ 
immunität diese Immunität sich scheinbar nicht auf andere Individuen 
übertragen lässt. Aber wir haben, gerade bei der für das aktiv 
immunisierte Individuum so glänzend sich bewährenden Pockenschutz¬ 
impfung ein Paradigma dafür, dass es kaum möglich ist, diese Immunität 
auf ein anderes Individuum — passiv — zu übertragen. Es könnte 
das daran liegen, dass die ImmunstofTe wohl in der genügenden Menge 
zum Schutze für das aktiv immunisierte Individuum gebildet werden, 
dass aber ihre Produktion nicht so gesteigert werden kann, um auch 
noch auf andere eine genügende Wirkung hervorbringen zu können. 
Es könnte aber auch daran liegen, dass die gesuchten ImmunstofTe 
gar nicht in der Blutflüssigkeit vorhanden sind, dass also diese Immuni¬ 
tät auf ganz andern Stoffen beruht, als man sie bisher im allgemeinen 
in der Serumtherapie untersucht hat. 

Von diesem zuletzt geschilderten, an sich nicht von der Hand zu 
weisenden Gesichtspunkte ging Spengler aus, als er die Tuberkulose¬ 
antikörper in den roten Blutkörperchen nachzuweisen glaubte. Er 


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verwendet bei seinem Mittel (I. K.) Extrakte aus roten Blutkörperchen 
in homöopatischer Dosis. Seine theoretischen näheren Ausführungen 
sind ganz unzulänglich. Namhafte Autoren haben auch für die Praxis 
die absolute Unwirksamkeit des Mittels nachgewiesen. 

Es ist überhaupt schwierig, sich bei der Beurteilung eines Tuber¬ 
kulosemittels vor subjektiven Täuschungen zu bewahren, zumal w r enn 
dieses Mittel in vorzüglich gelegenen Lungenheilstätten geprüft wird, 
wo auch ohne spezifische Behandlung oft die erstaunlichsten Erfolge 
erzielt werden. Aus Fieberkurven und vorübergehenden Besserungen 
soll man keine voreiligen Schlüsse ableiten. Hier w r ie überall heisst es: 
Geheilt oder nicht geheilt! 

Ad. 2. 

Haben wir somit in der Serumtherapie auf passivem Wege bisher 
kein einziges wirklich gutes Mittel kennen gelernt, so fragt es sich, ob 
wir mit der Vakzinetherapie weiter kommen. 

Unter Vakzinetherapie verstehen wir den Versuch, einen 
schon erkrankten Organismus durch Einspritzung desselben Mikro- 
bions, das die Krankheit verursacht, aktiv zu immunisieren. Natürlich 
wird der Erreger oder Produkte des Erregers in unschädlicher Form 
eingespritzt. Und wir stellen uns vor, dass der Körper dadurch an¬ 
geregt wird, selbsttätig Stoffe hervorzubringen, die sich gegen die im 
Körper vorhandenen schädigenden Krankheitserreger und Krankheits¬ 
produkte zu richten vermögen. Natürlich hat eine solche Therapie nur 
Zweck bei chronischen Krankheiten, wo dem Körper von dem 
infizierenden Agens Zeit gelassen wird, selhsttäig derartige Stoffe hervor¬ 
zubringen. 

Eine solche Therapie ist bei Tuberkulose mit den verschiedensten 
Mitteln versucht worden, wobei vor allem zwei Prinzipien zur Gel¬ 
tung kamen. Einmal versuchte man es mit den von den Tuberkel¬ 
bazillen abgesonderten Stoffen (Tuberkulin), und dann mit den 
Tuberkelbazillen selbst. 

Im Tierexperimente versagt nun das Tuberkulin 
als Immunisierungs- und Heilmittel vollkommen. Beim Menschen 
aber steht es ausser allem Zweifel, dass ihm zuweilen eine günstige Ein¬ 
wirkung auf den Tuberkuloseprozess zukommt, und dass es Fälle gibt, 
die durch Tuberkulin geheilt sind. Ob man die unter 1 erwähnten 
Mittel anwenden will, das ist Geschmackssache des Einzelnen, und 
man kann dazu nicht zuraten. Zu dem Versuche einer Tuberkulin¬ 
kur kann man aber immerhin raten. Ein Idealmittel ist es 
nicht, aber auch kein Mittel, das uns gänzlich hoffnungslos lässt. 

Die Tuberkuline. 

1. Unter den Tuberkulinen nimmt immer noch mit Recht das 
von Koch entdeckte Alttuberkulin die führende Stelle ein. 
Es ist dasselbe Tuberkulin, dessen man sich als besten Reagenzmittels 
für Tuberkuloseinfektion bedient (s. o.). - 

Ein bestimmtes Schema für die Tuberkulinbehandlung soll 
man nicht geben. Am besten fängt man mit ganz kleinen 
Dosen, die man in gebrauchsfertiger Form aus der Apotheke be¬ 
ziehen kann, an. Man beginnt etw'a mit y i00 mg. Man kann auch mit 
noch kleineren Dosen (y i0 oo mg) beginnen. Dann steigt, man langsam 
in der Dosis, sobald keine Reaktion erfolgt. Die Einspritzungen er¬ 
folgen etwa in wöchentlichen Pausen. Am besten nimmt man immer 



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rmrauntherapie der Tuberkulose. 


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das Doppelte der zuletzt eingespritzten Menge. Höher als 1000 mg 
zu geben ist unratsam. — Tritt dagegen bei einer Dosis eine Fieber¬ 
oder Herd r e a k t i o n ein. so geht man in der Dosis bei der nächsten 
Einspritzung nicht zurück, sondern wiederholt in denselben Inter¬ 
vallen wie oben die Einspritzung derselben Dosis so lange, bis 
keine Reaktion mehr eintritt. Nachdem die Dosis reaktionslos ver¬ 
tragen wird, steigt man wieder. — In diese Worte kann man ganz 
kurz die Technik der Tuberkulinkur zusammenfassen. Wenn man 
sich daran hält, wird man weder einmal in ungünstigem Sinne wirken, 
noch auch eine Heilung hintanhalten, sofern diese überhaupt mit Tuber¬ 
kulin möglich ist. 

Durch die Tuberkulinkur wird dem Patienten eine Immunität 
gegen Tu berkulin verliehen, was aber natürlich nicht gleich¬ 
bedeutend ist mit Immunität gegen Tuberkulose. Was das 
Tuberkulin eigentlich ist, wissen wir ja, wie erwähnt, noch gar nicht. 
Dass es aber sicherlich nicht alle Immunität auslösenden Eigen¬ 
schaften des Tuberkulosevirus enthält, wissen wir. Wir werden deshalb 
bei seiner Anwendung auch nur mit einer Teil immunisierung zu 
rechnen haben. Wenn es trotzdem hilft, so kommt das daher, dass 
der Körper die übrigen notwendigen Stoffe selbst hervorbringt. Das 
wird der Körper aber nicht in allen Fällen tun, und daher auch wohl 
das vielfache Versagen der Tuberkulinkur. 

Da das Tuberkulin zweifellos eine — in ihrem Wesen noch un¬ 
bekannte — Wirkung auf tuberkulöse Herde ausübt (Herdreaktion), 
so hat sich die Frage aufgeworfen, ob eine Kur nicht unter Umständen 
anstatt günstig ungünstig wirken kann. Man könnte sich vorstellen, 
dass durch die Herdreaktion das tuberkulöse Virus mobilisiert werden 
könnte. Doch ist darauf zu antworten, dass allerdings eine unvor¬ 
sichtige Kur in diesem Sinne wirken kann. Aber bei Kuren, die 
nach den soeben gegebenen Regeln ausgeführt werden, ist eine Gefähr¬ 
dung und eine Wendung zum Ungünstigen so gut wie ausgeschlossen. 

Als Kontraindikationen haben überhaupt nur die pro¬ 
gredienten, ganz hoffnungslosen Fälle zu gelten. 

2 . Perlsuchttuberkulin. Das Alttuberkulin wird gewöhnlich von 
Menschentuberkelbazillenstämmen gewonnen. Das Perlsuchttuber¬ 
kulin stammt von Rindertuberkelbazillen. Es soll quantitativ weniger 
giftig sein. Qualitativ unterscheidet es sich nicht. 

3. Von verschiedenen Seiten stellte man sich die Aufgabe, dem 
Tuberkulin seine giftigen Substanzen zu nehmen, ohne dadurch 
seine immunisatorischen Eigenschaften aufzuheben. Ja, 
man dachte sich, dass die immunisatorischen Eigenschaften erst eigent¬ 
lich und viel besser zur Wirkung kommen werden, wenn man die gif¬ 
tigen Stoffe ausschaltet. Ob dieser ganze Gedankengang richtig ist, 
ist sehr fraglich. Jedenfalls hat man derartige „entgiftete“ Tuberkuline 
hergestellt, ohne durch sie praktisch brauchbarere Resultate als mit 
dem alten Tuberkulin zu erlangen. Es handelt sich im übrigen auch 
keineswegs um eine absolute Entgiftung. 

Ein derartiges Tuberkulin ist von Rosenbach eingeführt. 
Die Entgiftung wird erstrebt durch Zusammenbringen der Tuberkel¬ 
bazillen mit Trichophyton. Man kann in der Tat von diesem Tuber¬ 
kulin grössere Mengen einspritzen, als von dem alten, ohne Fieber¬ 
reaktionen zu bekommen. Aber eine bessere Beeinflussung des tuber¬ 
kulösen Prozesses ist kaum zu konstatieren. (Schluss folgt.) 


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Wiszwianski, 


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Die Bedeutung der Nervenmassage für den praktischen Arzt. 

Von Dr. Wiszwianski, 

Nervenarzt in Berlin-Charlottenburg. 

(Schluss.) 

Nachdem wir nun das Entstehen und das Wesen der 
Nerven punkte, sowie die Art und den Verlauf der B e- 
h a n d 1 u n g geschildert haben, kommen wir zur Besprechung der¬ 
jenigen Krankheitszustände, die sich besonders für 
die Behandlung mittels Nervenpunktmassage eignen. 
Ich bemerke gleich, dass man trotz der grossen Erfolge von der Nerven- 
massage nicht zu viel erwarten darf; sie ist vor allem eine Methode, 
die sich mit der Beseitigung krankhafter Symptome beschäftigt., da es 
ja in der Mehrzahl der Fälle nicht gelingt, eine angeborene Disposition, 
wie z. B. bei der Hysterie oder Neurasthenie zu beseitigen. In erster 
Linie kommen für unsere Behandlung alle Arten der Neuralgie 
in Betracht, vor allem die Trigeminus-, die Occipital- und Intercostal- 
neuralgien, die Ischias, ferner alle Arten funktioneller Schmerz¬ 
zustände, wie Kopfschmerz, Migräne, Herzbeschwer¬ 
den, nervöse Magen-Darm- Sch merzen, Frauenbeschwer¬ 
den während der Periode, Schwangerschaft und im Klimakterium der 
Kreuzschmerz (Lurabag o) u. a. in. Sehr gute Erfolge haben wir 
auch bei der Behandlung des Schwindels, des nervösen E r- 
brechens, auch bei Migräne und während der Schwangerschaft, 
des nervösen Hustens, Schnupfens und N i e s e n s , 
gewisser Formen des nervösen Asthmas, sowie der im Gefolge 
von Muskelrheumatismen und gichtischen Prozessen 
auftretenden Schmerzzustände aufzuweisen. Auch die auf der Grund¬ 
lage einer Anämie, Arteriosklerose, Alkohol- und 
Nikotinintoxikation beruhenden allgemeinen nervösen Sym¬ 
ptome eignen sich besonders für unsere Behandlung. In der moto¬ 
rischen Sphäre verzeichnen wir günstige Resultate bei Krampf¬ 
zuständen wie Torticollis, Schreibkrampf, Wa¬ 
denkrampf, Magen-, Dar m-, Unterleibskrämpfen. 
Auch bei Mötilitätsneurosen, wie Tic convulsiv, Chorea, 
Zwangsbewegungen der Kinder hatten wir Erfolge zu konstatieren. 

In allen Fällen muss jedoch, bevor mit der Behandlung begonnen 
wird, eine genaue Feststellung der Nervenpunkte vorausgehen, die, 
wie bereits oben erwähnt, zwar an keinen anatomischen 
Sitz gebunden sind, jedoch bei den einzelnen Erkrankungen gewisse 
Prädilektionsstellen aufzuweisen haben. S. z. B., um aus 
der grossen Reihe nur einige Hauptpunkte anzuführen, linden wir 
beim Kopfschmerz eine Anhäufung der Punkte über 
der Orbita, an den Schläfen, in der Gegend der Jochbeine, 
am Hinterhaupt, besonders an den processus mastoidei bis hinunter 
in den Cucullaris. Beim nervösen Schwindel tief in der Orbita, 
unterhalb der Austrittsstelle des ersten Quintusastes die sogenannten 
„Schwindelpunkt e“. Tritt wie bei der Migräne zum nervösen 
Kopfschmerz noch Erbrechen hinzu, so haben wir eine Anhäufung 
von Punkten in der Magengegend, bei Herzneurosen in den betreffen¬ 
den Interkostalräumen, bei Rückenschmerzen in der Längsmuskulatur 
des Rückens, bei der Ischias, abgesehen von der selteneren Lokali¬ 
sation am Stamm meist in den Glutäen, im Bereiche des Cutaneus 



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Die Bedeutung der Nervenmassage für den praktischen Arzt. 173 

femoris lateralis (Meralgie), der Peronei usw. Besonders häufig 
finden sich auch noch beim Schiefhals Nervenpunkte im Gebiete des 
Cucullaris, sowie am inneren Rande des Sternocleidomastoideus, bei 
Wadenkrämpfen solche an der Bifurkationsstelle des Gastroknemius 
usw. Selbstredend konnte ich bei dieser Aufzählung nicht alle Krank¬ 
heiten und alle Punkte erwähnen, wichtig ist nur der Umstand, dass 
einzelne Symptome oft von ganz fernliegenden Punk¬ 
ten zur Auslösung kommen können, so z. B. kann der nervöse 
Hustenreiz ebensogut von einem Punkte in der Gegend des Kehlkopfes 
und des Gesichtes, als auch von dem eines vorderen oder hinteren Inter¬ 
kostalraumes ausgelöst werden. Ein Gleiches beobachten wir beim 
nervösen Schnupfen und Niesen, wo Anfälle nach Druck, sowohl der 
Nasenwurzel als auch einzelner Stellen der Fusssohle, bei Frauen sogar 
der Vagina erfolgen können, wobei zu berücksichtigen ist, dass nach 
Beruhigung fraglicher Punkte auch jene von ihnen bedingten Sym¬ 
ptome zum Schwinden kommen. 

Alle diese auf langjähriger praktischer Erfahrung beruhenden 
Beobachtungen und Tatsachen mögen dem der Nervenmassage Fern¬ 
stehenden befremdlich erscheinen. Dem Vorwurfe, die Nervenmassage 
habe keine wissenschaftliche Begründung, ihre Erfolge Hessen sich nur 
aus der suggestiven Wirkung erklären, müssen wir die faktischen Resul¬ 
tate unserer Therapie, die jederzeit an der Hand der peinlichst geführ¬ 
ten Krankengeschichten der Königlichen Charite-Poliklinik für Nerven¬ 
massage zu Berlin nachgeprüft werden können, entgegenhalten. Was 
den E i n w a n d der Suggestion anhetrilft, so bemühten wir uns 
zwar oben den Nachweis zu führen, die Endwirkung der Nervenmassage 
sei eine rein mechanische, keineswegs wollen wir jedoch den E i n- 
f 1 u s s der Psyche leugnen. Ist doch schon die Feststellung 
der Nervenpunkte und der Umstand, dass man dem Patienten 
seine oft nur für nervös und eingebildet gehaltenen Be¬ 
schwerden direkt nachweisen kann, von der grössten 
psychotherapeutischen Bedeutung. 

Sei dem jedoch wie ihm wolle, die Nervenmassage ist 
jedenfalls berufen in vielen Fällen da einzusetzen, wo an¬ 
dere Methoden versagen. Sie will keines wegsalsPanacee 
betrachtet werden, sie beansprucht nur in Anbetracht 
der stets zunehmenden Anzahl von Patienten, die zur Behandlung 
überwiesen werden, und von Aerzten, die sich in jener Methode aus¬ 
bilden lassen, nachgeprüft und ernst genommen zu werden. 

LITERATUR. 

Cornelius, Druckpunkte, ihre Entstehung usw. 2. Aufl. Leipzig, Thieme. 

ders.. Die Nervenpunktlehre. Leipzig 1909 ib. 

ders.. Die Nervenmassage. Therap. Monatshefte 1905, Mai. 

Mackenzie, Krankheitszeichen und ihre Auslegung, deutsch von Müller. Würzburg 
1911, Stüber. 

Wiszwianski, Die Bedeutung der Nervenmassage für die Behandlung nervöser 
Beschwerden. Klin. therapeut. Wochenschr., Nr. 24, 1911. 
ders., Ueber die Ziele und die Bedeutung der Nervenmassage für die Behandlung der 
funktionellen Neurosen. Medizinische Klinik 1911, Nr. 38. 
ders., Psychotherapie und Nervenmassage. Charit^-Annilen. Jahrg. 35. 


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174 


Hirschberg, 


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Die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit bei der Behandlung 
rheumatischer Erkrankungen. 

Von Dr. Hirschberg- Berlin Fichtenau. 

Der Muskel- und Gelenkrheumatismus mit seinen verschieden¬ 
artigen Symptomen ist am meisten geeignet, eine dauernde Beein¬ 
trächtigung der Erwerbsfähigkeit hervorzurufen. Bei den mit diesem 
Leiden behafteten Personen sind es namentlich die meist nach akuter 
Erkrankung zurückbleibenden Esxudatreste, Kapselverdickungen, Ge¬ 
lenk- und Muskelschwellungen, sowie Deformitäten der Gelenke, welche 
dauernde Beschwerden in den betroffenen Körperteilen hervorrufen 
können. — Die Gelenkschmerzen benehmen den Kranken periodisch 
den Schlaf, die Schwellungen und Verdickungen beeinträchtigen die 
Bewegungsfähigkeit der Extremitäten, und infolge langdauernder 
Krankheit mit Exazerbationen und Remissionen stellen sich Kompli¬ 
kationen ein, unter denen besonders die Ankylosen und Herzklappen¬ 
fehler die bekanntesten sind. Während die Prognose bei akuten Rheu¬ 
matismen quoad vitam et sanationem bei geeigneter Therapie eine 
günstige ist, lässt sich dies bei der chronischen Form nicht sagen; wenn¬ 
gleich bei letzterer auch keine unmittelbare Lebensgefahr vorhanden 
ist, so sind die sich einstellenden Folgen doch äusserst lästig für den 
Kranken. Es ist daher die Hauptsache der Therapie, bei Ausbruch 
der Krankheit ihre Massnahmen darauf zu richten, die Krankheit ab¬ 
zukürzen und die Kranken so bald als möglich der Genesung zuzuführen 
und arbeitsfähig zu machen, um eine Veränderung der befallenen Ge¬ 
lenke zurückzuhalten und Rezidiven vorzubeugen. 

Seit dem Bekanntwerden der Salizylsäure als Spezifikum gegen 
rheumatische Erkrankungen hat die Chemie wegen der verschieden 
unangenehmen Eigenschaften und Nebenwirkungen dieses Mittels das¬ 
selbe durch ähnlich zusammengesetzte Präparate zu ersetzen gesucht 
und auch solche Derivate gefunden. Die zahlreichen empfohlenen 
Antirheumatika, die in neuerer Zeit Anerkennung gefunden, haben 
trotz ihrer guten Wirksamkeit auch ihre Schattenseiten, indem sie 
noch immer den Magen belästigen, weil die Spaltung ihrer Kompo¬ 
nenten schon dort vor sich geht. Anders ist dies jedoch beim „Pyre- 
nol“, das seit seinem Bestehen sich durch seine Vielseitigkeit in der 
Anwendung einen festen Platz in der Therapie erworben hat. 

Der Zweck meiner Publikation ist, auf die eminent antirheumatische 
und antineuralgische Wirkung des Pvrenols hinzuw'eisen, das ich auf 
Grund meiner mehrjährigen Erfahrungen mit demselben als ein allen 
Anforderungen entsprechendes Antirheumatikum kennen gelernt habe; 
auch in solchen Fällen, wo eine mehrwöchentliche Behandlung mit 
anderen Salizvlpräparaten im Stiche liess, hat mich das Pyrenol be¬ 
friedigt, das ebenso gut und prompt wirkt, wne es frei von allen schäd¬ 
lichen Nebenwirkungen ist. Hervorheben möchte ich, dass sich das 
„Pyrenol“ besonders zur Behandlung ambulanter Kranken eignet, 
weil es keine Berufsstörung nötig macht, und weil die Schweissbildung, 
die bei Anwendung anderer Salizylpräparate von den Kranken als 
unangenehm empfunden wird, hier wegfällt und einzig Linderung der 
Schmerzen nach Pyrenolmedikation auftritt. 

Aus der grossen Anzahl der von mir behandelten Fälle von akutem 
und chronischem Muskel- und Gelenkrheumatismus w r ill ich einige 
Krankengeschichten anführen, um zu beweisen, dass die Behandlung 



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Die Erhaltung der Erwerbsfähigkeit bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. 175 

solcher Kranken mit' „Pyrenol“ auffallend kurze Zeit in Anspruch 
nahm, und dass andererseits die Heilungsergebnisse dauernde waren. 

I. Akuter fieberhafter Gelenkrheumatismus. 

1. Fall. — J. S., 31 Jahre alt, Schmied. Pat. überstand als Kind Masern und 
Scharlach und war bis vor 3 Jahren vollkommen gesund. Seit dieser Zeit wurde er mehr¬ 
mals von akutem Rheumatismus beinahe sämtlicher Gelenke mit Fieber befallen, so dass 
er immer mehrere Wochen das Bett und Zimmer hüten musste. Seit 14 Tagen abermals 
Fieber und Schmerzen, sowie Schwellungen und Rötungen im rechten Fuss- imd Knie¬ 
gelenk und in beiden Handgelenken. Bei der objektiven Untersuchung finden sich die 
genannten Gelenke geschwollen und gerötet, jede Bewegung ist äusseret schmerzhaft. 
Herzdämpfung verbreitert, 2. Pulmonalton akzenturiort, Temperatur 39,2°. Therapie: 
2 stündlich 0,5 Pyrenol, Fieberdiät. Am folgenden Tage waren die Schwellungen und 
Schmerzen geringer, die Temperatur 37,9°. Nach 4 Tagen waren dio Gelenke freibeweg¬ 
lich, die Schmerzen geschwunden und die Temperatur normal. Unter fortgesetzter 
Darreichung von 4 mal tägl. 1 Tabl. ä 0,5 Pyrenol war Pat. nach weiteren 10 Tagen 
arbeitsfähig, während er früher bei Anwendung anderer Salizylate eine längere Zeit 
bis zu seiner Genesung brauchte. Jetzt nach 10 Monaten ist ein Rezidiv noch nicht 
auf getreten. 

2. Fall. — K. B., Bahnbeamter, 40 Jahre alt. Die Anamnese ergibt Auftreten 
von Rheumatismus bei Eltern und Grosseitem, Pat. war stets gesund, bis er vor 3 Tagen 
infolge Schmerzen und Schwellungen beider Kniee das Bott aufsuchen und ärztliche 
Hilfe in Anspruch nehmen musste. Status praesens ergibt mässig entwickelten Knochen- 
und Muskelbau. blasse Gesichtsfarbe; beide Kniegelenke auf Druck äusserst schmerzhaft, 
gerötet und geschwollen. Herz frei. Temperatur 38,0°. — Einpackungen mit essigsaurer 
Tonerde, Aspirin bringen ein wenig Erleichterung; nach 5 Tagen sind die krankhaften 
Erscheinungen noch immer nicht zurückgegangen. Am 6. Tage erneuter Temperatur¬ 
anstieg auf 39,1 °, Zunahme der Schmerzen. Therapie: Pyrenol 0,5 zweistündlich. Am 
nächsten Morgen beträgt die Temperatur 37,5°. geringer Schweissausbruch, Schwellungen 
und Rötung sind bedeutend geringer. Nach 8 Tagen kann Pat. bereits das Bett ver¬ 
lassen, nachdem unter weiterer Pyrenolmedikation Restitutio ad integrum erfolgte. 

3. Fall. — T. U., Agentensgattin, 53 Jahre alt. Anamnestisch nichts Wesent¬ 
liches. Seit 10 Tagen starke Schmerzen in beiden Schulter- und Ellbogengelenken, 
Appetitlosigkeit, Unfähigkeit zu häuslicher Arbeit, Fieber. Status praesens ergibt gut 
entwickelten Knochen- und Muskelbau, Rötung und Schwellung beider Ellbogengelenke, 
Schwellung beider Schultergelenke, alle Gelenke schon bei Berührung empfindlich, 
Temperatur 38,7°. Patientin erhält Einreibungen mit spirituösen Flüssigkeiten, Kata- 
plasmen, später Natr. salicylicum. Da sich unter dieser Therapie der Zustand nicht 
besserte, wird ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Neue Verordnung 0,5 Pyrenol 
8 mal tägl. Die Pulver werden gut vertragen, es tritt weder Sehweiss noch Cyanose auf, 
die Schmerzen lassen bereits am nächsten Tage nach; Pyrenol wird noch 5 Tage fort¬ 
gesetzt, bis die Temperatur normal wird, sämtliche erkrankten Gelenke freibeweglich 
sind; keine Schwellung, keine Rötung mehr. Bei einjähriger Beobachtung kein Rezidiv. 

4. Fall. — E. G., Student. 18 Jahre alt, Pat. hereditär belastet, leidet bereits seit 

4 Jahren an wiederholten Anfällen von Gelenkrheumatismus, der ihn immer ans Bett 
fesselte. Jetzige Erkrankung seit einer Woche, Schwellung und Schmerzen sämtlicher 
Gelenke, besonders der unteren Extremitäten. Objektiv Rötung beider Knie- und Sprung¬ 
gelenke mit deutlichem Flüssigkeitserguss, die anderen Gelenke nur schmerzhaft und 
bewegungsunfähig. Rechts Lungenspitzenkatarrh, an der Herzspitze blasendes Geräusch. 
Temperatur 38,6°. Therapie: Feuchte Einpackungen, Pyrenol 0,5 g 6 mal tägl. Nächsten 
Tag Temperatur 37,2°, die Schmerzen überall zurückgegangen; die Schwellungen be¬ 
stehen noch. Nach 3 Tagen leichtes Schwitzen ohne Störungen von seiten des Herzens, 
subjektives Wohlbefinden, Kniegelenke schmerzlos und abgeschwollen; im Laufe der 
nächsten 5 Tage gehen unter Pyrenolmedikation sämtliche krankhaften Erscheinungen 
zurück, so dass Pat. nach 12 Tagen aus der Behandlung entlassen werden kann. Eine 
nach 6 Monaten vorgenommene Untersuchung ergibt ausser dem blasenden Geräusch 
an der Herzspitze keine wie immer gearteten Veränderungen an den Gelenken und volle 
Funktionstüchtigkeit derselben. , 

II. Subakuter Gelenkrheuma tismu s.JJ ‘ 

5. Fall. — K. R., Arbeiterin, 26 Jahre alte Pat., die noch nie krank war, datiert 
ihre jetzige Erkrankung seit 5 Tagen angeblich nach einer Erkältung. Beide Hand¬ 
gelenke sind sehr druckempfindlich, leichte Schwellung derselben, nicht gerötet: Tem¬ 
peratur 37,8°. Anfangs Salipyrin 4 mal tägl. ä 1,0 bringt für 2 Tage Erleichterung, das 
Fieber steigt dann wieder an, die Schmerzen in den genannten Gelenken nehmen zu. 


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Hirschberg, Die Erhellung der Erwerbsfähigkeit bei der Behandlung usw. 


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auoh das recht« Ellbogongelenk wird affiziert. Nach Verordnung von l’yrcnol 0,5 5 mal 
tägl. tritt nach 4 Tagen prompter Temperaturabfall, Nachlassen der Schmerzen und 
somit Heilung ein. Zwei Jahre nach dieser Krankheit ist Patient rezidivfrei. 

6. Fall. — A. B., Kohlenhändler, 35 Jahre alt. I’at. leidet seit 5 Jahren an 
Asthma bronchiale und hat bereits zwei Anfälle von Rheumatismus durchgemacht. 
Gegenwärtig seit 14 Tagen krank, klagt über Schmerzhaftigkeit bei jeder Bewegung 
des rechten Arms. Inspektion derselben ergibt Schwellung des rechten Schultergelenkes, 
sowie Exsudation und Rötung des rechten Ellbogengelenkes. Temperatur 37,8°. Therapie: 
Tragen des rechten Armes in einor Binde, Zimmerhüten. 3 g l’yrenol tägl. Nach 5 Tagen 
vollkommene Wiederherstellung, die bereits 2 Jahre anhält. 

7. Fall. — A. N., Commis, 31 Jahre alt. I’at., der seit 3 Wochen an Gonorrhoe, 
Epididymitis und Cystitis laboriert, akquirierte wahrscheinlich im Anschluss daran 
eine Gelenkentzündung der rechten Hand und des linken Sprunggelenkes mit sichtbarer 
Schwellung und Rötung der Gelenke; Hat. fühlt sich matt und unfähig zu jeder körper¬ 
lichen Arbeit. Da die Temj>eratur erhöht ist — 38,2° — wird Bettruhe, Fieherdiät, 
l’yrenol 4 g tägl. (in 0,5 grammigen Dosen) zweistündlich verordnet. Schon nach den 
ersten Pulvern fühlte sich Patient leichter und schlief in der darauf folgenden Nacht 
ziemlich schmerzlos. Nach einwöchentlicher Behandlung konnte das Pyrenol bereits 
wegen Zurücktretens sämtlicher pathologischer Gelenkserscheinungen ausgesetzt und 
an die Therapie des Trippers geschritten werden. 

i,L. 

III. Chronischer Gelenkrheumatismus. 

8. Fall. — G. H., Kaufmannsgattin, 28 Jahre alt. Pat. machte vor 7 Jahren eine 
8 Wochen dauernde Gelenkentzündung durch, seit dieser Zeit wiederholten sich kleinere 
rheumatische Anfälle so oft hintereinander, dass Pat. eigentlich noch nie davon ver¬ 
schont war. Sie nimmt Natr. salicylicum, Aspirin. Salipyrin und andere Mittel, die ihr 
zwar Erleichterung bringen, aber den Appetit verderben, so dass Patientin viel darunter 
zu leiden hat. Hauptsächlich in den Fuss- und Handgelenken spürt sie Schmerzen, hier 
und da ist das eine oder andere Gelenk leicht geschwollen. Auf Pyrenol 4 mal tägl. 
0,5 trat Besserung ein, die nach ihrer Angabe bedeutend länger anhält, als nach anderen 
Mitteln. Appetit bleibt bestehen, wird vielmehr gesteigert. Seitdem nimmt Pat. Pyrenol 
und ist voller Lob über dasselbe. 

9. Fall. — V. Z., Lehrer, 45 Jahre alt. Anamnestisch erfährt man, dass Pat. seit 
2 Jahren an Schmerzen im rechten Sprunggclenk und in den Zehen leidet, die ihm oft 
die Nachtruhe stören. Auf Heissluftbehandlung und feuohtwarmo Umschläge bessert 
sich zwar das Leiden; da Pat. aber auf dem Lande wohnt und sich einer weiteren Heiss¬ 
lufttherapie nicht unterziehen kann, wird ihm versuchsweise Pyrenol verschrieben, 
wodurch die Krankheit günstig beeinflusst wurde; fast regelmässig konnte nach Dar¬ 
reichung von 0,5—1,0 Pyrenol ein Nachlassen der Schmerzen festgestellt werden. Pat. 
ist mit dieser Medikation zufrieden und gelegentliche Untersuchungen ergeben nichts 
Abnormes. 

IV. Rheumatismus musculorum. 

10. Fall. — J. C., Reisender, 42 Jahre alt. Diagnose: Rheumatischer Genick¬ 
krampf. Bei der Untersuchung hält Prtiont den Kopf nach rechts gebeugt, jede Be¬ 
wegung und Druck auf die Muskeln des Nackens ist mit fürchterlichen Schmerzen ver¬ 
bunden. Anfangs werden Massage, Faradisiemng, Aspirin vorgeschrieben, die den Zu¬ 
stand erträglich machen; nach Verordnung von 3 mal tägl. 1,0 Pyrenol und Massage 
nach 3 Tagen auffallende Besserung, die nach weiteren 5 Tagen in Genesung überging, 
so dass Pat. wieder reisen konnte. 

11. Fall. — D. W., Wäscherin, 36 Jahre alt. Diagnose: Akuter Muskelrheumatis¬ 
mus des linken Okerschenkels. Sämtlich Muskeln dort auf Berührung und spontan 
schmerzhaft, Temperatur 38°. Pyrenol wird 4 mal tägl. je 1,0 verordnet, worauf sich 
am folgenden Tage die Schmerzen verloren, und das Bein einer Massagekur unterworfen 
werden konnte; nach 8 Tagen abermals Auftreten von Schmerzen, die auf Pyrenol 
prompt zurückgingen. 

Ausser diesen genannten Fällen habe ich über 30 Patienten mit 
verschiedenen Rheumatismen der .Gelenke und Muskeln behandelt 
und komme auf Grund der Heilungsergebnisse nach Pyrenol zu fol¬ 
genden Schlüssen: 

Das Pyrenol ist bei allen Arten von Rheuma¬ 
tismus von ausgezeichneter, schmerzstillender 
Wirkung, es setzt die Dauer der Krankheit herab 
und wirkt auch da, wo andere Antirhenmatica 



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Kvferale und Besprechen gen. 


177 


versagen, oder wo eine Abwechselung in der Medi¬ 
kation notwendig erscheint. Die nach Pyrenol-Ein- 
nahme eintretende Schweissbildung ist äusserst gering und belästigt 
nicht den Organismus, sondern erzeugt, vielmehr ein allgemeines Wohl¬ 
gefühl ; es beeinträchtigt weder Magen noch Herz 
— auch in den grössten Dosen nicht. Die besonders 
nach öfteren Anfällen von Gelenk- und Muskelrheuma Testierenden 
Veränderungen treten nach Pyrenolmedikation selten auf und beein¬ 
trächtigen daher am wenigsten die Erwerbs¬ 
fähigkeit der von diesen Krankheiten Betroffe¬ 
nen. Bei der ambulanten Behandlung leistet das Pyrenol vor¬ 
treffliche Dienste und der Nachprüfung dieses auch als 
Expektorans und Sedativum bekannten Antirheumatikums steht nichts 
im Wege. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie. 

Nowicki, W., Untersuchungen über die ehromaffine Substanz der Nebennieren 
von Tieren und Menschen bei Nierenkrankheiten. (Virchows Archiv f. patholog. 
Anatomie, Bd. 202, S. 189, 1910.) 

Die Schlüsse aus den experimentellen Untersuchungen des Verfassers 
sind folgende: 

Die Exstirpation einer oder beider Nieren bei Kaninchen oder Hunden 
verursacht die Erschöpfung der chromaffinen Substanz der Nebennieren, in 
größerem Maße auf Seite der exstirpierten Niere, wobei diese Erschöpfung 
desto bedeutender ist, je länger das Tier gelebt hatte. Diese Erschöpfung 
wird vom Auftreten einer vermehrten Adrenalinmenge im Blute begleitet. 
Adrenalin, Blutserum eines normalen Kaninchens, eines dem die Nieren ent¬ 
fernt wurden, Serum eines Menschen mit Urämie, wie auch Menschenharn 
von Fällen chronischer Nierenentzündung, wahrscheinlich aber auch andere 
Substanzen, wirken zurückhaltend auf die Erschöpfung der chromaffinen 
Substanz. Bei Menschen mit chronischen Nierenkrankheiten (Entzündungen) 
tritt eine erhöhte Tätigkeit der Nebennieren, somit eine größere Produk¬ 
tion der chromaffinen Substanz auf. Bei chronisch Nierenkranken kommt 
es im terminalen Stadium (vor dem Tode) und auch bei Urämie zur Ab¬ 
schwächung der Nebennierentätigkeit und somit zur Erschöpfung der chrom¬ 
affinen Substanz. Die in Nebennieren, namentlich bei ihren Erkrankungen, 
auftretenden Veränderungen sind der Ausdruck einer Reizung der Neben¬ 
nieren wahrscheinlich durch gewisse Substanzen, die bei pathologischen Zu¬ 
ständen im Organismus gebildet und angehäuft werden. Diese Reizung 
kommt nicht nur im Wege einer unmittelbaren Einwirkung auf die Neben¬ 
nieren, sondern wahrscheinlich auch unter Vermittelung der Nerven zustande. 
Die Veränderungen, welche bei Nierenerkrankungen, hauptsächlich bei 
chronischen Entzündungen, im Gefäßsystem vorgefunden werden, stehen wahr¬ 
scheinlich mit der gesteigerten sekretorischen Tätigkeit der Nebennieren 
im Zusammenhang. - W. Risel-Zwickau. 

Schenk, Aehontroplasle beim Menschen. (Petersburg 1910, Klinische Studie.) 

Während sich die Achondroplasie beim Neugeborenen besonders durch 
äußerliche Fettentwicklung unter Bildung zahlreicher querer Hautfalten, 
durch Vorstehen der Zunge und starke Krümmungen der unteren Extremi¬ 
täten dokumentiert, ist diese Knochendystrophie beim Jugendlichen und Er¬ 
wachsenen durch starke Entwicklung des Hinterhauptsknochens, Vorstehen 

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178 


Referate und Besprechungen. 


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der Schlüsselbeine und Verkürzung der abstehenden Arme charakterisiert. 
Allen Altersstufen gemeinsam sind bei Achondroplasie der kleine Wuchs, 
die Mikromelie, Brachycephalie, vorstehende Stirnhöcker über der einge¬ 
fallenen Nase und Verdickung der langen Extremilätenknochen. 

Schleß-Marienbad. 

Wehrslg, Zur Kenntnis der chronischen Wirbelsäulenversteifung. (Virohows 

Archiv f. patholog. Anatomie, Bd. 202, S. 305, 1910.) 

Verfasser kommt zu folgenden Schlußsätzen: 

Die chronische Wirbelsäulenversteifung ist eine Erkrankung, die sich 
im Gegensätze zur primären Bandscheibendegeneration der Spondylitis defer- 
mans in den wahren Gelenken der Wirbelsäule abspielt Bei längerer Dauer 
des Leidens wird auch das periartikuliire Bindegewebe sekundär in den 
ossifizierenden Prozeß einbezogen. Die anatomischen Verhältnisse sind auch 
an den Gelenken die gleichen, wie bei den peripherischen Gelenkankylosen. 
Als ätiologisches Moment kommen in erster Linie chronisch-rheumatische und 
Erkältungsschädlichkeiten in Betracht, ln einem erheblichen Prozentsätze 
der Fälle (etwa bei 25 o/ 0 ) wird das Leiden auf traumatische Einflüsse zurück¬ 
geführt. Wahrscheinlich ist das Trauma meist nur als auslösendes Moment 
bei rheumatisch bereits Disponierten oder chronisch Erkrankten anzu¬ 
sprechen. W. Risel-Zwickau. 

Wenulet u. Dmltrowsky, Die chromaffine Nebennierensubstanz im Hunger¬ 
zustande. (Medicinskoje Oboarenje 1011, S. 72.) 

Im Hungerzustande ist ein Verlust der chromaffinen Substanz der Neben¬ 
nieren zu beobachten; Zufuhr von Adrenalin von außen verlängert das 
Leben der hungernden Tiere. Jodkali wirkt hemmend auf die Adre.nalin- 
bildung in den Nebennieren. Schleß-Marienbad. 

Privat-Docent Sykow und D. Nenjukoff, über die biologischen Reaktionen 
maligner Neubildungen. (Nowoje de Modicine 1191, VII.) 

Carcinomatöse und sarcomatöse Gewebe unterscheiden sich voneinander 
auch durch die Art des Sekrets, das sie unter den Einfluß des Induktions¬ 
stromes ausscheiden und zwar liefert das Krebsgewebe bei Anwendung 
des Induktionsstromes intra vitam alkalische, das sarcomatöse Gewebe unter 
denselben Verhältnissen saure Produkte. Schleß-Marienbad. 

Bloch, Pharmakologische Studien über den Plexus Coeliacus. (Moskau 1911.) 

Die Erregung des Plexus coeliacus steigert die Ausscheidung von Galle 
und Harn. Der Plexus coeliacus, Splanchnicus und Vagus beeinflussen sämt¬ 
liche Abschnitte des Dünndarms. Heroin, Codein und Dionin hemmen die 
Darmbewegungen durch Herabsetzung der Erregbarkeit des Vagus; die Wir¬ 
kung des Plexus coeliacus und des Splanchnicus auf die Darmbewegungen 
wird durch diese Mittel nicht beeinflußt. Chloralhydrat und Pilokarpin üben 
keine Wirkung auf die Erregbarkeit des Plexus coeliacus. 

Schleß-Marienbad. 

Bakteriologie und Serologie. 

Paetsch (ßroslau(. Über lokale Immunkörperbildung. (Centr. für Bakt. 
Bd. 60, H. 3/4.) a ‘ , 

Nach den Versuchen des Verf. konnte nicht bewiesen werden, daß 
bei Tieren die an den Injektionsstellen hervorgerufenen Exsudate einen 
vermehrten Immunkörpergehalt aufweisen. „Die Auffassung, daß eine 
lokale Entstehung der bakteriolytischen Immunstoffe möglich sei, findet in 
den oben beschriebenen Versuchen keine Stütze.“ Schürmann. 

Pinzani (Turin). Beitrag zum Studium der Innengranulationen des Milz¬ 
brandbazillus. (Centralbi. für Bakteriologie, Bd. 57, H. 2). 

Benutzung enorm verdünnter Farblösungen, Benutzung des Gramschen 
Färbeverfahrens mit Vorfärbung von Ziehlschem Karbolfuchsin und Ent¬ 
färbung in 4 proz. Schwefelsäure. Sporen rot; Innenkörnchen violettbraun, 
Bazillen gelbbläulich. Schürmann. 



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Referate und Besprechungen. 


179 


Meyer (Philadelphia), Beiträge zur Genese und Bedeutung der Kochschen 
Plasmakugeln ln der Pathogenese des afrikanischen Küstenfiebers. (Centralbl. 
für Bakteriologie, Bd. 57. H. 5.) 

Die Entwicklungszustände oder Vermehrungsformen der Koctischen 
Plasmakugeln sind Merkmale des für Küstenfieber charakteristischen Blut- 
parasiten, der zur Zeit noch „Proplasma parvum“ genannt wird. Bei sekun¬ 
dären Metastasenbildung werden die Endothelien durch Einwanderung dieser 
Elemente verändert. Im Anschluß an eine Endarteriitis produktiva stellen 
sich Blutungen, Zellinvasionen, Proliferationen mit Vermehrung der Koch¬ 
schen Kugeln ein. Schürmann. 

Gins (Frankfurt), Ein Beitrag zur Pollomyelltisfrage. nebst Beschreibung 
eines neuen, für Versuche an Affen geeigneten Käfigs. (Centralbl. für Bakte¬ 
riologie, Bd. 59, H. 4.) 

Mit Spülflüssigkeit aus dem Nasenrachenraum einer Poliomyelitisleiche 
konnte Verfasser eine Infektion beim Affen nicht erzielen. Dagegen gelang 
mit Gehirn - Rückenmark - Emulsion aus einem Fall von typischer Polio¬ 
myelitis die Affenimpfung. Eine primäre Übertragung auf junge Kaninchen 
war nicht möglich. 

Dann beschreibt Verfasser einen Affenkäfig, der genügend Bewegungs¬ 
möglichkeit dem Tiere gewähren soll, der gründliches Sauberhalten er¬ 
möglicht. Das Dach ist verschiebbar nach dem Käfigboden zu und ge¬ 
stattet das Fixieren des Tieres zu Narkose- und Impfzwecken. 

Schürmann. 

Liebermann u. Fenyressy, (Budapest), Ein Kasten zur Desinfektion von 
Büchern. (Centralbl. für Bakteriologie, Bd. 59, H. 4.) 

Ein Kasten, der sich zur Desinfektion durch Wärme, wie zur Formalin¬ 
desinfektion auf kaltem Wege eignet. Die Bücher werden geöffnet zwischen 
je zwei Leisten aufgehängt 

Staphylokokken wurden bei der Wärmedesinfektion in 3—4 Stunden 
abgetötet. Eine genaue Beschreibung und eine gut gelungene Photographie 
des Kastens sind der Arbeit beigegeben. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Schmidt, W., Uber den Wert der Leucocytenzählung bei Appendioitls. (Mit¬ 
teil. aus dem Grenzgebiet der Med. u. Chir. Bd. XXIII.) 

Eigene Beobachtungen und Analyse der einschl igigen Literatur ver¬ 
anlassen Sch. zu folgenden Schlüssen. Von ungünstiger Prognose ist be¬ 
trächtliche Erhöhung der Leucocytose, starke Verschiebung des Arneth- 
schen Blutbildes nach links und hohe neutrophile Leucocytose; ebenso zu 
beurteilen ist eine starke Verschiebung des Arnethschen Blutbildes nach 
links und hohe neutrophile Leucocytose bei normaler oder subnormaler Leuco¬ 
cytose. Von günstiger Prognose ist ferner erhöhte Leucocystenzahl bei 
normalem oder etwas nach links verschobenem Arnethschem Blutbild und 
normaler oder etwas erhöhter polynucleärer Leucocytose. Der Grad dor 
Gesamtleucocytose läßt die Widerstandskraft des Organismus beurteilen, wie 
der Grad der Verschiebung des Arnethschen Blutbildes nach links und der 
Steigerung der neutrophilen Leucocytose der Ausdruck für die Schwere 
der Infektion ist. 

Schleß-Marienbad. 

Lamb, Albert B. (New-York), Das Vorkommen von Embryonen der Trlchl- 
nella spiralis im Blut von Trichiniasiskranken. (The americ. journ. of the med. 
scienc, September. 1911.) 

Seit Herrick und Janeway im Jahre 1909 zum ersten Male das Vor¬ 
kommen von Embryonen der Trich. spir. im Blut eines Trichiniasiskranken 
demonstrierten (Man. archives of int. med. 1909, III, 203), hat L. in der 
Literatur nur 4 weitere Berichte hierüber finden können. Und doch gibt 
ee Fälle (L. selbst berichtet über 2), in denen die Diagnose keineswegs so 
einfach und klar ist, wie in der Mehrzahl, und in denen man daher von 
jedem Mittel zur Feststellung jener Gebrauch machen sollte. Hierzu ge¬ 
hören besonders zweifelhafte Fälle und solche, in denen entweder die Ent- 

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180 


Referate und Besprechungen. 


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nähme eines Muskelstücks zur Untersuchung verweigert wird oder diese 
negativ ausfällt. Es scheint also, daß die verhältnismäßig einfache, ge¬ 
legentlich allerdings ebenfalls versagende Untersuchungsmethode für den 
Nachweis der Embryonen im Blut nicht genügend bekannt ist, so daß sie 
L. unter Mitteilung von 4 im Presbyterian Hospital in Newyork und den 
sonst beobachteten Fällen noch einmal kurz beschreibt. Die früheste Zeit, 
in der die Embryonen gefunden werden, ist der 6.—7. Tag nach der Infek¬ 
tion; der letzte Termin ist nicht so genau bestimmt, es scheint die fünfte, 
möglicherweise auch die sechste Woche zu sein. Peltzer. 

Lemoine G. (Lille), Die Bedeutung des Cholesterins für Arteriosklerose und 
Atherom. (Paris Vigot freres 1911, 02 Seiten.) 

Der Trieb zu kombinieren hat die Menschen noch immer verführt, 
diejenigen Dinge in Zusammenhang zu bringen, welche gerade nebeneinander 
auf der Tagesordnung standen. So spielt augenblicklich die Arteriosklerose 
eine bedeutende Rolle in der Pathologie und Klinik, und da gleichzeitig 
die physiologischen Chemiker in den neu entdeckten Lipoiden einen inter¬ 
essanten Gegenstand auf den wissenschaftlichen Markt gebracht haben, so 
erscheint es unausbleiblich, daß irgend ein kombinatorischer Kopf diese 
beiden Dinge: Arteriosklerose und Lipoide in Verbindung bringe. G. Le¬ 
rn o i n e hat sich dieser Aufgabe unterzogen und führt im vorliegenden 
Heft die Anschauung durch, daß die Arteriosklerose die direkte Folge einer 
Überschwemmung des Blutes mit Lipoiden bezw. Cholesterin sei, welche 
ihrerseits ihren Ursprung in einer allzu lebhaften Tätigkeit der Leber 
habe. Wie diese Hyperfunktion, Suractivite der Leber im einzelnen bedingt 
ist, läßt sich nicht sagen; aber jedenfalls ist sie von großer praktischer 
Bedeutung. Werden zu wenig Lipoide produziert, so entbehrt der Organis¬ 
mus seine wirksamste Waffe gegen Infektionen und er verfällt mit Wahr¬ 
scheinlichkeit der Tuberkulose. Werden zu viele produziert, so kommt es. 
wie gesagt, zur Sklerose, die — ebenso wie die Gicht durch Auskristallisieren 
der Harnsäure, ihrerseits durch Ausfallen des Cholesterins entsteht. Eine 
rationelle Therapie muß konsequenterweise die Löslichkeitsverhältnisse der 
Lipoide im Organismus zu begünstigen suchen. L. glaubt das mit Hilfe 
eines Ätherextraktes aus der Leber erreicht zu haben, in welchem Phospliatide 
in kolloidaler Lösung eine etwas mystische Rolle spielen. Lemoine verfolgt 
seinen Gedanken mit bewundernswerter Logik. Ist die Kette der Argumente 
in allen Teilen stichhaltig, so kann der therapeutische Erfolg nicht aus- 
bleiben, und der Zeitpunkt läßt sich absehen, an welchem der letzte Arterio- 
sklerotiker geheilt sein wird. Aber vorläufig geht es mir wie Lope de 
Vega: „Weitläuftig und verwickelt und sehr schwierig scheint mir das alles.“ 

Buttersack-Berlin. 

Sewall, Henry (Colorado-Universität, Denver), Gibt es eine spezifische 
Behandlung des Diabetes mellitus T (T he amerie. journ. of t he med. scienc., 
September 1911.) 

Unter Mitteilung von 12 gesammelten Fällen gelangt S. zu dem Schluß, 
daß in einem gewissen Prozentsatz jenseits des mittleren Lebensalters durch 
die Infusion des mit Salzsäure angesäuerten Saftes von magerem Fleisch 
wenigstens vorübergehend die allgemeinen Krankheitssymptome gebessert 
und der Zucker aus dem Harn zum Verschwinden gebracht werden könne. 
In einem Falle von jugendlichem Diabetes wurde der Urin infolge diäteti¬ 
scher Maßnahmen zuckerfrei, obgleich weder Fleisch- noch Prankreas-In- 
fusion allein wirksam waren, wenn die eine auf die andere folgte oder eine 
Mischung beider nach einem Zwischenraum von einigen Stunden. Nachdem 
die Krankheit einige Monate bestanden hatte, konnte dies gute Resultat 
nicht mehr erzielt werden, nichtsdestoweniger schien die Fleischinfusion 
subjektiv den Zustand der Kranken zu verbessern. Peltzer. 

Busson, Über F.iweißanaphvlaxie von den Luftwegen. (Wiener klin. Woch., 
Nr. 43, 1911). 

Es gelingt, durch Inhalationen von verdünntem Rinderserum Meer¬ 
schweinchen von den Luftwegen aus zu sensibilisieren resp. überempfind¬ 
lich zu machen. Die Versuchstiere konnten im anaphylaktischen Stadium 



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Referate und Besprechungen. 


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durch Inhalationen von Rinderserum nicht desensibilisiert werden, insofern 
als eine intraperitoneale Reinjektion mit dem Antigen der Vorbehandlung 
anaphylaktische Erscheinungen im Versuchstier auslöst: das vom anaphylakti¬ 
schen Tiere in die Lungen aufgenommene Eiweiß erzeugt in denselben Ent¬ 
zündungen und Hämorrhagien, welche im Sinne einer örtlichen Anaphyla- 
toxinwirkung aufgefaßt werden und weiterhin in wahrscheinlicher Analogie 
zu den örtlichen Hautnekrosen bei subkutaner Einverleibung der Antigene 
stehen dürften. M. Kaufmann. 

Sawadtkl, Autoserotherapie der Pleuritis. (Russki Wratsch 1911, 18.) 

Gilbert brachte auf dem internationalen Kongreß in Rom die Autosero¬ 
therapie bei Pleuritis zum Vorschlag. Die Behandlung stützte sich auf 
Untersuchungen von D e b o w und R a m o n d, die in Ausschwitzungen tuber¬ 
kulöser Provenienz einen dem Tuberkulin ähnlichen Körper fanden. Nach 
Gilbert sollte die Autoserotherapie gewissermaßen eine „Autotuberkulini- 
sation“ ins Werk setzen. 

Die Erfahrungen, die S. mit der Anwendung der Autoserotherapie bei 
Pleuritis gemacht hat, waren ungünstig. Die Methode verkürzt nicht die 
Dauer der Temperatursteigerungen, sie übt keinen Einfluß auf die Resorp¬ 
tion der Ausschwitzungen aus, ist diagnostisch nicht verwertbar; sie beein¬ 
flußt auch nicht den Verlauf einer Lungentuberkulose. 

Schleß-Marienbad. 

Bauer, R., Die klinisch-serologische Diagnose der luetischen Niereuer¬ 
krankungen. (Wiener klin. Woche, Nr. 42, 1911). 

Die luetische Infektion ist zweifellos geeignet, Erkrankungen der Niere 
herbeizuführen; doch scheinen diese sehr selten zu sein. Die Erkrankung 
kann sowohl durch Toxinwirkung als durch Ansiedlung der Spirochäten in 
der Niere erklärt werden. Außer den bewährten diagnostischen Hilfsmitteln 
fassen die Symptome isolierter Amyloiderkrankung der Niere, für die sich 
sonst keine Erklärung findet, an luetische Ätiologie denken. Die Wasser- 
mannsche Reaktion im Serum ist bei diesen Nierenerkrankungen sehr ausge¬ 
prägt und ist für die sichere Diagnose äußerst wertvoll. Die Wassermannsche 
Reaktion im Harn scheint ebenfalls konstant aufzutreten; bei reichlichem 
Globulingehalt (ca. 8—10 «o Gesamteiweiß) ist sie im nativen Harn positiv, 
sonst nur in der Globulinfraktion nachweisbar. Der positive Befund der 
Harnreaktion spricht vorläufig nur im gleichen Sinne wie die Seroreaktion, 
gestattet aber bisher keinen Schluß darauf, ob die Nierenerkrankung auf 
einer Toxinwirkung von seiten der im übrigen Organismus vorhandenen 
Spirochäten oder einer Ansiedlung derselben in der Niere selbst beruht. 

M. Kaufmann. 

Petrschlchln, Zur Behandlung der Diphtherie mit Pyocyanase. (Charkowski 
Medizinski Journal 1911, VIII.) 

Das Mittel scheint ganz besonders dadurch wertvoll zu sein, daß es 
bakterizid auf Staphylococcen und Streptococcen wirkt, die oft Kompli¬ 
kationen herbeiführen, gegen die das Serum allein machtlos ist. ln sämt¬ 
lichen zur Beobachtung gelangten Fällen war ein schnelleres Schwinden 
des Belags und wesentliche Hebung des Allgemeinzustandee zu be*- 
obachten. Das Verschlucken der Pyocyanase führt höchstens zu ganz un¬ 
wesentlichen Störungen und es ist deshalb auch in der Kinderpraxis gut zu 
verwenden. Gleichzeitig muß auch Serum angewandt werden. 

Schleß-Marienbad. 

Miller, A. G. (Edinburgh Residualliarn bei alten Leuten. (The Practitionor, 
September 1911.) 

M. ist der Ansicht, daß das Vorkommen von Residualharn bei alten 
Leuten mit seinen Folgen (Harnverhaltung, Dilation der Blase, möglicherweise 
Prostatektomie) nicht sowohl dem Alter sowie der damit verbundenen Muskel¬ 
schwäche, insbesondere des detrusor, und einer Prostahypertropie als viel¬ 
mehr dem Umstande zuzuschreiben sei, daß sich der Betreffende nicht 
genügend anstrengt, seine Blase vollständig zu entleeren, sei es aus Eile, 
sei es, weil er zufrieden ist, den ersten Harndrang losgeworden sein, sei es 


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Referate und Besprechungen. 


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aus irgend welchen anderen Gründen. Wäre eine, nicht einmal immer vor¬ 
handene, Prostahypertrophie, und das durch sie gesetzte Hindernis die Haupt¬ 
ursache, wie vielfach angenommen wird, so müßte eine Harnröhrenstriktur 
dieselben Folgen haben. Er rät daher, mehr oder weniger unmittelbar 
nach der ersten Entleerung noch eine zweite, größere Anstrengung zur 
völligen Entleerung der Blase zu machen und so diese bezw. den detrusor zu 
irainieren. Zum Belege führt er sein eigenes Beispiel sowie das von Kollegen 
an, die ihm schrieben, daß sie infolge dieser Praktik nachts nicht mehr so 
häufig aufzustehen brauchten, um Urin zu lassen. Hat man einmal einen 
Katheter gebraucht, so geht man einem „Katheterleben“ entgegen. Häufiger 
Harndrang im Alter läßt stets an Residualharn denken. Peltzer. 

Isserson, E., Die diagnostische Bedeutung des Pepsins im Harn bei Er¬ 
krankungen des Magens. (Wratschebnaja Gaseta, 21. 1911, S. 904.) 

Bei Carcinoma ventriculi und achylia gastrica wird in den meisten 
Fällen Herabsetzung des Pepsingehaltes bis zum völligen Schwinden be¬ 
obachtet. 

Für die Differentialdiagnose zwischen carcinoma ventriculi und achylia 
gastrica kann somit der Pepsingehalt des Urins nicht verwertet werden. 

Bei Hyperacidität und ulcus ventriculi kann die Pepsinmenge ebenso 
vergrößert wie verkleinert sein. Es kann also differentialdiagnostisch nur 
eine Steigerung des Pepsins verwertet werden. Schleß-Marienbad. 

Hirose (Tokio), Hat das Magnesiumsuperoxyd einen günstigen Einfluss auf 
die Zuckerauseheidung bei Diabetes mellitus ? (Deutsche medizinische Wochen¬ 
schrift, Nr. 36, 1911.) 

Der von Stürmer mitgeteilte Fall, bei dem der Zuckergehalt bei einem 
Diabetiker durch innerlichen Gebrauch von Magnesiumsuperoxyd ohne Ein¬ 
haltung einer besonderen Diät bis auf ein Minimum heruntergegangen sein 
soll, veranlaßte Hirose, diese Wirkung bei 4 Diabeteskranken nachzuprüfen. 
Er konnte feststellen, daß das Magnesiumsuperoxyd auf den Diabetes keinen 
Einfluß ausübt. F. Walther. 

Kryloff, Ausscheidung der Galle durch die Atmungswege. (Iswestja 
Wojenno-Medizinskoj Akademii III, 1911.) 

Verfasser berichtet über einen Fall, bei dem beim Aushusten mit dem 
Auswurf wiederholt Galle entleert wurde. Es handelte sich allem An¬ 
schein nach um Durchbruch eines Leberechinococcus in die Atmungswege. 

Schleß-Marienbad. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Oklntschitz, L. L. (St. Petersburg), Über den Zeitpunkt der Ausführung der 
künstlichen Frühgeburt. (Allg. Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 28.) 

Okintschitz kommt auf grund seiner an 305 nicht .ausgetragenen 
Früchten angestelten Berechnungen zu dem Resultate, daß die Frühgeburt 
bei engem Becken zulässig ist, wenn die Länge der Conjugata vera nicht 
weniger als 7,75 cni beträgt, wobei bei diesem Grade der Beckenverengerung 
die Frühgeburt in der 32. Schwangerschaftswoche eingeleitet werden muß, 
weil dann die Größe des großen Querdurchmessers des Kopfes im Durch¬ 
schnitt gleich 8,1 cm ist. Bei einer Größe der Conjugata vera von 8 cm 
muß die künstliche Frühgeburt ungefähr in der 34. Schwangerschaftswoche 
eingeleitet werden, weil der große Querdurchmesser des Kopfes dann durch¬ 
schnittlich gleich 8,2 cm ist; und schließlich muß die Frühgeburt bei 
einer Größe der Conjugata vera von 8,25 cm und mehr ungefähr in der 
36. Schwangerschaftswoche eingeleitet werden, weil der große Querdurch¬ 
messer des Kopfes jetzt im Durchschnitt gleich 8,4 cm ist. Wenn man Bich 
bei der Einleitung der künstlichen Frühgeburt der Lage von Walcher 
oder W i 11 i n k s bedient, so können die Beckendimensionen um 0,5 cm ge¬ 
ringer sein. Jedoch genügt es auch hier, wie bei jeder Voraussage inbezug 
auf den Verlauf der Geburt bei Kopflage nicht, sich nach den mutmaßlichen 
Kopfdimensionen zu richten, sondern man muß außerdem das Vermögen 
des Kopfes, sich zu konfigurieren, in Betracht ziehen, das heißt mittels 



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Palpation des Kopfes von der Scheide aus die Festigkeit der Knochen und 
ihre gegenseitige Verschiebbarkeit bestimmen. 

„Was die Bestimmung der Schwangerschaftsdauer anbetrifft, so muß 
man sich, da die direkte Messung der Länge der Frucht unmöglich ‘Ist, der 
von A h 1 f e 1 d vorgeschlagenen Maßnahme bedienen, die in der Messung 
des Abstandes zwischen dem Kopf- und Beckenende der Frucht besteht, 
wobei die Größe, doppelt genommen, der wirklichen Länge der Frucht ent¬ 
spricht. Außerdem kann man für denselben Zweck auch andere Unter- 
suchungsmethoden in Anwendung bringen, zum Beispiel die Bestimmung des 
Höhenstandes des Gebärmutterbodens, des Zustandes des Scheidenteiles und 
des Muttermundes usvv. Am wenigsten darf man sich auf die von der 
Schwangeren selbst gemachten Angaben in bezug auf die letzten Menses 
verlassen, weil nach den an meinem Material gemachten Erfahrungen nur 
in 126 Fällen von 305, das heißt in 42 <>. u , die Zeit der letzten Menses mit 
der Schwangerschaftsrechnung zusammentraf, die auf Grund der Längen¬ 
messung der Frucht festgestellt wurde. In 133 Fällen, da3 heißt in 44 "/o, 
waren die Angaben der Schwangeren überdies ungenau, und in 42 Fällen, 
das heißt in 14<>> konnten die Schwangeren die Zeit der letzten Menses 
überhaupt nicht angeben.“ 

Verfasser empfiehlt seine Ergebnisse besonders für die Fälle, wo ev. 
in Betracht kommende operative Eingriffe verweigert werden. Esch. 

(Elting, A. W. and Donhauser, J. L., One hundred consecutive Cases of 
pelvic Affectlons, in which vaginal Drainage has been employed. (Surg., Gynec. 
and Obst., JulylQU.) 

Bei allen so zu sagen nicht sicher aseptischen gynäkologischen 
Laparotomien raten die Verfasser dringend, die vaginale Drainage 
anzuwenden. Bei Anwendung dieses Prinzips hatten die Verfasser eine Ge¬ 
samtmortalität von nur 6 °/o (Karzinomoperationen waren nicht dabei), kein 
Fall starb an Peritonitis. Sehr viel komme auf richtige Technik 
an. Verfasser legen durch das hintere Scheidengewölbe in der üblichen 
Weise von obenher ein Gummi-T-Drain und gleichzeitig daneben drei schleifen¬ 
förmige Gazestreifen, deren freie Enden in der Beckenhöhle ausgebreitet 
werden, während die Schleifen mittels der per vaginam eingeführten 
Kornzange bis vor die Vulva, ebenso wie das Rohrende, gezogen werden. 
Hier müssen diese Enden direkt mit der aufsaugenden Vorlage in permanen¬ 
ten Kontakt gebracht und erhalten werden, da nur so eine dauernde Drainage¬ 
wirkung erzielt werden könne. Die Vorlagen müssen des öfteren gewechselt 
werden. Außerdem sei es von größter Wichtigkeit, die Patienten in die 
in Amerika bekanntlich weit verbreitete sog. Fowlersehe sitzende Stel¬ 
lung zu bringen, da nur bei dieser der Douglas der tiefste Punkt ist. 

R. Klien-Leipzig. 

Stoeckel, W., Über die Behandlung des verletzten und unverletzten Ureters 
bei gynäkologischen Operationen. (Zeitsclir. f. gyn. Urolog., Bd. 3, H. 2, 1911.) 

Zwar haben Prophylaxe und Therapie der Üreterverletzungen in den 
letzten Jahren große Fortschritte gemacht, aber noch ist es nicht entschie¬ 
den, wie viel wirklicher Gewinn dabei herausgekommen ist: hierüber ent¬ 
scheiden nur die funktionellen Dauer resultate und in dieser Hin¬ 
sicht sind unsere Erfahrungen noch gering. — Unbeabsichtigte Verletzungen 
oder Unterbindung des typisch verlaufenden Ureters sind nach St. stets 
die Folge operativer Ungeschicklichkeit. An der Kreuzungsstelle mit der 
Spermatika muß das Lig. infundibulopelvicum behufs Umstechung in die 
Höhe, vom Ureter aogehoben werden; ist dies infolge von Verwachsungen 
nicht möglich, so entwickle man die Adnexe von ihrem uterinen Ende her; 
zum Schluß gelinge es dann, durch Emporziehen des lateralen Endes die 
Spermatika zu stielen. Die den Ureter kreuzende Uterina müsse stets durch 
Spaltung und Entfaltung des Lig. lat. erst freigelegt und dann isoliert 
unterbunden werden. Bei der vaginalen Uterusexstirpation vermeidet St. 
ein Mitfassen des Ureters dadurch, daß er den vorn herausgekippten Uterus¬ 
körper von oben her schrittweise abklemmt, abtrennt und die gefaßten Ge- 


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Referate und Besprechungen. 


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fuße sofort isoliert versorgt. Auf diese Weise werde ebenfalls das Lig. 
lat. so entfaltet, daß der Ureter an seinem hinteren Blatt hängen bleibt. 
Noch sicherer verschwinde der Ureter aus dem Operationsfeld bei der 
D ö d e r I e i n sehen Methode der medianen Spaltung des hinten herausge¬ 
kippten Uterus. In Fällen atypischen Verlaufes, wie bei intraligamentären 
und pseudointraligamentären Tumoren, müsse man sich eben über den Verlauf 
orientieren, vor allem schleifenförmige Stränge sorgfältig schonen. Nur bei 
Radikaloperationen wegen Karzinom seien gelegentlich Ureterverletzungen ent¬ 
schuldbar bez. unvermeidlich. — Am Schlüsse der Operation hüte man sich 
gelegentlich der peritonealen Decknaht des Operationsgebietes vor Verzer¬ 
rungen des Ureters. Das gilt besonders für die vaginale Totalexstirpation: 
hierbei dürfe nur der Spermatikastiel intraperitoneal eingenäht werden, der 
Uterinastiel müsse extraperitoneal liegen bleiben, weil sonst der Ureter nach 
innen zu abgeknickt werden würde. — Während die Diagnose einer 
Ureterverletzung während einer Laparotomie durch Augenschein sofort ge¬ 
stellt werden müsse, sei die postoperative Diagnose nur möglich mittels 
Zystoskopie. Die klinischen Symptome — Oligurie bezw. Anurie, Nierenschmerz, 
Fieber — seien nicht eindeutig. St. empfiehlt in verdächtigen Fällen sofort 
den doppelseitigen Ureterenkatheterismus im Querbett auszuführen: an der 
Unterbindungsstelle stoße der Katheter auf ein hartes, unüberwindliches 
Hindernis. — Was das Zustandekommen einer intraperitonealen Urininfiltra¬ 
tion anlangt, so komme eine solche nie zustande, wenn eine sorgfältige 
peritoneale Decknaht gemacht worden sei; der Urin bahne sich dann stets 
seinen Weg nach außen selbst bei vernähter Scheide; doch komme es 
hierbei meist vorher zur Stauung über der Naht und Fieber. Natürlich 
müsse man in solchen Fällen die Naht sofort öffnen. — Zur Diagnose 
der Ureterscheidenfisteln sei die Zystoskopie unerläßlich. Hei 
völliger Durchschneidung des betr. Ureters liegt seine Mündung tot da, 
sie agiert überhaupt nicht. Bei nur seitlicher Läsion geht die Öffnung leer, 
d. h. sie agiert, liefert aber keinen Ürin; letzteres gelte wenigstens, wenn 
einige Tage nach der Läsion verstrichen sind. — Ein intakt gebliebener 
Ureter, selbst wenn er auf 10 cm isoliert wurde, könne zwar verzerrt 
und stenosiert werden, aber nie obliterieren. Letzteres komme nur vor bei 
lokalem Karzinomrezidiv. Wenn es aber nötig war, den Ureter aus schwieligem 
oder gar karzinomaLösern Bett herauszugraben, dann sei seine Wand 
gewöhnlich derart lädiert, und neige auch, entgegen der bisher verbreiteten 
Meinung, derart zu Rezidiven, daß man besser tue, ihn zu resezieren und 
das proximale Ende in die Blase zu implantieren, aber möglichst nur auf 
einer Seite, da ein zweiseitiges Entgegenbringen der Blase unmöglich sei. 
— Ureterfisteln solle man nicht allzulange sich selbst überlassen, 
denn bei ausbleibender Heilung werde meist über kurz oder lang die Niere 
aufsteigend infiziert, bei eintretender Heilung atrophiere sie in der Regel, 
weil der Ureter nicht durchgängig bleibt. Also: rechtzeitig operieren! 
Als bestes Verfahren ist heute allgemein die intraperitoneale Bla¬ 
senimplantation anerkannt. Aus der ausführlichen Beschreibung seien 
drei prinzipielle Punkte hervorgehoben: Entgegenlagerung der Blase, so 
daß ihr Zipfel über und unter dem eingepflanzten Ureter zu liegen kommt, 
Hineinragenlassen des Ureterendes in die Blase, eine Woche lang Dauer¬ 
katheter. St. empfiehlt weiter, ein genügend großes, rundes Loch, 
keinen Schlitz in die Blasenwand zu machen, und will in Zukunft dieses 
Loch umsäumen, um ja keine Stenose zu bekommen. — Nie implantiere 
man bei noch bestehender Zystitis oder Pyelitis. — Wie die vaginale 
Plastik, so hat St. auch die Ureternaht fast ganz aufgegeben, da sie wohl 
immer zur Stenose führe, ausgenommen, die Verletzung nahm nur einen 
kleinen Teil der Peripherie ein. — Bei bestehender Pyelitis komme nur 
die Nephrektomie in Frage. Bei einer frischen, hoch sitzenden Ureterdurch- 
schneidung legt St., anstatt die unzuverlässige einfache Unterbindung zu 
machen, den isolierten Ureter in zwei Schleifen aufeinander und vernäht 
die drei Schenkel fortlaufend, auf diese Weise zwei völlig abschließende 
Klappenventile bildend. R. Klien-Leipzig. 



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Referate und Besprechungen. 


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Sieber. F. (Berlin, Krankenhaus Bethanien), Ein Fall von spontaner Uterus» 
ruptur in der Schwangerschaft. (Deutsche medizinische Wochenschrift, Nr. 37, 
1911 .) 

Sieber berichtet einen Fall von Uterusruptur bei einer 24 jähr. Frau, 
die im 5. Monat gravida war und binnen 24 Stunden ad exitum kam. Die 
Ursache dieses Ereignisses war nicht mit Sicherheit zu ermitteln. Ein vor¬ 
hergehendes Trauma hatte nicht stattgefunden. Da aber bereits 2 Ent¬ 
bindungen vorausgegangen waren, von denen eine mit manueller Plazentar¬ 
lösung beendigt werden mußte, so liegt die Vermutung nahe, daß es durch 
diese Manipulation zu einer Schwäche der Uteruswand gekommen ist, was sich 
ja auch durch eine wirkliche Verdünnung derselben an der Rißstelle nach- 
weisen ließ, die nun einen locus minoris resistentiae bildete. Wie sich aus der 
Literatur ergibt, kommen derartige spontane Rupturen fast nur bei Mehr¬ 
gebärenden vor, bei denen durch irgend einen geburtshilflichen Eingriff 
Verletzungen der Uterusmuskulatur stattgefunden haben. F. Walther. 

Schick, P. (Oppeln), Über einen Fall von Uterusruptur nach vorange- 
gangenem klassischen Kaiserschnitt. (Deutsche medizinische Wochenschrift, 
Nr. 37, 1911.) 

Schick berichtet über einen Fall von Uterusruptur bei einer Frau, die 
4 Jahre vorher einen klassischen Kaiserschnitt durchgemacht hatte. Wenige 
Stunden post partum trat der Exitus ein. Bei der Sektion fand sich die 
Ruptur im Verlauf der Kaiserschnittnarbe, und diese selbst ließ erkennen, 
daß eine muskuläre Vereinigung im Bereiche des Fundalabschnittes über¬ 
haupt nicht zustande gekommen war. Eis bestand nur eine Peritonealnarbe, 
obwohl eine Zweietagennaht angelegt worden war. Es ergibt sich daraus, 
was schon von anderen Autoren betont worden ist, daß Nähte im korporalen 
Uterusabschnitt der Bedingung entbehren, die die Chirurgie fordert, näm¬ 
lich der Ruhigstellung. Sie bleibt ja beim physiologischen Umbildungsprozeß 
im Wochenbett in ständiger Bewegung. Die Uterusruptur wurde in dem 
Fall noch durch den Sitz der Plazenta in der Narbengegend begünstigt. 
Aus der Literatur ergeben sich so viel üble Folgeerscheinungen des klassi¬ 
schen Kaiserschnitts, daß eigentlich die Ausführung desselben verlassen wer¬ 
den sollte. F. Walther. 

FYank, T. (Andrews), Salpingitis. (Surg., Gynec. and Obst., July 1911. 

In der diesjährigen Maisitzung der amerikanischen gynäkologischen Ge¬ 
sellschaft hat sich A. mit Entschiedenheit gegen Versuche mit Vakzine¬ 
therapie an E'rauen mit infektösen Tubenerkrankungen ausgesprochen; Ver¬ 
schlimmerungen, Peritonitis und Todesfälle könnten eintreten infolge der 
hervorgerufenen Reaktion. R. Klien-Leipzig. 

Kroemer, P., Über die Anwendungsbreite der Lokalanästhesie in der Gynä¬ 
kologie und Geburtshilfe. (Berlin, klin. Wochensohr., Nr. 38, 1911.) 

K. verbreitet sich zunächst über die Lumbalanästhesie. Versager seien 
meist auf mangelhafte Technik zurückzuführen; eine wichtige Rolle spielten 
nach Anstechung einer Vene vor oder hinter dem Duralsack Blutergüsse, 
welche den Duralsack komprimieren. Bei dem präliminaren Dämmerschlaf 
hat K. seit einiger Zeit das Morphium durch das ungefährlichere Pantopon 
(0,02) ersetzt. — ln der Geburtshilfe wendet K. den Dämmerschlaf in 
allen Fällen mit großer Schmerzempfindlichkeit an. Für die Austreibungs¬ 
periode nimmt er die Narkose ä la reine zu Hilfe, jedoch mit Äther, 
wovon allemal einige Tropfen genügten, selbst für Zangen und Episiotomien. 
Um diese Narkose nicht allzulange fortsetzen zu müssen, infiltriert K., 
wenn eine Naht nach Ausstoßung der Nachgeburt notwendig wird, sofort 
nach der Geburt des Kindes die Peritonealgegend im Riß- bezw. Schnitt¬ 
bereich mit einigen Kubikzentimetern l' oiger Novokain-Suprareninlösung 
Höchst. Die Anästhesie tritt danach gerade nach etwa 20 Minuten ein. 
Für gynäkologische Plastiken verwendet K. mit Vorliebe die Anästhesierung 
des Nervus pudendus. — Bei Personen mit labilem Nervensystem und 
psychogenen Erscheinungen zieht auch K. die Allgemeinnarkose vor. 

R. Klien-Leipzig. 


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Referale und Besprechungen. 


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Ferran, T. (Paris), Torsion des graviden Uterus. (Progr. mdd. 9, IV. 11.) 

Ferran beobachtete in der Anstalt Dubois (Launay) folgenden Fall: 

Eine Patientin, die vorher zweimal abortiert und zweimal ausgetragen 
hatte, wurde im zweiten Monat ihrer fünften Gravidität von Übelkeit, Er¬ 
brechen und starken Schmerzen im Unterleibe rechts befallen. Blutverlust 
trat nicht ein, die Untersuchung ergab weiches Kollum und einen beweg¬ 
lichen, „vergrößerten“ Uterus, der vorn links eine bewegliche Masse von der 
Größe einer Mandarine trug. Es wurde Extrauteringravidität diagnostiziert. 
Die Laparotomie ergab jedoch eine Zyste des rechten Ovariums und eine 
Torsion des Uterus von rechts nach links. 

Die Heilung verlief glatt und ohne Störung der Gravidität. 

Esch. 

C r e i t e - Göttingen beschreibt ein bei einer 31 jähr. Frau beobachtetes 
4 cm langes, 2 cm dickes Fibroma pendulum der re chten Brust¬ 
warze, welches seit einer Reihe von Jahren als kleine Verdickung be¬ 
stand und sich in den ersten drei Monaten der ersten Schwangerschaft zu 
dieser Größe entwickelte. 

Der Fall hat insofern kasuistisches Interesse, als bis jetzt nur 28 
Mammillatumoren (darunter 16 bösartiger Natur) in der Literatur beschrieben 
sind. Als gutartig können nur die gestielten Geschwülste und die Myome 
angesehen werden. Alle malignen Formen müssen in radikalster Weise 
operiert werden. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. 109. Bd. S. 199.) 

Fr. Kayser-Cöln. 

Hohnstedt, Ueber die Anwendung des Puerperalfieberserums. (Russki 
Wratsch 1911, Nr. 33.) 

ln einer Reihe von Fällen von schwerer puerperaler Allgemeininfek¬ 
tion ohne ausgesprochene Lokalisation rief das Autostreptokokkenserum von 
Paltauf typische Reaktion hervor: die Temperatur ging unter Schweißaus¬ 
bruch an dem auf die Operation folgenden Margen herunter, stieg gegen 
Abend wieder bedeutend in die Höhe, um in den nächstcii Tagen zur Norm 
zurückzukehren. Darauf vollkommene Wiederherstellung. In einer weiteren 
Serie von Fällen mit Lokalisation des Prozesses war in 7 Fällen letaler 
Ausgang zu verzeichnen; hierher gehörten Fälle von Septikämie mit (doppel¬ 
seitiger Pneumonie, Septikämie mit Typhus abdominalis, von eitriger Peri¬ 
tonitis, von Endokarditis mit vereiterten Niereninfarkten u. a. m. In Fällen, 
die mit Pleuritis bezw. Typhus abd. kompliziert waren, konnte Genesung 
erst nach Ablauf der Nebenerscheinungen eintreten. In einer letzten Serie 
von Fällen war nicht unmittelbar an die Injektion, sondern erst allmählich 
Besserung und schließlich vollkommene Genesung eingetreten. 

Schleß-Marienbad. 

K. Rablnowitsch, Eklampsie. (Russki Wratsch, 1911, 7.) 

Erstgebärende sind in weit größerem Maße gefährdet als Multiparae. 
Am häufigsten tritt die Eklampsie bis zum Alter von 30 Jahren auf (75 o/o). 
Ein Zusammenhang zwischen Jahreszeit und Häufigkeit der Eklampsie ließ 
sich nicht feststellen. In 57,5 o/o aller Fälle begannen die Erscheinungen 
während der Geburt. Anfälle, die sich vor der Geburt einstellen, geben 
einen höheren Prozentsatz von Todesfällen (20 o 0 ) als die Fälle, wo sich 
die Krankheit während der Geburt einstellte (10,7 ®/ 0 ). In Fällen, wo die 
Anfälle sich nach der Geburt einstellten, war kein einziger Todesfall zu 
verzeichnen. .Schleß-Marienbad. 

Iljin, Die Scopoiamin - Morphiumnarkose in der Geburtshilfe, (Russki 
Wratsch 1911, Nr. 12.) 

In einer Reihe von Fällen beobachtete Verf. bei Anwendung der Scopola- 
min-Morphiumnarkose Nebenerscheinungen, wie extreme Trockenheit im Halse, 
Übelkeit, Erbrechen, Erscheinungen des Delirium und vor allen Dingen Ver¬ 
langsamung des Geburtsaktes, die Veranlassung zur Unterbrechung der ein¬ 
geleiteten Narkose gaben. Nur unter der Voraussetzung einer strengen 
Kontrolle seitens des Arztes ist die Scopolamin-Morphiumnarkose für Mutter 
und Kind ungefährlich. Nach Ansicht des Verfassers ist das Verhalten 



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187 


einzelner Schwangeren gegenüber dem Scopolamin zu verschieden, als daß 
die Narkose im Rahmen eines größeren Gebärhauses durchführbar wäre. 

Schleß-Marienbad. 

Grlgorjan, Beobachtungen über die Seopolamln-Morphlum-Chloroformnar* 
kose. (Wratschebnaja Gaseta, Nr. 31, 1911.) 

Die Anwendung des Scopolamin-Morphiums ermöglicht die Einführung 
geringerer Dosen von Chloroform. Das Exitationsstadium in der Chloro¬ 
formnarkose läuft, wenn überhaupt vorhanden, viel schneller und unter 
weniger stürmischen Erscheinungen ab. Erbrechen tritt hier während des 
Chloroformierens in der Regel nicht auf, in der postoperativen Phase nur 
in vereinzelten Fällen. Auch in den auf die Operation folgenden Tagten 
waren keinerlei unangenehme Erscheinungen zu beobachten. 

Die Beobachtungen des Verfassers beziehen sich auf 80 Fälle. Die 
Resultate zeigen, daß die zweimalige Einspritzung des Scopolamin (0,0002)- 
Morphiums (0,01) und zwar das erste Mal l 1 /., das zweite eine */ 2 Stunde 
vor der Anwendung des Chloroforms für Patienten im Alter von 15 bis 
zu 56 Jahren vollkommen unschädlich ist und veranlassen D. dieser Nar¬ 
kose den Vorzug vor anderen zu geben. Schleß-Marienbad. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Schade, G. (Breslau), Uber diffuse Geschwulstbildung ln der Pia mater. 
(Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Bd. 6.) 

Bestehen neben den Erscheinungen eines tumor cerebri ausgesprochene 
meningitische Symptome durch längere Zeit, so ist stets an die Möglich¬ 
keit einer diffusen Geschwulstinfiltration der pia zu denken. Die Richtig¬ 
keit dieser von Redlich auf gestellten Regel beweist besonders gut der erste 
Fall von Sch., wo ein solitärer Tumor durch eine diffuse Geschwulst der pia 
vorgetäuscht wurde. Zweig-Dalldorf. 

N. Jerschoff, Ueber Hirnsklerose tuberkulöser Natur. (Sowremennaja 
Psychiatria, 1911,^8. 93.) 

In sämtlichen durch Obduktion bestätigten Fällen von Hirnsklerose 
tuberkulöser Natur waren folgende Symptome zu beobachten: Frühbeginn 
der Erkrankung, hochgradige Idiotie, häufige Anfälle epileptischen Cha¬ 
rakters, Neubildungen auf der Haut, die an Adenoma sebaceum erinnerten. 

, Schleß-Marienbad. 

Schmld, H. (Lausanne), Ergebnisse persönlich erhobener Katamnesen bei 
gehellten dem. pricox-Kranken. (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Bd. 6, H. 2.) 

Bei 455 in den Jahren 1901—1910 in der dortigen Klinik wegen einer 
d. präc. behandelten Kranken mit verwendbarer Katamnese waren 46 ge¬ 
storben, 57,9 o/o sind verblödet, die Testierenden ließen sich einteilen in 
Kranke, die mit Defekt geheilt waren, und in Gesunde, bei denen die münd¬ 
liche Nachuntersuchung krankhafte Symptome nicht auffinden konnte. Daß 
schriftliche katamnestische Auskünfte nicht genügen, beweist der Umstand, 
daß S. in 36,7 »/ 0 der von den Angehörigen als gesund bezeichneten noch 
deutliche Zeichen geistiger Erkrankung finden konnte. Zur Erkenntnis eines 
Defektes ist hier wichtig vor allem nach Gehörshalluzinationen sorgfältig 
zu forschen, ferner nach der Krankheitseinsicht, die vor allem in der 
Korrektur ev. früherer Wahnideen bestehen muß, Krankheitsgefühl, d. h. 
die Erkenntnis, daß etwas Abnormes bei ihnen vorgekommen war, genügt 
nicht. Wichtig ist auch, wie der Betr. sich zu den gezeigten Auffälligkeiten 
verhält, wenn man ihm von denselben erzählt, ob er ihnen gleichgültig 
gegenübersteht oder ob er hiervon mit Interesse hört und sich bemüht, 
dem Untersucher den Zusammenhang für sein Benehmen oder seine Ideen 
aufzuklären. Geheilte werden auch stets mit Furcht vor einer ev. neuen 
Erkrankung erfüllt sein, während Ungeheilte entweder gegen eine Rück¬ 
kehr in die Anstalt überhaupt nichts einzuwenden haben oder ihre Weigerung 


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IH» 

jedenfalls nicht durch einen physiologischen Affekt begründen. Geheilte 
sind auch stets von Dankbarkeit erfüllt. Leichter zu erkennen sind ja 
die Fälle mit Interesselosigkeit, Urteilslosigkeit, finsterem verschlossenem 
Charakter, krankhaftem Egoismus, tagelangem unmotiviertem Aufenthalt im 
Bett, Eigenheiten im Benehmen und Sprechen. Von den 43 früheren Kran¬ 
ken, bei denen ein abnormer Befund nicht zu erhebeM war, ließ sich nur 
in einem Fall die Diagnose dem. präc. aufrecht halten, hier besteht 
nach 7 jährigem Anstaltsaufenthalt eine nunmehr 7 jährige Periode der völ¬ 
ligen Gesundheit. 5 waren richtiger als hvsterisch-degenerative Zustände 
aufzufassen, 14 als manisch-depressive Erkrankungen. Die Testierenden 22 
— ein Fall konnte nicht rubriziert werden (vollständige Amnesie bei e|inem 
mit vollkommener Orientierung verlaufenem katatonem Bild) — ist S. geneigt 
als besondere Gruppe von der dem. präc. abzugrenzen. Es handelt sich 

um akut einsetzende Zustände amentiaartiger Verwirrtheit mit katatomh 
Symptomen, deren Stupor resp. Bewegungsdrang durch Vorstellungen und 
Stimmungen bestimmt war, welche nicht uns unverständlich und in 

sich und von der normalen Psyche völlig abgeschlossene waren, sondern 
fließende Übergänge zu physiologischen darboten, so daß man sich in die¬ 
selben hineinversetzen kann. Diese Züge finden sich auch bei manisch- 

depressiven Erkrankungen, und S. ist geneigt, besonders noch in Hinsicht 
auf die oft manisch-depressive Belastung diese Fälle in engere Beziehung 
zu dieser Erkrankung zu bringen als zur dem. präc. Die geschilderten 

Erkrankungsbilder sind also prognostisch wichtig. Andrerseits deutet die 
Arbeit darauf hin, daß die geheilten Fälle von dem. präc. fälschlich in diese 
Gruppe gerechnet werden und durch Ausschaltung derselben es gelingen 
wird, dieses dann prognostisch fast absolut ungünstige Erkrankungsbild zu 
umgrenzen. Zweig-Dalldorf. 

Helnicke, W. (Waldheim i. Sachsen), Manisch-depressive Psychose und 
hysterisches Irresein bei ein und derselben Kranken. (Monatschr. f. Psych. u. 
Neur., Bd. 30, H. 3.) 

Der Fall ist durch die Überschrift genügend charakterisiert. 

_ Zweig-Dalldorf. 

Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Schleie, Wirkung des Salvarsans bei Syphilis. (Petersburger medizin. 
Wochenschrift 1911, Nr. 33.) 

Wenn Salvarsan auch entschieden ah energisches Spezifikum ange¬ 
sprochen werden kann, so ist doch von einer einmaligen Injektion von 
0,5— O.G eine Heilung nicht zu erwarten. Wesentliche Erfolge waren nur 
in Fällen zu beobachten, wo die Injektion wiederholt und zwar in Inter¬ 
vallen von 6—8 Wochen bei gleichzeitiger Darreichung von Hydrargyrum 
in der Zwischenzeit angewandt werden konnte. Verf. bevorzugt die intra¬ 
venöse Darreichung. Lungentuberkulose, Nephritis, Vitien bilden keine Kon¬ 
traindikation. Außer Infiltraten hat S. bei intramuskulärer bezw. subku¬ 
taner Injektion keine wesentlichen Nebenerscheinungen beobachtet. Insge¬ 
samt kamen 'innerhalb 6 Monaten 65 Fälle zur Beobachtung. 

Schleß-Marienbad. 

Jeanselme, £, Le Salvarsan injectd d une Me re en Periode d’Allaittement 
peut il influencer la Syphilis de son Nourrissonf (Annales de Gyn. et d’Obst., 
Juli 1911.) 

Aus den bisher bekannt gewordenen und von J. zusammengestellten 
16 Beobachtungen ergibt sich, daß die Salvarsanbehandlung der Mutter beim 
Säugling zwar mitunter zu raschem Verschwinden luetischer Hautaffektionen 
führt, daß aber dieselben bald rezidivieren. Der Einfluß auf die viszerale 
Lues der Säuglinge ist ein direkt schlechter, mitunter scheint sogar der 
Tod beschleunige worden zu sein. Jedoch w’irkt in solchen Fällen eine 
gleichzeitige Schmierkur der Säuglinge günstig. R. Klien-Leipzig. 



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Dreuw, Untersuchungen über externe Hefe rer Wendung bei Hautkrank¬ 
heiten. (Monatsh. f. prakt. Dermat., 1911, Bd. 52, Nr. 7.) 

Während die interne Verwendung der Hefe nach den Publikationen einer 
großen Reihe namhafter Forscher zu einem Allgemeingut der ärztlichen 
Praxis geworden ist, hat Dreuw zum ersten Male vor 6 Jahren die 
externe Applikation der Hefe wegen ihrer reduzierenden und bakteriologi¬ 
schen Eigenschaften empfohlen und berichtet über die Resultate seiner 
sechsjährigen therapeutischen Versuche. Eine externe Anwendung reiner 
Bierhefe Saccharomyces cerevisiae, welche auf Staphylokokken und Strepto¬ 
kokken, Typhusbazillen, Diphtheriebazillen, Gonokokken, Pneumokokken usw. 
wachstumshemmend wirkt, war nicht angängig. „Die Untersuchungen er¬ 
gaben aber erst ein greifbares Resultat, nachdem die Protoplasma- und 
Kernbestandteile der Hefe in Form eines mikroskopisch feinen Puders ange¬ 
wandt werden konnten, das der Haut ohne weiteres anhaftete und sich mit 
Salben, Pasten, Seifen und andern Vehikeln gut verwenden ließ.“ Dieser 
Puder, Fermentin benannt, stellt eine mikroskopisch feine, trockene, gelb¬ 
lichweiße, leicht nach Hefe riechende, puderförmige Substanz dar, die der 
Haut leicht anhaftet, sich zu Salben und Pasten leicht verreiben läßt und 
mit Amylum, Talkum, Milchzucker, Zinkoxyd usw. sich in jedem Verhält¬ 
nis mischen läßt. Es hat reduzierende Eigenschaften, leicht antiseptische 
Wirkung und ist namentlich angezeigt bei Ekzem, Akne, Follikulitis. Seborr- 
hoea oleosa zu kosmetischen Zwecken, insbesondere zur Verhinderung resp. 
Behandlung der nach dem Rasieren entstehenden kleinen Follikulitiden. Bei 
letzteren bewährte sich Abreiben mit 2 <y 0 Salizylspiritus ( l /s Min.), Ab¬ 
trocknen und dann Einpudern mit: 

Rp. Fermontin. sicc. 45,0 
Zinc. oxyd. 

Pulv. irid. Flor. 

Amyli äa 15,0 

M. f. pulv. D. S. — Oder auch In Verbindung mit 
U n n a ’ s Pulvis cuticolor: 

Rp. Bol. rubr. 0,5 
Bol. alb. 2,5 
Magn. carb. 4,0 
Zinc. oxyd. 5.0 
Fermentin 10,0 

M. f. subt. pulv. D. S. Pulvis cuticolor cum 
Fermentino. 

Bei nässenden Ekzemen bewährte sich das Präparat in Form der 
L a ss ar sehen Paste: 

Rp. Fermentin. sicc. 

Zinc. oxyd. ää_25,0 
Vaselin 

Lanolin, ää 25,0 

M. D. S. Fermentinpaste. — Oder mit stärker aus- 
trockender Wirkung: 

- Rp. Fermentin sicc. 10,0 
Zinc. oxyd. 4,0. 

Terr. eilic. 2,0 
Adip. benzoat. 28,0 

M. f. pasta, Fermentinzinkpaste. — Oder als Unna s 
Zinkschwefelpaste: 

Rp. Fermentin sicc. 6,0 
Zinc. oxyd. 4,0 
Sulf. praecip. 4,0 
Terr. silic 2.0 
Adip. benzoat 28,0 
M. f. pasta, Formentinschwefelpaste. 


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190 


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Neben der äußerlichen Anwendung von Fermentin .ist bei nässenden 
und trockenen Ekzemen, bei Akne, Follikulitis, Furunkulose die innerliche 
Darreichung von Fermentintabletten zu empfehlen, entweder als reine Fer¬ 
mentintabletten zur Erzielung einer Leukozytose des Blutes, oder als Fer- 
mentin-Eisentabletten bei primären und sekundären Anämien oder als Fer- 
mentin-Eisen-Arsentabletten bei Anämien, Erschöpfungszuständen und chloroti- 
schen lEaut>- und Nervenerkrankungen oder endlich als Fermentin-Phenolptha- 
le'in-Tabletten zur Erreichung einer purgierenden Wirkung bei Hautkrank¬ 
heiten. 

Verfasser hat seine vor 6 Jahren begonnenen Versuche das Fermentin 
in Verbindung mit Seife zur äußeren Anwendung zu bringen fortgesetzt 
und hat gefunden, daß die reine Fermentinseife durch das Fett und das 
Nuklein des Fermentins, wozu noch das zugesetzte Überfett kommt, sich 
durch eine solche Milde und Reizlosigkeit auszeichnet, daß sie selbst in Fällen 
reizbarer Haut, bei welchen jahrelang keine Seife angewandt werden durfte, 
gut vertragen wurde. 

Da die Seifenverwendung bei Hautkrankheiten bequem, angenehm, sauber, 
im Gebrauch sparsam ist, da bei chronischen Prozessen der Haut die Wir¬ 
kung infolge der Kombination von Erweichung und Keratolyse zusammen 
mit erhöhter Tiefenwirkung der inkorperierten Medikamente eine energische 
ist, empfiehlt D. die Verwendung von Salizyl-Schwefel-Fermentinseife bei 
Akne des Gesichts und Rückens und bei rosacea, bei Follikulitis und Furun¬ 
kulose, bei schuppenden Ekzemen im Gesicht, bei Pithyriasis capitis et faciei 
und bei Alopecia ekcematosa, bei Lichen pilaris, Lichen ruber und leichten 
Formen von Ichthyosis, Psoriasis, Pithyriasis rosea und versicolor, bei 
Hyperidrosis mammae et pedum und bei Lichen urticatus. 

Bei Akne geschieht die Anwendung der Fermentinseife in der Weise, daß das 
mit Wasser gründlich angefeuchtete Seifenstück morgens und abends in die Haut 
eingerieben und daß dann das Gesicht ©in bis drei Minuten mit der Fermentin¬ 
seifenmasse gründlich massiert wird. Nach der abendlichen Applikation bleibt 
die Seifenmasse über Nacht liegen, um morgens durch gründliche Einschäu¬ 
mung und Waschung entfernt zu werden. Zur Unterstützung der Behand¬ 
lung purgierende Fermentintabletten und Fermentinschwefelpaste: 

Rp. Sulf. depur. 10,0 
Resorcin 2,0 
Fermentin 10,0 
Zinc oxyd. 15,0 
Terr. silic. 5,0 
Adipis benzoat ad 100,0 
M. f. past. D. S. 

Die Behandlungsmethode bei Alopecia ekzematosa wird ebenfalls genau 
geschildert. Zum Schlüsse zur Illustration der günstigen Wirkuhg des Fer¬ 
mentins einige Krankengeschichten. Carl Grünbaum-Berlin. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Therapie.. 

Cukor, N. (Franzensbad), Über den Nährwert des Biers und seine Bolle bei 
Mastkuren. (Allg. Wiener med. Ztg. 1911, Nr. 26.) 

Cukor hebt hervor, daß der Alkohol in der Konzentration, wie er 
im Bier vorhanden ist, nach Kasts Untersuchungen die HCl-Bildung ver¬ 
mehrt und fördernd auf die Resorption und Motilität wirkt, gleichsinnig 
wie die Bitterstoffe des Hopfens und der Gehalt an freier CL. Andrerseits 
könne das Bier allerdings bei Disponierten auch übermäßige Säurebildung 
und Gärung hervorrufen. 

Von günstigen Wirkungen des Biers nennt C. ferner die diuretische 
und die nervenberuhigende, die z. B. auf Rechnung des Hopfens komme; 
weiterhin die, weniger auf den Alkohol als auf den Gehalt an freier Säure 
zurückzuführende antiseptische Wirkung „die bei der Hamburger Cholera- 



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Referate und Besprechungen. 191 

epidemie den Brauereiangestellten eine außerordentlich günstige Morbiditäts¬ 
ziffer verschafft habe.“ 

Was nun den Nährwert betrifft, so beträgt er nach C. (und Bubner) 
bei 1 Liter hellen Biers, d. h. „demjenigen Quantum, das ohne irgend welchen 
Schaden täglich genossen werden kann, 190, bei extraktivreichem Malzbier 
500—600 Kalorien, also halb so viel wie beim gleichen Gewicht Fleisch 
und Kartoffeln und */s von dem, was das gleiche Quantum Milch zu liefern 
vermag.“ Aus diesen Zahlen geht für C. die hohe volkswirtschaftliche 
Bedeutung des Biers hervor. 

Bei Leuten ohne entsprechende körperliche Leistungen dagegen empfiehlt 
er das Bier zur Unterstützung einer event. nötigen Mastkur (Anämie, Ner¬ 
vosität, Tuberkulose, Unterernährung), weil es durch seinen Alkoholgehalt 
den Eiweißzerfall vermindere, also als Sparmittel wirke, den Appetit anrege, 
eine größere Fettaufnahme ermögliche und selbst erheblich die Kohle¬ 
hydratzufuhr steigere. Endlich unterläßt C. auch nicht, den heute ja be¬ 
sonders geschätzten P. gehalt im Bier zu erwähnen. — 

Er schließt mit folgenden Worten: 

„Es geht aus den Untersuchungen hervor, daß das Bier, bezw. eine 
leicht verdauliche Malzfeinbiersorte, für die Volksernährung große Bedeu¬ 
tung hat, weil es nicht bloß Genußmittel ist. Ein solches Bier besitzt als 
Nährmittel großen Wert, denn es ist imstande, die Spannkraft und Leis¬ 
tungsfähigkeit des arbeitenden Menschen, auch neben minderwertiger Er¬ 
nährung, günstig zu beeinflussen.“ 

Wenn er aber eingangs der Arbeit bemerkte: 

„Es ist allbekannt, daß ärztliche Erfahrungen und die Fortschritte 
des ärztlichen Wissens auf dem Gebiete der Ernährungslehre in die volks¬ 
tümlichen Anschauungen übergehen, und daher ist in keinem Fache der 
Medizin die lehrende und erziehende Tätigkeit des Arztes von solcher Be¬ 
deutung als eben in den Fragen der rationellen Ernährung,“ so wäre es 
gerade im Hinblick auf diesen Umstand doch wohl angebracht gewesen, 
die giftigen Eigenschaften des Alkohols nicht gänzlich zu übergehen l ) und 
ferner die Tatsache zu berücksichtigen, daß Brennwert nicht = Nährwert 
ist; sonst könnte man ja auch z. B. dem Glyzerin und allen: möglichen 
anderen Stoffen den Charakter eines Nahrungsmittels zuschreiben. 

Esch. 


Allgemeines. 

Robinson, [R. Zur ; Bestimmung des Geschlechts. (Acad. des Sciences, 
22. Mai, 1911.) 

15 Frauen mit den klinischen Erscheinungen von Nebenniereninsuffizienz 
brachten 15 Töchter zur Welt. Robinson glaubt daraus den Schluß 
ziehen zu können, daß die Verhältnisse der inneren Sekretion der Mütter 
den entscheidenden Einfluß auf das Geschlecht ihrer Kinder haben. 

Die Männer sind ihm offenbar eine quantite negligeable. 

Buttersack-Berlin. 

Peters, H. (Brünn), Bakteriologische Untersuchungen über den Bodenstaub 
in den Schulen. (Allg. Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 21.) 

Aus Peters vergleichenden Untersuchungen in einer alten und einer 
neuen Schule geht hervor, daß bei gleicher Menge des verimpften Staubes 
die Keimzahl in der alten Schule fast immer geringer war als in der neuen. 
Er führt dieses Resultat darauf zurück, daß in der alten Schule die Fuß- 


*) Dass die von C. als unschädlich bezeichnet© Menge von ca. l /i 1 Bier bei der 
Mahlzeit die Leistungsfähigkeit des Menschen nicht nur nicht erhöht sondern sie viel¬ 
mehr herabsetzt, davon kann ein Jeder sich durch Versuch am eigenen Körper über¬ 
zeugen. (Ref.) 


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böden mit Stauböl behandelt waren. „Daraus ergibt sich,“ so schließt er 
mit Recht, „daß auch unter ungünstigen hygienischen Bedingungen durch 
entsprechende sanitäre Maßnahmen (Reinlichkeit, Lüftung und Pflege der 
Zimmer, namentlich der Böden) ausreichende gesundheitliche Verhältnisse 
geschaffen werden können.“ ' Esch. 

Hammer, W. (Berlin), Über die tiesundheitsschädlichkelt langdauernder 
sexueller Abstinenz. (Deutsche Ärzto-Ztg., 1911, Nr. 15.) 

Als anatomische Folgen der „Nichtbefruchtung in jugendlichen Jahren“ 
nennt H. Erschwerung der Erstgeburt infolge Erstarrung, des Muttermundes. 
Enthaltsamkeit vom sinnlichen mann-weiblichen Verkehr ist ferner nach 
seiner Ansicht die Hauptursache der Triebentartung nach der gleichgeschlecht¬ 
lichen oder schmerzlüsternen Seite hin (wenn er auch zugibt, daß übermäßige 
Geschlechtsbetätigung dieselben Entartungen bewirkt). Sehr häufig kommt 
es bei Enthaltsamen beiderlei Geschlechts zu Bleichsucht, Blutarmut neben 
reizbarer Nervenschwäche und Kopfschmerzen. 

„Sogenannte kalte Naturen sind nach meiner Erfahrung durchweg 
(? Ref.) solche Frauen, die durch langfortgesetzte Selbstbefleckung das ge¬ 
sunde Empfinden verloren haben. Kalte Naturen, die sicher niemals Selbst¬ 
befriedigung oder gleichgeschlechtliche Befriedigung oder Auslösung der 
Sinnlichkeit durch Schmerzen bewirkten, dabei jedoch Kinder gebaren und 
säugten, habe ich nicht kennen gelernt.“ 

„Vorbeugend und heilend wirken — ohne deshalb alle Enthalt¬ 
samkeitsstörungen zu verhüten: Ruhe und gutes Beispiel im 
Lebenswandel der Eltern und Erzieher, frühzeitige Einweihung in den Ge¬ 
brauch religiöser Heil- und Heiligungsmittel, in die Freude am Wissen, den 
künstlerischen Genuß, in Sparsamkeit, in ernste, einfache und harte Lebens¬ 
führung unter dem Gesichtswinkel der Ewigkeit, innige Eltern-, Geschwister- 
und Freundesliebe für die in der Welt Stehenden, Erzwingung von Meisterstück 
und Pensum, sowie Ersatz der weit gefährlicheren Einzelhaft und Bett¬ 
strafen. wo angängig durch die weniger gefährliche Prügelstrafe in An¬ 
stalten. Anstellung männlicher Vorarbeiter, Erzieher, Arzte in Mädchener¬ 
ziehungsanstalten, weiblicher Hilfskräfte in Knabenanstalten, außerhalb der 
Anstalt Erschütterungs- und Thure Brandsche Massage, Luft-, Wasserbäder, 
Turnübungen, einfache Kost, gute Lektüre, Arzneimittel. — 

Alle staatlichen Einrichtungen und Gebräuche, die die unverheiratete 
Frau zur Mitbewerberin des verheirateten Mannes machen, untergraben das 
gesunde Eheleben, fördern die Abtreibung und die Lustseuche und den Unter¬ 
gang des Volkes.“ Esch. 

Hammer, W., (Berlin), Uber die Form ärztlicher Zeugnisse. (Deutsche 
Ärzte-Ztg., 1911, Nr. 14.) 

Hammer plädiert dafür, daß in die ärztlichen Zeugnisse die Angaben 
des Patienten und seiner Umgebung — diejenigen der letzteren w'ürden be¬ 
sonders bei psychiatrischen und kriminalistischen Zeugnissen in Betracht 
, kommen — in Protokollform, also mit Namensunterschrift der Be¬ 
treffenden, aufgenommen werden, da sie dadurch an Genauigkeit gewinnen 
und gleichzeitig so eine Schutzmaßregel für den Arzt gebildet würde. 

Die Frage, wie soll sich der Arzt verhalten, wenn er von vornherein 
sieht, daß der Ersuchende bei ihm das nicht erreichen wird, was er sucht, 
beantwortet er dahin, daß im allgemeinen der Arzt auch in diesem Falle das 
"Zeugnis nach seiner Überzeugung ausstellen, und nicht den Ersuchenden ab¬ 
weisen solle, da dieser sonst vielfach so lange suchen werde, bis er einen 
gutgläubigen oder -mütigen Arzt findet. 

Diese Anschauung illustriert er durch instruktive Beispiele aus seiner 
Erfahrung. 

Beachtung verdient auch sein Hinweis darauf, daß im Attest die Dia¬ 
gnose weniger wichtig ist als der genau angegebene objektive Befund. 

Esch. 


Drück von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912. 


Tortschritte der medizitt. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 


herausgegeben von 

Prof. Dr. ®. Köster Prlü -Doz. Dr. o. Erlegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. • in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 


7. 


Ers&eint wö*tntlld> jum preise von 8 (T)arh für das 
Balbjabr. 

Carl Marhold, Verlagsbuchhandlung, Halle a S 


15. Febr. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Über Psychanalyse. 

Vortrag, gehalten auf der Jahresversammlung der mitteldeutschen Neurologen und 

Psychiater, am 22. Oktober 1911 
von Dr. Wanke, Nervenarzt in Friedrichroda i. Th. 

Ich bin mir der Schwierigkeit bewusst, mit einem Thema vor Sie 
hin zu treten, wie ich es heute gewählt habe. Nach der vernichtenden 
Kritik, welche dem Freud’schen Verfahren in Schrift und Wort zu Teil 
geworden ist, erscheint es weder leicht, noch verlockend, vor Ihnen das 
Thema von neuem aufzurollen. Ich denke aber an den alten Vers: 
gutta cavat lapidem, non vi sed saepe cadendo“. — 

Meine Absicht ist es jedoch nicht, Ihnen heute eine gelehrte Dar¬ 
legung der Freud’schen Psychanalyse zu geben. Noch weniger möchte 
ich auf die mannigfaltigen Einwendungen der Gegner Freuds antworten. 
Auch kann ich nicht daran denken, auch nur einen Teil der in Rede 
stehenden Punkte erschöpfend zu besprechen. 

Ich will mich heute vielmehr nur an Ihr ärztliches, an Ihr rein 
praktisches Interesse wenden. Die Tatsachen sollen für sich sprechen. 
Es bleibe jedem überlassen, nachzuprüfen, weiter zu forschen und die 
Ergebnisse der bisherigen Behandlungsmethoden mit den Leistungen 
der neuen zu vergleichen. 

Ueber Psychanalyse ist augenblicklich mehr denn je der Streit 
entbrannt. Aber, wie vor 20—30 Jahren der Kampf um den Hypnotis¬ 
mus tobte, wie seine Anhänger mit den verschiedenartigsten Waffen 
angegriffen wurden und sich schliesslich doch Anerkennung erstritten, 
so dass die Hypnose ein recht bemerkenswerter, in manchen Fällen unent¬ 
behrlicher Faktor in unserem therapeutischen Arsenal geworden ist, 
so dürfen wir hoffen, dass, nachdem die Gemüter sich erst einigermassen 
beruhigt haben werden, auch die Psychanalyse zu ihrem Recht kommen 
werde; dass man beginnen möge, ihre Leitsätze sine ira et studio zu er¬ 
wägen und ihre Ergebnisse nachzuprüfen und dass man damit enden 
möge, sie anzuerkennen, wenn auch vielleicht vorher erst noch einiges 
als unnötig, oder übertrieben, vielleicht sogar als falsch abbröckeln wird, 
denn, wir wollen nicht ausser Acht lassen, dass die Psychanalyse ja eine 
noch im Werden begriffene Wissenschaft ist. 

Ueber die Freud’sche Methode und besonders über ihre praktische 
Anwendung bestehen vielfach unrichtige Vorstellungen, als verlange 

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11*4 


Wanke, 


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<las Verfahren z. Ü. überall und sofort ein näheres Eingehen auf sexuelle 
Komplexe, als sollte der Patient gleich von Anfang an auf diese Dinge 
hin peinlichst geprüft werden. Dies wird aber von niemand verlangt. 
Im Gegenteil, Freud selbst warnt eindringlich vor jeder Uebereilung. 
Es liegt aber auf der Hand, dass auch die Psychanalyse ihre Kinder¬ 
krankheiten durchmachen musste. 

In «len ersten Phasen ihrer Entwicklung war die analytische Kur, 
wie jede andere junge Therapie, oft noch unsicher und unzulänglich. 

Die Aufgabe des Arztes bestand nicht zum mindesten darin, aus¬ 
weichende und verneinende Antworten des Patienten beharrlich zu 
überhören. Das ist auch heute noch so. Wenn wir aber früher darauf 
angewiesen waren, immer wieder zu fragen, mit dem Patienten immer 
wieder neue Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, so muss betont 
werden (was auf gegnerischer Seite oft übersehen wird), dass die Technik 
inzwischen sehr vervollkommnet wurde und sich auf tiefster psycho¬ 
logischer Erkenntnis auferbaut. 

Jetzt bedrängen wir unsere Patienten nicht mehr, dass sie uns 
erzählen, dass sie nachdenken, sich erinnern, und wiedererzählen. 
Jetzt haben wir gelernt, aus dem Assoziations-Versuch, aus denj Ein¬ 
fällen und Träumen der Patienten Wichtiges herauszulesen und zahl¬ 
reiche fleissige Köpfe arbeiten mit einer ungewöhnlichen Hingabe 
und Begeisterung daran, aus der Symbolik der Phantasie und des 
Alltagslebens heraus den Schlüssel zu finden zum Erschlossen der ver¬ 
drängten pathogenen Komplexe. 

Bei den Verhandlungen der internationalen Gesellschaft für medi¬ 
zinische Psychologie un<i Psychotherapie in Brüssel 1910 wurde aus¬ 
gesprochen, dass die direkte Exploration der Kranken nach der Vogt’schen 
Methode, speziell die Leistungen der Hypermnesie in der Hypnose, die 
Bilderanalyse Bezzola's und die verschiedenen Modifikationen des freien 
Assoziierens befriedigende Ergebnisse lieferten in der Kausalanalyse, 
wie Vogt jetzt seine auf Selbstanalyse der Kranken beruhende Methode 
nennt, im Gegensatz zu der von ihm sogenannten kausalkonstruieren- 
den Psychanalyse der Anhänger Freuds. Diese Behauptungen können 
wir als im allgemeinen richtig gelten lassen und auch von anderer Seite 
werden sie unterstützt. Ich nenne Janet. Auch Dubois darf hier er¬ 
wähnt werden. Es ist sehr wohl möglich, durch Analyse im Sinne 
Vogts, event. in Verbindung mit Hypnose, traitement moral und 
reeducation in vielen Fällen dem Kranken zu nützen. 

Ich selbst habe seit 15 Jahren eine grosse Anzahl solcher Fälle in 
Behandlung gehabt, in denen die direkte Exploration und andere, in 
welchen die hypnotische Hypermnesie durchaus genügten, ein recht 
befriedigendes Resultat zu erzielen. Man sollte dabei auch nicht über¬ 
sehen, wie viele Imponderabilien bei diesen Kranken mitwirken, die 
bewusste ärztliche Tätigkeit zu fördern. 

Eine nicht kleine Anzahl von Kranken bleibt jedoch übrig, bei denen 
das bisher übliche Verfahren sich als unzureichend erweist. Wenn die 
psychologischen Wurzeln tiefer liegen, wenn sie mit der Entwicklung 
des Charakters in engster Verbindung stehen, wenn sie sich assoziierten 
mit einem peinlichen Affekt und deshalb mit grösster Energie vom Ober¬ 
bewusstsein abgedrängt wurden, dann hat sich der Patient selbst, ohne 
sich dessen klar bewusst zu sein, Widerstände geschaffen und dann 
genügt die einfache Methode der Exploration, Reeducation usw. nicht. 
Das beweisen die zahlreichen Fälle, welche nicht selten nach monatelanger, 



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Uber PsychanalyBe. 


195 

ja nach jahrelanger Behandlung immer noch mit einem Erden¬ 
rest zu tragen peinlich herum laufen und ihr Heil erst finden, wenn man 
ihnen zur Beseitigung der inneren Widerstände verhilft, welche die 
allertiefsten, als.o am sichersten verwahrten Komplexe verhüllten. 

Vielfach wird von,,Rückfällen“ gesprochen, die in gewissen Zwischen¬ 
räumen sich immer wieder einstellen, also von Fällen, in welchen die 
Besserung immer nur eine gewisse Zeit anhielt, oder in denen sie viel¬ 
leicht nur vorgetäuscht war? — Auch Janet spricht in seiner Mono¬ 
graphie über Psychasthenie offen über die Aussichtslosigkeit der Be¬ 
handlung bei vielen jener Kranken. Ebenso beklagt Dubois in seinem 
bekannten Buch*) die Unheilbarkeit gewisser Psyehoneurosen. 

Sollte es aber wirklich unmöglich sein, auch diesen Kranken dauernd 
zu helfen, sie vor „Rückfällen 1 zu bewahren, dadurch, dass man auf die 
letzten Ursachen, auf die tiefsten psychologischen Wurzeln ihrer Kom¬ 
plexe eingeht, anstatt sich mit einem notwendig oberflächlich bleibenden 
traitement moral zu begnügen ? 

Tiefer und gründlicher nun als jede andere Behandlung wirkt das 
Freud’sche Verfahren und da dasselbe auf die letzten psychologischen 
Wurzeln der pathogenen Komplexe eingeht, gibt es auch die besten 
Chancen, Rückfälle zu vermeiden. Der Patient lernt eben, sich selbst 
analysieren und hat darin das beste und sich erste. Mittel, sich gegen 
Rückfälle zu schützen. Diese Psychotherapie ist es also eigentlich, 
welche das Epitheton „rationell“ für sich in Anspruch nehmen darf. 

Wenn man sich die Krankengeschichten der Anhänger Vogts an¬ 
sieht, dann kann man sich hier und da des Eindrucks schwer erwehren, 
dass Analysen ganz im Sinne Freuds zustande gekommen sind. Es ist 
in diesen Fällen eben ohne besonderes Zutun gelungen,* Widerstände 
zu beseitigen, was ja in tiefer Hypnose wohl möglich ist und so ergeben 
sich Analysen ganz wie wir es oft erleben in solchen Fällen, in denen die 
Widerstände nicht sehr stark sind oder auch, wo deren Genese zeitlich 
nicht weit zurückliegt. 

Ebenso dürften die nach Dubois glücklich beendeten Kuren im 
Grunde darauf zurück zu führen sein, dass auch hier, ungewollt und 
unbewusst, Widerstände gelockert wurden und Analysen gelangen. 
Das ist durchaus nicht wunderbar, denn man kann es des öfteren erleben, 
dass intelligente und hochgebildete Patienten, sobald sie verstanden 
haben, um was es sich handelt, die Widerstände spielend leicht über¬ 
winden. Wenn dies in günstigen Fällen auch Dubois gelang, weshalb 
sollte es dann in der Hypnose nicht möglich sein, eine Analyse zu voll¬ 
bringen, ohne dass eine tatsächliche Ueberwindung von Widerständen 
dem Arzt oder dem Patienten zum Bewusstsein käme ? 

Da hätten wir also in der Vogt’schen Kausalanalyse in Verbindung 
mit Hypnose ein Mittel, welches die Freud’sche Analyse unnötig machte ?, 
denn ohne Hypnose dürfte eine Ueberwindung von hartnäckigen Wider¬ 
ständen wohl nie gelingen. — Nun, auch mit Hypnose genügt ein der¬ 
artiges Verfahren nach meinen Erfahrungen nur bei leichten und bei 
rezenten Fällen, und nicht einmal da immer. Denn, wenn Widerstände 
von einiger Bedeutung oder solche, die Jahre und Jahrzehnte vorher 
konzipiert wurden, in der Hypnose beseitigt werden sollen, dann kann 
es nur in tiefer Hypnose geschehen und dann wird dies Vorgehen zu einem 
recht zeitraubenden, denn, um eine genügend tiefe Hypnose zu erzielen. 


*) Lc3 P.sychoncvToses et leur traitement moral, Paris, ehez Masson et Cie. 

13* 


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Wanke, 


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196 

sind nicht selten eine grosse Anzahl von Sitzungen erforderlich, ich 
weiss von Fällen, bei denen erst nach 70, nach 100, ja nach 200Sitzungen 
die Hypnose so tief wurde, dass eine genügend ergiebige Myperrnnesie 
in die Erscheinung trat. Welcher Arzt und wie viel Patienten haben nun 
aber wohl Zeit zn solch langwierigem Verfahren ? Und wie wenige 
Patienten können sich auch materiell eine so lange Fortsetzung der 
Behandlung leisten ? 

Wo andrerseits eine tiefe Hypnose ohne Mühe und nach wenigen 
Sitzungen, womöglich gleich in der ersten, erzielt werden kann, da 
liegt in der Hegel eine so abnorm gesteigerte Suggestibilität vor, dass 
diese Fälle schon deshalb ausscheiden. denn, aus der Wirkungssphäre 
des Arztes entlassen, würden sie sehr bald den zahlreichen suggestiven 
Einflüssen, denen sie unwillkürlich wieder ausgesetzt sind, von neuem 
unterliegen. Die Heilung würde also keinen Bestand haben. Es würde 
bald ein ,,Rückfall“ kommen. Bei allen Patienten jedoch, welche fähig 
sind, psychologisch zu denken und deshalb empfänglich sind für psycho¬ 
logische Unterweisung durch den Arzt, wirkt die Psychanalyse ratio¬ 
neller: die Patienten lernen sich und ihre Schwächen kennen und haben 
in der Möglichkeit der dauernden Selbstanalyse (die sie eben erlernen 
müssen) den besten, ja allein wirksamen Schutz gegen weitere Erkran¬ 
kungen. d. h. gegen neue pathogene Komplexbildungen.*) — 

Es ergibt sich aber bei der Kausalanalyse mit Hilfe der Hypnose 
noch eine andere Schwierigkeit. Ich habe wiederholt beobachten können, 
dass die Patienten sich darüber mehr oder weniger klar bewusst sind, 
dass sie etwas Peinliches zu verheimlichen haben. Wie oft erlebt man 
derartige Geständnisse im Verlauf oder nach Vollendung der Kur. ,,Es 
ist schwer, dahin zu kommen. Dinge zuzugeben, die man sich selbst 
vorläufig nicht eingestehen mag, die man sich selbst nicht sagen kann“, 
so sagte mir mal eine hochgebildete Dame nach glücklich beendeter 
Kur. Und ich könnte dieser Aeusserung eine ganze Menge ähnlicher 
an die Seite stellen. 

Diese Patienten sind aber immer schwer zu hypnotisieren, denn es 
handelt sich zumeist um hochintelligente Personen und bei diesen ge¬ 
lingt die Hypnose durch Ueberrumpelung oder die autoritative Hvp 
nose selten oder nie. Wir haben also in solchen Fällen mit bewussten 
und unterbewussten Widerständen zu rechnen und da wird sich nicht 
allzu selten die Unmöglichkeit ergeben, eine genügend tiefe Hypnose 

*) Einer der Diskussionsredner warf der Psychanalyse Vor, dass sie von ganz falschen 
Voraussetzungen ausgehe, insofern sie die Krankhcitserscheinungen beseitigen wolle, 
da man doch vielmehr die Krankheit selbst zu heilen sich beflcissigen solle: dass die 
Psychanalyse bloss das Affektleben aufwühle, bei all ihrem Bemühon aber die Grund- 

krnnkheit unbeeinflusst lasse.-Nun, was den letzten Vorwurf (und damit auch die 

anderen) betrifft, so ist die Psychanalyse den pathologischen Konstitutionen gegenüber 
(denn die meinte der Diskussionsredner) ebenso unwirksam wie alle .anderen Behandlungs¬ 
arten und sie hat deshalb auch noch nie Anspruch darauf erhoben, abnorme Kon¬ 
stitutionen als solche zu ändern. — Bei Einwürfen von der Art des obigen 
dürfte die Frage erlaubt sein: ist es nicht schon ein grosser Erfolg, wenn wir 
die Patienten mit neuro- und psychopathischen Konstitutionen so weit bringen, 
dass sie frei werden von ihren peinlichen und oft qualvollen Angstatfekten und von 
ihren lästigen Phobien, dass sio wieder Menschen werden, die in der Gesellschaft und 
im Beruf als gesund gelten können ? Was schadet es, dass diese Bedauernswerten nach 
wiedergewonnener Fähigkeit, in der Gesellschaft zu leben und ihrem Beruf nach zu gehen 
(wenn auch oft nur in untergeordneter Stellung) mit ihrer krankhaften Konstitution 
durchs Leben gehen müssen, wenn sie durch die Kur gelernt haben, sich leistungsfähig 
zu erhalten und sich gegen neue Erkrankungen nach Möglichkeit zu schützen, so dass 
sie also in der Gesellschaft als gesund und normal gelten können ? — 


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Über Psychanalyse. 


I!t7 

einzuleiten. Unsere Rettung ist in dieser Nut einzig und allein die 
Analyse nach Freud und zwar kann ich aus eigener Erfahrung in allen 
refraktären Fällen den diagnostischen Assoziations-Versuch nach Jung 
als ein souveränes Mittel empfehlen, welches schonend und sicher zum 
erwünschten Ziele führt. — 

Das letzte Jahr hat uns bezüglich der Psychanalyse ein klassisches 
Beispiel gebracht, wie aus einem Saulus ein Paulus werden kann. Ich 
denke dabei an einen amerikanischen Kollegen und namhaften Neu¬ 
rologen, der selbst erzählt, dass er noch vor einem Jahr der Methode 
Freuds wenig Beachtung geschenkt, ja, sich durch einzelne seiner Be¬ 
hauptungen abgestossen gefühlt habe. Dann hat er sich aber doch, so 
gesteht er. angeregt durch eine Reihe von Vorträgen, sachlich und 
wohlwollend mit der Nachprüfung der Freud’schen Probleme beschäftigt 
und. wohl auch vorbereitet durch ein eifriges Studium der französischen 
Schule (welche man in Amerika besser kennt als in Deutschland und 
welche hervorragend geeignet ist. für die Freud’sche Lehre empfänglich 
zu machen), ist er jetzt ein begeisterter Anhänger der neuen Methode 
geworden. Ich spreche von dem Professor der Neurologie an der llar- 
ward Medical School in Boston. James J. Putnam. Dieser Professor 
Putnam hielt im vorigen Jahr auf der 36ten Jahresversammlung der 
American Neurological Association einen bemerkenswerten Vortrag. 
Seine Erfahrungen beruhten damals auf etwa 20 vollständig oder un¬ 
vollständigbehandelten Fällen von Angstneurose. Hysterie. Neurast henie, 
Phobien. Zwangsimpulsen. Impotenz und Stottern. ..Diese Gruppe von 
Fällen“, sagt Putnam, ,,scheint mir für den Zweck meiner Mitteilung da¬ 
rum von besonderer Bedeutung, weil ich manche von diesen Pa¬ 
tienten schon früher behandelt hatte — einige von ihnen, wenn auch 
nicht kontinuierlich, Jahre hindurch —, wodurch sich mir die beste 
Gelegenheit bot, die mit der neuen Methode erzielten Resultate mit den 
früher erreichten zu vergleichen. 

..Die neuen Ergebnisse erwiesen sich nun in fast jeder Hinsicht 
wesentlich besser als die alten, und eine Vergleichung dessen, was nach 
Beginn dieser Behandlungsmethode erzielt wurde, mit dem. was vorher 
erreicht worden war. sei es in bezug auf das Detail oder die Vollständig¬ 
keit. liess den Unterschied als ungeheuer erkennen. 

Ich überzeugte mich bald, dass meine frühere Kenntnis vom 
Leben, vom Charakter, den Fähigkeiten und Leiden meiner Patienten 
äusserst oberflächlich gewesen war.“ 

Wie ich aus mündlichen Mitteilungen weiss, gibt es innerhalb und 
ausserhalb der Grenzen Deutschlands eine Anzahl Aerzte, denen es 
ebenso oder ähnlich ergangen ist wie hier dem Professor Putnam aus 
Boston. Ich selbst kann seine Mitteilungen aus eigener Erfahrung 
Wort für Wort bestätigen. — 

Was hat nun eigentlich Freud und seinen Anhängern das Anathema 
der übrigen Aerzteschaft eingetragen ? Es ist. kurz gesagt, die Behaup¬ 
tung Freuds, dass alle neurotischen Symptome in irgend einer Beziehung 
stehen zur Sexualität. Freud fasst diesen Begriff weiter als es bisher 
üblich war und ist der Ueherzeugung, dass bei jeder Psyehoneurose das 
ausschlaggebende Ereignis in die Zeit fiel, wo das Triebleben des Men¬ 
schen entschieden prävalierte, also in die Zeit der Kindheit. Von diesen 
Prämissen ausgehend schliesst Freud folgerichtig, dass zu einer gründ¬ 
lichen Exploration und ebenso zum Zweck der bestmöglichen ärztlichen 


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108 Wanke, 

Behandlung ein Eingehen auf die Vita sexualis des Patienten unver¬ 
meidlich sei. 

Wer lediglich aus diesen Gründen Freuds Lehre ablehnt, ja, sie 
als ethisch angreifbar erklärt, der hat sie missverstanden. Es ist freilich 
keine geringe Mühe, Freuds Resultate nachzuprüfen. Dies ist aber der 
einzige Weg, in seine Methode einzudringen und ihm Gerechtigkeit 
wiederfahren zu lassen. 

Warum eigentlich will man uns das Recht nehmen, die ärztliche 
Exploration auch auf das Geschlechtsleben und was damit zusammen¬ 
hängt, auszudehnen ? Hat man es schon anderen Spezialisten verdacht, 
wenn sie auf somatischem Gebiet eine möglichst vollständige Unter- 
suehung bedingen, um das Leiden deuten und heilen zu können ? 

Kein Arzt für Geschlechtskrankheiten wird einen Kranken behan¬ 
deln, den er nicht vorher gründlich untersucht hat. Geht das aber 
ohne nähere Inspektion der Naturalia ? Kein moderner Frauenarzt 
wird sich an einer Exploration genügen lassen, die sich, wie es noch 
heute weit hinten in der Türkei üblich ist, darauf beschränken muss, 
dass der Arzt an dem durch eine enge runde OefTnung ihm entgegen- 
gestreekten Arm der im übrigen unsichtbaren Patientin den Puls fühlen 
darf. 

Bei den Riesenfortschritten auf nahezu allen Gebieten der Kultur 
und des W issens ist es befremdend, dass die allgemeine Bildung noch 
nicht so weit gediehen ist, dass man mit jedem Gebildeten über mensch¬ 
liche Dinge menschlich reden darf,-man darf das nicht vor keuschen 

Ohren nennen, was keusche Herzen nicht entbehren können. Wenn 
dies Wort zu Goethes Zeit noch galt, beschämend ist es, dass es noch 
heute gilt. Im Grunde dürfte das auf einen Mangel an Bildung zurück¬ 
zuführen sein. Ich meine nicht sowohl die Bildung des Einzelnen, wie 
das allgemeine Bildungsniveau der Menschheit. — Auch da dürfen wir 
von seiten der Psychanalyse Läuterung und Hebung erwarten. 

Als ich noch studierte, sagte mir mal ein namhafter Frauenarzt: 
„Bei wirklichen Damen macht eine eingehende gynäkologische Explo¬ 
ration gar keine Schwierigkeiten: je höher die Bildung, desto selbst¬ 
verständlicher wickelt sich die ganze Untersuchung ab“. Sollte es durch 
geschickte Unterweisung der heranwachsenden Menschen nicht möglich 
sein, diesem Ideal auch auf psychischem Gebiet näher zu kommen ? 

Es scheint, als müssten die Psychanalytiker auf mühe- und dornen¬ 
vollem Wege ein Recht sich erst erkämpfen, welches andere Spezialisten 
längst als selbstverständlich betrachten, ich meine das Recht der un¬ 
eingeschränkten Exploration. Wenn dies Recht andern Aerzten auf 
somatischem Gebiet ohne Bedenken zugestanden wird, weshalb sollte 
es dann bedenklich sein, auch auf psychischem Gebiet ohne irgend welche 
Einschränkung dc-n .Patienten ausforschen zu dürfen? 

Selbstverständlich soll jedes brüske Verfahren unterbleiben und die 
ganze Erforschung so vorsichtig und schonend wie möglich vor sich 
gehen. In den meisten Fällen, dies kann nicht oft genug wiederholt 
werden, genügt, es, den Patienten zu veranlassen, dass er sich gründlich 
ausspricht; ihm die Ueberzeugung beizubringen, dass man für ihn 
Interesse, Mitgefühl und unerschöpfliche Geduld, ihn anzuhören, hat: 
ihm dadurch Gelegenheit zu geben, dass er Vertrauen zum Arzt, gewinnt, 
und mit ihm über die Hauptsätze der klinischen Psychologie zu plaudern, 
damit er in das Verständnis der Lehre von den Affekten eindringt, 


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Über Psvchanalyse. 


109 


welch letzteres eine conditio sine qua non bedeutet für das Gelingen 
einer psychanalvtischen Kur in jedem Fall von einiger Bedeutung. 

Nachdem der Patient, in dieser Weise vorbereitet, tage-, vielleicht 
wochenlang sich ausgesprochen hat, d. h. harmlose Dinge reproduziert 
hat, wird er, wie die Erfahrung lehrt, schliesslich in den allermeisten 
Fällen bei wachsendem Vertrauen zum Arzte und unter zunehmender 
Affinität zwischen Ober- und Unterbewusstsein (wenn es nicht anders 
möglich ist, mit Hilfe einer jetzt sehr vervollkommneten, wenn auch 
komplizierten Technik*) nach und nach die Hauptkomplexe assoziieren 
oder in deren Nähe kommen und auch intimere Mitteilungen machen, 
nämlich dann, wenn er beginnt zu verstehen, dass es dem Arzt eine 
res severa ist um die Kur und einzusehen, welch unerwartete Erleichte¬ 
rung und Befreiung es ihm bringt, seine Nöte mit dem Arzt offen zu 
besprechen. Wenn die Zeit ausreichte, würde ich wichtige kasuistische 
Mitteilungen hierüber machen können. 

Ausser diesen sich mehr oder weniger glatt abwickelnden Fällen 
kommen natürlich auch solche vor. in welchen die Patienten die Berech¬ 
tigung und die Richtigkeit des ärztlichen Vorgehens, des beharrlichen 
Forschens nach dem Unterbewusstsein zunächst nicht einsehen und der 
Tätigkeit des Arztes, gelegentlich auch dem Assoziations-Versuch, 
bewusste und unterbewusste Widerstände entgegenstellen, die so 
gross sein können, dass in einzelnen Fällen die Kur daran scheitert, 
welch letzteres aber wohl nur dann zu befürchten ist, wenn sich zu 
den Widerständen ein Mangel an Fähigkeit, den Deduktionen des 
Arztes zu folgen, hinzugesellt, ln der grossen Mehrzahl der Fälle aber 
gelingt es mit der Zeit, den meist hoch intelligenten Patienten das 
nötige psychologische Verständnis beizubringen. Dann werden sie 
fähig, sich selbst in einem neuen Licht zu sehen. Oft können wir dann 
bemerken, dass an Stelle der endlosen krankhaften Selbstbeobachtung 
eine verständige Erforschung des eigenen Inneren, mit einem Wort die 
Selbstanalyse tritt. 

Vorher sah der Patient immer nur seine einzelnen Symptome, die 
Teile, es fehlte aber das geistige Band. Er war der Sklave seiner Affekte. 
Jetzt lernt er deren psychologische Wurzeln kennen. Die krankhaften 
Symptome erscheinen ihm nun nicht mehr als etwas Unbegründetes 
und Geheimnisvolles, als etwas Bedrückendes und Angstmachendes. 
Er sieht jetzt alles klar und durchsichtig vor sich, er kann den Massstab 
ruhiger Ueberlegung, logischen Denkens und massvoller Kritik anlegen 
und wird in demselben Grade frei von allem Druck und Zwang, von 
alKr Furcht und Angst, je mehr es ihm gelingt, mit Ariadnes Faden, 
d. h. mit logischem Denken und Erinnern seines Leben labyrinthisch 
irren Lauf zu entwirren. 


•) Ich denke dabei an den diagnostischen Assoziations-Versuch, wie ihn beson¬ 
dere Jung (Zürich) und seine Schüler zu einer überraschenden Vollkommenheit aus¬ 
gestaltet haben. (Siehe Jung, Dirgncstische Assoziations-Studien, bei LJ. A.'Barth, 
Leipzig). 

An dieser Stelle möchte ich noch ausdiücklich darauf hinweisen, dass der Asso¬ 
ziations-Versuch in allen Fällen, wo es sich überhaupt um Komplexe von ätiologischer 
Bedeutung bandelt, diese Komplexe aulzudecken imstande ist, dass es also dem Arzt 
erspart bleibt, die Kranken durch Fragen zu beunruhigen oder gar zu belästigen. 
Damit dürften denn auch alle Einwände hinfällig werden, welche darauf fussen, die 
I’sychanalysc bewirke bei den Patienten eine ganz unnötige, ja schadenbringendo Er¬ 
regung durch Wiederauf decken längst vergessener affektbeladener und peinlicher Ge¬ 
schehnisse. 


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200 Wanke, Über Psyclianalyse. 

Gelang cs uns, den Patienten zu fesseln und so weit zu leiten, dass 
er. nunmehr ein Psycholog geworden, sich selbst versteht, und durch 
erlernte eigene Gedankenarbeit alles korrigieren kann — tont com- 
prendre c’est. tout corriger, heisst es hier, — so winkt uns nach heissem 
Bemühen ein schöner Lohn. Dann kommt der Patient garnicht selten 
mit dem Geständnis heraus, dass er sich in den ersten Wochen be¬ 
ständig mit dem Gedanken getragen habe, die Kur abzubrechen, da er 
instinktiv den ihm peinlichen Verlauf der weiteren Exploration voraus¬ 
gesehen habe; dass es ihm herzlich schwer geworden sei, auszuharren, 
dass er nunmehr aber sich glücklich preise, ausgehalten zu haben, denn 
nun erst verstehe er sich selbst, nun erst habe er sich kennen gelernt, 
nun komme er sich nicht mehr vor wie ein arger Verbrecher, wie ein 
verworfener, unnützer Mensch, nun habe er wieder Vertrauen zu sich 
und Mut und Hoffnung und wie die Wendungen alle heissen, mit denen 
die Patienten uns dann ihre Befriedigung und ihren Dank aussprechen. 

Die Zeit drängt. Es wäre gar zu verlockend gewesen, aus dem 
überreichen Material, das mir während der Niederschrift zuströmte, 
noch weiteres vorzubringen. Ich muss mich aber darauf beschränken, 
auf einiges nur hinzuweisen, was eine ausführlichere Darstellung verdient 
hätte. So würde ich z. B. gern auch kasuistische Beiträge geliefert haben, 
vor allem auch überzeugende Aeusserungen aus dem Munde der Kranken 
selbst. Ich hätte gern noch näheres über die Indikationen und über die 
Technik gesagt. Verlockend wäre es auch gewesen, über die Aeusserungen 
des Unterbewussten im Triebleben, in der Phantasie und in den Träumen 
zu reden. Am meisten bedauere ich aber, dass ich nicht noch über die 
Vielseitigkeit der Freud’schen Lehre und ihrer Anwendungen und 
Folgerungen reden darf; u. a. und vor allem auch hinsichtlich der Ab¬ 
trennung mancher Psychoneurosen von den jetzt noch als solche gel¬ 
tenden Psychosen. Endlich muss ich mir auch versagen, über Vorläufer 
Freuds zu berichten, aus deren Aeusserungen man sieht, dass Freud 
an sich wenig Neues lehrt, dass er aber das Grosse vollbracht hat, viele 
und vielerlei Einzelerscheinungen und viele längst bekannte und allge¬ 
mein zugestandene Wahrheiten in genialer Weise auf einen Ton zu 
stimmen und durch einheitliche Deutung der Menschheit nutzbar zu 
machen. Einer der praktisch fruchtbarsten Gedanken Freuds dürfte der 
sein, dass es Stimmungen, Zustände und Handlungen gibt im mensch¬ 
lichen Leben, welche aus Motiven entspringen, die uns zur Zeit nicht 
klar und deutlich bewusst sind, welche wir vielmehr nur verstehen können, 
wenn wir zu ihrer Erklärung das unterbewusste Leben des Menschen 
heranziehen. Wenn dieser Gedanke an sich auch nicht auf Freud allein 
zurückzuführen ist (Vogt und andere Forscher kommen zu ähnlichen 
Schlussfolgerungen), neu daran ist aber die Verallgemeinerung, die 
Vertiefung und die spezifische Bedeutung des Satzes, welche er eben 
durch Freud erfahren hat. — 

Literatur an gaben: Wer sich genauer über Psychanalyse orientieren will, 
der lese vor allem Freuds Schriften. Als Einführung sei ihm die Schrift Dr. Eduard 
Hitschmanns, „Freuds Neurosenlehre“, bei Franz Deutike, Icipzig, Berlin. 1911. emp¬ 
fohlen. Endlich aber ist das „Zentrnlblatt für Psychanalyse“, herausgegeben von Freud 
(bei Bergman in Wiesbaden), das jetzt im 2ten Jahrgang zu erscheinen beginnt, dazu 
geschaffen, über die bewundernswerten und erstaunlich schnellen Fortschritte der neuen 
Therapie auf dem Laufenden zu erhalten. Während das Centralblatt also mehr dem 
Praktiker ein Wegweiser sein soll, dient das „Jahrbuch für psychanalytische und psycho- 
pathologische Forschungen“, hcrausgegeben von Bleuler und Freud, bei Franz Deutike, 
Leipzig und Wien, der wissenschaftlichen Vertiefung. — Erwähnt seien auch noch die 
„Schriften zur angewandten Seelenkunde“, herausgegeben von Freud, bei Franz Deutike, 



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Much, Imtnuntherapie der Tuberkulose. 


201 


Leipzig und Wien, welche aus der Feder namhafter Mitarbeiter Beiträge bringen, die 
einen Ueberblick gewähren, welcher erstaunlichen Vielseitigkeit die Verwendung der 
Psychanalyse fähig ist und welche eine Vertiefung des menschlichen Wissens und damit 
eine Hebung der allgemeinen Bildung bezwecken. 


Immuntherapie der Tuberkulose. 

Mit Berücksichtigung der Tuberkulinreaktion, Tuberkuloseinfektion und Tuberkulose- 

immunität von Hans Much. 

(Schluss.) 

4. Ein Tuberkulinum purum“, also ein ganz entgiftetes, soll 
«las E n d o t i n sein. Durch verschiedene chemisch« Methoden ist 
liier versucht worden, ,,die spezifische Substanz des Alttuberkulins 
zu isolieren“. Nur die Herdreaktion soll eine „spezifische“ Reaktion 
sein, die übrigen Reaktionen seien auf die nicht spezifischen toxischen 
Substanzen zurückzuführen. \V o 1 f f - E i s n e r hat sehr richtig 
nachgewiesen, dass dieses Präparat auch ebenso Allgemeinreaktionen 
erzeugen kann, wie das Alttuberkulin. Dadurch fällt die Bezeichnung 
als Endotinum purum in sieh zusammen, ganz abgesehen davon, dass 
sie auch theoretisch nicht haltbar ist. 

Dass es im Tuberkulin mehrere wirksame Substanzen gibt, haben 
gerade die jüngsten Versuche von mir und meinen Mitarbeitern ge¬ 
lehrt. Aber ebenso haben wir uns davon überzeugen können, dass 
diese Substanzen spezifisch sind. Es handelt sich um spezifische 
Fett- und spezifische E i w e i s s Substanzen. Schaltet man eine 
dieser Substanzen aus, so schaltet man dadurch also etwas Spezifisches 
aus. Auch wies ich jüngst mit Deycke nach, dass m e n s c h- 
1 ich es Gehirn die Fähigkeit hat, Tuberkulin zu entgiften, wenn 
man die Mischung mehrere Tage bei 56“ stehen lässt. Man kann dann 
grosse Dosen einspritzen, ohne Fieberreaktionen zu bekommen. Aber 
— therapeutisch ist solches Präparat keine Spur besser als das alte 
Tuberkulin. 

Und ebenso ist es in praxi mit dem Endotin bestellt, was den 
therapeutischen Effekt betrifft. Und diese negativen Eigenschaften 
teilt es mit vielen andern Tuberkulinmodifikationen, mit denen der 
Markt zurzeit überschwemmt wird. Tuberkulinmodifikationen zu er¬ 
finden ist zu einer Modekrankheit geworden. Da es uns an einer tier¬ 
experimentellen Kontrolle fehlt — denn Tuberkulin heilt und schützt 
ja nicht hei Tieren — so müssen derartige Präparate, die mit dem An¬ 
sprüche neuer therapeutischer Leistungen auftreten, immer erst an 
einem grösseren Menschen materiale und längere Zeit hindurch geprüft 
werden. Schade um die schöne Zeit! 

5. Hat es sich nun gezeigt, dass das Tuberkulin nur einen Teil 
der immunisierenden Substanzen des Tuberkulosevirus enthält, so 
lag der Gedanke nahe, bei der Gewinnung immunisierender Substanzen 
nicht von der Bouillon der Tuberkelbazillenkulturen, sondern von den 
Bazillen selbst auszugehen. 

Präparate, die nach diesem Gesichtspunkte gewonnen werden, 
hat schon Robert Koch in den Handel gebracht. Es sind das 
zwei: Tuberkulin R und Neutuberkulin (Bazillenemul- 
sion). 

Das Tuberkulin R. wird hergestellt aus getrockneten, mecha¬ 
nisch zertrümmerten Tuberkelbazillen. Die Trümmer werden in Koch- 


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202 


Much, 


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Salzlösung aufgeschwernmt und zentrifugiert. Die abzentrifugierten 
Bazillentrümmer sind das Tuberkulin R. 

6. Mehr benutzt wird das Neutuberkuli n. Es heisst auch 
Bazillenemulsion, und der Name sagt schon, dass hier die 
mechanisch zertrümmerten Tuberkelbazillen so wie sie sind, ohne dass 
eine Trennung von wasserlöslicher und wasserunlöslicher Substanz 
vorgenommen wird, benutzt werden. Sie werden in Glyzerinwasser 
aufgeschwemmt. 

Die Technik der Neutuberkulinbehandlung unterscheidet sich 
nicht von der der Alttuberkulinbehandlung. Man fängt ebenfalls mit 
kleinen Dosen an ('/„x» mg) und steigt nach den oben angegebenen 
Gesichtspunkten. 

Trotzdem nun theoretisch das Neutuberkuliu dem Alttuberkulin 
überlegen sein müsste, da es ja nicht nur Teile, sondern alle Tuberkel¬ 
bazillensubstanzen enthält, so unterscheidet es sich doch tatsächlich 
in seiner Wirkung kaum von dem alten Präparate. Es liegt das wohl 
daran, dass die Substanzen in schwer resorbierbarer 
Form zugeführt werden. Und: corpora non agunt nisi soluta. Der Körper 
muss also die Auflösung erst selbst vornehmen. Wenn ihm dies nun 
auch in vielen Fällen gelingt, so ist es doch fraglich, ob die durch den 
Körper selbst aufgelösten Stoffe nicht bei dem Akte der Aufschliessung 
zu weit abgebaut werden, so dass sie Antikörper nicht mehr in 
genügender Menge erzeugen, wenigstens nicht in dem Körper, in dem 
sie aufgelöst wurden. 

7. Auch dieses Präparat hat man neuerdings zu „entgiften“ ver¬ 
sucht. Und zwar schlug man dabei einen an sich plausibeln Weg ein. 
Man bringt es zusammen mit einem spezifischen Tuberkulose¬ 
serum, lässt mit diesem die Trümmer eine Zeit in Berührung und 
entfernt dann wieder das Serum durch Zentrifugieren. Die Trümmer 
sind dadurch mit dem spezifischen Serum beladen. Man spricht dann 
von sensibilisierten Bazillen (Trümmern). Dieses Präparat 
wird von Höchst aus in den Handel gebracht (Mever-Ruppel: Tuber¬ 
kulose-Sero-Vakzin.) 

Es handelt sich dabei nun keineswegs um ein „entgiftetes“ Tuber¬ 
kulin. Aber es könnte einen andern Vorteil haben. Nämlich durch die 
Beladung (Sensibilisierung) könnten die Trümmer im Körper leichter 
aufgelöst werden. Dadurch könnte es vielleicht besser vertragen werden 
als das Neutuberkulin. Die therapeutischen Erfolge sind aber bisher 
nicht besser als die mit Alttuberkulin und Neutuberkulin erzielten. 

Es bedeutet vielleicht nur insofern einen Fortschritt, als es dort 
vorteilhaft ist, wo man gleichzeitig aktiv und passiv immunisieren will, 
wo also die Einspritzung von Tuberkelbazillenpräparaten verbunden 
werden soll mit der Einspritzung von spezifischem Serum. Durch die 
Sensibilisierung vermeidet man die Serumkrankheit. Aber ob eine 
solche gleichzeitige Verabreichung von Bakterienprodukten und spe¬ 
zifischem Serum (Simultanmethode) bei der Tuberkulose mehr nützt 
als die bisher gebräuchlichen Tuberkulinkuren, kann mit Sicherheit 
nicht gesagt werden. 

8. Anhangsweise sei hier noch das an vielen Orten gebrauchte 
Tuberkulin Beranek erwähnt, worin das Alttuberkulin ge¬ 
mischt ist mit Extrativstoffen aus Tuberkelbazillen, worin also eine 
Kombination von Alt- und Neutuberkulin erstrebt wird. 

9. Neuerdings bat man die Vakzinetherapie noch dadurch besonders 



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Immuntherapie der Tuberkulose. 


203 


erfolgreich zu gestalten versucht, dass man sie verquickt hat mit der 
Kontrolle des opsonischen Index. Durch den opsonischen 
Index soll bekanntlich der für eine Einspritzung möglichst günstige 
Augenblick angezeigt werden, indem dadurch die sogenannte negative 
Phase vermieden oder glücklich überwunden wird. Nun konnte schon 
an andern Orten dargetan werden, dass die sehr mühsame Bestimmung 
des opsonischen Index nicht nur bei andern chronischen Krankheiten, 
sondern vor allem bei der Tuberkulose als Grundlage der Vakzine¬ 
therapie vollkommen unnütz ist. Die Opsonine sind ja dasselbe wie der 
einheitliche Antikörper, der sich Bakterien gegenüber auch als Bakterio- 
zidin äussert. Und dass wir aus der Menge dieses Antikörpers niemals 
prognostische Schlüsse ziehen können, wissen wir ja längst. Es liegt 
das einmal an der Zweischneidigkeit des bakteriziden Prinzipes über¬ 
haupt. und zweitens an einem Faktor, der kaum jemals genug berück¬ 
sichtigt wird. Denn es kommt nicht nur darauf an, dass im Organis¬ 
mus überhaupt Antikörper vorhanden sind, sondern dass der Körper 
auch von diesen Gebrauch machen kann. Versagt der zweite 
Mechanismus, dann nützen auch die ganzen Antikörper nichts. Was 
nützt ein Schwert, wenn man es nicht führen kann ? 

Nun hat \V h r i g h t, der zuerst die Kontrolle durch den opso¬ 
nischen Index bei der Vakzinetherapie inauguriert hat, längst diese 
Forderung fallen lassen. Man richtet sich eben nach dem klini¬ 
schen Befinden der Kranken. Merkwürdigerweise gibt es aber gerade 
in Deutschland noch einige Stellen, die an diesem von dem Erfinder 
längst aufgegebenen Prinzipe mit zäher Ausdauer festhalten, ohne 
indessen durch ihre Resultate von der Nützlichkeit ihrer Bemühungen 
überzeugen zu können. 

10. Weshalb die Neutuberkuline, teils mit. teils ohne Sensibili¬ 
sierung, nicht besser wirken, können wir mit Sicherheit nicht sagen. 
Ich versuchte schon oben eine Erklärung zu geben. Erschwert werden 
eben unsere Erkenntnis sowohl wie unsere therapeutischen Bestre¬ 
bungen durch die komplizierte Biochemie des Tuberkulosevirus. Der 
Tuberkelbazillus besteht aus zwei grossen Gruppen, den E i w e i s s- und 
Fettsubstanzen. Meine eigenen Untersuchungen mit D e y c k e 
haben gezeigt, dass die Fettsubstanzen wieder in zwei grosse Unter¬ 
klassen zerfallen; einerseits in N e u t r a 1 f e 11 -\- Fettalkohol, 
andererseits in Fettsäuren -f- Lipoide. Und wir zeigten 
weiter, dass diese Fett-Untergrupp e n u n d d i e E i- 
weissgruppe, alle drei nötig sind, wenn m a n i m- 
munisieren will. Eine allein oder zwei allein nützen nichts. 
Und: Corpora non agunt nisi soluta. 

Es ging demnach unser Bestreben dahin, den Tuberkelbazillus 
durch ein Mittel soweit aufzulösen, dass er 1. alle Substanzen in ge¬ 
löster Form enthält, und dass 2. die gelösten Substanzen ihre immuni¬ 
sierenden Fähigkeiten nicht eingebüsst haben. 

Die zweite Bedingung ist besonders schwer für die Fett Sub¬ 
stanzen zu erfüllen. Sie werden meist zu sehr verändert, um noch 
immunisatorisch wirksam genug zu bleiben. 

Nachdem uns unser Weg über verschiedene Durchgangsetappen 
geführt hatte, fanden wir endlich in dem Neurin (25%) ein ideales 
Auflösungsmittel für Tuberkelbazillen. Zwei Teile 25proz. Neurins 
lösen bei 56° glatt ein Teil Tuberkelbazillen, eine ungrheure Leistung. 
Aber diese Auflösung ist zu weitgehend. Sowohl Eiweiss- wie Fett- 


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204 Referate und Besprechungen. 

örper worden zu sehr alteriert, so dass n u r Punkt 1, nicht 
P unkt 2 e r füll t w i r d. 

Jüngst haben wir nun in verschiedenen organischen S ä u- 
ren Mittel gefunden, die beiden Punkten gerecht werden (Milch-, 
Hippur-, Glykuron-, Weinsäure und viele andere). S. M. Med. Woch. 
Nr. 11, 1911. Vereinsberichte. 

Mit derartigen Substanzen ist es mir neuerdings gemeinschaftlich 
mit Leschke gelungen, grössere Tiere, und z. T. auch Meer¬ 
schweinchen in einer Weise zu immunisieren, wie dies bisher noch 
nirgends möglich war. 

Um dieser Tatsache willen und weil die Präparate vielleicht ein¬ 
mal in Zukunft Bedeutung erlangen, bin ich hier kurz auf meine und 
D e y c k e s Untersuchungen eingegangen. Es sind andere Gesichts¬ 
punkte. Hoffentlich führen sie weiter.- 

Der Praktiker aber, der die Tuberkulose immunobiologisch be¬ 
handeln will, kann dies einstweilen immer noch mit dem Kochschen 
Tuberkulin (Alt- und Neutuberkulin) versuchen. Er wird dadurch 
in wenigen Fällen helfen, muss sich in vielen Fällen nur mit vorüber¬ 
gehenden Besserungen begnügen und in andern Fällen wieder auf 
gänzliche Erfolglosigkeit gefasst machen. 

Alles in allem ist das Problem der Tuberkulosebekämpfung auf 
immuniobiologischem Wege sicherlich nicht von vornherein abzu¬ 
weisen. Denn es gibt eine Tuberkuloseimmunität. Und wir haben die 
Aufgabe, n a e h b esser e n Mittel n zur künstlichen Erzielung dieser 
Immunität zu suchen. Und so haben diese Zeilen weniger ihre Bedeu¬ 
tung in dem, was im ganzen schon geleistet ist, sondern abgesehen von 
den Einzelerfolgen in den Ausblicken, die sie gewähren. 


Referate und Besprechungen. 

Allgemeine Pathologie. 

Hellner, Ernst (München), Subkutan-Versuche. (Zeitschr. für Biologie, 
Bd. 52, S. 216—235. Bd. 54, S. 64—63. Bd. 56, S. 75—80. 1911.) 

Seitdem Pravaz die medizinische Welt mit der Subkutanspritze be¬ 
schenkt hat, ist die Neugier der Physiologen rege geworden, was wohl der 
Organismus mit dieser oder jener Substanz anfange; insbesondere die Er¬ 
nährungstherapeuten freuten sich, auf diese Weise den obstinaten Magen- 
Darmkanal überlisten bezw. umgehen zu können. Die Versuche mit der 
subkutanen Fettzufuhr sind ja allbekannt; aber man kann auf sie den Vers 
des Horaz an Lollius variieren: „Sie schlafen unbeweint im ewigen 
Dunkel, weil sie der Weihe des Erfolgs entbehren.“ Sind nun auch die 
praktischen Erfolge für die Medizin vorerst noch gering, so erfüllt es 
den Beschauer doch mit der größten Bewunderung, wenn er erfährt, in 
welch genialer Weise der Organismus sich mit solchermaßen plötzlich ihn 
überschwemmenden Substanzen abfindet. Es gibt ja auch heute noch, wie 
zu K. E. v. Baers Zeiten, Leute, die es für ausgemacht halten, daß ein 
Naturforscher, der von Zweckmäßigkeit spreche, ein Dummkopf sein müsse; 
aber so ganz läßt sich dieser Glaube eben doch nicht ausroden. 

Mit großem Interesse wird darum jeder die Versuche lesen, welche 
H e i 1 n e r im Münchener physiologischen Institut mit allerlei subkutanen 
Injektionen angestellt hat. Nach subkutaner Zufuhr von Harnstoff z. B. 
steigt die N-Ausscheidung ganz ungemein an, weit mehr als dem N de6 
eingeführten Harnstoffs entspricht, im Mittel um ca. 50 o j 0 . Die Ursache 



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Referate und Besprechungen. 


205 


dieser N-Vermehrung liegt in einer Mehrzersetzung von Körpereiweiß, so 
daß der Gedanke sich aufdrängt, der normaliter beim Eiweißabbau ent¬ 
stehende Harnstoff diene dazu, den Stoffwechsel im Gang zu halten. 

Daß subkutan appliziertes Olivenöl die Eiweißzersetzung steigert, läßt 
sich leicht begreifen: der Fremdkörper stellt eben eine beträchtliche Be¬ 
lastung des Organismus dar: Die Aufgabe ihn zu beseitigen, läßt sich nicht 
ohne Aufwendung von lebendiger Kraft erfüllen. 

Werden größere Rohrzucker-Wassermengen injiziert, so wird ein kleiner 
Teil des Rohrzuckers nicht im Urin ausgeschieden, sondern im Körper ver¬ 
brannt; Heilner supponiert hierfür die Bildung eines besonderen Schutz- 
(Immuno-) fermentes. DeT Eiweißstoffwechsel wird dabei nicht unbeträcht¬ 
lich herabgedrückt, umgekehrt der Fettumsatz vermehrt. Daß in einer Reihe 
von Fällen durch die Zuckerinjektionen eine Nephritis entsteht, entspricht 
den klinischen Erfahrungen an Menschen (Heilner hat an Tieren gearbeitet). 

Diese Dinge sind, wie gesagt, von verschiedenen Seiten her höchst 
interessant. Merkwürdigerweise wird die Frage kaum je aufgeworfen: Wie 
verhält sich denn das sog. Subkutangewebe zu den Injektionen? An ihm 
müßte man eigentlich die ersten Veränderungen — histologischer oder funk¬ 
tioneller Art — erwarten. Buttersack-Berlin. 

Ramond, F. (Paris), Sauerstornnjcktionen. (Progr. möd., Nr. 42, S. 517, 
1911.) 

Mit großer Kühnheit spritzt man zu therapeutischen Zwecken den kranken 
Menschen alle möglichen mehr oder weniger giftigen Substanzen ein, sei es 
subkutan, intramuskulär, in die serösen Höhlen oder gar direkt in die Blut¬ 
bahn. Nur der Sauerstoff fehlt auf dieser Liste und doch wird a priori 
jeder zugeben, daß derlei Injektionen sicherlich ungefährlich, wahrschein¬ 
lich aber höchst wirksam wären. Tatsächlich haben Ramond, Duma¬ 
rest u. a. günstige Erfolge bei lokalen (Typus: Ravnaudsche Gangrän), wie 
bei allgemeinen Asphyxien gesehen; Beraud hat darüber in einer beson¬ 
deren These berichtet. 

Um die (subkutanen) Injektionen leichter ausführbar zu machen, schlägt 
Ramond nunmehr vor, den Sauerstoffzylinder mit einem Doppelgebläse 
zu verbinden und von hier aus mit sanftem, beliebig zu steigerndem Druck 
das Lebensgas einzupumpen, am besten in die Haut des Bauches oder des 
Rückens. Für lokale Zwecke genügen nach ihm einige ccm, bei Allgemein¬ 
zuständen muß man täglich mehrmals 2 bis 3 Liter inkorporieren. 

Schade, daß der Sauerstoff heute so wenig Mysteriöses an sich hat; 
sonst würden sich gewiß viele homines rerum novarum cupidi daraufstürzen. 

Buttersack-ßerlin. 


Innere Medizin. 

Gourand, Hygiene du tuberculeux sru£ri. (Bull, gönör. de Tliör., 1911, 
H. 13.) 

Rückfälle kommen meist durch unhygienisches oder unvernünftiges Leben 
und hier hat der Arzt einzugreifen. Die folgenden Ausführungen gelten nun 
in erster Linie für die besser situierten Sanatoriumskranken, jedoch können 
die andern in mancher Hinsicht auch davon profitieren. 

Ärztliche Überwachung. 

Individuell, je nach Fall und Beruf, im Anfang mindestens einmal monat¬ 
lich Untersuchung. Hier gibt es einige wichtige Symptome zu beachten. In 
erster Linie ist die Überwachung des Gewichts von großem Wert. Jeder Ab¬ 
nahme ist zu mißtrauen, namentlich wenn sie beständig, regelmäßig, brüsk 
erfolgt, 1—1,5 kg, auch wenn sie vom Kranken durch eine außerordent¬ 
liche Ermüdung erklärt wird. Es gibt jedoch eine Ausnahme hiervon: das 
Fett, das bei der Ruhe, der guten Ernährung und der frischen Luft des 
Sanatoriums sich ansetzte und bei der Wiederaufnahme des Berufs nun wie¬ 
der schwindet; keine Abmagerung, sondern ein Schwinden des Embonpoints. 

Puls und arterieller Druck sollen stets dieselbe Größe haben wie bei der 
Heilung. Unter dem Einfluß der wiederaufgenommenen Arbeit kommt es 


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Referate und Besprechungen. 


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2<Xi 

leicht zum Schwinden einer kleinen Tachykardie und einer geringen Er¬ 
höhung des arteriellen Drucks. Wird aber der Puls rapider und fällt der 
zur seihen Stunde und unter denselben Bedingungen aufgenommene Blut¬ 
druck um 1—1,5 Grad, so ist das ein Zeichen, daß der Organismus ge¬ 
schwächt, ermüdet ist. 

Dann die Untersuchung der funktionellen Symptome, in erster Linie der 
Kräfte und der Widerstandsfähigkeit gegen Ermüdung. Natürlich besteht 
eine geringere Ermüdung bei der Wiederaufnahme der Arbeit, aber wenn 
sie andauert ist dies ein schlechtes Zeichen. Der Appetit nimmt im Anfang 
der Wiederaufnahme der Tätigkeit ganz erheblich zu, gleichzeitig mit dem 
Gewicht. Anorexie ist oft das erste Zeichen eines Rückfalls. 

Ein Zeichen von hohem Wert, das strengste Aufmerksamkeit erfordert, 
und das weder durch die Rapidität des Pulses noch durch Auskultation zu 
erklären ist, stellen die leichten Atembehinderungen dar. Wahrscheinlich 
beruhen sie auf einer reflektorischen Verminderung der Größe der Respira¬ 
tionsbewegungen. Dasselbe gilt von schmerzhaften Punkten am Thorax 
(Folge einer kleinen Kongestion). Beobachtung der Häufigkeit des Hustens; 
bei Auswurf Sputumuntersuchungen. Die schließliche physikalische Unter¬ 
suchung ist notwendig, hat aber nur einen sekundären Wert: denn wenn 
sie positiv ausfällt, ist wieder Anstaltsbehandlung notwendig. 

Temperatur. Beim geringsten Verdacht seitens des Arztes ist strenge 
Überwachung der Temperatur unerläßlich und zwar abends zwischen 4 und 
G Uhr 4—5 Tage lang. Findet man absolut keine Steigerung, so kommt 
die Darembergsche Ermüdungsreaktion in Frage: geheilte Tbc reagieren 
oft noch lange auf Märsche mit 37—38°. In der Mehrzahl der Fälle ist so 
eine thermische Reaktion kein gutes Zeichen: es ist immer ein Beweis 
einer gewissen Schwäche und noch vorhandenen Imprägnation des Organis¬ 
mus. Die Reaktion auf die subkutane Tuberkulininjektion (Petruschky) ist 
unverläßlich, manchmal gefährlich, immer unnütz. Namentlich mit Tuber¬ 
kulin behandelte Kranke reagieren oft nicht mehr, weil sich bei ihnen Anti- 
tuberkulin- nicht Anlituberkulose-Antikörper gebildet haben, und weil eine 
Antituberkulinimmunisation schwinden kann, ohne daß die Antituberkulose- 
immunisation aufzuhören braucht. Das Gleiche hinsichtlich dieser Reaktion 
gilt für die noch nicht erkannten Fälle von Tbc. Auch die Anti- und 
Intradermoreaktion eignen sich nicht für diese rein klinische Beweisführung. 

Die zu vermeidenden Gefahren. Eine Reinfektion ist nach heute gültigen 
Anschauungen nicht möglich, weil die Infektion immunisiert; aber es dauert 
selbst nach der Heilung lange Jahre, bis der Bazillus aus dem Organismus 
völlig schwindet; in seinen Depots bewahrt er seine Virulenz und insofern 
eine ewige Reinfektionsgefahr. Diese Gefahr ist natürlich intensiver bei 
den Kranken, die noch Bazillen expektorieren und birgt wieder sekundäre 
Gefahren, die den Organismus in seinem Kampfe schwächen, die Virulenz 
des Mikroben erhöhen und die Wiederausdehnung der abgekapselten Läsio¬ 
nen erleichtern. Es gilt also hier im wesentlichen, den Boden, auf dem 
die Krankheit wächst, zu verbessern, denn so lange der gut ist, sind ge¬ 
wisse Inzidentien des Respirationssystems nicht zu fürchten. 

Unter die Gefahren ist also in erster Linie die Ermüdung zu rechnen. 
Hierauf beruhen mehr Rückfälle als auf Erkältung. Darunter ist jeder ver¬ 
mehrte Kräfteaufwand zu verstehen, physisch intellektuell oder genital. Außer 
diesem kommt hier noch die daraus resultierende Appetit und Assimilations- 
verminderung und die daraus folgende Schwächung der antibazillären Ver¬ 
teidigung des Organismus in Betracht. Andererseits ist geregelte mäßige 
Tätigkeit ein sehr wichtiger tonisierender Faktor. Die dem Arzt so häufig 
gestellte Frage nach dem richtigen Maße der Arbeit ist oft, weil rein 
individuell, sehr schwer zu beantworten. Im allgemeinen gilt, daß die vor 
der Krankheit innegehabte Tätigkeit voll und ganz nicht wieder aufgenommen 
werde, sondern wenn dies überhaupt nötig ist, etwas erleichtert, nament¬ 
lich in der ersten Zeit. Verfehlt sind die Abendspaziergänge, z. B. nach 
Bürostunden, um frische Luft zu schöpfen, weil diese nicht erfrischen. 
Bei manchen Kranken ist namentlich eine Akkumulation der Ermüdung zu 


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207 


verhindern und deshalb Ruhepausen einzuschieben, z. B. im Gebirge im Win¬ 
ter, um frische Luft und um Sonne zu suchen, oder regelmäßig einige be¬ 
stimmte Tage im Monat, oder einen Tag in der Woche, je nach den äußeren 
Verhältnissen. Der geheilte Tbc muß auf die unnötigen Ermüdungen, Pro¬ 
menaden, Ausgänge, gesellschaftlichen Zerstreuungen verzichten. 

Der Arzt muß den geheilten Tbc davon überzeugen, daß er noch ge¬ 
schwächt, erst eine Übergangsperiode, ein progressives Training durchzu¬ 
machen hat, ehe er wieder das Leben eines völlig Gesunden führen kann. 
Oft ist auch schwierig, diese Auffassung der Umgebung des Kranken beizu¬ 
bringen, die hierin von seiner Seite aus Neurasthenie oder Einbildung nur zu 
gerne sieht. 

Schlechte hygienische Bedingungen sind nächst den Ermüdungen die 
häufigsten Ursachen für Rückfälle. Frische Luft, öffnen von Fenster und 
Türen ist in der Stadt oft nicht möglich; jedenfalls gibt der Aufenthalt in 
einer kleinen Stadt oder auf dem Lande erheblich weniger Chancen, als der 
in der Großstadt. Außerdem ist eine gute Insolation (Zimmer nach Süden 
mit mehreren Fenstern) dringend nötig. Es ist ein wichtiger, kaum zu er¬ 
setzender tonischer Faktor. Endlich ist Ruhe in mehreren kleinen Dosen 
wesentlich, vor und nach dem Essen; eine ausgiebige Nachtruhe soll sich 
mit der Beschäftigung vereinigen lassen. 

Schlechte klimatische Verhältnisse. Nur für die Bronchitiker von ein¬ 
schneidender Bedeutung; für die Mehrzahl der Kranken nicht wesentlich 
wichtig. Zu vermeiden sind feuchte, nebelige Klimate, oder heiße, weil sie 
eine tiefe Depression des Organismus mit Atonie der digestiven Funktionen 
und der für Rückfälle so günstigen Abmagerung hervorrufen; endlich windige 
Orte: der Wind vermehrt die Auslagen des Organismus. 

Gute Klimate: relative Trockenheit, mittlere Dauer der Sonnenstrah¬ 
lung, keine zu brüsken thermometrischen oder barometrischen Wechsel. 
Namentlich ist der tonische Wert des Klimas bis jetzt nicht genügend be¬ 
tont worden. Im allgemeinen darf man nicht vergessen, daß die Luft der 
Heimat, wenn sie auch manches ungünstige zu haben scheint, meist am 
besten bekommt. 

Alimentäre Schädlichkeiten. Einmal eine Überernährung, dadurch Er¬ 
müdung des Darmtraktus und gastrische Störungen. Dann Vernachlässigung 
dieser wichtigen Frage und brüsker Rückfall in das gewöhnliche Regime der 
Familie, während doch beim geheilten Tbc der Appetit sehr häufig durch 
Wechsel und schmackhafter Zubereitung der Gerichte einer Anregung be¬ 
darf. Menu: Eigelb, rohes Fleisch, Lebertran. Langsam essen, gut kauen. 

Eigentliche Therapie. 

1. Verhütung von Erkältungen durch Abhärtung der Haut, mit lau¬ 
warmen Douchen, nicht kalt, um heftige Vasokonstriktion und viszerale 
Kongestionen zu verhindern. Dann Luftbäder mit schwedischer Gymnastik, 
am besten morgens beim Aufstehen, zwischenhinein die Douche. Absicht: 
Gewöhnung der Haut an Kälte und anfangs mehr abdominale als thorakale 
Übungen, die aber nie ermüdend sein dürfen. Kleidung: weitmaschige Ilanf- 
oder Leinengewebe. Endlich ist wichtig Fürsorge für Schnupfen und die 
kleinen Erkältungen, sofortige Behandlung: Mentholvaselin in Nase und weiter 
Gebrauch des Senfpflasters, präventiv sobald sich der Patient, sei es aus 
Erkältung oder aus Überanstrengung, auf der Brust kongestioniert fühlt. 

2. Bekämpfung der Demineralisation wie im Sanatorium: Einnehmen 
von Kalkpräparaten, Vermeidung von Saucen, Fetten, Säuren, nicht zu viel 
Brot. 

3. Tonifizierende Behandlung, namentlich zu Zeiten wo eine Über¬ 
müdung unvermeidlich ist, oder zur Zeit schlechter meteorologischer Ver¬ 
hältnisse. Einreibungen mit Kampferspiritus. Nerventonika: Glyzerophosphate, 
Phytin, auch des Arsens kann man nicht ganz entraten; Lebertran eventuell 
während des Winters; auch eine vernünftige Thyrioideatherapie. Während 
der Sommerhitze Aperitiva. 

Hinsichtlich der Tuberkulintherapie ist zu bemerken, daß sie nicht für 
alle Fälle paßt, im allgemeinen nur für die schwerer Ergriffenen, mit 


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Referate und Besprechungen. 


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808 

mehrfachen Herden, wenn Abmagerung, dyspeptische Störungen usw. an- 
zeigen, daß sie es nötig haben. Eventuell ambulant. 

Die Dauer der Überwachung richtet sich nach dem klinischen Befund. 

v. Schnizer-Höxter. 

Williams, L. (London), Die therapeutischen Aussichten der Inneren Se¬ 
kretionen. (Practitioner, Bd. 87, H. 5.) 

Williams ist der Ansicht, daß wir gegenüber den Mikroben eine „pro¬ 
fessionelle Hysterie“ gezüchtet haben, die uns ihre Rolle weit überschätzen 
läßt, und daß es an der Zeit ist, wieder die andere Seite der Frag*? ins 
Auge zu fassen, nämlich die Widerstandskraft des Organismus, für welche 
ohne Zweifel die inneren Sekretionen von großer Wichtigkeit sind. Ihre 
gegenseitige Abhängigkeit ist noch wenig erforscht, wir sind einstweilen 
nur soweit, die Wirkung eines einzigen inneren Sekrets verfolgen zu können, 
nicht aber seine Einwirkung auf andere innere Sekretionen. Im allgemeinen 
ist man über die Empirie in diesen Dingen nicht hinaus. So hat Williams 
beobachtet, daß Fälle von Chorea durch Schilddrüsenpräparate günstig be¬ 
einflußt wurden, kann aber nicht 'entscheiden, ob das Extrakt an sich oder 
durch Anregung bezw. Einschränkung anderer innerer Sekretionen wirksam 
war. (Er verwendet sehr kleine Dosen. 3 x 0,015 tägl. zu Beginn, nie mehr 
als 3x0,3 tägl., leider gibt er nicht an, welches Schilddrüsenextrakt er 
verwendet.) 

Weiterhin entwickelt er die interessante Ansicht, daß die Tuberkulose 
in der Kegel „subthyreoide“ Kranke, wie Kretinoide (Strumiprive), Fett¬ 
süchtige und Gichtige nicht ergreife, daß daher die Neigung zu tuberkulösen 
Erkrankungen eine Funktion des Hyperthyreoidismus sei, wie andererseits 
die Neigung zu Gelenkrheumatismus und seinen Äquivalenten (Chorea, Ery¬ 
thema nodosum, Tonsillitis) eine Funktion des Subthyreoidismus sei (wieviel 
Hypothetisches bis in die Voraussetzungen dieser Sätze ist, braucht kaum 
erwähnt zu werden). 

Die Basedowsche Krankheit wird gewöhnlich als eine Krankheit der 
Schilddrüse angesehen, aber so einfach ist die Sache sicherlich nicht, kann 
es schon deshalb nicht sein, weil jede Änderung einer inneren Sekretion 
Änderungen anderer innerer Sekretionen nach sich zieht. Außerdem ist der 
ursächliche Zusammenhang dieser fast ausschließlich weiblichen Krankheit 
mit Funktionsstörungen der Ovarien klar, wenn aich mit so grobem Geschütz 
als Ovarienextrakt nichts dagegen ausgerichtet werden kann. Williams ver¬ 
mutet, daß Störungen der Leberfunktion unter den Ursachen des Basedow 
figurieren, wie sie auch mit dem Gegenteil des Basedow, dem Myxödem, 
verbunden zu sein pflegen. Gelänge es, den Basedowkranken den lang¬ 
samen Puls des Myxödems und der Gelbsucht beizubringen, so wäre ihnen 
vielleicht geholfen. Derartige Versuche sind von Williams und von an¬ 
deren, die Gallensalze intramuskulär injizierten, wie es scheint mit gutem 
Erfolg gemacht worden, woraus sich also mit einer gewissen Wahrscheinlich¬ 
keit ergibt, daß Hyperthyreoidismus durch Fehler der Lebersekretion her¬ 
vorgerufen werden kann (daß er durch reichliche Fleischnahrung bei un- 
nügendcr Bewegung, also wohl durch mangelhafte Entgiftung von seiten 
der Leber, hervorgerufen werden kann, ist lange bekannt, Ref). . 

So wenig diese Versuche etwas Abgeschlossenes bieten, so zeigen sie 
doch einen erfreulichen Ausweg aus dem Zirkeltanz der Bakterien und Sera. 

Fr. von den Velden. 

über Wesen und Behandlung der Diathesen. (Drei Referate, erstattet auf 
Einladung der Leitung des deutschen Kongresses für Innere Medizin von 
W. His (Berlin), U. Pfaundler (München) und B. Bloch (Basel). (Sonderdr. 
aus Verb. d. D. Kongr. für Innere Medizin, 28 Bd. Wiesbaden, Bergmann 
1911. 92 Seiten ) 

His gibt einen kurzen Überblick über die Vorgänger der heutigen 
Diathesenlehre. Der Nutzen ihres Wiederauflebens besteht darin, daß ein 
ursächlicher Zusammenhang in Krankheitserscheinungen gebracht wird, die 
örtlich oder zeitlich getrennt sind, und daß aus dieser besseren Erkenntnis 
Therapie und Prophylaxe Nutzen ziehen. Mit Recht macht er aber auf 


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Referate und Besprechungen 


209 

die Gefahren der Diathesenlehre aufmerksam, die bequemen Geistern das 
Diagnostizieren sehr erleichtert. 

Der größte Teil des Buchs wird von den Auseinandersetzungen Pfaund¬ 
lers über Wesen und Behandlung der Diathesen im Kindesalter eingenommen. 
Dieser wegen des gehäuften Details nicht zum Referat geeignete Abschnitt 
zeigt, wie sehr noch alles im Werden ist (und vielleicht immer bleiben wird) 
und wie wenig weit die Abgrenzung der Diathesen untereinander, der schwache 
Punkt aller Diathesenlehren, gediehen ist. Bis jetzt hat man vergeblich ver¬ 
sucht, nach dem Vorbilde des Myxödems den Lymphatismus oder die exsuda¬ 
tive Diathese, den Status thymico-lymphaticus, den kindlichen Arthritismus 
usw. aus einem Punkte zu erklären. Die Therapie aller dieser Zustände, 
deren Wurzeln ja meist in einem Erdreich liegen, in das keine Therapie 
dringt und deren Behandlung bei den Großeltern anfangen sollte, läuft 
im wesentlichen auf eine einfache und naturgemäße Lebensweise hinaus. 

Bloch tritt in entschiedener Weise für die zumal in Frankreich nie 
verkannte, jetzt auch bei uns wieder zu Ehren kommende Beobachtung ein, 
daß Diathesen in der Dermatologie eine große Rolle spielen, d. h. daß 
zahlreiche Hautkrankheiten auf abnormem Chemismus des ganzen Körpers 
beruhen. Fr. von den Velden. 

Jaworski. H. (Paris), La Ri'flexoth&'apie. (Gaz. med. de Paris, Nr. 118, 
1. November 1911.) 

Man ist heutzutage vor keinerlei Überraschung sicher, und wenn der 
selige Horaz noch lebte, würde er sein berühmtes: Nil admirari! kaum zum 
zweiten Male niederschreiben. 

Jaworski geht von der Erfahrung aus, daß manche chronische Krank¬ 
heiten Zeiten der Besserung und der Verschlimmerung aufweisen, und be¬ 
trachtet diese Schwankungen als Ausdruck reflektorischer Vorgänge. So 
ist ihm z. B. das Asthma ein Nasenreflex von irgend einem Polypen aus, 
und allerhand nervöse Zufälle werden vom Präputium aus oder durch eine 
abnorme Enge des Urethralkanals bedingt. Dies führte ihn auf den Ge¬ 
danken, die Tabes dorsalis reflektorisch von der Harnröhrenschleimhaut aus 
zu beeinflussen und zwar versuchte ei- es mit der Dehnung der Urethra. Die 
Resultate waren merkwürdig: fast immer stellte sich in den Beinen ein 
angenehmes Wärmegefühl ein, die Sensibilität und die Ataxie besserten sich, 
und schließlich verschwanden die Schmerzen, und der Kniereflex kehrte 
zurück. Allerdings fühlt J. selbst, daß diese Therapie zunächst „bizarr“ er¬ 
scheinen möchte; aber auf Grund seiner Erfahrungen hält er die Dilatatio 
urethrae für die wirksamste und rationellste Therapie der Tabes. 

Auch ein Mal perforant plantaire hat er auf diese Methode geheilt. 
Man sieht also, dieselbe ist vielseitig. 

Über die Heilung der verschiedenen Erkrankungen der inneren Organe 
der Brust- und Bauchhöhle von der Nasenschleimhaut aus können wir hin¬ 
weggehen; dagegen ist noch zu registrieren, daß sich Aortenaneurysmen 
spielend heilen lassen durch Beklopfen der zugehörigen Wirbel. Freilich 
—- und darin liegt die Zweischneidigkeit der Methode — wenn man nicht 
richtig klopft oder wenn man die Harnröhre nicht richtig ausdehnt, dann 
bleibt der Erfolg aus, ja es tritt sogar Verschlimmerung ein. Der Urheber 
der Reflexotheraphie hat also immer eine bequeme Hintertür, durch welche 
er seine Therapie retten kann, auch wenn der Patient zu Grunde gegangen ist. 

Buttersack-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Polano, Kritische Bemerkungen zur Arbeit von Wohlgcmuth und 
Massone: Experimentelle Beiträge zur Frage von der Herkunft des Frucht¬ 
wassers. (Archiv f. Gyn., Bd. 95, H. 1, 1911.) 

Zu vorstehender Arbeit bemerkt Polano, daß die Experimente der 
genannten Autoren zur eigentlichen Frage von der Herkunft des Frucht¬ 
wassers nichts beitragen. Dagegen bestätige die durch sie bewdesene große 
biologische Ähnlichkeit zwischen peritonealem Transsudat und Fruchtwasser 

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Keferale und Besprechungen. 


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seine cigene wiederholt dargelegte Ansicht von der vitalen sekretori¬ 
schen Leistung des Amnionepithels einerseits, andererseits die 
Tatsache, daß auch beim peritonealen Transsudat eine sekretorische Leis¬ 
tung des Peritonealendothels mit im Spiele sei. Das hätten aber vor W obi¬ 
ge m u t h und M a s s o n e bereits II e i d e n h a in u. a. nachgewiesen. Es 
sei eben an dem alten rein physikalischen Begriff des Transsudates als 
einfachem Filtrat nicht mehr festzuhalten. Da aber Peritonealendothel und 
Amnionepithel durchaus verschiedene Dinge seien, so solle man lieber, um 
Verwirrung zu vermeiden, das Fruchtwasser nach wie vor als ein Sekret 
des amniotischen Epithels definieren, wie das P. getan habe. Selbstver¬ 
ständlich finde das Fruchtwasser seine letzte Quelle in der mütterlichen 
Gewebsflüssigkeit. R. Klien-Leipzig. 

Schneller, Anna, Vergleichend hiitologische Untersuchungen über die 
interstitielle Eierstocksdrüse. (Aus dem I.aborat. des Prof. L. Fraenkel, Breslau.) 
(Arcli. f. Gynök., Bd. 94. Heft 2, 1911.) 

Ueber die interstitielle Eierstockdrüse ist seit der bekannten Arbeit 
L. F r a e n k e 1 s viel geschrieben worden. Aus der fleißigen Arbeit Sch.’s 
geht hervor, daß deren Bedeutung im allgemeinen wohl zu hoch einge¬ 
schätzt worden ist. Einmal kommt diese Drüse nach den Befunden .Sch.’s 
an SO verschiedenen Tieren nur bei einer relativ kleinen Anzahl von 
Spezies vor und selbst in derselben Spezies nicht einmal konstant, 
obwohl hier das Alter eine gewisse Rolle zu spielen scheint. Beim Men¬ 
schen fand Sch. n i e eine interstitielle Eierstocksdrüse. Die Theca-lutein- 
Eellen Seitz’s atretischer Follikel seien zwar histogenetisch eine der inter¬ 
stitiellen Drüse analoge Bildung, aber welche quali- und quantitative Unter¬ 
schiede bestünden zwischen beiden! Auch sei der Gehalt dieser Zellen an 
Lutein noch von niemandem nachgewiesen. — Im allgemeinen müsse man 
an der funktionellen Wichtigkeit der Drüse begründete Zweifel hegen. 

R. Klien-Leipzig. 

Schlimpcrt, Hans, l)ic Tuberkulose bei der Frau, insbesondere die Bauch- 
lell- und die Genitaltuberkulose, die Tuberkulose des uropoetischen Systems, 
die Tuberkulose während Schwangerschaft und Wochenbett, auf Grund von 
3514 Sektionen. (Aus der Anat. des Friedrichstädt. Krankenh. in Dresden 
u. der Univ.-Frauonklinik Froiburg i. Br.) (Arcli. f. Gvnäk.. Bd. 91, Heft 3, 
1911.) 

Bei einem so großen Material müssen neben schweren auch beginnende 
und leichte Fälle mit vorhanden sein. Zunächst gibt Sch. eine Übersicht 
über die Tuberkulose aller Organe. An erster Stelle steht natürlich die 
Lunge mit 84,3 o», dann der Darm mit 32,3 %, dann folgt Hie Bauchfell¬ 
tuberkulose mit 4,9 «o und die Genital- und Hirnhauttuberkulose mit 3,4 » n 
resp. 3,3 Am seltensten sind die Knochen-, die Perikard- und die 
Tuberkulose des uropoetischen Systems mit 2,5, 2,2 und 1,4 °v». - - Die 
Uauchfelltuberkulose tritt am häufigsten im Pubertätsalter auf. Eine 
isolierte Bauchfelltuberkulose fand sich nie, es wäre ihre Entstehung auch 
theoretisch schwer zu erklären. Am häufigsten ließ sich ihre Entstehung 
vom Darm aus nachweisen, dann durch Fortleitung auf dem Lvmphweg von 
der Pleura her und endlich auf hämatogenem Wege. Sie selbst führt nur 
in einem mäßigen Prozentsatz zum Tode, meist wird der Tod herbeigeführt 
durch die schweren tuberkulösen Erkrankungen anderer Organe (Lunge, 
Lärm, Hirnhaut). Ganz das gleiche gilt von der Genitaltuberkulose, 
die in allen Lebensaltern annähernd gleich häufig sich fand. Die Ent¬ 
stehung auf dem Blutweg war möglich bei der überwiegenden Mehrzahl 
der Fälle (bei 67 von 73), wahrscheinlich bei 28 (miliare Aussaat) und 
sicher bei 5 (allgemeine Miliartuberkulose). Es ist daher die hämatogene 
als die häufigste Art der Entstehung anzunehmen. Die Tube als der häufigste 
Sitz der tuberkulösen Erkrankung beherbergt meist die erste Lokalisation 
der Tuberkulose im Genitale. Die Frage, ob die Genitaltuberkulose fortge¬ 
leitet von einer Bauchfelltuberkulose entstehen könne, verneint Sch. auf 
Grund seines Materiales, im Gegensatz zu Simmonds u. a. Im allge¬ 
meinen seien die Chancen des deszendierenden Infektionsmodus die größeren. 


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Referate und Besprechungen. 


211 


Was die Erkrankungshäufigkeit der einzelnen Genitalorgane anlangt, so 
fand sich 7 mal isolierte Scheidentuberkulose. Fünfmal war sie fortgeleitet 
von der Nachbarschaft, auch in den beiden anderen Fällen ließ sich eine Über¬ 
tragung durch den Geschlechtsverkehr ausschließen durch das sehr hohe Alter 
der Frauen. Portio- bezw. Zervixtuberkulose fand sich ebenfalls nur bei 
schwerer Allgemeintuberkulose, und trat nur in Gemeinschaft mit der Er¬ 
krankung anderer Genitalabschnitte auf. Die Korpustuberkulose trat meist 
mit Tubentuberkulose auf, ihre Entstehung war meist direkt oder indirekt* 
hämatogen anzunehmen. Zweimal ließ sie sich von einer Tuberkulose der 
Plazentarhaftstelle ableiten. Am häufigsten war, wie gesagt, die Tube erkrankt, 
meist in Form der tuberkulösen Pyosalpinx; hämatogene Entstehung. Sehr 
selten war die Ovarialtuberkulose. Eine isolierte fand sich bei Miliartuber¬ 
kulose und in einem anderen Falle. Drei Fälle waren Serosatuberkulose, 
die anderen saßen im Innern des Ovariums, und zwar war in diesen Fällen 
stets der Uterus mitbeteiligt. Es bleibe unentschieden, ob diese Formen 
l 'ämatogen oder lymphogen vom Uterus fortgeleitet waren. Kein einziger 
Fall starb an der Genitaltuberkulose als solcher. Sie ist meistens Begleiter¬ 
scheinung der letalen Tuberkulosen anderer Organe. — Betreffs der Tuber¬ 
kulose des uropoetischcn Systems schließt sich Sch. ganz der Lehre von 
Baumgartens von der deszendierenden Entstehung von den Nieren 
her an. Eine primäre Tuberkulose des Harnsystems dürfte nicht Vorkommen. 
Eine Kombination mit Genitaltuberkulose ist beim Weibe seltner als beim 
Mann Die Prognose ist ungünstig, doch sterben die meisten Frauen an 
der Tuberkulose der anderen Organe. R. Klien-Leipzig. 

Schweitzer, B., Zur Behandlung der Placenta praevia. (Aus der Univ.- 
Frauenklinik Leipzig). (Arch. f. Gynäk., Bd. 94, H. 3, 1911.) 

Die Leipziger Klinik ist im allgemeinen der alten Therapie der 
Placenta praevia-Fälle treu geblieben und Sch. gibt einen Überblick über 
die damit in 100 Fällen erzielten Resultate. Bevorzugt wurde die kombi¬ 
nierte Wendung nach Braxton Hicks, aber auch die Metreuryse wurde 
geprüft. Der ersteren wird der Vorzug gegeben. Im ganzen starben 
6 Frauen, darunter eine schwer tuberkulöse, so daß die Mortalität unter 
Abrechnung dieses Falles sich auf 5 «o stellt. Viermal handelte es sich um 
Verblutung. Eine dieser Frauen wurde moribund eingeliefert. Die 
zweite Frau wurde bei bereits erweitertem Muttermund mittels innerer 
Wendung und sofortiger Extraktion entbunden. Trotzdem ereignete sich ein 
Zervixriß, der abgeklemmt und genäht wurde. Gegen die gleichzeitige 
Atonie versagte die Uterusscheidentamponade. Bei der dritten Frau wurde 
nach der Wendung die Extraktion im Laufe einer Stunde ausgeführt, mit 
dem Erfolg, daß sich ebenfalls ein Zervixriß ereignete, der abgeklemmt 
und genäht wurde. Die Uterusscheidentamponade wurde nicht durchblutet. 
Obwohl der Blutverlust in der Klinik nur 850 g betrug, Exitus nach vier 
Stunden. Man vermißt die Angabe, ob subkutane Kochsalzinfusion 
gemacht wurde. Der vierte Fall wurde mittels Metreuryse für sechs 
Stunden, innerer Wendung und langsamer Extraktion behandelt. Kein 
Riß. Atonie, wiederholte Durchblutung der Tamponade bei hartem Korpus. 
Tod trotz Morabur g. Gesamtblutverlust 1890 g. Bei der Sektion ergab 
sich, daß die Plazentarstelle ganz im Bereiche der Dehnungszone 
gelegen war. — Die an Sepsis gestorbene Frau war bereits fiebernd 
i ingeliefert worden. Innere Wendung, Extraktion, Tamponade. Am elften 
Tag trat der erste der 26 Schüttelfröste ein. Tod am 38. Tag. —- Bei allen 
diesen verstorbenen Frauen hatten bereits in der Schwangerschaft 
Blutungen bestanden, was gegen die Anschauung von Bayer spricht, 
daß die Fälle mit Schwangerschaftsblutungen prognostisch günstiger seien 
als die ohne, und daß in den ersteren die Extraktion ungefährlich sei. — 
Die Morbidität betrug 25 <y 0 . — Im ganzen passierten unter 15 Fällen, in 
denen, wenn auch langsam extrahiert wurde, 7 mal Zervixrisse!, in den 
Fällen, wo dies nicht gemacht wurde, ereignete sich nur e i n Zervixriß. 
der die Uterusexstirpation erforderte. Dir Mortalität der Mütter war bei 

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212 


Referate und Besprechungen. 


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Braxton Hicks und Metreuryse fast gleich; die der Kinder betrug 
69 bezw. 12 »». — Jedenfalls ist, so betont Sch., die kombinierte Wen¬ 
dung für die Mutter das schonendste Verfahren, sie be¬ 
steht in einem einzigen Eingriff, der sich fast immer sofort ausführen läßt 
und ist blutsparend; für die Kinder ist er allerdings schlecht. Die 
Metreuryse erfordert meist zwei Eingriffe, nämlich nach der Ballonaus¬ 
stoßung noch die Wendung oder eine entbindende Operation, ist viel weniger 
-blutsparend. Blutsparend sei auch der abdominale, zervikale Kaiser¬ 
schnitt, der sich für Fälle mit erhaltener Zervix eigne. Er 
wurde einmal mit Erfolg gemacht. — Bei Blutungen in der Nachgeburts¬ 
periode solle man nicht zu lange mit der manuellen Lösung zögern. 

R. Klien-Leipzig. 

Henkel, Max Prof., Ist die abdominale Totalexstirpation des schwangeren 
Uterus wegen Lungentuberkulose berechtigt ! (A^ch. f. Gynäk., Bd. 94, Heft 2, 
1911.) 

II. weist darauf hin, daß sich in den letzten Jahren die Ansichten be¬ 
treffs der Gefährlichkeit einer Schwangerschaft bei Lungentuberkulose sehr 
geändert haben, dahingehend, daß bei solchen Individuen eine Schwanger¬ 
schaft stets gefährlich sein kann und daß auch die kongenitale Infek¬ 
tion der Früchte keineswegs selten sein dürfte. H. vertritt infolgedessen 
den Standpunkt, in jede m Fall die Schwangerschaft zu unterbreche n. 
Er bedient sich dazu folgender Methoden: Sowie die Periode ausgeblieben 
ist, sofort Kürettage. Im ersten und zweiten Monat Dilatation mit Metall- 
dilatatorien und Ausräumung. Vom dritten bis fünften Monat Spaltung der 
vorderen Zervixwand bis zum inneren Muttermund mit Zurückschieben der 
Blase und digitale Ausräumung nach event. Zertrümmerung des kindlichen 
Schädels. Dies Verfahren aber nur bei beginnender Tuberkulose. Ist 
die Tuberkulose' nicht mehr ganz im Beginn, dann macht er in 
jedem Stadium der Schwangerschaft die abdominale Totalexstir¬ 
pation des schwangeren Uterus samt Ovarien, weil die3 die wenigst 
blutige Operation sei und er gerade von der gleichzeitigen Entfernung der 
Ovarien einen günstigen Einfluß auf die Verkalkung der tuberkulösen 
Lungenherde erhofft. Ob dies der Fall ist, muß allerdings erst die Zukunft 
lehren; II. selbst hat bisher nur 6 Fälle derart behandelt, die erst 3 /i Jahre 
zurückliegen. In 5 der Fälle trat eine wesentliche Besserung ein, ein Fall 
starb infolge sehr weit vorgeschrittener Tuberkulose. 

R. Klien-Leipzig. 

Lehmann, Franz, Zum Kapitel der Retroflexio uteri. (Arch. für Gyn. 
Bd. 94, Heft 3, 1911.) 

Auf Grund von 2000 poliklinisch beobachteten Fällen von Retroflexio 
kommt L. zu zum Teil von den üblichen abweichenden Ansichten betreffs 
Ätiologie und Genese derjenigen Retroflexionen, die nach dem ersten Wochen¬ 
bett auftreten. Bei ihnen sei das wichtigste Moment in der verloren ge¬ 
gangenen Federung zu erblicken. Die Muskulatur der physiologischen 
Knickungsstelle werde sub partu stark geschädigt, es trete eine Art Dekolle- 
i-itnt der Schichten ein und im Verein damit Blutergüsse und Zerfaserungen 
der diesen Teil des Uterus rings umgebenden muskulo-fibrösen Gewebe. Fast 
in allen Fällen konnte L. bei genauer Betastung narbenförmige Stränge im 
vorderen, hinteren oder den seitlichen Parametrien nachweisen. Interessant 
ist das Experiment, daß in vielen solcher anscheinend unkomplizierten l’ost- 
partum-Retroflexionen durch einen im hinteren Vaginalgewölbe wirkenden 
starken faradischen Strom eine spontane Aufrichtung des Uterus von L. 
beobachtet wurde; therapeutisch sei dieses Verfahren indes nicht verwert¬ 
bar. — Vernichtend ist das Urteil über die Heilbarkeit der [Retroflexionen 
mittels Pessaren. Unter 2000 Fällen wurden nur 7 ganz unkomplizierte Fälle 
durch Pessar geheilt, und 30, in denen im Verlauf der Erkrankung leichtere 
Affektionen an den Adnexen und parametrane Narben konstatiert wurden. 
Letzteres ist eine Beobachtung, die der landläufigen Ansicht direkt zuwider¬ 
läuft. Endlich heilten 11 Fälle spontan, diese wiesen sämtlich Adnexver¬ 
änderungen teils hochgradiger Art auf. R. Klien-Leipzig. 


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Referate und Besprechungen. 


21:1 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Thursfleld, H. (London), Bericht über einige Kinderkrankheiten. (Prae- 
titioner, Bd. 87, H. 5.) 

Poliomyelitis anterior. Die Krankheit ist auf Affen über¬ 
tragen worden, das Virus passiert die feinsten Filter und ein Mikrobium 
ist nicht gefunden worden, weshalb man das Vorhandensein eines ultra- 
mikroskopischen annimmt — logischer wäre es, ein ungeformtes Gift an- 
runehmen, aber dazu stehn wir noch zu sehr im Bann der Bakteriologie. 
Die pathologischen Veränderungen gleichen sehr denen der Lyssa, die sich 
bekanntlich auch in bezug auf das Virus ähnlich verhält. Epidemien von 
Poliomyelitis scheinen, nachdem man auf sie aufmerksam geworden ist, 
häufiger geworden zu sein; sie erreichen meist ihren Höhepunkt im Juli, 
August und September. Häufig wird ein abnormer Beginn der Krankheit 
beobachtet: hohes Fieber mit so heftigen Schmerzen im ganzen Körper, 
daß jede Bewegung Schreien hervorruft; oder die Symptome der Meningitis, 
während die Lähmung erst nach Tagen auftritt. Die Aussichten auf Her¬ 
stellung eines Heilserums sind schlecht. 

Tuberkulöse Peritonitis wird von neuem von Chirurgen und 
Internen umstritten, die Mehrzahl der englischen Arzte zieht Freiluftbe¬ 
handlung, Ruhe und passende Ernährung vor, doch wird bei seröser Peri¬ 
tonitis und erschwerter Darmpassage auch noch laparotomiert. „Die Opera- 
ti i.sresultate, wie man sie in jedem großen Kinderspital sieht, sind nichts 
weniger als ermutigende, außer bei der mit serösem Erguß verbundenen 
Form.“ 

Brechdurchfall ward nach Kendall (Boston) mit Abführen, Hun¬ 
gern während 12—15 Stunden, Laktose in 5 o/ 0 Lösung während mehreren 
Tagen, danach stickstoffhaltiger Nahrung und daneben Infusionen einer 
2,5 ".i Dextrose-Salzlösung behandelt. Andere geben noch längere Zeit nur 
Wasser, 2 Tage, ja zuweilen 3 Tage. Auch bei diesen Methoden ist die 
Mortalität noch sehr hoch, 66 " o bei Kindern unter 1 .. Jahr, 33 (o bei 
Kindern über 2 Jahre. In England läßt man nicht so lange hungern und 
legt den größten Wert auf Salzwasserinfusionen. Die Quintonschen See¬ 
wasserinfusionen werden jetzt mit verdünntem Seewasser gemacht, das in 
seiner Zusammensetzung der physiologischen Kochsalzlösung sehr nahe 
steht; sie haben sich also, nachdem vermöge ihrer Absonderlichkeit eine 
große Reklame für sie in Gang kam, als etwas altes in neuem Aufputz 
herausgestellt. Fr. von den Velden. 

Rupprecht, K. (München), Kindlicher Schwachsinn und Straffälligkeit 
Jugendlicher. (Arch. f. Psych., Bd. 48, H. 3.) 

Die seit etwas über 3 Jahren in Deutschland eingeführten Jugendgerichte 
sollen durch Bestrafung der jugendlichen Verbrecher einerseits sühnend, 
andererseits vorbeugend wirken durch Fürsorge für die noch erziehungs- 
und besserungsfähigen Jugendlichen. Das jugendgerichtliche Strafverfahren 
hat nur Personen zwischen 12—18 Jahren zum Objekt. Die geistig nicht 
völlig normalen Jugendlichen lassen sich in 3 Klassen einteilen: in psycho¬ 
pathische, hysterische und schwachsinnige. Die letzteren überwiegen und 
zwar vor allem in den Jahren vom 14. aufwärts. Als Ursache findet man 
neben der elterlichen Trunksucht Schädelverletzungen. R. bringt sowohl für 
die verschiedenen ätiologischen Momente als für die Vergehen Beispiele 
und plädiert für eine sachgemäße psychiatrische Untersuchung der jugend¬ 
lichen Rechtsbrecher, um so mehr als Eltern und Schule häufig die krank¬ 
hafte Veranlagung nicht erkennen. Zweig-Dalldorf. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Bornstein, M. (Warschau), Über psychotische Zustände bei Regenerativen. 
(Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. Bd. 7. H. 2.) 

Die Arbeit bringt zwar dem Fachmann kaum etwas neues, sie verdient 
aber an dieser Stelle doch einen ausführlichen Bericht, weil sie die neuer- 


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214 


Referate und Besprechungen. 


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dings wieder mehr in den Vordergrund der psychiatrischen Forschung treten¬ 
den Degenerationstypen und deren psychotische Exazerbationen übersichtlich 
zusammenstellt. Berücksichtigt sind nur die Störungen ohne besondere In¬ 
telligenzeinbuße, deren gemeinsame Merkmale sind der Mangel an einem 
harmonischen Verhältnis zwischen den einzelnen psychischen Faktoren, das 
Überwiegen der emotionellen Elemente über die intellektuellen, die krankhafte 
Verarbeitung äußerer Reize und die Unfähigkeit sich dem Leben anzupassen. 
Innerhalb dieser großen Gruppe gibt es abgrenzbare Unterabteilungen. Bei 
der Psychasthenie herrschen Zwangsvorstellungen, Zwangsgefühle und 
Zwangsbewegungen vor. Im Vordergrund steht hier das Gefühl der eigenen 
Unzulänglichkeit, gegen welches die Betreffenden nicht ankämpfen können, 
obwohl sie sich der krankhaften Natur desselben bewußt sind. Dazu kommt 
dann noch das Gefühl der Fremdartigkeit sich selbst und der Außenwelt 
gegenüber, d. h. es kommt ihnen vor, als ob sie selbst gar nicht sprechen 
und handeln, sondern ein anderer für sie, und als ob sie träumen. Steigert 
sich der Zustand, so kommt es entweder zu akuten heftigen Depressionen 
mit Selbstmordneigung im Anschluß an eine längere Periode des Zwangs¬ 
denkens oder zu paranoischen Bildern, in welchen die Wirklichkeit mit dem 
Erwünschten konfluiert. Der Unterschied zu den eigentlichen paranoischen 
Erkrankungen liegt in dem Verhältnis des Betreffenden zu den Ideen, indem 
bei der envähnten Form die Kranken sich zeitweise des wahnhaft Erträum¬ 
ten bewußt werden. Im Gegensatz zu der die Psychasthenie charakterisieren¬ 
den allgemeinen psychischen Spannungsherabsetzung, welche zu dem Gefühl 
der Unzufriedenheit mit sich selbst führt, ist die Quelle der hysterischen 
Störung eine Einengung des Bewußtseinsinhaltes, so daß das ganze Interesse 
sich auf das eigene Ich konzentriert. Dazu kommt das Vorherrschen der 
Einbildungskraft gegenüber der Verstand estätigkeit (hyst. Lügen), das Feh¬ 
len einer deutlichen Lebensrichtung und daher die Unbeständigkeit und die 
erstaunlichen Gegensätze selbst innerhalb einer Sphäre (Feinfühligkeit neben 
Roheit). Unter den hysterischen Psychosen spielen die Dämmerzustände die 
Hauptrolle, deren Erkennung infolge der Mannigfaltigkeit der Bilder oft 
außerordentlich schwer ist, und als deren wichtiges Zeichen die Abhängig¬ 
keit der Symptome von äußeren Eindrücken gilt. Eine spezielle Varietät 
ist der Gansersehe Sy mptomenkomplex mit dem an Simulation stets 
denkenlassenden Vorbeireden und dem Mangel der allereinfachsten Kennt¬ 
nisse, dabei besteht Unorientierung in Raum und Zeit und Halluzinationen, 
nach dem Überstellen Amnesie, deren Grad bei den hysterischen Dämmer¬ 
zuständen aber durchaus verschieden ist. Der katatone Stupor unterscheidet 
sich vom hysterischen durch die geringe suggestive Beeinflussung, durch 
die Affektlosigkeit und die Beständigkeit des Zustandsbildes sowie durch 
das Fehlen der hysterischen Stigmata. Mit der Hysterie nahe verwandt 
ist die Pseudologia phantastica. Es handelt sich hier um eine 
besondere Ausprägung der von der Hysterie her bekannten Fälschung der 
Erinnerung und der Ergänzung derselben durch Produkte der eigenen Phanta¬ 
sie. Neben den vorübergehend und dann korrigiert oder unkorrigiert jahre¬ 
lang bestehen bleibenden phantastischen Wahnideen kann es zur Ausbildung 
von Verfolgungsideen kommen, indem die Kranken sich als die unschuldigen 
Opfer fremder (von ihnen selbst ersonnener) Intrigen imponieren und diese 
wahnhaften Beeinträchtigungen durch Beschwerden usw. bekämpfen (Pseudo- 
quärulantenwahn). Zustände, welche stark den manisch-depressiven Zustands¬ 
bildern ähneln, werden durch die konstitutionelle Erregung und 
Verstimmung hervorgerufen, ohne daß aber die Ähnlichkeit der Sym¬ 
ptome die Vermischung bedingen. Die rein endogene Entstehung der manisch- 
depressiven Perioden und die reaktive der konstitutionellen Affektsteigerung 
sprechen sogar eher für eine Trennung. Eine große Gruppe innerhalb der 
degenerativen Zustände bilden noch die paranoiden Zustände bei 
den Gewohnheitsverbrechern nach der Verhaftung oder einer 
längeren Strafhaft. Nach »geringer Ursache treten Erregungszustände mit 
Angstgefühl, Sinnestäuschungen und Wahnideen der Beeinträchtigung und 
der Verfolgung auf nach einer einleitenden Periode der Verwirrtheit. Mit 



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215 


einer Änderung der Umgebung verschwindet alles wieder, um bei erneut 
unglücklicher Wendung wieder zum Ausbruch zu kommen. Charakteristisch 
für die Wahnideen der Degenerierten ist der oberflächliche, nicht erhebliche 
reale Wert, die Unbeständigkeit und Abhängigkeit derselben von äußeren Um¬ 
ständen: die Betreffenden reden sich in ihre Wahnideen hinein. Besser als 
von Wahnideen spricht man daher hier von „wahnhaften Einfällen“. 

Zweig-Dalldorf. 

Frank, L. {Zürich), Die Determination physischer und psychischer Symptome 
im UnterbewuDtsein. (Corr.-Bl. f. Schweizer Ärzte 1911/34.) 

Anhänger des Freudschen Verfahrens seien auf diese Arbeit Franks 
aufmerksam- gemacht, der nur in sehr bedingter Weise ein Anhänger Freuds 
ist und besonders dessen Tendenz, alles auf sexuelle Traumen zurückzuführen, 
verurteilt. Frank läßt die Kranken im „Halbschlafzustande“ (offenbar im 
mitteltiefen hypnotischen Schlaf) ihre unangenehmen Erlebnisse nochmals 
durchmachen und hat gute Resultate zu verzeichnen, gibt freilich zu, daß 
auch mit diesem Verfahren vieles ungeheilt bleibt. 

Fr. von den Velden. 

Schmidt, W. (Mainz), Über den Einfluß von Kältereizen auf die sensiblen 

HautreDcxe. (Zeitsohr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 7. H. 1). t- 

Man hat in neuerer Zeit nachgewiesen, daß die Bauchdeckenreflexe bei 
Männern so gut wie konstant unter normalen Verhältnissen Vorkommen und 
auch bei Frauen nur in einem verschwindend kleinen Prozentsatz nicht 
auslösbar sind. Ihr Fehlen namentlich auf einer Seite wird daher sowohl 
in der Neurologie als auch zur Erkennung abdominaler entzündlicher Er¬ 
krankungen diagnostisch verwertet, S. weist nun darauf hin, daß die Appli¬ 
kation von Kälte (Eisblase) ebenfalls das Verschwinden des Bauchdecken¬ 
reflexes sowie der übrigen sensiblen Reflexe bedingen kann, worauf also 
zur Vermeidung von Fehlschlüssen zu achten ist. Zweig-Dalldorf. 

Ermakow, J. (Moskau), Sur l’oligophasie postcomltiale. (Arch. de Neur., 
Juli 1911.) 

Unter Oligophasie versteht man eine motorische Sprachstörung derart, 
daß der Betreffende Mühe hat, seine Gedanken in Worte zu kleiden, daß er 
Umschreibungen wählt, weil ihm präzise Vokabeln fehlen, wie man es bei 
einer fremden Sprache zu tun pflegt. W'ichtig ist, daß die Störung Stunden 
und Tage nach epileptischen Anfällen besteht und eine diagnostische Bedeu¬ 
tung ihres regelmäßigen Vorkommens wegen hat. Auch bei Migräne er¬ 
laubt das Symptom eine epileptische Provenienz zu folgern ebenso wie es 
die Entscheidung zwischen Epilepsie und Eklampsie ermöglicht. Mitunter, 
aber dies ist nicht so konstant, kommt es auch vor, daß die Kranken ihre« 
Gedanken zwar aufschreiben können, nicht aber aussprechen, ja nicht ein¬ 
mal das soeben Geschriebene lesen können. Zweig-Dalldorf. 

Serog, M. (Greifswald), Die psychischen Störungen bei Stirnhirntumoren 
und die Beziehungen des Stirnhirns zur Psyche. (Allg. Zeitschr. für Psych. 
Bd. 68, H. 5.) 

Bestimmte für eine Schädigung des Stirnhirns charakteristische psychische 
Störungen gibt es nicht, vielmehr ist die Witzelsucht ebenso wie die Be¬ 
nommenheit und die bei Hirntumoren überhaupt sich häufig findenden Kor- 
sakowscheu Symptome als Allgemeinsymptome infolge des gesteigerten Hirn¬ 
drucks aufzufassen. Auch die Ansicht, daß die Intelligenz im Stirnhirn 
lokalisiert ist, Ist abzulehnen, dieselbe ist vielmehr eine Tätigkeit der ge¬ 
samten Großhirnrinde, wobei vielleicht das Stirnhirn eine besondere Rolle 
als Koordinationszentrum spielt. (3 Fälle.) Zweig-Dalldorf. 

'Bussels, H. (Landsberg a. W.) Über die Behandlung der progressiven Para¬ 
lyse mit natr. nuctein. (Arch. f. Psych., Bd. 48, H. 3.) 

Von den 5 behandelten Fällen zeigte nur einer Besserung, indem die 
Anfälle nicht mehr eintraten, die Größenideen abblaßten und die Erinnerung 
wieder besser wurde, so daß der Kranke wieder bessere Kenntnisse aufwies 
und in der Ausdrucksweise geschickter wurde. In körperlicher Hinsicht 
wurde die Sprache nicht besser, dagegen der Gang sicherer, die Blasen- 


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2it; 


Referate und Besprechungen. 


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und Darmstörungen schwanden, Uber die Wirkung der Behandlung erlaubt 
die Arbeit keine rechten Schlüsse, weil es sich um vorgeschrittene Fälle 
handelte, während man die Methode vorwiegend bei initialen mit Erfolg an¬ 
wenden soll, ferner, weil der Bericht nach einer zu kurzen Beobachtungs¬ 
dauer (8 Wochen nach der letzten Injektion) erstattet ist. Von Nebenwir¬ 
kungen führt H. die große Schmerzhaftigkeit der Injektionen, die örtlichen 
Entzündungserscheinungen und die Fiebersteigerungen bis 40,3 0 nach der 
Einspritzung an. Zweig-Dalldorf. 

Iticliardiere, Lcmairc und Sourdel (Paris), Lymphozytose des Liquor cere¬ 
brospinalis bei Chorea. (Progr. med. Nr. 41, S. 502‘ 1911.) 

Die Beziehungen zwischen Gelenkrheumatismus und Chorea sind den 
Klinikern längst bekannt. Nun fügen die 3 Autoren eine weitere Stütze in 
die Annahme verwandschaftlicher Beziehungen zwischen den beiden Krank¬ 
heiten; denn wie sie in der Soc. de Ped. am 21. März 1911 mitteilen — 
findet sich im Liquor cerebrospinalis aller Chorea-Kranken eine bald mehr, 
bald weniger ausgesprochene Lymphozytose, wenn man nur genau genug 
untersucht. Diese Lymphozytose ihrerseits ist das zuverlässigste Zeichen 
organischer Veränderungen am Zentralnervensystem, speziell der Meningen, 
so daß mithin die Chorea als ein Spezialfall von meningealer Reizung sich 
ohne weiteres den Affektionen der übrigen serösen Häute beim sog. Ge¬ 
lenkrheumatismus einreiht. Buttersack-Berlin. 

Kaller, (üwinsk), .Spanmrngserscheinungen am Gefässystem und ihre 
differentialdiagnostische Verwertbarkeit für die dem. präcox. (Allg. Zeitschr. 
f. Psych., Bd. (>8, H. 5.) 

B. ließ* sich wahllos sämtliche Kranke aufschreiben, welche ödematöse 
Schwellungen der Extremitäten oder zyanotische Verfärbung derselben zeig¬ 
ten. Wurden dann alle diejenigen heraussortiert, bei denen man Krampf¬ 
adern oder Gefäßerkrankungen als von Bedeutung für die Entstehung der 
vasomotorischen Störungen annehmen konnte, so blieben von 750 Männern 
und Frauen 93 übrig, und von diesen war 3 Paralytiker, die übrigen ge¬ 
hörten der dem. präc. an. Der lividen Verfärbung und der Schwellung kommt 
also als Symptom der dem. präc. eine gewisse Bedeutung zu, welche auch 
diff. diag. verwertbar ist. B. will als Ursache einen kataleptischen Spannungs- 
sustand der Muskeln und Nerven der Gefäße annehmen, analog den Zustän¬ 
den an der quergestreiften Muskulatur, und die Erscheinung als Katalepsie 
der Gefäßmuskulatur bezeichnen. Es wäre weiterhin anzunehmen, daß der¬ 
artig bedingte Zirkulationsstörungen im Zentralnervensystem in einer wich¬ 
tigen, vielleicht kausalen Beziehung zur Verblödung stehen. Sicher ist, daß 
die schwersten Ödeme und die stärksten Zyanosen sich bei hochgradig ver¬ 
blödeten Kranken finden und als ein signum mali ominis gelten. 

Zweig-Dalldorf. 

Sternberg, \V. (Berlin), Alkoholische Getränke als Hypnotica. (Therap- 

d. Gegenwart 1911/12.) 

Sternberg bricht eine Lanze für die Verwendung des Alkohols als 
Ilypnotikum, der den großen Vorzug vor den Schlafmitteln aus der lateini¬ 
schen Küche hat, daß er nicht wie sie den Appetit verdirbt, ln dieser 
Empfehlung stimmt Ref. St. durchaus bei, nicht aber in der Ansicht, daß 
der Alkohol bis jetzt „höchstens nur gelegentlich und vereinzelt“ als Hypnoti- 
kum verwandt worden sei. Das Gegenteil beweist der allgemein angenommene 
Ausdruck „Bettschwere“. 

Sternberg macht hier auf die merkwürdige Beobachtung aufmerksam, 
daß Mischungen verschiedener Alkoholika besonders berauschend wirken, 
wodurch bewiesen wird, daß nicht der Alkohol allein berauscht. Auch 
die höhere Temperatur verstärkt die narkotische Wirkung, zwei Dinge, die 
empirisch bei der Herstellung der Schlummerpunsche benutzt werden. 

Fr. von den Velden. 

Schloss, H. (Wien), Der Reglerungsentwurf eines Irrenfiirsorgegesetzes. 

Jahrb. f. Psych., Bd. 32, H. 3.) 

Die Arbeit kann hier nur dem Titel nach erwähnt werden. Besonders 


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Referate und Besprechungen. 217 

hervorgehoben sei noch, daß es sich um den Entwurf eines österreichischen 
Gesetzes handelt. Zweig-Dalldorf. 

Alhreeht, O. über Kranksinnigentürsorve iin Felde. (Jahrb. f. Psycb., 
Bd. 32, H. 3.) 

In allen Armeen ohne Unterschied läßt sich in den letzten Jahrzehn¬ 
ten eine Zunahme der als kranksinnig Erkannten nachweisen, weiterhin ist 
das Ansteigen im Kriege bemerkenswert, so im deutsch-französischen von 
0,37°, oo auf 0,93" oo- Besondere Vorkehrungen für psychisch Kranke im 
Felde sind also notwendig von den event. Schädigungen militärischer Aktio¬ 
nen durch diese Kranken ganz abgesehen. Schon im Frieden müßten alle 
Kranken sowie zu Krankheit Disponierten ausgeschieden werden (Hilfsschul¬ 
zöglinge!), ebensoidie während der Dienstzeit Erkrankten. Militärpsychiatrische 
Beobachtungsstationen wären für diese Zwecke wünschenswert. Eine Reihe 
der psychisch Debilen könnte während eines Krieges in den Garnisonen 
der Heimat noch verwendet werden. Die vorderen Sanitätsformationen 
müßten zur Beruhigung aufgeregter Kranker mit den nötigen Mitteln 
(Zwangsjacken, Hyoscinlösungen) versehen sein. Die weitere Rückbeförde¬ 
rung mit den gewöhnlichen Kranken- und Verwundetentransporten erscheint 
ebenfalls untunlich, es wäre daher eine dankenswerte Aufgabe der frei¬ 
willigen Krankenpflege, in dieser Richtung Vorkehrungen zu treffen durch 
eigene kleine, nur diesem Zwecke dienende Transportabteilungen mit Krank- 
sinnigenautomobil, welche, bei den größeren Sanitätsverbänden unterge¬ 
bracht, telephonisch herbeigerufen werden könnten. Ungefährliche Geistes¬ 
kranke können natürlich den gewöhnlichen Transporten unter geeigneter 
Beaufsichtigung beigegeben werden. Die Unterbringung erfolgt in der zu¬ 
nächst gelegenen Irrenanstalt, auf deren Terrain im Kriegsfall von der 
Heeresverwaltung event. Baracken für die ruhigen Kranken der Anstalt 
zu errichten wären im Hinblick auf die Überfüllung dieser Anstalten. Für 
eine event. Belagerungszeit wäre in festen Plätzen die geeignete Vorsorge 
zu treffen. — Auch diese Arbeit beschäftigt sich mit österreichischen Ver¬ 
hältnissen, die aber den unsrigen sehr analog liegen. 

Zweig-Dalldorf. 

Medikamentöse Therapie. 

Gaucher (Paris), l.es dancrers de PArseno-ßenzol. (Gazette mödicale de 
Paris, Xr. 124. S. 395. 1911.) 

Nicht ohne ein schmerzliches Gefühl muß der Chronist Fehlschläge 
des Mittels 606 registrieren. Zwar, wenn da und dort einer sich dagegen 
ausspricht, so mag das nicht viel zu bedeuten haben. Wenn aber ein 
Mann, wie Gaucher, professeur de la syphiligraphie ä la Faculte de 
Medecine de Paris, die höchste Instanz in Frankreich, sein Verdammungs¬ 
urteil fällt, dann will alles Beschönigen nicht mehr viel helfen. Ich muß 
Sie aufmerksam machen auf die Gefahren dieses Mittels; und diese Gefahren 
sind groß. -— So lautet sein Warnungsruf —. Das Mittel 606 ist an sich 
gefährlich, mitunter tödlich. Aber noch schlimmer als das: es wiegt Arzt 
und Patient in eine trügerische Sicherheit. Indem es die Hauterscheinungen 
beseitigt, täuscht es Heilung vor, während tatsächlich die Infektion sich 
weiter entwickelt und Ansteckungen ermöglicht. Le 606 ne guerit pas la 
Syphilis; il est un trompe-Toeil. Cette impuissance du 606 est, peut-etre, 
encore plus importante ä connaitre, au point de vue social, que ses dangers. 

Niederlagen und Entgleisungen, soweit sie den einzelnen betreffen, sind 
historisch betrachtet gleichgültig. Aber sie werden verhängnisvoll, wenn 
sie die Wissenschaft als solche erschüttern; und — das können wir uns 
nicht verhehlen — in den letzten Jahren scheinen die negativen Erfolge die 
positiven an Zahl zu übertreffen. Mit mehr oder weniger lauten Trompeten¬ 
stößen wurden allerlei Hoffnungen geweckt; aber die Sachen schliefen nur 
zu bald wieder ein. Gewiß sind die zu Tage geförderten Hypothesen an sich 
ungemein geistreich. Aber gerade die sogenannten „geistreichen“ Einzel¬ 
hypothesen, diese Spirituosa, womit der Hunger nach einem nährenden Wissen 


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Referate und Besprechungen. 


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übertäubt wird, sind die Symptome wissenschaftlichen Erlahmens, wissen¬ 
schaftlicher Remissions- oder — wie wir heute sagen würden: Decadence- 
Perioden (J. Henle, Rationelle Pathologie I. 1846. S. 43). Wir Historiker 
sind nicht die Richter, welche eine Meinung oder eine Lehre als richtig 
oder falsch zu erweisen haben. Aber wir haben — gewissermaßen als Säkular- 
Nosologen — die Aufgabe, die Ereignisse des Tages als Symptome der Ent¬ 
wicklungsgeschichte des menschlichen Wissens und Verstandes einzuordnen 
und zu bewerten; denn nicht von dem momentanen Status, sondern vom 
Decursus morbi hängt die Prognose ab. Buttersack-Berlin. 

Fernet, P. und Ettinger, M 11 « S. (Paris), Kombination von Saivarsan- und 
Queeksllbereyanid-Injektloncii. (Progr. nu'-d. Nr. 41, S. 498, 1911.) 

Die Begeisterung für 606 flaut ab. Wir halten es nicht mehr für das 
Zaubermittel, als welches eine geschickte Reklame es seiner Zeit in die 
Welt hinaussandte, sondern bescheiden uns damit, „daß es im Kampf gegen 
die Syphilis im Durchschnitt mehr leistet als das Quecksilber.“ (Hübner, 
Der heutige Standpunkt in der Salvarsantherapie, diese Ztschr. Nr. 46 
S. 1086.) Man sieht die Zeiten haben sich recht schnell geändert. Aber 
die in den Gemütern hervorgerufene Erregung klingt nur langsam und allmäh¬ 
lich ab, ein Analogon zu dem, was die Physiker: elastische Nachwirkung 
nennen. Es muß doch etwas daran sein, denken viele; und wenn man die 
Sache etwas anders angreift, läßt sich schließlich vielleicht doch noch die 
Therapie sterilisans magna oder wenigstens etwas Annäherndes erreichen. 
Die beiden Assistenten von Brocq haben demgemäß, hauptsächlich um 
die Giftwirkung des Salvarsans zu vermeiden, die Dosis des Ehrlich sehen 
Präparates herabgesetzt und statt dessen das altbewährte Quecksilberzyanid 
hinzugefügt. Ihre Methode ist diese, daß sie zweimal je 0,3 bis 0,4 g Sal¬ 
varsan intravenös injizieren in einem Zwischenraum von zirka einer Woche; 
daran schließen sich dann sofort 12 bis 15 intravenöse Injektionen von 
0,015 bezw. 0,01 g Hvdrarg. cyanat. bis zum Verschwinden des Wasser¬ 
mann, obwohl damit kein sicherer Beweis für Heilung geliefert sei. Die 
beiden Autoren sind mit ihren Resultaten zufrieden. 

Es klingt gewiß höchst unmodern und ketzerisch: aber bei all den 
neuen, als dernier cri empfohlenen therapeutischen Methoden, welche allen 
Individuen mit ihren so verschiedenen Konstitutionen und verschiedenen Er¬ 
lebnissen in gleicher Weise Heilung bringen sollen, kommt mir dieser Satz 
von J. Cr u veil hi er aus seinem cours d’etudes anatomiques I. 1830 pag. 
26 nicht aus dem Sinn: „Sans anatomie et physiologie, la medecine roulera 
sans cesse dans le meme cercle d’erreurs, de solidisme, de mecanisme, 
de chimisme, de vitalisme; eile sera la proie du premier novateuer homme 
d’esprit, qui voudra bien s’en emparer, alternativement öchauffante, rafrai- 
chissante, evacuante, antiphlogistique, controstimulante, et assujettie ä tous 
les caprices de la mode.“ Buttersack-Berlin. 

Sarvonat und Uoubier (Lyon), Zur Wirkung der Oxalsäure. (Province 
möd. 23. 11. 1911, u. Areh. de med. exper. Tome XXIII, S. 584, 1911.) 

Bei akuten wie chronischen Oxalsäurevergiftungen stehen bekannter¬ 
maßen nervöse Störungen im Vordergrund: Kollaps, Zittern, Lähmungen, 
Koma, Polyneuritis. Demgemäß haben toxikologische Studien ergeben, daß 
dieses Gift mit besonderer Stärke ans Nervensystem gebunden wird. Außer¬ 
dem wirkt aber die Oxalsäure auch Kalk entziehend; und wenn das fürs 
knöcherne Gerüst vielleicht ohne besondere Bedeutung sein mag, so stört 
der Ca-Verlust das Spiel der weichen und flüssigen Gewebe in hohem 
Grade, insbesondere die Blutgerinnung, die Wirkung der Verdauungssäfte, 
die kontraktilen und die nervösen Funktionen. Wenn chronische Enteriti¬ 
den das Gesamtgefüge des Organismus erschüttern und allgemeine Mattigkeit 
usw. nach sich ziehen, so beruht das auf der gleichen Ursache, der ent¬ 
kalkenden Wirkung der Diarrhöen. Buttersack-Berlin. 

Dultjunskaja, Phosgen als Desinfektionsmittel. (Wratschobnaja Gaseta 
1911, 29.) 

Phosgen dringt in die kleinen Spalten ein und schon geringe Kon¬ 
zentrationen des Phosgengehaltes der Luft (0,5 ®o—1 °o) wirken tödlich auf 


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Ratten und vegetative Formen von Bakterien. Auf Nahrungsmittel wirkt 
Phosgen nicht ein. Sein Geruch läßt sich in wenigen Minuten durch Am¬ 
moniak vertreiben. Zu den Nachteilen gehören der verhältnismäßig hohe 
Preis, ferner aber der schädliche Einfluß des Phosgens auf polierte me¬ 
tallische Flächen. Schleß-Marienbad. 

Rosenfeld (Stuttgart), über Glykoheptonsäurelakton. (Deutsche med. 
Wochenschr., Nr. 47, 1911.) 

Iiosenfeld teilt einige Fälle von Diabetes mit, in denen er Versuche 
mit dem Lakton der Glykoheptonsäure angestellt hat. Er hat gefunden, 
daß dieses ein gutes Abwechselungsmittel mit Saccharin darstellt. Es darf 
nicht in großen Dosen gegeben werden. Die Zuckerausscheidung wird da¬ 
durch eher herabgesetzt, wie gesteigert. Bei Anwendung größerer Dosen 
hat er Durchfälle beobachtet. Ein abschließendes Urteil vermag er bei 
der geringen Zahl der Untersuchungen nicht abzugeben. Fr. Walther. 

Görges (Berlin-Oberschönweide) über ('hokolin, eine abführende Schoko¬ 
lade. (Deutsche med. VVochensclir., Nr. 52, 1911.) 

Chokolin, eine Kombination von Kakaopulver mit Manna cannelata unter 
Zusatz von 0,5 »o Phenolphthalein hat Görges in 16 Fällen von Obstipation 
angewandt. Er ließ gewöhnlich vor dem Schlafengehen 3—4 Teelöffel in 
einem halben oder ganzen Glas Wasser nehmen, das heiß sein muß. Der 
Erfolg trat am anderen Morgen ein. Die Ausleerung erfolgte nur einmal, aber 
ergiebig und war dabei schmerzlos. Selbstredend hat er auch verschiedene 
Mißerfolge zu verzeichnen. Fr. Walther. 

Pron (Alger), l’n Zuverlässigkeit der Tropfflaschen. (Bullet, möd. Nr. 90, 
S. 1001, 19 1.) 

Fron hat die üblichen Tropfflaschen auf ihre Zuverlässigkeit geprüft, 
indem er verglich, wie viele Tropfen aus ihnen und aus geaichten Tropfen¬ 
zählern auf 1 g gehen. Dabei stellte sich heraus, daß die Tropfen aus den 
Tropfflaschen unverhältnismäßig zu groß sind; es entsprechen z. B. bei 
95 "o Alkohol 42 Tropfen aus Tropfflaschen = 64 aus Tropfenzählern, 
bei Liq. arsenic. gestalten sich die Verhältnisse wie 24: 34. 

Man läuft also bei stark wirkenden Substanzen Gefahr, aus den Tropf¬ 
flaschen zu viel zu verabfolgen, und tut deshalb besser daran, solche Lösungen 
in gewöhnlichen Flaschen zu verschreiben und einen Tropfenzähler beigeben 
zu lassen. Buttersack-Berlin. 

Crouzel, Ed. (La Röole), Zur Salicyl-Thcrapie. (Tribüne med.. 45. Jalug., 
Nr. 9, S. 397, 1911.) 

Nicht jeder Magen verträgt Salizylsäure in großen Mengen; deshalb 
empfiehlt Crouzel rektale Injektionen folgender Lösung: Natr. salicyl. 16, 
Gummi arab. 4, Milch ad 120. Diese Lösung reize die Rektalschleimhaut 
nicht, man könne beliebig davon injizieren. Ein Eßlöffel —2g Natr. 
salicyl. Buttersack-Berlin. 

Zur Aspirin-Therapie in der Praxis. 

Die bekannte Firma v. Heyden macht darauf aufmerksam, daß es im 
Handel Azetylsalizylsäure-Tabletten gebe, welche nicht ordentlich zerfallen 
und nicht das volle Gewicht haben. Ungenügende Wirkung ist dann nicht 
zu verwundern und wahrscheinlich den meisten Praktikern bekannt. Die 
chemische Fabrik bringt deshalb ihre Originalröhrchen mit ihren Azetyl¬ 
salizylsäure-Tabletten „Heyden“ in Erinnerung. Wir Arzte werden daraus 
die Mahnung entnehmen, in diesen und in ähnlichen Fällen nicht bloß ein 
chemisches Präparat zu verschreiben, sondern uns auch von seinen Eigen¬ 
schaften so gut als möglich zu überzeugen. Buttersack-Merlin. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Therapie 

B£la Alexander (Budapest), Über Nierenbilder. (Arcli. für phvsikal. 
Medizin und medizin. Technik. VI. Bd., Heft 2, b. 99—-117. Leipzig, O. Nein- 
nicli, 1911.) 

Es besteht ein bemerkenswerter Gegensatz zwischen der Eindringlich¬ 
keit, mit welcher im allgemeinen von den Ärzten Herz und Lungen unter- 


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sucht werden, und den schnellen Eiweiß- und Zuckerreaktionen, aus welchen 
auf die Nieren geschlassen wird. Bei genauerem Überlegen kommt man zu 
der Erkenntnis, daß die Errungenschaften der Physiologie bezüglich der 
Abdominalorgane klinisch noch lange nicht genug verwertet werden. Zum 
Teil trägt ihre schwere Zugänglichkeit die Schuld daran, die Perkussion ist 
unsicher und die Palpation wird nur von wenigen systematisch geübt. Dem 
helfen in glücklicher Weise die Röntgenstrahlen ab. Nierenphotographien 
sind allerdings schwer anzufertigen und noch schwieriger zu deuten. Um 
so dankenswerter sind die Mitteilungen von Alexander über klinisch 
interessante Fälle und eine Serie höchst instruktiver Zeichnungen. Der 
Leser wird, ebenso wie der Ref., erneut zu der Erkenntnis kommen, daß 
nicht wenige dunkle Bauchfälle ihre Aufklärung finden würden, wenn man 
ihnen röntgenographisch zu Leibe ginge. Ist dies naturgemäß auch nur 
wenigen möglich, so wird sich doch im Laufe der Zeit der diagnostische 
Blick schärfen und vielleicht kommt man auf diesem schwierigen Umweg später 
einmal zu einer einfacheren Nierendiagnostik. 

Der berühmte Maler Sir Joshua Reynolds hat in seinen akademi¬ 
schen Reden einmal gesagt: „Ein kurzer, von einem Maler geschriebener 
Aufsatz trägt mehr dazu bei, die Theorie unserer Kunst zu fördern, als 
1000 solche Bände, wie wir sie manchmal sehen und deren Zweck eher 
zu sein scheint, des Verfassers eigene ausgeklügelte Auffassung einer un¬ 
möglichen Praxis auszukramen, als nützliche Kenntnisse oder Belehrung 
zu verbreiten.“ An Alexanders Aufsatz hätte Sir Reynolds seine 
Freude gehabt. Buttersack-Berlin. 

Dove (Friedenau). Nene Gesichtspunkte für winterliche Kuren an der See. 

(Zeitsehr. für Balneologie usw., 15. 12. 1911.) 

Der Luftwärme ist bei der Beurteilung winterlicher Seekuren nur eine 
geringe Bedeutung beizumessen. Die höchste Bedeutung besitzt der Wind. 
Die Entwärmung unsres Körpers bezw. die durch den Wärmeverlust bewirkte 
Reizung — die bedingt werden durch den Gegensatz der Haut- und Luft¬ 
temperatur einerseits, durch die Stärke der Luftbewegung andrerseits — sind 
es, die die verschiedensten Organe, selbst bei körperlicher Ruhe, zur leb¬ 
haften Tätigkeit anregen. Deswegen ist gerade der Winter besonders für 
die Anregung würksam. 

Da nun der Gegensatz der Temperatur des Körpers zu der der Luft 
im deutschen Binnenlande, zumal in seinen östlichen Gegenden, noch stärker 
als an der Küste ist, bleibt für die Erklärung der günstigen Wirkung der 
Winterkuren an der See vor allem der Seewind übrig. Und gerade auf die 
Richtung des Windes vom Meere her, also auf das Herrschen des Seewin¬ 
des muß dabei der Ton gelegt werden. Denn allein dieser Wind führt 
ungewöhnlich reine Luft, und bringt so gut wie nie Erkältungen mit sich 
— siehe die Erfahrungen der Polarreisenden usw. 

Krebs-Falkenstein. 

E.lel (Wyk auf Föhr), Die Grenzen und die Erfolge der Winterkuren an 
der Nordsee. (Zoitschr. für Balneologie usw., 15. Dezember 1911.) 

Der Aufsatz enthält folgende Schlußsätze: 

1. Einer allgemeinen Einführung der Winterkuren an der Nordsee 
stehen entgegen: 

a) Einförmigkeit des Lebens; 

b) Unmöglichkeit des Wintersports; 

c) Länge der Abende (w*o anders in Deutschland sind sie doch auch 
nicht kürzer, d. Ref.). 

2. Kinder werden durch diese Umstände in keiner Weise berührt, 
w’eshalb für die Winterkuren hauptsächlich Kinder in Frage kom¬ 
men. Erwachsene nur mit großer Auswahl. 

3. Winterkuren sind Dauerkuren, alle Krankheiten, die eine Dauer¬ 
kur an der Nordsee verlangen, geben Indikationen für Winterkuren 
ab; so Asthma bronchiale, allgemeine Nervosität, chronischer Bron¬ 
chialkatarrh, Knochentuberkulose usw. 



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4. Ein Hauptgebiet für die Winterkuren an der Nordsee ist die Bron¬ 
chialdrüsentuberkulose der Kinder. Krebs-Falkenstein. 

Nicolas (Westerland), Winterkuren in Westerland-Sylt. (Zeitschr. für 
Balneologie usw , 15. Dez. 1911.) 

Die Herbstzeit — vom September bis Dezember — ist besonders wirk¬ 
sam für einen Aufenthalt an der Nordsee, eine Zeit, in der fast dieselben 
Temperaturen an ihr herrschen als an der Riviera. Ferner wehen dann 
meist West- und Nordwinde — also reine —, im wahrsten Sinne des Worts 
— Seewinde. Man möge sich deswegen überlegen, ob es auf jeden Fall 
richtig ist, Patienten nach dem Süden zu schicken, die späterhin nicht im 
weichlichen Süden, sondern in Deutschland arbeiten und leben müssen. Für 
sie ist Abhärtung und Erfrischung in heimischen Klimaten sicher oft von 
größerem Heilwert. Krebs-Falkenstein. 

F.ngel, H. (Heluan), Ägypten und seine Indikationen. (Zeitschr. f. physikal. 
u. diätet Therapie, Bd. 15, H. 11, S. 655—661, 1911.) 

Für manchen Praktiker, der nicht jede Schwingung der modernen 
Therapie, insbesondere der Klimatotherapie mitmachen kann, wird dieses 
Resume des erfahrenen Engel von Wert sein: „Jeder, der aus chronischen 
Krankheitsgründen dem europäischen Winter und seinen Schädlichkeiten aus 
dem Weg gehen soll oder will, paßt nach Ägypten, sobald sein Leiden 
nicht zu vorgeschritten, sein allgemeiner Ernährungs- und Kräftezustand ein 
günstiger und seine Verdauungsorgane funktionstüchtig sind.“ 

Buttersack-Berlin. 

Gudzent, F., Gehalt des Blutes an Radiumemauatlon bei verschiedenen An- 
wendiingsforiiien. (Monatsschr. f. biologisch-therapeutische Forschung: Radium 
in Biologie u. Heilkunde. N. 3, 1911.) 

In den Lettres chinoises, indiennes et tartares von Voltaire findet 
sich der Satz: „La vue d’une bibliotheque me fait tomber en syncope.“ 
Ähnlich kann es einem heutzutage vor den immer neusprossenden Zeitschrif¬ 
ten ergehen. Es war ja nur eine Frage der Zeit, daß auch dem Radium ein 
eigenes Organ gewidmet würde; nun ist es mit 60 Mitarbeitern in die Er¬ 
scheinung getreten. Dr. G u d z e n t und Geheimrat M a r k w a 1 d wollen 
als Herausgeber den Strom der künftigen Beobachtungen und Entdeckungen 
im Bette ihrer Monatsschrift regulieren. 

In dem vorliegenden Aufsatz vertritt G u d z e n t unter Anführung von 
vielen Versuchen an Kaninchen und Menschen den Satz, daß es für thera¬ 
peutische Zwecke nicht nur darauf ankomme, die Radium-Emanation in den 
Organismus hineinzubringen, sondern auch möglichst lange darin zu halten. 
Während die vom Darm und durch Injektionen inkorporierte Emanation 
schnell wieder ausgeschieden wird, kann man bei der Einatmung im ge¬ 
schlossenen Raum eine gewisse Anreicherung der Emanationsmenge im Blut 
beobachten, so daß hiernach diese Applikationsmethode als rationellste er¬ 
scheint. Das ist nebenbei auch für den Patienten angenehmer; denn im 
allgemeinen läßt sich der gewöhnliche Mensch lieber zu Inhalationen als zu 
Injektionen herbei. Buttersack-Berlin. 

Dominici, H. und Charon. H. (Paris), Radium bei tiefliegenden tuber¬ 
kulösen Herden. (Paris m6d, Nr. 49, S. 502—504, 1911.) 

Die beiden Experimentatoren haben kleine Metalltuben mit je 0,005 
bis 0,1 g Radiumsulfat teils in fungöses Gewebe, teils in Fistelgänge, teils 
in Abszeßhöhlen tuberkulöser Natur hineingeschoben und 24 Stunden liegen 
lassen. Die Resultate waren ungleich; bald trat nach einer einmaligen 
Applikation Heilung ein, bald erst nach mehrmaliger, bald überhaupt nicht. 

Der Chronist registriert solche Dinge, der Kliniker legt sie zu den Akten. 

Buttersack-Berlin. 


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BQcherbchau. 


Allgemeines. 

Levasseur (Paris , Bewegung der Französischen Bevölkerung. (Gazette 
nn'd. de Paris, Nr. 117, 25. Oktober 1911.) 

Das Journal officiel brachte im Herbst eine allgemeine Übersicht über 
die Bewegung der Bevölkerung Frankreichs im Jahre 1910. Darnach betrug 
der Geburtenüberschuß 70 581. Allein die Freude daran wird getrübt durch 
die Erkenntnis, daß dieses Resultat nicht aus einer Zunahme der Geburten, 
sondern aus einer Abnahme der Sterblichkeit folgt. Die Mortalität von 
703 777 ist die kleinste bis jetzt registrierte. Dagegen hat sich die Natali- 
tät nicht wesentlich geändert gegen das bis jetzt unfruchtbarste Jahr 1909. 
(774 358 im Jahre 1910, 769 969 1909.) Manche Departements, wie vor 
allem Saöne-et-Loire sind noch hinter 1909 zurückgeblieben, nur Meurthe- 
et-Mosellc hat wegen der schnell wachsenden Kohlenindustrie einen Zuwachs 
zu verzeichnen. Die Departements Pas-de-Calais, Finistöre und Morbihan 
liefern nach wie vor am meisten Menschen. 

Zum Vergleich sei noch angeführt, daß 1909 Deutschland 884 055, 
Österreich-Ungarn 544 602, England 396 469 und Italien 376 763 Geburten 
hatten. Buttersack-Berlin. 

Verminderung der Xatalität In England. (Gaz. m6d. de Paris, Nr. 115, 
1911.) 

ln den letzten 30 Jahren betrug die Geburtenzahl in England 35,4 auf 
1000 Einwohner, seit 1907 ist sie aber auf 26,6 heruntergegangen. Der 
Rückgang der Bevölkerung ist also kein ausschließliches Vorrecht der 
Franzosen. Buttersack-Berlin. 


Bücherschau. 


Jubiläums-Katalog von Ferdinand Enke 1837—1911. 

Wenn irgendwo ein altes Schloß steht, dann strömt alle Welt dahin 
und betrachtet es mit interessierten Blicken. Aber von den großen Ver¬ 
lagsanstalten weiß man im allgemeinen nicht viel. Und doch sind sie die 
festen Plätze, unter deren Dache sich unsere Literatur entwickelte. Gerade 
wir Mediziner müssen ihnen dankbar sein; denn der materielle Nutzen aus 
ärztlichen Publikationen pflegt im allgemeinen nicht allzugroß zu sein. Der 
ideale Sinn großzügiger Verleger war es, der manchem Talent und manchem 
Genie die Wege geebnet hat. 

75 Jahre sind nicht eben eine lange Zeit; aber die letzten 75 Jahr» 
umfassen gerade die Zeit des Aufschwungs der Medizin und der Naturwissen¬ 
schaften und sind darum für uns ganz besonders bedeutungsvoll. Welche 
Fülle von Erinnerungen wird lebendig, wenn wir in dem Jubiläumskatalog auf 
den genialen Oppolzer, auf den idealen Griesinger, auf Bam- 
berger, Billroth, Niemayer, Nußbaum, Bärensprung, 
Volkmann, Tröltsch, Port stoßen! Die Morgenluft umweht uns 
jener Zeit, in welcher kühne Geister hinauszogen, um die Medizin für die 
Naturwissenschaften zu erobern, in welcher neue Ausblicke, neue Ent¬ 
deckungen sich im Fluge drängten. Viele von uns haben jene Heroen noch 
persönlich gekannt und unter ihrem Zauber gestanden; den Nachgeborenen 
aber vermitteln ihre Schriften die Bekanntschaft und die Freundschaft. 

überreich ist die Saat aufgegangen, welche jene ausgesät. Müde und 
fast erschöpft fuhren die letzten beiden Jahrzehnte der Garben schwere 
Menge in die Scheunen. Der Tag neigt sich zu Ende, ein neuer Morgen 
bricht an, neue Ideen wollen dem Boden anvertraut sein, um eine neue 
Ernte zu gewähren. Möge es in der neuen Periode nicht an genialen 
Säern fehlen, aber auch nicht an Verlegern, welche — Ferdinand Enke 
gleich — ihnen Heimat und Unterkunft gewähren. Buttersack-Berlin. 


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Büchersi'liau. 


223 


Hoche, A. (Freiburg i. B.), Geisteskrankheit und Kultur. (Freiburg u. 
Leipzig, Speyer u. Karner, 1910, 38 Seiten.) 

Mit dem vorliegenden Heft hat H o c h e geradezu ein Muster für 
akademische Reden geliefert: einen ganzen Strauß von Anregungen, zusam¬ 
mengehalten durch ein gemeinsames Band; und dieses Band ist ein frischer 
Optimismus. H o c h e hält unsere Zeitgenossen nicht für dekadent, nicht für 
entnervt, nicht für geisteskrank. Den Vers aus der Tragödie Oeneus des 
Euripides würde er ablehnen: „Tot sind die Guten, und die noch leben, 
taugen nichts.“ Zwar, daß die Zahl der Selbstmorde und der Insassen der 
Irrenanstalt usw. zunimmt, stellt er nicht in Abrede. Allein er vermutet, 
daß bei 4 Geisteskranken auf je 1000 Einwohner der Beharrungszustand 
eintreten werde, und sieht in der großen Aufnahmezahl in die Irrenan¬ 
stalten lieber ein Zeichen von Hebung des kulturellen Niveaus, d. h. ein 
Symptom des Schwindens alter Vorurteile gegen diese Institutionen. Sein 
'Optimismus gründet sich z. T. darauf, daß die beiden wichtigsten ätiologischen 
Faktoren der Psychosen, Alkohol und Syphilis im Laufe der Zeit durch 
bessere Gesetzgebung und Hygiene zurückgedrängt würden, daß in abseh¬ 
barer Zeit die Syphilis ihre Hauptrolle nur noch in der Geschichte der 
Medizin spielen wird, wie ja überhaupt alle Infektionskrankheiten die Mensch¬ 
heit einmal nur noch in der vorwiegend historischen Art interessieren werden, 
wie uns heute etwa die Pest interessiert (S. 32 u. 19/20). 

Er leugnet nicht, daß allerlei Psychosen in den verschiedenen Gesell¬ 
schaftsschichten grassieren; allein er tröstet uns mit dem Hinweis auf 
'früher: da sei es ebenso gewesen. Man treffe in alten und in neuen 
Formen, je nach der Epoche, psychische Epidemien zu allen Zeiten und an 
allen Orten und könne deshalb nicht schließen, daß wir im ganzen geistig 
weniger gesund seien, als die Menschen früherer Jahrhunderte (aber leider 
auch nicht geistig gesünder! Ref.). 

Vollauf beistimmen wird jeder dem berühmten Kliniker, wenn er einen 
verhängnisvollen Faktor der körperlichen und geistigen Degeneration in 
der übertriebenen Humanität, im Humanitätsdusel, erblickt. Bei Licht be¬ 
trachtet ist das nichts als das künstliche Aufzüchten lebensunfähiger Ele¬ 
mente. Es gibt kaum einen größeren Irrtum, kaum eine größere Unge¬ 
rechtigkeit als die These von der Gleichheit der Menschen, und wenn man 
erst wieder so weit ist, Lebensfähiges als Lebensfähiges zu erkennen und 
Lebensunfähiges auszumerzen, dann scheint mir ein erheblicher Fortschritt 
gemacht zu sein. Aber freilich Voltaire hat Recht: „Zur Weisheit macht 
die Welt langsame Schritte nur und vor Rückfällen ist man nie sicher. 
Denn leider sind die gleichen Torheiten bestimmt, von Zeit zu Zeit auf der 
Weltbühne wiederzukehren.“ Buttersack-Berlin. 

ßlessing, Georg (Tübingen), Zur Bakteriologie und untibaktericllcn Therapie 
der Pyorrhoea alveolaris. (Loipzig 1911, Verlag der Dyk’schen Buchh. (H. 6 der 
Pfaif’schen Saraml. von Vorträgen aus dem Gebiete der Zahnheilkunde) 36 S. 

Vorliegende Schrift bildet, auf experimenteller Grundlage, die Fortsetzung 
einer vom Verfasser bereits früher an gleicher Stelle über dasselbe Thema 
veröffentlichten Abhandlung; aber während er sich dort vor allem mit 
statistischen und kritischen Abhandlungen befaßt, bespricht er hier mehr 
die antibakterielle Therapie dieser Erkrankung, wobei sich aus den tabellari¬ 
schen Zusammenstellungen ergibt, daß vornehmlich H ä 0 2 2 p/ 0f Chlorphenol 
30 o/o, Chinosol 5 o/o und Protargol 1 p/ 0 sehr wohl geeignet erscheinen, die 
Pyorrhoe-Eiterbakterien zu vernichten. Werner Wolff-Leipzig. 


Ärztliche Technik. 

Ein neues Präzisions-Gärungs-Saerhnrimcter für die Harn-Analyse von Dr. 
E. Weidenkaff. 

Verfasser hatte Gelegenheit vor mehreren Jahren (1908) in einer Reihe von Fach¬ 
zeitschriften, unter anderem auch in „Fortschritte der Medizin“ ein von ihm 1907 kon¬ 
struiertes Gärung8-Saccharimeter zu beschreiben, mit Hilfe dessen man auf 1 / 10 °/ 0 genau 
bis zu l°/ 0 Traubenzucker, bei nach gegebener Vorschrift vorgenommener Verdünnung 


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Bücherschall. 


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der zu untersuchenden Flüssigkeit bis zu 10°/ 0 Traubenzucker ermitteln konnte. Dieses 
Saccharimeter liat sich, da bei der Fabrikation stets Gewicht auf Präzisionsarbeit gelegt 
wurde, gut eingeführt, wie der starke Absatz und eine Anzahl, das genaue Arbeiten des 
Saccharimeters anerkennende Gutachten beweisen. 

Schon 1009 liess sich Verfasser dann vom Patentamt wieder ein neues Gärungs- 
Saccharimeter schützen, dessen Konstruktion von ihm gründlich erprobt, mit noch 
einigen Verbesserungen versehen und vor kurzem in den Verkehr gebracht wurde. 

Nachstehend eine Beschreibung dieses Instrumentes. 

Das Saccharimeter besteht aus einem z weisehon kl ichen Glasgefäss, dessen einer 
Schenkel birnenförmig gestaltet und mittels Glasstopfens verschliessbar ist, während 
der andere eine sich nacli oben erweiternde, mit einem Ventil abschliessende, zylindrische 
Röhre darstellt, auf der eine Prozentskala oiugeätzt ist, deren einzelne Markierungen 
V 20 hezw. VnVn angehen und die bis 10 °/ 0 reicht. Ein vernickelter, mit Blei aus¬ 
gegossener Metallfuss trägt den Glasapparat. Dem Instrument sind beigegeben, eine 
Metallklammer zum Festhalten des Stopfens, eine geaichte Pipette zum Abmessen der 
zu untersuchenden Flüssigkeiten, wie Harn, Most usw., eine Flasche mit dem erforder¬ 
lichen Quecksilber, eine Dose Hahnfett zum Einfetten des Glasstopfens. 20 Analysen¬ 
gläschen zur Aufnahme der Untersuchungsflüssigkeit. Anstatt der Pipette kann eiDe 
sehr genau abmessende, ganz aus Glas in Foinschliff hergestellte Spritze geliefert werden. 

Die hauptsächlichsten Vorzüge dieses Saccharimeters gegenüber dem gleichen 
Zweck dienenden Instrumenten sind folgende: 

1. Der solide abnehmbare Metallfuss erhöht de Stabilität des Apparates. 

2. Die auf Traubenzucker zu untersuchende Flüssigkeit, Urin usw. kommt mit 
dem Qucckwilbei nicht in Berührung, die schwierige Reinigung dos Quecksilbers fällt 
deshalb fort. 

3. Auch die Reinigung des Analysengläschens erübrigt sich, da diese jedem Apparat 
in grösserer Anzahl beigegeben werden. 

4. Die Skala mit Angabe der Prozente an Traubenzucker befindet sich auf dem 
längeren Schenkel eingeätzt. Irrtiimer, wie sie durch das Verwechseln abnehmbarer 
Skalen unvermeidlich sind, sind avisgeschlossen. 

5. Beim versehentlichen Umstosson des gefüllten und verschlossenen Saccharimeters 
ist Quecksilberverlust infolgo des Ventilverschlusses des Skalenschenkels nicht möglich. 

6. Die Menge des Quecksilbers ist für jeden Apparat die gleiche, nämlich 150 g, 
so dass bei emem durch irgend einen Zutall entstandenen Verlust, die Ergänzung ohne 
Schwierigkeit von jedermann, der im Besitze einer genauen Wage ist, vorgenommen 
werden kann. 

Aus der jedem Apparat beigegebenen, sehr ausführlich gehaltenen Gebrauchs¬ 
anweisung seien kurz die hauptsächlichsten .Manipulationen ausgeführt. Zum erstmaligen 
Gebrauche wird die beigegebene Menge Quecksilber in den Apparat eingefüllt, in dem es 
dann ständig verbleibt. Dann gibt man in oines der Analysenröhrchen 3 / t Linse gross 
frische Presshefe oder eine kleine Federmesserspitze voll Saccharimeterhefe, (eine vom 
Verfasser dieses hergestellte Dauerhefe von guter Gärkraft) und fügt mittels Pipette 
oder Spritze V t ccm Urin hinzu. Durch kräftiges Schütteln vermischt man die Hefe 
mit dem Harn, wobei man die Oeffnung des Röhrchens mit dem Daumen verschlossen 
hält. Sobald eine gleichmässige Verteilung der Hefo eingetreten ist, entfernt man den 
Daumen allmählich von der Oeffnung des Analysonröhrchens, dabei die von der Flüssig¬ 
keit benetzte Stelle am Rande des Glasröbrchens abstreifend. Bei einiger Uebung gelingt 
das in vollkommener Weise. Man schiebt nun das Röhrchen in die im Glasstopfen be¬ 
festigte Metallklammer und bringt den Stopfen unter drehender Bewegung und leichten 
Dnvck in den Hals des bimenförmigen Gefässes, dabei beachtend, dass der oberste Teil 
der Rinne auf der Stopfenwandung sieh mit einer Durchbohrung im Halse des bimen¬ 
förmigen Gefässes deckt. Hierdurch erreicht man. — da die im Saccharimeter einge¬ 
schlossene Luft mit der Aussenluft kommunizieren kann, — dass sich das Quecksilber 
auf den Nullpunkt im Skalenschenkel einstellt. Ist das geschehen, verschliesst man den 
Apparat luftdicht durch eine halbe Drehung des Stopfens und durch Aufschieben der 
Metallklammer. Man überlässt nun den beschickten Saccharimeter in einem geheizten 
Raum sich selbst oder stellt ihn in einen Bnitschrank, dessen Temperatur man auf ca. 
35—40° C reguliert. In letzterem Falle ist die Gärung vielfach schon nach einigen Stunden 
beendigt. 

Ucber die Erkennung der Beendigung der Gärung, sowie über die Ablesung des 
Prozentgehaltcs an Traubenzucker geben die den Apparaten beigefügten Gebrauchs¬ 
anweisungen genaue Anleitung, auf die Raummangels wegen, an dieser Stelle nicht ein¬ 
gegangen werden soll. 

Die Saccharimeter können durch Geschäfte der einschlägigen Branche, sowie auch 
direkt von Dr. E. Weidenkaff, München, W. 39 bezogen werden. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30- Jahrgang 


1912 


Tortscbrim der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herauggegeben Ton 

Prof. Dr. 0. Köster Prlo.-Doz. Dr. v. Erlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadt, Grüner Weg S6. 


Nr. 8. 


€r»4»eint w8<bentlld> jum Preise von I (narb für bas 
Balbjabr. 

CarlM&rhold Verlagsbuchhandlung, Halle a.S. 
Alleinige Ineeratenannabme öur* (Dok Oelsborf, 
Annoncen-Bureau, CberswalOe bei Berlin. 


22. Febr. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Ärztliche Heilige in der Bretagne. 

Von Oberstabsarzt IJuttersack. 

lieber die Frage, wie weit sich die Wurzeln unserer heutigen Ver¬ 
hältnisse zurüekerstreeken, denken zumeist nur wenige nach. Vielleicht 
erkennt man in dem und jenem noch den Geist des Grossvaters oder 
Urgrossvaters, aber was noch früher gelebt hat, gilt wohl den meisten 
für gänzlich ausgelöscht; jene Welt scheint in dem Strom der Lethe 
versunken zu sein. Und doch ist nichts irriger als diese Meinung. Die 
dahingegangenen Generationen drücken uns nicht bloss ihren körper¬ 
lichen, sondern auch ihren geistigen Stempel auf. Sie beeinflussen unser 
Denken ungleich nachhaltiger als die Zeitgenossen; ja während man über 
die Bedeutung dieser diskutiert, üben jene ohne Diskussion ganz im 
stillen ihre Herrschaft über die Gemüter aus. Sie sind die wahren Führer 
eines Volkes, und wir geniessen ebenso sehr die Früchte ihres Fleisses, 
wie wir für ihre Fehler büssen (L e B o n). Wie unzulänglich erscheinen 
in solcher Beleuchtung die Versuche der Psychologen, das menschliche 
Seelenleben zu ergründen, jenes zarte Gewebe, dessen Fäden sich in 
unbestimmbare Zeiten verlieren! 

Manche halten sich schon dann für Geschichtsphilosophen, 
wenn sie die französische Revolution als den Effekt Ludwigs XIV,, 
oder wenn sie 1870/71 als die Fortsetzung von 1812/13 erkannt 
haben. Aber was wollen 100 Jahre in der Geschichte bedeuten 1 
Schon etwas grösser wird die Spanne, wenn wir uns daran er¬ 
innern, dass genau genommen unsere ganze Kultur auf jener der 
Griechen und Römer basiert. Ohne sie Ideiben uns Schiller und 
Goethe fremd, und wer das deutsche Vaterland durchstreift hat, 
wird gefühlt haben, dass nicht die Mainlinie Germanien trennt, sondern 
der Limes. Die Verschiedenheit des Kulturbodens hüben und drüben 
wird auch weniger scharfen Beobachtern klar. 

Aber noch weiter zurück lassen sich manche Fäden verfolgen. 
Wenn wir die Haare teurer Toter bei uns tragen, so erinnert das an 
den primitiven Zustand, wie ihn heute noch etwa der Angola-Neger 
repräsentiert, der dein in der Ferne Gestorbenen Haare und Nägel 
abschneidet, um sie unter dem heimatlichen Grabmal beizusetzen. 
Um seiner Erscheinung etwas Furchtbares, mehr Nachdruck zu 

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Buttersack, Ärztliche Heilige in der Bretagne. 


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geben, logt sich der Botokude einen Lippenpflock bei, der Papua 
baut sich eine Turmfrisur — unsere Urgrossväter und -Mütter trugen 
Allongeperücken, künstliche Zöpfe und Schönheit»- pflästerchen; und 
Wundt hat gewiss nicht Unrecht, wenn er das Geschmeide des 
Weibes und die Orden des Mannes als letzten Rest des altheiligen 
Amuletts auffasst (Völkerpsychologie II. 2. S. 207). 

Im rasenden Getriebe der Grossstadt freilich verschwinden solche 
Anklänge an die graue Vorzeit schnell; um so hartnäckiger erhalten 
sie sich dafür auf dem Lande, namentlich in abseits gelegenen Gegenden. 
Die Märchen wohnen mit Vorliebe in Spinnstuben, und alte Sitten und 
Gebräuche halten sich in Gebirgstälern mit besonderer Zähigkeit. 
So entdeckte Guiart hei seinen Ferienstreifzügen in der Bretagne, 
in dem kleinen Ort Monteontour, eine Reihe von Heiligen, die sich mit 
der Heilung von allerhand menschlichen Gebrechen abgeben. Aber 
sie machen es wie unsere dermaligen bedeutenden Aerzte: jeder hat 
seine Spezialität, und ihre Hilfe ist nur unter festen, mitunter schwie¬ 
rigen Förmlichkeiten zu erlangen. So betätigt sich Saint Hubert gegen 
die Hundswut. Aber er ist nicht der einzige in diesem Fach; an andern 
Orten treten Saint Tugen, Saint Roch, Saint Bieuzy und insbesondere 
Saint Gildas an seine Stelle. (Neuerdings beschränkt sich die Tätigkeit 
dieser Heiligen auf die Prophylaxe. Ist jemand gebissen, so zieht er 
die Hilfe eines Antirabies-Instituts vor.) 

St. Mamert, Adrien, Kgat, Gueriole und St. Germain beseitigen 
Bauchschmerzen, wenn man ihnen eine Kerze weiht, deren Länge dem 
Bauchumfang des Patienten gleichkommt. St. Meen, St. Gilles und St. 
Cado entsprechen unseren Psychiatern; der erstere versteht sich daneben 
auch noch auf Abszesse. Bei Angstzuständen empfiehlt es sich, St. 
Houarniaule anzurufen, während Migräne u. dergl. das Eingreifen 
von St. I.ivertin, St. Briac, oder St. Ilernin erforderlich macht. Setzt 
man sich am ersten Sonntag im Mai das Kästchen, in welchem seine 
Gebeine aufbewahrt werden, aufs Haupt, so vergehen auch die schlimm¬ 
sten Kopfschmerzen. Die Hydrotherapie wird von St. Lubin u. a. ge¬ 
pflegt, welche vermittels heiliger Quellen Rheumatismus, Ischias, 
Neuralgien und auch Schmerzen anderer Art zum Verschwinden bringen. 
Es ist üblich, nach erfolgter Heilung der Kapelle eine Nachbildung des 
erkrankt gewesenen Gliedes zu stiften. 

Für Tiermedizin ist Saint Herhot zuständig. Tritt man in sein 
Heiligtum in Huelgoat, so erblickt man einen Altar voll von Kuh- und 
Ochsenschwänzen und Pferdeschweifen, welche fromme Landleute 
ihm darbrachten, damit er ihre Herden behüte. Aus dem Verkauf der 
Rosshaare erzielt die Kirche alljährlich mehrere tausend Franks. 

Es ist kein Kunststück, in den genannten Heiligen christianisierte 
Götter aus der Keltenzeit wiederzuerkennen. Die Kirche war klug 
genug, dem Volke seinen Glauben zu lassen, und begnügte sich damit, 
den alten Heidengöttern ein anderes Mäntelchen uinzuhängen. Sie 
wusste, dass die Bevölkerung der Bretagne lieber ihren sog. christl. 
Glauben als ihren heidnischen Aberglauben aufgeben, und dass sie 
ohne Besinnen ihre uralt heiligen Idole gegen die Lehren des Christen¬ 
tums verteidigen würde. So lässt sie denn die Leute gewähren, und 
raubt den Heiligen nicht ihren Heiligenschein, obwohl sie nicht offiziell 
als solche anerkannt und nicht im Kalender aufgeführt sind. 

Uns Heutigen, soweit wir Naturwissenschaftler du dernier cri sind, 
mutet es sonderbar an, wenn irgendwo in der Welt die Berührung einer 


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Meyer, Die ambulante Behandlung der Larynxtuberkulose. 


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steinernen Bildsäule, das Anziehen eines mit einen bestimmten Quell¬ 
wasser getränkten Hemdes u. dergl. zur Heilung genügen sollen, und 
wir sind versucht zu lächeln, wenn der Heilige gewisserrnassen düpiert 
wird, indem ein anderer statt des bettlägerigen Kranken sich hilfe¬ 
flehend seinem Heiligtum naht, oder wenn ein ausgebliebener Erfolg 
nicht dem Heiligen zur Last gelegt wird, sondern den Menschen, welche 
nicht den richtigen herausgefunden haben. Es ist ja einleuchtend: 
die Genesung muss unweigerlich erfolgen, wenn man sich nur an den 
zuständigen Spezialisten wendet. Das erinnert an eine Szene aus der 
Geschichte des Islam: M u h a m e d gab einmal einem an Durchfällen 
Leidenden Honig zu trinken. Als aber die Durchfälle schlimmer wurden 
und der Kranke sich beklagte, sagte der Prophet: „Gott hat die Wahr¬ 
heit gesagt, aber dein Bauch hat gelogen.“ 

Wer dagegen historisches und entwicklungsgeschichtliches Ver¬ 
ständnis hat, wird mit herzlicher Teilnahme sich in die Innenwelt der 
Bretonen versenken und ihnen Dank wissen, dass sie so treu die Anfänge 
der Saiten festhielten, welche noch heute in unserem eigenen Gefühls¬ 
leben wie in manchen Anschauungen und Sitten unserer Zeit, vielfach 
leise nachklingen. 


Die ambulante Behandlung der Larynxtuberkulose*). 

Von Arthur Meyer, Berlin. 

Soviel die klimatische und Freiluftbehandlung für die Lungen¬ 
tuberkulose leistet, für die Heilung der Kehlkopferkrankung reicht sie 
selten aus. Wir bedürfen für diese einer aktiven Lokaltherapie, die 
mangels spezialistischer Schulung in Sanatorien nicht immer möglich 
ist. Nimmt man noch die wirtschaftlichen Gründe hinzu, welche oft 
der Sanatoriumsbehandlung entgegenstehen, so ist leicht einzusehen, 
dass wir oft Kranke unter den minder günstigen Verhältnissen der 
Grossstadt behandeln müssen. Dem Grenzgebiet-Charakter der Larynx¬ 
tuberkulose entsprechend muss dann die lokal-chirurgische Behand¬ 
lung mit internen Massnahmen, die vornehmlich auf das Lungenleiden 
einwirken sollen, kombiniert werden; das wirksamste Mittel hierzu ist 
das Tuberkulin. Dieses wirkt jedoch nicht nur indirekt (durch 
Beeinflussung der Lunge), sondern auch direkt auf den Kehlkopf, wie 
die sichtbare Lokalreaktion vermuten lässt, und wie einer meiner Fälle 
deutlich beweist: Hier gingen ohne örtliche Behandlung die tuberkulösen 
L’lzerationen in Kehlkopfeingang und Rachen nach Tuberkulinkur 
vollkommen zurück. 

Für die spezifische Therapie wurde K o c h's Alttuberkulin ver¬ 
wendet und zwar beginnend mit 0,01 mg und steigend bis 0,5—1 ccm 
reines Tuberkulin. Die Injektionen wurden anfangs jeden zweiten Tag, 
später jeden dritten, vierten bis sechsten Tag gegeben. Die Dosen 
wurden so gesteigert, dass leichte Temperaturerhebungen um wenige 
Dezigrade als nicht unerwünscht betrachtet wurden, während Steige¬ 
rungen um 0,4" oder mehr Veranlassung gaben, die gleiche Dosis zu 
wiederholen. Dementsprechend wurden die Gaben anfangs jedesmal 
verdoppelt, während mit steigender Menge immer vorsichtiger vorge- 

•) Die Arbeit erscheint ausführlich in der Zeitschr. f. Laryng., Bd. V. 

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Meyer, Die ambulante Behandlung der Larynxtuberkulose. 


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gangen werden muss. Als Enddosis ist 1 eem Tuberkulin an¬ 
zustreben und in 3— -1 Monaten bei günstigem Verlauf erreichbar. — 
ln nur wenigen Fällen zwangen hartnäckig auftretende Reaktionen 
zum Aufgeben der Kur; bei der grossen Mehrzahl hielten sich die All¬ 
gemein- wie Lokalreaktionen in engen Grenzen und überschritten nicht 
die erwünschte Intensität, loh habe auch niemals dauernde un¬ 
günstige Einwirkung gesehen, geringe Gewichtsverluste wurden schnell 
wieder eingeholt, während Andere von vornherein Zunahmen. Bei einer 
Anzahl Patienten schwanden Husten, Auswurf und Rasselgeräusche, 
z. T. dauernd; der Kehlkopf wurde fast stets gleichzeitig lokal be¬ 
handelt. — 

Für die Lokalbehandl u n g ist die Galvanokaustik 
das wirksamste und gleichzeitig der ausgedehntesten Anwendung 
fähige Mittel; man kann flache Ulzerationen damit ätzen und anderer¬ 
seits tiefe Infiltrate zerstören. Ich habe ihre Wirksamkeit, um’ Reak¬ 
tionen zu vermeiden, der Fläche wie der Tiefe nach begrenzt ; es wurde 
nur ein Stimmband, nur die Hinterwand usw. auf einmal in Angriff 
genommen, und es wurden tiefgreifende Läsionen zunächst scharf 
exzidiert, ehe ihr Grund kauterisiert wurde. Dabei wurden weder 
Oedeme noch akute miliare Aussaat beobachtet. — Für flache Geschwüre 
kommt 80—100"/,, Milchsäure zur Anwendung; 2 mal wurde zur Be¬ 
kämpfung der Dysphagie die Epiglottis mit kalter Schlinge amputiert. 

— Die Thyrotomie ist auf nicht hustende Patienten beschränkt und 
leistet kaum mehr als die intralaryngeale Behandlung. 

Wenn etwas erreicht und Schädigung vermieden werden soll, so 
ist die Bedingung hierfür Beachtung der Kontraindikationen. 
Die Tuberkulinkur ist nicht anzuwenden bei 1. ausgedehnter Lungen¬ 
erkrankung (111. Stadium Turba n’s) 2. höherem Fieber, 3. wirt¬ 
schaftlichem Elend. 4. ulzeröser Darmphthise, 5. schwerer Kachexie, 
G. Neigung zu Hämoptoe. Die chirurgische Lokaltherapie wird kontra¬ 
indiziert: a) durch die unter 1—5 angeführten Momente, b) ausgedehnt? 
oder stark progrediente Affektionen im Larynxeingang und Rachen, 
c) akute miliare Prozesse im Kehlkopf, d) ausgedehnte Miterkrankung 
der Trachea. 

Von konservat i‘v e n Massnahmen sind Anästhesie und 
Schweigekur am wirksamsten, und nicht ohne kurativen Effekt, der 
jedoch nur für geringfügige Läsionen zur Heilung ausreicht. Die 
Schweigekur ist übrigens in ihrer strengen Form (mit Flüsterverbot), 

— der einzig rationellen —, nur in Sanatorien anwendbar. 

Vermittelst aktiver Lokaltherapie, mit oder ohne gleichzeitige 
Tuberkulinkur, ist es in 12 Fällen gelungen, den Kehlkopf zur Heilung 
zu bringen. Nicht eingerechnet sind Fälle, die mehr als 3 Jahre zurück¬ 
liegen (wegen mangelnder Aufzeichnungen) und tuberkulöse Tumoren, 
die sich viel gutartiger als andere Formen erweisen. Die Kranken 
blieben sämtlich in ihren häuslichen Verhältnissen, die meisten übten 
ihren Beruf aus. — Die ambulante Durchführbarkeit und Wirksamkeit 
der Tuberkulinkur (bei Beachtung der Kontraindikationen und in 
Kombination mit örtlichen Eingriffen) sollte jeden Arzt, insbesondere 
die Larvngologen veranlassen, sich mit ihr vertraut zu machen. 



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Autoreferate und vorläufige Mitteilungen. 


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Autoreferate und vorläufige 
Mitteilungen. 

Demonstration eines geheilten Falles von Poliomylitis 

haem. super. 

Von 0. Fischer. 

..Wissenschaft 1. Gesellschaft deutscher Aerzte in Böhmen“ in Frag am 29. XI. 1911. 

42. j. Mann ohne Lues und Alkohol, erkrankte akut an einer deliran- 
ten Verwirrtheit mit beinahe vollständiger doppelseitiger Ophthal- 
moplegia ext, und schwerster Astasie und Abasie von zerebellarem Ty¬ 
pus; daneben bestand typische zerebellare Adiadokokinesis. Symptome 
einer Pyramidenbahnläsion fohlten vollkommen. Ausserdem zeigte 
sich eine eigenartige Sprachstörung: die Aussprache der einzelnen Laute 
und Silben war ganz intakt, wenn er aber Worte von mehreren Silben 
aussprechen sollte, wurde die Aussprache verlangsamt und beim Ueber- 
gang der Silben überhastet und undeutlich; es machte dabei den Ein¬ 
druck. dass ihm der Uebergang der einzelnen Mundstellungen die gröss¬ 
ten Schwierigkeiten machte. 

Auch die Schrift war sehr ungeschickt und zwar am meisten, wenn 
Patient klein zu schreiben versuchte. 

Sowohl die Schrift- als auch die Sprachstörung lassen sich als eine 
besondere Art der Adiadokokinesis auffassen. 

Die Ataxie, die Sprach- und Schriftstörung verschwanden ganz 
und von der Motilitätsstörung der Augen verblieben bis jetzt (nach 
7 Monaten) nur leichte Paresen. Autoreferat. 


Ein Fall von basophilem Adenom in der Neurohypophyse. 

Von Karl Nothdurft. 

(Demonstration in der Wissenschaft!. Gesollsch. deutscher Aerzte in Böhmen 

17. XI. II.) 

Nothdurft demonstriert ein basophiles Adenom der Hypo¬ 
physe eines oOjähr. Mannes, das im Gegensatz zu den beiden bisher 
bekannten basophilen Adenomen E r d h e i m s nicht im Vorderlappen, 
sondern in der N e u r o h y p o p h y s e lag, sonst mit ihnen völlig 
iibereinstimmte. Ob der Tumor von einem basophilen Adenom im 
Vorderlappen stammt und dann in der Neurohypophyse weitergewach¬ 
sen ist, oder ob er von den in die Neurohypophyse „eingewanderten“ 
Zellen stammt, bleibt unentschieden. Die Auffassung des Befundes 
als ein besonders mächtiger „Einwanderungsprozess“, d. h. die Nega¬ 
tion seiner Tumornatur wird abgelehnt. Weder am Lebenden noch 
an der Leiche waren Zeichen, die einen Schluss auf die Funktion der 
basophilen Zellen gestattet hätten. Akromegalie und Diabetes mellitus 
waren nicht vorhanden. Autoreferat. 

Waelsch demonstriert in der Sitzung des „Vereins deutscher Ärzte“ 
in Prag, am 10. November 1911, einen 6 jährigen Knaben mit einem aus¬ 
gebreiteten Naevus unius lateris des Gesichtes im Verbreitungsgebiet des 
linken Trigeminus. Der zumeist streifenförmige Naevus ist ein gemischter, 


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Autoreferate und vorläufige Mitteilungen. 


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230 

in dem sich neben papillären, ichtvosiformen, braunen bis tiefschwarzeu 
Streifen solche zeigen, die normales Hautkolorit besitzen und sich aus 
Talgdrüsenhyperplasien zusammensetzen (N. sebaceus). Die Streifen halten 
ziemlich genau die Grenzlinien zwischen II. und III. Trigeminusast, ferner 
zwischen letzterem und den oberen Zervikalnerven ein. Auch die Grenz¬ 
linie zwischen K. ophthalmicus und N. auriculotemporal. N. trigemini ist 
angedeutet. Außerdem findet sich noch ein umschriebener Naevusherd am 
Halse über dem Jugulum in der Medianlinie. Besonders bemerkenswert ist, 
daß sich der Naevus auch an der Schleimhaut der Unterlippe, Wange, des 
weichen Gaumens im Verbreitungsgebiet des Trigeminus lokalisiert 
Der Knabe hat außerdem ein subkonjunktivales Dermoid und einen 
Defekt der Backenzähne an beiden linken Kiefern, im Oberkiefer auch des 
äußeren Schneidezahnes und des Eckzahnes. Das Röntgenbild zeigt, daß die 
Zähne zwar vorhanden, aber nicht durchgebrochen sind. 

Autoreferat. 

Hoke, Edmund (Prag-Franzensbad), Über den Nachweis von Leucoeyien- 
substanzen im leucaemischen Serum. (Vortrag gehalten in der Wissenschaftl. 
Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen am 29. November 1911.) 

Das Serum von Leukämiekranken ist weitaus viel stärker bakterizid 
als andere Menschensera. Diese Eigenschaft des leukämischen Berums muß 
auf die Gegenwart von Leukozytenstoffen bezogen werden, da das 1 . Stunde 
auf 62° erhitzte Serum sich ähnlich so verhält wie das aktive Serum. Als 
Testobjekt wurde der von Weil beschriebene gegen Leukozyten überaus 
empfindliche Kokkus „F“ benützt. Autöreferat. 

Hecht, Hugo (Prag), Eine neue Seroreaktion auf Syphilis (Konglutination 
nach Karvonen). (Vortrag in der Wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Ärzte 
in Böhmen, 3. Nov. 1911.) 

Bei der W. R. bedient man sich eines hämolytischen Systems als Indikator 
für die Komplementbindung. Karvonen verwendet statt dessen ein kon- 
glutinierendes System, bestehend aus Pferdeserum als Komplement Rinder¬ 
serum als Ambozeptor und Meerschweinchenblutkörperchen. Das Prinzip ist 
dasselbe wie bei der W. R. Das zu untersuchende Serum, Antigen, Pferde¬ 
serum werden gemischt und l'/ 2 —2 Stunden bei Zimmertemperatur belassen. 
Dann setzt man Meerschweinchenblutkörperchen hinzu und nach einer Viertel¬ 
stunde und öfterem Umschütteln das Rinderserum. Nun wird das Ganze 
sanft hin- und herbewegt — Vortragender demonstriert einen neuen, ein¬ 
fachen und billigen, mittels Uhrwerkes betriebenen Apparat -- und nach 
ca. 40 Minuten kann das Resultat abgelesen werden. Bei positiver Reaktion 
bleiben die Blutkörperchen in Suspension, bei negativer sinken sie zu dicken 
Klumpen zusammengeballt zu Boden. 

Die Technik ist einfach, die vollzogene Reaktion aber nicht so schön 
und klar wie bei der W. R., wenn auch die Ergebnisse mit dieser so 
ziemlich übereinstimmen. I)a man weder an Zeit noch an Material und Kosten 
erspart, ist diese neue Reaktion wohl kaum dazu berufen, die W. R. zu er¬ 
setzen. Autoreferat. 

Verocay, (Prag), Ein Fall von maligner Hypophysenganggeschwulst.'' (Sitz, 
der Wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen, vom 29. Nov. 1911). 

Bei der Sektion der Leiche eines 10 jähr. Mädchens fand sich an der 
Hirnbasis eine teils zystische, teils solide und ausgedehnt verkalkte Geschwust. 
Dieselbe nahm die medianen Partien der Hirnbasis ein, erstreckte sich nach 
vorne, das Chiasma und die Tractus opticorum um- und durchwuchernd, 
bis in die hinteren Partien der Reg. olfactoria und reichte nach hinten bis 
zum 1. Pedunculus cerebelli ad pontem; in dem letzteren und dem Pons 
hatte sie eine muldenförmige Vertiefung verursacht. Im Vorderhorn des 
r. Seitenventrikels wölbte sich eine kirschgroße Tumorzyste vor. Der dritte 
Ventrikel und die Seitenventrikel waren mächtig erweitert. Der Zugang 
zur Sella turcica, die selbst nur wenig vergrößert erschien, war von vorne 
und obenher stark erweitert. Die Hypophysis lag in der Sella, mehr an der 



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Referate und Besprechungen. 


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hinteren Wand derselben, und war hochgradig abgeplattet. — Bei der 
mikroskopischen Untersuchung erwies sich die Geschwulst als ein Platten¬ 
epithelkarzinom, welches die von E r d h e i m bei Hypophysengaug- 
gescliwiilsten beschriebenen regressiven Veränderungen in klassischer Weisd 
demonstrierte. — Keine Akromegalie, keine Adipositas. — Demonstration. 
(Der Fall wird ausführlicher mitgeteilt werden.) Autoreferat. 

Jaquet, A. Prof. (Basel), tlber Bandwurmkuren und Fillxpräparate. 

(Münch, med. Wochenschr., 1911, Nr. 48.) 

Der Verfasser bekämpft die kürzlich von Drenkhahn geäußerte Ansicht, 
daß die von der Neuausgabe des Arzneibuches aufgenommene Maximal¬ 
dosis für Filixextrakt — 10 g — zu niedrig angenommen sei. Das Extrakt 
verursachte Intoxikationen, auch die von drenkhahn empfohlene Methodik 
— Vermeidung von Alkalien und von Rizinusöl — gewährt keinen Schutz 
dagegen, da sie auf unrichtigen Voraussetzungen beruht. Indessen ist es 
wichtiger, ein genau definiertes, gleichmäßig wirkendes und darum gut 
dosierbares Bandwurmmittel zu haben. Ein solches liegt in dem aus dem 
Extrakt. Filicis isolierten Filmaron dom Hauptträger der anthelminthi- 
schen Wirkung vor, mit welchem der Verfasser selbst sowie eine Anzahl 
anderer Autoren ausgezeichnete Erfolge ohne jede Schädigung erzielt haben. 
Vor dem Filixextrakt besitzt es noch den Vorteil des besseren Geschmackes. 
Jaquet bedauert ebenso wie Robert, daß das Filmaron nicht in die 
neue Auflage des Arzneibuches aufgenommen wurde. Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Spalteholz, Werner Dr., tlber das Durchsichtigmachen von menschlichen 
und tierischen Präparaten. (Leipzig 1191, Hirzel.) 

Die Versuche, auf denen die von Spalteholz vorgeschlagene Methode 
zur Herstellung durchsichtiger Präparate von ganzen, Tierkörpern und Organen 
beruht, gehen bis auf das Jahr 1906 zurück. Ref. war es 1909 anläßlich 
der Leipziger Tagung der Deutschen Pathologischen Gesellschaft vergönnt, 
die herrlici.ea Präparate unter Spalteholz Erklärung bewundern zu können 
und wie diese Präparate auf der Dresdener Internationalen Hygiene-Aus¬ 
stellung gewürkt haben, wird jeder leicht von den Besuchern erfahren können. 
Welche Energie und welches Ausharren des Forschers bei der sich gestellten 
Aufgabe! 

Nach vollständiger Entwässerung der Organe, werden zum Durch¬ 
sichtigmachen der Objekte ätherische öle von Spalteholz verwendet und 
zwar das Gaultherialöl und das Benzylbenzoat oder an Stelle des letzteren 
das billigere Isosafrol. Es kommt nun darauf an, den Brechungsindex der 
tierischen Organe usw. festzustellen, da der Brechungsindex der verschie¬ 
denen tierischen und pflanzlichen Gewebsteile eines Körpers verschieden 
sich verhält. „Ein Körper (tierischer oder pflanzlicher Körper) reflek¬ 
tiert dann am wenigsten Licht und erreicht die größtmöglichste Durchsichtig¬ 
keit, wenn er von einer Substanz durchtränkt (und umgeben) ist, deren 
Brechungsindex dem mittleren Brechungsindex des Körpers gleich ist.“ 

Das von Sp. angegebene Verfahren zum Durchsichtigmachen von Ob¬ 
jekten ist folgendes: 

1. Fixieren des Objektes, 

2. event. Entkalken, 

3. Bleichen (Wasserstoffsuperoxyd, je nachdem, sauer oder schwach 
alkalisch), 

4. sehr gut wässern, 

5. Entwässern in steigendem Alkohol (bis zu 100p/ 0 ), 

6. Übertragen in Benzol (zweimal wechseln, feuergefährlich!), 


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Referate und Besprechungen. 


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7. Einlegen in die Endflüssigkeit (s. oben), 

8. Evakuieren des Benzols und der Luft. 

Derartige durchsichtige Präparate lassen alle diejenigen Teile in ihrem 
Innern deutlich erkennen,, deren Brechungsindex sich von dem der Um¬ 
gebung unterscheidet. Diese Methode läßt sich mit großem Erfolge mit 
anderen Verfahren (Gefäßinjektion usw.) kombinieren. 

Im Anschluß an das genannte Verfahren teilt Sp. noch eine Knochen¬ 
färbung in saurer Alizarinlösung mit. Schürmann. 


Bakteriologie und Serologie. 

ßessau (Breslau), Über das Wesen der Antianaphylaxie. (Centr. f. Bakt., 
Bd. 60, H. 7.) 

Verf. kommt zu folgendem Schlüsse: 

„Die Antianaphylaxie beruht nicht auf Antikörperabsorption. Sie ist 
ein durch anaphylaktisches Gift bedingter, durch Verlauf und Aspezifität gut 
charakterisierter Zustand herabgesetzter Empfindlichkeit gegen anaphylakti¬ 
sches Gift.“ . Schürmann. 

Krylof (St. Petersburg', Über die Komplementbindungsreaktion bei der 
Variolois und der Variola vera. (Centr. f. Bakt., Bd. 60, H. 7.) 

Die von Bordet und G e n g o u gefundene Komplementbindungsreak¬ 
tion findet auch bei Variolois und Variola vera statt, und kann zuweilen 
unbedingt diagnostisch verwendet werden. 

Die Pockenpusteln enthalten ein Antigen gegenüber dem Serum Pocken¬ 
kranker. Die im Serum der Kranken vorhandenen Antikörper verschwinden 
langsam aus dem Organismus. Schürmann. 

Savini. Emil und Savini, Therese (Castano, Paris), Zur Züchtung des 
Infiuenzabazillus. (Cent. f. Bakt., Bd. 60, H. 6.) 

Verff. haben einen Nährboden hergesteilt, der folgende Zusammen¬ 
setzung hat: Glyzerin und Staphvl. aureus-Kultur (abgetötet) und Blut. Alles 
wird solange geschüttelt, bis vollständige Gerinnung eingetreten ist. — 
In weiteren Versuchen haben sie statt der abgetötoten Kultur einen Glyzerin¬ 
bakterienextrakt durch Digerieren der Bakterien verwendet. Zugeaetzt wird 
frisches Blut. Von dieser Stammlösung setzt man zu abgekühltem Agar einige 
Kubikzentimeter. 

Vermöge dieses Nährbodens ist es Verff. gelungen, in zahlreichen 
Fällen von Influenza, auch bei Masern und Keuchhusten den Influenzabazillus 
isolieren und weiter züchten zu können. Schürmann. 

Kessler (Saarbrücken), Über die Methoden des Nachweises der Typhus¬ 
bazillen Im Blut. (Centr. f. Bakt., Bd. 60, H. 6.) 

Ergebnisse der einzelnen Methoden: 


1. Pepton-Glycerin-Galle 21. 

2. Leberbouillon 19. 

3. Galle ohne Zusatz 18. 

4. Fleischbouillon 17. 

5. Trypsin-Glycerin-Galle 14. 

6. Gallensalze 10. 

7. Destilliertes Wasser 9. 


8. Direkter Plattenanstrich 2. 

Man sieht also, daß dem direkten Plattenanstrich alle anderen Methoden 
überlegen sind, unter denen das Wasser die wenigsten positiven Resultate 
zeigt. Unter denjenigen Methoden, bei denen Galle zur Anreicherung dient, 
haben sich Pepton-Glycerin-Galle und Galle ohne Zusatz am besten bewährt. 
Wenig günstige Resultate ergab die Gallensalzanreicherung und das Trypsin- 
Glycerin-Galle-Verfahren. Die besten Züchtungsversuche ergibt die Leber¬ 
bouillon, was Verfasser auf spezifische Anreicherungsstoffe zurückführt. Er 
empfiehlt deshalb neben Pepton-Glycerin-Galle und Galle ohne Zusatz auch 
die Leberbouillon zur Züchtung von Typhusbazillen aus dem Blut. 

Sch. 



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Referate und Besprechungen 


233 


Capelle, Th. J. v. (Middelburg), über Tuberkullnanaphylaxle und ihr Zu- 
>ammenhang mit dem Wesen der Tuberkulinreaktion. (Centr, f. ßakt., Bd. 60, 
Heft 6.) 

Da das Tuberkulin Tuberkuloprotein als integrierenden Bestandteil ent¬ 
hält, kann durch Tuberkulin aktive Anaphylaxie hervorgerufen werden. Die 
Möglichkeit einer passiven Übertragbarkeit dieser Tuberkulinanaphylaxie ist 
nachgewiesen. Die Tuberkulinreaktion ist ein anaphylaktischer Prozeß. Diese 
Ansicht wird auch von Wolff-Eisner vertreten. Sch. 

Jtorchi Bologna), Serodiagnostische Untersuchungen über die wichtigsten 
anaeroben Buttersäurekelme mit der Methode der Agglutination und der Koin- 
plementahlenkung. (Ce tr. f. Bakt., Bd. 00, H. 6.) 

Es besteht keine serodiagnostische Übereinstimmung nicht nur zwischen 
den verschiedenen untersuchten Keimarten, sondern selbst zwischen den 
verschiedenen Stämmen einer und derselben Keimart Es ergibt sich daraus, 
daß diese Keime untereinander sehr verwandt, aber nicht indentisch sind. 

Sch. 

Thalmann (Di enden), Wertere Mitteilungen über Streptokokken, Insbe¬ 
sondere über pyogene Streptokokken bei Erkrankungen der Atmungsorgane und 
deren Komplikationen. (Cent, f Bakt., Bd. 60, H. 6.) 

Eine mit Photogrammen gespickte Arbeit, die nichts Neues bringt. Verf. 
kommt zu dem Schlüsse, daß frisch aus Anginen gezüchtete Stämme pyogener 
Streptokokken keine Hämolyse bewirken, daß Streptoc. longissimus und 
conglomeratus einer Streptokokkenunterart angehören. Verf. hält bei In¬ 
fluenza junger kräftiger Leute die Komplikationen, die sich im Verlauf 
der Erkrankung einstellen, für hervorgerufen durch pyogene Streptokokken. 

Sch. 

Gesunde Keimträger vor dem Congres franyals de inädeclne. (Bullet med., 
Nr. 85, S. 935—939, 1911.) 

Diejenigen unter uns, welche historische Studien nicht verachten, wissen, 
mit welchem Eifer man zu allen Zeiten dem Ens morbi nachgespürt hat. 
Aus prähistorischen Zeiten stammt die Vorstellung, daß die Krankheiten 
irgendwie mit Dämonen Zusammenhängen, und so entstand ein Verfahren, 
welches bald den Dämon diplomatisch versöhnen, bald ihn mit brutaler 
Gewalt attackieren wollte. Vielleicht ist dieser ererbte Gedanke vielen gar 
nicht zum Bewußtsein gekommen. Als dann die verfeinerten Mikroskope 
die verschiedenen Mikrobien den erstaunten Augen offenbarten, da glaubte 
die Mehrzahl, jetzt das Ens morbi leibhaftig in den Händen zu haben, und 
wie früher mit Beschwörungen, so ging man jetzt mit Antiseptizis dem 
Feinde zu Leibe. 

Nun gab es zu allen Zeiten Leute, welche päpstlicher waren als der 
Papst, Fanatiker der Konsequenz, und diese kamen in scheinbarer Folge¬ 
richtigkeit dazu, dem Ens morbi nicht nur bei den Erkrankten, sondern 
auch bei den Gesunden nachzuspüren. Sie glaubten nämlich, daß es wirklich 
eine — gewissermaßen personifizierte Krankheit außerhalb des Menschen 
gäbe, und übersahen, daß Krankheit nichts ist als veränderte Lebensreak¬ 
tionen. Auf diese Weise kamen sie dazu, gesunde Träger von Krankheiten 
zu konstruieren, und nur ein kleiner Schritt war von da bis zu der genug¬ 
sam bekannten Jagd nach den sog. Keimträgern. Der Fanatiker unter¬ 
scheidet sich vom Realpolitiker dadurch, daß er kein Augenmaß für das 
Mögliche, für die wirklichen Verhältnisse hat. Leicht beieinander wohnen die 
Gedanken; doch hart im Raume stoßen sich die Sachen. So stößt auch die 
Verwirklichung dieser Idee von den gesunden Keimträgern in der Praxis 
auf unüberwindliche Schwierigkeiten, und die Schwierigkeiten wachsen um 
so mehr, je konsequenter die Idee verfolgt wird. Die Dinge liegen da ganz 
ähnlich wie bei den Wechselströmen, welche ja auch durch Selbstinduk¬ 
tion (Impedanz) sich selbst wachsende Widerstände schaffen, die dann ihrer¬ 
seits den Strom, wenn er immer stärker gewählt wird, schließlich ganz 
abdrosseln können. 


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Referate und Besprechungen. 


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Gelegentlich der Besprechung der gehäuften Meningitis-Fälle, welche 
1911 in der französischen Armee beobachtet wurden, platzten die verschie¬ 
denen Ansichten aufeinander, und man gewinnt aus der Lektüre den Ein¬ 
druck, daß die Männer der Praxis mit treffender Kritik und glücklichem 
Humor die Unausführbarkeit der akademischen Doktrinen darlegten, nament¬ 
lich M o n g o u r (Bordeaux) und Gran jux (Paris). „Si l’application de 
vos theories se generalise, il fera bon vivre dans votre societe!“ ruft 
M o n g o u r den Theoretikern zu. Die Debatte wogte mit großer Lebhaftig¬ 
keit hin und her, blieb aber natürlich unentschieden; denn Standpunkte sind 
nicht raisonabel und Wahrheiten lassen sich nicht durch Majoritätsbeschlüsse 
stipulieren. Als aber zum Schluß der Antrag gestellt wurde, die Frage auf 
die Tagesordnung des nächsten Kongresses zu setzen, wurde er von den 
Vorkämpfern der Gesunden-Keimträger-Theorie niedergestimmt. Das ist ver¬ 
dächtig, sehr verdächtig! 

Ich glaube, wir historisch-philosophisch geschulten Gemüter können die 
Angelegenheit ruhig sich selbst überlassen. Wilhelm v. Humboldts 
Satz wird sich auch an ihr bewahrheiten: „Wenn die Welle des Augenblicks 
vorübergerauscht ist, der Sturm sich gelegt hat, so verliert sich, ja ver¬ 
schwindet oft spurlos ihr Einfluß. Viele andere ganz geräuschlos die Ge¬ 
danken und Empfindungen stimmende Dinge sind da oft weit mehr von 
tiefem und dauerndem Einfluß.“ Buttersack-Berlin. 


Innere Medizin. 

Meixner, E. (Prag), Endocardltis maligna ulcerosa. (Mediz. Blätter, 
Xr. 18, 1911.) 

Bei der Diagnosestellung hat man vor allem auf den Zustand des 
Herzens zu achten, wenn auch die Herzsymptome häufig sehr subtil sind. 
Sie bestehen in Geräuschen, die anfangs flüchtig und unbeständig sind. Die 
wechselnde Stärke, als auch abwechselnde Rauhigkeit und Weichheit des 
Geräusches und sein Auftreten auch bei der Diastale sind von großer dia¬ 
gnostischer Bedeutung. Andauern und immer Lauterwerden dieser Geräusche 
lassen dann keinen Zweifel an der akuten Endokarditis. Musikalische Ge¬ 
räusche sind selten. Der Puls zeigt zunehmende Tachykardie, die mitunter 
von Anfällen solcher begleitet ist. Auch wird der Puls manchmal dikrotisch 
und arhythmisch. Mitunter wurde zeitweise Bradykardie beobachtet. Fieber 
pflegt nur in Ausnahmefällen zu fehlen, verhält sich jedoch vollständig 
unregelmäßig. Schüttelfröste treten häufig auf, wahrscheinlich durch schub¬ 
weises Eindringen von Bakterien ins Blut. Bezeichnend sind auch die regel¬ 
mäßig auftretenden Arthropathien. In den späteren Stadien haben große 
diagnostische Bedeutung verschiedene Exantheme und Blutergüsse in die 
Haut, als Folge von Hautgefäßembolien. Zu den Symptomen der malignen 
Endokarditis gehört noch auffallende Blässe des Gesichtes und der Haut, 
jene auch im Fieber. Im Blute wird neben Hypoglobulin nur Hyperleuko¬ 
zytose gefunden. * S. Leo. 

Kümmel (Heidelberg), Über schwere Komplikationen bei der Broncho¬ 
skopie. (Deutsche med. Wochenschr., Nr. 46, 1911.) 

Kümmel berichtet über 4 Kinder im Alter von 4 1 /*—12 Jahren, bei denen 
im Anschluß an eine Bronchoskopie eine derartige schwere s.ubglottische 
Schwellung eintrat, daß nur durch Tracheotomie die Erstickungsgefahr be¬ 
seitigt werden konnte. ,Die histologische Untersuchung ergab in allen Fällen 
eine mit ödem vergesellschaftete entzündliche Infiltration in den oberfläch¬ 
lichen Schleimhautschichten. Er zieht aus diesen Vorkommnissen die Lehre, 
daß man bei der oberen Br. zwar durch die Wahl eines den Raumverhält¬ 
nissen genau angepaßten Rohres die Gefahren wesentlich mildern kann, 
daß aber andrerseits ein für einen normalen Kehlkopf passendes Rohr für 
einen durch Schwellungen pathologisch gewordenen viel zu weit sein kann. 
Oft ist auch gar nicht das Rohr an dem Unfall schuld, bei dem einen, Kinde 
lag z. B. wahrscheinlicherweise eine exsudative Diathese vor. IC. rät daher. 



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Referate und Besprechungen. 


235 


bei Kindern, besonders in einem Alter unter 5—6 Jahren, nur die tiefe 
Bronchoskopie nach vorangegangener Tracheotomie auszuführen, und zwar 
nicht nur bei Vorhandensein epiglottischer Entzündungserscheinungen, son¬ 
dern stets, vor allem bei Verdacht einer Konstitutionsanomalie. Die Methode 
den Kinderärzten in die Hand zu geben, wie von einer Seite empfohlen 
worden ist, hält er für außerordentlich gefährlich. 

Was nun die Gefahren der Ösophagoskopie betrifft, so bestehen sie in 
der Hauptsache in der Möglichkeit einer Ösophagus- oder Pharynxperfora¬ 
tion. Sie werden jetzt ziemlich vermieden durch die verlängerbaren Öso- 
phagoskoprohre, die ohne Mandrin eingeführt werden. K. berichtet über 
2 Perforationen in seiner Klinik, die aber eigentlich nicht durch Oesophago- 
skopie, sondern durch das Sondieren herbeigeführt wurden. Er hebt dabei 
hervor, wie eine solche Perforation für den Patienten fast ohne Schmerz¬ 
empfindung und Blutung vor sich geht. Fr. Walther. 

Winter (Reichenhall), IMe Ursachen der bronchitischen Dyspnoe. (Ztschr. 
f. physikal. u. diätet. Therapie, Bd. 15, H. 10, S. 577—587, 1911.) 

Winter hat eine Anregung Fr. Müllers aufgenommen und sucht 
die Störungen bei der sog. Bronchitis nicht mehr bloß in einer Entzündung 
der sog. Schleimhaut, sondern auch in Veränderungen der tieferen Ge- 
websschichten, d. h. des peribronchialen Gewebes. In diesem verlaufen 
große und kleine Gefäße; und wenn es sich um eine Affektion der kleinen 
und kleinsten Luftröhrenverzweigungen handelt, wird die entzündliche Dilata¬ 
tion auch auf die Lungenkapillaren sich erstrecken. 

Die Blutgefäße ihrerseits stellen einen tätigen Faktor in der Fortbe¬ 
wegung des Blutes dar — Verfasser tritt da der Lehre vom peripheren Motor 
bei, wie sie von Rosenbach inauguriert worden ist — und dieser Faktor 
fällt natürlich fort, wenn die Gefäße dilatiert sind. Durch solch eine Störung 
des Lungenkreislaufs erklärt sich dann die bronchitische Dyspnoe. Dies ist 
— wenn ich die Abhandlung richtig verstanden habe —- etwa ihr Gedanken¬ 
gang. Ich halte ihn an sich für Jconsequent durchgeführt und höchst be¬ 
achtenswert. Die Dyspnoe aber läßt sich m. E. einfacher und ohne so große 
Umwege begreiflich machen, wenn man die Epithelien der Luftwege heran¬ 
zieht. Sobald diese verändert sind, wird der Gasaustausch verändert werden, 
ganz einerlei ob es sich dabei um einen vitalen sekretorischen oder nur 
um einen Diffusionsvorgang handelt. Buttersack-Berlin. 

Sieber, E., Bradykardie. (Sbornik klinicky, 1911. XII, (XVI), Nr. 3—4.) 

In der Literatur finden sich zahlreiche Fälle von Bradykardie, die auf 
Verwechslung mit Stokes-Adamscher Krankheit, Arythmie, orthostatischer 
Tachykardie beruhen. Beim Ikterus ist die Bradykardie selten und ent¬ 
steht hier durch Reflexreizung des Vaguszentrums durch den Schmerz; 
ebenso ist die Bradykardie bei schmerzhaften Affektionen der Bauchorgane 
zu erklären, ferner bei Schmerzen im Innervationsgebiete erkrankter peripherer 
Nerven (auch beim Diabetes) und bei Affektion des untersten Abschnittes 
der Wirbelsäule, während Erkrankungen des Halsbeils das Vaguszentrum 
direkt reizen. Die Mehrzahl der toxischen Bradykardien entsteht nicht durch 
direkte Giftwirkung; sondern ähnlich wie bei der akuten Nephritis durch 
Veränderungen der Gehirngefäße bedingt. Bei Herzfehlern handelt es sich 
zumeist nicht um eine echte Bradykardie, sondern um Arythmie infolge der 
Affektion des Herzmuskels. Bei Anämie ist echte Bradykardie sehr häufig. 

, G. Mühlstein-Prag. 

'*1 iLaeane, L. (Paris), L’arterioscl^rosc intestinale. (Progr. m6d., Nr. 42, 
S. 505—511, 1911.) 

Gegen eine herrschende Richtung sich aufzulehnen, ist eine mißliche 
Sache. Man ändert dadurch an der allgemeinen geistigen Konstitution blut¬ 
wenig und gerät selber nur in den Geruch geistiger Unzulänglichkeit bezw. 
Zurückgebliebenheit. Daß der unangenehme Nörgler seiner Zeit voraus sein 
könnte, gibt von den Überzeugten keiner auch nur in der Theorie zu. 


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23t» Referate und Besprechungen. 

Seit Harvey beherrscht der Kreislauf die Physiologen und Pathologen, 
und nachdem man sich lange genug am Herzen abgemüht hatte, ging man 
auf die Gefäße über. Aber den Forschern ergeht es ähnlich wie den roten 
Blutkörperchen: sie kommen im Strom vom sog. Zentralpumpwerk herge¬ 
schwommen und sehen deshalb nur die Gefäßwände, an denen sie vorbei¬ 
gleiten, nicht aber darüber hinaus, und so übersehen sie immer wieder den 
ongen Zusammenhang mit den Geweben bezw. Organen, in denen die Ge¬ 
fäße liegen. Die Arteriosklerose ist eine moderne Krankheit; kein Wunder, 
daß man sie auch an den Gefäßen aufspürte, welche den Darm versorgen. 
Aber man muß da fein unterscheiden zwischen sklerotischen Prozessen 
an den großen Arterien und an den kleinen Wandarterien! Freilich, wie 
häufig diese letzteren befallen werden, ist noch dunkel; man findet 
sie bei Alten, aber ebenso auch bei Jungen. Auch die Ätiologie ist dunkel: 
Alkohol, Gicht, Enteritis, die unvermeidliche Syphilis, Typhus, Dysenterie, 
Blei, Überfütterung, mechanische Ursachen, Phlebitiden rangieren friedlich 
nebeneinander, so daß man gegebenenfalls nicht in Verlegenheit kommen 
kann. 

Auch die klinische Seite ist dunkel. Die Intestinal-Arteriosklerose ent¬ 
wickelt sich bald langsam, bald schnell; bald endigt sie das Leben urplötz¬ 
lich, bald — und das ist wenigstens tröstlich — gestattet sie ein langes 
Leben. 

Die Symptomatologie ist theoretisch bald erledigt: die Erkrankung kann 
alle nur denkbaren Erscheinungen seitens des Darms hervorrufen: Leib¬ 
schmerzen, Krisen, Durchfälle, Verstopfung, Erbrechen, Enterospasmus. 
Colitis muco-membranacea, Aufstoßen und was es sonst noch gibt. Die 
Sache kann aber auch ganz ohne Symptome verlaufen, so daß Summa sum- 
marum Lagane hinsichtlich der Diagnostizierbarkeit zu dem betrüblichen 
Resultat kommt: „l’arteriosclerose ne pourra le plus souvent qu’etre 
soup^onnee.“ 

Nicht ohne Unbehagen windet sich ein klinisch denkendes Gemüt durch 
den langen Aufsatz hindurch; aber der Fleiß versöhnt und läßt mit freund¬ 
lichen Wünschen für den Verf. den berühmten Ausspruch des Pompe jus 
dahin variieren: „Vivere necesse est, scribere non necesse est.“ 

Buttersack-ßerlim 

Mantoux (Cannes), Pleuritis sicca praccardiaca. (Bulle*, med., Nr. 86, 
S. 955, 1911.) 

Die Pleuritis steht den meisten als so scharfumrissene Krankheit vor 
Augen, daß sie kaum auf den Einfall kommen, die Symptome könnten je 
nach dem Sitz verschieden sein. Zwar die Pleuritis diaphragmatica nimmt 
man zwar noch an; aber wenn ihre Verwachsungen z. B. den Kehlkopf zur 
Seite ziehen, wie das 0. Fried (Nürnberg) vor kurzem in der Münchener 
Med. Wochenschrift (Nr. 3) mitgeteilt hat, so wird das als besondere Merk¬ 
würdigkeit veröffentlicht. Nun macht Mantoux darauf aufmerksam, daß 
manche Störungen seitens des Herzens (Herzklopfen, Erregbarkeit, Stiche, 
Beklemmungen, dyspnoische Anfälle, Tachykardie) von pleuritischen Ver¬ 
wachsungen am Herzbeutel herrühren. Natürlich macht die Natur nicht den 
feinen Unterschied zwischen Pleura und Perikard, wie. unsere Anatomen; 
vielmehr erkranken häufig genug diese beiden serösen Häute gleichzeitig. 
So dürfte es sich auch bei Mantoux genau genommen um Perikardstörungen 
handeln. Aber seine Mitteilungen sind drum nicht minder dankenswert; 
denn auf diese Weise bahnt sich ein aussichtsvoller therapeutischer Weg 
an für manche „Herzneurosen“, die man bis jetzt vergeblich mit Valeriana 
und dergl. behandelte. (Soc. möd. des höpitaux. 27. Oktober 1911.) 

Buttersack-Berlin. 

Brunon, B. (Rouen), Appendicitis chronica oder Tuberkulose! (Bullet. 
m6d„ Nr. 88, S. 971—974. 1911.) 

Der anatomische Gedanke, welchen R. V i r c h o w so hoch schätzte, 
hat für die ärztliche Tätigkeit mancherlei Schattenseiten gezeitigt, welche 
man erst allmählich zu erkennen anfängt. Dahin gehört z. B. das Bestreben, 



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Referate und Besprechungen. 


237 


die sedes morbi gerade in dem Organ zu suchen, welches dem Pat. sub¬ 
jektive Beschwerden verursacht. An sich liegt dieser Denkfehler aller¬ 
dings nicht im anatomischen Gedanken, aber er ist leicht begreiflich, weil 
zu nahe liegend; und seitdem neuerdings das große Publikum, für dessen 
Aufklärung ja nicht genug geschehen kann, sich seine Spezialisten womög¬ 
lich selber aussucht, wird in diesem Gebiet noch viel mehr gesündigt. 
Wie viele Kranke kommen nicht mit ihren Herzleiden zum „Herzspezialisten“, 
während die Ursache ihrer Beschwerden z. B. in Verdauungsstörungen sitzt. 
Aber das müßte ein seltener Herzspezialist sein, der nicht bei solchen 
Patienten mit Hilfe des Elektrokardiogramms, des Riva-Rocci oder anderer 
subtiler Methoden irgend eine Anomalie herausfände. 

Anfang 1911 hat Faisans darauf aufmerksam gemacht, daß manche 
scheinbare chronische Lungenkrankheit nur eine Teilerscheinung einer chroni¬ 
schen Appendizitis sei, welche aber im übrigen symptomlos verlaufe. Im vor¬ 
liegenden Aufsatz tritt B r u n o n dem bei und illustriert die Verhältnisse durch 
einige ausführliche Krankengeschichten. Sein Rat, bei allen ätiologisch un¬ 
klaren Fällen nach einer etwaigen Appendizitis zu suchen, verdient volle 
Beachtung. Man kann sogar noch weiter gehen und den Gedanken verfolgen, 
daß die Entzündung von der Appendix nach den Lungen sich auf den 
serösen Häuten weiterschiebt; dann wird man den Erkrankungen dieser Ge¬ 
bilde überhaupt vermehrte Aufmerksamkeit schenken. 

Buttersack-Berlin. 

Bezancon, F. und Well, M. F. (Paris), Haemoptvsie und Kochseher Ba¬ 
cillus. (Bullet, möd., Nr. 82, S. 899—901, 1911.) 

Trotz eifrigen Suchens findet man im Blutauswurf einzelner Hämopto'iker 
keine Tuberkelbazillen; auch die Meerschweinchen-Impfung läßt im Stich. 
Nach den beiden Autoren muß man demgemäß auch klinisch die Hämoptysie 
mit und die ohne Bazillen von einander trennen. Nach ihnen bedeutet die 
erstere einen fortschreitenden Prozeß, i’existence d’une poussee evolutive. 
Die andere stammt aus Narbengewebe, aus kleinen Kavernen mit fibrösen 
Wänden und hat klinisch nicht viel zu bedeuten: sans tendance clinique 
appreciable ä övoluer, et retombant presque immediatement dans son latence. 
Man braucht sich ihretwegen nicht zu beunruhigen. Buttersack-Berlin. 

Volland, (Davos), Noch etwas gegen die behinderte Nasenatinunsr und für 
die Kampferbehandlung der Phthisiker. (Therap. Monatsheft, Oktober 1911.) 

Gegen den akuten Schnupfen empfiehlt V. 10—15 Tropfen einer 1 proz. 
Lösung von Morph, mur. Das „wirkt wie eine Erlösung“. Zuerst hört der 
unaufhörliche Nießreiz auf; dann nimmt die Absonderung erstaunlich ab und 
der Druck in den Stirnhöhlen verschwindet. Obgleich das Morph, wie nichts 
anueres bei Bronchitiden den Husten stillt, so ist es doch vielfach ge¬ 
fürchtet, weil man annimmt, es beruhige nur die Empfindungsnerven und so¬ 
mit den Husten; aber damit werde der Auswurf zurückgehalten, und es be¬ 
stehe die Gefahr des Morphinismus. Doch ist bei innerem Gebrauche nie 
Morphinismus zu befürchten, nur bei subkutaner Anwendung. Diese darf 
bei Phthisikern nur im alleräußersten Notfälle stattfinden und dann darf der 
Patient die Spritze nicht in die Hand bekommen. Die Ersatzmittel, Kodein, 
Ferrin usw. sind bei dem quälenden Husten der Phthisiker nicht so hilf¬ 
reich wie Morph. Auch beim Pneumoniker ist das Morph, unentbehrlich. 
Ferner empfiehlt V. bei Lungenkranken die subkutane Anwendung des 10 proz. 
Kampferöls. Bei chronischem Nasenkatarrh empfiehlt er die Creme Döhne. 
Rp.: Extract Hamamel. dest. 30,0, Acid. boric. Anaesthesin ää 5,0, Lanol. 55,0, 
Essenz. Heliotrop. Ros. ää 1,0. Ds. Äußerlich 2 mal tägl. 3. Leo. 

Hyrek, Kr., Haemorcaktion bei Tuberkulose. (Casopis lökafüv öeskvch. 
1911, Nr. 46—50.) 

Der Autor hat gefunden, daß im Blute Tuberkulöser die Sedimentierung 
der Erythrozyten nach Zusatz von Tuberkulin rascher von statten geht als 
im Blute nicht Tuberkulöser. Er gibt nun folgende Methode zur Diagnose 
der Tuberkulose an: Man nimmt zwei gut getrocknete, auf einem Ende 


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‘ 23 * 


Hefe rate und Besprechungen. 


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in Kapillaren auslaufende Glasröhren und versieht sie mit einigen Körnchen 
Hirudin (zur Verhütung der Blutgerinnung); dann saugt man in die eine 
Röhre ein wenig Tuberkulin und sodann in beide Röhren das zu untersuchende 
Blut bis zu einer Marke, die 100 mm über der Stelle liegt, wo die Kapillar¬ 
verengung beginnt. Die Röhren werden unten mit Wachs verschlossen. 
Es beginnt sofort die Sedimentierung, deren Höhe in beiden Röhren an¬ 
fangs alle 5 Minuten (bis 40 Minuten), dann nach 10, 10, 15, 15 Minuten 
(zusammen 90 Minuten) und nach 24 Stunden abgelesen wird. Beträgt die 
Differenz in der Höhe der Sedimentierungsvolumina der beiden Glasröhren 
mindestens 4 mm = 4 <>■„, dann ist die Reaktion positiv; beträgt dieselbe nicht 
mehr als 3 n /o, dann ist sie negativ. — Vergleiche mit den okulokutanen 
Reaktionen haben ergeben, daß die Haemoreaktion für Tuberkulose spezi¬ 
fisch Lst. G. Mühlstein-Prag. 

P6hu (Lvon), Tuberkulin als Diagnosticum. (Bullet, möd., Nr. 81, S. 889 
bis 891, 1911.) 

20 Jahre eifrigen Forschens hauen den diagnostischen Wert des Tuber¬ 
kulins noch immer nicht entscheiden können. Auch gelegentlich der 2. Pädia¬ 
ter-Versammlung (Association framjaise de pediatrie 2 e reunion tenue ä 
Paris, 6. und 7. Oktober 1911) standen sich die Urteile scharf gegenüber. 
Marfan, Guinon und C o m b y sprachen für das Tuberkulin, während 
Pehu, Barbier, Tixier, Paisseau, Dufour, Cruchetauf Grund 
zahlreicher Unstimmigkeiten zwischen Reaktion und Sektionsbefund sich 
skeptisch äußerten. Pehu, der Berichterstatter, schloß mit dem Satz: 
„que des etudes sont encore necessaires pour preciser et perfectionner la 

valeur clinique de ces epreuves.“ Quousque tandem, Catilina. 

Buttersack-Berlin. 

C'ahn, Arnold (Straßborg i. Eis.), Über die Behandlung der Lungentuber¬ 
kulose mit künstlichem Pneumothorax. (Tlicrap. Monatsheft 1911.) 

Der künstliche Stickstoffpneumothorax erlaubt die beste Kompression 
der tuberkulös erkrankten Lunge. Seine Erfolge sind in einer großen Zahl 
von Fällen einseitiger Tuberkulose, — etwa einem Drittel — gut und bleibend. 
In einem geringeren Bruchteil wird ein gewisser, aber nicht durchschlagen¬ 
der Nutzen erzielt. In einer Minderzahl, etwa einem Fünftel werden die 
Kranken durch komplizierende, kaum vermeidbare Pleuritiden und tuber¬ 
kulöse Empyeme geschädigt. Lungenkollaps durch Rippenresektion ist auf- 
die selteneren Fälle starker einseitiger Schrumpfung mit totaler Pleuraver¬ 
wachsung zu beschränken. S. Leo. 

♦ 

Kraus, V., Vcnaesectio bei Nephritis. (Casopis lökahio öeskyeh. 1911, Nr.42.) 

An der Hand von 9 Krankengeschichten aus der Klinik Thomaver emp¬ 
fiehlt K. die Venaesectio bei Nephritis in folgenden Fällen: 1. wenn der 
Blutdruck sehr hoch ist, 2. bei Urämie und deren Vorläufern (Kopf¬ 
schmerz, Erbrechen), 3. bei Dyspnoe, wenn die Herzaktion regelmäßig ist 
und der Lungenbefund normal ist. Der Aderlaß befreit den Kranken oft von 
lebensgefährlichen oder sehr quälenden Symptomen, gegen die wir oft ganz 
machtlos sind. Die entleerte Blutmenge soll etwa 200 cm 3 betragen; dem 
Aderlaß fügt man eine subkutane Kochsalzinfusion bei. 

G. Mühlstein-Prag. 

Poläk, H., Lordotische Albuminurie. (Rozpravy Ceskö Akademie. XVIII. 
Nr. 37.) 

P. hat die Angaben Ichles an Hunden nachgeprüft. Nur selten war die 
Albuminurie am folgenden Tage, gewöhnlich erst am zweitfolgenden Tage 
nachweisbar. Sie dauerte einige Tage, einmal 15 Tage. Die Dauer und der 
Grad der Albuminurie hängen von dem Grade der Lordose ab. Bei älteren 
Tieren trat (infolge der geringeren Flexibilität der Wirbelsäule) nach hoch¬ 
gradiger Lordose nur eine leichte Albuminurie auf, die bald verschwand. 
Die Dauer der Albuminurie hängt von den Veränderungen in den Nieren 
ab. Diese Veränderungen haben keinen progressiven Charakter; mit ihrem 
Verschwinden hört auch die Albuminurie auf. G. Mühlstein-Prag. 


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Referate und Besprechungen. 


239 


Marek, R.,“ Die Behandlung der Osteoniolaeie mit Adrenalin. Casopis 
14kahiv öeskyeh. 1011, Nr. 47—50.) 

M. behandelte 12 Fälle von Osteomalacie mit subkutanen Adrenalin¬ 
injektionen. Er injizierte täglich ein- bis zweimal l / 2 —1 cm 3 Adrenalin 
1:1000. Geheilt, respektive bedeutend gebessert wurden 8 Fälle, doch 
blieben dieselben bei neuerlichen Schwan;;erschaften von Rezidiven nicht 
verschont; ein Fall blieb vollständig unbeeinflußt. Die drei restlichen Fälle 
waren teils mit Kastration (2), teils mit der Porroschen Operation (l) kom¬ 
biniert und zeigten nur einen geringen G ad von Besserung. 

G. Mühlstein-Prag. 

Weil, P. E. (Paris), Eine Erweiterung des Kerni?* sehen Symptoms. (Bullet, 
med., Nr. 86, S. 954, 1911.) 

Wenn man bei Meningitikern das Kernigsche Phänomen prüft, so tritt 
in dem Moment, in welchem Hüft- und Kniegelenke gestreckt werden, eine 
eigentümliche Bewegung der Zehen ein: di > große Zehe extendiert feich, 
wie bei Babinski, und die übrigen Zehen spreizen sich fächerförmig. Die 
Erscheinung kann man auch am andern, ruhenden Bein beobachten, vor¬ 
ausgesetzt, daß Kernig doppelseitig ist. Sie hat nichts mit Steigerung der 
Reflexe, nichts mit der Sensibilität, oder mit Babinski zu tun, sondern ist 
nur ein Ausdruck für Hypertonie der Muskulatur. 

Buttersack-Berlin. 

Aperl, E. und Leblanc (Paris), Perlionitische Reizung bei Gelenkrheu¬ 
matismus. (Bullet möd. Nr. 84, S. 925, 1911.) 

Eine junge Frau, welche früher schon mehrfach von rheumatischen 
Attacken heimgesucht worden war, erkrankt-' Ende Juni 1911 mit Leib¬ 
schmerzen, die sich so steigerten, daß sie mit den Erscheinungen einer Peri¬ 
tonitis ins Krankenhaus aufgenommen werden mußte. Genauere Unter¬ 
suchung ergab, daß es sich um eine Colitis muco-membranacea handelte. 
Aber die dabei erprobten Mittel, Belladonna und heiße Umschläge, blieben 
wirkungslos, ebenso wie zuvor eine Eisblase. Nach einigen Tagen stellten 
sich Schmerzen in den beiden Schultergelenken ein; man gab dagegen Natr. 
salicyl., und sofort verschwanden auch die Darm-Symptome. Sie verschwan¬ 
den so überraschend schnell, daß die beiden Beobachter nicht zögern, darauf¬ 
hin die Colitis als eine — allerdings ungewöhnliche Lokalisation des akuten 
Gelenkrheumatismus anzusprechen. 

Der lall an sich könnte als rarissima avis mehr von archivalischem 
als von praktischem Interesse erscheinen. Tatsächlich beweist er von neuem, 
wie unglücklich die Bezeichnung: akuter Gelenkrheumatismus gewählt ist. 
Ganz unwillkürlich werden dabei die Synovialmembranen in den Brennpunkt 
g;erückt, während in Wahrheit sämtliche seröse Häute befallen 
sind. Erkrankt jemand an Pleuritis oder Perikarditis, ohne gleichzeitig Ge¬ 
lenkschmerzen zu haben, so liegt die Gefahr nahe, daß der Arzt gar nicht 
an die rheumatische Natur der Erkrankung denkt und statt der Salizylprä- 
parate irgend etwas anderes verordnet. Manche Kliniker von Erfahrung 
haben darauf hingewiesen. Die Geschichte von Apert und Leblanc 
beweist nun, daß auch die seröse Haut des Peritoneum „gelenkrheumatisch“ 
erkranken kann. Buttersack-Berlin. 

Poläk. 0., Die Beh'indlung des Erysipels mit Antidiphtheriesenini. (Casopis 
ldkahiv öesk^ch. 1911, Nr. 6.) 

Das Antidiphtherieserum ist derzeit das sicherste Heilmittel des Ery¬ 
sipels. 29—3(> Stunden nach der Injektion trat Entfieberung ein, wenn 
noch keine Komplikationen bestanden, selbst bei rezidivierenden Fällen, bei 
denen die früheren Attacken mehrere Tage oder Wochen gedauert hatten. 
Zugleich kehrten die Euphorie und der Appetit zurück. Die durchschnitt¬ 
liche Dauer des Spitalsaufenthaltes betrug bei der Serumtherapie ]3 1 /* Tage, 
vor dieser aber 25 1 / a Tage. — Von 52 behandelten Fällen starben 7; von 
diesen waren aber 4 bei der Aufnahme moribund. Die Therapie wurde ohne 
Auswahl der Fälle durchgeführt. G. Mühlstein-Prag. 


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240 


Referate und Besprechungen. 


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Cmunt, £., Der Einfluß der internen Darreichung der Gelatine aut die 
Viskosität des Blutes. (Revue v. neuropsych opathologii etc. 1911, Nr. 1.) 

Der Autor applizierte bei Blutungen aus der Lunge und dem Magen, 
bei Skorbut und Anämie die Gelatine teils subkutan (10 o/o Präparat von 
Merck), teils per os (3 o/ 0 selbst bereitete Lösung) und per rectum. Bei 
der letzten Anwendungsweise nahm die Viskosität ab; dagegen nahm sie 
bei der subkutanen Injektion und bei der Darreichung per os zu und zwar 
bei ersterer mehr als bei letzterer. Gleichzeitig war eine Steigerung des 
Blutdrucks zu konstatieren. Die Messung erfolgte 1—24 Stunden nach der 
Inkorporation der Gelatine, stets um 11 Uhr vormittags. 

G. Mühlstein-Prag. 

Muto, K. und Sanno, J. (Tokio). Über die Ausscheidung des Arsens nach 
der intramuskulären Injektion des Dioxydiainidoarsenobenzols. (Therap. Monats¬ 
hefte, Oktober 1911.) 

Das im Harn ausgeschiedene Arsen erreicht am 4.—6. Tage nach der 
Injektion einen maximalen Wert (12—13 o/o). Das gegebene Arsen wird 
größtenteils im Harn ausgeschieden, und zwar erreicht die in den ersten 
8 Tagen ausgeschiedene Menge beinahe 3 /s der einverleibten, obwohl noch 
nach 8 Tagen eine ziemlich bedeutende Arsenmenge (5—6»o) gefunden wurde, 
und deshalb die später ausgeschiedene, nicht berücksichtigte Arsenmenge 
noch sehr beträchtlich sein muß. Arsen ist noch am 20. Tage nach der 
intramuskulären Injektion, freilich nur in Spuren im Harn nachzuweisen. 

S. Leo. 

Reich, Joseph (Mainz). Über Heilung der Malaria quartana durch Salvursan. 
(Therap. Monatsh., Oktober 1911.) 

Siehe Titel. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Levit, J., Eine neue Methode zur Deckung von Trachealdeiekten. (Casopis 
lökafüv öeskvch. 1911, Nr. 43.) 

Der Autor empfiehlt zur Deckung von Trachealdefekten freie Lappen 
aus der Fascia lata des Oberschenkels. Er transplantierte in einem Falle 
von Trachealfistel, deren Verschluß durch gestielte Hautlappen dreimal mi߬ 
lang, einen solchen Faszienlappen, indem er ihn an die angefrischten Fistel¬ 
ränder annähte und darüber die Haut schloß. Der Lappen heilte ein und 
die Patientin war 4 Monate nach der Operation noch ganz gesund. 

G. Mühlstein-Prag. 

Znojemskv, J., Die primäre Enterorrhaphie bei inkarzerierten gangränösen 
Hernien. (Sbornik klinicky. 1911. (XII), XVI, Nr. 5—6.) 

Zur Entscheidung der Frage, ob bei einer inkarzerierten gangränösen 
Hernie die primäre Resektion vorgenommen oder ein Kunstafter angelegt 
werden soll, empfiehlt Z. folgendes Vorgehen: ist der zuführende Schenkel 
mäßig dilatiert, seine Peristaltik lebhaft, die Pulsation der Mesenterial¬ 
gefäße deutlich, die Injektion nur subserös und in oraler Richtung abneh¬ 
mend, der Glanz der Serosa erhalten, dann kann man in diesem Bereiche die 
Resektion und Naht vornehmen; andernfalls und wenn die Darmwand livid 
verfärbt ist, wenn submuköse, manchmal unter den Augen des Operateurs 
entstehende Hämatome durchschimmern oder gar schon auf Nekrose ver¬ 
dächtige Stellen vorhanden sind und wenn die Bauchhöhle hämorrhagisches 
Transsudat enthält, muß man die Resektion an einer weiter oben gelegenen 
Stelle vornehmen; 2—3 Meter Darm können unbedenklich reseziert wer- 
werden; müßte aber ein noch größeres Stück entfernt werden, dann legt 
man einen Anus praeternaturalis an. — In der Klinik Kukula wurden vom 
1. Oktober 1904 bis 30. September 1910 (unter 417 inkarzerierten Hernien) 
92 gangränöse Hernien operiert und zwar 61 Krural-, 17 Inguinal- und 14 
Umbilikalhernien. Die primäre Resektion wurde 68 mal mit 28 Todesfällen 
— 41 o/o Mortalität ausgeführt, der Kunstafter wurde 15 mal angelegt, es 
starben alle Fälle. In 9 Fällen wurden die Inkarzerationsfurchen übernäht; 
alle Fälle genasen. G. Mühlstein-Prag. 



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Referate und Besprechungen. 


24t 

Levit, J., Zwei seltene Fälle von Xetzlorsion. (C&sopis lökafüv öeskyeh. 
1911, Nr. 33.) 

Der erste Fall stellt ein Unikum dar. Eine 50 jährige Frau kam mit 
beiderseitiger inkarzerierter Kruralhernie zur Operation. Auf der rechten 
Seite bildete den Bruchinhalt eine Dünndarmschlinge, die in einer Aus¬ 
dehnung von 120 cm reseziert werden mußte. Links war das Netz einge¬ 
klemmt; als dasselbe befreit wurde, sah man etwa in seiner Mitte eine fünf¬ 
kronenstückgroße Öffnung, durch welche der dreimal um seine Achse ge¬ 
drehte untere Netzzipfel hervorragte. Das Netz wurde im Gesunden rese¬ 
ziert. Die Patientin genaß. Im anderen Falle bestand eine rechtsseitige 
eingeklemmte Leistenhernie. Bei Eröffnung des Bruchsackes fand man Netz, 
das erst nach hinzugefügter Laparotomie aus der Bauchhöhle hervorge¬ 
zogen werden konnte; dasselbe wir fünfmal um seine Achse gedreht. Nach 
Resektion im Gesunden Heilung. G. Mühlstein-Prag. 

Tournler. L’operation de Haestedt dans le traitement opiratolre du cancer 
du sein. (Arch. m6dic. de Toulouse, 1911, 11—12) 

Verf, führt 12 Fälle vor und verteidigt damit vor allem die Haestedtsche 
Methode gegen Angriffe, die in der französischen Gesellschaft zum Studium 
des Krebses gegen sie gerichtet wurden. Er hält die Methode für die 
rationellste, für die wirksamste Waffe gegen dem Brustkrebs, solange bis 
Radiumtherapie und Serum wirkliche Werte geben, hinsichtlich der klini¬ 
schen Erfolge den anderen überlegen; dabei ist sie sehr einfach. Mortali¬ 
tät der Operation = 0.. v. Schnizer-Höxter. 

Martens (Berlin), Zur Pararfinbehandlung von Xabelbrüchen (Deutsche 
medizinische Wochenschrift, Nr. 36, 1911.) 

Martens berichtet über einen Fall, bei dem von anderer Seite ein 
Nabelbruch mit Paraffininjektionen behandelt worden war, und zwar so 
unsachgemäß, daß das Paraffin ausschließlich im Bruchsack und in dem 
in ihm gelegenen Netz lag und der Patient die heftigsten Schmerzen wochen¬ 
lang auszustehen hatte. 

M. betont dabei, daß nur da die Injektionen auszuführen sind, wo aus 
sachlichen Gründen eine Operation unmöglich ist und daß das Paraffin nur 
in die Umgebung des Bruchsackhalses injiziert werden darf. Er bezeichnet 
es als unchirurgisch da nicht zu operieren, wo dies möglich ist. 

F. Walther. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Wohlgemuth, Julius und Massone, Marcello, Experimentelle Beiträge zur 
Frage von der Herkunft des Fruchtwassers. (Aus der exp.-biolog. Abt. des 
path. Inst, der Univ. Berlin.) (Arch. f. Gynäk., Bd. 94, Heft 2, 1911.) 

Bekanntlich steht noch immer nicht fest, ob das Fruchtwasser ein müt¬ 
terliches Transsudat oder ein Produkt des Fötus oder beides zugleich ist. 
Verff. bestreiten zunächst den Wol ff sehen Experimenten (Einfluß der 
Exstirpation beider Nieren auf die Menge des Fruchtwassers) die Beweiskraft 
für die Auffassung, daß das Fruchtwasser ein ausschließliches Produkt des 
Fötus sei. Sodann wenden sie sich gegen die Ansicht P o 1 a n o’s, daß das 
Fruchtwasser als ein Transsudat aus mütterlichen Gefäßen nicht aufzu¬ 
fassen sei. P o 1 a n o kam zu diesem Schlüsse aus der Tatsache, daß er 
im Fruchtwasser, im Gegensatz zum mütterlichen Blut, kein Hämolysin fand, 
und daß andererseits im Fruchtwasser das außerordentlich schwer filtrierbare 
gegen das Staphylolysin gerichtete Antitoxin vorhanden w T ar, wie es auch 
im mütterlichen und kindlichen Blut enthalten ist. Hiergegen machen Verff. 
geltend, daß von anderen Autoren bereits Antitoxine, speziell Antihämoly¬ 
sine auch in Transsudaten gefunden worden sind, daß also schon die Vor¬ 
aussetzung P o 1 a n o s nicht zutreffend sei. Außerdem gelang den Verff. 
selbst in 7 verschiedenen Tnfnssudatflüssigkeiten der Nachweis von Anti¬ 
staphylolysin in nicht unbeträchtlichen Mengen. Aber auch die andere Be¬ 
hauptung P o 1 a n o’s konnten Verff. widerlegen, indem sie zweimal unter 

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242 


Referate und Besprechungen. 


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5 Fällen den Nachweis führen konnten, daß das Fruchtwasser auch Hämo¬ 
lysin enthielt. Ferner gelang für spezifische transsudative Aszitesflüssig¬ 
keiten der Nachweis von Fermenten und fermentähnlichen Substanzen des 
Blutes ebenso wenig wie für das Fruchtwasser. Alles das spreche dafür, 
daß auch beim „einfachen Transsudat“ nicht nur Filtrationsprozesse, son¬ 
dern aktive sekretorische Zelltätigkeit mit im Spiel sei, sei es von seiten 
des Peritoneal- oder des Amnionepithels. Jedenfalls spreche nichts dagegen, 
daß bei der Bildung des Fruchtwassers „transsudative“ Prozesse aus den 
mütterlichen Gefäßen eine Rolle spielten. Um diese nun direkt nachzu¬ 
weisen, unterbanden Verff. bei trächtigen Hündinnen und Kaninchen den 
Pankreasausführungsgang und konnten danach selbst nach vorausgeschickter 
Abtötung der Föten nachweisen, daß eine Vermehrung der Diastase im 
Fruchtwasser auftrat. Mit anderen Worten heißt das, daß das mütterliche 
Blut tatsächlich ihm eigne Stoffe an das Fruchtwasser direkt abgibt. 

R. Klien-Leipzig. 

Benjamin. R. (Schenk), 4'oncrrnini; so-called essential Hematuria, with 
«special Reference to the Hematuria areompaylne: mild Grades of Nephritis. 

(Surg., Gynec. and Obst., Julv 1911.) 

J ias Vorkommen einer wirklich essentiellen, ideopathischen renalen Häma¬ 
turie bestreitet Sch. auf Grund seiner eingehenden Literaturstudien. Von 
all den publizierten, weit über 100 Fällen blieben nur 13 übrig, die — 
nicht erklärbar sind. Aber auch diese Fälle seien nicht beweisend für 
eine essentielle Hämaturie. Es wurden nämlich in. vier von diesen Fällen 
lediglich einige kleine, gelegentlich der Nephrotomie exzidierte Stückchen 
histologisch untersucht, und das genüge nicht in Anbetracht der Tatsache, 
daß cs kleinste disseminierte Entzündungsherde in den Nieren gäbe, die zu 
Blutungen führen können. In den anderen acht Fällen wurden die betr. 
Nieren zwar exstirpiert, aber nicht zu Serienschnitten verarbeitet, was ge¬ 
fordert werden müsse. — Sch. beschreibt dann zwei eigne Fälle. In dem 
einen waren die Blutungen durch eine Glomerulonephritis verursacht wor¬ 
den. Die Niere wurde exstirpiert, es trat Heilung ein. Ob es Bich in 
diesem Fall um eine einseitige Nephritis gehandelt hat, läßt Sch. dahin¬ 
gestellt, weil es auch Nephritiden ohne Eiweiß- und Zylinderausscheidung 
gäbe. In dem anderen Fall wurde nur die Nephrotomie gemacht mit 
dem Eifolg, daß die Blutung erst nach 10 Tagen aufhörte; der Urin blieb 
noch weiter eiweißhaltig. Es handelte sich hier um eine deutliche inter¬ 
stitielle Nephritis, wie an exzidierten Rindenstückchen festgestellt wurde. 

R. Klien-Leipzig. 

John Osborne l'olak. The Endresiilts when Hystereetomy has been done 
and an Ovary left. (Surg., Gynec. and Obst., July 1911.) 

Die Frage, ob man bei Entf-rnung des Uterus auch die Ovarien mit 
entfernen solle, ist auch in Amerika noch lebhaft umstritten. Sie kann 
nur auf Grund großer praktischer Erfahrungen gelöst werden und deshalb 
ist I’.’s Beitrag wertvoll. Verfügt er doch über 132 eigne Fälle, von denen 
75 nachuntersucht werden konnten. Die Operation lag mehrere Monate bis 
:.u vier Jahren zurück. Von 43 Myomkranken, denen beide Ovarien 
mitentfernt waren, litt keine einzige an Beckenbeschwer¬ 
den, einige an Kreuzschmerzen, die aber durch ein passendes Korsett be¬ 
seitigt wurden. Drei litten an Wallungen, 1 an ausgesprochenen nervösen 
Allgemeinbeschwerden. Von 32 Patientinnen mit zurückgelassenen 
Ovarien oder Ovarialresten litten 5 an Schmerzen in der Seite, in 
der das zurückgelassene Ovarium lag. Dasselbe erwies sich bei der Unter¬ 
suchung stets als vergrößert, druckempfindlich, fixiert. Drei Patientinnen litten 
an allgemein nervösen Beschwerden, die sich mit zunehmender Veränderung 
der zurückgelassenen Ovarien verschlimmerten. Bemerkenswert ist, daß die 
sämtlichen vier Frauen aus beiden Kategorien mit allgemein nervösen Be¬ 
schwerden über 50 Jahre alt waren. — Bei <3en wegen entzündlicher 
Adnexerkrankungen Operierten waren die Spätresultate weit 
bessere. Von den 31 Patientinnen wurden bei 30 beide Ovarien samt 



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Referate und Besprechungen. 


243 

Uterus entfernt; 28 Patientinnen hatten nicht die geringsten Be¬ 
schwerden, eine einzige Wallungen. Alle waren jünger als 40 Jahre. 
Die eine Patientin mit zurückgelassenem Ovarium litt an gelegentlichen 
Schmerzen in der Seite, in der das Ovarium lag. — Diese bei weitem besseren 
Resultate bei entzündlichen Affektionen erklärt P. durch den Wegfall der 
bestehenden Intoxikation. Ähnlich verhalte es sich mit der von P. mehr¬ 
fach festgestellten Tatsache, daß ausgeblutete Myomkranke mit niedri¬ 
gem Hämoglobingehalte und wenig Erythrozyten sich ebenfalls nach der 
Operation viel besser befinden, als Patienten mit viel und gutem Blut: 
bei diesen komme die künstlich ' Menopause zu plötzlich. Auch möge der 
hohe Blutdruck solcher Pat. eine Rolle spielen. — P. pflegt seit vier 
Jahren den Uterus unterhalb des inneren Muttermundes zu amputieren, 
die Schleimhaut des Zervixstumpfes bis zum äußeren Muttermund zu exzi- 
dieren und kauterisieren. Ferner näht er die medialen durchschnittenen Enden 
der Ligg. rotunda und lata beiderseits in die Zervixecken ein, wodurch der 
Zervixstumpf in die Höhe gezogen wird; endlich klappt er das zurückge¬ 
lassene Ovarium in den Spalt zwischen Lig. rot. und latum hinüber und 
fixiert es hier. R. Klien-Leipzig. 

Dietrich, Hans Albert, Studien über Blutverönderungen bei Schwangeren, 

Gebärenden und Wöchnerinnen. (Aus der Univ.-Frauenklinik in Göttingen.) 
(Arch, f.'Gyn. Bd. 94, H. 2, 1911.) 

•Aus der von D. angeführten Literatur geht hervor, daß die Anschauun¬ 
gen über die Blutwerte bei Schwangeren noch keineswegs übereinstimmen. 
Das gilt besonders für die Erythrozytenzahl und den Hämoglobinwert, aber 
auch für die Schwangerschaftsleukozytose. Nur die gewaltige Steigerung 
der Leukozytenzahl eub partu und deren Abfall im Wochenbett sind allge¬ 
mein anerkannt. Es liegt die mangelnde Übereinstimmung zum Teil daran, 
daß die Untersuchungen nicht an ein und derselben Person fortlaufend 
während der Schwangerschaft, der Geburt und im Wochenbett angestellt 
worden sind. Dies hat nun D. an 20 Personen in ausgiebigster Weise getan, 
so daß seinen Zahlenangaben eine entscheidende Bedeutung kaum abzu¬ 
sprechen sein dürfte. Ließ sich doch auf diese Weise wirklich individuell 
die Veränderung des Gesamtblutbildes verfolgen, nicht bezogen auf sog. 
Normalwerte, was zu falschen Resultaten führen muß, wie das D. an einigen 
Beispielen nachweist. D.’s Resultate sind folgende: In der Schwanger¬ 
schaft fand er stets eine deutliche Vermehrung der roten Blutkörperchen 
und des Hämoglobingehaltes, so zwar, daß der Färbeindex bestrebt war, 
sich auf gleicher Höhe zu halten. . Es bestand kein Unterschied zwischen 
Erst- und Mehrgebärenden. Eine (individuelle) Schwangerschaftsleukozytose 
war ebenfalls stets vorhanden; sie war jedoch nie hochgradig, bezogen 
auf den Endwert im Spätwochenbett, rein polymorphkernig, neutrophil; bei 
Erstgebärenden höher als bei Mehrgebärenden. — In der Geburt fand 
stets eine hochgradige Steigerung der Leukozytose statt, bei Erstgebären¬ 
den durchschnittlich um 8596, bei Mehrgebärenden um 9543 Leukozyten. 
Der Beginn der Vermehrung fiel zusammen mit dem Beginn der Wehen, 
der Höhepunkt mit der Geburt selbst. Auch hier reine polynukleäre Leuko¬ 
zytose mit Verschwinden der Eosinophilen und Mastzellen. — Bei normalem 
Wochenbett fiel die Leukozytose während der ersten 3 Tage fast zur 
Norm. Norübergehende Steigerungen in den weiteren Tagen bringt I). in 
Zusammenhang mit leichten Infektionen. Nach starken Blutverlusten hielt 
die Leukozytose länger an. D. vertritt die Ansicht, daß die Schwanger¬ 
schaftsleukozytose eine Antwort des Organismus auf die Aufnahme gewisser 
toxischer, vom Ei gelieferter Stoffe in den mütterlichen Kreislauf sei. Sub 
partu komme vielleicht eine Arbeitsleukozytose hinzu. 

R. Klien-Leipzig. 

A. Wolff-Eisner, Über Eklampsie. (Berl. klin. Woehenschr., Nr. 45, 1911.) 

Wie es W.-E. schon einmal beim Heufieber durch eine Enquete ge¬ 
lungen ist, diese Krankheit als eine Überempfindlichkeitskrankheit zu er¬ 
weisen, so hofft er jetzt das gleiche betreffs der Eklampsie, die bereits von 

IG * 


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Referate und Besprechungen. 


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Rosenau und nach ihm von einer Reihe anderer Autoren ebenfalls als 
Überempfindlichkeitskrankheit gegenüber fötalem Ei¬ 
weiß angesprochen worden ist. Auch W.-E. ist der Ansicht, daß die 
Eklampsie das Endglied einer ganzen Reihe von überempfindlichkeitssymp- 
tomen während der Schwangerschaft ist, angefangen von den Exanthemen 
über den Vomitus und die Hyperemesis bis zur Albuminurie. Die anatomi¬ 
schen Befunde S c h m o r 1 s seien durchaus im Sinne einer durch wieder¬ 
holte Resorption von fötalen Zottenelementen hervorgerufenen Übererapfind- 
lichkeit zu verwerten, wobei dem väterlichen Eiweißbestandteile der Zotten 
im Synzytium vielleicht eine wichtige Rolle zufalle. Doch auch wenn letz¬ 
teres nicht zutreffe, so sei daran erinnert, daß in letzter Zeit die Richtig¬ 
keit der Annahme von der Ungiftigkeit des „körpereigenen Eiweißes“ sehr 
erschüttert worden ist. W.-E. führt als Analogon noch die sog. Gebär¬ 
parese der Kühe an, die entweder mit raschem Ted oder mit plötzlicher 
Genesung endet. Es spiele hierbei die Labilität des Vasomotorenzentrums 
eine große Rolle (maximale Gefäßdilatation in den Lungen als Sektions¬ 
befund). Die Tatsache, daß diese Gebärparese bei den Kühen durch Luft- 
insufflation in die Milchgänge auf reflektorischem Wege geheilt werden 
kann, sollte übrigens zu diesbezüglichen Versuchen beim Menschen auffor¬ 
dern. Da es zur Entscheidung der ganzen Frage gerade auf Fälle ankommt, 
die während mehrerer aufeinander folgender Schwangerschaften und Ge¬ 
burten beobachtet worden sind, wendet sich W.-E. mit seinem Fragebogen 
mehr an die Praktiker als an die Kliniker. Zur Zeit unerklärlich im Sinne 
der Überempfindlichkeit wäre die zweifelsohne feststehende (? Ref.) Tatsache; 
daß nach einmaliger Eklampsie in folgenden Schwangerschaften diese aus¬ 
bleibt. R. Klien-Leipzig. 

Dührsscn, ,t„ Ist heutzutage die Alexander-Adams*sehe Operation noch 
berechtigt I (Berl. kliri. Wocherischr., Nr. 45, 1011.) 

An Stelle des Alexander-Adams, bei dem man sich nie durch Augen¬ 
schein von der Beschaffenheit der Adnexe überzeugen könne, will I). eine 
ebenso ungefährliche intraperitoneale Methode gesetzt wissen. Er verschafft 
sich Zugang zur Bauchhöhle durch einen 6—8 cm langen rechtsseitigen 
Flankenschnitt, holt sich mit einer Klemme zunächst das linke runde 
Mutterband hervor und näht dasselbe zu einer Falte nach dem Vorgang 
von Bode zusammen. Das rechte Ligament wird etwas anders versorgt: 
es wird nämlich nach dem Vorgang von Simpson die ebenfalls gebildete 
Schleife subperitoneal, zwischen den Blättern des Lig. latum herausgezogen 
und auf die Faszie des Obliq. externus- aufgenäht. Durch den angegebenen 
Schnitt können auch die Adnexe und der Wurmfortsatz versorgt werden. In¬ 
wiefern dieser „halbe Pfannenstielschnitt“ einen bedeutend geringeren Ein¬ 
griff bedeutet, als der ganze, ist nicht recht einleuchtend. 

R. Klien-Leipzig. 

Bab. Hans, Pituitrin als trynäkoioirisches Slvptlkimi. (Aus der II. Univ.- 
Frauenklinik in Wien.) (Münchner med. Wochenschr., Nr. 29, 1911.) 

In der W e r t h e i m sehen Klinik hat sich das Pituitrin auch bei gynä¬ 
kologischen Blutungen bewährt und zwar nicht nur bei Endometritis, 
Metritis und Menorrhagien, die vielleicht auf gesteigerter Ovarialtätigkeit 
beruhten, sondern auch bei Blutungen, deren Ursache in entzündlichen Adnex¬ 
erkrankungen, Myomen und Eierstockszysten zu suchen war. Das Pitui¬ 
trin —- wahrscheinlich das Präparat von 'Parke, Davis & Co. — wurde sub¬ 
kutan in Dosen von 2—3 ccm injiziert, einmal oder mehrere Tage hinterein¬ 
ander. Gelegentlich wurden als einzige Nebenwirkung des „außerordent¬ 
lich harmlosen“ Mittels wehenartige Uteruskrämpfe beobachtet, ln 30 
Fällen von Metrorrhagie stand die Blutung in 33 o/ 0 der Fälle bereits am 
ersten Tag, in 36 o/o am zweiten; nur in 23 % der Fälle war eine längere 
Behandlung von 4— 8 Tagen notwendig. In zwei Fällen blieb die Wirkung 
aus. Langdauernde Menstruationen ließen sich abkürzen. 

R. Klien-Leipzig. 


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Rt-feraU' und Besprechungen 


24f. 

Bali, Hans IM«* Behandlung der Osteomalazie mit Hypophysenextrakt. 
(Aus der II. Uni v.-Frauenklinik in Wien.) (Münchner mod. Wochenschrift. 
Nr. 34, 1911.) 

B. ist durch den des näheren auseinandergesetzten Gegensatz zwischen 
den Krankhtitsbildern der Osteomalazie und der Akromegalie auf den Ge¬ 
danken gekommen, erstere mit Hypophysenextrakt zu behandeln. Die Er¬ 
folge waren allerdings recht verschieden. Im ganzen wurden 1) Fälle be¬ 
handelt. In manchen trat sehr bald und dauernd Besserung ein, andere 
Fälle verhielten sich mehr weniger refraktär. Ein Fall wurde gebessert durch 
Antithyreoidserum. Das zur Verwendung gelangte Pituitrin von Parke, Da¬ 
vis & Co. wird bekanntlich aus dem Hinter lappen der Drüse oder aus 
der zwischen Hinter- und Vorderlappen gelegenen intermediären Pere- 
meschkosehen Markschicht gewonnen. Dagegen hypertrophiert sowohl 
bei der Akromegalie als während der Schwangerschaft gerade der V o r - 
der lappen der Hypophyse. — Das Pituitrin hat sich insofern als un¬ 
schädlich erwiesen, als es Monate hindurch in Dosen bis zu 3 ccm einge- 
spritzt werden konnte; eine Patientin bekam nach und nach über 1 4 Liter. 

R. Klien-Leipzig. 

Psychiatrie und Neurologie. 

Taussig, L., Die Bedeutung einiger biologischer Methoden in der Diagnostik 
per Geistes- und Nervenkrankheiten. (Casopis lekah'ivceskych. 1911, Nr. 40—41.) 

Bei Dementia paralytica (57 Fälle) ist die Wassermannsche Reaktion 
im Serum fast stets positiv. Der negative Ausfall der Reaktion im Serum 
schließt dio Diagnose Paralysis progressiva mit einer an Sicherheit grenzenden 
Wahrscheinlichkeit aus. Die positive Reaktion im Serum spricht für Lues 
des Untersuchten, gestattet aber nicht den Schluß, daß seine Krankheit 
mit der überstandenen Infektion in einem ursächlichen Zusammenhang steht. 

Im Liquor cerebrospinalis der Paralytiker ist die Reaktion in etwa 
s / 10 aller Fälle positiv. Fällt die Reaktion im Liquor negativ aus, ist die 
Paralyse nicht ausgeschlossen; fällt sie positiv aus, ist der Verdacht auf 
Paralyse sehr stark. 

Die Pleozytose und die Nonne-Apeltsche Reaktion fehlen im paralytischen 
Liquor nur selten; ein negativer zystologischer und chemischer Befund im Liquor 
spricht mit großer Wahrscheinlichkeit gegen Paralyse, ein positiver sichert 
aber die Diagnose nicht, da er auch bei anderen Krankheiten vorkommt. 

Alkoholismus und andere Geistes- und Nervenkrankheiten geben bei 
fehlender Infektion stets eine negative Wassermannsche Reaktion. 

Die Dungemsche Reaktion ist der Wassermannschen nicht gleichwertig 
und empfiehlt sich nur dort, wo die letztere nicht ausführbar ist. 

G. Mühlstein-Prag. 

Itten, W. (früher Zürich), Heilversuche mit Nueleininjeklionen bei Schizo¬ 
phrenie (dom. präeox). (Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 7, H. 4). 

Die Versuche verliefen völlig resultatlos. Zweig-Dalldorf. 

N’äcke, P. (Hubertusburg), Die Dauer der postmortalen mechanischen 
Muskelerregbarkeit bei chronischen Geisteskranken speziell Paralytikern. (Ztschr. 
f. d. ges. Neu - , u. Psych., Bd. 7, H. 4.) 

N. konnte in der Literatur nur eine Arbeit über die allmähliche funk¬ 
tionelle Einbuße der Körpermuskulatur nach dem Tode finden. Die Technik 
besteht in einem möglichst senkrechten Aufschlagen mit einem schweren 
Perkussionshammer bei möglichst guter Beleuchtung, wobei sich allerdings 
aus der verschiedenen Wucht des Schlages, der Abmagerung, der die Leiche 
umgebenden Temperatur, der hydropischen Durchtränkung der Gewebe usw. 
kleine von N. vernachlässigte Fehlerquellen ergeben. Die Rumpf- und 
Extremitätenmuskulatur scheint zur Untersuchung am geeignetsten. Er¬ 
schütterungen der Haut darf man natürlich nicht mit Zuckungen verwechseln. 
Die Muskelkontraktionen bestehen anfänglich in einem ganz schmalen läng¬ 
lichen Wulst. Allmählich verkürzen dieselben sich, und es tritt ein mehr 


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24U 

elliptischer Muskelknoten in vertikaler oder querer Richtung auf, mit der 
Zeit wird derselbe länger und flacher und zwar entsteht er meist in der 
Längsrichtung des Muskels. Der Knoten ist ein späteres Stadium des Ab- 
stirbens. besonders der zur Faserrichtung senkrechte. Noch später bleibt 
von dem Knoten nur noch eine Quaddel als Lebenszeichen des Muskels auf 
den Klopfreiz übrig und schließlich nur noch eine Dellenbildung, indem sich 
nur rings um die Klopfstelle ein muskulärer Wall bildet. Im allgemeinen 
scheinen nach 3 -4 Stunden keine Muskelreaktionen mehr einzutreten, so 
daß man hieraus einen sehr viel besseren Schluß als aus der Totenstarre auf 
die seit dem Tode verflossene Zeit machen kann. Beim Nicht-Geisteskranken 
und bei dem akut Geisteskranken dürften die Verhältnisse ähnlich liegen. 
Solche Untersuchungen fehlen noch. Zweig-Dalldorf. 

Alter (Lindenhaus). Zur Statistik der Geisteskrankheiten. (Ztschr.'f. d. 
ges. Neur. u. Psych., Bd. 7, H. 4.) 

Im Jahre 1804 fand im Fürstentum Lippe eine Zählung der Geistes¬ 
kranken und Geistesschwachen hatt und ebenso 1908. Danach ist die Zahl 
der Geisteskranken im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung scheinbar um das 
dreifache gegen früher gestiegen, und zwar ist die Zunahme bei den Män¬ 
nern eine größere als bei den Frauen. Für die Zunahme ist man geneigt, 
den Alkohol, die Lues und die Potenzierung ungünstiger Erblichkeitsverhält¬ 
nisse heranzuziehen. Bezüglich der ersteren beiden ergibt sich aber kein 
Unterschied zu 1804, die Lues spielte damals an dem Material so gut 
wie gar keine Rolle und ebenso ist dies jetzt, und die Wirkungen des Alkohols 
sind heute nicht als gravierender zu erachten als damals, weil die Lebens¬ 
führung bezüglich Alkoholgenuß und Behäbigkeit sich weder mach dem mehr 
noch nach dem weniger geändert haben. Für ungünstige erbliche Belastung 
sind die Bedingungen in-dem ziemlich völkisch abgeschlossenen Lippe durch¬ 
aus günstig, und trotz dessen scheinen die Wirkungen nicht groß, wenn man 
den geisteskranken Anteil der Bevölkerung z. B. mit der nach Volkscharakter 
und Lebensführung sehr ähnlichen Nachbarprovinz Westfalen vergleicht. 
Gegen die Annahme einer Schädigung der geistigen Gesundheit durch die 
zweifellos ungünstigen Erblichkeitsverhältnisse innerhalb Lippe spricht neben 
dem sehr hohen Geburtenüberschuß die innerhalb Deutschlands von Lippe ge¬ 
stellten höchsten Rekrutenprozente, ferner die ausgebliebene Zunahme dee 
weiblichen Geisteskranken, weil erfahrungsgemäß die Frauen unter den 
schädlichen Folgen der Vererbung mehr leiden als die Männer. Die eigent¬ 
liche Ursache der Zunahme der Geisteskrankheiten ist vielmehr in der 
stärkeren Inanspruchnahme durch die Erschwerung des Erwerbslebens zu 
suchen, wofür auch die gleichgebliebene Zahl der weiblichen Kranken in 
Übereinstimmung mit den dort ziemlich gleichgebliebenem Wirkungskreise 
der Frau spricht. Berücksichtigt man das Alter der Geisteskranken, so 
ergeben sich große Unterschiede zur Zählung von 100 Jahren, 'damals stan¬ 
den nur 2i>,99 «o jenseits des 40. Lebensjahres, heute 53,68 o/o. Berechnet 
man ungefähr den Prozentsatz, der bei gleicher Lebensdauer vor 100 Jahren 
vorhanden gewesen wäre, so ergibt sich, daß die Zunahme der geistigen 
Störungen die Progression der Bevölkerung nicht, wie es zuerst schien, 
um das dreifache, sondern nur um das 1,8 fache übertrifft und die übrigen 
20 o 0 auf die Anreicherung in den Anstalten infolge der durch die bessere 
Pflege verlängerten Lebensdauer zurückzuführen sind. Die Ähnlichkeit hin¬ 
sichtlich der speziellen Zahlen für die verschiedenen Krankheitsgruppen 
ergibt sehr übereinstimmende Zahlen. Zweig-Dalldorf. 

Fuchs, A. und Schachcrl, M. (Wien), Zum Mechanismus der Verletzungen 
des Halsmarkes. (Jahrb. f. Psych., Bd. 32, H. 3.) 

Eine früher luetisch infizierte Prostituierte wurde von rückwärts über¬ 
fallen, der Kopf wurde ihr nach rechts und hinten gerissen und ihr zunächst 
am inneren Rande des musc. st.-cl.-mast 3 cm über der 1. clavicula ein Messer 
in. den Hals gestochen. Die Getroffene stürzte, ohne ein Glied rühren zu 
können, vornüber zu Boden und wurde dann nochmals rechts hinten am 
Halse 1 cm von der Medianlinie entfernt in der Höhe des 5. Halswirbel- 


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Refreate und Be-precliungen 


247 


körpers gestochen. Zwei Tage nach der Verletzung klagte die völlig klare 
und schmerzfreie Patientin über zeitweilige krampfartige Gefühle in den 
linken Extremitäten, in denen auch vereinzelt blitzartig ablaufende fibril¬ 
läre Muskelzuckungen sichtbar waren. Ferner war objektiv nachweisbar 
beiderseitige Ptosis, die links schon einige Stunden nach der Verletzung 
aufgetreten und stärker war als die später bemerkte rechts, ferner Un¬ 
gleichheit der licht- und sympathisch starren Pupillen (r. weiter als 1.). 
Die Konvergenzreaktion war links erloschen, rechts herabgesetzt. Die r. 
obere Extremität konnte ohne Kraft bis zur Schulterhöhe gehoben und im 
Ellbogen- und Handgelenk gebeugt und gestreckt werden, ebenso waren die 
Verhältnisse der r. unteren Extremität, die 1. obere Extremität was bis auf 
schwache Beugebewegungen im Ellbogengelenk völlig gelähmt, die 1. untere 
Extremität einwärts rotiert, in allen Gelenken stark spastisch. Kumpfbe¬ 
wegungen unmöglich. Die Sensibilität ist von der 4. Rippe ab gestört 
und zwar rechts im Sinne einer Hypalgesie und Analgesie, 1. in gleicher 
Weise aber viel weniger. Die tiefe Sensibilität ist beiderseits an allen 
Extremitäten erloschen. Über der hypalgetischen Zone am Thorax befand 
sich eine hyperästhetische. Incont. urinae et alvi ohne Empfindung. Allmäh¬ 
lich nahmen Bewegungsfähigkeit r. und Empfindung 1. zu, ebenso besserte 
sich bald die Inkontinenz. Sieben Monate später war die Ptosis r. völlig, 
1. fast völlig geschwunden, auch die Anästhesie und Hyperästhesie war 
zum Teil zurückgegangen, es besteht Ulnarislähmung 1. mit Handklonus, 
die Bewegungen der r. oberen Extremität mit geringer Kraft frei, die unteren 
Extremitäten paraparetisch 1. mehr als r. Es handelt sich um einen bilateralen 
Brown-Sequardschen Symptomenkomplex, bti dem die motorische Lähmung 
1., die sensible r. überwiegt. Die Sensibilitäts- und Sympathicusstörungen weisen 
auf das 8. Zervikal- bezw. erste Dorsalsegment hin. Die motorischen Ausfalls¬ 
erscheinungen weisen dagegen auf die Anwesenheit getrennter, den Rücken¬ 
marksquerschnitt in großer Ausdehnung besetzender Krankheitsherde hin. 
Als Ursache derselben kommen die Stichverletzungen nicht in Betracht, 
weil der vordere sonst eine größere Weichteilverletzung hätte machen und 
der hintere zur Hervorbringung einer beiderseitigen Lähmung fast eine mit 
dem Leben kaum vereinbare Querdurchtrennung hätte zur Folge haben 
müssen. Eine Myelitis traumatica mit vorwiegend linksseitigem Sitz und 
nur kollateralen Erscheinungen rechts läßt sich wegen der synchronen beider¬ 
seitigen Erscheinungen nicht annehmen, eine Quetschung hätte die Reflex¬ 
bahnen nicht geschont, und so bleibt nur die Annahme einer Blutung übrig, 
einer Hämatomyelie mit Freibleiben der grauen Substanz. Für dieselbe sind 
nicht die Stiche verantwortlich zu machen, zumal vor allem der erstere da¬ 
für in Betracht käme, sondern eher der vehemente Zug am Kinn nach r. 
und hinten. Hierfür sprechen die Hämorrhagien im Halsmark von Gehenk¬ 
ten infolge der Distraktion der Wirbelsäule, ähnliche Störungen kommen 
auch bei Geburten mit vorangehendem Steiß oder bei Wendung auf den 
Fuß infolge Zugs an den unteren Extremitäten und Gegenzug des im Becken 
noch verankerten Kinnes vor. Auch experimentell ließen sich Verschie¬ 
bungen im Halsmark bis zu 1 mm nachweisen bei Zug an der Wirbelsäule 
in obiger Richtung, bei Aufhängung am Becken und Zug am Schultergürte] 
war dies nicht der Fall. Es sind also Verletzungen der Medulla spin. ohne 
Schädigung der Wirbelsäule möglich. Als die Stelle der Schädigung ist im 
vorliegenden Fall die beim Zuge eingetretene stärkere Konvexität im Areal 
des 1. Vorderseitenstranges und andrerseits des größten Schubes im r. 
Seitenstrang und im Hinterstrang anzunehmen. Die luetische Infektion läßt 
als begünstigendes Moment eine größere Vulnerabilität der Gefäße an¬ 
sprechen, von der lues cerebrospinalis bezüglich der Hintcrstrangserschei- 
nungen ganz abgesehen. Zweig-Dalldorf. 

Yanvsek, R., Pseudnparesls spastica cum tremore. (C'asopis lekafu » öeskych. 
1911. Nr. 27.) 

Nach einer Enesolinjektion stellte sich bei einem 47 jährigen Mann ein 
heftiger, durch Intention auslösbarer und verstärkbaren Tremor aller Extremi- 


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Referate und Besprechungen. 


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täten ein, der so heftig werden konnte, daß der Kranke zu Coden stürzte, 
allerdings so vorsichtig, daß er sich nie verletzte und der sieh durch Stem¬ 
men der Hände in die Hüften unterdrücken ließ (funktioneller Tremor), ferner 
Stottern, das durch psychische Affekte bis zur Aphonie gesteigert wurde, 
und konzentrische Gesichtsfeldeinengung. Symptome einer organischen Er¬ 
krankung des Zentralnervensystems waren nicht vorhanden. Vanvsek dia¬ 
gnostizierte eine spastische Pseudoparese mit Zittern (Nonne-Fürstner). Das 
geringe Trauma (Injektion) genügte zur Hervorrufung des Symptomenkom- 
plexes, da der Patient, obwohl aus gesunder Familie stammend, zu Neurosen 
prädisponiert war (Neigung zu Sprachstörungen, Fehlen des Geschlechts¬ 
triebs, Unbeständigkeit im Berufe). G. Mühlstein-Prag. 

Eschlr, Franz C. (Sinsheim), Funktionelle Stinmilähimme und Stlmmbaud- 
lähmung. (Die Heilkunde, Nr. 21, 1911.) 

Der Unterschied zwischen Krampf und perverser Innervation der Stimm¬ 
bänder und ihren Folgezuständen beruht grundsätzlich auf dem Außerbe¬ 
trachtbleiben oder Mitspielen des Willensaktes. Und gerade dadurch offen¬ 
bart sich seine therapeutische Bedeutung. Während man in dem einen 
Fall von sedativen und die Reflextätigkeit herabsetzenden Mitteln eine Bessev 
rung erhoffen kann, darf man in allen Fällen funktioneller Natur, in denen 
die perverse Innervation eine Rolle spielt, einen Erfolg nur bei solchen 
Methoden voraussetzen, die auf Grund eines Studiums des Mechanismus der 
Funktionsstörung durch rationelle Gymnastik einzelner Muskeln und größerer 
funktioneller Einheiten den Ausgleich beim Patienten gewissermaßen durch 
richtigere Dosierung seines Willens herbeizuführen suchen. Wenn man im 
Gegensätze zu der hysterischen, spez. spastischen Aphonie gerade für das 
Zustandekommen der Schrecklähmung, der „freiwilligen Stummheit“, deren 
psychische Provenienz betont hat, so muß es in Anbetracht der unverkennbaren 
Willensstörung fraglich bleiben, ob in diesem Umstand ein Unterschied von 
fundamentaler Bedeutung für Theorie und Praxis erblickt werden darf. Ge¬ 
wisse Unterschiede bestehen sicher. Der Effekt für das leidende Indivi¬ 
duum bleibt aber immer der gleiche. S. Leo. 

Morävek, A., Tablsche Arthropathien. (Sbornik klinicky. 1911. (XI3), 
XVI, Nr. 5—6.) 

Die Arthropathien sind bei Tabes manchmal so frühzeitig vorhanden 
und auch skiagraphisch so bald nachweisbar, daß sie als ein Frühsymptom 
der Tabes gelten können. Von der Arthritis deformans sind sie klinisch und 
skiagraphisch verschieden. Ihre Entstehung verdanken sie nicht allein ner¬ 
vösen, sondern auch mechanischen Einflüssen. M. unterscheidet hyper¬ 
trophische, destruktive (atrophische) und gemischte oder übergangsformen. 
Bei den hypertrophischen Formen geht die Gewebsneubildung ganz zweck¬ 
mäßig vor sich, so daß ganz neue Knochenstützen entstehen. Histologisch 
ist das Knochengebälke des äußeren Kondylus der erkrankten Gelenke un¬ 
dicht, die Knochenbälkchen sind ganz dünn. Osteoklasten sind nicht zu 
sehen, daher ist die Resorption unklar. G. Mühlstein-Prag. 

Jirkovsky, J., Seltene Ursache einer Radialislähiniing. (Casopis lckaruv 
öeskycli. 1911, Nr. 33.) 

Der 52 jährige Mann hatte infolge eines Gelenkrheumatismus einen 
schweren Aortenfehler aquiriert. Einige Stunden nach der Anlegung des 
Jaquetschen Sphygmographen an die Art. cubitalis stellte sich eine Läh¬ 
mung des N. radialis und eine Parese des N. ulnaris ein. Der Apparat war 
wegen des großen und schnellenden Pulses nur leicht befestigt und lag 
im ganzen 15—20 Minuten an. Der Mann war nicht kachektisch, seit 
längerer Zeit bestand kein Alkoholabusus und das Alter war nicht hoch. 
Daher bringt der Autor die Radialislähmung mit der ursprünglichen Krank¬ 
heit in Zusammenhang und glaubt, daß der Aortenfehler eine ungenügende 
Ernährung des Nerven verursachte, infolgedessen er einer Läsion leichter 
zugänglich war. _ G. Mühlstein-Prag. 



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Referate und Besprechungen. 


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Kinderheilkunde und Säugiingsernährung. 

Rott, Fritz (Berlin), Uber das Wesen und die Behandlung des nervösen 
Erbrechens Im Säuglingsalter. (Therap. Monatshefte, September 1911.) 

Bei rein nervösem, spastischen Erbrechen, dessen Ursache in einer 
Hyperästhesie der Magenschleimhaut zu suchen ist, hat die therapeutische 
Anwendung von Kokain, im Falle fettfreie Diät nicht zum Ziele führt, 
durchschlagenden Erfolg. Bei Fällen von unstillbarem Erbrechen, dessen 
Art bei gleichzeitig bestehender allgemeiner Muskelschlaffheit die Annahme 
einer Magenatonie wahrscheinlich macht, ist eine günstige Einwirkung von 
Kokain nicht ersichtlich. Über die therapeutische Anwendung von Kokain 
beim Pylorospasmus läßt sich ein sicheres Urteil noch nicht fällen. Die 
bisherigen Ergebnisse ermuntern zu weiteren Versuchen; möglicherweise* 
läßt sich die Art der Kokainanwendung noch modifizieren, ovent. kann ein 
schnellerer Erfolg mit stärkeren Dosen von Kokain herbeigeführt werden, 
oder es kann auch der Versuch einer kombinierten Medikation von Kokain 
mit Atropin oder Opium gemacht werden. S. Leo. 

Die Kindersterblichkeit in Russland. (Mediz. Blätter, Nr. 20, 1911.) 

P i 1 e n k o schildert ein Petersburger Wöchnerinnenheim wie folgt: Zer¬ 
brochene Fensterscheiben, Haufen von blutigen, eitrigen Lappen und Ver¬ 
bandsstoffen in einem Winkel des Krankenzimmers aufgehäuft, die Wöch¬ 
nerinnen von Schmutz starrend, tagelang nicht gewaschen, von Ungeziefer 
wimmelnd, von Schmutz steifgewordene Bettlaken, auf denen abgezehrte 
Frauengestalten stumpf, allenfalls durch einen Schluck Branntwein beseelt, 
dahinsiechen. Unter allen Staaten steht Rußland in bezug auf Kindersterb¬ 
lichkeit an erster Stelle. In einem halbamtlichen Bericht wird die Durch¬ 
schnittszahl der in Rußland im ersten Lebensjahre sterbenden Kinder auf 
RIO von 1000, in einigen Gouvernements aber sogar auf 600 von 1000 an¬ 
gegeben. Das heißt l /s bis s / 3 aller Lebendgeborenen gehen zu Grunde. 
In C00 Kreisen des europäischen Rußlands hat man Ermittlungen über die 
Sterblichkeit der Säuglinge angestellt, in mehr als 60 war das Ergebnis 
■100:1000, An erster Stelle stehen die großen Städte, doch nicht weil die 
sanitären Verhältnisse auf dem Lande besser sind, sondern weil relativ mehr 
Geburten, besonders uneheliche, auf die Großstädte entfallen. In Moskau 
starben 1910 33,1 u 0> in Petersburg 26,1 ",o aller Geborenen, während die 
Prozentzahl für Amsterdam z. B. nur 8,6 «n beträgt. Wahrscheinlich ist ein 
wichtiger Grund für die hohe Kindersterblichkeit die abnorme hohe Gebur¬ 
tenzahl. Viele Kinder werden zwar lebend, aber nicht lebensfähig geboren, 
die erschöpften Mütter sind zu schwach, um die Kinder zu nähren. Die Folge 
davon ist, daß in den letzten 5 Jahren 270 000 Säuglinge allein an Darm¬ 
katarrh starben. S. Leo. 

Barannlkov, J. A., Die Bordet-Genousche Reaktion bei Scarlatina. (Casopis 
lökafüv ßeskyeh. 1911, Nr. 49. 

Antigene, die aus den Sekreten und Exkreten von Scharlachkranken 
oder aus den Organen von Scharlachleichen bereitet waren, ergaben mit 
dem Blutserum von Scharlachkranken oder anderen Patienten, die Schar¬ 
lach überstanden hatten, Hemmung der Haemolyse, dagegen mit dem Blut¬ 
serum aller anderen Kranken (Morbillen, Rubeolen, Diphtherie, Ileotyphus, 
Pneumonie, Pleuritis, Psoriasis u. a.) Haemolyse. G. Mühlstein-Prag. 

HIava, J., Die Scharlachhaut. (Rozpravy Ceskö Akademie. XVIII. Nr. 41. 

Der Prozeß in der Haut Scharlachkranker gleicht mehr einer Entzün¬ 
dung — Hyperämie, seröse Durchtränkung, Leukozyteneinwanderung, peri¬ 
vaskuläre Proliferation — als einem bloßen toxischen ödem; er spielt sich 
hauptsächlich in dem Epithellager des Stratum cylindricum und spinosum 
und im Korium ab und kann zu Kolliquationsherden in der Epithelschichte 
und zu Abhebung der Hornschichtlagen (Bläschenbildung) führen. In sieben 
Fällen ex mortuo und in 5 Fällen ex vivo fand HIava parasitäre Bildungen 
und zwar teils runde, total oder segmentweise gefärbte Körperchen, teils 
maulbeerförmige, aus ziemlich großen, kugeligen oder ovalen Teilchen be- 


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250 Referate und Besprechungen. 

3tehcnde Typen, ferner intensiv gefärbte kernartige Gebilde mit Segmen¬ 
tation, die eine übergangsform zur Maulbeerform darstellen und schließlich 
einzelne Körperchen von der Größe der Teilstücke der maulbeerförmigen 
Typen oder kleiner; diese Arten finden sich meist in bläschenförmigen 
Räumen, aber auch vereinzelt zwischen den Epithelzellen. Streptokokken 
wurden in den ex vivo stammenden Hautstücken nicht gefunden. 

G. Mühlstein-Prag. 


Augenheilkunde. 

Adonidis. G. M., (Moskau). Ein Fall von rheumatischer Neuritis optica. 

(Allg. Wiener med. Ztg., 1911, N. 6.) 

Eine G2 jährige Rheumatikerin erkrankt im Anschluß an einen Schreck 
plötzlich mit beiderseitiger Erblindung, periorbitalen Schmerzen und schmerz¬ 
haften Augenbewegungen. 

Die Untersuchung ergab: „Kongestion des Augenhintergrundes, 
ödematöse Papillen mit weicnen, wolkigen Rändern, die Venen prallgefüllt, 
die Arterien klein; keine Retinalblutung, keine Embolie der Art. centr. 

Ord.: Blutegel an die Schläfen, Hg-Einreibungen um die Orbitalgegend. 
Kalomel als Purganz, später Galvanisierung der Periorbitalregion, Schröpf¬ 
köpfe im Nacken, Jodnatrium. Fast völlige Wiederherstellung der Sehkraft. 

Esch. 

Kadlickv', R., Uber die sog. Trachomkörperchen. (Casopis lökahiv öeskvch. 
1911, Nr. 51.) 

Der Autor fand die Trachomkörperchen bei Trachom unter 54 Fällen 
nur 14 mal (wohl aus dem Grunde so selten, weil sie bei Behandlung des 
Trachoms bald verschwinden), dagegen bei der Blennorrhoe der Neuge¬ 
borenen unter 69 Fällen 33 mal. Der Autor schließt daraus, daß die 
Trachomkörperchen für Trachom nicht spezifisch sind, sondern auch bei 
Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane Vorkommen und von diesen 
auf die Augen der Kinder übertragen werden. G. Mühlstein-Prag. 

Goldziehcr, W. (Budapest), Über eine neue Behandlungsmethode der 
akuten gonorrhoischen Konjunktivalbiennorrhoe. (Wiener kiin. Wochenschr., 
Nr. 47, 1911.) 

Die Eigenschaften des Gonokokkus, nur die obersten Schich¬ 
ten der Konjunktiva zu befallen und schon durch Erwärmung auf 45° 
sich abtöten zu lassen, benützte Goldzieher, um die in zahlreichen Fällen 
schwerer Konjunktivalbiennorrhoe versagende Silbermethode durch ein 
besseres Verfahren zu ersetzen. Er konstruierte einen kleinen, elektrisch heiz¬ 
baren Apparat zur Erzeugung heißen Wasserdampfs (zu beziehen durch 
D. Szikla, Budapest, Räkoczyut 19), um damit die erkrankte Konjunktiva zu 
besprayen; die Lider werden dazu umgestülpt, und der Konjunktivalsack aus¬ 
gespült und getrocknet, bevor der Spray einwirkt; die Hornhaut ist durch 
die Lider zu schützen. Die Methode besitzt außer der Schmerzhaftigkeit der 
ersten Sitzung, die auch durch Kokain nicht zu beseitigen ist, keine Nach¬ 
teile; ihre Erfolge sind vorzüglich. M. Kaufmann. 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten der Harn- und 

Geschlechtsorgane. 

Zelenka, Fr. Dr., Die Behandlung der Syphilis mit Ebrlichs Präparat. 

(Casopis lökaniv öeskyeh. 1911, Nr. 39—40.) 

Z. publiziert die Erfahrungen der Klinik Janovsky in Prag bei 75 mit Sal- 
varsan behandelten Fällen. Anfangs wurden 0,3 g (nach Wechselmann) beider¬ 
seits, später 0,4—0,6 g auf einer Seite (nach Ehrlich) intraglutäal injiziert. Üble 
Nebenerscheinungen wurden in keiner Hinsicht beobachtet; im Gegenteil, 



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Referate und Besprechungen. 


•251 


plastische Iritiden heilten sehr schnell. Harte Geschwüre heilten rasch, ebenso 
Papeln; nur selten war zur Beseitigung harter Hautpapeln und der Psoriasis 
Quecksilber notwendig. Die Spirochaeten waren oft schon am zweiten Tage 
nicht mehr nachweisbar. Auch Guminen verschwanden schnell, ebenso die 
Geschwüre bei Lues ulcerosa. Von 8 Fällen von Lues cerebri wurden 
G gebessert, 1 Fall blieb unverändert und ein Fall wurde verschlimmert. 
Bei progressiver Paralyse und Tabes konstatierte man nur subjektive Besse¬ 
rungen und auch diese verschwanden später wieder. 

G. Mühlstein-Prag. 

Fromme (Berlin), Die Therapie der akuten und chronischen Gonorrhoe bei 
der Frau. (Die Heilkunde. Ärztl. Standeszeitung, Nr. 19, 1911.) 

Im Stadium der Menstruation hüte man sich vor jeglicher lokaler Be¬ 
handlung des Zervix und des Uterus selbst, sowohl in diesem Stadium, als 
auch, wenn die Gonokokken die Zervix und den Uterus schon betreten haben. 
l.Ian kann von Spülungen und Atzungen des Uterus bei akuter Gonorrhöe 
nicht genug warnen. Denn führt man sie aus, so erreicht nlhn sicher das, 
was man vermeiden wollte, das Überspringen der Gonokokken auf die Tuben 
und event. des Beckenperitoneum. Man fügt also dem Kranken noch einen 
direkten Schaden zu. Haben trotz unserer Behandlung die Gonokokken den 
Uterus und die Tuben erreicht, so heißt es möglichst konservativ vorgehen, 
um den Prozeß zur Ruhe kommen zu lassen, und allmählich eine Resorption 
herbeizuführen. Die Uterusblutungen bei Uterusgonorrhöe werden durch 
große Gaben Ergotin bekämpft; der Ausfluß durch Spülungen, die man den 
Kranken selbst mit irgend einem Desinfektionsmittel ausführen läßt. Die 
Hauptsache ist jetzt,, durch möglichste Ruhe eine Weiterverbreitung des 
Prozesses zu hindern. Bettruhe, Eisblase. Treten peritonitische Reizerschei¬ 
nungen auf, so warte man ab, sorge für regelmäßigen Stuhlgang und für 
leicht verdauliche Kost. Unter Umständen geht die Ausbildung der Pyo- 
salpingen sehr rasch vor sich. Absolut zu warnen ist in diesen Stadien vor 
einem operativen Eingriff. In einzelnen Fällen ergießen sich bei der Aus¬ 
bildung der Pyosalpinx .größere Eitermengen in das Beckenperitoneum und 
führen hier zu einer Eiterung, den sog. Douglasabszeß. Daß ein solcher 
entsteht, erkennt man an dem Auftreten eines höheren Fiebers. Die Kranken 
bekommen ziemlich starke Schmerzen, die peritonitischen Reizerscheinungen 
können sehr ausgeprägt sein, die Patienten klagen über Druck im Mastdarm. 
Innerlich fühlt man das hintere Scheidengewölbe stärker vorgetrieben und 
schmerzhaft. Hier kann man durch den hinteren Scheidenschnitt dem Eiter 
Abfluß verschaffen. S. Leo. 


Medikamentöse Therapie. 

Focke (Düsseldorf), Zur Frage der Kumulation der Digitaliswirkungen. 
(Therap. Monatsh., September 1911.) 

Während bei der Injektion eines Digitalispräparates schon eine einzelne 
Dosis eine kräftige Wirkung hervorrufen kann, die aber weniger lange anhält, 
ist die Erzielung einer kräftigen Wirkung durch eine einzelne Gabe per os 
unmöglich, weil diese so hoch sein müßte, daß sie eine höchst unangenehme 
Intoxikation auslösen würde. Jede auf dem üblichen und besonders zur Er¬ 
zielung der langen Nachwirkung durchaus zweckmäßigen stomachalen Weg 
erzielte Digitaliswirkung beruht auf der Addition der Wirkungen einer Reihe 
von Einzelgaben, kurz auch einer Kumulation, der therapeutischen 
Kumulation. Da die Kumulation eine nützliche Eigenschaft ist, so kann man 
es als töricht betrachten, wenn fast jeder Prospekt eines neuen Digitalis¬ 
präparates verkündet, dieses besondere Mittel wirke nicht kumulativ.. Was 
vermieden werden soll, ist eine stärkere, die toxische Kumulation, ob¬ 
gleich ihr Eintritt nicht gleich das Leben bedroht. Sie kann vermieden 
werden durch die Wahl des Präparates und der Dosierung, indem man sich 


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252 


Referate und Besprechungen. 


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gewöhnt, nur diejenigen physiologisch eingestellten galenischen Präparate 
zu benutzen, in denen möglichst alle wirksamen, besonders die wasser¬ 
löslichen Bestandteile enthalten sind, also weniger die Tinktur, sondern die 
fol. Digit, titr. als Pulver oder Infus, weil diese nicht nur in ihrer Wir¬ 
kungsstärke bekannt sind, sondern auch weil sie einen relativ großen Spiel¬ 
raum zwischen der therapeutischen und toxischen Wirkungsschwelle besitzen. 
Man gibt am besten in den ersten 2 Tagen kräftige Dosen, event. am 
3. und 4. Tag weniger und setzt das Mittel nach erreichter Wirkung aus, 
bis der Zustand eine Wiederholung erwünscht erscheinen läßt. Mehr Vor¬ 
sicht ist bei der Injektion des Präparates nötig. S. Leo. 

Rybtik, 0., Eigenschaften, Wirkung und Wert des Kalomels in der In¬ 
ternen Medizin. (Rozpravy Ceskö Akademie. XVIII, Nr. 43.) 

Das Kalomel verwandelt sich unter dem Einflüsse de3 Darmsaftes im 
Körper in lösliche und resorbierbare Verbindungen und ruft dann selbst 
in therapeutischen Dosen Intoxikationen hervor, die auch tödlich enden 
können. Wiederholte kleine Dosen führen eher zu einer universellen Mer- 
kurialisation als große Dosen. Die Bedingungen, unter denen die giftigen 
Verbindungen entstehen, sind unbekannt und daher ist das Kalomel unbe- 
»errsohbar. Es ist aber auch in der Therapie leicht entbehrlich. Es hat 
keinerlei Vorzüge vor unschädlichen Abführmitteln; seine diuretisehe Wir¬ 
kung beruht in einer entzündlichen Reizung des Nierenepithels, die leicht in 
Nephritis übergehen kann; eine gallentreibende Wirkung kommt ihm nicht 
:u und eine Antisepsis des Verdauung-.kanals ist mit ihm nicht zu erreichen; 
für die Behandlung der Lues kommt es nicht in Betracht. Das Kalomel 
ist demnach aus dem intern-medizinischen Arzneischatz zu streichen. Zwar 
entfaltet es manchmal bei kardialem Hydrops eine stark diuretisehe Wirkung, 
aber gerade bei diesen Fällen kommt cs am häufigsten zu rasch tödlichen 
Vergiftungen. G. Mühlstein-Prag. 

Engling (Wien), Über die Dcsinfcktionswirkung des Jodoforms und des 
Novojodins. (Centr. f. Bakt., Bd. 60, H. i>.) 

Nach den vom Verf. mitgeteilten Versuchsreihen zeigt sich, daß das 
neue Wundantiseptikum Novojodin sämtlichen anderen Präparaten, wie Jodo¬ 
form, Airol, Xeroform und Vioform an Desinfektionskraft und entwicklungs¬ 
hemmender Wirkung weit überlegen war. Dieses Novojodin ist von der 
Firma Dr. R. S che üble und I)r. A. Hochstetter hergestellt. Novo¬ 
jodin ist ein Hexamethylentetramindijodid (C« H, s N, J L >), das mit 50 Proz. 
Talkum unter dem Namen Novojodin in den Handel gebracht wird. 

Novojodin tötet Staphylokokken in der Verdünnung 1:1000 in fünf 
Minuten ab. Eiter wird durch Novojodin steril, dagegen nicht durch 
Jodoform. 

Novojodin spaltet freies Jod ab. Ob mit der Jodabspaltung gleichzeitig 
Formaldehyd wirksam wird, konnte nicht festgestellt werden, jedenfalls kommt 
eine Formaldehydwirkung ohne gleichzeitige Jodwirkung nicht vor, da an 
allen Stellen der Wirksamkeit auch freies Jod nachgewiesen werden konnte. 
Mit Hilfe von Novojodin gelingt es, Milzbrandfäden bei weißen Mäusen 
subkutan reaktionslos zur Einheilung zu bringen, während bei Verwendung 
von Jodoform die Mäuse in drei Tagen tot sind. Indifferente Umhüllungsmittel, 
wie Weizenmehl, waren relativ ebenso wirksam, wie Jodoform. 

Eine spezifische Wirkung von Jodoform auf Tuberkelbazillen war nicht 
nachgewiesen, hingegen gelang es in 3 Fällen, bei Meerschweinchen tuberku¬ 
löses Sputum mit Novojodin subkutan einzuverleiben, ohne daß die Tiere 
erkrankt sind. Schürmann. 

Linke, II. (Friedrichshain), Minderwertige Azetylsalizylsäuretabletten t 

(Therap. Monatshefte, November 1911.) 

Für den Arzt liegt kein Grund vor, das wesentlich teuere Aspirin an 
Stelle einer anderen guten Azetylsalizylsäure zu verwenden und die letztere 
als ein nicht vollwertiges Surrogat des ersteren zu betrachten. 

S. Leo. 


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Referate und Besprechungen. 


253 

Mendel, Sidorenkos experimentelle und klinische Untersuchungen über die 
Wirkung des Fibrolysin« auf narbiges Gewebe. (Deutsche Zeitschrift f. Chir¬ 
urgie, 113. Bd.) 

Auf Grund experimenteller und klinischer Untersuchungen hat von 
Sidorenko (Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, Juni 1911) dem Fibrolysin 
einen Einfluß auf narbiges Gewebe abgesprochen. Hiergegen wendet sich 
Mendel, indem er zunächst die Versuchsanordnung Sidorenkos als verfehlt 
bezeichnet. Dieser untersuchte mikroskopisch Narbengewebe, welches er bei 
Hunden durch Ausschneiden von Haut- und Muskelsubstanz erzeugte, vor 
und nach den Fibrolysininjektionen. Abgesehen davon, daß sich nach den 
bisherigen Tierexperimenten gerade der Hund als besonders unempfindlich 
gegen Thicsinamin erwiesen hat, machte Sidorenko die Feststellung der 
durch das Thiosinamin bewirkten „serösen Durchflutung“ bez. der dadurch 
herbeigeführten Quellung und Auflockerung des Narbengewebes unmög¬ 
lich, weil er die exzidierten Gewebsstücke nicht frisch untersuchte, son¬ 
dern erst in Formalin härtete und dazu noch einem komplizierten Färbe¬ 
verfahren unterwarf. Den therapeutischen Mißerfolgen Sidorenkos stellt 
Mendel die große Zahl der in der Literatur niedergelegten günstigen Resul¬ 
tate entgegen und sieht als besonderen Beweis für die spezifische Wirkung 
iles Fibrolysins auf Narbengewebe die wohlverbürgten Heilungen von Er¬ 
krankungen an, die nach den bisherigen klinischen Erfahrungen niemals eine 
spontane Heilung erwarten lassen und auch nie durch andere Heilmethoden, 
chirurgische Eingriffe ausgeschlossen, geheilt oder gebessert wurden. 
! Dupuvtrensche Kontraktur, Narbenkeloid, Myositis ossificans u’. a.)') 

Rigler. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden 

Bockhorn (Langeoog), Die Atemgymnastik, ein erzieherischer und heil¬ 
samer Faktor in der Thalassotherapie. (Verhandl. des V. internat. Kongr. für 
Thalassotherapie, Koiberg 1911.) 

Je mehr sich das allgemeine Interesse dem Herzmuskel zugewendet 
hat, um so weniger blieb übrig für einen anderen, nicht minder wichtigen 
Muskel: das Zwerchfell. Die Physiologen und Pathologen pflegen darüber 
meist schnell hinwegzugehen, und die Therapeuten denken auch nicht viel 
daran. Und doch lassen sich von hier aus, bezw. durch eine richtig ausge¬ 
führte Atmung erstaunliche, fast zauberhafte Wirkungen erzielen. Die Zahl 
derer, die das einsehen, nimmt glücklicherweise stetig zu. Auch Bock¬ 
horn bricht eine Lanze für diese wichtige physiologische Funktion und 
tritt mit W'ärme und guten Gründen dafür ein, daß man die innerliche und 
äußerliche Anwendung der Luft in den Seebädern kombiniere, wo zugleich 
Kochsalz und Jod zur Wirkung komme. Einem denkenden Arzt braucht 
man nicht in extenso die verschiedenen krankhaften Zustände auseinander¬ 
zusetzen, bei welchem die Atemgymnastik nezw. Aerotherapie indiziert ist. 
Ihm genügt, auf diesen Faktor hingewiesen zu sein; daß er dann praktischen 
Gebrauch davon machen läßt, entweder unter persönlicher Leitung oder 
bei Bockhorn -Langeoog, davon bin ich überzeugt. 

Buttersack-Berlin. 

Kowazschik, J. (Wien), Methoden und Technik der Diathermie. (Zeitschr. 
f. physikal. u. diätet. Therapie, 15. Bd., H. 11, S. 641— 655, 1911.) 

Wer sich über die Diathermie unterrichten will, d. h. jene Methode, mit 
Hilfe hochfrequenter Wechselströme Wärme im Körperinnern zu erzeugen, 
dem sei diese Abhandlung empfohlen. K. gibt die den Medizinern meist 
ungewohnte physikalische Grundlage in klarer, ohne weiteres begreiflicher 
Darstellung und in gutem Deutsch. Buttersack-Berlin. 

*) Auch ich habe kürzlich mit Fibrolysin als Injektion und in Form von Suppo- 
sitorien angewandt, bei einem Fall von NarbenkoDtraktur einen recht befriedigenden 
Erfolg gesehen. R. 


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254 


Refemte und Besprechungen. 


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Kahane. Max (Wien), Hochrrequcnzströnie und ihre Indikationen. (Ztschr. 
f. physikal. u. diätet. Therapie, Bd. 15, H. 9 u. 10, 1911.) 

Als Hochfrequenzströme bezeichnet man Wechselströme von hoher Fre¬ 
quenz und hoher Spannung. Man kann sie teils lokal auf eine bestimmte 
Stelle des Körpers, teils vermittelst der sog. d’Arsonvalisation auf den 
ganzen Körper wirken lassen. Lokal appliziert haben sie schmerzlindernde, 
juckreizmildernde, gefäßverengende, sekretionsbeschränkende und trophische 
Effekte. Bei der allgemeinen Applikation beruhigen sie, befördern den Schlaf 
und regulieren den Blutdruck. Leider wirken diese Ströme nicht auf die 
Krankheitsursachen, sondern nur gegen die Symptome, also was man früher 
palliativ nannte. 

Indiziert sind sie zur Behandlung von Neuralgien, Neuritiden, Neur¬ 
asthenie, Labyrinthschwindel, Sekretions- und Trophoneurosen, bei erhöh¬ 
tem Blutdruck, Angina pectoris, Herzneurosen, passiver Hyperämie, bei nässen¬ 
den und juckenden Ekzemen, bei Dermatosen mit Gefäßlähmung, Akne vul¬ 
garis, Akne rosacea; ferner bei akutem und chronischem Muskelrheumatis¬ 
mus, Arthralgien, Struma vasculosa. 

Kontraindikation ist bis jetzt nur die Hysterie. 

Schädliche Wirkungen sind nicht beobachtet worden. — 

Besonders zuträglich halte ich die Beschäftigung mit den Hochfrequenz¬ 
strömen für die moderne Ärztegeneration als Gegengewicht gegen die doch 
mge Welt des Mikroskops und der chemischen Spekulationen. Die Tesla¬ 
ströme bringen demgegenüber zum Bewußtsein, wie wir durch unsichtbare 
Energien mit den entferntesten Welten in Verbindung stehen, und bereiten 
dadurch vielleicht eine gewisse Empfänglichkeit für weitere Horizonte vor. 

Buttersack-Berlin. 


Allgemeines. 

Kongreß für Mutterschutz und Sozialreform. (Dresden, September 1911. 
Mediz. Blätter, Nr. 21, 1911.) 

Über Ehe- und Sexualreform in Italien sprach Gennaro Avolio 
(Neapel). A. spricht den Wunsch aus, daß das Zölibat junger Leute stets 
als eine Vorbereitung zur Ehe anzusehen sei, insofern es Willenserziehung 
ist, die die Männlichkeit und den Charakter stählt, daß es jedoch so wenig 
lang als möglich dauern soll, und daß an der Bewegung zur Abschaffung 
des erzwungenen Zölibats für den Klerus die Laienwelt, die Presse und 
die staatlichen Regierungen selbst als die natürlichen Schützer der bürger¬ 
lichen Rechte und der öffentlichen Sittlichkeit tätigen Ai ' >il nehmen. (Avolio 
widerspricht sich; einerseits fordert er die Abschaltung des Zölibats 
für Priester, anderseits befürwortet er das allgemeine Zölibat vor der 
Ehe, ein frommer Wunsch, der in unseren Breiten unausführbar ist, um wie¬ 
vielmehr in südlichen. Anm. d. Ref.) 

Iwan Bloch (Berlin) sprach über: Die sexuelle Frage im 
Altertum und ihre Bedeutung für die Gegenwart. Die Voraus¬ 
setzung einer rationellen Sexualreform ist die Erkenntnis, daß die moderne 
Sexualmoral in jeder Beziehung ein Produkt des klassischen Altertums ist. 
Die antike Sexualmoral ist die eines typischen Sklavenstaates auf der einen, 
und eines absoluten Patriarchats auf der anderen Seite. Sie ist gekenn¬ 
zeichnet durch eine extreme Ausprägung des Dualismus im Geschlechtsleben, 
der in allen Beziehungen der Geschlechter eine doppelte Moral schafft. Diese 
doppelte Geschlechtsmoral des Altertums gründet sich im wesentlichen auf 
die Mißachtung der Frau, die Mißachtung der individuellen Liebe, die Mi߬ 
achtung der Arbeit. Hieraus folgen Unfreiheit und Unterdrückung der Frau 
in der Ehe, als deren einziger Zweck die Fortpflanzung gilt, Unterdrückung 
aller individuellen Liebesbeziehungen zwischen Mann und Frau — zugunsten 
einer ausschließlich physischen Befriedigung des Mannes bei den sozial ge¬ 
ächteten unfreien Prostituierten, Nutzlosigkeit aller Reformbestrebungen in 
der gänzlichen Ausschaltung der gemeinsamen Arbeit als eines Mittels der 



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Referate und Besprechungen. 


2r>b 


Individualisierung und Veredlung des Liebeslebens. Schon im Altertum hat 
als Reaktion gegen diese dualistische, patriarchalische Sexualmoral eine 
Reformbewegung eingesetzt, die im Laufe der weiteren Kulturentwicklung 
trotz wiederholter Stillstände und Rückschläge immer größere Fortschritte 
gemacht hat, und an die die moderne Sexualreform organisch anknüpfen 
muß. Die Hauptmomente dieser allmählichen Herausbildung einer den gänz¬ 
lich veränderten Kulturverhältnissen der Gegenwart entsprechenden Sexual- 
moral sind: Die Erkenntnis, daß die Sexualität als psycho-phvsiologische 
Lebenserscheinung für das einzelne Individuum mindestens ebenso viel be¬ 
deutet, wie für die Gattung; die Ausbildung und konkrete Formulierung 
des Begriffes des sexuellen Verantwortlichkeitsgefühles; die Ablehnung des 
Asketismus als Lebensprinzip; jedoch die Anerkennung der Bedeutung der 
relativen, bezw. temporären sexuellen Abstinenz für das Leben des ein¬ 
zelnen; die volle Anerkennung und Freigabe aller Entwicklungsmöglichkeiten 
der Frau und Ausschaltung aller diesen entgegenwirkenden Hemmungen 
in Staat und Gesellschaft, sowie Beseitigung der letzten Reste der alten 
Geschlechtssklaverei, wie Reglementierung, Üngleichheiten im Recht usw.; 
endlich die durchgängige innigere Verknüpfung der Liebe mit der Arbeit. 
Dann sprach über Ehe und Sexualreform Fräulein Dr. Helene 
Stöcker, Berlin: Wir betrachten es als die besondere Aufgabe unserer 
Bewegung, die Erkenntnis von der Notwendigkeit der persönlichen Ver¬ 
feinerung und Individualisierung in Liebe und Ehe, in der ganzen sexuellen 
Moral sowie die neuen Pflichten der Allgemeinheit gegenüber stärker ins 
allgemeine Bewußtsein zu rücken. Durch die veränderten wirtschaftlichen 
Verhältnisse ist die Möglichkeit zur Verwirklichung unserer Bestrebungen 
gegeben. Neben der geistigen steht heute die wirtschaftliche Emanzipation 
der Frau, und an einem energischen Aufbau unserer gesamten Sozialreform 
haben wir alle mitzuarbeiten. In bezug auf die Ehereform verlangen wir, 
daß zunächst die äußeren Formen, das heißt die Ehegesetze reformiert 
werden, daß die Ebenbürtigkeit und Anerkennung der Frau als Persönlich¬ 
keit voll zum Ausdrucke kommt. Dann aber erstreben wir eine Einwirkung 
auf die Verinnerlichung des Ehelebens, eine Stärkung und Verfeinerung 
in der Lebens- ond Liebeskunst. Wenn wir größere individuelle Freiheit 
für die Erwachsenen in ihrem Liebesieben fordern, so verlangen wir ein 
vertieftes Pflichtbewußtsein gegenüber den Kindern. Wir wollen heute das 
Heiligende nicht mehr aus dem Munde eines Priesters, sondern durch die 
Weihe einer Weltanschauung empfangen, die all unseren Kulturbedürfnissen 
gerecht wird. Hierauf wurde die Gründung einer internationalen 
Vereinigung für Mutterschutz und Sexualreform vollzogen. 


Ärztliche Technik. 

Quassinjektor. Apparat zur Behandlung vaginaler Affektionen mit Arzneimitteln 
in Verbindung mit COj in statu naseendi (Eu-Semori). D. R. Patent Nr. 241771 und 
Auslands patente. 



Der Quassinjektor bestellt aus einer mit Skala versehenen Einführungsröhre (ab) 
deren oberes Ende (a) eine Vorrichtung zur Aufnahme einer Tablette hat und eine weitere 
Vorrichtung, durch die bei Druck die Tablette zerkleinert werden kann, ferner aus einem 
Stössel (cd), der am oberen Ende einen wasseraufnahmefähigen Stoff (Schwamm, c) 
trägt. Die Skala erlaubt genaue Lokalisierung hei therapeutischen Indikationen. 

Führt man den Stössel an der Hand der Skala teilweise, oder, wenn der Muttermund 
geschützt werden soll, ganz mit durchfeuchtstem Schwamm in die Röhre ein. so kann 
durch leichten Druck die Tablette zerkleinert und Flüssigkeit zugeführt werden. Die 


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Bücherschau. 


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25« 

Tablette fällt zerkleinert als l’ulver heraus >n die Vagina, wohin auch das Wasser aus dem 
Stoff (Schwamm) infolge des Druckes dringt. 

Die Anwendung i s t e i n f a c h und bequem: Man lasso eine Tablette 
hei b in die Quassinjektor-Rohre nach dem Ende a zu fallen, durchfeuchte gründlich 
den Schwamm c, führe die ev. leicht eingefettete Röhre an der Hand der Skala so weit 
als möglich in die Vagina ein, schiebe dann den Stössel mit dem durchfeuchteten Schwämm¬ 
chen vollständig in die Röhre, übe einen leichten Druck aus und mache mit dem Stössel 
eine leicht drehende Bewegung, wobei der vorstehende Rand e der Röhre einen guten 
Halt gibt; dadurch wird die Tablette zerdrückt und das Wasser samt Tablettenpulver 
in die Vagina eingeführt. 

Der Apparat lässt auch lokale Behandlung an jeder Stelle der Vagina usw. mit 
flüssigen (durch den Schwamm c) aufgenoinmenen Arzneimitteln zu. 

Firma: Luitpold-Werk, ehern.-pharmaceutisehe Fabrik G. mb. H., München. 


Bücherschau. 


Ehrlich, Grundlage und Erfolge der Chemotherapie. Mit 13 Tafclabbildungen. 
Stuttgart 1911. Verlag von Ferdinand Enke. 2« Seiten. Preis 2,— M. 

Heininnn, Zur Histologie der Narben. Sonderabdruck aus Heft I des Archivs für 
Dermatologie und Syphilis. Wien und Leipzig. 1910. Wilhelm Braumiiller. 18 Seiten. 

Helliunnn. Vergleichende Übersieht übpr die klimatischen Verhältnisse der deut¬ 
schen Nordsee- und Ostseeklisten. Veröffentlichungen der Zentralstelle für Balneologie 
Heft III. Berlin 1911. Druck von Leonhard Simion Nf. 18 Seiten. 

Judassohn, Unsere Erfahrungen mit Salvarsnn. Sonderabdtuck aus der Deutschen 
medizinischen Wochenschrift. Leipzig 1910. Verlag von Georg Thieme. 21 Seiten. 

Jadassohn, Über „Kalkmetnstascn“ in der Haut. Sonderabdmck aus Archiv 
für Dermatologie und Syphilis. 1.—3. Heft. Wien und Leipzig 1910. Wilhelm Brau¬ 
mül ler. 26 Seiten. 

Kanngieüer, Vergiftungen durch Tiere und animalische Stoffe. Jena 1911. Ver¬ 
lag von Gustav Fischer. 49 Seiten. 1.— M. 

Lewandowsky, Experimentelle Studien über Haiittiibcrkulose. Sonderabdruck 

aus Archiv für Dermatologie und «Syphilis. 2. u. 3. Heft. Wien und Leipzig. Wilhelm 
Brautnüller. 64 Seiten. 

Luciani. Physiologie des Menschen. Ins Deutsche übertragen und bearbeitet 
von Prof. Dr. Silvestro ßaglioni und Dr. Hans Winterstein. Jera 1911. Verlag von 
Gustav Fischer. 480 Seiten. Preis 4,— M. 

Queralto, Aspecto Social de la Lticlia contra tu Tuberculosis. Barcelona 1910. 
Tipografia La Academia, de Serra Hnosy Russell. 32 Seiten. 

Robhi, Statistische, kasuistische und histologische Beiträge zur Lehre vom Lupus 
erythematodes. Aus der dermatologischen Universitätsklinik zu Bern. 1910. 43 Seiten. 

Robln, Therapeutique Usuelle du Pratleien. Clinique Therapeutiquo de la Facultö 
de Mödecine de Paris. 1911. Vigot Freres, ßditeura. 531 Seiten. Preis 8,— fr. 

Rothe, Hereditäre rudimentäre Dariersehe Krankheit in familiärer Kombination 
mit atypischer kongenitaler Hyperkeratose. Sonderabdruek aus: Archiv für Derma¬ 
tologie und Syphilis. 2. und. 3. Heft. Wien und Leipzig 1910. Wilhelm Braumüller. 
20 Seiten. 

Rothe, Über die Agglutination des Sporotriehon de Beurmann dnreh Serum von 
Aktlnomykosekranken. Sonderabdmck aus der Deutschen Medizinischen Wochen¬ 
schrift Nr. 1. Berlin 1910. Verlag von Georg Thieme. 4 Seiten. 

Rothe, über einen Fall von Liehen Ruber acuminatns aeutns. Sonderabdmck 
aus: Archiv für Dermatologie und Syphilis. 2. und 3. Heft. Wien und Leipzig 1910. 
Wilhelm Braumiiller. 20 Seiten. 

Schilling, Krankheiten des Diekdarms. Berliner Klinik. Heit 275, Mai 1911. 
Berlin W 35. Fischer’s Meaicin. Buchhandlung H. Kornfeld. 43 Seiten. 1,20 M. 

Seilheim, Ein Versuch zur Naturgeschichte der Frau. Daß Geheimnis vom Ewig- 
Weiblichen. Stuttgart 1911. Verlag von Ferdinand Enke. 76 Seiten. 

Stein, Induratio penis plastica und Dupuytrensehe Kontraktur. Separatabdruck 
aus der Wiener klinischen Wochenschrift. Nr. 52. Wien und Leipzig 1910. Wilhelm 
Braumüller. 8 Seiten. 


Druck von Julias Be.'tz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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30 Jahrgang 


1912 


Tortscbritte der Ifledizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 


herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. p. Sriegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. RIgler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 


9. 


€rsd>eint wScbentlld) jum preise von 8 <I)arh für Oos 
Bolb|abr. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Alleinige Inseratenannabme burcb (Dax Oelsborl, 
Annoncen-Bureau, €berswalbe bei Berlin. 


29. Febr. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 

(Aus der psychiatrischen und Nenenklinik der Universität Leipzig. 

Direktor Geh. Rat Prof. Dr. P. Flechsig.) 

Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 

Von Priv.-Doz. Dr. A. Gregor, II. Arzt der Klinik. 

1. Mitteilung. Die psychischen Nebenwirkungen.') 

Dass die von uns verwendeten Hypnotika durchaus keine indiffe¬ 
renten Mittel sind, ist allgemein bekannt. Dagegen sind unsere posi¬ 
tiven Kenntnisse über die spezielle Wirkungsweise derselben bisher noch 
von sehr bescheidenem Umfange. Die Fragen, welche uns in diesem 
Zusammenhänge interessieren, betreffen zunächst die Quantität des 
Mittels, von der ein Einfluss auf psychische Funktionen zu er¬ 
warten ist; ferner die Art der Leistungen, welche von der schädi¬ 
genden Nebenwirkung getroffen werden, endlich zeitliche Verhältnisse 
wie die Dauer nach welcher die besondere Wirkung des Mittels einsetzt 
und die Zeit, über die hinaus sie sich erstreckt. Einzelne der hier auf¬ 
geworfenen Fragen finden wir in der Literatur, wenn auch nur für 
wenige Schlafmittel schon berührt. C e r v e 1 1 o und C o p p o 1 a *) 
untersuchten den Einfluss von Paraldehyd und von Chloralhydrat auf 
Reaktionsvorgänge und fanden unter unmittelbarem Einfluss dieser 
Mittel eine Verlängerung der psychischen Zeiten. Mit der Wirkungs¬ 
weise derselben Schlafmittel beschäftigte sich auch K r a e p e 1 i n 
in seinen bekannten Untersuchungen über die Beeinflussung einfacher 
psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel 3 ). K r a e p e 1 i n 
fand hei einer Paraldehvddosis von 2—5 g in Reaktionsversuchen, 
hei denen auf einfache Reize mit einförmigen Bewegungen reagiert 
wurde, eine Verlängerung der psychischen Zeiten, welche rasch eintrat 
und sich wieder ausglich. Bei Versuchspersonen, die eine Neigung zu 
vorzeitigen Reaktionen hatten, wurde diese in sehr beträchtlichem Masse 
gesteigert. In Versuchen, bei denen diese Möglichkeit ausgeschlossen 
wrnrde, indem die Versuchsperson auf bestimmte Reize mit bestimmten 
Bewegungen zu reagieren hatte, wobei also schon nach der Versuchs- 

l ) Nach einem Vortrage in der XVI. Versammlung mitteldeutscher Neurologen 
und Psychiater zu Leipzig. 

l ) cit. nach Kraepelin. loc cit. 

*) Jena 1892. 

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258 


Oregor, 


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anordnung eine qualitative Auffassung der Reize erfolgen musste, zeig¬ 
ten auch Individuen der zweiten Kategorie eine Verlängerung der 
Reaktionszeit unter Paraldehydeinfluss. Allerdings neigten sie unter 
diesen Redingungen wieder zu falschen Reaktionen, was dafür spricht, 
dass die Auslösung der Bewegung, ähnlich wie beim Alkohol erleichtert 
wurde. In Ucbereinstimmung mit diesen objektiven Befunden steht 
einerseits das Gefühl beschleunigten Reagierens, andererseits zuneh¬ 
mender Schläfrigkeit, welche die klare Auffassung von Reizen erschwert. 

In den Versuchen mit Chloralhydrat fand K r a e p e 1 i n bei 
Wortreaktionen auf 1 g dieses Mittels sofort eine erhebliche Verlänge¬ 
rung der Reaktionszeiten, die während der ganzen, 75 Minuten langen 
Dauer des Versuches nachweisbar war. Daraus war zu schliessen, dass 
die Auffassung gesprochener Wörter durch Chloralhydrat sehr erheblich 
verlangsamt wurde. Zu dem gleichen Ergebnis führten auch Wahl¬ 
versuche, indem auf Chloralhydrat die Reaktionszeiten um 0,15 Sek. 
Zunahmen und die Wirkung 66 Minuten anhielt. 

Die unmittelbare Wirkung des Trionals wurde von Haenel '), 
einem Schüler Kraepelins einer ausgedehnten Bearbeitung unter¬ 
zogen. Haenel fand bei einer Dosis von 0,5 schon nach */ 4 Stunde 
eine Beeinflussung der Additionsleistung. Durch ein solches Quantum 
nahm die Zahl der Stellen, welche in 1 Stunde addiert wrnrden, in 2 Ver¬ 
suchen um 134 hezw. 143 ab; auf 1 g betrug die Minderleistung unter 
gleichen Umständen 359 und 399. Ausser der Leistung selbst wurde 
auch der Uebungswert für den folgenden Tag beeinträchtigt. Wie 
das Addieren wurde auch das Auswendiglernen durch Trional ungünstig 
beeinflusst. In Wahlreaktionen nahmen die psychischen Zeiten unter 
Trional zu, dagegen konnte in Versuchen mit dem Ergographen keine 
Beeinflussung der Muskelkraft festgestellt werden. Schreibversuche 
ergaben eine Verlangsamung der Leistung, Leseversuche eine Verlang¬ 
samung der Auffassung und geringfügige Erschwerung des Aus¬ 
sprechens. Die Auffassung von Zahlen, die mittels eines Apparates 
für kurze Zeit exponiert wurden, war erschwert; unter dem Einflüsse 
des Mittels entwickelte sich auch eine Neigung zu illusionären Vor¬ 
gängen. Eine Erleichterung oder Beschleunigung psychischer Tätigkeit 
war auf keinem der untersuchten Gebiete nachweisbar. 

Alle bisher besprochenen Versuche hatten nur die unmittelbare 
Wirkung von Schlafmitteln im Auge. Das klinische Interesse 
drängt aber nach anderer Richtung. Dass unseren .Schlafmitteln 
die Fähigkeit zukommt, die Lebhaftigkeit psychischer Prozesse herab¬ 
zudrücken und im besonderen intellektuelle Leistungen zu vermindern, 
ist ja gewissermassen die Voraussetzung ihrer Verwendung. Man kann 
demnach ruhig annehmen, dass jedes derselben in der therapeutisch 
wirksamen Dosis geistige Arbeiten schädigt. Wichtiger erscheint aber 
vom Standpunkt des Klinikers, ob diese Wirkung eine vorübergehende 
oder dauernde ist, ob also ein Schlafmittel mit seinem nächsten Effekte, 
einen mehrstündigen Schlaf herbeizuführen, seine Wirkung erschöpft, 
oder oh noch darüber hinaus eine Beeinflussung psychischer Prozesse 
stattfindet. 

In dieser Hinsicht waren wir bisher fast ausschliesslich auf die 
subjektiven Erfahrungen unserer Patienten angewiesen. Die Angaben 
in der Literatur sind, wie schon eine flüchtige Durchsicht lehrt, dem- 

l ) Haenel, Die psychischen Wirkungen des Trionals. Psycholog. Arbeiten II. 
189Ö. S. 326. 



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Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 


259 


entsprechend ungenau und durchaus nur sehr allgemein gehalten. 
Eine wissenschaftliche Bearbeitung fand diese Seite der Frage mpines 
Wissens bisher noch nicht. 

Die Lösung dieser Aufgabe gestaltet sich wesentlich schwieriger 
als die der eingangs erwähnten, nach der unmittelbaren Wirkung von 
Schlafmitteln auf psychische Leistungen. Zunächst sind es auch hier 
noch ähnliche Fragen, die uns gegenübertreten, nämlich nach der 
Grösse der Dosis, von der an eine Nachwirkung über eine Nacht hinaus 
erfolgt und nach den psychischen Funktionen, die von ihr betroffen 
werden. Aber wir haben, wenn wir dem klinischen Bedürfnisse vollauf 
entsprechen wollen, auch die Komplikationen zu berücksichtigen, welche 
sich abgesehen von der Kombination von mehreren Schlafmitteln durch 
die wiederholte Medikation eines und desselben, sowie durch den Wechsel 
verschiedener Schlafmittel ergeben. Auf weitere Schwierigkeiten 
stösst inan, sowie man auf die Art der Durchführung derartiger Versuche 
eingeht. Es ist von vornherein keine leichte Aufgabe in einwandfreier 
Weise eine Veränderung auf eine weiter zurückliegende Ursache zu 
beziehen und in unserem Falle liegt ja zwischen dem Einnehmen des 
Mittels und der eventuell beeinflussten Leistung eine volle Nacht, in 
der manche die Leistung beeinflussende Ursachen hinzutreten können. 

Eine weitere Schwierigkeit ist darin gelegen, dass es aus metho¬ 
dischen Gründen schlechthin unmöglich ist, eine Beihe von psychi¬ 
schen Leistungen in aufeinanderfolgenden Tagen derart zu prüfen, 
dass die Resultate auch vergleichbar sind. Von vornherein wäre die 
Lösung der uns jetzt beschäftigenden Frage in der Weise zu denken, 
dass ein bestimmtes Schlafmittel in mehreren aufeinanderfolgenden 
Nächten gegeben und zu bestimmten Zeiten bei Tage eine Reihe von 
psychischen Funktionen geprüft und die so gewonnenen Resultate 
miteinander verglichen werden, um DifTerenzen in der Art ihrer Beein¬ 
flussung festzustellen. Nun nimmt aber eine exakt durchgeführto 
Prüfung einer psychischen Funktion eine erhebliche Zeit in Anspruch, 
so dass wir, ohne die Versuchsperson zu ermüden und dadurch den Aus¬ 
fall der Versuche zu beeinträchtigen, an einem Versuchstage 2, höchstens 
3 Leistungen prüfen können. Der Ausweg, an verschiedenen Tagen 
verschiedine Funktionen heranzuziehen, ist hier darum unmöglich, 
weil bei fortlaufender Medikation die Leistungen an verschiedenen Tagen 
auf ungleicher Stufe der sich etwa kumulierenden Wirkung stehen 
und daher schlechthin unvergleichbar sind. Stichproben im Sinne der 
mental tests, die in kurzer Zeit einen Ausdruck für verschiedene in¬ 
tellektuelle Leistungen liefern sollen, haben keinen Anspruch auf wissen¬ 
schaftlichen Wert. Unter diesen Umständen müssen wir zunächst 
darauf verzichten, nach Differenzen in der Beeinflussung verschiedener 
psychischer Funktionen zu fahnden. Ich zog es darum auch vor, mich 
zunächst auf zwei Leistungen zu beschränken und wählte als solche 
das fortlaufende Addieren und Durchstreichen bestimmter Buchstaben 
in einem gegebenen Text (B o u r d o n’sche Methode). Diesen beiden 
Verfahren kommt der grosse Vorteil zu, dass derartige Versuche an 
mehreren Individuen gleichzeitig durchgeführt werden können; dadurch 
gewinnen unsere Beobachtungen eine breitere Unterlage, wir sind in¬ 
stand gesetzt, zufällig sich ergebende Fehler auszuschalten und können 
auch individuelle Differenzen der Reaktion auf ein Schlafmittel studieren. 

Die nähere Versuchsanordnung bestand darin, dass eine Anzahl 
von geeigneten Versuchspersonen zunächst auf ihre Fähigkeit, den 

17* 


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Versuchsbedingungon zu entsprechen untersucht wurden. In einer 
Reihe von Normaltagen, an denen keine differenten Medikamente, 
insbesondere Schlafmittel verabreicht wurden, hatten die Versuchs¬ 
personen ‘/j. Stunde fortlaufend zu addieren und nach einer Pause von 
5 Minuten durch 20 Minuten die Buchstaben a, e, n und r in einem 
lateinischen Texte zu durchstreichen. Zu den Additionen dienten die 
von Kr a e p el i n in eigenen Rechenheften zusammengestellten 
Ziffern. Gute Rechner hatten nach der Methode von Kraepelin 
bis 100 zu addieren, die Einer, die die Zahl 100 in der letzten Addition 
überschritten, auf der Seite zu notieren und dann von vorn anzufangen. 
Weniger Geübten wuiden Abschnitte von 12 Ziffern abgegrenzt, deren 
Summe zu berechnen war. Von 5 zu 5 Minuten wurde auf ein Zeichen 
von den Versuchspersonen selbst oder vom Versuchsleiter an den Rand 
der Zifferreihen eine Marke gesetzt, um auch die Leistungen in Ab¬ 
schnitten von 5 Minuten vergleichen zu können. 

Meine Versuchspersonen waren Individuen aus dem Mittelstand von 
guter Schulbildung, vollkommen luzide und geordnete Kranke, vor¬ 
wiegend solche in der Rekonvaleszenz. Ausser einer intellektuell nicht 
beeinträchtigten Paranoika (Pa) verwendete ich keinen Fall von Geistes¬ 
störung. Alle Versuchspersonen hatten volles Verständnis für ihre Auf¬ 
gabe und widmeten sich ihrer Arbeit mit Interesse und Ausdauer. Sie 
rechneten nur mit einem geringen, annähernd gleichbleibenden Prozent¬ 
sätze von Fehlern, so dass ihre Leistungen lediglich nach der Zahl 
addierter Stellen, wie es in Versuchen an Gesunden der Fall ist. bewertet 
werden konnte. Auch wählte ich durchaus Individuen, die von vorn¬ 
herein nachts auch ohne Hvpnotikum schliefen, damit in den Normal- 
tagen keine Störung durch eine nach mehr weniger gutem Schlafe wi ch- 
selmle Disposition entstelle. Unter diesen Umständen entsprachen die 
Leistungen meiner Versuchspersonen an Normaltagen insofern solchen 
von Gesunden, als eine stete Zunahme der Zahl addierter Stellen von 
Tag zu Tag erfolgte. Genauer gesagt bildete letzteres Moment viel mein 
eine Versuchsbedingung und ich schaltete danach aus einer grösseren 
Zahl von Individuen, die nach der klinischen Beobachtung zu derartigen 
Versuchen geeignet erschienen, im Laufe der Normaltage jene aus. 
die der genannten Forderung nicht zu entsprechen vermochten. 

Bei der Darstellung meiner Resultate beschränke ich mich lediglich 
auf die Additionsversuche und will, da ich hier 1 ) in erster Linie prak¬ 
tische Interessen im Auge habe, nur die Gesamtleistungen der ein¬ 
zelnen Sitzungen berücksichtigen, indem ich die an sich interessant« 
Frage nach der Entwicklung der Ermüdung unter den besonderen Ver¬ 
hältnissen, wofür die kleineren Arbeitsperioden von 5 Min. Aufschluss 
geben, beiseite lasse. Ganz unberücksichtigt bleiben auch die Resultate 
die das gleichzeitig angestellte Bourdo n’sche Verfahren ergab 
sowde eine grosse Anzahl von Versuchen, welche die Prüfung anderei 
psychischen Funktionen wie Auffassung, Aufmerksamkeit, Gedacht 
nis, sowie die motorische Leistung am Ergographen, bezweckten. Di( 
Vereinfachung, die darin liegt, dass die Additionsleistung als Indes 
von psychischen Leistungen genommen w r ird, ist jetzt nach den bishei 
vorliegenden Gesamtresultaten meiner Untersuchung zulässig. Si< 
genügt danach, um ein zutreffendes Bild über die Beeinflussung psy 
chischer Funktionen überhaupt durch Schlafmittel zu liefern. 


') Eine ausführliche Publikation der Untersuchung wird später erfolgen. 


t Go» gle 


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— URRANA-_CHAMPA IGN 



Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 
Tabelle 1. 


261 


_ 

Adalin 

Brom u r 

Trional 

Isopral 

Neuron ( Medin: 

u 

0 75 

Paraldeh. 

3-0 4 5 

0 • 5 

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1 

0 • (ijO ' !• 

0-5 10 

0 5 

1 -oj 

1 l| 

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1 l 1 

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II 


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A 


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1 

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1 

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II 

111 

t 



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Fie. 

1 

t 


1 



1 

«t 

t 

1 t 


t 

t 

II 1 

l| A ( 


Die groben Resultate der Additionsversuche sind in der Ta¬ 
belle 1 zusammengestellt. Zu ihrem Verständnis ist über die Versuchs¬ 
anordnung noch zu sagen, dass es von vornherein angestrebt war, bei 
allen Versuchspersonen die Nachwirkung von Adalin. Bromural, Trional, 
Isopral, Neuronal, Medinal und Paraldehvd zu studieren. Wie bereits 
erwähnt, folgte auf eine Reihe von Tagen, an denen die Normalleistung 
geprüft wurde, eine Schlafmittelperiode, in der durch mehrere Abende 
hintereinander ein Hvpnotikum in gleicher Dosis verabreicht wurde 
und zwar so lange, bis aus den täglich angestellten Versuchen ein Urteil 
zu gewinnen war, ob und in welchem Sinne ein Einfluss auf die Leistung 
stattfand. Nun wurde wieder eine Reihe von Normaltagen eingeschaltet 
ufid hierauf zu einem neuen Schlafmittel oder zu einer höheren Dosis 
des früheren übergegangen. In gewissen Fällen konnte die Dosis auch 
unmittelbar, also ohne Zwischenschaltung von Normaltagcn erhöht 
werden. Niemals ging ich von einem Mittel zum anderen direkt 
über. Eine derartige Versuchsreihe (Normaltage, Schlafmittelperiode, 
.Normaltage) nahm beiläufig eine Woche in Anspruch. Bei den 
verschiedenen Qualitäten und Quantitäten der zu prüfenden Mittel 
dauerte die gesamte Untersuchung eines Individuums mehrere Monate. 
Dies brachte es mit sich, dass nicht an allen Versuchspersonen alle 
Hypnotika durchgeprüft werden konnten. Eine gewisse Vereinfachung 
ergab sich dadurch, dass bei einer deutlich schädlichen Beeinflussung 
der Leistung durch ein Hypnotikum in bestimmter Menge eine Steigerung 
der Dosis sich erübrigte, ferner auch dadurch, dass, wenn eine grössere 
Dosis die Leistung ungeschädigt liess, dieselbe Wirkungauch für niedrigere 
angenommen werden konnte. 

Bei der Natur derartiger Versuche ist es ein Haupterfordernis, 
Fälle zu wählen, deren psychischer Status innerhalb der Versuchszeit 
konstant bleibt, da man sonst ausser mit der Wirkung des Schlafmittels 
auch mit Aenderungen zu rechnen hat, die durch einen Wechsel des 
Zustandsbildes verursacht werden. So könnte ja leicht eine Abnahme 


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262 


Gregor, 


der Leistung durch Verschlechterung des Zustandes während einer 
bestimmten Medikation missdeutet werden. 

Wichtig ist ferner eine andere Komplikation, die ausführlich zu 
besprechen ist, weil sie für die Gesamtbewertung der Versuche Bedeu¬ 
tung hat. Die Einschaltung von Normaltagen nach einer Schlafmittel¬ 
periode bezweckte wieder die normalen Verhältnisse zu gewinnen, 
welche vor dem Einnehmen des ersten Hvpnotikums bestanden. Dies 
war aber aus Gründen, die später besprochen werden sollen, nicht leicht 
zu erzielen, mindestens hätte es dazu zuweilen einer unliebsamen Unter¬ 
brechung der Versuche bedurft. Aber auch da, wo nach dem Gange 
der Werte wieder normale Verhältnisse zu bestehen schienen, stand 
das Individuum zuweilen rein vom Standpunkt seiner Leistungsfähigkeit 
und der sie beeinflussenden Momente (Schlaf) der Aufgabe anders 
gegenüber. In einem Falle (Fie.) war im Laufe der Versuche in dieser 
Hinsicht eine soweit gehende Veränderung eingetreten, dass ich ge¬ 
zwungen war. ihr in der Anlage der Tabelle durch Unterscheidung 
zweier Perioden Rechnung zu tragen. Derartigen Komplikationen 
konnte dadurch begegnet werden, dass man dasselbe Schlafmittel in 
der gleichen Dosis in einer späteren Versuchsperiode wieder anwendete. 

Zur Erklärung der Tabellen diene noch, dass ein abstrebender 
Pfeil (4) anzeigt, dass bei tortlaufender Medikation einer bestimmten 
Dosis des Hvpnotikums eine immer grösser werdende Abnahme der 
Leistung erfolgte; ein aufstrebender (f) Pfeil bedeutet, dass die Werte 
unter diesen Umständen Zunahmen, ein Gleichheitszeichen ( = ), dass 
keine deutliche Veränderung nach oben oder unten eintrat. Eigentlich 
bedeutet aber schon das Gleichbleiben eine Schädigung, weil nach den 
Erfahrungen an normalen Individuen eine täglich geübte Leistung 
irgendwelcher Art stetig zunimmt und ein Optimum, an dem gleich- 
massig ohne täglichen Uebungszuwachs gearbeitet wird, nicht existiert. 
Eine ähnliche Ueberlegung führt zu der Einsicht, dass ein Zunehmen 
der Leistung unter Wirkung eines Schlafmittels dieses noch nicht als 
ein die Arbeit förderndes anzusehen erlaubt. Dies ist nur dann der Fall. 


Tabelle 2. 



Adalin 

Bromur. 

Trional 

I sopra 1 

! N’euron. 

Medina) 

Paraldeh. 


0-5 


0 '<> 

0-9 

1 

05 1 0 

05 

1 0 

0-5 

10 

0-25 

0-5 

0-75 

30 

45 

Wo. 

f 

■H 

t 

t 

1 

1 

T 

T 

t 


t 


4 

t 

t 

Ra. 

t 

t 

t 



4 

t 

t 

t 

t 

t 

4 

4 

t 

t 

Diet. 

t 

t 

t 

t 

t 

4 

t 


4 

4 


4 

4 

t 

t 

Ho 

t 

ti 

4 

4 

t 


t 

t 



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t 




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4 

4 



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A 

1 

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Fie. 

D 

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Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 


263 


wenn die Uebungsfortschritto in der Schlafmittelperiode jene an den 
Normaltagen übertreten. Nach alldem werden wir bei einer Abnahme 
der Leistung von einer Schädigung intellektueller Funktionen, beim 
Gleichbleiben der Werte von einer leichten Beeinträchtigung, bei Zu¬ 
nahme von dem Mangel einet*Schädigung zu sprechen haben. In diesem 
Sinne sind die beiden vorstehenden Tabellen zu, deuten. Die erste (1.) ist 
nach den tatsächlich registrierten Werten der Untersuchung entworfen. 
Die zweite (2.) bildet eine logische Ergänzung der ersten, indem in sie 
Wirkungen eingezeichnet wurden, die nicht beobachtet, aber ohne weiteres 
erschlossen werden konnten. Die dazu nötige Annahme, dass ein Schlaf¬ 
mittel, das in einer höheren Dosis unschädlich ist, dies auch in einer 
geringeren bleibt, sowie dass ein Mittel, das in einer geringeren Dosis 
schädlich ist, auch in einer grösseren schädigt, dürfte keinen Wider¬ 
spruch erfahren. 

Im besonderen ist den Tabellen folgendes zu entnehmen: A d a I i n 
lässt in der Dosis von 0,5 die Additionsleistung intakt. (Von der anfangs 
abnorm empfindlichen Versuchsperson Fie. können wir hier noch ab- 
sehen.) Von einer schädigenden Wirkung dieses Mittels könnte erst 
bei der Dosis von 1 g die Rede sein; unter 6 Fällen w r ar nur einmal eine 
Herabsetzung der Additionsleistung im Laufe einer solchen Medikation 
nachzuweisen. Eine genauere Berücksichtigung der Resultate, die an 
den aufeinanderfolgenden Tagen erhalten wurden, lässt aber aus Grün¬ 
den, die später noch erörtert werden, in diesem Fall noch keine sichere 
Entscheidung darüher zu, ob diese Verminderung der Leistung auf 
einer Schädigung der Funktion oder nicht vielmehr auf einer Erschöp¬ 
fung der schlaferzeugenden Wirkung des Adalins beruht. 

0,6 Rromural brachte, wenn wir von Fie: absehen, bloss ein¬ 
mal einen Abfall mit sich. Eine Erhöhung der Dosis auf 0,9 rief bei 
Ra., die 0,6 in dem hier zu verstehendem Sinne gut vertrug, ein deut¬ 
liches Sinken der Werte hervor. 

Auf 0,5 T r i o n a 1 reagierte */, der Fälle mit einer Abnahme der 
Leistung. 1.0 g war für alle 6 von nachteiliger Wirkung. 

0,5 1 s o p r a 1 erzeugte nur in einem Falle eine Abnahme; bei 
1,0 g trat noch ein weiterer, der eine Schädigung erfuhr, hinzu. 

Auf 0,5 Neuronal reagierte bloss Diet. mit einer Abnahme 
der Leistung, während sie in 5 anderen unbeeinflusst blieb. Dagegen war 
1,0 g desselben Mittels schon bei der Hälfte von nachteiliger Wirkung. 

0,25 M e d i n a 1 wirkte durchaus günstig, in allen Fällen stieg die 
Leistung während dieser Medikation an. Dagegen trat bei 0,5 Medinal 
für die Mehrzahl der Versuchspersonen eine nachteilige Wirkung hervor. 

3—5 g Paraldehyd riefen nirgends eine ausgesprochene Schädi¬ 
gung hervor. 

Danach würde das Paraldehyd ein Schlafmittel sein, welches wir 
einem Individuum, dessen Reaktion" auf Hypnotika wir noch nicht 
kennen, mit der geringsten Befürchtung, die psychischen Funktionen 
zu schädigen, über mehrere Tage hinaus verabreichen dürfen. Dem 
Paraldehyd schliesst sich in diesem Sinne Medinal in der Dosis von 0,25 
und wohl auch 0,5 Adalin an. Nur */, Wahrscheinlichkeit auf die Dauer 
zu schädigen, besteht bei der Medikation von 0,5 Isopral und 0,5 Neuro¬ 
nal. Höchstens ebenso viel auch bei 1,0 g Adalin. Auf die gleiche Stufe 
dürfen wir auch 0,6 Bromural stellen, w r enn auch das Bild, das uns 
die Tabelle darüber gibt, durch die Aufnahme des Falles Fie. etwas 
verzeichnet ist. Gehen wir im Sinne zunehmender Schädlichkeit weiter, 


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Bornstein, 


2t! I 

so ist nunmehr 0,5 Trional und 1,0 g Isopral zu nennen, dann folgt 
1,0 g Neuronal, hierauf 0,5 Medinal und zum Schluss 1 g Trional, das 
in allen Fällen nachteilig wirkte. Ausdrücklich bemerkt, handelt es sich 
hierbei lediglich um die Dauerwirkung. Praktisch mindestens ebenso 
wichtig dürfte die Frage sein, was man von der ersten Dosis eines 
Hypnotikums zu erwarten habe, lieber diese Frage wird die später zu 
besprechende Tabelle 3 Aufschluss geben. 

An Tabelle 1 und 2 interessieren noch sehr deutliche individuelle 
Differenzen. Es muss entschieden auffallen, dass Ho., bei der die 
anscheinend stärkeren Dosen von 0,5 Neuronal und 1,0 g Isopral noch 
von günstiger Wirkung waren, 0,6 Bromural nicht vertrug. Dieses Ver¬ 
halten kommt einer Idiosynkrasie nahe. Im übrigen kann man nach 
den allgemeinen Reaktionen bei unseren Fällen zwei Extreme ausein¬ 
anderhalten. Das eine wird von Wo. repräsentiert ; dieses Individuum 
vertrug von Rromural und Paraldehyd abgesehen, Schlafmittel über¬ 
haupt nicht oder nur in geringen Dosen, während Pa. von keinem Schlaf¬ 
mittel schlecht beeinträchtigt wurde und nur hinsichtlich der Trional- 
wirkung eine Ausnahme machte. Bemerkenswerterweise war das so 
empfindliche Individuum Wo. der einzige .Mann unter meinen Versuchs¬ 
personen. (Forts, folgt). 

(Aus dem physiolog. Laboratorium des Allgero. Krankenhauses St. Georg in Hamburg.) 

Neuere Untersuchungen über die Herzarbeit beim normalen 

Menschen. 1 ) 

Vcn Dr. Arthur Bornstein, Leiter des Laboratoriums. 

M. H.! Zwei Gebiete sind es, auf denen Physiologie und Patho¬ 
logie des Herzens in den letzten Jahren besondere Fortschritte gemacht 
haben. Das eine ist die Lehre von der rhythmischen Tätigkeit des 
Herzens und von der Arhythmie, die zuerst durch die Untersuchungen 
des Venenpulses, später durch das Elektrokardiogramm weitgehende 
und unerwartete Fortschritte gemacht hat. Das andere Gebiet ist die 
Lehre von der mechanischen Leistung des Herzens, von der nutzbringen¬ 
den Arbeit, die das Herz als Motor im Kreislauf leistet. Ueber die 
neueren Ansichten hierüber und insbesondere über unsere eigenen ein¬ 
schlägigen Versuche möchte ich Ihnen heute berichten. Bei der aus¬ 
schlaggebenden Rolle, die überall in der Mechanik der Begriff der Arbeits¬ 
leistung spielt, ist es nicht erstaunlich, dass alle Versuche und Bemühun¬ 
gen sich dabei um den Begriff der „Arbeit des Herzens“ gruppieren. 

Vor fünf bis zehn Jahren standen im Mittelpunkte des Interesses 
die Untersuchungen über die Messung des Blutdrucks beim Menschen. 
Dieselben haben seit den Arbeiten v. Recklinghausens in technischer 
Beziehung einen gewissen Abschluss gefunden. Die Resultate für die 
Klinik sind von unzweifelhafter Wichtigkeit, ich erinnere nur an die 
Bedeutung der Blutdruckmessung für die Pathologie der Nephritis, an 
die Unterscheidung von Hochdruck- und Niederdruckstauung usw. 

Freilich, eine gewisse Enttäuschung ist bei diesen Forschungen 
nicht ausgeblieben. Denn, wenn von mancher Seite aus immer und immer 
wieder versucht worden ist, die Arbeit des Herzens aus dem Blutdruck 
zu erschlossen — ich erinnere nur an die Arbeiten von Stras- 
burger, sowie von Erlanger und H o o k e r — so musste doch 
auch unte r den Klinikern die Ueberzeugung sich Bahn brechen, dass 

J ) Vortrag, gehalten in der biologischen Sektion des Hamburger ärztlichen Vereins 
tim 9. Januar 1912. 


C'i; t_ 


Qo ^le 


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Neuere Untersuchungen über die Herzarbeit beim normalen Menschen. 265 

die Herzarbeit durch den Blutdruck allein nicht gemessen werden kann. 
Ebensowenig, wie man aus dem Druck einer Dampfmaschine die Leistung 
derselben in Pferdekräften berechnen kann. 

Und in der Tat, die Arbeit des Herzens, die bei jeder Systole dadurch 
geleistet wird, dass die vom Herzen ausgeworfene Blutmenge auf die 
Höhe des Blutdrucks gehoben wird, ist: 

Arbeit = Ausgeworfene Blut menge x Blutdruck. 

Diese Formel ist nicht, ganz genau, es fehlen einige Korrektions¬ 
glieder, aber dieselben ändern nichts Wesentliches. 

Sie sehen daraus, wie für die Arbeit des Herzens ausser dem Blut¬ 
druck noch eine andere Funktion des Kreislaufs von Wichtigkeit ist, 
das ist die vom Herzen bei jedem Schlage in die Arterien geworfene 
Blutmenge: das Schlagvolumen. Um die Bestimmung dieser Grösse 
drehen sich mancherlei Diskussionen der letzten Jahre. 

Das Schlagvolumen ist eng verknüpft mit der vom teleologischen 
Standpunkte aus bei weitem wichtigsten Konstanten des Herzens: 
dem Minutenvolumen, d. h. der Blutmenge, die vom Herzen in der Minute 
in die Aorta geworfen wird. (Das Minutenvolumen ist also das Produkt 
aus Schlagvolumen mal Pulsfrequenz.) Das Minutenvolumen ist die 
Grösse, die am deutlichsten die Leistung des Herzens vom Standpunkte 
der Aufgabe des Herzens für den Gesamtorganismus verkörpert. Diese 
Aufgabe besteht bekanntlich darin, eine bestimmte Blutmenge in die 
Organe zu werfen, um die für den Stoffwechsel der Organe nötigen 
Nahrungsmittel — Sauerstoff, Eiweiss usf. — dorthin zu befördern 
und die Abfallprodukte —r Kohlensäure, Harnstoff usw. — aus den 
Organen fortzuschaffen. Und diese eigentliche Funktion des Herzens 
wird durch das .Minutenvolumen am besten gemessen. ' 

Diese beiden Grössen — das Schlagvolumen und das Minuten¬ 
volumen, die sich nur durch den Faktor der Pulsfrequenz voneinander 
unterscheiden — haben daher immer die Aufmerksamkeit der Physio¬ 
logen wie der Kliniker auf sich gezogen, und zahlreich sind die Versuche 
gewesen, das Minutenvolumen beim Menschen zu bestimmen. Von diesen 
Versuchen muss die Anordnung von 0 t f r. Müller (Tübingen), der 
das Tachogramm heranzog, als ganz verfehlt bezeichnet werden, ebenso 
die Versuche von A 1 b. M ü 11 e r (Wien), aus gewissen Phthvsmogram- 
men Anhaltspunkte zu gewinnen. Auf die Kritik dieser Versuche, die 
im wesentlichen mathematischer Natur ist, soll hier nicht näher ein¬ 
gegangen werden. 1 ) 

Trotz dieser verfehlten Versuche ist es in den letzten Jahren ge¬ 
lungen, einwandsfreie Methoden zur Messung des Miriutenvolumens 
beim Menschen zu finden, und die Frage kann heute, wie mir scheint, 
als prinzipiell gelöst gelten, wenn auch das Gebiet, seiner eigentümlichen 
Schwierigkeiten wegen, noch nicht so beackert ist, wie beispielsweise 
die Lehre vom Blutdruck oder vom Elektrokardiogramm. Namentlich 
die pathologischen Fragen, insbesondere die Frage vom Minutenvolumen 
bei kompensierten und nicht kompensierten Herzkrankheiten, bei 
.Anämien usw. harren noch ihrer definitiven Lösung. Aber die Wege, 
die wir zu gehen haben, sind klar vorgezeichnet. 

Um diese Methoden richtig zu schildern, muss ich etwas weit aus¬ 
greifen und ich beginne bei den Versuchen, die Grehant und Q u i n- 


l ) Vgl. die Kritik bei Bornstein, Ztschr. exp. Pathol. 1911 und Christen 
ibid. 1910. 


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2 66 


Bernstein 


q u a u d sowie Z u n t z und Hage mann 1 ) in Anlehnung an eine 
Idee F i c k’s angestellt haben. Das Prinzip iher Methode beruht, wie 
alle weiteren Methoden, auf der Messung der vom rechten Herzen in 
die Lungen geworfenen Blutmenge: dieselbe ist nämlich genau gleich 
der vom linken Herzen ausgeworfenen Blutmenge; wäre sie es nicht, 
so müsste es schon bei ganz geringen Abweichungen zu erheblichen 
Stauungen im grossen oder im kleinen Kreislauf kommen. Bei der 
Fick-Grehant-Zunt z’schen Methode w r ird gleichzeitig bestimmt 
1. Der SauerstolTgehalt des Blutes in der A. pulmonalis und in der V. 
pulmonalis, 2. der respiratorische Stoffwechsel, insbesondere der Sauer¬ 
stoffverbrauch pro Minute. 

Hieraus berechnet sich das Minutenvolumer. nach folgendem Beispiel: Enthält 
das venöse Blut z. B. 10°/o Sauerstoff, das arterielle 20°/o> 80 sind in den Lungen IO 0 /» 
Sauerstoff, d. h. pro Liter Blut 100 ccm Sauerstoff, aufgenommen worden. Sind nun in 
der Minute z. B. ‘250 ccm Sauerstoff in den Lungen aufgenommen worden, so sind, da zum 
Transport von 100 ccm Sauerstoff 1 Liter Blut nötig war. zum Transport von 250 ccm 
Sauerstoff 2,5 Liter Blut nötig. Diese 2,5 Liter Blut, müssen in der Minute die Lunge 
passiert haben, sind also gleich dem Minutenvolumen. 

Die Technik dieser, von Z u n t z und Hagemann vor 20 Jahren 
an Pferden durchgeführten Versuche ist nicht leicht. Es musste ein 
Katheter ins rechte Herz eingeführt werden, um eine venöse Blut¬ 
probe zu erhalten, die arterielle Blutprobe wurde der Carotis entnommen. 
So bestimmten Z u n t z und Hage mann das Minutenvolumen bei 
Ruhe und Arbeit. Sie fanden, dass durch die Körperarbeit eine ausser¬ 
ordentliche Vergrösscrung der Herzarbeit erfolgte, und zwar stieg bei 
exzessiver Körperarbeit das Minutenvolumen auf das Zehnfache, das 
Schlagvolumeii auf das Fünffache des Ruhew'ertes. Diese interessanten 
Versuche sind der Ausgangspunkt einer jahrzehntelangen Diskussion 
gewesen, und endgültig ist die Frage erst durch die neuen Versuche 
mit indifferenten Gasen in unserem Laboratorium entschieden worden. 
Davon wird später die Rede sein. 

Es ist nun das Verdienst von L ö w y und v. Schrötter*), 
den Nachweis erbracht zu haben, dass die Zuntz-Hagemann- 
sehe Methodik mit gewissen Modifikationen auch auf den Menschen 
anwendbar sei. Sie massen die Spannung des Sauerstoffs im venösen 
Lungenblute, indem sie einen Katheter in einen Bronchus einführten, 
den Bronchus in geeigneter Weise luftdicht verschlossen und die Span¬ 
nung der Gase massen. Diese Versuche muss man als bahnbrechend 
ansehen, da sie zuerst die Möglichkeit der Messung des Herzschlag¬ 
volumens beim Menschen mit einer wirklich diskutabeln Methode 
zeigten; sie haben heute ein vorwiegend historisches Interesse, seitdem 
P 1 e s c h 3 ) ein Verfahren angegeben hat. das durch eine geistreiche, 
übrigens geringfügige Aenderung der Löwy-^chrötte r’schen 
Versuchsanordnung die unbequeme Katheterisation des Bronchus ver¬ 
mied. Plesch Hess die Versuchsperson eine kurze Zeit 4 ) in Säcke 
atmen, die sukzessive absteigende Sauerstoff mengen enthielten. Der 
Sack, in dem die Sauerstoff-Konzentration während des Versuches 
weder zu- noch abnahm, w'urde als derjenige bezeichnet, der die Sauer¬ 
stoff-Spannung des venösen Lungenblutes (hatte. Im übrigen unter- 

*) Z u n t z und Hage mann, Der Stoffwechsel des Pferdes. Landwirtschaft!. 
Jahrbücher, Bd. XXVII, Suppl. Bd. III. 

2 ) Löwy und v. Schrötter, Zeitsohr. f. exp. Pathol. und Ther. 1905. 

3 ) Plesch, ibid. 1909. 

4 ) Die Zeit müsste kürzer sein als die Dauer eines Kreislaufes. 


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Neuere Untersuchungen über die Herzarbeit beim normalen Menschen. 


267 


scheidet sich die P 1 e s c h’sche Methode nicht wesentlich von der 
Löwy-Schrötte r’schen. 

Es sind dies alles, wie Sie sehen, Modifikationen der alten Zuntz- 
schen Versuchsanordnung. Sie werden alle von den Einwänden getroffen, 
die schon gleich nach dem ersten Erscheinen der Z u n t z’schen Ver¬ 
suche von Chr. Bohr gemacht worden sind. Bohr 1 ) sagte nämlich, 
dass nicht aller Sauerstoff, der in den Lungen aufgenommen würde, 
auch in das arterielle Blut gelange, es wird nämlich sicher — wie wir 
besonders durch neuere Versuche englischer Autoren wissen — ein 
Teil dieses Sauerstoffes schon in den Lungen zu den in diesem Organe 
sich vollziehenden Verbrennungen verbraucht werden; das Minuten¬ 
volumen wird also nach der Zunt z’schen Methode zu gross bestimmt 
werden. Dies ist unzweifelhaft richtig und wird auch von Zuntz zu¬ 
gegeben; nur nimmt Zuntz an, dass entsprechend dem Verhältnisse 
des Gewichts von Lunge zu Gesamtkörper der Anteil der Lunge an 
den Oxydationen so gering sei, dass der durch seine Vernachlässigung 
begangene Fehler durchaus innerhalb der sonstigen, unvermeidlichen 
Fehlerquellen liegt. Bohr dagegen nimmt an, dass unter bestimmten 
Verhältnissen, insbesondere aber bei den oben besprochenen Arbeits¬ 
versuchen, die Grösse der Verbrennungen in den Lungen, der „intra- 
pulmonale Sauerstoffverbrauch“ sehr bedeutend werden könne, dass 
diese Oxydationen in den Lungen manchmal 60% des gesamten respi¬ 
ratorischen Stoffwechsels ausmachen könnten, so dass die mit der 
Zunt z’schen Methode gewonnenen Resultate ganz illusorisch würden. 
Insbesondere leugnet er auch, dass Minuten- und Schlagvolumen durch 
körperliche Arbeit in so hohem Masse gesteigert werden könnten, wie 
Zuntz es annimmt. 

Ich kann auf die Einzelheiten dieses Streites hier nicht näher 
eingehen. Bohr hat im Laufe von zwei Jahrzehnten immer wieder 
durch neue, ingeniöse und meist auch sehr elegante Versuchsanord¬ 
nungen Beweise für seine Anschauung zu gewinnen versucht, und er 
hat auf diese Art eine Fülle von Anregungen gegeben, ohne dass es ihm 
gelungen wäre, wirklich beweisende Versuche für seine Theorie beizu¬ 
bringen. Ich bedaure, darauf nicht näher eingehen zu können, aber ich 
müsste Sie mit zu viel Detail, namentlich technischer Natur belasten. 
Neuerdings hat sich übrigens auch P ü 11 e r ’) zu den B o h r’schen 
Anschauungen auf Grund recht verfehlter Berechnungen bekannt. 

Pütter will aus Röntgenorthodiagrammen das Herzschlagvolumen berechnen! 
Um aus einem Orthodiagramm, d. h. einer Fläche ein Volumen zu berechnen, bedarf 
es natürlich einer Anzahl ganz willkürlicher Annahmen und Hypothesen, von denen 
Pütter einen ausgiebigen Gebrauch macht. Pütter kommt zu einem ausserordentlich 
hohen intrapulmonalen Sauerstoffverbrauch; er findet, dass bei angestrengter Körper¬ 
arbeit 80°/'o der Gesamtoxydationen in den Lungen vor sich gehen. Nach der gewöhnlichen 
Berechnung des kalorischen Aequivalentes des Sauerstoff würden aber die restierenden 
20°/ 0 , die höchstens auf die Muskulatur entfallen, nicht einmal genügen, um die rein 
mechanisch nach aussen geleistete Arbeit zu vollbringen. Man müsste also annehmen, 
dass der Sauerstoff in der Muskulatur mit einem ausserordentlich hohen, in der Lunge mit 
einem ausserordentlich niedrigen kalorischen Aequivalente verbrennen würde. Um diese 
Hypothese weiter durchzuführen, müssten wir so ziemlich alles, was jetzt als Grundlage der 
Lehre vom respiratorischen Stoffwechsel insbesondere der Anoxybiose gilt, von Grund aus 
revidieren. Wie das zu geschehen hat, darüber enthält die P ü 11 e r’sche Arbeit keine An¬ 
deutungen ; der Wiederspruch ist Pütter offenbar entgangen. Die Unmöglichkeit gewisser 
intrapulmonaler Verbrennungen hat übrigens vor einigen Monaten Mo raw itz 3 ) dargetan. 

') S. z. B. Skandinav. Archiv f. Physiol. 1909. 

*) Zeitsehr. f. klin. Mediz. 1911. 

J ) Morawitz, Deutsch. Arch. f. klin. Mediz. 1911. 


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2B8 


Borustein, 


Ich habe nun in den letzten Jahren versucht, die ß o h r’schen 
Bedenken zu umgehen, und auf eine ganz andere Art wie die früheren 
Untersucher es getan hatten, das Minutenvolumen zu bestimmen. Ich 
möchte diese und die weiter sich daran anschliessenden Verfahren im 
Gegensatz zu den älteren als die Methode der indifferenten 
Gase bezeichnen. Es gelingt nämlich auch, brauchbare Resultate zu 
erhalten, indem man anstatt des Transportes von Sauerstoff durch das 
Blut denjenigen indifferenter Gase beobachtet, d. h. von Gasen, die 
keine chemischen Verbindungen in den Lungen oder in anderen Organen 
eingehen können. Als solches Gas wählte ich den Stickstoff, und es be¬ 
währte sich mir die folgende Versuchsanordnung: 1 ) 

Sie wissen, dass gasförmiger Stickstoff im Blute und den Organen 
des Körpers sich gelöst findet, und zwar entsprechend dem Stickstoff¬ 
gehalt der atmosphärischen Luft. Lässt man nun die Versuchsperson 
reinen Sauerstoff atmen, so wird zuerst der im Blute gelöste Stickstoff 
in den Lungen an das stickstofffreie Atemgas auf dem Wege des einfachen 
Ausgleiches („Diffusion“) abgegeben werden; später wird auch der in 
den Organen gelöste Stickstoff durch das Blut allmählich nach der Lungen¬ 
oberfläche transportiert und dort an das Atemgas abgegeben werden. Je 
grösser die die Lunge passierende Blutmenge, d. h. (las Minutenvolumen 
ist, desto schneller wird der im Körper gelöste Stickstoff von den Lungen 
aus abgegeben werden. Der in einer gewissen Zeit ausgeschiedene Stickstoff 
wird also einen Massstab für das Minutenvolumen des Herzens abgeben. 

Die Methode, wie ich sie ursprünglich angegeben hatte, und wie 
sie nach mir auch von Franz Müller 2 ) im Zunt z’schen Institut 
angewandt worden war, eignete sich am besten für vergleichende Ver¬ 
suche am gleichen Individuum, z. B. um den Einfluss von Muskelarbeit, 
von hydrotherapeutischen und pharmakotherapeutischen Prozeduren 
usw. zu eruieren. Sie gibt in dieser Form mit ziemlicher Genauigkeit 
an, um wieviel Prozent das Minutenvolumen während der untersuchten 
Prozedur grösser oder kleiner geworden ist, als es vorher war. Die 
Genauigkeit beträgt etwa 10%. Dagegen gibt uns die Methode die 
absolute Grösse des Minutenvolumens nicht an — zum mindesten nicht 
so genau, wie meine später zu beschreibende absolute Stickstoffmethode, 
oder w r ie die neue Zunt z’sche Stickoxydulmethode, von der auch später 
die Rede sein wird. Für die oben genannten Zwecke ist aber die Methode 
bis jetzt von keiner anderen übertroffen worden; ja, für gewisse Fragen, 
wie insbesondere die Frage nach dem Einfluss der Muskelarbeit, ist sie die 
einzige Methode, die mit einiger Genauigkeit arbeitet (s. u.). 

Die genauere, mathematische Begründung der Methode sowie die Einzelheiten 
der Technik können hier nicht näher ausgeführt werden; die Technik unterscheidet sich 
übrigens nur unwesentlich von der der absoluten Stickstoff-Methode, die weiter unten 
ausführlicher beschrieben werden soll. 

Die erste und interessanteste Frage, deren Lösung auf diese Art 
in Angriff genommen wurde, war die nach dem Einfluss der Muskel¬ 
arbeit auf Minuten- und Schlagvolumen. Von dieser Frage waren ja 
alle Diskussionen über die Variabilität des Schlagvolumens und über 
die Grösse des intrapnlmonalen Sauerstoff-Verbrauchs ausgegangen. 

Zu den Versuchen wurde ein gewöhnliches Fahrrad angewandt, das frei aufgehangen 
und am Hinterrad mit einer Bremse versehen war, durch Anspanren der Bremse konnte 
die geleistete Arbeit in genügender Weise variiert werden. Ein Maas für die Grösse 
der geleisteten Arbeit war in dem Sauerstoffverbrauch während der Arbeit gegeben. 

’) Bornstein, Billigere Arch. Bd. 132. 1010. 

a ) Franz Müller, Verb. d. Berl. physiol. Gesellsch. Jan. 1911. 


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Co__sk 


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Neuere Untersuchungen über die Herzarbeit beim normalen Menschen. 


269 


Die Resultate habe ich, um ein Beispiel tür die Art der Berechnung 7.u geben, in der 
folgenden Tabelle wiedergegeben. 


Tabelle 1. Minutenvolumen bei körperlicher Arbeit. 


Pro 100 mm 
Druckdiffe¬ 
renz ausge¬ 
schiedener 
Stickstoff 
ccm 

Sauerstoff-] 

verbrauch 

pro 

Minute 

ccm 

Minuten¬ 

volumen 

Pulsfrequenz 

, c 

Jrf Qi 

j« s 
<3g 

_ 

Blutdruck 

mm 

Bemerkungen 

2 

1 

■3 

o 

m 

OB 

57,46 

1 

2698,7 

5,74 

98 

3,60 



Fahrrad, forcierte Arbeit 

73,16 

i 2664,3 

9,76 

116 

5,31 



desgl. 

74,38 

3041,2 

10,12 

144 

4,43 



desgl. 

62,50 

8152,1 

6,90 

150 

3,90 

93 

151 

desgl. 

60,12 

2898,3 

6,31 

1 8 

2,51 

98 

144 

desgl. 

69,65 

1670,3 

8,78 

98 

5,65 

103 

148 

Fahrrad, ungebremst, leichte 








Arbeit 

50,96 

1429,8 

4,49 

104 

2,77 

92 

1&5 

desgl. 

52,76 

1494,0 

4,79 

108 

2,84 

98 

140 

desgl. 

52,50 

1102,4 

4,73 

116 

2,57 

— 

— 

1 Schnelles Gehen auf ebener 








| Bahn. 


NB. Minutenvolumen 5,75 bedeutet, dass das Minutenvoluraen 5,75 mal grösser ist 
als in der Rohe. Das Gleiche gilt für das Schlagvolumen. 

Sie sehen, diese Versuche beweisen eine ausserordentliche Varia¬ 
bilität des Minutenvolumens. Dasselbe steigt bei massiger Arbeit 
etwa auf das fünffache, bei forcierter Arbeit (die übrigens ziemlich an 
der Grenze der Leistungsfähigkeit eines mittelstarken Mannes lag), 
bis auf das Zehnfache des Ruhewertes. Wir können dafür auch absolute 
Zahlen einsetzen, indem wir die mit der absoluten Methode an der 
gleichen Versuchsperson gewonnenem Werte schon hier antizipieren. 
Danach war bei dieser ca. 87 kg schweren Person das Schlagvolumen 
82 ccin, das Minutenvolumen 4,8 Liter, die vom Herzen pro Minute 
geleistete Arbeit 6,4 mkg. Als Maximalwert bei exzessiver Körperarbeit 
folgt daraus für das Schlagvolumen etwa 400—450 ccm, für das Minuten¬ 
volumen 48 Liter, für die Herzarbeit in der Minute 70—80 mkg. Das 
sind die Grenzen, die wir für die Schwankungen der normalen Auswurfs¬ 
menge des Herzens festsetzen können. Sie entsprechen durchaus dem, 
was Z u n t z und Hagemann mit ihrer Methode gefunden hatten, 
die von Bohr wegen Nichtberücksichtigung des intrapulmonalen 
SauerstofTverbrauchs angegriffen worden war. Aus dieser Ueberein- 
stimmung folgt wieder, dass unter physiologischen Ver¬ 
hältnissen für einen irgendwie erheblichen intra¬ 
pulmonalen Sauers toffver brauch kein Raum ist. 
Und so ist diese jahrzehntelange diszentierte Streitfrage durch die Ver¬ 
suche mit indifferenten Gasen definitiv im Sinne von Z u n t z ent¬ 
schieden. Ob unter pathologischen Verhältnissen der intrapulmonale 
Oj-Verbrauch über die Grenzen des Normalen ansteigert kann, müssen 
erst w r eitere Versuche entscheiden. Ich hoffe, darüber bald berichten 
zu können. 

Ein Ein wand wäre allerdings möglich. Man könnte sagen, dass bei der Muskelarbeit 
so starke Erweiterungen des einen und so starke Verengerungen des anderen Arterien¬ 
gebietes vorkämen, dass dadurch das eine Organ — hier z. B. die Muskulatur — besonders 
viel Stickstoff abgeben würde, während aus anderen Organen weniger Stickstoff aus¬ 
geschieden würde. Das könnte unter Umetänden durch Veränderungen der Blutvertei¬ 
lung allein ohne Aenderung des Minutenvolumens zu Abweichungen in der Ausscheidung 
des Stickstoffs führen. Wenn es auch nach rechnerischen Schätzungen unwahrscheinlich 
ist, dass diese — unzweifelhaft existierende — Fehlerquelle grösser als die anderen, un- 


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Original fforn 

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270 


Bornstein 


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vermeidlichen Fehler der Methode sind, so habe ich doch geglaubt, den direkten Beweis 
dafür liefern zu müssen. Dies geschah durch die folgende Versuchsanordnung: Wenn 
solche erheblichen Verschiedenheiten in der N.-Ausscheidung aus den einzelnen Organen 
bestehen würden, so müssten dieselben sich erst recht in den späteren Stadien des Versuchs 
geltend machen, d. h. längere Versuche müssten wesentlich andere Werte für das Minuten¬ 
volumen geben als kürzere. Dies ist jedoch, wie besonders darauf gerichtete Arbeits¬ 
versuche zeigten, nicht der Fall. Die folgende Tabelle zeigt das Resultat dieser Versuche; 
ein jeder Wert ist dabei das Mittel aus je zwei Versuchen auf dem ungebremsten Rade: 


Tabelle II. Arbeitsversuche. 


Versuchsdauer 

1V* Minuten 

3 Minuten 

6 Minuten 

Stickatoffau sscheidung 

63,2 cm 

93,6 ccm 

127,1 ccm 

Minutenvolumen 

6,85 

7,10 

7,19 


Das Minutenvolumen schwankt bei diesen Versuchen zwischen 6,85 und 7,19. 
Die Differenz dieser Werte beträgt 4°/o- D a nun der methodische Fehler 10°/ o beträgt, 
wie oben schon erwähnt, so kann man wohl sagen, dass die Abweichungen der für kurz- 
und langdauemde Versuche gefundenen Minutenvolumina sich innerhalb der Fehler¬ 
grenzen der Methode halten. Mit anderen Worten: Die Methode bleibt bis 
zu den äussersten in praxi vorkommenden Schwankungen 
des Minutenvolumens anwendbar. 

Ich habe jetzt die schon mehrfach erwähnten Versuche nachzuholen, 
auf die sich die Berechnung der absoluten Werte des Minutenvolumens 
gründet. Ich habe nämlich die Stickstoffmethode neuerdings so modi¬ 
fiziert, dass man auch absolute Werte mit derselben erhält. Das war 
bei den bisherigen 3—6 Minuten und länger dauernden Ruheversuchen 
deswegen nicht möglich, weil eine Anzahl Konstanten der Absorption 
des Stickstoffs im Körper unbekannt waren. Man wird von dieser 
Absorption des Stickstoffs im Körper so gut wie unabhängig, wenn 
man den Versuch nicht über 2—3 Kreisläufe, d. h. ca. 2 Minuten ausdehnt. 
Zu diesem Zwecke habe ich — teilweise angeregt durch den Gedanken 
Z u n t z’, Stickoxydul zu verwenden (s. u.). — die Vrrsuchsanonlnung 
folgendermassen modifiziert: 

Die Versuchsperson atmet durch ein Mundstück in einen Gummisack, der mit Sauer¬ 
stoff gefüllt ist, ein und aus. Zwischen Sack und Mundstück ist ein U-förmig gebogenes 
Rohr zw’ischengeschaltet, das mit Glasröhren gefüllt ist. Dieses Rohr wird vor Beginn 
des Versuches mit konzentrierter Kalilauge gefüllt und die Kalilauge dann wieder vor¬ 
sichtig entleert; auf diese Art bleibt noch eine dünne Schicht Kalilauge auf den Glas¬ 
röhren liegen. Das U-Rohr ist am Sackende rechtwinklig umgebogen und teilt sich in 
mehrere Arme, die zur Befestigung der Gummisäcko dienen; diese Arme sind mit kleinen 
Kalistückchon gefüllt. Die Füllung des U-Rohres und der Arme muss so geschehen, dass 
sie der Atmung keinen bemerkbaren Widerstand bieten; diese Füllung genügt, um einen 
grossen Teil der bei der Atmung gebildeten Kohlensäure zu absorbieren. Der Luftraum 
dieses Zwischenstückes beträgt etwa 150 ccm und wird jedesmal vor dem Versuche ge¬ 
messen. Zur Ausführung des Versuches sind mindestens zwei Gummisäcke erforderlich: 
der eine dient zu einor kurzen Atmung, um die überschüssigen Stickstoffmengen zu ent¬ 
fernen und die Residualluft zu bestimmen (genau wie ich es für die relative Stickstoff- 
methode beschrieben habe). Der andere Gummisack dient zu dem etwa 1 Minute dauern¬ 
den Hauptversuch. Die Zeitdauer beider Atmungen, insbesondere aber der zweiten, 
muss so genau wie möglich, am besten durch zwei Stoppuhren bestimmt werden. 

Von grösster Wichtigkeit ist dabei, dass Beginn, Sackwechsel und Ende des Ver¬ 
suchs in gleicher Expirationsstellung geschehen. Dies gelüigt. bei einigermassen intelli¬ 
genten und geübten Versuchspersonen nicht so schwer, jedenfalls leichter als bei der länger 
dauernden absoluten Methode (weil die Intervalle zwischen den 3 Zeiteinschnitten sehr 
gering und beim zweiten und dritten Mal die Erinnerung an die vorhergehende Thorax - 
Stellung noch nicht verblasst ist). Einigcmalc habe ich auch versucht, durch Anbringung 



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Neuere Untersuchungen über die Herzarbeit beim normalen Menschen. 


271 


■eines Pneumographen die Thoraxstellung zu kontrollieren, doch muss man mindestens 
zwei Pneumographen, einen für die thorakale, einen für die abdominale Atmung be¬ 
nutzen, weil es sonst zu viel gröberen Irrtümem kommen kann als ohne Registrierung 
der Atmung. 

Die Berechnung ist dann folgende (nach einem Versuchsbeispiel): 

Voratmung (Residualluttbestimmung): 38,6” 

Hauptversuch: 59,8” 

In diesen 59,8” pro 100 mm Hg Druckdifferenz des Stickstoffs im Blute ausgeschiedeD: 

9,86 ccm N 

pro Minute also: 9,88 ccm N. 

Nun führt nach Bohr das Blut tür einen Druck von 100 mm Hg reinen Stickstoff 
0.205 cm* N mit sich, 1 ccm N braucht also zum Transport 488 ccm Blut. Die 9,88 ccm N 
also 4820 ccm Blut = Minutenvolumen. 

4820 

Pulsfrequenz 62, also Schlagvolumen = 77,7 ccm. Nun fand der Haupt- 

b« 

versuch zum grossen Teile nicht während des ersten, sondern während des zweiten Kreis¬ 
laufes statt, so dass man für die aus dem Gewebe weniger entleerten N-Mengen eino 
Korrektur einsetzen muss; dieselbe beträgt, wie eine Nebenrechnung zeigt, etwa 2°/ 0 , 
es wird also das Schlagvolumen 79,2 ccm anstatt 77,7 ccm werden. Diese Differenz 
egt übrigens noch ganz innerhalb der sonstigen Unsicherheiten der Methode. i(|l 

Man kann an Stelle des Stickstoffs auch andere indifferente Gase 
benutzen. Zuntz 1 ) hat neuerdings vorgeschlagen, Stickoxydul zu 
verwenden. Stickoxydul hat einen hohen Absorptionskoeffizienten 
und gibt daher sehr grosse Ausschläge. Andererseits wird durch die 
Schwierigkeit des Arheitens mit diesem Gase die Methode ziemlich 
kompliziert, doch haben Makroff,Franz Müller und Zuntz*) 
durch eine glänzende Technik gezeigt, dass diese Schwierigkeiten nicht 
unüberwindbar sind. Immerhin ist die Technik auch für den geübten 
Gasanalytiker nicht ganz einfach; die Genauigkeit scheint nicht erheblich 
grösser zu sein als die der absoluten Stickstoffmethode. 

Welche dieser Methoden soll man nun in praxi benutzen ? Der 
P 1 e s c h’schen Methode möchte ich bei dem gegenwärtigen Stand 
der Dinge nicht das Wort reden, da durch die vorliegenden Versuche 
wohl die geringe Bedeutung des intrapulmonalen Sauerstoff¬ 
verbrauchs für physiologische, nicht jedoch für pathologische Verhält¬ 
nisse bewiesen ist, da es ferner auch noch nicht klargelegt ist, ob und 
wie weit die B o h r’sche Sekretionstheorie der Gase nicht die Berech¬ 
nung der Spannungen in den Lungenalveolen illusorisch macht, und 
auch sonst noch gewisse Fehlerquellen vorliegen, deren Grösse wir für 
pathologische Fälle heute noch nicht übersehen können. Wenn 
diese Fragen einmal zu Gunsten der P1 e s c h’schen Methode ent¬ 
schieden sein sollten, so würde dieser Methode eine grosse Zukunft be¬ 
vorstehen, bis dahin aber scheint es mir richtig, alle Fragen nach einer 
der indifferenten Gasmethoden zu bearbeiten. Für Fragen vergleichender 
.Natur (über den Einfluss gewisser Agentien usw.) wird im allgemeinen 
meine relative Stickstoffmethode oder die Z u n t z’sche Stickoxydul¬ 
methode anwendbar sein, beide werden etwa gleich genaue Resultate 
liefern, wenn auch die Zunt z’sche Methode wohl immer einen kom¬ 
plizierteren technischen Apparat erfordern wird. Die Zunt z’sche 
Methode wird nur bei sehr grossem Minutenvolumen, wie man es z. B. 
bei Muskelarbeit findet, vermutlich weniger brauchbar werden, weil 
sie auf die Bestimmung in den ersten beiden Kreisläufen eingerichtet 
ist, diese beiden Kreisläufe aber bei Muskelarbeit so wenig Zeit (10 
bis 20—30 Sekunden) in Anspruch nehmen, dass eine Messung nur sehr 

l ) Zuntz, Verhandl. d. Berlin, physiol. Gesellsch. Jan. 1911. 

*) Makroff, Franz Müller und Zuntz, Zeitsehr. f. Balneol. 1911. 


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272 


Enslin 


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schwer möglich sein dürfte. Gilt es, absolute Zahlen zu erhalten, so wird 
man entweder die Zunt z’sche Stickoxvdul- oder meine absolute 
Stickstoffmethode benutzen; die beiden Methoden werden sich wohl 
mit ihren Vorteilen und Nachteilen die Wage halten. 

Sie sehen, m. H., dass die Frage der Messung der Herzarbeit beim 
Menschen jetzt prinzipiell gelöst ist. Die physiologischen Vorbedin¬ 
gungen sind erfüllt, wir kennen die normalen Grenzen der Herzarbeit 
und des Minutenvolumens und ihre Aenderung durch eine Reihe von 
Einflüssen. So ist der Einfluss der Muskelarbeit, der vermehrten Lungen¬ 
ventilation, von Pfadern studiert, auch Massage und gewisse Giftwir¬ 
kungen sind in Angriff genommen. Auf pathologischem Gebiete liegen 
allerdings nur eine Anzahl Versuche nach der P 1 e s c h’schen Methode 
vor, deren Resultate aus den oben genannten Gründen einer Verifizie¬ 
rung nach der Stickstoff- oder Stickoxvdul-Methode dringend bedürfen. 
Es ist aber mit Sicherheit zu erwarten, dass wir in wenigen Jahren über 
den Einfluss der Krankheiten auf die Arbeit des Herzens ebenso genau 
orientiert sein werden wie über die physiologischen Verhältnisse. Manche 
alte Theorie wird dabei verlassen werden müssen, aber positive Tat¬ 
sachen werden wir an ihre Stelle setzen können. 


Die 37 Zusammenkunft der Deutschen Ophthalmologischen 
Gesellschaft in Heidelberg 1911. 

(Nach dem Bericht in den Klin. Monatsbl. f. Augenheilkd.) 

Von Dr. F. Enslin, Augenarzt, Berlin. 

Bei dem diesjährigen Kongress spielte natürlich auch die Salvarsan- 
Debatte eine grosse Rolle. Igersheimer (Halle) sprach über 
die Wirkungen des Salvarsans auf das Auge, nach experimentellen und 
klinischen Untersuchungen. Therapeutische Dosen verursachen beim 
Kaninchen keine Veränderungen am Auge; auch häufigere Injektionen 
Hessen selbst mikroskopisch keine irgendwie nennenswerten Verände 
rungen erkennen, geschweige denn makroskopisch sichtbare. Be¬ 
merkenswert sind die Versuche an Katzen: sowohl bei subakuter Intoxi¬ 
kation wie auch bei chronischer mit kleinen Dosen traten erhebliche 
Zelldegenerationen der Netzhaut ein; am Sehnerven zeigte sich nach 
der chronischen Vergiftung sehr ausgeprägte Märchi-Reaktion sowie 
mässige Marchi-Degeneration. Es spricht dies für eine toxische Wirkung 
von langsam abgespaltenen anorganischen Arsen. Trotz dieser Fest¬ 
stellung ist J. auf Grund der klinischen Beobachtung überzeugt, dass 
die sog. Neurorezidive nicht Arsenvergiftungen darstellen, sondern 
syphilitischen Charakters sind. Die syphilitisch erkrankte Retina 
reagiert auf Salvarsan sehr gut; ebenso günstig ist oft die Wirkung auf 
den Sehnerven und auch auf die Iris. Dagegen sah J. nicht viel Nutzen 
bei Augenmuskellähmungen. Bei Keratitis parenchym. nach einmaliger 
Injektion niemals nennenswerte Besserung, bei mehrmaliger in einigen 
Fällen günstige Beeinflussung. 

Die Diskussionsredner stimmten darin überein, dass von einer 
Sterilisatio magna keine Rede sei, dass das Mittel am geeignetsten ist 
zur Erzielung schneller Wirkung (Irispapeln usw.) und dass das Beste 
eine Verbindung mit einer Hg-Kur sei. 

E 1 s c h n i g (Prag) sprach über Glaskörperersatz. Nach günstig 
verlaufenen I ierversuchen hat E. bei 15 Augen mit schweren Glaskörper- 


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Die 37. Zusammenkunft der Deutschen Ophthalmolog. Gesellschaft in Heidelberg. 273 


Veränderungen und 6 Augen mit Netzhautablösung etwa 0,6 ccm Glas¬ 
körper mit der Pravazspritze ahgesaugt und die gleiche Menge 0,85 proz. 
NaCl-Lösung dafür eingespritzt. Die gleiche Methode kann man mit 
gutem Erfolge anwenden, wenn hei Glaskörperverflüssigung sich nach 
einer Starausziehung Glaskörper entleert hat. 

Pagen Stecher: Ueber angeborenen Katarakt und Augen¬ 
missbildungen. Es ist P. gelungen, durch Naphthalinvergiftung gra¬ 
vider Kaninchen angeborene Stare bei den jungen, lebensfähigen Tieren 
zu erzeugen und die Startiere von 3 Würfen aufzuziehen. Durch die 
Versuche ist erstens der toxische angeborene Star endgültig durch Auf¬ 
ziehen der Startiere sichergestellt. Zweitens ist bewiesen, dass der toxische 
angeborene Star unabhängig von der Abschnürung des Linsenbläschens 
entsteht, da zeitlich immer nach der Abschnürung mit der Naphtalin¬ 
fütterung begonnen wurde, ln der zweiten Generation wurden niemals 
Missbildungen hervorgerufen. 

Wessely: Ueber experimentell erzeugte kompensatorische 
Hypertrophie der Ciliarfortsätze. 

Werden sterilisierte Lösungen von Galle oder gallensauren Salzen 
in den Glaskörper von Kaninchen injiziert, so kommt es zu einem aus¬ 
gedehnten Schwund des hinteren Augapfelabschnittes. Umgekehrt findet 
sich eine ausgesprochene Yergrösserung der Ciliarfortsätze. Diese 
zeigen gerade in ihrem absondernden Teile eine so starke Längenzunahme 
und Schlängelung, dass es zu schon makroskopisch wahrnehmbaren 
knäuelartigen Bildungen kommt. 

Flemming und Krusius: Zur experimentellen Radio¬ 
therapie der Tuberkulose des Auges. 

Durch Bestrahlung kann eine Abschwächung des Krankheits¬ 
verlaufes sicher festgestellt werden. Im Vergleich zu den Sonnenstrahlen 
ist die bakterizide Wirkung der radioaktiven Strahlen beim Radium 
und Mesothorium allerdings gering, eine Vernichtung der Keime konnte 
durch diese auch bei stundenlanger Einwirkung nicht erzielt werden, wohl 
aber deutliche Abschw'ächung. Die Höhensonne (5—6000 m) hat eine 
mehr als dreifach stärkere bakterizide Wirkung als die Tieflandsonne. 

Stargardt: Ueber Erkrankungen des Auges bei progressiver 
Paralyse. 

Mikroskopische Untersuchung der Sehnerven, des Chiasma, tractus 
opt. und corp. geniculat. bei 14 Fällen von Paralyse und Tabes. Die 
Sehnerven-Erkrankung beginnt mit Gliawucherung und Plasmazell¬ 
infiltration in der Umgebung des Chiasma und der intrakraniellen 
Optici. Die Infdtration greift dann auf das Innere dieser Teile der Seh¬ 
bahn längs der perivaskulären Lymphbahnen über. St. hält die Seh¬ 
nervenatrophie für die Folge einer chronischen, durch die Syphiliskeime 
selbst hervorgerufenen Entzündung. 

Adam: Ueber Augenveränderungen bei der Eklampsie. Unter¬ 
suchung von 92 Eklamptischen in der Universitäts-Frauenklinik zu 
Berlin ergab bei etwa der Hälfte (44) Augenstörungen, davon 4 Fälle 
von Retinitis oder Neuroretin. albumin. Die Erblindungen oder Amblyo- • 
pien waren urämischer Natur, mit erhaltener Pupillarreaktion und mit 
regelmässiger Wiederherstellung normalen Sehvermögens. Einige 
Fälle zeigten eine umschriebene Aderhautveränderung in Form skle¬ 
rotischer Blutgefässe, wie bei Lues oder Arterisklerose. 

G ree ff: Der jetzige Standpunkt der Trachomkörperchenfrage. 
Die bisher als Tr. beschriebenen Gebilde sind recht verschiedenes. Erst 

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274 


Autoreferete und Mitteilungen aus der Praxis. 


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eine Verbesserung der Technik lässt hoffen, die Gebilde mit scharfen, 
wissenschaftlichen Grenzen umziehen zu können. Gefunden sind sie bei 
Trachom, selten in der normalen Bindehaut, dagegen oft zusammen 
mit Gonokokken, Diphtheriebazillen, Pneumokokken und Staphylo¬ 
kokken. Ein Trachom der Neugeborenen in der Urethra anzunehmen, 
ist nicht angängig, ebensowenig ein besonderes Krankheitsbild der 
sogen. ,,Einschluss-Blennorrhoe“. Trachom und Gonorrhoe sind zwar 
völlig getrennte Infektionskrankheiten. Was die Gebilde zu bedeuten 
haben, lässt sich heute noch nicht sagen: Wahrscheinlich handelt es 
sich um Mikroorganismen, die in dem Haushalte der Natur eine grosse, 
uns noch nicht bekannte Rolle spielen. 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Ueber Herzunregelmässigkeiten mit besonderer^Berficksich- 
tigung des Pulsus irregularis respiratorius und der Ueber- 

leitungsstörungen. 

Von Prot. Dr. E. Münzer. 

(Nach einem am 7. XII. 1011 im Verein deutscher Aerzte in Prag ge¬ 
haltenen Vortrage.) 

Nach kurzer Erwähnung der verdienstvollsten Forscher auf dem 
zu besprechenden Gebiete und Auseinandersetzung methodischer De¬ 
tails (Aufnahme des Arterien- und Venen-Pulses, Bedeutung des Elektro¬ 
kardiogramms), geht der Vortragende auf sein eigentliches Thema über. 

I. 

Bezüglich des Pulsus respiratione irregularis (= P. r. i.), kommt 
M. an der Hand einer grossen Reihe von Aufnahmen, welche demonstriert 
wurden, zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Bezeichnung Pulsus paradoxus wäre fallen zu lassen und für 
die in Frage stehende Pulsunregelmässigkeit der entsprechendere Aus¬ 
druck: Pulsus respiratione irregularis (P. r. i.) zu wählen. 

2. Von den durch die Atmung veranlassten Pulsunregehnässig- 
keiten haben wir zwei grosse Gruppen zu unterscheiden: 

a) Den durch Vagusbeeinflussung herbeigeführten P. r. i. neuro- 
geneticus, welcher der dynamischen Form W e n c k e b a c h’s 
entspräche, 

b) den P. r. i. mechaniceeffectnra; unter letzterem wären 
die durch extrathorazische Ursachen veranlassten Formen des P. r. i. 
(Schreiber, W e n c k e b a e h) zu subsummieren. 

3. Die beiden erwähnten Formen des P. r. i. unterscheiden sich 
dadurch voneinander, dass bei der ersteren — der neurogenetischen 
— die der Inspiration entsprechenden Pulswellen - geringere 
Grösse besitzen und kürzere Zeit dauern, der 
Puls in der Inspiration frequenter wird, während bei der zweiten, 
der mechanisch bedingten Form, die der Inspiration entsprechenden 
Pulswellen wohl geringere Höhe besitzen, aber keine Aenderung in 
der Dauer der Pulswellen beobachtet wird. 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


275 


n. 

Der Vortragende hebt die Bedeutung des von H i s entdeckten 
Muskelbündels hervor und geht dann zur Besprechung der Pulsunregel¬ 
mässigkeiten über, welche 

a) bei totaler Unterbrechung jeder Reizleitung im H i s’schen 
Bündel, 

b) bei gestörter, aber nicht vollkommen aufgehobener Ueberleitung 
beobachtet werden. 

Ad a) Bei totaler Aufhebung jeder Reizleitung durch dieses Bündel 
tritt jener Zustand ein, der als Dissoziation zwischen Vorhof und Kam¬ 
mern bezeichnet wird. Vorhöfe und Kammern schlagen bei einem 
solchen Zustande unabhängig voneinander, die Kammer in dem ihr 
eigenen Rhythmus (Kammerautomatie, E. H. H e r i n g). Hierbei 
zeigt der Ventrikel eine Frequenz von etwa 30 Systolen in der Minute. 

Klinisch zeigen solche Kranke den Adams-Stoke s’schen 
Symptomenkomplex: Häufige Ohnmächten, pseudo-apoplektische In¬ 
sulte; ausserordentliche Pulsverlangsamung auf ca. 30 Pulsschläge in 
der Minute. 

Gesichert wird die Diagnose durch gleichzeitige Aufnahme von 
Venen- und Arterienpuls. Die Aufnahme des Venenpulses gelingt 
nicht immer. Entscheidend für die Diagnose ist dann das Elektro¬ 
kardiogramm. 

Der Vortragende demonstriert die Pulsaufnahme einer solchen Be¬ 
obachtung und geht 

ad b) unter Demonstration entsprechender Aufnahmen über zur 
Besprechung jener Pulsunregelmässigkeiten, welche sich einstellen, 
wenn die Leitung im Ueberleitungsbündel nicht total aufgehoben, 
sondern nur verzögert bezw. gehemmt ist. 

Es kommt dann zu einer Verlängerung der Ueberleitungszeit, a—c 
des Venenpulses, hier und da fällt unter Umständen — (in der Ausatmung 
oder Atempause) —eine Systole aus (Kammersystolenausfall), oder dieser 
Systolenausfall erfolgt ganz regelmässig nach einer bestimmten Zahl 
von regelmässig ablaufenden Pulswellen (Gruppenbildung von Pulsen); 
schliesslich kann auch ein ganz regelmässiger Puls vorgetäuscht werden, 
wenn der Zustand der sogenannten ,, Halbierung“ eintritt, d. h. jeder 
zweite Vorhofpuls ohne entsprechende Kammerkontraktion abläuft. 

Eine Beobachtung der letztgenannten Art machte der Vortragende 
in der jüngsten Zeit und demonstriert die die Diagnose sichernde Venen¬ 
pulsaufnahme sowie das Elektrokardiogramm. 


Lieber die Bedeutung des Cholesterins ffir die innere Medizin. 

Von Priv. Doz. Dr. Hugo Pflbram, Prag. 

(Wissenschaftliche Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen, 26. I. 12.) 

Nach einleitenden Worten über die allgemeinen und biologischen 
Eigenschaften des Cholesterins im allgemeinen bespricht der Vortragende 
seine Versuche, bestehend in der Untersuchung von Blutserum, Ery¬ 
throzyten, Aszitesflüssigkeit und Liquor cerebrospinalis auf ihren 
Gehalt an freiem und gebundenem Cholesterin. Im Blutserum wurde 
auf chemischem und hämolytischem Wege (Hemmung der Saponin¬ 
hämolyse) nachgewiesen, dass hei Nephritis der Cholesteringehalt 
stets normal, bei Urämie dagegen stets erhöht war. Diese Cholesterämie 
ist wohl als Einschwemmungscholesterämie zu bezeichnen, bedingt 

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durch Einschwemmung von Cholesterin aus geschädigten Körper- 
gewebszellen. Ganz analog ist die Vermehrung von Cholesterin im 
Serum von zwei Kranken zu erklären, die durch lange Zeit in Agone 
gelegen waren. Demgegenüber ist die Cholesterämie bei Ikterus als 
Retentionscholesterämie aufzufassen. Eine solche wurde bei mehreren 
Fällen von katarrhalischem Ikterus und bei zwei Fällen von akuter 
Leberatrophie konstatiert. Die bei Ikterus oft, bei Leberatrophie 
in der Regel auftretende Erythrozytenvermehrung ist höchstwahr¬ 
scheinlich auf der .Minderzerfall der seneszenten Erythrozyten durch 
die Schutzwirkung des Cholesterin zu erklären. Eine Stütze für diese 
Erklärung konnte erbracht werden durch den Befund, dass bei zwei 
Fällen von Polyzythämie (ein Fall von Polyzythämie mit Emphysem 
und einen Fall von echtem Morbus Vaquez-Osler) eine Vermehrung 
des Cholesterins nachgewiesen werden konnte. 

Bei perniziöser Anämie war der Cholesteringehalt des Serums normal. 
Eine Verminderung des Cholesteringehaltes konnte bloss in einem Falle 
von schwerem Alkoholismus- und zwei Fällen von Tabes nach Lues 
mit positivem Wassermann gefunden werden. Die Untersuchung auf 
Resistenz der Erythrozyten gegen Saponin (die Hypisotonieresistenz 
wurde nicht geprüft, die erwiesenermassen oft entgegengesetzte Resultate 
als die Saponinresistenz ergibt) zeigte, dass der Cholesteringehalt der 
Erythrozyten bei Ikterus und Urämie erhöht, bei Nephritis und Typhus 
vermindert ist. 

Einige Aszitesfiüssigkeiten, die untersucht wurden, ergaben einen 
wechselnden, jedoch in der Regel ziemlich hohen Cholesterinwert. 
Einmal konnte auch ein Liquor cerebrospinalis genau chemisch unter¬ 
sucht werden; es handelte sich um einen Patienten mit Hydrozephalus, 
dem ständig aus der Nase Liquor abfloss, so dass leicht beliebige Mengen 
von Liquor für die Untersuchung gewonnen werden konnten; auch 
hier konnte relativ viel Cholesterin (nahezu fl cg in 100 ccm) gefunden 
werden. Bekanntlich wurde das Cholesterin bereits vielfach in der 
Therapie empfohlen. Viel Aussicht kann diese Behandlungsmethode 
nicht haben, da die früher erwähnten Untersuchungen zeigen, dass in 
der überwiegenden Mehrzahl der Fälle das Serum ausreichend Chole¬ 
sterin zur Verfügung hat. Es wurde empfohlen bei Schwarzwasser¬ 
fieber, Tuberkulose, Tetanus, perniziöser Anämie. Eigene ausgedehnte 
Versuche bei den letztgenannten drei Krankheiten (unterstützt z. T. 
durch Tierversuche) ergeben, dass entgegengesetzt den Angaben von 
G e r a r d und L e m o i n e , von Morgenrot h und Reicher, 
von A 1 in a g i a und M e n d e s das Cholesterin in keinem Falle auch 
nur die mindeste Besserung erzielt hat. 

Ist auch das Cholesterin für die Therapie fast wertlos, so ist seine 
Bedeutung für die Kenntnis der Pathogenese gewisser innerer Krank¬ 
heiten zweifellos. Weitere Untersuchungen werden in Aussicht gestellt. 

Ueber die Anwendung von Pituitrin in der prakt. Geburtshilfe. 

Von Dr. Hans Hermann Schinld. 

Kurzer Bericht über 200 Fälle (140 Fälle der geburtshilflichen 
Klinik und 60 Fälle von Abortus der gynäkologischen Klinik, Prof. 
Dr. Kleinhans). Pituitrin wurde in 27 Fällen zur Bekämpfung von 
Nachgeburtsblutungen verwendet, teils bei manifester Atonie, teils 
prophylaktisch nach operativer Entleerung des Uterus. Ein einziger 
Versager kam bei einer Sectio cäsarea vaginalis nach subkutaner An- 



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Wendung des Präparates vor, doch wurde durch sofortige direkte In¬ 
jektion von 2 ccm Pituitrin in den Uterus der Kontraktionszustand 
augenblicklich ein ausgezeichneter und dauernder. Ebenso wurde der 
Uterus in 5 Fällen von Sectio cäsarea classica nach Applikation in 
den Uterus selbst sofort steinhart und blass und blieb dauernd gut 
kontrahiert. 

Zur Verwendung kam das Präparat von Parke, Davis & Comp, 
in einer Menge von 1—2 ccm, in der allerletzten Zeit auch Pituglandol 
von der Firma Hoffmann - La Roche; an der Injektionsstelle traten 
weder Schmerzen noch ein Infiltrat auf wie bei Ergotin. Letzteres ist 
überhaupt vollständig entbehrlich und durch Pituitrin zu ersetzen. 

Ebenso gute Erfolge wie bei Nachgeburtsblutungen wurden in 
60 Fällen von Abortus und in 10 Fällen von Subinvolution des Uterus 
post partum erzielt. 

Noch wichtiger ist die Anwendung von Pituitrin zur Anregung 
der Wehentätigkeit, um dieselbe überhaupt erst in Gang zu bringen 
(künstliche Einleitung), oder um schwache VVehen zu verstärken. Unter 
95 derartigen Fällen sind 13, bei denen durch Pituitrin ein strikte indi¬ 
zierter Forzeps umgangen werden konnte. Für den Praktiker ist nament¬ 
lich die Möglichkeit, die sogenannte Luxuszange durch Pituitrin ein¬ 
schränken zu können, von ausserordentlicher Wichtigkeit. Auch Kol- 
peurvse und Metreuryse können durch Pituitrin in manchen Fällen 
ersetzt werden, wo sie nicht nur mechanisch zu wirken haben. Wirkung 
bei Kombination von Metreuryse und Pituitrin. Prophylaktisch wurde 
Pituitrin bei protrahierter Geburt gegeben, wenn der Kopf bereits 
lange Zeit in der Vulva steckte, oder lange Zeit seit dem Blasensprunge 
vergangen w r ar. 

Endlich wurden durch Pituitrin die Wehen beschleunigt, nachdem 
sie durch eine oder mehrere Injektionen von Pantopon verlangsamt 
worden waren; letzteres wurde mit gutem Erfolge zur Schmerzlinderung 
unter der Geburt gegeben. In allen diesen Fällen konnten durch 1—2 
Injektionen (selten durch mehrere) stets rhythmische Wehen erzielt 
werden (bei Ergotin tritt ein Dauerkontraktionszustand des Uterus 
auf); auffallend war namentlich die Verkürzung der Wehenpausen. 
Stundenlange Beobachtung der Wehentätigkeit mit der aufgelegten 
Hand. (Demonstration von Wehenkurven.) 

Pituitrininjektion und nachfolgender intrauteriner Eingriff (Wen¬ 
dung, Plazentalösung) sehliessen einander nicht aus. Weitere Gefahr 
der Secale-Darreichung: Inkarzeration der Plazenta. 

Keinerlei schädliche Neben- oder Nachwirkungen auf Mütter und 
Kinder, keine unangenehmen Herz- und Gefässwirkungen. (Klotz 
warnt vor Anwendung bei erhöhtem Blutdruck: Nephritis, Arterio¬ 
sklerose). Bei anderen Erkrankungen, namentlich bei Fieber unter der 
Geburt, braucht man sich vor Pituitrin nicht zu scheuen, sondern wird 
es im Gegenteil gerade in solchen Fällen zweckmässig verwenden. 

Wichtig ist die Abkürzung der Nachgeburtsperiode und die ge¬ 
ringe Blutung post partum bei den Pituitrin-Fällen. Atonie ist nicht 
zu befürchten. Abgang der Plazenta in den ersten 15 Minuten bei 
45 Fällen, bis zu 30 Minuten bei 36 Fällen, bis zu 45 Minuten bei 8 
und bis zu einer Stunde nur bei 2 Fällen; zweimal Expression der 
Plazenta nach Crede (bei Placenta prävia), einmal manuelle Lösung, 
einmal Sertio cäsarea. Dreimal stärkere Blutung (zweimal Retention 
eines Plazentarstückes, einmal nach Wendung-Extraktion), dreimal 


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war die Blutung als mittelstark zu bezeichnen, 47 mal als gering, 22 mal 
als minimal und 16 mal gleich Null. Im Wochenbett wurden relativ 
häufig Nachwehen beobachtet, nämlich 24 mal unter 95 Fällen. Be¬ 
kämpfung der Nachwehen durch Pantopon. 

Wirkung auf die Blasenmuskulatur: Im Wochenbett musste nie¬ 
mals katheterisiert werden. 

ln einem Falle von Retention der Plazenta nach normaler Geburt 
war der Crede’sche Handgriff 4 Stunden post partum erfolglos, gelang 
aber nach Pituitrininjektion: Umgehung der manuellen Lösung. 

Die guten Resultate des Vortr. schliessen sich an die von Blair 
Bell, Foges-Hofstätter und Hofbauer an. Seitdem 
liegen günstige Berichte vor von Klotz, Gottfried, Neu, 
Stiassny, Stern, Ross,Bagger-Jörgensen, Kroe- 
m e r , Fries. 

Osteomak cie wurde mit Erfolg mit Pituitrin behandelt (B a b , 
Neu); 2 eigene Fälle. 

Als gynäkologisches Styptikum (B a b) wird Pituitrin in jüngster 
Zeit an der Prager Frauenklinik ausgedehnt in Anwendung gezogen, 
bei Blutungen infolge Endometritis, Adnexaffektionen, Pelviperitonitis 
und Parametritis, sowie bei Menorrhagien ohne anatomischen Befund. 

Chirurgisch wichtig ist die Wirkung von Pituitrin auf die Blasen¬ 
muskulatur nach Operationen im kleinen Becken (H o f s t ä 11 e r); 
wesentliche Einschränkung des Katheterismus, namentlich nach gynä¬ 
kologischen Operationen. 

Abgesehen von den letztgenannten Anwendungsarten des Pituitrin 
kann das Mittel zur Anregung der Wehentätigkeit und gegen Nach¬ 
geburtsblutungen wärmstens für die allgemeine Praxis empfohlen 
werden, denn es besitzt zwei Eigenschaften, die es namentlich für 
den Praktiker sehr wertvoll machen: es ist unbedingt verlässlich und 
absolut ungefährlich. Autoreferat. 

Zur Diskussion. 

Auf die Anfrage des Herrn Prof. Piffl ist zu erwidern, dass dem 
Pituitrin Dauerwirkung zukommt im Gegensätze zum Adrenalin. Ob 
es auch zur Anwendung in der Lokalanästhesie an Stelle von Adrenalin 
geeignet ist, darüber liegen bisher keine Erfahrungen vor. 


Beitrag zur Frage des pericellulären Lymphraumes im Gehirn. 

Von Dr. Sittlg. 

(Vortrag, gehalten am 29. XI. 11 in der wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Aerzte 

in Böhmen.) 

In einem Falle von epidemischer Genickstarre fand sich ein mikro¬ 
skopisch kleiner Abszess, in dessen Peripherie mehrfach eine eigenartige 
Anordnung der polynukleären Leukozyten auffiel. Diese lagen nämlich 
w r ie Trabantzellen den Ganglienzellen an. Manchmal w’ar von den 
Ganglienzellen nichts mehr erhalten, sondern es war der ursprünglich 
von der Ganglienzelle eingenommene dreieckige Raum ganz von Leuko¬ 
zyten erfüllt. Dieser Befund lässt sich dem von Fischer und Merz¬ 
bacher bei Karzinomatose des Gehirns gefundenen anreihen, wo 
die Tumorzellen die Ganglienzellen mantelartig umscheideten. 

Beide Forscher konnten diesen Befund nicht anders als durch 
Annahme eines perizellulären Lymphraumes erklären und auch unser 
Fall lässt, wohl keine andere Deutung zu. Autoreferat. 



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Referate und Besprechungen. 


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Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Shaw, H. B. (London), Anaphylaxie als Erklärung gewisser klinischer 
Erscheinungen. (Practitioner, Bd. 48, H. 0.) 

Tiere, die nach der zweiten Injektion artfremden Serums, d. K. infolge 
Anaphylaxie, zu gründe gegangen sind, zeigen bei der Autopsie intensives 
Lungenemphysem. Die Erscheinungen während des Lebens sind Beschleuni¬ 
gung der Atmung, darauf krampfartige Inspirationen mit Absinken des 
Blutdrucks und der Temperatur. Wird die Reinjektion nicht in die Venen, 
sondern in die Peritonealhöhle gemacht, so treten ähnliche Symptome, aber 
viel langsamer auf und Tod braucht nicht zu erfolgen; bei Injektion in das 
Unterhautgewebe tritt ödem, welches zuweilen hämorrhagisch ist, auf. 

Anaphylaxie tritt nun aber nicht nur nach Injektion artfremden 
Serums ein, sondern auch nach Injektion von Präparaten, die aus Organen 
der gleichen Tierart, ja desselben Tieres hergestellt sind. 

Diese Bedingung ist annähernd erfüllt, wenn infolge von Organzerfall, 
wie bei Degeneration und Zirrhose der Leber, der Nieren oder des Gehirns, 
Zerfallsprodukte der eigenen Organe in die Blutzirkulation übertreten. Da 
hierbei auch die klinischen Symptome — z. B. bei urämischer Dyspnoe, 
Sinken des Blutdrucks, Koma — denen der Anaphylaxie gleichen können, 
so zaudert Shaw nicht, sie unter den Gesichtspunkt der Anaphylaxie anzu- 
sehn. So möchte er die zeitweisen, in ihrem Anlaß oft unerklärlichen 
Kompensationsstörungen bei Herzkranken, das Lungenödem, das Asthma und 
das angioneurotische ödem als anaphylaktische Erscheinungen betrachten. 
Als Beispiel führt er den Fall eines Mädchens an, das bei schweren asthmati¬ 
schen Anfällen jedesmal einen erythematösen Ausschlag an Rumpf und 
Gliedern bekam, den er mit dem Serumexanthem vergleicht. 

Auch die von Pirquetsche Reaktion betrachtet er unter dem gleichen 
Gesichtspunkt. Die durch die Tätigkeit der Tuberkelbazillen im Körper 
hervorgerufene Veränderung der Säftezusammensetzung setzt er der erstellt 
Injektion mit nachfolgender Anaphylaxie gleich, die Pirquetsche Behand¬ 
lung aber mit ihrer starken Reaktion der Reinjektion. 

Diese geistreiche Anschauung klingt recht plausibel, wenn sie auch 
sicherlich nur einen der Wege, auf denen Asthma, urämische Anfälle, 
Lungenödem usw. zustande kommen, aufhellt. Fr. von den Velden. 

Busson (Graz), Der Parasitennachweis mittels der Komplementablenkungs¬ 
methode. (Centr. f. Bakt., Bd. 60, H. 6.) 

Mittelst der Komplementbindungsmethode bei Benutzung von alkohol. 
Extrakt der Parasiten als Antigen gelingt es nur in einem gewissen Prozent¬ 
satz der Fälle, eine positive Reaktion zu erzielen. 

Im Serum von Kaninchen finden sich häufig normalerweise Substanzen, 
die mit alkoholischen Bandwurmextrakten ebenso wie mit Herzmuskelextrakt 
das Phänomen der Komplementbindung zeigen. Diese Eigenschaft des Serums 
kann nach Injektion verschiedener indifferenter Substanzen (Leucin, Tyrosin) 
gesteigert werden. 

Das Serum von Luetikern gibt ebenso wie mit Herzmuskelextrakt auch 
mit den alkoholischen Auszügen der Bandwnirmer -und Echinokokken Komple¬ 
mentablenkung. Schürmann. 

Bartel, Julius (Wien), Tuberkulin und Organismus. (Das Österreich. Sani¬ 
tätswesen, Nr. 37, 1911.) 

Gelegentlich des I. österreichischen Tuberkulosetages hat Bartel sehr 
beachtenswerte Mitteilungen gemacht. Er hat 768 Leichen, bei welchen 
Tuberkulose die Todesursache gewesen war, nach der Heilungstendenz grup¬ 
piert, soweit auf eine solche aus dem anatomischen Befund zu schließen 
war. Dabei betrugen die Zahlen fürs 1. und 2. Jahrzehnt 38,5 o, 0 und sie 
sanken ziemlich gleichmäßig auf 15 o/ 0 im 7. Jahrzehnt, wenn es sich um 
die Fälle ohne Heilungstendenz handelte. 


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280 Referate und Besprechungen 

Umgekehrt: mit Reilungstendenz ergaben sich 19,2 o/ 0 in den ersten 
beiden Dezennien und — kontinuierlich steigend — 90 o/o im 8. und 9. 
Dezennium. Die letzteren Fälle sind also diejenigen, welche man klinisch 
als geeignet zur Tuberkulinkur bezeichnet, während bei jenen ohne Nei¬ 
gung zur Vernarbung die Kur zum mindesten problematisch erscheint. Lei¬ 
der haben wir z. Z. noch keine Differenzierungsmittel zur Hand, um die ge¬ 
eigneten Fälle m i t Heilungstendenz zu erkennen. Aber warum sollte sich 
nicht ein solches im Lauf der Zeiten finden? Buttersack-Berlin. 

liierast (Halle), Ein Apparat zur Befestigung des Hammels zwecks Blut¬ 
entnahme aus der äußeren Halsblutader. (Centr. f. Bakt., Bd. 60, H. 5.) 

Wozu denn große schwerfällige Apparate für einen so leichten Eingriff, 
den jeder Laboratoriumsgehilfe ohne jegliche Stellage machen kann? Es 
ist noch nicht einmal eine Personalersparnis damit verbunden. 

Schürmann. 

Bessau (Breslau), Zur Frage der Hitzebeständigkeit der gebundenen Anti¬ 
körper. (Centrbl. f. Bakt., Bd. 60, H. 5.) 

Durch kurzdauernde Erhitzung auf 80° C werden die an ihr Antigen 
gebundenen Antikörper in der gleichen Weise vernichtet, wie die frei im 
Serum enthaltenen. Vor der Zerstörung wird die Reversibilität der Antigen- 
Antikörperverbindung aufgehoben. , Schürmann. 


Innere Medizin. 

McClure, J. C. (Glasgow), Praktisches für den praktischen Arzt über den 
Blutdruck. (Practitioner, Bd. 87, H. 6.) 

Eine einzelne Beobachtung des Blutdruckes hat keinen Wert,, nur 

Serien, und der allgemeine Zustand des Kranken muß bei der Deutung stets 
in Betracht gezogen werden. Oft lehrt das Manometer nicht mehr als der 
Finger auf der Radialis, aber es ermöglicht eine bessere Aufzeichnung des 
Befundes. 

über die Ursachen des hohen Blutdrucks ist wenig bekannt, und 

man muß nie vergessen, daß er nur ein Symptom ist, dessen Grundlage es 

zu erforschen gilt. Nicht selten ist er eine notwendige Reaktion und es 
hat üble Folgen, wenn man ihn herunterdrückt. Sorgfältige Diät mit Aus¬ 
schluß tierischen Eiweißes ist gewöhnlich das beste Mittel und leitet auf 
die Vermutung, daß abnorme Gärungen im Darm an der Blutdruckserhöhung 
beteiligt sind. Auch die Funktion der Leber und der Nieren muß geprüft, 
der Stuhlgang geregelt und dem Magen Zeit zu völliger Entleerung ge¬ 
lassen werden. Arzneimittel sollen, wenn überhaupt, mit großer Zurückhal¬ 
tung gebraucht werden (es kommen eigentlich nur die Nitrite in Betracht). 
Eine bequeme Regel ist, Kranke mit hohem Blutdruck so zu behandeln, 
als hätten sie Nierensclirumpfung. 

Niedriger Blutdruck beruht auf Herzschwäche oder Verminderung 
des peripheren Gefäßwiderstauds oder beidem. Wo kein Herzleiden vor¬ 
liegt, handelt es sich gewöhniieh um allgemeine Asthenie. Der beste An¬ 
griffspunkt ist gewöhnlich der Magen und Darm, liegt Enteroptose vor, 
so leisten Stützbinden für den Bauen gute Dienste. Arzneimittel sollen nur 
in kritischen Momenten gebraucht werden. Das gewöhnlichste Symptom des 
niedrigen Blutdrucks ist Schwächegefühl hnd Herzklopfen. 

Fr. von den Velden. 

Wethered, F. J. (London), Die Natur und Behandlung gewisser Abarten 
von Verdauungsstörung. (Practitioner, Bd. 87, Nr. 6.) 

Schmerz im Epigastrium nach der Nahrungsaufnahme mit Sodbrennen 
und Flatulenz werden gewöhnlich als Folge von Hyperazidität aufgefaßt 
und mit kohlensaurem Natron behandelt. Versuche von Hertz haben jedoch 
gezeigt, daß 0,5 o/o Salzsäure im Magen und Ösophagus keinen Schmerz 
hervorruft, selbst nicht bei vorhandenem Magengeschwür. Diese Konzen¬ 
tration von 0,5 o/o wird aber vom Magensaft nie erreicht. Dagegen kann 
die Hyperazidität vermehrte Peristaltik hervorrufen, und diese ist vermut¬ 
lich die Ursache des Schmerzes. Direkt wird durch einen anderen Magen- 



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Referate und Besprechungen. 


281 


inhalt Schmerz erregt, nämlich durch Alkohol, der sich bei Anwesenheit 
von Hefe, Sarcine und Kohlehydraten in erheblicher Menge bildet. Nach 
W. sind die wahren Ursachen der dyspeptischen Schmerzen und Beschwer¬ 
den: die Aufblähung durch abnorme Gasentwicklung, die heftige Peristaltik 
als Folge der Hyperazidität und die Entwicklung von Alkohol. 

Bei diesen Zuständen ist die übliche Neutralisierung der Säure eine 
mangelhafte Maßregel, gründlicher, aber in wenig angenehmer Weise, wirkt 
die Magenspülung. Diese zu ersetzen hat Mitchell in glücklicher Weise 
versucht mit Hilfe eines von ihm entdeckten Haut-Magenreflexes. Wenn 
man die Haut unter dem linken Rippenbogen sanft mit den Fingern reizt, 
so treten peristaltische Bewegungen des Magens ein, die mit dem Fluoroskop 
und Phonendoskop nachgewiesen werden können. Der Entdecker hat sich 
auf diese Methode so eingearbeitet, daß er stufenweise die Entleerung den 
Magens und die dabei auftretenden Geräusche zu verfolgen vermag. Das 
Verfahren wird am besten 4 Stunden nach der Mahlzeit ausgeübt, etwa eine 
Woche lang, anfangs täglich, dann seltener. Dabei muß natürlich die Diät 
überwacht werden, die am besten auf drei Mahlzeiten konzentriert wird. 
In vielen Fällen genügt dies Verfahren zur Herstellung, in anderen müssen 
die wohlbekannten übrigen Hilfsmittel herangezogen werden, besonders 
gegen die Verstopfung. Bei Verdacht auf Magengeschwür ist Vorsicht ge¬ 
boten, bei Erweiterung des Magens scheint das Verfahren zwar auch wirk¬ 
sam zu sein, aber allein nicht zum Ziel führen. Wenn die Patienten richtig 
angelernt werden, vermögen sie später sich selbst mit Hilfe des Haut- 
Magenreflexes Erleichterung zu verschaffen. — 

Er verdient jedenfalls ernstlich nachgeprüft zu werden, auch wenn 
ein gutes Teil Suggestion dabei sein sollte. Fr. von den Velden. 

Courcotix (Paris), Die orthostatlschen Albuminurien. (Allg. med. Zig.. 
1911, Nr. 29—31, nach Paris mödic. 1911.) 

Einleitend führt C. aus, wie die orthostatischen Albuminurien zunächst 
unter dem Namen Haltungsalbuminurien von den transitorischen A. gesondert 
WTirden und dann von Teissier, der sie wieder von Ermüdungs- und 
zykischen A. trennte, ihren definitiven Namen erhielten. 

Man unterscheidet 1. die echte oder funktionelle o. A. Sie 
wird meist zufällig bei Kindern gefunden, die rasch wachsen, schlechte 
Haltung, Skoliose, Lordose haben, rasch ermüden, an Schwindel, Kopfschmerz, 
Herzklopfen, Erregbarkeit, allgemeiner Nervosität leiden. Der Blutdruck ist 
meist subnormal, es besteht, besonders beim Aufrechtstehen kardiovaskuläre 
und konsekutive neuromotorische Hypotonie mit Empfindlichkeit gegen Kälte, 
Neigung zu Zyanose, Frostbeulen. 

Die Albuminurie ist besonders ausgesprochen am Vormittag. Im Liegen 
ruft weder Verdauungs- noch Muskeltätigkeit, noch Faradisation die Albu¬ 
minurie hervor. Letztere kann 0,5—4%o betragen. Dabei besteht oft 
Obliguria orthostatica und kompensatorische Polyurie im Liegen. 
Das spezifische Gewicht des albumenhaltigen Harns ist erhöht. Zeichen von 
Nierenveränderung, insbesondere Zylinder, fehlen. Prognose stets günstig. 

2. Die nephritische o. A., d. h. Nephritis mit orthostatischem Typus 
ist die häufigste Form und kommt ebenfalls meist bei Kindern vor. Nach 
Infektionskrankheiten wie Scharlach, die A. im Gefolge hatten, kann die 
bereits geschwundene Anomalie wieder eintreten beim Einnehmen aufrechter 
Haltung, sie kommt jedoch auch ohne vorhergegangener A. vor, und kann 
endlich auch das prämonitorische Zeichen einer chronischen Nephritis bilden. 
— Im Harn finden sich Zylinder, Methylenblau wird langsam wieder ausge¬ 
schieden, bei Ermüdung, Diätfehlern usw. kann die A. kontinuierlich werden. 

3. Die assoziierte o. A. Sie ist schwierig zu beurteilen. Die 
aufrechte Haltung führt hier nur in Verbindung mit geistiger Erschöpfung, 
Verdauungs-, Leberstörungen usw. zur A., die mit Beseitigung dieser Zustände 
verschwindet. — 

Der Grund, weshalb es nur bei aufrechter Haltung zur A. kommt, wird 
z. Z. vorwiegend in einer durch das Aufrechtstehen usw. veranlaßten Zirku- 


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Referate und Besprechungen 


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lationsstörung, Stromverlangsamung, gesehen. Einige führen letztere auf die 
bei manchen Individuen bestehende Nierenptose zurück, die bei aufrechter Hal¬ 
tung zu Knickung oder Kompression des Nierenstiels führt. Andere machen 
eine orthostatische Lordose verantwortlich, die zu einem Auseinanderweichen 
der Nieren mit Knickung oder Streckung ihrer Gefäße führe. Diese Theorie 
wurde durch Auftreten von A. bei künstlich herbeigeführter Lordose im Liegen 
gestützt. Ein weiterer Grund für die Stromverlangsamung kann bei Indi¬ 
viduen mit vasomotorischer Atonie in der durch aufrechte Haltung bewirkten 
Stase in der Cava int. gesehen werden, wieder andere Autoren nehmen direkte 
oder reflektorische Erregung der Nieren Vasomotoren, bezw. Gefäßkrampf 
von der Planta pedis aus an. Viele Autoren sind der Ansicht, daß die be¬ 
sprochenen Zirkulationsstörungen erst bei Vorhandensein von — bisher nicht 
•objektiv nachweisbaren — Nierenveränderungen zu A. führen können. 

Im Folgenden werden die Wege zu möglichst genauem Einblick in die 
Verhältnisse besprochen. Hinsichtlich der Behandlung betont Verfasser, 
daß bei normal erscheinenden Nieren keine auf das lokale Leiden gerichtete, 
sondern vielmehr eine konstitutionelle Therapie erforderlich sei, die 
insbesondere tonisierend auf das Gefäßsystam wirke. Entsprechende Diät. 
Luftkuren, Land-, Seeaufenthalt, Gymnastik, Massage. Speziell ist auf Hebung 
eventuell bestehender Lordose zu achten. Medikamentös kommen klein? 
As- und P-Dosen sowie Calc. chloratum 0,4—0,5 pro die in Betracht. Bei 
den übrigen Formen der o. A. ist das Grundleiden zu berücksichtigen. 

Esch. 

Leven, G. (Paris), Über Irrtümer bei der Appendizitisdiagnose. (Aus dem 
Hotel Dieu. Rev. de Ther. u. Allg. Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 112 u. 113.) 

Leven betont, daß die Oophoritiden, die vor 20 Jahren die abdominal? 
Pathologie beherrschten, heute von der Blinddarmentzündung abgelöst seien. 
Jetzt spreche die ganze Welt von letzterer, sie werde viel zu oft diagnosti¬ 
ziert und operiert. Er stellte 10 typische Fälle vor, die er vor dem Messer 
bewahrt hat im schweren Kampfe mit operationswütigen Ärzten, Kranken¬ 
schwestern und Verwandten. Bei einigen handelte es sich um suggestive 
bezw. hysterische Hauthyperästhesie, bei anderen -um, z. T. mit Fieber 
verbundene menstruelle Beschwerden, bei wieder anderen um gastrische 
Krisen infolge von dilatiertem und nach rechts abgelenktem Magen mit 
Zerrung des Plexus solaris. Durch Emporheben des Magens (Levens „La 
douleur-signal‘‘) gelingt es hier, den Anfall zu beseitigen. Durch Appendix¬ 
entfernung „geheilte“ Patienten der letzterwähnten Gruppe haben diesen 
Erfolg lediglich dem Umstande zu verdanken, daß sie sich eine Zeitlang 
ihrer gewohnten Überfütterung enthalten mußten. Esch. 

Savariand (Paris), Über die Behandlung der akuten Blinddarmentzündung. 

(Allg. Wiener med. Ztg., 19 1, Nr. 3*2 u. 33, nach Gaz. m^d. de P. 21. 6. 1911.) 

Savariand ist ebenso wie sei f Landsmann D i e n 1 a f o y Annänger 
der automatischen Operation jeder, „auch der offenkundig gutartigsten“ 
Appendizitis, liefert also die 92 o/o spontan heilenden Fälle (S a h 1 i) ans 
Messer. Deutsche Chirurgen, wie Kümmel, Sonnenburg usw. geben 
bekanntlich zu, daß es eine sehr große Zahl von Appendizitiden gibt, die 
keiner Operation bedürfen. Esch. 

Wlttner, M. (Warna), Vikariierende Blutung. (Allg. Wiener med. Ztg., 
1911, Nr. 38.) 

Die vikariierende Blutung wird als Ausdruck reflektorischer Reizeffekte, 
speziell als Effekt zeitlich (menstruell) erhöhten Blutdrucks aufgefaßt, der 
das 'Platzen von Gefäßkapillaren in locis minoris resistentiae zur Folge hat 
(z. B. bei chronischer Rhinitis, frischen Geschwürs- oder Wundnarben, Blut¬ 
gefäßveränderungen usw.). 

W. beobachtete 17 Jahre hindurch je 2—4 Tage lang dauernde vikariie¬ 
rende Lungenblutungen bei einer gesunden Frau, die im Klimakterium auf¬ 
hörten, ferner sah er je einen Fall von vikariierender Blutung einer Mamma 
und von Blutung ins Rückenmark, die zu vorübergehenden Kompressionser¬ 
scheinungen führte. Esch. 



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Referate und Besprechungen. 


283 


Blumenau, Dr. E. B. (St. Petersburg), Die Bedeutung des nukleinsauren 
Natriums als Heilmittel bei Erysipel. (Wratschebnaja Gazeta 19U, Nr. 45.) 

JL)er Verfasser hat im städtischen Obuchow-Hospital in St. Petersburg 
77 Patientinnen, die an schweren Formen von Erysipel litten, mit intramusku¬ 
lären Injektionen vön Natrium nucleinicum — 1—2—3 ccm einer 10 "oigen 
Lösung jeden zweiten bis dritten Tag — behandelt. In 4 septischen Fällen 
war die Therapie nicht von Erfolg begleitet, wie zu erwarten. In allen übrigen 
Fällen wurde eine starke Herabsetzung der Temperatur beobachtet, welche 
ohne Komplikationen eintrat. Hierdurch wurde ein ungestörter Verlauf der 
Heilung herbeigeführt. Neumann. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Aswadurow, Christoph (Petersburg), Über die Sympathikussymptome bei 
der Migräne, insbesondere über die Anisokorie. (Wien. klin. Rundschau 1911. 
Nr 40—43 u. 45.) 

An Theorien über das Zustandekommen der Migräne ist kein Mangel. 
Dubois Reymond’s bekannter Ansicht vom Tetanus der Halsge- 
i'äße, wurde bald eine andere entgegengestellt, die eine Lähmung der 
zuständigen Sympathikus fasern verantwortlich machte (M ö 11 e n- 
dorf). Dann kam Möbius und setzte die Migräne in Beziehung zur Epi¬ 
lepsie. Hatte bisher die Ungleichheit der Pupillen (Anisokorie) den Aus¬ 
schlag gegeben, so wurde dies Symptom nunmehr völlig bei Seite ge¬ 
schoben. Die Ära der Selbstvergiftungslehre erstreckte sich gleich¬ 
falls auf die Migräne. Daß der Anfall durch im Blute gehäufte Autotoxine 
bedingt würde, ist mehrfach behauptet und bei manchen Formen der Migräne 
wohl nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn auch das schnelle 
Essen, die Tachyphagie, die man als Grund dafür herangezogen hat, 
nicht durchweg festzustellen ist. (Strümpell, Mendel, Jacquet und 
Jourdanet.) Daß ein Verschluß des ForamenMonroi (Spitzer) 
oder eine periodische Schwellung der Hypophysis (Plavec) 
die Schuld an dem Übel trägt, ist gewiß nicht ganz leicht zu beweisen, aber 
immer noch plausibeler als wenn ein dauerndes Missverhältnis 
zwischen Schädelkapsel und Inhalt (Schüller) bei den Kranken 
herausgerechnet werden soll. — Als ein entschiedener Fortschritt ist es 
zu begrüßen, daß in neuster Zeit eine Ansicht hervortritt, die sich mehr 
auf die Erkrankung der Muskeln als auf die der Nerven 
bezieht. Die Nervenstämme liegen wohl gesichert und geschützt in ihren 
Interstitien, der deckende Muskel hingegen ist allerhand Insulten stets und 
ständig ausgesetzt. Eine chronische Myositis der Halsmuskeln, 
insbesondere des Sternokleidomastoideus, des Kukul- 
larisundderSplenii istbeivielenMenschendiean Migräne 
leiden, unschwer nach zu weisen (Norström). Wir können also 
damit eine bestimmte Form jenes Leidens abtrennen, die ihren Grund in 
einer langdauernden Entzündung bestimmter Muskelge¬ 
biete des Kopfes und Halses findet. Die Behandlung solcher Fälle 
muß natürlich eine ganz andere sein als die der nervösen Hemikranie. 
(Rosen bach.) — Der Verfasser gibt eine Anzahl von Beispielen aus 
seiner Klientel, die für die Theorie einer „myogenen Migräne“ sprechen. 
Es fanden sich stets bei seinen Fällen einseitige oder doppelseitige 
Myalgien, und fast immer bestand dauernde Pupillenungleichheit. Das 
erste Halsganglion war auf der Seite der stärkeren Muskelschmerzen auf 
Druck äußerst empfindlich, und der Druck rief eine noch stäfkere Erweite¬ 
rung der Pupille hervor. — Es würde gewiß zu weit gehn, nunmehr für 
jede Migräne den Grund in alten Muskelschwielen zu suchen, aber daß 
solche Fälle, wie sie der Verfasser beschreibt, Vorkommen, wird kein er¬ 
fahrener Praktiker leugnen, und wer an die Möglichkeit der beschriebenen 
Ätiologie denkt, wird noch manchen Fall von Hemikranie günstig beein¬ 
flussen können, bei dem man längst an der ärztlichen Kunst verzweifelt hat. 

Steyerthal-Kleinen. 


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284 


Referate und Besprechungen. 


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Mlloslavich, Eduard (Wien), Über springende Mydriasis. (Wiener klin. 
Rundschau 1911, Nr. 1.) 

Unter springender Mydriasis versteht man abwechselnde 
Pupillen er Weiterung, die einmal das linke, einmal das rechte Auge 
betrifft. Die Umkehr der Pupillenweite kann stündlich, täglich, meist ohne 
bestimmtes Intervall stattfinden. Das Symptom ist sehr verschieden bewertet 
und hin und wieder zur Diagnose der Tabes oder der Paralyse herange¬ 
zogen. Nach kritischer Würdigung des einschlägigen Materials kommt der 
Verfasser zu folgenden Ergebnissen: Springende Mydriasis ist eine sehr 
seltene Erscheinung und kein für eine bestimmte Erkrankung sicheres Zei¬ 
chen. Sie kommt wie bei anatomischen Läsionen des Zentralnervensystems, 
so auch bei verschiedenen funktionellen Störungen vor. Wenn neben dem 
Pupillenwechsel keine nachweisbare Schädigung der Reaktion besteht, so 
ist er im allgemeinen als ein Symptom der Neurasthenie oder Hysterie auf¬ 
zufassen. Wenn neben dieser Pupillenerscheinung noch eine Lichtstarre oder 
Akkomodationslähmung besteht, dann gibt sie uns auch die sichere Diagnose. 

Daß die springende Mydriasis auch bei ganz normalen 
Individuen zur Beobachtung kommt, mag für die tägliche Praxis hier 
noch besonders hervorgehoben werden. Steyerthal-Kleinen. 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Botey (Barcelona', Chirurgische Anwendung der Intercricothyrotomle. (Arch. 
int. de laryng., Bd. 32, H. 2.) 

Für den Raum zwischen Ring- und Schildknorpel hat B. ovale Kanülen 
konstruiert von 4x7 bis 6x10 mm Kaliber und 3,5 bis 4,5 cm Länge. 
Mit einem besonderen breiten Messer wird mit einem Schnitt der Kehl¬ 
kopfraum eröffnet, sodann die Kanüle mit Mandrin versehen eingeführt. Das 
Verfahren, das gefahrlos und in wenigen Sekunden zu bewerkstelligen sein 
soll, hat folgende Indikationen: a) Die besonders dringliche Tracheotomie läßt 
sich in aller Ruhe ausführen, nachdem die „Interkriko“ die Dyspnoe be¬ 
seitigt hat; b) in Fällen von respiratorischer Synkope während der Narkose 
läßt sich Luft oder Sauerstoff nach Meitzer durch die Kanüle in die 
Lungen blasen, c) Zur Narkose bei Kehlkopfstenosen, d) Bei blutigen 
Operationen im Bereiche der oberen Luftwege kann Pharynxtamponade im 
Verein mit der „Interkriko“ die Blutaspiration verhüten, e) Bei I^arynxkrebs 
soll man im Falle von Suffokationserscheinungen die I. anstatt der Tracheo¬ 
tomie machen, weil letztere die moderne Methode der Totalexstirpation 
erschwert, f) Vor oder nach Thyrotomie. g) Bei Asphyxie während der 
oberen Bronchoskopie sowie h) während der Intubation; i) endlich bei Kropf- 
Kompression der Luftröhre, da Tracheotomie meist unmöglich sein wird. 

Arth. Meyer-Berlin. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Herz, 31. (Wien), über Fehler bei der Behandlung mit Kohlensäurebädern. 

(Allg. Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 39.) 

Kohlensäurebäder sollten nicht automatisch bei jedem Herzleiden ver¬ 
ordnet werden, da ihr einziges Ziel nur darin bestehen kann, einen geschwäch¬ 
ten Herzmuskel zu kräftigen. Bei einem kompensierten Klappenfehler sind 
sie also ebenso nutzlos wie bei stenokardischen Beschwerden. Dagegen 
ist die früher als Kontraindikation angesehene Erhöhung des Blutdrucks dieser 
Therapie zugänglich, weil die C0 2 bäder auf den Blutdruck, sei er nun 
erhöht oder vermindert, überhaupt regulierend wirken. Ganz besonders un¬ 
angebracht sind sie aber bei Herzneurosen, speziell bei der psychogenen 
sexuellen Herzneurose infolge mangelhaft befriedigter Libido sexualis, die 
durch die CCL gerade gesteigert wird. Außerdem steigern sie auch die 



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Referate und Besprechungen, 


285 


hypochondrischen Jdeen der Herzneurotiker, weil diese durch Ordination zu 
Herzkranken gestempelt werden. 

In technischer Beziehung muß vor allem das Einatmen der C0 2 ver¬ 
mieden werden. In kleinen Badezimmern ist die Tür offen zu lassen, der 
Wannenrand darf nicht zu hoch sein und ist um den Hals des Patienten abzu¬ 
decken. Die Temperatur sollte 34—35° C, die Dauer 8—15 Minuten be¬ 
tragen. Ein Patient, dessen Haut im Bade sich nicht rötet, der also keine 
Reaktion zeigt, hat nicht viel Aussicht auf Erfolg. Die Zahl der Bäder 
soll von 2 langsam bis zu 5 wöchentlich steigen und kann insgesamt 25 
bis 30 betragen. Esch. 

Marfan (Paris), Einfluss des Höhenklimas aut das Säuglingsekzein. (Allg. 

Wiener med. Ztg., 1911, Nr. 35 u. 36, nach Journ. de inöd. de Paris, Juni 1911.) 

Während die gewöhnlichen Formen des Säuglingsekzems durch Diät 
günstig zu beeinflussen sind, bezw. im 2. Lebensjahre bei der physiologi- < 

sehen Nahrungsänderung von selbst verschwinden, ist das bei den schwereren 
Formen dieses Leidens nicht der Fall. Hier sah Marfan in 28 Fällen sehr 
gute Erfolge von einem ca. vierwöchentlichen Aufenthalte in einer Höhe von 
1000—1500 m. Diese Erfolge waren besser als diejenigen von Land- und 
Seeaufenthalt. Esch. 


Medikamentöse Therapie. 

Rraitmaier, I)r., Arzt für innere K ankhe ten (Kiel), Meine Erfahrungen 
mit Digipuratum. (Deutsche Medizin. Wochenschr. 1911, Nr. 51.) 

Das Digipuratum enthält sämtliche therapeutisch wirksamen Glykoside 
der Digitalis, ohne die großen Nachteile der schwankenden chemischen 
und physiologischen Wertigkeit der Folia zu besitzen. Durch diese Un¬ 
gleichmäßigkeit, je nach Standort und Alter der Pflanze, je nach der 
Zeit und den Witterungsverhältnissen der Ernte und je nach Sorgfalt bei 
der Reinigung und Vorbereitung der Blätter, muß die Verwendung der Droge 
unzuverlässig werden. Die titrierten Blätter sind in dieser Beziehung vor¬ 
zuziehen. Wegen des Fehlens unnützer 'Baiaststoffe und wegen der Be¬ 
freiung von Digitonin ist aber dem Digipuratum der erste Platz einzu¬ 
räumen. Die Möglichkeit genauer Dosierung des stets gleichwertigen Prä¬ 
parates läßt genau abgewogene energische Kuren bei Einschränkung der 
Intoxikationsgefahr zu. 

Die rasche Absorption und ebenso rasche Ausscheidung des Mittels 
verhindert oder erschwert den Eintritt von Kumulation ebenso, wie sie 
rasche Wirkung herbeiführt. Die sonst unangenehm häufigen Magendarm¬ 
störungen treten fast ganz in den Hintergrund. 

Geradezu spezifisch ist die günstige Beieinflussung der Diurese. 

Um eine rasche, oft lebenrettende Therapie einzuleiten, kann das Digi¬ 
puratum auch intravenös injiziert werden. 

Diese Eigenschaften stellen das Digipuratum an die Spitze der bisher 
bekannten, zur Digitalistherapie dienenden Präparate. Neumann. 

Gaisbörk, Felix Dr. Aus dem Pharmakologischen Institut in Graz (Vor¬ 
stand: Prof. O. Loewi), Über den Einfluß von Diuretizls der Purinreihe auf die 
Gef&ßpermeabilftät. (Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie. 
66. Band, S. 387.) 

Die Änderung der W r asser- und Kochsalzkonzentration des Blutes nach 
einem Aderlaß, dem unmittelbar die Injektion von Diuretin bezw. Koffein 
folgt, vollzieht sich quantitativ völlig gleich der nach einem einfachen 
Aderlaß. Es ergibt sich demnach keinerlei Anhaltspunkt für die Annahme, 
daß am Zustandekommen der Diuretindiurese eine Änderung der Gefä߬ 
permeabilität mitbeteiligt sei. Dies gilt für normale wie für nephrekto- 
mierte Tiere. 

Die Änderung der Kochsalzkonzentration des Blutes nach Aderlaß ist 
abhängig vom jeweiligen Chlorbestand der Tiere. Neumann. 


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2»G 


Referate und Besprechungen. 


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Bayer, H. (Wien), Jodtval ln der Luestherapie. (Allg. Wiener med. Ztg.. 
1911, Nr. 35.) 

Während die bisherigen organischen Jodverbindungen für eine kräftige 
Jodwirkung, wie sie in der Luestherapie nötig erscheint, zu wenig Jod ab¬ 
spalten, ist das, wie Bayer ausführt, bei dem Jodival nicht der Fall. Dieses 
mit seinem 47 o/oigen Jodgehalt dem Jodkali am nächsten stehende Präparat 
Bpaltet im Organismus äußerst leicht Jod ab, es wird ausgezeichnet resor¬ 
biert (Bröking), macht keine Magenbeschwerden und da es, wie von den 
V e 1 d e n gezeigt hat, bei pathologischen Zuständen schneller ausgeschieden 
wird als das Jodkali, so kommt man bei ihm mit einer geringen Jodzufuhr aus. 

Diesen Eigenschaften entsprechen die günstigen Erfolge des Jodivals, 
über die B. an der Hand einschlägiger Fälle berichtet. Wegen seiner „Neuro- 
tropie“ sei es besonders empfehlenswert bei Lues des Nervensystems. 

Esch, 

Gutowitz, H. (Baden i. ö.), Uber Kacepebalsam. (Allg. Wiener med. Ztg. 
1911, Nr. 42.) 

Die perkutane Salizyltherapie, die die Nebenwirkungen des intern ge¬ 
gebenen Salizyls ausschaltet, wurde durch eine aus Acetsalizylsäure-menthol 
und -äthylester und Lanolinsalbe bestehende Modifikation bereichert, die den 
Namen Kacepebalsam erhielt. Er leistete Gutowitz bei einer Anzahl von 
Rheumatosen gute Dienste. Esch. 

Regensburg, J.. Dr. med. phil., früherer Assistent d. Großh. Landesirren¬ 
anstalt i. Alzey (Friedrichstadt i. Kurland), Meine F.rfahrungen mit Bromural- 
Knoll. (Zentralbl. f. d. ges. Therapie 1911. H. 12.) 

Im Gegensatz zur Therapie der vollentwickelten Psychosen, die über 
eine stattliche Reihe von wirksamen Schlaf- und Beruhigungsmitteln ver¬ 
fügt, ist ein Mangel an rationellen Einschläferungsmitteln auf dem Gebiete 
der psychischen Grenzzustände nicht zu leugnen. Die bei der Behandlung 
von Psychosen in Anwendung kommenden Sedativa und Hypnotika entfalten 
in der Regel eine kräftige, schlafmachende Wirkung, sind aber in der 
Mehrzahl nicht frei von unerwünschten Neben- und Nachwirkungen. Bei 
der Behandlung der Psychoneurosen kann man die Anforderungen in bezug 
auf die Intensität der schlafmachenden Wirkung heruntersetzen, desto höher 
muß man sie aber hinsichtlich des Ausbleibens der Folgezustände stellen. 

Ein in diesem Sinne mildes, nicht sehr intensiv wirkendes Schlaf- 
und Beruhigungsmittel stellt das Bromural dar, dessen wirksames Prin¬ 
zip erwiesenermaßen nicht im Bromatom, sondern in der Isopropylgruppe zu 
suchen ist. Die günstigen Erfahrungen mit Bromural (gesammelt an der 
Großh. Landesirrenanstalt und in des Verf. Heimat) beziehen sich fast 
ausschließlich auf Erregungszustände psychoneurotischen Charakters. Es 
folgen mehrere Krankengeschichten, aus denen hervorgeht, daß ßromural 
ein sehr brauchbares Mittel zur symtomatischen Behandlung der Psycho¬ 
neurosen darstellt. Neumann. 

Roth E. (Halle), Vereosot, Holzessig, Irrigal. (Ztschr. f. Krankenpfl., 1911, 
Nr. 9.) 

Nach einem geschichtlich-literarischen Überblick kommt Roth zu dem 
Ergebnis, daß A. Jaffe durch die Einführung der Irrigaltabletten den Holz¬ 
essig in eine vollkommen einwandfreie, angenehm riechende und für die 
Praxis geradezu ideale Form zu bringen verstanden habe. Das mild adstrin¬ 
gierende, vollkommen unschädliche Desinfiziens werde bei akuten und chroni¬ 
schen Schleimhautkatarrhen der weiblichen Genitales in der Dosis von 
2—5 Tabletten auf 1 Liter Wasser verwendet und erziele, nötigenfalls in 
Verbindung mit Allgemeinindikation, wie z. B. Jodeisenlebertran, bei diesen 
Affektionen gute Erfolge. Esch. 

Berger, J. (Budapest), Gynoval in der Frauenpraxis. (Allg Wiener med. 
Ztg-, 1911, Nr. 43.) 

Gynoval-Bayer, der Isoborneolester der Isovaleriansäure, in Gelatine¬ 
kapseln oder als Tropfen (15—30) mit geschmacksverbesserndem Coryfinzu- 



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Bücherschau. 


287 


6atz gegeben, wirkt nach B.’s Erfahrung als Sedativum schlafbringend und 
beseitigte menstruelle Beschwerden noch da, wo andere Mittel versagt hatten. 

Esch. 


Vergiftungen. 

Damianos, J. D. (Athen), Chronische Vergiftung durch ein Paraphenyl* 
endiamin-Haarfarbeinittel. (Terap. Monatsheft, Oktober 1911.) j 

Im Jahre 1889 benutzte der Chemiker C. Erdmann zum Färben von 
Haaren und Federn Paraphenylendiamin bei Gegenwart von Oxydations¬ 
mitteln, namentlich Wasserstoffsuperoxyd; er empfahl aber, die Verwendung 
dieser Substanz zum Färben lebender Haare zu vermeiden, weil die Sub¬ 
stanz eine reizende Wirkung ausübt. Trotzdem wurde diese Substanz zum 
Färben benutzt und die Vergiftungserscheinungen, die den Anilinvergiftungen' 
ähneln, blieben nicht aus. Daher wurde dieses Mittel in Deutschland, Frank¬ 
reich, Österreich verboten. D. berichtet nun über einen einschlägigen Fall 
in Griechenland. S. Leo. 

Lochte, Th. (Göttingen), Über den Nachweis des Kohlenoxyds im Blute 
mittels Schwrefelammonium und Wasserstoffsuperoxyd. (Therap. Monatshefte, 
Oktober 1911.) 

Durch Zusatz von Schwefelammonium und 3 o /0 Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung zu einer stark verdünnten Blutlösung (1 Tropfen zu 10 cm Wasser) 
wird CO freies Blut olivengrün; CO-gesättigtes Blut bleibt kirschrot. Je 
nach dem Gehalt an CO ist die Lösung makroskopisch vorwiegend rot oder 
vorwiegend grün; die Lösungen sind vollständig klar und gestatten die An¬ 
wendung des Spektroskops; im CO-haltigen Blut ist das Spektrum des Schwefel- 
l.ämoglobins sichtbar. Die unterste Grenze des CO-Nachweises liegt bei 
20 «L. CO. Bei Überschichtung mit Paraffinum liquidum bleiben die Lösungen 
längere Zeit unverändert und gestatten eine wiederholte spektrioskopische 
Nachprüfung. S. Leo. 


Bücherschau. 


Stein, Über Naevus anümicus. Sonderabdruck aus: Archiv für Dermatologie und 
Syphilis. 2. und 3. Heft. Wien und Leipzig 1910. Wilhelm Braumüller. 10 Seiten. 

Terebinsky, Beiträge zur Wirkung von Hyperämie und von mechanischen Reizen 
auf die Epidermis. Sonderabdruck aus: Archiv für Dermatologie und Syphilis. 
3. Heft. Wien und Leipzig 1910. Wilhelm Braumüller. 30 Seiten. 

Tische, über massenhaftes Vorkommen von zur Familie der Tyroglyphidae ge¬ 
hörenden Milben im menschiehcn Stuhl. Abdruck aus dein Zentralblatt für Bakterio¬ 
logie, Parasiten künde und Infektionskrankheiten. .54. Band. Jena 1910. Verlag von 
Gustav Fischer. 4 Seiten. 

Zingerle, Die psychiatrischen Aufgaben des praktischen Arztes. Jena 1911. Ver¬ 
lag von Gustav Fischer. 55 Seiten. Preis 1,50 M. 

The Non-Surgieal Treatment of Duodenal Uleer. By George Herrschei. London 
19)0. Henry J. Glaisher. 39 Seiten. 

Bachmann. Beiträge zur Reform und Weiterbildung der Medizin auf psycho- 
biologischer Grundlage, gleichzeitig Bericht über die Tätigkeit der Medizinisch-biolo¬ 
gischen Gesellschaft. 115 Seiten.. München 1911. Verlag der ärztlichen Rundschau, 
Otto Gmelin. 

Berend, N. Die Ursachen der Säuglingssterblichkeit in Ungarn. Die bisherigen 
Resultate und zukünftigen Wege der Säuglingsfürsorge. Mit einer Tafel. 70 Seiten, 
Preis 3,— M. Leipzig-Wien 1911. Verlag von Franz Deuticke. 

Biherfeld, E. Halsschnitt, nicht Himzcrtriimmerung. Eine Antwort auf die Back- 
sche Streitschrift: Schächten oder Betäuben? 39 Seiten. Preis —,40 M. Berlin 1911. 
Verlag von Louis Lamm. 

ßliimel. Die v. Pirquet’sche kutane Tuberkulinreaktion, ihr Wesen und ihre Be¬ 
deutung. Aus der ..Berliner Klinik“. 21 Seiten, Einzelpreis —,60 M. Berlin 1911. 
Verlag von Fischers med. Buchhandlung. H. Kornfeld. 


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'288 


Bücher« hau. 


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Boss. S. Über Gonosan-Ersatr. Ans Her ..Beiliner Klinik“. 21 Seiten. Freia 
—.80 M. Berlin 1911. Verlas von Fischers med. Buchhandlung. H. Kornfeld. 

Bunremeister. R. Wie macht man sein Testament kostenlos selbst ? Unter l«son- 
derer Berücksichtigung des gegenseitigen Testamentes unter Eheleuter gemeinver¬ 
ständlich dargestellt, erläutert und mit Musterlieispielen s T ersohen. 95 Seiten. Berlin 
1911. Verlag von L. Schwarz & Co. 

Etsenst&dt, H. und Guradze, H. Beiträge zu den Krankheiten der Postbeamten. 
Nachtrag 1. Über die Kinderarnnit der mittleren Postbeamten. Berlin 1911. Verlag 
des deutschen Postverbandes. 

Jujikuwit. Kurze Geschichte der Medizin in Japan. 115 Seiten. Tokio 1911. 
Herausgegeben vom Kaiserlich-Japanischen Unterrichtsministerium. 

Goldstein, K. über Apraxie. Mit 9 Abbildungen. Beiheft zur „Med. Klinik". 
Einzelpreis 1,— M. Berbn 1911. Verlag von Urban & Schwarzenberg. 

Grober. M. und Riidin, F... Fortpflanzung. Vererbung, Rassenhygiene. Zweite, 
ergänzte und verbesserte Auflage. Illustrierter Führer durch die Gruppe Rassenhygiene 
der Internationalen Hygiene-Ausstellung 1911 in Dresden. 191 Seiten Preis 3,— M. 
München 1911. Verlag von J. F. Lehmann. 

Hcllpach, W., Ille geopsychIschen Erscheinungen. Wetter, Klima und Ij»nd- 
schaft in ihrem Einfluß auf das Seelenleben. 368 Seiten, Preis 6,— M. Leipzig 1911. 
Verlag von Wilhelm Engelmann. 

Hirschstein, L.. Über Säureretention als Krankheitsursache. Zugleich ein Beitrag 
zum Chemismus des Schlafes. Mit einer Tafel. 88 Seiten. Preis 3.— M. Leipzig und 
Hamburg 1911. Verlas \on Leopold Voss. 

Landesversicherunesanstalt, Vcrvraltiingsherlcht der Landesversichenmgsanstalt 
Berlin für das Rechnungsjahr 1911. 181 Seiten. Berlin 1911. Selbstverlag. 

Nassauer, M., Sterben, .... Ich bitte darum. 132 Seiten. München 1911. Ver¬ 
lag von Otto Gmelin. 

Noesel, Landwirtschaftliche Unfallversicherung. 364 Seiten. Preis 4,20 M. Berlin 
1911. Verlag von Paul Parey 

Oberst, A. Der Kropf und seine Behandlung. Aus der „Berliner Klinik“. Einzel¬ 
preis — .60 M. Berlin 1911. Verlag von Fischeis med. Buchhandlung. H. Kornfeld. 

Barczewski, B., Hand- und Lehrbuch meiner Reflex inassatre für den praktischen 
Arzt, Ein neuer praktischer Weg zur Diagm.se. Therapie und Prophylaxe der Krank¬ 
heiten. 154 Seiten. Preis 3,50 M. Berlin-Schöneberg 1911. Verlag von Goldschmidt. 

Behrenroth, E. über Zwerchiellähmung. Mit 3 Figuren im Text. Aus der Samm¬ 
lung klinischer Vorträge. Einzelpreis —.50 M. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambrosius 
Barsch. 

Burgemeister, R. Welche Rechte hat das uneheliche Kind und seine Mutter? Ge¬ 
meinverständlich dargestellt und mit Klageformularen, Mustern und ausführlichen 
Kalendertal>ellcn versehen. 94 Seiten. Preis 1,10 M. Berlin. Verlag von Schwarz & Co. 

Comell University. Studies frnm the departement of Neurolngy. New York 1911. 

Petrin, K. Uber die Grundlinien unserer gegenwärtigen Behandlung der inneren 
Krankheiten im Lichte der geschichtlichen Entwicklung betrachtet Aus der Sammlung 
klinischer Vorträge. E’nzelpteis—,50 M. Ix-ipzig 1911. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. 

Salzmann, H. und Wobbe, W. Vierteljalirsschrift für praktische Pharmazie. Berlin 
1911. Selbstverlag des Deutschen Apothekervereins. 

Schildmaeher. B. Die Gebührenvorschriften für Kreisärzte, Gerlchtsärzte, prak¬ 
tische Arzte und Chemiker. Zweite, ergänzte Auflage. 61 Seiten, Preis 1,50 M. Berlin 
1911. Verlag von Puttkammer iV .Mühlbrecht. 

Schilling, F. Diinndarmkrankheiten. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. 
Einzelpreis 1,— M. Leipzig 1911. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. 

Schmidt, E. Beekurts, H. Archiv der Pharmazie. Band 249. Heft8. Berlin 1911. 
Selbstverlag des Deutschen Apothekervereins. 

Sehnirer. Taschenbuch der Therapie. 465 Seiten. Preis 2,— M. Würzburg 1912. 
Verlag von Curt Kabitzsch. 

Schwarz, H. Bericht der pädriatrischen Abteilung der Maternily Poliellnlc (New 
York). Mit einer Studie über Säuglingssterblichkeit. 32 Seiten. Preis 1.50 M. I^ipzig- 
Wien 1911. Verlag von Franz Deuticke. 

Waldstein, E. Die transversale Episiotomie, mit einer Tafel und 7 Figuren im 
Text. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. Einzelpreis—,50 M. Leipzig 1911. Ver¬ 
lag von Joh. Ambrosius Barth. 

Ziemssen. Klinisches Rezepttaschenhneh. 284 Seiten. Preis 3,50 M. Leipzig 
1911. Verlag von Georg Thieme. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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UNIVERSITY 0F ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



1912 


30 Jahrgang 

Torfscbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hernUBgegeben von 


Prof. Dr. ®. Köster PtId.-Doz. Dr. v. Criegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Dannstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 10. 

£rs*eint wScbentlirb sunt preise vom > 0)arh für bas 
Batbjabr. 

7. März. 

CarlMarhold Verlagsbuchhandlung, Halle a.S. 
Alleinige Inserotenannabme burtb 0)ar Oelsborf, 


Annoncen-Bureau, Cberswalde bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Ueber Psychosen bei Tabes. 

Von Dr. A. Fauser, Stuttgart 1 ). 

M. H.: Das Zusammentreffen einer Psychose mit einer Tabes 
— d. h. mit der metaluetischen Erkrankung des Rückenmarks — muss 
natürlich stets den Verdacht eines engeren, organischen Zusammen¬ 
hangs zwischen den beiden Erkrankungen erwecken. Bestätigt sich 
dieser Verdacht, so ersteht die Aufgabe, die speziellere Natur dieses 
organischen Zusammenhanges festzustellen. 

Bei der Bedeutung, die der Gegenstand auch für die allgemeine 
ärztliche Praxis hat, möchte ich mir erlauben, über die verschiedenen 
Möglichkeiten, Ueherlegungen und Hilfsmittel, die hier in Betracht 
kommen, Ihnen in tunlichster Kürze einiges mitzuteilen. 

Da die Tabes gegen Psychosen irgend welcher Art selbstverständ¬ 
lich nicht immun macht, so kommt es nicht gar so selten vor, dass ein 
Tabiker an irgend einer dem tabischen Prozess gegenüber durchaus 
fremdartigen Psychose erkrankt: Psychosen aus dem Formen¬ 
kreis des manisch-depressiven, hysterischen, epileptischen, senilen, 
alkoholischen Irreseins, aus der Dementia präcox-Gruppe usf. können 
als zufällige Ereignisse zu der Tabes hinzutreten. Das ist im Prinzip 
ja ohne weiteres klar und einleuchtend, kann aber, wie jeder bestätigen 
wird, der sich einmal vor diese Frage gestellt gesehen hat, im konkreten 
Einzelfall diagnostische Schwierigkeiten machen, wie folgende Ueber- 
legung zeigt. Die Psychose, deren ein geisteskrank gewordener Tabiker 
in erster Linie verdächtig wird, ist natürlich vor allem die Paralyse 
oder eine Form von hirnluetischer Psychose. Nun zeigen aber 
sowohl die metaluetischen wie die luetischen Psychosen, besonders im 
Beginn, keineswegs immer so prägnante, eindeutige und von den andern 
Psychosen abweichende psychische Symptome, dass auf Grund 
dieser allein eine Diagnose möglich wäre. Also die Diagnose aus den 
rein psychischen Symptomen versagt hier mitunter. Allerdings 
haben nun ja die neueren biologischen, histologischen und chemischen 
Untersuchungsmethoden in vivo: Wassermann’sche Untersuchung des 
Blutes und der Spinalflüssigkeit, zytologische und chemische Unter- 

*) Vortrag gehalten im Stuttgarter ärztlichen Verein am 7. Dezember 1911. 

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Fauser, 


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suchung der Spinalflüssigkeit — der Neurodiagnostik im allgemeinen 
ganz erhebliche Hilfsmittel an die Hand gegeben, nicht aber der DifTe- 
rentialdiagnostik, wie wir sie für u n s e r n Fall brauchen. Denn da die 
Untersuchung des Blutes und der Spinalflüssigkcit bei der Tabes in der 
Mehrzahl der Falle .denselben (positiven) Befund ergabt wie bei der 
Paralyse, und da auch die Gehirnlues, wenigstens in bezug auf den 
BlutJbefund, mit der Tabes meistens yhereinstimmt, so wird durch 
einen positiven Befund, den wir bei einem einer luetischen oder 
metaluetischen Psychose verdächtig gewordenen Tabiker erheben, 
lediglich die Tatsache der Tabes bestätigt, darüber hinaus bekommen 
wir aber durch diese Untersuchungsmethode bei .positivem Befund 
keine weiteren Aufschlüsse. Etwas günstiger liegt der Fall beppie ga- 
t i v e m Befund: denn da wir wissen, dass ein negatives Verhalten 
der YVassermann’sohen Reaktion in Blut und Spinalflüssigkeit bei 
der Paralyse, im Blut allein bei der Hirnlues, eine grosse Seltenheit ist, 
viel seltener als bei der Tabes, so würde ein .negativer Befund hei 
einem geisteskrank gewordenen Tabiker zwar die Tabesdiagnose .(wenn 
sie sonst gut fundiert ist) nicht umstossen, wohl aber das Hinzugetreten¬ 
sein einer paralytischen oder direkt luetischen Geistesstörung zur Tabes 
sehr unwahrscheinlich machen. — Ich könnte Ihnen aus eigenen Er¬ 
fahrungen über einige Fälle berichten, wo ich nach diesen Richtungen 
hin ernstliche Schwierigkeiten zu überwinden hatte; vielleicht darf ich 
Ihnen zur Illustration von einem Fall, den ich vor einiger Zeit an einer 
auswärtigen Klinik beobachten konnte, Mitteilung machen. Es handelte 
sich um eine Kranke in den mittleren Jahren, die nach einem epilepti- 
formen Anfall in die Klinik verbracht wurde. Den Angaben der noch 
etwas benommenen Kranken musste man entnehmen, dass solche An¬ 
fälle erst in der jüngsten Zeit einige Male bei ihr aufgetreten seien. Die 
psychische Untersuchung ergab deutliche Zeichen von Schwachsinn, 
es bestand ferner reflektorische Pupillenstarrc, Fehlen der Kniesehnen¬ 
reflexe; die Untersuchung des Blutes und der Spinalflüssigkeit ergab 
positive Wassermann’sche Reaktion; die Paralysediagnose hätte also 
so gut wie gesichert, die Demenz und die Anfälle als ,.paralytische“ 
gelten dürfen. Als aber die Kranke sich von ihrem „Anfall“ völlig 
erholt hatte und klar geworden war, berichtete sie, dass sie seit ihrer 
frühesten Jugend an gewöhnlichen epileptischen Krampfanfällen und 
dass sie erst seit kürzerer Zeit an einer Rückenmarkskrankheit leide. Eine 
genauere psychologische Untersuchung konnte dann in der Tat fest¬ 
stellen, dass der vorhandene Schwachsinn die charakteristischen Eigen¬ 
tümlichkeiten des epileptischen Schwachsinns darbot und dass 
keine sicheren psychischen Symptome von Paralyse Vorlagen, dass es 
sich also lediglich um eine zufällige Komplikation von einer alten genu¬ 
inen Epilepsie mit einer später hinzugetretenen gewöhnlichen Tabes 
handelte. 

M. II.! Ich wollte Sie auf die Schwierigkeiten, die hier manchmal 
auftreten, und auf die diagnostischen Gefahren und Irrtümer, die die 
Verkennung dieser Schwierigkeiten mit sich bringen kann, aufmerksam 
machen; glücklicherweise sind sie in der Wirklichkeit meist nicht so 
gross, wie es nach dem Vorgetragenen scheinen könnte; in der Regel 
wird ja eine zusammenfassende Würdigung der Anamnese und des 
gesamten psychischen und physischen Status ziemlich rasch zu einer 
Klärung darüber führen, ob die vorhandene Psychose mit der Tabes 
in irgend einem Zusammenhang steht oder nicht. 



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291 


Ueber Psychosen bei Tabes. 

Für den FalJ des Vorhandenseins eines solchen Zusammenhanges 
sind nun verschiedene Momente zu berücksichtigen. 

Bekannt ist ja, dass bei der Paralyse verschiedene Rücken- 
marksstränge, und so namentlich auch die Hintersträuge erkranken kön¬ 
nen. Man hat dann also event. eine paralytische Psychose und eine 
Reihe von Symptomen, wie sie auch für die Tabes chrakteristisch sind: 
Fehlen der Knie- und Achillessehnenreflexe, event. Analgesie und andere 
Sensibilitätsstörungen, reflektorische Pupillenstarre. Manche sprechen 
in solchen Fällen einfach von „Taboparalyse“. Korrekter ist es. sie 
als „Paralyse mit Hinterstrangserkrankung“ zu 
bezeichnen, denn um eine gleichzeitige Tabes im engeren Sinne 
handelt es sich dabei nicht — jedenfalls nicht im klinischen Sinn: es 
fehlen bei diesen Hinterstrangserkrankungen der Paralytiker in der 
Regel die für Tabes charakteristischen lanzinierenden Schmerzen', die 
eigentliche Ataxie, die segmentalen Sensibilitätsstörungen, die Krisen; 
Blasen- und Mastdarmstörungen sind meist nicht stark hervortretend; 
Augenmuskellähmungen und Opticusatrophie sind ungemein selten, 
viel seltener als bei der echten Tabes. Auch anatomisch finden sich 
bemerkenswerte Unterschiede: die hinteren Wurzeln und die Wurzel¬ 
eintrittszonen nehmen in geringerem Masse an der Erkrankung teil 
als bei echter Tabes, dafür sind die endogenen Faserbahnen (Komma¬ 
bündel, Dorso-Medianbündel, ventrales Hinterstrangsfeld) bei dieser 
paralytischen Hinterstrangserkrankung frühzeitiger entartet als bei 
der einfach tabischen. Auch der feinere histologische Befund am Rücken¬ 
mark ist ein etwas anderer als bei den reinen Tabesfällen, allerdings 
handelt es sich dabei nach genaueren Untersuchungen (besonders von 
N i s s 1 und Alzheimer 1 ) mehr um quantitative als um wesentliche 
qualitative Unterschiede; die entzündlichen Veränderungen am Blut- 
gefäss-Bindegewebsapparat, die ja — neben den nervösen Degenera¬ 
tionen und Ausfällen — für alle paralytischen Erkrankungen charakte¬ 
ristisch sind, sind bei der echt tabischen Hinterstrangserkrankung 
weniger hervortretend, die Pia schwächer infiltriert, Plasmazellen in 
den adventitiellen Lvmphfscheiden seltener. Da aber auch bei der para¬ 
lytischen Hinterstrangserkrankung die entzündlichen yeränderungen 
oft sehr wenig ausgesprochen sind und sie, wie wir eben gesehen haben, 
auch bei der Tabes nicht ganz fehlen, so ist der anatomische Unterschied 
zwischen paralytischer und echt tabischer Hinterstrangserkrankung in 
der Hauptsache nicht in einer Wesensverschiedenheit der histologischen 
Veränderungen, sondern in einer verschiedenen Stärke des entzündlichen 
Faktors und in einer Verschiedenheit des Angriffpunktes, nämlich in 
der verschiedenen Beteiligung der Fasersysteme der Hinterstränge, zu 
suchen. ImmerhinTmöchte ich hervorheben, dass eine einer Art „Uni- 
tarisrnus“ zuneigende Betrachtungsweise, die schliesslich in dem Satze 
gipfelt, „die Paralyse sei eine Tabes des Gehirns, die Tabes eine Para¬ 
lyse des Rückenmarks“, doch — übrigens offenbar ganz bewusst — mehr 
anatomische, genauer histologische, als klinische Gesichtspunkte berück¬ 
sichtigt. Ich selbst neige mich im Gegensatz zu dieser Auffassung, die 
naturgemäss hauptsächlich im Lager der Neurologen und Histologen 
zu treffen ist, mehr dem durch die Psychiater (so insbes. auch durch 
K r ä p e 1 i n) *) vertretenen Standpunkt zu, der bei der Auffassung 

*) Histologische und Histopathologische Arbeiten über die GrosshimriDde, 
herausgegeben von Franz Nissl; 1. Band 1904. 

’) K r ä p e 1 i n , Psychiatrie, 8. Aufl., BfL I. u. II. 

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Fauser, 


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und demgemäss auch bei der Benennung mehr die abweichenden 
Symptome als die übereinstimmenden hervorhebt und der 
demgemäss auch die „paralytische“ Hinterstrangserkrankung von der 
„tabischen“ unterscheidet. 

M. H. ! Ich bitte diese scheinbare Abweichung von meinem Thema 
zu entschuldigen, aber diese Auseinandersetzung war notwendig, weil 
auf diesem Gebiete noch manches strittig ist und ein blosses Ignorieren 
der Schwierigkeiten verwirrend wirken könnte. 

Wir nahmen unsern Ausgang von der Tatsache, dass bei der Para¬ 
lyse des Gehirns ganz gewöhnlich auch das Rückenmark erkrankt, 
und dass namentlich auch die Hinterstränge erkrankt befunden werden 
können. Nach unseren letzten Ausführungen würden wir also in einem 
solchen Fall nicht etwa von einer (paralytischen) Psychose bei einer 
Tabes sprechen, sondern einfach sagen, dass sich hier zu der paralytischen 
Erkrankung des Gehirns eine paralytische Hinterstrangserkrankung 
hinzugesellt habe. — Theoretisch möglich ist natürlich und, wie es scheint, 
auch schon von einzelnen Autoren beobachtet, dass sich zu einer Para¬ 
lyse nachträglich noch eine echte Tabes hinzugesellt. Ich selbst habe 
einen derartigen Fall noch nicht beobachtet, es wird aus verschiedenen 
Gründen auch nicht ganz leicht sein, eine später hinzugetretene Tabes 
gegen die sonstigen paralytischen Rückenmarks-, namentlich Hinter¬ 
strangsveränderungen reinlich abzugrenzen. 

Dagegen kommt der andere Fall: der Hinzutritt einer Paralyse 
resp. einer paralytischen Geistesstörung zu einer bestehenden Tabes 
gar nicht so selten vor, wie Ihnen ja allen bekannt ist. Wir wollen für 
diese Fälle den Namen „Tabes-Paralyse“ (Tabes + Paralyse) reservieren. 
Das Vorkommen beider Erkrankungen bei einem und demselben 
Kranken darf uns nfMit weiter wunder nehmen, in beiden Fällen handelt 
es sich ja um die Aeusserungen derselben Grundkrankheit, der Metalues, 
und wir wissen ja, dass diese metaluetischen Schädigungen sich nicht 
bloss auf die Hirnrinde oder auf das Rückenmark, sondern auch, wenn 
auch meist in schwächerem Grade, auf das Kleinhirn, die Stammgang¬ 
lien (Streifenhügel und Sehhügel), das zentrale Höhlengrau, die Brücke, 
das verlängerte Mark, die Kerne der Rautengrube erstrecken können. 

Eine erhebliche Abweichung des psychischen Symptombildes von 
den gewöhnlichen paralytischen Psychosen zeigen diese Tabesparalysen 
nicht; Kräpelin 1 ) glaubt bei seinen Beobachtungen ein geringes Ueber- 
wiegen der expansiven Formen gefunden zu haben; der Zeitraum zwischen 
beginnender Tabes und beginnender paralytischer Psychose betrug 
in seinen Fällen 1—8 Jahre. 

Mit diesen „Tabesparalysen“ ist aber der Kreis der bei Tabes vor¬ 
kommenden und mit ihr zusammenhängenden Psychosen noch nicht 
erschöpft: es kommen bei Tabes auch Psychosen vor, die zwar durch 
die Lues resp. Metalues mit der Tabes Zusammenhängen, aber doch 
nach anatomischer Grundlage, nach klinischen Symptomen, nach 
Verlauf und Ausgang nicht als paralytische Psychosen aufgefasst werden 
können. 

Zunächst ist bemerkenswert, dass leichtere psychische 
Veränderungen — ohne den deletären, progressiven Charakter 
der Paralyse — sich bei der Tabes nicht so selten vorfinden, namentlich 


’) Dein Vorgetragenen liegen grossenteils die bereits erwähnten Arbeiten von 
Kräpelin und von Niesl-Alzheimer zu Grunde. 


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293 


Ueber Psychosen bei Tabes. 

S't’j m m u n g s a n o m a I i e n: bald düstere, hoffnungslose, bald 
mürrische, zänkische, bald glücklich heitere, euphorische Stimmung. 
Manchmal Andeutung von Gedächtnisschwäche, vermehrte geistige 
Ermüdbarkeit. Selbstverständlich werden solche Fälle immer zunächst 
den Verdacht erwecken müssen, dass sich zu der Tabes eine beginnende 
Paralyse hinzugesellt habe, und es kann erst eine längere Beobachtung 
uns darüber Gewissheit bringen, dass hier nur ein solcher relativ gut¬ 
artiger geistiger Schwächezustand vorliegt. Die zu Grunde liegenden 
anatomischen Veränderungen am Gehirn sind hier noch nicht durch¬ 
weg geklärt und offenbar keine einheitlichen: in manchen Fällen hat eine 
genauere Untersuchung doch noch das Vorhandensein eines echten 
paralytischen Prozesses an der Hirnrinde solcher Tabiker gezeigt, aber 
von ungewöhnlich mildem Verlauf, so dass man hier schon von „schlei¬ 
chender Paralyse“ gesprochen hat; manche andere Fälle mögen der 
seltenen Form der „stationären“ Paralyse zugehören; in noch anderen 
Fällen wurde „einfacher Faserschwund“ in der Hirnrinde Tabischcr 
konstatiert, dessen Deutung keine eindeutige ist, da ja Faserschwund 
wohl für alle zu Demenz führende Psychosen, nicht bloss für die Paralyse, 
bezeichnend ist. Für einen Teil dieser Fälle werden wohl dieselben 
anatomischen Grundlagen anzunehmen sein, wie für diejenigen Formen 
von Tabespsychosen, die wir als letzte noch zu besprechen haben. 

Bei diesen — also mit Lucs irgendwie in Zusammenhang stehenden, 
aber nicht paralytischen — Tabespsychosen handelt es sich um teils 
akute resp. subakute, teils mehr chronische halluzinatorische 
Psychosen, und zwar mit Sinnestäuschungen auf den verschieden¬ 
sten Gebieten — namentlich Gehörstäuschungen — und mit Wahnideen. 
Die akuten resp. subakuten Fälle treten oft ganz plötzlich und unver¬ 
mittelt auf und können dadurch für die Angehörigen und den Arzt 
zu peinlichen Ueberraschungen führen. Die Kranken geraten meist 
in sehr lebhaften Affekt, werden sehr ängstlich und unruhig, hören 
Stimmen, haben Visionen, Geruchs- und Geschmackstäuschungen, 
werden elektrisiert: persekutorische Wahnideen werden geäussert. 
Wenn dann, wie es häufig der Fall ist, die Orientierung erhalten bleibt, 
so ist eine Verwechslung mit dem halluzinatorischen Wahnsinn der 
Trinker sehr naheliegend und unter Umständen erst durch eine genaue 
Erhebung der Anamnese und durch Beobachtung des weiteren Verlaufs 
zu vermeiden. Der Verlauf ist ein unregelmässiger, schubweiser; ruhigere, 
einsichtsvolle Stunden und Tage schieben sich ein: nach einigen Wochen 
oder Monaten tritt häufig eine Besserung ein. doch meist nicht mit 
völliger Krankheitseinsicht; mit der Gefahr erneuter akuter Attacken 
ist stets zu rechnen. 

Neben diesen mehr subakuten halluzinatorischen Tabespsychosen 
mit erhaltener Orientierung gibt es dann ganz akut verlaufende, deliriöse 
Formen, also mit stärkerer Bewusstseinstrübung und von ganz kurzer 
Dauer. 

Die chronischen Tabespsychosen, ebenfalls mit Sinnes¬ 
täuschungen und Wahnideen verlaufend, zeigen mit der Erhaltung 
der Besonnenheit und der Orientierung, mit der gelegentlich auftretenden 
Wahnidee der körperlichen und der Willensbceinflussung (z. B. „Werk¬ 
zeug einer höheren Macht“) eine gewisse äussere Aehnlirhkeit mit Krank¬ 
heitsformen aus der Dementia praecox - Giuppe; die Entscheidung wird 
aber bei der nötigen Vorsicht meist nicht schwer fallen. 

Diese nicht paralytischen Tabespsychosen stimmen nun in allen 


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291 


Rosenthal, 


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wesentlichen Punkten — namentlich auch in der gelegentlichen Schwie¬ 
rigkeit der Abgrenzung gegenüber gewissen alkoholischen und Dementia 
praecox-Psychosen — mit gewissen geistigen Störungen, ebenfalls 
auf luetischer Grundlage, überein, die in klinischer Hinsicht paranoiden 
Typus und anatomisch eine Endarteriitis der kleinsten Hirngefässe 
zeigen: in der Tat hat die histologische Untersuchung ergeben, dass 
es sich in unsern Fällen um die Verbindung von echt tabischer Rücken¬ 
markserkrankung mit einer Endarteriitis der kleinsten Hirngefässe 
handelt. Auch auf den praktisch wichtigsten Punkt, die geringe Beein- 
flussbarkeit durch die Therapie, erstreckt sich diese Uebereinstimmung: 
im Unterschied zu den meningitischen (resp. meningo-encephalitischen) 
und den gummösen Prozessen erweist sich die Endarteriitis der klein¬ 
sten Hirngefässe in beiden Fällen den üblichen Behandlungsmetho¬ 
den — auch dem Salvarsan — gegenüber als wenig beeinflussbar. So 
sind denn neuere Forscher, so insbesondere auch Alzheimer, geneigt, 
diese endarteriitischen Formen zu den metaluetischen zu rech¬ 
nen, so dass wir also neben der paralytischen auch eine endarteriitisehe 
Form der Metalues zu unterscheiden hätten. 

Natürlich können auch alle möglichen direkt luetischen Hirn¬ 
erkrankungen zurTabes hinzukommen und event. eine Psychose erzeugen. 

M. H.! Wie Sie sehen, führt die scheinbar einfache Tatsache, dass 
eine Psychose sich mit einer allbekannten Rückenmarkserkrankung 
vergesellschaftet, bei genauerer Betrachtung und Analyse sofort zu 
einer Masse von Ueberlegungen und Unterscheidungen; Sie werden 
aber doch den Eindruck gewonnen haben, dass die gegenwärtigen Hilfs¬ 
mittel der Neurologie und Psychiatrie, wenn sie auch nicht immer ganz 
einfache sind, uns in den Stand setzen, die von der Natur uns darge¬ 
botene Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, die wir natürlich nicht 
ganz aufhehen können, auf ihre Wurzeln zurückzuführen und eben 
durch diese Unterscheidungen und Einteilungen ihrer Herr zu werden. 


Ueber die Verwertbarkeit 

der Glykyltryptophan-Probe nach Neubauer und Fischer 
für die Frühdiagnose des Magenkarzinoms. 

Von Pr. K. Romenthal, Oberstabsarzt in Magdeburg. 

(Aus der inneren Abteilung des Krankenhauses Altstadt-Magdeburg (Dirig. Arzt: 

Oberarzt Dr. E. Schreiber). 

Da nach der Veröffentlichung von Neubauer und Fischer 1 ) 
die Glykyltryptophan-Probe eine gute und mit verhältnismässig ein¬ 
fachen Mitteln ausführbare Methode darzustellen schien, frühzeitig 
das Vorhandensein eines Magenkarzinoms durch Untersuchung des 
nach Probefrühstück ausgeheberten Mageninhalts nachzuweisen, habe 
ich jene Methode an einer Reihe von Kranken nachgeprüft. 

Ich habe mich dabei genau an die Vorschriften von Neubauer 
und Fischer gehalten, sorgfältig alle Fehlerquellen auszuschalten 
versucht und fast alle Kranke wiederholt, bis zu 6 Malen untersucht. 
Von der ursprünglichen Methode bin ich bei späteren Untersuchungen 
nur insofern abgewichen, als ich zum Nachweis des gebildeten Trypto¬ 
phans Bromdämpfe gar nicht mehr benutzte, sondern nur noch die 
von den Autoren gleichfalls, aber in zweiter Linie empfohlene ver¬ 
dünnte Chlorkalklösung. Denn einerseits ist das Arbeiten mit Brom¬ 
dämpfen wegen ihrer starken Reizwirkung sehr unangenehm, vor 

*) Neubauer u. Fischer, Deutsches Archiv tiir klinische Medizin, Bard97 H. 5/6. 



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Ueber die Verwertbarkeit der Glykyllryptopban-Probe nach Neubauer und Fischer ubw. 295 

allem aber tritt die Farbenreaktion bei Verwendung von Chlorkalk 
viel sehärfer hervor und verschwindet nicht schon beim geringsten Ueber- 
schuss wieder, wie dies beim Brom der Fall ist. Nach zahlreichen Kon- 
trollversuchen habe ich dann nur noch Chlorkalk verwendet. 

Die Ergebnisse der Einzeluntersuchungen sind aus folgender Tabelle 
ersichtlich: 



Anzahl 

Try R. -J- 

Try. R — 

Try. R.? 

Bemerkungen 

Magen-Ka. sichergestellt 
durch Autopsie od. Oper 
Magen-Ka. klin. wahrscnl. 

3 (9; 

2 (6) 

1 (3) 


() Zahlen = Zahl der 
Einzeluntersuch. 

2 (9) 

(6) 

(3) 

2 

Fall a) 4x-f-2x—, 

,. „ Verdacht 

Gutartige Magenkrank!). 

7 (17) 

4 (8) 

3 (9) 


„ b) 2x + lx— 

10 (22) 

4 (4) 

6 (18) 


Die 4 mit -f- Try. R. 

Magengesunde 

10 (22) 

0 

10 (22) 


konnten nur IX un- 





tereucht werden, da sie 
die Anstalt verliessen. 


Wie aus dieser Tabelle zu ersehen, war die Probe in einem Falle 
negativ, der durch die Sektion als zweifelloses Magenkarzinom erwiesen 
wairde. Und zwar war dies der Fall bei allen Proben, welche einmal nach 
gewöhnlichem Probefrühstück angestellt wurden, ein andermal nach 
vorheriger Abstumpfung des sehr reichlich Milchsäure enthaltenden 
Mageninhalts durch Natr. carhon. und ein drittes mal an morgens nüchtern 
Erbrochenem. Da das Obduktionsprotokoll die Angabe enthält, dass 
die Schleimhaut intakt war, würde, dies für die Behauptung von 
Ley ') sprechen, dass nur ulzerierte Karzinome das peptidspaltende 
Ferment absondern können. Dass dem aber nicht so ist, dafür spricht 
ein anderer durch Autopsie als sicheres Magenkarzinom bestätigter 
Fall, bei dem dieTry. R. positiv war, obgleich auch hier die Schleimhaut 
intakt war. Bei ulzerierten Magenkarzinomen würde auch die Probe 
so wie so schon nicht beweisend zu sein brauchen, denn ulzerierende 
Flächen sondern stets eitrige oder seröse Flüssigkeit ab, welche an sich 
schon gleichfalls positive Try. R. ergeben. So habe ich erst kürzlich 
wieder einen karzinomverdächtigen Mageninhalt untersucht, bei welchem 
auch die feinsten Blutproben negativ ausfielen, bei dem dann aber die 
mikroskopische Untersuchung das Vorhandensein von Eiter ergab. 
Die Tryptophan-Probe war stark positiv, aber dieser Ausfall konnte 
natürlich nicht als einwandfreier Beweis für das Vorhandensein eines 
spezifischen, peptidspaltenden Ferments verwertet werden, weil er eben 
durch den gefundenen Eiter allein schon bedingt sein konnte. Der Fall 
hat daher in obiger Tabelle auch keine Aufnahme gefunden. 

Und damit komme ich zu den Schwierigkeiten bei der Beurteilung 
des Ergebnisses und den Fehlerquellen der Methode. Auf diese haben 
allerdings schon Neubauer und Fischer selbst hingew'iesen, doch sind 
sie gerade meiner Ansicht nach der Grund für die verschiedene Wert¬ 
schätzung, welche die Methode seitens der übrigen Nachuntersucher 
gefunden hat. Sie bestehen besonders in der Schwierigkeit Blut und 
Pankreassaft auszuschliessen, da auch diese die Peptide spalten. Ein 
irgend nennenswerter Blutfarbstoffgehalt ist zw-ar durch die Benzidin- 
und Aloinprobe mit grosser Sicherheit zu erkennen, aber wie schon er¬ 
wähnt, vermögen auch Eiter und seröse Flüssigkeiten die Peptide zu 
spalten. Ja sogar verschluckter Auswurf kann dies tun, wie ich mich 
bei einer Probe überzeugt habe. Ich halte es daher für erforderlich, 

') Ley Berliner klinische Wochenschrift 1911, Nr. 3. 


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Gregor, 


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den Mageninhalt nicht nur chemisch, sondern auch mikroskopisch auf 
rote und weisse Blutkörperchen zu untersuchen, um je nach dem Er¬ 
gebnis etwaige Einschränkungen bezüglich des Ausfalls der Try. R. 
treffen zu können. 

Noch schwieriger ist es, die Anwesenheit von Pankreassaft auszu- 
schliessen, wie dies Neubauer und Fischer in ihrer neuesten Veröffent¬ 
lichung *) auch schon selbst anerkannt haben. Die Anwesenheit von 
Galle ist dahei weder in positivem noch in negativem Sinne zu ver¬ 
werten. denn ich habe wiederholt gesehen, dass seihst bei deutlich 
gelbgriiniich gefärbtem Mageninhalt die Try. R. negativ ausfiel. Positive 
Ergebnisse der von Neubauer und Fischer in Aussicht gestellten Unter¬ 
suchungen nach dieser Richtung wären demnach ein grosser Fortschritt. 
Auf die Anwesenheit von Pankreassaft oder Exsudatflüssigkeit sind 
jedenfalls die positiven Proben zurückzuführen, die ich, wie auch andre 
Untersucher, bei gutartigen Magenkrankheiten gefunden habe. 

Auch meine Untersuchungen haben demnach zu dem Ergebnis 
geführt, dass weder der positive, noch der negative Ausfall der Try. R. 
ein ganz sicherer Anhaltspunkt für das Vorhandensein oder Nicht¬ 
vorhandensein eines Magenkarzinoms ist. Dies gilt auch für den Fall, 
dass man unter sorgfältigster Vermeidung aller Fehlerquellen bei mehr¬ 
fach wiederholten Untersuchungen stets das gleiche Ergebnis findet. 
Aus diesem Grunde aber die Methode für zwecklos zu erklären, wie dies 
Pechstein 2 ) und Lev tun, halte ich für verfehlt. Im Verein mit 
den andern wird sie immerhin dazu beitragen, eine Wahrscheinlichkeits¬ 
diagnose noch mehr zu stützen. 


(Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig. 

Direktor Geh. Rat Prof. Dr. P. Flechsig.) 

Lieber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 

Von Priv.-Doz. Dr. A. Gregor, II. Arzt der Klinik. (Schluss.) 

Ein besonders grosses praktisches Interesse kommt der Wirkung 
der ersten Dosis eines Schlafmittels zu, da nach dieser vielfach die ganze 
Stellung eines Patienten zu der weiteren Medikation bestimmt wird. 
Ist es doch eine geläufige Erfahrung, dass manche Individuen sich 
weigern, überhaupt noch weiter ein Ilypnotikum einzunehmen, weil 
die erste Dosis ihre Wirkung, Schlaf herbeizuführen, verfehlte -oder 
das subjektive Befinden schlecht beeinflusste. Da, wie wir gleich sehen 
werden, aus der Dauerwirkung eines Mittels nicht auf seine anfängliche 
geschlossen werden kann, wurde zum Studium dieses Effektes eine 
eigene Tabelle entworfen (Tabelle 3). Anordnung und Zeichen sind die¬ 
selben wie in Tabelle 1. Besonders dürfte vielleicht in Tabelle 3 auffallen, 
dass hier mitunter ein abstrebender Pfeil für die geringere Dosis neben 
einem aufstrebenden für die grössere steht, was besagt, dass ein und 
dieselbe Leistung durch eine kleine Dosis geschädigt, durch eine grössere 
unbeeinflusst gelassen wurde. Diese paradoxe Erscheinung hängt mit 
unserer Versuchsanordnung zusammen, nach der wiederholt unvermittelt 
von einer kleineren zu einer grösseren Dosis desselben Mittels über¬ 
gegangen wurde. Da es uns aber jetzt lediglich auf die Wirkung der 
ersten Dosis ankommt, verliert in einem solchen Falle die Wirkung der 
grösseren Mengen ihre Bedeutung. Das entsprechende Zeichen wurde 
daher in Tabelle 3 in Klammer gesetzt. 

') Neubauer und Fischer, Münchener medizinische Wochenschrift 1911. Nr. 13. 

2 ) Pechstein, Berliner klinische Wochenschrift 1911, Nr. 9. 


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Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 297 


Tabelle 3. 



Adalin 

Bromur. 

Trional | 

Isopral 

Neuron. 

Medinal 

Paraldeh. 

0-5 

10 


0 : 9 

0-5 

10 

05 

1 -o 

0-5 

10 

0-25 

0-5 

0-75 

3-0 

4'5 

Wo. 


*1 


(f/ 


4 

t 

4 

4 

*1 

= 

4 

4 


t 

Ra. 



t 



t 

4 

- i 

4 

4 

4 


4 

(f) 

Diet. 



t 


1 * 


t 

4 


•=■ 


t 


: ; 

4 

Ho. 

t 

_ 

u 


I t 

t 

- 

t 

t 

4 


t 


t 

4 

Wa. 


t 

t 


t 

t 





t 

4 


• 


Pa 


t 

4 


t 

4 4 

4 

t 

t 


t 




Fie 

t 

1* 



t 

|t 

t 

t 

11 

t 


t 



Tabelle 3 zeigt ein wesentlich ungünstigeres Resultat als die beiden 
vorhergehenden. Es fällt sofort die viel grössere Anzahl abstrebender 
Pfeile]; auf. Die prozentuelle Berechnung ergab, dass durch die erste 
Dosis die intellektuelle Leistung in 43% der Medikation günstig, in 
42% ungünstig beeinflusst, in 15 nicht verändert wurde. Dagegen ergab 
eine gleiche Berechnung nach Tabelle 1 in 63,4% eine günstige, in 
36.6% eine schädliche Wirkung. Nach dem starken Ueberwiegen der 
negativen Fälle könnte man glauben, dass die schädliche Wirkung 
eines Mittels immer schon nach seiner ersten Dosierung zum Vorschein 
kommt. Doch ist dies nicht der Fall. F.in Vergleich der beiden Tabellen 
z. B. für das Trional zeigt, dass die Dosis von 1 g im Verlaufe der Medi¬ 
kation immer eine schädliche Wirkung entfaltete, während das erste 
Einnehmen in der Mehrzahl der Fälle (4 von 7) nicht ungünstig wirkte. 
Praktisch von Bedeutung ist, dass dieser Umschlag stets schon nach der 
2. oder 3. Trionaldosis erfolgte und zuweilen sehr erheblich war. So 
betrug bei der Versuchsprobe Fie. die Additionsleistung am 16. V. 444 
addierte Posten in Stunde, nach einer ohne Schlafmittel durchschla¬ 
fenen Nacht. Am 17. V. betrug die Zahl addierter Stellen 480, nachdem 
die Versuchsperson am vorhergehenden Abende 1 g Trional erhalten 
hatte. Am nächsten Abende wurde abermals 1 g Trional verabreicht, 
am folgenden Tage betrug die Leistung nurmehr 360, war also um 
V« gesunken. Nach der nächsten trionalfreien Nacht (19. V.) betrug 
die Leistung 504, die nachteilige Wirkung war also völlig ausgeglichen. 
Trat in diesem Fall nach einer anfänglichen Steigerung der Leistung 
ein entschiedener Abfall ein, so finden wir in anderen eine ebenso starke 
Abnahme nach einer anfänglich unbedeutenden. Die normale Leistung 
von Wo. betrug am 10. und 11. IV. 1247 bezw. 1246, am 12. nach 1 g 
Trional 1208, am 13. nach derselben Dosis nurmehr 970. Am 15. wurde 
wieder annähernd dasselbe Resultat wie an den beiden letzten Normal¬ 
tagen erzielt, nachdem Wo. am 13. und 14. kein Schlafmittel mehr 
erhielt (1240). 

Bestimmte Angaben über die Wirkungsweise der einzelnen Schlaf¬ 
mittel scheinen hier nach dem ersten Eindruck der Tabelle 3 kaum 


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Gregor, 


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208 

gemacht werden zu können. Wir finden fast in allen Spalten für alle- 
Mittel und alle Mengen die positiven und negativen Fälle fast in glei¬ 
chem Masse verteilt. Etwas weiter führt folgende Ueberlegung: es 
könnte zwar vielleicht als unzulässig erscheinen, auch hier von der 
Wirkung einer grösseren Dosis auf die einer kleineren zu sehliessen; 
doch fanden wir, wie oben erwähnt, nur dann eine günstige Wirkung 
der grösseren neben ungünstiger der kleineren Menge, wenn letztere 
zuerst gegeben wurde und so eine Gewöhnung an das Mittel erfolgte. 
Dagegen kann man ohne weiteres da auf eine Unschädlichkeit der klei¬ 
neren Dosis sehliessen, wenn von vornherein eine grössere gegeben 
wurde und diese sich als unschädlich erwies. Ergänzt man in diesem 
Sinne die ersten Spalten der Abteilungen für das Adalin und Medinal. 
so sieht man, dass 0,25 Medinal und 0,5 Adalin mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit als unschädliche Dosen angesehen werden können. 

Was die individuellen Differenzen anlangt, findet man auch nach 
Tabelle 3 die Versuchsperson Wo., die sich bei längerer Medikation 
von Schlafmitteln als empfindlich erwies, besonders häufig durch die 
erste Dosis geschädigt, während Pa., die in den früher besprochenen 
Versuchen meist unbeeinflusst blieb, hier nicht mehr aus der Reihe 
der anderen Versuchspersonen herausfällt. Die Versuche an diesem 
Individuum gewannen ein spezielles Interesse, da es sich herausstellte, 
dass Pa. eine Idiosynkrasie gegen Medinal hatte; sie reagierte nämlich 
schon auf die zweite Dosis von 0,5 mit einem starken Exanthem; trotz¬ 
dem nahm die Additionsleistung deutlich zu. Es handelt sich hier also 
um einen Fall, in dem eine deutliche Divergenz der körperlichen und 
psychischen Nebenwirkungen eines Mittels stattfindet. Wir können 
daraus entnehmen, dass in der Beurteilung der besonderen Schlafmittel¬ 
wirkung Vorsicht geboten ist; denn nichts lag ja in diesem Falle näher, 
als das mit dem Medinaloxanthem verbundene Uebelhefinden als einen 
Ausdruck nachteiliger psychischer Wirkung aufzufassen. In dieser 
Richtung ist man, wie die Untersuchung zeigte. Täuschungen stark 
ausgesetzt. 

Um ein Urteil darüber zu gewinnen, wie sich das Verhältnis zwischen 
der Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit und der tatsächlichen 
Leistung gestaltet, wurden die bezüglichen Angaben der Versuchs¬ 
personen täglich notiert, ein Vergleich mit den objektiven Befunden 
zeigte, dass die Versuchspersonen häufig irrten; dies sei an einigen 
Beispielen erläutert: Wo. hatte am 9. IV. nach 0,75 Veronal gut geschla¬ 
fen und fühlte sich wohl. Seine Additionsleistung betrug 1063 Additio¬ 
nen in V, Stunde, am folgenden Tage 1247, obzwar Pat. ohne Schlaf¬ 
mittel schlecht geschlafen hatte und sich matt fühlte. Dieselbe Versuchs¬ 
person hatte am 14. V. nach 0,9 Bromural eine Leistung von 1273, 
nachdem sie in der vorhergehenden Nacht gut geschlafen hatte. Auf 
eine Verminderung der Dosis auf 0,6 reagierte sie mit schlechtem Schlaf,, 
weniger gutem Befinden, trotzdem stieg die Leistung an. Am 5. VIL 
addierte Wo 1305 Stellen, nachdem er mit 0,5 Neuronal schlecht ge¬ 
schlafen hatte und sich erschöpft fühlte; am gleichen Abende bekam 
er 1 g Neuronal, schlief gut, fühlte sich wohler, seine Leistung betrug 
aber nur 1133. In den nächsten Tagen, an denen kein Schlafmittel 
verabreicht wurde, stieg sie, obzwar die Versuchsperson schlecht oder 
wenig schlief, auf 1355 an (9. VII.). An diesem Tage wurde abermals 
1,0 g Neuronal verabreicht, das guten Schlaf herbeiführte, die Leistung 
betrug am folgenden Morgen nur 1110. Im Falle Diet. sank die Leistung 


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Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 


299 


bei 0,5 Veronal von 1109 allmählich auf 1032; die Versuchsperson 
fühlte sich dabei sehr wohl, schlief immer gut und verlangte nach Aus¬ 
setzen des Mittels, das einen Anstieg der Leistung zur Folge hatte, 
wieder danach. Man sieht ohne weiteres, dass das Urteil der Versuchs¬ 
personen über Befinden und Leistungsfähigkeit davon abhängt, wie sie 
die letzte Nacht verbracht, ferner, dass einem guten Schlaf nicht immer 
eine gute Leistung folgt und dass nach einer schlecht durchschlafenen 
Nacht nicht notwendig schlechter gearbeitet wird. 

Bei der mangelhaften Uebereinstimmung der subjektiven Leistungs¬ 
fähigkeit und der tatsächlichen Leistung muss man den in der Literatur 
enthaltenen allgemeinen Angaben über die Beeinflussung psychischer 
Funktionen durch Nervina und Hypnotika skeptisch gegenüberstehen, 
da sie sich vorwiegend auf die Selbstbeobachtung von Patienten stützen. 
Ein sicheres Urteil kann in allen Fällen erst eine genauere Funktions¬ 
prüfung ergeben. Diese Einsicht erscheint auch praktisch wichtig, 
da man Patienten, die den Einfluss von Schlafmitteln auf ihre psy¬ 
chischen Funktionen nach der Selbstbeobachtung falsch beurteilen, 
mit viel grösserer Sicherheit gegenübertreten kann, wenn objektive 
Befunde zu Gebote stehen. Anderseits haben wir ja vielfach Individuen 
zu überzeugen, die zu einem nachlässigen Gebrauche von Mitteln neigen. 
Bei der Einfachheit der Methode erscheint es empfehlenswert, mitunter 
auch im konkreten Falle orientierende Versuche über die Wirkung eines 
Schlafmittels anzustellen, um Direktiven für die weitere Therapie zu 
gewinnen, eventuell auch, um verständigen Patienten die tatsächliche 
Wirkung auf ihre intellektuellen Leistungen zu demonstrieren. Es ist 
wohl kaum nötig, eigens darauf hinzuweisen, dass eine Divergenz zwischen 
subjektiver und objektiver Erfahrung vorwiegend bei Versuchen mit 
kleineren und mittleren Dosen statt hat. So fühlte sich die oben als 
Beispiel angeführte Versuchsperson Wo. nach 1 g Trional, gegen das 
sie ziemlich empfindlich war, selbst nach gut durchschlafener Nacht 
nicht nur subjektiv schlechter, sondern arbeitete auch objektiv weniger 
rasch. Gleiches gilt für die bekannte Veronalintoxikation, die sich bei 
vielen Individuen nach einer längeren Medikation von 0,75 und darüber 
einstellt. 

Die starke Differenz der Werte, die durch die Tabelle 1 und 3 
illustriert werden, ist ein Ausdruck dafür, dass im Laufe der Medikation 
die ungünstige Wirkung vielfach zurücktrat; wir können diese Erschei¬ 
nung als Gewöhnung an die schädliche Nebenwirkung eines Mittels 
auffassen. W T ie weitgehend diese in manchen Fällen ist, kann aus Tab. 4 
entnommen werden. In dieser sind Beispiele für verschiedenartige 
Reaktionsweisen veranschaulicht. Eine wiederholt gemachte Beob¬ 
achtung geben die Zahlen in der ersten Spalte wieder. 

Ra. reagierte auf die erste Isopraldosis 1 g mit einem entschiedenen 
Abfalle der Leistung von 1032 auf 934; noch am folgenden Tage, der 
einer schlafmittelfreien Nacht folgte, erscheint die frühere Leistungs¬ 
fähigkeit nicht wieder hergestellt. Nach 4 Tagen wird Isopral in der 
Dosis von 0,5 gegeben. Auch diese Menge wird nicht gut vertragen. 
Die Leistung sinkt von 984 auf 876. Aber mit Fortsetzen der Medikation 
nimmt die Zahl addierter Stellen wieder zu. Beim Uebergang auf 1 g 
Isopral ward keine schädliche Wirkung merkbar; bei weiterer Dosie¬ 
rung der gleichen Menge tritt jetzt sogar ein deutlicher Anstieg auf. 
Ein ähnlicher Versuch mit Trional führte im Falle Diet. nur zur Ge¬ 
wöhnung an die kleinere Dosis 0,5. Auch hier ward schon am dritten 


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3C0 


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Tage der Schlafmittelmedikation die normale Leistung übertroffen. 
aber Steigerung der Dosis ruft einen sehr energischen Abfall herbei. 
Man könnte hier von einer bloss relativen Gewöhnung an eine bestimmte 
Menge des Schlafmittels reden. 

Der Fall Wo. zeigt deutliche Gewöhnung an 0,9 Bromural, während 
die kleinere Dosis von 0,6 anfänglich schlecht vertragen wurde. Auf 
ein besonderes Verhältnis möchte ich hier hinweisen, das aus diesen 
wenigen Zahlen deutlich zutage tritt. In den 3 Tagen, an denen Wo. 
0,9 Bromural erhielt, findet zwar ein Anstieg der Werte statt, doch 
ist er unbedeutend im Verhältnis zu der Steigerung der Leistung, die 
bei der Reduktion der Dosis von 0,9 auf 0,6 eintrat. Aus derartigen 
Beispielen, die noch überzeugender sind, wenn anscheinend förderliche 
Dosen ganz fortgelassen werden, geht hervor, dass selbst bei einer 
Zunahme der Additionsleistung unter einer bestimmten Medikation 
noch von einer schädlichen Nebenwirkung des Mittels gesprochen 
werden kann. 

Die Werte für Wo. führen auf eine andere Art von Gewöhnung, 
die man zum Unterschiede von der bisher besprochenen als indirekte 
bezeichnen könnte. Trional zum ersten Male gegeben (12. u. 13. IV.), 
erzeugte einen sehr starken Abfall der Leistung (1208 : 970). Diese 
Medikation wurde nun ausgesetzt und eine Reihe anderer Schlafmittel 
gegeben. 2 Monate später kehrte ich wieder zum Trional zurück (26. VI.). 
Diesmal trat ein Sinken der Werte, erst später, nämlich nach der 3. Dosis 
ein und war geringer als im ersten Versuche. Noch deutlicher ward 
dieselbe Erscheinung durch die Resultate, bei Fie. illustriert. Diese 
anscheinend sehr empfindliche Patientin reagierte schon auf eine Dosis 
von 0,25 Adalin mit einer Abnahme der Werte. Doch erfolgte rasch 
eine Gewöhnung an diese Dosis; auch 0,5 wurde, zum ersten Male gegeben, 
gut vertragen. Dann trat aber ein entschiedener Abfall auf. In der Folge 
wurden andere Schlafmittel gegeben und am 29. VI. die Adalinmedi- 
kation wieder aufgenommen. Diesmal war gleich die erste Dosis von 
0,5 von günstiger Wirkung und an den beiden folgenden Tagen fand eine 
sehr starke Zunahme der Werte statt. Auffallend war, dass nach der 
Aenderung der Reaktion auf Adalin, das früher sehr empfindliche 
Individuum auch andere Schlafmittel gut vertrug. Diese Beobachtung 
wurde in der Anlage der Tabelle 1 veranschaulicht, in welcher die obere 
Horizontalreihe der anfänglichen Reaktion, die untere der späteren 
entspricht. Mit dieser Umstimmung des Individuums hinsichtlich seiner 
Reaktion auf Schlafmittel, vollzog sich eine weitere Aenderung seines 
Verhaltens, nämlich, dass es nunmehr auf Aussetzen von Schlafmitteln 
mit einem starken Abfalle seiner Leistung reagierte. Die Zahl addierter 
Stellen betrug am 6. Veronaltage 912 und sank schon nach der ersten 
schlafmittelfreien Nacht auf 468, am nächsten Tage auf 323, worauf 
sich die Leistung unter Adalin in der aus der Tabelle 4 ersichtlichen 
Weise hob. Nach Aussetzen dieses Mittels erfolgte wieder ein Abfall, 
die Leistung blieb niedrig, bis ein neues Hypnotikum (Isopral) gegeben 
wurde, das den gleichen Effekt wie das letzte hatte. Obzwar diese 
Medikation nur 3 Tage währte, erfolgte nach ihrem Aussetzen doch 
wieder ein Abfall. Gleichzeitig mit diesem Einfluss auf die intellektuelle 
Arbeit waren Schlafstörungen zu beobachten, indem die Versuchs¬ 
person mit dem Aussetzen der Schlafmittel schlecht oder gar nicht 
schlief. Damit werden wir vor die Frage gestellt, ob die Verminderung 
der Arbeitsleistung lediglich eine Folge der Schlafstörung ist oder mit 



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Ueber Nebenwirkungen von Schlafmitteln. 


301 


dem Entzüge des Schlafmittels auch in einem unmittelbaren Zusammen¬ 
hänge steht. Für die letztere Anschauung spricht, dass nach den früher 
erwähnten Beobachtungen Störungen des Schlafes nicht notwendig zu 
einer Reduktion der Leistung führen. Im gleichen Sinne ist auch die 
Beobachtung zu verwerten, dass Aussetzen von Schlafmitteln auch 
ohne Störung des Schlafes eine Herabsetzung der Arbeitsleistung be¬ 
dingt, so bei Versuchsperson Ra. und Ho. in Tabelle 4. Die beiden 
Wirkungen, Reduktion der Leistung und Verschlechterung des Schlafes, 
die auch in einem Verhältnis der Koordination stehen können, dürften 
unter den hier besprochenen Umständen als Abstinenzerschei¬ 
nungen aufzufassen sein, ln gleicher Weise ist auch die Beobachtung 
zu deuten, dass bei fortlaufender Medikation eines Hypnotikums in 
bestimmter Dosis die anfänglich günstig beeinflusste Leistung allmählich 
absinkt. So sehen wir z. B. bei der Versuchsperson Ho. die Werte 


Tabelle 4. 


Ka. 

Diet. 

Wo. 


Fie. 

i 

Ho. 

29. V. 

0 

1032 122. V. 

0 

00 

10. V. 

0 

1224 

24. V 

0 

1 

564 | 

19 VI. 

0 

T sopra 1 


T 

riooal 


Bromura 


Ada lin 


Trional 

30. „ 

1 -o 

931123. „ 

Ob 

864 

11. „ 

0-6 

106t 

25. „ 

0'25 

539 

20. „ 

05 

31. „ 

o 

91S 24. „ 

05 

909 

12. „ 

0 9 

120S 

26. „ 

0-25 

587 

21. „ 

0-5 

ft. VI. 

0 

9S4 25 ,. 

0 5 

962 

13 „ 

0-9 

1233 

27. „ 

0-5 

592 

22. „ 

0-5 

6 

0 

984 26 „ 

1 •- 

960 

14. „ 

U 9 

1273 

29 „ 

0 5 

577 

23. „ 

1-0 

Isopral 













7- „ 

0-5 

876! 27. „ 

1 • - 

925 

15. „ 

0 6 

1375 

30 „ 

0-5 

385 

24. „ 

1 0 

8- „ 

0-5 

948 29 „ 

0 

936 







26 „ 

1-0 

9 „ 

0-5 

996 




2 V VI 

0 

1278 

28 VI 

0 

312 „27. „ 

0 



1 




Trional 


Adalin 




10 . „ 

10 

994 



i 

26. „ 

i-o 

1256 

29. „ 

0-5 

323 

28. „ 

0 

12. „ 

1-0 

1008 




27. „ 

10 

1270 

1. V11 

0-5 

144 



13 „ 

0 

900 



28. „ 

1 •() 

1188 


05 

756 








9 „ 

0 

1264 







817 

980 

858 

838 

900 

916 

818 
1026 

1128 


nach der 3. Dosis von 0.5 Isopral abnehmen, nachdem die erste Dosis 
von günstigem Einfluss gewesen war. Hierbei ist zunächst natürlich 
an Akkumulation einer anfänglich latenten schädlichen Nebenwirkung 
zu denken. Die Entscheidung ist wie in ähnlichen Fällen am leichtesten 
durch Steigerung der Dosis zu treffen. Eine Erhöhung auf 1 g führte 
hier zu einer Besserung der Leistung, die bei 0,5 beobachtete Reduktion 
konnte also keineswegs auf Intoxikation zurückgeführt werden. 

Lieberblicken wir die hier studierten Schlafmittelwirkungen, so 
sehen wir, dass bei der Schlafmittelmedikation mannigfache Schädi¬ 
gungen des Individuums entstehen können. Zunächst die bloss rela¬ 
tive, die darin besteht, dass seine intellektuellen Leistungen nicht dem 
normalen Uebungszuwachs entsprechend fortschreiten; dann die oft 
schon nach der ersten Dosis auftretende Intoxikation, welche nicht 
immer durch Gewöhnung an das Hvpnotikum verschwindet, sondern 
im Laufe der Therapie zu immer stärkerer Reduktion der geistigen 
Arbeit führt. Eine weitere Gefahr liegt in der Beeinflussung des Schlafes, 
welche ihn vom Einnehmen von Hypnotika überhaupt abhängig machen 
kann, endlich in Abstinenzerscheinungen, die zu einer allmählichen 
Steigerung der Schlafmitteldosis zwingen und sich nach Aussetzen der 
Medikation in einem starken Abfalle der Leistung geltend machen. 


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302 


Referate lind Besprechungen. 


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Derartige Reflexionen könnten den Schlafmitteln erbitterte Gegner 
schaffen, die auf ihren Gebrauch kurzerhand verzichten. Den ruhiger 
Denkenden aber werden sie dazu veranlassen, in der Verordnung dieser 
Mittel strengere Indikationen zu befolgen, in der Wahl der Quantität 
möglichst innerhalb bestimmter Grenzen zu bleiben und Mittel und 
Wege zu suchen, um an Stelle des künstlich erzeugten Schlafes wieder 
den natürlichen treten zu lassen. In der letzterwähnten Richtung 
konnte die vorliegende Untersuchung klinische Gesichtspunkte weniger 
beachten, als es in ihrer sonstigen Anlage der Fall war und wird durch 
eine weitere Untersuchung, die bereits im Gange ist, ergänzt werden. 

Meinem hochverehrten Chef Geh. Rat Flechsig möchte ich auch 
an dieser Stelle für die Ueberlassung des Materiales meinen ergebensten 
Dank aussprechen. 


Referate und Besprechungen. 


Allgemeines. 

d’Abundo, G., Der Kinematograpb als Krankheitsstifter. (Rivista italiana 
difneuropatologia, psichiatria ed Elettroterapia, Oktober 1911. — Paris m6d. 
2.~Jahrg., Nr. 3, S. 74, 1911.) 

Die Kinematographen müssen aus geschäftlichen Rücksichten dem Zeit¬ 
geschmack entgegenkommen und führen deshalb allerlei Schaudergeschich¬ 
ten vor. A b u n d o erzählt nun von zwei Damen, deren Phantasie dadurch 
so erregt wurde, daß sie lange Zeit hindurch auch im Wachen sich von 
Räubern bezw. Schlangen verfolgt wähnten; ähnliche Zufälle wurden bei 
einem 8 jährigen Jungen ausgelöst. 

A b u n d o meint, das seien eben nervöse, hysterische Leute gewesen, 
und hat damit wohl so Unrecht nicht. Aber man kann den Gedanken weiter¬ 
führen und fragen: Sollte nicht auch das moderne Theater mit seinen — 
nicht immer auf klassische Kunst gestimmten Stücken, sollte nicht dieses 
Theater analoge Effekte bei unseren vielen, notorisch nervösen Zeitgenossen 
hervorrufen? Die Effekte brauchen ja nicht immer gleich in hysterischen 
Anfällen sich zu äußern. Das moderne Theater als Quelle der Nervosität, 
das gäbe zum mindesten eine originelle Abhandlung. Buttersack-Berlin. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Weil, Em. und R6nard, H., Regeneration der Milz. (Soci£t£ de Biologie, 
9. Dezember 1911.) 

Man hört immer von Regenerationen ganzer Organe bei tiefstehen- 
»den Tieren reden, bei Tritonen, Kaulquappen und dgl. Nun berichten Emile 
Weil und Henri Benard über etwas Ähnliches bei Hunden. Sechs 
Hunden nahmen sie mehr oder weniger erhebliche Teile der Milz weg 
und beobachteten dann eine entsprechende Hypertrophie des Restes, so¬ 
wohl der Malpighischen Körperchen wie auch der roten Pulpa. 

Ich vermute, daß es junge Tiere gewesen sind; bei älteren wären die 
Resultate wohl anders ausgefallen. Immerhin werden durch diese Mitteilung 
die alten Fragen von neuem ausgelöst: wer ist es eigentlich, der das neue 
Gewebe bildet? und wer reguliert den ganzen Vorgang und bestimmt sein 
Ende? Buttersack-Berlin. 

P6zard, A., Einfluß der Testikel auf die sogen, sekundären Geschlechtsmerk¬ 
male. (Acadömie des Sciences, 20. November 1911.) 

Die Vorstellung der inneren Sekretion ist noch keineswegs so sehr zum 
Allgemeingut geworden, daß nicht besonders charakteristische Beobachtungen 
erwähnt werden müßten. P ö z a r d hat Hähne und Fasanen kastriert und 



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Referate and Besprechungen. 


303 


■dann ein Zurückbleiben der erektilen Organe beobachtet; die Tiere krähten 
nicht, legten keine Geschlechtslust und keinen Kampfesmut an den Tag, wiesen 
auch kleine Veränderungen am knöchernen Skelett auf. 

Einem kleinen kastrierten Hahn injizierte P. 2 mal wöchentlich intra- 
peritoneal je 5 bis 10 ccm eines Extraktes, welcher aus dem Hoden eines 
kryptorchischen Schweines bereitet war; ein solcher Hoden enthält nur inter¬ 
stitielles Gewebe, die Samenkanälchen funktionieren dagegen nicht. Sofort 
mit dieser Medikation begannen bei dem Tier die genannten Funktionen sich 
richtig zu entwickeln, verschwanden aber prompt mit dem Aufhören der 
Injektionen. 

Wie manche merkwürdige und unbegreifliche Erscheinungen in der 
klinischen Medizin mögen in derlei Vorgängen ihren Grund haben! Wer 
diesen Dingen als nicht exakt erweislich allzu skeptisch gegenüber steht, 
erinnere sich an den Satz des alten Alard (1821): „Le scepticisme sans 
mesure est capable de nuire ä la Science tout autant que la credulite; peut- 
etre s’accoutume-t-on trop facilement de nos jours ä douter de ce qu’on n’a 
pu voir.“ Wenn man die letzten Jahre überblickt, so kann man sich des 
Eindrucks nicht erwehren, als ob die öffentliche Meinung ihren Skeptizismus 
gerade dort nicht angewendet hätte, wo er besonders von Nöten gewesen wäre. 

* Buttersack-Berlin. 

Bruschettlni, A. (Genua), Tetanustoxin und Nervensystem (Tossina tetaniea 
« sistema nervoso centrale). (Annali dell’Istituto Maragliano 1911, Vol V, 
Fase. 1/2, pag. 1.) 

In Analogie mit seinen früheren Diphtherieversuchen hat Bruschet- 
t i n i ein normales Meerschweinchenhirn mit einer 20 fach tödlichen Tetanus¬ 
toxinmenge verrieben, etwas Pferdeserum zugesetzt und das ganze ca. fünf 
Tage im Thermostaten auf bewahrt. Dem Filtrat wurde dann abermals 
Tetanustoxin in verschiedenen Mengen zugesetzt und hiervon Meerschwein¬ 
chen in den Oberschenkel eingespritzt. Resultat: die Tiere erkrankten ent¬ 
weder gar nicht oder nur mit leichten lokalen tetanischen Erscheinungen. 

Buttersack-Berlin. 

Gattl, Carlo (Genua), Omentum und’Blutblld (sugli eftetti delPasportazIone 
üell’omento sul sangne). (Annali delPIstituto Maragliano 1911, Vol. V, Fase. 
3/4, S. 137.) 

Um die serösen Häute kümmern sich unsere Physiologen auffallend 
wenig; um so dankenswerter ist jede Notiz, welche darüber bekannt wird. 
G a 11 i hat Hunden das Omentum weggenommen, ein Eingriff, welcher zu¬ 
nächst vorübergehende Temperatursteigerungen (um 1 °) und Gewichtsver¬ 
luste (um 2,5 kg) hervorrief; doch gleichen sich diese Erscheinungen relativ 
schnell aus. Anders beim Blutbild: die roten Blutkörperchen nahmen um 
1 */* Millionen ab, die farblosen um 5—6000 zu, der Hämoglobingehalt 
verminderte sich um 25—30 o/o. Die farblosen Blutkörperchen vermehrten 
sich auf Kosten der neutrophilen polynukleären (10—15 o/ 0 ) und der mono¬ 
nukleären (5—6 o,<o), welche ihrerseits vorübergehend gelegentlich ver¬ 
mehrt erschienen. Die Lymphozyten nahmen um 15—20 o / 0 ab. Erst nach 
4 Wochen wurde das Blutbild wieder annähernd normal. 

Buttersack-Berlin. 

Oppenheimer, Rudolf (Frankfurt a. Main), Tuberkulosennachweis durch 
beschleunigte Tierversuche. (Münchner med. Wochenschr. 1911, p. 2164.) 

Der Tuberkulosenachweis im Harne oder dem Sekret der weiblichen 
Genitalien ist mikroskopisch in den seltensten Fällen zu führen; hier bleibt 
der sicherste Weg der Tierversuche, dessen Hauptnachteil die sechswöchent- 
liche Wartezeit bildet. O. versucht diesen Fehler durch Impfung des Materials 
in die Leber des Versuchstieres auszumerzen und konnte bei 17 Tieren 
schon nach 16 Tagen typische Tuberkel in der Leber nachweisen. Es 
scheint, daß diese Methode der üblichen intraperitonealen Impfung gleich¬ 
wertig ist. Frankensein-Cöln. 


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301 


Referate und Besprechungen. 


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Innere Medizin. 

Mermod, Soll man die Tonsillen entfernen i (Revue m6dicale de la Suisse 
romande XXXI, 1911, S. 777—791.) 

Auf der einen Seite gelten die Mandeln als Schutzorgane gegen In¬ 
fektionen, auf der andern erweisen sie sich tatsächlich oft genug als In¬ 
fektionsherde. Wie soll man sich da verhalten? Herausnehmen oder er¬ 
halten? Mermod plaidiert für einen Kompromiß: man nehme das — 
physiologisch sicherlich bedeutungsvolle adenoide Gewebe nicht heraus, aber 
'man bringe die infizierten und infizierbaren Krypten durch Ausbrennen 
mit dem Thermokauter zur Verödung. Buttersack-Berlin. 

** Klewitz, Felix (Köln), Über Komplikationen im Verlaufe von Typhus 
abdominalis. (Med. Klink 1911, Nr. 29/30.) 

In dem Aufsatze stellt Klewitz einige seltenere und zum Teil sehr 
ungewöhnliche Komplikationen im Verlaufe des Typhus zusammen, die an 
der Kölner Akademie für praktische Medizin beobachtet wurden. Die Fälle 
sollen im einzelnen aufgeführt, und das Wesentlichste davon an ein¬ 
zelnen Stichworten wiedergegeben werden, wobei bezüglich der näheren 
Begleitumstände und der klinischen Betrachtungen auf die Originalarbeit 
verwiesen werden muß. Wo nichts Gegenteiliges bemerkt, war die klinische 
Diagnose durch bakteriologische und serologische Untersuchung gesichert. 
Lungenabszeß im Verlaufe einer ein Rezidiv von T. A. komplizieren¬ 
den Pneumonie bei einer 46 jährigen Frau. Abszeß intra vitam nur vermutet. 
Im Eiter Typhusbazillen, diese auch als ursprüngliche Ursache der Pneumonie 
anzunehmen. — Multiple Nierenabszesse bei einem schweren, zum 
Tode führenden Typhus bei einer 31 jährigen Frau. Typhus intra vitam 
bakteriologisch und serologisch nicht nachweisbar; durch Autopsie sicher¬ 
gestellt. Im Niereneiter (multiple hirsekorngroße Herde) Gruppen von kurzen 
dicken Stäbchen, Keime, Kokken. Intra vitam Symptome der parenchy¬ 
matösen Nephritis. — Abszeß imUnterhautbindegewebeam Ellen¬ 
bogen, in der Rekonvaleszenz von T. A. bei einem kleinen Mädchen. Im 
Eiter Reinkultur von Typhusbazillen. Haselnußgroßer Abszeß im Rektus 
abominis, bei einem jungen Manne, der bei der Autopsie gefunden wurde, intra 
vitam aber keine Erscheinungen gemacht hatte, bezw. waren diese durch den 
somnolenten Zustand des Kranken verdeckt worden. Im Eiter kulturell 
Typhusbazillen. — Größerer Abszeß am rechten Oberschenkel bei einem 
kleinen Mädchen. Inzision entleert ca. 10 ccm Eiter; in diesem nur Strepto¬ 
kokken, keine Typhusbazillen. — Osteoperiostitis am Oberschenkel im 
Anschluß an einen mittelschweren Typhus, nachdem dieser selbst abgeklungen 
war. Äußerst schmerzhafte Anschwellung des Femur oberhalb der rechten 
Kniegelenkes. Rötung und Fluktuation fehlten. Besserung und Heilung durch 
ßiersche Stauung. Salizyl wirkungslos. — Mundbodenphlegmone am 
Ende der ersten Krankheitswoche bei einem jungen Manne; im dünnflüssigen 
Eiter Typhusbazillen in Reinkultur. — Osteomyelitis des Unterkiefers 
in der dritten Woche bei einem mittelschweren Typhus auftretend und mit 
Schüttelfrost einsetzend. Im Eiter nur Streptokokken, keine T. A. Später 
wiederholt Sequester abgestoßen. Also eine Sekundärinfektion. — Hämop¬ 
toe von 200 ccm hellroten Blutes am Ende der dritten Woche, von dem 
Kranken plötzlich entleert. Schneller Kollaps und nach wenigen Stunden 
Exitus. Die Autopsie konnte Infarktbildung und Tuberkulose als Ursache der 
Haemoptoe mit Sicherheit ausschließen. Wahrscheinlich handelte es sich 
in diesem wie im folgenden Falle um einen sogenannten hämorrhagischen 
Typhus. Meningismus und ausgedehnte Blutungen in die 
Hirnhäute bei einem 18jährigen kräftigen Mädchen. Aufnahme am 
4 Tage nach dem Auftreten deutlicher Krankheitssymptome'. Bewußtsein 
bei Aufnahme klar; Nervensystem ohne etwas Auffallendes nur fehlen die 
Patellarreflexe. In der zweiten Woche ausgesprochene meningitische Sym¬ 
ptome (Nackensteifigkeit, auffallende Hyperästhesie, linksseitiger Fußklonus, 
Zähneknirschen usw.). Im klaren Lumbalpunktat zum Schluß mäßige Mengen 
Blut auf tretend. Bakteriologisch T. A. nicht nachweisbar; ebensowenig am 



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zweiten und dritten Tage. Bei der Autopsie ausgedehnte Hämorrhagien in 
den Meningen. Kleinzeltige Infiltration der Hirnhäute fehlte, nur waren die 
Blutgefäße stark gefüllt. — Pleuritis exsudativa bei einem 20jähr. 
Manne mit schwerem Typhus. Krupöse Pneumonie des rechten Unterlappens 
und in der dritten Krankheitswoche Auftreten eines pleuritischen Exsudats 
sanguinolenter Beschaffenheit. Mikroskop. Lymphozyten und Erythrozyten, 
bakteriologisch Typhusbazillen. — Heilung. — Eitrige Pleuritis bei 
einem kräftigen 25 jährigen Manne mit mittelschwerem Typhus. Entwick¬ 
lung des eitrigen Exsudates in der dritten Krankheitswoche. Das fast eitrige 
Punktat enthielt Eiterkörperchen, erwies sich bei bakteriologischer Unter¬ 
suchung als steril. — Spontane Resorption. — Ataxie und incontinentia 
u r i n a e bei einem Knaben. Beim ersten Aufstehen auffällig ataktischer 
schlendernder Gang, deutliche Spasmen. Romberg negativ. — Inkontinenz. 
— Während der Erkrankung hatten niemals meningitische oder enzephalitische 
Symptome bestanden. Schnelle Heilung. — Stauungspapille betr. bei 
einem IG jährigen kräftigen Patienten nach sehr schwer verlaufenem Typhus. 
Nervenstatus außer Fehlen der Patellarreflexe niemals etwas Besonderes. 
In der vierten Woche Beobachtung beiderseitiger Stauungspapille, rechts 
stärker als links, die nach 10 Tagen wieder verschwunden war. Entstehung 
unklar. Akuter Hydrozephalus? Toxische Einflüsse? — örtliche Stria 
patellares bei einem kleinen Mädchen nach mittelschwerem Typhus. 
Die Striae waren vor der Erkrankung an T. a. nicht vorhanden und traten auf, 
ohne daß etwa während des Krankheitsverlaufes Gelenkschwellungen beobach¬ 
tet worden waren. Sie waren einige mm breit und ca. 4 cm lang und anfangs 
von rötlich-violetter, später weißer Farbe. Appendicitis typhosa. 
Multiple Darmperforationen. — 18jähr. Fabrikarbeiterin mit sehr schwerem 
Typhus. In der vierten Krankheitswoche einen Tag vor dem Tode sehr 
starke Schmerzhaftigkeit des Bauches, besonders der rechten Seite, kollabier¬ 
tes Aussehen, flatternder Puls. Perforation wurde angenommen, aber von 
einer Operation wegen des schlechten Allgemeinzustandes und einer be¬ 
stehenden Lappenpneumonie abgesehen. Bei der Autopsie im unteren Teile 
des Ileum 10—12 feine Perforationen. Im Innern des Processus vermiformis 
ausgedehnte unregelmäßige Geschwürsbildung. R. Stüve, Osnabrück. 

Boas (Berlin), über Frühdiagnose und Spätdiagnose des Magenkarzinomg. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1911, Nr. 49.) 

Boas ist der Ansicht, daß die meisten Autoren bei dem Bestreben, eine 
Frühdiagnose des Magenkarzinoms ausfindig zu machen, sich über das eigent¬ 
liche Wesen einer solchen Diagnose nicht recht klar sind. Er hat wenigstens 
gefunden, daß alle zu diesem Zwecke angeführten Symptome nicht den 
seines Erachtens notwendigen Forderungen entsprechen. Diese I’ostulate 
sind entweder der biologische Befund eines in den ersten Anfängen stehen¬ 
den Karzinoms oder noch besser, durch diese Frühdiagnose zu erreichen, 
daß die unmittelbaren Operationsergebnisse und die endgültigen Resultate 
erheblich verbessert werden. Da dies vorläufig noch nicht erreichbar ist, 
hält B. es für praktisch wichtiger, eine Verbesserung der spätdiagnostischen 
Symptome in der Weise herbeizuführen und zu verfeinern, daß schon vor 
der Laparotomie die Spätfälle von den Frühfällen zu unterscheiden sind. 
Wir haben ja bereits einige sehr charakteristische Zeichen, ganz abgesehen 
von den grobsinnfälligen, wie Aszites, Fühlbarsein metastatischer Knoten 
im Omentum usw., ist da noch zu nennen die Rektummetastase, die sich 
in 20—30 o/ 0 der Fälle nachweisen läßt. Diese Metastasen finden sich 
gewöhnlich an der vorderen Mastdarmwand 2—4 cm oberhalb der Prostata 
und sind hart und höckrig. Von Mastdarmkarzinomen unterscheiden sie 
sich dadurch, daß Ulzerationen fehlen und daß sie nicht in die Schleimhaut 
hineinwachsen, so daß nicht die eigentümliche trichterförmige Gestalt ent¬ 
stehen kann. Diese Metastase hat ganz bedeutenden prognostischen Wert, 
deutet sie doch die Generalisierung des karzinomatösen Prozesses an und 
schließt somit einen radikalen Eingriff aus. Eine weitere Metastase findet 
sich an den Ovarien. Als drittes Symptom für das Fortgeschrittensein des 

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306 Referate und Besprechungen. 

Prozesses ist das sog. Rippenphänomen zu nennen. Es findet sich nämlich 
im halbmondförmigen Raum eine mehr oder weniger deutlich gedämpfte 
Stelle. Endlich ist noch das Auftreten von Venenthrombosen zu erwähnen, 
was gleichfalls eine Warnung vor radikalem Vorgehen bedeutet. Dies sind 
bis jetzt alle für diesen Zweck bekannten Zeichen. Es sind sicherlich aber 
noch mehr ausfindig zu machen. Es ist das sicherlich von außerordentlich 
praktischer Wichtigkeit, könnten doch dadurch die therapeutischen Probe¬ 
laparotomien eingeschränkt werden. F. Walther. 

Reinking (Hamburg), Zur Diagnose von Fremdkörpern in den tieferen 
Luftwegen und in der Speiseröhre. (Deutsche med. Wochenschr. 1911, Nr. 48.) 

An der Hand von 3 Fällen von Fremdkörpern im Ösophagus oder den 
tieferen Luftwegen, die zum Teil gar nicht oder erst sehr spät diagnosti¬ 
ziert worden waren, geht Reinking auf die Ursache dieser Fehldiagnosen 
ein. Er sieht sie einmal in der Überschätzung des Resultates der gewöhnlichen 
objektiven Untersuchungsmethoden, und dann in der Unterschätzung des 
Wertes der Anamnese und der Leistungsfähigkeit der modernen direkten 
Untersuchungsmethoden. Es wird zu viel Wert auf die Röntgendurchleuch¬ 
tung gelegt, wobei nicht bedacht wird, daß nur metallene Gegenstände damit 
nachweisbar sind. Auch Perkussion und Auskultation können zu Fehldiagnosen 
führen. Der Kehlkopfspiegel kann nur beim Erwachsenen in Frage kom¬ 
men, bei Kindern tritt an seine Stelle die direkte Untersuchung des Larynx 
mittels des Spatels. Bei Fremdkörpern in der Speiseröhre spielt die Sonden¬ 
untersuchung eine wichtige Rolle, doch auch sie wird, wenn sie ein negative^ 
Resultat ergibt, überschätzt, kann doch auch trotzdem ein Fremdkörper 
vorhanden sein, an dem sie vorbeigeglitten ist. Gern unterschätzt man 
die Anamnese, und doch hätte ihre Beachtung in den geschilderten Fällen 
ein wichtiger Fingerzeig sein können. Bei Lungenaffektionen dunkler Ätio¬ 
logie sollte man stets an einen Fremdkörper denken, auch wenn die Anamnese 
nichts darüber ergibt. Unverständlich ist es, daß die Untersuchung mit dem 
Broncho-Üsophagoskop so wenig angewandt wird. Wenn sie auch für den 
Patienten einige Anforderungen stellt und bei Kindern kaum ohne Narkose 
möglich ist, so steht dies doch in gar keinem Verhältnis zu der Gefahr, 
in der der Kranke infolge eines Fremdkörpers schwebt. F. Walther. 

Ebeling, Therapie und Prophylaxe der Erkrankungen der oberen Luftwege 
durch Menthasept. (Allg. med. Centralzeitung 1911/41.) 

Ein Paraformderivat in Verbindung mit Milchzucker, von Jasper-Berlin, 
in Tablettenform, mit desodorierender und desinfizierender Wirkung, zu 
empfehlen bei Affektionen des Rachens, des Kehlkopfs und der Mundhöhle, 
namentlich bei den Begleiterscheinungen der Hg und Jodkuren; billig. 

v. Schnizer-Höxter. 

Stuerz (Köln), Künstliche Zwerchfelllähmung bei schweren chronischen 
einseitigen Lungenerkrankungen. (Deutsche med. Wochenschr. 1911, Nr. 48.) 

In manchen Fällen einseitiger Erkrankung der unteren Lungenpartien 
ist es infolge breiter Adhäsionen der Pleurablätter nicht möglich, die Lungen- 
klollapstherapie anzuwenden. Gegen schwere chirurgische Eingriffe, wie die 
Thorakoplastik oder chirurgisches Eingehen in die tieferen Schichten des 
Unterlappens müssen wegen der Gefährlichkeit Bedenken bestehen. Deshalb 
schlägt Stuerz ein anderes Verfahren vor, die einseitige künstliche Zwerch¬ 
felllähmung mittels Phrenikusdurchschneidung. Der dabei bestehende Nach¬ 
teil, daß diese Lähmung eine dauernde bleibt, fällt nicht allzusehr ins 
Gewicht, zumal auch bei den schweren chirurgischen Eingriffen häufig ge¬ 
nug bedeutende Funktionsstörungen des Zwerchfells Zurückbleiben. 

F. Walther. 

Jochmann, Georg, Prof. (Berlin), Die spezifische Diagnostik der Tuber¬ 
kulose. (Med. Klinik 1911, Nr. 31.) 

J. bespricht in zusammenfassender Übersicht, ohne besondere neue Ge¬ 
sichtspunkte hervorzukehren, die verschiedenartige Anwendung des Tuber¬ 
kulins zu diagnostischen Zwecken und wünscht, daß diese Methoden noch 
größere Verbreitung unter den Ärzten finden möchten. Die beste Methode, 
weil bei positivem Ausfall neben der Allgemeinreaktion auch vielfach eine 



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Herdreaktion ausgelöst wird, ist die Methode der subkutanen Einspritzung von 
Alt-Tuberkulin. Gewisse Kontraindikationen (Fieber, vorangegangene 
Hämoptoe, gleichzeitig bestehende Epilepsie, Nierenaffektionen, Diabetes) 
sind zu beachten. Besondere Vorsicht ist bei Anwendung der Opthalmoreaktion 
notwendig. R. Stüve-Osnabriick. 

R6non, Louis (Paris), Soll man Hebernde Tuberkulöse mit Tuberkulin be¬ 
handeln? (Gaz. möd. de Paris, 1911, Nr. 125, S. 401/02.) 

Antwort: Ja; aber „il faudra recourir aux doses infinitesimales, les 
plus faibles, en commengant par un millionieme de milligram m e.“ 

Buttersack-Berlin. 

Costantini, G. (Genua), Muskel-Tuberkulose (Sulla tubereolosi sperlmentale 
dei muscoli). (Annali dell’Istituto Maragliano 1911, Vol. V, Fascic. 3/4, 
8. 132—135.) 

Die Muskeln erkranken bekanntermaßen extrem selten an Tuberkulose. 
Costantini wollte erfahren, ob sich eine solche Erkrankung nicht doch 
mit Gewalt erzwingen lasse, und spritzte deshalb hochvirulente Tuberkelbazillen 
in die Muskelsubstanz ein. Dem war der Organismus natürlich nicht ge¬ 
wachsen und tat dem Forscher den Gefallen zu erkranken. Am interessantesten 
an den Versuchen ist dieses, daß die solchermaßen infizierten Tiere schneller 
der Tuberkulose erlagen als bei peritonealer Infektion. An diesem Faden 
hätte Castantini weiterspinnen müssen. Buttersack-Berlin. 


Chirurgie. 

Bumm, £. (Berlin), Uber die peritoneale Wundbehandlung. Was verträgt 
das Peritoneum, was nicht? (Monatschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 130.) 

In einem ebenso umfassenden, wie glänzend geschriebenen Artikel teilt 
Bumm aus dem reichen Schatze seiner Erfahrungen die Grundprinzipien 
seiner peritonealen Wundbehandlung mit. Er weist zunächst darauf hin, daß 
die mechanischen Reizungen des Peritoneums, als die unbedenklichsten und 
ungefährlichsten aller Reize angesehen werden müssen. Man soll sich dieser- 
halb nicht davon abhalten lassen, chirurgisch exakt zu operieren oder gar 
Fälle, die besser per laparotomiam erledigt werden, vaginal anzugreifen. 
Von dem gleichen Gesichtspunkte aus gibt B. der trockenen Asepsis den 
Vorrang, hält das Einlegen einer Tamponade in die freie Bauchhöhle für 
unzweckmäßig und bevorzugt dünnes Ligatur- und Nahtmaterial im Bauch- 
raume. Bei der Besprechung der chemischen Reize empfiehlt er die Spülung 
der Bauchhöhle mit physiologischer Kochsalzlösung, nur bei groben Ver¬ 
unreinigungen mit aseptischem Material (Fruchtwasser mit Vernix 
und Laungo), während er bei Eiterüberschwemniung die Spülung ablehnt. 
Die absolute Notwendigkeit der Entfernung von Blut, Eiter usw. durch 

sorgfältiges Austupfen wird hervorgehoben. Der Einfluß von Luft und 

chemischen Flüssigkeiten wird besprochen, der modernen (doch alten) 

Kampferölbehandlung eine schlechte Prognose gestellt. 

Bei der Besprechung der Reizwirkung, die durch das Wachstum der 
Bakterien am Bauchfelle ausgelöst wird, kommt er zu dem Schlüsse, daß 
gerade in dieser Frage die Technik über die Antiseptik den Sieg davonge¬ 
tragen hat. Hier weist er auf die genaueste Blutstillung und exakte Peritoni¬ 
sierung der intraperitonealen Wunden hin, fordert einen exakten Servietten¬ 
abschluß der oberen Bauchhöhle intra operationem, post operationem eine 
exakte Dachbildung über event. unversorgbare Wunden im Beckenbauch¬ 
fell. Zur Drainage verwendet er ausgiebig Röhren, keine Gaze. 

Die Arbeit bietet jedem Operateur so reiche Anregung, daß sie sich 
im Rahmen eines knappen Referates leider nicht erschöpfen läßt. 

Frankenstein-Cöln. 

W : ~ Holzbach, Ernst (Tübingen), Über die Verhütung und Behandlung der 
postoperativen Bauchfellentzündung. (Münch, med. Wochenschr. 1911, p. 2050.) 

Die Behandlung der postoperativen Peritonitis hat an zwei Punkten 
einzusetzen. Sie muß versuchen, die Aufnahme der Bakterienprodukte aus 
dem infizierten Wundgebiet ins Blut durch Erschwerung der Resorptionsbe- 


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Referate und Besprechungen. 


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dingungen hintanzuhalten und zweitens eine Reparatur der Kreislaufstörungen 
zu erzielen. Um jenes zu erreichen, stand der Tamponalabschluß des infizier¬ 
ten Gebietes, der von der Tübinger Klinik als Pilztamponmethode ausge¬ 
arbeitet Worden ist, zur Verfügung, weiterhin die Ölbehandlung nach Glimm. 
Die technischen Schwierigkeiten dieses letzteren Verfahrens führten zur 
Kombination der Tampon- und der Ölbehandlung, durch Einlegung eines mit 
sterilem Kampferöl getränkten Pilztampons, mit dem H. gute Erfahrungen 
machte. Zur Behandlung der peritonealen Kreislaufstörungen wurde in letzter 
Zeit die Adrenalinbehandlung warm empfohlen. Doch muß man sich darüber 
klar sein, daß dies Mittel nur dann wirklich therapeutischen Wert haben 
kann, wenn es dem Körper über viele Stunden hin durch intravenöse In¬ 
stillation zugeführt werden kann. Frankenstein-Cöln. 

Erhardt, E. (München), Über die Wirkung von Miicllaginosa-Zusatzen bei 
Lumbalanästhesie. (Arch. internst, de pharmacodyn. et de thörap. 1911, Bd. 
21, 8. 213.) 

Zur Vermeidung der Schädigungen bei der Lumbalanästhe- 
s i e hat man den Lokalanästhetizis z. B. Nebennierenpräparate, aber ohne 
Erfolg, zugesetzt. Erhardt suchte in Tappeiners Institut den chemi¬ 
schen Reiz des Anästhetikums abzuschwächen und die zu frühzeitige Resorp¬ 
tion zu hemmen durch Zusatz von Mucilaginosis (Gummischleim) in 
steriler, neutraler und chemischindifferenter Lösung. Dies gelang tatsäch¬ 
lich in wünschenswerte Weise in Versuchen an Kaninchen, denen eine 1 o/oige 
Lösung von Tropakokainhydrochlorid in 5—15 o/ 0 iger Gummi-arabicum- 
Lösung in den Rückenmarkskanal eingespritzt wurde. Irgend welche pathologi¬ 
schen Veränderungen traten hiernach, selbst wenn die Lumbalanästhesie 
mehrere Male nacheinander ausgeführt wurde, im Zentralnervensystem 
nicht auf. 

In weiteren Versuchen (S. 227) gelang es, nachzuweisen, daß der 
Schleim von Gummi, der zum größten Teil aus einem Gemenge von saurem 
gummi- oder arabinsaurem Calcium und Kalium besteht, mit Vorteil durch 
Arabinsäure ersetzt werden kann, mit der die Kokainbase eine chemische 
Verbindung eingeht. E. Rost-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Baigeh, (München), Die operative, Behandlung der diffusen, speziell puer¬ 
peralen Peritonitis. (Miinchn. med. Wochensclir. 1911, p. 1994.) 

Genauer Bericht über 9 Peritonitisfälle, welche durch Operation be¬ 
handelt wurden. Von diesen wurden 5 Frauen geheilt und zwar waren 
dies diejenigen, bei welchen Eigenkeime die Infektion hervorgerufen hatte®, 
während 4, bei denen Außenkeime im Spiel waren, trotz der Laparotomie 
erlegen sind. Je früher man bei einer progredienten Peritonitis operiert, 
desto besser ist der Erfolg. Am besten begnügt man sich mit einfacher 
Inzision, everit. mit Drainage nach der Vagina, der Bauchwunde und den 
Flanken. Totalexstirpation des Uterus usw. ist tunlichst zu vermeiden. Wenn 
B. einer ausgiebigen Kochsalzspülung der Bauchhöhle das Wort redet, so 
kann Referent das nicht unterschreiben. Frankenstein-Cöln. 

Müller, Reinhold und Zasehke, Rudolf (Greifswald), Zur Frage der Herz¬ 
grösse am Ende der Schwangerschaft. (Münchner med. Wochenechr. 1911, 
p. 2205.) 

Im allgemeinen steht fest, daß das Herz in der Schwangerschaft 
eine der allgemeinen Massenzunahme des Körpers der Schwangeren ent¬ 
sprechende Gewichtszunahme erfährt. Trotzdem ist noch in der jüngsten 
Zeit der Streit nicht verstummt, ob eine Vergrößerung des Herzens in 
der Schwangerschaft nachweisbar vorhanden sei oder nicht. Die Ver¬ 
fasser versuchen nun durch röntgenologische Formmessungen am Herzen 
die Frage zu entscheiden. Sie kommen unter Berücksichtigung der einzelnen 
Fehlerquellen zu dem Schlüsse, daß das Herz im letzten Teil der Schwanger¬ 
schaft gegenüber der Zeit nach dem Wochenbett annähernd gleiche Größe 
oder nur eine minimale Vergrößerung zeigt. Frankenstein-Cöln. 


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Referate und Besprechungen. 


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Förster, Rudolt (Charlottenburg), Zur Therapie des unstillbaren Erbrechens 
der Schwangeren. (Münchner med. Wochenschr. 1911, p. 1718.) 

Bericht über einen Fall'von unstillbaren Erbrechens in der Schwanger¬ 
schaft, der vorher mit Narkotizis 6 Wochen lang ohne Erfolg behandelt 
worden war. Endlich mußte unter Hinzuziehung eines Frauenarztes zur 
Unterbrechung der Schwangerschaft geschritten werden. Der Fundus Uteri 
war durch Stränge nach links hin fixiert, die Portio nach rechts infolge¬ 
dessen abgelenkt. Sobald der Uterus mit Kugelzange zur Einlegung eines 
Laminariastiftes vorgezogen worden war, hörte das Erbrechen auf. Diesen 
therapeutischen Erfolg glaubt der Autor der Anderslagerung der Gebär¬ 
mutter zuschreiben zu sollen, und möchte daraufhin weitere therapeutische 
Schlüsse aufbauen. Vom gynäkologischen Standpunkte aus ist die Kranken¬ 
geschichte leider nicht genau genug, um zu entscheiden, ob die kurz er¬ 
wähnten parametrischen Stränge, die nach der Lokalisation sicherlich intra- 
peritoneale, also perimetritische Stränge gewesen sein müssen, in Wirk¬ 
lichkeit die Ursache des Erbrechens abgegeben haben, d. h. daß das Er¬ 
brechen ein peritonitisches Reizsymptom war, das nach der Rechtlagerung 
der Gebärmutter, vielleicht also nach Durchtrennung der Stränge, aufhörte. 

Frankenstein-Cöln. 

' Opitz, Erich (Düsseldorf), Über Myombehandlung. (Münchner medizin. 
Wochenschr. 1911, p. 2046.) 

In einem breit angelegten Aufsatze bespricht 0. die von ihm befolgten 
Prinzipien bei der Myomoperation. Er weist an der Hand seines ziemlich 
kleinen Materials nach, daß die Gefahren der Operation keineswegs zu 
fürchten sind. Die einzelnen Fragen der Asepsis, der Narkose, der Vor¬ 
behandlung und Nachbehandlung werden ausführlich dargelegt; doch eignen 
sich diese Ausführungen nicht für ein Referat. Interessant sind die kurzen 
Bemerkungen des Verfassers über die Röntgenbehandlung der Myome. 0. 
steht auf dem Standpunkt, daß für einzelne Fälle sich die Röntgenbehand¬ 
lung eignen kann; im allgemeinen mahnen die Länge der erforderlichen 
Behandlungszeit, die mangelnde Erfahrung bez. der Dauererfolge noch sehr 
zur Reserve gegenüber dieser Methode. Frankenstein-Cöln. 

Patta, A, u. Decio, C. (Pavia), Über die Beziehungen zwischen Uterusmyom 
und Kreislauf. (Monatschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 458.) 

Die Verfasser versuchen seit Jahren den Einfluß der inneren Sekretion 
verschiedener Organe auf die Herztätigkeit und die Gefäße zu studieren. 
Im Verlaufe dieser Untersuchungen kamen sie dazu, den Einfluß von Myom¬ 
extrakten tierexperimentell zu studieren, da ja klinisch die Beziehungen 
zwischen Myom und Herzstörungen ziemlich festgelegt sind. Sie fanden 
nun ausnahmlos nach Injektion von Myomextrakt eine deutliche Verlang¬ 
samung der Pulsfrequenz und eine Vergrößerung des Pulsvolumens; weiter¬ 
hin trat meistens eine mehr oder weniger bedeutende Blutdrucksenkung 
auf. Sie schreiben die ersteren Phänomene einer Vagusreizung zu, da sie nach 
Durchschneidung des Vagus oder Atropinisierung der Tiere ausblieben; 
während die Blutdrucksenkung auf einer Gefäßerweiterung peripheren Ur¬ 
sprungs beruhen dürfte. 

Es scheint nach allem, daß einzelne Erscheinungen bei Myomen (Brady¬ 
kardie — Herzklopfen — Asthma cardiacum) durch innere Sekretion sich 
erklären lassen; doch sind wir noch weit davon entfernt, diese Frage einer 
endgültigen Klärung zugeführt zu haben. Frankenstein-Cöln. 

Henkel, M. (Jena), Ovarialhormone und Uterusmyom. (Terap. der Gegen¬ 
wart 1911/12.) 

Polemik gegen Seitz, der behauptet, daß der Anstoß zur Myombildung 
aus den Ovarien komme und zwar durch Hormone geliefert werde, die an 
die Stelle getreten zu sein scheinen, die früher der Sympathikus und die 
neurotrophischen Einflüsse einnahmen. Wäre die Seitzsche Ansicht richtig, 
so müßte man durch Kastration die Myome zur Rückbildung bringen können, 
was bekanntlich mit so wenig Sicherheit erfolgt, daß dieses lange geübte 
Verfahren verlassen ist. Henkel hat gezeigt, daß man durch Entfernung 
des Uterus bei jungen Hunden die Entwicklung der Ovarien verhindern kann, 


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Referate und Besprechungen. 


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daß also der Trieb zur geschlechtlichen Entwicklung in gleicher Weise in 
beiden Organen liegt (wie ja auch beim Manne die Entfernung der Hoden 
die potestas coeundi nicht aufhebt, ja die Libido selbst der Amputatio penis 
trotzt). Die praktische Seite der Sache ist, daß die Myome nicht durch 
Eingriffe an den Ovarien beseitigt werden können, sei es nun Kastration, 
sei es Röntgenbestrahlung, der H. einen sehr geringen Wert zuschreibt. 

Fr. von den Velden. 

Eseh, P. (Marburg), Über eine anteoperative Vorbehandlung hochgradiger 
Anämien durch intramuskuläre Injektionen von delibriniertem Mensehenblute. 

(Münch, med. Wochenschr. 1911, p. 2154.) 

Die Frage der anteoperativen Vorbehandlung schweranämischer Fälle 
steht schon lange zur Diskussion. Bisher begnügte man sich mit diäteti¬ 
schen und medikamentösen Maßnahmen. E. versuchte nun durch intra¬ 
muskuläre Injektion defibrinierten Menschenblutes in 2 Fällen die Anämie 
zu heben, w r as ihm scheinbar gelungen ist. Hämoglobingehalt und Zahl der 
roten Blutkörperchen stiegen. Die Technik ist sehr einfach; unangenehme 
Ncbenwirkungt n fehlten. Es ist möglich, die Indikationen dieser Therapie 
weiter auszudehnen, z. B. auf perniziöse Anämien usw. Auffallend w r ar 
die Beeinflussung der Menstruation in den beiden Fällen ad bonum.. 

Frankenstein-Cöln. 

Helen, B61a (Budapest), Über Röntgenbehandlung in der Gynäkologie. 

(Monatschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 160.) 

Nach ausgiebigster Besprechung der diffizilen Technik bespricht Ver¬ 
fasser das Anwendungsgebiet der Röntgenstrahlen. Bei malignen Neubil¬ 
dungen der Genitalien ließen sich subjektive und objektive Besserungen 
erzielen; dieser halb müßte man prophylaktische Bestrahlungen nach Opera¬ 
tion maligner Neubildungen zwecks Verhütung der Rezidive versuchen. Bei 
genitalen Blutungen und Menstruationsbeschwerden ließen sich besonders 
durch protrahierte Bestrahlungen gute Erfolge erzielen, auch bei der 
Myombehandlung werden gute Erfolge verzeichnet, über die lange Dauer 
der Röntgenbehandlung bei Myomen geht Verf. mit den Worten, „quis habet 
tempus, habet vitam“, ziemlich rasch hinweg. Frankenstein-Cöln. 

Hofbauer, J. (Königsberg), Pituitrin und Digitalis in der geburtshilflichen 
Praxis. (Monatschr, f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 283.) 

Genaue Beschreibung der Anwendung und Dosierung des Pituitrins, 
das sich in 66 Fällen als vorzügliches Wehenmittel erwies, indem es stets 
typisch rhythmische Uteruskontraktionen hervorrief. Stets wurde 1 ccm inji¬ 
ziert (aus Phiolen von Parke, Davis und Cie.), doch wurde bis zu 3 ccm 
gegeben. Applikation subkutan. Alkohol in der Spritze muß vermieden 
werden! Die beste Wirkung wurde in der Austreibungszeit erzielt. Ferner 
wird die interessante Beobachtung veröffentlicht, daß die intrauterine 
Asphyxie, die nicht auf mechanische Momente zurückzuführen ist, sich durch 
Digafeninjektion der Mutter günstig beeinflussen läßt. 

Frankenstein-Cöln. 

Voigts (Berlin), Erfahrungen über Pituitrinwirkung in der Klinik und der 
Poliklinik. (Deutsche med. Wochenschr. 1911, Nr. 49.) 

Voigts hat das Pituitrin in 75 Fällen angewandt. Er injiziert es subkutan 
und zwar hat er eine Dosis von 1,0 ccm als die günstigste erprobt. In] 60 
Fällen glückte die Anregung der Wehentätigkeit, in 11 versagte sie, wahr¬ 
scheinlich wegen Verabreichung zu geringer Dosen und in 4 traten erheb¬ 
liche Störungen das Geburtsverlaufes danach ein. In dem einen Falle führte 
die Injektion so stürmische Wehen herbei, daß binnen 10 Minuten das Kind 
geboren war und eine sehr lange anhaltende Apnoe bestand. In 2 Fällen 
kam es zu einer schmerzhaften Uteruskontraktion, die nur durch tiefe Nar¬ 
kose beseitigt werden konnte, im 3. Falle entwickelte sich Vs Stunde nach 
der Injektion eine vorzeitige Plazentarlösung, und im 4. Falle trat Übel¬ 
keit, Schwindelgefühl, stark erweiterte Pupillen und verlangsamter Puls auf, 
Erscheinungen, die etwa eine halbe Stunde anhielten, worauf der Partus 
glatt zu Ende ging. Trotz dieser Zwischenfälle möchte V. das Mittel auch 
außerhalb der Klinik anwenden lassen, nur ist es erforderlich, daß die 



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Referate und Besprechungen 


311 

Kreißende noch mindestens eine halbe Stunde lang nach der Injektion über¬ 
wacht wird. Durch Pituitrin war es nicht möglich, die Frühgeburt einzu- 
leiten. Auch gegen Ischurie hat er das Mittel versucht, damit aber un¬ 
sichere Erfolge gehabt. F. Walther. 

Keller, C. (Charlottenburg), Gebartshilfe und Säuglingssterblichkeit. (Mo¬ 
natschrift f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 189.) 

An der Hand der Tabellen des statistischen Amtes der .Stadt Berlin 
zeigt K., daß die Säuglingsmortalität im ersten Lebensmonat gerade bei 
ehelichen Kindern nicht der Erwartung entsprechend in den letzten Jahren 
abgesunken ist. Der Vergleich mit den entsprechenden Zahlen bei unehe¬ 
lichen Kindern legt die Annahme nahe, daß diesen die durch Wohltätigkeits¬ 
einrichtungen und Anstalten gebotenen Vorteile mehr zugute kommen, als 
jenen. Die Beobachtung, daß die Kinder von sogenannten Hausschwangeren 
kräftiger und widerstandsfähiger zur Welt kommen, als die kreißend in die 
Anstalten verbrachter Frauen, fordert energisch alle Beteiligten dazu auf, 
das Ideal, der werdenden Mutter schon 6—8 Wochen vor der Niederkunft 
die nötige Pflege (event. in Anstalten) angedeihen zu lassen, mit allen ver¬ 
fügbaren Mitteln anzustreben. Im Anschluß daran fordert K. unter Be¬ 
sprechung der Nabelerkrankung eine Revision der bisher üblichen Nabelbe¬ 
handlung unter Empfehlung eines Salbenverbandes. 

Ref. warnt, diesen letzten Vorschlag in die Praxis umzusetzen und 
möchte nur das Bild der Sage femme heraufbeschwören, die jahrelang mit 
dem gleichen „sterilen“ Salbentöpfchen die Nabel der Neugeborenen infiziert. 
Diese kleine Ausstellung soll dem außerordentlich lesenswerten Artikel 
keinen Abbruch tun. Frankenstein-Cöln. 

Adler, Ludwig, Zur Physiologie und Pathologie der Ovarialfunktion. (Aus 
d. Klin. Schauta. Arch. f. Gyn. 1911, 95. Bd. 2. Heft.) 

A. hat sich bemüht, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Eier¬ 
stocksfunktion sowohl durch klinische Beobachtungen als auch durch Tier¬ 
versuche beizubringen und hat in der Tat manches Bemerkenswerte fest¬ 
stellen können. Um zunächst den Einfluß des Ovariums auf die Schnellig¬ 
keit- des Blutgerinnens zu bestimmen, untersuchte er die Gerinnungszeiten 
des Blutes von 30 Frauen mit Genitalhypoplasie (infantiler oder hypoplasti¬ 
scher Uterus, Retroversion, kleine Ovarien, kurze vordere Scheidenwand, 
niedriger Damm), die fast alle zugleich Zeichen einer allgemeinen hypoplasti¬ 
schen Konstitution aufwiesen: spärliche oder abnorme Behaarung, schlechte 
oder fettreiche Brüste, ungleiche Pupillen, Struma. Imbezillität und ein 
Symptom, auf das A. wohl zuerst aufmerksam macht, auffallend oft eine 
bläuliche Verfärbung der Mammae mit feiner Gefäßzeichnung. 27 von 
diesen Frauen zeigten eine mitunter sehr beträchtliche Gerinnungs ver z ö g e - 
r u n g. In 2 von den Ausnahmefällen bestand starkes Nasenbluten zur 
Zeit der Menses, in dem dritten waren die Ovarien deutlich palpabel. In 
den 27 Fällen lag dagegen offenbar eine herabgesetzte Ovarialtätigkeit 
vor. Eine Gerinnungsverzögerung fand sich ferner konstant bei kastrierten 
Frauen (und zwar auch im Vergleich zu vor der Kastration) und in der 
Mehrzahl der Frauen im natürlichen Klimakterium. Bestätigt wurden diese 
Beobachtungen am Menschen durch Experimente an Kaninchen, auch an 
einem männlichen. Es scheint bei der Gerinnungsverzögerung aber auch 
die Tätigkeit der anderen innersekretorischen Organe eine Rolle zu spielen. 
— A. hat dann Untersuchungen über den Kalkgehalt des Blutes und 
seine Bedeutung für die Blutgerinnung angestellt und hat des weiteren festge¬ 
stellt, daß zwischen Ovarialfunktion, Blutkalkgehalt und Blutgerinnung innige 
Beziehungen bestehen, die sich darin äußern, daß nach Ausfall oder Hypo¬ 
funktion der Ovarien häufig eine Verzögerung der Blutgerinnungszeit auf- 
tritt, die in einer Reihe von Fällen mit absolut oder relativ niedrigen Kalk¬ 
werten im Blute einhergeht. Aber auch hierbei spielen innersekretorische 
Drüsen neben dem Ovarium eine Rolle. — A. geht dann des Näheren auf 
die hypoplastischen Individuen ein, von denen er mit anderen Autoren zwei 
Gruppen (unterscheidet, die kindlich-chlorotische und die gut ausgebildete 
mit heterologen Sexualmerkmalen. Zwischen beiden bestehen Übergänge. 


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312 


Referate und Besprechungen. 


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Weiter unterscheidet auch A. zwischen einer stoffwechselfördern- 
ti e n, akzeleratorischen Gruppe von innersekretorischen Drüsen, welche auf 
den Sympathikus erregend, auf die autonomen Nerven hemmend 
wirken und einer Gruppe, die umgekehrt wirkt. Zur ersteren gehören 
auUer den Keimdrüsen oder einem Teil derselben die Thyreoidea, das chro- 
maffino System und der Infundibularteil der Hypophyse, zu letzteren Pan¬ 
kreas, Epithelkörperchen und wahrscheinlich der drüsige Anteil der Hypo¬ 
physe und die Nebennierenrinde. A. geht auf die Beziehungen dieser Organe 
zueinander, so viel sie bekannt sind, ein und fügt einige neue Beobach¬ 
tungen hinzu, die die Stellung der Ovarien im System der innersekretori¬ 
schen Organe und ihre Beziehungen zum vegetativen Nervensystem einiger¬ 
maßen beleuchten können. Z. B. verhält sich in bezug auf die Gerinnungs¬ 
zeit und die Adrenalinglykosurie das Ovarium entgegengesetzt der Schild¬ 
drüse, in bezug auf die Adrenalinglykosurie auch entgegengesetzt dem chro¬ 
maffinen System und der Hypophyse; gleichsinnig verhält sich das Ovarium 
mit den Epithelkörperchen betreffs der Blutgerinnungszeit und des Blut¬ 
kalkgehaltes. Weiter trat nach Ausfall oder Herabsetzung der Ovarial- 
tätigkeit eine erhöhte Empfindlichkeit gegen kleine Adrenalindosen ein, die 
auf einen erhöhten Sympathikustonus zu beziehen sind, also wirkt das 
Ovarium sympatikus hemmend, womit die so häufige Obstipa¬ 
tion nach Kastration und im Klimakterium zusammenhängt. Erinnert sei 
in diesem Zusammenhang auch an die günstige Wirkung von Calcium¬ 
lactat gegen Ausfallserscheinungen. Gegen die erwähnte Obstipation 
wendete A. des öfteren Ovarin mit Erfolg an! Schwer ist die Beurteilung 
einer etwaigen Hyperfunktion der Ovarien mit ihrer Folge: Tonuser¬ 
höhung im autonomen Nervensystem. Es gehört hierher wohl das relativ 
häufige Vorkommen von Blutungen bei vagotonischen Individuen, sodann 
die von A. festgestellte Tatsache, daß nur vagotonische Individuen, sodann 
von Drenkhahn als universell gepriesene Darreichung von Atropin bei 
Dysmenorrhoe reagieren. Das erklärt sich, wenn man die Dymmenorrhoe 
als Reizzustand des autonomen Nervus pelvicus auffaßt. Die Atropinwirkung 
muß naturgemäß ausbleiben bei Frauen mit erhöhtem Sympathikustonus. 
Übrigens erwies sich die subkutane Darreichung von '/*— l /t Atropin 

als am wirksamsten. Endlich studierte A. die Wirkung von Ovaria lprä- 
paraten an Mensch und Tier. Hervorzuheben ist, daß fortgesetzte sub¬ 
kutane Injektionen von wässrigen Ovarialextrakten und vor allem von üvarin 
P ö h 1 bei hypoplastischen Individuen direkt echte Menstruationen hervor- 
rufen. Bei Ausfallserscheinungen wirken die Präparate nur so lange, als 
sie verabreicht werden. Die stoffwechselsteigernde Wirkung des Ovarins 
zeigte sich deutlich bei fetten Amenorrhoischen durch die eintretende be¬ 
trächtliche Gewichtsabnahme. — Zusammenfassend gibt es unter den 
Frauen mit hypoplastischem Genitale solche, bei denen die Hypoplasie gleich¬ 
mäßig alle Blutdrüsen betrifft, ohne Gleichgewichtsstörung im viszeralen 
Nervensystem, ohne starke Reaktion auf Adrenalin und vagotrope Mittel. 
Dann gibt es Frauen, bei denen die Hypoplasie besonders das chromaffine 
System bez. die den Sympathikus hemmende Gruppe der Blutdrüsen inkl. 
Ovarien betrifft, die gegen Adrenalin und sympathische Reize sehr empfind¬ 
lich sind. Endlich kann die Hypoplasie mehr das chromaffine System und 
die dasselbe fördernde Gruppe der Blutdrüsen betreffen — die Fälle von 
Status lymphaticus gehören hierher — dann wird bei normalem Sympathikus- 
tonus eher eine erhöhte Erregbarkeit im autonomen System vorherrschen. 
(Vagotonie beim Status lymphaticus.) — Das Ineinanderarbeiten der ver¬ 
schiedenen innersekretorischen Drüsen erschwert natürlich sehr die Er¬ 
forschung der Funktion der einzelnen Drüsen. Was das Ovarium anlangt, 
so bleibe dasselbe „wohl als Zentrum für die Genitalien bestehen, als ?Zen- 
trum aber, welches nicht nur selbständig Impulse abgibt, sondern auch 
Impulse fortleitet, die es aus der weitverzweigten und innig verschlungenen 
Netze erhält, das die Drüsen ohne Ausführungsgang miteinander verbindet.“ 

_ R. Klien-Leipzig. 



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Referate und Besprechungen. 


313 


Kinderheilkunde und Säuglingsern^hrung. 

Best, Prof. (Dresden), Die Erblindungsgefahr infolge von Angenentzündung 
der Neugeborenen. (Med. Klinik 1911, Nr. 29.) 

Aus dieser Verarbeitung statistischen Materials geht hervor, daß seit 
Einführung des Credeschen Verfahrens nicht nur die Erkrankungsgefahr 
der Neugeborenen an Blennorrhoe ganz erheblich, nämlich von 8,9 <y„ auf 
0,48 «ft z. Z. zurückgegangen ist, und daß diese für die Erkrankungsgefahr 
an Kliniken ermittelte Zahl unter der allgemeinen Bevölkerung wahrschein¬ 
lich noch geringer ist, sondern daß auch die Zahl der durch Blennorrhoe 
verursachten Erblindungen gesunken ist, wenn auch nicht im gleichen Maße 
wie die Erkrankungsziffer. Während früher 30 «o der in Blindenanstalten 
untergebrachten Zöglinge infolge von Blennorrhoe erblindet waren, fand man 
1911 nur noch bei 13 «o diese Erblindungsursache. Aber auch jetzt noch 
spielt die Blennorrhoe, abgesehen von den angeborenen Bildungsfehlern des 
Auges, die Hauptrolle unter den Ursachen der jugendlichen Erblindung; 
sie ist u. a. größer als die durch Skrofulöse bezw. Tuberkulose bewirkte, 
die ihr am nächsten steht. Deshalb darf in den hygienischen Bestrebungen 
zur Bekämpfung der Augenentzündung nicht nachgelassen werden. Die Ge¬ 
fahr der doppelseitigen Erblindung ist nach dem Ausbruch der Blennorrhoe 
auf 1—2 oo der Erkrankungen zu schätzen. R. Stüve-Osnabrück. 

Finkeistein (Berlin), Zur Differenzialdiagnose der „Lelbschmerzen“ bei 
Kindern. (Zentralbl. f. Kinderheilk. 1912, Nr. 1.) 

Verfasser bespricht folgende Zustandsbilder vom differentialdiagnosti¬ 
schen Standpunkte aus:-Appendizitis, Neuralgie der Lumbalnerven infolge von 
Karies der untersten Lendenwirbel oder des oberen Teiles des Kreuzbeines, 
Gärungsdyspepsien (Ad. Schmidt), Obstipation, Leibschmerzen ohne nach¬ 
weisbare Unterlage bei neuropathischen Kindern, Hernien der Linea alba. 
Darmstenose und Nierenkolik. 

Obgleich die von dem Verfasser hervorgehobenen Punkte allgemein 
bekannt sein dürften, fehlt es nicht teilweise an neuen, aus dem reichen 
Born der eigenen Erfahrung geschöpften Gesichtspunkten. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Flatau, E. u. Sterling, W. (Warschau), Progressiver Torsionsspasmus bei 
Kindern. (Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 7, H. ö.) 

Bei den beiden beobachteten jüdischen Kindern entstand im 8. bezw. 
11. Jahre nach vorheriger ungestörter körperlicher und psychischer Ent¬ 
wicklung ein schleichendes Leiden, dessen Hauptzug in einem sich generali¬ 
sierenden Muskelspasmus von ziehendem und drehendem Charakter und alter¬ 
nierender Lokalisation bestand, und welches deutlich progredient war. Bei 
beiden Kranken bestand in der Anamnese ein Unterschenkeltrauma, bei 
beiden begann das Leiden nur in einem Fuß und äußerte sich zunächst 
in einer Gangstörung mit baldigem Hervortreten der Hypertonie und der 
spasmodischen Komponente. Allmählich breitete sich das Leiden über die 
oberen Extremitäten und den Rumpf sowie die Halsmuskeln aus. während 
das Gesicht auch nach jahrelangem Bestehen verschont blieb. Der Spas¬ 
mus bot einen ziehenden, drehenden Charakter, wodurch ein ganz bizarres, 
absonderliches Verhalten der einzelnen Körperteile entsteht. Dem Patien¬ 
ten gelingt es nicht, den Spasmus niederzukämpfen, die Bewegungen be¬ 
einträchtigen allmählich auch alle willkürlichen Akte. Eine Verminderung 
der groben Kraft, eine Differenz zwischen den beiden Körperhälften oder 
eine Atrophie war ebenso wenig nachweisbar wie eine Sensibilitätsstörung. 
Die Gehirnnerven blieben frei. Im Schlaf schwanden die spasmodischen 
Bewegungen. Die Psyche blieb dauernd ungestört und war eine durchaus 
hohe. Der Name „tonische Torsionsneurose“ (Ziehen) verdient Ablehnung, 
weil es sich doch wohl um ein anatomisch bedingtes Leiden, wenn auch 
mit noch unbekanntem Sitz handelt. Der Name „Dysbasia lordotica progr. 
und Dystonia muscul. deformans“ (Oppenheim) trifft insofern nicht zu, 
als die oberen Extremitäten ebenso wie die unteren betroffen waren und 


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Referate und Besprechungen. 


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die Dysbasie nicht das Hauptsymptom darstellte. Instruktive Abbildungen 
und zwei ausführliche Krankengeschichten. Zweig-Dalldorf. 

Fitch, Czeney (San Francisco), Leukemia in childhood. (The american 
journal of the medical sciencea 1912/1.) 

An der Hand 3'letaler Fälle zwischen 4 und 7 Jahren ventiliert Verfasser 
zunächst die noch dunkle Ätiologie und die ebenso umstrittene Pathologie 
(Lymphdrüsen, Milz oder Knochenmark oder alle dreie?). Glücklicherweise 
sind die Fälle bei Kindern sehr selten, denn bei positiver Diagnose ist 
jede Therapie machtlos, der Fall hoffnungslos. v. Schnizer-Höxter. 

Breitung, Max, Der Säuglingsschutz in seiner Bedeutung für „das volks¬ 
organische Massiv“. (Polit. anthropolog. Revue. 1912, X. 10.) 

Der Säuglingsschutz verlangt nicht nur charitativ, philantrophisch, 
hygienisch gemessen zu werden, sondern er verlangt den ganz großen 
weiten Blick der Volkswohlfahrt, der Volksgröße, der Volksmacht. Der 
Säuglingsschutz ist die sparsame ökonomische Verwaltung der Zinsen des 
Kapitals, das wir in einem Volke als in einem politischen Ganzen erkennen. 
Der erste Stein, mit dessen Heftigkeit Wohl und Wehe steht und fällt, ist 
der, den Br. das volksorganische Massiv nennt, das ist die erbmäßig-rassische 
völkische Einheit. Wenn wir aber dieses festigen wollen, so müssen wir 
beim Säugling anfangen. Die volksorganische Ökonomie muß auf der 
völkischen Biologie aufgebaut werden. Diese beruht im wesentlichen auf 
der Blutauslese. Wer diesen rassenbiologischen Hebel mit Erfolg ansetzt, 
der hat in der Völkerauslese gewonnen. S. Leo. 

Langstein, L. und Hoerder, Erich (Berlin), Kranke Kinder bei Ernährung 
mit Frauenmilch. (Therap. Monatsh., Dezember 1911.) 

Wir sehen, daß die Abheilung einer akuten Störung einer Nahrung 
zukommt, der Frauenmilch, die in hoher Konzentration jene Stoffe enthält, 
die in der Pathogenese der Ernährungsstörungen eine bedeutende Rolle spielen, 
Fett und Zucker. Die heilende Wirkung der Frauenmilch ist ein deutlicher 
Hinweis auf die große Bedeutung, die der Korrelation zukommt, in der Nähr¬ 
stoffe und Salze einer Nahrung zueinander stehen. In dem Milieu der salz¬ 
armen Frauenmilchmolke enthalten Fett und Zucker keine oder nur so geringe 
schädigende Wirkung, daß die Schutzkräfte auch des kranken Organismus 
sie paralysieren können. Die Bedeutung der Korrelation für die Bekömm¬ 
lichkeit bezw. Schädlichkeit einer Nährmischung wird immer klarer. Beruhen 
doch auch die Vorteile der Finkeistein -Meyerschen Eiweißmilch nicht 
in letzter Linie auf der Korrelation, in der Eiweiß, Fett und Kalk in dieser 
Nahrung zueinander stehen. Die günstige Wirkung des Allaitment mixte 
von Frauenmilch und Buttermilch dürfte ebenfalls mit den Korrelations- 
Verhältnissen Zusammenhängen. Aber nicht in allen Fällen gleicht eine heil¬ 
same Wirkung der Frauenmilchmolke die schädigende Wirkung von Fett und 
Zucker aus. S a 1 g e lehrte uns, daß die günstige Wirkung der Frauenmilch 
sich durch Eliminierung des Fetts erhöhen läßt. Leider läßt sich die Ent¬ 
fettung der Frauenmilch im Privathause schwer durchführen, denn dazu 
gehören große Mengen abgespritzter Frauenmilch, wie sie nur in einem 
Mütterheini zur Verfügung stehen. Man beachte daher, daß diejenigen 
Frauenmilchmengen, die sich bei dem Saugakt des Kindes zuerst aus der 
Brust entleeren, sehr fettarm sind und daher zunächst für die Ernährung 
schwerkranker Säuglinge in Betracht kommen. Sicherlich wird auch die 
Verminderung des Zuckers in der Frauenmilch ihre heilende Wirkung wei¬ 
ter verstärken. Was die Frage in bezug auf die Beziehung zu dem Ansatz 
und dem Wachstum betrifft, bedenke man, daß Frauenmilch eine sehr eiweiß- 
und aschenarme Nahrung darstellt, sie ist daher bei atrophischen Kindern 
zu scharf. S. Leo. 

Haskovec, Ladisl. (Prag), Das nervöse und geisteskranke Kind in der 
Schule. (Mediz. Blätter 1911, Nr. 19.) 

Von Geisteskrankheiten trifft man in der Schule am häufigsten die¬ 
jenigen an, welche aus unvollkommener Entwicklung und erblichen Einflüssen 
entspringen. Es sind dies zumeist die verschiedenen Stufen von Degenerations- 


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315 


zuständen, Schwachsinn bis Idiotie. Dabei unterscheidet man zwei Abarten: 
a) stumpfe, b) lebhafte Schwachsinnige. Der stumpfe Schwachsinnige küm¬ 
mert sich wenig um die Umgebung, perzipiert wenig, ist Neuerungen gegen¬ 
über teilnahmslos und hat ein schlechtes Gedächtnis. Oft ist er faul, leidet 
an Sprechstörungen, lacht ohne Grund; er ist ein Egoist. Solche Kranke 
werden nicht selten als Kinder und auch später für Übertretungen gestraft, 
weil sie als Kranke nicht anerkannt werden. Die krankhaft Lebhaften wie¬ 
derum können nicht ruhig sitzen, nichts entgeht ihm, alles beginnt er, nichts 
vollendet er. Seine Aufmerksamkeit ist nach allen Richtungen hin zer¬ 
splittert; in seinen Anschauungen schwankt er zwischen lauter Halbheiten, 
Unfertigkeiten und versinkt in Illusionen und Abenteuer, wobei er sich 
eine eigene Logik zurechtlegt. Er lügt unbewußt und bewußt, ist krankhaft 
reizbar, gefühlvoll und erregbar. Er kann recht bedeutende Kenntnisse auf¬ 
weisen, aber nur halbe, wobei sein Gedächtnis sehr gut sein kann. Von 
einem Studium übergeht er zum anderen, wechselt häufig seine Beschäftigung 
und endet, wenn keine schützende Hand über ihm waltet, oft im Kerker 
und Zuchthaus oder als Bettler und Landstreicher. Von solchen Kranken 
bis zu völlig Gesunden gibt es verschiedene Übergänge. Eine Abart des 
Schwachsinns ist die Moral insanity. Diese Kranken zeigen kein Gefühl und 
Rücksicht gegen die Mitmenschen. An diesem Gefühlsdefekt zerschellen 
alle Erziehungsversuche. — Die moderne Psychiatrie rechnet sich es zum 
Verdienste an, gelehrt zu haben, das Treiben der Degenerierten vorurteils¬ 
los zu betrachten. Es muß erwogen werden, wie weit das Individuum degene¬ 
riert war, wie tief seine psychischen Störungen reichen, wie seine Erziehung 
war, in welcher Gesellschaft es gelebt hat, welcher Art die Familienverhält¬ 
nisse waren. Die Erziehung von lebhaften Schwachsinnigen ist am besten 
in Anstalten vorzunehmen. Kranke leichteren Grades, welche an Gesunde 
grenzen, können ganz gut in der Familie gepflegt werden und die gemein¬ 
same Schule besuchen. Doch auch da müssen Eltern und Lehrer den Charak¬ 
ter des Kindes studieren, seine Gefühlsseite, den Grad seiner Aufnahms¬ 
fähigkeit und Reizbarkeit und darnach die Richtung der Erziehung und des 
Unterrichtes bestimmen. Aus dem Gesagten erhellt die Notwendigkeit der 
psychologischen und psychopathologischen Analyse der Kinder schon in der 
Schule. S. Leo. 


Psychiatrie und Neurologie. 

R£v6sz, B61a (Nagy-Szeben [Hermannstadt, Ungarn]), Die rassen psychia¬ 
trischen Erfahrungen und Ihre Lehren. (Arch. f. Schiffs- und Tropenhygiene, 
Bd. 15, Beiheft 6. Barth, Leipzig, 1911.) 

Die außerordentlich fleißige und inhaltreiche Arbeit enthält zunächst 
eine Zusammenstellung unserer gesamten, z. T. an sehr schwer zugänglichen 
Stellen zerstreuten Erfahrungen über die auf der ganzen Erde beobachteten 
geistigen Störungen und ihrer Ursachen (Anlage, klimatische und soziale 
Verhältnisse, infektiöse und intoxikatorische Momente). Wenn sich das reiche 
Material auch zu großen einheitlichen Ergebnissen über die Ätiologie der 
geistigen Störungen überhaupt und die Wichtigkeit einzelner Komponenten 
oder deren Zusammenwirken resp. deren Antagonismus noch nicht recht 
zusammenfassen läßt, so vermag man doch schon hier und da den heuristi¬ 
schen Wert derartiger rassenpsychiatrischer Studien zu erkennen. So wird 
z. B. die tellurische Ätiologie des Kretinismus unzweifelhaft durch die Er¬ 
kenntnis bewiesen, daß überall der Kropf auftritt, wo bestimmte Gesteins¬ 
formationen nachweisbar sind, sei es in der Schweiz, sei es in den geologisch 
ähnlichen Teilen Amerikas. Der Vergleich zwischen der Häufigkeit der 
Syphilis und ihrem Verlauf einerseits und der prozentualen Erkrankungs¬ 
ziffer an metasyphilitischen Leiden andrerseits lehrt, daß offenbar neben 
der Validität des Nervensystems noch klimatische, eine schnelle Ausschei¬ 
dung des Syphilisgiftes bedingende Einflüsse eine Rolle spielen. Interessant 
und in ähnlicher Weise zu erklären ist auch die große Toleranz gegen hohe 
Alkoholmengen bei den Eingeborenen der warmen Gegenden und weiter- 


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Referate und Besprechungen. 


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hin die verschiedene Wirkung je nach der Reinheit des genossenen Alko¬ 
hols. Große psychische Epidemien, schwere Zustände neurasthenischer 
Zwangsideen oder hysterischer Erkrankungen selbst bei Kindern, die man 
vielfach auf die degenerativen Einflüsse der modernen Kultur zurückführt, 
kommen im Kaukasus, in Celebes usw. vor. Auch die konträre Sexualemp¬ 
findung ist nicht mit der Zivilisation in Zusammenhang zu bringen, denn 
man hat in Java für solche Individuen sogar eine besondere Bezeichnung. 

Diese kurzen Andeutungen werden die 194 Seiten lange Arbeit genügend 
als eine äußerst lesenswerte erkennen lassen. Zweig-Dalldorf. 

Rüdln, E. (München). Einige Wege und Ziele der Familienforschung mit 
Rücksicht auf die Psychiatrie. (Ztschr. f. Psych. u. Neur., Bd. 7.) 

Auf die hinsichtlich des Textes und der Literatur außerordentlich aus¬ 
führliche, über die neuerdings sehr in den Vordergrund tretende Ver¬ 
erbungswissenschaft gut (viele Figuren) orientierende Arbeit sei nachdrück- 
lichst hingewiesen. Zweig-Dalldorf. 

Näckc, P. (Hubertusburg), Alkohol und Homosexualität- (Ztschr. f. Psych. 
u. Neur., Bd. 7. 

Der Alkohol vermag echte Homosexualität bei nicht dazu Disponierten 
nicht zu erzeugen, dagegen bei gegebener Disposition eine Inversion zu 
wecken, z. T. infolge des Wegfalls der Hemmungsvorstellungen. Auch sonst 
besteht kein Unterschied hinsichtlich der Alkoholwirkung zwischen Urnin¬ 
gen und Heterosexuellen. Abstinenzler scheinen unter denselben häufiger 
zu sein als unter den Normalen. Zweig-Dalldorf. 

Scholz, L. (Kosten, Pos.), Anomale Kinder. (Berlin 1912. Verl. Karger. 
442 S. Preis 10 M.) 

In dem für gebildete, am Erziehungswerk tätige Laien geschriebenen 
aber durchaus auch für den Arzt, besonders natürlich den Kinderarzt, wichti¬ 
gen und lehrreichen Buch behandelt S. die Erkennung, Behandlung und 
ivent. Vorbeugung geistiger Anomalien, wobei auch die schwereren Grade 
bis zu den eigentlichen Psychosen und Schwachsinnszuständen gewürdigt 
werden. Ich kann das Buch sehr empfehlen. Zweig-Dalldorf. 

d’AIlonncs, Rcvault, Eine einfache Intelllgenzprüfnng. (Paris medical. 
II. Jahrg., Nr. 3, S. 76, 16. Dezember 1911.) 

In seinem Buch: L’affaiblissement intellectuel chez les dements (Paris 
1912. Alcan et Lisbonne, 288 Seiten, 5 Fr.) gibt Revault d’Allonnes 
eine einfache Methode an, um die konjugierte Aufmerksamkeit prüfen, also 
eine größere Leistung, als sie die meist üblichen Intelligenzprüfungen ver¬ 
langen. 

Man zeichnet auf einen Karton 5 Reihen ä 5 roten Quadraten, deren 
jedes 1,5 cm Seitenlange besitzt und 1,5 cm vom andern entfernt ist. Die 
vertikalen Kolonnen bezeichnet man mit A E I 0 U, die horizontalen mit 


Es entsteht mithin 

solch 

ein Tableau: 




A 

E 

I 

0 

u 

1 

□ 

□ 

□ 

□ 

□ 

2 

□ 

□ 

□ 

□ 

□ 

3 

□ 

□ 

□ 

□ 

□ 

4 

□ 

□ 

□ 

□ 

□ 

5 

□ 

□ 

□ 

□ 

□ 


Man fordert nun den zu Untersuchenden auf, einige Quadrate zu suchen, 
z. B. U 4, I 5, 0 3 usw. Der Normale braucht dazu etwas weniger als 
1 Sekunde. Je nach der Größe des Defektes verlängert sich die Suchzeit bis 
auf 3, 4 und 5 Sekunden. Buttersack-Berlin. 


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Referate und Besprechungen. 


317 


Juschtschenko, A. J., Untersuchung der fermentativen Prozesse bei Geistes¬ 
kranken. (Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 8, H. 2.) 

Die komplizierten biochemischen Untersuchungen der immunisatorischen 
und fermentativen Prozesse im Serum — ein Studium, von dem J. hinsicht¬ 
lich der Geisteskrankheiten in diagnostischer und therapeutischer Richtung 
sich große Fortschritte verspricht — geben für die Manisch-Depressiven 
Resultate, welche sich denen bei Gesunden nähern, von denen an dem. 
präc. Erkrankten aber sich deutlich unterscheiden. Die letztere Erkrankung 
weist andrerseits eher Ähnlichkeiten zur progr. Paralyse auf. Genaueres über 
die Methoden und die Resultate muß im Original nachgelesen werden, in 
welchem auch die bisherige Literatur zusammengestellt ist. 

Zweig-Dalldorf. 

Braun, H., Prof. (Zwickau), Über die Behandlung von Neuralgien des 
2. u. 3. Trigeminusasteg mit Alkoholinjektionen. (Deutsche med. Wochenschr. 
1911, Nr. 61.) 

Braun rühmt das Schlössersche Verfahren der Bekämpfung der Neur¬ 
algien des 2. und 3. Trigeminusastes, dessen Neuheit darin besteht, daß 
konzentrierter Alkohol unmittelbar an das foramen rotundum und ovale 
injiziert wird. Um ersteres zu erreichen, sticht man am unteren Rande 

des Jochbeins dicht unter dessen unterem Winkel ein und tastet sich mit 

der Nadelspitze unter Fühlung mit dem tuber maxillae bis zum Eindringen 
in die fossa pterigo-palatina. In diesem Moment wird der Patient in die 
oberen Zähne ausstrahlende Parästhesien angeben. Zur Auffindung des f. 
ovale sticht B. in der Mitte des Jochbeins an dessen unterem Rande vor 
dem Kiefergelenk ein und kommt, wenn man dies in genau querer Richtung 
getan hat, in einer Tiefe von etwa 5 cm auf Knochen, der den Ansatz 

des proz. pterygoideus darstellt. Da man sich hier unmittelbar vor dem 
f. ovale befindet, geht man mit der Nadel etwas zurück und sticht sie in 
einem kleinen Winkel mehr nach hinten bis zur gleichen Tiefe ein. Die 

Hautstellen müssen vorher anästhetisch gemacht werden. B. injiziert 2 ccm 
96 Onigen Alkohol. Um die nach der Injektion auftretenden heftigen Schmer¬ 
zen zu vermeiden, bringt er die Nadel erst an die richtige Stelle und inji¬ 
ziert vor dem Alkohol einige ccm 2 o/oige Novokain-Suprareninlösung. Zum 
Schluß berichtet er über 3 auf diese Weise behandelte Fälle, deren Erfolg 
ihn die Ausführung peripherischer Operationen bei diesen Neuralgien über¬ 
flüssig erscheinen lassen. F. Walther. 


Hautkrankheiten und Syphilis, Krankheiten der Harn- und 

Geschlechtsorgane. 

Dreuw, Polizeiarzt (Berlin), Kann Salvarsan das Hg ersetzen? (Reiche- 
Medizinal - Anzeiger 1911, Nr. 26—26.) 

Auf Grund seiner Erfahrung und des Studiums der Literatur kommt 
Verfasser zu der Anschauung, daß die Hg-Behandlung als Allgemeinbehand¬ 
lung noch immer die Behandlung der Zukunft ist. Salvarsan kommt nur 
in den seltenen Fällen in Betracht, in denen Hg und S nicht gegeben werden 
darf oder versagt, vorausgesetzt, daß in Zukunft die neurotrope Wirkung 
keine Kontraindikation bilden wird. Verfasser stellt außerdem noch folgende 
Leitsätze auf: 

1. Die intramuskuläre und subkutane Injektion ist verwerflich und darf 
in Anbetracht der schrecklichen Neurosen von einem gewissenhaften Arzte 
nicht verwandt werden. 

2. Die kombinierte Behandlung (Salvarsan und Hg) verschleiert und 
verhindert angesichts der schweren Rezidive, die auch bei dieser Behandlung 
sich zeigen, jeden klaren Einblick bei der Beurteilung der Dauerwirkung 
des Salvarsans. 

3. Salvarsan ist bei der Prostituiertenbehandlung kein Vorteil, vielmehr 
eine große Gefahr, weil es nur die Symptome verdeckt und sich keineswegs 
mit der Hg heilung messen kann. 

4. Die Rezidive sind nach Salvarsan in vielen Fällen unverhältnismäßig 

schwere und geradezu charakteristisch. v. Schnizer-Höxter. 


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Referate und Besprechungen. 


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Arzt, L. und Kerl, W., Zur Kritik der Ansichten Uber die .Entstehung 
des Salvarsanfiebers. (Wien. klin. Woch. 1911, Nr. iS.) 

Von den verschiedenen Ansichten über die Entstehung des Salvarsan- 
fiebcrs schien die von Wechselmann aufgestellte Hypothese, welche die 
Verunreinigung der Kochsalzlösung durch Saprophyten oder Bakterienpro¬ 
teint als Urscahe beschuldigte, vieles für eich zu haben. Arzt und Kerl 
unterzogen sie einer Nachprüfung, indem sie mit Salvarsan injizierte Patien¬ 
ten nach einiger Zeit mit der gleichen Menge der gleichen Kochsalzlösung, 
die für die Salvarsanlösung verwendet worden war, reinjizierten. Die Nach¬ 
prüfung fiel jedoch nicht zu Gunsten der Ansicht Wecliselmanns aus, und 
die Verfasser halten sie — wenigstens für die Verhältnisse der Ri eh Ischen 
Klinik nicht für stichhaltig. Eis muß demnach, da die geringe Menge der 
Kochsalzlösung nicht als Erreger des Fiebers angesehen werden kann, ent¬ 
weder im Salvarsan oder in individuellen Verhältnissen des Injizierten die 
Ursache für die fieberhafte Reaktion erblickt werden. M. Kaufmann. 

Cary, W. (Brooklyn), Die konservative Behandlung der weiblichen Gonor¬ 
rhöe. (American Journal of Surgery 1911/12.) 

Cary ist der Ansicht, daß die weibliche Gonorrhöe im akuten Stadium 
durch aktive Behandlung selten abgekürzt, aber oft verschlimmert wird, 
und daß der eigentliche Vorteil der Vaccinebehandlung darin liegt, daß 
sie von örtlicher Behandlung abhält. Bettruhe ist die ideale Behandlung, 
wo sie nicht durchführbar ist; muß wenigstens die körperliche Bewegung 
eingeschränkt werden. Ausspülungen sollen im akuten Stadium vermieden, 
vielmehr nur die Vulva zweimal täglich gereinigt werden; bei dieser Be¬ 
handlung tritt weniger oft Infektion der Drüsen und der Zervix ein als 
bei aktiver Behandlung. Die Zervix soll überhaupt nur in chronischen Fällen 
behandelt werden. 

Auch bei den chronisch gewordenen Fällen wird gewöhnlich die Fähig¬ 
keit spontaner Herstellung unterschätzt, selbst Tubeneiterungen und ab¬ 
gesackte Abszesse gonorrhoischen Ursprungs endigen nicht selten ohne aktive 
Behandlung in vollständige Heilung. Natürlich sind eingreifende Opera¬ 
tionen, besonders wenn es sich um rasche Herstellung der Arbeitsfähig¬ 
keit handelt, nicht immer zu vermeiden. EY. von den Velden. 


Medikamentöse Therapie. 

Hauser (Karlsruhe), Jothlonbehandlung tuberkulöser Gelenkentzündungen. 

(Med. Klinik 1911, Nr. 26.) 

Das wichtigste Moment für die konservative Behandlung der Gelenk¬ 
tuberkulose ist die Ruhigstellung des befallenen Gelenkes. Sehr wirksam 
wird die Behandlung unterstützt durch Anwendung von 10 ° 0 iger Jothion- 
salbenbehandlung, die täglich ausgeführt wird. Die Jothionsalben werden 
stets gut vertragen, ein zweifelloser Erfolg aber nur dann beobachtet, 
wenn die Knochen des erkrankten Gelenkes noch nicht ergriffen waren. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Logotheti, Jean (Smyrna), Jodpräparate bei Cholera. (Bullet, möd. 1911, 
Nr. 9ö, S. 1060.) 

Eäir das Jod zur äußeren Desinfektion interessiert man sich z. Z. be¬ 
kanntlich sehr. Logotheti verwendete es deshalb auch zur innerlichen 
Desinfektion bei Cholera. Nachdem er zuerst Kalium permanganat. (0,4 
bis 0,5 in 400 g Wasser gelöst; alle halbe Stunde einen großen Eßlöffel) 
gegeben hatte, um durch den frei werden Sauerstoff die Vibrionen zu be¬ 
einflussen, ging er spätrer auf Rat des Sanitätsinspektors Xanthopulides 
und des Chefarztes Montelia zu Jodtinktur über, und zwar in der Form, 
daß er täglich 40 bis 60 Tropfen verabfolgte, allstündlich die entsprechende 
Tropfenzahl in einem kleinen Tassenkopf voll Wassers. Sofort am anderen 
Tage setzte die Besserung ein. Resultat: 34 Heilungen von 42 Kranken. 
Mit der Kaliumpermanganattherapie hatte er 48 (von wie vielen?) geheilt- 

Buttersack-Berlin. 



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31» 


Bü lierschnu. 

Baedeker, Rheopurgln. (Allg. med. Centralzeitung 1911 50.) 

Chronisch Obstipierte haben ein wenig widerstandsfähiges Magen-Darm- 
system, das keine darmreizende, wohl aber eine darmfüllende (vegetarische) 
Kost verträgt, wie sie aber meist nur in .Sanatorien möglich ist. Ein 
ideales Stomachikum ist nun Rhabarber, der aber in höheren Dosen 
als Abführmittel durch seinen Gehalt an Chrysophansäure wieder schäd¬ 
lich wirkt. Deshalb glückliche Vereinigung mit Phenolphtalein unter dem 
Namen Rhcopurgin zu einem nach den Erfahrungen geradezu idealen Ab- 
lührmittcl: abends 1—2 Tabletten ermöglichen am andern Morgen einen 
ausgiebigen Stuhl. Keine Gewöhnung, sofortiges Aussetzen der häufig bei 
chronisch Obstipierten beobachteten nervösen Zerschlagenheit. 

v. Schnizer-Höxter. 

Hofstätter, R. (Wien), Pituitrin als Blasontonikum. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift, 1911 Nr. 49.) 

Nach den Erfahrungen Hofstätters bewirkt die Injektion von 1 ccm 
Pituitrin in Fällen von postpartaler und postoperativer Harnblasenatonie 
binnen wenigen bis 40 Minuten in gut */* aller Fälle das Auftreten von 
Harndrang und führt zur spontanen Entleerung von Urin; in keinem Falle 
kam es erneut zu Harnverhaltung. Die Darreichung ist unschädlich und 
macht in. zahlreichen Fällen den Katheter unnötig; per os ist das Mittel un¬ 
wirksam, Seine Wirkung betrifft in erster Linie die Muskeln und motorischen 
Nerven der Blase; außerdem erzeugt es Polyurie. Auch bei Ischuria para- 
doxa und manchen Fällen von Enuresis nocturna sieht man von Pituitrin 
gute Erfolge. M. Kaufmann. 

Roch, M. (Genf), Wirkung und Anwendungswelse des Theocins. (Lee nouv. 
remedes 1912, S. 1.) 

T h e o c i n, ein Isomeres des Theobromins, ist unter der wissenschaft¬ 
lichen Bezeichnung Theophyllin ins Deutsche Arzneibuch aufgenommen; 
es ist in Wasser genügend leicht löslich, daß es als solches angewendet 
werden kann. Maximaldosen 0,5 g! und 1,5g! Roch stellt für die Anwen¬ 
dung bei nicht kompensierten Herzfehlern usw. folgende 4 Forderungen 
auf: Nicht zu viel (nicht mehr als 1 g pro Tag), nicht zu wenig 
(nicht weniger als 0,5 g pro Tag), nicht zu lange (nicht länger als drei 
Tage, da dann die diuretische Wirkung abklingt) und nicht zu oft (in 
Zeiträumen von mindestens 14 Tagen). E. Rost-Berlin. 

Takeda, S. (Kyoto). Untersuchungen über das Bromtiral, in bezug auf seine 
Verkeilung und Zersetzung im tierischen Organismus. (Arch. internat. de 
pharmacod. et de th£rap. 1911, Bd. 21, S. 203.) 

Das Bromural, der x-Monobromisovalerianylharnstoff, wirkt nach den 
bisherigen Untersuchungen weder infolge seines Brom- noch seines Valerian- 
säuregehalts, sondern als ganzes Molekül. Verfasser fand, daß Kaninchen, 
wenn sie die gewünschte hypnotische Wirkung zeigten, im Gehirn 
(etwa 10 g) 0,008 g Bromural, wenn sie der Wirkung erlagen, 0,022 g 
Bromural enthielten. Das Kaninchenhirn besitzt nur eine schwach zerstörende 
Wirkung gegenüber dem Bromural, dagegen ist die Leber befähigt, das 
Bromural zu zersetzen, womit einerseits die langdauernde hypnotische Wir¬ 
kung, andererseits die relative Harmlosigkeit des Mittels in Beziehung ge¬ 
bracht werden dürfte. E. Rost-Berlin. 


Bücherschau. 


Rclnke, J. (Kiel), Einleitung in die theoretische Biologie. 2. Auflage. 
575 Seiten. Berlin 1911. Verlag von Gebrüder Paetel. 

Wir sind Arzte geworden, um unsern Mitmenschen zu helfen, und haben 
dazu mit Eifer die Naturwissenschaften studiert, weil wir in einer Zeit 
lebten und noch leben, in welcher eine materialistische Weltanschauung 
die Gemüter beherrscht. In der Praxis trat uns dann der Mensch nicht 
bloß als ein sich bewegender Kadaver gegenüber, sondern als ein immer 
wieder verschiedenes und in sich veränderliches Gebilde, und nun begann 
ganz leise eine Trennung der Interessen: die einen, sozusagen im Präparier- 


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380 


Bücherschau. 


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saal Wurzelnden und den Ideen von Morgagni-Virchow Huldigen¬ 
den entwickelten sich zu mehr oder minder renommierten Spezialisten, mit 
einer segensreichen Tätigkeit an den einzelnen Organen bezw. Systemen. 

Für die anderen trat die Heilung bezw. Reparatur eines Lokalleidens 
in den Hintergrund. Sie überließen den Blinddarm den Chirurgen und den 
Warzenfortsatz den Otologen, und wurden ihrerseits mehr von den allgemeinen 
Fragen des Lebens gelockt. Begnügen sich jene mit der Tatsache, daß die 
kleine Maschine der Zelle, die größere des Organs und die große des Ge¬ 
samtorganismus arbeitet, so wollen diese wissen, warum und \v i e solche 
Arbeitsleistungen zustande kommen. Auf diese Weise tritt den medecins- 
guerisseurs von Landouzy eine andere Gruppe, man könnte sie: medecins- 
philosophes nennen, gegenüber. Es ist ganz selbstverständlich, daß sich 
deren Horizont anders gestaltet. An die Stelle modernster Operations¬ 
methoden und neuester Arzneimittel treten Betrachtungen über das Leben, 
wie es uns in der einzelnen Pflanze, im Tier und 'im Manschen, in den Fami¬ 
lienbäumen und in den Schicksalen der Völker begegnet, alles Dinge, die 
sich dem Messer, dem Mikroskop und dem Reagenzglas entziehen, mithin 
jenseits der sinnlichen Wahrnehmung liegen. 

Zum Glück ist die Grenze zwischen den genannten Arten von For¬ 
schern nicht scharf. Wohl die meisten haben sich in den Falten ihres Herezns 
ein mehr oder minder großes Quantum von Interesse auch für den anderen 
Zweig bewahrt. Und so wird das Buch von Reinke vielen genußreiche 
Stunden bereiten. Es behandelt die Probleme und Gesichtspunkte allgemein- 
.biologischer Betrachtungsweise, die in den Organismen wirksamen Kräfte 
und Gesetze, die Biologie der Zellen und der Arten. Je nach den persön¬ 
lichen Erfahrungen wird der eine oder andere da und dort abweichende Mei¬ 
nungen haben; aber das tut nichts. Auf alle Fälle wird der Leser mit 
R. V i r c h o w wiedererkennen, daß das sog. naturwissenschaftliche Denken 
seine Grenze hat und nicht ausreicht, das Weltganze zu erklären, und 
er wird mit Jak. Berzelius die Weisheit bewundern, die über unsere 
Fassungskraft hinausliegt. Buttersack-Berlin. 

Luciani, Luigl (Rom), Physiologie des Menschen. (Ins Deutsche übertragen 
und bearbeitet von Silvestro Baglioni, Rom, und Hans Winterstein, Rostook. 
4 Bände mit zahlr. Abbildungen 56 Mk. Jena, Verlag Gustav Fischer.) 

Das hervorragende Werk, auf das wir bereits einigemal hingewiesen 
haben, liegt nunmehr vollendet vor. Der als Forscher berühmte Verfasser 
hat damit bewiesen, daß er auch als Lehrer seinesgleichen sucht. Der 
erste Eindruck, den man bei der Lektüre gewinnt, ist der des Staunens, 
daß ein einzelner Mensch überhaupt ein so riesiges Material beherrschen 
kann; und bei eingehenderem Studium gesellt sich dazu die Freude über 
die meisterhafte und formvollendete Darstellung. Das Buch liest sich in 
der Tat wie ein Roman, in dem Sinne, daß es fesselnd von Anfang bis zu 
Ende ist, so daß man es gar nicht aus der Hand legen möchte. Vielesl 
ist darin enthalten, was man in den landläufigen Lehrbüchern der Physio¬ 
logie nicht, oder nur kurz angedeutet findet, was aber sehr wohl dazu 
gehört, wie z. B. die Kapitel über die inneren Sinne der Organe, Wärme¬ 
haushalt der Organismen, Theorie der Ernährung, Lebensalter und Tod, 
die menschlichen Rassen usw. Auf jeder Seite tritt die kritische Durcharbei¬ 
tung des gewaltigen Stoffes hervor, die dem Leser eine Fülle wertvoller 
Anregungen gibt. Überall zeigt sich der Verfasser als klar und philo¬ 
sophisch denkender Kopf, der aus dem spröden Stoffe ein lebendiges Werk 
geschaffen hat, das unsres Erachtens vor allem dem praktischen Arzte 
nicht warm genug empfohlen werden kann. Die Übersetzung ist meisterhaft; 
hierfür, sowie für die Zusätze, die der Fortschritt der Wissenschaft und 
die speziellen Bedürfnisse der deutschen Leser verlangten, gebührt den 
Herren Baglioni und Winterstein uneingeschränktes Lob. Auch die pracht¬ 
volle Ausstattung verdient rühmend hervorgehoben zu werden. Der Verlag 
von Gustav Fischer hat mit der Herausgabe dieses Werkes wieder einmal 
gezeigt, daß er auch ohne Rücksicht auf große materielle Erfolge stets 
bereit ist, den Interessen der Ärzteschaft zu dienen. W. Guttmann. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza« 



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1912 


30- Jahrgang 


Tortscbritte der Ifledizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hernungegeben von 

Prof. Dr. 0. Köster Prio.«Doz. Dr. o. Stiegern Prof. Dr. ß. Pogf 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 


11 . 


Ersdieint w8d>enUld> jum preice von 8 0)arl< für Oos 
Balbjabr. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 14. März. 

Alleinige Ineerotenonnabme Ourdj (Dar Oelsöorf, 

Annoncen-Bureau. Eberswalbe bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 



Zur Frage der ambulanten Tuberkulinbehandlung. 

Von Dr. E. Sobotta, Schmiedeberg i. R. 

Seit Jahren wird in Zeitschriften, Lehrbüchern, Vorträgen auf 
Kongressen die Notwendigkeit betont, das Tuberkulin zum Allgemein¬ 
gut der praktischen Aerzte zu machen. Es wird auf die Möglichkeit 
hingewiesen, die Tuberkulösen, anstatt sie langwierige und kostspielige 
Kuren in Heilanstalten machen zu lassen, ohne Aufenthaltswechsel 
und ohne Berufsstörung ambulant mit Tuberkulin zu behandeln und 
durch diese Behandlung eben so sicher oder noch sicherer der Heilung 
zuzuführen, als es durch die Anstaltsbehandlung geschieht. Zwar 
geben einzelne Verfechter der ambulanten Tuberkulinbehandlung (B a n- 
d e 1 i e r) noch zu, dass die Vereinigung von Anstaltsbehandlung und 
Tuberkulinkur das Erstrebenswerte sei und am meisten leiste — aber 
andere verwerfen die Anstaltsbehandlung vollständig und erwarten 
alles von der in Etappen durchzuführenden Tuberkulinkur. Es ist 
schwer zu verstehen, wie diese die Anstaltsbehandlung verwerfenden 
Autoren sich mit der Tatsache abfinden wollen, dass doch Jahrzehnte 
lang, vor Beginn der Tuberkulinbehandlung. hervorragende Erfolge 
in Lungenheilanstalten erzielt worden sind; Erfolge ohne Zuhilfenahme 
spezifischer Mittel, Erfolge, die einen weiteren Ausbau des Heilstätten¬ 
wesens begründeten. Und es ist schwer zu verstehen, dass Bandelier (1.) 
die ernsten Einwendungen erfahrener Lungenärzte gegen die Verall¬ 
gemeinerung der Tuberkulintherapie und deren ambulante Durch¬ 
führung mit der abfälligen Bemerkung abzutun versucht, dass gewissf 
Autoren „bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit“ „ihre 
geringen Kenntnisse der spezifischen Therapie beinahe mit denselben 
Worten immer wieder Vorbringen“. Eine Widerlegung derartiger 
Einwände in sachlicher Weise würde zur Klärung der Frage doch wohl 
mehr beitragen als solche stark persönlichen Bemerkungen. 

Es wird wohl heute von den meisten Tuberkulose-Aerzten zuge¬ 
standen, dass das Tuberkulin bei der Behandlung der Tuberkulose, 
namentlich auch der Lungentuberkulose, in vielen Fällen gute, ja her¬ 
vorragende Dienste leistet, namentlich wenn die Tuberkulinbehandlung 
mit der Anstaltskur verbunden werden kann. Aber, abgesehen von 
Tuberkulinschädigungen, die von verschiedenen Seiten noch immer 

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Sobotta, 


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angeführt werden, lässt uns doch bisweilen das Tuberkulin im Stich, 
indem es uns trotz rationeller Anwendung nicht weiter bringt, als die 
sonstigen Behandlungsmethoden. Ein solches Ausbleiben des Erfolges 
— ich will den Ausdruck Misserfolg absichtlich vermeiden — tritt 
nun aber so oft in Erscheinung, dass man das Tuberkulin wohl nicht 
als ein Spezifikum im eigentlichen Sinne ansprechen kann; 
wenigstens dürfte von den zahlreichen bisher dargestellten Tuberkulinen 
keines darauf Anspruch machen können, als Spezifikum zu gelten. 
Vielleicht wird uns in Zukunft einmal das Tuberkulin gegeben, von dem 
wir rückhaltlos behaupten können: das ist das spezifische Heilmittel, 
das, ähnlich wie das Diphtherieheilserum bei Diphtherie, ausnahmslos 
oder doch nahezu ausnahmslos eine deutliche Einwirkung auf den 
tuberkulösen Krankheitsprozess erkennen lässt. Denn alles, w r as Ban¬ 
delier als Wirkung des Tuberkulins anführt, Abnahme von Husten 
und Auswurf, Aufhellung von Dämpfungen und Nachlassen von Rassel¬ 
geräuschen, Vertiefung der Atmung und Aufhören der Nachtschweisse 
usw. — alles das erreichte man auch jahrzehntelang vor der Kenntnis 
des Tuberkulins und erreicht man noch heute in vielen Lungenheil¬ 
anstalten auch ohne Anwendung des Tuberkulins. Und w r enn man 
auch ohne weiteres zugeben kann, dass das Tuberkulin in vielen Fällen 
den Erfolg der Anstaltsbehandlung unterstützt hat, so wird man sich 
bei unbefangener Prüfung doch kaum je eines Falles erinnern, in dem die 
Tuberkulinwirkung so zweifellos, so eklatant war, dass man sie nicht 
auch ohne Zuhilfenahme dieses Mittels durch die Heilfaktoren der 
Anstaltsbehandlung allein hätte erzielen können. 

Selbstverständlich wird man nach der Lage der Verhältnisse nicht 
erwarten können, dass eine Tuberkulindosis oder eine Reihe von 
Tuberkulinspritzen schwere tuberkulöse Veränderungen zum Schwin¬ 
den bringt — aber das wird man von einem spezifischen Mittel erwarten 
müssen, dass es sich den sonstigen Behandlungsmethoden deutlich über¬ 
legen erweist, Heilungen erheblich schneller zustande bringt, Erfolge 
wesentlich dauerhafter gestaltet. 

Auf ein solches, zweifellos spezifisch wirkendes Tuberkulin warten 
wir noch. Vielleicht vergeblich, wenn man sich die Anschauungen S a h- 
lis (2.) zu eigen macht, der die Tuberkuline nicht als „direkte Heilmittel“, 
sondern als Tuberkulosetoxine auffasst, durch die die natürlichen 
11 eilungsVorgänge des Organismus angeregt werden. 

Können wir aber das Tuberkulin nicht als ein Spezifikum im engeren 
Sinne ansehen, so erscheinen Zweifel berechtigt, ob wir die ambulante 
Tuberkuiinbehandlung als Ersatz der Heilstättenbehandlung den prak¬ 
tischen Aerzten vorschlagen sollen, zumal auch andere Gründe gegen 
eine solche Verallgemeinerung sprechen. Als solche Gründe habe ich 
anzuführen: die Schwierigkeit bei der Auswahl geeigneter Fälle; die 
Schwierigkeit genauer Beobachtung und Temperaturmessung ausserhalb 
der Heilanstalten und Krankenhäuser; die Schwierigkeit, den Kranken 
während etwa eintretender Reaktionen die erforderliche Ruhe und 
Schonung zu verschafTen; der Fortfall derjenigen Heilfaktoren, die in 
einer Heilanstalt in klimatischer und hygienischer Beziehung gegeben 
sind, und die für die Tuberkulinkur Voraussetzung sein sollten. 

Seitens der Anhänger der ambulanten Tuberkulinbehandlung setzt 
man sich über diese Bedenken leicht hinweg. Man versucht aber, noch 
auf andere Weise für eine Verbreitung der ambulanten Tuberkulin¬ 
therapie zu sorgen, indem man diejenigen Tuberkulinpräparate emp- 



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Zur Frage der ambulanten Tuberkulinbehandlung. 


323 


fiehlt, die möglichst schwache oder gar keine Allgemeinreaktion aus- 
lösen, oder, richtiger gesagt: bei denen die Allgemeinreaktion ohne 
Temperatursteigerung oder mit möglichst geringer Ternperatursteigerung 
verläuft. Weiterhin sucht man unter Benutzung dieser Präparate, 
die angeblich besser vertragen werden, möglichst hohe Tuberkulin¬ 
dosen, die Maximaldosis, zu erreichen. 

So lange sich diese Bestrebungen auf Präparate beschränkten, 
wie das Endotin, dessen Gehalt an spezifischer Substanz überhaupt 
bezweifelt wird, oder das Rosenbac h’sche Tuberkulin, von dem 
Schaefer(3.) annimmt, dass es seinen spezifischen Charakter verloren 
habe, konnte man derartige Versuche wenigstens als ungefährlich über¬ 
gehen. Anders aber steht es, wenn man nunmehr (J ochmann und 
Möllers (4.) das albumosefreie Tuberkulin und das Eisentuberkulin, 
das diesem in der Beziehung nahe kommen soll (Schellenberg (5.), 
für die ambulante Behandlung besonders empfiehlt. Davor möchte 
ich warnen und zwar aus folgenden Gründen: 

Die ambulante Behandlung bringt es mit sich, dass der Kranke 
seltener vom behandelnden Arzte gesehen wird, als der in der Anstalt 
befindliche Kranke. Diese Erschwerung der Krankenbeobachtung 
wird ja auch hauptsächlich von uns Gegnern der ambulanten Tuber¬ 
kulinbehandlung als Grund angeführt. Bei der Verwendung von Tuber¬ 
kulinen, die, wie das albumosefreie und das Eisentuberkulin, eine nur 
geringe Allgemeinreaktion hervorrufen, macht sich dieses Bedenken 
in erhöhtem Masse geltend. Wir beurteilen doch den Eintritt einer 
Reaktion nach den Veränderungen an der Einstichstelle (Stichreaktion), 
den Veränderungen am Krankheitsherde (Herdreaktion) und den Ver¬ 
änderungen im Allgemeinbefinden (Allgemeinreaktion), die sich am 
deutlichsten in der Temperatursteigerung ausdrücken. Nun ist die 
Stichreaktion, so deutlich und unverkennbar sie auch in vielen Fällen 
auftritt, doch eine nach mancher Richtung hin unsichere Erscheinung: 
wenn wir nicht eine deutliche Rötung und Schwellung an der Einstich¬ 
stelle finden, müssen wir uns ganz auf die subjektiven Angaben des 
Kranken über den Grad und die Dauer der durch die Einspritzung 
hervorgerufenen Schmerzen verlassen. Und diese Angaben werden 
gewöhnlich nicht ausreichen, um sich ein Urteil über den Eintritt oder 
das Ausbleiben einer Reaktion zu bilden. Die Herdreaktion, zweifel¬ 
los das objektive Prüfungsmerkmal für eine Reaktion, entzieht sich oft 
genug unserer Wahrnehmung in den Fällen, in denen wir kleine tief 
oder zentral gelegene Krankheitsherde anzunehmen haben. Die Herd¬ 
reaktion wird ferner mitunter als zweifelhaft gelten müssen in den¬ 
jenigen Fällen, in denen sie sich unter einfacher Steigerung der Er¬ 
scheinungen ohne örtliche Weiterausdehnung, abspielt, d. h. in den 
Fällen, in denen die Rasselgeräusche zahlreicher, lauter und deutlicher 
innerhalb derselben Grenzen auftreten, in denen man sie vor der Reaktion 
beobachtet hatte. Man wird zugeben müssen, dass selbst bei genauester 
Aufzeichnung des Befundes unter diesen Umständen die subjektive 
Auffassung Bedeutung erhält, dass man bei grösster Ehrlichkeit gegen 
sich selbst Irrtümer begehen kann. Bleibt also, in vielen Fällen wenig¬ 
stens, nur die Bewertung der Allgemeinreaktion. Hier sind wir, was 
Husten, Kopfschmerzen, Fröste und Hitzegefühl anbetrifft, wiederum 
ganz auf die Angaben des Kranken angewiesen, die in Heilanstalten 
und Krankenhäusern zwar durch die Beobachtung geschulten Personals 
ergänzt werden können. Als objektives Zeichen der Allgemeinreaktion 

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Sobotta, 


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gilt uns die durch regelmässige Messung mit einem zuverlässigen Thermo¬ 
meter nachgewiesene Temperatursteigerung, jene Erscheinung, die 
lange Zeit als das wesentliche, wenn nicht einzige Kennzeichen der 
Reaktion aufgefasst wurde. Und gerade auf dieses, für den ambulant 
behandelnden Tuberkulintherapeuten so ungemein wichtige Kennzeichen 
verzichten wir, wenn wir das albumosefreie Tuberkulin benutzen! Ich 
setze den Fall: ein Tuberkulöser wird in der Sprechstunde mit TAF 
gespritzt und erscheint nach 24 Stunden wieder mit unsicheren und 
unzuverlässigen Angaben über Schmerzen an der Stichstelle und All¬ 
gemeinleiden; Stich- und Herdreaktion sind nicht sicher nachzuweisen, 
aber auch nicht bestimmt auszuschiiessen; die Temperaturmessungen 
geben keinen Anhalt. Sie könnten aber in einem solchen Falle einen 
Anhalt bieten, wenn statt des TAF ein Tuberkulinpräparat benutzt, 
worden wäre, das erfahrungsgemäss Reaktionen mit deutlichen Tem¬ 
peratursteigerungen auslöst. Und deshalb meine ich, man sollte, wenn man 
man einmal die ambulante Tuberkulintherapie durchaus durchführen 
will, eher zu einem Tuberkulinpräparate greifen, das die Fiebererschei¬ 
nungen während der Reaktion möglichst deutlich in der Temperatur¬ 
kurve zum Ausdruck bringt und nicht gerade zu dem albumosefreien 
Tuberkulin, für das das Gegenteil zutrifft. 

Ich möchte, um Missverständnissen vorzubeugen, ausdrücklich 
erklären, dass ich die mit fieberhaften Reaktionen verbundenen Un¬ 
bequemlichkeiten gern manchen empfindlichen Kranken ersparen 
möchte, dass uns das albumosefreie Tuberkulin allerdings oft diese 
Möglichkeit schafft — aber ich halte es eben für bedenklich, bei a m- 
b u 1 a n t e r Tuberkulinbehandlung, um den Kranken vielleicht zu 
schonen, auf den Vorteil zu verzichten, den uns die Temperatursteige¬ 
rung bei der Feststellung einer Reaktion bietet. Haben wir, wie es in 
Krankenhäusern und Heilanstalten geschieht, den Kranken fortwährend 
unter Beobachtung, so können wir das albumosefreie Tuberkulin weit 
eher verwenden, weil wir da nicht so sehr auf die Ergebnisse der Tem¬ 
peraturmessung angewiesen sind. 

Das Bestreben fieberhafte Reaktionen zu vermeiden, entspringt 
wohl meist dem Bemühen, im Verlaufe einer Tuberkulinkur zu möglichst 
hohen Dosen zu gelangen, die Maximaldosis zu erreichen. Nun erscheint 
es doch aber noch fraglich, ob dieses Ziel wirklich erstrebenswert ist. 
Zweifellos kann man auf diese Weise eine bedeutende Tuberkulinimmuni¬ 
tät erreichen, die aber mit der Heilung der Tuberkulose nicht Hand 
in Hand geht: „Tuberkulinimmunität bedeutet nicht Immunität gegen 
die Tuberkelbazillen“ (Bandelier). Der Vorteil, den die Tuberkulin¬ 
festigung dem tuberkulösen Organismus bietet, besteht vielmehr nach 
Bandelier in der „Beseitigung subjektiver und objektiver toxischer 
Allgemeinsymptome;“ in schwereren Fällen sollen Erfolge nur durch 
grosse Dosen, häufig erst nach mehrfacher Wiederholung der Maximal¬ 
dosis in langdauernder Kur erreicht werden. 

Diese Beurteilung der hohen Tuberkulindosen wird bei einem 
grossen Teile der Tuberkulintherapeuten auf Widerspruch stossen. da 
man doch oft genug in der Praxis die Erfahrung macht, dass die grossen 
Dosen oder Maximaldosen den gewünschten klinischen Erfolg nicht hatten, 
während man in andern Fällen mit weit kleineren Dosen gute Ergebnisse 
erzielte. War es aus solchen Erwägungen schon von vornherein zweifel¬ 
haft, ob das Erreichen grosser Dosen und einer bedeutenden Tuberkulin¬ 
festigkeit wünschenswert und vorteilhaft wäre, so wird der Zweifel 


C tX'gle 


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Zur Frage der ambulanten TuberkulinbebBndlung. 


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noch mehr begründet, wenn man sich die Ausführungen Sahlis zu eigen 
macht, der ja das Tuberkulin nicht „schlechtweg ein Spezifikum, sondern 
ein funktionstherapeutisches Mittel“ nennt, das ähnlich wie die Digi¬ 
talis auf die Herzkraft, so auf die Giftempfindlichkeit und Abwehr¬ 
fähigkeit des Organismus wirkt. Wenn man „dem unerreichbaren 
Phantom einer wirklichen Immunisierung gegen Tuberkulose nach¬ 
strebt“, setzt man sich der Gefahr aus, durch zu hohe Dosierung „Gift- 
w i r k u n g e n“ zu bekommen, „lokale und allgemeine 
Schädigungen, denen die Gegenwirkungen des 
Organismus nicht gewachsen sin d“, herheizuführen. 
Machen wir uns aber klar, dass wir mit dem Tuberkulin nicht direkt 
die Tuberkulose heilen können, sondern „nur eine ganz bestimmte 
darniederliegende Funktion beeinflussen“, die Naturheilung unter¬ 
stützen, so ergibt sich die Notwendigkeit vorsichtigster individuali¬ 
sierender Dosierung. Sahli vergleicht die Wirkung des Tuberkulin 
mit der immunisatorischen Heilwirkung, die bei gewissen Infektions¬ 
krankheiten (Pneumonie, Erysipel) auftritt und auf der natürlichen 
Heilung durch „reaktive, im Prinzip immunisatorische Vorgänge“ 
beruht: es findet eine Bildung von Antikörpern statt, die zwar ausrei- 
rend ist, um die Krankheitserreger unschädlich zu machen, aber nicht 
zu einer dauernden Erhöhung des Antikörpersbestandes führt und so¬ 
mit eine Ueberempfindlichkeit schafft. Diese TJeberempfindlichkeit 
ist einerseits als Ursache der Rezidive anzusehen, andererseits bedingt 
sie deren milderen Verlauf. 

Geradeso wie man bei der Verordnung von Digitalis sorgfältig 
beobachten und die Dosierung abwägen muss, geradeso erfordert die 
Tuberkulinbehandlung eine sorgfältigere individualisierende Dosierung 
und ein Festlegen der „individuellen“ Maximaldosis, d. h. derjenigen 
Dosis, die eben noch ohne Störung vertragen wird. Nicht immer aber 
deckt sich die Maximaldosis mit der Optimaldosis, d. h. häufig erreicht 
man mit kleinen, unterhalb der Maximaldosis liegenden Dosen und mit 
Wiederholung dieser kleinen Dosen die besten Heilerfolge. 

Wir sehen also, dass grosse Tuberkulindosen für die Behandlung 
Tuberkulöser überhaupt nicht nötig, ja vielleicht nicht einmal zweck¬ 
mässig sind. Es liegt besonders in der ambulanten Behandlung kein 
Grund vor, hohe Dosen anzuwenden und es bis zur Maximaldosis zu 
bringen; vielmehr wird man hier eher die Optimaldosen Sahlis an¬ 
zuwenden Veranlassung haben. Fällt aber das Bestreben nach möglichst 
hohen Tuberkulindosen fort, so wird die Gefahr, dass eine zu schnelle 
Steigerung der Dosen eintritt, erheblich vermindert. Zwar wird man 
Bandelier ohne weiteres darin zustimmen können, dass starke 
Reaktionen unabhängig sind von grossen Tuberkulindosen — aber 
trotzdem wird man damit rechnen müssen, dass sich der Tuberkulin¬ 
therapeut zu einer unvorsichtigen Steigerung der Dosis eher verleiten 
lässt, wenn ihm als erstrebenswertes Endziel die B a n d e 1 i e r’sche 
Maximaldosis vor Augen schwebt, als wenn er sich dessen bewusst ist, 
dass er mit Sahlis Optimaldosen seinem Kranken den besten Dienst 
leisten kann. 

Entschliesst man sich also zur ambulanten Tuberkulinbehandlung, 
so lasse man sich nicht von dem Bestreben leiten, die Maximaldosis 
zu erreichen, sondern suche unter möglichster Vermeidung von Reak¬ 
tionen durch vorsichtige Dosierung des Mittels die Selbstheilung des 
Organismus zu unterstützen. Für die ambulante Behandlung eignet 


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Eschle, 


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sich am besten ein Präparat, das in seinen Reaktionen möglichst alle 
Kennzeichen einer solchen deutlich erkennen lässt, besonders durch 
die Temperatursteigerungen den Arzt zu warnen geeignet ist. 

Literatur: 

1. Bandelier, Die Leistungsfähigkeit der kombinierten Anstalts- und Tuber¬ 
kulinbehandlung der Lungentuberkulose. (Beitr. z. Klin. d. Tub. XV. Nr. 1. 1910.) 

2. Sahli, Tuberkulinbehandlung und Tuberkuloseimmunität. (Basel. Verl. 
Schwabe & Co. 1910.) 

3. Schaefer, Erfahrungen mit ,.Tuberkulin Rosenbach“. (Ztechr. f. Tuberk. 
XVIII. Nr. 2. 1911.) 

4. Jochmann und Möllers, Ueber die Behandlung uer Tuberkulose mit 
Kochs albumosefreiem Tuberkulin. (Veröff. d. R. Koch-Stiftg. H. 3. 1912.) 

5. Schellenberg, Erfahrungen mit Eisentuberkulin an Erwachsenen in 
diagnostischer und therapeutischer Hinsicht. (Ztschrft. f. Tuberk. XVIII. Nr. 2. 1911.) 


(Aus dor Kreis-Ptlegeanstalt Sinsheim a. E.): 

Zur Tecknik der Zuckerbestimmung mit dem Autenrieth- 
Koenigsbergerschen Kolorimeter. 

Von Otto Eschle, Cand. med. an der Kaiser Wilhelm-Akademie zu Berlin. 

Drei Monate hindurch, während derer es mir vergönnt war, an dem 
Krankenmaterial der Pflegeanstalt in die praktische ärztliche Tätigkeit 
eingeführt zu werden, hatte ich unter anderem Gelegenheit, fortlaufend 
Zuckerbestimmungen vorzunehmen, die den Urin von 4 Diabetikern 
— 1 Manne und 3 Frauen — betrafen. Zwei der Patienten waren 
Insassen der Anstalt, die beiden anderen entstammten der konsultativen 
Praxis des Direktors und leitenden Arztes jener, meines Vaters, der 
auch die Befunde kontrollierte und auf dessen Veranlassung ich unsere 
Erfahrungen mit der neuen noch wenig bekannten kolorimetrischen 
Bestimmungsmethode nach Autenrieth und Koenigsberger 
veröffentliche. 1 ) 

Das Verfahren gipfelt in der Beantwortung der Frage: Bis zu 
welchem Grade, gemessen an einer Vergleichsskala, wird ein gewisses 
Quantum (60 ccm) der sogen. ,,B a n g’schen blauen Kupfer¬ 
lös u n g“, wie sie bei dem Titrierungsverfahren nach 
Ivar Bang zur Anwendung kommt, durch eine be¬ 
stimmte Menge zuckerhaltigen Harns entfärbt? 
Die zuerst von Baumann und seinen Schülern J ) für die Abschätzung 
sonst kaum zu beurteilender Jodmengen in Anwendung gezogene 
Kolorimetrie wurde von den Professoren Autenrieth und Koe¬ 
nigsberger, abgesehen von dem Ausbau der für die Bestimmung 
des Blutfarbstoffes schon längere Zeit üblichen Methoden, auch für den 
quantitativen Nachweis von Trauben-, Frucht- und Milchzucker, von 
Kreatinin im Harn, von Eisen, Kupfer, Chrom, Mangan, Titan, Vanadin, 
Ammoniak, Chlor. Salpeter- und salpetriger Säure, für die Untersuchung 

') W. Autenrieth und J. Koenigsberger: Münch, med. Wochen¬ 
schrift Nr. 19, 1910. 

W Autenrieth und Th. Tesdorpf: Münch, med. Wochenschrift Nr. 34, 

1910. 

W. Autenrieth und stud. med. Gerhard Müller: Münch med. 
Wochenschrift Nr. 17, 1911. 

W. Autenrieth und Albert Funk: Münch, med. Wochenschrift Nr. 32, 

1911. 

2 ) Vgl. auch F. C. R. Eschle, Ueber Jodgehalt einiger Algenarten. Zeit6chr. 
f. phys. Chemie, Bd. 23, H. 1, 18 97. 



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Zur Technik der Zucker bestimmung m. d. Autenrieth-Koenigs berge rechen Kolorimeter. 327 


■des Petroleums, der Bierwürze und eine ganze Reihe sonstiger technischer 
und industrieller Zwecke in äusserst durchdachter Weise ausgestaltet. 

Für den Traubenzuckernachweis im Harn speziell ist allen Miss¬ 
ständen der auf der Entfärbung eines Harn-Zuckergemisches durch 
Hydroxylamin beruhenden und nicht immer ganz unzweideutige 
Resultate ergebenden Ban g’schen Methode, die aber für die kolori- 
metrischen Untersuchungen vorderhand allein in Betracht kommen 
kann, sehr geschickt aus dem Wege gegangen. 1 ) 

Erst nach dem Kochen mit der zu untersuchenden zuckerhaltigen 
Flüssigkeit durch so lange Zeit, als erfahrungsgemäss für die ausreichende 
Reduktion erforderlich ist, darauf erfolgtem Abkühlen und Auffüllen 
bis auf die Ausgangsquantität wird die Ban g’sche Lösung in die 
Küvette des Apparates gebracht und ihr Farbenton mit dem eines 
verschieblichen, die Vergleichsflüssigkeit enthaltenden und mit der 
Zu- und Abnahme seiner Dicke an jeder Stelle andere Farbenintensität 
zeigenden Keils verglichen. Den Stand dieses (vermöge eines Triebes 
<iicht neben der Küvette hingleitenden) Keils markiert ein mit ihm 
verbundener Zeiger auf einer Skala. Um den Apparat beim Ein¬ 
setzen anderer Keile für die verschiedensten Untersuchungszwecke 
geeignet zu machen, bedarf die Skala für die Ablesung des definitiven 
Resultates noch der Umdeutung ihrer Werte: dies geschieht durch de¬ 
ren Aufsuchen auf einer beigegebenen, unter Kontrolle der Erfinder 
auf empirischem Wege ermittelten Kurve. 

Eine Zahl von ca. 150 in der Anstalt vorgenommenen, bis auf 
einen kleinen Teil von mir selber ausgeführten Untersuchungen ergab, 
wie wenig umständlich das Verfahren — die einzelne Untersuchung 
nimmt nach Erlangung einiger Uebung 15, höchstens 20 Minuten in An¬ 
spruch — und wie leicht die Technik selbst für einen Anfänger unter 
Berücksichtigung der unten aufzuführenden Punkte zu beherrschen 
ist. Wenn im Vergleich zu der Kostspieligkeit der Polarisationsapparate 
auch schon der relativ niedrige Preis des Autenrieth- Koe- 
nigsberge r’schen Kolorimeters in Betracht kommt, so kann dieser 
Umstand gegenüber der Genauigkeit der erzielten Resultate natürlich 
nicht ausschlaggebend sein. Herr Prof. Autenrieth, der die 
Güte hatte, mit einem sehr empfindlichen Laurent -Lippich- 
schen Halbschattenapparate polarimetrische Kontrolluntersuchungen 
der ihm übersandten Urinproben teils selbst vorzunehmen, teils sie durch 
seinen Mitarbeiter Herrn Apotheker Funk in Freiburg i. B. vor¬ 
nehmen zu lassen, konnte nur in einem Falle eine Differenz von 0,26% 
feststellen; sonst fiel diese weit geringer aus und bewegte sich, falls nicht 
genaue Uebereinstimmung stattfand, zwischen 0,05 und 0,16%-*) 

Es darf demgegenüber nicht ausser acht gelassen werden, dass 

l ) Das Kolorimeter kann von der Firma F r. H e 11 i g e & C i e. in Freiburg i. Br. 
bezogen werden, die auch auf Wunsch die Eichung des ,.Zuckerkeiles’’ besorgt. 
F,benso liefert das chemische Laboratorium derselben Firma die für die k o 1 o r i m e- 
trische Zuckerbestimmung notwendige Ban g’sche Kupferlösung. 
*) Urin I. Patientin E. Spez. Gew. 1,0315. Tagesmenge 2,75 Liter 

1. Polarimetrische Bestimmung 3,7°/o 1 Traubenzucker 

lOfach verdünnt 2. Kolorimetrische Bestimmung 3,54°/ 0 f im Ham 

Urin II. Patientin N. Spez. Gew. 1,034. Tagesmenge 2,75 Liter. 

1. Polarimetrische Bestimmung 4,70°/o \ Traubenzucker 
20fach verdünnt 2. Kolorimetrische Bestimmung 4,70°/ o j im Harn 

Urin III. Patient M. Spez. Gew. 1,030. Tagesmenge 2,5 Liter. 

1. Polarimetrische Bestimmung 3,0°/o \ Traubenzucker 
lOfach verdünnt 2. Kolorimetrische Bestimmung 3,26°/ u / im Ham 


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328 


Röchle, 


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man selbst mit den empfindlichsten Polarisationsapparaten den Zucker¬ 
gehalt auf höchstens 0,2% genau ermittelt. Namentlich ist das gegen¬ 
über sehr zuckerreichen Harnen der Fall, die oft /S-Oxybuttersäure 
CH 3 CI1 (OH). CH,. COOH in ihrer linksdrehenden Modifikation') ent¬ 
halten. Die Folge ist zu geringe Rechtsdrehung und ein entsprechend 
zu niedriger Zuckerbefund beim Polarisationsapparat. 

Nun muss man freilich bei vergleichender Bewertung beider Metho¬ 
den auch die durch den Gehalt an Harnsäure, Kreatinin und Urochrom 
bedingte „N o r m a 1 r e d u k t i o n“ des Harns in Anschlag bringen, 
die bei einem auf der Reduktion von Kupferlösung beruhenden Ver¬ 
fahren, wie dem kolorimetrischen, eine bei der polarimetrischen Methode 
ausgeschaltete Fehlerquelle ergeben könnte. Aber damit jene Sub¬ 
stanzen zur Geltung kommen, bedarf es einer gewissen Konzentration, wie 
sie bekanntlich nur zuckerarmen Harnen zukommt. Selbst bei 
solchen wird ja aber eine die Norm beträchtlich übersteigende Tages¬ 
menge (von 2 und mehr Litern) ausgeschieden, auf die sich jene redu¬ 
zierenden Stoffe verteilen. Nach einer von Autenrieth gegebenen 
Tabelle entspricht das Reduktionsvermögen des normalen Harnes im 
Durchschnitt einem Zuckergehalt von 0,2—0,25%. Das aus der Normal¬ 
reduktion zuckerarmer Harne sich ergebende noch weit geringere Plus 
kann also für das Endresultat mindestens nicht mehr in Betracht kom¬ 
men. als das bei polarimetrischen Bestimmungen in Erscheinung 
tretende Minus. 

Weiter ist die Selbstreduktion der Ban g’schen Lösung in Be¬ 
tracht zu ziehen, die, wie sich ein jeder gerade an der Hand des Kolo¬ 
rimeters selbst überzeugen kann und wie auch Autenrieth selber 
zugibt, bei drei Minuten langem Erhitzen tatsächlich nicht so un¬ 
bedeutend ist. Sie ist aber eine konstante Grösse und konnte daher 
bei der Herstellung der Vergleichslösung für den Glaskeil von vornherein 
in Berücksichtigung gezogen werden. 

Schliesslich wäre noch die Frage des Auftretens reduzierender 
Substanzen nach Uebergang von Medikamenten in den Urin zu venti¬ 
lieren. Namentlich der innerliche Gebrauch von Benzoesäure und 
Salizylsäure*) soll den Harn in einen Zustand versetzen, in dem er auf 
kalische Kupferlösung reduzierend wirkt. Unsere Versuche bei zwei 
nicht diabetischen Patienten, von denen der eine 15 g Nitrosalizyl 
innerhalb 4%, der andere 2,5 Acid. benzoic. innerhalb 3 Tagen erhielt, 
bestätigten diese Behauptung weingstens in ihrer so allgemeinen Fas¬ 
sung insofern nicht, als sich bei keiner der wiederholtenUntersuchungen 
auch nur andeutungsweise eine Reduktion der Kupferlösung durch 
den Harn bei der Trommer’schen Probe konstatieren liess. 

Um von den Vorzügen der kolorimetrischen 
Methode den vollen Nutzen zu ziehen und vor 
allem weder zu hohe, noch zu niedrige Zucker- 
werte zu erhalten, ist es, wie bemerkt, vor allem 
notwendig, einzelne Klippen der Technik ge¬ 
schickt zu umschiffen, die hier kurz angedeutet 
sein mögen: 

Eine der ersten Erfordernisse ist die genaue Eichung der Zucker¬ 
kurve. Dieser (übrigens nicht grossen) Mühe ist man aber überhoben 

* 

*) Vgl. W. A u t e n r i e t h, Die Chemie des Harns. Tübingen. J. C. B. Mohr. 1911. 

*j Vgl. z. B. H a g e r , Handbuch d. pharmazeutischen Praxis. 5. Auflage. Julius 
Springer, Berlin 1886, Bd. III p. 1198. 



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Zar Technik der Zuckerbestimmung m. d. Aulenrieth-Koenigsbergergchen Kolorimeter. 32!) 


wenn man den für die gewöhnlichen Bestimmungen vollauf genügenden, 
neuerdings eine färben- resp. lichtbeständige „Standard-Lösung“ 1 ) 
enthaltenden fest verschlossenen Keil benützt. Nur zu rein wissenschaft¬ 
lichen Bestimmungen, bei denen grösste Genauigkeit geboten ist, sollen 
dagegen offene Keile in Anwendung kommen. Hier müssen mittelst 
chemisch reiner Traubenzuckerlösung verschiedener Konzentration (z. B. 
jeweils 50, 45, 40, 35 usw. bis 5 mg Traubenzucker in 10 ccm Wasser 
gelöst) die einzelnen Punkte der Kurve festgelegt werden. 

Hand in Hand hiermit geht die Notwendigkeit, die von Banggegebenen 
Vorschriften bei der Bereitung der Lösung peinlich zu beobachten. 
Bei etwaigen Bestellungen dieser Lösung in der Apotheke ist zu be¬ 
merken, dass nicht nur die in der Vorschrift angegebenen Temperatur¬ 
grenzen ganz genau eingehalten w r erden, sondern dass auch die Lösungen, 
welche zusammengegossen werden, von vorneherein die vorgeschriebene 
Konzentration haben. Gerade hierauf muss besonders Gewicht gelegt 
werden, weil es unmöglich ist, die einmal hergestellte Kupierlösung zu 
verbessern. Da die fertige Bang’sche Kupferlösung infolge ihres hohen 
Gehaltes an Kaliumkarbonat die Wandungen der Glaskeile stark an¬ 
ätzen würde, lässt man dieselbe nicht längere Zeit im Keil stehen, son¬ 
dern giesst sie nach Gebrauch wieder in die Vorratsflasche zurück. 
Zur Eichung darf nicht frische, sondern mindestens 3—8 Tage alte 
Lösung benützt werden. 

Ein genaues Abmessen der Ham- und Wasserquanta, sowie der 
Bang’schen Lösung geschehe, wenn möglich, mit geeichten Masszylin- 
dern, in engen sei der untere Meniskusrand, in weiten der halbe Meniskus 
mit dem Graduierungsstrich übereinstimmend. Fehlen die (staatlich) 
geeichten Messgefässe, so überzeuge man sich zuerst von der richtigen 
Graduierung des zu verwendenden. 

Als sehr zweckmässig hat es sich erwiesen, ein grösseres Quan¬ 
tum verdünnten Urins (am besten das zehnfache) herzustellen, als für 
die Einwirkung auf die 50 ccm Bang’scher Lösung erforderlich sind, 
da dann 1 bis 2 Tropfen zuviel oder zu wenig Harn keinen so grossen 
Fehler bedingen, als dies bei 2 ccm der Fall sein könnte. Vermutet 
man einen zucker reichen Harn, so ist eine stärkere Verdünnung 
als bei zucker armen Urinen angebracht. Hierbei ist zu beachten, 
dass 50 ccm Bang’sche Lösung durch 60 mg Glykose, also durch 6proz. 
Zuckerharn schon vollständig reduziert werden. Das Optimum der 
Konzentration für die Unterscheidung liegt, zwischen den Zahlen 40 
und 80 der Skala. Deshalb muss eine Verdünnung hergestellt wer¬ 
den, die einem Urin mit 2—4% Zuckergehalt entspricht. 

Dementsprechend verwende man: 

bei Hamen mit voraussichtlich mehr als 4°/ 0 Zucker in 10 ccm eine Lösg. v. 6 : 100 

*» ,, ii ii ii ii 2 — 4 ®/„ ii ,i ii ,, ,, ,, 10 : 100 

„ „ ,, „ weniger als 2% „ „ ,, ,, ,, „20:100 

Um keinen zu niedrigen Zuckerwert zu erhalten, muss man die 
vorgeschriebene Zeit von 3 Minuten kochen, vom Aufsteigen der ersten 
grösseren Blasen an gerechnet. Im Zweifelfalle lieber etwas länger. Um 
eine anderweitige Beschäftigung während des Kochens zu ermöglichen 
und um Irrtiimer, die sich bei Benützung des Sekundenzeigers der 


*) Die Firma Fr. Hellige&Co. in Freiburg i.J Br., die die Apparate herstellt, 
gibt diesem auf Verlangen schon eine Eichungskurve bei und vermittelt auch deren Kon¬ 
trolle durch Herrn Apotheker Funk, wenn das noch während der Benutzung erforderlich 
erscheint. 


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330 


Eachle, 


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Taschenuhr leicht einschleichen, zu vermeiden, empfiehlt sich der Gebrauch 
einer auf 3 Minuten eingestellten Sanduhr. Unter Kochen ist hier ein 
äusserst lebhaftes Kochen verstanden, damit eine nennenswerte 
Eindiinstung während des Kochens stattfindet; die resultierende Flüs¬ 
sigkeitsquantität muss bedeutend weniger betragen als den Rauminhalt 
der ursprünglich verwandten Bang’schen Lösung vor Zusatz des ver¬ 
dünnten Urins. Nur so ist die Möglichkeit zu wiederholtem Nachspülen 
des Kochgefässes gegeben, das alle an den Rändern haftenden Residuen 
der Bang’schen Lösung mitnimmt. Um dieses lebhafte Kochen zu er¬ 
zielen, muss man sich entweder eines Bunsenbrenners bedienen, oder 
wo kein Gas vorhanden, eines Spiritusgasbrenners. Rasches und starkes 
Kochen erreicht man auch mit einem Benzingebläse *). Ein Becher¬ 
glas aus Jenenser Glas mit möglichst grosser Bodenfläche, steilen 
Wänden und Ausgussschnabel ist unserer Erfahrung nach einer Koch¬ 
flasche vorzuziehen. Heber der Flamme darf keine Asbestplatte sein, 
sondern hier gebrauche man ein Drahtnetz, ein doppeltes höchstens 
beim Benzingebläse. 

Ebenso erhält man keinen zu niedrigen Zuckerwert, wenn die 
Flüssigkeit gleich nach dem Kochen unter der Wasserleitung auf Zimmer¬ 
temperatur abgekühlt wird, was ja nur kurze Zeit erfordert. Darauf, 
dass beim Abkühlen nicht Leitungswasser in den Becher spritzen darf, 
ist wohl nicht erst nötig hinzuweisen; aber die ganze Operation ist auch 
verlorene Mühe, wenn man beim Nachspülen des Kochgefässes, resp. 
beim Wiederauffüllen auf 50 ccm nicht vorsichtig genug vorgeht. Zum 
Nachspülen verwende man das erstemal ein Quantum von ca. 2, darauf 
immer nur von ca. 1 ccm destillierten Wassers oder Rhodankalium¬ 
lösung. 

Sehr stark gefärbte Urine können durch grünblaue, blaugrüne, ja 
oft direkt grüne Färbung des Harnkupfergemisches das Einstellen auf 
Farbengleichheit beeinträchtigen. Um das zu verhindern, braucht 
man nun nicht, wie sonst üblich, mit Bleiazetat vorzubehandeln, sondern 
nach Autenrieths Methode erst nach dem Kochen die 
Entfärbung zu bewerkstelligen, indem man den Harn mit eisen¬ 
freier Bleikohle 3 ), die keine Spur von Kupfersalz aus der 
Ban g’schen Lösung resorbiert, andrerseits aber allen gelben Farb¬ 
stoff aufnimmt, ca. 5 Minuten tüchtig schüttelt. Bei den typischen 
Diabetikerurinen von wasserheller Färbung, die den charakteristischen 
Farbenton der Ban g’schen Lösung nach dem Kochen in der Regel 
nicht im mindesten alteriert haben, kann män sich diese Prozedur 
übrigens oft sparen. Die Blut kohle kann man sich aus Gründen dar 
Bequemlichkeit, wie wir das tun, vom Apotheker in \/ 2 g-Portio- 
nen abwiegen lassen. Zu ihrer Wiederentfernung aus dem Gemisch, 
gibt man dies auf einen Glastrichter mit doppeltem Papier-Filter. 

Ehe man das Filtrat des mit Blutkohle geschüttelten Urins in die 
Küvette gibt, untersuche man den Troghalter, namentlich die der 
Küvette anliegende Seitenwand auf die Integrität der Schwärzung. 
Ist hier eine abgescheuerte Stelle, so könnte diese als reflektierendem 
Objekt wirkend,- einen helleren Farbenton des Kuvetteninhaltes vor- 


• P*5 •) Zu T erhalten bei den Finnen]?. Altmann, Berlin NW und Fr. Heilige 
<k C i e. in Freiburg i. Br. 

J ) Direkt von H. Fleniming in Kalk a. Rhein oder indirekt von Fr. Heilige & Cie. 
in Freiburg i. Br. zu beziehen. 


Coole 


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— UR B ANA C HAMPAIGfH - 



Zur Technik der Zuckerbestimmung m. d. Autenrieth-Koenigsbergerschen Kolorimeter 331 


täuschen. Peinliche Säuberung der Küvette vor und nach dem Ge¬ 
brauch besonders zu erwähnen, ist hier wohl überflüssig. 

Beim Einsetzen des Keiles muss jeder Zwischenraum zwischen den 
zu vergleichenden Flüssigkeiten vermieden werden. Durch das Prisma 
darf der Zwischenraum höchstens als haarfeine Linie zu sehen sein. 
Um dies zu erreichen, verschiebt man seitlich den Keil, eventuell auch 
das Prisma. 

Die Beobachtung durch den Spalt geschieht am besten bei diffusem 
Tageslicht gegen das Fenster oder eine hell beleuchtete Fläche. Von 
künstlichem Licht soll sich das weisse Auerlicht bewähren. Mit elek¬ 
trischem Licht lässt sich höchstens auf gleiche Helligkeit der Vergleichs¬ 
flüssigkeiten einstellen, nicht aber auf Farbengleichheit. 

Die Bestimmung ist 5—6 mal zu machen und das arithmetrische 
Mittel der notierten Zahlen zu ziehen. Man darf sich für genügend 
sicher in der Technik halten, w r enn sich nur Differenzen von 1—2 Skalen¬ 
teilen ergeben, da dann die ermittelten Werte noch weniger als um 
eine Dezimale differieren. 

Vielleicht fällt es aus dem Rahmen des in der Ueberschrift ab¬ 
gegrenzten Themas etwas heraus, wenn ich zum Schluss in aller Kürze 
einige Beobachtungen erwähne, die nicht die Technik des Untersuchungs¬ 
verfahrens, sondern das Verhalten der Zuckerausscheidung bei den 
einzelnen Diabetes-Kranken selbst zum Gegenstände haben. Für mein 
Unterfangen, diese Feststellungen und noch mehr dafür, die aus diesen 
von einem noch Lernenden gezogenen Folgerungen einem Forum von 
Praktikern vorzulegen, bitte ich einmal das Dunkel, in das die Frage 
nach der Genese des Diabetes trotz der unendlichen Reihe von For¬ 
schungen auf diesem Gebiete offenbar noch immer gehüllt ist, dann aber 
auch die mir von nahe stehender Seite gewordene Ermutigung hierzu 
als Entschuldigungsgründe ansehen zu wollen. 

Die Tatsachen und Schlüsse, auf die ich himveisen möchte, sind 
folgende: 

1. Das Auftreten von Diabetes-Gangrän scheint nicht in direkter 
Beziehung zur Grösse der Zuckerausscheidung zu stehen. 

Auffallend ist, dass der Urin in dem einen Falle, des Patienten R., in dem erst das 
Auftreten des Brandes an der 1. und 2. Zehe des r. Fusses Veranlassung zur Harnunter¬ 
suchung auf Zucker gab, also ohne voraufgegangene diätetische Beschränkung der Amy- 
lazeen nur 2,2% betrug und noch vor Demarkierung des Brandes auf 0,0% dauernd 
sank. Bei einem andern Patienten, dem anderwärts wegen dos gleichen Leidens vor 
einiger Zeit die r. untere Extremität im Oberschenkel amputiert worden war, war 
wenigstens zeitweise der Zucker verschwunden und blieb es auch trotz Gewährung von 
Kohlenhydraten mit Ausschluss von richtigen Mehl- und stark gezuckerten Speisen und 
Getränken. 

2. Ueberhaupt schien das Herauf- und ebensowenig das Zurück¬ 
gehen der Zuckerausscheidung bei allen 4 von mir beobachteten Patien¬ 
ten nicht ausschliesslich von den diätetischen, noch weniger von den 
versuchten medikamentösen ^Anordnungen abzuhängen. 

ln ganz eklatanterjWeiscftrat’das’ bei deri Patientin E. zutage, der in jeder Woche 
an einem Tag (am Sonntag) eine Unterbrechung der sonst strengen Diät und dann sogar 
der Genuss von Süssspeisen und massigen Quantitäten Bier gestattet worden war. Fünf 
Wochen hindurch wurden die 24stündigen Gesamtmengen am Sonntag und ebenso am 
Montag einer kolorimetrischen Bestimmung unterzogen und zwar mit folgendem Resultat: 


I. Woche 

U. vom 

Samstag 

2,5°/„, 

U. 

vom 

Montag 2,27 % 

II. 

•» t» 

• * 

0.84%, 

99 

9 9 

„ 4,4°/ o 

III. 

99 •) 

** 

3,5%, 

99 

99 

„ ,0,9% 

IV. 

99 99 

*» 

2,16% 

*» 

99 

„ 2,5% 

V. 

♦ # 1» 

99 

3,54 V 0 

99 

99 

„ 4,7% 


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URBANA-CHAMPAIGN 



332 


Eachle, Zur Technik der Zuckerbeetimmung usw. 


3. Auffällig war es, wie häufig bei den verschiedenen Patienten 
trotz aller Differenzen in der Intensität des krankhaften Prozesses, in 
dem Milieu, in dem Regime und schliesslich auch in der versuchten 
medikamentösen Therapie jeweils die Berge sowohl wie die Täler der 
Ausscheidungskurven unverkennbar parallel liefen. 

In derselben Woehe, in der bei der erwähnten Kmnken die Zuckerausschoidung 
sieh von 2.5 auf 4.7°/„ erhob, steigerte sie sich bei einer andern, d'e schon lange keine 
Diät mehr einhiolt, von 0,75 auf 2,25°/o* bei einem männlichen Diabetiker von 0,5 auf 
l,6°/ 0 - Gleichzeitig mit dem Absinken der Glykose bei der ersten Patientin von 4,4 auf 
2,5°/o blieb sie zwar bei dem männlichen Patienten konstant, um sich aber bei der 
andern Frau auch von 3,5 auf 2,8°/o zu verringern. 

4. Mit der schon von Lüttge 1 * 3 ) an diabetisch gemachten Hunden 
und diabetisch erkrankten Menschen gemachten Beobachtung stimmt 
die unsrige vollkommen überein, dass mit dem Eintritt nasskalter 
Witterung die Zuckerausscheidung steigt, bei sonnigem, warmem Wetter 
und in Ermangelung dessen auch in der Wärme bei beständiger Bett¬ 
ruhe sinkt. 

Nachdem diese unter dom Einflüsse atmosphärischer Verhältnisse auftretenden 
periodischen Schwankungen im allgemeinen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten, 
konnte bei einer Patientin im besonderen dieser Einfluss durco eine Reiho von Unter¬ 
suchungen fcstge8tellt werden. Merkwürdig war es, daß gerade dieseKranke sonst anschei¬ 
nend besonders unempfindlich gegen niedrige Temperaturen ausserhalb und innerhalb 
des Zimmers war und auch nicht, wie so viele sensible Personen, namentlich Nervöse, 
durch trübes und unfreundliches Wetter gemütlich affiziert wurde. H*?!* *” u • 

5. Das Heruntergehen des hohen spezifischen Gewichtes des Harns 
war (entgegen der gewöhnlichen Annahme) durchaus nicht proportional 
der zeitweiligen Abnahme des Zuckers; in zwei Fällen blieb es vielmehr 
annähernd immer auf der gleichen supernormalen Höhe. 

Vielleicht ist es nicht unangebracht, die Ausführungen 
0. Rosenbachs *) und F. Esehles s ) über die aus dem Konstantbleiben 
des spezifischen Gewichtes bei Diabetes gezogenen Schluss¬ 
folgerungen hier kurz wieder zugebon: 

Wenn Harnsäure und Harnstoff in wesentlich höheren Mengen als früher bei einem 
Individuum im Urin auftreten, so spricht das für gesteigerte Assimilation von Eiweiss¬ 
stoffen Diese kann ja in erster Linie dadurch zustande kommen, dass abnorm grosse 
Mengen von Albuminaten (als sogen. Luxuskonsum ption“) eingeführt werdon. Wo 
das aber sicher ausgeschlossen ist, wie in den hier in Frage kommenden Fällen mit nie¬ 
mals strengdurchgeführter Fleisch-Fett-Diät, darf man zunächst daran denken, dass 
der Organismus seinen eigenen Eiweissbeetand abbaut, wie er das z. B. im Zustande 
des Verhungerns oder auch bei einem eklatanten Missverhältnis zwischen Muskelleistung 
und Nahrungseinfuhr (z. B. Kriegs- und Manöverstrapazon) erfahrangsgemäss tut. Ist 
dies aber, was sich ja zunächst in einer auffälligen Gewichtsabnahme und Körperschwäche 
dokumentieren müsste (falls eben das Missverhältnis dauernd wäre), auch ausgeschlossen, 
so darf, ja muss man annehmen, dass der Körper nunmehr stickstofflialtige Sub¬ 
stanzen ausnützt, die er früher nicht ausgenützt hat, trotzdem sie ihm auch da geboten 
v-urden. Waren ihm nun gleichzeitig die Kohlenhydrate entzogen oder beschränkt, als 
diese Zunahme der Endprodukte der Älbuminat-Verdauung unter gleichzeitiger stärkerer 
oder geringerer Abnahme des Zuckers zutage trat, so gestattet diese Tatsache den Schluss, 
dass ein Zusammenhang zwischen der Zunahme von Harnstoff und Harnsäure dort und 
der Abnahme des Zuckers hier stattfinden muss, d. h. dass der Organismus sich gewisser- 
massen „nur unter dem Drucke der Not zur Verarbeitung stickstoffhaltiger Substanzen 
bereit finden lässt“, die er bei der Gewährung hinreichender Kohlenhydratmengon nicht 
ausnützte. Mit andern Worten: es muss wohl ein vikariierendes Eintreten der die Albu- 


l ) H. L ii 11 g e, Uber den Einfluss der Außentemperatur auf die Größe der 
Zuckerausscheidung. Therapie d. Gegenwart 1005. V. 

’) O. Rosenbach, Zur Lehre vom Diabetes. Deutsche mod. Wochensehr. 
1890, Nr. 30. 

Ders., Die Krankheiten des Herzens und ihre Behandlung. Urban & Schwarzen¬ 
berg. Wier^ und Leipzig 1893—1897. (im Kap. Arteriosklerose Teil II. p. 573 ff.) 

3 ) F. C. R. E s c h 1 e , Die funktionelle Diagnostik O. Rosenbaohs und die 
Therapie der krarkhalten Zuckerausscheidung. Therap. Rundschau 1909, Nr. 11 und 12. 


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G.(V •ok» 


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i URBANA-CHAMPAI6N 



Leo, Wiener Brief. 


333 


minate verarbeitenden Organe bei einer gewissen weiteren Einschränkung des Kohlen- 
hydrathaushaltes, als sie schon durch die Anomalie an sich gegeben ist, stattfinden. 

6. Dass eine ungewöhnlich starke Ausscheidung der normalen 
Endprodukte der Albuminatverdauung (Harnstoff und Harnsäure) 
stattfinden musste, ergab sich — abgesehen von der starken, unabhängig 
von der Medikation auftretenden Tinktion, die in starkem Kontrast zu 
der typischen wasserhellen Färbung des Diabetes-Urins stand — in dem 
einen Falle auch aus der mikroskopischen Untersuchung des hier allemal 
sich ausscheidenden, häufig überaus reichlichen Sediments, obwohl hier 
keineswegs eine besonders grosse Zufuhr von Albuminaten erfolgte, 
noch Gelegenheit zu stärkerer Muskeltätigkeit vorhanden, noch schliess¬ 
lich eine merkbare, geschweige denn eine progressive Abnahme des 
Körpergewichts zu konstatieren war. 

Diese Tatsachen, zusammengehalten mit der andern, dass bei 
schweren Formen des Diabetes zuerst pathologische Zwischenprodukte 
der Eiweisszersetzung, z. B. Aceton, Acetessigsäure, /J-Oxybuttersäure 
und andere Fettsäuren, 1 ) später auch dauernd Ausscheidungen von Ei- 
weiss selbst auftreten, rechtfertigen meines Erachtens die von O. R o s e n- 
bach und F. C. R. E sc h 1 e- gezogene Konsequenz, dass es sich 
beim Diabetes nicht lediglich um eine Unzuläng¬ 
lichkeit der Kohlenhydratausnützung handelt, 
sondern um eine weit tiefergreifende Störung 
im Organismus, die (unter a n d e r m ?) von vorn¬ 
herein in einer relativen Insuffizienz sowohl des 
Kohlenhydrat- wie des Ei weissstoff Wechsels 
inpErscheinung tritt. 


Wiener Brief. 

Ein Sammelbericht von S. Leo. 

Ueber den plastischen Ersatz der Speiseröhre 
sprach Maximilian Hirsch, k. k. Gesellsch. d. Aerzte. Obgleich die 
Technik der Gastrotomie heute einen hohen Grad der Vollkommenheit 
erreicht hat, ist doch das Los der Kranken, die wegen Unwegsamkeit 
der Speiseröhre sich zeitlebens durch eine Magenlistel ernähren müssen, 
sehr traurig, bei solchen Patienten einen plastischen Ersatz der Speise¬ 
röhre zu schaffen und es ihnen so zu ermöglichen, wieder per os Nahrung 
zu sich zu nehmen, ist daher eine sehr verlockende Aufgabe. Greifbare 
Formen haben denn die darauf zielenden Bestrebungen erst seit dem 
Vorschlag von Roux angenommen; R. verwendet ausgehend von der 
Tavelschen Gastrotomie eine ausgeschaltete Dünndarmschlinge zum 
Ersatz der Speiseröhre. Er reseziert eine entsprechend lange, obere 
Jejunumschlinge, die aber in Verbindung mit ihrem Mesenterium 
bleibt; die Kontinuität des Darmes wird sofort wieder hergestellt, die 
ausgeschaltete Darmschlinge wird mit dem einen Endo in den Magen 
eingepflanzt, das andere Ende muss aus der Bauchhöhle herausgeleitet, 
subkutan längs des Thorax bis zum Halse heraufgezogen und dort be¬ 
festigt werden, um in einem späteren Akt daselbst in die Speiseröhre 
eingepflanzt zu werden, um nun die Schlinge so weit hinaufziehen zu 

l ) Als abnorme Eiweisszerfallsprodukte wurden diese Körper durch die Unter> 
suchungen von v. Rokitansky und v. J a k s c h bekannt. Vgl. auch v. N T o o r q e n 
Lehrb. d. Pathol. d. Stoffwechsels. Aug. Hirschwald. Berlin 1893. p. 220. 


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3)4 Leo, 

können, muss ihr Mesenterium eine Strecke weit vom Darm abgelöst 
werden, unter Schonung der Gefässanastomosen. Es bleibt so am Ende 
im Mesenterialstiel stehen, von dem aus der abgelöste Darm ernährt 
werden soll. Nach dem Verfahren von Roux ist es bis jetzt bloss 
einmal gelungen (Herzen) einen totalen Ersatz der Speiseröhre zu 
bilden. Die Operationen von Roux hat viele Nachteile; sie ist kompli¬ 
ziert und von langer Dauer; ihr schwächster Punkt ist die ungenügende 
Ernährung der ausgeschalteten Schlinge; trotz peinlicher Schonung 
der Gefässanastomotosen wird sie zumeist gangränös (Lexer, Kocher, 
Schnitzler). Damit die Ernährung der ausgeschalteten Darmschlinge 
gesichert ist, muss man sie viel kürzer nehmen; Lexer hat sie bis 
zur Höhe der Mamma, Frangenheim nur bis zum Schwertfortsatz 
hinaufbringen können; die Strecke von hier bis zum Halse muss dann 
unter Verzicht auf Schleimhautauskleidung und Peristaltik durch 
einen Hautschlauch gebildet werden. Nach dieser kombinierten Methode 
konnten Lexer und Frangenheim in je einem Falle die Ope¬ 
ration vollständig zu Ende bringen. — Um nun einen so langen Haut¬ 
schlauch zu vermeiden, und doch nicht auf die ungenügend ernährte 
Darmschlinge Roux angewiesen zu sein, schlägt Hirsch vor, den 
neuen Oesophagus aus der Magenwand zu bilden. 
Das Verfahren hat H. bis jetzt nur am Kadaver und am Hunde ausge¬ 
führt. Beschreibung: Laparotomie; der Magen wird möglichst weit 
vorgezogen; nun schneidet H. aus der vorderen Magenwand einen 
sämtliche Schichten tragenden langen, rechteckigen Lappen mit oberer 
Basis aus. Damit möglichst viele Gefässe von den Kurvaturen her 
in ihm eintreten, sollen die beiden seitlichen Schnitte nach oben etwas 
gegen die Kurvaturen zu divergieren. Dieser Lappen wird nach oben 
geschlagen und nun der so entstandene Defekt im Magen schichtweise 
vernäht, indem diese Naht oben auf den Lappen fortgeführt wird, wird 
derselbe in sich selbst zu einem Rohr zusammengefaltet. Dieses Rohr 
bildet die künftige Speiseröhre. Reposition des Magenrestes, Schluss 
der Bauchhöhle. Der neue Oesophagus wird im oberen Winkel aus 
der Bauchhöhle herausgeleitet, unter die Haut des Thorax gelagert 
und so hoch oben als möglich befestigt. Wir bekommen so ein langes, 
mit Schleimhaut ausgekleidetes Rohr. Die Versuche an der Leiche 
haben ergeben, dass bei normalem Magen der Lappen sich leicht bis zum 
Halse heraufbringen lässt, aber selbst bei geschrumpftem Magen kann 
er immer noch höher hinauf gebracht werden, als der Darm in den 
Fällen von Lexer und Frangenheim. Ueberdies ist das Ver¬ 
fahren technisch viel leichter; es ist nur die Naht des Magendefekts bei 
offener Bauchhöhle zu machen, während bei Roux Darmresektion, 
Wiederherstellung der Kontinuität des Dünndarms und Einpflanzung 
der ausgeschalteten Darmschlinge in den Magen vorzunehmen ist. 

In der Diskussion bemerkt v. Eiseisberg, dass die von 
Hirsch vorgeschlagene Methode entschieden leichter ausführbar 
scheint, als die von Roux angegebene. Immerhin glaubt er, dass die 
Indikation zur Ausführung derselben nicht häufig vorhanden sein wird, 
weil die Witze l’sche Methode der Gastrostomie, besonders in Kombi¬ 
nation mit der von v. Hacker angegebenen, einen so ausgezeichneten 
Verschluss bedingt und innerhalb so kurzer Zeit und leicht ausführbar 
ist, dass sie den grossen Vorzug der Einfachheit allen anderen Methoden 
gegenüber besitzt, vor allem sich auch da anwenden lässt, wo der Magen 
nach lange bestehender Verengerung der Speiseröhre stark geschrumpft 



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335 


ist und sich nicht oder nur ganz wenig vor die Bauchhöhle hervorziehen 
lässt. 

Sigmund E x n e r hegt Zweifel bezüglich der Funktion eines der¬ 
artigen aus Magenschleimhaut bestehenden Schlauches. 

Maximilian Hirsch weist auf die Beobachtungen über das Schluk- 
ken mit künstlicher Speiseröhre bei den von L e x e r und Frangen¬ 
heim operierten Patienten gemacht worden sind; besonders der Fall 
von Frangenheim kann zur Beantwortung der Frage E x n e r s 
herangezogen werden, da der allergrösste Teil der Speiseröhre seines 
Patienten aus einem Hautschlauch bestand. Dieser Patient 
konnte flüssige und breiige Nahrung andstandslos 
schlucken. 

Ueber die Infektionstheorie des Kropfes und 
des Kretinismus sprach 0. St. A. A. T a u s s i g (k. k. Gesellsch. 
d. Aerzte). 

T a u s s i g hat in Bosnien Untersuchungen über die Verbreitung 
des Kropfes und des Kretinismus angestellt. Besonders verbreitet sind 
diese Krankheiten in Srebrenica; in einigen Orten konnten dort seit 
30 Jahren keine Rekruten assentiert werden. Ein Drittel der Einwohner 
sind kropfig, ca. 2—3% sind Vollkretins. Der Boden des Bezirkes be¬ 
steht aus Eruptivgestein, aus kristallinischem Schiefer und aus Kies¬ 
schichten. In einem benachbarten Bezirk, der kröpf und kretinfrei ist, 
besteht der Boden aus marinen Ablagerungen, die Bodentheorie und die 
Trinkwassertheorien können die vorhandenen Verhältnisse nicht erklären 
und er gelangte zu der von A. von Kutschera aufgestellten Kontakt¬ 
theorie, nach welcher der Kropf und Kretinismus von einem Menschen 
auf den anderen, oder auch durch Gegenstände übertragen wird. Im 
Bezirke von Srebenica sind die eingewanderte Bevölkerung, das Militär, 
die Gendarmen und die Finanzwache frei von Kropf. T a u s s i g 
hat beobachtet, dass in kropffreien Familien, wenn in dieselben ein Kropf¬ 
träger kam, nacheinander die Mitglieder Kropf bekamen. Drei junge 
Hunde wurden, als sie selbsttätig zu fressen begannen, kropfig, die 
Ansteckung ging von dem Wärter der Hunde aus, der mit einem Kropf 
behaftet war. Die Infektion gelangt wahrscheinlich mit dem Speichel 
in den Organismus. Hygienische Verbesserungen hatten einen Rück¬ 
gang der Kropfhäufigkeit zur Folge. Eine kropfige Mutter abortiert 
gewöhnlich bei den ersten Schwangerschaften; hierauf folgen Tot¬ 
geburten und dann kropfige oder kretinische Kinder; das Gift scheint 
sich also allmählich abzuschwächen (wie die Lues. Anm. d. Ref.). 
Ausnahmsweise folgen auf ein gesundes Kind kranke Kinder und dann 
wieder ein gesundes. Wenn diese Theorie sich als richtig erweisen sollte, 
so wäre es die Aufgabe der Therapie, die Erkrankung des Kindes durch 
die Behandlung der Mutter während der Schwangerschaft zu verhüten. 

In der Diskussion betont J. v. Wagner, dass der Infektions¬ 
theorie noch der experimentelle Beweis fehlt. Man müsste in eine kropf¬ 
freie Gegend kropfige Tiere bringen, um zu sehen, ob sie andere Tiere 
anstecken. Bisher ist nur erwiesen, dass ein Mensch in einer Kropf¬ 
gegend den Kropf akquirieren kann. Die Trinkwassertheorie ist da¬ 
gegen schon durch Experimente gestützt. In Ruperswyl, wo eine Menge 
von Kropfigen und Kretins vorhanden waren, wurde Trinkwasser aus 
kropffreier Gegend eingeleitet, worauf die Kropfhäufigkeit abnahm. 
Versuche, Tiere durch Wasser aus Kropfgegenden kropfig zu machen, 
sind gelungen, die Kropfbildung blieb aus, wenn das schädliche Wasser 


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Leo, Wiener Brief, 


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gekocht wurde. Die Theorie, dass Kropf der Mutter mit dem Kretinis¬ 
mus des Kindes im Zusammenhang steht, scheint richtig zu sein. Bei 
seinen Untersuchungen in Steiermark hat Redner sehr viele Kinder 
mit angeborenem Kropf gesehen. 

v. E i s e 1 s b e r g bemerkt, dass nach den bisherigen Erfahrungen 
die Trinkwassertheorie weitaus die grösste Wahrscheinlichkeit für sich 
hat. Er hat folgenden Fall beobachtet: In einer Bahnwächterfamilie, 
welche Wasser aus einem früher aufgelassenen Brunnen bezog, bekamen 
mehrere Kinder einen Kropf. Wurden die Kinder in eine andere Ge¬ 
gend gebracht, so verschwand allmählich die Struma. Mit diesem 
Brunnenwasser gelang die Erzeugung einer Schilddrüsenschwellung 
bei Ratten; Redner hat mit dem Wasser auch Versuche bei M. Base- 
dowii angestellt. 

A. v. Kutschera beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit 
Beobachtungen über die Verbreitung des Kropfes und Kretinismus. 
Auf Grund seiner Erfahrungen und der Anamnese von Kropffamilien 
ist er zu der Ansicht gelangt, dass die Trinkwassertheorie die Weiter¬ 
verbreitung der genannten Krankheiten nicht erklären kann. Er hat 
sie auf bestimmte Häuser unabhängig von der Wasserversorgung be¬ 
schränkt gefunden, in Frankreich wurden ganze Epidemien in Kasernen 
oder Kasernenteilen beobachtet, wobei das Wasser keine Rolle spielen 
konnte. 

Ueber die diuretische Wirkung der Aminosäuren sprach Karl 
Glaessner, Wien. K. k. Gesellsch. d. Aerzte. f 

Unter den Aminosäuren hat besonders das Glykokoll, die Amino- 
essigsäure, diuretische Wirkung. Das Glykokoll unterscheidet sich von 
den anderen Aminosäuren durch mehrere Punkte; es ist leicht in warmem 
und ziemlich leicht auch im kalten Wasser löslich : es hat einen angeneh¬ 
men Geschmack; es ist absolut unschädlich und kann in beliebig grossen 
Dosen genommen werden, und schliesslich ist es die billigste Amino¬ 
säure, d. h. die relativ billigste; denn leider sind alle diese Körper noch 
Luxuspräparate und Versuche mit ihnen kostspielig. Versuche an Ge¬ 
sunden ergaben eine schwache diuretische Wirkung. Gaben von 3—5 g 
riefen bei Gesunden schon eine Diurese von 1800— 2000 ccm hervor, 
ohne dass das Durstgefühl besonders erhöht war. Versuche an Kranken 
ergaben wechselnde Resultate. Wurde zunächst reines Glykokoll ver¬ 
abreicht, so zeigten Herzfehler mit Stauungserscheinungen schöne 
Diurese. Namentlich in den Fällen, wo Digitalis oder Diuretin ausgesetzt 
werden mussten, konnte man nach Glykokoll (5 g durch 10—19 Tage) 
einen dauernden Hochstand der Diurese erzielen. Günstig wurden 
subakute und chronische Nephritiden beeinflusst. Jedoch ist bei Vitien 
und Nephritiden nur dann ein Erfolg zu erwarten, w r enn wirklich Stau¬ 
ung mit Oedemen vorliegt. Am deutlichsten war die Wirkung bei durch 
Leberkrankheiten bedingten Stauungen im Gebiete der Pfortader zu 
beobachten. In einigen Fällen wurde ein Digitalispräparat mit Glykokoll 
kombiniert. Es wväre wichtig, noch andere Mittel mit Glykokoll zu kom¬ 
binieren. Glaessner behält sich solche Versuche vor. Die Schwierig¬ 
keit dabei liegt darin, dass Glykokoll in relativ grossen Dosen seine 
Wirkung entfaltet, während die Kardiaka meist in ganz kleinen Dosen 
wirken. 

G. Holzknecht berichtet in der Gesellschaft für innere Medizin 
im Namen von J. Gase über die Anwendung der Stereoskopie 
bei der Röntgenuntersuchung des Magens und des 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 

Darmes. Case macht vom Abdomen zwei Röntgenbilder, deren 
Aufnahmsrichtungen in einem Winkel zueinander stehen. Werden 
diese Bilder in ein Stereoskop eingelegt, so sieht man die Verhältnisse 
im Bauchraum ganz plastisch hervortreten. Die Aufnahme eines Bildes 
erfordert */*,—*/ m einer Sekunde. 

A. Lorenz stellt in der „Gesellsch. d. Aerzte“ mehrere Fälle 
vor, um zu demonstrieren, dass durch lang liegende Verbände eine 
Ankylose des Gelenks nicht eintreten müsse. L. 
hat bei der Klumpfussbehandlung von Kindern den Verband nach dem 
Redressement bis über das gebeugte Knie hinauf angelegt, um ein Ab¬ 
rutschen des Verbandes zu verhüten, trotzdem ein solcher Verband 
ca. 5 Monate liegen blieb, wurde niemals eine Kontraktur des Knie¬ 
gelenks konstatiert. L. hat weiter unter ca. 300 mittelst Reposition be¬ 
handelten Fällen vom kongenitaler Hüftgelenksluxation keine Ankylose 
beobachtet, trotzdem der fixierende Verband 6 Monate bis 6 Jahre 
angelegt bleiben musste. Im Gipsverband tritt zwar eine Schrumpfung 
der Muskeln und der Bindegewebsapparate ein, sie verschwindet aber 
allmählich, sobald das Gelenk in Gebrauch genommen .wird. Die Tuber¬ 
kulose hat eine geringere Tendenz zur Bildung von Ankylosen als 
der Rheumatismus, die deformierende und gonorrhoische Arthritis, 
namentlich verlieren kleine Gelenke, vor allem die Fingergelenke, das 
Sprung- und Ellbogengelenk ihre Beweglichkeit nicht leicht. Bei grösse¬ 
ren Gelenken kommt es auf die Natur des Prozesses an. Wenn die 
Gelenkskörper die Kapsel und die Muskulatur nicht zu sehr geschädigt 
sind, dann heilen das Hüftgelenk und das Kniegelenk mit Beweglichkeit 
aus, der Gipsverband befördert dabei die Heilung. 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Ueber eine biologische Beziehung zwischen Prostata und: 
den Geschlechtsdrüsen und der letzteren untereinander. 

VonJDr. Arthur Götil,*Prag. 

Kaninchen erwiesen sich für das Studiüm von Presssäften der 
Prostata und Geschlechtsdrüsen mittels serologischer und biologischer 
Methoden nicht geeignet, da sie entweder infolge der Koagulierung 
des Blutes rasch zugrunde gehen oder bei Einverleibung von bedeutend 
kleineren Dosen unter chronischer Abmagerung sterben. Deshalb ver¬ 
wendete Autor zu seinen Versuchen Meerschweinchen, welche die 
Injektion der genannten Presssäfte gut vertragen und ausserdem eine 
grosse Konstanz des anatomischen Befundes bei der Anaphylaxie auf¬ 
weisen. Autor sensibilisierte die Meerschweinchen intraperitoneal mit 
0,1 ccm folgender Presssäfte: Menschenprostata, Menschenhoden, 
Stierprostata, Stierhoden, Menschenserum und eine Emulsion von 
Schweineprostatatabletten (Burroughs Wellcome <5t Co.). Gewöhnlich 
3—4 Wochen nachher fand die Reinjektion teils intraperitoneal teils 
intravenös statt. Verwendet wurden: Menschenprostata, Menschen- 
hoden, Menschenovarium, Kuhovarium, Stierhoden, Stierprostata, Men¬ 
schenniere, Menschenleber, Rinderniere, Rinderleber, Menschenserum, 

22 . 


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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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Schweineserum, Rinderserum und die oben erwähnte Emulsion der 
Schweineprostatatabletten in Quantitäten von 1—5 ccm. Die Ver¬ 
suche waren mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden, so dass 
einzelne Reihen als unbrauchbar ausgesohieden werden mussten (viele 
der intraperitonealen Versuche waren unbrauchbar, und der Umstand, 
dass die Organe kaum blutfrei zu bekommen waren, lieferte ebenfalls 
unbrauchbare Resultate). 

Autor bevorzugt die Reinjektion in das Peritoneum, um die Serum¬ 
anaphylaxie auszuschliessen, und weil nach Salus und Sch 1 eissner 
Krämpfe und Lungenblähung allein nicht für Anaphylaxie charakte¬ 
ristisch sind. Auf Grund seiner Versuche kommt Autor zu folgenden 
Resultaten: 1. Die Geschlechtsdrüsen ermangeln der Artspezifität. 
2. Sie haben Organspezifität. 3. Diese Organspezifität betrifft die männ¬ 
lichen und weiblichen Geschlechtsdrüsen wechselseitig. 4. Die Prostata 
hat Teil an der Organspezifität der Geschlechtsdrüsen; sie ist durch dieses 
biologische Verhältnis neuerlich an die Geschlechtsdrüsen angefügt, 
o. Hoden, Ovarium und Prostata scheinen eine gemeinsame Eiweiss¬ 
art zu besitzen, welche die Fähigkeit gegenseitiger, genereller Sensi¬ 
bilisierung hat ; man kann mit einem dieser Organe auch gegen dieses 
und gegen die beiden anderen sensibilisieren. 6. Der Hoden scheint 
den grössten Gehalt an dieser Substanz zu besitzen. 7. Dieselbe findet 
sich bisweilen auch im Blute vor; sie wird wahrscheinlich von den 
Geschlechtsdrüsen und der Prostata an dasselbe abgegeben. 

Autoreferat. 


Ueber pigmentierte Adenome der Nebeniere. 

Von Dr. Franz Lueksch, Prag. 

Der Vortragende zeigt makroskopische und mikroskopische Prä¬ 
parate von schwarzen Knoten in den Nebennieren, von diesen Knoten 
war einer als echtes Adenom anzusprechen, die anderen als knotige 
Hyperplasien. Bei dem ersten Falle war klinisch eine plötzliche Senkung 
des Blutdruckes aufgefallen, doch kann der Adenomknoten nur als 
Adjuvans beim Zustandekommen dieses Symptoms aufgefasst werden, 
bei gleichzeitig bestehender Perikarditis. 

Was das in den Knoten auftretende Pigment anlangt, muss zunächst 
gesagt werden, dass es mit dem normalerweiser in der Zona reticularis 
vorkommenden vollständig identisch war; sonst hatte dasselbe die 
Eigenschaften der melanotischen Pigmente; bezüglich seines Verhält¬ 
nisses zu der sudanophilen Substanz, mit der es in den Zellen vergesell¬ 
schaftet angetrolTen wurde, kann nur ausgesagt werden, dass es wohl 
Beziehungen zu dieser Substanz haben kann, dass aber ein genetischer 
Zusammenhang dieser beiden Substanzen aus den Untersuchungen 
nicht hervorgeht. 

Die genannten Tumoren erscheinen auch deswegen interessant, 
weil sie die Vorstufen zu den von Reimann und Davidson beschriebenen 
Melanokarzinomen darstellen, welche ihren Ausgang von den Neben¬ 
nieren nehmen. Sie stellen damit einen neuen Beitrag zu der Lehre 
von der Entstehung melanotischer Tumoren aus epithelialen Elementen 
•dar. Autoreferat. 



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Referate und Besprechungen. 


33 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

dl Luzenberger (Neapel), L’Arteriosclerost e la sua cura con special« 
rlguardo dell’alta frequenza. (Piccola bibliotheoa del medico pratico. Fase. 1. 
Napoli 1010.) 

Der auf dem Gebiete der physikalischen Therapie rühmlichst bekannte 
Autor gibt in dem vorliegenden, namentlich für den ärztlichen Praktiker 
geschriebenen Aufsatz eine fesselnde Darstellung der Pathogenese, Ätiologie, 
Symptomatologie, Prognose und Therapie der Arteriosklerose. Dafür, daß 
letztere besonders ausführlich gestaltet ist, werden die Leser dem Verfasser 
besonderen Dank wissen. Die Literatur ist in ihren wichtigsten Arbeiten ver¬ 
treten, obwohl dies in einer für praktische Arzte bestimmten Arbeit, die gar 
nicht die Zeit haben, die betreffenden Arbeiten originaler zu lesen, dem 
Ref. nicht recht angängig erscheint. Ref. kann nur lebhaft wünschen, daß 
die lesenswerten Ausführungen des Verfassers durch eine Übersetzung ins 
Deutsche auch uns zugänglich gemacht werden. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Lesn6 t Paria), Tod durch Nebenniereninsufflzlenz. (Presse m6d. 15. Nov. 

1911.) 

Nicht selten sehen wir Patienten — namentlich solche höheren Alters 
— die ein Erysipelas, eine Diphtherie, Scharlach, Lungenentzündung über¬ 
standen hatten, mehr oder weniger verfallen und unter allerlei Zeichen 
Reitens des Herzens, der Lungen, der Leber, unter Erbrechen, Dyspnoe, 
Diarrhöe ziemlich schnell zu Grunde gehen. Zu machen ist fast immer nichts. 
Lesnd führt diese Erscheinungen auf eine Insuffizienz der Nebennieren 
zurück, welche er tatsächlich immer infiltriert oder degeneriert gefunden 
hat. Sein Vorschlag geht demgemäß dahin, sobald sich Prostrations- oder 
Erschöpfungszustände einstellen — sie sind offenbar das einzig zuverlässige 
Symptom — Suprarenin zu geben, täglich 10—30 Tropfen der ] %o Lösung. 
Zwei Kranke habe er auf diese Weise gerettet. (Tribüne medicale. 4». Jahrg. 
Nr. 11. S. 477/78. 1911.) Buttersack-Berlin. 

Coleman (New-York), The high calory dlet In typhoid fever: a study of 
one hundred and eieren cases. (The american journal of the medical Sciences 
1012, S. 1.) 

Auf Grund seiner Untersuchungen kommt Verfasser zu folgenden Resul¬ 
taten: 1. Keine der älteren Diätanordnungen liefert dem Kranken die nötige 
Energie zu seinem Stoffwechsel. Deshalb ist ein damit ernährter Patient 
gezwungen, zum Teil von seinen eigenen Geweben zu leben. 2. Die für 
einen Patienten erforderliche Nahrungsmenge kann nur aus seinen indivi¬ 
duellen Bedürfnissen bestimmt werden und die klinischen Führer hierzu 
sind sein Gewicht und sein Appetit. Einem Kranken, der an Gewicht ver¬ 
liert, sollte mehr Nahrung gegeben werden, wenn er sie verdauen und 
absorbieren kann. Ebenso sollte eines hungrigen Kranken Appetit ge¬ 
stillt werden. Im Frühstadium schwieriger Fälle ist es immer schwierig, 
mehr als 3000 Kalorien täglich zu geben; sind mal Remissionen da oder in 
der Rekonvaleszenz nehmen die Kranken leicht 4—6000 Kalorien täglich. 

3. Wenn irgend ein Nahrungsmittel dauernd Digestionsstörungen verursacht, 
sollte die gegebene Quantität vermindert werden oder das Nahrungsmittel 
ausgesetzt werden, sonst ist der Zweck der hochkalorischen Diät, die Er¬ 
haltung des Ernährungszustandes des Kranken nicht erreicht. Wenn ein 
Kranker nicht alle erforderliche Nahrung nehmen kann, so sollte mög¬ 
lichst soviel als er verdauen und absorbieren kann, gegeben werden. 

4. Kohlehydrate sollten den größeren Teil der Energie der 'Diät liefern. 
Die tägliche Proteinration sollte nicht unter 62 g, nicht über 94 g betragen 
Die klinische Erfahrung lehrt, daß eine fettreiche Diät von Typhuskranken 
mit Vorteil genommen wird. Fett gab in manchen Fällen ‘/a—'/:• der Total- 

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Referate und Besprechungen. 


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energio der Nahrung. 5. In den'beobachteten Fällen hat die hochkalorische 
Diät den Verlauf der Krankheit günstig beeinflußt, die Koaväleszenz abge^ 
kürzt, und die Mortalität reduziert. v. Schnizer-Höxter. 

Cabot, B. C. (Boston), The causes of ascltes: a study of fixe thousand eases* 
(The american journal of the medical Sciences 1012/1.) 

Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: Unter die möglichen Ursachen 
eines extensiven Aszites sind die kleinen soliden Tumoren des OvariumS 
zu rechnen. Eine extensive aszitische Ansammlung kann zu Pleuraergüssen 
führen, ein Komplex, der die falsche Diagnose Pleura und Peritoneal-Tbc 
veranlassen kann. Die Behandlung der Pleura- und Peritonealergüsse kann 
die Exzision beningner Ovarialtumoren postulieren. Ganz allmähliche aszitische 
Ansammlung ist manchmal für Tbc-Peritonitis charakteristisch. Der Häufig¬ 
keit nach sind die wesentlichsten Ursachen des Aszites: Herzkrankheiten, 
Nephritis, Zirrhose, Tbc-Peritonitis, intestinale Obstruktion, Erkrankungen des 
weiblichen Geschlechtsapparales. Sonst kommen hierbei noch als wesent¬ 
liche Faktoren abdominale Neoplasmen und adhaerentes Pericard in Frage. 

v. Schnizer-Höxter. 

Berg (Dortmund), Cholelithiasis und Cologen. (Deutsche med. Wochenschr. 
1911, Nr. 51.) 

Um bei Cholelithiasis wirksam eine medikamentöse Therapie durch¬ 
führen zu können, muß man genau zwischen den verschiedenen Steinformen 
unterscheiden. Die Bilirubinkalksteine sind die Folgen entzündlicher Vor¬ 
gänge in der Gallenblase, denn die Bildner des kolloidalen Steingerüstes, 
Fibrin und organische Beimengungen kommen nur bei entzündlichen Verände¬ 
rungen vor. Die Cholesterinsteine dagegen kommen durch ein herabgesetztes 
Lösungsvermögen des Cholesterin in der Galle zuwege und finden sich nur 
in entzündungsfreier Galle. Prophylaktisch ist nun einmal die Verhütung 
der Kristalloidausfällung und dann die Verhütung des Ausfallens der stein¬ 
bildenden Kolloide zu fordern. Ersteres vermag das Chologen in vollem 
Maße zu erfüllen, erhöht es doch die Lösungskraft für Cholosterine. Da¬ 
gegen ist es nicht imstande, schon vorhandenes Fibrin auszufällen, wohl 
aber kann es die Bildung von Fibrin verhüten. Besonders geeignet ist dies 
Präparat zur Sterilisation der Gallenwege, und zwar fehlen ihm dabei, obwohl 
es ein Derivat des Quecksilbers ist, toxische Eigenschaften, es kann dem¬ 
nach lange und ausgiebig genommen werden. Die zweite wichtige Eigen¬ 
schaft des Chologen ist die gallentreibende. Die direkte Bespülung mit 
der gesund gewordenen Galle führt Abschwellung der entzündeten Schleim¬ 
häute herbei und die Steine verursachen keine Beschwerden mehr, es ist also 
das Stadium der Latenz erreicht. Wird der Duktus zystikus versperrt, so 
müssen zunächst Thermophor und Narkotika das akute Stadium beseitigen, 
um dann das Chologen einwirken zu lassen. Um wirklich prophylaktisch 
Vorgehen zu können, muß vor allem mehr auf die Prodrome des Leidens 
geachtet werden. Diese sind freilich oft schwer festzustellen. Krampfartige 
Schmerzen in der Magengegend auf der Höhe der Verdauung, Darmträg¬ 
heit und Blähungen gehören hierher. Auf sie muß aufgepaßt, sie müssen 
bekämpft werden. F. Walther. 

Richter, Paul Friedrich (Berlin), Über Wesen und Behandlung der Gicht. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1911, Nr. 61.) 

Das hauptsächlichste Interesse bei der Pathogenese der Gicht ruft 
die Harnsäure hervor. Sie und die ihr nahe verwandten Körper Xanthin, 
Hypoxanthin, Adenin und Guanin, auch Purinkörper genannt, haben einen 
doppelten Ursprung, einen exogenen aus den Nukleoproteiden der Nahrung 
stammenden und einen endogenen von den im Organismus aus zerfallenden 
Kernsubstanzen herrührenden. Während der erstere wechselt, stellt der 
zweite eine.relativ konstante Größe dar. Zur getrennten Bestimmung dieser 
beiden Faktoren bedient man sich der Verabreichung einer an Purinkör¬ 
pern möglichst armen Diät, die aber das Kalorienbedürfnis des Organismus 
decken muß. Die Menge der ausgeschiedenen Harnsäure hängt nicht nur 
vom Grade ihrer Bildung, sondern auch vom Grade ihrer Zerstörung ab. 


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Referate und Besprechungen. 


341 


Was nun die Bedeutung der Harnsäure bei der Gicht betrifft, so ist 
die endogene Purinkörperausscheidung hier meist geringer wie beim Ge¬ 
sunden, was insofern von praktischer Bedeutung ist, daß man nie bei einem 
Urin, der eine Erhöhung des Harnsäurewertes aufweist, ohne weiteres die 
Diagnose Gicht stellen darf. Die exogene Purinkörperausscheidung beim 
Gichtiker hat das Charakteristische, daß bei Verfütterung von Purinbildnern 
die Kurve der Harnsäureausscheidung viel schleppender und langsamer an¬ 
steigt wie beim Gesunden und daß die Menge der ausgeschiedenen Harn¬ 
säure geringer ist. Eine exakte Toleranzbestimmung aus diesen Tatsachen 
auszuarbeiten, hält Richter nicht für angängig. Als weiterer Fundort für 
die Harnsäure gilt das Blut. Von größter Wichtigkeit ist die Tatsache, 
daß im Blut des Gichtkranken stets auch bei völlig purinfreier Kost quantitativ 
nachweisbare Harnsäuremengen gefunden werden. Dieses Vorkommen findet 
sich nur noch bei der Leukämie und in der Krisis der Pneumonie, Krank¬ 
heiten, die keine Verwechslungen herbeiführen dürften. Schwieriger gestal¬ 
ten sich die Verhältnisse bei der Nephritis, die mit Retention von Harnsäure 
einhergeht. Die Kombination der Gicht mit renalen Erscheinungen hat dazu 
geführt, eine Nierengicht von einer Stoffwechselgicht zu trennen, was R. 
nicht für durchführbar hält. 

Die Harnsäure findet sich im Blut als Mononatriumurat. Alle die ge¬ 
nannten Symptome des bei der Gicht veränderten Purinstoffwechsels sind 
nun als die Folgen einer verlangsamten Fermentwirkung erklärt worden. 
Sämtliche Fermente des Harnsäurestoffwechsels sollen geschädigt sein. Aller¬ 
dings wird damit nicht das Wesen der Krankheit vollkommen erklärt, vor 
allem nicht das Zustandekommen des akuten Anfalls. 

Für die Therapie ist es nun von Bedeutung, daß die Harnsäureüber¬ 
ladung des Organismus nur ein Symptom darstellt und nicht die Ursache 
ist. Man darf sich also nicht einseitig auf die Bekämpfung dieses Symp¬ 
toms werfen, sondern muß den klinischen Verlauf zu beeinflussen suchen. 
Natürlich ist es zunächst erforderlich, die Harnsäurebildung einzuschränken, 
was beim exogenen Faktor verhältnismäßig leicht ist. Empfehlenswert ist 
also eine purinarme Diät, wobei zu bedenken ist, daß fleischfreie und purin¬ 
arme Kost nicht gleichbedeutend ist. Stark purinhaltig sind Thymus, Leber, 
Niere und Hirn, am ärmsten ist Geflügel und Wild. Fische enthalten nicht 
wesentlich weniger Purin, wie Fleisch. Unter den Vegetabilien sind die 
Hülsenfrüchte, Spinat, Kohlrabi und Pilze zu meiden. Milch, Eier, Käse 
und Brot sind fast purinfrei. Von den Getränken ist der Wein purinfrei, 
das Bier dagegen enthält ziemlich bedeutende Mengen.. Die strikte Ein¬ 
haltung der purinarmen Diät sichert aber nun keineswegs auch einen sicheren 
Erfolg. Oft helfen auch noch so lange durchgeführte Kuren nichts. R. be¬ 
gnügt sich deshalb, eine leicht verdauliche Kost zu verordnen und nur bei 
Fettleibigen und Schlemmern auf die strenge Diät zu dringen. Allen Patien¬ 
ten ist aber der Alkohol zu verbieten. 

Ein andrer Weg zur Bekämpfung der Gicht ist, eine gesteigerte Harn¬ 
säureausfuhr herbeizuführen. Von den unendlich zahlreichen Mitteln, die zum 
großen Teil die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt haben, geht R. 
etwas näher auf das neuerdings empfohlene Atophan ein. Wenn er auch 
im akuten Anfall nicht die von anderen Autoren geschilderten guten Erfolge 
gesehen hat, so rühmt er es doch bei der chronischen Gicht sehr. Hier 
beeinflußt es die verschiedenen Schmerzen außerordentlich günstig, ja er 
schreibt dem Präparat in diesem Stadium direkt diagnostischen Wert zu. 
Er konnte bei seinem Gebrauch ein deutliches Zurückgehen der Tophi kon¬ 
statieren. Im Anfall gibt er 2—3 g, in den Intervallen 1,5 g pro Tag in, 
Einzeldosen von 0,5. Unangenehme Nebenerscheinungen hat er nicht be¬ 
obachtet. 

Um nun auch den Harnsäurespiegel im Blut dauernd herabzusetzen, 
was durch die bisher genannten Methoden nicht möglich war, sind His und 
seine Schule bestrebt gewesen ein Mittel zu finden, das verhindert, daß das 
Mononatriumurat aus seiner isomeren löslicheren Form in eine stabile über- 


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Referate und Besprechungen. 


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geht. Das Mittel ist die Radiumemanation, die am besten bei der Einatmung 
wirkt. Was die Erfolge damit betrifft, so wird zwar das Blut prompt von 
der Harnsäure befreit, der Gichtiker damit aber deshalb noch nicht von 
seinen Anfällen. Allerdings wurden die anfallsfreien Intervalle immer größer 
und besonders das subjektive Befinden nach einer solchen Kur besserte sich. 

R. macht weiter auf die Erwägungen aufmerksam, die nicht allein 
gegen die Harnsäure, sondern auch gegen das Natrium vorgehen möchten. 
Was die Trinkkuren betrifft, so darf man ihren Nutzen nicht überschätzen 
ihre Berechtigung aber nicht leugnen. Endlich erinnert er an die von Falken¬ 
stein inaugurierte Salzsäuretherapie, der man eine theoretische Berechtigung 
nicht absprechen darf. 

Von physikalischen Maßnahmen rät er vor allem die Applikation von 
Wärme an. Bezüglich des akuten Anfalls hält er das Colchikum für das 
ausgezeichnetste Präparat, das er in Gestalt des Colchicin Merck oder Houde 
zu 0,001 4—6 mal innerhalb von 2 Stunden nehmen läßt. 

F. Walther. 

LerebouIIet, P. (Paris), Eplgastralgle bei Diabetes (L’6plgastralgie, sign« 
prtcurseur du coma diab6tlque). (Progr. med. 1911, S. 583.) 

Mitteilung zweier Fälle von lang bestehendem Diabetes, bei welchen 
24 Stunden vor Ausbruch des coma diabeticum intensive Schmerzen in der 
Magengrube auftraten. In ihrem Charakter erinnerten sie am meisten an 
tabische Krisen. Daneben bestand noch die K u ß m a u 1 sehe große Atmung. 
L. nimmt das Symptom als Zeichen beginnender Acidose-Vergiftung, wobei 
das Gift auf den Plexus solaris wirke, und rät zu sofortigen alkalischen 
Injektionen. Buttersack-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Wagner, G. A. (Wien), Zur Technik der Metreuryse. (Münchner med. 
Wochenschr. 1911, p. 1623.) 

Das Einlegen des Metreurynters ist an und für faich sehr leicht, wenn 
man durch eine geeignete Zange dafür sorgt, daß bei der Entfernung 
der Einführungszange der in den Uterus eingelegte Ballon liegen bleibt. 
Zur Erleichterung beschreibt W. eine Zange, deren beide Branchen durch 
ein englisches Schloß, wie es beim Forzeps angebracht ist, verbunden sind, 
so daß die Branchen sich nach Einführen des Ballons einzeln entfernen 
lassen. Ref. kann die Zweckmäßigkeit eines derartigen Instrumentes nur 
bestätigen, da er schon seit Jahren mit einer solchen Zange, die wohl von 
Müller (München) angegeben ist, arbeitet. Die Wagnersche Konstruktion 
ist also kein Novum. Eine andere Frage ist es aber, ob sich der ganze 
Artikel bei der Überbelastung unserer Literatur nicht erübrigt, da die als 
neu beschriebene Kolpeurynterzange schon seit mindestens 10 Jahren in 
München von Stiefenhofer verfertigt wird. 

Frankenstein-Cöln. 

Schmid, Hans Hermann (Prag), Über Retraktion der Plazenta durch vor¬ 
zeitige Sekaleverabreichung. (Münchner med. Wochenschr. 1911, p. 2014.) 

Warnung vor der Sekaledarreichung vor vollständiger Entleerung des 
Uterus, besonders vor der Geburt der Plazenta unter genauer Darlegung 
eines diesbezüglichen Falles. Ref. möchte hervorheben, daß der Fall im 
Sinne des Verf. gar nichts beweist. Denn, daß man nicht Sekale geben darf, 
wenn die Geburt der Plazenta ca. 8 Stunden nach der Geburt des Kindes 
noch nicht erfolgt ist, bedarf keines Beweises mehr. Ebenso ist die Emp¬ 
fehlung des Pituitrin, an dieser Stelle überflüssig, denn nicht das Ergotin 
ist schuld, sondern dessen falsche Anwendung. Frankenstein-Cöln. 

Hörmann, Karl (München), Soll man Plazentarreste nach reifer Gebnrt 
entfernen oder nicht! (Monatsschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34 p. 412.) 

Die von Winter auf dem Gynäkologenkongreß zu Straßburg vorge¬ 
tragenen Bedenken gegen das prinzipiell aktive Vorgehen bei Reten¬ 
tion von Plazentarresten nach reifer Geburt werden von H. einer außerordent- 



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343: 


lieh dankenswerten Kritik unterzogen. H. legt seinen Ausführungen das 
Material der Münchener Klinik zu Grunde und zeigt im einzelnen, daß die 
Wintersc-hen Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres angenommen werden 
müssen. Einmal ist zwar zuzugeben, daß die Retention von Plazentarresten 
keineswegs häufig zu schwerem Puerperalfieber führt; daß dies aber 
niemals der Fall ist, entspricht nicht den Tatsachen. Weiterhin findet 
die Annahme Winters, daß durch die Ausräumung von Plazentarresten 
relativ häufig aus ganz leichten Fieberfällen, schwere, ja tödliche Infektionen 
heraufbeschworen werden, an dem beinahe doppelt so großen Münchner 
Material keine Stütze. Vor allem aber ist der Vorschlag von Winter, 
die spontane Ausstoßung der Plazentarreste abzuwarten, praktisch undurch¬ 
führbar. H. weist nach, daß in ca. 80 o/o starke Blutungen zum aktiven 
Vorgehen zwingen; dabei ist zu berücksichtigen, daß auch in den Testieren¬ 
den Fällen mit der Möglichkeit einer plötzlich eintretenden, abnormen 
Blutung zu rechnen ist. Auch die durch genaue bakteriologische Unter¬ 
suchung vorzunehmende „Sortierung“ der Fälle dürfte für die Praxis un¬ 
durchführbar sein. Alles in allem belegt die Arbeit von H. die von den 
meisten Praktikern vertretene Ansicht mit beweisendem Tatsachenmaterial, 
daß die Vorschläge Winters für die Allgemeinpraxis undurchführbar, ja 
vielleicht sogar gefährlich sind. Der Praktiker wird deshalb gut tun, das 
„veraltete“, aktive Vorgehen bei Plazentarresten beizubehalten. 

Frankens tein-Cöln. 

Zangemeister (Marburg), Über puerperale Selbstinlektion. (Münchner med. 
Wochenschr. 1911, p. 1753.) 

Der Autor, dessen Erfahrungen gerade auf dem Gebiete der fieber¬ 
haften Puerperalprozesse außerordentlich ausgebreitet ist, betont auf Grund 
von eigenen Beobachtungen und Arbeiten als auch auf Grund der Literatur, 
daß nicht alle puerperalen Infektionen von außen eingeschleppte Keime 
zur Voraussetzung haben. 

Auf diese Weise läßt sich auch erklären, daß bezüglich des Wochen¬ 
betts die Einführung des sterilen Gummihandschuhes zur Untersuchung der 
Kreißenden keinen solchen Vorteil gebracht hat, wie man sich versprochen 
hat. Wir müssen feststellen, daß ein nicht unbeträchtlicher Teil der heute 
trotz peinlicher Vorsicht vorkommenden Wochenbettfieber der Wirkung 
solcher Keime zuzuschreiben ist, welche bereits inter partum vor einer 
inneren Berührung, zum Teil nachweislich schon inter graviditatem im 
Vaginalsekret vorhanden waren. Diese Infektionen brauchen nicht immer 
belanglos zu sein. Wir bezeichnen diesen Infektionsmodus als Infektion 
mit endogenen Keimen. Z. untersucht weiterhin, unter welchen Bedingungen 
Infektionen mit solchen Eigenkeimen zustande kommen, deren einzelne Auf¬ 
zählung hier zu weit führen dürfte. Das Hauptverdienst der Arbeit beruht 
darin, daß Z. versucht, die Schuldfrage bei puerperaler Infektion, die seit 
Semmelweiß schon vielfach übertrieben und falsch ausgelegt worden 
ist, bei der Betrachtung der Puerperalprozesse mehr auszuschalten, ohne 
daß etwa die Gefahr der Außeninfektion gering geschätzt werden dürfte. 
Es ist an der Zeit, der endogenen Infektion ebenfalls etwas mehr Aufmerk¬ 
samkeit zu schenken. Frankenstein-Cöln. 

Sohnstedt, Georg (Kursk), Über Sernmbehandlung der puerperalen Sepsis- 
(Monatschr. f. Geb. Gyn., Bd. 34, p. 46.) 

B. schildert seine diesbezüglichen Erfahrungen, welche er an 26 Fällen 
sammeln konnte. Fünfmal erzielte er typische Erfolge, die er durch Repro¬ 
duktion der Temperaturkurven belegt. Die Gesetzmäßigkeit, welche sich 
in allen diesen Kurven findet, zwingt den Verfasser zu dem Schlüsse, daß 
das von ihm verwandte antipuerperale Serum von Gabritschewsky 
eine spezifische Wirksamkeit gezeigt habe. In anderen Fällen war der Erfolg 
der Seruminjektion nicht so eklatant. Bei ausgesprochener Lokalisation des 
septischen Prozesses, bei allen eitrigen Prozessen, wie Peritonitis, Para-Peri¬ 
metritis usw. bei Kombination der Sepsis mit Erkrankungen der inneren. 
Organe bleibt das Serum wirkungslos. 


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344 Referate uud Besprechungen. 

Andere antipuerperale Seren brachten nicht .den gleichen Erfolg. Da 
Verfasser keine Möglichkeit bakteriologischer Studien hatte, steht leider 
die Theorie dieses klinischen Erfolges auf schwachen Füßen. Ref. meint, 
daß nach wie vor die Serumanwendung bei puerperaler Sepsis mehr Tem¬ 
peramentssache sei. Frankenstein-Cöln. 

Schmitt, Arthur (Würzburg', Die spezifische Behandlung der Gonorrhoe, 
mit besonderer Berücksichtigung der Cervixgonorrhoe. (Münchner medizinische 
Wochenschr. 1911, p. 2156.) 

An der Würzburger Hautklinik wurde auf exakteste Weise die Wir¬ 
kung der Bruckschen und Reit er sehen Vakzinetherapie nachgeprüft. 
Es zeigten sich bei Fällen von Zervikalgonorrhöe zum Teil günstige Er¬ 
folge. Ein großer Teil wird von keinem dieser beiden Vakzine geheilt; 
eine Überlegenheit eines der Vakzine über das andere besteht nicht. In 
einzelnen Fällen versagte das eine, während das andere half; in anderen 
Fällen versagten beide. Infolgedessen ließ sich keine genaue Indikation für 
eines dieser Mittel aufstellen. Schädigungen außer Kopfschmerzen und vor¬ 
übergehenden Temperatursteigerungen wurden nicht beobachtet. 

Frankenstein-Cöln. 

Bondy, Oskar (Breslau), Über Vorkommen und klinische Wertigkeit der 
Streptokokken beim Abort. (Münchner med. Wochenschr. 1911, p. 2010.) 

Bakteriologische Untersuchungen an 100 Abortfällen der Breslauer 
Frauenklinik ergaben in den meisten ganz gutartig verlaufenden Fällen 
Streptokokkenbefunde. Der gutartige Verlauf des Aborts wurde auch durch 
die Ausräumung nicht beeinflußt. Überhaupt zeigte sich kein regelrechtes 
Verhalten, denn während einerseits die Ausräumung bei hämolytischen Strepto¬ 
kokken gefahrlos verlief, traten andererseits bei anderen Streptokokkenformen 
schwere und schwerste Erkrankungen auf. Die von Winter vorgeschlagene 
expektative Therapie des Abortes muß erst durch eine größere Zahlenreihe 
gestützt werden, ehe die günstige Reaktion einer prompten Abortausräu¬ 
mung geleugnet werden kann. Frankenstein-Cöln. 

Neu, Maximilian (Heidelberg), Weitere experimentelle Beiträge zur Bio¬ 
logie des Blutes in der Gestationsperiode des Weibes. (Münchn. med. Wochen¬ 
schrift 1911, p. 1810.) 

Auf drei verschiedene Weisen prüft Neu mit ziemlich komplizierten 
Methoden das biologische Verhalten des Blutes während der Gestations- 
zeit. Und zwar findet er eine gegen die Norm erhöhe Menge von adrenalin¬ 
haltigen Substanzen im Blute kreisen. Er nimmt an, daß die uterine Erreg¬ 
barkeit, deren Ursache bisher unerklärlich war, durch diesen Befund erklärt 
wird. Der Uterus erscheint gewissermaßen durch diese Substanzen sensibili¬ 
siert. Er folgert weiterhin, daß adrenalinartige Substanzen, ebenso wie das 
Adrenalin für die normale Funktion des ganzen sympatischen Nervensystems 
eine notwendige Bedingung zu sein scheint, für die gesteigerte Funktion des 
Uterus in der Gestationszeit von Bedeutung sein könnte. Die Frage nach 
der Ursache des Geburtseintrittes ist aber noch nicht gelöst. 

Frankenstein-Cöln. 

Bab, Hans (Wien), Die Behandlung der Osteomalacie mit Hypophysen¬ 
extrakt. (Münchn. med. Wochenschr. 1911, p. 1814.) 

Auf Grund der Beobachtung von 10 Fällen kommt Verfasser zu der 
Ansicht, daß das Pituitrin imstande ist, in einer Anzahl von Fällen die 
Knochenschmerzen bei Osteomalazie zu beseitigen, und dadurch die Be- 
wegungsfähigkeit der Kranken zu bessern. Über die Dauerwirkung läßt 
sich vor der Hand noch nichts aussagen. Dieserhalb läßt sich auch kein 
Schluß ziehen, weil ja bekannt ist, daß es vereinzelte Fälle von Osteomalazie 
gibt, die bisher jeder Behandlung, selbst der Kastration nach Fehling 
trotzten. 

Der Verfasser kam zu seinen therapeutischen Versuchen mit Pituitrin 
durch die Überlegung, daß zwischen Akromegalie und Osteomalazie ein 
tiefgreifender Antagonismus besteht, der sich durch alle einzelnen Krank¬ 
heitserscheinungen belegen läßt. Er schließt also aus diesen Erkrankungen 


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Referate and Besprechungen. 


345 


auf einen ausgeprägten Antagonismus zwischen Hirnanhang und Keimdrüsen, 
und glaubte dadurch die Erscheinungen der Osteomalazie durch vermehrte 
Zuführung von Stoffen des Gehirnanhanges erfolgreich behandeln zu können. 

Frankenstein-Cöln. 

Petermöller, Felix (Osnabrück), Neue Beiträge zur Behandlung des Nabel- 
schnurrestes der Neugeborenen. (Monatschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 207.) 

Bericht über Versuche mit den neueren Methoden der Nabelversorgung, 
die alle nicht genügend befriedigten, so daß P. einen Trockenverband mit 
Kieselgur empfiehlt. Er erzielte in diesen Fällen einen Abfall des Nabel¬ 
schnurrestes in 4 Tagen und 12 Stunden. Frankenstein-Cöln. 

Bensch, Karl (München), Erfolge und Aussichten der Behandlung der 
hereditären Lues. (Monatschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 273.) 

Bei der Behandlung der hereditären Lues haben sich bestimmte Richt- 
w'ege als notwendig erwiesen. Immerhin ist festzuhalten, daß jede Mutter, 
die ein luetisches Kind zur Welt bringt, selbst luetisch ist, sie mag klinisch 
noch so gesund und symptomenfrei erscheinen. Demnach ist bei der hereditären 
Lues die Behandlung der Mutter sehr wichtig. B. teilt seine Erfahrungen 
mit der Salvarsanbehandlung an der Münchener Frauenklinik mit, w T obei 
er weder bei Schwangeren noch bei Wöchnerinnen unangenehme Neben¬ 
wirkungen sah. Die Wirkung dieser Behandlung auf die Wassermannsche 
Reaktion blieb in allen Fällen aus, kein einziges Mal wurde die Reaktion 
negativ. In 3 Fällen von Salvarsanbehandlung intra graviditatem wurden 
klinisch gesunde Kinder geboren. Zur Behandlung luetischer Kinder zieht 
B. die direkte Salvarsanbehandlung der indirekten Behandlung (durch In¬ 
jektion der stillenden Mutter) vor. Frankenstein-Cöln. 

Klages, Richard (Düsseldorf), Serres fines Sperrklemme. (Münchner raed. 
Wochenschr. 1911, p. 1825.) 

Angabe und genaue Beschreioung einer Sperrklemme zum Anbringen 
der Herffschen serres fines. Der Vorteil des Instrumentes besteht darin, 
daß die Handhabung der von Her ff angegebenen Klemmen, besonders 
beim Arbeiten mit Gummihandschuhen verschiedene Schwierigkeiten bietet. 
Diesem Übelstande soll die Sperrklemme abhelfen. Frankenstein-Cöln. 

Rlelaender, H. (Marburg), Zur Bedeutung des Hydrozephalus in der Geburt» 

(Münchner med. Wochensohr. 1911, p. 1858.) 

An der Hand von 3 Schulfällen dieser Geburtsanomalie und zwar einmal 
bei vorangehendem Kopf, zweimal bei nachfolgendem Kopf, bei dem nur 
einmal eine Punktion des Hydrozephalus notwendig war, bespricht R. aus¬ 
giebig diese Anomalie. 

Bezüglich der Diagnose legt er einen ganz besonders großen Wert 
auf drei Punkte. Nämlich auf den großen Umfang des auf dem Becken¬ 
eingang stehenden Kopfes, die weiten Fontanellen und die breiten Nähte; 
ferner bleibt der Kopf hoch oben über den Beckeneingang stehen und hat 
trotz guter Wehen keine Neigung, in das Becken einzutreten. Endlich ist 
die bimanuelle Abtastung des vorliegenden Kopfes ausschlaggebend. Die 
übrigen Merkmale, die von den Lehrbüchern angegeben werden, haben nach 
R. geringeren Wert. Bei nachfolgendem Kopf wird sich die Diagnose selten 
vor der Geburt des Rumpfes stellen lassen. Sollte aber nach der Geburt 
des Rumpfes die Entwicklung des Kopfes nach Veit-Smellie unbedingt mi߬ 
lingen, so wird an den Hydrozephalus stets zu denken sein. Die Therapie bei 
Hydrozephalus ist einfach; sie besteht in der Entleerung der Flüssigkeit 
durch Punktion des Schädels, w-obei man sich hüten muß, einen Hirnsinus 
anzustechen. Bei nachfolgendem Kopf wird eventuell die Entleerung der 
Flüssigkeit durch den Wirbelkanal nach dem Vorgänge von Kohnstein. 
zweckmäßig sein. Frankenstein-Cöln. 


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Referate und Besprechungen. 


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Psychiatrie und Neurologie. 

Stallmann (Merzig), Über affektepileptische Anfälle bei Psychopathen. 

{Allg. Ztechr. f. Psych., Bd. 68, H. 6.) 

Sechs Fälle, alle im 3. Dezennium erkrankt, welche das von B r a t z 
neuerdings ausführlicher geschilderte Bild der Affektepilepsie bestätigen. 
Das Wesentliche ist die psychopathische Abartung der Betreffenden, das 
episodische Auftreten im Anschluß an einen äußeren Reiz, das Ausbleiben 
jedes Einflusses auf die psychischen Qualitäten, und dies alles bei Krampf¬ 
anfällen, welche sich sonst in nichts von den typisch epileptischen unter¬ 
scheiden. Gemeinsam war allen eine mehr oder weniger hochgradige vaso¬ 
motorische Neurasthenie, während somatische oder seelische Symptome der 
Hysterie nicht nachweisbar waren. Zweig-Dalldorf. 

Mingazxlnl, G. (Rom), Das Ltnsenkernsyndroui. Klinische u. anatomisch¬ 
pathologische Betrachtungen. (Allg. Ztschr. f. Psych. Bd. 68, H. 3.) 

Über die Funktionen des Linsenkerns ist man falscher Ansicht, weil 
man alle Segmente desselben für einheitlich hält und geneigt ist, jedes 
infolge einer Läsion des Linsenkerns sich entwickelnde Symptom der 
inneren Kapsel zuzuschreiben. Die Zerstörung des Linsenkerns ruft beim 
Menschen einen Symptomenkomplex hervor, bestehend aus leichten Paresen 
des facial. und der Glieder der entgegengesetzten Seite (also motorische 
Fasern), ferner leichter Steigerung der gleichseitigen Reflexe, leichter 
Anisokorie und bisweilen einer Atrophie der Extremitäten und Störungen 
der Sensibilität. Nimmt die Läsion die vier hinteren Fünftel des linken 
Ganglions ein, so tritt eine Dysarthrie bis Anarthrie auf. Bei Beteiligung 
des Putamen kommt es auch zu Parästhesien auf der entgegengesetzten 
Seite. Zweig-Dalldorf. 

Schnitzler, J. G. (Utrecht), Zur differential - diagnostischen Bedeutung der 
isolierten Phase 1 Reaktion In der Spinalflüssigkeit, ebd. 

Verschiedene Autoren hatten in den letzten Jahren bei komprimierenden 
Rückenmarkstumoren isolierte Phase 1 mit fehlender Pleozytose konstatiert, 
so daß man ein diagnostisch wertvolles neues Moment in der Symptomatologie 
der spinalen Geschwülste gefunden zu haben hoffte. Nach den Erfahrungen 
von S. trifft dies leider nicht zu, sondern auch tuberkulöse Karies der W'irbel 
mit Kompression des Rückenmarks gibt denselben Befund. Das pathogene¬ 
tisch Gemeinsame ist offenbar die Behinderung in der Zirkulation in den 
spinal-pialen Blut- und Lymphbahnen. Die Zellfreiheit ist dabei nichts 
grundsätzlich Wichtiges, immerhin spricht eine fehlende Pleozytose un¬ 
zweideutig gegen einen entzündlichen Prozeß bei einer schweren spinalen 
Affektion und ist daher im Falle eines Tumors, von sekundären irritativen 
Reizungen abgesehen, als die Regel zu betrachten. Bei der Spondylitis 
tub. würde eine komplizierende Pachymeningitis auch eine Pleozytose be¬ 
dingen. Isolierte Phase 1 zeigt also nichts Spezifisches mehr an, sondern 
nur noch die Kompression abführender spinaler Gefäße. 

Zweig-Dalldorf. 

p Glese, G. (Königsberg), Zur Kenntnis der psychischen Störungen nach 
Kohlenoxydvergiftungen. (Allg. Ztschr. f. Psych., Bd. 68, H. 6). 

Der Korsakowsche Symptomenkomplex ist, wie auch die beiden mitge¬ 
teilten Fälle zeigen, ein sehr häufiger Reaktionstypus nach Kohlenoxydver¬ 
giftung. Ebenso wie nach Hirnerschütterung und Strangulation scheint bei 
der vorliegenden Ätiologie der Korsakowsche Komplex eine leichte, pro¬ 
gnostisch nicht so ungünstige Reaktionsform darzustellen, beruhend auf zum 
Teil reparablen Rindenschädigungen im Gegensatz zu schweren Demenz¬ 
formen, wie sie auch nach Kohlenoxydvergiftungen Vorkommen und aus 
der Literatur zusammengestellt werden. Zweig-Dalldorf. 

Lherinitte, J. (Paris), L es petits signes de I’h6mipl6gie organlque et la 
valeur g6m6iologique. (Revue neurologique 1911, Nr. 19, S. 407.) 

Neben den bekannten Zeichen organischer Lähmungen gibt es noch 



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Referate und Besprechungen. 347 

«ine Anzahl weniger bekannter, welche Lherraitte im vorliegenden Auf¬ 
satz zusammenstellt. 

Da ist zunächst das Phänomen der Interossei nach Soupues: 
Will der Pat. seinen gelähmten Arm in die Höhe heben, so spreizen sich 
die Finger fächerförmig. Ursache: die interossei dorsales sind stärker als 
die interossei palmares. 

Das Daumenphänomen von Klippel und Math. Weil be¬ 
steht in einer ausgesprochenen Flexion des Daumens beim (passiven) Ver¬ 
such, die übrigen Finger zu strecken. Normaliter streckt sich dabei der 
Daumen mit. 

Nach M i 1 i a n und M e u n i e r ist auf der gelähmten Seite der Kor- 
nealreflex erloschen, während er auf der nicht gelähmten fortbesteht, 
auch im tiefsten Koma. 

Nach H o o n e r ziehen sich beim Gesunden, der auf dem Rücken liegt, 
die Extensoren des linken Beins zusammen, wenn er das rechte hebt (und 
umgekehrt); ebenso verhält es sich bei Patienten mit organischer Hemir 
plagie. Bei Hysterischen dagegen fehlt diese Opposition complemen- 
taire. Nach Lhermitte tritt bei organischer schlaffer Lähmung dieses 
Phänomen am gesunden Bein auf, wenn das gelähmte Bein gehoben werden 
soll; fehlt aber im gelähmten Bein, wenn das gesunde gehoben wird. Bei 
hysterischen Hemiplegien fehlt es in beiden Fällen. 

Liegt ein Hemiplegiker mit gespreizten Beinen auf dem Rücken und 
• soll er mit dem gesunden Bein Adduktionsbewegungen machen, so beob¬ 
achtet man Kontraktionen der Adduktoren auch im gelähmten Bein, und 
umgekehrt Bei Gesunden und bei hysterischen Hemiplegien sei das nicht 
der Fall. (R a i m i s t e.) Buttersack-Berlin. 

Mattauschek, M. und Pilcz, A. (Wien), Beitrag zur I.ues - Paralysefrage. 

<Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 8, H. Z.) 

Unter 4134 in den Jahren 1880 bis 1900 wegen einer syphilitischen 
Affektion in Behandlung gewesenen Offizieren werden 3965 als gesund 
geführt. Bei Weglassung aller Fälle unter einer 10 jährigen Beobachtungs¬ 
dauer ergab sich, daß mindestens 4,6 o/o aller Luetiker an Paralyse er¬ 
kranken. Das Intervall zw T ischen Infektion und metaluetischer Erkrankung 
scheint beim Militär etwas kürzer zu sein als beim Zivil, was sich vielleicht 
im Sinne der Edingerschen Theorie aus den stärkeren psychischen und 
körperlichen Strapazen erklärt. Ein Alter über 40 Jahre bei der Infektion 
hat meist ein kürzeres Intervall bis zum Ausbruch der Nervenerkrankung 
zur Folge. Unter 251 Paralytikern hatten 53,3 o/ 0 eine Lues ohne Rezidive, 

30.2 o/ 0 mit einem einmaligen und nur 16,3 o/ 0 mit mehrmaligen Rezidiven. 
Die Luetiker mit ungenügender Behandlung stellen ein Kontingent von 

23.2 o/o—30,6 o/o, die entsprechend Behandelten von 3,4 o/ 0 zur Paralyse. 

Für einen Einfluß der antiluetischen Behandlung spricht auch die Tat¬ 
sache, daß von den im Jahre 1884 Infizierten 10,4 o/ 0 , von den im Jahre 
1899 Infizierten und vervollkommneter Behandelten nur 3,2 Oo Paralytiker 
wurden. Wenn aber demnach auch die weitaus überwiegende Mehrheit der 
Paralytiker eine trotz ungenügender antiluetischer Therapie ungewöhnlich 
leicht verlaufende oder eine ungenügend behandelte Lues aufweisen, so 
sieht man andrerseits, daß auch die sorgfältigste Behandlung mitunter weder 
vor Luesrezidiven noch vor der paralytischen Erkrankung schützt. Keines¬ 
wegs aber kann eine energische Behandlung Luetischer in bezug auf spätere 
Nervenerkrankungen schaden, es muß vielmehr eine chronisch-intermittierende) 
Behandlung unbedingt empfohlen werden. Auch auf das Intervall zwischen 
Infektion und Nervenerkrankung scheint die Behandlung ohne Einfluß zu 
sein. Eine fieberhafte Infektionskrankheit während der ersten Jahre nach 
der Infektion scheint bis zu einem gewissen Grade die Wahrscheinlichkeit 
einer späteren Paralyse zu verringern. — über die entsprechenden Verhältnisse 
bei der Tabes und der Lues cerebro-spinalis wird wohl besonders berichtet 
werden. — Ref. hat die zweiten Dezimalstellen bei den Prozentzahlen fort- 
gelassen. Zweig-Dalldorf. 


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348 


Referate und Besprechungen. 


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Dawidenkow, 8. (Charkow), Beitrag zur Lehre von den segmentären Bauch* 
muskellähmungen, ebd. Bd. 8, H. 1.) 

Die Muskelabschnitte der recti resp. obliqui werden multiradikuliir inner- 
viert. Hinsichtlich des vierten, d. h. unterhalb des Nabels liegenden Muskel- 
segments des rectus kommt die prävalierende Bedeutung dem elften Dorsal¬ 
segment zu. Zweig-Dalldorf. 


Ohrenheilkunde. 

Marx, über den galvanischen Nystagmus. (Arch. intemat. de laryng., 
Bd. 32, Nr. 3.) 

Marx hat bei einer Anzahl von Meerschweinchen die Bogengänge des 
Labyrinths mit Guttapercha plombiert, bei anderen zerstört, bei einer dritten 
das ganze Labyrinth zerstört, so daß spätere histologische Untersuchung 
das völlige Fehlen des Sinnesepithels erwies. Nach all diesen Operationen 
war der galvanische Nystagmus in normaler Weise auszulösen. — Man 
war bisher der Ansicht, daß derselbe nur durch Reizung der Sinnesepitelien 
der Ampullen zustande komme, und daß aus seinem Ausfall auf den Zustand 
dieser geschlossen werden könne; aus den Experimenten erhellt dagegen: 

1. daß galvanische Prüfung nichts über den Zustand des Labyrinths aussagt; 

2. daß man klinisch Affektionen des physikalischen (Bogengangs-) Apparates 
und des nervus vestibularis nicht auseinanderhalten kann. 

Arth. Meyer-Berlin. 


Röntgenologie und physikalisch-difitetische Heilmethoden. 

di Luzenberger f(Neapel), £ Beitrag zur?Röntgentherapie der Lymphdrüsen- 
krankheiten. (Sep.-Abdruck aus Röntgen-Taschenbuch, III. Band. 1911.) 

Die Prinzipien der Röntgenbehandlung der Drüsenkrankheiten faßt Ver¬ 
fasser in folgenden Worten zusammen: 

1. Alle krankhaften Veränderungen des Lymphdrüsengewebes lassen 
sich durch Röntgenstrahlen günstig beeinflussen. 

2. Die Bestrahlungen sollen, die nötigen Vorsichtsmaßregeln vorausge- 
gesetzt, sehr energisch und mit längeren Zwischenpausen gegeben werden. 

3. Rezidive, die Vorkommen können, sollen uns nicht entmutigen und 
man soll das Verfahren wieder aufnehmen. 

4. Zur Verminderung von Rückfällen soll man die Behandlung bis 
zum vollkommenen Verschwinden der Drüse fortsetzen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Einhorn, Max (New-York), Radiumbehandlung beim Krebs des Ter* 
dauungstraktes. (Ztschr. für physik. u. diätet. Therapie 1911, XV, 12, S. 
728—736.) 

Einhorn ließ Kapseln mit 0,07 g reinen Radiumbromids 6 Stunden lang 
bei inoperablen Speiseröhren- und Magenkarzinomen einwirken und sah davon 
subjektive und objektive Besserungen. Das Leben wurde verlängert, aber 
Heilung nicht erzielt. Vielleicht wäre das möglich, wenn diese Therapie 
nicht erst bei inoperablen, sondern schon bei frischen Fällen inszeniert würde. 

Buttersack-Berlin. 

Breiger (Berlin), Die 'wissenschaftliche Begründung der Lichttherapie. 
(Ztschr. f. physik. u. diätet. Therapie 1911, XV, 12, S. 722—726.) 

Breiger macht darauf aufmerksam, daß die wunderbaren Heilresul¬ 
tate von allerhand chirurgischen Fällen in Samaden und Ley s in keines¬ 
wegs eine Funktion der Erhebung über den Meeresspiegel ist, sondern eine 
Folge der besseren Sonnenbestrahlung, indem da oben von der dünneren 



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Referate und Besprechungen. 


349 


Luftschicht weniger violette und ultraviolette Strahlen absorbiert werden. 
Es sei technisch leicht möglich, auch in der Ebene ein „Höhensonnen¬ 
bad“ künstlich zu erzeugen, z. B. mit Hilfe des Quecksilberdampflichtes 
oder der Uviollampe. 

Es ist merkwürdig, wie wenig Beachtung diesen ingeniösen technischen 
Konstruktionen geschenkt wird, während Dinge von zweifelhaftem Wert eine 
große Resonanz finden. Allerdings, in welcher Weise die violetten Strahlen 
heilend wirken, wissen wir nicht. Von einer Anregung der vis vitalis mag 
man nicht sprechen, da eine solche offiziell nicht mehr anerkannt wird; 
und ganz besonders die Chirurgie geht vielfach von der stillschweigenden 
Voraussetzung aus, daß ein scharfes Messer, ein zuverlässiges Antiseptikum 
und ein gewandter Operateur an Stelle der alten Lebenskraft zu treten hätten. 
Natürlich werden andersgerichtete Bestrebungen in unserer Zeit, in welcher 
die- Chirurgie und die pathologische Anatomie das Feld beherrschen, zu¬ 
nächst wenig Anklang finden. Aber das Rad der Zeit eilt weiter; und viel¬ 
leicht ist der Tag nicht mehr allzufern, an dem die Erkenntnis dämmert, 
daß wir unsere Energie, unsere Lebenskraft, der Sonne nicht nur mittelbar, 
durch Pflanzen und Kohlen, verdanken, sondern daß wir sie auch dauernd 
direkt von ihr aufnehmen. Für so ungeschickt können wir schließlich die 
Konstruktionskünstlerin Natur auf die Dauer doch nicht halten, daß sie 
unsere Haut geradezu als Isolator gegen die lebenspendende Sonnenenergie 
eingerichtet habe. Zwar „der Arzt mag’s nicht wissen“ — so wenig als zu 
Paracelsus Zeiten — aber die Natur weiß, wie sie das machen kann.“ 
(Paracelsus, observat. medic. circa morborum acutorum historiam et cura- 
tionem, Sect. I. Cap. 1. 1695.) 

Auf den allerdings langsamen Wandel der Anschauungen seien die 
Leser hingewiesen. Buttersack-Berlin. 

Eisenmenger, Bud. (Bad Baaßen, Siebenbürgen), Die Bedeutung der Saug- 
und Druckmassage des Bauches. (Ztschr. f. physik. u. diätet. Therapie 1911, 
XV. Band, Heft 12, S. 737—742.) 

Eisenmenger hat in der genannten Zeitschrift (Februar 1905) einen 
luftdicht um den Bauch herumzulegenden Panzer beschrieben; derselbe ist 
an eine Saug- und Druckpumpe angeschlossen, vermittelst deren man in 
dem Raum zwischen Bauch und Panzer nach Belieben positiven oder nega¬ 
tiven Druck erzeugen kann. Die physiologischen Effekte dieser künstlichen 
Atmung lassen sich leicht ableiten; denn in der Tat läuft es auf eine 
solche hinaus, nur daß eben die Kraft nicht von der Brusthöhle, also von 
oben, auf das Zwerchfell wirkt, sondern von unten. Eisenmenger zieht 
den Kreis der Indikationen ziemlich weit: Herzinsuffizienz, Lungenödem, 
Emphysem, Pneumonie, Bronchopneumonie, Plethora abdominalis, Tabes, 
Asphyxien, Gasvergiftungen, Tod durch Ersticken, Ertrinken, Erhängen. 
Seine persönlichen Erfahrungen in der Praxis sind zwar klein, aber er¬ 
mutigend, so daß der Methode immerhin ein Platz im physikalischen Arma- 
mentarium zu gönnen ist. Buttersack-Berlin. 

Fabrik: Herrn. Straube in Dresden-N. Preis: Mk. 350. 

Jerusalem, Max (Wien), Zur Sonnenlichtbehandlung der chirurgischen 
Tuberkulose. (Ztschr. f. phys. u. diät. Therapie 1911, XV. Bd., S. 386—392.) 

Man muß sich immer wieder wundern, wie schwer wirklich wirksame 
Therapien Eingang in die allgemeine Praxis finden im Gegensatz zu zweifel¬ 
haften. Da werden seit 20 Jahren die tiefgründigsten Arbeiten und immer 
neue Versuchsreihen über Tuberkulin und dergleichen Extrakte angestellt 
und veröffentlicht mit Resultaten, über welche man im günstigsten Fall 
verschiedener Meinung sein kann. Mittlerweile führt Dr. R o 11 i e r in aller 
•Stille seine Patienten, soweit ihnen überhaupt noch zu helfen ist, in L e y s i n 
der Heilung zu. Und zwar nicht bloß einer Heilung mit Defekt, mit Ampu¬ 
tationen, Ankylosen oder wenigstens mit Neigung zu Rezidiven; er erzielt 
vielmehr funktionell die besten Resultate, und die Leute brauchen nicht 
immer wieder auf unabsehbare Zeiten in seine Sanatorien zurückzukehren. 


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Bücherochau. 


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Jerusalem liat in Grimmenstein bei Wien (760 m) das nach¬ 
zumachen unternommen und ist von den Erfolgen sehr befriedigt. Seine Ab¬ 
handlung sollte jedem Chirurgen, ehe er zum Messer greift, zu denken geben. 
J. hat richtig erkannt, daß es nicht genügt, die lokale Sedes morbi auszu¬ 
kratzen oder anderweitig zu attackieren. Wichtiger ist es, die Sedes sanitatis 
zu kräftigen oder mobil zu machen. Aber über den Untersuchungen bezügl. 
der ersteren hat man die letztere vergessen oder begnügt sich mit nebelhaften 
Worten; und die offizielle Physiologie unserer Zeit ist dazu schon gar nichts 
nütze, denn sie hat sich vollkommen in den Maulwurfsgängen ihrer Spezial¬ 
untersuchungen verloren. Der vorliegende Aufsatz regt eine Menge von 
Fragen an, die wesentlich wichtiger sind als der Aktionsstrom im Krebs¬ 
scherenmuskel oder die Geschlechtschromosomen bei Hermaphroditen oder 
die Cholesterinesterverfettung, und ist — was besonders hervorgehoben wer- 
muß — in wundervollem Deutsch geschrieben. Buttersack-Berlin. 

Manguat, A. (Nizza), Man atme tief und langsam beim Steigen! (Bullet. 
möd. 1911, Nr. 99, S. 1105/08.) 

Obiger Rat ist der Niederschlag einer etwas langatmigen Abhandlung 
über die Frage, wie Personen zu helfen sei, die beim Treppensteigen usw. 
kurzatmig werden. Daß die meisten Menschen beim Steigen den Atem an- 
halten und somit antiphysiologisch verfahren, sei nebenbei noch angemerkt. 

Buttersack-Berlin. 

Pribram, Hugo (Prag), Diathermie bei Gelenkserkrankungen. (Ztsohr. f. 
physik. u. diätet. Therapie 1911, XV. Bd., S. 464—470.) 

Die Diathermie ist bei vorsichtiger Anwendung ungefährlich und be¬ 
einflußt akute, chronische und gonorrhoische Gelenkaffektionen oft recht 
günstig. Aber diese Therapie ist kostspielig und zeitraubend, so daß man 
in der Praxis lieber zuvor die anderen Mittel versuchen wird. 

Buttersack-Berlin. 

Opitz, Volkmar, Ingenieur, Ein neuer kleiner Hochfrequenzapparat. (Arch. 
f. physikal. Medizin u. mediz. Technik 1911, VI. Band, Heft 2, 8. 132—134. 
Verlag O. Nemnich-Leipzig.) 

Hochfrequenzströme sind dem deutschen Publikum, auch dem ärztlichen, 
noch eine ungewohnte Energieform. Die Schwierigkeit ihrer Beschaffung 
mag mit der Grund sein, weshalb bei uns bis jetzt so wenig Gebrauch davon 
gemacht wird. Vielleicht ändert sich das durch den kleinen Apparat, welchen 
die Veifa-Werke in Frankfurt a. M. in den Handel bringen. Er ist äußerst 
kompendiös gebaut: 30,5x21,5x15,7 cm; Gewicht 7,5 kg, läßt sich an jede 
Starkstrom-, Gleichstrom-, oder Wechselstrom-) Leitung anschließen und eignet 
sich zu allen lokalen Applikationen der Hochfrequenzströme. Preis: 200 Mk. 

Buttersack-Berlin. 


Bücherschau. 


Cohn, Toby (Berlin), Muskelatrophien. (Verlag von B. Konegen, Berlin. 
73 Seit., 3 Fig. im Text und 3 Tafeln. Preis 2 Mk.) 

Das Buch gibt eine gute Übersicht über sämtl. Arten von Muskel- 
Atrophien, denen eine gewisse klinische Selbständigkeit zukommt. Es be¬ 
handelt ihre Diagnose kurz, aber bestimmt und übersichtlich, erörtert ohne 
Weitschweifigkeit auch die strittigen Punkte und eignet sich deshalb gan ; 
besonders als differentiell-diagnostisches Hilfsmittel. Für die Unfall-Praxis 
sind besonders die Ausführungen über Ätiologie und Diagnose der Inaktivi 
täts-Atrophie und der ihr verwandten Formen (articuläre, abarticuläre A.) 
von Interesse. Das Buch gehört zu der Serie „Die wichtigsten Nervenkrank- 



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Bücherschau. 


351 


heiten in Einzeldarstellungen“, herausgeg. von Flatau, und ist für den prak¬ 
tischen Arzt bestimmt und aus den angegebenen Gründen auch sehr geeignet. 

Grunewald-München. 

San.-Rat Dr. S. Jessner (Königsberg i. Pr.), Dermatologische Vorträge für Prak¬ 
tiker. Heft 24. Hautveränderungen bei Erkrankungen der Leber. Verlag von Gurt 
Kabitzsch 1912. Seitenzahl 123, Preis 0,60 M. 

Dr. med. G. Schröder, unter Mitwirkung von Prof. Dr. Meyer und weil. L. Pfeiffer, 
Das Klima von Schömberg. O.-A. Neuenbürg bei Wildbad (Württembergischer Schwarz¬ 
wald) und seine Bedeutung für die Behandlung der chronischen Lungentuberkulose. 
Verlag von Curt Kabitzsch 1912. Seitenzahl 140, Preis 2,00 M. 

Prof. Augusto Murri, Autorisierte L 7 ebersetzung von Dr. H. Simon (Karlsbad), 
Würzburger Abhandlungen aus dem Gesamtgebiet der praktischen Medizin. 1. Heft. 
12. Band. Ueber Organotherapie. Verlag von Curt Kabitzsch. Wiirz- 
burg. Seitenzahl 36, Preis 0,85 M. 

Dr. Bernhard Puppe, Die Bestrebungen der deutschen Acrzte zu gemeinsamer Wah¬ 
rung ihrer wirtschaftliehen Interessen. (leipziger Aerzteverband usw.) Verlag von Rud. 
Bechthold & Co., Wiesbaden. Seitenzahl 166. 

Max Nassauer, Sterben ich bitte darum. Seitenzahl 131. Verlag der ärztlichen 
Rundschau Otto Gmelin, München. 

Prof. E. Roos (Freiburg L Br.), Klinische Untersuchungen über die Schallerschei¬ 
nungen des Herzens. Mit 14 Textabbildungen und 12 Lichtdrucktafeln. Verlag von 
F. C. W. Vogel, Leipzig 1911. Seitenzahl 78. Preis 10,— M. 

Dr. Luigi Luciani. Ins Deutsche übertragen und bearbeitet von Prof. Dr. Silvestro 
Baglioni, Dr. Hans Winterstein. Mit einer Einführung von Dr. Max Verwom. 15. (Schluss-) 
Lieferung. Mit 56 Abbildungen im Text. Verlag von Gustav Fischer. Jena 1911. Preis 
dieser Lieferung 4 M. Seitenzahl von 641 bis 782. 

Prof. Dr. A. Brückner, Würzburger Abhandlungen auf dem Gesamtgebiet der Med. 
Nase und Auge in ihren wechselseitigen pathologi¬ 
schen Beziehungen. Mit 5 Figuren im Text. Verlag von Curt 
Kabitzsch. Würzburg 1911. Preis 0,85 M. Seitenzahl 123. 

Dr. Paul Ewald, Berliner Klinik. Ueber Arthritis deform ans. 
Verlag von Fischers medizin. Buchhandlung H. Kornfeld, Berlin W., 35. Dez. 1911. 
Seitenzahl 17. Preis 0,60 M. f 

Prof. Dr. med. Gundobin. Die Besonderheiten des Kindesalters. Grundlegende 
Tatsachen zur Erkenntnis der Kinderkrankheiten. Deutsche autorisierte und revidierte 
Ausgabe von Dr. Rubinstein, mit einem Vorwort von Prof. Dr. Längstem. Allgemeine 
med. Verlagsanstalt G. m. b. H., Berlin 1912. Seitenzahl 592. Preis 12,— M. 

Coraell Unlverslty Medical Bulletin. Volume 1. Number 2, Oktober 1911. Studie» 
From The Departement of Neurology. Published bv Comell University 477, First Avenue 
New York City. 

Geh. Medizinal-Rat Dr. Hensgen, Leitfaden für Desinfektoren. Dritte, vermehrte 
und veränderte Auflage. Verlag von Schoetz, Berlin 1911. Seitenzahl 108. Preis 2,— M. 

0. Hildebrand, Friedrich Müller, Franz von W'inkel. Sammlung klinischer Vorträge, 

Dünndarmkrankheiten von Dr. F. Schilling (Leipzig). Verlag von Joh. 
Ambr. Barth, Leipzig 1911. Preis 1,50 M. 

|Geh. Med.-Rat Prof. Dr. A. Nelsser, Ueber moderne Syphlllstheraple mit besonderer 

Berücksichtigung des Salvarsans. Verlag von C. Marhold, Halle a. S. 1911. Seitenzahl 
46. Preis 1,— M. 

Dr. Martin H. Fischer. Die Nephritis. Eine experimentelle und kritische Studie 
ihrer Natur und Ursachen, sowie der Prinzipien ihrer Behandlung. Mit Autorisation 
des Verfassers in deutscher Sprache herausgegeben von H. Handovsky und Wolg. Ost¬ 
wald. Verlag von Th. Steinkopf, Dresden 1912. Seitenzahl 156. Preis 5,— M. — geh. 
6,— M. 


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BUcherechau. 


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Dr. med. Josef Rosenberg, Arzt in Berlin. Neue Behandlungswelse der Epilepsie 

unter Berücksichtigung der hysterie- und neurasthenieähnlichen Krankheitse rechein ungen. 
Verlag von Leonhard Simeon Nf. 1912, Berlin SW 4S. Seitenzahl 330. 

Wilhelm Wundt. Hypnotismus und Suggestion. 2. durchgesehene Auflage. Verlag 
von Wilh. Engelmann. Leipzig 1911. Seitenzahl 09. Preis 1,40 M. 

Dr. Franz Wohlauer, Spezialarzt für Röntgenlogie in Oharlottenburg. Die 
Rftngenstrahlen in der inneren Diagnostik. Seitenzahl 20. Preis 0,60 M. 

Direktor Dr. H. Schwarz (New York). Bericht der Pädiatrischen Abteilung 
der Maternlty Policllnic (New York). Mit einer Studie über Säuglingssterblichkeit. 
Verlag von Franz Deutike, Leipzig und Wien. Seitenzahl 32. Preis 1,50 AL 

Schilling, F. (Leipzig), Diinndarmkrankheiten. (Volkmanns Sammlung 
klinischer Vorträge Nr. 643'644. Innere Medizin Nr. 206/207, Verlag von 
Ambrosius Barth in Leipzig 1911. 51 Seiten, Mk. 1.50.) 

In seltener Ausführlichkeit werden die verschiedenen Affektionen des 
Dünndarms zusammengestellt und ätiologisch und klinisch beleuchtet. Da 
auch die Therapie eingehend erörtert ist, so findet jeder eine gute Anlei¬ 
tung, wie man derlei Krankheiten zu begegnen hat. 

Buttersack-Berlin. 

Eisenstedt, E. und Riemer, C. (Leipzig und Steglitz), Zur Beschäftigung 
kranker Kinder. QJZtschr. f. Krankenpfl. 1910, Nr. 3 und 1911 Nr. 9.) 

Hadda, S. (Breslau), Die Pflege der gelähmten Personen. (Ibd. Nr. 6.) 

Chomse, J. (Breslau), Aus dem Pflichtenkrelsc der Laborantin. (Ibd. 
Nr. 7 und 8.) 

Kornblum, L. (Berlin), Die Schwester In der Poliklinik. (Ibd. Nr. 8.) |"3 

Rabe, A. (Berlin), Krankenbehandlung und Krankenpflege In beschränkten 
Verhältnissen. (Ibd. Nr. 9.) 

Peters, AI. (Berlin), Zum Benehmen am Krankenbette. (Ibd. Nr. 12.) 

Saul, S. (Berlin), Die schonende Behandlung der Instrumente. (Ibd. 1911, 
Nr. 11.) 

Saul, S.ü(Berlin), Zur Arbeitsüberlastung der Krankenschwestern. (Ibd.) 

Chomse, J. (Breslau), Ärztliche Buchführung und Krankenpflege. (Ibd. 
1911, Nr. 12 und 1912, Nr. 1.) 

Die obigen Titel stellen eine Blütenlese aus der sehr empfehlenswerten 
Zeitschr. f. Krankenpflege und klin. Therapie dar. Bei dem 
leider meist sehr einseitig „exakt-wissenschaftlichen* - Inhalt unserer Fach¬ 
presse sind die in dieser Zeitschrift enthaltenen Artikel über wichtige Fragen 
praktischer Natur dem Arzte sehr willkommen zu eigener Anregung 
und zur Belehrung seines Pflegepersonals. In ersterer Hinsicht sei nament¬ 
lich der Artikel über Ärztliche Buchführung denjenigen Kollegen 
empfohlen, die noch geneigt sind, in einer Art künstlerischer „Genialität“ 
die für Arzt und Patienten so segensreiche Ordnung im Journal- und Rech¬ 
nungswesen zu vernachlässigen. Esch. 

Fuchs, Richard (Distriktsarzt in Bleistadt i. Böhmen), Gicht und Fettsucht 
mit dem Anhang: Über Rheuma. Ärztliche Ratschläge. (Leipzig, Helios Verlag, 
Franz A. Wolfson.) 

In zusammenfassendor, klarer, lichtvoller und übersichtlicher Form be¬ 
handelt der Autor, der zu den besten Schülern Krafft-Ebings gehört, das 
große Gebiet der Gicht, Fettsucht und des Rheuma's unter Benützung der 
neuesten Literatur, gibt eingehend die Entstehung, die Krankheitszeichen und 
Behandlung dieser so häufig vorkommenden Erk ankungen an. Insbesonders 
wird der Laie auf die hohe Bedeutung einer rationellen Lebensweise auf¬ 
merksam gemacht und angewiesen, bei all’ derartigen Erkrankungen sofort 
den Arzt zu konsultieren, um schweren Gefahren frühzeitig zu begegnen. Das 
Buch ist im besten Sinne ein populär wissenschaftliches, das zwischen vul¬ 
gärer Darstellungsweise und theoretischer Weitschweifigkeit den goldenen 
Mittelweg hält. Das Buch ist für Ärzte und Laien ein ausgezeichneter Rat¬ 
geber. Die fließende Sprache, die höchst anregende schöne Darstellung ge¬ 
reichen dem Buche ebenso zum Vorzug, wie die äußerst geschmackvolle Aus¬ 
stattung von seiten des Verlages. — Rigler. 

Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Laagensalza. 


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1912 


30- Jahrgang 

Tortschritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hemusgegeben von 

Prof. Dr. 0. Köster Prip.-Doz. Dr. p. eriegern Prof. Dr. ß. Pogf 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadt, Grüner Weg 86. 



€rs*eint wBd>entild> ium preise von s iOarh für Oos 



Balbiabr. 

21. Marz. 

Nr. 12. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S- 
Allelnlqe Inseratenannabme öurtb (Doi OelsOort, 
Annoncen-Bureau, Eberswalbe bei Berlin. 





Originalarbeiten und Sammelberichte. 

(Aus der Inneren Abteilung der Krankenanstalt Sudenburg zu Magdeburg, 

Oberarzt Dr. E. Schreiber). 

Lieber einige moderne Methoden medikamentöser 

Blutstillung. 

Nach einem Vortrage in der Magdehurgischeu Gesellschaft. 

Von Dr. A. Stüh Hier, Sekundärarzt. 

M. H., die innere Therapie schwerer und anhaltender Blutungen 
hat mit Recht stets das Interesse der Aerzte stark in Anspruch genom¬ 
men, denn es begegnen wohl jedem Arzte gelegentlich Fälle, in denen 
^r einen Patienten an solchen unstillbaren inneren Blutungen verliert, 
da alle die üblichen styptischen Mittel wie Liquor ferri, Plumbum 
aceticum, Ergotin usw. entweder völlig versagen oder in ihrer Wirkung 
nicht ausroichen. die Katastrophe zu verhindern. Angesichts solcher 
verzweifelten Fälle hat dann wohl jeder den Wunsch gehabt, dass dem 
Arzte noch einige weitere Mittel zur Verfügung stehen müssten, um 
auch in diesen Fällen noch jene bedrohlichen Blutungen erfolgreich 
bekämpfen zu können. Die moderne Therapie nun, welche im allgemei¬ 
nen etwas aktiver vorgeht, als das wohl zuweilen früher der Fall war, 
hat in den letzten Jahren uns auch auf diesem Gebiete einige recht 
erfreuliche Fortschritte gebracht, über die ich Ihnen an der Hand 
unserer Erfahrungen hier kurz zusammenfassend berichten möchte. 

Es kommen dabei, um das orientierend gleich vorwegzunehmen, 
hauptsächlich zunächst 5 Methoden in Betracht, nämlich 

X. die Einführung von Kalk salzen zur Gerinnungsbeför¬ 
derung, 

2. die Injektion von Gelatine zu dem gleichen Zwecke, 

3. die A d r e n a 1 i n Zuführung, unter der Vorstellung der 
Einwirkung auf die Gefässe, 

4. die Serum therapie der Blutungen und der Hämophilie. 

5. die Kochsalz therapie. 

Im Anschluss an die letztere werde ich Ihnen dann über einige Ver¬ 
suche zu berichten haben, welche wir mit Traubenzucker 
machten und die sich im Prinzip eng an die Kochsalztherapie anschliessen. 

Was nun zunächst die Rolle angeht, welche Kalksalze bei 
.Blutungen resp. deren Stillung spielen, so stützen sich die Empfehlungen 

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Stüluner, 


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auf (I io Untersuchungen von VV r i g h t , Brown, W piss u. a., 
welche die engen Beziehungen bewiesen, die zwischen dem Kalkgehalt 
des Blutes und seiner Gerinnungsfähigkeit bestehen. Weiss machte 
die Beobachtung, dass bei wachsendem Kalkgehalt auch die Gerinnungs¬ 
fähigkeit steige, dass z. B. Brustkinder eine verzögerte Blutgerinnung 
hatten gegenüber mit Kuhmilch ernährten Kindern, und er führt dieses 
Verhalten auf den grossem Kalkgehalt der Kuhmilch zurück. Aehnliche 
Beziehungen scheinen bei der hämorrhagischen Diathese und beim 
Skorbut eine Holle zu spielen, wo vielleicht auch mit Recht Störungen 
im Kalkstoffwechsel oder Mangel an Kalksalzen in der Nahrung als 
Ursachen der Störung angesehen werden. 

Therapeutisch wird nun also entsprechend jenen Vorstellungen 
die Zufuhr von Kalksalzen (Calcium lactieum 2 —3 g pr. die,'Calcium 
chlorat. ebenfalls per os) empfohlen, und einige Autoren berichten über 
sehr gute Erfolge. Wir selbst haben eigene Erfahrungen über die Wirk¬ 
samkeit dieser Therapie nicht, sie sollte deshalb der Vollständigkeit 
halber nur hier erwähnt werden. 

Ein ähnlicher Gedanke führte zu der Einführung der Gela¬ 
tine in die Therapie der Blutungen. Die einfache Ueberlegung, dass 
es gelingen müsse, durch Gelatineinjektionen die Gerinnungsfähigkeit 
des Blutes zu erhöhen, Hessen schon vor zwölf Jahren französische 
und deutsche Aerzte den Versuch machen, eine abgekochte Lösung 
tierischer Gelatine subkutan zu spritzen. Bei allen möglichen Erkran¬ 
kungen, besonders bei Hämoptoe und hämorrhagischer Diathese fand 
das Mittel Anwendung anfänglich auch mit gutem, symptomatischen 
Erfolge. Aber bald mehrten sich die warnenden Stimmen, als näm¬ 
lich nach und nach zahlreiche Fälle von schwerster Tetanuserkrankung 
bekannt wurden, die unzweifelhaft auf jene Injektionen zurückgeführt 
werden mussten. Es wurde allmählich klar, dass die gewöhnliche Art 
der Steiilisierung bei der Verwendung der käuflichen Gelatine in Blätt¬ 
chen absolut unzureichend war, nachdem festgestellt worden war, dass fast 
in jedem solchen Gelatineblättchen sich Tetanussporen in keimfähigen 
Zustand befanden. Natürlicherweise musste dadurch eine Therapie 
wieder in den Hintergrund gedrängt werden, die auf richtiger Voraus¬ 
setzung beruhend, bereits in zahlreichen Fällen sehr gute Erfolge ge¬ 
zeitigt hatte. Erst in neuerer Zeit konnten die therapeutischen Ver¬ 
suche wieder aufgenommen werden, seitdem die Firma M e re k (Darm¬ 
stadt) eine zuverlässig sterile, tetanusfreie Gelatine in den Handel 
gebracht hat. In geschlossenen Glastuben, die vor dem Gebrauch auf 
40" erwärmt werden, ist das Präparat jetzt stets gebrauchsfertig zu 
haben. Man injiziert davon 20—40 ccm subkutan unter die Brust- oder 
Rückenhaut. Die Injektionen werden fast stets ohne wesentliche Be¬ 
schwerden vertragen, zuweilen klagen die Patienten iibrr einiges Span¬ 
nungsgefühl und Brennen. Unannehmlichkeiten, welche aber bei der 
Dringlichkeit der Indikation gewöhnlich mit in Kauf genommen werden 
müssen. Die Wirksamkeit ist von zahlreichen Autoren sichergestellt. 
Es soll jedoch nicht verschwiegen werden, dass auch Versager Vorkom¬ 
men. Das ist ja aber ganz natürlich, wenn man bedenkt, w>e weit die 
Wirksamkeit eines solchen gerinnungsbefördernden Mittels überhaupt 
gehen kann. Bei sclrweren Hämoptoen besonders wird man selbst¬ 
verständlich eine Wirkung nur dann erwarten können, wenn die Blu¬ 
tung nicht aus einem Gefäss kommt, das vermöge seiner Grösse schon 
unmöglich macht dass die Blutung durch Blutgerinnung zum Stehen 


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lieber einige moderne Methoden medikamentöser Blutstillung. 


355 


kommt. Wir selbst haben die Gelatinetherapie bis vor kurzem ebenfalls 
angewandt und recht befriedigende Erfolge damit erzielt. Sie kann 
wegen ihrer Einfachheit für die Praxis nur empfohlen werden. 

Dass wir sie in letzter Zeit nicht mehr anwenden, ist damit be¬ 
gründet, dass wir in den unten noch weiter zu erwähnenden Methoden 
nach unseren Erfahrungen einen für den klinischen Betrieb besseren 
Ersatz gefunden haben. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass wir regel¬ 
mässig die Gelatine noch per o s anwenden in allen Fällen von 
Hämoptoe und vor allem bei Darmblutungen. Wir pflegen dabei den 
Patienten die Gelatine in Form von Weingelee zu geben und zwar 
soviel sie davon mögen. Wir halten es mehr theoretisch allerdings für 
sehr wohl denkbar, dass tatsächlich auch diese innerliche Medikation 
eine gerinnungsbefördernde Wirkung hat. handgreifliche Beweise lassen 
sich dafür natürlich schwer erbringen, aber wir hatten doch in einigen 
Fällen den Eindruck der Wirksamkeit. Es kommt hinzu, dass die 
Patienten die Gallerte sehr gern mögen und dass die dem Laien sehr 
verständliche Verordnung solche blutenden Patienten psychisch meist 
auffallend beruhigt, ein Moment, das bei den ängstlichen Lungenblutern 
unter Umständen sehr wichtig scheint. Gleichzeitig sehen wir in dem 
Nährwert der Gelatine einen recht wesentlichen Vorteil, da es 
leicht gelingt, solchen Patienten, die sonst nichts zu sich nehmen dürfen 
(Ulcus ventriculi) bis 1000 g solcher Gallerte zuzuführen. 

Als dritte Methode nannte ich Ihnen eingangs die Adrenalin¬ 
therapie der Blutungen, und ich erwähnte bereits, dass dieselbe 
sich auf die gefässverengernde Wirkung dieses Medikamentes stützt. 
Zur richtigen Beurteilung dieser Therapie mit ihren ganz bestimmten 
Indikationen ist es vor allem notwendig, dass man sich richtige Vor¬ 
stellungen von der Wirkungsweise des Adrenalins macht. 

. F a 1 t a und I v c o v i c haben eingehende Untersuchungen über 
die Wirkungsweise des Adrenalins bei den verschiedenen Anwendungs¬ 
formen und das Schicksal desselben im Körper mitgeteilt, die für die 
Beurteilung ausserordentlich wichtig sind. Sie stellten fest, dass das 
Mittel subkutan verabfolgt in hohen Dosen Glvkosurie macht, abgesehen 
von seiner gefässverengenden Wirkung. Im Harn tritt dabei kein 
Adrenalin auf. Per os dagegen verabfolgt, wird das Mittel durch die 
Magensäfte entgiftet und seiner physiologischen Wirkungen beraubt. 
Der Versuch also, vom Magen aus kleine Mengen 
Adrenalin in den Kreislauf einzuführen, ist nutz¬ 
los, da das Mittel nicht unversehrt den Magendarmkanal passieren 
kann. 

Für unsere Zwecke kann demnach lediglich die subkutane oder 
die intravenöse Applikation in Betracht konnner. Die letztere muss 
nun aber auch abgelehnt werden, da das Adrenalin intravenös eben 
auf Grund seiner gefässverengernden Wirkung im peripheren Kreis¬ 
lauf eine fast augenblicklich auftretende Blutdrucksteigerung verursacht, 
die selbstverständlich bei blutenden Patienten in jedem Falle ver¬ 
mieden werden muss. 

Es kommt also für die Therapie der Blutungen das Adrenalin nur 
in subkutaner Injektion in Betracht. Aber auch da sind die Indikationen 
sehr beschränkt. Nach den Untersuchungen von Z u n t. z . L o e w y 
und F a r i n i wirkt nänrich das Adrenalin im Tierexperiment in kleinen 
Dosen nur ganz flüchtig aut die Lungengefässe, während seine kon¬ 
stringierende Wirkung auf die anderen Gefässe des Körpers längere 

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Stühmer, Ueber einige moderne Methoden medikamentöser Blutstillung. 


Zeit, anhält. Der Grund hierfür soll in der verschiedenartigen Beschaffen¬ 
heit der Lungengefässe gelegen sein, insofern als in diesen die elastischen 
Elemente der Tunika media über die muskulären überwiegen. Bei 
Hämoptoe also ist- von dem Medikament eine Wirkung auf das blutende 
Gefäss nicht zu erwarten, wohl aber muss man befürchten, dass der 
erhöhte Tonus der peripheren Gefässe. welche unter der Wirkung des 
Adrenalins stehen, der Blutdruck im kleinen Kreislauf erhöht wird, 
die Blutung demnach also verstärkt wird. 

Für die Patienten mit Lungenblutungen kommt demnach dieses 
Mittel nicht in Betracht. Es bleiben nun lediglich jene Fälle, wo Blu¬ 
tungen aus kleinen Gefässen in grosser Zahl auftreten, also bei Purpura 
rheumatica, hämorrhagischer Diatheseeventl. Skorbut, schweren Schleim 
hautblutungen, Nasenbluten usf. In diesen Fällen wird man getrost 
subkutan wiederholte Injektionen machen können. So bedenklich 
und vorsichtig das Adrenalin intravenös verabreicht sein will (als Exzi- 
tans), so unbedenklich ist es, selbst grössere Mengen subkutan zu ver¬ 
abfolgen, gaben doch Kirchheim als Exzitans hei Diphtherie stünd¬ 
lich 1 ccm der Originallösung 1 : 1000 bis zu 48 mg Adrenalir pro die. 
Vor hohen Einzeldosen muss im allgemeinen schon deshalb gewarnt 
werden, weil diese die grösseren Gefässe zwar zur Kontraktion bringen, 
aber sofort die Lähmung der Gefässmuskulatur folgen lassen, eine 
Wirkung, die zur Bekämpfung von Blutungen sehr unerwünscht ist. 

Die Adrenalintherapie bedarf also einer genauen Indikations¬ 
stellung. sie ist eigentlich auf ganz bestimmte Fälle beschränkt und muss 
bezüglich der Dosierung mehr als alle die anderen Methoden jedem 
einzelnen Falle genau angepasst werden. Wann diese Vorbedingungen 
erfüllt sind, kann sie allerdings Hervorragendes leisten. 

Die Seru m thorapie der Blutungen beruht wiederum auf 
dem schon vorher verschiedentlich erwähnten Prinzip, dass man.ver¬ 
sucht, dem blutenden Patienten Stoffe zuzuführen, welche die Ge¬ 
rinnungsfähigkeit des Blutes steigern sollen. Von der Vorstellung aus¬ 
gehend, dass es sich bei solchen heftig blutenden Patienten um eine 
entweder erworbene oder ererbte mangelhafte Zusammensetzung des 
Blutes handelt, und dass besonders das gerinnungsauslösende Ferment 
fehle, führt man dem Körper normales Pferdeserum intravenös oder 
subkutan zu, in der Annahme, dass das darin enthaltene Ferment die 
Stöbe des mangelhaft entwickelten des Patienten übernehmen wird. 
Und in der Tat ist die Tatsache ja schon lange bekannt, dass man die 
blutende Wunde eines Hämophilen mit frischem Blutserum von einem 
Tiere zum Verkleben bringen kann. Die neue Serumtherapie ist also 
eigentlich nur ein wiedorgefundenes, längst bekanntes Mittel. 

Die Erfolge sind damit recht verschieden, wir haben auch gelegent¬ 
lich solche Injektionen bei einem Bluter gemacht, ohne jedoch einen 
nennenswerten Einfluss auf den Krankheitsprozess zu sehen. Zur 
Vorsicht mahnt bei dieser Therapie die Tatsache, dass durch ein- oder 
zweimalige Injektion von artfremdem Serum der betreffende Mensch 
gegen dieses Serum überempfindlich ward. Ganz abgesehen davon also, 
dass sich die mehrfache Anwendung bei ein und demselben Patienten 
verbietet, wenn einmal seit der letzten Injektion 10 Tage verstrichen 
sind, macht man diese Patienten gleichzeitig ungeeignet, bei einer etwa 
später auftretenden Diphtherie mit Serum behandelt zu w r erden. 

Demnach hat also die Serumbehandlung der Bluter und schwerer 
Blutungen manches gegen sich, immerhin verdient sie auch gelegentlich 


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Kheisalla, Der Einfluss des Mohammedanismus auf die Medizin. 


357 


Berücksichtigung, denn günstige Erfolge in einer ganzen Reihe von 
Fällen sind unleugbar. 

Ich komme nun schliesslich zur Kochsalzbehandlung 
der Blutungen, einer Therapie, die nicht nur alle früheren medikamen¬ 
tösen an Wirksamkeit übertrifft, sondern auch allen vorher erwähnten 
Methoden nach unseren Erfahrungen weit überlegen ist. Von den 
Velden (Düsseldorf) gebührt das Verdienst, die schon lange bekannte 
Wirksamkeit der Kochsalzdarreichung bei Blutungen zuerst experimentell 
erforscht und so von der reinen Empirie dieses auch von Aerzten 
schon früher vielfach angewendeten Volksmittels hinübergeleitet zu 
haben zu wissenschaftlicher Erkenntnis der physiologischen Wirkungs¬ 
weise. 

Hatten schon frühere Autoren angesichts der unzweifelhaften 
styptischen Wirkung stomachaler Kochsalzdarreichung nach einer 
Erklärung gesucht und z. T. eine Blutverdünnung (Heidenhein- 
G r a w i t z) z. T. auch im Gegensatz dazu eine Bluteindickung für diese 
herangezogen, so griff doch erst v. d. Velden die Frage mit Erfolg 
experimentell an. (Schluss folgt.) 


Der Einfluss des Mohammedanismus auf die Medizin. 

Von George J. Kheisalla, Lake Preston. 1 ) 

Im allmählichen Fortschritt unseres ehrwürdigen Standes haben 
sich unsere Bestrebungen auf die Hebung menschlicher Leiden gerichtet. 
Der Rasse gegenwärtig und zukünftig ihre Wohlfahrt zu gewährleisten 
sind wir andauernd bemüht. 

Obwohl unser Interesse vorzüglich auf die Lebenden gerichtet ist, 
nicht an die Toten denken darf, ausgenommen für das Studium der 
Morphologie, gestatten Sie mir. Sie rückwärts zu führen zu Zeiten, 
die dahingeschieden sind, und zu einem blühenden Zeitalter, welches 
seit langem dahin ist, zum Zeitalter der mohammedanischen Zivili¬ 
sation. Wir wollen sehen, welchen Einfluss es auf den Fortschritt der 
Medizin hatte. 

Als die griechische Kultur und Wissenschaft Griechenland selbst 
fremd wurde, und die überbleibenden Bruchstücke ihrer Lehren um 
jeden Fussbreit in Alexandrien kämplten, als aas römische und byzan¬ 
tinische Reich in einer kirchlichen Beamtenherrschaft entartet war, 
als die nordischen Barbaren das südliche oder ziv'lisierte Europa über¬ 
flutet hatten, wären die schöne lateinische Sprache abgekommen, die 
schönen Künste vernachlässigt, Wissenschaft und Philosophie nieder¬ 
gehalten und Europa in Finsternis geraten, wenn nicht im Osten, im 
heutigen Afrika der Mohammedanismus auigetaucht. wäre, und wie 
durch Zauberkraft über Asien und Afrika sich ausgebreitet hätte. 

Vom IJebergang nach Gebel-Tarick oder Gibraltar (a. 711) 
durch Tarick Ben Ziad datiert die Wiedergeburt Europas in materieller 
und wissenschaftlicher Hinsicht. Sie war bedingt durch den Einfluss 
der tapferen, geistig hochstehenden und dichterisch veranlagten Araber, 
welche nach der glänzenden Errungenschaft des Schwertes ihre Zeit 
der Wissenschaft und der Entwicklung der Baukunst widmeten, so 


*) Rede in der Sioux Valley Medical Association, Sioux Falls, So. Dak. Juni‘2#. 1910. 
The St. Paul Medical Journal Okt. 1910, frei übersetzt von Dr. v. Boltenstem-Berlin. 


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358 

dass Granada ein Mittelpunkt wurde, welcher Bagdad und andere 
Zentren des Ostens nichts nachgab. 

Sie waren es, welche unseren Vorfahren Mathematik, Algebra, 
Optik und Astrologie vermittelten, und deren Einfluss auf die euro¬ 
päische Literatur und schönen Künste dauernd geworden ist. 

Und jetzt wollen wir nicht die tote Vergangenheit verborgen sein 
lassen: nicht um dies Volk, welches sich seihst, die Welt und den Stand 
geehrt hat, zu ehren, habe ich dieses Thema ergriffen, sondern um 
einige Tatsachen in das Gedächtnis zurückzurufen, welche geeignet, 
den Esprit de corps des Standes zu erhöhen. 

D i e v o r m oha m m edanische Heilkunst in Arabien 

Der vormohammedanische Stand der medizinischen Wissenschaft 
in Arabien war ebenso primitiv wie bei den Phöniziern, Aegyptern und 
Syrern. Alle diese Völker haben die Grundlage dieser und anderer 
Wissenschaften von den Chaldäern gewonnen. 

Wir finden nichts Charakteristisches oder Bemerkenswertes in den 
arabischen Lehren mit Ausnahme der allgemeinen Anwendung der 
Thermokautrie bei Amputationen. Wir besitzen einen Bericht über die 
Amputation eines vorgefallenen Lebertoiles durch das Glüheisen. 

Es handelt sich in diesem Falle um Sakhru Ben Amru. Bruder 
von dem hervorragenden Dichter Khansaa. Auch in diesem rohen 
Zustande der Wissenschaft finden wir unter ihnen Aerzte von nationalem 
Ruf. wie Lochman und El Tumaimy, der letzte als Spezialist auf 
dem Gebiet der Chirurgie. 

H e i 1 k u n s t beim Mohammedanism u s. 

Während der ersten 100 Jahre des Mohammedanismus hatten 
die Araber mit Eroberungen und mit der Ausbreitung des Islams zu tun. 
Aus diesem Grunde sehen wir, dass während der ausgezeichneten Herr¬ 
schaft der Omajjaden oder Beni Onvneyet zu Damaskus, die moham¬ 
medanische Medizin nur in ihrem Anfang war und w r enig oder keine 
Fortschritte machte. Doch während der Herrschaft der Abhassiden 
oder Beni-d-Abbas schützten die Kalifen des Lernen von Gegenständen, 
welchen sie ihre Gunst zuwandten, und ermutigten so das Studium der 
Wissenschaften. 

Almansor (148 p. H.; 754—775 n. Chr.) war der erste Kalif, welcher 
die syrischen und griechischen medizinischen Werke ins Arabische 
übersetzen liess. Unter der Herrschaft von Harün-Al-Raschid (170 
—193 p. 1L: 786—809 n. Chr.) und Al-Ma’amün (196—218 p. H.: 
813—833 n. Chr.) wurde Bagdad der Mittelpunkt des Studiums: hier 
strömten syrische, indische und persische Aerzte zusammen, welche 
zur Uehersetzung und Lehre ihrer Kunst angeregt wurden. 

Die Geschichte erwähnt wohl kaum die Namen zweier Herrscher, 
welche mit mehr Eifer und Kunst das Studium föiderten als es Harün- 
Al-Raschid und sein Sohn Al-Ma’amün taten. Harün-Al-Raschid 
opferte jährlich 231 250 000 Mark für die Universitäten seiner Zeit. 
Gibbon sagt in seinem „Niedergang und Verfall des römischen Reiches“: 
..Der Eifer und die Berühmtheit AI'-Ma’-amüns wurde von nachfolgenden 
Fürsten und dem Stamm der Abbas nachgeahmt: ihre Rivalen, die 
Fatimiten in Afrika und die Omajjaden in Spanien waren die Schützer 
des Studiums wie die Gebieter des Unglaubens“. So wurde ausser der 
Unterstützung und Förderung der griechischen, syrischen, persischen 


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Der Einfluss des Moliammedanisnius auf die Medizin. 


359 


und indischen Wissenschaft durch die mohammedanischen Herrscher 
die arabische Medizin geboren. 

Angesichts des Fortschritts des Islams in der Entwicklung der 
derzeitigen Wissenschaften find Künste steht sein Fortschritt auf medi¬ 
zinischem Gebiet mit seinen weiteren Grosstaten in innigstem Zusammen¬ 
hang, bis wir ihn den Zenith im 9.—13. Jahrhundert erreichen sehen. 

Gerade durch die medizinischen Grosstaten und Schriften dieser 
Periode wurde es Licht in Europa. Gibbon sagt: ,.In Spanien wurde das 
Leben katholischer Fürsten dem Kampf gegen die Sarazenen gewidmet 
und die Schule von Salerno, ihr rechtmässiger Abkömmling, brachte in 
Italien und Europa die Vorschriften der Heilkunst zu neuem Leben.“ 

W as die Mohammedaner in diesem Zeitalter auf medizinischem 
Gebiet für die Dauer beigetragen, ist schwer zu beurteilen aus zwei 
Gründen: 1. infolge des Verlustes der arabischen medizinischen Lite¬ 
ratur in den folgenden Kriegen: 2. infolge des strengen religiösen Vor¬ 
urteils der nachmohammedanischen Periode und der Abgeneigtheit, dem 
Moslem das Seine zu geben. 

Beim Lesen Washington Irvings Uebersetzungen aus der Chronik 
des würdigen Pater Agapida ersieht man, wie jede mutige Tat eines 
Arabers herabgesetzt wird, während irgend eine ähnliche Tat eines 
Christenmenschen über Gebühr erhoben wird. Auch in einem aufge¬ 
klärten Zeitalter der Toleranz ist die Verdrehung noch sonnenklar. 

Der Autor sagt in der Britischen Enzyklopädie Bd. 80, p. 805: 
„Doch das nächste, das 11. Jahrhundert ist gekennzeichnet durch das 
wahrscheinliche, wenn auch unsichere Auftreten eines Schriftstellers, 
welcher einen grossen Einfluss auf europäische Heilkunde hatte, Mesue 
dem jüngeren von Damaskus, dessen Persönlichkeit dunkel ist, dessen 
wahre Existenz einige Historiker bezweifeln, indem sie meinen, dass 
der Name nur von einem mittelalterlichen lateinischen Schriftsteller 
angenommen ist.“ Ich kann nicht einsehen, warum ein Historiker 
meinen sollte, Mesue der Jüngere von Damaskus sei nur ein Autornarne 
irgend eines mittelalterlichen Schriftstellers. Auch gibt er keine Gründe 
für diese Annahme, sondern macht nur die verleumderische Angabe, 
welche eines Historikers unwürdig ist. 

In der inneren Medizin ist der Fortschritt schwer abzuschätzen. 
Wir finden Abu Bekr Mohammed Ben Zakarijga er Räzi im 8. Jahr¬ 
hundert als ersten, welcher Pocken und Masern genau beschreibt. Er 
bevorzugt Diät vor Arzneimitteln und einfache Arzneimittel vor zu¬ 
sammengesetzten, er verwirft Abführmittel und spricht sich gegen die 
Entwöhnung der Kinder im Sommer aus. Ibn-Zohr oder, auf Lateinisch 
falsch ausgesprochen. Avenzoar erwähnt in seinem Altheisir Perikarditis 
und perikardiales Exsudat und empfiehlt die Milchkur bei Schwindsucht. 
Ibn Sina oder Avicenna beschreibt den Tic douloureux (er wurde schon 
von früheren arabischen Autoren erwähnt). Tetanus und Pleuritis und 
lehrt nach Leichtenstern als erster die Kontagiosität der Phthisis. 
Ibn Roschid oder Averroes erwähnt als erster die Immunität gegen 
Pocken nach dem Ueberstehen eines Anfalles. Die Araber waren die 
ersten, welche den Trommelschlägerfinger beim Schwindsüchtigen bo¬ 
schreiben, Harnanalyse treiben, um bei Erkrankungen Reizung statt 
Erschlaffung festzustellen, und Kälteapplikationen beim Fieber heran¬ 
ziehen. 

In der Chirurgie haben sie die Thermokautrie eingeführt, welche 
noch bis zu Listers Zeit als das bei w r eitem heilsamste Verfahren galt 


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3«) 

Sie haben Zug und Gegenzug bei Dislokationen eingeführt, die Litho- 
tripsie beschrieben, waren die ersten, welche die Iridektomie bei der 
Kataraktextraktion übten und gebrauchten Alkohol und Opium als 
Anästhetica. Rhazes schreibt über Kataraktextraktion, Tracheo¬ 
tomie, Tonsillotomie, Operationen wegen Tränenfistel und Hasen¬ 
scharte, ebenso über die Behandlung von Wunden; Abszessen, Verbren¬ 
nungen und Nekrosen. Er empfiehlt die 0°ffnung der Venen in der 
Längsachse und erwähnt die nn. recurrentes des infratrochlearen Zw’eiges 
des Nasalis und den Trigeminus. 

Abulcasis spricht von der Arterienligatur in ihrer Kontinuität, 
von der Darmnaht mittelst Fäden aus Darmhaut, von der Ent¬ 
fernung des nekrotischen Knochens, heilt Fisteln durch Schnitt oder 
durch Gebrauch des Glüheisens oder der Ligatur und erwähnt auch 
Operationen wegen Struma und Aneurysma, die Unterbindung des 
Staphyloms und die Punktion der Kornea. Er schreibt ebenso über 
Lithotripsie und Lithotomie. Er erwähnt den Gebrauch des silbernen 
Katheters, des Explorationstrokars und künstlicher Zähne aus Rinder¬ 
knochen und verwarf zuerst die Amputation oberhalb des Knies oder 
des Ellenbogens als zu gefährlich. Er kannte auch ein gangränöses 
epidemisches Erysipel. 

In der Frauenheilkunde und Geburtshilfe finden wir Rhazes von 
der Retroversion des Uterus, Hydrometra, Molenschwangerschaft und 
Embryotomie zur Beschleunigung der Entbindung reden, und Abulcasis 
erkannte als erster die Extrauterinschwangerschaft. Avensoar oder 
Abd el-Malik Abu-Merwan Ben Zohr war der erste, welcher den Uterus 
wegen eines diagnostischen Irrtums total exstirpierte, wenn er auch nicht 
der letzte war, welcher es tat. 

In der Chemie leisteten die Moslem zudem Hervorragendes. Sie 
\\aren die Erfinder dieser Kunst und gründeten als erste Apotheken. 
Die erste wurde 745 p. Chr. von Almansor errichtet. Sie stützten sich 
nach Zeidan während der Herrschaft der Abassiden auf die pharma¬ 
zeutische Enzyklopädie von Saf>or-Ben-Sahle (225 p. H.) bis zum 
Erscheinen der von Amin ed-Daula Ihn et-Talmed, welcher 560 p. H. 
in Bagdad starb. 

Auch die Europäisierung der Kunst liess die in der Chemie und 
Pharmazie begegnenden rein arabischen Bezeichnungen nicht ver¬ 
schwänden wie Alchemie, Alkohol, Alkali, Alaun, Balsam, Benzoe, 
Borax, Kalk, Elixier, Jalep, Kali, Soda, Sorbet, Sirup, Alkanna, Kubeben, 
Senna, Natron, Moschus, Kermes usw.). Sie führten Salpetersäure, 
Königswasser, Schwefelsäure, Höllenstein, Quecksilberchlorid und -oxyd, 
Salpeter, Vitriol, Arsenik, Borax, Alkohol usw. ein. Es war das Ver¬ 
dienst von Dschabir, Ihn Hajjan (Geber), dem Entdecker des Königs¬ 
wassers und seiner Mitarbeiter, dass sie die Chemie auf eine wissen¬ 
schaftliche Grundlage stellten. 

Nach J. H. Shepard ,.waren ihre Akademien in Spanien von Stu¬ 
dierenden aus allen Teilen der zivilisierten Welt besucht. Die in ihre 
Heimatländer zurückkehrenden Philosophen lehrten dort Chemie. 
So finden wir im 13. Jahrhundert, Raimund Lull in Spanien. Albertus 
Magnus in Deutschland, Arnold von Villanova in Frankreich und 
Roger Bacon in England.“ 

In der Botanik und ihrer Beziehung zur Pharmazie übernahmen 
die Mohammedaner die Werke des Dioskorides und Galen und fügten 
neue Pflanzen und Drogen hinzu, welche wir zuerst der Ausgabe des 



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Der Einfluss des Moii&mmedanismus auf die Medizin. 


3öl 


Dioskorides von Ibn-Dscholdsohols ira 14. Jahrhundert der Hedschra 
angehängt finden. 

Im 7. Jahrhundert der Hedsehra finden wir den Botaniker Ibn- 
el-Beitär Griechenland, die römischen Provinzen Syrien und West¬ 
afrika durchwandern und Kräuter und Pflanzen studieren. Später 
finden wir ihn in Aegypten von el-Malik-el Kamil Muhamrned ben Abi 
Bekr Ajjub als Oberapotheker und Botaniker angestellt und hier 
schrieb er seine Abhandlung über Botanik, auf welche die Europäer 
in der Renaissance sich stützten. 

Der berühmte Botaniker Raschid ed-din Ibn-el Suri (639 p. H.) 
stellte seine Untersuchungen mit peinlichster Sorgfalt an. Er wanderte 
nach Syrien und dem Libanon in Begleitung eines Malers, welchem er 
die in ihren feinsten Einzelheiten zu zeichnenden Pflanzen angab. Wir 
sehen also, dass die Pharmaziestudierenden der Zeit zu botanischen 
Exkursionen herangezogen wurden. 

Mohammedanische Anstalten und Unterricht. 

Die Araber errichteten ihre medizinischen und pharmazeutischen 
Schulen in Verbindung mit ihren Krankenhäusern und stützten sich 
auf klinischen Unterricht und den am Krankenbett. Rhazes sagt: „Lesen 
macht noch nicht den Arzt, sondern kritisches Urteil und Anwendung 
•der bekannten Regeln im Einzelfalle.“ Ali Ben El-Abbas (994 n. Chr.) 
•empfahl dem Arzte das, was er selbst getan hat: „Er soll die Genauigkeit 
■der Krankheitshilder, wie er sie in Büchern findet, durch eigene Beob¬ 
achtungen am Krankenbette kontrollieren.“ 

Das erste öffentliche Krankenhaus wurde durch el Welid Ben Abd el 
Melik in Damaskus errichtet. Harun al Raschid w r ar der erste Kalif, 
welcher grosses Interesse an Krankenhäusern hatte. Er baute das 
grosse Hospital und die Schule in Bagdad, welchen die Gründung ähn¬ 
licher Anstalten in den anderen Städten des Islams folgte. 

In Aegypten baute Achmed Ihn Tulun ein Hospital mit einem Auf¬ 
wand von 60 000 Denaren (120 000 Mark) und setzte zur Sicherheit 
seines Bestehens ein Einkommen fest. Er dehnte seine Wohltaten 
auf würdige Arme aus, indem er die Aufnahme von Sklaven und Söldnern 
ausnahm und so dem Missbrauch der öffentlichen Wohltätigkeit durch 
die vorbeugte, welche für sich selbst zu sorgen imstande waren, oder 
durch solche, für welche von anderen gesorgt werden sollte. 

In ihrem 3. Jahrhundert bauten die Mohammedaner Hospitäler 
in Mekka, Medina und anderen Städten. 

Das vierte Jahrhundert p. H. findet den Kalifen A! Muktadir 
und seine Diener beim Bau von öffentlichen Krankenhäusern. Eines 
wurde von dem Priester Ali Ben Isa (302 p. H.) gebaut und von seinem 
Arzte Abu Othman von Damaskus geleitet. Ein anderes von Sinan 
Ben Thabit (306 p. H.), für welches er 600 Denare monatlich stiftete, 
und ein drittes durch Ibn-el-ferat, im Anschluss an das vom Kalifen 
erbaute (306 p. H.). In der Mitte des Jahrhunderts wurde das Käfur- 
institut in Kairo errichtet. 

Im Jahre 368 p. H. erbaute Adhad-aldaulad sein berühmtes Muster¬ 
krankenhaus mit Schule zu Bagdad und rüstete es mit einem Stab von 
24 Aerzten, Chirurgen, Augenärzten und Orthopäden aus unter einem 
El Saour genannten Hauptleiter. Das Hospital blieb das Musterinstitut 
bis zum 6. Jahrhundert als Nür-Eddin Zenkis sein grosses Krankenhaus 
in Damaskus erbaute. Die Universität zu Bagdad wurde durch Al- 
Alostanser (1228—1240 n. Chr.) reorganisiert., welcher es mit einer 


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Klieisalla, 


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neuen Büchersammlung und Apotheke ausstattete, besoldete Lehrer 
anstellte und auch persönlich am Unterricht teilnahm. 

In Spanien blühten ihre Universitäten und Hospitäler zu Sevilla, 
Toledo, Almeria, Murcia, Granada, Valencia und Cordoba. Cordoba 
hatte im 10. Jahrhundert eine Million Einwohner, 200 000 Häuser. 
300 Moscheen, 40 Laienhospitäler und eine 250 000 Bände umfassende 
Bibliothek und zeigte einen Grad von Gedeihen und Kultur, welche 
kaum unter der gegenwärtigen zivilisierten ( ?) Regierung Sr. christ¬ 
lichsten Majestät von Spanien erreicht ist. 

In Kairo wurde ein anderes Hospital von El Melik ei Mansur 1223 
n. Chr. erbaut. Es hatte einen leitenden Arzt, welcher in einem besonde¬ 
ren Raum seine Vorträge hielt, auch männliche und weibliche Pfleger, 
besondere Abteilungen für Frauen, für diarrhoische Krankheiten, für 
Fieber (diese wurden durch Springbrunnen kühl gehalten), einen Raum 
für Rekonvaleszenten, einen anderen für Arzneimittel usw. Es hatte 
eine besondere Abteilung für Augenkrankheiten: der Hauptokulist 
war der berühmte Raschid-EIdin-Abd-El-Hassan Ali. Im Gegensatz 
hierzu habe ich kürzlich in einem Londoner Briefe über das berühm¬ 
teste Krankenhaus Londons, das Guy’s Hospital gelesen: „Noch bis 
1824, hundert Jahre nach der Gründung, fehlte jegliche Spezialabtei- 
lung. In diesem Jahre wurde eine ophthalmologische Station geschaffen; 
1842 die geburtshilfliche, 1885 die laryngologische und erst 1907 die 
orthopädische.“ 

Nach Z i e d a n , welcher das „Der Stand der Aerzte“ betitelte 
arabische Werk herausgegeben hat, waren „diese Hospitäler für Patienten 
ohne Rücksicht auf Nationalität oder Glauben geöffnet, systematisch und 
wohl eingerichtet, in besondere Abteilungen und Räume für verschie¬ 
dene und spezielle Leiden geteilt und unter Leitung von Spezialärzten, 
welche von Mcdizinstudierenden und Krankenwärtern begleitet wurden, 
um bei ihnen Heilkunde zu hören“. So wurden Medizin und Pharmazie in 
ihren öffentlichen Hospitälern gelehrt, eine Methode par excellence. 
Wir wissen auch, dass das Heer von Mohammed Elsaljusky von einem 
Feldhospital begleitet war. welches zu seiner Fortbewegung 40 Kamele 
bedurfte. 

Der damalige Stand des Berufes im Islam. 

Wie die Herrscher die Wissenschaften förderten und ihre Wertschät¬ 
zung und Gunst reichlich den Aerzten zuteil werden Hessen, folgte dm 
Laienwelt ihren Fussstapfen, um dem Stande die wohlverdiente Stelle 
einzuräumen. J. H. Baas sagt: „Im Falle von Krankheit riefen sie, 
wenn möglich einen wirklichen Arzt, zu einer Zeit, als die Christen 
(so wie noch heutigen Tags) zu einem Holz- oder Steinbild! iefen oder zu 
einem Knochen oder einer zerissenen Reliquie eines Heiligen, um voroder 
gerade zu diesem um Gesundheit zu flehen.“ Wir erfahren aus den 
erhaltenen Rechnungen von Dschibril ben Bachtischua, dem als Schrift¬ 
steller berühmten Arzt von Harün-al-Raschid, dass sein jährliches 
Einkommen aus 180 000 Dirhem aus dem Staatsschatz, 520 000 Dir- 
hem aus des Kalifen Privatschatulle, 400 000 Dirhem von der könig¬ 
lichen Familie unter der Bezeichnung eines Geschenks und Gehaltes 
betsand, und zusammen mit anderen Revenuen jährlich 4900000 Dirhem, 
oder ungefähr 800 000 Mark erreichte. 

Gibbon berichtet weiter: „Ein Privatarzt schlug die Einladung 



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Der Einfluss des MoliammedunismuB auf die Medizin. 


363 


des Sultans von Buchara aus, weil die Beförderung seiner Bibliothek 
400 Kamele erforderte.“ 

Die Aerzte in der mohammedanischen Zivilisation hatten eine 
Prüfungsordnung, um wirkliche Aerzte und Pharmazeuten zuzulassen 
und Kurpfuscher zu unterdrücken. Die bedeutendsten Examinatoren 
waren Sinam Ben Thebit in Bagdad und Mohathab ed-din Addikhwor 
in Aegypten. Gibbon sagt : ,,ln der Stadt Babylon waren 860 Aerzte 
konzessioniert, um ihren einträglichen Beruf auszuüben.“ 

Wir finden sie auch als Spezialisten für Chirurgie, Zahnheilkunde, 
Gynäkologie, Orthopädie und Irrenheilkunde. Berichtet werden die 
Namen von weiblichen Aerzten, welche zur chirurgischen Behandlung 
des Auges wie zur Geburtshilfe zugelassen waren, so Ekht-el-Hafid 
und ihre Tochter aus der berühmten Familie Zohr in Spanien, Zeinel¬ 
ei Amoyet, Bent Dahin el Lause und Shehdet Eldenaurit in Syrien. 

Die mohammedanischen Schriftsteller, welche 
auf die europäische Medizin den grössten Ein¬ 
fluss geübt haben. 

Das Werk des Abu Bekr Mohammed ben Zakarija er Räzi 313 p. H. 
025 p. C.hr., das „Königliche Buch“, dem Emir Adhad el Daula gewid¬ 
met, war die grösste medizinische Enzyklopädie bis zum Erscheinen 
von Avicennas Werk. Der Schriftsteller Rhazies war der erste, welcher 
genau Pocken und Masern beschrieb und den Alkohol einführte. Man 
behauptet, dass sein»' Abhandlungen sich auf 237 belaufen. Einige 
von seinen Werken sind mehr als einmal ins Lateinische übersetzt und 
gedruckt. Das Werk „De Simplicibus“ von Jabja Ben Masewey oder 
Mesue, dem jüngeren von Damaskus, welcher im 11. Jahrhundert 
lebte, jahrhundertelang als erste Autorität auf dem Gebiet der Materia 
medica galt, wurde im 15. Jahrhundert in 26 Ausgaben gedruckt und 
auch später bei der Zusammenstellung dt r ersten Londoner Pharmo- 
kopoe benutzt, welche vom College of Physicians unter der Regierung 
Jakobs I. herausgegeben wurde. 

Abul-Kasim-Chalef ben Abbas El Zahra oder von den Europäern 
Abulkasem genannt war (936—1013 p. dir.) in der Nähe von Cordoba 
geboren. Sein klassisches Werk „Atlasrif“ wurde im 12. Jahrhundert 
ins Lateinische übersetzt und galt für Jahrhunderte als ein, wenn nicht 
als das Meisterwerk auf dem Gebiet der Chirurgie in Europa. 

Avicenna oder Abu Ali el Hosein Ren Abdallah Ilm Sina (980 
bis 1037 n. Chr.) schrieb seinen berühmten „Kanon“, eine Enzyklopädie 
der medizinischen Wissenschaft, im Alter von 22 Jahren, und in späte¬ 
ren Jahren 1037 n. Chr. el Shefa und man kann sagen, dass in 
Europa seine Werke weit über die des Herodot und Galens geschätzt 
wurden. 

Avenzoar oder Abu Merran Abd-el-Malik Ibn Zohr (1113—62 p. Chr.) 
wurde zu Pentaflor in der Nähe von Sevilla in Spanien geboren und 
stammte aus einer Familie, welche mehrere hervorragende Mitglieder 
dem ärztlichen Stande lieferte. Sein Hauptwerk „Altheysir, Facilitatio“ 
wurde ins Lateinische übersetzt und wie auch seine späteren Werke 
mehr als einmal nach 1490 gedruckt. Er übte experimentelle Chirurgie 
an niederen Tieren. 

Des Abul Welid Mohammed ben Ahmed Ihn Roschd oder Averröes, 
des Philosophen (geboren in Cordoba 1120 p. Chr., gest. 1198), philo¬ 
sophische und medizinische Schriften waren in lateinischer Ueber- 


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Klieisalla, Der EinHutts des Mohaimuedanismus auf die Medizin. 


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Setzung weit verbreitet. Abdallah lim el-Beitar (gest. 1248), dessen 
botanisches Werk im 12. Jahrhundert übersetzt wurde, übertrifft an 
Kenntnis der Pflanzen weit Theophrast und Dioskorides (ca. 200). 

Das waren die Autoren, welche durch ihre Schriften die europäische 
Medizin am meisten beeinflussten. Sie waren aber noch nicht das ein¬ 
zige Bindeglied zwischen europäischer und arabischer Medizin. 

Die Kreuzzüge brachten Mohammedaner und Christen im Kampf 
zusammen und das Volk, welches Europa so tief politisch und geistig 
beeinflusst hatte, lieh auch der medizinischen Kunstseine besten Kräfte. 

Res« m e. 

Wir haben also gesehen, dass die Mohammedaner eitrigst die syri¬ 
schen, griechischen, indischen und persischen medizinischen Werke 
übersetzt und sich ihre Kenntnisse angeeignet haben, dass die Kalifen 
medizinische Forschung förderten und anregten, dass die Mohammedaner 
die Heilkunst zu einem höheren Grade entwickelten als vor ihrer Zeit, 
wie aus ihrer genauen Beschreibung unbekannter oder den alten Autoren 
unvollständig bekannter Krankheiten herve rgeht, und dass sie zuerst 
Heilkunst in umfassender Weise betrieben. 

Auf chirurgischem Gebiet führten sie die Thermokautrie, die 
Extension und Kontraextension bei der Reposition von Dislokationen 
ein, beschrieben die Lithotripsie und übten als erste die Iridektomie 
zur Kataraktextraktion. 

Sie stellten zuerst die Chemie auf wissenschaftliche Basis: „sie 
führten die Destillation ein und analysierten die Substanzen aus aden 
drei Reichen, erforschten die Unterschiede und Aehnliohkeiten von 
Alkali und Säuren und verwandelten die mineralischen Gifte in sanfte 
heilbringende Arzneien.“ 

Sie geben uns Salpetersäure, Königswasser. Schwefelsäure. Silber¬ 
nitrat, Quecksilberchlorid und -oxyd, Natriumnitrat, Vitriol, die Laugen, 
Arsenik, Borax, Alkohol usw. 

Sie erfanden auch die Kunst der Pharmazie und waren die ersten, 
welche Apotheken errichteten, den Berechtigten zuliessen, den Unfähigen 
ausschlosser,. Sie begründeten den klinischen Unterricht durch die Ver¬ 
bindung ihrer Medizinschulen mit öffentlichen Hospitälern, welche 
überall blühten, wohin der Islam gelangte. 

Der ärztliche Beruf erreichte einen hohen Stand in der mohamme¬ 
danischen Zivilisation, und die Tatsache, dass sie Prüfung und Appro¬ 
bation der Aerzte verlangten, und dass sie sich in Spezialfächer teilten, 
zeigt die hohe wissenschaftliche Bedeutung an. Als die Mohammedaner 
nach Europa kamen zu einer Zeit, als ungeordnete Zustände 
herrschten, als barbarische Sitten und Aberglauben den Kontinent 
überfluteten, vermittelten sie ihm unter anderen nicht nur griechische, 
sondern auch arabische oder mohammedanische Heilkunst als Resultat 
mohammedanischen Eifers, Studiums, Erfahrung und Forschung. 

Die mohammedanischen Schulen belebten wieder das Studium in 
Europa, wo der Name eines Avicenna höher galt als der eines Hippo- 
krates. Wir sehen, dass die europäische Wiedergeburt auf das Werk 
eines Abulcasis auf dem Gebiete der Chirurgie, eines Rhogis und Avicenna 
auf dem Gebiete der Medizin, eines Mesue in der Materia medica und 
eines Ihn el Beitar in der Botanik sich gründete. 



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Referate und Besprechungen. 


365 


Referate und Besprechungen. 


' Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

t. Sohlern, Jun. (Niederlössnitz bei Dresden), Das kleine Abdomen. (Klin.- 
Tberap. Wochenschr. 1911, Nr. 47.) 

Es war ein glücklicher Gedanke, die Abdominalorgane nicht bloß von 
der chemischen Seite, durch Untersuchung der Aziditäts- und Fermentver¬ 
hältnisse zu betrachten, Bondern auch nach ihrer Größe, v. S. hat gefunden, 
daß der Bauch nicht bei allen Menschen gleich groß ist, sondern daß 
es abnorm große und abnorm kleine Bäuche gibt. Sein Rückschluß a toto 
ad partes, d. h. daß in einem kleinen Bauch auch kleine Organe liegen 
müssen, ist verführerisch, und so bietet sich da ein neues Moment zur 
Beurteilung von Störungen des Allgemeinbefindens und der Gesamternäh¬ 
rung. Die Therapie könnte man als Pollakiphagie bezeichnen: die Patien¬ 
ten sollen oft, aber wenig essen. Buttersack-Berlin. 

Carrel, Alexis (New-York), Ersatz von Aortenwand. (Gazette med. de 
Paris 1912, Nr. 128, S. 8.) 

In den Laboratorien des Rockefellerschen Institutes für medizinische 
Forschung hat Carrel interessante Experimente angestellt. Er hat einem 
mittelgroßen Hund aus der Aorta ein Fenster von 2x1 cm Größe her- 
ausgeschnitten und durch ein Stück dünnen Kautschuks ersetzt. Nach 15 
Monaten hatte sich eine neue Adventitia und eine neue Intima gebildet. 

Ein zweiter Versuch bestand darin, ein ganzes Stück Aorta durch 
eine Glasröhre zu ersetzen. Anfangs befand sich der Hund ganz wohl 
dabei; als er aber herumsprang, verschob sich die Glasröhre und es bildete 
sich ein Gerinnsel. Sonst hätte man ihn noch unabsehbar lang am Leben er¬ 
halten können. Buttersack-Berlin. 

Sofer, L., Beiträge zur vergleichenden Rassenphysiologie und Rassenpatho¬ 
logie. (Rasse und Diabetes. Politisch-anthropolog. Revue. Oktober 1911.) 

Das Wesen der Zuckerkrankheit ist noch nicht ganz enträtselt; die 
Leber, das Pankreas, Arteriosklerose, allgemeine Fettleibigkeit und Er¬ 
krankungen des Nervensystems spielen bei ihr eine Rolle. Der Einfluß der 
Fettleibigkeit bewegt sich nach zwei Richtungen. Die erste ist die alimen¬ 
täre; sie kommt bei der eigentlichen Mastfettsucht vor, die durch über¬ 
reichliche Zufuhr der Nährsubstanz und geringen Verbrauch derselben be¬ 
dingt ist. Die zweite Form ist die konstitutionelle, bei ihr hat infolge ver¬ 
erbter Anlage der Zellorganismus eine solche Umstimmung erfahren, daß 
die Verbrennungsprozesse schwächer werden und Fett angehäuft wird. Der 
Prozeß bleibt aber dabei nicht stehen, sondern der Organismus verliert 
auch die Fähigkeit, den Zucker in normalem Umfang zu zersetzen. Die 
erste Form entspricht einer sozialen Erscheinung, wdr werden sie bei ver¬ 
schiedenen Rassen unter gleichem sozialen Milieu finden; die zweite Form 
entspricht vornehmlich einer bestimmten Rassenanlage. Sofer zeigte in 
früheren Aufsätzen derselben Zeitschrift, daß die alpine Rasse — im Gegen¬ 
sätze zu der nordischen und mittelländischen — eine verminderte innere 
Oxydationskraft aufweist. Wir werden daher bei ihr eine stärkere Ver¬ 
breitung der Zuckerkrankheit erwarten. Teilweise trifft dies auch zu. Die 
Statistik zeigt ein stärkeres Vorkommen der Krankheit in Bordeaux 25.8 
(auf 100 000 Einwohner), Paris 17,6, Frankfurt a. M. 16,5, München 15. 
Erfurt 15,5, Pest 12,0, Prag 13,2, Krakau 13.0 (für Italien dagegen 7,5, 
oder England 9,6). Klarer treten diese Umstände bei den Juden hervor. 
Bei ihnen wirken Rassenanlage und soziale Begleitumstände in derselben 
— ungünstigen — Richtung. Das Resultat ist die bekannte große Verbrei¬ 
tung des Diabetes unter den Juden. Die Krankheit hat hier eine bestimmte 
hereditäre Form angenommen. S. Leo. 

Klein, 8. R. (New-York), Negri-Körperchen, bloss Überbleibsel von Strepto¬ 
kokken. (Allg. Wiener med. Ztg. 1911, Nr. 29.) 

Klein hat in zahlreichen Fällen durch Injektion von starkem Strepto¬ 
kokkenvirus in For. occip., Antr. Highmori, Rückenmark, Nasenschleim- 


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Referate und Besprechungen. 


haut von Hunden bei diesen typische Wut erzeugt. Die Obduktion ergab 
unzähliche eitrige Metastasen und Drüsenschwellungen im ganzen Körper. 
Er hält demgemäß die Hydrophobie bloß für eine sehr akute Streptokokken- 
infektion und die Negrischen Körperchen für Überbleibsel von Streptokokken 
oder auch für Mischungen von letzteren mit anderen vorkommenden Orga¬ 
nismen. Esch. 


Bakteriologie und Serologie. 

Bacher und Laub (Wien), Zur Frage der antiinfektiösen Wirkung des 
Diphtheriehellserums. (Centr. f. Bakt., Bd. 61, H. 3.) 

Meerschweinchen werden durch Diphtherieserum geschützt gegen die 
i'ntraperitoneale Infektion mit Diphtheriebazillen sowohl bei gleichzeitiger als 
auch bei präventiver Anwendung mit vermehrtem Auftreten von Leukozyten 
und verstärkter Phagozytose. Im Reagensglase dagegen läßt sich eine bak¬ 
terizide Wirkung des Diphtherieserums weder an sich noch in Verbindung 
mit Komplement oder Leukozyten nachweisen. Im Pferdeserum vorkommende 
Opsonine wirken auf Diphtheriebazillen phagozytosebefördernd. Komplement- 
ablenkende Stoffe waren von den Verfassern im Diphtherieheilserum nicht 
nachzuweisen. — Sera, die von Ziegen gewonnen werden, entfalten nur eine 
geringe Schutzwirkung gegenüber der intraperitonealen Infektion; es fehlt 
ihnen jede bakterizide Wirkung; nur enthalten sie Bakteriotropine. Komple¬ 
mentbindende Stoffe sind nicht nachgewiesen. 

Konzentriertes Serum hemmt fast stets die Phagozytose. Es ist nicht 
erwiesen, ob die antiinfektiöse Wirkung der Diphtherieheilsera nur auf ihren 
phagozytären Antistoffen beruht. Schürmann. 

Cosco (Rom), Untersuchungen über die Tuberkulose der Milchkühe. (Centralbl. 
der Bakter. Bd. 61, H. 1/2.) 

Die Übertragung der Tuberkulose unter den Rindern findet in den meisten 
Fällen durch den Kot statt. Der Tuberkelbazillus kann in der Milch 
tuberkulöser Kühe und in Eutern von durchaus gesundem Aussehen Vor¬ 
kommen. Das Vorkommen des Koch sehen Bazillus in der auf gewöhnliche 
Weise gemolkenen Milch von tuberkulösen Kühen ohne Lokalisation im 
Euter ist bedingt durch Verunreinigungen, die an den Zitzen, Eutern, an 
den Händen des Melkers usw. haften und während des Melkens in den Eimer 
fallen, der für die Milchaufnahme bestimmt ist. 

Tuberkelbazillen waren im Urin tuberkulöser Kühe nicht nachzuweisen; 
es sei jedoch bemerkt, daß Tuberkelbazillen bei tuberkulösen Lokalisationen 
in den Harn- und Genitalapparaten vorhanden sein können. 

Schürmann. 

Suzuki und Takaki, (Osaka, Japan), Über die Beziehung zwischen der 
v. Pirquetschen Reaktion und den Tuberkelbazillen im Blut. (Centralbl. für 
Bakt., Bd. 61, H. 1 u. g.) 

Verfasser haben dje Beziehungen zwischen den Blutversuchsresultaten 
nach der v. Pirquetschen Reaktion studiert. Gehen beide Resultate 
stets parallel nebeneinander, so liegt der Schluß nahe, daß die v. Pir¬ 
quet s c h e Reaktion ein sicheres Kennzeichen der Tuberkulose ist. 

Zum Nachweis der Tuberkelbazillen aus dem Blut bedienten sich die 
Verfasser der verbesserten S c h n i 11 e r sehen Antiforminmethode, einer 
Modifikation nach Stäubli. Sie sei hier kurz wieder gegeben. 

1. 1 ccm Blut -)- 2 ccm einer 1 proz. Lösung von zitronensaurem Natron 
(in Zentrifugenröhrchen gebracht) geschüttelt. Dazu 5 ccm einer 
I proz. Essigsäurelösung. Mischen ungefähr 5 Minuten. (Dunkelrot.) 

2. Zentrifugieren. 

3. Zum Zentrifugat, d. h. Bodensatz setzt man 10 ccm einer 30 proz. 
Antiforminlösung; Erwärmen der Mischung ca. 3 Minuten. (Hell¬ 
gelb.) 

4. Wiederholtes Zentrifugieren (15 Minuten). 

5. Waschen des Bodensatzes mit ca. 10 ccm sterilisiertem destilliertem 
Wasser durch Zentrifugieren. 


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6. Untersuchen des Bodensatzes nach Ziehl — Gabbet. 

Es ist nun den Verfassern gelungen, zu zeigen, daß diejenigen Fälle, 
bei denen die v. Pirquetsche Reaktion positiv ausfiel, auch fast immer 
Tuberkelbazillen im Blut gefunden wurden. Daher ist es anzunehmen, daß 
diejenigen Fälle, bei denen die v. Pirquetsche Reaktion positiv ausfällt, 
irgendwo mit den Tuberkelbazillen infiziert sind. Findet man die v. Pir¬ 
quetsche Reaktion an zweifelhaften Kranken positiv, so kann man 
sagen, daß die betreffenden Kranken tuberkulös sind. 

Schürmann. 

Bücher und Menschikoff (Wien), Über die ätiologische Bedeutung des 
Bordet’schen Keuchhustenbazillus und den Versuch einer spezifischen Therapie 
•der Pertussis. (Centr. f. Bakter., Bd. 61, H. 3.) 

Im Auswurf findet man bei vielen Pertussisfällen das von Bordet und 
Gengou angegebene Stäbchen, den Erreger der Pertussis. Die isolierten 
Stämme stimmen in allen wesentlichen Merkmalen mit den Originalstämmen 
überein und die genauere Identifizierung dieser Stämme wird durch das 
Komplementablenkungsverfahren mit Seris immunisierter Kaninchen ermög¬ 
licht. Solche Sera enthalten auch reichlich Bakteriotropine. Im Serum mit 
Vaccin behandelter Kranker sind Antikörper nachzuweisen. Ein Erfolg der 
Vaccinationstherapie war trotz verschiedenartiger Modifizierung der Behand¬ 
lung klinisch nicht zu beobachten. Durch das Fehlen von komplementab- 
lenkenden Antikörpern im Serum wird die Ätiologie des Bordetschen Bazillus 
nicht ausgeschlossen, wenn die Pertussis als fortdauernde Toxinwirkung einer 
rasch vorübergehenden, oberflächlichen Schleimhautaffektion anzusehen ist. 

Schiirmann. 


Innere Medizin. 

Duckworth, Sir D. (London), Die Diathescn mit besonderer Berücksichtigung 
der arthritischen. (Practitioner Bd. 88, H. 1.) 

Die neue Ara der Diathesen ist in England noch nicht angebrochen, 
dort sieht man noch die Konstitution aller Menschen als im wensentlichen 
gleich an, und es ist nicht lange her, daß man die Diathesen Deckmäntel 
der Unwissenheit, groteske Absurditäten und Destillationsprodukte aus mittel¬ 
alterlichen Gehirnen nannte. 

D. unterscheidet die arthritische, die skrophulöse oder strumöse (in 
letzterem Kamen spukt die alte Konfusion von Struma und Halslymphdrüsen- 
schwellung), die biliöse und die nervöse Diathese. 

Die arthritische Diathese äußert sich in den ersten Lebensjahren oft 
gar nicht, höchstens durch kalte Extremitäten und Neigung zu Frostbeulen, 
lokale Erytheme oder Ekzeme. Später sind dann die sog. „Wachsschmerzen“ 
besonders häufig, ferner Angina und Gelenkrheumatismen von den leich¬ 
testen bis zu den schwersten. In Fällen von Septikämie werden besonders 
leicht die Gelenke befallen. Unter den arthritischen Erkrankungen, die 
nichts mit den Gelenken zu tun haben, sind Erythem und Purpura, Herz¬ 
erkrankungen jeder Art, Meningitis und Chorea zu erwähnen. Dagegen 
pflegt das Lymphgefäß- und Drüsensystem frei zu bleiben. Häufig sind 
auch kariöse Zähne, Alveolarpyorrhoe und chronische Erkrankungen des 
Uterus. 

Im späteren Leben tritt dann die Gicht auf, zu der D. auch Lumbago, 
Ischias, Neuritis, Neuralgie und Migräne rechnet; ferner Verdickungen an 
den Sehnenscheiden und Faszien- (sog. Dupuytrensche) Kontrakturen. Bei 
zarten Arthritikern tritt oft schwer zu behandelndes trockenes juckendes 
Ekzem, unerklärliche tiefsitzende Schmerzen in den Knochen, Intoleranz 
gegen Alkohol und fette Speisen auf. 

Töchter arthritischer Väter leiden nicht selten an schwerem Nasen¬ 
bluten und gleichzeitiger monatelanger Amenorrhoe; nach der Menopause 
pflegen die Wallungen mit besonderer Heftigkeit aufzutreten. Varizen und 
Hämorrhoiden sind häufig und es können sich Gallensteine, Glykosurie und 
Fettsucht entwickeln. In späteren Jahren pflegt der Blutdruck hoch zu 


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Referate und Besprechungen. 


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sein, mit oder ohne Schrumpfniere, und der Tod erfolgt häufig durch 
Apoplexie oder Pneumonie. 

Bemerkenswert ist, daß bei Arthritikern die Gonorrhoe besonders leicht 
zu Gelenkversteifungen führt, und daß sie besonders intolerant für Blei¬ 
vergiftung (und Schmierkuren, Ref.) sind. 

Dagegen haben die Arthritiker den großen Vorteil, nicht leicht und 
nicht schwer an. Tuberkulose zu erkranken, Anfänge von Lungentuberkulose 
heilen fibrös oder durch Verkreidung. 

Arthritiker vertragen im Gegensatz zu Skrophulösen in der Regel das 
Seeklima schlecht, ihnen ist kontinentales Klima und das Hochgebirge zu¬ 
träglicher. 

D. betrachtet mit Lancereaux die mit Diathesen Behafteten geradezu 
als Menschen besonderer Rasse im Gegensatz zu denen, deren Gewebe und 
Stoffwechsel normal ist, die arthritische Diathese aber als gerade so wichtig 
und der allgemeinen Aufmerksamkeit würdig als die skrophulöse, deren auf¬ 
fallendster Vertreter, die Schwindsucht, augenblicklich im Mittelpunkt des 
Interesses steht. Fr. von den Velden. 

^ Yeo, J. B. und Phcar, A. G. (London), Die Behandlung des akuten Ge¬ 
lenkrheumatismus. (Practitioner Bd. 80, H. 1.) 

Die Verfasser legen Wert darauf, daß der Kranke ein vorn offenes 
Hemd von Flanell trägt, durch das der häufige Wechsel erleichtert wird. 
Die Behandlung wird mit einem Abführmittel eingeleitet und der Regelung 
des Stuhlgangs besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Im akuten Stadium 
besteht die Diät aus Milch, die mit gleichen Teilen Wasser verdünnt und 
der Natr. bicarb. oder Kali citric. zugesetzt ist, die Temperatur des Ge¬ 
tränks richtet sich nach der Neigung des Kranken. Ein gelegentlicher 
Zusatz von etwas Kaffee oder Tee schadet nichts. Zwischen der 2stündig 
gereichten Milch wird nach Belieben alkalisches Wasser, ungesüßte Limonade 
oder Gerstenwasser, alles mit Zusatz von Alkali, getrunken. Nur wenn 
die Milch nicht vertragen wird, ist an ihrer Stelle Beaf-tea oder Brühe 
erlaubt. 

Von Vaszinen und antitoxischen Seris halten die Verfasser nichts, son¬ 
dern bleiben bei der Salizylbehandlung. Sie steigen bis zu den hohen Dosen 
von 12—16 g täglich, legen aber besonderen Wert darauf, diese Dosen 
nach eingetretener Wirkung oder bei Symptomen von Vergiftung (wozu 
sie schon Ohrensausen und Taubheit rechnen) herabzusetzen. Nach Ver¬ 
schwinden der akuten Symptome soll Salizyl noch zwei Wochen fortgebraucht 
werden. Daß es bei Erkrankung des Herzens versagt, haben auch die Ver¬ 
fasser gefunden. Sie bevorzugen die Salizylsalze und das Salicin im Gegen¬ 
satz zu den neueren Präparaten. Daneben brauchen sie Alkalien, deren 
Wirkung ihnen darauf zu beruhen scheint, daß in Kombination mit ihnen 
das Salizyl besser vertragen wird und stärker wirkt. Sie fügen deshalb 
der Salizyldosis das l'/ s fache an Kali bicarb. hinzu. 

Fieber von 40° wird mit einem kühlen Wasserkissen und einer „Eis- 
Wiege“ bekämpft, worunter offenbar ein Eisbehälter, der sich nach Art 
eines Bügels über dem Körper des Kranken befindet, verstanden ist. Bei 
höheren Temperaturen wird kalt gebadet, mit vorsichtiger Kontrolle der 
Temperatur und Hautfarbe, und bei eintretendem Kollaps der Kranke so¬ 
fort wieder durch Wärme und Alkohol stimuliert. 

Bei Herzerkrankung besonders mit subjektiven Erscheinungen und un¬ 
regelmäßigem Puls erweist sich Opium (in Form von p. Doveri) nützlich. 
Zur Erleichterung der Herzbeschwerden dient auch die Eisblase und das 
Ansetzen von Blutegeln in die Herzgegend, die besondern bei Stauung 
im rechten Herzen angebracht sind. Fr. von den Velden. 

Goodby, St. (London), Die Beziehungen von Wundkrankheiten zum Rheu¬ 
matismus. (Practitioner Bd 88, H. 1.) 

Goadby, Dozent am National Dental Hospital, bringt lehrreiche Bei¬ 
spiele zu der alten Erfahrung, daß eitrige Prozesse an den Zähnen und im 
Innern der Kiefer pyämische Erscheinungen und speziell Erkrankung der 


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tern leiden vier, darunter eine Frau an ausgesprochener Gicht, z. T. mit 
Beteiligung innerer Organe (Albuminurie, Diabetes), daneben aber an ge¬ 
legentlichen Erkrankungen, die inan dem Rheumatismus zuzurechnen pflegt. 
Schmerzhaftigkeit der Gelenke und Muskeln auch nach geringen Anstren¬ 
gungen und hartnäckigen Gelenkschmerzen in der kalten Jahreszeit; die 
beiden anderen sind frei von Gicht, haben aber wiederholt schwere fieber¬ 
hafte Muskelrheumatismen mit starker Beteiligung des Allgemeinbefindens 
gehabt. Dabei sind beide Geschlechter, sehr verschiedene Lebensalter und 
alle Grade zwischen vorsichtiger Lebensweise und erheblicher Unsolidität 
vertreten, ohne daß diese Unterschiede die Verschiedenheit der Erkrankung 
erklären. Fr. von den Velden. 

Murreil, >V. (London), Der gonorrhoische Rheumatismus. (Practitioner 
Bd. 88, H. 1.) 

Es gelingt nicht immer, bei Tripperrheumatismus den Gonokokkus im 
Urethralsekret nachzuweisen, schon deshalb, weil es so viele Abarten des 
Gonokokkus gibt, die sich in der Färbbarkeit, dem Wachstum und Aus¬ 
sehen stark unterscheiden, — daher sich auch M. nicht darüber wundert, 
daß ein bei einem Bauernmädchen akquirierter Tripper anders aussieht 
als ein von einer Dame der Gesellschaft stammender. Bei einem älteren 
Tripper mit Rheumatismus fand M. in der Urethra eine Art Diphtherie¬ 
bazillus; außerdem gibt es zahlreiche Formen von Urethritis ohne Gono¬ 
kokken, z. B. die bei Parotitis, und M. hält es für unbewiesen, daß nach 
einer solchen Urethritis kein (Tripper-) Rheumatismus auftreten könne. 

Mancher hat eine unschuldige Gonorrhoe, bis er sich ein Gelenk ver¬ 
staucht oder verletzt, alsbald tritt in diesem eine Entzündung ein, die 
sich nicht selten auf andere Gelenke fortpflanzt. 

Der Annahme, daß der Tripperrheumatismus fast ausschließlich eine 
Männerkrankheit sei, tritt M. entgegen, er sieht in seinem Spital gerade 
so viele Erkrankungen bei Mädchen und Frauen und auch zahlreiche bei 
Kindern, bei letzteren schon im Anschluß an Opthalmia neonatorum. 

In der Behandlung verwirft M. Salizylpräparate, Jod, Chinin, Arsen 
usw. als unwirksam, dagegen schätzt er als schmerzerleichternd außer dem 
Verband trockne Schröpfköpfe, Vesikantien, hautreizende Linimente und Jod¬ 
tinktur. Sera haben versagt, dagegen hält M. viel von der Vakzinetherapie, 
über die Referent sich hier wohl nicht nochmals zu verbreitern braucht. 
Einmal hat er erlebt, daß die Beseitigung des Krankheitsherdes in der 
Urethra durch Dilatation von baldiger Besserung der Gelenkerscheinungen 
gefolgt war. Fr. von den Velden. 

Midelton, W. J., Schilddrüsenextrakt hei chronischem Gelenkrheumatismus. 

(Practitioner Bd. 88, H. 1.) 

Midelton ist, aufmerksam gemacht durch die Untersuchungen anderer 
und eigene jahrelange Erfahrungen, zu der Überzeugung gelangt daß 
es nur wenige Fälle von chronischem Gelenkrheumatismus gibt, die nicht 
mit Hyposekretion der Schilddrüse geringeren oder höheren Grades ver¬ 
bunden sind. Er hat durch die Verabreichung von Schilddrüsenextrakt im 
Verein mit anderen Maßregeln, besonders Beschränkung der Diät, gute Resul¬ 
tate gehabt. Die Dosen sind gering, 0,1 bis höchstens 1,0 täglich, letztero 
Dose nur in Fällen, wo zugleich Myxödem besteht. Hat die Medikation gute 
Wirkung, so setzt er sie jahrelang fort, da nach seiner Ansicht die mangel¬ 
hafte Sekretion der Schilddrüse dauernd ist. Fr. von den Velden. 

Marlon (Paris), Über Blasensteine. (Allg. Wiener med. Ztg. 1911, Nr. 47 
u. 48 nach Monde medic. 1911, Nr. 42). 

Marion unterscheidet 3 Typen von Blasensteinkranken: 

1. Den selten vorkommenden Typus, der das Gesamtbild der Symptome 
aufweist: Häufiger Harndrang bei Tage, der in der Nacht aufhört, später 
Schmerz bei Bewegungen und Erschütterungen, endlich Hämaturie 
aus derselben Veranlassung. Die plötzliche Unterbrechung des Harnstrahls 
ist nur dann patliognomonisch, wenn sie bei Vorwärtsbeugen oder Nieder¬ 
legen aufhört. 


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2. Den infantilen Typus: Steinkranke Kinder haben bei Tag und 
Nacht gleichen Harndrang, die Strahlunterbrechung ist häufig, desgleichen 
Inkontinenz, Hämaturie dagegen selten, der Schmerz tritt oft sehr heftig auf. 

3. Den gewöhnlichen zysti tischen Typus: Miktion bei Tag und 
Nacht gleich häufig, Schmerz unabhängig von äußeren Anlässen, Urin trübe, 
gegen Ende der Miktion oft blutig. (Bei Prostatakranken läßt letzteres 
Verdacht auf Steine entstehen.) 

Differentialdiagnostisch kommt die bei Neuropathen, gewöhnlicher Zystitis 
und bei Blasentumoren auftretende Miktionsfrequenz in Frage. Rektale und 
vaginale Palpation führt nur bei Kindern und Mageren und bei großen 
Steinen zum Ziel, eher schon Sonde und Metallesplorateur, sicher letzterer 
in Verbindung mit Zystoskopie. In manchen Fällen hilft auch Radiographie 
zur Diagnose. Zu vermeiden ist Verwechslung mit inkrustierten Teilen der 
Blasenwand oder eines Tumors. 

Therapeutisch kommt die, früher besonders bei Frauen geübte Extrak¬ 
tion des Steins auf natürlichem Wege weniger in Betracht als die Lithothripsie. 
Gegenindikation für letztere und Veranlassung zur Sectio subpubica bildet 
hochgradige Zystitis, Einschluß des Steins in Schleimhautsehwellung, zu 
großer oder zu harter Stein, zu große Blase, in der die Steine sich dem 
Instrument entziehen (bes. bei Frauen), jugendliches Alter, enge Urethra, 
Prostatatumor. Esch. 

Uiedel (Jena), Der Gallenstein In keimfreier Gallenblase. (Münch, med. 
Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

Der sehr erfahrene Gallensteinoperateur weist darauf hin, daß durch 
die Arbeiten von Aschoff und Bacmeister (Die Cholelithiasis, Jena, G. Fischer, 
1909) seine Ansicht unterstützt werde, der Inhalt steinehaltiger Gallen¬ 
blasen brauche nicht unbedingt infektiös zu sein. Er führt dazu Krankenge- 
chichten an und verweist auf seine Arbeit, die in Stintzing und Penzoldt 
publiziert ist. Der sehr lesenswerte Aufsatz erörtert ferner die so schwierige 
Differentialdiagnose von Gallensteinen in nicht infektiöser Galle sowie der 
Cholezystitis non infectiosa sine concremento. Es würde zu weit führen, 
hier den vollständigen Inhalt der Arbeit auszuführen, es muß vielmehr 
dringend empfohlen werden, die Arbeit im Original zu studieren. 

Schütze-Darmstadt. 

Kupfer, Zur Therapie der Lepra. (Therapewtitscheskoje Obosrenje 1911, 

18.) 

Das wirksamste Mittel in der Behandlung der Lepra ist das Oleum 
Gynocardiae, dessen Wirkung auf die darin enthaltene Säure zurückzuführen 
ist und im wesentlichen auf der künstlich herbeigeführten Leukozytose be¬ 
ruhen dürfte. 01. Gynocardiae wird per os und subkutan appliziert. Sicher 
ist, daß die Wirkung in zahlreichen Fällen vollkommene Heilung herbeige¬ 
führt hat. Nachteile des Mittels: stürmische Reaktion auf das Medikament 
in Form von hochgradigem Fieber und Abszessen. Möglicherweise sind letztere 
Erscheinungen in einer Reihe der Fälle auf die häufigen Fälschungen des 
Präparats (durch Zusatz verschiedener Hydnokarpusarten) zurückführen. 
Das Fieber hält 4—5 Tage an, wonach in der Regel Besserung eintritt. 
Bei interner Anwendung tritt die Reaktion weniger brüsk auf. Intern wird 
0,25—1,25, 3 bis 4 mal täglich, angewandt. In vielen Fällen muß zu weit 
größeren Dosen geschritten werden. 

01. Gynocardiae kann auch diagnostisch verwertet werden. Mit Rück¬ 
sicht auf den schlechten Geschmack und die nicht seltenen Erscheinungen 
seitens des Magen-Darmkanals werden Ersatzmittel wie Acid. Gynocardiae, 
Magnesia Gvnoc. und Natrium gynocard. angewandt. Gut vertragen wer¬ 
den auch die keratinierten Pillen nach Unna: 

Sapon. gynocard. 16,0 
Aq. dest. 10,0 
Bolve in balneo. vapor. edda 

massae sebac. pro pil. kerat. 10,0 

24* 


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Entsprechend dem Charakter der Erkrankung dauert die Behandlung eines 
Leprösen Jahre, mitunter Jahrzehnte. 

Die Beobachtungen sind im Leprosorium zu Kuda in Esthland gewonnen. 

Schleß-Marienbad. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Zangeineister, W. (Marburg), Zur Frage der Wundinfektion. (Münch, 
med. Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

Einen sehr interessanten Beitrag zur Infektionsfrage liefert der Autor 
in diesem Aufsatz, der vielleicht unsere landläufigen Anschauungen in man¬ 
cher Hinsicht zu modifizieren vermag. Da die aus ihm sich ergebenden 

Konsequenzen aber auch für den Praktiker entschieden von Wichtigkeit 

sind, so empfiehlt es sich, etwas ausführlicher darauf einzugehen. Er geht 
davon aus, daß Ahlfeld im Gegensatz zu andern Geburtshelfern schon länger 
betont habe, die Keime, die zu Puerperalfieber Anlaß gäben, stammten nicht 
von desinfizierten Händen (obwohl bei diesen auch Keime in der Tiefe 
sich fänden), sondern aus der Scheide usw. 

Z. stellte fest, daß in der Tat die infektiösen Keime kaum von der 
untersuchenden Hand stammen können, denn sie sind durch einfaches Ab¬ 
wischen (wie es bei der Untersuchung in Frage kommt) nicht von der 
Hand zu entfernen, ferner sind es zu vereinzelte Keime und endlich sind 
sie nicht identisch mit denen der puerperalen Infektion. Dann aber stellt 

er fest, daß in der Tat sich in der Vagina solche Keime befinden, die Puer¬ 

peralfieber hervorrufen. Er unterscheidet also ektogene (von außen her¬ 
eingebrachte) und endogene Keime (die am bestimmten Ort präexistent sind) 
letztere meist harmloser als erstere. 

Es ergibt sich daraus als sehr wesentlich: Abstinenz der Hände von 
infektiösem Material, denn die Infektion, die durch ektogene Keime be¬ 
dingt wird, verläuft meist viel schlimmer. 

Durch Versuche stellte er fest, daß die infektiösen ektogenen, meist 
Streptokokkenkeime, sich fast nur in unmittelbarer Umgebung des Menschen 
befanden (Bettwäsche, Betten usw.) natürlich besonders bei Streptokokken- 
Kranken. Beim • sonst gesunden Menschen finden sich Streptokokken im 
Mund, Vagina, Rektum, seltener an Händen, noch seltener an der übrigen 
Haut. (An Staub, Abwässern usw. fanden sich nie welche.) Die Lebensfähig- - 
keit der Streptokokken ist nur kurz — am längsten bleiben sie virulent an 
trockener, mit Streptokokkem-Kranken in Berührung gewesener Wäsche, be¬ 
sonders wenn Blut mit daran ist; hier sind sie bis zu 8 Wochen lebens¬ 
fähig, während sie auf der Haut meist schon nach 24 Stunden abgestorben 
sind. Die Untersuchungen zeigten, daß das Infektionsmaterial weniger an 
schmutzigen Gegenständen zu suchen ist als am Menschen selbst. An rostigen 
Nägeln, Wänden, Kanten von Mauern, Messern, Scheren, Nadeln z. B. wur¬ 
den nie Streptokokken festgestellt, nur einmal an einem Bleistift. Daraus 
folgt, daß die Infektion meist inokuliert wird durch Verletzungen, d. h. 
die am Verletzten selbst befindlichen Keime werden in die Tiefe geschleppt, 
wtobei Art und Form der Wunde wesentlich ist. Z. B. frische Wunden, die bei 
geringer Oberfläche gewisse Tiefe haben. Auch durch Insekten ist Über¬ 
tragung von infektiösem Streptokokkenmaterial selten. Ferner gelingt keine 
Infektion bei unterbundenem Säftestrom (Abschnürung) und kurzer Berüh¬ 
rung und wenn die Wunde einige Stunden alt ist. Deshalb warnt der 
Autor vor zu langen Inzisionen bei Furunkeln, Panaritien, Mastitiden, d. h. 
Schnitten, die zu weit ins Gesunde gehen, weil dabei Keime inokuliert 
werden, besonders wenn die Wunden dann nicht genügend offen zu halten 
sind. Schütze-Darmstadt. 

de Quervain, Prof. Dr. (Basel), Wesen und Behandlung der stenosierenden 
Tendovacrinitis am Processus-styloldeus radii. (Münchner med. Woohenschr. 
1912, Nr. 1.) 

Für die Kenntnis dieser Erkrankung ist folgendes von Wichtigkeit: 

1. Es kommt, besonders bei weiblichen Individuen, bisweilen ohne er- 



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Referate und Besprechungen. 


S73 


sichtlichen Grund, bisweilen aber unter dem Einfluß von Überarbei¬ 
tung, zu einer Verengerung des Sehnenscheidenfaches des Exten¬ 
sor pollicis brevis und des Abductor pollicis longus, welche zu erheb¬ 
lichen, nach Daumen und Ellbogen ausstrahlenden Schmerzen führt; 
diese Erkrankung tritt bald mehr akut, bald mehr chronisch auf. 

2. Histologisch läßt sich nur eine Verdickung des Sehnenscheiden¬ 
faches nachweisen, ohne entzündliche Veränderungen. 

3. Die Behandlung besteht bei frischen Fällen in Kälteanwendung, Ruhig¬ 

stellung, Druckverband — bei länger sich hinziehenden in Revul- 
sion oder Wärmebehandlung, bei ganz hartnäckigen in offener oder 
subkutaner Durchtrennung des Sehnenscheidenfaches, was zu blei¬ 
bender Heilung führt. Schütze-Darmstadt. 

Hochhaus, H. (Köln), Über Extensionsbehandlung akuter und subakuter 
Gelenkentzündungen. (Therap. d. Gegenw. 1912, H. 1.) 

In vielen Fällen von akuten Arthritiden (besonders Gelenkrheumatis¬ 
mus, Arthr. gonorrh.), wo die interne Medikation, Stauungs- und Hitze- 
hyporämie nicht zum Ziele führte, sah Hochhaus gute Erfolge von Exten¬ 
sionsbehandlung mit hoch über das erkrankte Gelenk hinaufgeführten Heft¬ 
pflasterstreifen. Die Belastung betrug beim Kniegelenk 6—15 Pfund. Gleich¬ 
zeitig wird dadurch auch die Ankylosierung hintangehalten. Esch. 

Babinski, J. und Jarkowski, J. (Paris), Zur Längenbestlnunung eines 
Rürkemnarkstumors. (Bullet. möd. 1912, Nr. 5, S. 49/50.) 

Für den Chirurgen, der einen Tumor innerhalb des Rückenmarkskanals 
entfernen will, ist es natürlich wichtig zu wissen, wo er sitzt, d. h. zwischen 
welchen Wirbeln er ihn aufzusuchen hat. Nun läßt sich die obere Grenze 
verhältnismäßig leicht mit Hilfe der anästhetischen Zone ausfindig machen, 
aber nicht ebenso leicht die untere Grenze. Die beiden Kliniker ziehen zu 
dem Zwecke ihre reflexes cutanes de defense heran. Reizt man bei einer 
Unterbrechung der spinalen Leitungen die Haut der Beine durch heiße 
oder kalte Gegenstände, durch Kneifen, Stechen, faradische Ströme und 
dergleichen, so erfolgen unwillkürliche Bewegungen der Beine, meistens 
leichte Beugungen. Diese Reflexe erfolgen aber nicht für jene sensiblen 
Bahnen, deren Zentra im erkrankten Rückenmarksabschnitt liegen. Durch 
wiederholte Untersuchungen — vor Irrtümern muß man sich sehr in acht 
nehmen! — kann man erfahren, wie weit herauf das kaudale Stück des 
Rückenmarks intakt ist, und daraus ergibt sich dann ohne weiteres das 
untere Ende des Tumors. 

Ist die Entfernung dieses Punktes von dem mit Hilfe der anästhetischen 
Zone erschlossenen oberen Ende klein, so kann man mit Sicherheit einen 
intrameningealen Tumor annehmen. Eine große Entfernung deutet im allge¬ 
meinen auf einen extrameningealen hin. Buttersack-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Wiidboh (Bern), Über Deflorationspyelitis. tCorrespondenzblatt f. Schweiz. 
Arzte 1912, H. 1.) 

Es gibt eine bisher wenig beachtete meist irrtümlich als gonorrhoisch 
amgeeprochene akute Pyelitis bei jung verheirateten Frauen, die auch 
ätiologisch manche Ähnlichkeit mit der Pyelitis gravidarum hat, indem sie 
auf eine Koliinfektion der Harnwege durch die Hymenrisse zurückzuführen 
ist. Verfasser hat 8 solcher Fälle behandelt. Therapie: Lokalbehandlung 
und Harnantiseptika. v. Schnizer-Höxter. 

Lamers, A. J. M. Über die Hämolyse der Streptokokken im Scheidensekret 
Schwangerer und Wöchnerinnen. (Aus d. Univ.-Frauenklinik in Halle. Arch. 
f. Gyn. 1911, 95. Bd., 1. Heft.) 

Die Behauptung Zangemeisters: „Schwangere haben keine hämo¬ 
lytischen Streptokokken in der Scheide“ sei längst durch die gegenteiligen 
Befunde von Schmidt, Sigwart u. a. widerlegt und auch L. fand 
in einigen des näheren mitgeteilten Fällen Streptokokken in der Scheide 


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Referate und Besprechungen. 


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Schwangerer. Im Ganzen haben sich in Halle bei 415 gesunden Schwangeren 
IS mal, d. s. in 3»n, hämolytische Streptokokken gefunden. Die Benutzung 
von größeren Mengen Scheidensekret dürfte keine wesentlich anderen Resul¬ 
tate haben. — Die Hauptfrage ist nun die: Wo kommen all die hämolytischen 
Streptokokken her, die man bei der Mehrzahl der gesunden fieberfreien 
Wöchnerinnen im Lochialsekret findet? Diese Frage beantwortet L. 
dahin, daß sie aus anhämolytischen entstehen, die schon in der Schwanger¬ 
schaft in der Scheide vorhanden waren. Hierfür sprächen einmal die wie¬ 
derholt gelungenen Umzüchtungsversuche der einen Art in die andere, dann 
aber ist es L. gelungen, beim Menschen direkt Übergangsformen zu be¬ 
obachten. L. erklärt deshalb die Hämolyse nur abhängig von einem Leben 
unter günstigen Lebensbedingungen, von einem sehr energischen Wachs¬ 
tum, wie das in dem bluthaltigen, alkalischen Lochialsekret ermöglicht werde. 
Hämolytische Streptokokken, in die Rückenhaut von Wöchnerinnen einge¬ 
rieben, verloren nach einigen Tagen ihre Hämolyse. Eine Methode, die 
Pathogenität von Streptokokken für ein bestimmtes Individuum festzustellen, 
gibt es z. Z. noch nicht. R. Klien-Leipzig. 

Frankl, Oskar, Beiträge zur Lehre vom Uterusmyom. Mit besonderer Be¬ 
rücksichtigung der Mucosa und deren Beziehungen zu den Blutungen und 
Gestationsstörungen. (Aus der Klin. Schauta in Wien. Arch. für Gyn. 1911, 
95. Bd., 1. Heft.) 

In einer sehr fleißigen Arbeit, die sich auf die Untersuchung von 228 
durch Operation gewonnener mvomatöser Uteri auf baut, sucht F. Licht 
in die Ursachen der Blutungen bei Myom zu bringen. Dazu war ein ein¬ 
gehendes Studium der Blutgefäße mittels Injektionsmethoden erforderlich, 
aber auch lohnend. Zu Beginn der Arbeit fordert F. mit guten Gründen 
eine Reform in der Nomenklatur der Myome und zwar sollen unter¬ 
schieden werden: wirklich submuköse bez. intramuköse Myome, die sich 
von Hause aus im Schleimhautstroma entwickeln; interstitielle Myome 
mit zentripetalem und mit zentrifugalem Wachstum, bei denen 
sich stets auch über der prominentesten Stelle noch eine Hülle uteromusku- 
lären Gewebes nachweisen läßt; subseröse Myome. — Von den unter¬ 
suchten Fällen betrafen 216 Nichtgravide, 201 mal handelte es sich um 
Korpus-, 15 mal um Zervixmyome. 160 Korpusmyome waren interstitiell; 
davon 47 rein interstitiell, 46 mit zentripetalem, nur 12 mit zentrifugalem 
Wachstum, und zwar als alleinige pathologische Bildungen. Vielfach handelte 
es sich um Kombinationen. Submuköse Myome im obigen Sinn fanden sich »17, 
davon 24 mal als alleinige Bildung; viele davon waren polypös geformt. 
Rein subseröse Tumoren fanden sich 15. Die histologischen Studien ergaben, 
daß durch das Myom eine Hyperplasie der Schleimhaut nicht hervor¬ 
gerufen wird. Wohl aber kommt es oft, insbesondere bei interstitiellen 
Myomen, zu einer auf ödem beruhenden Verdickung der Schleimhaut, die 
mitunter sehr hochgradig ist. Interstitielle Myome mit zentripetalem Wachs¬ 
tum verdünnen die Schleimhaut, die über ihnen liegt, allmählich und zwar 
um so mehr, je rascher und je vollkommener sie sich der Mukosa nähern. 
Was hier allmählich im Verlauf des Tumorwachstums geschieht, setzt bei 
submukösen Myomen gleich zu Beginn der Tumorbildung ein. Rasch wird 
die Schleimhaut verdünnt und gleichzeitig mit der primären Änderung 
der Verlaufsrichtung der Drüsen an den abhängigen Partien des 
Tumors werden auch die Schleimhautkapillaren anders orientiert. Sie laufen 
über dem Myom parallel zur Schleimhautoberfläche, vielfach dicht unter 
dem Epithel. Sowohl interstitielle Myome mit zentripetalem Wachstum als 
auch submuköse Myome bringen allmählich die tumorfreie Schleimhaut zur 
Atrophie, die freilich stets minder ausgeprägt bleibt. — Injektionen mit 
Eiweißtusche ergaben bei submukösen Myomen dicht unter dem Epithel 
ein dichtes Netz von Gefäßen mitunter recht weiten Kalibers und 
strotzend gefüllt. Ähnlich bei interstitiellen Myomen und zwar wird die 
Richtung des Gefäßverlaufes allmählich geändert, sie wird mehr parallel 
zur Oberfläche, so daß an den Randpartien eine Knickung der Gefäße 
eintritt, wodurch eine Stauung in den aufgefundenen Plexus hervorgerufen 


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Referate und Besprechungen 


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werden muß. Auch s i n u ö s e Erweiterungen kommen am Rande der 
Tumoren des öfteren vor. Der jeweilige Füllungszustand der Gefäße intra 
vitam ist abhängig von der Gestalt des Tumors, von den Phasen des 
Menstrualzyklus und auch von den Ovarien. Das bei Myom an sich alterierte 
Ovarium wird nicht nur eine zyklisch wechselnde, sondern eine dauernde 
Hvperämisierung des Myomendometriums hervorbringen, wofür die Erfolge 
der Röntgenbestrahlung bei Myom sprechen. — Auch F. fand an seinem 
Materiale, daß der Eintritt der Menopause bei myomkranken Frauen wesent¬ 
lich hinausgeschoben erscheint. Zur Erklärung der pathologischen Blutungen 
bei Myom, die ja auch bei rein interstitiellen und subserösen Myomen 
beobachtet werden, nimmt F. außer den anatomischen und mechanischen 
Verhältnissen noch gewisse biochemische Vorgänge in der Schleim¬ 
haut zu Hilfe, nämlich das proteolytische tryptische Ferment der prämen¬ 
struellen Uterindrüsen, dessen stärkster Aktivator die Hyperämie sei. 

R. Klien-Leipzig. 

Franz, K. (Berlin), Zur Klinik der puerperalen Peritonitis. (Aus der 
Charitö-Frauenklinik. Therap. d. Gegenw. 1912, Nr. 1.) 

Während diejenige Form der puerperalen Peritonitis, die unter ent¬ 
sprechendem Allgemeinbefinden als Begleiterscheinung einer allgemeinein 
Sepsis auftritt, jeglicher Behandlung trotzt und durch Operation eher ver¬ 
schlimmert wird, erscheint nach den, an einigen Beispielen illustrierten 
Erfahrungen von Franz bei der auf das Beckenbauchfell beschränk¬ 
ten Entzündung, die auffallend häufig durch das Bacterium coli erregt und 
durch langsamen Beginn mit Druckempfindlichkeit und Bauchdeckenspan¬ 
nung bei uncharakteristischen Temperaturen gekennzeichnet wird, Eröffnung 
des Leibes in der Medianlinie zwischen Nabel und Symphyse und Ablassen 
des Exsudats angezeigt. 

Durch die Öffnung ist das kleine Becken abzutasten, Gegenöffnungen 
sind nur bei Exsudat in den abhängigen Partien, Spülungen nur bei solchem 
im Douglas nötig. Inzision im hinteren Scheidengewölbe hält F. für über¬ 
flüssig, von Drainagen empfiehlt er nur die des Douglas, im übrigen ge¬ 
nügt Offenhalten der Wunden, durch die sich schon nach 24 Stunden eine 
kräftige Sekretion entwickelt. Esch. 

Lichtenstein, Zur Klinik, Therapie und Ätiologie der Eklampsie, nach 
einer neuen Statistik bearbeitet auf Grund von 400 Fällen. (Aus der Univ.- 
Frauenklinik in Leipzig. Arch. f. Gynäk. 1911, 95. Bd., 1. Heft.) 

L. glaubt im Gegensatz zu den früheren Statistiken die Wochenbetts¬ 
eklampsien zu den Frühentbindungsfällen rechnen zu müssen, da sie Früh¬ 
entbindungsfälle xax eio/j]v seien. Nach der so eingerichteten Stati¬ 
stik hörten die Anfälle bei diesen Fällen nur in '/« der Fälle sofort nach 
dem spätestens zweiten Anfall auf. Auch war die Mortalität der Wochen¬ 
bettseklampsien eine sehr hohe. L. macht dann in Anlehnung an Zweifel 
die Prognose in erster Linie abhängig von der Größe des Blutverlustes; 
je größer dieser, desto besser sei die Prognose. Dies führte in der Leipziger 
Klinik zur prinzipiellen Anwendung des Aderlasses event. in Verbindung mit 
der S tr o g a n o f f sehen Therapie sofort nach Einlieferung der Erkrankten. 
I'ber die Resultate kann L. noch nichts Definitives mitteilen, nur zwei ge¬ 
heilte Fälle von Schwangerschaftseklampsie werden geschildert. 

R. Klien-Leipzig. 

Vogt, Über die Ruptur der Uterusnarbe nach klassischem Kaiserschnitt. 
(Aus d. Kgl. Frauenklinik in Dresden. Arch. f. Gyn. 1911, 95. Bd., 1. Heft.). 

V. hat aus der Literatur 22 Fälle gesammelt; in denen es nach voraus¬ 
gegangenem klassischen Kaiserschnitt sub partu zur Ruptur der Narbe kam. 
Von diesen starben nur 3, alle anderen wurden durch Operation gerettet, 
die teils in Naht, teils in Amputation des Uterus bestand. Man kann also 
sagen, daß die Ruptur der Narbe nach klassischem Kaiserschnitt recht selten 
und von relativ guter Prognose ist. R. Klien-Leipzig. 


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Referate und Besprechungen. 


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Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

D’Espinc, A., IMe lobäre Pneumonie der frühesten Kindheit (Paris med. 
1912, 3. Februar.) 

Verf. schildert sie als eine durchaus nicht seltene Erkrankung. Sie tritt in 
/.ivvei Formen auf, die beide durchweg die Oberlappen befallen. 1. Die „rudi¬ 
mentäre Pneumonie“, oft als Ephemera, Zahnfieber, „fievre synoque“ (ein in 
der deutschen Wissenschaft durchaus obsolet gewordener Begriff, hervorge¬ 
gangen aus dem „Synochus“, oder: der „Svnoche“ der älteren Autoren, mit der Be¬ 
deutung eines anhaltenden Fiebers ohne anatomische Grundlagen), als Fieber¬ 
krämpfe (Eclampsie febrile) oder gar Meningitis fälschlich diagnostiziert, 
beginnt plötzlich, oft nachts mit hohem Fieber, ohne Husten oder Seiten¬ 
stechen, mit Durst, auch oft mit nervösen Fiebersymptomen (Krämpfe, Somno¬ 
lenz). Erbrechen fehlt meist im Gegensatz zur Pneumonie der späteren 

Kindheit. Der Atem riecht nach Reinetten. Das Kind ist appetitlos. 
Ein morbfllenähnliches Erythem wurde einmal beobachtet. Die Lungen¬ 
symptome fehlen oder sind ganz unbedeutend. Nur vereinzelt erfolgen 

„fette“ Hustenstöße, deren Sekret wohl stets verschluckt wird; niemals 
beobachtet man keuchhustenartige Anfälle. Aus dem Schlunde gewischt 

und untersucht, erscheint das Sekret klebrig, leicht gefärbt; es enthält 
den grampositiven l'neumococcus capsulatus. — Die Krankheit dauert 1 
bis 2, oder auch 3—6 Tage, selten länger. Das Fieber zeigt entweder die 
Kurve einer zuletzt jäh zu leicht-subnormalen Temperaturen abfallen¬ 
den Continua oder diejenige eines remittierenden, selbst intermittierenden 
Verlaufs, mit morgendlichen Remissionen. Bisweilen folgt bei der remittieren¬ 
den Form auf ein 3—5 tägiges freies Intervall ein kürzeres Rezidiv. 
Die Milz ist nicht geschwollen. — Der physikalische Lungenbefund sichert die 
Diagnose: Das Bläschenatmen ist abgeschwächt oder geschwunden. Es be¬ 
steht Bronchophonie. Das Atemgeräusch wird oft erst gegen Ende des 
Fiebers hauchend, doch ohne den Charakter des Bronchialatmens. Einige 

gröbere feuchte Rasselgeräusche können es begleiten. Fast noch wichtigere 
Befunde gibt die Perkussion. Die Dämpfung bei diesen Überlappenpneumonien 
beginnt stets hinten in der Fossa supraspinata. Doch sind leicht Irrtümer 
infolge von Scheindämpfungen möglich, welche durch ungleiche Muskel- 
spannung oder durch lokale Atelektase infolge des Schreiens der Kleinen 
entstehen. Die untere Grenzlinie der Dämpfung muß dem Septum zwischen 
Ober- und Unterlappen entsprechen, also schräg von oben medial nach 
unten lateral gegen die Achselkuppel verlaufen. Später wird die Dämp¬ 
fung auch vorn in der Fossa supraclavicularis, bisweilen bis zu den ersten 
Interkostalräume hinab, nachweisbar; doch ist sie hier mehr fleckenweis 
verteilt und undeutlicher. Beim Fiebernachlaß verschwindet sie so¬ 
fort. Der Ausgang ist stets günstig. — Die zweite Form, die „massive 
Lobärpneumonie verläuft bedeutend schwerer; sie bewirkt die 11 o/ 0 
betragende Sterblichkeitshöhe der Lappenpneumonie in den ersten beiden 
Lebensjahren. Hierbei besteht grobes Bronchialatmen und fast absolute Dämp¬ 
fung der Lungenspitze. Oft werden mehrere Lappen, auf derselben Lunge 
oder auch doppelseitig befallen. Das Fieber überdauert stets 7 Tage, und 
zieigt bald, remittierenden, bald kontinuierlichen Charakter. Die Nerven- 
symptome bestehen in großer Ermattung, bis zu Stupor und Status typhosus, 
Krämpfe und lokalen Anzeichen von Meningitis. Meningitis, Nephritis, Enteri¬ 
tis können hinzukommen. Die Dyspnoe ist bedeutend, der Husten häufiger 
und trockener. Das rechte Herz wird erweitert. Die Milz ist vergrößert. 
Im Unterlappen können bronchopneumonische Herde erscheinen. Dies Bild 
—- die Verbindung von lobärer und katarrhalischer Entzündung — hat 
Henoch als „Zwischenform“ beschrieben. Beherrscht wird es jedoch von 
der lobären Pneumonie. — Eine starke Verminderung der Harnchloride 
begleitet die Erkrankung. — Wie die Krankengeschichte eines acht 
Monat alten Knaben zeigt, können diese Pneumokokken-Erkrankungen in 
septischer Weise auf treten. Es finden sich dann Pneumokokken in den 
Lungen, im Liquor cerebrospinalis, in der Milz usw. Rosenberger. 


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Referate und Besprechungen. 


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Tan Tnssenbroek, Catharine, Kindbettsterblichkeit in den Niederlanden. 
(Arch. f. Gyn. 1911, 95. Bd. f 1. Heft.) 

Die Berechnungen über die Jahre 1865—1900 haben ergeben, daß in 
den Niederlanden die Wochenbett-Sterblichkeit in der allgemeinen Praxis 
unter dem Einfluß der Aseptik viel stärker abgenoramen hat, als gewöhnlich 
angenommen wird. In den Entbindungsanstalten ist jedoch auch in der 
aseptischen Zeit die Sterblichkeitsziffer beträchtlich höher geblieben als 
außerhalb dieser Anstalten. Endlich kann v. T. nicht die allgemein herr¬ 
schende Meinung bestätigen, daß die Wochenbettinfektion außerhalb der 
Anstalten hauptsächlich durch die Hebammen bewirkt wird. 

R. Klien-Leipzig. 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Zumsteeg, Über Erkrankungen der Kommandostinime. (Deutsche militär- 
ärztl. Zeitschr. 1912, Heft 2.) 

Beim anstrengenden Kommandieren kommt es nicht selten zu charak¬ 
teristischen Störungen: Heiserkeit, Kratzen im Halse, Druckgefühl und 
anderen Reizerscheinungen; schließlich versagt die Stimme ganz. Der 
objektive Kehlkopfbefund ist gering (Rötung, event. auch Schwellung der 
Stimmlippen oder Schwäche der Mm. vocales). Die funktionelle Prüfung 
ergibt in den weitaus meisten Fällen eine zu hohe Kommandostimmlage. 
Normalerweise befindet sich die durchschnittliche Lage der männlichen 
Sprechstimme zwischen A und e, während die Ruf- oder Kommandostimme 
genau eine Oktave höher, also durchschnittlich auf c’ liegt. Eine lokale 
Therapie kann hier nicht viel nützen. Vor allem ist das zu hohe Kom¬ 
mandieren abzustellen. Eine mehrwöchige Stimmruhe, soweit die Berufs¬ 
stimme in Betracht kommt, wird dazu verwendet, die Stimme in ihren 
tieferen Lagen so zu kräftigen, daß in letzteren mühelos gesprochen werden 
kann. Dann stellt sich die Kommandoetimme meist ganz spontan in ihre 
physiologische Lage — eine Oktave höher — ein. Hierzu sind systematische 
Übungen erforderlich; zunächst einfache Atemübungen zur Erzielung aus¬ 
giebiger Atmung. Es folgen dann Stimmübungen mit Unterstützung von 
Faradisation und Vibrationsmassage. Die richtige Kommandostimme läßt 
sich dann meist ohne Mühe fixieren, und es erübrigt noch das Umlernen 
der Kommandos in dieselbe. Die Dauer einer solchen Behandlung beträgt 
mindestens 4 Wochen. Vorbeugend ist auf richtiges Kommandieren Wert 
zu legen: Man hole tief vorher Atem. Man gebe das Kommando mit weichem 
Stimmlaut, nicht so, daß die Stimmlippen sich mit einem hörbaren Knall 
öffnen, sondern Traum hörbar angehaucht. Für die Vernehmbarkeit des 
Kommandos ist hohes Kommandieren erforderlich; man kommandiere aber 
nur so hoch, als es dem Stimmorgan ohne Unlustgefühle möglich ist. 

W. Guttmann. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Galloway, J. (London), Die Hautaffektionen bei rheumatischen Erkran¬ 
kungen. (Practitioner Bd. 88, H. 1.) 

Sudamina und Urticaria sind von geringerer Bedeutung als Erytheme 
und Purpura. Die bei Gelenkrheumatismus auftretenden Erytheme sind 
nicht für ihn charakteristisch, ihre schwersten Formen treten sogar 
nicht bei ihm, sondern bei Pyämie und Serumkrankheit auf. Alle Arten 
von Erythemen kommen vor, am auffallendsten ist das Erythema exsudativum, 
das besonders, wenn es hämorrhagisch wird, ein signum mali ominis zu 
sein pflegt. Erythema nodosum kommt auch ohne Symptome von Rheuma¬ 
tismus vor, nur eine gewisse Schmerzhaftigkeit der Gelenke fehlt dabei 
selten. Purpura tritt in der Regel nur bei schweren Erkrankungen auf und 
Ist in vielen Fällen der Vorläufer der Endokarditis, so daß sie als zwingende 
Indikation zu völliger Bettruhe angesehen werden muß. Da sie nicht selten 
nicht rheumatischen, sondern pyogenen Ursprungs ist, so muß auf Quellen 


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378 Referate und Besprechungen. 

pyogener Infektion, die sich meist im Mund (vgl. des Ref. über die Goodbysche 
Arbeit), im Magendarmkanal oder im Urogenitalsystem finden, gefahndet 
werden. Durch deren Beseitigung ist manche sog. rheumatische Affektion 
heilbar. 

Die Hautaffektion selbst soll möglichst in Ruhe gelassen werden, soweit 
subjektive Symptome nicht eine Behandlung erfordern. Ist der rheumatische 
Ursprung wahrscheinlich, so ist ein Versuch mit einem Salizylpräparat an¬ 
gezeigt (G.’s Dosen sind 1,2 bis höchstens 3,6 g in 24 Stunden, man ver¬ 
gleiche das mit den bei uns oft angewandten Mengen!), in vielen Fällen 
aber, zumal solchen mit schwachen arthritischen Symptomen und niedrigem 
Fieber, versagt die Salizylsäure. Dann muß sie nach einigen Tagen ausg.- 
setzt werden, da sie (selbst in G.’s Dosen!) nur Schaden anrichten kann. 
Man ist dann auf Bettruhe, leichte Kost, Anregung des Stuhlgangs und 
der anderen Ausscheidungsfunktionen angewiesen. 

Fr. von den Velden. 

Bloch (Basel), Die Trichophytie und verwandte Pilzerkrankungen der Haut. 

(Correspondenzbl. f. Schweizer Ärzte 1912, H. 1.) 

Die Fadenpilzerkrankungen des Menschen haben in den letzten Jahren 
eine wesentliche nicht allgemein bekannte Umänderung erfahren: Außer 
dem Achorion-Schoenleinii kennt man jetzt noch das A. Quinckeanum, das 
A. gypseum Bodin und das A. violaceum, das Verfasser entdeckte und wie 
auch das Quinckesche hauptsächlich von Mäusen auf den Menschen über¬ 
tragen wird. Die klinischen Erscheinungen sind bekannt. 

Die Trichophytie umfaßt zwei grundverschiedene Krankheitsgruppen. 
Einmal die Mikrosporie, die einmal durch ihren Typus humanus gerade in 
den letzten Jahren durch ihr epidemisches Auftreten in Schulen namentlich 
als Audouinsche bezw. Gruby-Sabouraudsche Mikrosporie von sich reden 
machte als eine der kontagiösesten aller Dermatomykosen, die hauptsäch¬ 
lich Kinder vor der Pubertät am behaarten Kopfe befällt. Dann die vom 
Tier übertragenen Formen, die auch die glatte Haut erwachsener Personen 
mit stärkeren entzündlichen Erscheinungen befällt und durch das M. lanosum 
seu canis hervorgerufen wird. 

Dann die Trichophytie im engeren Sinne. Auch hier besteht ein Men¬ 
schen- und Tiertyp; letzterer stets von irgend einem kranken Haustier über¬ 
tragen, als Herpes tonsurans, Kerion Celsi oder Svkosis parasitaria bekannt. 
Allgemeines Gesetz für Trichophytie und Mikrosporie: die vom Tier auf 
den Menschen übertragenen Pilzstämme lösen viel stärkere reaktive Er¬ 
scheinungen, Entzündung, Eiterung, Gewebswucherung, event. auch Drüsen¬ 
schwellung und Fieber aus, als die nur auf dem Menschen einheimischen 
Stämme. Nach des Verfassers Anschauung hat man hier eine Anpassungs¬ 
erscheinung vor sich. Die obligaten Menschentrichophyten befallen haupt¬ 
sächlich das Haar von Schulkindern. Hier sind die Haare wie bei iler 
Mikrosporie kurz über der Austrittsstelle abgebrochen, aber nicht von einem 
Sporenmantel umhüllt, sondern im Innern von Sporenketten durchsetzt. 

Behandlung: bei den oberflächlichen Formen entzündungserregende 
Mittel, Antiparasitika: Jodtinktur, Chrysarobin, Hg präparate; bei den tiefer¬ 
gehenden entzündlichen Formen mechanische oder chemische Entfernung 
der Pilze, Röntgenstrahlen, die dadurch wirken, daß nach 2—3 Wochen 
für die ausgefallenen neue Haare kommen. 

Eine für den Praktiker sehr wichtige, weil meist verkannte Hautmykose 
ist ferner die Sporotrichosis de Beurmann und Gougerot, die außer der Haut 
auch innere Organe, Lvmphdrüsen, Knochen, Periost, Hoden, Augen, Lungen 
in Mitleidenschaft ziehen kann. Verursacht durch Pilze von Vegetabilien. 
die entweder direkt in Verletzungen gelangen, verursacht sie entweder 
eine von einem Primäraffekt ausgehende mehr chronische, weitere Regionen 
ergreifende tuberkuloide Form. Oder gelangt durch die Nahrungsaufnahme 
(Tonsillen) in die Blutbahnen und bietet dann das Bild einer Sepsis oder 
einer rasch verlaufenden Syphilis, namentlich mit den zahlreichen gumma¬ 
ähnlichen Hautabszessen; oder es kann zu phlegmonösen Abszessen, papil¬ 
lären Wucherungen und Schwellungen in Nase und Rachen kommen. Be- 



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Referate und Besprechungen. 


379 


handlung: in allen solchen Fällen dunkler Provenienz, Jodkali in hohen 
Dosen, das prompt wirkt. Endlich ist noch die Kladiose, hervorgerufen 
durch das Mastigocladium, ein Insektenparasiten verwandter Pilz, der an 
beiden Händen derbe, erweichte oder exulzerierte Tumoren mit dickem 
infiltrierten Lymphsträngen nach Ellbogen und Achsel hin hervorruft. 
Sicheres Heilmittel ebenfalls Jodkali. Interessant ist die Überempfindlich¬ 
keit von Leuten, die an Trichophytie erkrankt waren, gegen das Trichophytin, 
die aus alten Trichophytenstämmen gewonnenen Toxine usw. Sie wirken 
ähnlich wie das Tuberkulin auf Tuberkulöse. v. Schnizer-Höxter. 

Jaworskl, Eruptionen von Herpes zoster aut der Urethralgchleinihaut 

Gazette möd. de Paris 1911, 83. Jahrg., Nr. 128, S. 5.) 

Del bet hat neuerdings schlecht heilende Fistelgänge zwischen Urethra 
und Rektum beschrieben und dieselben auf syphilitische Ülzerationen zurück¬ 
geführt. Jaworski macht demgegenüber auf Herpes-Eruptionen aufmerk¬ 
sam, welche sich auf der Urethralschleimhaut von Tabikern entwickeln. Man 
könne dieselben mit dem Urethroskop leicht finden, etwa 12—16 cm hinter 
der Harnröhrenmündung, teils als Bläschen, teils — und das viel häufiger 
— als schmerzhafte, leicht blutende Geschwürchen. Bei der Untersuchung 
bezw. beim Bougieren löse die Berührung dieser Stellen lokale Spasmen, 
Verengerungen aus. Ein großer Teil der tabischen Blasenstörungen rühre 
von der Angst der Patienten her, diese Ülzerationen durch den Harn zu 
reizen; und wenn sie schließlich doch urinieren, so unterbreche ein plötzlicher 
Krampf den Harnstrahl. Natürlich reize — namentlich hochgestellter 
Urin die wunden Stellen und beeinflusse auf diese Weise die ganze Tabes 
ungünstig. Aber eben wegen der exzessiven Reizbarkeit seien sie einer 
Therapie nicht zugänglich. Also ein kaum zu durchbrechender Circulus 
vitiosus. ButterBack-Berlin. 

Dommer (Dresden), Beitrag zur Technik der Salvarsanin]ektion. (Klin. 
Therap. Wochonschr. 1912, Nr. 1.) 

Dommer nimmt eine Verbindung des Salvarsans mit Adeps suilus 
an Stelle des von Schindler benutzten Adeps lanae und ohne Jodipinzusatz. 
teilt die Menge in 2 Dosen, die gleichzeitig nach Erwärmung mit heißer 
Spritze in beide Glutäen eingespritzt werden; sogleich Einwirkung des 
Heißluftstroms abwechselnd mit leichter Massage, bis die Geschwulst ge¬ 
schwunden ist. Wiederholung in den nächsten Tagen. Unter 150 Injek¬ 
tionen nur eine Nekrose. Blecher. 

Medikamentöse Therapie. 

Wiener, R. G. (New-York, Harlemhospital), Klinische .Notizen über den 
Gebranch von Diglpuratum. (Merck’s Arehives 1911, Nr. 12.) 

Wiener hält das Digipuratum für ein durchaus zuverlässiges Präparat, 
da es nur nach genauer Einstellung in den Handel kommt. Er hat es in 
einer Reihe von Fällen, bei denen es sich um Myokarditis, chronische Endo¬ 
karditis, chronische Kardionephritis, Herzerweiterung, Dyspnoe, Ödeme, 
Arasarka, «chwp.ch.cn irregulären Puls usw. handelte, mit Erfolg angewandt. 
Innerhalb weniger Tage wurde die Herztätigkeit normal, die Dyspnoe ver¬ 
schwand, die Urinmenge stieg wesentlich an und der Puls wurde voll und 
regelmäßig, ohne daß gastrische Störungen auftraten. 

Auch in 5 Fällen von Pneumonie fand das Digipuratum Verwendung 
und bewirkte stets eine Kräftigung der Herztätigkeit ohne Magenbeschwerden 
zu verursachen. 

Obwohl die Erfahrungen von W. mit Digipuratum noch relativ be¬ 
schränkt sind, so hat er doch den Eindruck, daß man in ihm ein Herzmittel 
besitzt, das alle Ansprüche erfüllt, die man an ein Digitalispräparat stellen 
kann. Er bezeichnet das Digipuratum als ein Präparat von einheitlicher 
und gleichmäßiger Stärke, das einen energischen Einfluß auf ilie Herztätig¬ 
keit ausübt, dabei treten weder' kumulative noch gastrointestinale Erschei¬ 
nungen auf. Die Tätigkeit der Nieren erfährt eine wesentliche Steigerung. 

Neumann. 


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380 Referate and Besprechungen. 

Schreiber (Berlin), Einige Erfahrungen mit Rromural. (Ärztf. Mitteilungen 
1912, Nr. 2.) 

Obwohl wir eine ganze Menge von Schlafmitteln besitzen, so reduziert 
sich doch bei einer rationellen Anwendung die in Frage kommende Anzahl 
ganz beträchtlich. Manche sind für eine längere Anwendung ungeeignet, 
andere versagen bei Schmerzen und bei fieberhaften Zuständen, wieder 
andere wirken kumulierend. Daher ist die Auswahl eines geeigneten Hvpno- 
tikums immerhin eine Frage von nicht untergeordneter Bedeutung. 

Als Schlafmittel für leichtere Fälle, insbesondere auch für die Frauen- 
und Kinderpraxis kommen Bromural und Adalin in Betracht. Während 
ersteres selbst in hohen Dosen und bei dauerndem Gebrauch völlig unschäd¬ 
lich ist, wurde durch die Landesheilanstalt Uchtspringe für letzteres eine 
kumulierende Wirkung nachgewiesen, die eine länger dauernde Anwendung 
des Adalins nicht wünschenswert erscheinen läßt. Auch ist die Resorption 
des Adalins weniger prompt und vollständig, als die des Bromurals, so 
daß Verfasser für alle Fälle, in denen es sich um nervöse Schlaflosigkeit 
handelte, das letztere vorzog. Das Präparat leistete ihm ferner bei er¬ 
schwertem Einschlafen und bei nervösen Erregungszuständen sehr gute 
Dienste. Auch verwandte er es häufig mit Erfolg bei Lungenkranken. Insbe¬ 
sondere konnte er hier die Beobachtung von Senator, daß es die Nacht¬ 
schweiße günstig beeinflußt, bestätigen. 

Das Bromural hat vor anderen Schlafmitteln noch den großen Vor¬ 
zug, daß der Patient am nächsten Morgen einen klaren Kopf behält. End¬ 
lich ruft Bromural auch bei längerer Darreichung keine Angewöhnung her¬ 
vor, sondern es stellt sich im Gegenteil bei längerem Gebrauch der natür¬ 
liche Schlaf von selbst wieder ein. 

Auf Grund seiner Erfahrungen verordnet Schreiber Bromural überall 
da, wo es ihm darauf ankommt, ein auch für längere Behandlung geeignetes 
und unschädliches Sedativum und Hypnotikum anzuwenden. Bei leichten 
Lungenkatarrhen bewährte sich Bromural dem Verfasser in doppelter Hin¬ 
sicht, erstens als Linderungsmittel für den Husten und zweitens als schwei߬ 
hemmendes Mittel. 

Garin, Ramon, Heeonon, ein neues Antigonorrhoikum. (Klin. therap. 
Wochenschr. 1912, Nr- 4.) 

Auf Grund mehrmonatlicher Anwendung in der Lewinschen Poliklinik 
kommt Garin zu dem Schluß, daß Hegonon therapeutisch mindestens dasselbe 
leiste wie Protargol und Albargin, daß es aber wegen seiner außerordent¬ 
lich leichten Löslichkeit und absoluten Reizlosigkeit den Vorzug vor diesen 
verdiene. Die Lösungen sind stets frisch zu bereiten. — Blecher. 

Bachem, Codeonal, ein neues Narkotikum und Hypnotikum. (Berliner 
klin. Wochenschrift 1912, Nr. 6.) 

Durch eine Reihe Untersuchungen hat Bürgi festgestellt, daß Kombina¬ 
tionen narkotischer Mittel verschiedener chemischer Gruppen imstande sind, 
die Wirkung ihrer Komponenten nicht nur zu addieren, sondern bis zu 
tinem gewissen Grade zu potenzieren. 

Während die meisten Alkaloide, so das Chinin, Kokain und Morphin 
mit der Diäthylbarbitursäure sich nicht zu Salzen vereinigen lassen, gelingt 
es, durch Vereinigung von je einem Molekül Kodein und Diäthylbarbitur¬ 
säure ein schön kristallisierbares Salz herzustellen, welches entsprechend 
seiner Konstitution 63 o/o Kodein und 37 o/ 0 Diäthylbarbitursäure enthält. 
Dieser Körper hat einen Schmelzpunkt von 85 0 und bildet bitter schmeckende, 
schräg abgestumpfte Säulen, die in Alkohol, Chloroform, Äther und 30 
Teilen Wasser löslich, dagegen in Benzol, Xylol und Toluol unlöslich sind. 

Da dem Kodein wie auch der Diäthylbarbitursäure sedative Wirkungen 
zukommen, ist obige Verbindung vom therapeutischen Standpunkte aus 
durchaus rationell. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß Kodein nur beim 
Menschen in den üblichen Gaben sedativ wirkt, daß dagegen Tiere bei 
relativ geringen Dosen mit Reflexübererregtarkeit und Krämpfen reagieren. 

Das Codein. diäthylbarbit. ist als solches beim Menschen als Schlaf¬ 
mittel nicht anwendbar, da es einerseits zu viel Kodein - 63 «o des Mole- 



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Referate und Besprechung« n. 


381 


küls — enthält, andererseits zu wenig Diäthylbarbitursäure 37 —, 

so daß beispielsweise in 1 ; g etwa 0,31 g Codeinum purum (entsprechend 
0,42 g Codeinum phosphoricum) neben nur 0,18 g Diäthylbarbitursäure 
enthalten sind. Um die Substanz dennoch als Mischnarkotikum brauchbar 
zu machen, ist ein erheblicher Zusatz von Diäthylbarbitursäure oder, noch 
zweckmäßiger, deren Natriumsalz am Platze. 

Die in den Handel kommende Mischung, Codeonal genannt, besteht 
aus 11,76 Oo Codein. diäthylbarbit. und 88,24 o/o Natrium diäthylbarbit. 
Codeonal-Tabletten enthalten 0,02 Codeinum diäthylbarbituricum und 0,1 5 
Natr. diäthylbarbit. Sie sind mit einer dünnen Zuckerschicht überzogen 
(damit der bittere Geschmack nicht zur Geltung kommt) und enthalten als 
Geruchs- und Geschmackskorrigens Spuren von Pfefferminzöl. Die Dosie¬ 
rung der Tabletten und die Verzuckerung wurde auf Veranlassung von 
Prof. Alt-Uchtspringe gewählt. Der Kodeingehalt, berechnet auf reines Ko¬ 
dein, beträgt 7,4 <»o. Das Präparat eignet sich gut als Sedativum und 
Hypnotikum, besonders in jenen Fällen, in denen der Schlaf durch Husten¬ 
reiz und dergleichen gestört ist, sowie bei Vorhandensein von Schmerzen 
in den vom Sympathikus innervierten Organen, wo Kodeindarreichung an¬ 
gezeigt ist. 

Einige unerwünschte Nebenwirkungen der Diäthylbarbitursäure 'werden 
im Codeonal vermindert oder unterdrückt; besonders tritt der nach Diäthyl¬ 
barbitursäure beobachtete Temperaturabfall beim Codeonalgebrauch bedeu¬ 
tend zurück. 

Bei den relativ geringen therapeutisch üblichen Mengen dürfte das 
Codeonal so gut wie keine Temperaturherabsetzung bedingen. Man wird 
sich also seiner in allen Fällen mit Vorteil bedienen Winnen, wo eine 
Temperaturverringerung vermieden werden soll und andere Schlafmittel aus 
dem angegebenen Grunde kontraindiziert sind. 

B. hatte verschiedentlich Gelegenheit, sich von der günstigen thera¬ 
peutischen Wirkung des Codeonals zu überzeugen, in einigen Selbstver¬ 
suchen und auch sonst fand er, daß Anfälle nervöser Schlaflosigkeit oder 
wo solche infolge Hustens bestand, bereits nach Gebrauch einer Tablette 
beseitigt wurden. Inwieweit sich das Codeonal auch zur Behandlung an¬ 
derer Erkrankungen (Influenza, dvsmenorrhoischer Beschwerden) oder zur 
Vorbereitung auf die Narkose eignet, wird die klinische Erfahrung lehren. 

Es dürfte somit feststehen, daß beim Codeonal die narkotische Wir¬ 
kung seiner Komponenten völlig ausgenutzt wird, daß dabei aber die nar¬ 
kotische Dosis verringert ist, und daß infolgedessen Nebenwirkungen um so 
leichter vermieden werden. Das Codeonal wird von der Firma Knoll u. Co., 
Ludwigshafen a. Iih., in den Handel gebracht. Ein Röhrchen mit 10 Tab¬ 
letten kostet Mk. 1,25. Neumann. 

Bogner, Fr. (München), Adamon, ein neues Sedativum. (Medizin. Klinik 
1912, Nr. 2.) 

„Der Hang zur Unruhe zeugt nicht von Tätigkeit, sondern vielmehr 
von einem überreizten Gemütszustand.“ 

„Blicke um dich und du wirst finden, daß die Mehrzahl der Menschen, 
auch wenn keine Sorge sie drückt oder in Zukunft ihnen droht, dennoch 
in Angst und Unruhe lebt.“ 

Diese Sätze stammen nicht aus dem Ende des 19. oder aus dem An¬ 
fang des 20. Jahrhunderts; sondern sie sind von Seneca an seinen Freund 
L u c i 1 i u s geschrieben, datieren also aus der Zeit des kaiserlichen Roms, 
mit welcher unsere Epoche so erschreckend viel Ähnlichkeit hat. Ehrgeiz, 
Geldgier, Strebertum finden wir hier wie dort, und dementsprechend auch 
die Frucht davon: allgemeine Nervosität. Wie verbreitet dieses Übel ist, 
läßt sich beinahe graphisch an der Zunahme der Nervina, Sedativa, Hypnotika 
usw. darstellen, welche von den chemischen Fabriken auf den gierigen 
Markt geworfen werden. Mit dem Adamon = Dibromdihydrozimmtsäure- 
borneolester bringen die Elberfelder Werke vorm. Fr. Bayer u. Co. ein 
Mittel in den Handel, welches nicht schlaferzeugend, wohl aber beruhigend 
auf die Produkte des modernen Lebens wirkt. 


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Referate und Besprechungen. 


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382 


Man gibt es in Pulver- oder Tablettenform ä 0,5 drei- bis fünfmal 
im Tag und kann damit — nach Bogner - nervöses Herzklopfen 
und innerliche Unruhe beseitigen. 

Nicht ohne ein Gefühl der Sorge blickt der sein Volk und Vaterland 
liebend» Arzt und Historiker in die Zukunft. Wie mögen die Söhne und 
Enkel werden, wenn ihnen die Vorfahren ein erschüttertes Nervensystem 
hinterlassen und keine Ideale, an denen sie sich aufrichten können? Schade, 
daß die Hast des Lebens so wenigen Zeit zur Einkehr läßt; es geht ihnen 
wie einst dem großen Michelagniolo: 

„Das Gaukelspiel der Welt nahm mir die Zeit, 

„Die Gott mir gab, sein Wesen zu ergründen. 

„Trugvollen Höffens, eitler Wünsche Reigen 
„Mit Weinen, Seufzern, heißer Glut und Minne 

Buttersack-Berlin. 

Göschei, Bromural bei Lainpenlieber. (Klin.-Therap. Wochenschrift 1911, 
Nr. 41.) 

Das Lampenfieber fällt im allgemeinen kaum in den Bereich der ärzt¬ 
lichen Behandlung. Man nimmt es als unvermeidliche Zugabe hin und tröstet 
sich, daß die Sache nicht gefährlich ist. Zudem setzten sich früher nur 
relativ- wenige so sehr der Öffentlichkeit aus, wie heutzutage, wo die ge- 
iällige Form des Vortrags häufig genug höher als der Inhalt bewertet wird. 
„Leicht ist die Suada und enthält nicht vielen Gehst,“ urteilte Aristo» 
phanes in den Fröschen; und „Moins on a ä reflechir. plus on parle“ 
lautet eine Sentenz von Montesquieu. Immerhin müssen wir uns eben 
mit den Tatsachen abfinden, und wo des Lampenfiebers rationellste Prophy¬ 
laxe, das Schweigen, nicht beliebt wird, kann man den Unglücklichen mit 
einigen Tabletten Bromural-Knoll leicht helfen. 

Das Mittel dürfte wahrscheinlich auch bei den mancherlei Beklem¬ 
mungszuständen eines Versuches wert sein, von denen mehr Salonlöwen 
und Ballköniginnen, als man denkt, vor Beginn der Feste heimgesucht werden. 

Buttersack-Berlin. 

Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Lanel . (Paris), Notwendigkeit von Schulen für die Unterweisung im Ge¬ 
brauch der physikalischen Agentien. (Bull. med. 1912, Nr. 8, S. 87—89.) 

In Frankreich herrscht nach Lanel bezüglich der Kurierfreiheit mit 
den im Gesetz noch nicht vorgesehenen physikalischen Hilfsmitteln totale 
Anarchie. Es sei höchste Zeit, daß — ähnlich wie bei den Apothekern. 
Hebammen, Zahnärzten - die Bereiche dieser nouvelles categories d’auxillaires 
medicaux (masseurs, doucheurs, gymnastes usw.) gesetzlich begrenzt wer¬ 
den. 

Der Vorschlag ist beachtenswert. Aber wichtiger scheint mir, daß 
die Arzte in ihrer Gesamtheit persönlich mit diesen Agentien umzugehen 
lernen. Das ist fast noch wichtiger als die Anfertigung eines Rp. Denn 
indem man Licht, Wärme usw. anwendet, muß man dauernd die Wirkung 
kontrollieren und lernt dabei die Indikationsgebiete sozusagen gefühlsmäßig 
kennen. Aber es ist erstaunlich, wie refraktär eine große Anzahl von 
Ärzten diesen Hilfsmitteln gegenüber ist. Je geistreicher die Theorien sind, 
die einem der eine oder andere über ein neues Serum oder einen der zahl¬ 
losen Coli-Bazillen lehrhaft vorträgt, um so kleiner pflegt sein therapeutisches 
Arsenal und um so begrenzter sein ärztliches Handeln zu sein. Und doch 
sind wir schließlich praktische Arzte und nicht mystische Spekulanten 
in metaphysischen Gebieten! 

Jeder Arzt, dessen physikalische Therapie nicht mit dem hydropathi- 
schen Umschlag und dem sog. „Massieren“ zu Ende ist, hat mit Licht- und 
Wärmestrahlen, heißer Luft, Sauerstoffbädern, Atmungsgymnastik usw. auch 
in desolaten Fällen noch Heilung oder wenigstens Besserung erzielt. Aber 
solche Kenntnisse sollten Allgemeingut sein und zwar genügt es nicht, daß 
einer irgend eine therapeutische Spezialität betreibt. Der wahre Arzt paßt 


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Referate und Besprechungen. 


383 


die Therapie der Individualität des Kranken, und nicht den Kranken seiner 
individuellen Therapie an. So löst z. B. das Wort: Appendizitis bei der 
Mehrzahl der Ärzte und Patienten die Vorstellung der Operation aus, und 
doch kann man — namentlich bei Appendizitiden mit weithin greifenden 
Adhäsionen, sog. larvierten Formen — durch geeignete Wärmeprozeduren 
auch ohne Messer und Operationstisch die Beschwerden beseitigen. 

Je mehr man sich mit einem Patienten abgibt, um so mehr lebt man 
sich in ihn hinein und um so feiner wird die Diagnose werden, nicht im 
Sinne spitzfindiger pathologisch-anatomischer Lokalisationen, sondern im 
Sinne eines vollständigen Erfassens der Gesamtpersönlichkeit, die da vor 
uns steht. Solch eine allgemeine Diagnose hatte G a 1 e n u s offenbar im 
Sinne, als er schrieb: Du kannst die Heilmittel nicht finden, wenn dir nicht 
die ganze Natur der Krankheit klar ist. — Und zu dieser ganzen 
Natur gehört mehr als bloß die Sedes morbi oder der betr. Bazillus. Nach 
solch einem ärztlichen Instinkt handelte Griesinger, wenn er sich stun¬ 
denlang an das Bett eines Geisteskranken setzte. In dem dort Erlebten 
liegt der Zauber, den sein Buch auf die Zeitgenossen ausgeübt hat und heute 
noch ausübt auf die, die zu lesen verstehen. 

Wenn wir die Ausführung der physikalischen Heilmethoden irgend einem 
mehr oder weniger verständnislosen Unterpersonal überlassen, dann schnei¬ 
den wir uns selbst die Wurzeln der feineren Diagnostik und de3 feineren 
therapeutischen Handelns ab. Gewiß, solch ein Verfahren ist zeitraubend 
und schränkt die Zahl der zu besuchenden Kranken erheblich ein. Aber es 
ist die Frage, ob die Zeiten immer so bleiben werden, oder ob nicht vielmehr 
die öffentliche Meinung einmal andere Formen der ärztlichen Berater wünscht. 
Die Institution der Ärzte ist in ihren Formen ja ebenso wandelbar wie alle 
anderen Institutionen; wir Heutige haben mit unsern Vorgängern vor 100 
oder gar 500 Jahren nicht mehr allzu viel gemeinsam. Wenn wir uns in 
Zukunft nicht mehr bloß abseits im Laboratorium mit unserer Patienten 
Ex- und Sekreten zu diagnostischen, sondern auch zu therapeutischen 
Zwecken unmittelbar mit ihnen selbst beschäftigen, so werden davon die 
Kranken, die Ärzte und schließlich nicht zuletzt unsere Kunst selbst Vor¬ 
teile haben. Buttersack-Berlin. 

Meidner, S. (Berlin). Stand und Aussichten der Röntgentherapie bösartiger 
Geschwülste. (Aus dem Berl. Institut f. Krebsforschung [G. Kl empererl 
Terap. d. Gegenw. 1912, Nr. 1.) 

Zusammenfassende Übersicht, aus der hervorgeht, daß die enthusiasti¬ 
schen Erwartungen von dem Erfolge der Röntgenbehandlung maligner 
Tumoren sich nicht erfüllt haben. Selbst bei den oberflächlichen Haut¬ 
epitheliomen und -Sarkomen, wo allein bisher bleibende Erfolge von ihr 
erzielt wurden, darf sie trotz ihrer event. besseren kosmetischen Resultate 
mindestens nicht den unbestrittenen Vorrang vor dem chirurgischen Ein¬ 
griff beanspruchen. Bei inoperablen Geschwülsten kann sie hin und wie¬ 
der bescheidenen Nutzen stiften (Schmerzlinderung, Beschränkung des Jau- 
chens usw.), der aber auch ohne sie zu erreichen ist. Ihre Zukunfts¬ 
aussichten betrachtet M. ebenfalls als ungünstig. Esch. 

Czyborra, Arthur (Königsberg i. Pr.), Einiges über Methodik gynäkologisch- 
therapeutischer Röntgenbestrahlungen. (Zeitschr. f. Geburtshülfe und Gynäk. 
Nach einem Vortrag vom 25. XI. 1911, gehalten in der Nordostdeutschen 
Gesellschaft f. Gynäk.) 

Vortragender erwähnt einleitend, daß die hauptsächlichsten Richtlinien 
gynäkologischer Röntgenbestrahlung schon im Experiment und in der Praxis 
feststehen und daß der therapeutische Effekt anatomisch bewiesen erscheint, 
trotzdem ergäben sich noch Fragen betreffend der richtigsten und besten 
Anwendung wegen dieses äußerst differenten Mittels. An Arbeiten erwähnt 
er die von Deutsch (1904), Fränkel (1907), derselbe (1908, erster Abort 
durch Röntgenstrahlen beim Menschen). 

Neumann, Feiler, Faber, Schindler, Albers-Schönbefg, Reifferscheid, Krönig 
und Gauß stellten die Methodik auf eine feste Basis und lehrten durch 
exakte Messung Röntgenulzera der Haut vermeiden. Durch die guten Resul- 


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Referate und Besprechungen. 


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täte der Freiburger Klinik angeregt, befaßten sich viele Gynäkologen mit 
dem Gegenstand. Nun ergeben sich aber noch zwei Hauptfragen. 

]. Wie appliziert man größtmöglichste Menge von Röntgenstrahlen in 
kürzester Zeit ohne Verbrennung zu erzeugen. 

2. Gibt es eine exakte Meßmethode der Strahlen, die an gegebenem Ort 
zur therapeutischen Wirkung gelangen. 

Nach physikalischen Erörterungen stellt er fest, daß Grad der Luft¬ 
verdünnung der Röhre, Geschwindigkeit der Kathodenstrahlen, und 
Durchdringungskraft der Röntgenstrahlen in einem festen direkten Verhält¬ 
nis stehen. Daraus ergibt sich, daß für Tiefenwirkung allein harte Röhren 
benutzbar sind. Da aber diese auch neben tiefwirkenden Strahlen weiche 
hautschädigende aussenden, müssen letztere schädliche fortgeschafft werden. 

Dafür gäbe es theoretisch drei Wege; der erste: Röhren zu konstruieren, 
die nur harte Strahlen liefern, ist technisch bisher unmöglich; der zweite: 
Filter zum Abfangen der weichen Strahlen, als da sind frisch abgezogene 
Tierfelle. Gegerbte Leder sind nicht so wirksam wegen fehlender Feuchtig¬ 
keit. Stanniol bewährt sich nicht, ebenso wenig Aluminium. Der dritte Weg: 
Desensibilisierung der Haut ist erfolgreich beschritten, indem die betreffende 
Hautstelle durch Druck blut- und lvmphleer, also flüssigkeitsarm gemacht 
wurde, nämlich durch Bindenkompression. Es wird vor Beginn der Behand¬ 
lung probe komprimiert, d. h. der Druck pro Quadratzentimeter ermittelt, 
der die Bauchhaut eben anämisch macht. (30—30 g Druck nötig.) Angabe 
eines Apparates mit Laufgewicht. 

Dann ist noch sog. Felderbestrahlung möglich, w t ozu nur genaue Lage¬ 
bestimmung des zu bestrahlenden Organs (z. B. Ovarium) nötig. Diese 
Methode ist wohl als das bisher vollkommenste Hautschutzverfahren zu be¬ 
zeichnen. 

Es folgt nun noch eine längere Erörterung über die Meßmethoden 
für Qualität und Quantität oder Intensität der Strahlen, wobei betont wird, 
daß die Intensitätsmessungen noch recht unzuverlässig sind, so daß die per¬ 
sönliche Erfahrung hier noch zum größten Teil ersetzen muß. 

Im allgemeinen ist es sehr verdienstlich, die Kenntnisse über Behandlung 
mit Röntgenstrahlen und deren Technik zu vermehren und zu vertiefen. 
Vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo jeder Frauenspezialist — ebenso 
wie jeder Magen-Darmspezialist es sein sollte — auch Röntgenologe sein 
muß. Schütze-Darmstadt. 

Beraud und Carrelon, Subkutane Applikation von Sauerstoff. (Gazette 
möd. de Paris 1912, Nr. 129, S. 19.) 

Subkutane Sauerstoffzufuhr ist in Frankreich häufig versucht worden, 
immer mit gutem Erfolg. Die beiden Forscher glaubten nun, die klinischen 
Erfolge auch experimentell erhärten zu müssen, und stellten deshalb Ver¬ 
suche an Kaninchen und Meerschweinchen an. Injiziert man diesen Tieren 
Sauerstoff, so entsteht eine gashaltige Tasche, in welcher verhältnismäßig 
bald der 0 durch CO- ersetzt wird. 

Tiere, welche vorher 0 subkutan bekommen hatten, blieben bei Er¬ 
stickungsversuchen einige Minuten länger am Leben als die anderen. 

M. E. sind solche Versuche überflüssig. Buttersack-Berlin. 

Chatln, P. und Gaulier (Lyon), Heliotherapie bei Peritonitis tuberkulosa. 
(Gazette möd. de Paris 1912, Nr. 130, S. 22—23.) 

Der günstige Einfluß der Heliotherapie auf tuberkulöse Affek¬ 
tionen ist nachgerade bekannt genug. Die beiden Kliniker demonstrieren 
an 3 Patienten mit geheilter Bauchfelltuberkulose, daß man diese Therapie 
auch an weniger günstig gelegenen Orten anwenden kann. 30° Wärme ist 
allerdings das Minimum, was zu einer erfolgreichen Kur erforderlich ist; im 
übrigen kann man durch Verlängerung der Exposition das ersetzen, was 
die strahlende Sonnenenergie in der Erdatmosphäre durch Absorption ver¬ 
loren hat. Buttersack-Berlin. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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1912 


30- Jahrgang 


Tortscbritte der medizin. 


Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster PtId.-Doz. Dr. v. Criegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


Nr. 


13. 


6r»d>eint w6d>entlid> sum Preise von s (I)arh für bas 
Balbjabr. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S- 

Alleinige Inseratrnannabme 6ur<b (Har Oelsöorl, 
Annoncen-Bureau, eberswotbe bei Berlin. 


28. Mfirz. 


Originalarbeiten unö Sammelberichte. 

Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 

(La fixation des poisons sur le Systeme ncrveux Sem.Medic. Nr.29, 1911.) * 
Von Professor Dr. («eorsres Guillain und Dr. Guy Laroche. 

Uebersetzt von Dr. Rosenberger-Mülheim. 

I. 

Seit den ältesten Zeiten ärztlicher Wissenschaft blieb die Aufmerk¬ 
samkeit der Beobachter den nervösen Erscheinungen mit Lebhaftigkeit 
zugewandt, wie sie beim Menschen nicht nur im Verlauf gewisser An¬ 
steckungskrankheiten, z. B. bei der Wut, dem Starrkrampf, der Diph¬ 
therie — wo die nervösen Krankheitssymptome besonders stark vor- 
Ireten —. sondern auch im Verlauf der alltäglichen Infektionen und 
Intoxikationen sich feststellen lassen. Das Nervensystem erscheint 
gegen die meisten Gifte äusserst empfindlich, und einer gewissen Anzahl 
gegenüber zeigt cs eine derartige Affinität, dass man es in Rücksicht 
auf diese Gifte geradezu als ein gewebliches Reagens auffassen und be¬ 
zeichnen könnte. 

Man hat wiederholt und auf verschiedenen Wegen versucht, die 
Pathogenese der klinisch beobachteten mannigfaltigen Nervenerschei¬ 
nungen aufzuklftren. 

Bisweilen erläutern makroskopische und mikroskopische Sektions¬ 
befunde von Schädigungen des Nervengewebes das während des Lebens 
beobachtete Krankheitsbild; und sicherlich haben die pathologischen 
Anatomen eine gewisse Anzahl von Tatsachen aufklären können, indem 
sie diese Schädigungen als Entzündungen der Hirnhäute, mit oder ohne 
Entzündungen des Gehirns selbst, und desgleichen als Entzündungen 
der Rückenmarkshäute und des Rückenmarks sowie der Nerven ein¬ 
reihten. 

Neuere Methoden der mikroskopischen Technik (Nissl, S. Rarnon 
y Cajal, Bielschowskv) vermochten auch noch die feineren Schädigungen 
in den färbbaren und nicht färbbaren Bestandteilen der Nervenzellen, 
sowie an den Nervenfortsätzen aufzudecken; es wurden beträchtliche 
und unbestreitbare Fortschritte erzielt, und die Annahme besitzt Wahr¬ 
scheinlichkeit, dass in Zukunft eine immer tiefer eindringende Erforschung 
der Nervenzellen und ihrer mitosenähnlichen, an Knorpelzellkerne 
erinnernden Körnelungen („granulations mitochondriales“), ferner der 
Neurofibrillen und der Neuroglia uns neue und wertvolle Kunde bringen 

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386 


Rosenberger, 


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wird. Alle diese Prüfungsmethoden sind notwendig; jedoch genügen 
sie nicht, den intimen Mechanismus, die Pathogenese der feinen Beschä¬ 
digungen des nervösen Achsenorganes aufzuklären; häufig enthüllen 
sie nur nicht-spezifische Veränderungen; denn das Nervengewebe 
reagiert morphologisch, wie auch andere Gewebe des Organismus, auf 
die Infektionen und Intoxikationen nur entsprechend der Intensität 
und der Dauer einer toxischen Einwirkung, nicht aber entsprechend 
ihrer besonderen Natur. Die pathologische Anatomie muss deshalb 
heute ihre unentbehrliche Ergänzung in der pathologischen Physiologie 
finden. 

Die vergleichende chemische Analyse der verschiedenen Organe 
erlaubte bei gewissen Intoxikationen die Feststellung, dass das Nerven¬ 
system mehr toxische Substanz als die andern Organe enthielt. Nach¬ 
forschungen dieser Art sind in der Toxologie gebräuchlich; mit Giften, 
die man in dieser Weise extrahiert, kann man bei Tieren im Experiment 
Vergiftungserscheinungen hervorrufen. D. H. Ogi er und Skolo- 
suhof f stellten fest, dass bei chronischer Arsenvergiftung Ge¬ 
hirn und Rückenmark gewisse Mengen As enthalten, und dass ebenso 
bei den perakuten Blausäure-Vergiftungen Gehirn und Rückenmark 
sehr giftreich sind. Derselben chemischen Methode bedienten sich 
H. Meillere in seinen Forschungen über die Bleivergiftung und 
H. N i c 1 o u x in seinen Arbeiten über die Betäubungsmittel. 

Nicht immer ist die chemische Methode anwendbar: sei es infolge 
der geringen Menge des toxischen Körpers, die in den Organismus ge¬ 
langte, sei es infolge der Natur des Giftstoffes oder des Virus, welches 
auf das nervöse Achsenorgan w’irkte. 

Andere Autoren haben die auswählende Wirkung gewisser Gifte 
auf das Nervensystem durch die Methoden der Physiologie und der 
experimentellen Pathologie dargetan. So bewies Magendie die 
Wirkung des Strychnins auf das Rückenmark. So bewies Claude 
Bernard in berühmten Experimenten, dass die Curare-Lähmungen 
auf einer auswählenden Vergiftung der Nervenendplatten in den Mus¬ 
keln beruhen. 

Pasteur war der erste, der auf bakteriologischen und biologischen 
Methoden fusste, als er das Wutgift dem empfänglichen Kaninchenleibe 
einimpfte. Die bewundernswerte Geschichte der Wutinfektion, ihre 
Entdeckung, Erklärung und Heilung ohne die Kenntnis des pathogenen 
Agens und der spezifischen (anatomischen) Läsion, ist vom experimen¬ 
tellen Standpunkte aus vorbildlich geblieben. 

Wir haben nun diese biologische Methode in Verbindung mit der 
Biochemie benutzt, eine ganze Reihe von Nachforschungen in bezug 
auf die Toxinfektionen des Nervensystems anzustellen. 

II. 

Der Ausgangspunkt unserer Versuche war ein klinischer Fall 
diphtherischer Lähmung mit Bulbärsymptomen, den wir 1909 zu be¬ 
obachten Gelegenheit hatten. Es handelte sich um einen Kranken 
im Alter von 23 Jahren, welcher eine doppelseitige Gaumensegel¬ 
lähmung im Gefolge einer diphtherischen Angina erlitt; Herzstö¬ 
rungen begleiteten die Gaumensegellähmung. Den Einspritzungen 
antidiphtherischen Serums zum Trotz erlag der Kranke. Bei dieser 
Gelegenheit erschien es uns wertvoller, anstatt Serienschnitte vom 
Bulbus anzufertigen, um darin Zellläsionen fpstzustellen, die uns alt- 


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Die Bindung der Gifte iro Nervensystem. 


387 


bekannt waren, einen unseres Wissens noch nicht angestellten Versuch 
zu machen, nämlich durch Ueberimpfungen nachzuforschen, ob im 
Gebiet des Bulbus toxische Körper sich nachweisen lassen, welche 
ein ebenso rasch tödliches klinisches Bild zur Entwicklung bringen 
könnten. Wir hoben mit einem Messer aus dem Boden des 4. Ventrikels 
jene Stelle nervösen Gewebes aus, welche dem Ursprungskern des Vagus 
entspricht; dies Gewebe verrieben wir in einem Mörser mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung und überimpften es dann auf 3 Meerschwein¬ 
chen, einmal subdural, einmal subkutan, und einmal intraperitoneal. 
Alle 3 Meerschweinchen starben, während Kontroll-Meerschweinchen, 
denen andere Gebiete aus dem Nervensystem eingeimpft worden waren, 
ohne Schaden davonkamen. Ebenso blieben Meerschweinchen völlig 
frei von Störungen, wenn ihnen eine in gleicher Weise bereitete und do¬ 
sierte Emulsion aus einem normalen menschlichen Bulbus eingoimpft 
wurde. 1 ) 

In einem andern ähnlichen Falle, dessen Sektionsmaterial uns in 
verbindlicher Weise von Herrn Aviragnet überlassen wurde, 
ergaben unsere Versuche gleichbedeutende Resultate. — 

Die pathologische Physiologie der diphtherischen Lähmungen er¬ 
scheint einer Deutung leicht zugänglich. Das Diphtherietoxin gelangt 
auf der Bahn der peripheren Nerven, vermittelst einer echten auf¬ 
steigenden Neuritis 2 ), zu den nervösen Zentren; diese aufsteigende 
Neuritis wird bezeugt durch die oft so engen Beziehungen zwischen 
dem Sitz der diphtherischen Infektion und dem Gebiet der Lähmungen. 
Das Diphtherie-Toxin wird bei der Angina diphtherica von den Bazillen 
im Gebiet des Schlundes abgesondert, wandert die Strasse der peri¬ 
pherischen Nerven entlang und gelangt so dazu, sich in den Kernen des 
Bulbus zu verankern: auf diese Weise erklärt sich die Gaumensegel¬ 
lähmung, die je nach der adsorbierten Toxinmenge früher oder später 
eintritt; weiterhin organisiert sich im Innern des nervösen Achsen¬ 
organs — sei es auf dem Wege der interstitiellen Räume, welche hier 
die Rolle der Lymphspalten spielen, sei es durch Vermittlung der Ge- 
webs-Lipoide — langsam ein Kreislauf toxischer Körper, welche sich 
an ausgewählten Punkten, die mit dem Sitz der nachfolgenden Läh¬ 
mungen in Verbindung stehen, verankern und anhäufen. Es ist ja 
bekannt, dass die Extremitäten-Lähniungen oder die Herzstörungen 
am häufigsten erst mehrere Tage oder gar mehrere Wochen nach der 
Gaumensegellähmung erscheinen, wenn die infektiöse diphtherische 
Angina bereits verschwunden ist. Dieser Kreislauf toxischer Körper 
im Innern des nervösen Achsenorgans ist nicht eine blosse, durch kli¬ 
nische Beobachtung wahrscheinlich gemachte Hypothese: wir haben 
den Beweis dafür durch eine ganze Reihe wertvoller Experimente von 


*)G. Guillain et G. Laroche, Physiologie pathologique des'paralysier 
diphthöriques (Bull, et M6m. de la Soc. möd. des höpit. de Paris, söance du 15 10. 
1909. p. 441, et Semaine Mödicale, 1909, p. 504.) 

2 ) Wir gebrauchen den Ausdruck: „aufsteigende Neuritis“ hier nicht für eine 
makroskopisch oder mikroskopisch nachweisbare Nervenentzündung, sondern im ge¬ 
bräuchlichen Sinne; d. h. wir zielen mit dieser Ausdrucksweise nur auf die Rolle der 
Nerven als Leitbahnen für Mikroben und Toxine hin. So aufgefasst kommt der auf¬ 
steigenden Neuritis unseres Ermessens eine beträchtliche Bedeutung für die Genese 
vieler Erkrankungen des Nervensystems zu; die Mikroben und Toxine sind befähigt, 
die peripherischen Nerven und die Rückenmarkswurzeln zu durchwandern: Es ist dies 
eine Infektions- oder Intoxikationsbahn des nervösen Achsenorgans, die man unbe¬ 
dingt kennen muss! — 

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B a h o n n e i x '), welcher beispielsweise nach Einspritzung von 
Diphtherie-Toxin in den Kaninchen-Ischiadicus bei einem solchen 
Tiere nacheinander Lähmung der injizierten Extremität, danach auch 
der andern, später Lähmung des einen Vorderlaufs und endlich bulbäre 
Symptome eintreten r,?h. Zum Zustandekommen einer solchen Symptom- 
verkettung ist die notwendige Bedingung, dass ein Toxin auf der Bahn 
der peripherischen Nerven ins Rückenmark dringt, dass es sodann 
vom Lendenmark zum Halsmark gelangt, sei es auf dem Lymphwege 
oder sei es direkt durch Vermittlung der nervösen Elemente. Wir konn¬ 
ten bei einem Hunde eine entsprechende Tatsache beobachten: dpm 
Tiere waren Diphtheriebazillen subkutan in die linke Hinterextremität 
eingespritzt worden; nach 10 Tagen erschien rechts eine zervikale Mono¬ 
plegie, und das Tier starb in der Folge unter andauerndem Singultus; 
von diesem Hund« 1 waren allein die Lenden- und Halsgegend des 
Rückenmarks imstande, Meerschweinchen nach intrakranieller Injek¬ 
tion zu töten. 

Diese Verankerung toxischer Körper mit ihrer langsamen Anhäu¬ 
fung an gewissen Punkten des Achsenorgans, welche so ausgezeichnet 
die klinische Entwicklung der diphtherischen Lähmungen erklärt, 
lässt sich aus den sehr engen Affinitäten begreifen, welche das Diph¬ 
therie-Toxin für gewisse Bestandteile des Nervengewebes zeigt. 

H. C o r m i o 2 ) und wi r selbst stellten fest, dass Diphtherie-Toxin 
nach subkutaner Einspritzung bei Kaninchen und Meerschweinchen 
sich hauptsächlich im Gebiet der Nervenzentren und der Nebennieren- 
Kapseln verankert. In gemeinsam mit G r i g a u t *) angestellten 
Versuchen sahen wir, dass es genügt, Diphtherie Toxin in mehr oder 
weniger verdünnter Lösung mit Nervengewebe vom Menschen oder 
vom Meerschweinchen zusammenzubringen, um auf diese Nerven¬ 
gewebe toxische Eigenschaften zu übertragen, welche sogar nach mehr¬ 
fachem Auswaschen mit physiologischer Kochsalzlösung erhalten bleiben. 
Die beim Meerschweinchen durch intrakranielle Einspritzung dieses 
toxischen Gewebes experimentell erzeugte Krankheit dauert im all¬ 
gemeinen 8—16 Stunden, nach einer 3 l / a —6 Stunden währenden 
Inkubation. Die nervöse Substanz besitzt ein sehr ausgesprochenes 
Fixierungsvermögen, da noch bei einem 200fach verdünnten Toxin 
positive Resultate erhalten werden. Das toxische Nervengewebe verhält 
sich wie das diphtherische Toxin selber: es lässt sich in vitro durch 
das Antitoxin neutralisieren; spritzt man jedoch das toxische Nerven¬ 
gewebe unmittelbar in die Schädelhöhle eines vorher durch antitoxisches 
Serum immunisierten Meerschweinchens, so können trotzdem der Tod 
des Tieres oder Lähmungen eintreten. Das dergestalt fixierte Gift hat 
keine seiner biologischen Eigenschaften verloren. 

In einer andern Versuchsreihe suchten wir die Substanzen zu be¬ 
stimmen, denen das Nervengewebe seine Affinitäten zum Diphtherie- 
Toxin verdankt. Die bei Behandlung des getrockneten Gehirns nach¬ 
einander mit Alkohol. Aether, Chloroform erhaltenen Extrakte zeigten 

1 ) L. Bahonneix, Nouvellee recherclies sur les paralysies diphthäriques. (These 
de Paris, 1904.) 

a ) A. Cormio, Sulla diffusione nell’ organismo' della tossina difterica. (Atm. dell’ 
Istituto Maragliano. 1909. III, 3.) 

*) G. Guillain, G. I*roche et Grigaut. Consid6rations sur la mäthode de l’intra- 
ceröbro-inoculation pour la recherche des toxines dans le n6vraxe; la fixation de la 
toxine diphthörique sur la substauce nerveuse. (Bull, et M6m. de la Soc. m6d. des 
höpit. de Paris; seance du 12 nov. 1909, p. 544, et Semaine Mödicale 1909, p. 550) 



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Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 


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nach Abdampfung dieser Flüssigkeiten im Vakuum energisch fixierende 
Eigenschaften, im Gegensatz zum Rückstand, der bei diesen Auszügen 
verblieb, und welcher die anhydrierten Proteinsubstanzen enthielt. 
Auf diese Weise trat deutlich die Rolle der Lipoide in diesen Vorgängen 
hervor. Gemeinsam mit G r i g a u t ') hat der eine von uns weiter¬ 
hin feststellen können, dass allein die phosphorhaltigen Lipoide aus 
der Gruppe der Phosphatide (Lecithin, Cephalin) ein äusserst intensives 
Fixierungsvermögen besitzen, während die nicht phosphorhaltigen 
Lipoide (Cholesterin, Cerebroside, z. B. Cerasin, Phrenosin, Cerebrin) 
genau wie die Proteinsubstanzen, vollständig wirkungslos bleiben. 
Protagon hat ein weniger energisches Fixationsvermögen; immerhin 
fixiert es noch 20fach verdünntes Toxin. Die geringere Wirkungskraft 
dieses phosphorhaltigen Lipoids im Vergleich zu den vorher genannten 
hat nichts Erstaunliches; tritt doch in seinem Molekül ein starker Komplex 
von Cerebrosiden auf. Körper, welche das Diphtherie-Toxin nicht zu 
binden vermögen. 

In unsern Versuchen haben wir noch eine Tatsache beobachtet, 
welche uns wert erscheint, die Aufmerksamkeit zu erregen; nämlich 
die Tatsache, dass das Diphtherietoxin durch die Verbindung mit dem 
Nervengewebe in seinen toxischen Eigenschaften aktiviert erscheint: 
Die Inkubationsfrist und die Dauer der experimentellen Krankheit 
erscheinen dabei verkürzt. Auch über die Verankerung des Tetanus¬ 
toxins haben wir eine ganze Reihe von Nachforschungen durchgeführt. 

J. Troisier und G. R o u x ! ) haben im Anschluss an unsere 
erste Arbeit über die pathologische Physiologie der diphtherischen 
Lähmungen eine interessante Tatsache in bezug auf die Tetanus-Infek¬ 
tion berichtet; es gelang ihnen durch intrakranielle Einspritzung 
einer Emulsion, bereitet aus dem Zentralorgan eines an Tetrnus ver¬ 
storbenen Kindes von der Gegend des motorischen Trigeminus¬ 
kernes, beim Meerschweinchen einen experimentellen Tetanus hervor¬ 
zurufen. Ein entsprechendes Ergebnis erhielten Troisier und 
Paisseau in einem andern Fall durch Versuche mit dem Lenden¬ 
mark. Diese Tatsachen lassen sich in der menschlichen Klinik nur aus¬ 
nahmsweise feststellen. Im Experiment hatte Metchnikoff*) 
das Tetanustoxin im Rückenmark eines an Tetanus erkrankten Hahnes 
nachgewiesen; M o r a x und Marie 4 ) hatten bei Mäusen den Tetanus 
dadurch hervorgerufen, dass sie ihnen gewisse Teile aus dem Zentral¬ 
organ eines tetanischen Pferdes üherimpften. 

Wir müssen darauf hinweisen, dass nur dann Ueberimpfungen 
nervöser Substanz von Tetanus-Leichen oder Kadavern zu positiven 
Ergebnissen führen, wenn die Dosis des fixierten Toxins die Dosis 
des neutralisierten Toxins übersteigt; mit andern Worten, wenn eine 
Anhäufung des Toxins stattfand, oder wenn man durch künstliche 
Zerstörung der antitoxischen Fähigkeiten des Nervengewebes — durch 


*) G. Laroche et A. Grigaut. Adsorption et aetivation de la toxine diphth6rique 
f»ar la substance nerveusc et ses lipoides phosphores (Comptes rendus de la Soc. de 
Biol. Seance du l.er Avril 1911, p. 516 et Semaine M6dieale 1911, p. 180.) 

*) J. Troisier u. G. Roux Sur la localisation de la toxine t^tanique dans la 
r6gion bulbo-protub6rant>elle. (Bull, et M6m. de la Soc. m6d. des höpit. de Paris, 
aäance du 12 nov. 1909, p. 510, et Semaine M&licAle, 1909, p. 550.) 

*) E. Metchnikoff, Recherches sur l’influenee de l'organismc sur les toxines 
(Ann. de lTnst. Pasteur, nov. 1997.) 

4 ) V. Morax et A. Marie, Recherches sur l'absorption de la toxine t^tanique. 
(Ann de l’Inst. Pasteur, nov. 1902, et mal 1903.) 


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Austroeknung oder Papavotin-Einwirkung — das vorher gebundene 
Toxin in Freiheit setzte. Unter diesen Bedingungen erhält man posi¬ 
tive Ergebnisse. Es beweist dies, dass in den Nervenzentren teta- 
nischer Tiere allerdings Toxin vorhanden ist, jedoch gebunden und 
verdeckt durch das Gewebsvehikel. 

Es erschien uns von Interesse, wie für das Diphtherie-Toxin, so 
auch für das Tetanus-Toxin diejenigen Gehimsubstanzen festzustellen, 
welche eine besondere Wahlverwandtschaft zu ihm offenbaren. 

Seit den Versuchen von Wassermann und T a k a k i wissen 
wir, dass durch Hinzufügung einer kleinen Menge Nervensubstanz zu 
einer oder mehreren tödlichen Gaben des Tetanus-Toxins der Ausbruch 
eines experimentellen Tetanus verhindert werden kann. A. Marie 
und Tiffeneau 1 ) zeigten, dass besonders die Protein-Substanzen 
es sind, welche antitoxische Eigenschaften besitzen. Man muss nun 
zwischen dem Fixierungsvermögen und dem Neutralisierungsvermögen 
des nervösen Achsenorganes unterscheiden; diesbezüglich zeigte noch 
B r e d s k a , dass ein Gehirn mehr Tetanus-Toxin fixieren kann, als 
es zu neutralisieren vermag. Der eine von uns studierte in Gemein¬ 
schaft mit Grigaut 2 ) die fixierenden Eigenschaften verschiedener Ge¬ 
hirnextrakte, welche in mehr oder weniger verdünnte Lösungen von 
Tetanustoxin eingebracht und nach Auswaschung Mäusen eingespritzt 
wurden: dabei wurde festgestellt, dass alle Lipoide, sowohl die phosphor¬ 
haltigen wie die phosphorfreien, mit Ausnahme des Protagons sehr 
wenig Fixierungsvermögen besitzen; im Gegensatz dazu zeigten die 
alhuminoiden Substanzen, isoliert nach der technischen Vorschrift 
G r i g a u t’s, sogar sehr verdünnten Toxinlösungen gegenüber noch 
deutliches Fixierungsvermögen. 

Diese alhuminoiden Substanzen wirken gleichzeitig neutralisierend: 
0,05 g davon konnten n tödliche Tetanus-Toxindosen inaktivieren. 
Ebenso wie Marie und Triffeneau fanden wir beim Protagon 
eine geringe antitoxische Kraft. Aus diesen Versuchen geht hervor, 
dass die neutralisierenden Substanzen des Nervengewebes dieselben 
sind, welche auch das Tetanustoxin fixieren. Diese Tatsachen erklären, 
wie es uns scheint, die grossen Verschiedenheiten in der physiologischen 
Pathologie der tetanischen und der diphtherischen Tox-Infektion; 
sie erweisen, dass die sie trennenden klinischen Unterschiede in der 
chemischen Bindung an verschiedenartige Substanzen des Nerven¬ 
gewebes ihre Begründung finden. Das Diphtherie-Toxin, ein lähmendes 
Gift, wird fixiert und aktiviert durch die phosphorhaltigen Lipoide, 
während das Tetanustoxin, ein Krampfgift, durch die Proteinsubstanzen 
teilweise fixiert und neutralisiert wird. 


III. 

Die Häufigkeit nervöser Symptome im Anschluss an klinische 
und experimentelle Tuberkulin-Injektionen ist bekannt; es erschien 
deshalb geboten, Nachforschungen darüber anzustellen, ob das Nerven¬ 
gewebe gegenüber den diffusibeln oder den am Bakterienleibe haftenden, 

1 ) A. Marie et Tiffeneau. fitude de quelques raodes de neutralisation des 
toxines baeterionnes. (Ann. del lTnst. Pasteur, avril et aoüt 1908.) 

2 ) G. Laroche et A. Grigaut. Röle des proteines dans l'adsorption et la neu¬ 
tralisation de la toxine t^tanique par la substance nerveuse. (f’omptcs rendus de la 
Soc. de biol., s^ance du 29 avril 1911, p. 057, et Semaine M^dicale, 1911, p. 239.) 



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Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 


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nicht diffundierenden Giften des Koch’schen Bazillus ein Fixierungs- 
vermögen besitzt. Wir brachten Nervensubstanz mit mehr oder we¬ 
niger konzentrierten Tuberkulinlösungen in Berührung und konnten 
so feststellen, dass auch nach Auswaschung dies Nervengewebe für 
Meerschweinchen bei intrakranieller Einspritzung äusserst toxisch 
blieb, und beim tuberkulösen Kaninchen genau wie reines Tuberkulin 
Temperaturerhebungen bewirkte. Das fixierte Tuberkulin erscheint 
sogar aktiviert; die für Meerschweinchen tödliche Mindestdosis ist 
nach Fixierung durch Nervengewebe kleiner als die tödliche Mindest¬ 
gabe von freiem Tuberkulin 1 ). 

Die am stärksten fixierenden und aktivierenden chemischen Bestand¬ 
teile des Gehirns sind hierhei die phosphorhaltigen Lipoide. Durch 
diese Tatsache werden die Versuche von Calmette, Massol 
und Breton*) bestätigt, welche für die lezithinophile Affinität der 
Tuberkelbazillen und des Tuberkulins geltend gemacht wurden. 

Analog verhält sich dem Nervengewebe gegenüber die Gesamt¬ 
heit der im Leibe des Koch’schen Bazillus verankerten Gifte, wenn sie 
durch Tötung der Bazillen in der Hitze und durch Auswaschung von den 
löslichen Giften befreit werden: wir stellten fest, dass durch Zusatz 
von Nervenmark zu einer tödlichen Dosis Koc h’scher Bazillen ihre 
Aktivität auf das 3—4fache steigt. 

Die Kenntnis der Fixierung und Aktivierung des Tuberkulins durch 
Nervengewebe ist. von grösstem Interesse; denn es erklären sich daraus 
gewisse Besonderheiten im Bilde der tuberkulösen Meningitiden. Unter 
den tuberkulösen Serosa-Erkrankungen ist die tuberkulöse Meningitis 
weitaus die schwerste. An tuberkulöser Meningitis erkrankte Kinder 
oder Erwaohsnee starben mehr oder weniger rasch, noch ehe eine örtliche 
Abw-ehr gegen den Bazillus sich nutzbringend geltend machen konnte. 
In der Tat findet man häufig bei Autopsien der an tuberkulöser Menin¬ 
gitis verstorbenen Kinder ein Minimum örtlicher Schädigungen. Bis¬ 
weilen findet man nur sehr vereinzelte tuberkulöse Granulationen, die 
man mit der Lupe suchen muss, bisweilen beobachtet man nur eine 
meningeale Hyperämie ohne jede Eigenart. Die meningealen 
Lösionen stehen häufig in keinem Verhältnis zu dem so schweren 
klinischen Bilde. Diese Besonderheit der Meningitis tuberculosa 
findet ihre Erklärung darin, dass hier jenes Tuberkulin, welches 
im Bereich der Hirnhäute von den mehr oder weniger zahlreichen 
Koch’schen Bazillen ausgeschieden wurde, sich auf nervösen Gewebs- 
elementen, speziell auf denen der Bulbus- und Brückenregion, ver¬ 
ankert und aktiviert. So kann man die fortschreitende Lähmung der 
basalen Nerven, insbesondere die des N. pneumogas’tricus verstehen; 
das aktivierte Tuberkeltoxin bringt die Verrichtungen der lebenswich¬ 
tigsten Bulbuszentren zum Stillstand. Ausserdem darf man die Rolle, 
welche die Hypersensibilisierung der Nervenzellen durch das Tuberkulin 
spielt, nicht vergessen. Darauf haben verschiedene Autoren hin- 


*) G. Guillain et G. Laroche. Fixation de la tuherculine par la substance ner- 
veuse. (Comptes rendus de la Soc. de biol., s6ance du 5 f6v. 1910, p. 220, et Semamo 
Mödicale, 1910, p. 83.) 

*) A. Calmette, L. Massol, et M. Breton. Sur les propri6t6s lücithinoph’les du 
bacille tuberculeux et de la tuberculine. (Comptes rendus de l’Aead. de« Sciences, 
söance du 30 mars 1908, p. 676, et Semaine M6dicale, 1908, p. 177.) 


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392 Rosenberger, 

gedeutet (Arloing, Marie et Tiffeneau, Slatin6anu et Danielopolu 1 ); 
Nadejde 11 ). 

Ein anderer Punkt, der uns des Hinweises wert erscheint, ist die 
relative Seltenheit des K o c h’schen Bazillus im Gebiet des Nerven¬ 
gewebes. Die Fälle von Encephalitis oder Myelitis, deren tuberkulöse 
Natur klinisch wahrscheinlich ist, und bei denen der Nachweis dieser 
Natur durch Ueberimpfung oder durch Auffinden der Bazillen im Schnitt 
gelingt, gehören zu den Ausnahmen. Die K o c h’schen Bazillen lassen 
sieh leicht im Gewebe der Meningen, sehr selten im Gewebe der Nerven- 
zentren nachweisen; durch das Nervengewebe werden nämlich die 
Tuberkel-Bazillen zerstört. R e n a u d J ) wies diese Bakteriolvse in 
vivo nach. Er spritzte Koch’sche Bazillen direkt ins Gehirn oder auch 
in die Carotis ein und konnte nach und nach die Bazillen aus dem Nerven¬ 
gewebe verschwinden sehen. Renaud macht die treffende Bemer¬ 
kung: „man muss doch wohl erstaunen, wenn es unmöglich wird, in 
den Schnitten eines 2 Tage zuvor mit Tausenden von Bazillen über¬ 
schwemmten Organs auch nur einen einzigen Bazillus zu färben. 1 * 
Beim Kaninchen und der Katze haben Gougerot und J. T r o i- 
s i e r entsprechende Feststellungen gemacht. 

In vitro lassen sich diese bakteriolytischen Versuche mit Leichtig¬ 
keit reproduzieren. D e y c k e und M u c h 4 ), Gougerot und J. 
T r o i s i e r , w r ie auch w ir selber, stellten durch fortgesetzte Ver¬ 
suche fest, dass bei Mischung Koch’scher Bazillen mit menschlicher 
oder vom Meerschweinchen stammender Nervensubstanz die Bazillen, 
die zu Anfang zahlreich und gut färbbar waren, körnig werden, und 
dann nach einer von 24 Stunden bis zu 18 Tagen variierenden Frist ver¬ 
schwinden. Diese Zerstörung der Koch’schen Bazillen kann vollständig 
und vom völligen Verschwinden jeder Virulenz begleitet werden. Freilich 
müssen wir hinzufügen, dass dies Phänomen der Bakteriolyse Koch¬ 
scher Bazillen durch das Nervengewebe nicht absolute Konstanz be¬ 
sitzt; doch ist sein Bestehen zweifellos dargetan und geht ebenso aus 
Versuchen hervor, die von L ö w e n s t e i n 6 ), Deycke und 
Much 6 ), Zeuner 7 ), Sieber und Metalnikoff 8 ), Ditt- 

*) A. Slatinöann et Danielopolu. Sur la sensihilisation du cobaye k l’inoculation 
intracerebrale tuberculeuse, par une injecti m prealable de tuberculine. (Reunion bio- 
logique de Buearest, söance du 18 mars 1909, in Cornptes rendus de la Soc. de biol. 
de Paris, 30 avril 1909, p. 625.) 

J ) G. Nadejde, Hypersensibilisation ö. la tuberculine des cellules nerveuses 
situ6ea au voisinago du foyer tuberculeux intrac6rebral. (Reunion biologique di 
Buearest, seance du 12 mai 1909, in Comptes rendus de la Soc. biol. de Paris 18juin 

1909, p. 994, et Semaine Medicale, 1909, p. 299.) — L6sions des cellules nerveuses 
observ6es choz les lapins et les cobayes tuberculeux k la suite d’injection de tuber¬ 
culine. (Reunion biol. de Buearest, seance du 3 juin 1909. in Oomptes’Vendus de la 
Soc. de biol. de Paris, 2 juillet 1909, p. 1110 ) 

*) M. Renaud. Contribution k l’etude de la tuberculose du cerveau. (R6v. de 
m6d., föv. 1907.) 

4 ) G. Deycke u. H. Much. Bakteriolyse von’lTuberkelbazillen. (Münch, med. 
Wochenschr. 26. Sept. 190.1.) 

6 ) E. Löwenstein, Zur angeblichen Auflösung der Tuberkelbazillen durch Cholin 
und Neurin. (Centr. Bl. f. Bakteriol. 1910 LTIT. p. 541.) 

6 ) G. Deycke u. H. Much. Entgegnung auf Löwensteins Kritik unserer Arbeit 
über die Bakteriolvse von Tuborkelbazillen. (Centr. Bl. f. Bakteriol. 1910, LIV, 
(p. 342.) 

7 ) W. Zeuner. Zur Bakteriolyse der Tuberkelbazillen. (Centr. Bl. f. Bakteriol. 

1910, LIV, p. 345.) 

• *) N. Sieber u. S. Metalnikoff, Zur Fraee der Bakteriolyse der Tul>erkelbazillen. 
(Centr. Bl. f. Bakt. 1910, LIV, p. 349.) 



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Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 393 

li o r n *), Jessen und Lydia Rabinowitch*) veröffentlicht 
•wurden. 

Die Bakteriolyse stellt eine Art der Verteidigung des Nerven¬ 
gewebes gegen die tuberkulöse Infektion dar. Die Zerstörung der Ba¬ 
zillen führt jedoch zum Freiwerden der in ihnen enthaltenen Toxine, 
und auf die Bakteriolyse folgt deshalb die Fixierung und Aktivierung 
der freigewordenen Gifte. Hierdurch finden die Intensität und das 
unvermittelte Auftreten der nervösen Störungen im Verlauf der Tuber¬ 
kulose nervöser Zentren ihre Erklärung. 

Die Kenntnis der überaus zahlreichen Berührungspunkte, die in 
physiologischer Hinsicht das Tuberkulin und das Mallem verbinden, 
veranlasste uns, auch mit dem letztgenannten Toxin Versuche an- 
zustellen. Es gelang uns. auch für das Maliern, wie für das Tuberkulin, 
die Verankerung und Aktivierung durch das Nervengewebe festzustellen. 

IV. 

Dieselbe Verankerung im Nervengewebe konnte auch für andere 
Gifte des nervösen Achsenorgans nachgewiesen werden. Calmetta 3 ) 
verrieb etwas Nervenmark mit mehreren tödlichen Dosen des Vakzine¬ 
giftes und stellte fest, dass Einspritzung des ausgewaschenen gifthaltigen 
Gewebes bei der Maus noch tödlich wirkte. In sehr sorgfältigen Unter¬ 
suchungen über das Adsorptionsvermögen des Nervengewebes für 
Strychnin zeigte Sar.o 4 ), dass diesbezüglich Unterschiede in den 
verschiedenen Gebieten der nervösen Zentren bestehen. Seine Versuche 
ergänzen diejenigen von W i d a 1 und Nobecourt 6 ), welche eine 
antitoxische Wirkung der Nervenzentren und in geringerem Grade 
des Lebergewebes auf Strychnin und Morphium feststellten. T o r a t a 
Sann bringt fein zerriebene Teilchen nervöser Substanz in eine Strych¬ 
ninlösung, lässt die Mischung 24 Stunden stehen, filtriert und spritzt 
die Lösung in den Lymphsack von Fröschen. Die Erscheinungen der 
Strychninvergiftung treten bei den Tieren um so schwächer auf, je 
grösser das Adsorptionsvermögen des Nervengewebes ist. Durch diese 
Methode konnte TorataSano den Nachweis führen, dass die weissc 
Substanz des Rückenmarks stärker als die graue adsorbiert, und die 
Vorderhörner stärker als die Hinterhörner; ferner bemerkte dieser 
Autor, dass die graue Substanz der Regio Rolandi stärker adsorbiert 
als die der übrigen Regionen der Hirnrinde. 

Wir haben Experimente angestellt, die sich denen T o r a t a 
S a n o’s annähern. Jedoch studierten wir nicht die Adsorptionskraft 
des Nervengewebes für Strychnin, sondern sein Fixierungsvermögen, 
d. h. wir studierten die toxischen Eigenschaften des Nervengewebes, 

*) F. Ditthom. Zur Bakteriolyse der Tuberkelbazillen. (Berl. Klin. Wochensckr. 
22. Aug.. 1910.) 

*) F. Jessen u. L. Rabinowitch, Zur Frage der Löslichkeit von Tuberkelbazillen. 
Centr. Bl. f. Bakter. 1910, L. IV, p. 454.) 

a ) A. Calmette. Les venins, les animaux venimeux et le serotherapie anti- 
venimeuse. Paris 1907. 

*) Torato Sans, Über die Entgiftung von Strychnin und Cocain durch das 
Rückenmark. (Arch. f. d. gesamte Physiol. CX, p. 367.) über das entgiftende Ver¬ 
mögen einzelner Himabschnitte gegenüber dom Strychnin. (Arch. f. d. ges. Physiol. 
1908, CXIV, p. 369.) — Ein Beitrag zur Kenntnis der Strychnin-'und Koffein Wirkung. 
(Arch. für d. gesamte Physiol. 1908, CXIV, p. 381.) 

*) Widal u. Noböcourt, Recherches sur l’action antitoxique des centres nerveux 
pour la strychnino et la morphine. (Bull, et M6m. de la Soc. m6d. des höpit de 
Paris, seance du 25 16v. 1898, p. 182, et Semaine M6dicale, 1898, p. 93.) 


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Kotten berger, 


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wenn es in eine Stryehninlösung eingebracht, dann ausgewaschen und 
in die Bauchhöhle des Frosches gespritzt wurde; wie auch Sano, 
stellten wir fest, dass die weisse Substanz und die Vorderhörner des 
Rückenmarks ein ausgeprägteres Fixierungsvermögen als die andern 
Teile des Nervensystems besitzen. 

Bei den entsprechenden Versuchen mit Kokain sah T o r a t a 
Sano. dass dies Alkaloid energischer von der weissen Substanz des 
nervösen Achsenorgans adsorbiert wird, als von der grauen: und im 
Gegensatz zum Strychnin, weit stärker von der grauen Substanz der 
Hinterhörner als derjenigen der Vorderhörner. Diese Affinität der 
Alkaloide für gewisse Zellgruppen des Nervengewebes wirkt also zum 
Teil auswählend und spezifisch. 

Ein ganz besonders eingehendes Studium schien uns die Fixierung 
des Alkohols und der Essenzen alkoholischer Getränke im Nerven¬ 
gewebe beanspruchen zu dürfen, im Hinblick auf die allbekannte kli¬ 
nische Häufigkeit dieser Art akuter und chronischer Vergiftung. 

P a u 1 y und Bonne 1 ) suchten bei einem nach akuter Absinth¬ 
vergiftung verstorbenen Menschen in den inneren Organen nach Alkohol, 
und fanden das Gehirn am alkoholreichsten von allen Organen (0,47%; 
dagegen 0,33% im Blute und 0,21 % in der Leber). Entsprechende Er¬ 
gebnisse erhielt G r e h a ii t ! ) mit Aethylalkohol bei Tieren. 
In Experimenten, über deren Resultate wir zum Teil bereits berichtet 
haben 3 ), spritzten wir Essenzen alkoholischer Getränke [(Essenz von 
Rainfarrnschnaps (tanaisie) von Isop- und Salbeischnaps 
(sauge)] in die Ohrvene des Kaninchens; wir sahen die Entwicklung 
äusserst ausgesprochener Krampfsymplome und stellten fest, dass 
das Zentralnervensystem, und besonders das Nachhirn der vergifteten 
Kaninchen bei intrakranieller Einspritzung an Meerschweinchen ein 
klinisches Bild mit epileptiformen Krämpfen hervorruft, völlig identisch 
mit jenem Symptomenkomplex. den man bei den gleichen Tieren durch 
Einspritzung einer in vitro bereiteten Mischung von Nervengewebe, 
das mit einigen Tropfen der studierten Essenz verrieben wurde, hervor- 
rufen kann. 

Mit Bezug auf diese Versuche möchten wir noch bemerken, das 
die Hirnrinde und das Rückenmark zur Erzeugung von Krampfanfällen 
durch die Essenzen nicht notwendig sind; das Nachhirn ist imstande, 
mit konvulsivischen Anfällen auf Dosen zu reagieren, welche nicht 
genügen die Hirnrinde und das Rückenmark in Tätigkeit treten zu 
lassen. Es ist indessen unbestreitbar, dass bei Einspritzung grösserer 
Essenzmengen eine Diffusion des giftigen Körpers über das gesamte 
Gebiet des Nervensystems oder der inneren Organe erfolgt. — 

Interessante Tatsachen sind in betreff der Anästhetica bekannt 
geworden, v. Bibra und H a r 1 e s s hatten unlängst die Aufmerk¬ 
samkeit auf die Rolle der Fette bei der Anästhesierung gelenkt. Hans 


l ) Pauly et Bonne, fitude sur un as d'intoxication aiguö par l’absinthe. (Lyon 
m6d. 25 juillet 1897.) 

! ) N. Gr6haut. Recherches experimentales sur l'intoxication par l’alcool 6thy- 
lique. (Comptes rendus de la Soe. de biol., seance du 21 oct. 1899, p. 808.) 

3 ) G. Guillain u. G. Laroche. La fixation des essences sur le Systeme ncrveux. 
(Comptes rendu3 de la Soc. de biol., Avance du 10. juillet 1910, p. 118, et Semaine- 
Medicale 1910, p. 350.) 



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Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 


395 


Meyer 1 ) und Overton 2 ) führten aus, dass die Narkotika auf die 
lebenden Zellen in dem Massstabe einwirken, in welchem diese Zellen 
Fette enthalten: dieselben Autoren und Baum 3 ) stellten fest, dass 
die anästhetische Wirkung verschiedener Körper ihrer Löslichkeit in 
Fettsubstanzen parallel geht. Pohl 4 ), der mit dem Chloroform, 
A r c h a n g e 1 s k i s ), der mit Chloral und Aceton experimentierte, 
stellten fest, dass diese Anästhetica sich vorzugsweise im Nervengewebe 
wiederfinden lassen. 

N i c 1 o u x 6 ) vervollständigte das Studium dieser Tatsachen in sehr 
bemerkenswerten Arbeiten; er zeigte, dass die Gewebe um so mehr Chloro¬ 
form fixieren, je mehr Fettstoffe sie enthalten; dass z. B. die graue Sub¬ 
stanz. die weniger lipoidreich ist als die weisse, auch weniger Chloroform 
bindet als diese. Diese Gesetze der Bindung sind die gleichen für den 
Aether, das Chloräthyl und das Chloral; jedoch treten für jedes dieser 
Anästhetica Unterschiede hervor, die ihre Erklärung durch die Ver¬ 
schiedenheit der entstehenden chemischen Verbindungen finden. Hin¬ 
sichtlich des Nervensystems erscheint der Aether deshalb weniger ge¬ 
fährlich als das Chloroform, weil er sich in geringerem Masse im Nach¬ 
hirn verankert und weil er rascher eliminiert wird. 

Die Versuche N i c 1 o u x’s lehrten uns ferner, dass die Zelle sich 
nicht einfach mit dem Chloroform imprägniert, sondern dass ein Teil 
des Anästheticum im Organismus verbrannt wird. 

M e i 1 1 e r e 7 ) wies bei der Bleivergiftung durch die chemische 
Analyse der verschiedenen Organe nach, dass das Blei vorzüglich in den 
Nervenzentren gebunden wird. Jean Canius 8 ) konnte in einer 
Versuchsreihe diese Bindung des Bleies im Nervensystem in vivo fest¬ 
stellen. Er spritzte unter aseptischen Kautelen zwischen Atlas und 
Hinterhauptsbein beim Hunde eine sehr verdünnte Lösung von Blei¬ 
chlorid in den Liquor cerebrospinalis, und sah daraufhin epileptiforme 
Anfälle auftreten. Bei der Autopsie des Tieres stellte er durch chemische 
Reaktionen eine Bindung des Bleies in der Gegend der Brücke und dis 
Nachhirns fest. Sarvonat und Roubier 9 ) berichteten neuer¬ 
dings interessante Tatsachen derselben Art in bezug auf die Oxalsäurr - 
Vergiftung. Diese Autoren hatten Gelegenheit gehabt, einen klinischtn 

*) H. Mever. Zur Theorie der Alkoholnarkoee. (x\rch. f. experiment. Pathol. u. 
Pharmakol. 1899, XLII, 2—1, p. 109 und 1901 XLIV, p. 338.) 

*) E. Overton. Studien über die Narkose, zugleich ein Beitrag zur allgemeinen 
Pharmakologie. Jena 1901. 

*) F. Baum. Zur Theorie der Alk.iholnarkose. (Arch. f. ex per im. Pathol. u. 
Pharmakol. 1899, XLII, 2—4, p. 119.) 

4 ) J. Pohl. Über Aufnahme und Verteilung des Chloroforms im tierischen 
Organismus. (Arch. f. exp. Pathol. u. Pharmakol., 1891, XXVPI, 3—1. p. 239.) 

5 ) C. Archangelsk^. Über die Verteilung des Chloralhydrates und Acetons im 
Organismus. (Arch. f. exp. Path. u. Pharmak., 190,1 XLVI, 5—6, p. 347.) 

*) M. Niclovx. Les anesth£tiques genöraux au point de vue physico-chimique 
et les produits de d6com position du chloroforme dans l’organisme. (Journal de physiol. 
ct de pathol. g6n., 1910, p. 657 et 681.) 

7 ) G. Meillere. Recherche et dosage iMectrolytiquo du plomb; applications 
diverses. (Journ. de pharmacie et de chimie, 15. nov 1902.) 

8 ) J. Camus. Toxicitä des sels de plomb sur les centres nerveux; leur p6riode 
d’incubation. (Comptes rendus de la Soc. de biol., säance du 19 mars 1910, p. 509.) 

J. Camus et M. Nicloux. Essai de neutralLsation des sels de plomb au niveau 
des centres nerveux.3 (Comptes rendus de la Soc. de biol., säance du 19 mars 190. 
p. 512.) 

•) F. oarvonat et Ch. Roubier. Teneur des diverses Organes en acide oxalique 
apres l’intoxication par ce corps. (Comptes rendus de la Soc. de biol., säance du 
25 mars 1911, p. 450, et Semaine Medicale 1911, p. 167.) 


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Fall von kleesalzvergiftung zu beobachten: Sie liessen einem Hunde 
24 Tage lang steigende Dosen von Natriumoxalat mit der Nahrung 
vermischt eingeben, und konstatierten durch quantitative Bestimmungen 
nach Salkowski, dass Gehirn und Nerven in auswählender Weise 
die Säure gebunden hatten. 

Auch die Gifte der Anaphylaxie linden sich in gleicher Weise im 
Zentral-Nerven:v.r,tem gebunden, und diese Tatsachen erklären, wie 
das Charles R i c h e t seit 1902 angegeben hat, das fast ausschliesslich 
nervöse Symptombild der Anaphylaxie — Charles Riehe t’s 1 ) 
Versuche mit dem Crepitin zeigten, dass das Toxogenin in den Nerven- 
zentren gebunden wird. Riebet nahm an, dass das Toxogenin eigent¬ 
lich ein Endotoxin ist, welches in den Zellen, und besonders in den 
Nerven-Zellen gebunden ist, und welches im Momente, wo das Toxin 
mit den Gehirnzellen in Berührung tritt, sich plötzlich in ein äusserst 
toxisches Apotoxin umwandelt. Er fühlte sich daher versucht, dies 
Toxogenin aus den Gehirnzellen zu extrahieren; und in einigen Fällen 
hatte er Erfolg damit. Ein sehr typischer Versuch dieses Autors möge 
hier folgen: 

„Ein Hund wird durch Verblutung getötet; darauf wird die Hydro- 
tomie gemacht, um alles Blut aus dem Gehirn zu entfernen. Jetzt 
wird das Gehirn herausgenommen und mit Sand verrieben, bis sich 
ein völlig homogener Schlamm gebildet hat. Zu diesem Hirnbrei, den 
man gut mit Sand verrieben und gemischt hat, fügt man das dreifache 
Volumen Kochsalzlösung hinzu; man mischt so innig, wie möglich, 
zentrifugiert dann und filtriert 8—12mal, bis die opaleszierende Flüssig¬ 
keit genau so leicht wie Wasser durch in mehrfacher Schicht liegendes 
Filtrierpapier hindurchgeht. Verschiedenen Hunden wurden 100,0 ccm, 
90,0 ccm, 68,0 ccm dieser Hirnflüssigkeit eingespritzt, ohne dass irgend 
welche Phänomene hervortraten. Dagegen verursachte die Einspritzung 
derselben Flüssigkeit bei Zumischung von Antigen einwandfreie Ana¬ 
phylaxiephänomene. 2 ) 

Für die hereditäre Anaphylaxie bestätigte B e 1 i n 8 ) die von 
Gh. Riebet angestellten Experimente bezüglich der Bindung des 
Toxogenins durch die Hirnsubstanz. B e 1 i n nahm das Gehirn von 
jungen Meerschweinchen, deren Mutter durch Rinder- oder Eselserum 
sensibilisiert worden war, verrieb es mit Rinder- oder Eselserum und 
erhielt so eine Flüssigkeit, welche auf andere Meerschweinchen unmittel¬ 
bar tödlich wirkte. 

Diese Fixierung des Toxogenins durch die Gehirnzellen wurde noch 
durch die Tatsache bewiesen, dass es unmöglich war, den Anaphylaxie- 
Tod durch Nebennieren, Schilddrüse, Leber, die getrennt verrieben 
und 3 Stunden lang mit dem Rinderserum zusammen stehen blieben, 
zu bewirken. B e 1 i n gelangt zu dem Schluss, dass die Sensibilisierung 
der Mutter vor oder während der Schwangerschaft, auch beim Foetus 
die Bildung von Toxogenin bewirkt, welches sich teilweise in den Zellen 
des Gehirns verankert. 


') Ch. Richet. De l’anaphvlaxie in vitro avec le tissu cerebral. (Comptes rendus 
de la Soc. de biol. sdance du 9 avril 1910, p. 602.) — Nouvelles expdriences sur la 
cröpitine et l'actino-congestine (araphylaxie et immunitö). (Ann. de l'Inst. Pasteur, 
aoüt 1910.) 

*) Ch. Richet. L'anaphylaxie, p. 166. Paris, 1911. — 

a ) M. Belin. H6r6dit6 de l'anaphylaxie sörique. (Comptes rendus de la Soc. 
de biol. söance du 28 mai 1910, p. 906, et Semaine Mddicale 1910, p. 275.) 



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Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 


397 


A e h a r d und Flandin 1 ) zeigten ferner, dass der Extrakt 
aus den Nervenzentren ur.d besonders aus dem Nachhirn eines Meer¬ 
schweinchens, welches im anaphylaktischen Chok zugrunde ging, bei 
einem andern Meerschweinchen, intrakraniell injiziert, Zustände hervor¬ 
ruft, welche dem anaphylaktischen Chok ähneln und ebenfalls den 
Tod herbeiführen können; dagegen stellten dieselben Autoren fest, 
dass Nervenzentren-Extrakte von gesunden Meerschweinchen, intra¬ 
kraniell injiziert, keine Symptome bei einem andern Meerschweinchen 
hervorrufen. 

Diesen Tatsachen lassen sich andere anreihen, welche A b e 1 o u s 
und B a r d i e r *) in ihren Versuchen über das Urohypotensin beob¬ 
achteten, ein anaphylaktisches Gift, das sich ebenfalls im Nervengewebe 
verankert. — 

In den Autointoxikationen mit vorwiegend nervösen Symptomen 
müssen die endogenen Gifte entsprechenden Bindungsgesetzen folgen. 
Es will uns scheinen, als ob gewisse urämische Anfälle, die komatösen 
Zustände, welche ohne Hirnödem, ohne Hvdrocephalie, ohne meningeale 
Blutungen auftreten. die Hemiplegien ohne makroskopisch oder mikro¬ 
skopisch wahrnehmbare Läsion der Nervenzentren, sowie die Delirien 
sich durch Giftimprägnierung der Nervenzentren erklären lassen. 
Beim Diabetes beruhen das Koma und gewisse nervöse Störungen 
zweifellos auf auswählenden Giftverankerungen im nervösen Achsen¬ 
organ. Unseres Ermessens sind auch Experimente erfordert zur Unter¬ 
suchung der Giftwirkung der nervösen Zentren in gewissen Geistes¬ 
krankheiten, bei welehen die pathologische Histologie nur trügerische 
Ergebnisse liefert. Diese neuen Forschungsmethodmi können u. E. zu 
wichtigen Folgerungen führen, die auch ein hohes praktisches Interesse 
hieten. — 

V. 

Die Affinitäten des Nervengewebes zu einer grossen Zahl von 
Giften erklären sich durch die eigenartige physikalisch-chemische 
Konstitution der verschiedenen Gebiete des nervösen Achsenorgans. 
Auch für die Pathogenese dieser Affinitäten müssen wir die Vorstellung 
der molekularen Adsorption«- und Adhäsionserscheinungen verwerten, 
auf welche G e u g o u 3 ) in mehreren Abhandlungen hinwies. Weiter 
oben zeigten wir die Bindung des Diphtherie-, Tetanus-, Botztoxins 
und des Tuberkulins durch verschiedene chemische Bestandteile des 
Nervensystems. Es handelte sich dabei um Adsorptionsvorgänge; 
Nervengewebe und Toxin bilden einen Komplex. Diese verschiedenen 
Komplexe (Toxin + Lipoide, Toxin -I- Albumin) weisen veränderliche 
physiologische Eigenschaften auf. welche von den beiden Elementen 
des Komplexes, der bindenden Substanz und dem gebundenen Toxin 
abhängig sind. Bei den Giften des Tuberkelbazillus, beim Rotzgift 
(Mailein) und dem Diphtherietoxin wird der Komplex durch Eintritt 
der phosphorhaltigen Lipoide gebildet und diese Toxine werden dadurch 

') Ch. Achard et Flandin. Toxicit^ des centres nerveux pendant lejchoc anaphy- 
lactique. (Oomptes rendus de la Soc. de biol., s£ance du 10 juillet 1910, p. 133, et 
Semaine M6d. 1910, p. 360.) 

s ) J. S. Abelous et E. Rardier. Aftinit6 de l’urohyjtoteusine pour la substance 
r6r6brale: le cervoau c nune source principale de la substance anaphvlactigone. 
(Oomptes rendus de la Soc. de biol., s&ince du 9 juillet 1910. p. 6S.) 

*) O. Geugou. Contribution & l’6tude de l’adh^sion raol6culaire et de son inter- 
vention dans divers ph^nom^nes biologiques. (Arch. intemation. de physiol., 1908, 
VII, 1—2.) 


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Rosenberger, Die Bindung der Gifte im Nervensystem. 


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aktiviert. Beim Tetanustoxin treten die Proteinsubstanzen in den 
Komplex ein; und hierbei vermindert sich die Giftwirkung des ge¬ 
bundenen Toxins. Die so gebildeten Komplexe können mehr oder 
weniger beständig sein. Einige werden äusserst rasch durch einfache 
Auswaschung dissoziiert; andere sind sehr widerstandsfähig, z. B. der 
Komplex: .Nervengewebe und Diphtherietoxin; jedoch auch hier — und 
das ist ganz besonders interessant — lässt sich der gebildete Komplex 
zerstören, wenn eine dritte Substanz hinzutritt, deren Affinität zum 
Toxin noch stärker ist, als die des Toxins zum Nervengewebe; der 
Vorgang der Bindung erscheint also reversibel (umkehrbar). Aus dieser 
Reversibilität erklärt sich die Neutralisation eines vergifteten Gehirns 
in vivo oder in vitro durch das entsprechende Antitoxin. So bilden 
z. B. Gehirnsubstanz + Diphtherietoxin in vitro einen reversiblen 
Komplex: fügt man zu diesem Komplex Diphtherie-Antitoxin, so 
wird das bisher adsorbierte Toxin neutralisiert; es bildet sich jetzt 
ein neuer Komplex: Toxin -f Antitoxin, und die Gehirnsubstanz bleibt 
entgiftet zurück; aufs neue in eine Toxinlösung eingebracht, verhält 
sich diese Gehirnsubstanz wieder wie ein frisches Gehirn und wird aufs 
neue toxisch. Der Versuch lässt sich in unbegrenzter Häufigkeit wieder¬ 
holen. Dieselben Verhältnisse bestehen bei der Mischung: Tetanus¬ 
toxin -f Hirnsubstanz, wie dies durch Besredka erwiesen wurde. 

Auch in vivo kann man eine entsprechende Reversibilität beob¬ 
achten. Man kann bei einem tetanischen Tier den Komplex: Tetanus¬ 
toxin -f- Gehirn reversieren, wenn man das Tetanus-Antitoxin direkt 
ins Gehirn einspritzt, wie es Roux und Borrel gezeigt haben. Bei 
Einspritzung in die Gefässbahn gelingt der Versuch mit dem in vitro 
vom Nervengewebe adsorbiertenAntitoxin nur deshalb nicht, weil 
das Gefässendothel eine Schranke bildet. 

Um das Antitoxin doch zu den Nervenzellen gelangen zu lassen, 
müsste man es entweder in sehr massiven Gaben in den Kreislauf bringen, 
oder, wie C a m u s *) rät, es in den Rückenmarksack einspritzen, oder 
auch es dergestalt modifizieren, dass es noch leichter in das Innere der 
nervösen Elemente eindringt. Damit eröffnen sich neue Forschungs¬ 
gebiete von ausserordentlich weittragender therapeutischer Wich¬ 
tigkeit. 

VI. 

Die Studie, die wir hier durchgeführt haben, lehrt, dass wir die 
alten morphologischen und physiologischen Differenzierungen in den 
verschiedenen Gebieten des Nervensystems durch die chemische Dille 
renzierung ergänzen müssen. Diese Verhältnisse beanspruchen von 
pharmakodynamischen wie von therapeutischen Gesichtspunkten be¬ 
trachtet ein grosses Interesse. Biologische und chemisch-synthetische 
Versuche brachten die Erkenntnis der Möglichkeit, eine ganze Reihe 
hypnotischer Stoffe willkürlich zu erzeugen, wofern man nur ihrem 
Molekül ein Alkoholradikal vom Typus C n H 2n + 1 (z. B. C* H a ) bei- 
giebt; die hypnotische Wirkung dieser Körper wächst mit der Anzahl 
der Alkoholradikale, die sie einschliessen. Das Alkoholradikal ist not¬ 
wendig. weil es allein die Eingehung einer Verbindung zwischen diesen 
sehr stark von einander abweichenden Körpern und den Nervenzel'en 
gestattet. Diese chemische Synthese therapeutisch wirksamer Stoffe 

’) J. Camus. Traitement du t^tanos experimental par les injections bulbaires 
et parabulbaires de serum antitötanique. (Comptes rendus de la Soc. de biol., s^ance 
du 0 mai 1911, p. 6 C 9, et Seruaine M6dicale 1911, p. 239.) 



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Baud, Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


399 


geht auf die Theorien und Forschungen Ehrlich’s zurück; dieselben 
Theorien führten diesen Autor ja auch zu seiner jüngsten Entdeckung 
neuer therapeutisch wirksamer Arsenverbindungen. — 

Durch Anwendung derselben biochemischen Gesetze gelangen 
wir zum Verständnis gewisser vitaler Färbungen des Nervensystems. 
Lässt man, wie es Ehrlich tatsächlich zeigte, Frösche oder Kaulquappen 
einige Tage lang in Wasser leben, welches Methylenblau in sehr ver¬ 
dünnter Lösung enthält, und erneuert man diese Lösung täglich, so 
färben sich das Zentralnervensystem und die Nerven dieser Tiere blau, 
während die Leber erst bei unvergleichlich viel höheren Konzentrationen 
die Farbe annimmt. 

Alle hier berichteten Versuche beweisen, dass die Ursache, der 
innere Grund der auswählenden Bindung gewisser toxischer Körper 
in gewissen Nervenzellen in der physikalisch-chemischen Struktur 
dieser Zellen zu suchen ist. In seiner Eröffnungs-Vorlesung zum Kursus 
der internen Pathologie an der Pariser medizinischen Fakultät schreibt 
W i d a I 2 ) an einer schönen Stelle: „Eine endgültige Erklärung der 
pathologischen Erscheinungen wird die medizinische Wissenschaft 
erst auf dem Felde der elementaren Leistungen des Lebens, in der Welt 
der molekulären und der physikalischen Chemie finden.“ In dieser 
Richtung geht tatsächlich heute* der Weg der medizinischen Forschung; 
die moderne Neurologie muss dieser Entwicklung folgen; an der Hand 
der allgemeinen biologischen Methoden muss sie die physikalisch-che¬ 
mische Erforschung der Bestandteile des nervösen Achsenorgans in 
Angriff nehmen. — 


Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 

Von Df. Andreas Baud, 

Arzt der Gesellschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose in Frankreich. 

Gerade in den letzten Monaten sind eine ganze Reihe grundlegender 
Arbeiten über die Radiumtherapie der Tuberkulose erschienen. Wenn 
wir trotzdem mit dieser Studie hervortreten, so tun wir dies, weil wir 
in der Lage sind, neues, bisher unbekanntes Mater>al beizubringen, 
das wohl in nicht geringem Mass zur Klärung der strittigen Fragen bei¬ 
zutragen vermag. Denn auch der Vorsichtige und Zurückhaltende 
wird daraus die Ueberzeugung gewinnen, dass bei der Radiumtherapie 
der Tuberkulose die Zeit der hitzigen Befürwortung ebenso vorüber 
ist, wie die der skeptischen Ablehnung. Dass vielmehr die Wirksam¬ 
keit der Methode in zahlreichen Fällen ausser Zweifel steht, und — wenn 
sie auch begreiflicherweise noch weiter vervollkommnet werden muss 
— auch schon beim gegenwärtigen Stand der Dinge unter den Bekämp¬ 
fungsmethoden der Tuberkulose mit in vorderster Reihe steht. 

Klinischer Teil. 

Im Juli 1911 machten die Herren DDr. D o m i n i c i und Cheron 
eine Mitteilung an die Akademie für Medizin über die Behandlung 
chirurgischer Tuberkcloseherde mit Radium. Diese Behandlung be¬ 
stand darin, dass 3—5 cg Radiumsulfat enthaltende Röhren während 
20—24 Stunden in die erkrankten Gewebe eingeführt wurden. Die 
Forscher erzielten eine grosse Anzahl Heilungen von Tuberkulose¬ 
herden vermittelst einer einzigen Sitzung. Nur in einigen Fällen waren 

*) F. Widal, Les Orientations de la mödecine, p. 43. Paris 1911. — 


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400 


Baud 


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zwei oder drei Sitzungen notwendig. Die definitive Heilung erfolgte 
nach drei oder vier Monaten. Die therapeutische Wirkung blieb konstant. 

Der Doktor Atkinson Stonev, einer der bekanntesten 
englischen Chirurgen, hat seinerseits im City Hospital in Dublin eine 
Reihe interessanter Untersuchungen angestellt über die Behandlung 
tuberkulöser AfTektionen mit einer ähnlichen Methode. Doch handelt 
es sich hier nicht um direkte Bestrahlung, sondern um intramuskuläre 
Einspritzungen von Dioradin (radioaktives Jodmenthol). Obwohl 
die«e Versuche ganz jungen Datums sind, veranlasst uns die grosse Be¬ 
deutung der therapeutischen Resultate, die Beobachtungen im fol¬ 
genden unverzüglich einem grösseren Kreis zugänglich zu machen. 

Beobachtung 1. 

P. B .... 40 Jahre.'Wurde am 29. April 1911 im Spital aufgenom¬ 
men; der rechte Arm ist geschwollen; der Ellenbogen, das Handgelenk 
vereitert. Ausserdem tuberkulöse Daktvtilis des Mediums, beiderse’t ge 
Nebenhodenentzündung mit einer Fistel auf der linken Seite: 5 Fisteln 
am rechten Fuss, 3 am linken. Am 6. Mai wird der Armabszess geöffnet 
und drainiert. Der Knochen wird nicht abgekratzt. Das Medium muss 
amputiert werden. Am 1. Juli Amputation des rechten Hodens. 

Man beginnt die Dioradineinspritzungen am 18. August 1911. 
In diesem Zeitpunkt eitern sämtliche Fisteln. Nach 39 Einspritzungen 
sind die Fisteln des Anus, des Serotums, der Beine alle geheilt. Die linke 
Nebenhodenentzündung ist zurückgegangen. Der Kranke hat 1250 g 
zugenommen. 

Beobachtung 2. 

C. M. . ., 11 Jahre. Bei der Aufnahme am 18. Oktober 1911 weist 
das Mädchen alle Symptome einer linksseitigen Hüftgelenkentzündung 
auf: Hinken; die Bewegungen sind sehr schmerzhaft; die Hüfte ist 
geschwollen; die Drüsen der linken Leiste sind entzündet. Bei der 
Röntgenstrahlendurchleuchtung sind die Linien auf der linken Seite 
verschwommen. 

Nach 35 Dioradineinspritzungen sind die Schmerzen verschwunden. 
Volle Bewegungsfreiheit. Die Schwellung der Hüfte ist zurückge¬ 
gangen. Die Gewichtszunahme beträgt 1250 g. 

Beobachtung 3. 

S. H. . ., 6 Jahre alt. Wurde am 6. Januar 1911 aufgenommen 
mit einem umfangreichen Abszess der rechten Hüfte, der über den 
grossen Trochanter bis zur Mitte der Hüfte führte. Oeffnung des Abs¬ 
zesses am 28. Januar. Die Höhlung wird mit Formalin • ausgespritzt. 
Am 29. April erfolgt ein neuer chirurgischer Eingriff, zwei neu entstan¬ 
dene eiternde Oeffnungen werden drainiert. Die ganz verbogene Hüfte 
schmerzt bei der geringsten Bewegung. Man macht ohne Erfolg Tuber¬ 
kulineinspritzungen. Bis zum 18. August hat sich der Lokal- und All¬ 
gemeinzustand noch verschlimmert. Da beginnt man mit Dioradin¬ 
einspritzungen. (*/» ccm täglich). Nach 40 Einspritzungen wird die 
bis dahin erhöhte Temperatur wieder normal. Drei Fisteln von vier 
sind geschlossen. Die Hüfte kann wieder etwas bewegt werden und ohne 
jeden Schmerz. Das Kind hat 4750 g zugenommen. Die vierte Fistel 
wurde ausgekratzt und desinfiziert; sie heilte dann nach viermaligem 
Verband. Die Kranke wird noch eine zweite Einspritzungsserie er¬ 
halten. 



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Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


401 


Beobachtune 4. 

M. B. . 18 Jahre, wurde am 14. August 1911 aufgenommen. 

Tumor albus des rei hten Knies, der schon 5 Jahre alt ist. Bei der 
Messung hat das rechte Knie 5 cm mehr als das linke. Die Röntgen- 
untersuchung ergibt keine Veränderung des Knochens. Nach einer 
Punktion des Knies beginnt man mit Dioradineinspritzungen. Nach 
40 Einspritzungen sind die Schmerzen im Knie verschwunden. Der 
Kranke hat etwas an Gewicht zugenommen. 

Beobachtung 5. 

P. .1. . . ., wurde am 26. April aufgenommen wegen einer sehr 
sei merzhaften tuberkulösen Zystitis. Polyurie. Alkalischer Urin, der 
Blut. Eiter und Koeh’sche Bazillen enthält. Zehn Tuberkulineinsprit¬ 
zungen sind resultatlos. Grosse Gewichtsabnahme. Am Nacken eine 
alte tuberkulöse Narbe. Vom 16. August an Dioradineinspritzungen. 
Der Allgemeinzustand bessert sich, und nach 40 Einspritzungen hat die 
Kranke 2650 g zugenommen. Die Kranke kann sogar den Urin an- 
halten, auch ist das Urinieren weniger schmerzhaft. Es finden sich 
weder Blut, noch Streptokokken, noch Bazillen mehr im Urin. 

Beobachtung 6. 

J. N. ... 11 Jahre. Wurde am 14. September 1911 aufgenommer 
wegen einer linksseitigen Hüftgelenkentzündung. Am 31. Januar 1911 
war das Gelenk geöffnet, drainiert, und der Kopf des Trochanter am¬ 
putiert worden. Seitdem sind eiternde Fisteln vorhanden. Die Ab¬ 
magerung ist beträchtlich. 

Dioradineinspritzungen seit dem 24. Oktober. ln diesem Zeit¬ 
punkt ist eine ausgedehnte eiternde Wunde vorhanden, die einen sehr 
ungünstigen Eindruck macht. Die Temperatur ist unregelmässig, abends 
erb öht. 

Nach 32 Einspritzungen ist die Wunde viel kleiner geworden, 
und eitert nur noch ganz wenig. Die Gewichtszunahme beträgt 4250 g. 

B e o b a c h t u n g 7. 

Frau D.30 Jahre. Wurde am 22. August aufgenommen 

wegen einer tuberkulösen Knochenentzündung des Schienbeins. Die 
Röntgenuntersuchung bestätigte diese Diagnose. Das Glied wurde 
eingegipst und man begann mit den Dioradineinspritzungen am 25. Aug. 
1911. Nach 40 Einspritzungen beträgt die Gewichtszunahme 4 kg. 
Die Anschwellung des unteren Teiles des Fusses hat stark nachgelassen. 
Ebenso die Schmerzen. 

Beobachtung 8. 

S. H. . . ., wurde am 4. September aufgenommen. Es ist fibröse 
Tuberkulose des linken Lungenflügels und tuberkulöse Bauchwasser¬ 
sucht mit sehr reichlichem Erguss vorhanden. Wiederholte Unter¬ 
suchungen des Auswurfs hatten positives Ergebnis. 

Nach 30 Dioradineinspritzungen ist die Bauchwassersucht ver¬ 
schwenden und die Kranke fühlt sich wieder ganz wohl. Man stellt 
eine Gewichtsabnahme von 3 Pfund fest, obwohl die Kranke nicht 
magerer geworden ist. Dieser Gewichtsverlust ist dem Verschwinden 
der sehr reichlichen Exsudatflüssigkeit zuzuschreiben. 

Beobachtun g 9. 

N. R. . ., 40 Jahre alt. Sie litt an Lupus der Nase und der Wangen. 
Sie erhielt 40 Dioradineinspritzungen von 1 ccm, die letzte am 11. No- 

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Baud, 


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vember. Die Gewichtszunahme beträgt 4 Pfund. Alle Geschwüre sind 
vernarbt, und der Allgemeinzustand stark gebessert. Noch Erythem. 
Man beginnt eine zweite Einspritzungsserie. 

Die Kranke wurde neben den Einspritzungen noch der FinsenseheD 
Behandlung unterzogen. 

Beobachtung 10. 

M. G. . . ., 40 Jahre alt. Aufgenommen am 31. Juli 1911. Seit 
zwei Jahren Schmerzen im Rücken, die sich in den letzten 6 Monaten 
verschlimmert haben. Die Untersuchung zeigt eine deutliche Rückgrat 
Verkrümmung konvex nach rechts verlaufend. Steifigkeit der Wirbel¬ 
säule, Lendenschmerzen beim Drücken der Schultergegend oder Per- 
kutieren der Fiisse, beim Gehen und überhaupt bei der geringsten Be¬ 
wegung. Die Röntgenstrahlen zeigen, dass der vierte Lendenwirbel 
fast ganz zerstört ist. Bettruhe bis zum 18. August lindert die Schmer¬ 
zen etwas. An diesem Tag beginnt man Dioradin einzuspritzen. Sie 
wog damals 9 stones. Sie erhielt 40 Einspritzungen (1 ccm); die letzte 
am 8. November. Da wog sie 9 stones 13 lbs. Keine Schmerzempfin¬ 
dungen mehr im Rücken. Die Rückgratverkrümmung in der Lenden¬ 
gegend ist unverändert. Die Bewegungsmöglichkeit der Wirbelsäule 
nach hinten und seitwärts ist gut, nach vorne dagegen nur gering. 
Keine Schmerzen mehr beim Gehen oder Springen auf einem Bein. 
Nur eine Steifigkeit beim Bücken. Die Kranke hütet nicht mehr das 
Bett. 

Sie wurde am 21. November heimgeschickt, doch wird sie bald 
zu einer zweiten Einspritzungsserie wiederkommen. 

Beobachtung 11. 

P. B.14 Jahre alt. Wurde am 14. Oktober 1911 aufgenommen. 

Hat seit 3 Jahren Schmerzen in der rechten Hüfte und im Knie, die 
als rheumatisch behandelt wurden. Dann war er im Jahre 1910 2 Mo¬ 
nate im Spital gewesen mit deutlich ausgeprägten Symptomen von 
Tuberkulose des Hüftgelenks. Man behielt ihn im Bett mit Zugverband; 
dann eingegipst und heimgeschickt. Bei seiner Wiederaufnahme im 
Januar 1911 fand man, als der Gips entfernt wurde, dass die Krank¬ 
heit sich noch weiter verschlimmert hatte. Die Anschwellung ist be¬ 
trächtlich. Schmerzen bei der geringsten Bewegung. Drei Monate 
Bettruhe mit Zugverband ergibt eine geringe Besserung. Eingegipst 
und heimgeschickt. Bei der diesmaligen Wiederaufnahme war der 
Zustand noch schlimmer: Flexion und Abduktion noch stärker, die 
ganze Hüfte geschwollen, ein sehr umfangreicher Leistenabszess. Er 
kann sich nur mit grosser Mühe erheben. Am 17. Oktober wurde ein 
Einschnitt in den Abszess gemacht und mehr als ein Liter tuberkulösen 
Eiters entfernt. Die Höhlung wurde gereinigt, draininrt und mit Gaze 
gefüllt, die 2 Tage später wieder entfernt wurde. Die Lage des Beins 
wurde bei der Operation verbessert, und der Zugverband einige Tage 
später angelegt. Die Dioradineinspritzungen begannen schon vor der 
Operation am 10. Oktober ( 3 /, ccm). In diesem Augenblick (25. Novemb.) 
sind alle Einschnitte vernarbt, das Bein in guter Lage, etwas bewegungs¬ 
fähig, keine Schmerzen mehr. Gewichtzunahme 8 Pfund, nach 38 Ein¬ 
spritzungen. 

Sobald diese Serie (40) abgeschlossen ist, wird er mit Gipsverband 
heimgeschickt werden, um später noch eine zweite Einspritzungsserie 
zu erhalten. 



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Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


403 


Beobachtung 12. 

T. G. . . 6 Jahre alt. War schon wiederholt wegen Brustfell¬ 

entzündung im Spital. Drüsenentzündungen. Abszesse am Bein und am 
Fuss links. ReaJction Pirquet positiv, Reaktion Wassermann negativ. 

Am 4. April linksseitige Kastration wegen tuberkulöser Neben¬ 
hodenentzündung. Am 25. April werden tuberkulöse Drüsen am Nacken 
entfernt. Am 23. Mai und am 12. Juli werden die Fisteln ausgekratzt. 
Von April bis August 12 Tuberkulineinspritzungen. Befund Mitte 
August: Fistel am linken Bein und an der linken Fusssohle; leichte 
Dämpfung des Perkussionsschalles an der rechten Lungenspitze. Ge¬ 
wicht 11,750 kg. 

Die Dioradineinspritzugen begannen am 18. August (0,5 ccm). 
Alle Fisteln waren geheilt, bis auf eine. Da kam Keuchhusten hinzu, 
und bevor das Kind von dieser Komplikation geheilt war, öffneten sich 
die Fisteln am Bein wieder, und ein eiterndes Bläschen entwickelte 
sich am linken Auge. Das Kind kam am 13. November in ein anderes 
Spital. Es hatte bis dahin 38 Einspritzungen erhalten und wog 20,250 kg. 

Der Doktor Atkinson Stoney berichtet ausserdem noch übei 
3 Fälle von Knochen- und Blasentuberkulose, w'o die Dioradinbehand- 
lung vollständig negativ war, oder wenigstens der Lokalzustand sich 
nicht gebessert hat. Immerhin hat er 12 Fälle von schon veralteter 
chirurgischer Tuberkulose vorstehend anführen können, wo das Dioradin 
ebenso gut und sogar noch schneller gewirkt hat als die direkte An¬ 
wendung von radiumhaltigen Röhren, von der wir oben gesprochen 
haben. Besonders ist noch der Lupusfall zu vermerken, wo alle Knöt¬ 
chen verschwanden, und die Geschwüre nach noch nicht zweimonat¬ 
licher Dioradinbehandlung geheilt w'aren. Niemals hat die Finsen- 
therapie allein ein so schnelles und so vollständiges Resultat ergeben. 
Dr. R. A. S t o n e y hat über seine Versuche in der ,,Royal Academy 
of Medicine in Ireland“ am 8. Dezember 1911 Bericht erstattet. Näheres 
im ,,The Lancet“ Nr. 4610 vol. CLXXXII vom 6. Januar 1912 und 
im ,,The British Medical Journal“ Nr. 2661 vom 30. Dezember 1911. 
Neben Dr. Stoney hat in England noch der Doktor Gilbert Comber- 
lage in Cardiff mehrere Fälle von Lungentuberkulose behandelt, wo 
der Zustand der Kranken sich nach den Dioradineinspritzungen bedeu¬ 
tend gebessert hat. Die Beobachtungen dieses Klinikers werden später 
veröffentlicht werden. 

Wir lassen zunächst 3 sehr ausführliche Beobachtungen des Dr. 
Dromard aus Paris folgen: 

Beobachtung 13. 

Clovis H. . . ., 17 Jahre. Lungentuberkulose im zweiten Stadium. 
Nach 18 Dioradineinspritzungen: Starke Modifikationen der Krank¬ 
heitssymptome; bedeutende Besserung: Hebung des Allgemeinzustandes. 
Beginn der Krankheit: August 1911. Zustand des Kranken am 23. Ok¬ 
tober. (Zeitpunkt der ersten Einspritzung) 

AlJgemeinzustand. — Merkliche Schwäche und Abmagerung. 
Fieber schwankend uni 39°, abends ansteigend. Verdauungsstörungen. 
Nachtschweiss. Krankheitssymptome: Schmerzen unter dem rechten 
Schlüsselbein und zwischen den Schulterblättern, die sich bei tiefem 
Einatmen, Husten und Perkussion des Thorax verstärken. Atemnot 
bei Anstrengungen, und pseudo-asthmatische Anfälle nachts. Trockener 
Husten, besonders nachts. Schleimig-eitriger Auswurf. 

Physische Untersuchung. — Bei der Inspektion: Thorax abgemagert. 

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Baud, 


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Sehlüsselbeingruben eingesunken. Hei der Perkussion: Dämpfung 
des Perkussionsschalles an der rechten Lungenspitze, leichte Dämpfung 
in der linken Schlüsselbeingegend. Bei der Auskultation: Ahschwächung 
des Vesikuläratmens, rauhe Atmung, stossweises Einatmen und ver¬ 
längertes Ausatmen in der linken Lungenspitze besonders vorn; etwas 
keuchende Atmung, trockenes und feuchtes Knarren in der rechten 
Lungenspitze, besonders hinten; pfeifendes Rasseln auf beiden Seiten 
zerstreut. 

Zustand des Kranken am 28. Oktober (nach 6 Einspritzungen). 

— Der Kranke fühlt sich wohler. Die Abendtemperatur zeigt 38° mit 
fallender Tendenz. Seit zwei Tagen hat das tägliche Erbrechen aufgehört. 
Zum ersten Mal erfolgt die Nahrungsaufnahme ohne zu grossen Wider¬ 
willen. Noch immer starker Nachtschweiß. Die Krankheitssymptome 
sind merklich stationär. 

Zustand des Kranken am 3. November (nach 12 Einspritzungen). 

— Der Kranke macht einen noch kräftigeren Eindruck. Die Temperatur 
ist auf 37,5 n gefallen und schwankt um diese Zahl, obwohl kein Anti- 
pyretieum angewandt worden war. Kein Erbrechen mehr, lebhafter 
Appetit (er verlangt neben seiner gewöhnlichen Diät noch e ; n Beef¬ 
steak). Der Nachtschweis? ist etwas weniger stark. Husten und Aus¬ 
wurf sind bedeutend gebessert. Dir Symptome haben sich auf der rech¬ 
ten Seite merklich gebessert. Man hört das trockene und das feuchte 
Knarren nicht mehr. 

Zustand des Kranken am 20. November (nach einem Monat Behand¬ 
lung). — Der Kranke hat 6 Pfund zugenommen. Die Temperatur 
schwankt zwischen 37 und 37.5 seit vierzehn Tagen. Das Erbrechen 
hat vollständig aufgehört und der Appetit hat sich wieder eingestellt. 
Der Husten ist unbedeutend. Kein Auswurf mehr. Nur noch etwas 
rauhe Atmung in der rechten Lungenspitze und etwas (übrigens nicht 
beständiges) Pfeifen auf beiden Seiten. 

Der Kranke hatte ausser den Dioradineinspritzungen während der 
ganzen Dauer der Behandlung kein anderes Medikament erhalten. 

Beobachtung 11. 

Victor ine P. . . ., 24 Jahre. Veraltete Brustdrüsentuberku¬ 
lose mit ausgedehnter Drüsenerkrankung der Achsel- und der Schlüssel¬ 
beingegend. 

Diese Kranke zeigte vor zwei Jahren auf der rechten Seite Sym¬ 
ptome einer Drüsenentzündung der Achselgegend tuberkulösen Ur¬ 
sprungs. Ein chirurgischer Eingriff besserte dies während einiger Monate. 
Aber im Mai 1910 konstatierte man neue Fistelöffnungen in der Achsel¬ 
gegend und auch die Brustgegend wurde auf dieser Seite in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. Mehrere Brustabszesse öffneten sich plötzlich, und 
gleichzeitig entwickelte sich eine neue Reihe Drüsengeschwülste in der 
Schlüsselbeingegend. Im September 1910 neuer chirurgischer Ein¬ 
griff. Doch sind seitdem die Wunden des Thorax, der Achsel und der 
Schlüsselbeingrube nicht mehr vollständig vernarbt. Zahlreiche Fisteln 
eiterten weiter. 

Man machte 18 lokale Einspritzungen in der Nähe der Fistelgänge 
(die zehn ersten täglich, die andern acht jeden zweiten Tag). Von der 
zehnten Einspritzung an nahm die Eitermenge bedeutend ab. Gegen 
die fünfzehnte waren die Verbände nur noch wenig beschmutzt. Am 
l\nde der Serie sind mehrere Gänge vernarbt, die anderen ausgotrocknet. 



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Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


405 


Beobachtung 15. 

A m e 1 i e D. . . 16 Jahre. Veraltete Knochentuberkulose der 

Trochantergegend. 

Diese an Kinderlähmung mit merklicher Atrophie und funktioneller 
Impotenz besonders des linken Beins leidende Kranke weist auf oieser 
Seite zugleich eine schon mehrere Jahre alte Knochenmarksentzündung 
auf. Die Lokalerscheinungen haben immer einen langsamen Verlauf 
genommen. Von den tiefliegenden Läsionen führen zwei Fistelgänge 
nach aussen, von denen der eine in der supero-externen Schenkelgegend, 
der andere in der Darmbeingegend mündet. Beide eitern sehr stark. 
Es werden in dieser Gegend Einspritzungen gemacht, worauf die beiden 
Fisteln spontan intermittierend versiegen. Eine Serie von 12 Ein¬ 
spritzungen genügte, um den Ausfluss zum Verschwinden zu bringen. 
Ausserdem hat sich der Allgemeinzustand, der gewöhnlich recht schlecht 
war, im Lauf und infolge der Behandlung (besonders was den Appetit 
anbelangt) in bemerkenswerter Weise gebessert. 

Der Doktor A. M i r a b a i 1 aus Baugy (Cher) hat 4 Fälle von 
Lymphdrüsen- und 8 Fälle von Lungentuberkulose behandelt. DK 
Resultate sind folgende: 

Beobachtung 16—27. 

Drei Fälle von Lymphdrüsentuberkulos« sind geheilt; einer ist auf 
dem Wege der Heilung. 

Kein Fall von Lungentuberkulose ist geheilt, aber alle haben sich 
gleich bei den ersten Einspritzungen gebessert. 

Nachdem er zuerst die Gebrauchsanweisungen des Prospekts be¬ 
folgt hatte, suchte er später eine geeignetere Verteilung der Dosen zu 
finden. Er gab die Serien von 40 bis 50 Einspritzungen, die nach der 
zehnten keine grossen Resultate mehr ergeben, auf. und verordnete mit 
mehr Erfolg Serien von je 6 Einspritzungen, zwischen denen jedesmal 
10 Ruhetage liegen, also: 6 Ampullen, lO Ruhetage, 6 Ampullen usw. 
Die beste Wirkung wurde bei Kranken im ersten und zweiten Stadium 
erzielt. Die schnelle Appetitrückkehr war die auffälligste Erscheinung 
bei allen mit Dioradin behandelten Kranken. 

Beobachtung des Doktor G. Leonet in Chinon. 

B e o bachtu ng 28. 

S. P. . ., 26 Jahre. Beginnende Lungentuberkulose charakteri¬ 
siert durch Bluthusten. 

Der junge Mann, der seinen Militärdienst absolviert hat, hat keiner¬ 
lei persönliche oder erbliche Antezedentien. Aber er lebt seit achtzehn 
Monaten im selben Zimmer mit einer älteren Schwester; diese hat die 
Tuberkulose im letzten Stadium, die sie sich von ihrem verstorbenen 
Mann zugezogen hat, der sie sechs Monate nach der Hochzeit schwanger 
zurückliess. Der Kranke litt schon seit mehreren Monaten, ohne deshalb 
seine Arbeit aufzugeben. 

Da bekommt er plötzlich einen Anfall von Bluthusten am 10. De¬ 
zember. Symptomatische Behandlung. Eiskompressen. Ruhe. Ergo- 
tin und Kalziumchlorür. Nachdem der Bluthustenanfall sich jeden 
Abend wiederholend zehn Tage gedauert hatte, schien er subkutanen 
Einspritzungen von starken Dosen Chininsulfat zu weichen. 

Seit dem 26. Dezember: Tägliche Dioradineinspritzungen und 
hygienisch-diätetische Behandlung. 


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Baud, Beiträge rur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


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Heutf» fühlt sieh aer Kranke wohl, hustet nicht mehr, hat guten 
Appetit und scheint jeden Tag zuzunehmen. Kein Nachtschweiss. 
keine Atemnot mehr beim Gehen wie vor dem Biuthustenanfall. Urin 
normal. Puls zwischen 72 und 80 variierend. 

Beobachtungen des Dr. Kertosz-Aba, k. u. k. Hofnrzt. 
Spezialarzt in Budapest. 

Beobachtung 29. 

M. A. . .. 18 Jahre, kam zu uns am 20. September 1911. Er hat 
seit einem Jahr 3 kg abgenommen; Appetitlosigkeit, Husten. Bei der 
Auskultation in der rechten Lungenspitze rauhe verlängerte Atmung, 
feuchtes Knarren. Temperatur 37,8 1 —38 2' abends (sublingual). Sub¬ 
kutane Dioradineinspritzungen in den Rücken. 

Nach der siebzehnten Einspritzung sinkt die Temperatur, an der 
Lungenspitze wird nur noch die verlängerte Atmung wahrgenommen. 
Der Appetit kehrt zurück; Gewichtszunahme 1kg. 

Nach der dreissigsten Einspritzung dieselben Symptome; Gewichts¬ 
zunahme 2,500 kg. Vor den Dioradineinspritzungen ergab die Unter¬ 
suchung des Auswurfs 0—1 Bazillus auf die Zelle ; nach 30 Einspritzungen 
sind die Bazillen vollständig verschwunden. 

Beobachtung 30. 

Z. . ., 18 Jahre, kam zu uns am 27. September 1911. Leület seit 
zwei Jahren an Lungentuberkulose, wurde seit einem Jahr mit wenig 
Erfolg im Sanatorium behandelt. 

Bei der Untersuchung verlängerte Atmung in der linken Lungen¬ 
spitze. In der rechten Rauheit und feuchtes Knarren. Wenig Auswurf. 
Massiger Husten. Blasse Gesichtsfarbe, abgemagerte Brust. Tempe¬ 
ratur (sublingual) 37,1°; abends 37,8°—38,3 r . Es werden Ruhe, Ueber- 
ernährung und tägliche subkutane Dioradineinspritzungen in den 
Rücken verordnet. 

Nach der zehnten Einspritzung Sinken der Temperatur, die abends 
nur noch auf 37,2"—37,4° steigt. Der Appetit kehrt zurück, die Lungen¬ 
symptome bessern sich. Nach der achtzehnten Einspritzung bessert 
sieh der Allgemeinzustand sehr. Man hört nur noch wenig Rasseln. 
Keine Temperatursteigerung mehr. Nach der dreissigsten Einspritzung 
ist. das feuchte Knarren vollständig verschwunden; die Gewichtsvermeh¬ 
rung beträgt 3 kg. Vor der Dioradinbehandlung ergab die Unter¬ 
suchung des Auswurfs 2—3 Koch’sche Bazillen in jeder Zelle; nach 
der Behandlung 0—1. 

Beobachtung 31. 

R. B. ., 36 Jahre. Er weiss, dass er die Tuberkulose schon seit 
3 Jahren hat. Hat sich in verschiedenen Luftkuranstalten aufgehalten 
mit wenig Erfolg, ln der rechten Lungenspitze keuchende, verlängerte 
Atmung, oft unterbrochen. Akute Bronchitis der Lungenspitze mit 
feuchtem Knarren. Dem sehr intelligenten Kranken, der sich über 
seinen Zustand vollständig im klaren ist, wird Ruhe, Diät und täg¬ 
liche Dioradineinspritzungen verordnet. 

Nach der zehnten Einspritzung erklärt der Kranke, da c s er sich 
viel besser fühlt. Vor Beginn der Behandlung war die Morgentempe¬ 
ratur bis 37,8«, die Abendtemperatur beträgt 38,5°, ausserdem Ap¬ 
petitlosigkeit, mühsamer Husten und viel Auswurf. Jetzt beträgt die 
Abendtemperatur nur noch 37,8" und sinkt während derDiorodinbehand- 


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Stühmer, Ueber einige moderne Methoden medikamentöser Blutstillung. 407 

lang beständig. Nach der dreissigsten Einspritzung ist der Allgemein¬ 
zustand normal. Die Atmung ist noch etwas rauh, aber d'e Lungen¬ 
spitzen sind fre'. Nur mit Mühe kann man noch etwas Rasseln unter 
dem linken Schulterblatt wahrnehmen. Der Kranke hat an Gewicht 
nicht zugenommen Vor der Dioradinbehandlung hatte die Untersuchung 
desAuswurfsl—2 Bazillen auf die Zelle ergeben; nach der Behandlung 0- 

_ (Schluss folgt.) 

(Aob der Inneren Abteilung der Krankenanstalt Sudenburg zu Magdeburg, 

Oberarzt Dr. E. Schreiber). 

Ueber einige moderne Methoden medikamentöser 

Blutstillung. 

Nach einem Vortrage in der Magdeburgischen Gesellschaft. 

Von Dr. A. Stühmer, Sekundärarzt. (Schluss.) 

Veldens Ergebnisse sind-für die Kochsalztherapie so bedeutungs¬ 
voll. dass ich kurz darauf eingehen möchte. Er vermutete zutieffender- 
weise eine Einwirkung auf die Gerinnungsfähigkeit des Blutes und stellte 
nun an Patienten zunächst bei stomachaler Darreichung von 10 g 
Na CI. eingehende Untersuchungen über die Gerinnungsfähigkeit 
des Blutes an. Seine Ergebnisse stellte er in Kurven zusammen. 

Wir sehen in ihnen, wie bei vorher gleichbleibender Gerinnungs¬ 
fähigkeit tvenige Minuten nach der Einverleibung des Salzes eine deut¬ 
liche Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit einsetzt, die nach 7—15 Min. 
ihr Maximum erreicht, auf dem sie eine Zeitlang bleibt, um dann wieder 
langsam zu dem Anfangswert zurückzukehren, der nach 1—l'/j Stunden 
wieder erreicht ist. Zur Erklärung dieser eigenartigen Verhältnisse 
zieht V. die Tatsache heran, dass durch das Salz ein erhöhter Säfte¬ 
austausch zwischen Blut und Gewebe verursacht wird, der eine Mobi¬ 
lisation der Komponenten des Gerinnungsaktes bewirken soll. Er hat 
denselben Effekt z. B. mit Bromsalzen erzielt und kommt ans diesem 
Grunde zu dem Schlüsse, dass eine spezifische Wirkung jedenfalls der 
Chloride allein hier nicht vorliegen könne, dass vielmehr die Haupt¬ 
sache bei der Wirkung die Ausschwemmung der Gewebe durch die 
Anziehung von Wasser in das Blut sei. Bei dieser Ausschwemmung 
der Gewebe werden seiner Ansicht nach die in denselben gespeicherten 
gerinnungsauslösenden Fermente mit in grösserer Masse in das Blut 
gebracht und so dessen Gerinnungsfähigkeit erhöht. Diesen Ergeb¬ 
nissen entsprechend wandte V. das Kochsalz zunächst per os 5—15 g 
an und erreichte bei Hämoptoe und anderen schweren Blutungen eine 
gute Blutstillung. Bei der schon aus dem Experiment hervorgehenden 
Flüchtigkeit der Wirkung erscheint es sehr erklärlich, dass die Blutung 
nach anfänglich guter Einwirkung der Therapie nach etwa 2 Stunden 
von neuem einsetzt. Er gab dann nochmals die gleiche Dosis event. 
in Abwechslung mit Bromnatrium oder -kalium. Es wurden auf diese 
Weise in schweren Fällen bis 30 g Kochsalz und 15 g Bron natrium 
glatt vertragen. 

Bei weiteren Versuchen stellte sich jedoch heraus, dass gelegentlich 
die grossen Mengen Salz, welche per os gegeben werden mussten, Magen¬ 
störungen mit Erbrechen veranlassten. eine Wirkung, die selbstverständ¬ 
lich auf jeden Fall vermieden werden muss, wenn nicht der Brechakt 
alle blutstillende Wirkung des Mittels wieder aufheben soll. Ferner 
veranlassten Fälle von Magen- und Darmblutungen Velden, eben¬ 
falls von einer Applikation per os abzusehen, und nach einer anderen 
Art der Einbringung in den Körper zu suchen. 


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408 


Stühmer, 


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Er ging deshalb zur intravenösen Injektion über, indem er zunächst 
am Tier die absolute Unschädlichkeit nachwies, und dann auch am 
Menschen Untersuchungen über die Wirksamkeit in dieser Form machte. 
Eine Gerinnungskurve bei intravenöser Kochsalzzufuhr stellte er zum 
Vergleich mit gleicher Zeiteinteilung unter die erste. Man findet 
in ihr prinzipiell die gleichen Verhältnisse wie bei der Darreichung 
per os, nur mit dem Unterschiede, dass die ganze Alteration 
der Gerinnungsfähigkeit bedeutend schneller eintritt, allerdings auch 
schneller wieder normale Verhältnisse sich wiederherstellen. Irgend¬ 
welche lästigen Nebenerscheinungen haben wir sowohl wie die 
anderen Untersucher bei einer solchen Medikation nie gesehen. Wir 
gehen nun in der Regel so vor, dass wir dem blutenden Patienten 
3—5 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung steril in die Armvene einspritzen. 
Bei allen möglichen Blutungen wenden wir schon seit geraumer Zeit 
das Mittel regelmässig an und haben schon oft den bestimmten Eindruck 
gehabt, dass es einen ausserordentlich günstigen Einfluss ausübt, was 
aus den experimentellen Grundlagen des Verfahrens ja auch durchaus 
verständlich ist. 

Es stellen diese intravenösen Kochsalzinjektionen 
sicher ein ausserordentlich einfaches, absolut gefahrloses Mittel zur 
Bekämpfung von Blutungen dar, das auch für die allgemeine Praxis 
in hohem Masse geeignet scheint. 

Wenn wir mit einer einmaligen Einspritzung den gewünschten 
Erfolg nicht erreichen, so wiederholen wir dieselbe unbedenklich in 
etwa stündlichen Abständen, da wir dann hoffen können, eine Dauer¬ 
wirkung eher zu erzielen. Auch von diesen wiederholten Injektionen 
haben wir eine schädliche Wirkung nie gesehen. 

In direkter Anlehnung an diesen Mechanismus der Kochsalz¬ 
wirkung haben wir nun in letzter Zeit Versuche gemacht mit hoc h- 
prozentiger Traubenzuckerlösung direkt in die Venen. 

Dass es ohne Schaden für den Patienten möglich ist, auch grössere 
Mengen Traubenzucker intravenös zu verabfolgen, zeigte im Anfang 
dieses Jahres Kausch in Berlin. In dem Bestreben für solche Patien¬ 
ten, deren Magendarmkanal die Zuführung von Nahrung infolge schwerer 
Erkrankung nicht gestattet und die gleichzeitig Nährklistiere nicht 
halten, eine andere Methode der Ernährung zu finden, versuchte er eine 
intravenöse Ernährung durchzuführen. Auf Grund von Tierexperimenten 
wählte er schliesslich den Traubenzucker, der in sehr grossen Mengen 
ohne Schaden glatt vertragen wurde. Er konnte innerhalb ganz kurzer 
Zeit bei einmaliger Injektion bis zu 2000 ccm einer 5—7proz. Trauben¬ 
zuckerlösung geben, ohne dass Störungen auch nur der geringfügigsten 
Art beobachtet worden wären. Gelegentlich solcher Ernährungsversuche 
machten wir die Beobachtung, dass nach solchen Traubenzucker¬ 
infusionen schwere Blutungen innerhalb kurzer Zeit zum Stehen kamen. 

In dem ersten Falle handelte es sich um einen Patienten, der aus 
einem Ulcus ventriculi schwer blutend eingeliefert wurde. Der Patient 
erbrach in ganz kurzen Zwischenräumen grosse Mengen von Blut, so 
dass wir die Prognose als absolut infaust bezeichneten. Da der Pal. 
irgend welche Nahrung natürlich nicht zu sich nehmen konnte und ein 
Nährklistier sofort wieder zurückkam, machten wir einen Versuch mit 
200 ccm einer öproz. Traubenzuckerlösung intravenös, und sahen nun, 
dass P.. nachdem er am Abend noch etwas schwarzes Blut erbrochen 
hatte, vom nächsten Tage an von weiteren Blutungen verschont blich. 



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Ueber einige moderne Methoden medikamentöser Blutstillung. 


40 » 


Der Zufall fügte es, dass kurze Zeit darauf ein Typhuspatient 
schwere Darmblutungen bekam. Die Entleerungen des Pat. waren ausser¬ 
ordentlich zahlreich und bestanden fast aus reinem Blut, so dass Pat. 
dieses eigentlich kontinuierlich aus dem After lief. Die gewöhnliche 
Medikation schien völlig zu versagen, auch Ergotin brachte keine 
Besserung. Wir verabfolgten dem Pat., den wir für so gut wie verloren 
hielten, abends 200 ccm einer 20proz. Traubenzuckerlösung und am 
nächsten Morgen noch einmal die gleiche Dosis. Im ganzen erhielt der 
Patient also 80 g Traubenzucker intravenös. 

Die Blutungen wurden bei diesem Patienten bereits am Abend 
geringer, die Entleerungen seltener und am nächsten Morgen trat ein 
Stillstand der Blutung ein. An einem der folgenden Tage entleerte 
der Pat. zwar noch einmal eine geringe Menge veränderten Blutes, 
aber die Heilung machte dann weitere Fortschritte und der Pat. ist 
vor kurzem geheilt entlassen worden. 

Auf Grund der günstigen Erfahrungen in diesen zwei Fällen machten 
wir nun weitere Versuche bei blutenden Patienten und es hatte den 
Anschein, als ob in der Tat der Traubenzucker in irgend einer Weise 
die Blutenden günstig beeinflusste. 

Wie man sich diesen Mechanismus vorzustellen hätte, müssen 
noch weitere Versuche, vor allem experimentell am Tier zeigen. Jeden¬ 
falls scheint es mir einleuchtend, dass analog der ausschwemmenden 
Wirkung konzentrierter Kochsalzlösungen auch der Traubenzucker, in 
hoher Konzentration und Menge direkt in die Blutbahn gebracht, den 
Körper veranlassen könnte, die durch die Injektion verursachte 
Hypertonie der Blutflüssigkeit durch Wasserentziehung aus den Ge¬ 
weben zu beseitigen. Analog den Vorgängen bei der Kochsalzwirkung 
würde hierbei ebenfalls die freiwprdende Thrombokinase die Gerinnungs¬ 
fähigkeit erhöhen. 

Ob sich dies nun tatsächlich so verhält und ob überhaupt diese 
Wirkung der Traubenzuckerinjektionen auf die Blutungen sich auch 
fernerhin bestätigt., muss die Zukunft lehren. Tierexperimente, die 
im Gange sind, scheinen in vieler Beziehung interessante Verhältnisse 
zu ergeben. 

Ich bezeichnete ausdrücklich diese Traubenzucker-Therapie als 
einen Versuch und bin weit davon entfernt, etwa an jene ersten gün¬ 
stigen Erfahrungen enthusiastische Verallgemeinerungen zu knüpfen. 
Die Möglichkeit rein zufälligen Zusammentreffens der Heilung mit 
den Injektionen liegt immerhin noch vor. 

Ueberhaupt verkenne ich keineswegs die grossen Schwierigkeiten, 
welche der richtigen Beurteilung aller der angeführten Hilfsmittel zur 
Bekämpfung der Blutungen entgegenstehen, und ich verstehe es voll¬ 
kommen, dass der grösste Ted der Aerzte allen diesen zuweilen mit 
sehr viel grossem Getön angekündigten therapeutischen Neuerungen 
mit kühler Reserve und einer grossen Portion Skepsis gegenübersteht, 
aber ich glaube doch, dass von den angeführten Mitteln in geeigneten 
Fällen Gebrauch gemacht werden muss, zum Heile des Patienten 
und zu einem kleinen Teile auch zur Beruhigung des Arztes. Denn gerade 
blutenden Patienten gegenüber wird einem die Ohnmacht unserer thera¬ 
peutischen Bestrebungen zuweilen noch früh genug erschreckend klar. 
Es sollte mich freuen, wenn meine Ausführungen einen oder den anderen 
von Ihnen veranlassen würden, in verzweifelten Fällen eins von den 
besprochenen Mitteln zu versuchen. 


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410 Auloreferete und Mitteilungen aus der Praxis. — Referate und Besprechungen. 


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Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


R. von Jaksch stellte in der Gesellschaft Deutscher Aerzte 
in Prag einen Fall von Vaquez-Osler’scher Krankheit vor, an welchem 
er eine Reihe von Untersuchungen in bezug auf den Eiweissgehalt des 
Blutes gemacht hat. Zunächst, hat die Beobachtung ergeben, dass 
die Zahl der Erythrozyten in weiten Grenzen schwankte. Ob und 
inwieweit dies durch Röntgenbestrahlung, welche bei dem Kranken 
durchgeführt wurde, bedingt ist, lässt er dahingestellt. Die Studien 
bezüglich des Stickstoffgehaltes des Gesamtblutes und des Stick- 
stofTgehaltes der roten Blutzellen haben nun ergeben, dass das Blut bei 
dieser Erkrankung stickstoffreicher ist als in der Norm, dagegen der 
Stickstoffgehalt der roten Blutzellen geringer ist als in der Norm. Es 
ergab sich, dass mit dem Absinken der Zahl oer Erythrozyten das Ge¬ 
samtblut und die roten Blutzellcn reicher an Stickstoff werden. Es 
besteht demnach bei der Vaquez-Osler’schen Krankheit eine Hypal- 
b u m i n ä m i a rubra im Gegensatz zur Hyperalbuminämia 
rubra, welche der Vortragende vor Jahren bei der perniziösen Anämie 
gefunden hat; bemerkt wird noch, dass die Dichte des Blutes erhöht 
war. Diese Beobachtungen deuten darauf hin, dass, da trotz wieder¬ 
holter dahin gerichteter Untersuchungen keine Normohlasten ge¬ 
funden wurden, auch der Durchmesser der roten Blutzellen normale 
"Werte aufvvies, man es hier mit physiologisch minderwertigen Blut¬ 
zellen zu tun hat, und das Wesen der Krankheit darin zu suchen ist, 
dass die physiologische Zerstörung der roten Blutzellen vermindert ist. 

Jaksch zeigt einen typischen Fall von Gicht und betont zu¬ 
nächst, dass sowohl die Radioskopie als auch die Radiocrraphie in sol¬ 
chen Fällen bisher meist ein negatives Resultat ergeben hat. Im Gegen¬ 
satz hierzu zeigt der in Rede stehende Fall bei der radioskopischen und 
radiographischen Untersuchung schwere Veränderungen sowohl an den 
beiden grossen Zehen der unteren Extremität als auch an den Meta- 
karpi, den Phalangen und den Gelenken beider oberer Extremitäten, 
nie im wesentlichen dadurch charakterisiert sind, dass an dem proxi¬ 
malen und distalen Ende der genannten Knochen die Gelenkstruktur 
und die Struktur der Knochen vollständig geschwunden ist und durch 
eine Substanz ersetzt ist, welche die Röntgenstrahlen vollkommen 
passieren lässt, so dass an diesen Stellen die photographische Platte 
total zersetzt erscheint, also im photographischen Bilde dunkle Flecke 
auftreten, welche nur hier und da durch fadenförmige Gebilde unter¬ 
brochen werden, die dem Durchdringeu der Röntgenstrahlen Winerstand 
Kisten und z. T. als bogenförmige, z. T. als flächen förmige, demnach 
als netzförmige, also retikuläre Bildungen eischeinen. 

Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Karsner (Philadelphia), Die Lungen bei der Anaphylaxie. (Centralbl. für 
Bakt., Bd. 01, H. 3.) 

Bei der Pferdeserumanaphylaxie der Meerschweinchen ist das Lungen¬ 
bild ein vollkommen charakteristisches. (Bronchialverengerung und markante 



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Referate und Besprechungen. 


411 


Erweiterung und Durchbruch der Alveolen.) Das Bild der durch verschiedene 
Substanzen hervorgerufenen künstlichen Anaphylaxie ist absolut ver¬ 
schieden von demjenigen der echten Anaphylaxie mit Ausnahme des 
Falles von Peptoneinspritzung. Hämolytischer Ambozeptor ruft ein 
starkes Lungenödem hervor, toxisches Rinderserum sowie die hämo- 
toxischen Substanzen (Ricin, Abrin, Solanin-Hydrochlorat, oelsaures Natron) 
zeigen dagegen Blutungen. Eine Konglutination der roten Blutkörperchen 
zeigte sich in den nicht anaphylaktischen Zuständen deutlicher als in den 
wahren anaphylaktischen. Schürmann. 

Döhle, Lenkozyteneinschlüsse bei Scharlach. (Centr. f. Bakt. Bd. 61, H. 1/2.) 

D. fand bei Scharlach Einschlüsse in Leukozyten, die in guten der 
Arbeit beigefügten Photogrammen erkennbar sind. Das Verfahren, mit dem 
er diese Einschlüsse zur Darstellung bringt, ist folgendes: „Fixierung 
der lufttrockenen Ausstriche in 9G o/o Alkohol oder Sublimatalkohol. Fär¬ 
bung in einem Gemisch von G. Hoppe-Seiglers Reagens auf Zucker (Ortho- 
nitrophenylpropiolsäure in alkalischer Lösung), 2 Teile auf 100 Teile dest. 
Wasser und 6 Teile Michaelis-Azurblau. Dauer der Färbung 6—24 Stunden, 
Abspülen mit Wasser, oder Färbung der in Alkohol fixierten Ausstriche in 
einem Gemisch von Orseille in saurer Lösung und saurem Hämatoxylin 
nach Ehrlich zu gleichen Teilen, mehrere Stunden. Differenzieren in 
Salzsäurealkohol (1 proz. Salzsäure zu 60 proz. Alkohol). Abspülen in Lei¬ 
tungswasser. Nachfärben mit der oben angegebenen Mischung 24 Stun¬ 
den; Abspülen mit Wasser oder, wenn eine Überfärbung stattgefunden hat, 
in Alkohol, event. dünnem Salzsäurealkohol.“ 

Die genannten Einschlüsse hängen nicht mit dem Kerne zusammen, 
sie sind als selbständige Gebilde anzusehen. Hauptsächlich treten diese 
Körnchen am 4. resp. 6. Tage der Erkrankung auf. Durch Übertragung 
von Blut Scharlachkranker auf weiße Mäuse, Kaninchen, Schweine ließen 
sich diese Einschlüsse nicht bei den genannten Tieren erzielen. 

Schürmann. 

Galli-Valerio (Lausanne), Ein kleiner Apparat für die Färbung der Präparate 
mittels Leishman-Verfahren. (Centralbl. f. Bakt., Bd. 61, H. 1/2. 

Im Original nachzulesen. Der beschriebene Apparat bietet für den 
Praktiker, der nur wenig mit dem Leishmanschen Färbeverfahren zu tun 
hat, keinen besonderen Wert. Er ist zu entbehren. Schürmann. 

8tnhmer (Magdeburg), Zur Technik der Untersuchung der LumbalQüssigkeit 
auf Wassermannsche Reaktion. (Centr. f. Bakt., Bd. 61, H. 1/2. 

Verfasser schlägt auf Grund seiner Versuche vor, die Untersuchung 
des Liquor cerebrospinalis mittels Wassermann scher Reaktion stets 
als Titration mit steigenden Mengen vorzunehmen, da sich die Reaktion 
oft erst als positiv erweist bei Mengen von 0,4, 0,6, 0,8 ccm. Der Nachweis 
spezifischer Hemmungskörper gelingt in fast allen Fällen von Lues cere¬ 
brospinalis. Dagegen schließt der negative Ausfall der Reaktion des 
Blutserums eine positive des Liquor nicht aus. Schürmann. 

v. Eisler und Löwenstein (Wien). Über Formalinwirkung auf Tetanustoxin 
und andere Bakterientoxine. (Centr. f. Bakter., Bd. 61, H. 3.) 

Wärme und Licht schwächen die Wirksamkeit eines Tetanustoxins in 
2—3 Wochen vollständig ab. Im Eisschranke aufbewahrt, verlieren die 
Bouillongifto bei den Formalinkonzentrationen (1—2 proz.) nichts oder nur 
wenig von ihrer Toxizität. 

Einmalige Vorbehandlung mit beschriebenen Giften läßt bei Meerschwein¬ 
chen und Kaninchen eine hohe Immunität aufkommen. Der Impfschutz be¬ 
steht auch gegen intraneurale Injektion des Giftes. Die erzeugte Immuni¬ 
tät ist eine antitoxische. 

Das Toxin des Vibrio El Tor V., insbesondere seine lösende Wirkung 
auf rote Blutkörperchen, wurde durch die Belichtung deutlich abgeschwächt; 
ebenso wurde beim Diphtherietoxin eine starke Entgiftung festgestellt. Sehr 
gering war der Einfluß der Belichtung auf Dysenterietoxin. Für das Tuber¬ 
kulin konnte überhaupt eine Abschwächung nicht konstatiert werden. 

Schürmann. 


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Referate und Besprechungen. 


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Rösler (Graz), Über den Nachweis der Typhusbazillen im Wasser mittels 
Kompiementablenkunf. (Centr. f. Bakter., Bd. 61, H. 1 u. 2.) 

Das Resumö der genannten Arbeit läuft dahin aus, daß sich die Komple- 
nentbindung zum Nachweis geringer Mengen von Typhusbazillen im Wasser 
als nicht geeignet erweist. Dieses Resultat stimmt mit den Angaben More¬ 
schis überein im Gegensatz zu Volpino und Clers. 

Schürmann. 


Innere Medizin. 

Kämmerer, Über das Leukozytenblld bei Variola. (Deutsches Archiv für 
klin. Medizin, XCIX, S. 345.) 

Die wesentlichsten Momente, die Verfasser während einer Variolaepidemie 
in München in sehr zahlreichen Fällen beobachten konnte, waren die folgen¬ 
den: Vermehrung der Leukozyten bis gegen 2000; relative und absolute 
Vermehrung der Lymphozyten, relative Verminderung der Polynukleären. 
Am deutlichsten tritt die Lymphozytose in der Suppurations- und Eintrock¬ 
nungsperiode zu Tage. In schweren Fällen waren in den ersten Tagen 
Myelozyten und Normoblasten nachzuweisen. Normales Verhalten zeigen im 
allgemeinen die großen Mononukleären und die Obergangszellen. 

Als Beitrag zur Diagnose kann das Leukozytenbild sehr wohl dienen, 
sein Wert darf jedoch nicht, wie es vielfach geschieht, überschätzt werden. 

Schleß-Marienbad. 

Lemolne, G. H. (Val-de-Gräce), Scharlach und Nebennieren. (Soc. m6d« 
des höpitaux 1912, 12. Januar.) 

Ein kräftiger Soldat bekam Scharlach. Am 4. Tage stellte sich starker, 
schmerzhafter Meteorismus und Erbrechen ein, die Temperatur fiel schnell, 
der Puls wurde miserabel. Kopfschmerzen, allgemeine Anästhesie und Kol¬ 
lapse vervollständigten das desolate Bild. Mit Hilfe von Adrenalin gelang 
es, verhältnismäßig bald die Situation zu ändern, so daß der junge Krieger 
geheilt das Lazarett verlassen konnte. 

In der Diskussion berichteten Sergent, Netter und i o s u 6 von 
ähnlichen Fällen, in denen gleichfalls Adrenalin segensreich gewirkt hatte. 

Auf die Beteiligung der Organe der inneren Sekretion bei Infektions¬ 
krankheiten kann somit nicht nachdrücklich genug hingewiesen werden. Es 
muß sich keineswegs immer um Scharlach und um die Nebennieren handeln; 
so könnte man z. B. aus einer Mitteilung von S i c a r d und G u t m a n n, 
welche eine perniziöse Anämie nach Typhus auftreten sahen, auf eine 
Störung der inneren Tätigkeit der Milz schließen. Buttersack-Berlin. 

Von den Velden (Düsseldorf), Pharmakotherapeutlschc Beeinflussung patho¬ 
logischer Zustände am peripheren Kreislauf. (Therap. Monatshefte 1912, H. 1.) 

Die nervösen Beziehungen zwischen Herz und Gefäßsystem bedingen 
bei Funktionsstörungen des einen dadurch auch eine Beeinflussung des an¬ 
dern. Beim peripheren Kreislauf kommen hierbei hauptsächlich in Betracht 
lähmungsartige und Übererregbarkeitszustände von verschiedener Ausdeh¬ 
nung und Dauer. Die Symptome dieser oft unangenehmen Erscheinungen 
können häufig irreführen, indem die entstehenden Erscheinungen in ein 
in diesem Gefäßbezirk liegendes Organ verlegt werden oder dort Reflex¬ 
vorgänge auslösen oder nur lokale bestehen. Am Herzen kann es infolge¬ 
dessen zu richtigen Dilatationen und Hypertrophien kommen. 

Die Lähmungen können (bakterio)toxogener und neurochemischer Natur 
sein (Störungen der inneren Sekretion). Am deutlichsten tritt dies bei der 
Pneumonie auf. Die hier zur Verfügung stehenden meist subkutan anzu¬ 
wendenden Mittel sind zunächst das bei uns noch nicht recht eingebürgerte 
Strychnin, der Kampfer und das energischer wirkende Koffein. Die Digitalis 
kommt nur in Betracht, wenn bei einer infektiösen Erkrankung schon eine 
ältere Myokardschädigung vorliegt oder diese im Verlaufe der Krankheit z. B. 
bei Typhus auf tritt. Ferner sind zu erwähnen: Äther (nur ein starker physikali¬ 
scher Reiz), Alkohol (in kleinen Dosen), die Hormone, namentlich das 
Adrenalin. Dieses mächtige Agens kann aber gelegentlich gefahrvoll sein: 



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Referate und Besprechungen. 


413 


Versagen des linken Herzens, Lungenödem, starker Druckabfall nach der 
vorübergehenden ersten Wirkung. 

Außerdem gibt es noch solche peripheren Schwächezustände, bei denen 
weniger die Anspruchsfähigkeit, als vielmehr der Tonus gesunken ist, mit 
im wesentlichen dunkler Ätiologie. 

Die Erhöhung der Erregbarkeit kann rein lokal oder dauernd, event. 
progredient am ganzen Kreislauf auftreten. Hier Gesichtspunkte: Behand¬ 
lung der Grundkrankheit. Z. B. Digitalis bei CO? Überladung des Blutes 
bei Schwächzuständen, Diät und Diurese bei chronischen Nierenkrankheiten, 
Jod bei Arteriosklerose. Hier stehen zu Gebote die zentral auf die Ner- 
venzentren wirkenden und die peripher die Gefäßwand direkt angreifen¬ 
den Mittel; von den letzteren sind zu erwähnen Amylnitrit, Koffein, Diure- 
tin, ev. Vasotonin. v. Schnizer-Höxter. 

Faucher (Vichy), Zur Heilung der Enteroptose. (Bull. m<ki. 1912, Nr. 4, 
S. 43—45.) 

Des langen Aufsatzes kurzer Sinn ist der, daß Dr. Faucher eine 
Bandage konstruiert hat, welche nicht allein angenehm zu tragen ist und 
dabei alle Beschwerden beseitigt, sondern welche auch nach einigen Jahren 
sich selbst überflüssig macht, indem sie die Enteroptosen, Prolapse usw. 
heilt. Die Beispiele von geheilten Eventrationen bei 60-jährigen Frauen 
klingen kaum glaublich. Mit einer dieser Geheilten bedauert gewiß jeder 
Leser, daß keine Photographien von vorher und nachher existieren. 

Merkwürdigerweise spricht F. immer nur von insuffizienten Muskel¬ 
fasern. Er verkennt also das Wesen der ptotischen Vorgänge; denn nicht 
das Kontraktionsvermögen ist dabei herabgesetzt, sondern die elastischen 
* Qualitäten, der Tonus oder wie man sonst sagen will. Aber diese Dinge 
werden immer durcheinandergeworfen, als ob die Konstruktionskünstlerin 
Natur zum dauernden Tragen von Lasten die teuer arbeitenden Muskel¬ 
elemente verwendet hätte und nicht die billigen elastischen Fasern. Indessen, 
um welches Element es sich auch handeln mag: die vollständige Reparatur, 
Restitutio ad integrum erfolgt bei beiden auch unter den günstigsten Be¬ 
dingungen kaum je völlig, und ganz gewiß nicht mehr bei alten Leuten. 
Auch bei der größten Bereitwilligkeit zum Glauben drängen sich mithin 
immer wieder bösartig skeptische Bedenken auf. Buttersack-Berlin. 

Cathelln, F. (Paris), Nierenkrankheiten und Milchdiät. (Le l’abus et du 
danger du rögime lacte dans les suppurations chirurgicales du rein et de la 
veesie. Gazette möd. de Paris 1912, Nr. 130, S. 21/22.) 

Cat hei ins geistreicher Landsmann J. Joubert (1754—1824) hat 
in seine Pensees, Essais et Maximes auch diesen Spruch aufgenommen: 
„Nous avons trop l’habitude et trop la facilite des abstractions; notre esprij 
se paix de mots qui, comme une espece de papier monnaie, ont une valeur 
convenue, mais n’ ont aucune solidite.“ C a t h e 1 i n war dieser Satz offen¬ 
bar nicht gegenwärtig, sonst hätte er ihn gewiß als Motto über seinen Auf¬ 
satz gesetzt. Denn das Wort: Albuminurie gleicht wirklich solch einer 
espece de papier monnaie sans aucune solidite. Eiweiß — Nierenentzün¬ 
dung — Milchdiät, das ist in vielen Köpfen eine unlösbare Kombination, 
wie andere die Elemente: Lues — Paralyse — Quecksilber nach Art logi¬ 
scher Schlüsse zu behandeln pflegen. Wer diesen Schluß nicht mitmacht, 
wird verlacht oder als ein unangenehmer Kerl betrachtet, der sich Autoritäten 
nicht fügen will. Die alte Weisheit von Sa 1 tust: Quieta non movere kleidet 
Joubert in die Form: Nous aimons tellement le repos d’esprit que nous 
nous arretions ä tout ce qui a quelque apparence de vörite, et nous nous 
endormons sur les nuages. 

Wie oft, führt der Meister der Urologie aus, sind mir nicht schon 
Kranke zugeschickt worden, welche ihre Arzte der Albuminurie halber auf 
Milchdiät gesetzt hatten! Die Leute w'aren häufig zum Skelett abgemagert, 
weil sie die Milch nicht ertragen konnten, und ich mußte sie zunächst erst 
wieder durch eine gemischte Diät auf die Beine bringen. Gewiß, die Leute 
hatten Eiweiß im Urin, aber das war nicht die Hauptsache. Daß die Urino 


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Referate and Besprechungen. 


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trüb waren, wenn auch nur bei durchfallender starker Beleuchtung erkenn¬ 
bar, das ist das Entscheidende. In solchen Fällen — bei albuminurieß 
pyoides, ou leucocytaires, ou chirurgicales — sowie bei albuminuries geni¬ 
tales und albuminuries digestives verordne man keine Milchdiät. Sie ist 
zwecklos; die Albuminurie ist dabei nur sekundär. 

Vielleicht sind dem einen oder andern die differential-diagnostischen 
Winke von Wert, welche Cat hei in zur Unterscheidung von Nierenaffek- 
tionen gibt, ob sie ins Gebiet der inneren Medizin oder in das der Chirurgie 
fallen. Es gehören zu den 


chirurgischen Formen 

1. Krankheiten ohne reine Albu¬ 
minurie, 

2. Krankheiten mit Eiterkörperchen, 

3. Krankheiten ohne Zylinder, 

4. Krankheiten ohne Ödeme, 

5. Krankheiten ohne erhöhten Blut¬ 
druck, 

G. einseitige Nierenaffektionen, 

7. Mischformen aszendierenden und 
deszendierenden Charakters, 

8. Krankheiten mit Schmerzen, 

9. Formen ohne Urämie und — 
meist auch — ohne Anurie, 

10. Affektionen ohne Rückwirkung 
auf das Allgemeinbefinden. 

Die Dringlichkeit, mit welcher C a t h e 1 i n auf diese Dinge hinweist, 
läßt die Vermutung entstehen, daß Mikroskop und Zentrifuge nicht von 
allen französischen Ärzten ausgiebig zur Diagnose herangezogen werden. 

Buttersack-Berlin. 


medizinischen Formen 

1. wahre, reir.c Albuminurien, 

2. Krankheiten ohne Eiter im Urin, 

3. Zylindrurie, 

4. Krankheiten mit Odemen, 

5. Krankheiten mit erhöhtem Blut¬ 
druck, 

6. doppelseitige Nierenaffektionen, 

7. Krankheiten mit ausschließlicher 
Beteiligung der Gefäße, 

8. Krankheiten ohne Schmerzen, 

9. Anurie und Urämie, 

10. Formen mit Allgemeinstörungen. 


Wolpe, Über den Einfluss des organischen Phosphors auf das Uleus ventriculi. 

(Therapewtitscheskoje Obosrenje 1911, 13.) 

Bei längerer Anwendung des Phytins bei Ulcus ventriculi sah Verfasser 
den Gehalt an Formelementen des Blutes insbesondere an Leukozyten sich 
steigern, ebenso den Prozentgehalt des Hämoglobins; die Blutreaktion des 
Magen-Darminhaltes verschwand, was W. als ein sicheres Zeichen der ein¬ 
getretenen Vernarbung ansieht; die Entzündungserscheinungen wurden eher 
zum Schwinden gebracht, die Granulationsbildung wesentlich begünstigt. 

Schleß-Marienbad. 

Dufour, Nicht punktierbare Pleuritiden, sofern die Luft nicht In die Pleura 
elndringen kann. „Blockierte Pleuritiden.“ (Paris m6d. vom 3. Febr. 1912.) 

Die nicht so seltene Erscheinung, daß bei sicherem Pleura-Erguß eine 
Punktion mit Aspiration des Exsudats nicht gelingt, obwohl die Nadel frei 
durchgängig ist und im Rippenfellraum steckt, hat dieselbe Ursache, wie 
die Unmöglichkeit, aus einer vollen, vollständig abgeschlossenen Flasche 
durch eine dünne Kanüle den Inhalt zu aspirieren, falls nicht für den Zu¬ 
tritt der Luft an anderer Stelle gesorgt wird; (oder wie die Unmöglichkeit, 
ein rohes nur an einer Stelle offenes Ei auszusaugen): nämlich Starr¬ 
heit der Wandungen des gefüllten Hohlraumes. Diagnostisch ist der Zustand 
dadurch sicher zu erkennen, daß bei Einstechen einer zweiten Kanüle für 
den Luftzutritt die Aspiration gelingt. Sehr selten ist eine „totale Blokage“, 
wobei die gewöhnliche Aspiration von vornherein mißlingt. Häufiger liegt 
eine „partielle Blokage“ vor, wobei zuerst einige Flüssigkeit aspiriert wird, die 
Hauptmenge aber nicht ohne weiteres folgt und wobei die Forcierung der 
einfachen Aspiration zu albuminösem Auswurf (Lungenödem), Dyspnoe usw. 
führt. — Bei frischen Ergüssen ist die Ursache der Blokage eine gleich¬ 
zeitig vorhandene Hepatisation der Lunge, welche die Lungenelastizität aus- 
öchaltet, während die nicht stets vorhandene und unbeträchtliche Ver¬ 
drängung von Zwerchfell und Thoraxwand nur einem kleinen Bruchteil des 
Exsudats die Entfernung gestattet. Bei älteren Ergüssen ist eine starre 



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Referate und Besprechungen. 


415- 


Retraktion der Lunge Ursache der Blokage. — Die Behandlung der Blokage 
fällt mit dem Vorgehen zur diagnostischen Sicherung des Zustandes zu¬ 
sammen. Rosenberger. 

Schurupow, Lebensdauer der Pestbazillen in Pestleichen. (Russki Wratsoh. 
1911, 27.) 

Als Leiter einer Expedition zur Erforschung der hauptsächlichsten Pest¬ 
herde der Kirgisensteppe hatte Verfasser Gelegenheit, an einem sehr reich¬ 
haltigen Material Untersuchungen vorzunehmen. Als wesentlichstes Ergebnis 
seiner Beobachtungen hebt Sch. die Tatsache hervor, daß virulente Pest¬ 
bazillen sich bis zu einem Jahr in Leichen halten können. 

Schleß-Marienbad. 

Esmcin, Cb. (Paris, Höpital Beaujon), Praekordi&lschmerzen. (Lesdouleurs 
de la rögion pröcordiale. Bullet, med. 1912, Nr. 8, S. 83 — 96.) 

ln der Klinik von Prof. D e b o v e im Höpital Beaujon wurde eine 
48 jährige Frau vorgestellt, welche seit 31 Jahren an einem bald mehr, 
bald weniger heftigen Druckschmerz in der Herzgegend leidet. Die sich 
zunächst aufdrängenden Diagnosen: Perikarditis, Angina pectoris, Pleuritis, 
Dyspepsie mit Magenerweiterung, Erweiterung des Colon transversum, 
Interkostalneuralgie, Tabes, Mastodynie, Herzpalpitationen mußten alle ver- 
verworfen werden, bis man schließlich bei dem von J. Makenzie be¬ 
schriebenen chronischen Präkordialschmerz im Gefolge von Klappenfehlern 
stehen blieb. Namentlich die außerordentliche Druckempfindlichkeit der 
linken Hals- und Brustseite nach Art der H e a d’schen Zonen wirkte da 
bestimmend mit. 

Wie der Klappenfehler gerade bei der in Rede stehenden Patientin 
zu Präkordialschmerzen führen soll, während das sonst nicht zum klini¬ 
schen Bilde gehört, zwingt natürlich zu Erklärungen. Makenzie nimmt 
einen Röflexe viscöro-sensitif an; d. h. die normaliter unterhalb des Be¬ 
wußtseins sich abspielenden zentripetalen Reize vom Herzen zum Rücken¬ 
mark werden bei Erkrankungen bemerklich und irradiieren auch auf andere 
Leitungen, z. B. die Hautnerven. Nach dieser Erklärung müßten logischer¬ 
weise alle Endo- und Myokardkranken, oder wenigstens die Mehrzahl, an 
Präkordialzuständen leiden; da die6 nicht der Fall ist, so muß diese Er¬ 
klärung als zuviel erklärend bei Seite geschoben werden. Es me in zieht 
deshalb den Faktor der Dilatation des Herzens heran. Aber er fühlt mit 
Recht, daß dagegen genug Einwände zu erheben sind, und zieht deshalb 
noch einige „hysterische“ Symptome bei seiner Patientin heran. Das wäre 
ganz gut, wenn die Hysterie das Primäre gewesen wäre. Viel wahrschein¬ 
licher ist es aber doch, daß die Frau, welche 31 Jahre hindurch von solchen 
Präkordialsensationen heimgesucht wurde, am Ende „nervös“ geworden ist. 

Der Leser von negativ-kritischer Veranlagung wird somit zu dem Resul¬ 
tat kommen: Non liquet. Positive Kritik dagegen wird sagen: Mit Hilfe 
der augenblicklich vorhandenen anatomischen und physiologischen Kennt¬ 
nisse sind solche Krankheitszustände nicht aufzulösen. Also: treten wir 
aus diesem Rahmen heraus und riskieren wir ganz neue Anschauungen, 
mögen sie auch den Vertretern der alten Schule mißfallen. „Porro, non- 
nullis forsan sententiae novitas displiceat: sed et forsitan praeter causam.“ 
(Franc. Glisson. Fractatus de naturasubstantiaeenergeticae. MDCLXXII.) 

Buttersack-Berlin. 

Fraenkel, Prof., Über die Anwendung subkutaner Heroineinspritzungen bei 
Asthma cardiale nebst Bemerkungen über kardiale Dyspnoe. (Therap. Monats¬ 
heft© 1912, H. 1.) 

Außer längerer Verabreichung der Digitalis zwecks Verhinderung einer 
temporären Leistungsabnahme des linken Ventrikels oder namentlich bei 
stark sklerotischen Koronararterien Koffein, event. für Herabsetzung peri¬ 
pherer Widerstände Vagotonin, außer 3 Inhalationen während des Anfalls, 
namentlich mit Cheyne-Stakes’schem Typus verdient das Heroin zur Be¬ 
kämpfung dyspnoelischer Zustände, namentlich des kardialen Asthmas ebenso 
wie als hustenstillendes Mittel in Zukunft eine größere Aufmerksamkeit. 


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4i«; 


Bücherschau 


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Bei wiederholter Darreichung keine Abnahme seiner Wirksamkeit, wie beim 
Morphium. 

Dosis 0,005 pro Injektion allmählich steigend bis 0,01, höchstens 
0,01 g. Bei vorsichtiger Behandlung keineswegs ein bedenkliches Mittel. 

Oft empfiehlt sich eine Kombination mit Morphium (Morph, hydrochl. 
0,2, Heroin hydrochlor. 0,1, Aq. 10,0. Höchstdosis 0,01 M. N.-}- 0,005 
H. N.). 

Allerdings gibt es Fälle von kardialem Asthma, die sowohl gegen 
Morphium wie gegen Heroin refraktär sind. v. Schnizer-Höxter. 

Gottlieb, Erich, Zur Klinik der epidemischen Genickstarre. (Äretl. Standes¬ 
zeit. [Die Heilkunde] 1911, Nr. 23.) 

G. berichtet über einen Fall von mit Serum behandelter Meningitis 
cerebrospin. epid., an die sich nach Heilung nach einem kurzen Stadium 
von Manie eine typische Idiotie anschloß, die zeitweise durch Aufregungs¬ 
zustände kompliziert erscheint. S. Leo. 

Burke, Ch. B. (Jowa), Ein bemerkenswerter Muskelrellex bei Typhns. 
<New-York med. Journ. 1911, Nr. 25.) 

Wenn man einen Typhuskranken die Arme leicht über der Brust kreuzen 
läßt und dann den Bizeps zwischen Daumen und Zeigefinger kneift, so 
entsteht an dieser Stelle eine Kontraktion der Muskelfasern, die sich aber 
nicht auf den übrigen Muskel fortsetzt. 

Natürlich „erklärt“ C h. B. Burke diese Erscheinung mit Hilfe eines 
„Toxins“; das ist ja bequem, denn niemand kann das Gegenteil nachweisen, 
und außerdem entspricht solch eine „Erklärung“ dem Geschmack der Zeit. 
An dem eigentlich Interessanten geht B. vorbei. 

übrigens hat m. W. schon vor Jahren Rollet ähnliche Erscheinungen 
beschrieben bei Personen, bei denen von Toxinen keine Rede war. 

Buttersack-Berlin. 


ßücherschau. 

Mugdan, Fr. (Freiburg i. B.), Periodizität und periodische Geistesstörung 
— Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiet der Nerven- und 
Geisteskrankheiten. (IX. Band, H. 4. Halle a. S. C. Marhold, 1911. 18 Seiten; 
Mk. 0,75.) 

Die vorliegende Abhandlung ist mehr eine logische als eine klinische 
Studie. Die Hauptsache darin ist die Definition des Begriffs der Periodizi¬ 
tät. Wir haben eine solche vor uns, wenn in zeitlich gesetzmäßigen Inter¬ 
vallen logisch verwandte Ereignisse eintreten, und zwar aus endogenen, 
nicht aus exogenen Gründen. Kurz berührt werden als Typen periodischer 
Geistesstörungen die Zyklothymie (= pathologische Stimmungsschwankun¬ 
gen relativ leichter Art), das manisch-depressive Irresein, und das periodische 
Schwanken der Hirnfunktion. — 

Die Erscheinung der Periodizität ist m. E. eine derjenigen, die das 
Interesse und das Nachdenken am meisten herausfordern. Man kann die 
Kurve der Arsis und Thesis — wie J. H e n 1 e pich ausgedrückt hat — 
über das verhältnismäßig engbegrenzte Einzelwesen hinaus verfolgen und 
auf größere Einheiten wie Familien, Stämme, Völker ausdehnen. Man kann 
es auch in der Entwicklung der Künste und Wissenschaften suchen und 
wird dann finden, daß sich die Epochen der Produktivität periodisch folgen. 
Bei noch genauerem Zusehen wird man dann auch gewahr, daß diese pro¬ 
duktiven Epochen nur Emanationen einiger weniger, schöpferischer Geister 
sind, welche ihrerseits auch nur in kurzen, glücklichen Augenblicken das 
Neue fanden, von dem dann auf lange Zeiten hinaus die Masse der Mensch¬ 
heit zehrte. Indessen, solche Betrachtungen, wie sie einst B i c h a t und 
später Furtwängler angestellt haben, treten über den Rahmen rein 
logischer Untersuchungen, wie die von Mugdan, hinaus, regen aber doch 
vielleicht den einen oder anderen zu weiterem Nachdenken an. 

Buttersack-Berlin. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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1912 


30. Jahrgang 

Tortscbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 


Prof. Dr. 6. Köster PtIp.-Doz. Dr. p. Crlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Dannstadt, Grüner Weg 86. 



Erscheint wStbenllUb sum preise von 8 (Dark für bas 



. Balbjabr. 

4. April. 

Nr. 14. 

Carl Marhotd Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
Alleinige Inseratenonnabme burcb (Dax Gelsöovt, 
Annoncen-Bureau, Cberswalbe bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechsel¬ 
beziehungen zueinander. 

Von Sanitätsrat Dr. M. Bresgen-Wiesbaden. 

„Darum ist der Zustand der grössten augenblicklichen Seelen¬ 
lust augenblicklich auch der Zustand des grössten körperlichen 
Wohles.“ 

Schiller, Ueber den Zusammenhang der tierischen Na¬ 
tur des Menschen mit seiner geistigen. Dissertation 1780. § 13 

Wenn man auch sich bescheiden und bekennen muss, dass man das 
wahre Wesen und den wirklichen Umfang der Dinge nicht zu enträtseln 
vermag, so darf man doch sich der Zuversicht erfreuen, dass eine fort¬ 
laufende Entwicklung im allgemeinen, eine stetige Vervollkommnung 
des Erkenntnisvermögens mit dem Dasein an sich verknüpft ist. 

Seele und Körper gehören zusammen. Das sagt der Menschheit 
und dem einzelnen die Erfahrung, die ewig sich wiederholenden Erleb¬ 
nisse menschlichen Erkennens. Aber diesem ist wie so vieles auch die 
Seele etwas Unbegreifliches, etwas, das man durch Worte begrifflich 
nicht bestimmen kann. Weshalb sollen wir uns nun immer noch mühen, 
das Unendliche der Seele in eine endliche Form zu bringen ? Wer möchte 
dies Unendliche wohl heute noch ernstlich als das Ergebnis derTätigkeit 
von Hirn- oder anderen Nerven-Zellen betrachtet wissen! Hier wie 
dort kann doch niemals ein strenger Beweis geliefert werden. „Auch 
ist nicht zu leugnen, dass die Empfindung der meisten Menschen 
richtiger ist, als ihr Raisonnemont; erst mit der Reflexion 
fängt der Irrtum an.“ ] ) Ganz so w r ie in den Anfängen des Christen¬ 
tums: sobald die Griechen die Philosophie in die „christliche Religion 41 
hineintrugen, wurde diese eine Glaubens lehre, unter der allezeit 
eine wirklich religiös empfindende Menschheit schw’er gelitten 
hat. Wer rein zu empfinden vermag, wer alles Unbegriffliche lediglich 
dem Erleben in seinem Innern anheimstellt, bedarf keines „Raison- 
nements“, keiner „Reflexion“ usw., und quält sich nicht mit unmög¬ 
lichen Beweisen ab. Wer so den menschlichen Trieb, sich alles bis ins 
kleinste erklären zu wollen, zähmt, wer so von vornherein von den Ge- 


l ) Schiller. Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Jena 1905. Eugen Diede- 
richs. 2. Band, S. 270. 


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Bresgen, 


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logenheiten zu Trugschlüssen möglichst sicli frei zu halten versucht, 
hält sich auch frei von aller ein wahrhaftiges Empfinden hindernden 
Vorpersönlichung von ,,Seele“ und ,,Gott“‘), hält sein Inneres, seine 
Seele ,,empfindlich“ für jedes Erleben, für jede Einwirkung solch’ un- 
hegrifTlicher Begriffe. Denken“ kann man sich diese Dinge nicht; 
sie unterliegen gewissermassen einem Selbstgetriehe, das durch Absicht 
und Nachhilfe gestört und gehemmt wird. Mit welch’ feinem Empfin¬ 
den hat doch Goethe sich von jedem Glaubenssatze zu befreien, wie 
leicht und überzeugend hat er doch in seinem Ausdrucke „Gott-Natur“ 
eine so unlösbare Frage zu umschreiben vermocht! 

Was seelenhaft in uns ist, jener für unabsichtliche Wahrhaftigkeits- 
Strahlen so empfindliche Empfindungs-Purpur — wie der Sehpurpur 
im Auge für Lichtstrahlen — unseres Seelenspiegels, nimmt alle Wahr¬ 
heiten als innerliche Erlebnisse wahr, Erlebnisse, die sich uns nur schen¬ 
ken, wenn wir der Arbeit des Lebens auf reinen, absichtslosen Wegen 
der Wahrhaftigkeit mit nur frohem, vertrauensvollem Herzen obliegen. 1 ) 
Aber unser Seelenspiegel ist nur rein, wenn er nicht durch Absichtlich¬ 
keiten angehaucht ist, ein Zustand, in welchem ein Spiegel ein Erlebnis 
überhaupt nicht oder doch nur verzerrt wiedergeben kann. Daran mag 
cs auch liegen, dass Wahrheiten so überaus häufig nicht in die „Köpfe“ 
der Mitlebenden hineingehen; sie sind nicht erfüllt von jener selbstlosen 
Wahrhaftigkeit, die die Seele freimacht von aller Furcht. Zur furcht¬ 
losen Wahrhaftigkeit muss die Seele sich entwickeln, um Wahrheiten 
überhaupt „empfinden“, ..erleben“ zu können. So lange noch Beweise 
gefordert, so lange noch Erwägungen und dergleichen zur „Erkenntnis“ 
als nötig erachtet werden, wird die Seele in ihrer Entwicklung gehemmt, 
so dass oft erst nach einem Menschenalter und länger der Eispanzer 
der Rechthaberei und des Vorurteils von ihr herunterschmilzt.’) 

Wie also muss die Seele ihrer „Entwicklung“ obliegen ? — Nicht 
anders wie auch der Körper! Von Stufe zu Stufe steigt dieser in seiner 
Entwicklung aufwärts, wenn er den Gesetzen der Natur entsprechend 
allezeit zweckmässig gepflegt oder, besser gesagt, nicht zweckwidrig 
„misshandelt“ wird. Das ist die „Erziehung“ des Körpers zu dem 
Ziele, seine schlechten Eigenschaften zu schwä¬ 
chen, die guten aber zu stärken und immer lebens¬ 
kräftiger zu gestalten, damit diese die ersteren beherrschen 
und ausschalten können. So wird seine Widerstandskraft gestählt 
gegen Schwächen allerlei Art, und seine natürlichen Kräfte lassen ihn 
obsiegen über krankmachende Eindringlinge und Krankheiten selbst. 

1 „Es wird nur von einem persönlichen Gott gesprochen. Wir wissen, der 
Mensch ist Person nur zwischen Geburt und Grab; im Grabe zergeht die Person. Persön¬ 
lich und Person sind also Bezeichnungen für Vergängliches und Begrenztes; Gott aber ist 
unvergänglich und unbegrenzt, mithin kann er nicht Person und persönlich sein.“ Paul 
Kurth, Die Frohnatur vom Schöpfer her — vernichtet durch das Priestertum. Berlin 
1911. K Skopnik. 

’) „Ich kämpfe nicht um Wahrheit; sie lässt sich nicht festhalten, nicht erzwingen. 
Sie schenkt sich selbst. Ich kämpfe um allerpersön.ichste Wahrhaftigkeit. Sie ist Arbeit 
und Krone des Lebens und der einzige Weg zur Wahrheit.“ G. Tra ub, Staatschrietentum 
oder Volksküche, S. 18. Jena 1911. Diederichs. 

s ) „Deshalb ist es auch für originelle Geister ein so sicherer Weg, im lieben Vater¬ 
land zu etwas zu kommen, wenn sie die Einsicht haben, sich still, geduldig zunächst dreissig 
Jahre insGrah zu legen.“ Karl Ludwig Schleich, Von der Seele. S. 101. Berlin 1910. 
S. Fischer Verlag. — Aehnlich äussert sich über das Totschweigen oder geringschätzige Be¬ 
urteilen selbständiger Geister. F. Buttersack (Die Elastizität eine Grundfunktion des 
Lebens S. 30, 39 Stuttgart 1910. F. Enke), indem er schreibt: „vielleicht hat er seiner 
Zeit vorausgedacht., keine Resonanz gefunden.“ 


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Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechselbeziehungen zueinander. 419 


Das sind Nöte des Körpers, die nur durch Erziehung, natür¬ 
liche Entwicklung des letzteren für jene derart nutzbar zu machen 
sind, dass sie selbst bewältigt werden können, so oft sie sich auch infolge 
menschlicher Unvollkommenheit geltend zu machen vermögen. 

Nicht anders verhält es sich mit den Nöten der Seele. Sie 
werden nur durch deren Erziehung, ihre Entwicklung und Veredlung, 
mehr und mehr abgeschwächt und bewältigt, ohne sie doch ganz und auf 
die Dauer tilgen zu können. Damit bilden sie dann die ständige Ursache 
für eine niemals zu vernachlässigende Wachsamkeit, die uns die 
Elastizität des Körpers und der Seele erhalten hilft. 
Denn nur geistige und körperliche Regsamkeit erhält jene natürliche 
Spannung in uns, die der Elastizität zugrunde liegt und uns jung erhält, 
nicht nur in unseren Anschauungen und in unserer Tatkraft, sondern 
auch im Aussehen unseres Körperlichen. 

Diese Elastizität bietet dem uns beherrschenden Sympathikus, 
dem „entwicklungsgeschichtlichen Urvater aller Nerventätigkeit“ 1 ) 
das natürliche Gegengewicht. Je mehr die Elastizität durch eine ge¬ 
sund heitsmässige Lehensführung entwickelt und auf solcher Höhe er¬ 
halten wird, um so weniger kann selbst eine durch den täglichen, aber 
lauteren „Kampf ums Dasein“ (nicht aber durch den nur selbstsüchti¬ 
gen „Amerikanismus“) verursachte scharfe Inanspruchnahme des Sym¬ 
pathikus die Lebenskräfte ernstlich gefährden. Es gibt so lange keine 
wirkliche „Abhetzung“, so lange der „Lebensnerv” in der Elastizität 
sein volles Gegengewicht findet. Jedoch der dauernde Verlust 
der Elastizität mit dem damit verknüpften Erlöschen des Kreislaufes 
des Blutes ist der Tod. 

Die Elastizität ist also eine Eigenschaft, und, auf unseren Körper 
angewendet, die Fähigkeit in allen seinen Teilen jederzeit allen äusseren 
und inneren Einwirkungen so standzuhalten, dass er durch solche nicht 
im geringsten dauernd notleidet. Die Elastizität stellt gewissermassen 
ein schwebendes Gleichgewicht dar, wodurch nicht nur der 
augenblicklich angegriffene Teil, sondern das Ganze in die zur Abw’ehr 
nötige erhöhte Spannung sofort zu geraten vermag. Die Elastizität, 
als Trägerin der Saft- und Blut-Bewegung des Körpers, ist die hin- 
und herflutende Kraft der lebenden Zelle. Die Elastizität ist das Leben, 
und die Quelle aller Kraft, die Sonne, muss ihr Urgrund sein. 

Unsere ganze Körpermasse ist in allen ihren Teilen von Blut- und 
Saft-Gefässen, und mit ihnen von den feinsten Verzweigungen des 
Sympathikus, des „eigentlichen Lebensnerven“, durchzotren. So muss 
auch jede lebende Zelle, w'enn auch für uns noch unsichtbar, irgendwie 
an ihn angeschlossen sein, weil ihr Leben abhängig ist von solchem An¬ 
schlüsse. Der Sympathikus muss es sein, der von überallher Reizungen 
und Hemmungen empfängt und überallhin weitergibt. Denn er ist 
der einzige Nerv, der, weil Gefässnerv, überall im Körper verbreitet 
ist. Ihm muss geradezu die Blutverteilung im Körper unterstellt sein. 
Wie könnten w r ir uns sonst das Erröten erklären 1 Wie vermöchten wir 
ohne solche Annahme zu begreifen, dass das Trinken kalten Wassers 
den Durst steigert, w^armes Wasser solchen löscht! In diesen und anderen 
ähnlichen Fällen sorgt der Sympathikus für eine den Umständen nach 

*) Schleich, Von der Seele. S. 137. — Weiter nennt er das sympathische Ner¬ 
vennetz „den frühesten Nerv“, „der Seele Erstgeborenen“, „den eigentlichen Lebensnerv“ 
(S. 198 f.), „der Nerven Stammherre“ (S. 229), „den Urahnen der Nervensubstanz“, „diese 
Stammeswurzel der Menschheit“ (S. 249 f.). 

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Bresgen, 


notwendige Veränderung der Blutverteilung. Dabei wird die Elastizität, 
sein Widerpart, zweckmässig jeder Uebertreibung entgegenwirken. 
In ebenmftssiger Bewegung erhält sie auch die oft in Erregung wider 
einander sich neigenden einzelnen Teile des Körpers. Der „Rhythmus“ 
der Elastizität trägt alle zu gemeinschaftlichem Nutzen über jede 
Gefahr. 1 ) — 

Wenn Verstand und Vernunft bei der sogenannten psychischen 
Behandlung, die man eine geistige im Gegensatz zur seelischen nennen 
müsste, grosse Erfolge erringen, ohne diese indes gewöhnlich zu Dauer- 
Erfolgen gestalten zu können, so muss man Umschau nach wirksamerem 
Vorgehen halten. Buttersack') schreibt sehr richtig, „dass jenei 
Arzt, neben dem der Kranke noch einen besonderen Seelsorger im 
Priestergewande begehrt, recht weit von dem Ideal eines Arztes entfernt 
ist“ und dass „religiöses Empfinden heute unmodern geworden ist.“ 
An anderer Stelle*) schreibt er: „Die körperliche und seelische Harmonie 
muss so fest verankert sein, dass auch grosse Stürme keine Bresche 
reissen.“ Und die einfache Beobachtung: „Wie ein böses Gewissen 
mutet es an, dass von religiösen und anderen nicht zum business ge¬ 
hörenden Dingen zumeist nicht gern gesprochen wird.“ 

Wer auf dem Grunde seiner Seele zu lesen versteht, wer die Aeusse- 
rungen dieser als Verstand und Vernunft sowie als religiöses Empfin¬ 
den auseinander zu halten durch Erziehung sich befähigt hat, wundert 
sich nicht, wenn die an sich zusammen gehörenden Eigenschaften 
Mängel und erhebliche Verschiedenheiten in ihrer Wirkung zeigen, 
sobald sie auseinander gerissen werden und nur unvollständig zur Ver¬ 
wertung gelangen. Wenn die Seele das Göttliche in uns ist, so müssen 
allen ihren Eigenschaften^auch göttliche Kräfte innewohnen. Und so 
ist es ja auch: Verstand und Vernunft vermögen so herrliche Früchte 
zu bringen, dass ihr Ursprung keinen Augenblick zweifelhaft ist. Aber 
ihre volle, andauernde Kraft wird ihnen nur dann zuteil, wenn 
sie durch religiösen Sinn noch mehr veredelt, ihnen auch der Schein 
jeden Eigennutzes, der der menschlichen Hülle entstammt, ferngehalten 
worden ist. 

Weshalb ist nun aber besonders auch unsere Zeit dem „religiösen 
Empfinden“ so abhold; weshalb sind gerade die Aerzte so wenig geneigt, 
auf diese Frage sich einzulassen ? — Weil die Kirchen aus dem schlichten, 
eigentlich jedem Menschen angeborenen religiösen Empfinden einen 
Glaubens zwang gestaltet haben! Dieser aber macht so zarte Re¬ 
gungen w'ie religiösen Sinn erstarren zu einer hohlen Form, die bei 
wirklich denkenden Wesen keinen Gleichklang mehr zu wecken vermag. 
An uns Aerzten aber ist es, die Menschenseele 
von erstarrten hohlen Formen zu befreien und 
ihnen damit die ganze göttliche Kraft wieder zu geben, die in ihrer 
Vollkommenheit notwendig ist, um die Gesunden stark erhalten, die 
Kranken aber wieder gesund machen zu helfen. „Unser Innenleben 

*) „Statt trocken aufzuzählen, was alles für unser letztes Streben und für unsere letzten 
aus dem Geschehen abstrahierten Gesetzmässigkeiten dem Rhythmus unterliegt, dem Rhyth¬ 
mus, diesem wogenden Wellen von Sein und Nichtsein, von Stirb und Werde der Bewegung, 
vom Aufbäumen und Verlöschen tiefinnerlichster Triebe, statt diese endlose Kette der rhyth¬ 
mischen Beziehungen trocken aufzuzählen, kann man kühn fragen: was ist denn eigentlich 
nicht rhythmisch? — und es gibt auf diese Frage nur eine Antwort: Es ist nichts ohne 
Rhythmus!“ Schleich, Von der Seele. S. 9. 

*) Nichtarzneiliche Therapie innerer Krankheiten. 2 Aufl. Berlin 1903. Hirschwald S. 64 

s ) Mängel in der psychischen Konstitution unserer Zeit. Monatsscbr. für suz Medizin 
1904. 1. Band. S. 586f. 570. 


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Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechselbeziehungen zueinander. 421 


wird nicht eher wieder gesunden, als bis wir zu einer Wahrhaftig¬ 
keit in der Religion gelangen, wie sie heute leider fehlt“ (Rudolf 
E u c k e n). „Jedermann muss echter Wissenschaft, in Verehrung 
gegenüberstehen und ihr alle erdenkliche Förderung zuteil werden lassen. 
Dadurch vertieft er nur seinen religiösen Sinn, seine voraussetzungs¬ 
lose Frömmigkeit, mag er seinen Gott nur so verehren, wie es sein 
Herz ihm eingibt, nicht wie menschlicher Glaubens¬ 
wahn und Glaubenszwang etwa vorschreiben. Es 
besteht also zwischen echter Wissenschaft und wahrhaftiger Religion 
nicht der geringste Gegensatz.“ 1 ) 

Dass das wirklich sich so verhält, bezeugt auch ein Ausspruch des 
Sozialdemokraten Pens*) im „Volksblatt für Anhalt“, indem er 
schreibt, „dass die modern-naturwissenschaftliche Weltanschauung 
nichts spezifisch Sozialdemokratisches ist und nicht notwendig zu anti¬ 
religiösen Ergebnissen führt, und dass eine mit wissenschaftlicher Er¬ 
kenntnis nicht im Widerspruche stehende Religion hohen Wert hat für 
den einzelnen Menschen und sein Glück, wie für das Kulturleben der 
Menschheit.“ 

„Was aber alle Forschungsrichtungen einigen sollte, das ist die 
Anerkennung der menschlichen Unzulänglichkeit gegenüber den letzten, 
entscheidenden Rätseln. Wahre Rildung des einzelnen richtet sich nach 
dem Masse der Ehrfurcht, deren er fähig ist im Angesicht der Erhaben¬ 
heit und der rings vorhandenen Wunder der Welt“ (Schleich, 
Von der Seele, S. 131). Die tausend Lücken in unserem Wissen „mutig 
offen zu zeigen, ist die unabweisbare Pflicht der Wahrhaftigkeit, 
die gleicherweise die Wissenschaft wie den religiösen Sinn fördert. 
Da kann man gern mit Goethe sich in dem einstweiligen Bewusst¬ 
sein bescheiden, das Erforschliche erforscht zu haben, das Unerforsch- 
liche aber demütig zu verehren“ (M. Bresben, Aerztliehe Beein¬ 
flussung. S. 9). 

„Es ist für den Arzt — wie für jeden Erzieher — unerlässlich zu 
wissen, in welch’ hohem Grade der Zustand der Seele und des Körpers 
gegenseitiger Beeinflussung unterworfen sind. Er muss sich auch be¬ 
wusst sein, dass körperliche und seelische Eigenschaften zu jeder Zeit 
des Lebens durch Erziehung in wirksamster Weise zu beeinflussen 
sind, am besten natürlich in frühester Jugendzeit.*) Kein Mensch darf 
von sich sagen, er sei nun einmal so, seine Vorfahren seien auch so ge¬ 
wesen, an den ererbten Eigenschaften sei nichts zu ändern. Des ist 
sachlich schon unrichtig, weil keine Eigenschaft, selbst in einer lebenden 
Person, unverändert sich erhält; sie wird gesteigert oder geschwächt! 
Auch persönlich ist es unzutreffend; denn jeder Mensch sucht je nach 
seinem Bildungsgrade, je nach seiner Selbsterkenntnis, je nach seinen 
Leiden und Freuden gewisse Eigenschaften zu stärken, andere zu 
schwächen“ (B r e s g e n , w'ie oben S. 31 f.). Die aus ruhiger Beob¬ 
achtung gewonnenen Eindrücke fördern das Wachstum der persönlichen 
Selbständigkeit, führen zu eigenem Schaffen und bilden allmählich 
den Edei-Menschen heraus, der die angehäuften Tatsachen toten Wissens 
nach Ursachen und Wirkungen durchforscht und so mit wirklichem 

l ) M. Bresgen, Die ärztliche Beeinflussung des Kranken. I.eipzig 1911. ß. Thieme. 
S. 8. — Man vergl. die Besprechung di. ser Schrift durch Buttersack in „Fortschritte 
der Medizin“. 1911. Nr 10. 

*) Christliche Freiheit 1912. Nr. f>, Sp 07. 

*1 Buttersack nennt dies „vorausschauende Erziehung“ (Mängel in der psychi¬ 
schen Konstitution unser«r Zeit. S 569 


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Bresgen, 


Leben durchdringt. Seele und Körper eines jeden Menschen sind mit 
unendlich mannigfaltigen Fähigkeiten und Kräften begabt, die durch 
eine der Eigenart eines jeden angepasste „Erziehung“ zur höchsten 
Schöpferkraft den einzelnen zu erheben vermögen. 

„Der Einfluss des Zustandes des Körpers auf den der Seele wird 
gemeinhin viel deutlicher wahrgenommen, als der der Seele auf den 
Körper, das letztere aber besonders aus dem Grunde, weil man noch zu 
wenig an dieses Wechselverhältnis zu denken sich gewöhnt hat. Wie 
nun bei der Erziehung im allgemeinen krankhafte Eigenschaften beson¬ 
ders sorgfältig beachtet, mit ausgesuchter, aber natürlicher, von Herzen 
kommender Liebe und Milde beeinflusst werden müssen, so darf auch de' 1 
Arzt bei seinen Kranken keine Eigenschaft des Körpers und der Seele 
bei der Durchführung des Heilplanes ausser Betracht lassen. Aber 
bewmsst muss er sich auch sein, dass er den Kranken selbst dabei so 
erziehen muss, dass er nach seiner Heilung nicht nur 
fähig, sondern auch gewillt ist, das zu tun, was 
seine Augenblicks-Heilungallein zu einer Dauer¬ 
heilung zu gestalten vermag. An erster Stelle muss der 
Arzt ihm helfen erkennen, wo hier und wo dort ein Hebel anzusetzen ist, 
wo Nachlässe und wo Anspannungen erforderlich sind, und diese Er¬ 
kenntnis muss, um sie in die Tat umsetzen zu können, mit Ver¬ 
trauen auf das Gelingen erfüllt werden. 

,,An der richtigen Bewertung aller Wechselbeziehungen zwischen 
Seele und Körper und in ihrer Anwendung im Heilverfahren liegt eine 
grosse Gewähr für dessen Gelingen. Es gibt Beispiele ohne Zahl, in 
denen durch seelische Einwirkung allein eine Gemütskrankheit dauernd 
geheilt wurde; aber auch andere, scheinbar nur körperliche Krankheiten 
erfuhren auf gleichem Wege die gleiche glückliche Wendung. Es ist 
ja wohl längst kein Glaubenssatz mehr, dass eine gesunde Seele nur in 
einem gesunden Körper sich finde. Wir kennen zuviel körperlich Kranke, 
die sich zu einer frohen Gesundheit der Seele durchzuringen vermochten, 
die sich überhaupt von vornherein nicht „unterkriegen“ Hessen. An¬ 
dererseits gibt es so viel körperlich scheinbar Gesunde, die eine 
nichts weniger als gesunde Seele besitzen. Das alles muss man 
sich gegenwärtig halten, um nicht der irrigen Auffassung zu verfallen, 
als w'enn die Seele der Tyrann des Körpers wäre. Aber sie ist als geistige 
Kraft mehr als der Körper geeignet,. die gegenseitige Beeinflussung 
stärker und öfter zur Tat werden zu lassen, als der Körper. Sie ist das 
uns überkommene göttliche Pfund, das, richtig behandelt, wächst und 
sich fortentwickelt, so dass sie unter gewissen Umständen den Körper 
in seinen Verrichtungen aufs günstigste zu beeinflussen vermag, ebenso 
wie eine schlecht entwickelte, ungünstig beeinflusste Seele dem Körper 
schweren Schaden zu bringen imstande ist. Nur eine in ihrer Anlage 
infolge Vernachlässigung verkümmerte oder durch verkehrte Erziehung 
in ihrem Gleichgewicht gestörte Seele vermag durch körperliche Krank¬ 
heit auch krank zu werden. Eine gesund entwickelte Seele vermag 
selbst bei schwerster körperlicher Krankheit nichts von ihrer Gesundheit 
einzubüssen. Sie stellt auch als Gewissen eine selbsttätige Ausgleichs¬ 
vorrichtung dar“ (M. Bresgen, wie oben S. 32 ff.). 

Wie gewinnt nun die Seele jene furchtlose, zu ihrer Entwicklung 
nötige Wahrhaftigkeit, die jedem Wahrheits-Erleben voraus¬ 
gehen muss, die „Persönlichkeiten ohne Eigennutz“ erstehen lässt ? — 
Furcht und Frohsinn sch Hessen sich gegenseitig aus. Furcht lähmt, 


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Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechselbeziehungen zueinander. 423 


Frohsinn weckt alle Kräfte! Die Kräfte der Seele aber müssen ge¬ 
weckt werden, um ihre Entwicklung fördern zu können, müssen gemehrt 
werden, um dem leiblichen Körper diejenige Widerstandskraft zu 
verleihen, deren er bedarf, um sich der Umklammerung krankmachender 
Ursachen und Umstände möglichst erwehren zu können. Nichts lässt 
die natürlichen Kräfte so sehr in Wirksamkeit treten wie Froh¬ 
sinn und Zuversicht in das Gelingen. Die dadurch hervorgerufene 
Entschlossenheit hinwiederum lässt auch weiter keine Furcht mehr 
aufkommen. Solche freudige Mitwirkung der Seele entfesselt im Körper 
alle Kräfte zur Bildung der höchstwertigen Gewebsspannung (Elasti¬ 
zität 1 ), ohne die keine Krankheit überwunden, ohne welche Gesund¬ 
heit dauernd nicht erhalten werden kann. 2 ) 

Sind das nicht ganz natürliche Empfindungen! Wer wäre sich nicht 
bewusst des Suchens der Seele, des Sehnens des Menschen, das immer 
darauf gerichtet ist, eigene Mängel auszugleichen und ununterbrochene 
Anregung zur fortschreitender Vervollkommnung zu finden und dadurch 
zu Freude und Stärke zu gelangen! Jeder Körper ist krank oder doch 
schwach, dessen Seele nicht gesund ist. Und diese ist immer krank, 
wenn sie nicht in Wahrhaftigkeit aufgeht. Die Wahrhaftigkeit aber 
tilgt jede Furcht, weil jene jeden Gedanken, jede Handlung mit Zu¬ 
versicht offen bekennen kann. 

Wahrhaftiges Verhalten allezeit und allerorten ist Religiosität, 
ist Nächstenliebe, ist „das ganz unpersönliche Gernhaben des in jedem 
liegenden Guten“. (Bresgen wie oben S. 21.). Gerade das voraus¬ 
setzungslose Gernhaben eines jeden wegen der in ihm liegenden gött¬ 
lichen Eigenschaften entspricht so recht den Grundbedingungen der 
Naturgesetze, denen es „überall weniger auf das Individium, 
als auf die Art, weniger auf das Wohlbefinden des einzelnen, als auf die 
ungestörte Fortentwickelung des Ganzen ankommt, zwei Gesichts¬ 
punkte, von denen der eine menschlich, vergänglich, der andere zeitlos 
und ewig ist“ (Schleich, Von der Seele S. 171). Der göttliche 
Wille des Ganzen, das A r t w o 1 1 e n , steht also dem Einzelwillen, 
der Ichsucht, der Selbstsucht entgegen — Krankheiten der Seele, die 
den Willen unfrei niederhalten in der nebligen Dämmerung rein- 
persönlicher Begierden. Die Bedürfnisse der Art, die Lebensbedingun¬ 
gen aller Menschen, das Wohl des ganzen Volkes bedingen ein 
vorurteilsfreies, wahrhaftiges Verhalten des Einzelnen, soll das Ganze 
nicht nur, sondern in ihm auch dieser gedeihen. Nur das Göttliche in 
uns, das Unterbewusste, der im Laufe der Geschlechter in uns auf¬ 
gespeicherte und durch fortlaufende Erfahrungen veredelte und ge¬ 
sicherte, der Art nützliche Besitz vermag den Willen eines jeden frei 
von Selbstsucht, also wahrhaft frei zu machen, wenn er dem Artwollen, 
dem göttlichen Willen des Ganzen, nachstrebt und in ihn aufgehen 
lässt alles persönliche Wollen zugunsten des Artwollens! 

Aber die Selbstsucht, diese schwere Krankheit der Seele, 
ist bei der Entwicklung des Materialismus zur rastlos emporgepeitsch¬ 
ten einseitigen „Technik“ förmlich zur schamlosen Anbetung des gol¬ 
denen Kalbes hinabgesunken. „Wahrlich wir sind in einem klassischen 

*) Ich kann nicht dringend genug die eingehende Beschäftigung mit der oben ange¬ 
zogenen Schrift B u 11 e r « a c k’a über die Elastizität empfehlen 

2 ) „Und fortlaufende, zweckentsprechende Uebung des Geistes und Körpers bietet Ge¬ 
währ nicht nur für Erhaltung, sondern auch für Vermehrung und Veredlung ihrer Kräfte“. 
(Bresgen, Aerztliche Beeinöussung. S. 45. 36). „Körperliche Untätigkeit schwächt eben 
die Elastizität des Geistes ebenso wie jene der Gewebe.“ (Buttersack, Elastizität S 164. 70'. 


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424 Bresgen, Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechselbeiiehungen zueinander. 


( ?) Zeitalter, und unser Trieb ist: technische Vollkommenheit. Was 
Wunder, wenn bei diesem rasenden Anstürme der aufsteigenden, auf¬ 
wärtsführenden Instinkte die Probleme des Herzens, der Sittlichkeit, 
der Religiosität, der Ehrfurcht, der Behaglichkeit, des sich Genügeseins 
zu kurz kommen! Das ist die Gefahr schnell vorwärts brausender 
Kultur“'), wenn sie des religiösen Untergrundes 
entbehrt. An solchem Mangel muss schliesslich jede Kultur zer¬ 
schellen, wie das die Geschichte schon so oft erwiesen hat. Jede vor¬ 
wärts strebende Kultur wird durch Pflege der Religiosität nur geadelt, 
veredelt, indem sie das schrankenlose, rücksichtslose Dahinstürmen 
verhindert und die vornehme Ruhe des unpersönlichen, selbstlosen, 
sachlichen Kampfes vor dem niedrigen Gemetzel der Begierden bewahrt. 
Nur die Religiosität vermag wieder vornehmes, 
künstlerisches Gefühl in die Seele der Menge ein¬ 
ziehen zu lassen, auf dass der Einzelwille der 
Selbstsucht entkleidet werde und im Wo hie des 
Ganzen das höchste eigene Glück geniesse. Dann 
w’ird auch im politischen wie im kirchlichen Leben das wahr werden, 
was im beiden das höchste sein soll: Erziehung zu wahrhaf¬ 
tiger Freiheit des Willens und zu reiner Selbst- 
losigkeitzu gunstenaller! Dann geht den Nachfahren nichts 
von dem verloren, was die Ahnen durch ihre Tüchtigkeit, durch Uebung 
ihrer Fähigkeiten, durch Veredlung ihrer geistigen und körperlichen 
Eigenschaften nicht nur für sich, sondern für ihr ganzes Geschlecht 
erwarben. Durch ihr Wirken schufen sie „Persönlichkeiten ohne Eigen¬ 
nutz“, die dem Staate, der Kirche, der Gemeinde, der Familie ihre 
Dienste widmeten, ohne an sich selbst zu denken, geschweige Vorteile 
für sich zu erhoffen, oder solche gar sich zu sichern. 

Zukunfts-Musik! wird mancher leichthin denken. Da soll der Ein¬ 
zelne zugunsten der Gemeinschaft zugrunde gehen ! Da bleibt dann aber 
auch keine Gemeinschaft übrig! — Das sind aber doch nur Hirngespinste 
der Furcht, die das Vertrauen auf die eigenen Kräfte und auf andere 
lähmt — Hirngespinste, denen „sicher all’ die Befürchtungen folgen 
werden, die man von vornherein gehegt hat“, Hirngespinste, deren 
fröhliches Versinkenlassen uns sofort erkennen lässt, „dass alles Un¬ 
angenehme uns nur soweit plagt, als wir es fürchten“ (Bresgen, 
Aerztliche Beeinflussung. S. 53 u. 54). 

Entwicklung, Wandlung der Seele und des Körpers, wie ich sie zu 
schildern versucht habe, beanspruchen naturgemäss lange Zeit, weil 
es sich eben um Veredelung von Eigenschaften handelt, die mit zahl¬ 
reichen Einzelwillen verknüpft sind. Insofern kann wirklich nur die 
Zukunft das wahrmachen, wms hier in Rede steht. Abernochnie- 
mals wurde Grosses in den Allgemeinbesitz überge¬ 
führt, wenn nicht einzelne fortgesetzt mit ihren 
Kräften, ja selbst mit ihrem Leben dafür eintra¬ 
ten! Ein kämpfende Minderheit kann nie zum Siege gelangen, wenn 
ihr Glaube an die von ihr vertretene Sache kein felsenfester ist. Nur 
ihre unbeugsame Zuversicht auf die siegende Kraft einer Wahrheit 
vermag die Entschlossenheit und Tatkraft zu erzeugen, die zum Duroh- 
dringen der schwer beweglichen Masse, zur Entzündung der Begeiste¬ 
rung für neue, ihre Bequemlichkeit beeinträchtigende Forderungen 


*) Schleich, Von der Seele. S. 23S. 


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Baud, Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


425 


ganz besonders wenn sie sich auf die „Zähmung“ des eigenen Selbst 
beziehen, unerlässlich sind. Grosses reift nuran Grossem, 
weil es die Tüchtigkeit der Seele zur Vorausset¬ 
zung h a 11 


Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 

Von Dr. Andreas Baud, 

Arzt der Gesellschaft zur Bekämpfung der Tuberkulose in Frankreich. 

(Schluss). 

Beobachtungen des Dr. G h y s in Antwerpen. 

Beobachtung 32. 

Fräulein V. E. . ., 20 Jahre, Näherin. Kommt zu mir gegen Ende 
Juni. Hustet seit einer Brustfellentzündung vor 0 Monaten. Ist seit¬ 
dem regelmässig behandelt worden, doch wurde ihr Zustand immer 
schlimmer. Ununterbrochener Husten und reichlicher, brauner eitriger 
Auswurf. Die Kranke wurde täglich blasser, der Appetit fehlte voll¬ 
ständig. die Menstruation hatte vollständig aufgehört. Temperatur 
39,5°. Bei der Untersuchung des Auswurfs fanden sich sehr zahlreiche 
Koch’sche Bazillen. Häufiges zerstreutes Rasseln im ganzen oberen 
Teil des rechten Lungenflügels. In der rechten Lungenspitze eine Höh¬ 
lung. Die Kranke hat im Vorjahre eine Schwester an der Tuberkulose 
verloren. Es wird Bettruhe verordnet und mit den Dioradineinsprit- 
zungen begonnen. 

Ich machte eine Serie von 32 Einspritzungen in einem Zeitraum 
von 50 Tagen. Die erhaltenen Resultate sind glänzend. Die Temperatur 
ist auf 37,8” (Maximum) gesunken; das Rasseln und Knarren ist fast 
ganz verschwunden; die Höhlenatmung in der Lungenspitze dauert 
allein noch fort; Auswurf erfolgt höchstens noch 4—6 mal in 24 Stun¬ 
den; die Menstruation hat sich wieder eingestellt: der Appetit ist gut. 
•der Schlaf normal, die Gewichtszunahme beträgt, 7 kg. 

Die Kranke wird noch eine zweite Serie Einspritzungen erhalten. 

Beobachtung 33. 

Handlungskommis, 23 Jahre, kam zu mir am 7. Juni 1911. Er 
isf krank seit einem Jahr: es begann mit einer Erkältung, die ihn 14 Tage 
ans Bett fesselte. Seitdem haben Husten, Auswurf und Schweis» nicht 
mehr aufgehört. Er hat etwa 10 kg abgenommen und ist sehr blut¬ 
arm. Er hatte mehrmals Bluthusten. Die Mutter ist an Tuberkulose 
gestorben. Bei der Auskultation ergibt sich, dass die rechte Lungen¬ 
spitze angegriffen ist. Knarren und Rasseln in der ganzen oberen Hälfte 
des Lungenflügels. Die Temperatur steigt regelmässig bis 38,5°. Die 
Untersuchung des Auswurfs ergiht Koch’sche Bazillen in sehr grosser 
Anzahl. Die Röntgenuntersuchung bestätigt den Ernst des Zustands. 
Das ist auch die Ansicht eines Kontrollarztes einer Versicherungsgesell¬ 
schaft, der dem Kranken nur noch einige Wochen gibt. Vom 10. Juli 
ab erhält er 30 Einspritzungen. 

Die Resultate sind objektiv wie subjektiv glänzend. Der Kranke 
hat 6 kg zugenommen. Der Husten ist fast ganz verschwunden, der 
Auswurf schaumig und selten geworden. Die Auskultationssymptomo 
sind fast ganz verschwunden. Eine am 25. August aufgenommene 
neue Röntgenphotographie ergiht ein total verändertes Bild. Am 
20. August wollte der Versicherungsarzt, als er den Kranken wieder¬ 
sah, ihm alle Hilfe entziehen, da er ihn für arbeitsfähig ansah. Ich 


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42(5 


Baud, 


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widersetzte mich dem und schickte den Kranken zn einem kurzen 
Aufenthalt aufs Land. Bei seiner Rückkehr werde ich mit einer zweiten 
Einspritzungsserie beginnen. 

Beobachtung 34. 

J. P. . ., Diamantarbeiter. Hatte vor 3 Jahren während 6—7 
Wochen Brustfellentzündung mit Erguss. Seit Beginn dieses Jahres 
Husten und Auswurf. Da sich dies bis Mai nicht besserte, riet ihm 
jemand, sich an einen hydrotherapeutischen Charlatan zu wenden. 
Dieser behandelte ihn auf seine Weise während sieben Wochen. In 
diesem Zeitpunkt wandte er sich an mich. Er hatte 7 kg abgenommen, 
fröstelte, vollständig appetitlos, sehr starke Nachtschweisse. Puls 115. 
Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass die rechte Lungenspitze 
stark angegriffen ist. Dämpfung des Perkussionsschalles, Knarren. 
Ausserdem Rasseln in der ganzen Brust. Ahendtemperatur 30,5. Eine 
in diesem Zeitpunkt aufgenommene Röntgenphotographie zeigt Ver¬ 
dichtungskerne in beiden Lungenflügeln und eine merkliche Verdunke¬ 
lung der rechten Lungenspitze. 

Die Wasserbehandlung wird nun sofort eingestellt, Bettruhe und 
tägliche Dioradineinspritzungen verordnet. 

Nach 35 Einspritzungen sind Husten und Auswurf fast ganz ver¬ 
schwunden. Der Appetit ist wiedergekehrt, und die Abendtpmperatur 
unter 37 gefallen. Die Gewichtszunahme beträgt 5 kg. Eine neue 
Photographie zeigt eine bemerkenswerte Aufhellung des Lungenbildes. 
Ich gedenke noch eine zweite Einspritzungsserie bei diesem Kranken 
zu machen. Ich habe alle diese ca. 100 Einspritzungen in die Gesäss- 
muskcln gemacht, ohne dass je der mindeste Schmerz oder eine Ent¬ 
zündung vorkam. Nach diesen ermutigenden Resultaten habe ich 
keine Bedenken mehr gehabt, das Mittel in meiner Privatpraxis an¬ 
zuwenden. Ich wende es gegenwärtig bei vier neuen Kranken an; 
ebenso drei andere Aerzte, die mich konsultiert hatten, bei drei ihrer 
Kranken. 

Beobachtungen des Dr. Armand Melba, Kommunaloberarzt 
in Budapest. 

Es handelt sich hier um 6 Fälle von Lungentuberkulose, 3 von 
chirurgischer Tuberkulose, 1 Fall von tuberkulöser Hautentzündung 
und 3 Fälle von Miliartuberkulose. 

In den Lungentuberkulosefällen konnte er jedesmal eine wesent¬ 
liche Besserung schon während der Behandlung feststellen;'3 Fälle 
wurden geheilt, 2 stark gebessert, bei einem erfolgte ein Rückfall nach 
drei Monaten. 

Ebenso glänzend waren die bei chirurgischer Tuberkulose und 
Lupus erzielten Resultate. Der eitrige Ausfluss an den Beinen, Rippen 
und Wirbeln verwandelt sich in kurzer Zeit in wässerige Flüssigkeit; 
bald hörte die Absonderung der Wunden überhaupt auf, und sie ver¬ 
narbten schnell. 

Beobachtung 35. 

Frau Johann P. . ., die Frau eines Friseurs im Dorf Wekerle. Be¬ 
ginn der Behandlung 10. Juli 1911. Dämpfung des Perkussionsschalles 
an beiden Lungenspitzen, feuchtes Knarren. Zwei Wochen vor Beginn 
der Behandlung werden zahlreiche Bazillen festgestellt. Blutspeien. 
Gewicht 33 kg. Temperatur morgens 37.9°, abends 38,5°. Appetit¬ 
losigkeit. Morgens viel Auswurf. 



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Beiträge zur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


427 


Alle zwei Tage eine Dioradineirspritzung (1 ccm). Der Auswurf 
nimmt während der ersten Tage ab, die Lungenspitzen werden frei, 
die Atmung besser. Der Appetit bessert sich, während die Temperatur 
bei 38,2" stehen bleibt. Gewichtszunahme 1 kg. Die Kranke erhält 
von nun ab tätlich eine Einspritzung von 1 ccm Dioradin. Nach 30 Ein¬ 
spritzungen kein Husten und kein Auswurf mehr, doch starker Huster. 
Sie klagt über Trockenheit im Hals. Die Gewichtszunahme beträgt 
2 kg. 

Nach 40 Einspritzungen lässt die Auskultation keinen Unterschied 
mehr an den Lungenspitzen feststellen. Die Atmung ist normal und die 
Kranke ging geheilt nach Pecsvärad. 

^ Beobachtung 30. 

P. G. . ., Reisender, hat seit 3 Jahren periodischen Auswurf. 

Die Behandlung beginnt am 15. Juli. Gewicht 05 kg. Reichlicher 
Auswurf mit Bazillen. Temperatur morcens 37,0; abends 38,2“. Alle 
zwei Tage eine Dioradineinspritzung von 1 ccm, im ganzen 20. Ge¬ 
wichtszunahme 1,500 kg. Der Kranke fühlt sich geheilt und nimmt 
seine Arbeit wieder auf. 

Beobachtung 37. 

Frau H. M. . . ., Frau eines Schlossers in der Zentralwerkstatt 
der ungarischen Staatseisenbahnen. 

Ich habe sie vor einem Jahr während ihrer Schwangerschaft bei 
einer Lungenentzündung behandelt; seitdem hustet sie fortgesetzt mit 
Temperaturerhöhung abends. Abmagerung. Im Februar gebar sie ein 
unentwickeltes Kind. Am 15. Juli beträgt der Gewichtsverlust 16 kg, 
mehrmals Blutspeien, hartnäckiger Husten, reichlicher Auswurf, zahl¬ 
reiche Bazillen. Gewicht 56 kg. Vollständige Appetitlosigkeit. 

Zehn Dioradineinspritzungen von 1 ccm alle zwei Tage. Gewichts¬ 
zunahme 400 g. Husten und Auswurf nehmen ab, der Appetit nimmt 
zu. Nach weiteren 20 täglichen Einspritzungen beträgt die Zunahme 
4 kg. Sie stellt wegen des Todes ihres kranken Kindes die Behandlung 
ein. Sie ist wieder arbeitsfähig. 

Beobachtung 38. 

Frau V. J. . ., 24 Jahre; Krankheitssymptome in den Lungen¬ 
spitzen. Die mikroskopische Untersuchung des Auswurfs ist positiv. 
Temperaturerhöhung, Abmagerung. 

Die Behandlung beginnt am 19. August; sie erhält im ganzen 
30 Einspritzungen, nach denen die Gewichtszunahme 1,500 kg be¬ 
trägt. Die Symptome in den Lungenspitzen verschwinden. Die Kranke 
betrachtet sich als geheilt. Wrr haben sie seitdem nicht wiedergesehen. 

Beobachtung 39. 

Frau K. F. . ., 26 Jahre, Beamte der Ungar. Staatsbahnen. 

Deutliche Symptome in den Lungenspitzen. Temperatur morgens 
38", abends 38,8°. Sie wurde von ihrer Schwester angesteckt. Erste 
Konsultation am 20. August. Die Untersuchung des Auswurfs ist 
negativ. Diätetische Behandlung. Am 10. Oktober kommt sie wieder 
wegen Bluthusten. Die Untersuchung des Auswurfs ist positiv. Gewicht 
56 kg. 

Nach 20 täglichen Einspritzungen hat sie 3 kg zugenommen. 


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Baud, 


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Das Fieber ist verschwunden, kein Husten mehr. Sie betrachtet sich 
als geheilt und nimmt die Arbeit wieder auf. 

Beobachtung 40. 

Schwester der vorigen. Temperatur morgens 38,5°, abends 39,3°. 
Hat seit Jahren starken Bluthusten. Blennorrhoe, Parametritis. 

Die Behandlung beginnt am 10. Juni. Gewicht 65 kg. Starke 
Symptome in beiden Lungenspitzen. Nach 15 Einspritzungen ist das 
Fieber verschwunden, der Appetit besser, die Gewichtszunahme be¬ 
trägt 1,500 kg. Doch musste sie das Bett hüten wegen ihrer Para¬ 
metritis und hatte hysterische Krisen. Die Einspritzungen werden 
während drei Wochen unterbrochen. Wieder Bluthusten, 2 kg Ge¬ 
wichtsabnahme, Temperaturerhöhung. 

Nach 30 weiteren Einspritzungen verschwindet das Fieber, aber 
die Untersuchung des Ausw'urfs ergibt ein positives Resultat. Ge¬ 
wichtsvermehrung 1 kg. Der Appetit ist besser, sie geht aufs Land. 

Einen Monat später kommt sie mit erneutem Bluthusten. Nach 
30 Einspritzungen ist sie fieberfrei. Die Lungensymptome sind ver¬ 
schwunden, sie hustet kaum noch. Die Parametritis hält sie jedoch 
auch weiterhin ans Bett gefesselt. 

Beobachtung 41. 

M. P. . . ., 4 Jahre, wurde vor zw'ei Jahren wegen eines Buckels 
in der chirurgischen Klinik behandelt. Er ist seitdem bettlägerig und hat 
auf beiden Seiten eiternde Fisteln. Auch beide Schienbeine sind ver¬ 
eitert. Im Monat August hatte er in der Höhe des 7. Wirbels eine Eite¬ 
rung, Leistenfisteln, Infiltrationen. 

Vom 15. August ab tägliche Dioradineinspritzungen von 0,5 ccm. 
Die Wunden vernarben, die Fluktuation hört auf, die Drüsenentzündung 
ist vollständig verschwunden. Die Gewichtszunahme beträgt 1 kg. 
Das Kind läuft in einem anatomischen Korsett herum. Es hat noch 
4 kg zugenommen und befindet sich sehr wohl. 

Beobachtungen des Dr. D. V. Ricard aus Grenoble. 

Beobachtung 42. 

M. R. . ., Viehhändler in Grenoble. Bazilläre Kehlkopfentzündung 
mit Bronchitis. Krank seit 4 Jahren, vollständig stimmlos. Die zuge¬ 
zogenen Aerzte erklären im September 1911 den Fall für hoffnungslos. 
Kachexie, vollständige Appetitlosigkeit. 

Anfang September beginnen wir eine Serie von 40 Dioradinein¬ 
spritzungen. Am 20. November stellen wir bei der larvngoskopischen 
Untersuchung fest, dass die am Beginn der Behandlung vorhandenen 
Krankheitserscheinungen vollständig verschwunden sind. Er hat aus¬ 
gezeichneten Appetit, die Stimme kehrt wieder zurück. 

Die Essbeschwerden sind ebenso wie die Kehlkopfschmerzen 
bereits nach 6 Einspritzungen verschwunden. 

' \ • 1 ^ i* 1B eobachtung 43. 

Frl. T., 14 Jahre, in Grenoble. Bazilläre Bronchitis im 

zweiten Stadium. Der Beginn der Krankheit ist unbeachtet geblieben; 
als wir die Kranke zum erstenmal sehen, hat sie Hustenanfälle, abends 
Temperaturerhöhung, der Appetit ist schlecht, mitunter Erbrechen. 
Die bakteriologische Untersuchung ergibt die Anwesenheit von Koch- 
schen Bazillen. 



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Beiträge sur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


429 


Jetzt nach 30 Dioradineinspritzungen hat der Husten aufgehört, 
der Appetit ist ausgezeichnet. Wir erhoffen eine sichere Heilung. 

Beobachtungen des Dr. G a 1 a n d in Cambrai. 

Beobachtung 44. 

Junger Mann, 20 Jahre, Bronchitis infolge einer plötzlichen Er¬ 
kältung. Wiederholt Bluthusten. Höhlung in der linken Lungenspitze. 
Eitriger Auswurf. Fistel am Alter. Der Vater ist an Tuberkulose ver¬ 
storben. Er erhält zunächst eine Woche lang tägliche Dioradineinsprit¬ 
zungen, dann in längeren Abständen. Diese regen den Appetit an, 
heben das Gewicht und vermindern den Auswurf. Die Besserung ist 
also bedeutend, obwohl mit Rücksicht auf die erblichen Antezedentien 
die Prognose auch weiter ungünstig bleibt. 

Beobachtung 5. 

Hilfslehier, 22 Jahre, alte Pleuro-Pneumonie mit Emphysem, 
Atemnot, Auswurf, aber ohne Bazillen. Wechselnder Appetit, moralische 
Depression, geringer Kräftezustand. Ist einst mit dem Paratoxin des 
Professors Lemoine behandelt worden, das ihr momentan gebessert hat. 

Als er zu mir kommt, ist er blutarm und hustet heftig. Ich ver¬ 
schreibe ihm die Geraldy-Piller, die seine Blässe schnell beseitigen; 
dann erhält er zahlreiche intramuskuläre Dioradineinspritzungen. die 
ihm nach zwei Monaten erlauben, seinen recht lang unterbrochenen 
mühsamen Dienst wieder aufzunehmen. 

Der Dr. Zoltan-Kun, Chefarzt des Hospitals in Sarospatak, 
hat ebenfalls einige Tuberkulosekranke mit der Methode des Dr. S z e n- 
deffy behandelt. Er berichtet darüber folgendermassen: 

„Alle meine Kranken hatten starkes Fieber, Appetitlosigkeit, 
sehr stark Abmagerung, sehr viel Auswurf, stark bazillenhaltig, viel 
Nachtschweiss. Fünf davon waren ohne Resultat in einem Sanatorium 
behandelt wmrden. Einer davon hatte ausser Lungentuberkulose noch 
einen Brustfellerguss. Ein anderer, ein Kind von 6 Jahren hatte 
ausser Kehlkopftuberkulose eine eiternde Ohrenentzündung mit be¬ 
ständigem Kopfschmerz. Er war ausserdem durch Diarrhoe abgema¬ 
gert. Alle diese Kranken waren von ihren Aerzten für unheilbar er¬ 
klärt worden. 

Nach 10—12 Einspritzungen erfolgte Rückgang des Fiebers, des 
Nachtschw'eisses, des Auswurfs, Besserung des Appetits wie ich es noch 
durch kein vor dem Dioradin angewandes Mittel erzielen konnte. Der 
Zustand besserte sich noch weiter nach weiteren Einspritzungen, die 
nicht mehr täglich, sondern je nach der Individualität des Kranken 
mit Pausen nach je drei täglichen Einspritzungen oder überhaupt nur 
alle drei Tage gemacht wurden. 

Das Fieber und der Auswurf verschwanden bei 3 Kranken nach 
30 Einspritzungen vollständig. Die Gewichtzunahme betrug 2 kg, 
2,500 kg und 3 kg. Der Nachtschweiss hörte vollständig auf. Bei dem 
Kind hörte das Eitern der Ohren auf ebenso verschwand der Kopf¬ 
schmerz, die Schluckbeschwerden und die Atemnot.“ 

Theoretischer Teil. 

Bevor wir aus diesen klinischen Berichten über die Anwendung 
des Dioradins aut die verschiedenen Formen der Tuberkulose die ent- 


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Baud, 


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sprechenden Schlüsse ziehen, müssen wir vorher noch kurz die Resultate 
interessanter Laboratoriumsversuche berichten, die der Doktor v o n 
Szendeffy in Budapest angestellt hat, und die geeignet sind, ein 
neues Licht auf die Radiotherapie der Tuberkulose zu werfen. 

Bekanntlich ist der Doktor von Szendeffy der Entdecker 
des radioaktiven Jodmenthols (Dioradin), mit dem er schon seit mehr als 
fünf Jahren Versuche anstellt. U. a. hat er experimentell den Einfluss 
des Dioradins auf die Entwirkclung der Tuberkelbazillen festzustellen 
gesucht; und ebenso seine Wirkung auf künstlich tuberkilisierte Tiere. 

Die Kulturversuche erstrecken sich sowohl auf die Menschen¬ 
ais auch auf die Rindertuberkulose; bei der ersteren wurde eine Kar¬ 
toffel-, bei der letzteren eine Bouillonkultur verwandt. Es wurde mit 
verschiedenen Lösungen des reinen Dioradins experimentiert, indem 
der Mutterlösung Mandelöl in folgenden Verhältnissen zugesetzt wurde: 

/II 1 /ö 1 V*C1 '/soi VlOO! VäOO- 

Neben den Versuchen mit den einzelnen Lösungen wurden jedes¬ 
mal entsprechende Kontrollversuche mit den gleichen Kulturen an¬ 
gestellt. Die einzelnen Versuche wurden mit folgenden Nummern 
bezeichnet: 


Reines Dioradin Nr. 2 

Lösung 7i „ 3 

ii 'A ii 4 

1 / fj 

?1 /20 1 t u 

9? V 50 *1 f 

1/ s! 

11 /lOO 11 ° 

1/ o 

Nach allen bei solchen Versuchen notwendigen Vorsichtsmassregeln 
wurde folgendermassen vorgegangen: 

a) Die Kartoffelscheiben wurden mit den verschiedenen Lösungen 
übergossen, und dann die virulenten Kartoffelkeime eingeimpft. 

b) Bei den Rindertuberkuloseexperimenten bediente sich der 
Dr. von Szendeffy junger noch virulenterer Keime, die bei Ein¬ 
impfung den schnellen Tod der infizierten Tiere herbeigeführt hatten. 

Mit Ausnahme des Bouillons Nr. 9 zeigten die Kulturen in den 
ersten Tagen keinerlei Infektionsspuren. Die Kontrollkulturen dagegen 
trübten sich am Ende der zweiten Woche und die Entwicklung der 
Bazillen ging normal von statten. Erst in der vierten Woche zeigten 
die Bouillons und Kartoffelscheiben, die die stärksten Lösungen erhalten 
hatten, d. h. die Nr. 7—9, eine leichte Trübung, während sich die Kon¬ 
trollkulturen sehr stark entwickelt hatten. Auch in der Folge war 
diese späte Entwicklung von ausserordentlicher Langsamkeit und die 
Vermehrung der Bazillen sehr schwach. 

Aus diesen öfters mit immer gleichem Ergebnis wiederholten Ver¬ 
suchen hat der Dr. von Szendeffy folgende Schlussfolgerungen 
gezogen: 

1. Sowohl rein als auch im Verhältnis 1 : 5, 1 : 20, 1 : 50, 1 : 100, 
1 : 200 gelöst hindert das Dioradin 30 ccm einer Bouillonkultur oder 
einer Kartoffelkur eingeimpft auffallend stark die Entwicklung der 
Menschen- wie der Rindertuberkeln bei einer Temperatur von 37°. 

2. Die antimikrobisohe Wirksamkeit nimmt an Stärke und Dauer 
in direktem Verhältnis zur Konzentration des Dioradins zu. 

3. Das in den angegebenen Verhältnissen angewandte Dioradin 
hemmt die Entwicklung der Tuberkelbazillen und hindert ihr Wachs- 



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Beiträge tur Radiumtherapie der Tuberkulose. 


431 


tum und ihre Vermehrung während einer beträchtlichen Zeitspanne. 
Erst nach der Verflüchtigung des Dioradins beginnt eine langsame und 
spärliche Entwicklung der Bazillen. 

Was die Tierversuche des Doktors von Szendeffy anbetrifTt, 
so ist ein Bericht darüber schon in der Zeitschrift für Tuberkulose, 
Bd. XVIII, Heft 5, 1911 veröffentlicht worden. Die Resultate waren 
folgende: 

Die Toleranz bei den Meerschweinchen von 200—300 g und bei 
den Kaninchen von 900—1000 g war hervorragend. Die jeden zweiten 
Tag vorgenommenen Einspritzungen von radioaktivem Jodmenthol 
hatten keinerlei Vergiftungserscheinungen zur Folge. 

Die Widerstandsfähigkeit gegen die Infektion ergab folgende 
Resultate: zwei intraperitoneal geimpfte Versuchsmeerschweinchen 
starben das eine 6, das andere 10 Wochen nach der Infektion; die Lunge 
und das Bauchfell enthielten zahlreiche Tuberkeln. Ein 3 Tage hinter¬ 
einander mit 3 cg Jodmenthol präventiv behandeltes Meerschweinchen 
erhielt nach der Impfung tägliche Einspritzungen während zehn Tagen. 
Nach 6 Wochen seziert, wurden die Lungen in vollständig gesundem 
Zustand gefunden. 

Bei einer anderen Versuchsserie starben Meerschweinchen, die 
in die Bauchhöhle und am Schenkel geimpft worden waren, in 4—6 
Wochen. Andere in der gleichen Weise geimpfte Meerschweinchen, 
-die jeden zweiten Tag Einspritzungen von 3 cg erhielten, wurden ziem¬ 
lich schnell von den durch die Bazillen hervorgerufenen Geschwüren 
geheilt; sie waren noch 6 Monate nach der Infektion am Leben. 

Bei Infektion durch Inhalation muss die Behandlung spätestens 
14 Tage nach der Einleitung des Versuchs begonnen werden; nach 
Ablauf dieser Frist wirkt das radioaktive Jodmenthol nicht mehr, und 
die infizierten Tiere sterben binnen 6—8 Wochen. Die mit nicht säure¬ 
festen Bazillen geimpften Tiere starben binnen einiger Tage, jedoch 
in den Fällen, in denen die Bazillen weniger virulent waren, konnten die 
Tiere durch die Injektionen am Leben erhalten werden. 

Schlussbetrachtungen. 

Unter den 153 in der Zeitschrift für Tuberkulose Bd. XVIII, 
Heft 5, 1911, und Bd. XIX, Heft 2—3, 1911—12 veröffentlichten mit 
Dioradin behandelten Fällen finden sich nur 6 Todesfälle und 4 statio¬ 
när gebliebene. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Lungen¬ 
tuberkulose. Bei allen, selbst bei den schwersten Formen hat man eine 
schnelle Besserung des Allgemeinzustands, Hebung des Appetits und 
Verminderung der lokalen Krankheitserscheinungen beobachten können. 
Bei manchen sind die Bazillen vollständig verschwunden. Die Mehrzahl 
dieser Kranken befand sich in Fürsorgeanstalten oder in Volkssana¬ 
torien, d. h. die Patienten gehörten den bedürftigen Bevölkerungsklassen 
an, und lebten infolgedessen in den denkbar schlechtesten hygienischen 
und Ernährungsverhältnissen. Trotz der schlechten Bedingungen war 
-die durch die Dioradineinspritzungen hervorgerufene Besserung in der 
Mehrzahl der Fälle schnell und von Dauer. 

Die vorliegende Arbeit enthält aber noch überzeugendere Beob¬ 
achtungen. Die Mehrzahl der von Dr. AtkinsonStoneyin Dublin 
behandelten Kranken betraf hartnäckige, jeder Behandlung mit Tuber¬ 
kulin oder anderen Mitteln spottende Fälle von chirurgischer Tuber¬ 
kulose. Unter diesen Heilungen finden wir zwei Hüftgelenkentzündungen, 


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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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viele Jahre alte Knochenfisteln kompliziert mit beiderseitiger Neben¬ 
hodenentzündung, ein Tumor albus des Knies, ein nach 40 Einspritzungen 
geheilter Lupus, eine mit Lungentuberkulose komplizierte Bauch¬ 
wassersucht. Diese Fälle sind allen wissenschaftlichen Anforderungen 
entsprechend aufgenommen (bakteriologische Untersuchungen, Radio¬ 
graphie, Fieberkurven usw.), und können so nicht gut angefochten 
werden. Ebenso berichtet der Dr. D r o m a r d zwei Fälle von Knochen¬ 
tuberkulose, und auch unter den 153 von Dr. Bernheim in der Zeit¬ 
schrift für Tuberkulose veröffentlichten Fällen hatten sich bereits 
Heilungen von chirurgischer Tuberkulose befunden. Die übrigen Aerzte 
berichten über Lungentuberkulosefälle; alle stimmen jedoch überein, 
dass das Dioradin niemals allgemeine oder lokale Reaktionen hervor¬ 
ruft, dass es in ungewöhnlichem Mass die Nahrungsaufnahme fördert 
und jedenfalls wirksamer ist, als alle bis heute zur Bekämpfung der 
Tuberkulose verwendeten Mittel. 

Schlussfolgerungen. 

So lassen sich aus dem Vorstehenden folgende Schlussfolgerungen 
ziehen: 

1. Das Dioradin kann in allen Fällen von Lungentuberkulose 
ersten und zweiten Stadiums angewandt werden. Auch im dritten 
Stadium kann es noch von grossem Nutzen sein, wenn nur der Kranke 
noch genügende Widerstandsfähigkeit besitzt. 

2 . Das Dioradin ist ebenso wirksam bei chirurgischer Tuberkulose, 
wo seine Heilkraft selbst bei veralteten Fällen, wo alle anderen Mittel 
versagt hatten, nachgewiesen ist. 

3. Das in Serien von 40 Einspritzungen angewandte Dioradin 
bringt Fieber und Blutspeien zum Verschwinden und wirkt unmittelbar 
bessernd auf die Nahrungsaufnahme ein. Manche Kranke nahmen zti 
Beginn der Behandlung wöchentlich 1 kg zu. 

4. Das Dioradin ist nicht anzuwenden bei Miliartuberkulose (ob¬ 
wohl auch solche Fälle gebessert •worden sind), und in allen Fällen von 
Erkrankungen der Nieren oder schweren Affektionen des Herz- und 
Gefässsystems. 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Staphylomykose mit Lokalisation in den Brustwirbelkörpern. 

Von Dr. Oskar Adler. Vortrag gehalten am 19. Januar 1912 im „Verein deutscher 

Ärzte in Prag.“ 

Der Fall erschien klinisch in zweifacher Hinsicht von Interesse: 
einerseits durch die Schwierigkeiten, die sich anfangs der Diagnose 
gegenüberstellten, anderseits durch die seltenere Lokalisation eines 
osteomyelitischen Prozesses in den Brustwirbelkörpern. Der klinische 
Verlauf war kurz folgender: 4 Tage vor Aufnahme in das Krankenhaus 
wollte der Mann, der an einem kleinen in Heilung begriffenen Furunkel 
über dem rechten Schlüsselbein litt, sich aber sonst gesund fühlte, eine 
schwere Kiste heben. Zu diesem Zwecke steckte er eine hölzerne Hebe- 
stange unter die Kiste und versuchte mit den Knien die Stange nieder- 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


433 


zudrücken. Hierbei zerbrach diese, und der Mann fiel vornüber zu 
Boden. Er verspürte sofort stechende Schmerzen in der Kreuzgegend 
und allgemeines Unbehagen. Die Schmerzen strahlten nach vorn gegen 
den Bauch zu aus. An den nächsten Tagen fühlte er sich sehr elend, 
Stuhl und Winde waren angehalten, am dritten Krankheitstage soll 
eine unbedeutende Stuhlentleerung erfolgt, am 4. Tage Winde abgegan¬ 
gen sein. Der Kranke wurde von seinem Hausarzte wegen Verdachts 
auf peritonitische Reizung oder Darmokklusion der deutschen chirur¬ 
gischen Klinik (Prof. Schlöffe r) überwiesen. Ich hatte Gelegenheit, 
den Fall daselbst zu untersuchen. Der Kranke war hochfiebernd, klagte 
über Schmerzhaftigkeit in der Oherbauchgegend, der Bauch war massig 
aufgetrieben. Sonst bot der somatische Befund wenig Charakteristisches 
mit Ausnahme einer auffälligen Steifheit der Wirbelsäule beim Ver¬ 
suche, den Kranken aufzusetzen. Im Harn waren Eiweiss und Zylinder 
nachweisbar. Der Pat. wurde auf die I. interne Klinik (Hofr. P r i- 
b r a m) transferiert. Im weiteren Verlaufe beobachteten wir einen 
begrenzten, entzündlichen, auf Druck schmerzhaften Herd an der Haut 
des rechten Unterschenkels. Dieser Befund veranlasste zu einer bak¬ 
teriologischen Untersuchung des Blutes, wobei Staphylococcus pyogenes 
aureus in Reinkultur nachgewiesen wurde. Es traten weiterhin ähnliche 
Herde an den Streckseiten der Ellbogengelenke auf, ferner eine Druck¬ 
schmerzhaftigkeit im linken Prnstatalappen. Bei der Inzision des oben 
erwähnten Herdes am rechten Unterschenkel (Dr. Ru besc h) entleerte 
sich eine geringe Menge Eiter, der Staphylokokken in Reinkultur ent¬ 
hielt. 

Unter andauerndem hohen Fieber trat nach achttägigem Spital¬ 
aufenthalte der Tod ein. Wir möchten den Fall derart auffassen, dass 
der Furunkel am Schlüsselbein zu einer latenten Infektion führte. Das 
nachfolgende Trauma löste die Erkrankung der Brustwirbelsäule und die 
tödliche Allgemeininfektion aus. Bei der Sektion (Prof. Ghon) die die 
klinische Diagnose im wesentlichen bestätigte, fand sich u. a. ein 
schwerer osteomyelitischer Prozess in den unteren Brustwirbelkörpern. 
Nach der Literatur ist diese Lokalisation als ein äusserst seltenes 
Vorkommnis anzusehen. Autoreferat. 


Demonstration der Präparate eines Falles von Staphylomykose. 

Von Franz Liicksch. (Verein Deutscher Ärzte in Prag.) 

In Uebereinstimmung mit dem Kliniker musste auch der patho¬ 
logische Anatom Pyohämie diagnostizieren, u. z. eine typische, und 
nur die Lokalisation des Ausgangsherdes war eine seltenere. Es fand 
sich nämlich zunächst eine Narbe über dem rechten Schlüsselbein 
(Furunkel), ferner pine eitrige Osteomyclilis des S., 9. und 10. Brust¬ 
wirbels, davon ausgehend eine eitrige Phlegmone des prävertebralen 
Gewebes, multiple Lungenabszesse, Abszesse der Nieren, ein Prostata¬ 
abszess, akuter Milztumor und parenchymatöse Degeneration der 
Organp. 

Die bakteriologische Untersuchung der verschiedenen Abszesse 
ergab in Uebereinstimmung mit der klinischen Untersuchung Staphylo¬ 
kokkus pyogenes in Reinkultur. 

Die Deutung des Falles wäre also wieder in Uebereinstimmung 
mit dem Kliniker so zu geben, dass zunächst infolge-des Furunkels eine 
Staphylokokkenbakteriämie bestand, die keine weiteren Erscheinungen 

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Referate und Besprechungen. 


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machte; erst als durch das Trauma ein Lokus minoris resistentiae ge« 
schaffen war, kam es zu einer Ansiedlung der Bakterien im Bereiche 
der Wirbelsäule, von dieser nunmehr etablierten eitrigen Osteomyelitis 
aus erfolgte dann neuerdings eine Einschwemmung der Staphylokokken 
ins Blut und zwar diesmal in solcher Menge, dass es zur Ausbildung 
einer Pyohämie kam, welcher der Kranke auch erlag. 


Referate und Besprechungen. 

Innere Medizin. 

IMukuss, A. Weitere Erfahrungen über serologische Diagnostik, Verlauf und 
Behandlung dos_Karzinoins. (Deutsche nied. Woch. 1912, No. 2—3.) 

Verfasser findet in 93—94 o/o der Krebsfälle eine Erhöhung des Anti¬ 
trypsintiters, findet eine solche aber auch bei Krankheitsprozessen mit erhöh¬ 
tem Leukozytenzerfall; wo also die letztere Möglichkeit, z. B. durch Eiterpro¬ 
zesse, besteht, da ist die Reaktion nicht verwertbar. Der Hauptwert der 
Antitrypsinreaktion ist im negativen Ausfall zu suchen; weiter be¬ 
sitzt sie großen Wert für die Prognose nach Karzinomoperationen; Ver¬ 
fasser konnte unter 17 Fällen, die er weiter verfolgte, fünfmal durch 
wiederholte Feststellung eines niedrigen Titers trotz klinischen Verdachtes 
auf Karzinom das Fernbleiben von Rezidiven behaupten. Auf der anderen 
Seite fand er in 10 Fällen durch das Ansteigen des Titers den Verdacht 
auf Rezidiv bestätigt. Im Zustand schwerster Kachexie allerdings findet man 
den Titer nicht mehr erhöht, bezw. im Rückgang begriffen. Bei gut ge¬ 
nährten Menschen ist schon eine geringe Erhöhung nach der Operation 
verdächtig, bei schlecht genährten ist er oft schon an sich erhöht. — 
Die Meiostagminprohe bietet vor der Antitrypsinmethode keine Vorteile, 
ist dagegen technisch schwieriger. Auch die Freund-Kaminersche Zellreak¬ 
tion ist höchstens nur ein Unterstützungsmittel für die Diagnose. Ver¬ 
suche des Verfassers, eine Kutanreaktion bei schweren Karzinomfällen zu 
zu erzielen, schlugen fehl. 

Verfasser stellte des weiteren bei inoperablen Fällen verschiedene Heil¬ 
versuche an. Versuche mit aktiver Immunisierung (Injektion eines Extrakts 
exstirpierter Tumormassen in die Peripherie des Herdes) schlugen fehl, 
ebenso Versuche mit der Delbet-Blumenthalschen Autovakzinebehandlung. 
Versuche mit Extrakt aus Kalbsthymus haben bis jetzt noch zu keinem 
Resultat geführt, werden aber fortgesetzt. Fehlgeschlagen sind auch Ver¬ 
suche mit Pyozyanase, Adrenalin, Antituman. Versuche mit Mesothorium 
sind noch im Gange. Im Gegensatz zu den Resultaten bei der experi¬ 
mentellen Forschung an Tieren haben also beim Menschen alle diese Ver¬ 
suche versagt. 

Das einzige Heilmittel ist und bleibt zunächst die Frühoperation. 
Rezidivoperationen sind nur dann zweckmäßig, wenn es sich um im primären 
Operationsgebiet aufgetretene Rezidive handelt; bei weiter entfernten Metasta¬ 
sen ist meist von operativen Maßnahmen abzusehen. 

Die Schwangerschaft übt einen besonders ungünstigen Einfluß auf 
Karzinome der Generationsorgane aus. M. Kaufmann. 

Fuid, E. (Berlin), Die habituelle Obstipation. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1912, No. 3.) 

Fuld stellt betr. der habituellen Obstipation 3 Thesen auf: 

1. Betr. der Natur des Leidens: Die Obstipation stellt eine Störung 
im Zusammenspiel eines komplizierten Systems von Reflexen und Hem¬ 
mungsreflexen dar (Mechano-, Psycho- und Chemoreflexen). Daher auch 
die Undurchführbarkeit schematischer Einteilungen. 

2. Betr. seiner Folgen: Rückwirkend erzeugt die Obstipation ihrer¬ 
seits neue Störungen im Ablauf des intestinalen Reflexmechanismus; außer- 



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Referate und Besprechungen. 


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dem führt sie zu mechanischen Insulten der Darmwand und deren Folgen, 
möglicherweise auch direkt zu Intoxikationen. Die hauptsächlichste Schädi¬ 
gung der Obstipation indes erstreckt sich bald unter Beteiligung des Be¬ 
wußtseinsinhaltes, bald ohne dessen Vermittlung auf die meist ohnehin labil.“ 
Psyche des Obstipierten. 

3. Betr. seiner Behandlung: Die Therapie hat gerade auf die psycho¬ 
logische Tatsachenreihe zu achten, um ihrerseits weitere Schädigungen gleicher 
Art zu vermeiden. Die therapeutischen Hilfen sollen nur vorübergehend, 
erziehlich gereicht werden und dürfen nicht allzu eingreifender Natur sein. 
Sie sollen in der Ausbildung eines zweckdienlichen Reflexmechanismus unter 
Verwertung vorgebildeter Abführreflexe bestehen. Den Vorrang bean¬ 
sprucht die kurze Diätkur. M. Kaufmann. 

Fischer, Franz (Berlin), Erfahrungen bei einer Genlckstarreepldemie. 
(Sammlung klin. Vorträge 1910, Nr. S88. [Innere Med. No. 188.] J. A. Barth, 
Leipzig. Einzelpreis M. —,75.) 

Die Erfahrungen des Verfassers decken sich mit den allgemeinen. 
Seine Ausführungen bringen daher nichts Neues. Doch soll der Umsicht 
Anerkennung gezollt werden, mit der es dem Verfasser fern ab vom Welt¬ 
getriebe der Großstadt mit ihren wissenschaftlichen Zentralen und Hilfs¬ 
mitteln gelungen ist, einer Meningokokkenepidemie Herr zu werden. Dur 
Praktiker, namentlich der Landarzt, der ja jeden Augenblick vor eine ähn¬ 
liche Aufgabe gestellt werden kann, wird von der jeder Phraseologie 
abholden, lediglich auf die praktische Seite zugeschnittene Darstellung 
des Verfassers für sich und seine Patienten viel profitieren. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Beltz, L. Über die intravenöse Anwendung des Pneumokokkenserums. 

(Deutsche med. Woohenschr. 1912, Nr. 1.) 

Bei subkutaner Einverleibung selbst großer (400 J. E.) und wieder¬ 
holter (bis 4 mal) Dosen des Römerschen Heilserums sah Verfasser in 

14 Pneumoniefällen gar keine Einwirkung; er ging dazu über, gemäß 
den von Neufeld und Haendel (Arbeiten aus dem Kais. Gesundheitsamt 
Ei. 34) aufgestellten Theorien über das Wesen der Krise das Serum mög¬ 
lichst frühzeitig intravenös zu injizieren. So erhielten 25 Pneumoniekranke 
innerhalb der drei ersten Tage nach dem Schüttelfrost das Serum auf 
diesem Wege. Die Kranken erhielten am Einlieferungstage 2 der Merckschun 
Tuben = 400 J. E., am nächsten Tage 1 oder 2 Tuben, hie und da noch 
am 3. Tage eine Tube. Von den Injizierten kritisierten 1 am 2. Tag, 6 am 
dritten, 3 am vierten, 2 am fünften, 2 am sechsten, 1 am siebenten. Bei 

15 Kranken wurde das Allgemeinbefinden deutlich günstig beeinflußt, in 

16 Fällen blieb die Pneumonie auf einen Lappen beschränkt, während sie 
in 9 trotz Injektion weiterschritt. 4 Fälle kamen ad exitum. Die Leuko¬ 
zytose wurde in 9 Fällen deutlich vermehrt, in 12 vermindert. Eine Schädi¬ 
gung trat nie ein; der Blutdruck blieb unbeeinflußt. Eine Gegenüberstel¬ 
lung der 25 mit Serum behandelten Fälle mit 25 in der gleichen Zeit 
des Vorjahrs ohne Serum behandelten Fällen zeigt sehr deutlich, daß die 
Krise durch die Injektion ganz wesentlich früher erfolgt als ohne solche, 
und Verfasser steht nicht an, die Methode für alle frühzeitig in Behandlung 
kommende Fälle, besonders solche, wo aus irgend einem Grunde eine mög¬ 
lichste Abkürzung des Prozesses wünschenswert ist, zu empfehlen. 

M. Kaufmann. 

Weichselbaum, A. Über chronische Pankreatitis bei chronischem Alkoholismus. 
(Wiener klin. Woch. 1912, Nr. 1.) 

Um die Frage zu entscheiden, ob der chronische Alkoholismus unab¬ 
hängig von einer Leberzirrhose zu einer chronischen Pankreatitis führen 
könne, untersuchte Verfasser das Pankreas in 27 Fällen von sicherge¬ 
stelltem chronischen Alkoholismus ohne Leberzirrhose oder andere Krank¬ 
heitsprozesse, die als Ursache einer chronischen Pankreatitis in Betracht 
kommen. In 25 Fällen fand sich als konstante Veränderung eine chronische, 
vorwiegend intralobuläre Pankreatitis, welche sich in mehreren Fällen auf 
die Langerhansschen Inseln fortgesetzt und zur Induration derselben ge- 

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43tl Referate und Besprechungen. 

führt hatte. I)a eine Sklerose der Arterien der Pankreas in einer Reihe 
von Fällen nur gering oder gar nicht vorhanden war, kann sie als Ur¬ 
sache der Pankreatitis ebensowenig in Betracht kommen wie etwa ein 
Katarrh der Ausführungsgänge, der nur in 2 Fällen bestand. Wir dürfen 
daher schließen, daß der chronische Alkoholismus an sich und ohne Ver¬ 
mittlung einer Leberzirrhose zu einer chronischen Pankreatitis führen kann. 

M. Kaufmann. 

v. Sabatowsky, A. Über die Wirkung des Hormonais auf die Darm* 
bewegung. (Wiener klin. Woch. 1912, Nr. 3.) 

Aus den Tierversuchen v. Sabatowskys geht hervor, daß das Hor¬ 
monal bei intravenöser Applikation eine beträchtliche, kurzdauernde Blut¬ 
drucksenkung hervorruft, verbunden mit Ungerinnbarwerden des Blutes und 
häufig mit Speichelfluß; dabei werden die Darmbewegungen etwas ange¬ 
regt. Eine Fernwirkung des Mittels ließ sich aber auch nicht bei wie¬ 
derholter Anwendung feststellen. Die Wirkung ist eine rein zentrale, auf 
dem Blutweg vermittelte; eine Beeinflussung der Darmwand oder der Auer- 
bachschen Ganglien findet nicht statt. Die Wirkung des Hormonais spricht 
dafür, daß es das Vasodilatin von Popielski enthält und nur als Vasodi- 
latin wirkt. Nach den Hundeversuchen ist jedenfalls vor intravenöser Ein¬ 
führung größerer Hormonalmengen zu warnen, besonders nach einer Nar¬ 
kose. Bei intramuskulärer Injektion lassen sich die beschriebenen Er¬ 
scheinungen kaum bemerken; in 8 Versuchen an obstipierten Patienten 
blieb jeder Erfolg aus. Demgemäß bietet Hormonal keine Aussichten für 
die Therapie. M. Kaufmann. 

Brock. A. J. (Edinburg), Der moralische Faktor bei körperlichen Krank¬ 
heiten. (Praotitioner, Bd. 88, H. 2.) 

Der monistische Materialismus ist das Credo der meisten praktischen 
Arzte, aber ihre Taten sind besser als ihr vermeintlicher Glaube, denn 
alle wirken durch die Persönlichkeit auf den Kranken, ob sie es wissen 
oder nicht — homo homini optima medicina. Allerlei Heilkundige ver¬ 
stehen das oft besser als die Auserwählten der Universität und erreichen 
Wirkungen, die diese mit Unglauben betrachten. 

Wir haben zu wenig Achtung vor den Wegen der Natur, schneiden 
Adenoide weg, anstatt sie als kompensierende Organe anzusehen, stützen 
geschwächte Muskeln, anstatt sie zu üben, daher Schienen, Bauchbinden, 
Einlagen und Pessare; auch manche Brillen, z. B. die schwachen Konvex¬ 
gläser, fallen unter diesen Gesichtspunkt, und bei Kindern wäre es oft 
besser, die Akkomodation und den Gebrauch der Augen zu üben, als sich 
durch Brillen zu entstellen. Chronische Konstipation ist es besser durch 
Ausdauer und Übungen zu überwinden als durch Laxative, und der Resi¬ 
dualharn ist mehr eine schlechte Angewohnheit als eine Krankheit. Goodhart 
behauptet, daß die Bildung übermäßiger Harnsäure eine „nervöse Aber¬ 
ration“ sei und auf einem Mangel der treibenden Kraft beruhe, die die 
Flamme des Lebens anfacht. In der Kolitis mucosa soll man dem Men¬ 
schen den Kopf zurecht setzen, dann wird der Darm schon für sich selbst 
Sorgen. Ein Anonymus (man sieht, daß man selbst in England in Ketzer¬ 
angelegenheiten vorsichtig sein muß) sagt im British Medical Journal: 
Wir haben keinen Grund zu bezweifeln, daß das Nervensystem, w-enn es 
in der rechten Richtung angeregt wird, imstande ist ein Gewebe oder 
Organ, das nicht rettungslos beschädigt ist, in gesunden Zustand zu ver¬ 
setzen. Auch haben w'ir keine Schwierigkeit zu glauben, daß Geschwüre 
von malignem Aussehen durch die von einer kräftigen Suggestion aus¬ 
gehende (Hoffnung geheilt werden können. Wir haben selbst mehr als 
einen Fall gesehen, in dem alle klinischen Zeichen einer malignen Magen¬ 
erkrankung da waren, und die durch Mittel geheilt wurden, die man nur 
suggestiv nennen kann. 

Die Häufung der Krankheiten hängt mit unserem Kulturzustand zu¬ 
sammen. Wer anstatt des Kampfs die Bequemlichkeit zu seiner Göttin 
macht, merkt den Schaden an seiner Gesundheit. Der Verstand, ursprüng- 



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Referate und Besprechungen 


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iich ein Diener des Willens (Schopenhauer wirkt also auch in England) 
dient jetzt entweder, um sich dem Leben und seinen Pflichten zu ent¬ 
ziehen (insofern ist er übrigens noch im Dienste eines, wenn auch ver¬ 
kehrten Willens!) oder er ist Endzweck geworden, worunter der seines 
Dieners beraubte Wille leiden muß. 

Die Verminderung der Vis medicatrix ist eine Abart der Abulie, und 
es ist besser, sie zur Bekämpfung ihrer Feinde anzuregen, als diese pn 
ihrer Statt totzuschlagen; gerade wie es besser ist, eine alkoholdichte 
moralische Verfassung herzustellen, als die Schankstätten zu vermindern. 

Wir müssen mit Beschämung gestehn, daß die Aufnahme eines solchen 
Aufsatzes in unsere leitenden Medizjnblätter unerhört wäre. 

Fr. von den Velden. 

Köhler, Rudolf und Plaut, Frl. Martha, Erfahrungen mit Rosenbachschem 
Tuberkulin. (Aus der I. med. Klinik der Universität Berlin (Geh. Med.-Rat 
Prof. Dr. His.) (Zeitschr. f. klin. Medizin. Bd. 74, H. 3 u. 4.) 

Im ganzen hat es den Anschein, als ob mit Recht die Tuberkulinbe¬ 
handlung immer weitere Fortschritte mache. Immer mehr Arzte finden sich, 
die sich zu ihr bekehren und ihre Wirksamkeit lobend anerkennen — und 
ich muß sagen, daß auch nach meinen Erfahrungen sie die größte Möglich¬ 
keit bietet, eine Heilung der Lungentuberkulose herbeizuführen. — Es 
haften allerdings der Behandlung dieser Erkrankung mit Tuberkulin noch 
Mängel an — aber die werden überwunden werden -— ein Schritt zu 
ihrer Überwindung scheint mit der Herstellung des Rosenbachschen Tuber¬ 
kulins getan zu sein. Sein Prinzip beruht darauf, daß es sucht, die im 
Kochschen Alttuberkulin enthaltenen, für den Menschen giftigen Eiwei߬ 
stoffe zu vermeiden, resp. in unschädlichere überzuführen. Es geschieht 
dies durch Hinzufügen einer Pilzkultur (Trichophyton holosericum) zu 6—8 
Wochen alten Tuberkelbazillenkulturen. 

In der Hisschen Klinik sind mit diesem neuen Tuberkulin interessante 
Versuchsreihen angestellt, die zur Nachprüfung aneifern. — Es wurden 
möglichst ähnlich liegende Fälle von Tbc. pulmonum ausgewählt — und 

dann 40 Patienten mit Tuberkulin und 40 ohne solches und zwar ambulant 

behandelt, w-obei sich herausstellte, daß die Erfolge des Tuberkulins be¬ 
deutend die der anderen Behandlungsarten übertrafen und zwar was Besse¬ 
rung des subjektiven Befindens, des objektiven Befundes und Gewichts¬ 

zunahme anlangte. 

Der Vorzug des hundertmal weniger giftigen Rosenbachschen Präpara¬ 
tes gegen das Kochsehe Alt-Tuberkulin besteht darin, daß man von vorn¬ 
herein mit bedeutend höheren Dosen anfangen und zu bedeutend höherem 
steigen kann, als es mit dem Tuberkulin A. möglich ist. Die Verfasser 
raten, durchschnittlich mit 0,1 anzufangen, 2 mal wöchentlich zu injizieren 
und zwar meist um 0,1 dabei zu steigen — immer natürlich unter Ver¬ 
meidung stärkerer Reaktionen. Als Enddosis geben sie 2,5—3,5. Ein 

Nachteil des Rosenbachschen Tuberkulins ist die stärkere Hautreaktion 
(sog. Morosche) an der Stichstelle, w'as bei den bedeutend höheren Dosen 
nicht wunderbar ist, doch läßt sich diese Reaktion mit kühlen Umschlägen 
leicht bekämpfen. 

Es gehört zur richtigen Tuberkulinanwendung ja entschieden eine 
größere Erfahrung, doch sollten immer mehr Ärzte danach streben, sie 
sich zu erw-erben und in den Lehrjahren die Anwendungsweise zu erlernen. 

Schütze-Darmstadt. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Zesas, Denis G. (Basel), Das primäre Magensarkom und seine chirurgische 
Behandlung. (Volkmanns Sammlung klin. Vorträge No. 620. [Chirurgie. No. 
175.] J. A. Barth. Leipzig 1911. Einzelpreis M. —,75.) 

Verfasser, dem wir bereits eine Reihe referierender Darstellungen auf 
allen Gebieten der Chirurgie verdanken, behandelt hier ein Thema aus 
dem Gebiete der Abdominalchirurgie, das in letzter Zeit an Aktualität 


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Referate und Besprechungen 


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gewonnen hat. Für den praktischen Arzt ist die Kenntnis der Magensarkome, 
die gegenüber dem Karzinom bescheiden in den Hintergrund treten und 
klinisch selten und zumeist erst auf dem Sektionstisch als solche erkannt 
werden, ziemlich bedeutungslos, zumal sich auch die Prognose trotz der 
Fortschritte der Magenchirurgie noch recht ungünstig gestaltet. Die Daseins¬ 
berechtigung, die bei dem heutigen Massenangebot medizinischer Schriften 
stets erörtert werden muß, muß für die Arbeit des Verfassers — ohne ihre 
Verdienste im geringsten zu schmälern — leider verneint werden, da erst in 
den letzten 2 Jahren gute Zusammenstellungen darüber von Stähelin und 
Z i e s c h e und David sohn erschienen sind. Arbeiten wie die vorliegende 
gehören nach Ansicht des Ref. besser in referierende Zentralblätter, z. B. 
in das Zentralblatt für die Grenzgebiete der Medizin und Chirurgie als in ein 
Unternehmen, dessen vornehmste Aufgabe darin bestehen sollte, den Prak¬ 
tiker über die Fortschritte in den Fachdisziplinen ständig auf dem laufen¬ 
den zu erhalten. Ob mit dem vorliegenden Heft der Fortbildung — sagen 
wir, eines Landarztes — gedient ist, möchte Ref. bezweifeln und eine stärkere 
Betonung der Interessen des Praktikers bei der Auswahl des Stoffes an¬ 
regen. K. Boas-Straßburg i. E. 

v. Eiseisberg, A. Meine Operationsresultate bei Hirntumoren. (Wiener 
klin. Woch. 1912, Nr. 1.) 

v. Eiselsberg berichtet über die Resultate in 100 Fällen. Es handelte 
sich in 43 Fällen um Tumoren de6 Großhirns, in 22 des Kleinhirns, in 
12 des Kleinhirnbrückenwinkels, in 13 der Hypophyse, in 10 um Palliativ¬ 
operationen (Anlegung eines Ventils). Sieht man von den letzten beiden 
Kategorien ab (von den Hypophysentumoren starben 4 an der Operation, 
bei 9 wurde ein gutes Resultat erzielt), so bleiben '77 Fälle, von denen 
48 gestorben sind: 32 an der Operation, nämlich an Shock (22), Infek¬ 
tion (6), Pneumonie (3), Embolie (1), und 16 später an Rezidiv bezw. 
Weiterwachsen des nicht entfernten Tumors bezw. an Infektion. Von 4 
besitzt Verfasser keine Nachrichten. Von den übrigen 25 sind 12 Gro߬ 
hirntumoren (4 Gliome, 6 Endotheliome, 1 Angiom, 1 Melanosarkom), bei 
denen der Tumor entfernt wurde, und die sich seit 2 Monaten bis fünf 
Jahren Wohlbefinden, 8 Fälle, wo nur die Aufklappung ohne Tumorenent¬ 
fernung gemacht wurde (6 Großhirn-, 2 Kleinhirntumoren, von letzteren 
1 Fall 8 Jahre beschwerdefrei), 4 Akustikustumoren (seit 1—27s Jahren 
alle arbeitsfähig), 1 Kleinhirnzyste (wesentlich gebessert seit 2 Jahren). 
Die Operationsergebnisse sind also wenig befriedigend, die Mortalität groß; 
trotzdem ist bei der trostlosen Prognose die Operation stets zu versuchen. 
Eine schlechte Operationsprognose bieten die Tuberkelknoten und die diffusen 
Gliome, eine gute die Duraepitheliome, die beste die Akustikustumoren und 
die Zysten. M. Kaufmann. 

Kirschner, M. (Königsberg), Die freie Transplantation von Faszien. (Therap. 
Monatsh., Dez. 1911.1 

Die freie Übertragung von Sehnenfaszien wurde erst in den aller¬ 
letzten Jahren begonnen. Diese Zurückhaltung findet ihre Erklärung durch 
den schlechten Ruf, der den Sehnen hinsichtlich ihrer Lebensfähigkeit an¬ 
haftet. Der Praktiker denkt an die Ungeduld, mit der Patient und Arzt 
auf das durch Monate verzögerte Abstößen nekrotisierter Sehnenstümpfe 
warten mußten, die in der Tiefe einer inzidierten Phlegmone die Eiterung 
nicht versiegen ließen; Der Gedanke, derart diffizile Gewebe frei zu trans¬ 
plantieren, erschien daher zunächst aussichtslos. Zwei Umstände erschüt¬ 
tern da dieses absprechende Urteil: 1. spricht die auffallende Armut an 
Blutgefäßen für eine relative Bedürfnislosigkeit des Sehnengewebes hin¬ 
sichtlich seiner Ernährung. Ein derart kärglich mit Blutzufuhr versehenes 
und in seiner Ernährung nicht verwöhntes Gewebe muß eine freie Über¬ 
tragung verhältnismäßig gut überstehen. Zweitens mußte die Tatsache 
stutzig machen, daß von Sehnen und von Faszien abgespaltene, viele Zenti¬ 
meter lange, gestielte Lappen auch dann am Leben bleiben, wenn sie nur 
eine ernährende Verbindungsbrücke von wenigen Quadratmillimetern Quer¬ 
schnitt mit dem Mutterboden behielten. Die größte Verlegenheit, diese 



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Referate und Besprechungen. 


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theoretischen Erwägungen in die Praxis umzusetzen, bot die Frage nach 
der Beschaffung des Materials. Hier half die Erwägung, daß außer den 
eigentlichen Sehnen im Körper noch ein anderes Sehnengewebe zur Ver¬ 
fügung steht: die Faszien. Diese sind in unbeschränkter Menge vorhanden. 
Ihre Festigkeit ist bekannt. Ihre Entnahme ist einfach und ungefährlich. 
Der geeignetste Materialspender ist die Fascia lata des Oberschenkels mit 
ihren stärksten Streifen, dem Traktus iliolibialis (M a i s s i a t scher Streifen). 
Die Gestalt dieses Materials ist so handlich, es ist so leicht, sich aus 
ihm Bänder oder Platten von jeder gewünschten Form und Größe herzu¬ 
stellen. Ist die Operation bis zu dem Punkte gediehen, wo die Faszie be¬ 
nötigt wird, so führt man an der Außenseite des einen Oberschenkels 
einen bogenförmigen, nach vorne konvexen Schnitt durch Haut und 
Fettgewebe bis auf die Oberfläche der Faszie. Wenige Messerzüge legen 
unter Zurückschlagen des Hautlappe^s die Oberfläche der Faszie frei, von 
der man mit scharfem Messer ein Stück in gewünschter Form umschneidet. 
Es läßt sich fast stumpf von der Muskelunterlage abziehen. Die Faszien 
schrumpfen bei der Herausnahme nicht. S. Leo. 

Aquillna, M. und Cammarata, A. (Caltanisetla). Das Oedema durum 
traumaticum Secretan, eine Folge von Selbst-Kontusion bei versicherten Mlnen-- 
arbeitern. (La medic. d. Tnfort d. Lav. IV. Nr. 8, S. 1, 1911.) 

In kurzer Zeit sich wiederholende Fälle von dem von Secretan beschrie¬ 
benen Oedema durum traumaticum an dem Handrücken ließen, nachdem die 
Erscheinung jahrelang bei sehr zahlreichen Handrückenverletzungen nus- 
geblieben war, den Verdacht aufkommen, daß eine systematisch betriebene 
Auto-iKontusion zu Grunde liege. Bei den 4 geschilderten Fällen wurde das 
(Wem dadurch hervorgebracht, daß die Hand (oder der Fuß) mit einem 
weichen Gewebe umwunden und mehrere Tage lang rhythmisch mit einem 
Stiefel geschlagen wurde, solange bis das ödem auf trat. Üm es aber zu unter¬ 
halten, mußte die Prozedur wiederholt werden. Nach Einstellung des 
Schlagens ging das ödem zurück. Fischer-Dofoy. 

Innes, A. Die Hyoscin-Morphlumnarkose in der Praxis. (Practitioner, 
Bd. 88, H. 2.) 

Durch die Erfahrung an 50 Entbindungen in der Praxis ist Innes zu 
folgenden Rusultaten gekommen: 

Eis ist gefährlich, die Dosis von 0,0006 Hyoscin (Skopolamin) und 
0,015 Morph, zu überschreiten oder sie zu wiederholen. Wirkt die erste 
Dosis nicht, so bringt auch die zweite den Schmerz nicht weg, sondern 
macht Mutter und Kind asphyktisch. 

Die Mutter wird durch die angegebene Dosis nie in Gefahr ge¬ 
bracht und ihre deliröse Geschwätzigkeit muß man in Kauf nehmen. Nach¬ 
geburtsblutung oder gestörtes Wochenbett hat I. nicht beobachtet. Indessen 
ist zu bemerken, daß manche auf das Mittel gar nicht reagieren, andere 
über vermehrte Empfindlichkeit klagen; beides pflegt bei Nervösen ein¬ 
zutreten, wo die gute Wirkung gerade besonders erwünscht wäre. 

Die Wehen scheinen nicht beeinflußt zu werden, auch scheint sich 
das Skopolamin mit etwa nötig werdendem Chloroform zu vertragen. 

Das Kind dagegen ist die schwache Seite der neuen Narkose ä la 
reine. In vielen Fällen kommt es komatös, mit schwachen Herztönen, aber 
regelmäßiger Atmung zur Welt. Künstliche Atmung und Stimulation sind 
hier ganz ohne Wirkung. Gewöhnlich erholt sich das Kind in 1 bis 
2 Stunden, das kann aber auch 12 Stunden dauern und dann wird die Lago 
des Arztes unbehaglich. Dauernde üble Folgen hat I. an den Kindern 
nicht bemerkt. Fr. von den Velden. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Jaworski, H. (Paris), Über Rellextherapie. (Allg. Wiener med. Ztg. 1911, 
Nr. 49 u. 51 nach Gaz. m6d. de Paris, Nov. 1911.) 

J a w o r 8 k i erinnert an die Beziehungen von Magendarmstörungen zu 
Asthma, Epilepsie, Migräne, den Einfluß nasaler Elingriffe auf die weibliche 
Genitalsphäre, auf die Magendarmfunktion, das Asthma usw., ferner an die 


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Referate und Beaprecfaongen. 


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Entstehung von Dünndarmgeschwüren nach Hautverbrennung, von erhöhter 
Herztätigkeit nach Zungentraktionen usw., berichtet von seiner Beobach¬ 
tung, daß die tabische Ataxie sich oft mit der Darm- oder Nierenfunktion 
verschlimmert bezw. bessert und kommt dann zur Besprechung von Dens- 
lows Urethralreflex: Harnröhrendilatation führt bei Tabikern zu einer starken 
Wärmeempfindung in den Beinen, zu Wiederkehr der Sensibilität, Abnahme 
der Schmerzen und des Rombergschen Phänomens und Besserung des Allge¬ 
meinbefindens. In einem Fall kam dadurch sogar ein trophoneurotisches 
Dekubitalgeschwür am Fuß ohne jede sonstige Therapie zur Heilung. 

Außer bei Tabes wurde die „urethrale Reflextherapie“ noch bei ge¬ 
wissen Neurasthenien und „genito-urinalen“ Störungen mit Erfolg ange¬ 
wandt. 

Zum Schluß betont J. sehr mit Recht, daß auf diesem Gebiete noch 
manches klärungsbedürftig erscheint. — Einige der von ihm angeführten 
Erscheinungen sind wohl weniger auf Reflexwirkung als auf Autointoxi¬ 
kation-, Eiweißzersetzungs- und anaphylaktische Vorgänge zurückzuführen. 
Vgl. Pfeiffer „Zur Kenntnis der Überempfindlichkeit und anderer Toxikonen 
des akuten Eiweißzerfalls“. Ztschr. f. Immunititsf. usw. X. 5 u. 6. Charak¬ 
teristisch für J.’s Optimismus erscheint seine „Beobachtung“, daß Aorten¬ 
aneurysmen durch Beklopfen der entsprechenden Wirbel zu heilen seien. 

. (Ref.) Esch. 

Zingerle (Graz), Die psychiatrischen Aulgaben des praktischen Arztes. (Jena 
1911. Gustav Fischer.) 

Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß eine große Anzahl prakti¬ 
scher Arzte sich den modernen psychiatrischen Aufgaben nicht gewachsen 
zeigt. Zwar sind von ihnen nicht alle Finessen psychiatrischer Diagnostik 
zu verlangen, aber immerhin sollten ihnen bekanntere Krankheitszustände, 
namentlich wenn sie klassisch verlaufen, geläufig sein. Wie sehr wir davon 
entfernt sind, lehrt z. B. ein neuerer Aufsatz von Kauffmann, der 
auf Grund trüber Erfahrungen eine besondere psychiatrische Schulung der 
Bahnärzte verlangt. Der Verfasser der vorliegenden kleinen Schrift bringt 
in ansprechender Form das, was in den gangbaren Lehrbüchern als allge¬ 
meine Psychiatrie bezeichnet wird. Nach altem Brauch handelt er zu¬ 
nächst die Prophylaxe ab, um dann die Maßnahmen bei bestehender zeitiger 
Erkrankung zu erörtern. Er erwähnt dabei viele praktische Dinge, die 
sich in den Lehrbüchern nicht finden, sondern sich nur in langjährigem Um¬ 
gang mit Patienten aneignen lassen. Ref. kann dem Werkchen nur eine 
aufrichtige Empfehlung mit auf den Lebensweg geben. Die Anschaffung 
eines Lehrbuches kann es freilich nicht ersetzen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Walter, F. K. (Rostock), Gehtrugewicht und Intelligenz. (Rostock 1911. 
H. Warkentien.) 

Verfasser gibt in seiner Antrittsvorlesung in klarer fließender Diktion 
eine gedrängte Übersicht über das bisher auf diesem Gebiete Geleistote 
unter besonderer Berücksichtigung der methodologischen Schwierigkeiten, 
die sich der Bearbeitung der Probleme entgegenstellen. Dem Ref. ist es 
aufgefallen, daß die Forschungen Riegers und Reichardts, denen 
wir bahnbrechende Arbeiten auf diesem Gebiete verdanken, mit keiner 
Silbe erwähnt werden. Im übrigen zeigt die Behandlung des Themas, daß 
Verfasser über dem Stoffe steht und ihn seinen Zuhörern mundgerecht 
zu machen versteht. K. Boas-Straßburg i. E. 

Renario, Dr. (Frankfurt a. M.), Über Neurorezidtve nach Salvarsan und 
nach Quecksilberbehandlung. (München 1911. Lehmanns Verlag. 195 Seiten. 
Ungeb. 6 M.). 

Der Verfasser, Mitarbeiter Ehrlichs, hat es unternommen, das große 
Material der ihm zur Verfügung stehenden Krankengeschichten zu sichten 
und zu prüfen, um die Natur und Ursache der sogenannten Neurorezidive 
— Erscheinungen an den Sinnesnerven, die nach Salvarsan-, aber auch 
nach Hg-Behandlung auftreten — zu ermitteln. 



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Referate und Besprechungen. 


44t 


Auf Grund seiner Beobachtungen schließt B., daß die Neurorezidive 
echt syphilitische Rezidive und nicht etwa bedingt sind durch toxische 
Wirkung des Salvarsans. Sie traten meist im Sekundärstadium auf und 
scheinen mit biologischen Vorgängen, die an den Entwicklungszyklus der 
Spirochäten geknüpft sind, zusammenzuhängen. Die Ursache ist, daß die In¬ 
jektion des Salvarsan nicht stark genug war, um alle Spirochäten abzu¬ 
töten und daß sie einen minimalen Rest von ihnen an Orten zurückließ, WO' 
„eine Beeinflussung ihrer Lebenstätigkeit schwer möglich war“. 

Das Buch bringt mehr als der Titel sagt und ist zur Anschaffung 
allen zu empfehlen, die sich über die modernen Anschauungen bezgl. 
Pathologie und Therapie der Syphilis orientieren wollen. 

Krebs-Falkenstein. 

Mac Phee, J. J. (New York), Die Behandlung der Neurasthenie und 
Hysterie. (Post-Graduate, Bd. 26, Nr. 12.) 

Die Prophylaxe dieser Krankheiten beschränkt sich, da der Arzt keine 
Möglichkeit hat törichte Ehen zu verhindern, auf Erkennung der nervösen 
Disposition im Kindesalter und Anraten einer geeigneten Erziehung. Wer 
durch Überanstrengung nervös geworden ist, der ist leicht zu behandeln, 
nicht so Kranke mit erblicher Belastung und schwierigem Charakter. Liegt 
der Grund der Krankheit, wie so häufig, in häuslichen Verhältnissen, so 
muß der Patient anderswo untergebracht werden, was freilich bei selbst¬ 
süchtigen, beständige Rücksichtnahme fordernden Personen nicht leicht ist. 
Hotels und 'Pensionen eignen sich manchmal besser als Sanatorien, in 
denen trotz dem platonischen Verbot die Kranken einander zu viel von 
ihren Leiden vorjammern. Die Relation von unbefriedigtem Geschlechts¬ 
trieb und religiösen Exerzitien ist bekannt, aber ihr Heilwert' ist ja nach 
der Individualität sehr verschieden. Durch Einrenkung unglücklicher Ehen 
kann viel genützt werden, gelingt sie nicht, so sind alle anderen Bemühungen 
vergeblich. Vorbedingung erfolgreicher Behandlung ist genaue Kenntnis 
der Belastung, der Lebensweise und der Gemütsart des Kranken, dann muß 
man ihn unter günstige äußere Bedingungen bringen und suchen, in häufiger 
Berührung mit ihm zu bleiben, damit der gewonnene Einfluß nicht verloren 
geht. Mac Phee hält es für falsch, den Willen der Behandelten auszu¬ 
schalten, obgleich viele das angenehm empfinden und obgleich vorüber¬ 
gehend damit gute Resultate erreicht werden, er ist deshalb ein Gegner 
der Hypnose. 

Tenotomien und Gelenkresektionen zur Beseitigung hysterischer Kon¬ 
trakturen sind mit Recht so ziemlich verlassen worden. 

Auf richtige Diät und Körperbewegung muß stets gesehen werden, 
wie auch auf angenehme Beschäftigung, erheiternden Zeitvertreib und wohl¬ 
tuende Lektüre, hinreichenden Schlaf und Freiheit von drückenden Ver¬ 
antwortlichkeiten. Mastkuren und Bettkuren liebt Mac Phee nicht, von Aus¬ 
nahmefällen völliger Erschöpfung abgesehen, und erwartet auch nichts von 
Fleisch- und absoluter Alkohol-, Tabak- und Kaffeeabstinenz. Badekuren 
in aufheiternder Umgebung haben ihr Gutes, aber was die Natur der 
wässerigen Applikationen anbetrifft, kommt man gewöhnlich mit der häus¬ 
lichen Badeeinrichtung aus. Die Frage kalten oder warmen Badens kann 
nicht nach Prinzipien und Theorien, sondern nur nach der Wirkung auf 
den Kranken entschieden werden. Auf hinreichendes Trinken gesunden 
Wassers, an dem es bei vielen Nervösen mangelt, muß gehalten werden. 

Ganz ohne Medikamente kommt Mac Phee nicht aus, wenn es sich 
um Schlaflosigkeit, Schmerz, Ruhelosigkeit oder Angstzustände handelt; auch 
Morphium- oder Skopolamineinspritzungen sind nicht immer zu vermeiden, 
z. B. bei andauerndem Singultus und anderen erschöpfenden Krampfan¬ 
fällen. Laxantia sind häufig von Nutzen, wie auch die Medikation ut 
aliquid habeat; in letzterer Rücksicht muß man sich nach der Neigung 
richten, Patienten, die in naturheilkundigen Händen gewesen sind, läßt man 
am besten mit Arzneien, die nicht dringend nötig sind, in Ruhe. >— 

In der sich an diesen Vortrag anschließenden Diskussion wurde be- 


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Referate und Besprechungen. 


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tont, daß die Grundlage nervöser Leiden viel häufiger, als man annehme, 
gastrointestinale Störungen seien, daß man deshalb in allen Fällen in¬ 
testinale Fäulnis und sonstige Verdauungsunordnungen beseitigen müsse; 
die alte Erfahrung, daß das Gemüt ein Sekret der Leber ist. 

Fr. von den Velden. 

Dreyfuss, G. L. (Frankfurt a. M.), Tödliche Lähmung der Gehlrngefässe 
nach Kopftrauma. (Ztschr. f. d. ges. Neur. u. Psych., Bd. 7, H. 4.) 

Noch wichtiger als die Fälle mit organischen Gehirnveränderungen 
schwerer Art bei gleichzeitiger Abwesenheit klinischer Erscheinungen ist 
das umgekehrte. Der durch Tabes des Vaters belastete 38 jähr. Kranke 
wurde mit einem dreimarkstückgroßen Knochendefekt über dem rechten 
Stirnbein geboren (Unterleibstrauma der Mutter während der Gravidität) 
und hatte während der Pubertätszeit Krampfanfälle epileptischen Charakters, 
die aber seit dem 20. Lebensjahr nicht mehr aufgetreten waren. Bis drei 
Tage vor Beginn der zu schildernden Erkrankung war der Betreffende ganz 
gesund. Damals stieß er sich in der Gegend des Knochendefektes stark 
gegen den Kopf, wurde nicht bewußtlos und arbeitete weiter, klagte aller¬ 
dings über heftige Kopfschmerzen, kein Erbrechen oder Schwindelgefühl. 
Drei Tage nach dem Trauma setzten plötzlich ohne irgendwelche Vorboten 
nachts linksseitige Krämpfe ein (tonisch-klonische Zuckungen der Hals¬ 
muskulatur), dann Drehung des Kopfes nach links mit nystagmusartigen 
Zuckungen beider bulbi nach links, dann wurde der linke facialis ergriffen, 
schließlich das linke Bein und der linke Arm und dann der ganze 
Körper. In den Intervallen war Patient unorientiert. Allmählich wurden die 
Krämpfe heftiger und waren von Inkontinenz begleitet, 15 Stunden nach 
Beginn der Anfälle wurde zum erstenmal die Temperatur gemessen und sehr 
vermehrt (39,1) gefunden. Ohren, Nasen und Augen boten nichts Abnormes, 
der liquor war klar, zeigte Leukozytenvermehrung und leicht vermehrten 
Druck. Man dachte an extradurales, intradurales oder pachymeningitisches 
Hämatom über der rechten Zentralwindung (Hämatome der dura machen 
gern halbseitige gehäufte Konvulsionen) man dachte an eine Encephalitis 
circumscripta inf. der Polynucleose, an einen bis dahin latenten Hirntumor 
der motorischen Zone mit manifest gewordenen Symptomen einer Blutung 
in demselben, an einen Pseudotumor cerebri, obwohl sich bei letzterem meist 
ein chronischer fieberloser Verlauf findet, schließlich auch an das Auf¬ 
flackern des alten epileptischen Prozesses. Man machte die Hirnpunktion 
in der Höhe des Arm- und des Fazialiszentrums und fand nichts, man trepa¬ 
nierte über dem Knochendefekt und erhält nach der Inzision der nicht ge¬ 
spannten Dura eine sehr starke Blutung und trotz des Fehlens einer intra¬ 
kraniellen Drucksteigerung stark gefüllte Pialvenen, man trepanierte über 
dem rechten Armzentrum, nirgends eine Resistenz oder ein Ergebnis durch 
Ansaugen. Bei der Sektion fand sich lediglich, was auch schon bei der 
Operation aufgefallen war, ein abnormes Verhalten der Gefäße, überall eine 
starke Blutüberfüllung mit Extravasaten, auch jeder Punktionsstich hatte 
eine subpialo und intrazerebrale Blutung zur Folge gehabt. Es handelt sich 
also um eine Störung in der Blutverteilung des Gehirns, um eine Schädi¬ 
gung des (zentralen) vasomotorischen Apparats, die sich durch eine Anomalie 
der Gefäßinnervation im Sinne einer Gefäßlähmung äußerte. Durch die 
Schädigung des Vasomotorenzentrums fiel der normale Gefäßtonus fort. 
Daß zwischen Kopfverletzung und Vasomotorenzentrum Beziehungen be¬ 
stehen (vasomotorischer Symptomenkomplex Friedmann) ist bekannt, die 
commotio cerebri kann eine dauernde Gefäßveränderung zur Folge haben. 
Von den schweren zum Tode führenden derartigen Fällen sind die vasomo¬ 
torischen traumatischen Neurotiker nur graduell verschieden (Schwindel, 
Kopfschmerz, Intoleranz usw.), auch deren „funktionelle“ Erkrankungen sind 
in Wirklichkeit organische Erkrankungen der Gefäße, zumal es bei ge¬ 
nügend langer Lebensdauer neben der pathologischen Innervation zu anato¬ 
misch nachweisbaren Gefäßveränderungen kommen kann. Aus der Anomalie 
■ des Vasomotorenzentrums erklärt sich auch im vorliegenden Fall das hohe 



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Referate und Besprechungen. 


443 


Fieber. Durch das intrauterine Trauma, durch die Pubertätsepil. sowie durch 
die Tabes des Vaters ist das Gehirn des Kranken als weniger widerstands¬ 
fähig anzusehen. So günstig die Hirnpunktion bei manchen traumatischen 
Gehirnerkrankungen wirkt, bei der traumatischen Gefäßlähmung ist sie sehr 
gefährlich und schädigend. Man muß an eine solche Störung denken, wenn 
bei einem in seiner Widerstandsfähigkeit geschwächten Gehirn nach ge¬ 
ringfügiger Verletzung resp. Erschütterung schwerste zerebrale Herd- und 
Allgemeinsymptome sich einstellen. Zweig-Dalldorf. 


Augen- und Ohrenleiden. 

Magitot, Transplantationen der Cornea. (Acadömie des Sciences 1912, 
8. Januar.) 

Man kann Cornea-Stücke, wenn sie ganz frisch sind, ganz wohl auf 
die Cornea eines anderen Tieres derselben Gattung überpflanzen; aber sie 
aufzubewahren ist schwierig. Immerhin ist dieses Kunststück Magitot ge¬ 
lungen, und jetzt berichtet er von einer erfolgreichen Übertragung eines 
5x4 mm großen Stückes aus der Cornea eines wegen Glaukom entfernten 
Auges an die Stelle einer alten Linsentrübung, welche durch Kalkätzung ent¬ 
standen war und den Patienten völlig blind gemacht hatte. Das Bedeutungs¬ 
volle dieser Operation liegt aber darin, daß M. das enukleierte Auge 8 Tage 
lang aufbew-ahrt hatte. Die Technik des Aufbewahrens ist nicht ganz ein¬ 
fach, aber doch auch nicht allzu schwierig. Die Schwierigkeit der Sache 
liegt vielmehr darin, menschliche Hornhäute zu erhalten; solche von Tieren 
trüben sich bei Transplantationen. 

Der Mann, an dem die Operation vorgenommen wurde, hat jetzt eine 
Sehschärfe von V 10 bekommen. Buttersack-Berlin. 

Heine, B. (München), Über die sogenannte „Otosklerose“. (Aus der 
Münchner Univ.-Ohrenklinik. Therap. d. Gegenw. 1912, Nr. 1.) 

Zusammenfassende Übersicht über dieses pathologisch und ätiologisch 
teilweise noch strittige Thema. Bei dem prognostisch und therapeutisch 
ungünstigen Leiden ist als bestes Hilfsmittel Absehen des Gesprochenen 
vom Munde zu empfehlen. Esch. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

His, Geh. Rat Prof. (Berlin), Zur Anwendung der Karelischen Milchkur hei 
Herzkranken. (Therap. Monatshefte 1912, H. 1.) 

Die Gründe, welche die Einbürgerung der Karellkur bis jetzt noch 
verhindern, sind die Furcht vor dem Hunger und die Angst vor der Unter¬ 
ernährung. Beides stimmt nicht, insbesondere nicht der Einwand, daß das 
nötige Quantum Milch von den Verdauungsorganen nicht ertragen werden 
könne; Hauptsache ist, nur in den ersten 5—6 Tagen 800—1000 ccm 
Milch nicht zu überschreiten, namentlich wenn sich die Kranken dabei wohl 
fühlen. Indikationen: 1. Hydropische Zustände: meist tritt in 5—G Tagen 
eine Steigerung der Diurese, eine Minderung der Dyspnoe auf, w r orauf dann 
zu gemischter Diät übergegangen werden kann. 2. Herzbeschwerden der 
Fettleibigen, zur Einleitung einer Entfettungskur. Event, bei Herzschwäche 
Bettruhe. Sonst Aufenthalt im Hause. Keine längeren Kuren, weiterhin 
bei restringierter Diät einzelne Milchtage. 3. Emphysem und chronische 
Bronchitis bei nachlassender Kraft des rechten Herzens. 4. Asthma cardiale 
bei Degeneration des Myokards. 5. Die erste Angina pectoris, event. unter 
Unterstützung entsprechender Behandlung. 6. Bei renaler Insuffizienz, aber 
kein einseitiges Schema, keine langdauernde Anwendung. 7. Klappenfehler 
nur bei insuffizientem Muskel und Hydrops. 8. Hartnäckige Exsudate seröser 
Höhlen, namentlich der Pleura. 9. Als Unterstützung der Digitaliskur mit 


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Bettruhe, zur periodischen Kräftigung und Entlastung eines auf der Grenze 
der Kompensation stehenden Herzens. 

Wirkungsweise unklar, wahrscheinlich mechanisch durch Besserung 
der Zirkulation, chemisch durch Verringerung der Giftproduktion und durch 
die verminderte Füllung des Addomens. v. Schnizer-Höxter. 

t. Herff, Otto, Operations-Kastration oder Röntgen-Kastration! (Aus d. 
Frauen-Spital Basel-Stadt. (Münch, med. Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

v. Herff bespricht Vorteile und Nachteile, die für Patientinnen und 
Ärzte bestehen, je nachdem Kastration durch Operation oder Röntgenbestrah¬ 
lung ausgeführt wird — allerdings mit etwas Voreingenommenheit zu 
Gunsten der Operationskastration. Freilich beschränkt er das in der Über¬ 
schrift gegebene Thema in der Abhandlung hauptsächlich auf Kastration 
wegen vorhandener Myome. 

Er stellt dabei folgende Leitsätze auf: 

]. Die Sicherheit eines objektiven Heilerfolges ist bei der Operations- 
Kastration (abgekürzt 0. K.) größer als bei Röntgen-Kastration (abgekürzt 
R. K.). 

2. In Erzielung eines vollen funktionellen Erfolges wird die R. K. 
stets hinter der 0. K. Zurückbleiben. 

3. Möglicherweise, daß die Ausfallserscheinungen nach R. K. milder 
und von geringerer Dauer sind als die nach 0. K., in welchem Falle dies 
zu Gunsten der ersteren vermerkt werden müßte. 

4. Ein unbezweifelbarer Vorzug der R. K. ist der Wegfall eines 
operativen Eingriffes mit seiner, wenn überhaupt vorhandenen, doch sicher 
sehr geringen Sterblichkeit. 

5. In Bezug auf Kürze und Kostspieligkeit der Behandlung steht die 
R. K. bei weniger sicheren Enderfolgen der 0. K. weit nach. 

6. Die R. K. ist gegenwärtig mit ihren unmittelbaren Behandlungs¬ 
schädigungen und möglichen späteren Dauerschädigungen erheblich stärker 
belastet ais die 0. K. 

7. Die Anwendungsbreite der 0. K. ist ausgedehnter als die It. K. 

8. Die Bedenken, die seinerzeit zu dem Fallenlassen der 0. Iv. geführt 
haben, lassen sich auch heute zum mindesten im gleichen, wenn nicht 
erhöhten Maße gegen die R. K. Vorbringen. 

Dies die Leitsätze — die Ausführungen dazu verteilen (vielleicht un- 
buwußt) mehr das Licht auf die 0. K., z. B. Leitsatz 7 ist vielleicht sehr 
bestreitbar; vielleicht ist die Frage auch nicht ganz richtig gestellt, wenn 
man sagt: 0. K. oder R. K. Diese Frage mag bei der Erwägung über 
Heilplan eines einzelnen Falles richtig sein, aber wohl nicht in dieser hier 
zu Grunde gelegten Allgemeinheit. Es gibt sicher auch Fälle, wo die An¬ 
wendungsbreite der R. K. größer ist als die der 0. K., z. B. wo Operation 
aus irgend einem Grunde kontraindiziert ist, man denke an stark ausgeblutete 
Patientinnen, oder nur vorübergehend gewünschte Kastration usw. Gerade 
die Frage vorübergehend gewünschter Kastration erwähnt Verfasser nicht in 
dem Maße, wie es erwünscht schiene. Die Geister (werden sich vielleicht 
einmal so scheiden, daß es heißt: diese Fälle eignen sich mehr für 
0. K., diese mehr für R. K., so daß die beiden Methoden nicht als Rivalen 
auftreten, sondern als Geschwister, die beide in gleicher Weise fürs Wohl 
der Patientinnen, resp. auch der Patienten sorgen. 

Schütze-Darmstadt. 

ßiermanD, Beiträge zur Behandlung der Leukämie mit Röntgenstrahlen. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

Verfasser berichtet über 5 mit Röntgenstrahlen behandelte Fälle von 
myeloischer Leukämie. In 2 Fällen war der Einfluß der Behandlung nur 
gering, in zwei recht deutlich, in einem ganz vorzüglich, indem ca. D/ f 
nach der ersten, */s Jahre nach der dritten und letzten Bestrahlungsserie 
die Leukozytenzahl niedrig geblieben, die Milz unfühlbar ist, das Gewicht 



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Referate und Besprechungen. 


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zugenommen hat, und Wohlbefinden besteht. Von Heilung kann man auch 
in diesem Falle nicht sprechen, da das Blut noch Leukämietypus zeigt; 
er beweist aber doch, wie weit die Besserung gehen kann, wenn man die 
Röntgenbehandlung früh zur Anwendung bringt. Die Frühdiagnose wird 
allerdings oft schwierig sein, solange noch kein deutlicher Milztumor oder 
Lymphdrüsenvergrößerung besteht, öfter wird dann die Anamnese den 
richtigen Weg zeigen, und man soll bei jahrelang bestehenden Beschwerden, 
wie Spannungsgefühl im Leib, gelegentlichem Erbrechen, Obstipation, Mattig¬ 
keit, Kreuzschmerzen, rheumatischen Schmerzen in den Beinen, wenigstens 
an Leukämie denken. M. Kaufmann. 

Joseph, M. und Slebert, C. Die Röntgenbehandlung in der Dermatologie. 
(Deutsche med. Woch.'.1912, Nr. 2.) 

Die Verfasser schließen aus ihren Beobachtungen, daß wir mit Rönt¬ 
genstrahlen hervorragende Erfolge erzielen bei der Psoriasis (am dank¬ 
barsten die frischen Eruptionen der Psoriasis punctata), einzelnen Ekzem¬ 
formen (besonders chronisch nässenden Formen), dem Lichen chronicus Sim¬ 
plex, der Sykosis und dem Hydrocystoadenoma tuberosum multiplex. Aber 
auch bei Akne, Pruritus, Epitheliomen und oberflächlichen Karzinomen ist 
die Röntgentherapie in einer großen Zahl der Fälle zur Unterstützung 
anderer Maßnahmen heranzuziehen. Bei vorsichtiger Dosierung und rich¬ 
tiger Technik lassen sich wohl nicht gewollte Röntgenschädigungen mit 
Sicherheit vermeiden. M. Kaufmann. 

Nov&k, Ad. Zur radiologischen Diagnose der Dünndarmrerengerung. 
(Wiener klin. Woch. 1911, Nr. 52.) 

Noväk hat 15 Fälle von Passagehindernis am Dünndarm radiologisch 
festgestellt, von denen 9 bei der Operation kontrolliert und bestätigt wer¬ 
den konnten. 7 Fälle werden ausführlich beschrieben. Hauptsymptome sind 
eine abnorme Füllung des prästenotischen Abschnittes sowie beständige Form¬ 
veränderungen am Inhaltsschatten als Ausdruck einer regen, effektlosen 
Peristaltik. Bei Stenosen in der Nähe des Pylorus sind diese Bilder dauernd, 
solange Inhalt im Magen ist; in den tieferen Abschnitten ist dies nicht 
der Fall, weshalb hier wiederholte Durchleuchtungen angezeigt sind. In 
zwei Fällen war eine stürmische Peristaltik zu beobachten; hier handelte 
es sich um chronische Stenosen in tieferen Dünndarmabschnitten. In einem 
Falle ließen sich multiple Dünndarmstenosen durch horizontale Flüssigkeits¬ 
niveaus mit obenstehenden hellen Gasansammlungen diagnostizieren. (Die 
Einzelheiten des Aufsatzes müssen im Original aufgesucht werden.) 

M. Kaufmann. 

Reicher, K. und Lenz, E. Weitere Mitteilungen zur Verwendung der 
Adrenalinanämie als Hautschutz ln der Röntgen- und Radiunitherapie. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

Die von den Verfassern früher (Münch, med. Woch. Nr. 24, 1911) beschrie¬ 
bene Methode, die Haut durch Adrenalininjektionen gegen die Wirkungen 
intensiver Röntgenbestrahlungen zu schützen, ist unterdessen von anderer 
Seite nachgeprüft und zu weiterer Nachprüfung empfohlen worden. In 
neuen Versuchen versuchten .die Verfasser — aber ohne Erfolg — die Injektion 
durch Adrenalinsalbe zu ersetzen; dagegen fanden sie in der Iontophorese 
eine geeignete Applikationsform für das Adrenalin; die differente Elektrode 
ist dabei der positive Pol in Form eines mit Adrenalin-Novokainlösung 
getränkten Mulläppchens. Die Adrenalinstammlösung wird mit 2 Teilen 
y» o/o Novokainlösung verdünnt; von der Mischung werden je nach Größe 
der Fläche 6—9 ccm verwendet. Die Fläche der Elektrode muß etwas 
kleiner sein als das Mulläppchen; beide seien etwas größer als das zu 
bestrahlende Hautfeld. Die nötigen Stromstärken liegen zwischen 5—20 M. A. 
Die Applikation soll 10 Minuten dauern. Die maximale Intensität der Anä¬ 
mie bleibt gewöhnlich Vs Stunde lang erhalten, also eine Zeit, die zur 
Applikation einer 3 /i Erythemdose reichlich genügt. Die Jontophorose wird 


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Referate und Besprechungen. 


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man statt der Injektion zur Anwendung bringen einmal bei der Bestrah¬ 
lung großer Hautflächen, da die Zahl der Einstiche hier sehr groß würde, 
dann auch bei stichscheuen Patienten. Wichtig ist, daß alle Hautstellen 
im Bereiche des Strahlenfeldes während der ganzen Dauer des Strahlen- 
durchgangs völlig blaß sind. Die Methode der Adrenalindesensibilisierung 
dürfte auch für die Radiumtherapie von Nutzen sein. 

M. Kaufmann. 

Hernaman-Johnson, F. (Durham), Die postoperative Behandlung des Krebses. 

(Practitioner, Bd. 88, H. 2.) 

H. verwendet Röntgenstrahlen und Radium, auf die wohl nicht ein¬ 
gegangen zu werden braucht, sowie Schilddrüsen- und Thymusextrakt Von 
ersterem sind einige gute Resultate berichtet worden, die aber doch ziem¬ 
lich vereinzelt stehn und bei deren Beurteilung man nicht vergessen darf, 
daß die Bösartigkeit dessen, was die Histologen Karzinom nennen, sehr 
verschieden ist und daß es zweifelhafte Fälle und außerdem Fehldiagnosen 
gibt. Thymusextrakt soll in mehreren Fällen den Schmerz erleichtert und 
die Bildung von Rezidiven verzögert haben. 

Was die Art der Wirkung betrifft, so hat man beobachtet, daß Rönt¬ 
gen- und Radiumstrahlen Einfluß auf sich rasch teilende Zellen haben und 
zwar in dem Sinne, daß kleine Dosen die Vervielfältigung anregen, große 
sie aufhalten. Die Thyreoidea regt das Wachstum an und reguliert es, 
denn ihre Hyposekretion macht Kretinismus und gleiches gilt von der gl. 
Thymus, denn ihre Exstirpation verlangsamt das Wachstum. Auf diese Weise 
hat man also ein Brückchen zum Verständnis ihrer Wirkung geschlagen, 
das freilich bis jetzt auf recht unsicheren Boden führt. 

Übrigens gibt H. bemerkenswerterweise zu, daß nicht wenige Fälle 
von spontaner Rückbildung von Krebsrezidiven einwandfrei beobachtet sind. 
(Wer sich dafür interessiert, dem ist Schlegels interessantes Krebsbuch 
zu empfehlen.) Fr. von den Velden. 


Vergiftungen. 

Hiigermann, R. (Coblonz), Wassermannsehe Reaktion und Blelintoxikation. 
(Deutsche med. Woch. 1912, No. 3.) 

Von mehreren Autoren war gefunden worden, daß man bei manchen 
Bleivergifteten auch ohne Lues eine positive Wassermannsehe Reaktion 
findet. Die genauen Untersuchungen des Verfassers in 35 Fällen einwandfreier 
Bleiintoxikation, schweren wie leichten, akuten wie chronischen Fällen er¬ 
gaben stets eine negative Reaktion, und Verfasser glaubt, daß es sich 
in den von Dreyer gefundenen 6 positiven Reaktionen (unter 40 Fällen) 
doch um Lues gehandelt hat, während die von Schnitter mit der Sternschen 
Modifikation erhobenen, noch zahlreicheren positiven Befunde seiner An¬ 
sicht nach nur zeigen, daß man mit Modifikationen nicht arbeiten soll. 

M. Kaufmann. 


Medikamentöse Therapie. 

Plehn, Zur Kenntnis der Wirkungsweise der Phenylchinolinkarbonsäure 
(Atophan) bei chronischer Gicht. (Deutsche med. Woch. 1912, No. 3.) 

Auch die Versuche Plehns bestätigen die Weintraudschen Angaben. 
Das Atophan steigert die Harnsäureausscheidung bei den meisten chronisch 
Gichtkranken bis aufs Doppelte und weiter; die Mehrausscheidung dauert bei 
ihnen länger als bei Gesunden. Die Wirkung auf die lokalen Entzündungs- 



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erscheinungen ist gewöhnlich ausgezeichnet (6 Fälle werden genauer mitge¬ 
teilt). Um diese Wirkung dauerhaft zu machen, ist langer Fortgebrauch 
dt« Mittels und seine Unterstützung durch den übrigen Heilapparat nötig. 
Schaden wurde von dem Mittel nie gesehen. M. Kaufmann. 


Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie. 

Metalnlkov, Ober die Neutralisierung von Spermatoxinen und Alkaloiden 
durch Extrakte des Hodens und Nebenhodens. (Pflügers Archiv für die ges. 
Physiologie 1911, Bd. 138, S. 14.) 

1. Bei Tieren, in deren Blute starke Spermatoxine enthalten sind, 
erweisen sich die dem Nebenhoden entnommenen Spermatozoen als durch¬ 
aus normal und lebensfähig. 

2. Die Spermatoxine üben keine Wirkung auf die in dem Hoden und 
dem Nebenhoden enthaltenen Spermatoxine aus, weil hier eine besondere 
Grundsubstanz vorhanden ist, welche die Spermatozoen neutralisiert oder 
unschädlich macht. 

3. Diese Grundsubstanz wirkt neutralisierend nicht nur auf künstliche 
Spermatoxine, sondern auch auf andere für Spermatozoen giftige Sub¬ 
stanzen, so auf das Serum anderer Tiere, einige Toxine und Alkaloide. 

4. Unter den Alkaloiden übt das Nikotin die stärkste Wirkung auf 
die Spermatozoen aus, welches aber nichtsdestoweniger von den Extrakten 
aus dem Nebenhoden gut neutralisiert wird. 

5. Durch gewisse Alkaloide, z. B. durch das Curare, werden die 
Spermatozoen selbst dann nicht getötet, wenn sehr starke Lösungen zur 
Anwendung kommen. Allein es genügt, dem Curare etwas Nebenhodenextrakt 
beizumischen, damit dasselbe die Spermatozoen rasch zu töten beginnt. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


Weber, H., Cammidge - Reaktion und Srhmelzpunktbcstlmmung unter dem 
Mikroskop. (Deutsche med. Woch. 1912, No. 4.) 

Die Auffassung der Cammidgereaktion als einer Pentosenreaktion, 
wie sie Cammidge zuletzt vertrat, ist nicht unbestritten geblieben. Zur 
Klärung der Frage konnte vor allem eine exakte Schmelzpunktbestimmung 
beitragen, die aber bei den geringen zur Verfügung stehenden Substanz¬ 
mengen mit den gewöhnlichen Methoden nicht zu machen und nur mik¬ 
roskopisch zu bewerkstelligen war. Nach vielen vergeblichen Versuchen 
gelang es Verfasser, einen hierzu brauchbaren Apparat zu konstruieren. 
Damit konnte er feststellen, daß der Schmelzpunkt der Osazone nicht einem 
Pentosazon, sondern einem Hexosazon entspricht. Es gelangt offenbar bei 
Pankreaserkrankungen, und zwar, sobald die Drüse zur Sekretion gebracht 
wird, in den Harn ein Stoff, welcher aus der Verbindung einer Hexose 
mit einer noch nicht sicher bestimmbaren Substanz besteht, nicht gärungs¬ 
fähig, sehr leicht zersetzlich ist und durch verschiedene Einflüsse, speziell 
durch Kochen mit Salzsäure, sich derart spaltet, daß sein Hexosenanteil als 
Phenylglykosazon in Form der Cammidgesehen Reaktion nachweisbar wird. 
Verfasser hält die Reaktion für wertvoll. M. Kaufmann. 


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Bücherachau. 


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Bücherschau. 


Kanngießer, Vergiftungen durch Tiere luid animalische Stoffe. Ein Grund¬ 
riß der zoologischen Toxikologie für praktische Ärzte u. Naturwissenschaftler. 
Jena 1911. Gustav Fischer. 

Dem medizinischen Leser, der sich von der Universität her ein wär¬ 
meres Interesse für die Zoologie auch hernach als Praktiker erhalten hat, 
wird das vorliegende Büchelchen recht willkommen sein, da es alles für 
den Mediziner Wissenswerte aus dem Gebiete der Zoologie in einer trotz 
der Konzentration klaren Diktion enthält. Den Abschnitt über die Proto¬ 
zoen, deren Studium etwas ungemein Anziehendes an sich hat, hätte Kef. 
gern etwas ausführlicher gewünscht. Auf Einzelheiten kann Ref. hier nicht 
eingehen und möchte nur erwähnen, daß ihm keine ähnlich fleißige Zu¬ 
sammenstellung in der Literatur bekannt ist. Unter den animalischen Vergif¬ 
tungen führt Verfasser die Speisevergiftungen, die Barlowsche Krank¬ 
heit, Serumkrankheiten und Anaphylaxie, Thyreoidin und Adrenalin, Base¬ 
dowsche Krankheit, Osteomalazie, Urämie und Schwangerschaft an. Das 
kleine Werkchen, dessen geringer Anschaffungspreis ihm weiteste Verbreitung 
sichert, sollte in der Bibliothek keines praktischen Arztes, Tierarztes oder 
Zoologen fehlen. Auch dem jungen Mediziner, der ins Physikum steigt, 
wird es besonders wegen der Zuverlässigkeit seiner Angaben und seines 
handlichen Formates, ein treuer Begleiter sein. Endlich dürfte sich der 
„kleine Kanngießer“ als Anleitung zum zoologischen Praktikum für Medi¬ 
ziner empfehlen. Ref. wünscht dem Werkchen weiteste Verbreitung. Viel¬ 
leicht ließen sich bei einer etwaigen Neuauflage einige Abbildungen aus 
dem Hertwigschen Lehrbuch bringen! K. Boas-Straßburg i. E. 


Gruber, Prof. Dr. Max v.: Hygiene des Geschlechtslebens. (Vierte vermehrte 
und verbesserte Auflage. Mit 2 farbigen Tafeln. (Ernst Heinrich Moritz in 
Stuttgart.) Brosch. M. 1.20, gebd. M.1.50 

Der Verfasser dieses Buches ist ein hervorragender Hygieniker, der 
mit der vorliegenden Arbeit den Zweck verfolgt, volle Einsicht in das 
Geschlechtsleben zu bieten, weil sie allein — zur rechten Zeit empfangein 
— den besten Schutz gegen die Gefahren bietet, die dem einzelnen wie der 
Gesamtheit aus dem Geschlechtsleben drohen. 

Das Werk behandelt in durchaus ernster, offener und allgemeinver¬ 
ständlicher Weise: die Befruchtung, Vererbung und Zuchtwahl, die Ge¬ 
schlechtsorgane, den Geschlechtstrieb und die angebliche Notwendigkeit 
seiner Befriedigung, die Folgen der geschlechtlichen Unmäßigkeit und Regeln 
für den ehelichen Geschlechtsverkehr, die künstliche Verhütung der Be¬ 
fruchtung, die Verirrungen des Geschlechtstriebes, die venerischen Krank¬ 
heiten usw. usw. 

Dem Leser des Gruberschen Buches wird der ungeheure Ernst des 
Geschlechtslebens und der Zeugung zum Bewußtsein kommen, er wird er¬ 
kennen, wie eng das Kind bis in jede einzelne seiner Myriaden von Zellen 
hinein mit dem Leibe seiner Eltern und Vorahnen verknüpft ist und in 
wie hohem Grade daher sein ganzes Sein von ihrer Eigenart, Tüchtig¬ 
keit, Kraft und Gesundheit abhängig ist. 

Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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URBANA-CHAMPAIGN 



30 Jahrgang 


1912 


Tortscbrim der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hernnsgegeben von 

Prof. Dr. ®. Kösfer Ptlp.-Doz. Dr. v. Crlegern Prof. Dr. ß. Pogl 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadt, Grüner Weg 86. 



1 erscheint wScbenttld) jum preise von s matt» für bas ’ 

• « 

Nr. 15 

. Balb|abr. 


Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S- 
Allelniqe -tnseratenannabme bureb (IVajc Oelsborl, 
Hnnoncen-Bureau, Cberswalbe bei Berlin. 

11. April. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


' i 

Die Behandlung der KnochenbrOche. 

Von Dr. Richard r. Hippel in Giessen. 

Seit der Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts 
hat sich auf dem Gebiet der Frakturenbehandlung ein Umschwung 
der Anschauungen vollzogen, der unser chirurgisches Handeln auf 
eine ganz neue Grundlage gestellt hat. Früher lautete das Schema, das 
auch heute noch für die grosse Mehrzahl der praktischen Aerzte zu 
gelten scheint: möglichst gute Korrektur der Verschiebung der Frag¬ 
mente, Fixation auf Schienen oder mit zirkulärem Gipsverband bis 
zur Konsolidation, dann Mobilisierung der inzwischen versteiften be¬ 
nachbarten Gelenke, Wiederherstellung der atrophierten Muskulatur 
durch Massage, Gymnastik, Elektrizität und Bäder. 

Röntgen verfahren und Unfallgsetzgebung haben 
die Illusion gründlich zerstört, dass wir nach diesem Schema wirklich 
befriedigende Heilungen bei Knochenbrüchen erzielen könnten: Ersteres 
zeigte zur grössten Ueberraschung der Chirurgen, dass auch bei anschei¬ 
nend in tadelloser Stellung geheilten Frakturen eine anatomisch richtige 
Stellung der Fragmente selten oder nie erreicht war, letzteres lehrte, 
dass die schönste anatomische Heilpng wertlos für den Verletzten ist. 
wenn sie erkauft wird mit Atrophie der Muskeln und Versteifung der 
Gelenke, desen Beseitigung monatelange, mühselige und kostspielige 
Nachbehandlung erfordert und in einer grossen Zahl von Fällen über¬ 
haupt nicht gelingt. Wir lernten ferner, dass die Funktion des ver¬ 
letzten Gliedes eine vollkommene und ungestörte sein kann auch da. 
wo eine anatomisch richtige Heilung des Bruches nicht erfolgt war, 
sondern die Fragmente im Röntgenbild eine mehr oder weniger starke 
Verschiebung zeigten, wenn nur einer Gelenk Versteifung und Muskel¬ 
atrophie rechtzeitig vorgebeugt wurde. 

Die Folge dieser Erkenntnis war es, dass die Chirurgen in den 
letzten 15 Jahren sich wieder mit neuem Eifer des in einem gewissen 
Schematismus erstarrten Gebietes der Bruchbehandlung angenommen 
haben; als Frucht dieser Bemühungen ist eine Reihe von neuen Methoden 
entstanden, die zwar nicht alle für den praktischen Arfct geeignet sind 

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v. Hippel, 


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und deren Wahl von der Erfahrung des Einzelnen abhängen wird, die 
aber doch auch der Praktiker kennen soll, uni das für seine besonderen 
Bedürfnisse Geeignete sich zu nutze machen zu können. Allen diesen 
Methoden gemeinsam ist das Prinzip, die Gebrauchsfähigkeit des ver¬ 
letzten Gliedes nicht erst verloren gehen zu lassen, um sie später nach 
vollzogener Konsolidation in mühevoller, zeitraubender Nachbehand¬ 
lung oft genug nur unvollkommen wiederherzustellen, sondern 
von vornherein während der Dauer der Wieder¬ 
vereinigung der Bruchstücke dafür zu sorgen, 
dass die Funktion erhalten bleibt. Im einzelnen wird 
dabei der anatomisch exakten Heilung nicht immer die gleiche Bedeutung 
beigelegt, ausgehend von der oben erwähnten Tatsache, dass die Funk¬ 
tion von jener bis zu gewissem Grade unabhängig ist. 

Der Hauptvertreter einer alleinigen funktionellen 
Behänd lun g unter weitgehender Vernachlässigung der anatomischen 
Heilung ist L u c a s - C h a m p i o n n i fe r e '). Frühzeitige Massage, 
gleich nach erfolgt,er Verletzung leitet die Behandlung ein. Auf die 
Technik der Massage, die von grösster Bedeutung für den Erfolg ist, 
kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Gesagt sei nur, 
dass sie, wie jede Massagebehandlung bei Knochenbrüchen unbedingt 
vom Arzt vorzunehmen und nicht ernenn Heilgehilfen zu überlassen 
ist. Zur Massagebehandlung hei solchen Verletzungen gehören ärztliche 
Kenntnisse nicht nur allgemein anatomisch-physiologischer Art, sondern 
auch besondere über den Verlauf der Bruchlinie und die Stellung der 
Fragmente, ohne die mehr Schaden als Nutzen bei der Massage gestiftet 
werden kann. Wer sich also nicht die Zeit nehmen kann oder will, Massage 
und Bewegungstherapie — denn für diese gilt das Gleiche — selber aus¬ 
zuführen, der soll überhaupt, die Hände von Knochenbrüchen weglassen 
und sie von vornherein einem Spezialisten oder einer Heilanstalt über¬ 
weisen. 

Um zu Championnieres Behandlung zurückzukehren, so 
bezweckt er mit seiner sofort nach bestimmten Regeln ausgeführten 
Massage Förderung der Zirkulation, Anregung der Nerventätigkeit, 
Beseitigung des Blutergusses und des Oedems und Herbeiführung 
einer baldigen Unempfindlichkeit der Bruchstelle, die schon nach wenigen 
Tagen die Vornahme leichter passiver Bewegungen der benachbarten 
Gelenke gestattet, wobei natürlich vorsichtig verfahren werden muss, 
damit keine neuen Verletzungen bezw. Verschiebungen beweglicher 
Bruchstücke entstehen. Bei Brüchen ohne Dislokation oder ohne 
Neigung zur Wiederkehr einer solchen nach erfolgter Reposition fixiert 
Championniere überhaupt nicht, sondern begnügt sich mit 
einer Flanellbindeneinwickelung, bei den Brüchen der oberen Glied¬ 
massen lässt er einen Bindenzügel oder eine Mitelia tragen. Die unteren 
Gliedmassen stellt er zwischen langen Sandsäcken ruhig. Bei Brüchen 
mit starker Verschiebung und Neigung zu deren Wiederkehr wfird für 
kurze Zeit immobilisiert bezw\ bei Oberschenkelfrakturen extendiert; 
schon nach wenigen Tagen soll die Verlötung an der Bruchstelle so fest 
sein, dass eine Wiederkehr der Verschiebung auch ohne Verband nicht 
mehr zu befürchten ist. Einer zurückbleibenden Dislokation der ßruch- 


’) Hinsichtlich der neueren Literatur verweise ich auf Bardenheuer 
&Grae8sner: ,,r>ie Behandlung der Frakturen“, Ergebnisse der Chirurgie und 
O qvopädie Band 1, Seite 173. 



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. .' . - 4 t 

Die Behandlung der Knochenbrüche. 451 

siticke in massigen Grenzen, wie sie bei dieser Methode kaum ausbleiben 
wird, legt Championniere keine Bedeutung bei, da sie für die 
normale Funktion kein Hindernis bildet. 

In Deutschland hat das Verfahren nur eine beschränkte Zahl von 
Anhängern gefunden; ihr eifrigster Vertreter war wohl Jordan. Wir 
glauben, ihre Anwendung beschränken zu sollen auf Brüche in der 
Nähe von Gelenken, falls keine oder doch nur eine ganz geringfügige 
Verschiebung der Bruchstücke ohne Neigung zur Wiederkehr besteht, 
also namentlich bei typischen Radius- und Knöchelbrüchen mit der 
erwähnten Einschränkung. Ausdrücklich weist auch Deutsch¬ 
länder darauf hin, dass eine sichere Beherrschung der Massage¬ 
technik und eine genaue Kenntnis des physiologischen Gelenkmecha¬ 
nismus unerlässliche Vorbedingung für diese Behandlungsmethode ist, 
die keinenfalls iri Laienhände gelegt werden darf. 

Allen übrigen Methoden gemeinsam ist die gleichzeitige 
Anstrebung der anatomischen neben der funk¬ 
tionellen Heilung. Ihre Voraussetzung ist. abgesehen von den 
bei richtiger Technik dies allein besorgenden Streckverbänden, d i e 
möglichst sofortige und exakte Reposition der 
dislozierten Fragmente. Um diese ausführen zu können, 
bedürfen wir einer genauen anatomischen Kenntnis der Bruchform 
und der Verschiebungsrichtung der Bruchstücke. Soweit es sich nicht 
uni durchaus typische Brüche handelt, ist diese Kenntnis nur durch 
die Röntgenuntersuchung zu gewinnen. Diese sollte daher 
bei allen schwereren und komplizierteren Bruchformen, besonders bei 
den in der Nähe von Gelenken gelegenen oder in ein Gelenk hinein¬ 
reichenden Brüchen, ebenso bei allen Luxationen, die in der .Mehrzahl 
der Fälle mit Knochenabsprengungen einhergehen, wenn angängig, stets 
vorgenomrnen werden. Zu betonen ist dabei, dass regelmässig zwei 
Aufnahmen in zueinander senkrechter Projek¬ 
tionsrichtung gemacht werden müssen; eine Aufnahme ist 
wertlos für die Beurteilung des Bruches. Wo aus äusseren Gründen 
eine Röntgenuntersuchung nicht zu ermöglichen ist, was heutzutage 
wohl nur noch auf dem Lande zutrifft, sollte bei schwierigen Brüchen 
stets in Narkose untersucht und die möglichst exakte Diagnose 
gestellt werden, an welche sich sogleich die Reposition anzuschliessen 
hat. Diese kann ohnehin in der Mehrzahl der Fälle ohne Narkose wegen 
des durch die Schmerzen ausgelösten Muskelwiderstandes nicht ge¬ 
nügend sorgfältig durchgeführt werden. In dem soeben erschienenen 
Band IV. der Ergebnisse der Chirurgie und Orthopädie“ zeigt H. Braun, 
dass man durch Einspritzung einer Novokain-Suprarcninlösung an die 
Bruchstelle dasselbe in vollkommener Weise erreichen kann, wie durch die 
Narkose, eineTatsache, die besonders für den ohne geschulteAssistenz ar¬ 
beitenden Arzt von grösster Bedeutung ist. Je länger aber mit der Repo¬ 
sition gezögert wird, um so schwieriger ist sie lediglich manuell zu er¬ 
zielen, da die sehr bald sich retrahierenden Weichteile ihr einen unüber¬ 
windbaren Widerstand entgegensetzen. Deshalb ist es auch unrichtig, 
das gebrochene Glied, wie es noch so vielfach geschieht und früher fast 
zur Regel gehörte, zunächst ohne genaue Reposition der Fragmente 
auf eine Schiene zu lagern, „um erst die Abschw'ellung abzuwarten“. 
Gerade dieses Verfahren begünstigt erst das Zustandekommen eines 
bedeutenden Blutergusses, da der feste Gegendruck von aussen fehlt, und 
versäumt zudem die für die Einrichtung des Bruches günstige Zeit. 

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v. Hippel, 


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Solche Schienenverbände sind nur als Not- und Transportverbände 
zulässig und setzen die möglichst umgehende Ueberführung des Ver¬ 
letzten in sachgemässe Behandlung voraus. 

Unter den Methoden, welche gleichzeitig anatomische und funk¬ 
tionelle Heilung erstrebt, stehen, soweit die so häufigen- Radius- und 
Malleolarfrakturen in Betracht kommen, u. E< L e x e r’s Methode 
des Banda gicrensin Korrekturstellung mit Spiel¬ 
raum für ungefährliche Bewegungen obenan. Soweit 
aus den seitherigen Veröffentlichungen hervorgeht, zeichnet sie sich 
ebenso durch die Sicherheit der Erfolge aus wie durch die Kürze der 
Behandlungszeit und die Einfachheit ihrer Ausführung, die sie dem 
Praktiker besonders empfiehlt. > 

Bei dem typischen Radiusbruch wird die Reposition fast stet? 
ohne Narkose (wenn nötig im Aetherrausch) in folgender Weise vor¬ 
genommen, wie sie an der v. Bergman n’schen Klinik schon in 
meiner Assistentenzeit in den 90er Jahren üblich war: Während ein 
Assistent (dieser kann auch ein Laie sein) am rechtwinklig gebeugten 
Ellbogen die Epikondylen umfasst und den Gegenzug besorgt, wird 
unter starkem Ziehen am Daumen die Hand mit einem plötzlichen 
kräftigen Ruck in Flexion, Pronation und Abduktion gebracht, wo¬ 
mit auch die stärksten Verschiebungen ausgeglichen werden. Die Re¬ 
tention in korrigierter Stellung besorgt eine einfache Flanellbinde. 
Beim Anlegen der Binde steht man am rechten Arm vor, am linken 
hinter dem Kranken. Man beginnt mit der Binde über dem Condvlus 
externus, führt sie von hier über den Handrücken und über den 

2. i Mittelhandknochen, dessen Köpfchen an mageren Händen etwas 
mit Watte gepolstert wird, hinweg, von da wird über die Vola 
und die ulnare Kante der Hand wiederum das Dorsum erreicht, sodann 
läuft die Binde vom radialen Rand des 2. Metac'arpus über die Vola 
zurück, gelangt oberhalb der Handgelenkgegend zur Streckseite 
des Vorderarms, um den sie in 2 Schlangentouren bis zum Gondylus 
externus herumgeht. Von hier beginnen dieselben Gänge je nach 
Bedarf 2— 3 mal, wobei man die Hand noch stärker abduzieren, 
flektieren und pronieren kann, namentlich wenn man beim 2. oder 

3. Gang von 1 zu 3 ohne 2 übergeht. Dies ist jedoch nur selten notwen¬ 
dig. Es empfiehlt sich, bei sehr empfindlichen Leuten und bei sehr starker 
Dislokation den Verband 2—3 Tage liegen zu lassen und ihn von 
vornherein zur Stillung der Schmerzen mit einer Suspensionsschleife 
zu versehen. Bei Trunkenbolden legt L e x e r über den Verband 
noch eine entsprechend gebogene, mit Stärkebinde befestigte Papp¬ 
schiene. 

Vom 2.—3. Tage an wird die Binde täglich zur Massage und zu 
warmen Bädern abgenommen, wobei die Patienten immer ausgiebiger 
ihre Finger und ihr Handgelenk bewegen. In der Korrekturstellung 
wird die Binde durchschnittlich eine Woche getragen, darauf genügt 
eine einfache Spica, um die Hand etwas zu schützen. Die Mitelia, in 
welcher der verletzte Arm getragen wird, bleibt nach der ersten Woche 
fort. Nach 2 Wochen brauchen die meisten Patienten keine Behandlung 
mehr. Ist ausnahmsweise die Beweglichkeit noch nicht gut und noch 
nicht ganz schmerzfrei, so empfehlen sich 2—3 mal täglich warme 
Handbäder. 

Nach denselben Prinzipien verfährt L e x e r , bei den Knöchel- 



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Die Behandlung der Knochenbrfiche. 


453 


briiehen. Bei den häufigsten Abduktionsfrakturen der Malleoien (Um¬ 
knicken in Abduktion des Fusses, Abriss des Malleolus int. und Knick¬ 
fraktur der Fibula meist oberhalb des Knöchels) nimmt nach gründlicher 
Reinigung der Haut und Rasieren der Haare der Assistent mit dem bekann¬ 
ten Griff — Ferse in der Hohlhand, Zehen in der anderen Hand — die 
Korrektur vor, wobei vor allem auf die Adduktion des Kalkaneus und 
Talus und zweitens auf eine geringe Supination des Fusses zu achten 
ist. Diese Korrekturstellung wird durch einen 8 cm breiten Segeltuch- 
heftpflasterstreifen erhalten, welcher an der Innenseite der Wade begin¬ 
nend schräg nach aussen zum Malleolus externus absteigt; diesen und 
den äusseren Abschnitt des Fersenbeins bedeckend quer über die 
Sohle dicht vor dem Fersenhöcker verläuft und nun unter starkem Zug 
über den inneren Knöchel hinweg senkrecht nach oben bis in die Höhe 
des Tuberculum tibiae an der Innenseite des Unterschenkels aufsteigt. 
Darauf folgt ein zweiter Heftpflasterstreifen, welcher genau denselben 
Weg nimmt, jedoch etwas nach vorn liegt, so dass von dem ersten 
Streifen etwa ein Drittel unbedeckt bleibt. Während der erste Streifon 
die Adduktion des Fusses besorgt, so dass die Achillessehne von hinten 
betrachtet nicht mehr einen Winkel nach aussen zur Längsachse bildet, 
sondern eine leichte Biegung nach innen mit der Ferse nimmt, hält 
der zweite Streifen den Fuss in Supinationsstellung. Ueber die Heft¬ 
pflasterstreifen kommt eine Mullbinde, um ihr gleichmässiges Fest¬ 
kleben zu bewirken. 

Der Patient bleibt, wenn er sofort nach der Verletzung zur Be¬ 
handlung kam, einen Tag zu Bett. Am nächsten Tag haben alle Fälle 
ohne Schmerzen aktive Bewegungen (Extension und Flexion) des Fusses 
und der Zehen begonnen und sind aufgestanden mit Hilfe von.Krücken 
oder zweier Stöcke, ohne mit dem verletzten Fuss aufzutreten, ln der 
ersten Woche wird der Versuch erlaubt, die Fussspitze etwas zu be¬ 
lasten. in der zweiten mit dem ganzen Fuss leicht aufzutreten; dies 
jedoch nur zur Uebung. In der dritten Woche konnte eine Reihe von 
Fällen ohne jeden Schmerz den Fuss belasten, ein Patient sogar allein 
auf dem verletzten Bein stehen. Krücken und Stöcke blieben jetzt fort, 
beim Gehen wurde aber darauf geachtet, dass der Fuss gradeaus nach 
vorn gestellt wurde, um das Abwickeln über den inneren Fussrand zu 
vermeiden. Schwere Leute bekamen eine Plattfusseinlage. In der vierten 
Woche konnten sie alle ohne Beschwerden und Stockhilfe gehen. Das 
Heftpflaster wurde vorsichtshalber erst in der fünften Woche weggelassen. 
Während der ganzen Behandlung wurde der aktiven Uebung grosse 
Aufmerksamkeit geschenkt. Die Heftpflasterstreifen wurden sofort 
erneuert, sobald sie sich lockerten. Ein leichtes Abweichen des Fusses 
im Sinne der Abduktion sieht man stets an der Achillessehne, so dass 
man sofort die Heftpflasterstreifen erneuern und die Stellung wieder 
verbessern kann. 

Ein traumatischer Plattfuss ist nach Lexer-nicht zu befürchten. 

Auch für die Adduktionsfrakturen (Umknicken in Supination. 1 - 
Stellung, Rissbruch des Malleolus ext., Knickbruch am inneren Knöchel) 
hat er das Verfahren bewährt befunden. Die Pflasterstreifen verlaufe n 
dabei in umgekehrter Richtung wie bei den Abduktionsfrakturen. Ls 
ist dabei nicht nötig, den Fuss durch Ueberkorrektur in Pronation zu 
bringen, sondern es genügt vollständig die Mittelstellung. 

Die Verbände müssen mindestens alle zwei Tage kontrolliert werden. 


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454 v. Hippel, 

Bei der praktischen Wichtigkeit des L e x e r’schen Verfahrens, 
das sieh auch unter den primitivsten äusseren Verhältnissen durchführen 
lässt und ausgezeichnete Resultate zu geben scheint; glaubte ich die 
Methode etwas eingehender schildern zu sollen. 

Der Forderung einer gleichzeitigen anatomischen und funktionellen 
Heilung sucht weiter gerecht zu werden das Extensionsverfah¬ 
ren in seinen verschiedenen Modifikationen. In seinen Anfängen bis 
in die Zeiten des Hippokrates zurückreichend wurde der Streck¬ 
verband in brauchbarer einfacher Form in Deutschland zuerst von 
R. v. V o 1 k m a n n empfohlen, um dann besonders von Barden¬ 
heuer und seinen Schillern in unendlicher Mannigfaltigkeit in höchst 
sinnreicher Weise für alle Formen von Knochenbrüchen zu einer Art 
Universalmethode ausgebildet zu werden. 

Die GrundanschäTiüngen, welche dem' B a r d en h e u e r’schen 
Verfahren unterliegen, sind folgende: Die Hauptursache für die Ent¬ 
wickelung und das Bestehenbleiben der Verstellung der Bruchstücke 
ist bei völlig aufgehobenem oder gelockertem Bruchflächenkontakt 
die elastische Retraktion aller die Bruchfläche umgebenden Gewebe, 
besonders der Muskulatur. Da die Ursache der Dislokation in einer 
lebendigen, dauernd wirkenden Kraft liegt, ist es auch geboten, eine 
dauernd wirkende Kraft gegen dieselbe zur Anwendung zu bringen. 
Aber auch bei bestehendem Bruchflächenkontakt, namentlich bei 
winkliger Verstellung der Bruchstücke, wirkt die elastische Retraktion 
der Muskulatur so arg, dass ihre Einwirkung durch geeignete Züge un¬ 
bedingt ausgeschaltet werden muss. Dieses Haupthindernis für die 
Aufhebung der Dislokation wird allmählich verstärkt durch die sekun¬ 
däre Entzündung der schon elastisch verkürzten Muskeln, durch die 
blutige Infiltration als Folge des traumatischen Reizes, welchen die 
dislozierten Fragmentstücke ausüben, später auch durch die binde¬ 
gewebige Umformung des entstandenen Exsudates und schliesslich 
durch die bindegewebige Entartung der Muskeln. 

Aus diesen Erwägungen ergibt sich die Notwendigkeit, zur Ver¬ 
hütung der dauernden Zunahme der Retraktion der Muskeln möglichst 
frühzeitig die Extension in Tätigkeit treten zu lassen und von vorn¬ 
herein soviel Gewichte an den Extensionszügen anzuhängen, dass die 
Retraktion der Muskeln wirklich überwunden ist. weil sonst nach 
der Erstarrung der Gewebe eine Reposition der Fragmente unmöglich 
wird. 

Vorerst ist es geboten, durch eine starke longitudinale Extension 
die Verkürzung auszugleichen, die bedingt ist in der Hauptsache durch 
die elastische Retraktion der mit dem gebrochenen Gliede parallel 
laufenden Muskulatur. Nun laufen aber nicht alle Muskeln parallel 
zur Knochenachse, sondern üben auch quer oder konzentrisch zur Längs¬ 
achse der Knochen ihre Wirksamkeit aus. Hieraus resultiert neben 
einer Verkürzung auch eine seitliche Verschiebung oder eine abnorme 
Drehung der Bruchstücke. Mit einem Ausgleich der Längsverschiebung 
allein ist daher nur in den seltensten Fällen ein gutes anatomisches 
Resultat zu erzielen, sondern wir bedürfen dazu auch der Quer- und 
Rotationszüge. Aber diese Züge können ihre volle Wirksamkeit nur dann 
ausüben, wenn die Längsverschiebung ganz ausgeglichen ist. 

Eine gewaltsame Reposition ist in der Regel bei Brüchen mit auf¬ 
gehobenem Bruchflächenkontakt nicht nötig, da die Verstellung durch 
die Extensionszüge allein meistens schon ausgeglichen wird; dagegen 



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Die Behandlung der Knochenbräche. 456 

muss vielfach hei den eingekeilten Frakturen mit erheblicher Verstellung 
diese in Narkose durch Lockerung behoben werden, wenn möglich, 
ohne den Bruchflächenkontakt zu lösen. 

Eine gute Adaption kürzt die Heilungsdaüer ab und gibt eine ge¬ 
ringe Kallusmasse. Nach Bardenheuer ist der überschüssige 
Kallus der Ausdruck des mangelhaften Kontaktes der Knochenwund¬ 
flächen, grade wie die Narbe an den Weichteilen der Ausdruck einer 
mangelhaften Vereinigung der Wundränder bezw. einer sekundären 
W'undinfektion mit Auseinanderweichen der Wundränder ist. Batden- 
heuer spricht daher auch von einer prima intentjo der Knochen- 
heilung und sucht bei der Heilung der Knochenkontinuitätstrennung 
ebenso wie bei der Hautwunde eine primäre Verheilung mit möglichst 
wenig Narbe, also Kallus, zu erzielen. Die innige Anpassung der Bruch¬ 
stücke bringt auch die zuweilen zwischengelagerte Muskulatur, die 
Hauptursache der Pseudarthrose. zur Resorption. 

Die permanente Extension erfüllt auch die zweite Forderung, dass 
sie gestattet, schon während der eigentlichen Frakturbehandlung, 
während der Kallusbildung, also im Streckverband, Bewegungen aus¬ 
zuführen. Dadurch eben, dass die Extension eine permanent wirkende 
Kraft ist, lässt sie bei vorsichtig ausgeführten Bewegungen eine Dis¬ 
lokation der Fragmente nicht zu bezw., wenn eine geringe Verschiebung 
eintreten sollte, wird diese durch die verschiedenen Züge gleich wieder 
behoben. Die Bewegungen müssen frühzeitig ausgeführt werden, anfangs 
passiv, dann aktiv; doch ist grosses Gewicht darauf zu legen, dass die 
Verletzten sobald wie möglich aktive Bewegungen vornehmen. 

Auf die Technik des Bardenheu e r’schen Verfahrens kann im 
Rahmen dieses Aufsatzes nicht näher eingegangen werden. Ich ver¬ 
weise in-dieser Hinsicht auf das Buch von Bardenheuer und 
Graessner: Die Technik der Extensionsverbände. Stuttgart, 
F. Enke 1909. 

Die Extensionsverbände sollen nach Bardenheuer angelegt 
werden 

1. bei allen subkutanen Frakturen der Extremitäten, 

2. bei allen reponierten Luxationen, die, wie uns die Röntgen¬ 
photographie gezeigt hat, fast immer mehr oder minder grosse 
Knochenabsprengungen oder -abreissungen aufweisen, 

3. bei komplizierten Frakturen der Extremitäten, wenn 

a) nur eine Durchspiessung der Haut stattgefunden hat, 

b) nicht zu grosse Weichteilverletzungen vorhanden sind und 
angenommen werden kann, dass eine Infektion der Wunde 
nicht vorliegt. 

Die Erfolge, die Bardenheuer und seine Schüler mit dem 
Ex tensionsverfahren erzielen, sind zweifellos ausgezeichnete. Trotzdem 
stehen seiner allgemeinen Einführung in die Praxis erhebliche Schwierig¬ 
keiten entgegen, welche es verhindern, dass es für den Praktiker die 
Methode der Wahl wird. Nicht so sehr die subtile Technik, die zweifellos 
grosse Uebung erfordert und die Notwendigkeit täglicher Ueberwachung: 
wer diese Voraussetzungen nicht erfüllen kann, der soll überhaupt lieber 
auf die Behandlung von Frakturen verzichten. Schwerwiegender ist 
auf seiten des Patienten die Notwendigkeit wochenlanger Bettruhe, 
die namentlich bei Brüchen der oberen Gliedmassen eine schwer durch¬ 
zuführende Forderung bedeutet. Zwar hat Bardenheuer selbst 


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156 


t. Hippel, 


in der Erkenntnis dieser Schwierigkeit den Heftpflasterzug an der obe¬ 
ren Extremität durch Federn ersetzt, die in Gestalt von Extensions¬ 
schienen die Durchführung einer ambtilanten Behandlung ermöglichen, 
allein der hohe Preis dieser Schienen verbietet ihre Anwendung in der 
Praxis. 

Die Durchführung des Verfahrens ist aber ausserdem bei schweren 
Frakturen mit stärkerer Dislokation der Fragmente sowie bei allen 
Gelenkfrakturen an die ständige Kontrolle durch die Röntgenstrahlen 
gebunden, die sicher auch für alle übrigen Brüche sehr wünschenswert 
ist. Deshalb fordert Bardenheuer konsequenterweise auch, dass 
alle stärker dislozierten oder in der Nähe von Gelenken gelegenen Brüche 
in einem Krankenhaus« behandelt werden sollen, eine Forderung, deren 
Durchführung wohl ebenso häufig an dem Widerstand der Patienten, 
wie der Aerzte scheitern dürfte. 

Das souveräne Verfahren bleibt der Streck verband für die Schenkel¬ 
hals- ui)d Oberschenkelhriiche, sofern nicht zwingende Gründe gegen 
Bettruhe sprechen. Auch für die Brüche im oberen Drittel des Unter¬ 
schenkels und für die Frakturen des Oberarms ist er den anderen Metho¬ 
den vorzuziehen. Bei letzteren • kann er so eingerichtet werden, dass 
Patient am Tage ausser Bett ist, indem das Gew'icht am Ellbogen frei 
herunterhängt, während der Vorderarm in einer Mitelia ruht. Nachts 
erfolgt der Zug in abduzierter Stellung mit Giegenzug am Thorax. Folgt 
das abgebrochene Humerusende nach einiger Zeit den Bewegungen, so 
ist mit Hilfe des Extensionsverbandes allmählich die stärkste Erhebung 
des Oberarmes, fast senkrecht nach oben, zu erstreben. Wird diese 
Stellung auch nur für wenige Stunden täglich er¬ 
reicht, so ist die volle Bewegungsfreiheit des Schul¬ 
tergelenks gewährleistet (L e x e r). 

Im Jahre 1907 trat S t e i n m a n n mit seiner 
Nagelextension hervor. Veranlassung dazu 
gab ihm der Wunsch, die Vorzüge der Barden- 
heue r’schen Methode auszunutzen, ohne ihre 
Nachteile in den Kauf nehmen zu müssen. Als 
solche erschienen ihm die nicht leichte Technik 
und die Notwendigkeit fortwährender Kontrolle, 
die eigentlich nur im Spital durchgeführt werden 
kann. Mittelst Heftpflasterstreifen einen Zug aus¬ 
zuüben von 15—30 kg, wie Barden heuer es 
verlangt, ohne den Patienten zu belästigen oder zu 
schädigen, ist eine Kunst. Eine weitere unange¬ 
nehme Folge sind die hier und da infolge der Ueber- 
dehnung auftretenden Schlottergelenke. Diesen 
Nachteilen sucht Steinmann dadurch zu be¬ 
gegnen, dass er die extendierende Kraft nur am 
Knochen angreifen lässt und zwar an zw r ei zirkum¬ 
skripten Punkten, indem er Nägel in den 
Knochen hineintreibt, an denen mittelst Schnur 
oder Draht die Gewichte angehängt werden. 
Die neueste, verbesserte Konstruktion des Stein- 
m a n n’schen Apparates zeigt die nebenstehende 
Abbildung, dem Katalog der Firma Schaerer-Bern 
entnommen, die eine Beschreibung wohl überflüssig macht. Das 
Eintreiben der spitzen Nägel geschieht jetzt mit dem D o y e n’schen 




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Die Behandlung der Knochenbrüche. 


457 


Bohrer und kann entweder in Lokalanästhesie oder im Aotherrauseh 
ausgeführt werden, letzteres besonders, wenn man wünscht, dass Pa¬ 
tient über die Art der Befestigung der Extension im unklaren bleibt, 
was noch durch Umwickeln der Nägel unterstützt werden kann. 

Die Extension ist, wie übereinstimmend von allen Beobachtern 
hervorgehoben wird, auch bei den stärksten Gewichten vollkommen 
schmerzlos. Die Gefahr einer primären Infektion ist bei entsprechend 
aseptischer Ausführung der Nagelung wohl ausgeschlossen. Auch hat 
Steinmann selbst bei schmutzigen Patienten nie eine Sektfndär- 
infektion gesehen. Reizung der Haut, Ekzem. Zirkulationsstörungen 
durch Schnürung, ischämische Muskellähmungen, Dekubitus, Gan- 
gräen. Gefahren, wie sie dem Heftpflasterzugverband anhaften, sind 
bei der Methode ausgeschlossen; da geringe Reibungswiderstände zu 
überwinden sind, erreicht man mit geringerer Belastung den gleichen 
Effekt. Die Extension braucht keine so intensive Kontrolle wie der 
Pflasterstreckverband und kann ruhig bei den grössten Gewichten tage¬ 
lang sich selbst überlassen bleiben. Die Nagelextension lässt den g an een 
peiipheren Abschnitt der Extremität frei und unbehindert für jede 
Bewegung, erlaubt deshalb frühzeitige und ausgiebige gymnastische 
Behandlung. Am deutlichsten tritt ihr Vorteil hervor bei den mit Haut¬ 
verletzungen einhergehcndtn, besonders den komplizierten Frakturen; 
bei gehörigem Zug ist hier fieie Zugänglichkeit der Wunden gewährleistet. 

Was das Anwendungsgebiet der Nagelextension betrifft, so soll sie 
nach S t e i n m a n n fast überall die Heftpflasterextension erset zen. 
Besonders sei sie dort angezeigt, wo grosse Verkürzungen bestehen und 
•»rosse Gewichte nötig sind, namentlich bei Frakturen des Femur. 

Das Verfahren ist vielfach nachgeprüft (\V i I m s , Anschütz, 
Becker, Morian, Heine m a n n u. a.) und auch bereits „modi¬ 
fiziert“ worden, ohne dass diese „Modifikationen“ als Verbesserungen 
zu bezeichnen wären. Im allgemeinen haben die Nachprüfungen die 
Brauchbarkeit der Methode durchaus bestätigt. Insbesondere gelingt 
damit nicht nur die Reposition frischer, schwer zu reponierender Frak¬ 
turen spielend, sondern — was bisher mit keiner Methode möglich war 
— auch veraltete, mit starker Verkürzung geheilte Brüche lassen sich 
in kurzer Zeit korrigieren. So konnte z. B. Kirschner bei einer 
seit '/, Jahr bestandenen, 8'/* cm Verkürzung aufweisenden Ober¬ 
schenkelfraktur eines kräftigen Mannes in wenigen Tagen ohne Schädi¬ 
gung der Gefässe, Nerven und Muskeln die Verkürzung vollkommen 
ausgleichen. Ja. man muss sogar vorsichtig sein und die Gewichte 
rechtzeitig reduzieren, wenn man keine Distraktion der Fragmente 
erleben will und dadurch eventuell Pseudarthrosenbildung; Verlänge¬ 
rungen der verletzten Extremität um 2,5—3 cm sind auf diese Weise 
beobachtet worden. Leider ist die von Stein mann behauptete 
Ungefährlichkeit hinsichtlich der Sekundärinfektion der Bohrlöcher 
nicht allgemein bestätigt worden. Anschütz und Morian sahen 
mehr oder weniger schwere Infektionen auftreten. die zu operativen 
Eingriffen nötigten. Das Verfahren, das für bestimmte Fälle — starke, 
renitente Verkürzungen — zweifellos eine wesentliche Bereicherung 
unseres Könnens bedeutet, wird daher in der Hauptsache auf diese 
Fälle beschränkt bleiben und auch für die Hospitalpraxis reserviert 
werden müssen. Eine Methode der Wahl, wie S t e i n m a n n meinte, 
ist es einstweilen jedenfalls nicht. 


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v. Hippel, 


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458 


Von durchaus neuen Gesichtspunkten geht Zuppinger aus. 
Er wirft den bekannten Extensionsverfahren vor, dass sie mit viel zu 
grossen Gewichten arbeiten, die der Befestigung am Bein Schwierig¬ 
keiten bereiten und die Gefahr der Zirkulationsstörung und des Deku¬ 
bitus mit sich bringen; zudem wurde l /s bis 2 /s der aufgewendeten Kraft 
dazu verbraucht, um die Reibungswiderstände zwischen Glied und 
Unterlage zu überwinden. Es sei bei diesen Methoden viel zu wenig 
beachtet worden, dass die ganz besonderen Elastizitätsverhältnisse der 
Muskulatur eine Steigerung der Spannung über einen gewissen Grad 
' nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich macht. 

Es soll demnach die permanente (aber auch die kurze) Exten¬ 
sion bei möglichst erschlafften Weichteilen aus¬ 
geführt werden. Die eingelenkigen Muskeln werden auf das Minimum 
ihrer Spannung gebracht durch die mittlere Stellung in dem betreffen¬ 
den Gelenk. Für die zweigelenkigen Muskeln aber sind die Stellungen 
zweier Gelenke zu berücksichtigen., und für die untere Extremität ist 
die Spannung der zweigelenkigen Muskeln von ganz überwiegender 
Wichtigkeit. Die beste Entspannung bei Brüchen der unteren Extremi¬ 
tät wird erzielt durch eine Semiflexionsstellung im Knie- 
und Hüftgelenk und leichte Spitzfussstellung: 
dann genügen zum Ausgleich der Verkürzung bei der Oberschenkel¬ 
fraktur eines kräftigen Mannes höchstens 5 kg, bei der Unterschenkel¬ 
fraktur höchstens 3 kg. Grössere Gewichte'machen Distraktion. 

Die Apparate von Z u p p’i n g e r üben nun die permanente Exten¬ 
sion bei gebeugtem Knie aus und zwar durch das Gewicht des gebroche¬ 
nen Gliedes. Es muss also dieses Glied durch die extendierende Kraft 
nicht aufwärts bewegt werden, die Reibung ist fast gänzlich ausgeschaltet. 

Die Zugwirkung kommt folgendermassen zustande: Der Apparat 

für Oberschen¬ 
kelfrakturen 
besteht ausser 
dem Grund¬ 
brett und der 
zwangsläufigen 
Führung aus 
einer Auflage für 
das ganze Bein 
samt Fuss- 
brett. Der 
Teil der Auf¬ 
lage, der den 
Oberschenkel 
trägt. dieBlech- 
rinne, wird 

kurz, wenn das Fussende gehoben wird, länger, wenn es niedersinkt. 
Wird also bei erhobenem Fussende das Bein auf die Auflage gelegt und 
der Fuss am Fussbrett befestigt, so drückt das Gewicht des Beines 
die Auflage abwärts. Die Abwärtsbewegung kann sich aber nicht voll¬ 
ziehen, olme dass das Knie sich vom Becken entfernt. Dieses Abwärts¬ 
sinken des Beines mit der gleichzeitigen Verlängerung des Oberschenkels 
findet sein Ende, wenn die Spannung der Oberschenkelmuskulatur der 
extendierenden Kraft, also dem Gewichtendes Beines, das Gleichgewicht 




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Die Behandlung der Knochenbrüche. 


45» 


Hält. Durrh Versetzen einer Spreize zwischen den emporragenden 
Schrauben des Grundbrettes gegen das distale Ende hin wird die exten¬ 
dierende Kraft vermindert, vergrössert hingegen durch Versetzen der 
Spreize proximalwärts. 

Bei dem Apparat 
für Unterschenkelfrak¬ 
turen ist die Auflage für 
den Oberschenkel mit 
dem Grundbrett fest 
verbunden und dien» 
der Kontraextension. 

Die Unterschenkel 
schiene ist in der Art 
beweglich, dass hei Er¬ 
hebung des Fassendes 
dieses sich zugleich dem 
Knie nähert, heim 
Niedersinken sich vom Knie entfernt. Der aufgelegte Unterschen¬ 
kel, dessen Fuss am Fussbrett befestigt ist, drückt die Schiene nieder und 
bewirkt so einen Längszug. Die Stärke des Zuges wird reguliert durch 
die Stellung der Spreize. 

Die Anwendung der Apparate zeigen die Abbildungen. Die Auflagen 
werden mit Binden und Watte in ihrer ganzen Länge gepolstert, ebenso 
das Fussbrett ; die Kniekehlengegend wird gleichfalls mit weichem Mate¬ 
rial ausgefüllt. Dann werden schräge Heftpflasterstreifen am Unter¬ 
schenkel angelegt, die bei Oberschenkelfrakturen bis gegen das Knie 
hin, bei Unterschenkelbrüchcn bis etwas oberhalb der Bruchstelle 
reichen. In der Knöchelgegend werden an ihnen zwei feste Schnüre be¬ 
festigt. Nun wird das gebrochene Bein in Hüft- und Kniegelenk gebeugt 
emporgehoben, der Apparat untergeschoben, das Fussbrett gelockert, 
die Schiene am Fussende gehoben, das Bein daraufgclegt, das Fussbrett 
an die Sohle herangeschoben und festgeklemmt; endlich werden die 
Schnüre um das Fussbrett herumgeführt und zusammengeknüpft. Wird 
nun die Schiene losgelassen, so sinkt sie etwas nieder, die Schnüre 
spannen sich und derZug setzt ein. Er soll die Schnüre straff anspannen, 
aber nicht schmerzhaft sein. Bei mittelgrossen Patienten kommt eine 
Spreize zwischen die vorderste und die zweite Schraube, bei grossen 
vor die vorderste. 

Die Verkürzung gleicht sich nun in einigen Stunden aus und von 
da an soll der Zug niemals gesteigert werden; im übrigen ist täglich 
nachzusehen, ob die Schiene nicht an der Grenze ihrer Beweglichkeit 
angekommen ist. In diesem Kall ist die Schraube des Fussbrettes zu 
lösen, das Fussbrett samt Fuss kräftig anzuziehen, während ein Gehilfe 
die Schiene etwas erhebt und einschiebt, und endlich das Fussbrett 
wieder festzuklemmenAl? 

Bei normalem Verlauf bleiben subkutane Unterschenkelbrüche 
21—25 Tage, Oberschenkelbrüche 26—30 Tage im Apparat. Darauf 
kurzer Schienenverband, der Bewegung in den benachbarten Gelenken 
gestattet, daneben sanfte Massage. Schrägfrakturen und solche mit 
seitlicher Dislokation wurden 7—10 Wochen nicht belastet, Quer¬ 
frakturen am Unterschenkel bereits in der sechsten Woche, am Ober¬ 
schenkel in der achten. 



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4tiU 


Das auf physiologischer Grundlage aufgebaute Verfahren hat sieh 
bei der Nachprüfung in der Krfinlei n’schen Klinik vorzüglich be¬ 
wahrt und dürfte eine Zukunft haben, besonders da der verhältnismässig 
geringe Preis der Apparate (zu beziehen von der Firma Hausmann, 
München, Daehauerstr. 28) auch dem praktischen Arzt ihre Anschaffung 
ermöglicht. Bardenheuer und L u d I o f f können allerdings 
die guten Resultate der K r ö n 1 e i n’schen Klinik nicht völlig be¬ 
stätigen und es dürfte sieh daher empfehlen, noch die Ergebnisse ander¬ 
weitiger Nachprüfung an grösserem Material abzuwarten. 

Das Bestreben, möglichst exakte anatomische Heilungen zu er¬ 
zielen, hat weiter zu dem Versuch geführt, der blutigen opera¬ 
tiven Vereinigung der Fragmente ein grosses Gebiet 
in der Frakturenbehandlung zuzuweisen. Besonders waren es in England 
A. L a n e , in Frankreich T u f f i e r , in Belgien Lambotte, welche 
bei jeder Fraktur, die nach ausgeführter Reposition nicht vollkommen 
korrigiert ist, den operativen Eingriff verlangten, ln Deutschland, wo 
sich besonders der Ghirurgenkongress des Jahres 1902 eingehend mit 
dieser Frage beschäftigte, ist man wesentlich zurückhaltender mit der 
Indikationsstellung zum operativen Eingriff. Abgesehen von veralteten- 
Frakturen mit schlechter Stellung der Bruchstücke und von Pseud- 
arthrosen beschränkt man im allgemeinen die Operation auf die Fälle, 
bei denen auf unblutigem Wege in keiner Weis3 eine Reposition und 
Retention der Fragmente zu erzielen ist. Dies gilt nach d?r Ansicht der 
meisten Chirurgen für jed > Patellarfraktur, bestimmt für die mit gle eh- 
zeitiger Zerreissung des seitlichen Bandapparates, für die vollständig ins 
Gelenk reichende Olecranonfraktur, ferner bai Gdenkfrakturen oder 
Brüchen in der Nähe von Gelenken mit starker Verschiebung der Bruch¬ 
stücke. Hierher gehört die subkapitale Humorusfraktur mit tot der 
Umdrehung des Kopffragmentos, die Fraktur des Epicondylus internus 
humeri, diakondvläre und z. '1. auch suprakondvläre Humerusfrakturen, 
Abroissung des Tuberculum majus humeri, des Trochanter major. d *r 
Tuberositas tibiac und des Processus posterior calcanei, Luxations¬ 
frakturen der Karpalknochen und des Talus, seltener und vereinzelt 
Diaphysenbrüche, besonders des Spiralbruch der Tibia an der Grenze 
zwischen mittlerem und unterem Drittel, namentlich wenn Interposition 
von \\ eichteilen vorliegt. Bei all diesen Brüchen, abgesehen von den 
auf jeden Fall operativ zu behandelnden Patella- und Olecranonfrakturen, 
sollen erst die unblutigen Verfahren versucht werden. 

Auf alle Fälle ist die Indikation zum operativen Eingriff nur an 
der Hand des Röntgenbildes zu stellen, das die Unmöglichkeit ander¬ 
weitiger Reposition und Retention sicherstellt und die Operation darf 
nur in einem Krankenhause von einem sicher aseptisch geschulten 
Chirurgen vorgenommen werden. Die Verantwortung für die Ausführung 
einer derartigen Operation kann nicht ernst genug genommen werden. 
Die für die Operation geeignetste Zeit ist nach Fritz K ö n i g der 
Anfang der zweiten Woche nach der Verletzung, wenn, wie Lex er 
sich ausdrückt, das verletzte Knochen- und Periostgewebe zu wuchern 
beginnt. 

Während für die Patellar- und Olecranonfraktur die einfache 
Naht mit Silber- oder Aluminiumbronzedraht genügt und auch für 
ahgesprengte Gelenkteile neben der bei Kindern vielfach verwendeten 
Seidennaht gute Resultate gibt, kommt man mit ihr nach Ansicht der 
meisten Chirurgen bei Schaftbrüchen nicht aus, da sie wohl die Dislocalio 


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Die Behandlung der Knochenbrüehe. 


4<J1 

ad longitudinem und ad axin, aber nicht die ad peripheriam mit Sicher¬ 
heit zurüekzuhalten vermag. Man hat in diesen Fällen verschiedene 
Arten von Klammern. Schienen und Platten aus Stahl, die mit langen 
Schrauben an den Fragmenten befestigt werden, vergoldete Eisenbolzen, 
die Mutterschrauben fixieren, angewandt oder Elfenbeinstifte in die 
Markhöhle eingeführt, die man eventuell noch durch Drahtnähte be¬ 
festigte. I.exer verwendet nur Knochenbolzen, wenn möglich einen 
frischen Knochen mit Periost (Fibula, Radius, Ulna, Metatarsus, Meta- 
earpus) von einem frisch amputierten Glied oder einen kräftigen Splitter 
aus der Tibiakante des Patienten selbst, im Notfall auch einen ausge¬ 
kochten Leichenknochen. Wenn cs angeht, wird der Rolzon, der die 
beiden aufgestülpten Schaftenden sofort in richtiger Lage zusammen¬ 
hält, nicht mit Nägeln oder Draht befestigt. Es erscheint L e x e r 
nicht gut, zu dem Fremdkörper, den der Knochenbolzen, selbst, der 
lebenswarm übertragene, anfangs bildet, noch einen anderen hinzu¬ 
zufügen. Die Kräfte, welche den eingepflanzten Knochen zur Ein- 
heilung bringen, wirken dort am stärksten und wohl leicht im Ueber- 
mass, wo der Reiz eines metallenen Fremdkörpers hinzukommt. Es 
kann dadurch möglicherweise zu hartnäckiger Eiterbildung, Fisteln 
und pyogener Infektion kommen, so dass zum mindesten die spätere 
Herausnahme der Nägel oder Drahtschlingen nötig wird. 

Allgemein wird der Kncchennaht eine stark verzögerte Heilung 
intolge geringer Kallusbildung nachgfsagt. Wenn letzteres nach 
Kocher bei den Gelenk- und paraartikulären Frakturen auch 
zweifellos als Vorteil der Naht angesehen werden muss, so ist es bei den 
Diaphysenfrakturen eine recht unangenehme Reigabe, die nur durch 
ein tadelloses Endresultat erträglich gemacht wird. 

So sehr wir den starren Verband in seiner alten und auch 
leider heutzutage noch vielfach geübten Form des wochenlang liegen 
bleibenden zirkulären Gipsverbandes mit den unausbleiblichen Folgen 
der Muskelatrophie und Gelenkversteifung verwerfen müssen, so wenig 
möchten wir ihn für die Praxis, insbesondere bei den Brüchen des Unter¬ 
schenkels und des Vorderarmes, bei Kindern auch bei Oberschenkel- 
brüehpn und suprakondylären, gut reponierbaren Humerusfrakturen, in 
der modernen Form des abnehmbaren Ginsverbandes 
entbehren. Voraussetzung für ein gutes Resultat dabei ist einmal die 
exakte Reposition der Fragmente, wenn irgend angängig, unter Kontrolle 
der Röntgenstralden und in Narkose ausgeführt, und zweitens eine 
tadellose Verbandtechnik. Eine solche ist nicht leicht und erfordert, 
eine grosse Uebung und Sorgfalt, und es wäre dringend wünschenswert, 
wenn bei den Fortbildungskursen mehr Wert auf die Verbandlehre ge¬ 
legt würde. Was man in dieser Beziehung in der Praxis zu sehen bekommt, 
ist vielfach durchaus ungenügend, und man kann sich nicht darüber 
wundern, wenn die Frakturheilungen entsprechende sind. Wer die 
Technik des Gipsverbandes beherrscht, braueht sich keineswegs zu 
scheuen, eine frische Fraktur mit zirkulärem Gipsverband zu behandeln, 
der selbstverständlich die benachbarten Cielenke mit zu umfassen hat. 
Der Verband wird mit entsprechender, nicht zu dicker Wattepolsterung 
versehen und, am besten noch vor dem Erhärten, auf beiden Seiten 
aufgeschnitten, dann die Extremität für eine Woche hochgelagert, 
wodurch am besten die Schmerzen zu bekämpfen und das Auftreten 
eines erheblicheren Blutergusses zu verhüten sind. 

Schwierigkeiten bereitet beim Anlegen des Verbandes besonders 


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t. Hipjel, Die Behandlung der Knochenbrüche. 

an der unteren Extremität in der Praxis hauptsächlich das Halten des 
Beines, das hei dem Mangel an geschultem Assistenz meist Laienhänden 
anvertraut werden muss. Dies birgt die Gefahr in sich, dass während 
des. Anlegens des Verbandes die renonierten Fragmente wieder verscho¬ 
ben werden. Unter solchen Umständen empfehlen sich mechanische 
Hilfsmittel, die uns von Menschenhilfe emanzipieren. Einen solchen, 
sehr zweckmässigen und an jedem Tisch anzubringenden, leicht trans¬ 
portablen Apparat hat z. B. Manasse (Zentralblatt für Chirurgie. 
1908. Nr. 18) angegeben. 

Von der zweiten Woche an wird das Bein täglich aus der Gipslade 
herausgenommen, leicht massiert, aktiv und passiv bewegt und warm 
gebadet — falls letzteres nicht durch die Bildung von blutig-serösen 
Blasen über der Verletzungsstelle kontraindiziert ist. Bei diesem Ver¬ 
fahren kommt es zu keiner nennenswerten Atrophie der Muskulatur, 
der erste Verband wird daher, wenn richtig angelegt,, nicht zu weit, wie 
das bei dauernder Immobilisierung regelmässig der Fall ist. die Gelenke 
versteifen nicht, und wenn die Fraktur konsolidiert ist, kann Patient 
seine Gliedmasse auch sogleich gebrauchen. 

Dabei brauchen wir den Kranken keineswegs unbeweglich ans Bett 
zu fesseln. Zwar sind die Gehgipsverbände nach der ursprünglichen 
Empfehlung von v. Bardeleben verlassen, da sie sich aufs engste 
den Formen des Gliedes anschmiegen müssen, um die Knochenenden 
vor Belastung und Verschiebung zu bewahren, und daher auf den Vorteil 
der Abnehmbarkeit und Gelenkmobilisation verzichten. Aber in den mit 
Gehbügel nach Frankel versehenen, zum Aufklappen eingerichteten 
Gehverbänden ist den modernen Forderungen genügt. Hier schwebt 
das Bein frei im Verband, eine Belastung der Frakturstelle ist bei rich¬ 
tiger Technik ausgeschlossen, da der Fuss den Boden nicht berührt und 
die ganze Körperlast auf den Sitzknorren übertragen wird. Zu Bädern. 
Massage und Uebungen kann der Verband täglich abgenommen werden. 
Er eignet sich besonders für schwere Unterschenkelbrüche mit schlechter 
Kallusbildung und für die Oberschenkelbrüche alter Leute, die früh¬ 
zeitig das Bett verlassen müssen. (L e x e r.) 

Für die Brüche der oberen Gliedmasse, soweit sie nicht in früher 
geschilderter Weise am besten mit Streckverbänden behandelt werden, 
eignen sich besonders die in der v. B e r g m a n n’schen Klinik viel 
benutzten Pappschienenverbände mit Steifgazebinden, für die Dia- 
phvsenfraktur des Humerus ist auch die Beel v’sche Gipskragenschiene 
sehr zweckmässig, die man ebensogut mit Gipsbinden, wie mit Hanl 
und Gipsbrei anlegen kann. 

Wir sehen also, dass die moderne Chirurgie eine ganze Anzahl ver¬ 
schiedener Methoden zur Behandlung von Knochenbrüchen zur Ver¬ 
fügung hat, die alle geeignet sind, befriedigende Resultate zu erzielen. 
Ihre Auswahl im einzelnen wird sich nicht nur nach der Lage des be¬ 
treffenden Falles, sondern auch nach der Erfahrung des behandelnden 
Arztes zu richten haben. Voraussetzung für alle aber ist peinlichste Sorg¬ 
falt in der Leitung der Behandlung und tadellose Verbandtechnik. Wer 
über letztere nicht verfügt und sich für seine Frakturpatienten nicht die 
genügende Zeit nehmen kann oder will, insbesondere wer Massage und 
Gymnastik in Laienhände legt, der wird keine Veranlassung haben, 
sich seiner Erfolge auf diesem Gebiet zu erfreuen. 


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Hornstein, Erfahrungen mit Nucleogen-Kosenberg. 


463 


Erfahrungen mit Nucleogen-Rosenberg. 

Von Dr. 0.’ Hornstein, prakt. Arzt in Heidelberg. 

Seit längerer Zeit habe ich systematisch bei mir geeignet erschei¬ 
nenden Fällen das von Dr. Rosenberg (chemisch-physiologisches Labo¬ 
ratorium Charlottenburg) dargestellte Eisen-Phosphor-Arsen-Präparat 
Nucleogen angewandt. Die Erfolge, welche ich mit demselben erzielt 
habe, waren in den meisten Fällen so gute, dass ich durch eine Ver¬ 
öffentlichung von Krankengeschichtsauszügen und besonders durch 
Bemerkungen über die Technik der Injektionen von Nucleogen manchem 
Kollegen einen angenehmen Fingerzeig geben zu sollen glaube. 

Die günstig gewählte Zusammensetzung des Mittels darf als be¬ 
kannt vorausgesetzt werden 1 ). Zur Anwendung per os ist dasselbe 
in kleinen Tabletten hergestellt, die bequem zu nehmen sind und bei 
Vermeidung von sauren Speisen sehr gut vertragen werden. So wurden 
dieselben von einem 11jährigen Mädchen mit unkompensierter Mitral¬ 
insuffizienz, dem alle Medikamente per rectum oder injectionem bei¬ 
gebracht werden mussten, w r eil sie per os Erbrechen hervorriefen, ohne 
Beschwerde lange Zeit genommen. 

Bei Kindern und nadelscheuen Patienten habe ich die Tabletten 
gegeben, bei anderen ziehe ich die Injektionen ihrer schnelleren Wirkung 
wegen vor. Zu dieser Medikationsart wird das Nucleogen in sterilen 
Ampullen ä 1 ccm in den Handel gebracht. 

Ich machte die Injektionen anfangs in den Oberarm, in den unter¬ 
sten Teil des musc. deltoideus, indem ich eine ca. 4 cm lange Nadel 
unter 45° einstach, die Spritze abnahm, um mich zu überzeugen, dass 
keine Arterie getroffen, und dann rasch einspritzte. Hierauf machte 
ich einen kleinen Verband mit essigsaurer Tonerde, der bis zur nächsten 
Injektion am zweitfolgenden Tage liegen blieb. 

Bei diesem Injektionsmodus beobachtete ich bei etwa 60% der 
Fälle, dass nach den ersten 3—4 Spritzen Schmerzen von wechselnder 
Intensität auftraten, nach den folgenden Spritzen aber niemals emp¬ 
funden wurden. 

Seit einiger Zeit w r ähle ich als Injektionsstelle die oberste 
Partie der Glutaeen (weil hier das subkutane Fettgewebe am gering¬ 
sten ist.) und habe seitdem auch bei den ersten Spritzen fast keine Klagen 
mehr über Schmerzhaftigkeit der Injektionen gehört, trotzdem ich 
den Verband weglasse und nur die Injektionsstelle mit etwas Leuko¬ 
plast bedecke. Ich injiziere hier, indem ich die Nadel ziemlich senk¬ 
recht einsteche, im weiteren verfahre ich wie oben geschildert. Eine sicht¬ 
bare Reaktion an der Injektionsstelle habe ich nur in einem Falle (von 
ca. 700 Injektionen) beobachtet. Sie bestand in einer ödematösen 
Schwellung und Rötung, die auf Umschläge mit essigsaurer Tonerde 
nach 2 Tagen verschwenden war. 

Bei welchen Erkrankungen ich nun Nucleogen mit Erfolg an¬ 
wandte, mögen folgende Krankengeschichtsauszüge illustrieren. 

1. A. G., 21 Jahr, Student, leidet seit längerer Zeit an Schmerzen 
in der Magengegend, die unabhängig von der Nahrungsaufnahme, 
besonders nach Aufregungen auftreten. Stuhl angehalten, Appetit 
schlecht, infolgedessen Abmagerung. Hämogl. Sahli 58% Palpations¬ 
befund des Abdomen negativ. Magensaft nach Probemahlzeit normal. 

') Vergl. San.-Rat Dr. Dom: Beitrag zur Arsen-Phosphor-Eisen therapie mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung des Nucleogens (Rosenberg) Fortschr. d. Med. 1908, Nr. 20 
und 21. 


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464 


Hornstein, Erfahrungen mit Nucleojcen-Rosenberg. 


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Diagnose: nervöse Dyspepsie. Therapie Nucleogeninjektionen. Nach 
6 Injektionen sind alle Beschwerden geschwunden, Appetit hebt sich 
zusehends. Zur Befestigung des Resultats wurden noch 14 Injektionen 
gegeben. Am Ende der Kur Gewichtszunahme 2,5 kg. Hämogl. 68%. 
Patient ist noch heute — l'/ t Jahre nach der Kur— beschwerdefrei. 

2. E. W., 7 Jahr, Schulkind. Chorea minor. Neben Brombehand¬ 
lung hatte ich schon längerer Zeit Sol. ars. Fowleri und später PiL 
Blaud. gegeben. Das Grundleiden war wenig beeinflusst, die Ernäh¬ 
rung lag durch die permanente Unruhe und Appetitmangel sehr dar¬ 
nieder. Unter Fortsetzung der Brommedikation gab ich Nucleogen- 
tabletten, beginnend mit 3 Tabletten pro die und langsam steigend 
bis 5 Tabletten. Bei zusehender Abnahme der choreatischen Unruhe 
hebt sich der Appetit, der Schlaf wird ruhiger und nach im ganzen 
4 monatiger Behandlung kann das Kind als geheilt entlassen werden. 
Ich glaube hier in dem Nucleogen ein gutes Adjuvans zur Erhaltung 
der Kräfte und Hebung des Allgemeinbefindens erblicken zu sollen. 

3. E. Z., 7 Jahr. Nach schwerer Mvo- und Perikarditis ist eine 
Mitralinsuffizienz zurückgeblieben, die anfangs unkompensiert ist. 
Zur Hebung des schwer darniederliegenden Allgemeinzustandes hei 
vollkommener Appetitlosigkeit verordnete ich Nucleogentabletten. 
Schon nach 8 Tagen fängt das Kind an, selbständig nach Nahrung zu 
verlangen, der Appetit wird sogar nach und nach brillant, der Hämo- 
globingehalt steigt innerhalb 6 Wochen von 45% Authenrieth-Koenigs- 
berger auf 62%. 

4. G. K., 49 Jahr., Gemüsehändlerin. Tabes. In diesem Fall 
gab ich Nucleogeninjektionen zur Hebung des Allgemeinbefindens. 
Patientin bekam im Herbst 1910 und 1911 20 resp. 16 Injektionen 
mit dem Enolg, dass im Jahr 1910 eine Gewichtszunahme von 2 kg, 
1911 von 2% kg zu konstatieren war. 

5. W. K., 37 Jahr, Kaufmann. Neurasthenie gravis. Patient 
hat durch seine Krankheit seine Stelle verloren, die Kassenunterstützung 
ist abgelaufen, er ist mit Frau und 5 Kindern auf Unterstützung an¬ 
gewiesen, wodurch sein psychischer Zustand sich noch mehr verschlech¬ 
tert. Initiative, sich um eine Stellung zu bewerben, fehlt gänzlich; 
er klagt über Schlaf- und Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, trägt sich 
mit Selbstmordgedanken. Nach 18 Nucleogeninjektionen schläft 
Patient die ganze Nacht durch, hat keine Kopfschmerzen mehr. Er 
ist wieder hofinungsfreudig, bewirbt sich mündlich und schriftlich uni 
Anstellung. Der Appetit ist so stark geworden, dass er jetzt darüber 
klagt, dass er seinen Hunger bei seiner schlechten pekuniären Lage 
nicht stillen könne. 

6. E. G., 17 Jahr, Gymnasiast. Sehr nervöser Mensch, leidet 
an Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Appetitmangel; hegt Befürchtun¬ 
gen, dass früher ausgeübte Onanie noch schlimme Folgen bei ihm zei¬ 
tigen könne und spielt daher mit Selbstmordgedanken. Neben Psycho¬ 
therapie erhält Patient 20 Nucleogeninjektionen. Nach 10 Injektionen 
sind die Kopfschmerzen verschwunden, der junge Mann hat guten 
Appetit, schläft wieder gut, nimmt an Gewicht zu und ist in gehobener, 
arbeitsfreudiger Stimmung, so dass er neben seiner Schularbeit, sich 
noch mit Privatstudien beschäftigen kann. 

Ich habe nur einige prägnante Beispiele herausgegriffen, um die 
günstige Wirkung des Nucleogens auf Appetit und Schlaf, auf die 
Psyche und den Hämoglobingehalt des Blutes zu zeigen. Vollständig 



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Referate und Besprechungen. 


4Ö5 


im Stich liess mich das Mittel nur bei einem Patienten, einem sehr 
nervösen Gymnasiasten von 18 Jahren. Derselbe bekam nach der 
zweiten Spritze einen schweren Erregungszustand, der die ganze Nacht 
und den folgenden Vormittag anhielt. Ich gab dem Patienten infolge¬ 
dessen Adalin, worauf bald Beruhigung eintrat. Gegen einen zweiten 
Versuch mit Nucleogen sträubte sich der Patient leider, so dass ich 
nicht feststellen konnte, ob nicht im weiteren Verlauf der Kur eine 
Gewöhnung an das Mittel eingetreten wäre. 


Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Freund (Berlin), Mit Pfcrdeserum geheilte Schwangerschaftstoxikose. 
(Deutsche med. Wochenschrift 1911, Nr. 52.) 

Freund konnte feststellen, daß bei Schwangerschaftstoxikosen nicht 
unbedingt die Sera gesunder Schwangerer erforderlich sind, sondern daß 
jedes Serum verwendet werden kann. Er bedient sich des Pferdeblutserums, 
das am leichtesten zu haben ist und ohne weitere Umstände benutzt werden 
kann. Er teilt einen Fall von multiformem toxischen Schwangerschafts¬ 
exanthem mit, bei dem er 25 ccm frischen Pferdeserums intravenös inji¬ 
zierte. Sofort kam es zum Stillstand des im Fortschreiten begriffenen Exan¬ 
thems und schon nach 24 Stunden war die Abheilung deutlich sichtbar. 

F. Walther. 

‘ Rusznyäk, St. Die Änderung des antitryptisrhen Titers der Serums bei der 
Anaphylaxie. (Deutsche med. Woch. 1912, Nr. 4.) 

Verfasser sensibilisierte Meerschweinchen mit Eiereiweiß und fand 
eine Erhöhung des antitryptischen Titers ihres Blutserums auf etwa das 
Doppelte des Normalwertes; diese .Erhöhung ist ein ebenso konstantes 
Symptom der Anaphylaxie wie Chock, Temperatursturz usw. Er schließt 
daraus, daß die Anaphylaxie hervorgerufen wird durch Eiweißabbauprodukte, 
welche bei einer abnorm rapiden parenteralen, der Trypsinwirkung ähnlichen 
Fermentation entstehen. Im Anfang des antianaphylaktischen Stadiums sind 
große Mengen von Spaltprodukten im Blutserum anwesend, die die Fer¬ 
mentation einer neu eingeführten Eiweißmenge wohl zu hemmen vermöchten. 

M. Kaufmann. 


Innere Medizin. 

Dobrovolskaia, L. A. Blutverluste und Verdauungsgeschäft (Contributlon ä 
l’6tude de l’influence exerefe par les pertes sanguines sur les processus digestives). 
(Arch. des"sciences biologiques de St. Petersbourg 1911, XVI. Jahrg, S. 205, 
297 u. 377.) 

Auch auf dem Gebiet der Vivisektion wollen es die Frauen offenbar 
den Männern gleichtun. So berichtet Frl. Dobrovolskaia, daß Blut¬ 
verluste bis zur Hälfte der ganzen Blutmenge interessante Veränderungen 
sowohl in den sekretorisch-motorischen, als in den digestiven und Absorp¬ 
tions-Funktionen nach sich ziehen. 

Die erstgenannten lassen zunächst ein Stadium der Hemmungen er¬ 
kennen: es wird weniger sezerniert und die motorischen Aktionen ruhen. 
Darauf folgt ein Stadium verstärkter Tätigkeit. 

Bei der Digestion und Absorption verhält es sich umgekehrt: da wird 
zunächst mehr resorbiert und erst nachher tritt ein Nachlassen dieser Funk¬ 
tionen ein. 

Kochsalzinfusionen verändern den Ablauf der Dinge nicht wesentlich. 
Ob man dem Tier nach der Blutentziehung Fette, Kohlehydrate oder Eiwei߬ 
körper einverleibt, hat auf die genannten Störungen keinen Einfluß. 

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Referate und Besprechungen. 


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466 


Die Rückkehr zur Norm erfolgt nicht für den ganzen Darm gleich¬ 
mäßig, sondern je nach den einzelnen Abschnitten früher oder später. — 

Der Sinn der Experimente ist mir nicht ganz klar geworden. Daß 
so schwere Eingriffe in das Gefüge des Organismus Reaktionen oder Störun¬ 
gen in allen einzelnen Teilen nach sich ziehen müssen, bedarf kaum experi¬ 
menteller Beweise. Wenn man aber an die armen Versuchshunde denkt, 
dann drängt sich unwillkürlich Mnischeks vorwurfsvolle Frage aus 
Schillers Demetrius auf: „Gefährlich Mädchen! wozu hast du sie gebracht?“ 

Buttersack-Berlin. 

Cohn, M. und Peisor, II. Einige Störungen der inneren Sekretion bei Pan- 
kreaserkrankungen. (Deutsche med. Woch. 1912, Nr. 2.) 

Bei einem allerdings noch kleinen Material von Pankreaserkrankungen 
(5 Fälle) fanden die Verfasser eine Reihe von Störungen, die auf Ver¬ 
änderungen der Funktion der Schilddrüse hindeuteten. Es handelte sich 
dabei um 3 Fälle von akuter hämorrhagischer und je einen Fall von 
eitriger und von chronisch-interstitieller Pankreatitis. In allen 5 Fällen 
fand sich Moebiussches und Stellwagsches Zeichen, Tremor und Dermato- 
graphismus, erhöhte Phloridzinglykosurie und Druckempfindlichkeit der Schild¬ 
drüse, in 4 Fällen mehr oder weniger ausgesprochener Exophthalmus, 
Gräfesches Phänomen, relative Lymphozytose (22—44 o/o). Irgend welche 
Schlüsse lassen sich aus diesen Befunden zunächst noch nicht ziehen. 

M. Kaufmann. 

Sondern, F. E. (New York), Ätiologie und Chemie der Lithiasis. (Post- 
■Graduate, Bd. 26, 12.) 

Ein Überschuß von steinbildendem Material im Urin ist stets Vor¬ 
aussetzung der Steinbildung, und dieser Überschuß ist Folge eines ge¬ 
störten Stoffwechsels, nicht etwa kalkhaltigen Wassers oder dergl. Harn¬ 
säure und Urate bilden den Kern bei weitem der meisten Steine; ist aber 
erst der Kern da, so können sich auch aus gesundem Urin weitere Schich¬ 
ten ansetzen, ein Vorgang, der sogar außerhalb des Körpers stattfindet 
und experimentell nachgeahmt werden kann. Eine vorübergehende Stoff¬ 
wechselstörung, bei der ein Kern gebildet wurde, kann also zur Steinbil¬ 
dung führen, wenn der Kern nicht" baldigst abgeht. Die Substanz der 
peripheren Schichten ist außerordentlich wechselnd. 

Fr. von den Velden. 

Wernitz, (Odessa), Die Behandlung der Sepsis init Kochsalzwassereinlänfen. 
(Wiener klin. Rundschau 1911, Nr. 12.) 

Die Behandlung der akutesten Formen von Sepsis, wie sie am häufig¬ 
sten nach Aborten und Geburten auftreten, war bisher fast nutzlos. Sehr 
enttäuscht hat die Serumbehandlung, von der man gerade das meiste er¬ 
wartete. Der Verfasser hat durch Einführung größerer Mengen 
von, Kochsalzlösungen gute Erfolge erzielt, aber es kommt bei- 
diesem Verfahren auf genaue Technik an. Die Zuführung per os erwies 
sich bald als nutzlos, dagegen schien der Weg per rektum ungefährlich 
zu sein. Vor allem muß eine größere Belastung des Herzens vermie¬ 
den werden, daher ist nur soviel Flüssigkeit zu verwenden als das Herz 
eben gut bewältigen kann, mit zunehmender Herzkraft wird dann das Quan¬ 
tum vermehrt. Auch das erste Klistier, also das Reinigungsklistier, hat 
seine besondere Methode: Das Darmrohr muß hoch hinauf, bis über den 
Nelatonschen Sphinkter geschoben werden und darf sich nicht umbiegen, 
häufiges Heben und Senken des Irrigators bewirkt ein weiteres Einfließen 
des Wassers. „Eis ist schwer,“ sagte der Verfasser, „alle Möglichkeiten 
bei einem Klistier zu erwähnen, man muß mit der Sache praktisch vertraut 
sein.“ — über die in dem Artikel ausgesprochenen Theorien läßt sich 
streiten, aber das Schlußwort ist, da es sich um ein ungefährliches Mittel 
gegen eine der bösartigsten Krankheiten handelt, für jeden Praktiker be¬ 
herzigenswert: „Man hat das moralische Recht, eine Nachprüfung zu ver¬ 
langen und eine gewissenhafte und sorgfältige, denn davon hängt das Leben 
vieler Tausender ab.“ Steyerthal-Kleinen. 



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Referate und Besprechungen. 


467 


Chirurgie und Orthopädie. 

Ballance, C. A. Ein Fall von Ligatur der A. innoininata wegen Aneurysma 
■der Subclavia. (Proc. of tlie Royal Society of Medecine, Bd. V, Nr. 3.) 

Nach Entfernung der oberen Hälfte des Manubriurn sterni wurde, da 
das Aneurysma' bis auf 1 cm an die A. innominata heranging, die letztere 
mit Katgut (aus Kängurusehnen) unterbunden. Die Pulsation im Aneurysma 
und in allen Arterien des Arms hat seitdem aufgehört, doch der Arm 
ist stets warm, und abnorme Sensationen in ihm haben nur vorübergehend 
bestanden. Das Aneurysma nimmt langsam an Größe ab. 

Der angeschlossene Meinungsaustausch zeigt, daß Ligatur von Aneu¬ 
rysmen dieser Gegend selten zu dauernden Heilungen führt. 

Fr. von den Velden. 

Buxton. D. W. Crawford Williamson Long, 1815—79, der Pionier der 
Narkose und erste Anwender des Äthers bei Operationen. (Proceedings of the 
Royal Soc. of Medecine, Bd. V, Nr. 3.) 

Buxton führt unter Vorlegung autographierter Schriftstücke den Be¬ 
weis, daß Long, praktischer Arzt in der Landstadt Jefferson in Georgia, 
schon 1842 in Äthernarkose operierte. Er hatte nicht nur gegen den 
Gcmiinderat von Jefferson, der ihm das Narkotisieren unter Strafandrohung 
verbot, sondern auch gegen die Kollegenschaft hart zu kämpfen, die mit 
dem Operieren in Hypnose, damals Mesmerismus genannt, beschäftigt war 
und nicht gestört sein wollte. Mittlerweile trat 1844 Horace Wt 11s mit 
dem Lachgas hervor, dann Morton 1846 mit einem Geheimmittel, dessen 
wirksamer Bestandteil Äther war. Sein Mitarbeiter JaCkson beanspruchte 
die Priorität, und in dem erfolgenden unerfreulichen Streit trat Long zurück. 
Er ist also der wahre Erfinder der Äthernarkose, nicht Morton noch Jackson, 
auch weniger Simpson, der in Deutschland zuweilen dafür gehalten wird, 
denn er führte erst 1847 die Narkose, und zwar mit Chloroform, ein. 

Übrigens haben die Manen Longs ihr Denkmal erhalten, eines in 
Jefferson und eines in Paris. In Boston war man so vorsichtig, auf das 
Denkmal zu schreiben: Dem Entdecker der Narkose. 

Fr. von den Velden. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Bubeska, VV. (Prag), Der Kaiserschnitt in seiner Jetzigen Gestalt. (Wiener 
ltlin. Rundschau 1911, Nr. ]5/18.) 

Wir können heute die Mortalität des Kaiserschnittes mit 5—10 " n an¬ 
setzen gegen 90 <>o in der vorantiseptischen Zeit. Daran ist neben der 
Vermeidung der Infektionsgefahr vor allem die verbesserte Opera¬ 
tionstechnik schuld. Außer der älteren Sängerschen Methode 
kommen heute vorwiegend die vaginalen Operationen nach D ü h r s - 
s e n in Betracht, die man indessen besser nicht als „Kaiserschnitt“, son¬ 
dern als „Hysterotomien“ bezeichnet. Mehr noch hat das zuerst von 
Frank in Köln angegebene und später von mehreren anderen verbesserte 
Verfahren der „suprasymphysären Entbindung“ Beifall und 
Nachahmung gefunden. Das wesentlichste ist bei dieser Operation die V e r - 
nähung der beiden Peritonealblätter, so daß also gewisser¬ 
maßen „zweizeitig“ operiert wird. — Wie schnell die früher beinah einem 
Todesurteile gleichende Sektio caesarea in die tägliche Praxis 
eingedrungen ist, zeigt ein Blick auf die Indikationen, die heute —- 
ganz gleichgültig ob in der Klinik oder draußen — den Kaiserschnitt 
erfordern. Vor allegi die Eklampsie und die Plazenta praevia 
kommen hier in Betracht. Bei Eklampsie haben wir allerdings trotz 
Operation mit 42,8—50 «o Mortalität zu rechnen, aber die meisten Todes¬ 
fälle waren durch das Grundleiden bedingt. Bei Plazenta praevia ist 
je nachdem ein zentraler oder lateraler Sitz in Frage kommt, 
die Sterblichkeit der Mütter 14—22 "<>, die der Kinder 22—27 "o. - Der 

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Referate umt Bespiechungen. 


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Verfasser gibt dann weiterhin eine Reihe von Fällen aus seiner reichen 
Erfahrung in der Hebammenklinik zu Prag. 

Steyerthal-Kleinen. 

Kawasoye, M., Experimentelle Studien zum künstlichen Ureterverschluss, 
(Aus der Univ.-Frauenklinik in Kiel. (Zeitschr. f. gyn. Urolog. 1912, Bd. HI. 
H. 3.) 

Es hat sich ergeben, daß weder die einfache Unterbindung, noch 
die Unterbindung in Verbindung mit einfacher oder doppelter Schleifen- 
bez. Knickbildung nach Stoeckel zu einer idealen Obliteration des Ureters 
führen, und zwar deshalb, weil bei diesen Verfahren stets nach einiger 
Zeit infolge der oberhalb der Ligatur eintretenden Urinstauung und Ureter¬ 
dehnung die Unterbindungsfäden durchschneiden, so daß es sogar zur Urin¬ 
infiltration der Nachbarschaft kommt. Die einzig zuverlässige Methode be¬ 
steht in einer echten Knotenbildung des Ureters, unterhalb des 
Knotens wird selbstverständlich der Ureter einfach abgebunden. Bei dieser 
Knotenbildung, entlehnt den natürlichen Knotenbildungen in der Nabel¬ 
schnur, kommt es oberhalb der Ligaturstelle zu einer Stenosenbildung; diese 
gerade bewirkt es, daß es zu keinem Einbruch des Fadens kommt Abbil¬ 
dungen erläutern die Verhältnisse. R. Klien-Leipzig. 

I’oten, \V., Die Erfolge der Nierendekapsulation bei Eklampsie. (Zeitschr. 
f. gynäk. Urolog. 1912, Bd. III, H. 3.) 

Nachdem nun etwas über 100 Fälle von Nierendekapsulation bei Eklamp¬ 
sie in der Literatur niedergelegt worden sind, hat sich P. der dankens¬ 
werten Aufgabe unterzogen, dieselben zu sammeln und kritisch zu be¬ 
leuchten. \Das Resultat ist ein Verdikt der Nierendekapsulation bei 
Eklampsie. Abgesehen davon, daß man im Einzelfall nie sagen kann: diese 
Pat. wäre ohne die Operation gestorben, ergab ein Vergleich operierter 
und nicht operierter Fälle, die post partum die gleiche Anzahl von 
Anfällen gehabt hatten, ein besseres Resultat bei den Nichtoperierten. Diese 
Art der Berechnung dürfte mindestens ebenso stichhaltig sein, wie das 
rein subjektive Urteil im Einzelfall. Von 81 Operierten, welche nach der 
Geburt mindestens 4 Anfälle noch hatten, starben 33 oder 40,7 u/o. Von 
90 Eklamptischen der Hannoverschen Provinzialhebammenlehranstalt, die eben¬ 
falls post partum noch mindestens 4 Anfälle hatten, starben nur 21 oder 
23,3 »o. Werden noch Untergruppen gemacht (7, 11 und mehr Anfälle), 
so bleibt das Resultat etwa das gleiche. Nimmt man noch hinzu, daß 
jedenfalls viele tödlich ausgegangene Fälle von Nierendekapsulation nicht 
publiziert worden sind, so darf man wohl mit P. behaupten, daß ein 
Nutzen der Operation für eklamptische Frauen bisher leider nicht nach¬ 
gewiesen worden ist. R. Klien-Leipzig. 

Hirsch, Josef (Berlin), Über die medicamentöse Behandlung des Wochen* 
bettfiebers mit Silberpräparaten. (Med. Klinik 1911, Nr. 29.) 

II. bringt eine kasuistische Zusammenstellung von Fällen von Puerperal¬ 
fieber, in denen die Anwendung von Silberpräparaten nutzbringend ge- 
gewesen zu sein schien und dieser Erfolg immerhin so deutlich war, daß 
ein Glaube an die Wirksamkeit der Behandlung gerechtfertigt ist, 
wenn auch natürlich der strikte Beweis de3 post hoc ergo propter hoc 
nicht geliefert werden kann. — Verwandt wurden Collargol (Heyden) in 
der Form von Klysmen; 5,0—6,0 g pro die, auf 2—3 mal am Tage ver¬ 
teilt. Subkutane Gaben dieses Mittels schienen ihm wirkungslos zu sein. 
— Ferner wurde angewandt Electrargol (Clin u. Co., Paris) und Argoferment 
(Heyden), beide intramuskulär. Die injizierten Lösungen müssen klar sein. 
Das Electrargol wird am besten erst kurz vor der Injektion isotonisch 
gemacht durch den Inhalt einer zu diesem Zwecke bejgegebenen Ampulle^ 
beide Präparate kommen in sterilen Ampullen zu 5 ccm in den Handel, 
von jedem Präparat werden tgl. 5—10 g gegeben. — Sodann wurde noch 
ein von Professor Blumenthal hergestelltes Präparat von „Arsen-Silber“ 
(das Monosilbersalz der Paramidophenylarsinsäure) in mehreren Fällen ver¬ 
sucht und schien von besonders günstiger Wirkung. Gegeben wurden an 



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Referate und Besprechungen. 


4b‘.l 

2 durch einen Zwischentag getrennten Tagen je 0,3 g. Dies letzgenannte 
Präparat enthält 33 "u Silber und 23 u„ Arsen. R. Stüve-Osnabrück. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Perlmann, Jenny, Dr. med., HelOliiftbehandlung der Ekzeme im Säuglings* 

alter. (Münch, med. Wochenschrift 1912, No. 2.) 

Perlmann hat die heiße Luft bei verschiedenartigen Ekzemen im Säug¬ 
lingsalter angewendet und gute Erfolge erzielt, besonders bei den nässender. 
Ekzemen im Stadium papulosum, squamosum und vesiculosum. Oft waren 
die Kinder monatelang mit Ölabreibungen und Zinkpaste erfolglos behandelt 
und stark heruntergekommen. Auch die Furunkulosis wurde auf diese Weise 
behandelt. Zahlreiche Furunkel schrumpften sichtlich unter Anwendung der 
heißen Luft und verschwanden spontan, andere wurden nach Inzision be¬ 
handelt und bedurften weder Tamponade noch Verband. Die Vernarbung 
trat innerhalb weniger Tage ein. Zur Anwendung kam ein Heißluftapparat 
aus Nickel, aus dem medizinischen Warenhause Thamm, Berlin NW., Karl¬ 
straße 14, für 20 Mark, der sehr handlich ist und sich leicht applizieren 
läßt. Die Stärke der ausgestoßenen Luft läßt sich leicht am Asbestzylinder 
regulieren. Eine tägliche Sitzung von 5 -10. Minuten genügte, meistens 
waren 7—20 Sitzungen nötig. Nebenbei ist nötig Diät zu halten und die 
ekzematösen Partien des Körpers mit Olivenöl abzureiben. 

Rösler. 

Tabby, A. H. Die Indikationen für chirurgische Eingriffe bei tuberkulösen 
Cielenkerkrankungen der Kinder und ihre Dauerresultate. (Proc. of the Royal 

Society of Medicine, Bd. V, Nr. 3.) 

Hier haben sich in den letzten zehn Jahren die Anschauungen stark 
.geändert: früher sah man die Erkrankung als lokal an, jetzt als ein Zeichen 
verlorener Widerstandskraft des ganzen Körpers; früher sagte man: erst 
das Gelenk, dann der Allgemeinzustand, jetzt umgekehrt. Die letztere An¬ 
schauung ist bei Kindern noch viel richtiger als bei Erwachsenen. 

Tabby ist mit Operationen außerordentlich zurückhaltend uni behandelt 
Gelenktuberkulosen mit Freiluftmethoden gerade wie die Phthise. Auf dem 
Lande gelegene, diesem Verfahren gewidmete Krankenhäuser, wie sie in 
England existieren, haben die Zahl der Operation außerordentlich redu¬ 
ziert. Ein Chefarzt eines solchen teilt mit, daß er an 336 Kranken nur 
eine Operation ausgeführt habe, nämlich einen kariösen Abszeß geöffnet; 
gestorben sei von den 336 Kranken nur einer, und zwar an Meningitis. 

Das Bett wird möglichst vermieden, die Schienenapparate setzen die 
meisten in den Stand, tagsüber umherzugehen. 

Rasche Resultate darf man von der Freiluftbehandlung nicht erwar¬ 
ten, die ja sogar an klimatisch begünstigten Orten wie Leysin sehr lange 
dauert. Oft läßt erst nach Monaten die Entzündung nach, und vor 2—3 
Jahren kann man selten ein Gelenk als geheilt ansehen, einerlei ob es 
beweglich oder ankylosiert ist. T. faßt seine Ansicht dahin zusammen, 
daß, je weniger operiert wird, desto besser die Aussichten auf Heilung 
sind. Er steht nicht allein mit der Ansicht,, daß häufiges Auskratzen 
die Gefahr der Erkrankung anderer Gelenke vermehrt und daß Opera¬ 
tionen, auch kleine, nicht selten Anlaß zum Ausbruch einer Meningitis 
geben. Doch gibt es auch Fälle, in denen zur Operation gegriffen wer¬ 
den muß. Abszesse, die nach längerem Zuwarten unter günstigen Be¬ 
dingungen nicht kleiner werden, sollen eröffnet werden, ehe sie mit der 
Haut verwachsen oder aufbrechen. T. eröffnet sie durch mehrere Schnitte, 
so daß freier Einblick gewonnen wird, entfernt Inhalt und etwaige Se¬ 
quester, reibt aber die Abszeßwand nur mit Gaze ab. Danach Atzung 
mit Acid. carbol. purum während 1 Minute und Ausspülung mit Alkohol. 
Die Inzisionen werden vernäht, damit prima reunio eintritt; Drains wer¬ 
den nie verwandt, da sie ein sicheres Mittel sind, um sekundäre Infektion 
der Wunde herbeizuführen. 


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Referate und Besprechungen. 


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Die einst so gepriesenen Gelenkresektionen unterzieht er einer strengen 
Kritik ihrer Resultate, bei der dem Leser alles einfällt, was er als Assistent 
angesehen hat — den Studenten werden ja die traurigen Dauerfälle 
weniger gezeigt. Eine besondere Betrachtung verdienen die Knochener- 
krankungen in der Nähe der Gelenke, die man nur dann aktiv angreifen 
soll, wenn eine hinreichende Schicht gesunden Knochens sie vom Gelenke 
trennt, da sonst nach der Operation das Gelenk erkrankt. Besonders bös¬ 
artig pflegen Erkrankungen an den Fingern zu sein, hier gibt es nur die 
Freiluftbehandlung und, wenn sie nicht bald zum Ziele führt, die Amputa¬ 
tion. Fr. von den Velden. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Hauptmann, A. (Hamburg-Eppendorf), Serologische Untersuchungen von 
Familien syphilogener Nervenkranker. (Zeitschr. für die ges. Neur. und Psych. 
Bd. 8, H. 1.) 

Aus der ausführlichen, 43 Familien und die einschlägige Literatur 
berücksichtigenden Arbeit, sollen nur 2 wichtige Punkte herausgehoben wer¬ 
den, einmal die Frage der lues nervosa und die hiermit zusammenhängende 
Infektion des anderen Ehegatten und zweitens das Verhalten der Kinder. 
H.s Erfahrungen sprechen durchaus nicht zu gunsten der lues nervosa, 
es scheint vielmehr, daß die Spirochäten bei ihrer Passage durch das 
Zentralnervensystem des Erstinfizierten so viel an Virulenz einbüßen, daß 
sie nicht mehr imstande sind, bei dem Zweitinfizierten Primär- oder Sekun¬ 
därerscheinungen hervorzurufen. Wenn nämlich der infizierende Teil an 
einem syphilitischen Zerebrospinalleiden erkrankt war, so verlief die Lues 
bei der infizierten Ehehälfte in 100 »o latent, d. h. ohne daß eine In¬ 
fektion bemerkt wurde. Wenn der infizierende Teil dagegen organisch ge¬ 
sund war, so waren in 50 <y 0 bei dem Infizierten Sekundärerscheinungen 
aufgetreten. Die „Nervensystem-Spirochäten“ scheinen also beim Übergang 
auf eine andere Person eher ihre Vorliebe für das Nervensystem zu ver¬ 
lieren. Die Infektion der Ehegatten ließ sich in einer Reihe von Fällen 
lediglich durch die pos. W. R. nachweisen, wo alle übrigen Symptome 
fehlten. Pos. W. R. ist nach H. beweisend für stattgehabte Spirocnäten- 
infektion und höchstwahrscheinlich auch für Vorhandensein von virulen¬ 
ten Spirochäten (so lange das letztere nicht feststeht, ist nur die pos. 
R. mit Symptomen Indikation zu spezifischer Behandlung), neg. W. R. 
spricht nicht unbedingt gegen eine frühere Lues. Das beweisen u. a. Er¬ 
fahrungen an den Kindern, bei denen Fälle mit somatischen und 
psychischen auf Lues hinweisenden Störungen sich finden ohne W. 
R. Hierfür kommen zwei Erklärungsmöglichkeiten in Betracht, es kann 
sich lediglich um eine Intoxikation gehandelt haben oder es besteht ein 
abgeklungener oder „narbig“ abgeheilter, nur noch in seinen Testierenden Fol¬ 
gen sich dokumentierender ehemaliger luetischer Prozeß. Aus diesen Gründet 
heraus ist lediglich durch die Blutuntersuchung der Kinder ohne die¬ 
jenige der Eltern eine richtige Erkenntnis der auf elterlicher Lues be¬ 
ruhenden kindlichen Erkrankungen (Idiotie, Epilepsie usw.) nicht möglich. Ein 
wenig gekanntes für hereditäre Lues sprechendes somatisches Zeichen ist 
die scapula scaphoides (Graves). Während der mediale Rand der scapula 
normalerweise konvex oder gerade verläuft, ist er bei Deszendenten von 
Syphilitikern konkav. Zweig-Dalldorf. 

Pussep, L. M. (St. Petersburg), Resektion des ggl. Gasser! wegen Neuralgie 
des n. trlgem. unter Beleuchtung der Wundhöhle. (Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. 
Psych. Bd. 8, H. 1.) 

P. empfiehlt die von ihm zuerst angewandte endoskopische Beleuch¬ 
tung der Schädelhöhle von der Trepanationswunde laus, wodurch es leich¬ 
ter gelingt, an den Nervenästen entlang das Ggl. zu finden und sich über 
dessen Veränderung ein Urteil zu bilden. Zweig-Dalldorf. 


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Goldllam, S. (Warschau), Über das weitere Schicksal von Individuen, denen 
die Sehnenreflexc fehlen. (Nebst Beiträgen zur Methodik und Pathologie der 
Reflexe). (Zeitschr. f. ges. Neur. u. Psych. Bd. 8, H. 2.) 

Die Störung der Hautreflexe ist nur dann von Wichtigkeit, wenn 
3ie einseitig auftritt. Dem Knie- und Fußklonus kommt eine Bedeutung 
für die Unterscheidung eines organischen Leidens von einem funktionellen 
nicht zu. Wesentlich bedeutungsvoller ist das Fehlen der. Kniesehnen- und 
Achillessehnenreflexe, deren Konstatierung allerdings eine sehr sorgfältige, 
am besten wiederholentliche Untersuchung mit einwandsfreier Methodik vor¬ 
aussetzt. Besser als die häufig geübte Methodö, bei der die linke Hand 
unter die Kniekehle des horizontal liegenden Patienten geschoben wird, 
ist das Überschlagen der Beine in der gleichen Horizontallage mit Ab¬ 
lenkung der Aufmerksamkeit durch Unterhaltung bei geschlossenen Augen 
event. mit Jendrassikschem Handgriff. Den nach G. an Konstanz gleich¬ 
wertigen Achillessehnenreflexe kann man auch durch • das dickste Schuh¬ 
werk hervorrufen, wenn man zur Prüfung des linken Beins den Kranken 
in horizontaler Lagerung auf die rechte Seite sich legen läßt, die Kniee 
unter offenem Winkel flektiert, dann durch Druck auf das vordere Fußende 
die Achillessehne in eine mäßige Spannung versetzt und auf dieselbe mit 
dem Perkussionshammer einen kurzen Schlag ausführt. Erhält man so keinen 
Reflex, so untersucht man auf dieselbe Weise bei entblößten Füßen. Uder 
man läßt schließlich den Patienten Knie-Ellbogenlage einnehmen mit nicht 
zu weit über die Kante des Sofas herausragenden Füßen und führt nun 
mit dem Hammer oder mit der Ulnarseite der Hand einen Schlag auf 
die Achillessehne. Als besondere Schwierigkeit ist hervorzuheben, daß bei 
Frauen mit entzündetem Plattfuß die Achillessehne oft im wahrscheinlich 
entzündeten Fettgewebe sich befindet, mit einiger Mühe gelingt aber auch 
hier die Auslösung. Wichtiger als die Steigerung der Reflexe, die sich 
auch bei ganz harmlosen Zuständen findet, ist die Herabsetzung, beson¬ 
ders wenn ein Unterschied zwischen beiden Seiten vorhanden ist bei ein¬ 
wandsfreier Methodik, oder wenn eine tonische Veränderung oder eine Er¬ 
schöpfung bei wiederholter Auslösung sich einstellt. Besonders das letztere 
geht nicht selten dem völligen Schwinden voran. Ebenso wichtig ist als 
Vorläufer des Schwindens die konstante Herabsetzung bei Prüfung mit 
Jeadrassikschem Handgriff. Wenn letzterer aber nur zur Bahnung ver¬ 
wandt werden muß und die nächsten Male der Reflexe immer lebhafter 
wird, so beweist dies nichts. Will man die Störungen der Sehnenreflexe 
richtig würdigen, so muß man auch wissen, daß häufig Intoxikationen 
schädigend wirken. Besonders ist hier wichtig die Neuritis ischiadika, als 
deren einziges Residuum man noch Jahrzehnte später den Verlust des 
Achillesreflexes der betreffenden Seite feststellen kann. Ebenso gehen auch 
bei der multiplen Neuritis selbst bei Ausgang in völlige Genesung die 
Achillessehnenreflexe nicht selten dauernd verloren, während die Knie¬ 
reflexe wiederkehren. In dieser Hinsicht ist also eine genaue Anamnese 
sehr wichtig, zumal wenn die Neuritis selbst nur wenig Erscheinungen 
gemacht hat und daher vergessen worden ist. Ebenso kann Herpes zoster 
die Sehnenreflexe noch lange nach Abheilen der Bläschen schädigen infolge 
Störung der sensiblen Bahnen. Beim diabetes mellitus schwinden die Seh¬ 
nenreflexe in 13—14 o/o und zwar die Achillessehnenreflexe häufiger als 
die Kniereflexe. Sind die Reflexe einmal verloren gegangen, so kehren 
sie nicht mehr wieder, selbst bei Sinken des Glykosegehaltes und Besserung 
des Allgemeinzustandes. Der Alkohol kann auch ohne Neuritis die Achilles- 
sehnenreflexe zum Schwinden bringen. Toxisch bedingt ist auch der Ver¬ 
lust der Sehnenreflexe beim Karzinom der inneren Organe, auch wenn 
noch keine Kachexie eingetreten ist. Ebenso wie bei diesem Leiden bleiben 
beim Diabetes und bei anderen komatösen Zuständen die Hautreflexe oft 
bis zum Tode unbetroffen. Mitunter, aber nicht in der Regel, bedingen 
auch Rückgratsverkrümmungen Reflexstörungen. Bei der perniziösen Anämie 
scheinen die Reflexe eine Herabsetzung zu erleiden. Das Fehlen der Re¬ 
flexe als Familieneigentümlichkeit muß bei tadelloser Technik an eine event. 


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Referate und Besprechungen. 


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rudimentäre Friedreichsche Krankheit denken lassen, welcher event. der 
progrediente Charakter fehlt, und deren einziges Symptom eben das Fehlen 
der Reflexe darstellt. Abgesehen von alledem und auch hei peinlichstem 
Ausschluß aller auf luetische Ätiologie oder Rückenmarkserkrankung ver¬ 
dächtigen Fälle bleiben Individuen übrig, bei denen eine jahrelange — 
in der vorliegenden Arbeit bis 14 Jahre — Beobachtung lediglich das 
Pehlen der Sehnenreflexe ohne jede Bedeutung ergibt. Neben einem Fall 
aus der Privatpraxis konnte G. auf je (1500 poliklinische Kranke nur einen 
Menschen mit derartigem anscheinend kongenitalem Fehlen der Sehnen¬ 
reflexe finden und zwar aller Sehnenreflexe. Fälle mit nur partiellem 
Fehlen erwecken den Verdacht auf ein erworbenes progredientes Leiden. 
Hervorzuheben ist noch, daß Kinder die Poliklinik nur selten frequen¬ 
tieren und daher in dem Material nur wenig vertreten sind. 

Zweig-Dalldorf. 

Plaezek (Berlin), Schüttellähmung nach PferdeblO. (Med. Klinik 1910, 
Nr. 35. 

Im vorliegenden Falle, in dem bei einem Pferdeknecht eine bestehende 
Schüttellähmung durch einen Pferdebiß verursacht bezw. verschlimmert sein 
sollte, wurde der ursächliche Zusammenhang zwischen Unfallereignis und 
Krankheit abgelehnt, weil der Unfall, über dessen Tatsächlichkeit an sich 
außerdem noch Zweifel bestanden, nach Art und unmittelbaren Folgen ein 
so harmloser war, daß er weder als Ursache noch als beschleunigter Effekt 
des bei dem Begutachteten vorliegenden Leidens in Frage kommen konnte. 
Es kam zu allem hinzu, daß der Verletzte, der nebenbei wegen seiner Neigung 
zum Trinken aus seiner Stellung entlassen wrnrde, derartig an sich unwahr¬ 
scheinliche Angaben über den Hergang des Unfalles selbst gemacht hatte, 
daß er auf Glaubwürdigkeit keinen Anspruch machen konnte. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Bern heim (Nancy), Über Myelitis (Sur les £volutlons cliniques des myilites 
toxi-infectieuses). (Revue de m£d. 1912, XXXII. Jahrg., Nr. 1, S. 1—30.) 

In früheren Zeiten genossen die alten Ärzte eine besondere Verehrung, 
und ihr Urteil wurde hochgeschätzt. Man w'ar der Meinung, daß reiche Er¬ 
fahrung und sich schärfende Urteilskraft eine gute Mischung geben müßten. 
Heutzutage ist das anders geworden. An Stelle der Erfahrung bewertet 
man Laboratoriumsarbeiten, und die Schärfe un i Selbständigkeit des Urteils 
werden durch geistreiche Hypothesen der gerade tonangebenden Größen er¬ 
setzt. Auf diese Weise ist der fatale Zustand entstanden, welchen schon 
P. Michel beklagte: que la Science medicale soit exclusivement faite 
avec des materiaux d’höpital et par des jeunes gens. Wir müssen nun 
freilich diese Verhältnisse nehmen, wie sin sind; aber wir brauchen sie 
deshalb nicht für die alleinrichtigen zu halten. Dafür lassen sich die Ar¬ 
beiten anführen, welche der greise, ehemalige Professor in Nancy uns 
aus dem Schatz und der Werkstätte eines langen, erfahrungsreichen Lebens 
schenkt. 

Im vorliegenden Aufsatz macht er darauf aufmerksam, daß es neben 
den Myelitiden, wie sie in den Lehrbüchern beschrieben werden, noch eine 
ganze Reihe anderer Formen gebe. Da ist zunächst die Myelitis, von der 
man gar nichts merkt. Sie entschleiert sich erst post mortem, wenn der 
Betreffende an irgend einer anderen Krankheit zugrundegegangen ist, dem 
gewissenhaften Jünger des Mikroskops, der — ohne etwas Bestimmtes zu 
denken auch vom Rückenmark Serienschnitte durchmustert. 

Mit einer Steigerung der Reflexe überschreitet die zweite Gruppe die 
Schwelle der klinischen Symptomatologie. Aber die Reflexe w r erden wieder 
normal, und nur der Kundige w’eiß das einzuschätzen. Ähnlich verhält es 
sich bei der dritten Serie, wo zu den Reflexsteigerungen noch Störungen 
in der sog. sensiblen und motorischen Sphäre hinzukommen. Auch noch 
stärkere Symptome können wieder völlig verschwinden. Sie können aber 
auch nur teilweise sich ausgleichen und bleibende Defekte zurücklassen. 

Ganz besonders interessant sind jene Fälle, die in Schüben 

(par poussees successives) verlaufen. B e r n h e i m berichtet von 3 der- 



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Referate und Besprechungen. 473- 

artigen Patientinnen (im Alter von 33, 38 und 42 Jahren), bei welchen 
die einzelnen Attacken durch Zeiten mehr oder weniger völliger Gesund¬ 
heit — besser: Funktionsfähigkeit — getrennt waren, aber jedesmal stärker 
auftraten. Die letzte Klasse bilden dann 1 die bekannten, progressiv zum 
Tode führenden Myelitiden, wie sie in den Lehrbüchern abgehandelt zu 
werden pflegen. 

Man sieht: Bernheim erweiter den Horizont gewaltig. Er sprengt 
die liebgewordenen- klinischen Bilder und zwingt uaa, auch aus klinischen 
Fragmenten auf Rückenmärksreizungen zu schließen. Wer sich darauf ein¬ 
läßt, wer sich in solchen Fällen jiicht hinter die Diagnose: Neurasthenie 
zurückzieht, lernt physiologisch «jenken. . ’ /< 

Aber mit der Diagnose allein ist es nicht getan. Wir Arzte wollen 
doch rhelfen;iu nd .insbesondere in rudimentären Fällen scheinen die Chancen 
einer Heilung ganz günstig zu liegen. Allein darüber schweigt sich B. 
aus. Vor dem hypothetischen Toxin, welches die einzelnen Nervenzellen 
tötet, macht er Halt und wagt die Frage nicht zu stellen, ob die Heilungen, 
welche die Natur in den meisten seiner Gruppen uns Vormacht, ob sich 
diese nicht therapeutisch nachmachen lassen? Er sagt selbst (S. 11) be¬ 
züglich der Fälle seiner dritten Serie: que ces troubles finissent par se 
resoudre sans laisser de traces. Die Frage drängt sich da doch ganz 
gebieterisch auf: Was für ein Faktor bringt denn diese resolution sans 
traces fertig? „Von selbst“ heilt doch wahrlich kein Defekt aus. 

Indessen, seien wir Jüngeren dankbar, daß der scharfsinnige Gelehrte 
uns auch noch etwas zu erforschen übrig gelassen hat. Im übrigen kann 
auf die Kühnheit, mit welcher er den klinischen Horizont erweitert, 
Cu vier s Urteil über Flourens hirnphysiologische Experimente über¬ 
tragen werden: „Le seul fait d’avoir imagine de telles experiences etait 
un trait de genie digne d’admiration.“ Buttersack-Berlin. 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Gerber, Lupusbekämpfung und Nasen vorhof. (Münch, med. Wochenschr. 
1911, Nr. 47.) 

Der Verfasser macht darauf aufmerksam, daß bei den Nasenunter¬ 
suchungen meist - das Vestibulum der Nase (speziell der Übergang von 
äußerer Haut in Schleimhaut) nicht berücksichtigt würde. Und gerade 
von dieser Stelle habe oft der Lupus seinen Ausgangspunkt. Er hat zur 
besseren Untersuchung dieser Gegend einen kleinen Spiegel angegeben. 

Treffliche Bilder illustrieren das Gesagte. 

Der Autor fügt hinzu, daß man bei der Lupusbekämpfung sich also 
auch an die Rhinologen wenden müsse, weil diese oft am frühesten in der 
Lage wären, die Diagnose zu stellen. Schütze-Darmstadt. 

Wilkinson. G. Drei Fälle von Infektion der accessorischen Sinus durch Ein¬ 
tritt von Wasser in die Nase beim Baden. (Proc. of the Royal Society of 
Medioine, Bd V, Nr. 3.) 

Von diesen Fällen ist einer, bei dem schon vorher Nasenpolypen und 
Schwellung der mittleren Muschel bestand, an hinzugetretenen subduralen 
Abszessen gestorben. Bei den beiden anderen hatte Eiterung im Sin. fron- 
talis bezw. maxillaris infolge Anfüllung mit Wasser beim Baden 2 Jahre 
bezw. Y; Jahr bestanden. Otitis media aus solchem Anlaß ist keine Selten¬ 
heit. In der Diskussion wurde die Ansicht geäußert, das Wasser müsse 
infiziert gewesen sein, was aber Ref. für eine unnötige Annahme hält. 

So gut wie beim Baden kann ein solcher Unglücksfall auch bei der 
Nasendouche passieren. Fr. von den Velden. 

Henke, Exitus letalis nach Kieferhöhlenoperation. (Archiv f. Laryngologie 
Bd. 25, Heft 3.) 

Mitteilung eines kasuistischen Falles, bei dem nach einer Kieferhöhlen¬ 
empyemoperation (nach Donker) anscheinend infolge von aspiriertem Eiter 
eine Gangrän der rechten Lunge eintrat, durch die beinahe 5 Wochen 
nach der Operation der Tot eintrat. 


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474 


Referate und Besprechungen. 


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Der Fall ist dadurch interessant, daß sich gleichzeitig ein Eiterherd 
im kleinen Becken fand, der die selben Kokken aufwies, wie der Lungen¬ 
abszeß. Doch kommt der Verfasser zu dem Schluß, daß der ßeckenabszeß 
schon früher latent bestanden haben müsse — während der Lungenprozeß 
direkte Operationsfolge gewesen sei. Schütze. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Krön. Ein Beitrag zur optischen Seradiagnose der Syphilis nach Jacobs- 
thaL. (Inaugural-Dissertation Berlin 1911.) 

Eine Nachprüfung der optischen Serodiagnose der Syphilis nach Jacobs¬ 
thal an einem Material von 170 Seris, die vergleichend mit der Was¬ 
sermann sehen Reaktion untersucht wurden, ergab folgendes Resultat: 
Die meisten alkoholischen syphilitischen Leberextrakte bieten nicht das 
Bild, das zu einer exakten Diagnose durchaus notwendig ist, d. h. sie 

zeigen nicht viele Lipoidelemente in gleichmäßiger Verteilung, sondern 

neigen schon von Hause aus zu Schollenbildung. Auch von den sonst 

geeigneten Extrakten müssen manchmal Emulsionen aus demselben Grunde 
verwerfen werden. K. Boas-Straßburg i. E. 

Almkvlst, Johann. Über die Ursachen der Reaktionserscheiuungen nach 
Salvarsanlnjektion. (Deutsche med. Woch. 1912, Nr. 1.) 

Auf der Abteilung Almkvists (Krankenhaus S. Göran in Stockholm) 

sind die reaktionslosen Injektionen, die vor Einführung der Wechselmann- 
schen Methode nur 60 "o ausmachten, nach der Einführung des frisch 
destillierten Wassers bis über 92 o o gestiegen. Es ist also deutlich, daß 
mit der neuen Methode ein viel besseres Resultat erreicht wurde: e6 scheint, 
daß unter Mitwirkung des Salvarsans Reaktionserscheinungen nach Salvarsan- 
injektionen auftreten können infolge von bakteriellen Giften, wenn solche 
in genügender Menge im Blute verhanden sind. Diejenigen Bakterien, aus 
denen diese Gifte stammen, sind teils solche, die sich in destilliertem, 
Wasser gewöhnlich entwickeln, teils auch solche, die bei Infektion mit 
verschiedenen Mikroorganismen im Körper Vorkommen. Einige Fälle zeigen, 
daß die Spirochäten selbst zu diesen Mikroorganismen gehören. Nicht alle 
Injektionen scheinen die besprochene Mitwirkung des Salvarsans zu geben; 
2 Fälle mit gewöhnlicher Erkältung verliefen ganz reaktionslos. 

M. Kaufmann-Mannheim. 

StUmpke, G. Salvarsan und Fieber. (Deutsche med. Woch. 1912, Nr. 4.) 

Stümpke kommt auf Grund seiner Versuche zu Ergebnissen, die nicht ganz 
mit denen Wechselmanns übereistimmen. Während intravenöse Infusionen von 
einwandfrei sterilisiertem destilliertem Wasser nur sehr selten nennenswerte 
Temperaturerhöhung erzeugten, riefen intravenöse Salvarsaninjektionen (bei 
gleicher Wassermenge und Sterilisation) solche sehr häufig hervor; es kann 
also das Fieber nur zum Salvarsan, und nicht zu etwaigen Verunreinigungen 
-des Wassers in Beziehung stehen, und zwar ist es wohl, in Anbetracht 
der Tatsache, daß spätere Injektionen viel seltener Fieber erzeugen, nicht 
als medikamentöses, sondern als Endotoxinfieber zu betrachten. Auf pein¬ 
lich zubereitete Lösungen im Sinne Wechselmanns ist selbstverständlich 
nichtsdestoweniger zu achten. Da sterile Kochsalzlösung im Gegensatz zu 
Wasser Temperatursteigerungen hervorruft, ist die Salvarsanlösung mit 
Wasser und nicht mit Kochsalz zuzubereiten. M. Kaufmann. 

Lipschitz, Superinlectlo syphilitica. (Inaug.-Dissertation Berlin 1911.)] 

Die beiden vom' Verfasser angeführten Fälle sind sichere Superin- 
Ic-ktionen. Die Superinfektion darf nur aus einem ganz bestimmten Symptomen- 
komplex diagnostiziert werden, nämlich dem Zusammentreffen florider Sekun¬ 
därerscheinungen mit einem nach deren Auftreten entstandenen neuen 
Primäraffekt. K. Boas-Straßburg i. E. 



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Referate und Besprechungen. 

Medikamentöse Therapie. 

Gndden, Prof. Dr. FL, Adalin, ein neues Beruhigung*- und Einschläferung«. 

mittel. (Münch, med. Wochenschrift 1912, No. 2.) 

Gudden hat in l 1 /. Jahren in ca. 100 Fällen gleichmäßig gute Resul¬ 
tate mit Adalin erzielt. Als ein Hypnoticum per excellence darf Adalin 
nicht bezeichnet werden, sondern nur als Beruhigungs- und Einschläte- 
lungsmittel. Seine Hauptanwendung findet es in den zahlreichen Fällen chroni¬ 
scher Schlaflosigkeit infolge von Neurasthenie (auch sexueller), Hysterie, 
Herzneurosen, Angina pectoris, motorischen Erregungen (Manie, Dementia 
praecox), sowie einfacher und nervöser Agrypnie, bei der man wegen der 
Gefahr der Angewöhnung und Nachwirkungen nicht gleich starkwirkende 
Mittel anwenden will. Je nach der Dosis kann man eine rein sedative 

oder hypnotische Wirkung zur Geltung bringen. In kaltem Wasser ge¬ 
nommen, wirkt das Adalin in refrakten Dosen von 0,25—0,5 g 3—4 mal 
gleichmäßig auf den Tag verteilt kalmierend und tritt am besten z. B. 
bei Angstzuständen mit psychischer Depression und irritativen Herzneu¬ 
rosen, in Erscheinung. Will man Schlaf erzielen, so gibt man 1—l'/s g 
(2—3 Tabletten) in heißem Getränk eine viertel bis eine halbe Stunde 

vpr dem Schlafengehen. Nach ‘/»—1 ständiger Zeit tritt Müdigkeitsgefühl 
auf und bald darauf tiefer, ruhiger Schlaf. Die Patienten fühlen sich 
anderen Tages frisch und erquickt. Daß das Mittel bei Selbstmordver¬ 
suchen bis zu 9 g ohne Schaden genommen wurde, und nur einen dreißig- 

stündigen tiefen Schlaf bewirkte, ist der beste Beweis für seine Unschäd¬ 
lichkeit Rösler. 

Beyerhaus, G., Klinische Erfahrungen mit Codeonal. Aus der Rheinischen 
Provinzial-Heil- u. Pflegeanstalt, G afenberg (Direktor: Geh. 8an.-Rat Dr. Pe- 
retti). (Deutsche Med. Wochens hr. 1912, Nr. 9.) 

Das Codeonal wurde an 92 ausschließlich weibliche Personen verab¬ 
reicht von denen 88 Geisteskranke und nur 4 geistig Normale waren. 

Um die sedative Wirkung des Mittels zu erproben, erhielten Codeonal 
zehn geisteskranke Frauen, von denen je drei an schweren manischen oder 
katatonischen, je eine an hysterischen oder paralytischen Erregungszustän¬ 
den erkrankt waren. Die beiden anderen Frauen litten an Melancholie, 
die durch die üblichen therapeutischen Mittel bisher nicht beeinflußt worden 
war. Bei den zuerst genannten Erregungszuständen war die Wirkung nicht 
hinreichend befriedigend; bei den beiden an Melancholie leidenden Kranken 
trat während der Darreichung von täglich drei Tabletten eine gewisse Be¬ 
ruhigung ein. Die Kranken wurden munterer und schliefen besser. 

Als Hypnotikum kam das Codeonal bei 78 geisteskranken und 4 geistig 
normalen Frauen zur Anwendung. Die Dosierung richtete sich selbstver¬ 
ständlich nach der Schwere der Schlaflosigkeit; es wurden 1—3 Tabletten 
gegeben. 

Die Wirkung war häufig nicht gleichmäßig. Wirkte das Mittel, so 
trat meist nach l /*—1 Stunde, bisweilen schon früher, bisweilen auch erst 
nach 2 Stunden eine Beruhigung der Kranken ein. Es machte sich eine 
Erschwerung des Gedankenablaufes und eine leichte Schläfrigkeit bemerk¬ 
bar. Kurze Zeit darnach trat dann der Schlaf ein. Bei ausreichendem: 
Wirkung dauerte er 5 —7 Stunden und war ruhig, tief und gleichmäßig. 
Wurden die Kranken durch irgendwelche Geräusche in der Umgebung ge¬ 
weckt, so schliefen sie gewöhnlich schnell wieder ein. Beim Erwachen 
erschienen sie in der Regel sofort frisch und munter, und diejenigen Patien¬ 
ten, die zuverlässige Angaben machen konnten, bestätigten dies auch. 

Eine Herabsetzung des Blutdruckes durch Codeonal wurde nicht be¬ 
obachtet. Ein Teraperaturabfall um 0,2—0,3 Grad wurde häufiger festge¬ 
stellt; stärkere Temperaturerniedrigung trat jedoch niemals ein. Die Her¬ 
absetzung de 3 Pulses und der Atmung blieb stets innerhalb der normalen 
Grenzen. Diese bei herzgesunden Leuten gemachte Erfahrung veranlaßt« 
Verfasser auch, Patienten mit krankhaften Veränderungen des Kreislauf¬ 
systems, die z. B. mit einer Myokarditis oder einem Herzklappenfehler 


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476 Referate und Besprechungen. 

behaftet waren, Codeonal in vorsichtiger Weise zu verabreichen. Auch 
sie vertrugen das Mittel gut. Magen und Darm wurden im allgemeinen 
nicht geschädigt. Im Urin, der öfters untersucht wurde, fand sich weder 
Albumen noch Blut. 

Eine kumulative Wirkung des Codeonals kam nicht zur Beobachtung; 
auch wurde eine Gewöhnung an das Mittel im allgemeinen nicht wahrge¬ 
nommen, obwohl es häufiger 16-—20 Abende hintereinander regelmäßig 
gegeben wurde. 

Auf Grund seiner Beobachtungen hält B. das Codeonal für geeignet. 
Ausreichendes zu leisten bei Schlaflosigkeit im Gefolge der verschiedenstem 
Psychosen, sobald sie leichteren Grades ist. Bei der Schlaflosigkeit von 
schwer erregten Geisteskranken versagt es häufig; seine Anwendung ist 
daher hier nicht zu empfehlen. Bei geistig normalen Patienten lieferte 
das Codeonal gute Ergebnisse. Es beseitigte prompt die Schlaflosigkeit, 
die infolge starker Hustenanfälle und körperlicher Schmerzen bestand. Das 
Hauptindikationsgebiet für die Anwendung des Codeonals ist die Bekämpfung 
der Schlaflosigkeit, die bedingt ist durch Schmerzen, nächtlichen Husten 
oder andere körperliche Beschwerden. • Neumann. 

Takeda, Untersuchungen über das ßromural ln Bezug auf seine Verteilung 
und Zersetzung Im tierischen Organismus. (Archiv int. de pharmacodyn. et de 
th^rap. 1911, Bd. 21, S. 204.) 

Die Intensität der Bromuralwirkung geht mit dem prozentualen Gehalt 
des Bromurals im Gehirn Hand in Hand. Zur Erzielung einer vollständigen 
Hypnose beim Kaninchen ist eine Konzentration von 0,0083 <>o Bromural 
im Gehirn erforderlich. Eine Konzentration von 0,0223 o/o wirkt tödlich. 
Es ist anzunehmen, daß das intakte Bromuralmolekül ausschließlich, oder 
wenigstens der Hauptsache nach, für die hypnotische Wirkung verantwort¬ 
lich ist. Kon troll versuche mit Bromiden ergaben nämlich, daß hier eine 
viel höhere Konzentration zur Herabsetzung der Hirnfunktion nötig ist. 

Das Kaninchenhirn ist nur wenig befähigt, das Bromural zu zerstören, 
worauf die ziemlich lang dauernde Wirkung, des Bromurals beruht. In 
bedeutendem Maße kommt aber eine solche Funktion der Leber und wahr¬ 
scheinlich auch anderen Geweben zu, so daß das Bromural weder narkotische 
Nachwirkungen noch kumulative Eigenschaften besitzt. Diesem Umstand 
verdankt das Bromural seine relative Harmlosigkeit und den Ruf als brauch¬ 
bares Hypnotikum, welches von jeder Nachwirkung frei ist. 

Neumann. 

Plersig (Berlin), Wahrnehmungen mit Santylbehandiung in verzweifelten 
Fällen. (Reiche-Medizinal-Anzeiger 1912, Nr. 5.) 

Unter den bisher zur internen Therapie der Gonorrhoe verwandten 
Balsamizis verdient Santyl mit an erster Stelle erwähnt zu werden, da 
es alle Eigenschaften besitzt, die man von einem Balsamikum verlangt, 
nicht aber die üblen Nebenwirkungen zeigt, die man bei anderen ähn¬ 
lichen Balsamizis nur zu häufig beobachten kann. 

Santyl zeeichnet sich daduroh aus, daß es fast geschmack- und ge¬ 
ruchlos ist und keine nachteilige Wirkung auf den Magendarrhtraktus und 
die Nieren ausübt. Das Brennen in der Harnröhre, schmerzhafte Erek¬ 
tionen sowie Harndrang werden durch Santyl prompt beseitigt. 

In seiner Kasuistik führt P. verschiedene Fälle auf, in denen bis 
zu 300 Santylkapseln von den Patienten innerhalb weniger Wochen ge¬ 
nommen wurden, ohne daß Nebenwirkungen auftraten. Neumann. 

Berliner, Max (Breslau), Über Jodmenlholinjektionen bei Tuberkulose. 

(Berliner klip. Wochenschr. 1912, Nr. 9.) 

Veranlaßt duröh die Empfehlung des radioaktiven Jodmenthol (Dioradin) 
seitens französischer Autoren weist Verfasser auf die seit Jahren 
von ihm befürwortete Anwendung des Menthols in Verbindung mit 
Eucalyptol und Jod zur Tuberkulose-Behandlung hin. Er injiziert anfangs 
täglich, dann mit ein- und zweitägigen Pausen intramuskulär je 1 ccm 
folgender Mischung: 



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Referate und Besprechungen. 


477 


„ Menthol 10,0 

Eucalyptol 20,0 
Jodipin (25 proz.) 50,0 

Während jene Autoren konstatierten, daß die Injektionen ihres Mittels* stets 
sehr schmerzhaft mit Jodvergiftung nicht zu vermeiden sei, sah B. nach 
Applikation der angegebenen Kombination niemals lokale oder allgemeine 
Störungen.. Das Jod des Jodipins wird nicht nur durch die Nieren, sondern 
auch durch die Lungen ausgeechieden. Die Beteiligung des Radiums, in 
dem Dioradin an der Beeinflussung von Husten, Schlaflosigkeit, Fieber ist 
wohl nur theoretische Annahme, denn diese Symptome werden auch durch 
die vom -Verfasser vorgeschlagenen Injektionen,..(also ohne Radium) • meist 
in kürzester Zeit gebessert. Die durch sein Verfahren bewirkte Temperatur- 
herabsetzung wird wahrscheinlich durch direkten Angriff und allmähliche 
Ausschaltung der deletären Faktoren erreicht. Vor der Dioradinbehandlung 
hat es außerdem dep Vorzug, weniger kostspielig zu sein. 

. . , Neumaim. 

Beresln, W. J., über das neue Dtgitalispräparat „Digipuratum solubile“ 

Aus dem Pharmakologischen Laboratorium der Militär-Medizinischen Akademie, 
St. Petersburg. (Russki Wratsch 1912, Nr 3.) 

Die Versuche wurden an Fröschen und .Hunden angestellt; bei einigen 
Versuchen kam ein Digipuratumpulver zur Verwendung, , das im Labora¬ 
torium bereits über ein Jahr gelegen hatte; bei anderen .Versuchen wurde 
ein frisch bezogenes Präparat benutzt. In der Wirkung wurde kein Unter¬ 
schied bemerkt. 

Die Versuche an Fröschen ergaben nach Einführung von 1 ccm der 
ü o.u igen Digipuratumlösung nach 10 Minuten steigende Kräftigung der 
Kammersystole. Nach 20 Minuten ungefähr stellte sich in den meisten 
Fällen mehr oder weniger ausdrucksvolle Peristaltik ein.. Gewöhnlich wurde 
nach 30 oder 40 Minuten systolischer Stillstand bemerkt, während die Vor¬ 
kammern noch einige Zeit arbeiteten. Nach dem Aufhören der Herztätig¬ 
keit waren die Vorkammern ausgedehnt, mit Blut gefüllt und saßen wie eine 
Mütze auf der bleichen, stark gekürzten Kammer. Die Pulszahl veränderte 
sich anfangs nicht; darauf wurde eine mehr oder weniger große Herab¬ 
setzung des Pulses bemerkbar, die durch Verlängerung der Systolen zu 
erklären ist. 

Bei kurarisierten Hunden hebt sich nach wiederholten intravenösen 
Einspritzungen einer 5 «o igen Digipuratumlösung cer Blutdruck bedeutend. 
Gleichzeitig sinkt der Puls schnell. Die Systolen sind energisch. Nach 
einiger Zeit verändert sich dieses „therapeutische Stadium“ der Digipuratum- 
Wirkung scharf:.die Verzögerung der Herzschläge geht in Beschleunigung 
über, wobei der Herzrhythmus noch ziemlich normal und der Blutdruck 
noch immer sehr hoch bleibt. Allmählich wird die Herztätigkeit bei Steige¬ 
rung der Digipuralum-Dosen unregelmäßig, der Puls arhythmisch, der Blut¬ 
druck fällt und endlich bleibt das Herz stehen. 

Wenn man die Resultate vergleicht, so kommt man zu dem Schlüsse, 
daß vom pharmakologischen Standpunkte aus das Digipuratum alle Wir¬ 
kungen der Digitalis ausübt, denn seine Wirkung auf das Froschherz ist 
vollkommen typisch, indem es eine Kräftigung der Systole hervorruft. Das¬ 
selbe muß auch über seinen Einfluß auf den Blutdruck und die Herztätig¬ 
keit bei Hunden gesagt werden. 

In Anbetracht der oben aufgeführten pharmakologischen Ergebnisse 
bezüglich Digipuratum und auch seiner augenscheinlich unveränderlichen 
Wirkung nach langem Lagern, muß dieses neue Digitalispräparat als sehr 
wertvoll für die Therapie bezeichnet werden. Neumann. 

Siebenrock, Leo v., Über Digipuratum. Aus der I. Med. Universitätsklinik 
Wien (Vorstand: Prof. C. v. Noorden). (Klinisch-therapeutische. Woohenschr. 
1812, Nr. 9.) 

Die Beobachtungen des Verfassers zeigen vor allem, daß es gelingt, 
relativ große Dosen von Digitaliskörpern per os in Gestalt von Digipura¬ 
tum einzuführen, um mit ihnen eine rasche und sichere Digitaliswirkung 


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Referate und Besprechungen. 


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au erzielen, ohne daß unangenehme Nebenwirkungen von seiten des Magens 
beobachtet werden. Bei Herzinsuffizienzen sfchweren Grades wurden acht 
Tabletten Digipuratum zerstoßen auf einmal gegeben. Diese Dosis wurde 
häufig einige Tage hintereinander verordnet. 

Von besonderem Interesse dürfte ein Fall sein, in dem ein Patient 
jeden zweiten Tag 8 Tabletten Digipuratum auf einmal nahm. Die Therapie 
wurde 2‘ 2 Monate fortgesetzt, der Patient befand sich dabei recht wohl, 
hatte meist guten Appetit und keinen Brechreiz mehr. Zyanose und Atem¬ 
not schwanden, der Puls war nur mehr etwas arhythmisch, die Frequenz 
um 50, der Blutdruck schwankte zwischen 120 und 130 mm. Patient konnte 
aufstehen, ging sogar öfter im Garten spazieren. Er verbrauchte also in 
kaum 10 Wochen die ansehnliche Summe von 280 Digipuratumtabletten, 
ohne daß irgendwelche Intoxikationserscheinuqgcn auftratep. 

Ganz ähnlich verlief ein zweiter Fall, bei welchem ebenfalls durch 
längere Zeit jeden zweiten Tag 8 Digipuratumtabletten mit gutem Erfolg 
ohne Nebenwirkungen gegeben wurden. 

Ferner konnte S. auch in allen Fällen die prompte und sichere Wirk¬ 
samkeit der Injektionen mit Digipuratum in Ampullen feststellen; von der 
subkutanen Anwendung des Digipuratums rät er entschieden ab, da die 
Injektionsstelle öfters Sitz eines starken Infiltrats ist und 1—2 Tage lang 
schmerzhaft bleibt. Für sehr zweckmäßig hält er hingegen, wenn man 
eine rasche und anhaltende Wirkung wünscht, 4—6 ccm Digipuratumlnsung 
auf einmal intramuskulär zu injizieren. Die Schmerzen sind bei richtiger 
Ausführung der Technik sehr gering, der Erfolg ist prompt. Bei sehr 
empfindlichen Patienten empfiehlt es sich, 0,01 Morphin in die Spritze 
mit aufzuziehen und gleichzeitig zu injizieren; die Injektion bleibt dann 
vollständig schmerzlos. Es wurden nie weniger als 4 ccm intramuskulär 
injiziert, 6 ccm dürften nach Ansicht von S. wohl die Maximaldosis Bein. 
Allerdings trat schon nach Injektion von 5 ccm Bigeminie auf, doch war 
der therapeutische Eifekt dadurch in keiner Weise gestört. Bei intra¬ 
venösen Injektionen genügen schon 2 bis 3 ccm, um eine ausreichende 
Wii kung zu erzielen, der Erfolg tritt fast momentan ein. Ein großer Vor¬ 
teil gegenüber den Strophantininjektionen ist bei der Digipuratumlösung 
die anhaltendere Wirkung. Auch sah der Verfasser niemals, wie er bei 
Strophantininjektionen öfters beobachtet hatte, Fieber auftreten. 

Daher ist das Digipuratum sicherlich ein wertvolles Digitalispräparat, 
das auch in ungewöhnlich großen Dosen vom Magen zumeist gut vertragen 
wird; die Wirkung auf Herzkraft und Diurese entspricht vollkommen den 
Anforderungen, die wir an ein Herzmittel zu stellen gewöhnt sind. Ein Vor¬ 
zug vor den Digitalisblättern scheint in der Möglichkeit zu liegen, große 
Dosen von Digitaliskörpern in Anwendung bringen zu können, ohne daß 
Magi nbeschwerden oder Erbrechen ein Hindernis für die ausgiebige Wir¬ 
kung darstellen. Auch die Darreichung in Form von intramuskulären und 
intravenösen Injektionen ist recht empfehlenswert. Neumann. 

Michaud, Über Dteitallstherapie. (Münch, med. Wochenschr. 1912, Nr. 8.) 

M. referiert über die modernen pharmakologischen Arbeiten über die 
Wirkungsweise der Digitalis, woraus sich die strengen Indikationen für 
die Darreichung der Digitalis ergeben. Ferner bespricht er die Verschie¬ 
denheit der Digitalisblätter und modernen Präparate und die Vorzüge der 
physiologischen Methode der titrierten Präparate. 

Im besonderen hebt er die guten Erfolge mit dem von Gottlieb einge¬ 
führten Digipuratum-Knoll,. die in der Medizinischen Klinik beobachtet wur¬ 
den, hervor. R. 

Nerking, J. (Düsseldorf), Über Lezithin und seine Bedeutung. (Intern. 
Beiträge zur Pathologie und Therapie der Ernährungsstörungen, Bd. 3, H. 4.) 

Von besonderer Bedeutung für Fortdauer und Unterhaltung des Leberts 
sind die in jeder Zelle enthaltenen Lipoidstoffe, zu deren wichtigster Gruppe, 
den P- und N-haltigen Phosphatiden, die Lezithine gehören. Diese sind 
ausgezeichnet durch ihren Gehalt an Cholin, Glyzerinphosphorsäure und 



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Referat« und Besprechungen 


47 » 


einer gesättigten oder ungesättigten Fettsäure. Dia Lezithine mit unge¬ 
sättigter Fettsäure sind autoxydabel, sie spielen im Zellleben vielleicht eine 
Rolle als Sauerstoffüberträger.' Die Lipoide kommen teils als Zellmem¬ 
bran, teils als Bestandteil des Zellinhalts vor. Durch die Lipoidmembran 
werden Nahrungsaufnahme, Sekretions- und Exkretionsvorgänge der Zelle 
beherrscht, die intrazellulären Lipoide sind vor allem wichtig für das Zu¬ 
standekommen der Narkose. Unter dem Einfluß des Narkotikums findet 
indessen nicht nur, wie e3 Overtons Auffassung ist, eine physikalische Zu¬ 
standsänderung, sondern ein Austritt der Zelllipoide aus der Zelle statt. Die 
Annahme scheint nicht unberechtigt, daß der Organismus das Lipoid als 
mit der stärksten Affinität zum Gift behaftet, ausschickt, um dieses abzu¬ 
fangen und von den lebenswich.igen Organen fernzuhalten. Durch direkte 
Zufuhr anderer Lipoide in die ßiutbahn, z. B. durch Lc-zithininjektionen, 
nach der Narkose gelingt es in der Tat, das Narkotikum von den Zelllipoiden 
loszureißen und auf diese Weise die narkotische Wirkung zu beschränken 
und die üblen Nebenwirkungen aufzuheben. Bereits ia zahlreichen Fällen 
sind beim Menschen gute Erfolge damit erzielt worden. 

Lezithin ist vollkommen assimi.ierbar. Durch Fütterung lezithinhaltigen 
Materials konnte Anreicherung de3 P im Organismus, also eine Phosphor- 
mast erzielt werden. Der Einfluß des Lezitnin3 auf Knochen- und ßlut- 
bildung, Gehirnentwicklung und Körperwachstum hat viele therapeutische 
Verwendungen ergeben. Am ausgedehntesten ist die Anwendung bei Er¬ 
krankungen des Nervensystems. In jüngster Zeit ist über zweifellose Er- 
folgo von Lezithininjektionen bei Tabaksamblyopie berichtet worden. Zur 
Erzielung der durch Lezithin erreichbaren physiologischen Wirkungen ist 
ein chemisch reines Lezithin (Ovo-Lezithin) erforderlich, das vor allem frei 
von Cholesterin ist. Ein fast 100 °'o iges Lezithin ist das von Merck-, 
mit dessen verschiedenen Anwendungsformen Verfasser bei Anämie, Chlorose, 
Neurasthenie, Hysterie, Tabes usw. auffallende Besserungen erzielte. 

Neumann. 

Stoeltxncr, W. (Halle a/S.), Fibrolysin bei Lungenschrumpfung. (Deutsche 
med. Wochensohr. 1912, Nr. 6.) 

Bei einem 7 jährigen an Pneumonie erkrankten Knaben, bei dem sechs 
Tage nach Beginn der Erkrankung noch unregelmäßige Fiebererscheinungen 
vorhanden waren und Dämpfung und Bronchialatmen■ bestehen blieben, hatte 
sich eine deutliche Schrumpfung der rechten Thoraxhälfte mit Verbiegung 
der Brustwirbelsäule nach links ausgebildet. Das Kind erhielt innerhalb 
3 Wochen 10 Fibrolysininjektionen zwischen die Schulterblätter. Während 
dieser Zeit nahm es 2,2 kg zu und wurde fieberfrei. Einen Monat nach 
der letzten Injektion hatte es weitere 1,8 kg zugenommen. Dämpfung und 
Brcnchialatmen waren verschwunden, von Schrumpfung des Thorax und 
von Skoliose war nichts mehr zu finden. Das Kind konnte als völlig geheilt 
gelten. 

Verfasser empfiehlt für ähnliche Fälle dringend einen Versuch mit 
Fibrolysin, zumal schon in der früheren Literatur günstige Erfahrungen 
bei Pleuraverwachsung, Schwartenbildung und verzögerter Pneumonie nieder¬ 
gelegt sind. Neumann. 

Blanchod (Giere, Schweiz), Über einen mit Antithyreoidin-Moebins be¬ 
handelten nnd geheilten hartnäckigen Fall von Morbus Basedowll. (La Province 
Mödicale 1911, Nr. 49). 

Dreimalige Antithyreoidinbehandlung eines schweren Morbus-Basedowii mit 
erheblichen nervösen Störungen. Bei der ersten Darreichung brachten die hohen 
Dosen deutliche Besserung. 14 Tage nach Aussetzen des Mittels traten die 
Krankheitserscheinungen wieder auf. Zunahme des Kropfes, Puls bis 150. 
Außerordentliche Müdigkeit und Atemnot. Da eine vorgeschlagene Rönt¬ 
genbehandlung undurchführbar war, wurde erneut Möbius-Serum gegeben. 
Schon nach der ersten Woche war eine Besserung deutlich wahrnehmbar. 
Treppensteigen ohne Beschwerden, Appetit, Gewichtszunahme. Am zehn¬ 
ten Tage war der Puls auf 75 herabgegangen. Am 20. Tage ging Patient 


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480 Referate und Besprechungen. 

seinem Beruft* wieder nach. Mit dem Einstellen der Anfithyreoidinbehandlung 
verschlechterte sich wieder das Befinden* und zwar so erheblich, daß Uie 
Angehörigen alle Hoffnung aufgaben. Eine dritte, längere Antithyreoidin- 
anwcndung' hätte aber schließlich dauernden Erfolg, so daß der Autor isogar 
von Heilung spricht. ' . 

Da der günstige Einfluß des Antithyreoidins immer genau mit der Dar¬ 
reichung zusammenfiel, hält B. Zufälligkeiten für ausgeschlossen. 

Neumann. . 

v. Feilenberg, Über die Dehnung peritonealer Verwachsungen durch den 
graviden Uterus unter Beihille von Fibrolyslninjektionen. (Schweizerische Rund¬ 
schau f. Medizin 1912, Nr. 5.) 

Bei einer Graviden war def Uterus mit seiner Umgebung auf allen 
Seiten fest verwachsen und infolgedessen völlig unbeweglich. Die zuneh¬ 
mende Schwangerschaft brachte unerträgliche Schmerzen, so daß künst¬ 
licher Abort erwogen wurde. Durch Fibrolysinanwendung konnten indessen 
die Adhärenzen so erweicht werden, daß die Dehnüng des wachsen¬ 
den Uterns keine Schmerzen mehr hervorrief und Gravidität, Geburt und 
Wochenbett ohne weitere Komplikation verliefen. Neumann. 

Clemni, W. (Immendingen), Über Verwendung des denaturierten Spiritus 
zur Desinfektion. (Med. Klinik 1911, Nr. 27.) 

. CI. hat zweimal nach Injektion e.ner sterilen Morphiumlösung und 
vorheriger Desinfektion mit denaturiertem Spiritus (Haut (damit abgeris- 
ben und die Hohlnadel damit in einem Schälchen übergossen und abge¬ 
brannt) kurz hintereinander sterile Abszesse im Anschluß an diese Manipula¬ 
tion erlebt. Da ihm Prof. Kobert-Rostock auf Anfrage mitteilte, daß 
Pyridinbasen, die zur Denaturierung verwandt werden, die Eigenschaft be¬ 
sitzen sterile Eiterungen hervorzurufen, so warnt CI. vor der Verwen¬ 
dung der Spirit, denatur. außerhalb der Spirituslanipe. . 

Tietze, K. (Bolkonhain), Salvarsanlnfiltrate und Fibrolysin. (Dermatolog. 
Centralblatt 1912, Nr 5.) 

Durch intramuskuläre Salvarsaninjektionen verursachte, äußerst schmerz¬ 
hafte, das Gehen unmöglich machende Infiltrate der Glutäen wurden nach 
erfolgloser Behandlung mit kalten und warmem Umschlägen durch Fibröly- 
sineinspritzungen zur Erweichung gebracht. Nach der fünften Einspritzung 
deutliche Fluktuätion des vorher steinharten Infiltrates der . einen Gesä߬ 
backe. Irgendwelche Rötung oder entzündliche Erscheinung der Haut über 
der Fluktuationsstelle nicht vorhanden. Inzision und Entleerung reichlichen 
Eiters auf beiden Glutäen. Tägliche Verbände, Verschwinden der Schmerzen, 
Heilung. Verfasser resümiert, daß durch das Fibrolysin die eitrige Ein- 
schmtlzung der durch Salvarsan hervorgerufenen Gewebsnekrosen geför¬ 
dert worden ist und die Beseitigung der hartnäckigen Infiltrate ohne großen 
operativen Eingriff gelang. Neumann. 

Adler, Versuche mit Mamminum Poehl betreffend die Funktion der Brust¬ 
drüse als innerlich sezernierendes Organ. (Münch, med. Wochenschr. 1912, Nr. 1.) 

Es wurden Meerschweinchen und Kaninchen Mamminum Poehl (Extrakt 
aus den Eutern von Tscherkessenkühen) injiziert. Dabei zeigte sich 
eine bedeutende Zunahme der Nebennieren (um das 2—3,5 fache) und in 
ihnen endzündliche Infiltrationsbezirke und anscheinend Einschmelzungen und 
Regenerationsvorgänget . / 

Bei graviden Tieren wurde jedesmal naoh Injektionen des Mammins 
die Schwangerschaft unterbrochen, ohne daß sich am Uterus oder Adnexen 
Entzündungsvorgänge fanden. 

Es wird die Vermutung ausgesprochen, ob nicht ein Antagonismus 
zwischen Brustdrüse und Uterusschleimhaut besteht. So daß durch innere 
Sekretion der Brustdrüse auf dem Wege der Nebennierenwirkung der 
Moment für das Ende der Gravidität- bestimmt wird. 

Vielleicht führen uns diese Versuche auf einen Weg zur Erklärung 
der Eklampsie. Sohütze-Darmstadt. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30 Jahrgang 


1912 


Tortscbritte der Itiediziit. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

hernuggegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Ptip.-Doz. Dr. p. Criegern Prof. Dr. ß. Pogf 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadt, Grüner Weg 86. 

6r«<belnt wficbentltdi jum Preise von g (Dorh für bas 
Balbfabr. 

Nr. 16. i Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a S. 18. April. 

Alleinige Interatenonnahme öurcb mix ßeliiort, 
l| Annoncen-Bureau, €ber»wal6e bei Berlin. 

Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Altes und Neues über Hysterie. 

Von Dr. Armin Steyerthal, leitendem Arzte der Wasserheilanstalt Kleinen (Mecklb.) 

Wer die Geschichte der Hysterie überschaut, den mutet es an, als 
•ob er ein weites Trümrnerfe'd vor sich ausgebreitet sähe. Hier hat 
•einer ein stolzes Schloss mit Giebeln und Zinnen, dort ein anderer 
rin wetterhartes, schier der Ewigkeit trotzendes Bollwerk und drüben 
wieder ein dritter einen weithinragenden Turm errichtet, aber zer¬ 
fallen ist alhs, nichls hat den Stürmen der Zrit widerstanden. Und au« 
dem morschen Gesteine, dem wurmstichigen Gehälke, dem staubenden 
Schutte sind von späteren Geschlechtern neue Werke geschaffen, wunder¬ 
liche Pagoden, leichtfertige Kartenhäuser und stillose Tempelchen, 
und das alles nicht mehr auf festem, sicherem Boden, sondern auf wackeln¬ 
dem, längst erschüttertem Grunde. Kein Wunder, dass schon das nächste 
Unwetter der Kritik, das im Sturme darüber ging, sie hinwegfegte. 
Wie nun auch sonst in der Welt nicht der allein berechtigt ist, etwas 
zu hauen, der die Regeln der Statik, Mechanik und des guten Ge¬ 
schmacks beherrscht, sondern genau ebenso jeder andere, der von 
alledem gar nichts versteht, so schon wir auch auf dem Gebiete der 
Hysterie, dass mancher Bauherr am Werke gewesen ist, der es nach 
zunftgemässen Regeln des Handwerks nicht einmal zum Steinträgei 
gebracht hätte. 

Ueber die Hysterie ist manches erdacht und ersonnen, was dem 
Menschengeiste alle Ehre macht, aber nichts, gar nichts ist von Bestand 
gewesen, alles erwies sich als falsch. Doch dies Missgeschick hat nie¬ 
manden geschreckt, niemand hat sich gesagt, weil alle die Versuche 
jenes unfassbare Gespenst in seinem innersten Wesen zu erkennen, 
fehlgesehlagen sind, so täten wir wohl besser, einmal nachzusehen, ob 
nicht, wie bei so vielen Schattenwesen, auch hier ein flatterhafter Schein 
nur einen hohlen Kern umhüllt. Im Gegenteil: tagtäglich wachsen 
„neue Ansichten über die Hysterie“ aus dem Erdboden 
heraus, und das Schicksal aller derer, die im Meere der Vergessenheit 
versunken sind, lässt die Forscher kalt. 

Mögen diese neuauftauchenden Ideen untereinander auch noch so 
himmelweit verschieden sein, das eine ist ihnen allen gemeinsam — sie 
sind schon alle einmal dagewesen! 

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482 


Steyerthal, 


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Es ist keine leichte Arbeit, die Geschichte der Hysterie zu durch¬ 
forschen, aber wer das verstehen will, was heute als ,,neuere Ansichten" 
oder „moderne Theorien“ über diesen Gegenstand auf den Plan gebracht 
wird, für den gibt es keinen anderen Weg. Und die Mühe lohnt sich, 
denn was wir heute als neu und geistreich bewundern, ist von A bis Z 
schon früher einmal als neu, wenn auch vielleicht nicht gerade als geist¬ 
reich angestaunt. 

Greifen wir auls geradewohl eine moderne Erklärung der Hysterie 
heraus und zwar Sigmund F r e u d’s vielbesprochene und weit¬ 
verbreitete Theorie des seltsamen Leidens. Die Hysterie, so 
erfahren wir von ihm, ist stets die Wirkung eines p s y c h i- 
sehen und zwar eines sexuellen Traumas, dessen 
Erinnerung im Gedächtnisse des Geschädigten nicht genügend ab¬ 
blasst und deshalb wie ein verborgener Fremdkörper wirkt. Nur muss 
man nicht glauben, dass das Erlebnis im wachen Geiste des Kranken 
haftet, nein, das Bewusstsein ist in solchen Fällen gespalten, und nur 
im hypnotischen Abteile ist das Andenken lebendig. Zuweilen ragt 
nun das Unvergessene in das helle Leben hinein, und damit ist die 
Hysterie fertig. Die Beschwerden, die wir bei unseren Kranken beob¬ 
achten, sind die Oberflächenwirkungen jener in der Tiefe verborgen 
wirkenden Reminiszenz. 

Aber das genügte dem scharfsinnigen Erklärer der verzwickten 
Phänomene noch nicht, er ging weiter und sagte: Die Sexualität 
ist die Hauptsache bei dem ganzen U e b e 1 , d e r A n- 
fall d.ient der gewaltsamen Abfuhr unerledigter 
Libido, er stellt ein Aequivalent des Koitus dar, 
seine einzelnen Phasen sind pantomimisch dar¬ 
gestellte Phantasien. 

Als Freud vor etwa 10 Jahren mit dieser Ansicht herauskam, 
erschien sie neu, absurd, aber darum erst recht beachtenswert, und 
ihre Siegeslaufbahn war von Anfang an bezeichnet. Allein, wenn man 
die Schriften, die die Geschichte der Hysterie behandeln, nachschlägt, 
so ist auf den ersten Blick zu sehen, dass die Menschheit zwei 
Jahrtausende hindurch nichts anderes geglaubt 
hat, als was Sigmund Freud uns predigt. Weil man 
felsenfest davon überzeugt war, dass die Hystera glühend nach Kindern 
verlange, schob man die Krämpfe, die den weiblichen Körper erschüt¬ 
tern, auf die unterdrückte Liebessehnsucht, deswegen heisst ja das 
ganze Leiden noch heute das „Mutterweh“, und mit dem schöner 
Worte „Liebeskrämpfe“ ist man im Volke stets schnell bei der Hand. 

Ob nun die Hippokratiker einen Auftrieb des Hohlmuskels, 
die Galeniker einen „H u m o r c r a s s u s“ oder endlich die 
späteren einen „V a p o r ex s e m i n e corrupto“ als den eigent¬ 
lichen Grund beschuldigen, kann uns an dieser Stelle gleichgültig sein:. 
Die unbefriedigte. Geschlechtslust des Weibes 
w a r d a s S u m m u m m o v e n s. Das hat für die Mediziner zwei 
Jahrtausende hindurch unumstösslich festgestanden und wie nahe 
sich diese Meinung mit der der Wiener Schule streift, ergibt sich deut¬ 
lich aus einem Buche über die Krankheiten der Weiber, das uns Petrus 
Forest us (1522—1597) hinterlassen hat. Dass die grosse Menge 
der im weiblichen Körper angehäuften Samenflüssigkeit der Grund der 
hysterischen Molesten ist, steht für ihn fest, denn das hatten ja d'e 
Klassiker gelehrt, und nun erlebt er folgendes. Er wird zu einer 44 jäh- 



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Altes und Neues über Hysterie. 


48.3 


rigen Witwe gerufen, die an schweren Zufällen — gravisirna uteri suf- 
focatione — leidet, die angewendeten Mittel fruchten nichts, da lässt 
er die Hebamme holen und als er von ihr erfährt, dass der Uterus der 
Kranken verlagert sei, befiehlt er ihr die „Muliebria“ mit einem Oele 
aus Lilien, Moschus und Krokus zu reiben. Und siehe da, sei es durch 
die Berührung, sei es durch die Wärme: plötzlich ergiesst sich unter 
krampfhaften Bewegungen eine grosse Menge „Sperma femininum“, 
und der Paroxysmus ist vorbei. Probatum est! Bei dem nächsten 
Falle, den Pierre de Forest beschreibt, verwendet er die gleiche 
Methode, und auch da erzielt er einen verblüffenden Erfolg. Freilich 
„verblüffend“ ist nicht das rechte Wort, der Erfo'g ist eigentlich selbst¬ 
verständlich, denn wenn die Hysterie von der ungestillten Begierde 
lierrührt, so muss eine Ejaculatio seminis das beste Mittel dagegen sein. 

Das Reiben der Clitoris hatten in solchen Fällen übrigens schon 
G a I e n u s und A v i z e n n a verordnet. 

Daniel Sennert, Professor in Halle (1572—1G37) fügt dieser 
Medikation die treffende Bemerkung hinzu: „Ein edel gesinnter Arzt 
dürfte doch so etwas eigentlich nicht verordnen“, und gibt damit einem 
Stossseufzer Luft, der manchem von uns beim Studium der F r e u d- 
schen „Psychoanalyse“ entschlüpft sein mag. 

Also die neue Theorie der Wiener Schule ist 
im Grunde’ eine uralte, die älteste, die es über¬ 
haupt gibt. Was wir als Geschichte der Hysterie bezeichnen, ist, nichts 
anderes als der ewige Kampf um die endgültige Ausrottung dieses 
Köhlerglaubens aus den Köpfen der Menschen. Deshalb kann man 
eine einzige lange Periode von Hippokrates bis Charcot 
rechnen, denn in der ganzen Zeit geschieht nichts, als dass der Glaube 
an die Hystera als den Ausgangspunkt des Uebels angegriffen, verteidigt 
und endlich verspottet wird. 

Schärfer und hartnäckiger ist kaum je ein Problem in der Heil¬ 
kunde umstritten, und wer bedenkt, wie heftig die Geister bei diesem 
Thema aufeinander prallten, muss staunen, dass so wenig erleuchtende 
Funken aus den Schwertern der Streiter herausgestoben sind. 

Anfangs — das sagt schon der Name — ist die Hysterie eine Krank¬ 
heit der Weiber, aber schon früh regt, sich in kritischen Gemütern der 
Gedanke: „Warum erliegen denn die Männer, die sich dem Dienste der 
Venus versagen, nicht auch jenem Uebel .'“ Das lässt sich zur Not 
noch erklären, aber nun tritt mit einem Male fast unvermittelt für die 
Zeit, in der er lebt, Thomas Willis mit der Behauptung hervor: 
„Ihr schiebt die Hysterie zu unrecht auf den Uterus!“ „Ich habe“, 
so sagt er, „ein Weib seziert, das bei Lebzeiten an den schrecklichsten 
Mutterkrämpfen gelitten hatte, und das Genitale erwies sich als kern¬ 
gesund. Wie kann ein solches Leiden überhaupt von der Hystera kom¬ 
men !“ 

Und nun reisst der Kampf pro et contra nicht mehr ab. Durch 
zwei Jahrhunderte und durch ganze Fluchten schwerer, gelehrter 
Bände lässt er sich verfolgen, bis endlich der berühmte Maitre der 
Salpetriere in Paris, Jean-Martin Charcot (1825—1893), 
den Ausschlag gibt. 

Die Aufgabe, die er vorfindet, ist zweigeteilt, denn bevor er freie 
Hand für seine Anschauung gewinnt, muss er mit der Vorzeit abrechnen, 
d. h. die Fabel von der Enstehung des Mutterwehs aus der Hystera 
austilgen mit Stumpf und Stiel, so dass sie niemals — w’ie er hofft — 

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484 


Steyerthal 


zu neuer Blüte erwachsen kann. Ein wichtiges Hilfsmittel ist ihm dabei 
die Lehre von der männlichen Hysterie. Wenn auch die Männer solche 
Zufälle bekommen, kann natürlich nicht der Uterus schuld daran sein, 
und folglich ist die Theorie von der ungehändigton Sinnlichkeit ad 
absurdum geführt. 

Heute im Zeitalter S i g m u n d F re u d s wissen wir, dass die 
Erwartungen, die man an jenen Syllogismus knüpfte, sich als trügerisch 
erwiesen haben. Wenn Möbius im Jahre 1888 schrieb: „Bei dem 
Worte Hysterie denkt heute kein Mensch mehr an den Uterus“, so war 
das eine leider unberechtigte Weissmalerei. 

Charcot kann von alledem nichts ahnen, er hält die Ueber- 
lieferung für endgültig abgetan, aber damit war nur der eine Teil der zu 
leistenden Riesenarbeit erledigt, und nun begann die Lösung der Haupt¬ 
aufgabe. 

Von alters her galt der K ra m p f, der Paroxy s- 
m u s , f ü r d a s e i g e n t 1 i c h e W e s e n d e s U e b e I s , die „Con- 
vulsio“ und die „Strangulatio“ war die Hauptsache dabei, hysterisch 
war nur derjenige, der in Zuckungen zu Boden stürzte und sonst keiner. 
Wenn die Anfälle verschwanden und nicht wiederkehrten, dachte 
niemand mehr an das merkwürdige Gebrechen. 

Auch mit dieser Ansicht musste aufgeräumt werden. F ü r C. h a r- 
e o l ist die Hysterie e i in selbständige, einige 
und unteilbare Krankheit, deren Existenz nicht 
etwa d u r c h periodische Anfälle b e w i e s e n wird, 
s o n d c r n d i e stets und ständig - i n t e. rparox v s- 
t i s c li — vorhanden ist. Seine Schüler haben später den selt¬ 
samen Ausdruck „normale Hysterie“ dafür gewählt. Die K r ä m p f f 
sind völlig IS e b e n sache, sie können gänzlich fehlen, und 
nur die Stigmata — Gefühlsstörungen in der Haut, Eineingungcn des 
Gesichtsfeldes, krampferzeugende Stellen, Neigung zu Lähmungen 
und manches andere — beweisen auch ohne alles konvulsivische Beiwerk 
das Dasein des Uebels. 

Nun kann diese eigenartige Sucht sich zu einer ganzen Anzahl 
von Krankheiten hinzugesellen, ohne indessen von ihrer Selbstherrlich¬ 
keit etwas zu verlieren: Typhus, Diabetes, Phthisis, Syphilis, Anämie. 
ChJo rose, Gelenkrheumatismus, Tabes, Genitalerkrankungen, Alko¬ 
holismus, Bleivergiftung — kurzum, wir täten besser, nur diejenigen 
aufzuzählen, die ausnahmsweise nicht den Vorzug haben, mit ihr ge¬ 
meinsam zu arbeiten, aber nirgends findet sich eine solche erwähnt. 

Die Epilepsie und das ganze Heer der Psychosen verschwägert sich 
besonders gern mit dem Malum hystericum. 

Nun könnte einer glauben, dass jedesmal das Grundleiden die 
c'est ä dire „hysterischen“ Symptome erschüfe, ihnen gleichsam den 
Boden zum Anwachsen vorbereite, aber nein, dem ist nicht so, dann 
wäre ja von Selbständigkeit keine Rede. Gerade das Gegenteil ist der 
Fall: Alle diese Menschen waren zeitlebens hyste¬ 
risch, nur hat es niemand gemerkt, sie selbst am 
allerwenigsten. Nun kommt ein Trauma, eine Bleivergiftung, 
eine Pneumonie, oder was man will, und dieser Reiz genügt, um die 
schlafende Furie zu erwecken, sie wird aufgescheucht aus ihrer Ruhe 
und zeigt nun auf einmal ihr dämonisches Antlitz. Wäre der Anstos s 
nicht gekommen, so hätte sie vielleicht bis zum Tode des Opfers ge* 
schlummert, aber dem kundigen Auge des untersuchenden Arztes 


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Altes und Neues über Hysterie. 485 

wären ihre Spuren — nämlich die Stigmata — doch jederzeit erkennt¬ 
lich gewesen. 

In der hier gegebenen Darstellung scheint Charcots Lehre 
ein Novum zu sein, aber die Geschichte der Hysterie unterliegt nun 
einmal dem Fatum, dass alles Neue schon einmal dagewesen ist. So 
ist auch diese Theorie im Grunde nur eine logische Fortbildung alles 
dessen, was vorher erdacht worden war, gewissermassen die höchste 
Entwicklungsstufe eines nach biogenetischen Gesetzen sich allmählich 
vervollkommenenden Gebildes. 

Die Jahrhunderte, die Charcots Auftreten vorhergehen, er¬ 
schöpfen ihre Weisheit in dem Kampfe, ob Hysterieund H y p o- 
chondrie dasselbe sei oder nicht. Es ist das gewissermassen 
das letzte Ringen des Hippokratischen Irrtums um seine schwindende 
Geltung. Die schwersten Stürme hatte dieser in den Menschenköpfen 
nun einmal unverrückbar haftende Gedanke ausgehalten, und nie war 
er ernstlich erschüttert. Verstand und Logik hatten ihre Kraft ver¬ 
geblich an ihm erprobt. Da stellte im Jahre 1681 der englische Arzt 
Thomas Sydenham die Behauptung auf: „Im Grunde ist 
die Hysterie nichts anderes als unsere wohlbe¬ 
kannte, alltägliche Crux medicorum, die Hypo¬ 
chondrie!“ — Wir würden heute sagen die N e u f a s t h e n i e. 

Die kleine Schrift, die den Gedanken enthält, zeigt, dass ein prak¬ 
tischer Mann die Welt mit nüchternem Auge betrachtet, ohne dass 
ihm der Bücherstaub die Brille verdunkelt. Die Rücksichtslosigkeit, 
mit der er das Gesehene über das Gewusste stellt, zeigt das wahre Genie. 

Verblüffend wie sie auftrat, eroberte die neue Lehre im Sturme 
die Geister, und Jahre gingen dahin, bis sich ernste, besonnene Männer 
zum Kampfe dagegen erhoben, und wie noch immer in der Welt dem 
kühnen Aufruhre ein schwerer Rückfall in den alten Schlendrian gefolgt 
ist, so gelingt es auch hier mit der Zeit die Hysterie in die alten Ketten 
zurückzuzwingen. „H yster ia s o I i s f e m i n i s p r o p r i a!“ 
Das alte Lied beginnt von neuem und jedes Ohr neigt sich andachtsvoll 
der urväterlichen Melodie. 

Allein dem Glauben an die Unfehlbarkeit der griechischen Weisen 
war die Aerztewelt doch schon zu sehr entwachsen, und spurlos geht 
eine solche Revolution an keinem Dogma vorüber. Das eine wenigstens 
mussten selbst die orthodoxesten Anhänger der alten Doktrin (I) u b o i s 
d’A m i e n s , Louyer-Villermay und Landouzy) zu¬ 
gestehen, der Morbus convulsivus hatte aufgehört 
zu leben: es gab von nun an eine gleichberechtigte „Hysterie 
sans convulsion s“. 

Das war also schon vor Charcots Zeiten festgestellt und ebenso 
finden wir bei Briquet (1859) bereits dieselbe Versuchsanordnung, 
die wir später in der Salpetriere wieder treffen: Bei den Schul- 
fällenvonHvsterieent. deckt manbestim mteeigen- 
eigenartige Stigmata und erklärt daraufhin je¬ 
den für hyster isch, der ein einz. iges solches Sig¬ 
num a u f w e i s t. 

Wenn also die Charcots che Schule die Umwälzung, die ihr 
Maitre in der Anschauung von der Hysterie hervorgebracht hat, mit 
dem Wandel der Entzündungslehre durch die Bakteriologie vergleicht, 
so ist das zum mindesten eine kühne Hyperbel. 

Aber darum braucht man das Verdienst des grossen Mannes nicht 


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tN<> Abramowbki, Der Thymustod beim Kinde und die ärztliche Praxis. 

zu schmälern, denn seine ganze Art, sein Auftreten, seine glühende 
Beredsamkeit hat es vor allem zu Wege gebracht, den allmählich ent¬ 
standenen neuen Ideen Eingang in weitere Kreise zu verschaffen, und 
deshalb bildet Charcots Lehre einen Markstein in der Geschichte 
der Hysterie. Mit ihr ist die alte Zeit des Aberglaubens vorbei, und es 
beginnt eine neue Zeit — wir können leider nicht umhin zu sagen: eine 
neue Zeit des Aberglaubens! (Schluss folgt.) 

Der Thymustod beim Kinde und die ärztliche Praxis. 

Von Dr. Hans Abrnmowski, Kreisassistenzarzt, Willenberg (Ostpr.). 

Zwei Gruppen von Fällen an Thymustod haben wir zu unterscheiden. 
Die eine davon betrifft Erwachsene und geht mit einer sog. lympha¬ 
tischen Konstitution einher, dem lvmphatisme der Engländer; man 
versteht darunter eine Trias, bestehend aus Thymushyperplasie, Milz¬ 
schwellung und allgemeine Lymphdrüsenvergrösserung, wovon die eine 
oder andere Komponente fehlen kann, ln der Regel besteht Fettleibig¬ 
keit verbunden mit pastösem Aussehen. Immerhin ist lymphatische 
Konstitution nur ein Sammelnamen, mit dem nicht recht was anzufangen 
ist, das eigentliche Wesen dieses Komplexes ist noch dunkel. Aber 
hiervon wollte ich auch nicht reden, sondern vielmehr von der zweiten 
Gruppe, welche kleine Kinder betrifft und woran wir stets nur denken, 
wenn wir kurz von Thvmustod sprechen. Es kommt nicht all zu selten 
vor, und die beobachteten Fälle mehren sieh in der Literatur mehr und 
mehr, dass kleine Kinder am Morgen im Bette tot gefunden werden, 
in das man sie am Abend frisch und munter hineinlegte. Andere Kinder 
bekommen plötzlich aus heiler Haut einen Dvspnöeanfall, werden 
leichenblass, oder auch zyanotisch und sterben in wenigen Minuten. 
Bei der Leichenöffnung wurde in solchen Fällen die Thymus stets ver- 
grössert gefunden und man hat sich den plötzlichen Tod entweder durch 
Druck der vergrösserten Drüse auf die Luftwege, oder die grossen intra- 
thorakischen Nervenstämme mit nachfolgendem Glottisödem, oder 
durch Druck auf die grossen Blutgefässe erklärt. Der Tod erfolgt, wie 
gesagt, ganz plötzlich oder innerhalb weniger Minuten, nicht selten nach 
einem lauten Aufschrei, meist unter tiefer Blässe, seltener Zyanose des 
Gesichts, schnappender Inspiration und Konvulsoinen. (Baginsky, 
Gestardt, u. a.) Die Atmung ist mühsam, besonders die Inspiration unter 
stridorösem Geräusch ist gehemmt. Das Jugulum ist inspiratorisch 
tief eingezogen, ebenso die untere Thoraxappertur (Reim). Dieses Krank- 
heitsbild ist ja allen aus der Literatur, aus der Praxis indessen, bei dem 
doch immerhin seltenen Auftreten, mRurgemäss nur den wenigsten 
bekannt, und es ist daher sicherlich nicht zum Schaden, wenn wir 
dieses Bild, wie geschehen, uns wieder einmal vorführen. 

Die meisten Kinder gehen an einer solchen Attacke zugrunde und 
die geretteten verdanken ihre Rettung ausnahmslos einem operativen 
Eingriff, durch welchen die Thymus hochgehoben wird. Dass eine 
solche Rettung nur eine Ausnahme sein kann, liegt auf der Hand. Die 
radikaloperative Weiterbehandlung gehört nicht hierher und kann in 
jedem einschlägigen Kompendium nachgelesen werden. Sehr wichtig ist 
es aber zu wissen, dass die Tracheotomie, die verschiedentlich ausge- 
fiihrt worden ist, nutzlos ist, da das Hindernis endothorakisch, also 
tiefer sich befindet. 

Es ist nun die Frage, ob wir imstande sind, am lebenden Kinde 
ohne grosse Schwierigkeit die Hyperplasie der Thymus zu diagnosti- 



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488 


Eibig, 


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Wir haben Gelegenheit gehabt, das Sälen an uns selbst anzuwenden: 
und folgende Beobachtungen zu machen: 

I. Beobachtung: Als ich im September 1907 Stellvertreter 
in St. S. . . (Yonne) bei Dr. S. war, stürzte ich, indem ich von einem 
Wagen stieg. Ich bemerkte folgende Symptome: Funktionelles Un¬ 
vermögen des rechten Fusses, starkes Anschwellen des Fussgelenkes 
mit teilweiser Zerreissung der seitlichen Bänder. Während 10 Tagen 
konnte ich dennoch mit der grössten Schwierigkeit meinen Beschäfti¬ 
gungen obliegen. Das Gehen war mir sozusagen beinahe unmöglich, 
die geringste Bewegung des Gelenks verursachte mir heftige Schmerzen. 
Nach vorangegangener Prüfung konstatierte ich, dass es kein Bruch 
des Fussknöchels war und dass alle vorhandenen Symptome auf eine 
starke Verrenkung sehliessen Hessen. Da ich nicht gehen konnte, ver¬ 
suchte ich alle Mittel, welche die Therapie in ähnlichen Fällen vorschreibt: 
Buhe, nasse Umschläge und Massage mit einer gut bewährten Salbe. 
Es nützte nichts, der Schmerz war vielleicht etwas weniger heftig. 
Nach Hause zurückgekehrt begann ich folgende Behandlung: Ruhe 
während 8 Tagen, täglich 3 Einreibungen auf die schmerzhafte Stelle 
(morgens, mittags und abends) mit einer kleinen Menge des folgenden 
Gemisches: Sälen pur und 90proz. Alkohol (zu gleichen Teilen) und dann 
umgab ich das Gelenk mit einer stark zusammengezogenen Velpeau- 
Binde. Nach Verlauf von 8 Tagen war ich vollständig geheilt, die An¬ 
schwellung war verschwunden und ich konnte wieder gehen. Heute 
fühle ich nichts mehr davon und ich bemerke, dass man selten eine 
Verrenkung sieht, die nicht als Folge irgend eine Spur hinterlässt. 

Die obige persönliche Beobachtung hat nur den Zweck zu zeigen, 
dass das Sälen ein mächtiges Analgetikum ist und dass es bessere Resul¬ 
tate bei der Behandlung von Verrenkungen gibt, als jedes andere Lini¬ 
ment. 

II. Beobachtung: Frau V. G., 40 Jahre alt, gegenwärtig 
in Paris, zog sich zur Zeit ihres Aufenthaltes auf dem Lande in Cham- 
pagne-les-Marais im September 1908 im rechten Bein einen Rheuma¬ 
tismus zu. Diese Person, welche durch eine frühere Krankheit schon 
sehr geschwächt war, konnte das kranke Glied nicht mehr brauchen. 
Die Schmerzen waren sehr deutlich und sehr akzentuiert, der ganzen 
Länge der vordem Seite des Beines nach, und traten des Nachts stärker 
auf als tagsüber. In Paris machte sie folgende Kur, die unwirksam 
gewesen war: 4 g Natrium salicylat pro die, verabreicht in Form einer 
Mixtur mit Auftragung eines Opiumlinimentes auf die kranke Stelle. 
Die Symptome verschlimmerten sich. Nach vorangegangener Prüfung 
entschloss ich mich, die Patientin folgender Behandlung zu unter¬ 
werfen: I. 4 g Salipyrin in Form von 4 Oblaten pro die u. zw. 2 Stück 
morgens nüchtern und 2 Stück des Abends zu nehmen. II. Dreimal 
tägliches Einreiben eines Gemisches, bestehend aus gleichen Teilen 
von Sälen und Alkohol. III. Umgeben des Gliedes mit einer stark 
angezogenen Velpeau-Binde. 

Kurze Zeit nach dieser Verordnung besserten sich die Symptome 
und Frau V. G. fühlt sich heute sehr wohl, ohne jemals einen Rück¬ 
fall gehabt zu haben. Ich möchte beifügen, dass das Sälen in diesem 
Falle von einer grossen Wirksamkeit war, es unterdrückte den Schmerz 
fast augenblicklich und leistete uns als Analgetikum kostbare Dienste. 
Die Kranke, welche zuvor das rechte Bein nicht zu brauchen imstande 
war, konnte während der ganzen Dauer der Behandlung ihren Beschäf 



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Eibig, Das Sälen und seine therapeutische Anwendung. 


4S9 


tigungen obliegen. Das Salipyrin bewirkte eine Temperaturerniedri¬ 
gung und diente als Antithermieum. 

III. Boobaclitung: P. V., 52 Jahre alt, Grundbesitzer 

in Cb., kam zu mir, um mich wegen akutem Gelenkrheumatis¬ 

mus und damit in Verbindung stehender Deformation der Finger und 
Zehenglieder um Rat zu fragen. Der Allgemeinzustand des Patienten 
ist sehr gut. Die Behandlung wurde wie folgt eingeleitet: 1.4 g Sali¬ 
pyrin in Form von 4 Oblatt n pro die und zwar 2 Stin k morgens nüch¬ 
tern und zwei Stück des Abends zu nehmen. Täglich 2—3 Einreibungen 
der schmerzhaften Stellen mit einem Gemisch, bestehend aus gleichen 
Teilen Sälen und Alkohol. III. Bedeckung der Stelle mit Flanell in 
Form einer Velpeau-Binde. .Nach dreiwöchentlicher Behandlung fühlte 
sieh der Kranke wesentlich besser, und konnte seiner Beschäftigung 
obliegen, ohne zu einer Kur in E. Zuflucht genommen zu haben, wie 
er im Sinn hatte. Da ich Herrn P. V. im Laufe der Behandlung ver¬ 
lassen musste, bin ich dennoch überzeugt, dass er gegenwärtig geheilt 
ist, wenn er mit seiner Kur fortgefahren hat. * 

IV. Beobachtung: Frau R. in Cb. (Vendee) wurde von 
akutem Gelenkrheumatismus befallen. Die Kranke konnte zum Gehen 
ihr linkes Bein nicht gebrauchen. Nachdem sie verschiedene klassische 
Behandlungsmethoden versucht hatte, die ihr nichts nützten, ent¬ 
schloss sie sich zu uns zu kommen und zu nehmen: 1. 4 g Salipyrin 
in Form von 4 Oblaten pro die morgens nüchtern. II. Dreimal täglich 
eine Mischung von gleichen Teilen Sälen und Alkohol auf die schmerz¬ 
haften Stellen zu applizieren. III. Das untere linke Bein mit zwei Vel- 
peau-Binden einzuhüllen. Das erhaltene Resultat war sehr befriedigend 
und wenn diese Kranke sich an die Behandlung, die ich ihr vorschrieb, 
gehalten hätte, wäre sie vollkommen geheilt worden. 

Wir führen als letzte Beobachtung folgenden kom¬ 
plizierten Fall an, hei welchem wir immer das gleiche Heilverfahren 
an wandten. 

V. B e o h a e h t u n g: Indem ich von Frau V., Grundbesitzerin 
in Charente im Gefolge von mehreren meiner Kollegen gerufen worden 
war, um sie zu behandeln, konstatierte ich vor allem hei der Patientin 
einen vollständig kachektischen Zustand. Trotz eines starken Appetits 
siechte sie ununterbrochen dahin. Die Assimilation war aufgehoben. 
Das Gewicht, welches ursprünglich 80 kg betrug, war auf 40 kg redu¬ 
ziert. Das Knie und Fussgelenk sowie die beiden Handgelenke waren 
stark ödematös, der Schmerz war ausserordentlich stark, und ausser¬ 
dem bestand ein beinahe absolutes funktionelles Unvermögen der 
Glieder. Ich stellte mit einem Kollegen die Diagnose: Rheumatismus 
articulorum progressives deformans. Die Behandlung, welche ich 
vornahm, war die folgende: I. Zweimal wöchentlich eine subkutane 
Injektion von 120 ccm ,,Plasma de Quinten“ in die Glutäagegend. 
II. Roborantien in Form von Strychnin und Arsenik und Verordnung 
von 2 g Phytin pro die in Kapseln, eine halbe Stunde vor der Mahl¬ 
zeit zu nehmen. III. Während des Tages drei- bis viermaliges Auf¬ 
trägen eines Gemisches von gleichen Teilen Sälen und Spiritus auf 
die schmerzhaften Gelenke. IV. Einwickeln der Gelenke mit Velpeau- 
Binden. Das erzielte Resultat war ziemlich befriedigend, es wechsel¬ 
ten Rückfälle mit Besserungen ab. Das Sälen war ein vortreffliches 
Analgetikum, und man konnte mit Hilfe dessen gewisse Bewegungen 
in den Gelenken erzielen. Ich muss gestehen, dass unter diesen Um- 


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Leo, Wiener Brief. 


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•HiO 

ständon die Behandlung, die ich vorschrieb, nach Aussage ihrer An¬ 
gehörigen doch noch etwas nützte, obschon ich zu spät zu der Kranken 
gerufen wurde, welche schon seit 16 Monaten von einer mehr oder 
weniger bekannten, unheilbaren Erkrankung befallen war, der sie 
in der Folge erlegen ist. Es ist nur bedauerlich, dass unsere Medikation 
nicht viel früher erfolgt ist. Tatsache bleibt auf jeden Fall, dass in 
diesem Organismus, welcher während einigen Monaten in ein wahres 
chemisches Laboratorium verwandelt wurde, die Anwendung des 
Sälen in Gemeinschaft mit dem Phytin und den subkutanen Injek¬ 
tionen von Plasma de Quinton es war, welche eine Wirkung zu erzielen 
und das Leben der Kranken zu verlängern vermochte. 

Wir haben das Sälen noch oft verordnet, sei es in Fällen von akutem 
oder chronischem Rheumatismus oder für irgend einen andern Muskel¬ 
schmerz, als auch für Verrenkungen, und die damit erzielten Erfolge 
waren immer sehr befriedigend und gleichverlaufend. Wir haben seihst 
vollkommene Heilung zu verzeichnen. Auch jetzt ist die Behandlung, 
die wir ur\^ern Kranken vorschreiben, in den oben angeführten Er¬ 
krankungen stets dieselbe. Wir müssen gestehen, dass wir die An¬ 
wendung der Salben, welche wir früher nach dem Arzneibuch und den 
bekannten therapeutischen Angaben verschrieben, jetzt gänzlich ver¬ 
lassen haben. Zusammenfassend sehlitssrn wir: I. Dass es angezeigt 
ist, das Sälen als äusserliches Medikament bei der Behandlung aller 
rheumatischen Erkrankungen, sowohl bei akuten, wie bei chronischen 
zu verschreiben und zu gleicher Zeit täglich 4 g Salipyrin in 4 Kap¬ 
seln (Dose verschieden je nach Alter der betreffenden Person) nüchtern 
zu nehmen. Die erhaltenen Resultate waren: Heilung des akuten 
Rheumatismus, bemerkenswerte Besserung mit Verminderung der 
Schmerzen bei chronischem Rheumatismus. II. Dass es zu empfehlen 
ist, das Sälen bei der Behandlung von Verrenkungen zu benützen, 
indem es eine viel grössere Wirksamkeit besitzt, als alle bis jetzt an¬ 
gewandten Salben. Die Behandlung, die wir in einem ähnlichen Falle 
empfehlen, ist die folgende: Erstens Ruhe, zweitens täglich 2—3 Ein¬ 
reibungen mit Sälen nach vorhergehender Massage, entweder mit 
Sälen pur oder zu gleichen Teilen mit Spiritus vermischt; drittens 
Einhüllen des Gelenks vermittels einer oder zwei Velpeau-Binden. 
Die Heilung vollzieht sich in Zeitverlauf von ungefähr 8 Tagen. 

Kurz gesagt, ist das Sälen eine beständige chemische Verbindung, 
weiche die Haut nicht reizt und welche jeder Praktiker verwenden 
wird, der sie einmal erprobt hat. Es ist fähig, die grössten therapeu¬ 
tischen Dienste, als äusserliches Medikament, in der Behandlung des 
akuten und chronischen Rheumatismus, sowie bei Verrenkungen zu 
leisten. 


Wiener Brief. 

Ein Sammelbericht von S. Leo. 

Lieber Krebsheilung dürr h Radium sprach in der Gesellsch. 
d. Aerzte Schindle r. Er stellt einen durch Radium 'geheilten 
Fall von Carcinoma penis vor. Es handelt sich um einen grossen kräf¬ 
tigen Mann von 40 Jahren, der vor ca. 4 Jahren in der Frenulargegend 
der Glans penis ein Knötchen bemerkte, das rasch exulzerierte und sich 
innerhalb von 2 Jahren zu einem kronenstückgrossen Geschwür mit 


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491 


Leo, 

starkelcvi<>rten, derb infiltrierten Rändern ausbildete. Die histologische 
Untersuchung bestätigte die klinische Diagnose Karzinom. Mit Rück¬ 
sicht auf das jugendliche Alter des Pat., der vor einer so verstümmelnden 
Operation, wie cs die amputatio pcnis darstellt, zurückschreckte, machte 
Sch. einen Versuch mit Radium. Pat. wurde mit einem Präparat, das 
25 mg reines Radiumsalz enthält, nach D o m i n i c i behandelt. Diese 
Methode besteht darin, dass durch Zwischenlagerung von Bleifiltern 
alle weichen, nur die Oberfläche irritierenden Strahlen abgehalten 
werden und nur die sehr stark penetrierenden harten ß und hauptsäch¬ 
lich die y-Strahlen zur Verwendung gelangen. Durch das Ausschalten 
so vieler Strahlen muss die Expansionszeit verlängert werden, dafür 
erhält man aber eine beträchtliche Tiefenwirkung. Pat. wurde im 
Dezember 1909 und Anfang Januar 1910 0 mal in dieser Weise be¬ 
handelt und die Radiumplatte unter Heftpflasterverband durch je 
22 Stunden an einem Platze belassen. Bald zeigte sich eine mit massiger 
entzündlicher Reaktion einhergehende Einschmelzung der derben 
Geschwürsränder, das ulcus verkleinerte sich und heilte in ca. 7 Wochen 
nach der letzten Bestrahlung völlig ab. Ca. 3 Wochen nach den Be¬ 
strahlungen entstand dort, wo sich die Hauptmasse der stark pene¬ 
trierenden Strahlenbündel schneiden, eine Erosion, die nach 2 Wochen 
wieder abheilte. Die inguinalen Drüsen wurden von Schnitzler 
nusgeräumt. Als Pat. sich im Herbste vorstellte, wurden neben den 
Operationsnarben mässig derbe Drüsen (Drüsenmetastasen?) korsta- 
tiert und exstirpiert. Bei der histologischen Untersuchung der Drüsen 
zeigte sich aber kein Karzinomgewebe, sondern eine eigenartige Fett- 
i.ifiltration längs des Hilus. Seit Abschluss der Behandlung sind 2Jahre 
ohne Rezidive verstrichen. 

E. Matauschek und Alexander Pilz, sprechen in der¬ 
selben Gesellschaft zur Lucs paralvse frage. Die Vortragenden 
haben 4134 Offiziere, die : n den Jehr^n 1880— 19°0 wegen einer luetischen 
Affektion in den Heeresanstalten verpflegt worden waren, katamnestisch 
verfolgt unter Berücksichtigung der Rezidive, Therapie usw. Was 
speziell die Paralyse betrifft, so kommen sie zu folgenden Schlüssen: 

1. Mindestens 4,07% von Luetischen werden paralytisch. 

2. Die überwiegende Mehrheit der Paralytiker betrifft Individuen, 
deren Lues a) ungemein leicht, d. h. ohne Rezidive verläuft u. zw. dies 
trotz mangelhafter antiluetischer Therapie, h) nicht oder ungenügend 
behandelt wurde. 

3. Wenngleich selbst gründliche Behandlung der Syphilis nicht 
vor Paralyse schützt, so scheint ein Vergleich einer Serie mangelhaft 
behandelter Luetiker und einer Serie von chronisch-intermittierend be¬ 
handelten zu ergeben, dass der Prozentsatz der Paralytiker bei letzteren 
ein wesentlich geringerer ist. Keinesfalls ist ein vermeintliches Zurück¬ 
drängen der Rezidive durch eine energische Behandlung schädlich; es 
muss im Gegenteile also einer möglichst sorgfältigen chronisch-inter¬ 
mittierenden Therapie der Lues das Wort geredet werden. 

4. Ein Einfluss der antiluetischen Therapie in bezug auf Länge 
des Intervalls zwischen Infektion und Ausbruch der Paralyse lässt 
sich nicht erkennen. 

5. Eine fieberhafte Infektionskrankheit während der ersten Jahre 
nach dem Primära fl'ekte scheint bis zu einem gewissen Grade die Wahr¬ 
scheinlichkeit einer späteren F>krankung an Paralyse zu verringern. 


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• l ‘*2 


In der Diskussion sauft Karl Uli mann: Es gibt heute noch 
drei Auffassungen über das Verhältnis zwischen Quecksilbertherapie 
und Nervenlues. Die erste leugnet überhaupt, einen erheblichen präven¬ 
tiven Einfluss der spezifischen Therapie, wenigstens auf gewisse degene- 
rative schwere Nervenerkrankungen, wie Tabes und progressive Para¬ 
lyse. Für nie ist blos- die individuelle Empfindlichkeit, angeborene 
Prädisposition gegenüber den Toxinen der Spirochäten massgebend. 
Das klinische Durchschnittsbild dieser Krankheiten wird durch Queck¬ 
silber nicht geändert. Eine zweite Auffassung ersieht nur in ausgiebiger 
Quecksilberbehandlung die einzig wirksame Prävention und dies zu 
jeder Zeit. (Die älteren Vertreter der chronisch-intermittierenden 
Behandlung.) Eine dritte Auffassung ersieht den kurativen und präven¬ 
tiven W ert hauptsächlich durch Frühbehandlung, durch Abortion oder 
wenigstens Schwächung und hält aber sonst an dem Prinzip der vor¬ 
wiegend symptomatischen, nur in den ersten zwei Jahren energischeren 
Behandlung fest. 

S“it Jahn n hat U. sich die letzte Auffassung zu eigen gemacht und 
geht danach vor. In Zukunft wird in den Statistiken auf die präventiv 
Behandelten besonders Rücksicht genommen werden müssen. Dieselben 
werden dann gewiss günstiger ausfallen, als diejenigen, bei denen auch 
schon die beginnenden Fälle von Tabes und Paralyse und selbst nur die 
generalisierten exanthematischen Formen mit einbezogen werden. 
Und um solche handelt es sich ja hauptsächlich, wenn in dieser Statistik 
von Rezidiven die Rede ist. 

F i n s t e r e r sprach ebenda über Herzstich, d u r c h N a h t 
geheil t. Der 19 jährige Mann wurde am 9. 12. 11 Uhr nachts auf 
die II. Unfallstation der Klinik Höchen egg gebracht, da er vor 
einer Viertelstunde mehrere Stich Verletzungen erhalten hatte. Es fand 
sich bei dem sehr anämischen Patienten im 1. 6. Interkostalraum drei 
Querfinge:- nach aussen von der I. Manillarlinie eine 2 cm lange Sehnilt- 
wunde, aus der sich fortwährend hellrotes Blut entleerte, beim Husten 
aber im Strahle herausgepresst wurde. Es bestand ein Hämatopneuma- 
thorax mit einer weit über den Angulns scapulae reichenden Dämpfung. 
Puls sehr klein, 120—140. Wegen der bedrohlichen Blutung unternahm 
F. sofort in Aethei narkose, Resektion der 6. und 7. Rippe neben der 
Stichwunde. Ausräumen der Blutkoagula aus dem Thorax; es zeigt sich 
nun eine Stichverletzung des Perikards, aus der es rhythmisch blutet: 
Resektion der 5. Rippe; nach Erweiterung der Wunde des Herzbeutels 
findet sich an der Herzspitze eine 3 cm lange, auf U/s cm klaffende, 
über 1 cm tiefe Schnittwunde. Vorne sieht man die durchschnittene 
Koronararterie spritzen. Aus dem Grunde der Schnittwunde ent¬ 
leert sich gleichzeitig mit der Herzsystole das Blut; Herzaktion sehr 
frequent. Es wird sofort in der Mitte einä tiefgreifende Seidenknopfnaht 
angelegt, wodurch die Blutung steht, hierauf der Schnitt durch weitere 
vier S^idennähte exakt vernäht, die art. coronaria umstochen, Naht des 
Perikards mit 8 Nähten. Hierauf wird im Ueberdruckapparat nach 
Brauer - Dräger die linke Lunge gebläht; dabei beginnt der 1 cm 
lange Stich im linken Lungenunterlappen wieder zu bluten und wird 
durch Naht verschlossen. Der weitere Verlauf war ein glatter; nach 
einer Woche stellte sich eine stärkere Bronchitis mit pneumonischen 
Herden I. ein, die rasch zur Heilung gelangte. 

Seit der Eröffnung der Unfallstationen wurden an der Klinik 


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49.J 

Hochenegg bisher drei Herzverletzungen operativ behandelt’ 
Der erste Fall, von Dr. Föramitti operiert, wurde am 17. Juni 
1910 in der Gesellschaft geheilt vorgestellt. Eine zweite Herzverletzung 
wurde von Dr. Hevrovsky operiert. Es handelte sieh um einen 
30 jährigen Beamten, der zwei Stunden vor der Einlieferung an die 
Klinik einen Messerstich im linken fünften Interkostalraum, einwärts 
von der Mamillarlinie, erhalten hatte, wo erst die weitere Beobachtung 
die Operation wegen Bauchverletzung notwendig erscheinen liess, die 
eine Stichverletzung des Magens mit Austritt von Mageninhalt auf¬ 
deckte, gleichzeitig aber auch eine Verletzung des Zwerchfelles und des 
Herzens erkennen liess. Nach Verlängerung des Schnittes und Auf¬ 
klappen des Thorax wurde eine lochförmige Verletzung des Herzens, 
1 */* cm oberhalb der Spitze, gefunden, aus der sich Blut im Strahle 
entleerte. Naht der Verletzung, vollständige Naht des Perikards; 
Drainage des Abdomens in die Gegend der Magennaht. Nach 48 Stunden 
Exitus an Peritonitis. Bei der Sektion fand sich, dass sowohl die Herz¬ 
naht, als die Magennaht vollkommen suffizient war. 

Was die Diagnose der Herzverletzung anlangt, so konnte 
sie in keinem Falle mit Sicherheit gestellt werden, zumal die Lage des 
Einstiches in keinem Falle für die Diagnose zu verwerten war. Im 
zweiten Falle boten abdominale Symptome den Anlass zur Operation 
(Laparotomie) und auch im ersten Falle wurde zuerst die Bauchhöhle 
eröffnet. F. konnte eine Herzverletzung bei dieser Lage des Einstiches 
nicht sicher annehmen, zumal auch Herzgeräusche, sowie die Herz- 
famnonade fehlte, die übrigens nach E. Hesse unter 21 Fällen nur 
8 mal beobachtet wurde. Einzig und allein die schwere intrathorakale 
Blutung war für F. die Indikation, sofort die Quelle der Blutung auf¬ 
zusuchen. als welche neben einer Herzverletzung auch eine Verletzung 
der Arteria intercostalis und Arteria thoracica longa in Betracht kam. 
Die Prognose der Stichverletzungen hängt vor. allem von der Aus¬ 
dehnung der Penetration des Herzens, dann von der Zeitdauer bis zur 
Operation ab. Das geht aus dem grossen Materiale H esses hervor, 
indem von den in den ersten vier Stunden operierten 8 Fällen nur 2 
starben, während von den 13 später Operierten sämtliche ad exitum 
kamen. Daneben spielen al'erdings auch das Alter, die Beschaffenheit 
des Herzens, etwaige Nebenverletzungen (in dem zweiten Falle Stich¬ 
verletzung des Magens) eine besondere Bolle. 

Ueber abortive Behandlung der Gonorrhoe sprach 
Ernst Spitzer in der Dermatologischen Gesellschaft: Unter An¬ 
erkennung der schmerzstillenden Wirkung der Balsamika hält Sp. 
den Gebrauch derselben in zweifacher Weise für schädlich. 1. beob¬ 
achtete er im Anschluss an Santaltherapie häufig Nierenkoliken, die 
für spätere Nierenerkrankungen veranlassend sein können; 2. lässt 
die heute noch sehr verbreitete Ansicht, durch innere Medikamente 
den Tripper heilen zu können, oder die Methode, schematisch beim Be¬ 
ginne einer jeden Gonorrhoe nur Balsamika zu verordnen, gerade die 
kostbarste Zeit in der ganzen Tripperbehandlung nutzlos verstreichen, 
um dann erst, wenn die Infektion über die ganze vordere Harnröhre 
ausgebreitet ist, mit der Lokalbehandlung einzusetzen. Was die Abortiv¬ 
kur betrifft, so garantiert nicht die Wahl eines speziellen Antiseptikums, 
nicht die Art der Applikation, sodann der frühzeitige Beginn der Behand¬ 
lung den Erfolg, wobei nach 12—24 Stunden die Gonokokken geschwun¬ 
den sein können. Sp. verwirft den Gebrauch besonders hochkonzen- 


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494 


Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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trierter Lösungen, die endoskopische Behandlung und die Spülung der 
Blase zu abortiven Zwecken. Er verwendet Protargol 5%, Ichthargan 
'/j%, und argent. nitric. '/«— V2 0 / <> 5 und wiederholt diese Einspritzungen 
alle li—12—24 Stunden, je nach Reizung und Schmerzhaftigkeit nach 
stets vorheriger mikroskopischer Sekretuntersuchung bis zum 5. Tag 
in abgeschwächter Form und setzt dann eine Pause. In wenigen Tagen 
klingt der Reizungskatarrh ab. In der Diskussion heben die Redner 
hervor, dass die Behandlung nach Spitzer nur in dem Stadium 
mucosutn, im allerersten Stadium angängig sei; in diesem Stadium 
kommt aber der Pat. nur in Ausnahmefällen zum Arzt. Im eitrigen 
Stadium sei aber eine Abortivbehandlung nicht am Platze, da durch 
sie nur eine wesentliche Steigerung der Schmerzen, anhaltende Blutungen, 
quälende Erektionen und Komplikationen hervorgerufen werden. 
Pyocyanase beeinflusst n i c h t die Gonorrhoe. 

(Jeher die Bedeutung der experimentellen Pharmakologie für die 
Therapie sprach Hans J a n u s c h k e in der Gesellschaft für innere 
Medizin und Kinderheilkunde in Wien. Unser Urteil kann durch das 
pharmakologische Experiment oft eine Stütze gewinnen, z. B. bei der 
Behandlung dos Schnupfens mit Kalziumlaktat durch die im Nies¬ 
experiment naehgewicsene exsudationshi mmendc Wirkung der Kalk¬ 
salze. Die Anwendung von Arzneimitteln mit bekannter physiologischer 
Wirkungsweise kann zur Stellung einer exakten Diagnose führen; wird 
z. B. in einem karzinomatös verschlossenen Oesophagus durch Anästhe¬ 
sierung der Schleimhaut oder Atropinisierung d( r Muskulatur die Passage 
wieder frei, so beweist das einen spastischen Verschluss im Gegensatz 
zu einem mechanischen. Die diagnostische Anwendung des Adrenalins 
beim Menschen ergibt, dass nicht bloss beim nervösen Asthma bronchiale, 
sondern auch bei der Atemnot des Emphysematikers, Herzkranker 
und Nephritiker Bronchialmuskelkrämpfe eine wesentliche Rolle spielen. 
Dieselben werden aysgelöst durch Reizwirkung des Stauungsblutes 
auf die Medulla oblongata; das Bronchokonstriktorenzentrum ist bei 
diesen Pat. besonders empfindlich, da es an der entzündeten Bronchial¬ 
schleimhaut fortwährend zentripetale Reize erhält. Perverse Atropin¬ 
wirkung (Verstärkung eines asthmatischen Anfalles durch Atropin) 
kann auf unrichtiger Dosierung beruhen; Reizung des Konstriktoren¬ 
zentrums bei noch nicht gelähmter Vagusperipherie. Gegenmassregelri: 
Steigerung einer zu kleinen Atropindosis oder Kombinationsversuch 
mit Urethan (Abschwächung der zentralen Reizwirkung, Unterstützung 
der peripheren hemmenden Atropinwirkung). 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Erik. J. Kraus (Prag) berichtet über eine neue elektive 
F ä r b u n g der eosinophile« Zellen der Hypophyse. 
Bei der Anwendung der Smith-Dietrich’schen Methode zur Darstellung 
von Cholesterinfettsäuregemischen an Gefrierschnitten normaler mensch¬ 
licher Hypophysen beobachtete Vortragender eine intensive und rcsi- 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


41)5 


stente Schwarzfärbung der eosinophilen Zellen. — Er modifiziert 
<las genannte Verfahren, indem er womöglich dünne Paraffinschnitte 
verwendet, über Nacht in 5% Kaliumbichromatlösung hei 37° beizt, 
24 Stunden bei Zimmertemperatur in reifem essigsaurem Hämatoxylin 
nach Kults chitzki färbt und dann in einfach verdünnter Borax - 
ferrieyankalilösung differenziert. 

Nach dieser Färbung erscheinen die Eosinophilen in einem dunkel- 
stahlgrauen bis schwarzen, die Basophilen in einem blassen gelbbraunen 
Farbenton, wobei die Granulierung beider Zellformen aufs schärfste 
hervortritt. Die Hauptzellen färben sich fast gar nicht; das retikuläre 
Bindegewebe helldrapfarben. Die Zellkerne zeigen eine scharfe schwarze 
Kernstruktur. Neben Eosinophilen erscheinen auch rote Blutkörperchen 
schwarz, meist bläulichgrau das Kolloid der Rathkeschen Zysten. 

Das Verfahren beruht auf dem bekannten Prinzip der Chromhäma- 
toxylinlackbildung und hat sich in der angegebenen Modifikation dem 
Vortragenden als unbedingt verlässliche elektive Färbemethode zur 
Darstellung der eosinophilen Zellen sowohl in der normalen Hypophyse 
als auch in Hypophysentumoren bestens bewährt. Zur ev. Nachfärbung 
empfiehlt Vortragender Pikrofuchsin, wodurch äusserst farbenprächtige 
Bilder zustande kommen. Auch mittelst Kupferhämotoxylinlack 
gelang es nach einer bestimmten Vorschrift, die Vortragender kurz er¬ 
wähnt, analoge Resultate zu erzielen. ^ Autoreferat. 


R o rn a n (Prag.) Demonstration dreier Fälle von Tumor bei Kin¬ 
dern, die makroskopisch anatomisch identische Veränderungen zeigten 
im Sinne von subperiostalen polster- oder knotenförmigen Auflagerungen 
im Bereiche der meisten Knochen des Skeletts bei gleichzeitiger Ver¬ 
änderung der Spongiosa und diffusem oder (leckweisem Tumorwachs¬ 
tum im Medullarrohr der langen Röhrenknochen, Vergrösserung und 
z. T. Verschmelzung mancher Lvmphdrüsen und Metastasen in der 
Leber. 

Histologisch waren 2 von den Fällen Sarkome, die aber zahlreiche 
reife Knochenmarkzellen zeigten (Myelozyten, Normoblasten, Mega- 
koriozyten), weshalb diese rumoren in Analogie mit anderen Sarkomen, 
die noch reife Zellen ihrer Matrix zeigen, als primäre Geschwülste des 
Knochenmarks oder eines zur Knochenmarkbildung befähigten Ge¬ 
webes, als multiple mveloplastische Sarkome aufgefasst wurden. 

Der dritte Fall hat sich als Netzhautgliom mit ausgebreiteten Meta¬ 
stasen im Knochensystem erwiesen. Autoreferat. 


Nerve u klinik Dr. Georg Flat au, Johannistrasse 14 /15, 

Berlin N. 

In der Nervenklinik haben wir seit längerer Zeit bei den für die 
Jodtherapie in Frage kommenden Patienten, namentlich da, wo es auf 
Schonung von Magen und Darm und Vermeidung von Nebenerschei¬ 
nungen ankam, das jodierte Pflanzeneiweiss Jodglidine als Jodpräparat 
angewandt und sind mit den Ergebnissen — w r ir haben keinerlei Jodis¬ 
mus bemerkt — recht zufrieden. Jodglidine eignet sich, wie es scheint, 
ganz besonders für solche Fälle, wo es auf eine längere, gleichmässige 
Jodwirkung ankommt. Die günstigen Erfahrungen mit diesem Prä¬ 
parate veranlassten uns, auch die anderen Glidinepräparate, vor allen 


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Referate und Besprechungen. 


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49 <> 

Dingen Ferro-Glidine und Arsan (As-Glidine) durchzuprüfen, und zwar 
besonders bei Anämien, Chlorose, allgemeiner Schwäche und Erschöp¬ 
fung, herabgesetzter Ernährung und funktionellen Nervenerkrankungen. 
Die Störungen, die sich bei empfindlichen Patienten nach Darreichung 
der Fowlersehen Lösung namentlich in den Verdauungswegen zeigen, 
waren bei Arsan nicht zu beobachten. Besonders günstige Ergebnisse 
hatten wir, als wir Ferro-Glidine und Arsan kombinierten und mit 
1 Tablette Arsan immer 2 Tabletten Ferro-Glidine zusammen nehmen 
liessen. Die günstigen Ergebnisse zeigten sich in Zunahme des Appe¬ 
tits, Gewichtsvermehrung. Dr. G. Flatau-Berlin. 

Untersuchungen zur Hygiene und Kenntnis des Milch. 

Von Doz. Dr. Gottlieb Salus. 

(Vortrag in clor wissenschaftl. Gesellschaft deutscher Ärzte in Böhmen 23. II. 1912.V 

Die in grösserer Zahl in der Kuhmilch vorliegenden Ze'len sind 
oft polymorphkernige Leukozyten. Vus einer grossen Versuchsreihe 
konnte Verfasser eisehen, dass dieses Vorkommen kein physiologisches 
sei; aus dem ständigen Leukozytengehalt der Mischmilch bestimmter 
Provenienz und der späteren Abnahme der Leukozyten wurde auf eine 
nun abgelaufene Mastitisepidemie auf dem betreffenden Gute geschlossen 
und diese Voraussetzung als richtig festgestellt. Verb stimmt in der 
Agalaktiefrage mit T r o m m s d o r f f und R u 1 1 m a n n überein, 
hält aber die Verbindung mit der zur Zeit unlöslichen Frage der .Milch¬ 
streptokokken für untunlich. 

Das Schardingersche Ferment konnte besonders aus Presssäften 
von Kuheutern dargestellt werden und stammt, wie andere Milchbe¬ 
standteile, aus den Drüsenzellen. Es wurde der optimale Formaldehvd- 
gehalt des Reagens bestimmt und darauf eine quantitative Methode 
der Bestimmung des Gehalts der Milch an Aldehydkatalase aufgebaut. 
Endlich erwiesen sich von 50 Proben von Frauenmilch 36—72% negativ 
in bezug auf den Gehalt an Aldehydkatalase, die sonach in der Frauen¬ 
milch viel weniger hervortritt. (Erscheint ausführlich im Archiv für 
Hygiene.) 


Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Sergeois, Erich, Beitrag zur Rolle der Insekten als Krankheitsüberträger. 

(Arch. f. Kinderheilkunde Bd. 57, Heft I—III.) 

Nachdem S. die Anatomie und Biologie der Wanze (Acanthia lectularia) 
eingehendst besprochen hat, kommt er zu folgenden Schlüssen. Pie Wanze 
vermag krankmachende Keime zu vermitteln, sie trägt dazu bei, daß ge¬ 
wisse Krankheiten wie Rückfallfieber und Kala Azar an bestimmten Orten 
endemisch bleiben. Ihre Vernichtung ist nicht nur ein ästhetisches, sondern 
auch ein hygienisches Erfordernis. Reiß. 

Horowitz, Alm 6c, Differenzen zwischen Choleravibrionen. (A-ch. des 
•scienc. biolog. de St. Petersbourg 1911, T. XVI, Nr. 5, 8. 445—489.) 

Vjor 20 Jahren herrschte die Lehre von der Konstanz der Arten 



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Referate und Besprechungen 


497 


wie ein unanfechtbares Dogma. Die Episode Cuvier-Lyell war vergessen. 
Nun stehen wir vor einem ähnlichen Schauspiel. Mit anerkennenswerter 
Energie verteidigen die Entschiedenen die Spezifität des Typhusbazillus 
gegen das Heer der vetterlich-verwandten Coli-Bazillen, und etwas Ähn¬ 
liches bereitet sich beim Cholera-Vibrio vor. In Cholerazeiten, setzt Frl. 
H o r o w i t z auseinander, finden sich bei Kranken, Rekonvaleszenten und 
Gesunden neben den typischen Cholerabazillen auch atypische, welche sich 
mehr oder weniger scharf von jenen unterscheiden. Aber sie sind auch 
unter sich nicht gleich, sondern weisen alle möglichen biochemischen 
Differenzen auf. Mit ihnen wird der wohlgesinnte Bakteriologe übrigens 
leicht fertig: er erklärt sie einfach für Degenerationsformen. 

Viel fataler ist es, daß auch die richtigen Choleravibrionen Ver¬ 
schiedenheiten hinsichtlich ihrer Morphologie, Kulturen und biochemischen 
Eigenschaften erkennen lassen, und daß das Choleraserum des einen gänz¬ 
lich ohne Wirkung auf den andern ist. Frl. Horowitz hilft sich da in 
einfacher Weise durch die Sätze: „Le resultat negatif obtenu de l’aggluiini- 
tien croisee n’exclue pas la nature cholerique du vibrion utilise pour la 
pröparation du serunT' und „II convient de considerer comijie suspects 
tcus les vibrions atypiques 1 '. 

Für Leute, deren Welt nicht über die Mauern ihres Laboratoriums 
hinausreicht, ist solch ein Standpunkt ganz bequem. Wer aber im prakti¬ 
schen Leben steht und die Konsequenzen absieht, die sich ergeben, wepn 
man jeden Gesunden, der atypische Vibrionen in sich beherbergt, für suspekt 
ansieht, wird diesen Standpunkt nicht teilen. Und noch radikalere Köpfe 
werden sich an Cartesius erinnern, der uns erlaubt hat, an allem zu 
zweifeln, auch am Kommabazillus. Buttersack-Berlin. 

Bruschettlni, A. und Morelli, Pneumokokkenstudien (Studi sullo pneumo- 
coeco di Frankel). (Annali dell’ Istituto Maragliano 1911, Vol. V, Fascic. */«> 
S. 121—131.) 

Wenn man Lungenextrakt zu gewöhnlicher Nährbouillon im Verhält¬ 
nis 1:2, 1:3 oder 1:4 zusetzt, so wächst der Pneumokokkus darauf nicht. 
Bei stärkeren Verdünnungen wächst er wohl, aber oft mit Verlust seiner 
Virulenz. 

Hält man Pneumokokken längere Zeit in Lungenextrakt, so stellt sich 
Bakteriolyse ein; die Bazillen werden körnig. 

Präzipitin- oder Agglutininwirkung kommt weder dem Lungenextrakt 
noch dem Serum zu. 

Der opsonische Index schwankt je nach der Präparation; wird der 
Lungenextrakt mit Phenol hergestellt, ist er reicher an Opsoninen als 
wenn die Sterilisation bei 30—60 0 erfolgt. Buttersack-Berlin. 

Sclallero, Antlformin zum Tuberkelnachwelg (l’antiformlna nella ricerca e 
nella selezione del baclllo della tubercolosi). (Annali dell’ Istituto Maragliano 
1911, Vol. V. Fascic. >/„ S. 7—12.) 

Die Antiformin-Methode ist empfehlenswert bei der Untersuchung des 
Auswurfs, wenn nur wenig Bazillen darin sind, noch mehr bei der Unter¬ 
suchung anderen Materials, z. B. von Gewebe, von Fäces. Aber da sie 
umständlich ist, wird sie im allgemeinen auf Laboratorien beschränkt bleiben. 
Die Tuberkelbazillen werden durch Antiformin — wenigstens in ihrem 
groben Gefüge ‘— nicht verändert. Buttersack-Berlin. 

Connio, A. (Genua), Tuberkuloseserum und Autolyse (Influenza del siero di 
soggetti tubercolosi sul processo-autolitico). (Annali dell’ Istituto Maragliano 
1911, Vol. V, Fascic. */»» S. 60—69.) 

Mit einem fast fieberhaften Eifer liegen die verschiedenen Laboratorieln 
Studien über das Serum ob, ersichtlich geleitet von der — den einzelnen viel¬ 
leicht nicht immer klar bewußten Idee, auf diese Weise den Geheimnissen der 
Lebensvorgänge näher zu kommen. Ein analoger Vorgang ist uns älteren 
noch aus der Zeit bekannt, als das Mikroskop der Bannerträger dieses 

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Heferate und Besprechungen. * 499 

•daraus, daß unsere Vorgänger in der Kunst es doch ziemlich weit gebracht 
hatten. 

Das Kamondsehe Symptom rekurriert auf Seh- und Tastvermögen 
<lts Untersuchers, zwei Qualitäten, welche m. E. derzeit ungebührlich ver¬ 
nachlässigt werden. Gewiß ist das Mikroskop ein wertvolles Instrument; 
aber man darf darüber das makroskopische Sehen nicht vernachlässigen; 
ronst erfüllt sich Goethes Spruch; Mikroskope (und Fernrohre) verwirren 
den reinen Menschensinn. 

Vielleicht ist es gestattet, neben dem Dorsalsymptom auch eine genaue In¬ 
spektion der Thoraxbewegungen beim Atmen zu empfehlen. Mit ver¬ 
hältnismäßig geringer Mühe lernt man Differenzen zwischen rechts und 
links erkennen, und das Vertrauen des Patienten wächst sichtlich, wenn man 
ihm sagen kann, er habe einmal eine Lungen- oder Rippenfellentzündung 
auf der und der Seite durchgemacht. Oft liegt diese viele Jahre zurück; 
für die Beurteilung des Kranken ist sie immer von Wert. Wer die 
Kunst des Sehens geübt hat, holt dann auch aus der Perkussion und Aus¬ 
kultation mehr heraus und bedarf keiner Röntgenstrahlen, die ja schlie߬ 
lich doch nur verhältnismäßig grobe Veränderungen anzeigen. 

Buttersack-Berlin. 

Engel, B. (Nanterre), Würmer und Appendlcitis. (Gaz. inöd. 1912, Nr. 131). 

Es ist ein dankenswerter Hinweis, bei Appendizitisverdächtigen Affek¬ 
tionen auf Eingeweidewürmer, insbesondere Trichocephalus zu achten. Das 
Mikroskop bringt mühelos die Diagnose, und Santonin oder Thymol (1 bis 
5 g mit Gummi arab. 5,0 und einem Eigelb auf 150, g Wasser als Ein¬ 
lauf) die Heilung. Buttersack-Berlin. 

Hutinel (Paris), Pneumokokkeninfektionen (Infektions pneumococciques). 
(Bullet, mäd. 1912, Nr. 10, S. 107—110.) 

Nicht ohne eine gewisse Geringschätzung sehen wir auf die Vor¬ 
stellung früherer ärztlicher Generationen herab, welche das Kranksein für 
einen Allgemeinzustand ansahen und noch nichts von einer Sedes morbi 
oder von Lokaldiagnosen im Sinne eines Morgagni-Virchow wußten. 
Aber so ganz entäußert haben wir uns der hippokratisch-galenischen An¬ 
schauungen doch nicht; sie sind nicht ausgerodet, sondern nur über¬ 
wuchert. Zu der Zeit, als das Spezialistentum seinen Höhepunkt erreicht 
hatte, schien auch im Gebiet der Pathologie eine reinliche Scheidung der 
Krankheiten nach Organen eingt leitet zu sein. Allein bald sah inan das 
Irrige der Auffassung ein, daß ein Typhus n u r im Darm, eine Pneumonie 
nur in der Lunge sitze. H u t i n e 1 s Vortrag stellt ein bemerkenswerten 
Glied in der Entwicklung dieses Gedankens dar. 

Die Pneumonie — so ungefälirt deduziert er — ist keineswegs eine 
Lokalerkrankung irgend eines Lungenlappens, sondern eine Septizämie, welche 
sich bald da, bald dort lokalisiert. Am häufigsten und am besten durch¬ 
forscht sind zwar die Beteiligungen der Lungen, aber ebensogut können 
auch andere Gewebe befallen werden. Das was wir Komplikationen zu 
nennen belieben, sind in der Tat nichts als extrapulmonale Ansiedelungen 
des sog. Pneumokokkus. So kommen bald mehr, bald weniger häufig vor: 
Herpes, Purpura, Hautgangrän, Gelenkentzündungen, Endo- und Peri¬ 
karditis — eiles sont plus frequentes qu’on ne le croit — Nephritis, Hepa¬ 
titis mit Ikterus, Meningitis, Peritonitis. 

Hält man sich alle diese Dinge vor Augen und erinnert man sich, 
daß außerdem noch manche Reizungen unterhalb unserer diagnostischen 
Schwelle sich abspielen, so erkennt man leicht, daß die Lungenentzün¬ 
dung eigentlich gar keine Lungenkrankheit sensu steictiori ist, sondern 
eine Septizämie. Wenn man dann noch den sog. Gelenkrheumatismus da¬ 
neben stellt, bei welchem ja auch die Beteiligung der Gelenke wohl die 
sinnfältigste, aber nicht die wesentliche Lokalisation ist, wenn man an 
Pierre Maries kühnen Satz denkt, daß die multiple Sklerose eigent¬ 
lich gar keine Erkrankung des Nervensystems, sondern nur eine — mehr 
oder minder zufällige Lokalisation bestimmter Allgemeinerkrankungen sei 

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Referate und Besprechungen. 


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öu> 


(Progres medical 1884, 8. 366), so kann man sich gewisser Bedenken gegen 
die präponderierende Stellung nicht erwehren, welche der anatomischen 
Sedes morbi dermalen eingeräumt wird. Wer den Finger am Pulsschlag 
der Zeit hat, schließt aus solchen Symptomen, wie dem H tft i n e 1 sehen 

Aufsatz, daß alte Vorstellungen in neuem Gewände wieder im Anmarsch 

sind. Freilich, zu ihrer Entwicklung ist ein neues Geschlecht erforderlich, 
welches nicht mehr im pathologischen Institut die letzte, inappelabb Instanz 
und im Mikroskop nicht mehr den Schlüssel des Lebens erblickt. 

Buttersack-Berlin. 

Schober, P.'(Paris), Moderne französische Ansichten über die Tuberkulose 
und ihre Behandlung. (Ärztl. Standeszeit. Nr; 24, 1911.) 

Lemoine und Gdrard, von der Universität Lille, betrachten die Tuber¬ 
kulose nicht als eine einfache Bazillenwirkung, sondern als einen Kampf 
zwischen den Noxen (Toxinen) und den Antitoxinen des Körpers. Thera¬ 

peutisch stellen sie aus der Leber, als dem Hauptdepot der Antitoxine, 
mit Hilfe von Petroleumbenzin einen Auszug her, dem sie den Kamen 
Paratoxine geben. Die Autoren geben an, in der Hälfte der so behandelten 
Fülle deutliche Heilwirkung beobachtet zu haben, während sie bei der an¬ 
deren Hälfte fast keine Beeinflussung beobachtat haben. Da die Behand¬ 
lung unschädlich ist, rät L. sie in jedem Falle zu versuchen. Bei Pat. 
im II. Stadium hat L. seine schönsten Erfolge erzielt, er gibt gewöhn¬ 
lich alle zwei Tage einen ccm 3 Paratoxin in Injektion unter die Haut 
des Kückens. Bei schweren fiebernden Fällen verdoppelt er die Dosis. 
F e r r i e r (Paris) wiederum legt das Hauptgewicht auf die Kalkzufuhr. 
F. beobachtete bei vergleichenden Studien über den Kalkszuwachs der 
Zähne und des Skeletts, daß der Kalkstoffwechsel in beiden Organen parallel 
läuft, d. h. Zähne und Skelett setzen gleichzeitig Kalk oder verlieren 

cs. (Dies erklärt die häufige Angabe der Frauen, daß ihre Karies der 
Zähne mit der Gravidität begann. Anm. d. Ref.) Er behandelt daher die 
Neigung zur Zahnkaries mit Kalksalzen. Dabei beobachtete er, daß mit dem 
Härterwerden der Zähne auch die Lungenaffektion einiger gleichzeitig an 
Tuberkulose leidender Pat. sich besserte.- E: zog nun die Lunge in den 
genannten Parallelismus herein, und stellte den Satz auf, daß die Tuberkel 
im Organismus verkalken, wenn die Zähne und Knochen an Kalk zuneh- 
men. Daraus ergibt sich als therapeutische Forderung die Zufuhr von 
Kalksalzen. Alle Alkoholika sind zu meiden, es darf nur kalkhaltiges 
Mineralwasser getrunken werden. Salat und saure oder gegossene Speisen, 
weiche Käsearten, Orangen, Zitronen, Limonaden sind zu meiden, ebenso 
Butter und Saucen. Dagegen nehme man Kartoffel, gelbe Rüben, Erbsen, 
Bohnen, Makkaroni, Nudeln, Mehl- und Milchspeisen, Fisch, Eier, Leber, 
nicht geräucherten Schinken, gekochte Früchte, süße Speisen, Suppe und 
hartes oder geröstetes Brot. In der Mitte jeder Mahlzeit ist einzunehmen 
Kp.: Calc. carbon. 0,3, Calc. phosph. 0,5, Natr. chlor. 0,15, Magnes. ust 0,1. 

S. Leo. 

Lupine, R., Verhalten der Niere bei Glykosurie. (Revue de m^decine 1912, 
XXXII. Jahrg., Nr. 2, S, 81—90.) 

Das Wort: Durchlässigkeit der Nieren ist kein präziser Begriff, viel¬ 
mehr stecken darin drei Faktoren: die Transsudation, die Sekretion und die 
Resorption. Bestimmte Störungen der Sekretion können Glykosurie auch 
ohne Hyperglykämie, ja sogar bei Hypoglykämie hervorrufen. Vielleicht 
wirkt dabei dann auch noch eine Diskrepanz zwischen Transsudation und 
Resorption mit. 

Sollten diese beiden Dinge nicht auch vitale Vorgänge und damit 
aus dem Bereich der physikalischen Diffusion in jenes der physiologischen 
Sekretion zu verweisen sein? Buttersack-Berlin. 

Breton, ßruyant, L. und M6zie, A. (Lille). Der Darm als Ausscheidunes- 
nrgan für Mikrobien (Miminatlon par les voies digestives des mlcrobes introduits 
dans la circulation sangulne). (Gaz. möd. de Paris 1912, Nr. 131.) 

Die drei Forscher haben im Institut Pasteur de Lille Meerschweinchen 
allerlei Mikroorganismen (Prodigiosus, gelbe Sarcine, Cinnabareus, Tuberkel- 



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Urinale und llei-|irecliungeii. 


501 


bazillen) in verschiedenen Dosen in die Vena jugularis gespritzt und sie 
dann — je nach der Menge — mehr oder weniger bald, bezw. mehr oder 
weniger lang im Dünndarm und in der Galle nachweisen können. Beachtens¬ 
wert ist der Vermerk, daß es gewisse points d’election gibt: lias Duodenum 
und die lleo-Zökalklappe. 

Nur ein kleiner Schritt weiter führt von da aus zu der Vorstellung, 
daß die Infektionen des Darmrohrs, wie wir sie bei Typhus, Kuhr, Tuber¬ 
kulose, Lues finden, nicht direkt aus dem Darm-Inhalt erfolgt, sondern 
aus dem Blut-, besser Lymph- und Saftsystem. Im Jahre 1900 habe ich 
auf Grund der gleichen und verwandter Beobachtungen in der Zeitschrift 
für Tuberkulose diese Vorstellung entwickelt, natürlich ohne Erfolg. Um 
so erfreulicher ist ej, daß jetzt dieser Ge.lankengang von neuem angebahnt 
wird. Der damalige Furor bacteriologicus ist ja glücklich überwunden, so 
daß die Idee nunmehr bessere Resonanzverhältnisse findet. 

Luttersack-Berlin. 

Zur Vermeidung der Seekrankheit. (Gac. med. de Paris 1912, Nr. 131.) 

Taubstumme werden erfahrungsgemäß nicht seekrank. Auf diese Be¬ 
obachtung hin stopfte ein menschenfreundlicher Kapitän allen seinen kranken 
Passagieren die Ohren voll Watte, und diese waren mit einem Schlage 
ihre Beschwerden los (ils guerirent comme par enchantement). 

Eines Versuches ist die Methode immerhin wert. 

Buttersack-Berlin. 

Boas (Berlin), Über die extraanale (unblutige) Behandlung der Hämorrhoiden. 

Münchn. Mod. Wochenschr. 1912, Nr. 5.) 

Der Verfasser empfiehlt eine neue Methode für Beseitigung von Hämor¬ 
rhoiden, die er mittels der Bi ersehen Saugglockenstauung herausgebildet hat. 

Vorbedingung dazu ist einmal, daß die Hämorrhoidalknoten sich mit 
der Saugglocke aus dem Anus prolabieren lassen und dann, daß sich bei 
der Saugglockenanwendung um die Knoten herum ein ödem bildet, das 
sozusagen die Zuführungswege zu den Knoten stranguliert. Die Folge ist 
Thrombusbildung in den Knoten und allmäliges Zugrundegellen. 

Schmerzen sind mit dieser Methode nur wenig verbunden, ebenso sind 
die Blutungen gering. Gangrän tritt nie ein. Etwa eintretende Schmerzen 
werden mit Opium - Belladonnastuhlzäpfchcn, oder mit essigsaurer Ton¬ 
erde und Eisblase, kleine Exkoria.ioncn mit Firol usw. behandelt. Im 
weiteren Verlauf wurden Sitzbäder mit Lysol oder Tannin und Pinselungen 
mit Lugolscher Lösung angewendet. Stuhlgang braucht von Anfang an 
nicht zurückgehalten zu werden und ist ohne Beschwerden zu erzielen, 
ßehandlungsdauer 8—14 Tage. Die Erfolge scheinen gut zu sein. 

Schütze-Darmstadt. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Gouraud, F. X. und Koederer, C., Chirurgische Tuberkulose und Marinorek- 
seruni. (Progres mödioal, 1912, Nr. 6, S. 65—70.) 

Die beiJen Kliniker haben 24 kleine und erwachsene Patienten mit 
Drüsen-Knochentuberkulose u. drgl. mit Marmorekserum behandelt, und zwar 
zunächst mit Lavements von je 5 ccm alle Tage und dann mit Injektionen 
in den Krankheitsherd. Diese letzteren begannen mit •/« bis ‘/ 3 ccm und 
erreichten nie 1,0 ccm. Die Resultate fielen nicht eindeutig aus: 13 günsti¬ 
gen stehen 5 ungünstige und G neutrale gegenüber. Außerdem wurden 
nicht selten fatale Nebenwirkungen beobachtet. Die Autoren raten deshalb 
selber, die chirurgische Tuberkulose lieber zunächst auf andere Weise zu 
behandeln und ihre Methode erst zuletzt anzuwenden (de n’utiliser le serum 
(jue dans les cas oü les autres thSrapeutiques habituelles ont 6chou6). 

Marmorekserum in Lavements schadet nichts. Buttersack-Berlin. 

Pignattl, A. (Camerino), Bau des Bruchsacke.s. (La clinica chirurgica 1911, 
Nr. 12.) 

In Camerino gibt es eine Universität. An deren chirurgischen Klinik 
ist Pignatti Assistent und hatte als solcher Gelegenheit, 22 Bruchsäcke 


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Referate und Besprechungen. 


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002 

histiologisch zu untersuchen. Resultat: das sog. Bindegewebe hypertrophiert. 
die elastische Schicht, die im übrigen Peritoneum stark entwickelt ist, 
atrophiert. Dafür bilden sich neue elastische Fasern, welche jedoch nach 
Größe und Anordnung völlig von den normalen abweichen. 

Buttersack-Berlin. 

Muskat (Berlin), Die Verhütung des Plattfußes. (Arch. f. Kinderheilkunde 
Bd. 57. Heft I—HI.) 

M. fordert, daß bereits in den Schulen Plattfußverhütung getrieben 
wird, daß Kinderärzte und Orthopäden in der Bekämpfung des jugendlichen 
Plattfußes Zusammenarbeiten. Die alte Anschauung, als bestünde eine be¬ 
sondere Neigung gewisser Rassen zur Plattfußbildung, bestehe nicht zu 
Recht. Reiß. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

\YolH, Bruno, Zur Begriffsbestimmung des Infantillsmus. (Areh. f. Kinder- 
heilk.Rd. 57, Heft I—III.) 

W. zählt sämtliche Krankheitsformen in das Gebiet des Infantilismus, 
bei denen als wesentliches Moment eine Hemmungsbildung eine Rolle spieflt, 
vermöge deren ein oder mehrere Organe des Körpers auf kindlicher (bezw. 
fötaler) Stufe der Entwicklung stehen geblieben sind. Reiß. 

Ssokolow (Petersburg), Mors tiiymica et Asthma thymfeum bei Kindern. 
(Archiv f. Kinderheilkunde, Bd. 57. Heft I—III.) 

S. kommt auf Grund eingehender experimenteller Versuche und aus¬ 
führlicher Literaturstudien unter anderen zu folgenden Schlüssen. Es gibt 
keinen plötzlichen Tod infolge Thymusvergrößerung, der letale Ausgang 
in diesen Fällen steht aber im Zusammenhänge mit dem pathologischen 
Zustand des Stoffwechsels des Organismus, von dem auch die Vergrösse- 
rung der Thymus gleich wie der andern Drüsen abhängt. — Mors thymica 
infolge Thymushyperplasie kann nur als Resultat vorangehender Erkran¬ 
kung an asthmatischen Anfällen anerkannt werden. — Asthma thvmicum 
ist eine Erkrankung, die im direkten Zusammenhang mit der Vergröße¬ 
rung der Thymusdrüse steht, diese Erkrankung muß streng geschieden 
werden von anderen, die ihr in den klinischen Erscheinungen recht ähn¬ 
lich sind. — Reiß. 

Feibelmann (München), Ein doppeltes Mascrnrecldiv. (Arcli. f. Kinderheilk. 
Bd. 57, Heft I—III.) 

Während Masernrezidive durchaus keine Seltenheit darstellen, sind An¬ 
gaben über doppelte Masernrezidive sehr spärlich. F. hat 5 Fälle dieser 
Art aus der Literatur zusammengetragen. Wie in seinem Fall war der 
Verlauf der Erkrankung stets ein günstiger. Reiß. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Kuhn (Berlin), Die Lungensnugniaske in Theorie und Praxis. (Verlag Jul. 
Springor, Berlin 1911.) 

Physikalische Behandlung des Asthma bronchiale. (Mediz. Klinik 1910, 
Nr. 42 u. 43.) 

In diesen zwei sehr interessanten Arbeiten verbreitet sich der Verfasser 
über den therapeutischen Wert der Lungensaugmaske (zu beziehen durch 
Gesellschaft für medizinische Apparate, Berlin W. 9, Linkstr. 39). Das 
Prinzip der Maske beruht bekanntlich darauf, die Einatmung in dosierbarer 
Weise zu erschweren. Zugleich kann die Maske auch zur Inhalation von 
Menthol, Terpentinöl usw. benutzt werden. Da diese Maske ein eminent 
praktisches Interesse hat, gehe ich etwas ausführlicher darauf ein. 


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Keiernte und Be»prct:liuugcn. 


ö(jd- 

Wie durch Versuche un Hunden bewiesen ist (indem ein Zelluloidfenster 
in die Brustwand gesetzt wurde), tritt infolge der Maske eine bedeutende 
Hyperämie der Lunge ein. (Man kann dies bei Menschen auch durch Rönt¬ 
gendurchleuchtung feststellen.) Der Blutdruck sinkt infolgedessen nach 20 
Minuten Maskenanwendung erheblich und steigt dann langsam wieder etwas. 
Durch die eintretende Hyperämie, meint der Verfasser, werden Kisnkheits- 
keime direkt vernichtet; dann werden die erkrankten Teile infolge stärkerer 
Nahrungszufuhr besser abgemauert und eingekapselt, was für Vernarbung 
tuberkulöser Herde von größter Wichtigkeit ist. Ferner wirkt die Hyperämie 
günstig auf katarrhalische Erscheinungen der Bronchialschleimhäute, es tritt 
Abnahme des Auswurfes ein bei einfachen, chronischen, sowie tuberkulösen 
Katarrhen. Endlich ist günstige Wirkung auf den Hustenreiz vorhanden, 
indem die sensible Erregbarkeit der Bronchialschleimhaut herabgesetzt wird. 

Durch Ansaugung des Blutes aus den Hohlvenen wird gleichzeitig 
der Lymphstrom befördert, der für Vernichtung und Fortschwemmung von 
Bakterien sehr wichtig ist. (Vergleich mit Schwemmkanal.) Daß dadurch 
schnellerer Transport der Giftstoffe (Toxine) stattfindet, zeigt sich daran, 
daß bei Tuberkulösen im Anfang bei Gebrauch der Maske Temperatursteige¬ 
rung auftritt, die sich aber bald verliert und keine Kontraindikation für 
weiteren Maskengebrauch bildet. Ferner fördert der vermehrte Lymphstrom 
Aufsaugung von Exsudaten und verhindert Verwachsung des Zwerchfelles 
mit der Lungenpleura. Der Autor hebt hervor, daß er ebenso wie pleu- 
litische, auch perikarditische Exsudate schnell habe unter Saugmaskenwir¬ 
kung verschwinden sehen. Ein Vorzug der Maskenatmung vor den ge¬ 
wöhnlichen Tiefatemübungen ist, daß trotz Hyperämie und energischer 
Lymphbeförderung die Lungen relativ ruhig gestellt werden. Es findet 
nämlich verringerte Zwerchfellatmung und erhöhte Rippenatmung statt, es 
bleibt aber der für Ausdehnung der Lungen verfügbare Raum kleiner als 
bei freier Atmung. (Dies auch auf Röntgenbildern sichtbar.) Lungenbluten 
tritt bei der Saugmaske fast nie ein. Dagegen wird die Atemmuskulatur 
bedeutend gestärkt und der Brustkorb wird geweitet. (Es wird das erreicht, 
was man sonst durch Durchschneidung der oberen Rippenknorpel zu er¬ 
reichen suchte.) Cyrtometrische Messungen zeigten, daß bei einem 17 jähr. 
Mädchen in ca. 2 Monaten der Tiefendurchmesser des Brustkorbes um 
5‘/* cm zunahm, während der seitliche Durchmesser etwas abnahm, dabei 
ist aber nicht wie beim Emphysem Volumen auctum eingetreten. 

Außer der Wirkung auf die Lungen hat nun aber die Anwendung 
der Saugmaske noch manche andere sehr erwünschte Folge. Es wird die 
Blutbildung angeregt (ähnlich wie beim Aufenthalt in Höhenklima) näm¬ 
lich durch verminderte 0 S Spannung (akuter Sauerstoffmangel beim Masken¬ 
gebrauch). Der Autor hebt hervor, daß die Resultate, die nach vielhun¬ 
dertfacher Erfahrung mit der Saugmaske bei Blutarmut und Bleichsucht 
erzielt wurden, so günstig und überraschend sind, daß alle arzneilichen 
Mittel wie Arsen, Eisen usw. bei der Behandlung überflüssig erscheinen. 
Das Herz wird bei der Saugmaskenanwendung infolge des im Brustkorb 
Herrschenden negativen Drucks besser durchblutet und ernährt (wobei immer 
noch hervorzuheben ist, daß bessere Atemtätigkeit das Herz bei der Blut¬ 
zirkulationsregulierung bedeutend unterstützt). Es werden also subjektive 
und objektive Zustände von Herzschwäche und Herzinsuffizienz erheblich 
gebessert, Pulskurven beweisen das. 

Bei Lungenentzündung soll die Maske eine schnellere Lösung beför¬ 
dern, doch ist sie kontraindiziert bei Pneumonie mit frischer trockener 
Pleuritis, weil dabei Hustenreiz ausgelöst wird. Auch bei chronischer Pneu¬ 
monie oder verzögerter Lösung soll sich die Maske sehr bewähren. 

Als Nebenwirkung der Maske ergeben sich infolge einer gewissen Ge- 
hirnanämie Schlaf und Verlangsamung der Atemzüge. 

Um nun noch auf die spezielle Wirkung der Maske bei Asthma bronchiale 
und Emphysem einzugehen, sei noch folgendes hervorgehoben: die Maske 
wirkt vor allem durch Erzwingung der natürlichen Nasenatmung — also 


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504 


Referate und Besprechungen. 


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einer, der krankhaften entgegengesetzten Atmungsform, ferner \ i d durch 
Verringerung der Zwerchfellatmung der Lungenblähung entgegengearbeitet, 
die Brustmuskulatur gekräftigt und durch vermehrte Blutansaugung der 
Gas Wechsel in den Lungen erleichtert; dann kommt die schlaf machende 
Wirkung als sehr hilfreich hinzu und die Beeinflussung des Vaguszcntrums 
iin Sinne eines Na.chlassens der Luftröhrenkrämpfe. 

Es wird dann ausgeführt, daß diese Einatmungsgymnastik besser und 
richtiger sei als die mit allen möglichen Mitteln versuchte Ausatmungs¬ 
gymnastik. Dabei wird hervorgehoben, daß die theoretisch mögliche An¬ 
nahme, eine Erschwerung beider Atemphasen (Einatmung durch Maske und 
Ausatmung infolge der Erkrankung) den Patienten schädige, sich als irrig 
erwiesen hat. Dann hilft auch das durch die Maske verminderte Brustraum¬ 
volumen das Volumen auctum pulmonum verkleinern. 

Die Unschädlichkeit des Verfahrens wird nochmals betont, Nebener¬ 
scheinungen zeigen sich kaum und als Kontraindikation gelten nur sehr 
starke Herzschwäche und frische trockene Pleuritis. 

Einige Röntgenbilder sind beigegeben, die allerdings leider fast alle 
mit zu harten Röhren aufgenommen sind. Schütze-Darmstadt. 

Bergoniö und Spöder, Die Verkalkungen der Bursae synoviales Mibacromlo- 
deltoideae (Duplay’sche Krankheit) in radiologischer Hinsicht. (Illustrirt.) 
(Paris medical 6. 1, 1912.) 

Diese Verkalkungen geben im Röntgenjdlie Schatten, welche leicht 
zu Verwechslungen mit Rißbrüchen des Tuberculum maius humeri führen. 
Die alsbald nach solchem Bruch zu sehenden Schattengrenzen der abge- 
lissenen Fragmente sind schärfer, während jene Verkalkungen ein ver¬ 
schleiertes, wie mit dem Kohlewischer gezeichnetes Bild geben.. Zudem treten 
sie oft symmetrisch auf. Seltener mag ein Dermoid der Schultergcgiüd 
noch größere diagnostische Schwierigkeit bereiten; ferner kommen der 
chronische deformierende Gelenkrheumatismus, die Synovitis ossificans mit 
mit synovialen Osteomen, die Periostitis tuberculosa et syphilitica mit Se- 
questerbildungcn in Betracht. — Diese Verkalkungen sind Rildungspro- 
flukte einer chronischen Entzündung. Bei Gicht finden sich statt des 
Kalkes Urate. Nach Schulterverletzungen, Verstauchungen, Verrenkungen, 
die rite reponiert wurden u. dgl. zeigen sich, wo solche Verkalkungen be 
reits bestanden, rascher oder langsamer zunehmend, durch Exazerbation 
des zu jenen Ablagerungen führenden Prozesses bewirkte Schmerzen und 
davon abhängige Bewegungsbeschränkungen. Besonders die Abduktion, di.' 
Rückwärtsstreckung und die Erhebung über die Wagerechte sind gehemmt. 
Die ganze Deltoideus-Gegend ist druckempfindlich. Schmerzlinderung bringt 
die Diathermie („Bier profond!“) und die Galvanisation, welcher später zur 
Bekämpfung der Inaktivitätsatrophie des Deltamuskels die Faradisation 
dieses Muskels folgen soll. Kälte und Feuchtigkeit schaden. Man beschränk.' 
die Nukleo-Albumine der Nahrung. Für sehr hartnäckige Fälle kommen 
Ausschabung der Schleimbeutel (die häufiger anastomosieren) und endlich 
Ausschneidung dieser Organe in Betracht. 

Rosenberger. 

Immelmann (Berlin), Der derzeitige Stand der Röntgentherapie in der 
Gynäkologie. (Medizin. Klinik 1912, Nr. C.) 

Der sehr bekannte und erfahrene Röntgenologe referiert kurz, klar 
und sehr vorsichtig über Erfolge und Mißerfolge bei der therapeutischen 
Anwendung der Röntgenstrahlen in der Frauenheilkunde. 

Er hebt hervor, daß man jetzt gelernt hat, das Quantum der Strahlen 
zu bestimmen, das nur zur vorübergehenden Schädigung der Ovarien führt 
(zeitweise Kastration) und dasjenige, welches dauernde Atrophie bewirkt. 
Durch Anwendung von Kompression und Felderbestrahlung ist es geglückt. 
Hautschädigungen zu vermeiden. Die Häufigkeit der Bestrahlungen hängt 
vom Leiden und dem Zustand der Patientinnen ab — jedenfalls muß nach 
einer Serienbestrahlung eine dreiwöchige Pause gemacht werden. 



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Kdrraie und beni>rechuugen. 


Ö03- 

Schöne Erfolge bot die Behandlung schon bei geringer Dosierung bei 
Menstruationsanomalien. Auch bei Myomen ist sie in */.— i / i der Fälle 
von entschiedenem Nutzen. Hervorzuheben ist, daß der Erfolg ein schnellerer 
ist, je kürzer die Patientin vor dem Klimakterium steht. Verfasser stein 
auf dem Standpunkt, daß man berechtigt ist, zunächst jedes Myom mit 
Röntgenstrahlen zu behandeln — bei Mißerfolg bleibt die Operation immer 
noch. Die Art des Myoms, ob subserös oder intramural — scheint keine 
besondere Bedeutung zu haben. 

Auch starkausgeblutete Patientinnen darf man bestrahlen, zumal man 
oft gar keine andere Wahl hat. 

Von primären Mamma- und Uteruskarzinomen solle man mit Bestrah¬ 
lungen fern bleiben, diese gehören dem Chirurgen bei Rezidiven erzielt 
man bei Bestrahlung bessere Resultate. 

Auch Pruritus vulvae wird in der Hälfte der Fälle durch Bestrahlung 
günstig beeinflußt. 

Zur Einleitung des Abortes empfiehlt .1. die Röntgendrahlen nicht, wohl 
aber zur vorübergehenden Sterilisation (z. B. bei Herzerkrankungen, Tuber¬ 
kulose, Lues usw.). Schütze-Darmstadt. 

Das Archiv für physikalische Medizin und medizinische Technik, heraus¬ 
gegeben von H. Kraft (weißer Hirsch) u. B. Wlesner, Aschaffenburg. Verlag 
von O. Nemnich, Leipzig, bringt im 3. Heft des VT. Bandes 1912 

Zwei Arbeiten von Ärzten slavischer Zunge. 

Ed. Slavik (Prag) hat einen Aufsatz übersetzt, welchen er bereits 
im Oktober/Dezember 1910 und Januar/Februar 1911 in den Annales d’ 
Electrologie et de Radiologie publiziert hatte. Auf ca. 70 Seiten wird 
in polemischem Tone und mit Heranziehung der höheren Mathematik zu 
beweisen gesucht, daß die d’Arsonvalisation ein Heilmittel für die Arterio¬ 
sklerose — selbst bei sehr vorgeschrittenen Formen — sei. Das hätte 
man auch kürzer und schmerzloser erfahren können; denn für die vielen 
Deutschen, die heutzutage glücklicherweise Sinn für die Ästhetik der Sprache 
haben, ist das Deutsch des Prager Kollegen keine reine Freude. 

Ähnliches gilt von dem Beitrag zur Methodik der Licht¬ 
therapie von A. Spanbock (Warschau). Er hat einen „Universal“- 
Apparat konstruiert, welcher 4 elektrische Birnen und 2 Röhrenlampen 
so angeordnet enthält, daß er für alle Körperteile anwendbar ist. Man 
kann damit Muskel- und Gelenkrheumatismus, Gicht, Lungenspitzenerkran¬ 
kungen, Pleuritis. Interkostalneuralgien, Ischias, Nieren-Magen-Darmleiden, 
gynäkologische Erkrankungen usw. behandeln. (Fabrik: Veifa-Werke in 
Frankfurt a. M. Preis: M. 200.) 

Wie schwer die deutsche Sprache ist, erhellt auch aus diesem Auf¬ 
satz. „Daß die violetten Sonnenstrahlen durch die Schlammschicht dringen, 
und je mehr diese Strahlen einwirken, desto intensiver äußert sich der 
Heilerfolg“: dieser Satz (S. 159) ist mir unverständlich geblieben, und 
ähnlich noch mancher andere. Wenn die Autoren unsere Muttersprache 
nicht beherrschen, könnte dann nicht die Redaktion über jus et norma 
loquendi wachen? Aber das ist allerdings eine fatale Zumutung; „denn der 
Sinn ist selbst in fehlerfreiem Deutsch geschriebenen medizinischen Ab¬ 
handlungen oft nur schwer zu enträtseln,“ klagte schon E. Pflüger. 

Buttersack-Berlin. 


Medikamentöse Therapie. 

Werner, H., Erfahrungen mit dem Inslpin, einem fast völlig geschmack- 
loten Chininpräparat, bei Malaria. (Arch. f. Schiffs- u. Tropenhygiene 16. Bd., 
Beiheft 1.) 

I n s i p i n , das Sulfat des Chinindiglykolsäureesters, ist ein neues ge¬ 
schmackloses Chininderivat von stark antiparasitärer Wirkung. Im Chinin¬ 
gehalt steht es mit 72,2 o/o dem Chininsulfat — 72,8 <>b — annähernd 
gleich. Der Verfasser hat das Insipin hm der Behandlung der Malaria zur 


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Kelerale und ticspreuiluugeu. 


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Anwendung gebracht und dabei eine stark antiparasitäre Wirkung beob¬ 
achtet. Die ungeschlechtlichen Parasiten verschwanden meist schon bei Dosen 
von 6 mal 0,2 g Insipin pro Tag, und die Patienten wurden fieberfrei. In 
der Wirkung wird 1 g Chininchlorhydrat durch 1,5—2,0 g Insipin ersetzt. 
Das Präparat ist den bisher üblichen Chininabkömmlingen hinsichtlich seiner 
antiparasitären Wirkung mindestens gleichwertig, ist diesen jedoch an Ge¬ 
schmackfreiheit überlegen. Besondere Beachtung verdient es in der Kin¬ 
derpraxis. R. 


Vergiftungen. 

Schilling (Leipzig), Margarine Vergiftungen. (Arch. für Verdauungskrank- 
Leiten 1911, Bd. 17, H. 6.) 

Im Hinblick auf die vorjährigen Margarinevergiftungen erörtert Schil¬ 
ling alle die Möglichkeiten, durch welche Margarine giftig sein kann. Und 
da ergibt sich dann die sehr bemerkbare Tatsache, daß es eine große 
Reihe von Momenten sind, durch die Giftstoffe in die Margarine gelangen. 
Einmal kann aus mannigfachen Gründen das Tierfett, das zur Margarine¬ 
bereitung verwendet wird, Giftstoffe (Zersetzungsprodukte usw.) enthalten 
— dann aber wird neuerdings durch Verwendung unerprobter oder ver¬ 
unreinigter pflanzlicher Substanzen eine erhebliche Möglichkeit für giftige 
Ölverwendung (Fettgifte oder auch Eiweißgifte) zur Margarinefabrikation 
geboten. (Ricin, Abrin, Cardomon usw.) Diese Gifte sind z. T. stärker 
giftig als Strychnin. 

Endlich kann durch Färbezusatz zur Margarine blausäurehaltiger Stoff 
zugeführt werden. Ja sogar das gesetzlich vorgeschriebene Sesamöl kann 
durch 01. paraff. flav. verunreinigt sein und wirkt dann stark giftig. 

Der Verfasser gibt dann als Probe auf Sesamöl und dadurch auf 
Genuß von Margarine Eisessigfurfurol an. 

Diese Arbeit reizt nicht gerade zum Genuß von Margarine an. Und 
es müßte vor allem im Interesse des kleinen Mannes verlangt werden, 
daß das Gesetz viel strenger von den Margarinefabrikanten verlangt, keinerlei 
unerprobte und nicht genau analysierte Stoffe ihrem Gemisch zuzusetzen, 
und daß von Staatswegen eine sehr scharfe Kontrolle dieser Mischanstal¬ 
ten ausgeübt würde, damit man vor ähnlichen Erfahrungen bewahrt bleibt, 
wie sie im vorigen Jahr gemacht sind. Schütze-Darmstadt. 

Rosenberger, F. (München), Ein Fall von Vergiftung mit Zinnober. (Central¬ 
blatt f. allg. Gesundheitspflege, 30. Jahrg., H. 10 u. 12). 

Der Fall, der wegen seiner Allgemeinsymptome zuerst den Verdacht 
auf Tuberkulose erregte, betraf eine Malerin, die gleichzeitig mit ihren 
Freundinnen in ihrem Schlafzimmer an dem Gewände einer großen Statue 
viel mit roter Farbe gearbeitet hatte. Die Untersuchung dieser — viel 
Substanz war nicht mehr vorhanden — ergab, daß es sich wohl zweifellos 
um Zinnober gehandelt hatte und die ganze Krankheit daher wohl akuter 
Merkurialismus war. (Die Pat. hatte kariöse Zähne.) Aussetzen der Be¬ 
schäftigung u. a. brachte Heilung. Peltzer. 


Allgemeines. 

Eschle, Fr. C. R. (Sinsheim), Rückkehr zum HausarzGSystem. (Allgen>. 
Beobachter 1911, I. Jahrg., Nr. 15, 1. Dezember. 

„C’est toujours la meme lutte entre l’instinct retrograde et 
l’esprit progressif“ (Aug. Comte, Sociologie 1897, S. 245.) Dabei 
gehört zum Instinct retrograde nicht bloß der Ruf: Zurück zur Antike! 
oder: Zurück zu Kant! u. dgl., sondern schon allzulanges Verharren 
auf irgend einem Standpunkt; denn bei dem steten Fließen alles Irdischen 
wird jeder Stillstand sofort zum Rückschritt. Die gegenteilige Gemütsver¬ 
fassung kommt in der Schilderung des Apostels Paulus von den Athenern 
zum Ausdruck: «c ovdkr etfqov tjvxaigovv ij Xeyeiv 11 fj äxovstv ti xatv&tegor. 


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ltrferale und Besprechungen. 


507 

. So müssen auch wir unsere Standpunkte immer wieder revidieren und 
darauf gefaßt sein, daß die Strömungen von gestern heute nicht mehr 
seitgcimäß sindJ Die Bakteriologie ist ein klassisches Beispiel von der 
inutatio rerum. Flut und Ebbe kann an ihr auch ein wenig geübtes Auge 
leicht erkennen. Aber noch tiefer greifende geistige Umwälzungen hat 
Esc hie im Sinne. Der analytische Geist der Zeit hat auch vor dem 
Individuum nicht halt gemacht, sondern das Kunstwerk des Organismus 
in immer kleinere Teile zerlegt. Ersichtlich ist dabei das Streben nach 
Exaktheit im Detail den Forschern über den Kopf gewachsen. In einem 
logischen Irrtum hielt man diejenigen, welche sich studienhalber mit irgend 
einem Teil bezw. Organ speziell abgegeben hatten, auch für die besten 
Therapeuten, und so entstand die Kaste der Spezialisten. Gleichzeitig hatten 
geschäftige ltedner und Artikelschreiber über die einzelnen Organe „aufgee 
klärt“, und so glaubte der „gebildete'* Patient sich eine Art von Kontrolle 
anmaßen zu können. Kein Wunder, daß unter diesen Verhältnissen der 
Arzt von seinem alten Piedestal heruntergerissen wurde und seinen Platz neben 
den Gewerbetreibenden angewiesen bekam. 

Aber endlich — meint Esc hie — scheint dem Publikum wie der 
Ärztewelt die Einsicht zu kommen, daß diese Situation nichts Ersprießliches 
leistet, daß vielmehr der Mensch wieder synthetisch als organische Einheit 
nach seiner speziellen Konstitution und in seiner Beziehung zu seinem 
Milieu beurteilt sein will. Aber dazu reicht handwerksmäßige Geschicklich¬ 
keit nicht aus; dazu sind künstlerische Fähigkeiten erforderlich, insbesondere 
künstlerische Fähigkeiten im Bereiche des Psychischen, and so sieht Eschle 
die Zeit heranrücken, in welcher der universell gebildete Haus- und Fami¬ 
lienarzt wieder zum Typus des wahren Arztes werden wird. Ich glaube, 
Eschle hat Recht. Aus persönlicher Erfahrung ist mir bekannt, wie 
lebhaft viele Patienten neben ihrem oder ihren Spezialisten noch das Be¬ 
dürfnis nach einem Arzt-Freund empfinden, der ihnen nicht den Uterus 
auskratzt oder die Magensäure bestimmt, sondern der mit ihnen die großen 
und kleinen Widrigkeiten des Gesamtlebens teilt und je nach ihrer Kon¬ 
stitution seine Ratschläge erteilt für Angelegenheiten, die gar nicht in 
den Rahmen der ärztlichen Prüfungsordnung fallen, oder der — in ver¬ 
zweifelten Fällen — wenigstens Zeit hat für sie und ihren Kummer. 

Ähnliche Fragen haben schon früher die ärztliche Welt bewegt. 
Medicum virum bonum prudentemque et esse et dici oportet, schrieb 1614 
Roderich a Castro, während Carl Patinus vom Spezialisten urteilte: 
Mihi medicu ille frigidus et insulsus habetur qui literarum amoenarunt 
prorsus imperitus nihil aliud quam purgare, secare, urere valeret, et ad 
dolorem duntaxat carnificinamque natus esse videatur. 

Buttersack-Berlin. 

Austerlitz, Wilhelm (Pleuseuburg), Die medizinische Terminologie. (Ärztl. 
Standeazeit. [Die Heilkunde], 1911, Nr. 18.) 

Ein besonders auffallender Mangel der medizinischen Terminologie ist, 
daß man für gewisse Begriffe, die zu einer gewissen Kategorie gehören, 
ein einheitliches, kennzeichnendes Suffix festgesetzt hat, nur wird leider 
diese Regel nicht konsequent durchgeführt. So wird die Entzündung durch 
das Suffix itis bezeichnet. Dieses „itis“ wird aber zumeist der griechi¬ 
schen Bezeichnung angefügt, daher heißt die Entzündung des Uterus: 
Me tr itis, diejenige der Vagina: Colpitis, der Venen: Phlebi¬ 
tis, des Präputiums: Balanitis, während es doch einfacher und 
natürlicher: Vaginitis, Uteritis usw. heißen könnte, um so mehr, 
da doch in den Wörtern Bursitis, Gingivitis, Tonsillitis usw. 
das „— itis“ dem lateinischen Stammworte angeschlossen wurde. Wenn 
die Entzündung der Sehnenscheide „t e n d o v a g i n i t i s“ heißt, warum 
sollte dann die Entzündung der weiblichen Vagina auch nicht schlecht- 
wegs „Vaginitis“ heißen? Ganz verfehlt ist es den entzündeten 
„ductus d e f e r e n s“ als ,,I) e f e r e n i t i s“ gelten zu lassen; hier er¬ 
hielt nicht das Organ, sondern das Partizip „deferens“ das Entzündung 


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Referate und Besprechungen 


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charakteriaierende itis“ Suffix. Nicht minder komisch war es, .die 
Entzündung der glandula bulbourethralis „Bartholinitis“ zu benennen, 
was eigentlich sagen will, daß der dänische Anatom Bartholin in Ent¬ 
zündung geraten sei. 

Es gibt ferner Entzündungen, die der „—itis“-Endung entbehren; 
so die Pneumonia, Lungenentzündung, Phlegmone, Entzündung des 
Unterhautzellgewebes. Dem gegenüber enden auf itis“ folgende, keine 
Entzündung darstellende Krankheiten: R h a c h i t i s und Diphtheritis; 
bei letzterer gelang es wohl, dieselbe auf Diphtheria umzutaufen. Ein 
anderes, die Neubildungen charakterisierendes Suffix ist: „-Oma 1 '; z. B. 
Chondrom a, Carcinoma. Fibroma usw.; in gar keiner Beziehung 
zu den Neubildungen stehen aber: Glaukoma und Trachoma. Die 
Hernien werden griechisch „Kele“ genannt; darum heißt der Darmbruch 
richtigerweise: Enterokele, der Netzbruch: Epiplokele, der Blasen¬ 
bruch: Cystokele usw. Was hat aber dann das Wort „Hy d rekele“ 
unter den Brüchen zu suchen, da es doch bloß die zwischen den Blättern 
der t u n i c a vaginalis des Hodens transsudierte oder exsudierte Flüssig- 
kiit bezeichnet? Zu vielen Mißdeutungen bietet auch der Umstand 
Anlaß, daß gar oft zueinander durchaus nicht gehörige Begriffe mit einem 
gemeinsamen Namen bezeichnet werden. So verstehen wir unter „Gang¬ 
lion“ die bekannten Nervenknoten, anderenteils die in der Nachbarschaft 
von Gelenken und Sehnen auftretenden gallertigen Zysten. „Angina“ 
nennen wir die Entzündungen der Gegend des isthmus faucium; unter 
angina pectoris verstehen wir eine Herzbeklemmung. C a r d i a 1 g i e 
bedeutet Magenschmerzen, die sich auf die Cardia des Magens beziehen; 
Cardiasthenia hingegen nennen wir die Herzschwäche. Unter „Meco- 
niuin“ versteht man in der Geburtshilfe das Kindspech, in der Phar¬ 
makologie den Mohnsaft. „Salpingitis“ nennt der Gynäkologe die 
Entzündung der Muttertrompete, der Otologe hingegen die Entzündung 
der Ohrtrompete. Wenn von Ammoniak die Rede ist, so vermag 
der Leser bloß aus dem darauffolgenden Texte zu schlußfolgern, ob es 
sich um Ammoniakharz oder um Salmiaksalz handle. 

S. Leo. 

Grassberger, Roland (Wien), Der Einfluß der Ermüdung auf die Produktion 
ln Kunst und Wissenschaft. (Leipzig u. Wien, Franz Deuticke 1912, 43. S.) 

Der Professor der Hygiene in Wien setzt der Vorstellung, daß die 
Ermüdung die Produktionsfähigkeit des Zentralnervensystems herabsetze bezw. 
auf hebe, diese andere entgegen, daß sie dieselbe verändere, in 
andere Bahnen lenke und somit eigentümliche positive Wirkungen auf die 
Psyche ausübe. (Man könnte die Verschiedenheit der Wärme- und der 
Kältestrahlen als Analogon heranziehen. Ref.) Sind unsere psychischen 
Energien im Wachen, bei der Aufmerksamkeit konzentrisch, auf einen 
bestimmten Mittelpunkt ungeordnet, so haben wir bei der Ermüdung eine 
itio in partes, eine zentripetale, Zerstreuungstendenz. Das Wesen der Kunst 
besteht darin, diese Bruchstücke der Phantasie ordnend zusammenzufassen. 
Woher diese Bruchstücke stammen, ist zumeist dunkel; daher die Ver¬ 
wandtschaft mit der Mystik, welche auch Vertreter in den so exakten Natur¬ 
wissenschaften aufweist, „Ostwald, der durch das Esperanto in das 
Ido entfliehen will, Ehrlich mit seiner farbenreichen, etwas pedanti¬ 
schen Symbolik, sind das nicht Humoristen, Mystiker?“ (S. 25). — 

Dieser Satz klingt an K. E. v. B a e r an, welcher in einer Rede über 
das allergemeinste Gesetz der Natur in aller Entwicklung schon vor fast 
einem Säkulum (1834) gesagt hat: „In diesem Augenblicke gibt es offenbar 
mehr Mystiker unter den Naturforschern als Freigeister;“ und wenn wir 
an die Begeisterung für das zunächst mysteriöse Tuberkulin, für das ge¬ 
heimnisvolle Serum, für das komplizierte Mittel 606 denken, und anderer¬ 
seits an die geringe Aufnahmefähigkeit für ganz einfache Wahrheiten, dann 
erkennen wir leicht, daß in der wissenschaftlichen Flagge unserer Zeit 
die Mystik einen breiten Raum einnimmt. 



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Refrrate und Besprechungen 


509 

Eine These, die m. E. nicht ganz stimmt, sei aus dem interessanten 
Vortrag noch herausgegriffen: das Zölibat könne die geistige Schaffenskraft 
jm höchsten Grade steigern (S. 30). Vielleicht dachte der Verfasser dabei 
an Filippino Lippi, Spinoza und Beethoven. Aber im allge¬ 
meinen ist die Welt- und die Kulturgeschichte doch von verheirateten 
Männern gefördert worden oder von solchen, die man nicht gerade als 
Zölibatiire bezeichnen kann. Und das ist auch ganz natürlich; denn nicht 
die Einsamkeit, sondern das Ewig-Weibliche zieht uns hinan. 

Buttersack-Berlin. 

Tugendreich (Berlin), Statistik der Erfolge von FiirsorgemaOnahmen. (Aich, 
f. Kinderheilkunde, Bd. 57, Heft 1—III.) 

T. empfiehlt die Maßnahme, Personalbogen oder Gesundheitskarten an¬ 
zulegen für jedes in Fürsorge tretende Individuum, in die jede einzelne 
fürsorgerische Instanz ihre Wahrnehmungen einträgt. In Berlin sollen die 
von den Standesämtern jungen Eheleuten empfohlenen Familiensta.nm- 
bücher ausgebaut und für Eintragungen dieser Art benutzt werden. 

Reiß. 

Heicke, (Gartendirektor, Frankfurt a/M.) Gartenbau und Gartenkunst 
In ihren Beziehungen zur Gesundheftspfleire. (Contralbl. f. allg. Gesundheitspfl., 
30 . Jahrg., H, 10—12.) 

Auf den Unterschied zwischen Gartenbau, der bloßen Pflege des Gar¬ 
tens, und Gartenkunst, der vervollkommneten Betriebsform mit ihren Glas- 
Mausern und Veredelungsverfahren, braucht hier, als für die Gesundheits¬ 
pflege belanglos, nicht naher eingegangen zu werden. Daß die Beschäftigung 
mit ihnen eine gesunde ist, liegt an der den Anforderungen der Pflanzen¬ 
zucht angepaßten naturgemäßen Tageseinteilung und geregelten Lebens¬ 
weise (Frühaufstehen, beständiger Aufenthalt in frischer Luft, körperliche 
Beschäftigung usw.), er ist aber kein Beruf für schwächliche und gesund¬ 
heitlich nicht intakte Menschen, wie so vielfach geglaubt wird. Die Tätig¬ 
keit ist immerhin anstrengend, und der Gärtner muß jeder Witterung im 
Sommer und Winter, bei Nässe und Kälte sowie dem empfindlichen Wechsel 
der Temperatur in den oft überheizten Gewächshäusern und der Außenluft 
gewachsen sein. Erfreulich ist, daß sich in den letzten Jahren die Er¬ 
kenntnis von der Notwendigkeit der Spiel- und Sportbetätigung für die 
Gesunderhaltung unserer Jugend immer mehr durchgesetzt hat und daß 
bei den heutigen Gartenschöpfungen innerhalb der Städte nicht mehr allein 
ästhetische, sondern in erster Linie nach englischem und amerikanischem 
Muster auch praktische Gesichtspunkte im Hinblick auf den Sport ma߬ 
gebend sind. Als Beispiele führt (mit Zeichnungen) H. die bezüglichen 
neueren Anlagen in Frankfurt a. M. an. Peltzer. 

Dassy de Ligniäres, Spielkarten als Krankheitsüberträger. (Gaz. möd. de 
Paris 1912, Nr. 133, S. 48/49.) 

Drei tödlich verlaufene Typhusfälle hei jungen Leuten, welche zusam¬ 
men Karten zu spielen pflegten, brachte Dr. Dassy auf den Gedanken, 
den Typhusbazillus auf diesen Karten zu suchen; und in der Tat fand 
sich darauf la camarilla de tous les microbes de la creation: Typhus-, 
Tuberkulose-, Eiter-, Diphtherie-, Erysipelas-, Angina-Bazillen; sogar der 
m. W. noch gar nicht entdeckte Scharlachbazillus wurde nachgewiesen. 
Die Prophylaxe ergibt sich von selbst. 

Es ist ein hübscher Einfall, das Danaergeschenk der Kartenspiele als 
Rache der Mauren für die Niederlage von Tours und Poitiers zu deuten, 
sowie die Karten gleichzeitig als Bringer des Goldes und des Todes zu 
betrachten. „Nous pouvons, d’un coup, remplir vos poches d’or; mais sur 
nos 6cailles visqueuses, rampent tous les germes de la mort!“ 

Buttersack-Berlin. 

Matllet, F. (Montpellier), Das Unterhautgewebe als Verteidigungsapparat 
(Le tlssu celluiaire tsouscutanä dang la defense de l’orgaulsme de l’enfant). 
(Progres mödical 1912, Nr. 7, S. 81—84.) 

Der vorliegende Aufsatz ist nach verschiedenen Seiten hin interessant. 
Zunächst einmal dadurch, daß das Rindegewebc nicht als ein mehr oder 


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Biiclier>iiiau 


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weniger wertloses Füllsel betrachtet wird, sondern als ein Gewebe, 
welches den Hauptteil des Stoffwechsels besorgt. Daß Störungen in der 
Subkutis die Haut gegen Infektionen vulnerabler machen, daß Hypo- und 
Hypertrophie fadipositas) den Stoffwechsel stören, folgt aus dieser Prämisse 
in müheloser Logik. 

Noch merkwürdiger indessen ist, daß diese Arbeit in Montpellier 
geschrieben wurde. Nur dort war es. möglich, mit dem Satze zu beginnen. 
„II y a longtemps qu’on ne limite plus ä un simple röle de remplissage 
la fönction du tissu cellulaire ou tissu conjonctif lache.“ Denn ein Mömpel- 
garder Professor, Th. Bordeu. ist es gewesen, welcher vor anderthalb 
Jahrhunderten das Zellgewebe als ein physiologisch bedeutsames Organ auf¬ 
zufassen lehrte (in seinen Recherches sur le tissu muqueux ou l’organe 
cellulaire). Anscheinend weiß Maillet nichts mehr von diesem genialen 
Vorgänger; wenigstens führt er ihn in seiner Bibliographie nicht auf. Es 
gibt also offenbar einen Genius epidemicus nicht bloß im Gebiet der Infek¬ 
tionskrankheiten, sondern auch im Ablauf der psychischen Prozesse. 

Buttersack-Berlin. 


Bücherschau. 


Riedels Berichte — (Riedols Mentor 1912.) 

Als wir im Vorjahre Riedels Berichte besprachen, konnten wir darauf 
hinweisen, daß der Herausgeber derselben ein neues, besonders die Ärzte¬ 
welt interessierendes Gebiet in den Bereich der Berichterstattung gezogen 
hatte, nämlich dadurch, daß er als zweiten Teil eine pharmako-thera- 
peutische Übersicht über die wichtigsten Veröffentlichungen aus der medizini¬ 
schen Literatur, kurze Auszüge aus Fachzeitungen, Dissertationen usw. ein¬ 
fügte, aus welcher sich der vielbeschäftigte Arzt leicht über den derzeitigen 
Stand eines Arzneimittels informieren konnte. Diese Neuerung hat in den 
Kreisen der Mediziner allgemeine Anerkennung gefunden, so daß die Firma 
J. D. Riedel A.-G. diese Rundschau beibehalten und weiter ausgebaut hat. 
Neben den bekannten Riedelschen Sonderpräparaten werden auch alle andere«! 
ernsthaften und aussichtsreichen Arzneimittel kurz und sachlich besprochen: 
wir nennen nur: Adalin, Adrenalin, Amidoazotoluol, Aperitol, Aponal, Ato- 
phan, Bolus sterilisata, Bornyval, Bromural, Digitalispräparate, das neue 
Eosin-Selenpräparat Wassermanns, Fybrolysin, Givasan, Gonosan, die neuen 
Jodpräparate Jodipin, Jodival, Jodostarin, Lipojodin, ferner Mergal, Meso¬ 
thorium, Ovogal, Pantopon, Perhydrol, Pituitrin, Radiumpräparate, Salipyrin, 
Salvarsan, Scopomorphin, verschiedene Sera und Silberpräparate, Veronal, 
Xerase und Yohimbinpräparate. Besonders beachtenswert erscheint uns der 
Aufsatz über die Frage der Stechmückenvertilgung nach Giemsa (Seite 
113), weil dadurch z. B. die Malaria erfolgreich bekämpft werden kann. 

I>it> anderen Arbeiten behandeln Themata, die hauptsächlich die Apotheker 
und Chemiker interessieren; im dritten Teile, dem eigentlichen Mentor, werden 
wie seit Jahren, die Zusammensetzung, Eigenschaften und Anwendung neuerer 
Arzneimittel, Spezialitäten und technischer Produkte kurz aber prägnant 
besprochen, im vierten Teile die Riedelschen Sonderpräparate nach Anwen- ■ 
düng und Handelsform. 

Der vorliegende Jahrgang dürfte sicherlich ebenso wie die früheren 
Ausgaben auch in Ärztekreisen Beachtung finden, umsomehr als die Be¬ 
richte auf Wunsch kostenlos zugeschickt werden. R. 

Scholz,' L., Anomale Kinder. Berlin 1912. Verlag Karger. 442 Seiten. 
Preis 10 Mk. ’ 

Das von einem Praktiker geschriebene und für den Praktiker (nicht 
lediglich den Arzt) in erster Linie bestimmte Buch ist vor allem in dia- 



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Notixen. 


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gnostischer Hinsicht sehr lehrreich, indem es in sehr ausführlicher Weise be>- 
sonders die Affekt- und Willensstörungen des Psychopathen behandelt. Da¬ 
bei wird aber neben der Epilepsie usw. auch die oft nicht leichte Erkennung 
der Schwachsinnszustände in dem vorschulpflichtigen Alter bis in die aller¬ 
jüngste Kindheit hinein sorgfältig berücksichtigt. In ergiebiger Weise 
wird schließlich die Behandlung und die soziale Fürsorge besprochen. 

Zweig-Dalldorf. 

Hellpach, W. (Karlsruhe), Die geopsychisehen Erscheinungen. Wetter, Klima 
and Landschaft in ihrem Einfluß auf das Seelenleben. Leipzig 1911. Verlag 
Engelmann. 368 S. Preis geh. 6Mk., geb. 7.20 Mk. 

Auf dem großen Gebiet der geopsychischen Erscheinungen existiert 
nicht lediglich Vermutung, Kombination und Aberglaube, sondern bereits 
eine ganze Fülle von Tatsachen, deren systematische experimentelle Er¬ 
gänzung und Bearbeitung in Angriff genommen zu werden verdient. Im 
Rahmen unserer heutigen psychologischen Institute ist dies allerdings nur 
in sehr bescheidener Weise möglich. Den zukünftig event. zu verwenden¬ 
den Methoden widmet H. ein besonderes Kapitel. Die weitere Hauptein- 
teilung des Buches ist bereits aus dem Titel ersichtlich. Daß geopsvchische 
Beziehungen sicher bestehen, lehren deutlicher noch als die gesunden Men¬ 
schen die konstitutionell Abnormen, so daß man aus der erhöhten Reak¬ 
tion auf Wetter- und Klimaeinflüsse, z. B. sogar diagnostische Schlüsse 
ziehen kann. Lehrreich sind in dieser Beziehung auch die Abnormisierungs- 
formen durch das Klima, als welche gelten können das reizbarkeitstei¬ 

gernde, intellektuell schwächende und in sexueller Hinsicht abnorme Ver¬ 
hältnisse schaffende Tropenklima, das exzessive Höhenklima und die Polar¬ 
nacht. Für astropsychische Einflüsse oder mindestens für Beziehungen 
zwischen einer gewissen Mondstellung und periodischen Vorgängen in (len 
Organismen läßt sich vor allem das Palaloproblem verwerten, die exakt 
feststehende Tatsache, daß man die der Befruchtung dienenden, abge¬ 
stoßenen Leibesteile des Palalowurmes in der Südsee nur zweimal im Jahr 
und beide Male nur an dem Tage findet, ehe der Mond sein letzten 

Viertel erreicht. Was H. über klimatische und seelische Perioden zusam¬ 

mengestellt hat, ist überhaupt in mannigfacher Richtung besonders inter¬ 
essant. Erwähnt sei hier nur die Beziehung zwischen täglicher psycho¬ 

physischer Leistungskurve und Wärmekurve, zwischen Schlaftiefe und nächt¬ 
lichem Luftdruckmaximuni resp. Luftelektrisierungsmaximum, die Ent¬ 
stehung abnormer Tagesperioden durch das Großstadtleben, die etwa 7 jähr. 
Perioden im Leben von Goethe und ihre Wirkungen auf seine Erotik und 
seine Dichtungen usw. Das Buch bietet also des Interessanten an Tat¬ 
sachen und Problemen außerordentlich viel und kann besonders noch in 
Hinsicht auf die ruhig abwägende Kritik des Autors warm empfohlen wer¬ 
den. Zweig-Dalldorf. 


Notizen. 


Für die vom Deutschen Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen ge¬ 
plante Studienreise nach Amerika stehen nur noch sehr wenige Plätze zur 
Verfügung. Die Herren Kollegen, welche an dieser Reise noch teizunehmen 
wünschen, werden gebeten, dies umgehend melden zu wollen, da binnen 
kurzem alle Plätze vergriffen sein dürften. Anfragen sind zu richten an 
das Deutsche Zentralkomitee für ärztliche Studienreisen, Berlin W., Pots- 
damerstr. 134 b. 


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Nullten. 


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Die 28. Hauptversammlung des Preußischen M edizinalbeamton-Vereins 
findet am 2G. April 1912 in Berlin im „Rheingold“ statt. 

Die Tagesordnung lautet: 

9' Uhr vormittags: Sitzung im „Rheingold“ (Bankettsaa!). 

1. Eröffnung der Versammlung. 

2. Geschäfts- und Kassenbericht. 

3. Entwurf des VVassergesetzes. Referent: Geh. Med.-Rat Prof. Pr. 
Salomon-Berlin-Charlottenburg. 

4. Der ärztliche Sachverständige auf dem Gebiet der Invaliden- und 
Hinterbliebenenversicherung nach der neuen Reichsversicherungs¬ 
ordnung. Referent; Landes-Med.-Rat Dr. Knepper in Düsseldorf. 

5. Methylalkoholvergiftung. Referent: Dr. Bürger, Assistent beim In¬ 
stitut für Arzneikunde in Berlin. 

6. Vorstandswahl; Bericht der Kassenrevisoren. 

7. Als Diskussionsgegenstand: Schulkinder-Untersuchungen auf dem 
Lande. Referent: Kreisarzt Dr. Dohrn-Hannover. 

Nach Schluß der Sitzung findet die General-Versammlung der „Jubi- 
läums-Stiftung“ statt. 

Kinderheilstätte im Nordseebad Wyk auf Föhr. 

Die klimatischen Vorzüge des Nordseebades Wyk auf der Insel Föhr, 
welches als die „Riviera der Nordsee“ bekannt ist, haben den Verein für 
Kinderheilstätten an den Deutschen Seeküsten seinerzeit veranlaßt, die erste 
seiner Anstalten auf besonderen Wunsch der Kaiserin Friedrich im Jahre 
1883 in Wyk auf Föhr zu errichten. Die Kinderheilstätte hat die Auf¬ 
gabe, die große Heilkraft, welche Seeluft und Seebäder ausüben, insbesondere 
auch Kindern aus den weniger bemittelten Volksklassen zugänglich zu machen. 
Die Wirksamkeit des Nordseeklimas im Verein mit der Behandlung in der 
Anstalt, das ruhige, geordnete Leben und die liebevolle Beaufsichtigung durch 
die in der Kinderpflege erfahrenen Schwestern haben hier schätzenswerte 
Heilerfolge an vielen Tausenden von Kindern gezeitigt, wofür die Statistik der 
Kinderheilstätte sprechende Beweise liefert. Nach ärztlichem Urteil ist der 
Aufenthalt in dem äußerst milden Wyk gerade im Frühjahr als besonders 
kräftigend und heilbringend zu empfehlen. 

Welch einen wertvollen therapeutischen Schatz wir in der See besitzen, 
das wird von immer weiteren Kreisen der Bevölkerung anerkannt; von Jahr 
zu Jahr mehren sich die Anmeldungen kranker seebedürftiger Kinder und 
immer zahlreicher werden die Anfragen und Gesuche um Aufnahme. Die 
namhaftesten Kinderärzte von ganz Europa betonen immer mehr, daß es 
bei einer großen Anzahl von Kinderkrankheiten (Skrofulöse usw.) über¬ 
haupt kein Mittel gibt, das die Seewirkung ersetzen kann. Die in die See¬ 
hospize entsandten und in blühender Gesundheit heimgekehrten Kinder wer¬ 
ben besser, als es Worte vermögen, für die gute Sache. 

Die Kinderheilstätte in Wyk befindet sich in unmittelbarer Nähe des 
sonnigen Nordseestrandes, gegen Südosten gerichtet. Der vor dem Gebäude 
befindliche Teil des Strandest wird nur von den Kindern der Anstalt als 
Spiel- und Tummelplatz benutzt. An der Rückseite des Hauses ist ein großer 
gepflegte! - Garten mit schönen Rasenspielplätzen und geräumigem Luftbad. 
An der Vorderseite befinden sich geschützte Veranden, welche zusammen 
mit den großen Spielsälen als Aufenthalt bei ungünstigem Wetter dienen. 
Im Jahre 1910/11 wurde die Anstalt durch Neubauten bedeutend vergrößert 
unter besonderer Beachtung moderner Hygiene. Wasserleitung, Spülklosetts, 
elektrisches Licht sind vorhanden. Seit vielen Jahren ist der als Kinder¬ 
arzt in weiten Kreisen bekannte Dr. Haeberlin Arzt der Kinderheilstätte. 
Die Anstalt wird in diesem Jahre am 2. April geöffnet. Die Betriebszeit 
ist in fünf Kurperioden zu je 6 Wochen eingeteilt. Der Pflegesatz beträgt 
pro Kind und Woche 20 Mark, für Minderbemittelte sind in der ersten 
Kurperiode, 2. April bis 13. Mai noch einige halbe Freistellen zu 12,50 
Mark pro Woche zu vergeben. Anfragen sind baldmöglichst an die Verwal¬ 
tung der Kinder heilste tte Wyk auf Föhr zu richten. 

Druck von Julius Beltz, Hofbucbdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912 


Tortschritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

berausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prio.*Doz. Dr. d. Criegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


erscheint wöchentlich jum Preise von s marh für hos 
Salbjahr. 

Nr. 17. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 
Alleinige Inseratenannobme öurcb (Rax Oelsöort, 
flnnoncen-Bureau, Cberswalbe bei Berlin. 


25. April. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Bericht über die 33. Versammlung der Balneoiogischen 
Gesellschaft. Berlin, 8.—11. März 1912. 

Von Dr. Krone, Bad Sooden a. Werra. 

Die erste Sitzung am 8. März, vormittags 9 Uhr eröffnete der 
Vorsitzende, Geh. Hat B r i e g e r - Berlin mit einer kurzen Ansprache, 
in der er auf die Fortschritte der balneoiogischen Wissenschaft hinwies. 

Dann sprachen die 4 Beferenten über ,,D i e physikalische 
und diätetische Behandlung der Herz - und G e - 
fässkrank beite n“. 

J. G r o e d e 1 - Nauheim ,,D i e Bäderbehandlung”: Bei 
jedem Bade wirken, wie experimentell nachgewiesen, thermische, me¬ 
chanische und chemische Reize. Die Kohlensäurebäder haben in der 
Behandlung der Herz- und Gefässkrankheiten vor anderen Heilbädern 
den Vorzug, dass in ihnen neben mechanischen Heizen spezifische 
chemische Gasreize — wirkend durch Erweiterung der Kapillaren — zur 
Geltung kommen und dass wir in ihnen vom thermischen Reiz einen 
weit ausgiebigeren Gebrauch machen können als in den meisten anderen 
Bädern. Wir haben es, je nach der Dosierung, in der Hand, übend oder 
schonend für das Herz mit den Kohlensäurebädern vorzugehen, können 
also je nach Bedarf ein Ruhe- oder Uebungsregime einleiten. Sehr heisse 
oder sehr kalte Bäder sind bei Herzkranken kontraindiziert, da sonst 
Uebermüdung eintritt — die thermischen Grenzen liegen zwischen 
28 und 6 0 C., ■”(>—33 11 C. sind die gebräuchlichsten. Indiziert ist die 
Bäderbehandlung überall da, wo ein in seiner Leistungsfähigkeit redu¬ 
ziertes Herz gestärkt werden soll. Kontraindiziert hei allen Herzkran¬ 
ken, bei denen schon vorher medikamentös und diätetisch nichts erreicht 
worden ist; ebenso hei Patienten, die an Schwindel leiden oder bei sol¬ 
chen mit Nephritis mit hohem Blutdruck. Bei Arteriosklerose können 
sie anregend und entlastend auf das Gefässsystem und stärkend auf 
Herz und Nieren wirken; sie müssen aber so gegeben werden, dass der 
Blutdruck nicht erhöht wird. Künstliche Kohlensäurebäder hält er 
nicht für ganz gleichwertig, wenn sie auch als Ersatz nicht zu ver¬ 
werfen sind. ‘ • 

Das SauerstofTbad zeigt die ähnlichen Erscheinungen wie das 
Kohlensäurebad; nur in weit geringerem Masse. 

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D e t e r m a n n-St. Blasien :„Klimatotherapi e.“ Der Ein- 
fluss der Klimatotherapie auf Herz- und Gefässkrankheiten ist noch 
wenig nachgewiesen. Das Klima wirkt zunächst auf den Gesamtorga¬ 
nismus und erst mittelbar auf das Herz. Auf Grund eigener Beobach¬ 
tungen und derjenigen anderer Autoren referiert Redner über folgende 
4 Punkte: 1. Wie weit kann man prophylaktisch wirken durch das 
Klima ? 2. Chronische Herzinsuffizienz und ihre Beeinflussung durch 

das Klima. 3. Klimatotherapie hei Arteriosklerose und 4. Klimato¬ 
therapie bei Herzneurose. 

Brieger-Berlin: „Die physikalische Behandlung“: 
Für die physikalische Behandlung der Herz- und Gefässkrankheiten 
sind sehr bestimmte Grenzen gesetzt; eine rationelle Behandlung ist 
nur dann möglich, wenn die Leistungsfähigkeit des Herzens sorgfältig 
kontrolliert werden kann. Hydrotherapeutisch soll nach Winter¬ 
nitz durch den chemisch-thermischen Reiz die gleiche Wirkung wie 
durch das Kohlensäurebad erzielt werden können. Die Anwendungen, von 
denen Redner vornehmlich die Herzkühlung durch den Herzschlauch 
erwähnt, erlauben ebenfalls eine herzübende und herzschonende The¬ 
rapie. Besondere Rücksicht ist darauf zu nehmen, dass man von der 
Schonung allmählich zur Uebung übergeht. Hydroelektrische, vor¬ 
nehmlich Wechselstrombäder, wirken ähnlich wie Kohlensäurebäder, 
nur schwächer: Durch Arsonval’sche Hochfrequenzströme scheint 
eine Blutdrucksenkung und Besserung des subjektiven Befindens er¬ 
reicht zu werden. Durch Massage ist eine indirekte Entlastung des 
Herzens durch Erleichterung der peripheren Zirkulationsvorgänge zu 
erreichen. Passive und aktive Bewegungen in den Gelenken (Wider¬ 
standsbewegungen) begünstigen jede Herzkur. Auch die Bedeutung 
der Atemgymnastik, der pneumatischen Methoden und der Oertel- 
schen Terrainkur wird besprochen. 

Strauss - Berlin: „Die diätetische Behandlung*. 
Die Diätbehandlung steht im Sinne der Schonung. Herabsetzung des 
Körpergewichtes ist dabei gewöhnlich eine der wichtigsten Aufgaben: 
Ausreichende Ernährung, aber Vermeidung von Ueberernährung ist 
dabei wichtig. Ei weissmengen von 100 g pro die genügen vollständig: 
Eiweissunterernährung ist nur für einen begrenzten Zeitraum zu emp¬ 
fehlen. Reizmittel sind zu vermeiden, besonders die Reizgetränke. 
In der Zuführung von Flüssigkeitsmengen steht St rauss auf Grund 
seiner Untersuchungen nicht auf dem strengen Standpunkt von 0 e rtel, 
warnt aber doch vor Unvorsichtigkeiten. Bei beginnenden Kompen¬ 
sationsstörungen kann allerdings die Flüssigkeitsreduktion im Verein 
mit Herabsetzung der gesamten Nahrungsaufnahme gute Dienste tun: 
doch ist solche Kur stets im Bett durchzuführen. Salzarme Kost ist 
dabei zu empfehlen. Bei Arteriosklerose und Schrumpfniere sind ganz 
bestimmte Diätforderungen aufzustellen: Starke Betonung der Milch 
im Beginne einer fleischarmen oder fleischfreien Kost. Mit Recht be¬ 
mängelt Redner endlich die fleischreiche Hotelkost in den Kurorten 
als eine crux der Badeärzte, für welche die diätetische Behandlung 
doch meist ein sehr wesentlicher Unterstützungsfaktor im therapeu¬ 
tischen Rüstzeug sei. 

Ehe in die Diskussion eingetreten wurde, sprachen noch diejenigen 
Herren, deren Thema in Beziehung zu dem Thema der Referenten 
stand. So Goldscheider - Berlin ,,U eher die syphili¬ 
tische Erkrankung der Aort a“. Die Diagnose* „Syphili- 


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Bericht über die 33. Vereatmnlung'Jder Bai neologischen Gesellschaft. 


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tische Erkrankung der Aorta” wird nach Ansicht des Vortragenden 
der Häufigkeit der Fälle entsprechend viel zu selten gestellt; besonders 
auch nicht früh genug. Frühdiagnose und entsprechende Frühtherapie 
kann gute Erfolge zeitigen. Die Krankheit kann sich äussern in Aneu¬ 
rysma, Insuffizienz, Aortitis und Arteriosklerose. Das gleichzeitige Vor¬ 
handensein von Tabes oder zerehrospinaler Lues ist wichtig für die 
Diagnose. Ist die Diagnose Lues gestellt, so ist eine energische anti- 
syphilitische Kur einzuleiten, Jodbehandlung ist dabei ungenügend. 

Bickel- Berlin: ,.Physiologische Untersuchungen 
zur Bäder Wirkung auf den Kreislauf“. B. bespricht 
an der Hand zahlreicher Versuche den Einfluss von einfachen Süss¬ 
wasserbädern, Sauerstoffbädern (0 z e t) und Kohlensäurebädern (Sy¬ 
stem Zucker) auf den Puls, Blutdruck, Blutfülle im Darmgefäss- 
system, sowie auf das Elektrokardiogramm. Ein Vergleich der Ver¬ 
suchsresultate ergibt, dass jedes Bad seine besonderen Wirkungen 
ausübt, und dass es also speziell bei Gasbädern nicht gleichgültig ist, 
welches Gas in dem Badewasser enthalten ist. Besonders hervorzu¬ 
heben ist die Beeinflussung des Elektrokardiogramms. Durch das indiffe¬ 
rente Bad wird eine Abnahme der Zackenhöhe, die bis Ende des Bades 
kontinuierlich fortschreitet, hervorgerufen, also: Dämpfung der Herz¬ 
kontraktionsenergie. Durch das SauerstofTbad wird ebenfalls eine Ab¬ 
nahme der Zackenhöhe erzielt, doch nimmt dieselbe gegen Ende des 
Bades wieder zu, also: Tendenz einer Paralysation des durch das ein¬ 
fache Bad Erreichten. Das Elektrokardiogramm des Kohlensäure¬ 
bades zeigt eine Verkleinerung der Zacken, stärker als in den übrigen 
Bädern; die absolute Grösse der Zackenverkleinerung nimmt beim häu¬ 
figen Baden ab, die praktischen Erfolge ergeben sich von selbst: das 
SauerstofTbad der mildere, das Kohlensäurebad der stärkere Eingriff. 

Bruns- Marburg: ,,D i e Bedeutung der Unterdrück- 
atmung bei der Behandlung von Kreislaufstö¬ 
rungen“. Die Unterdruckatmung ist als ein Druckdifferenzver¬ 
fahren anzusehen. Sie erzeugt eine dauernde Differenz zwischen dem 
Luftdruck, der auf der Körperperipherie lastet, und dem unteratmo¬ 
sphärischen Druck, den sie im Innern des Thorax, bezw. der Lungen 
erzeugt. Durch diese Luftdruckdifferenz zwischen aussen und innen 
wird die gesamte Strombahn des kleinen Kreislaufes erweitert und so 
ein permanentes, energisches Druckgefälle für den Rückstrom des Venen¬ 
blutes geschaffen, nach dem Lungeninnern. Dadurch wird das rechte 
Herz wesentlich unterstützt, sowie auch die Füllung des linken Herzens 
erleichtert und vermehrt, weiter wird eine Förderung des venösen 
Kreislaufes und eine Vermehrung des gesamten Blutumlaufes erreicht. 
Redner empfiehlt seine Methode, die er demonstriert, bei Herzinsuffi¬ 
zienz, bei Emphysem und chronischer Bronchitis, sowie bei primären 
Herzerkrankungen (Myokarditis). 

S t r u b e I 1 - Dresden: „Die klinische, prognosti¬ 
sche und therapeutische Bedeutung des Elektro¬ 
kardiogramms“: Redner beleuchtet die Einflüsse der Wechsel¬ 
strombäder auf das Elektrokardiogramm und dessen Wichtigkeit für 
die Klinik der Herzkrankheiten. 

L o e b e 1 - Dorna: „Zur Moorbäderindikation in der 
Herz- und Gefässtherapie“. Die Moorbäder wirken wie die 
Kohlensäurebäder als energische Vasomotoren und verlässliche Herz¬ 
mittel mit ausgiebigen Umschaltungskomponenten und einem rege- 


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nerierenden Blutdruck, sei es zufolge lokaler Reizung des peripheren, 
sogenannten akzessorischen Herzens, sei es auf dem Reflexwege der 
Tonisierung des zentralen Herzens. 

T lioden van V e 1 z e n - Joachimsthal i. M.: „U eher p s y - 
c h i s c li e Tachykardi e“. Die Bedeutung der Psychologie für 
die Medizin wird erst in jüngster Zeit einigermassen nach Gebühr ge¬ 
würdigt. Die psychische Seite des Organismus hat auch auf den Körper 
einen Einfluss. So wird besonders das Herz durch die Psyche beein¬ 
flusst. Die psychische Tachykardie ist eine Herzbeschleunigung infolge 
psychischer Erregung. Psychogene Herzleiden heilen nicht durch Herz¬ 
mittel, sondern durch Psychotherapie. Eine mechanische Erklärung der 
psychischen Vorgänge ist nicht möglich. 

Selig- Franzensbad: „U eher die Wirkung der Mistel 
(viscum a 1 b u m) auf den Kreislauf*. 

Die Mistel spielte im Altertum eine bedeutsame Rolle in der The¬ 
rapie. Neuere Autoren haben die pharmakologischen Untersuchungen 
mit einem chemisch rein hergestellten Extrakt aus dieser Pflanze wieder 
aufgenommen und V ortragender hat mit anderen eine blutdruckherab¬ 
setzende Wirkung feststellen können. Weiter konnte ein anregender 
Einfluss auf die Nierensekretion konstatiert werden. 

Nikolai- Berlin: „Ueber den Einfluss verschie¬ 
dener Bäder auf das Herz, insbesondere auf das 
Elektrokardiogra m in“. 

Redner hat die bisher offene Frage, ob neben der sichergestellten 
Wirkung der Bäder auf das periphere Herz (indirekte Wirkung) auch 
eine direkte Wirkung auf das Herz besteht, durch clektrokardiogra- 
phische Untersuchungen zu beantworten versucht. Bekanntlich besteht 
beim Elektrokardiogramm der Satz zu Recht: ,,Je grösser die F-Zaeke 
im Verhältnis zur J-Zacke ist, um so kräftiger das Herz.” N. hat nun 
Versuche gemacht mit indifferenten Wasserbädern, Kohlensäure-, 
Sauerstoff- und Solbädern, mit dem Ergebnis, dass die F-Zaeke durch 
Bäder beeinflusst wird; und zwar wirken kalte Bäder günstig, heisse 
ungünstig. Kohlensäure- und Sauerstoffzusatz verstärken die günstige 
Wirkung; auch der Zusatz von Sole zu indifferenten Bädern erhöht 
die F-Zacke in starker Weise. Gerade dieser Umstand dürfte darauf 
hinweisen, dass die früher so hochgeschätzten Solbäder für die Behand¬ 
lung von Herzkranken wertvoller sind, als man allgemein an nimmt. 

G r a b I e v - Woltersdorfer Schleuse: »Die Hochfrequenz- 
behandlung der nervösen und organischen Herz- 
Störungen“. 

Auf Grund zahlreicher Beobachtungen konnte G. folgende Ein¬ 
wirkungen der Hochfrequenzbehandlung feststellen: Bei Herzneurose: 
subjektive und objektive Besserung. Bei cor debile: Kräftigung. Bei 
Adipositas: Guter Erfolg durch die Methode kombiniert mit Diätkur. 
Bei Myodegeneratio: Zurückgehen der Dilatatio und Besserwerden der 
körperlichen Leistungsfähigkeit. Bei Kompensationsstörungen: Besse¬ 
rung, allmähliche Kompensation. Bei Arteriosklerose: Herabsetzung 
des Blutdruckes bis auf einige Fälle, bei denen das periphere Herz 
nicht mehr reagierte. 

Kuhn - Biebrich: „Die Behandlung von Herz¬ 
schwäche und Kreislaufstörungen mit Unter¬ 
drück atmung vermittels der Lungensaugmaske“. 

Das Herz wird bei .Anwendung der Saugmaske entsprechend dem 


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Bericht über die 33. VersaDimlung der Baineologischen Gesellschaft. 


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im Gesamtthorax herrschenden negativen Druck ebenso wie die Lungen 
reichlicher durchblutet und dadurch der Herzmuskel besser ernährt, 
und gekräftigt. Ferner wird das Herz durch Verstärkung der physio¬ 
logischen Wirkung des Einatmungsmeehanismus auf den kleinen Kreis¬ 
lauf in seiner Tätigkeit entlastet. 

Nenad ovicz - Franzensbad stellte seinen Bäderregu¬ 
lator, eine neue Vorrichtung zur direkten und indirekten Erwär¬ 
mung und Abkühlung des Kohlensäurebades vor. 

Ide - Amrum: „Beeinflussung des Blutkreislaufes 
durch das Nordseeklim a“. 

Das Seeklima wirkt von der Haut und von der Lunge aus und 
zwar durch die Gleichmässigkeit der Temperatur, durch den hohen 
Feuchtigkeitsgehalt und durch die bessere Sauerstoffversorgung: herz¬ 
schonend — durch den Wind und den höheren Atmosphärendruck: 
herzangreifend. Aufgabe des Badearztes ist es, diese Faktoren richtig 
zu kombinieren. Herzkranke mit Ausnahme von chronischen Endo¬ 
karditiden und vorgeschrittener Arteriosklerose können also auch an 
die See kommen. 

In der sich an die 4 Referate und die nachfolgenden Vorträge an¬ 
schliessenden Diskussion demonstriert zunächst Lilienstein- 
Nauheim ein Verfahren (Phlebostaten), mit dem er durch Reckling- 
hausensche Binden einen sogenannten unblutigen Aderlass herstellt, 
indem er das Blut von dem Herzen in die Peripherie hin ablenkt. So 
kupiert er Dvspnoeen bei Herzkranken: auch beeinflusst, er das Herz 
in der Weise, dass er die Kompensationsstörungen zum Teil aufhebt. 
Pick- Berlin setzt das Saugphänomen auseinander, das beim Unter¬ 
druckverfahren eine grosse Rolle spielt und mit dem er besonders günstig 
eine Reihe der unangenehmen Begleitsymptome bei Herzkranken prompt 
und schnell beseitigt hat. 

Pfeiffer- Wiesbaden weist auf die Wirkung bei Herzkranken 
durch Thermalbäder, die eine Kräftigung der Muskulatur herbeiführen, 
hin. Er hat durch Thermalbäder ohne Kohlensäure eine Herabsetzung 
des Blutdruckes erzielen und ebenfalls gute Erfahrungen bei Herzer¬ 
krankungen machen können. 

Nachdem Determann - St. Blasien noch ein von ihm kon¬ 
struiertes Kopflichtbad, das sich durch besondere Leichtigkeit 
auszeichnet und das bei allen Fällen von Blutleere im Gehirn, wie 
Migräne, gewissen Kopfschmerzen, Neuralgien am Kopf usw. in An¬ 
wendung kommt, demonstriert hat, wird in der Reihe der Vorträge 
fort gefahren. 

Roubitschek - Karlsbad: „Funktionsprüfung der 
Leber mit Demonstratione n“. 

Vortragender hat auf Grund von experimentellen Untersuchungen 
an Tieren mit Phosphorvergiftung gefunden, dass für akute Fälle von 
Lebererkrankung, bei denen eine disseminierte Parenchymerkrankung 
auftritt, die alimentäre Galaktosurie ein sicheres diagnostisches Sym¬ 
ptom darstellt. Die alimentäre Galaktosurie geht zurück, sobald an 
Stelle der Verfettung Bindegewebe tritt. 

Pfeiffer- Wiesbaden: „Ueberdie Einwirkung von 
Thermalbädern auf den Diabetes mellitu s“. 

Redner macht die für die Praxis wichtige Mitteilung, dass Diabetes 
mellitus durch Thermalbäder allein — ohne diätetische Behandlung — 
günstig beeinflusst werden kann. Er regt an. dass die Bäder diese 


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Behandlung mehr als bisher in ihr Programm aufnehmen und neben 
der bisher geübten Brunnenkur auch die Bäder in den Vordergrund 
treten lassen. 

In der Diskussion erklärt G a n s - Karlsbad, dass in Karls¬ 
bad die Bäderbehandlung neben der dortigen spezifischen Trinkkur 
und Diätetik sehr in Anwendung kommt. Und B r i e g e r - Berlin 
erinnert an die Arbeiten von Lüthje, der den günstigen Einfluss der 
Wärmeprozeduren auf die Zuckerkrankheit hervorgehoben hat. 

Grube- Neuenahr: ,,Zur Aetiologie und Pathoge¬ 
nese der Gallensteinkrankhei t“. 

Entgegen den früher geltenden Anschauungen von Naunyn haben 
Aschoff, Schade u. a. nachgewiesen, dass Gallensteine entstehen können, 
ohne dass die Gallenblase irgendwie entzündet ist. Vortragender gibt 
nun hierzu eine Erklärung, indem er an der Hand zahlreicher, von ihm 
beobachteten Gallensteinleiden zeigt, dass diese Krankheit bei Frauen 
viermal häufiger vorkommt als bei Männern, und dass Frauen, welche 
geboren haben, unvergleichlich häufiger an Gallensteinen leiden als 
kinderlose Frauen. Während man früher als Ursache dieses Einflusses 
der Schwangerschaft die mechanische Behinderung des normalen 
Gallenabflusses ansah, sprechen seine Untersuchungen dafür, dass es 
sich um tiefer liegende Veränderungen des Stoffwechsels und der Um¬ 
setzungen im schwangeren Organismus handelt, während das mecha¬ 
nische Moment erst ; n zweiter Linie eine Rolle spielt. Zum Schluss 
hebt Redner noch die Bedeutung der Obstipation für die Entstehung 
der Gallensteine hervor. 

S i e b e 1 t - Flinsberg: „Coma diabeticum imVerlaufe 
akuter Infektionskrank h eite n“. 

S. teilt eine Krankengeschichte mit, deren bemerkenswertestes 
Vorkommnis das plötzliche Auftreten einer Azetonurie mit akutem 
Diabetes und Coma im Verlauf einer akuten Infektionskrankheit bildet. 
Im Ansch'uss an die Verödenthehungon von G. Rosenfeld und von 
Jacksch wird die sehr seltene Beobachtung näher erörtert. 

Zur Diskussion bemerkt G r übe- Neuenahr, dass er den 
Fall doch für Diabetes mit nur periodisch ausscheidendem Zucker hält, 
bei dem durch die Infektion das Coma ausgelöst wurde. 

Landsberg-Landeck: „U < her d i e W i r k s a m k e i t der 
physikalischen Behandlungsmethoden bei Stö¬ 
rungen des Verdauungsapparate s“. 

Redner wünscht neben der Diätetik die physikalische Behandlung 
bei den genannten Störungen mehr berücksichtigt zu wissen; vor¬ 
nehmlich durch Hydrotherapie (lokale thermische Reize), Massage und 
Elektrizität. Dabei werden die einzelnen Magenstörungen und von 
denjenigen des Darmes die Diarrhoe und Stuhlverstopfung genauer 
erörtert. Zum Schluss wird betont, dass die genannten physikalischen 
Heilmethoden zwar nicht imstande sind, die diätetische Behandlung 
zu ersetzen, wohl aber sie in wirksamer Weise zu unterstützen, und zu 
ergänzen. 

Als Diskussionsredner warnt D e t e r m a n n - St. Blasien davor, 
zuviel physikalische Therapie in der Magendarmbehandlung zu treiben. 

S c h ii t z e - Kosen: „U eher den Kalkgehalt der Mi¬ 
neralquelle n“. 

Vortragender beleuchtet zunächst die älteren Theorien über die 
physikalische Wirkung der erdigen Quellen. An der Hand der neueren 



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imd neuesten Arbeiten weist er nach, dass der Kalkgehalt der erdigen 
Quellen der entscheidende Faktor in der therapeutischen Wirkung ist. 
Der Kalkgehalt im Organismus nimmt auf Zuführung kalkhaltiger 
Mineralwässer entschieden zu; er hebt, wenn er in hohem Masse vor¬ 
handen ist, das allgemeine Wohlbefinden und entwickelt, wie Ham¬ 
burger nachgewiesen, einen phagozytären antibakteriziden Einfluss. Er 
bespricht dann seine eigenen Versuche, die er mit einzelligen Lebe¬ 
wesen im Kalkwasser angestellt hat und die zu dem Ergebnis geführt 
haben, dass der Kalkzusatz die Lebensdauer dieser Organismen günstig 
beeinflusst, bezw. erhöht und verlängert. Redner kommt zu dem 
Schluss, dass in den Solbädern das Calciumjon der Sole die Hauptrolle 
spielt, während das Kochsalz reizend wirkt und durch die Hyperämie, 
■die es hervorruft, dem Calciumjon die Wege öffnet und ebnet. Auf 
Grund dieser Ergebnisse glaubt Sch. das Indikationsgebiet für die Sol¬ 
bäder noch erheblich erweitern zu können. 

Krone- Soden a/Werra: „Der Kalkstoffwechsel bei 
Verdau ungsstörungc n‘‘. Auf Grund von Bilanzversuchen, 
■die er in der medizinischen Klinik zu Halle (Geh. Rat Ad. Schmidt) 
gemacht hat, gibt Vortragender einen Beitrag zum MineralstofTwechsel. 
Er hat den für die Balneologie im Vordergrund des Interesses stehenden 
Kalkstoffwechsel zum Gegenstand seiner Versuche gemacht und Be¬ 
stimmungen bei Kranken mit Verstopfung und Durchfall vorgenommen, 
wobei er zu dem Ergebnis kommt, dass weder Verstopfung noch Durch¬ 
fall einen nennenswerten Einfluss haben, sei es auf das Verhältnis der 
Kalkausscheidung im Harn und im Kot, sei es auf die Gesamtbilanz 
■des Kalkstoffwechsels. 

Als Diskussionsredner heben v. Chlapowski - Kissingen die 
Rolle des Kalkes bei der künstlichen Befruchtung, den befördernden 
Einfluss auf die Blutgerinnung sowie die therapeutische Bedeutung bei 
•der Banti’schen Krankheit — D e t e r m a n n - St. Blasien das vis¬ 
kositätssteigernde Vermögen des Kalkes hervor. 

Hausmann - Rostock :,,Die Palpation des Gastro- 
intestinaltraktus mit besonderer Berücksich¬ 
tigung auf die badeärztliche Praxi s“. 

Die Palpation kann nur durch tastende Gleitbewegungen vorge¬ 
nommen werden. Durch allmähliches Eindringen der Fingerspitzen 
kann man die tiefer liegenden Partien absuchen, jedoch nur bei ent¬ 
spannten Bauchdecken im Exspirium. Besonderen Wert legt Redner 
der topographischen Palpation bei, durch die sich Geschwülste, Ex¬ 
sudate, Schmerzzonen usw. leicht festsetzen lassen. Für die Behand¬ 
lung ist die Tastpalpation recht wertvoll, namentlich für die Massage 
des Dickdarms. 

Rothschuh - Aachen: ,,U eher Blut d r uckmessungen 
t bei Thermalbädern mit Dusche — Massag e“. Redner 
hat, da bisher von Schwefelthermen über Blutdruckmessungen nur 
wenig Berichte Vorlagen, Versuche mit der Aachener Kaiserquelle bei 
35 0 C. gemacht, und zwar bei Bädern von verschiedener Dauer; ferner 
bei der in Aachen geübten Dusche-Massage, bei der ein Strahl von 
Thermalwasser den Körper "trifft, während zugleich die Massage aus¬ 
geübt wird. Beim Vollbad von 20 Minuten Dauer fällt der Blutdruck, 
beim Bade von einer Stunde steigt er gegen den Schluss an und fällt 
•dann wieder, so dass er bei einem Bade von 2 Stunden am Ende wieder 


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herabgesetzt ist. Bei der Duschemassage steigt der Blutdruck bis zur 
Mitte der Prozedur und fällt dann, aber nicht bis zum Anfangsdruck. 

D a u d e • Pyrmont: „Ueber konservative und ope¬ 
rative Behandlung der Frauenkrankheiten im 
Bad e“. 

D. hat sich die Aufgabe gestellt, die einzelnen Fälle von Frauen¬ 
krankheiten genau zu präzisieren, in denen 1. die im Badeort gege¬ 
benen natürlichen Bäder allein; 2. diese in Verbindung mit physika¬ 
lischer Therapie und 3. operative Behandlung am Platze sind. Die na¬ 
türlichen Bäder allein sind angezeigt und leisten gute Dienste bei allen 
Entzündungen des Uterus und seiner Adnexe, sowie bei allen Erkran¬ 
kungen, die auf Chlorose oder Anämie beruhen. Als wirksame Bäder 
empfiehlt er Moor-, Sol- und kohlensaure Stahlbäder. Die Kombination 
von Bad und physikalischer Therapie ist anznwenden bei Lageanomalien 
und Amenorrhoe; und zwar kommt bei den ersteren die Massage, bei 
den letzteren, bei der eine künstliche Hyperämie erzeugt werden muss, 
die Belastungstherapie oder das Heissluftbad in Frage. Zur operativen 
Behandlung endlich muss dort gegriffen werden, wo geburtshilfliche 
Indikationen, vornehmlich gefahrdrohende Blutungen irgend welcher 
Art vor liegen. 

Krieg- Baden-Baden: „Kolloide und Mineralquel- 
1 e n“. Vortragender geht von dem Unterschied aus, der sich oft m der 
chemischen Analyse einer Mineralquelle und seiner Heilwirkung bemerk¬ 
bar macht und der uns den Gedanken nahelegt, dass noch andere Fak¬ 
toren mitsprechen müssen. Zuerst hat man dabei an die Radiumema¬ 
nation gedacht, deren Wirksamkeit auch wohl heute wissenschaftlich 
feststeht, die aber deswegen nicht der ausschlaggebende Faktor sein 
kann, weil sehr wirksame Quellen arm an Radiumemanation sind. Red¬ 
ner spricht nun als Hauptfaktoren die Kolloide an, die nach Schade 
als Katalisatoren wirken. In den Mineralquellen können die Kolloide 
nur durch ihre katalytische Wirkung nachgewiesen werden; der Nach¬ 
weis ist an die Alkalität gebunden, nicht alkalische Quellen müssen zu 
diesem Zweck erst alkalisch gemacht werden. 

Vollmer - Kreuznach: „Hautkrankheiten und Bäder“. 
Akute Hautkrankheiten, die durch Parasiten hervorgerufen werden, 
dürften durch eine Badekur nicht beeinflusst werden. Furunkulose 
und Akne eignen sich schon eher zu Bädern, wobei besonders Schwefel¬ 
und Solbäder in Frage kommen. Die Hauptdomäne für Sol- und See¬ 
bäder sind die Hautkrankheiten, die auf skrofulöser und tuberkulöser 
Basis beruhen. Symptomatisch -— Juckreiz beseitigend — werden 
Pruritus und Prurigo beeinflusst. Von Sexualkrankheiten schliessen 
die chronischen die Balneotherapie ein, akute schliessen sie aus. Das 
wirksame Moment dabei ist seiner Ansicht nach die Beeinflussung des 
Lymphstromes durch die Solbäder. Die leichten Hautaffektionen, 
welche durch die Bäder zuweilen hervorgerufen werden, tragen alle, 
einen harmlosen Charakter. 

Als Diskussionsredner befürwortet Rothschuh - Aachen die 
Bäderbehandlung bei Lues auch im ersten Stadium, um neben Salvarsan 
und Hg durch die Bäder den Stoffwechsel anzuregen. Siebelt- 
Flinsberg hat bei Prurigo und Pruritus von Fichtenrindenbädern gute 
Erfolge gesehen. 

Steyerthal - Kleinen: „N euere Anschauu n'g e n über 
H y s t e r i e“. Redner wendet sich gegen die irrige Auffassung eines 


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Bericht über die 33. Versammlung der Ealneologfcchen Gesellschaft. 


521 


Zusammenhanges der Hysterie mit geschlechtlichen, sinnlichen und simu¬ 
lierten Zuständen. Er glaubt, dass das Wort „hysterisch“ von unserer 
Klientel sehr häufig missverstanden wird, und schlägt vor, dafür unge¬ 
zwungenere Worte wie „seeliseh bedingt“ „psychogen“ usw. zu setzen; 
und statt von einer hysterischen Lähmung vielleicht von einer „Schreck¬ 
lähmung“ zu sprechen. Es gibt seiner Ansicht nach keine einheitliche 
Krankheit „Hysterie“, sondern nur „hysterische Symptome“. 

Reicher- Mergentheim: „U eher die Bedeutung der 
Blutzuckerbestimmung für Diagnose und The¬ 
rapie des Diabetes mellitu s“. 

R. demonstriert eine neue einfache Blutzuckerbestimmung und be¬ 
spricht die Bedeutung dieser Bestimmungen für die Diagnose und The¬ 
rapie des Diabetes. 

Bela - Bosanyi - Blocksbad (Ungarn): „M o b i I m a c h u n g 
von Gelenksteifigkeiten während Thermalkure p". 
Diejenigen Fälle, die kurz nach dem Verschwinden des akuten Stadiums, 
das die Gelenksteifigkeit herbeigeführt hat (meist infektiöse Prozesse), 
stehen, sind geeignet für Thermalkuren. Nach sorgsamster Erhebung 
aller anamnestischen Faktoren und nach genauer Untersuchung, die 
ergeben hat, dass die Steifigkeit nicht irreparabel ist, kann eine kombi¬ 
nierte Behandlung von Balneotherapie und aktiver wie passiver Mobil¬ 
machung gute Erfolge zeitigen. 

I s s e r 1 i n - Soden i/T.: „W i e sollen chirurgisch be¬ 
handelte Pleuritiden nachbehandelt werden?“ 

Der grösste Teil der Brustfellentzündungen kann der Operation 
nicht entbehren. Während bei serösen Entzündungen die Aspiration 
und die Ausblasung des Exsudates den Krankheitsprozess erheblich ab¬ 
zukürzen vermögen, verlangen die eitrigen eingreifendere Massnahmen. 
Als obersten Grundsatz stellt er auf, dass in erster Linie der Zustand 
der die Pleuritis erzeugenden Grundkrankheit für die Kur bestimmend 
ist und erst in zweiter Linie der Befund an der Pleura. Der Badebe¬ 
handlung fällt oft die Nachbehandlung zu. Ihre Aufgabe ist, die Ver¬ 
wachsungen des Rippenfells zu lösen oder zu dehnen, Schwarten zur 
Aufsaugung zu bringen und die Wiederentfaltung der Lunge zu erstreben. 
Als Mittel dazu dienen: Trinkkur zur Anregung des Stoffwechsels, 
Massage der Brustwand, Bäder und Schwitzkuren, Terrain- und spneu- 
matische Kuren, medikomechani«che Uebungen und Atemgymnastik. 

S c hulhof - Heviz (Ungarn): ,,B 1 u t u n g e n und massige 
w arme Thermalkure n“. 

Wenn bei Thermalkuren Temperaturen von 33—35 0 C. nicht über¬ 
schritten werden, so ist selbst bei vorhandener Disposition keine nen¬ 
nenswerte Gefahr pathologischer Blutungen. 

K u 11 n e r - Berlin: „U ebcr nervöses Erbreche n“. 
Bei jedem Erbrechen haben wir zu fragen, ob ihm eine anatomische 
Ursache zu Grunde liegt, oder ob es nervöser Natur ist und welche Ur¬ 
sachen wieder für das Zustandekommen des nervösen Erbrechens in Frage 
kommen. Diese können zentralen Ursprungs sein oder ihren Sitz in den 
Verdauungsorganen selbst haben. Fast jedes organische Magenleiden 
kann zu Erbrechen führen — die Diagnose nervöses Erbrechen kann 
also nur per exclusionem gestellt werden. Es kommt selten als Krank¬ 
heit für sich vor, sondern meist als Begleitsymptom; die Ursachen sind 
gewöhnlich: Reflektorische Erregung oder Reizvorgänge auf das me¬ 
dulläre Zentrum. An der Hand einer Reihe von Krankheitserschei- 


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522 


Krone, 


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nungen, bei denen Erbrechen eintritt, zeigt Redner, wie schwer oft die 
Diagnose ist. Von der richtigen Erkennung des Grundleidens hängt 
die Prognose und Therapie ab. 

L a q u e u r - Berlin: „Thermopenetratio n“. Referat über 
den derzeitigen Stand der Theorie und Praxis der Thermopenetration. 
dessen Charakteristikum in der Erwärmung tiefliegender Teile des Or¬ 
ganismus besteht. 

Fürstenberg - Berlin: „Fortschritte auf dem Ge¬ 
biete der Radiumbehandlun g“. 

Wenn auch viele Fragen auf dem genannten Gebiet noch nicht 
geklärt und recht viel Kontroversen vorhanden sind, so ist doch manches 
Neue geleistet worden. Bedeutungsvoll sind zunächst die Arbeiten von 
Hertwig über die biologische Wirkung (Einfluss auf die Entwicklung) 
des Radiums. Wandel hat in der I. medizinischen Klinik in München 
den Einfluss der Emanation auf die Ausscheidung von Harnsäure nach¬ 
gewiesen, wobei er allerdings betont, dass der therapeutische Erfolg 
in bezug auf die Gicht nicht immer damit in Einklang steht. Ver¬ 
schwinden der Blutharnsäure bei Gichtikern haben Gudzent, G. Klem- 
perer, A. HofTmann festgestellt, Temperaturerhöhungen hat F. selbst 
nachgewiesen, andere Autoren haben den Befund bestätigt. Strass¬ 
burger zeitigte bei chronischer Arthritis, die anderen Therapien trotzten, 
gute Erfolge; dasselbe sahen Gudzent und Heubner. Die schlafbeför¬ 
dernde Wirkung hat Fürstenberg selbst nachgewiesen; sie ist seinen 
Untersuchungen nach keine suggestive, sondern kommt durch Blut¬ 
zufuhr zum Gehirn zustande. Auch die stark diuretisehe Wirkung der 
Radiumtrinkkur steht jetzt fest. 

K e m e n - Kreuznach: „Radium-Trink- und lnha- 
lationsmethod e“. 

Redner berichtet über eine grössere Reihe von Blutuntersuchungeu 
am Menschen, die er angestellt hat, um den Gehalt des Blutes an Ra¬ 
diumemanation bei der Inhalations- und bei der Trinkmethode festzu- 
stellen. Während man allgemein auf Grund einer Veröffentlichung von 
Gudzent annahm, dass die Inhalationsmethode wirksamer sei als die 
Trinkmethode, weil im Radiuminhalatorium eine Anreicherung an Ema¬ 
nation im Blute stattfinde, konnte K. nachweisen, dass dies nicht der 
Fall ist. Die Radiumemanation ist im Blut nur entsprechend ihrem 
Absorptionskoeffizienten für Blut enthalten, also in 1 Liter Blut ist 
der fünfte Teil der in 1 Liter Luft des Inhalatoriums enthaltenen Ema¬ 
nation nachzuweisen, gleichgültig, wie lange die Inhalation dauert. 
Dagegen ist die Wirkung der Radiumtrinkmethode der Inhalations¬ 
methode bedeutend überlegen. Bei dieser sind 2—3 Stunden nach dem 
Trinken ganz erhebliche Mengen von Emanation im Blut nachweisbar. 
Seine Resultate werden übrigens durch 2 gleichzeitige Veröffentlichungen 
von Lazarus und Strassburger bestätigt. Redner stellt zum Schluss 
den Antrag: Zur Klarstellung der einander entgegenstehenden An¬ 
sichten — von der Anreicherung an Emanation im Blut und von der 
physikalischen Absorption der Emanation im Blut — das radiologische 
Institut in Heidelberg zu bitten, Versuche in dieser Richtung anzu¬ 
stellen. 

Sticke r- Berlin: „Anwendung des Radiums in der 
Chirurgi e“. Das Radium hat namentlich bei inoperablen Geschwül¬ 
sten eine grosse therapeutische Bedeutung. Flache Hautkrebse können 
durch Radiumbestrahlung gänzlich beseitigt werden. Bei frischen Re- 


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Bericht über die 33. Versammlung der Baineologischen Gesellschaft. 523 

zidiven kann das Radium eine gute Hilfsrnethode der Behandlung dar¬ 
stellen. 

P. Lazarus - Berlin: „Radiumemanation und B r u n- 
n e^n g e i s t“. Vortragender teilte die interessante Tatsache mit, dass 
die Bäder der 3 verschiedenen Gasteiner Orte, die so weit voneinander 
entfernt sind, dass die der Quelle nächsten viel Einheiten Radium- 
emanation, die entfernt liegenden diese aber verloren hatten, völlig 
gleiche Wirkung haben. Darnach dürfte wohl in Gastein die Wirkung 
des Bades nicht auf das Radium zurückzuführen sein. Auch geben die 
Bäder nur so wenig Radium dem Körper ab, dass von einer Wirkung 
wohl keine Rede sein kann. Nun hat man Trink- und Inhalationskuren 
eingeführt und die Emanatorien wollen die Reisen in die Bäder über¬ 
flüssig machen. Vortragender erklärt alle Grundlagen der Emanatorien 
für unrichtig und erbringt Beweise für diese Behauptung. Der Heil¬ 
wert der Quellen geht nicht parallel dem Gehalt an Emanation; der 
Brunnengeist ist nicht im Radium zu sehen, sondern in dem Geiste 
der Badeärzte, w'elche die Heilmittel richtig anzuwenden vermögen. 

ln der sich an die Radiumvorträge anschliessenden regen Diskussion 
dankt Gans- Karlsbad Herrn Lazarus für die wertvollen Aus¬ 
einandersetzungen. L o e w e n t h a 1 - Braunschweig verteidigt das 
Emanatorium und die Inhalationsmethode gegenüber der Trinkkur. 
Gudzent - Berlin weist darauf hin, dass die strittigen Punkte, deren 
Nachprüfung man heute hier erstrebt hat, schon durch Markwald- 
Berlin nachgeprüft wurden, der die Angaben Gudzent’s bestätigte. Er 
verwahrt sich dabei dagegen, nur die Inhalation in Anwendung zu bringen 
und die Trinkkur zu vernachlässigen; seine Beobachtungen allerdings 
haben ihm einen Vorzug der Inhalationsmethode vor der Trinkkur ge¬ 
zeigt. B r i e g e r - Berlin ersucht die Badeärzte, welche Emanatorien 
haben, mitzuteilen, ob dadurch die Heilerfolgt 1 in den Kurorten bessere 
sind. 

Glaessgen II-Münster a/St. teilt seine Erfahrungen mit den 
Radiumbädern und Emanatorien mit und grenzt den Wert der Trinkkur 
und des Emanatoriums ab. Hirsch- Salzschlirf warnt davor, den 
Wert der Kurorte nur nach ihrem Radiumeehalt zu beurteilen. H a u p t 
Soden i/T. macht einen Unterschied zwischen den künstlichen Emana¬ 
torien und denen mit natürlichem, emanationshaltigem Wasser in den 
Kurorten. 

Karo- Berlin: „Das Wesen der Prostatahyper¬ 
trophie und deren Therapi u‘\ Die Prostatahypertrophie 
ist vielfach die Ursache von Blasenerkrankungen im höheren Alter. 
Die Krankheitserscheinungen, die eine Prostatahypertrophie kenn¬ 
zeichnen, können entstehen durch Vergrösserungen des Organs und 
durch funktionelle Störungen. Letztere sind einfach durch die Lehre 
von der inneren Sekretion zu erklären. Sie sollten lieber als Prostatis- 
mus anstatt als Hypertrophie angesprochen werden. Ihre Behandlung 
gebt am besten auf dem Wege der Organotherapie vor sich. Bei tat¬ 
sächlicher Hypertrophie dagegen ist die chirurgische Behandlung am 
Platze. 

In der Diskussion sprechen sich Fellner- Franzensbad für, 
V' o 11 m e r - Kreuznach gegen die Prostatamassage aus, letzterer emp¬ 
fiehlt warme Sitzbäder. 

Fr. Meyer- Kissingen: „Einfluss gesteigerter 


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Steyerthal, 


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Marschleistungen auf die Körperentwicklung in 
den Pubertätsjahren schwächlicher Kinde r“. 

Durch den Zentralverein für Schülerwanderungen für die Berliner 
Gemeindeschulen, der seit 4 Jahren seine segensreiche Tätigkeit aus- 
übt, werden Schulkinder von 12—14 Lebensjahren auf 6 tägige Wan¬ 
derungen geschickt. Es wurde hierdurch eine starke Förderung der 
körperlichen Entwicklung erreicht. Das fördernde Moment liegt in der 
Anregung des StoiTwechsels. Schwächliche, blutarme Kinder erreichten 
dabei eine Gewichtszunahme von 5—13 Pfund innerhalb der Zeit von 
2—3 Monaten, während bei Kindern, die von der Wanderung ausge¬ 
schlossen blieben, knapp die gewöhnliche, physiologische Körperge¬ 
wichtszunahme erreicht wurde, obwohl diesen Kindern die Ferienzeit 
in voller Ungebundenheit zur Verfügung stand. Redner fordert auf. 
solche Wanderungen im verstärkten Masse vorzunehmen und daran 
genaue Untersuchungen über den Stoffwechsel zu knüpfen. 

Als Diskussionsredner tritt V o 1 1 m a r - Kreuznach für die Wan¬ 
derungen ein, denen er einen höheren Wert beimisst als dem Aufent¬ 
halt in den Kinderheilstätten. 

Sch ü rmaver - Berlin:,, Die Schwankungen des i n - 
traabdominalen Gleichgewichts und Druckes in 
ihren Folge n“. 

An der Hand von Röntgenogrammen gibt Sch. wertvolle Beiträge 
zur Lösung und zum Verständnis dieser Frage. Den mechanisch-phy¬ 
sikalischen Momenten ist in der Diagnose und Therapie der Magen- 
und Darmkrankheiten eine grössere Bedeutung beizulegen. 

B e e r w a I d - Altheide: demonstriert eine wertvolle Verbesse¬ 
rung des S a h 1 i’s c h e n Hämatometers. 

Burwinkel - Nauheim empfiehlt als recht brauchbares Mittel 
gegen die Seekrankheit das Nitroglyzerin, dessen gefäss- 
erweiternde Wirkung ja bekannt ist, während Meyer- Kissingen 
Oxaphor, F e 11 n e r - Franzensbad Vasotonin und Glaesgen 1- 
Münster a/St. das Resorzin empfiehlt. 


Altes und Neues über Hysterie. 

Von Dr. Armin Steyerthal, leitendem Arzte der Wasserheilanstalt Kleinen (Mecklb.) 

(Schluss.) 

Dass Sigmund Freud mit kühnem Salto mortale in das Jahr¬ 
hundert vor Cliar c o t zurückspringt, haben wir bereits gesehen. 
Er begründet damit eine Ausnahmestellung unter den modernen Hysterie¬ 
forschern, denn er weckt einen uralten Irrtum zu neuem Leben, während 
seine Genossen neue Irrlehren aus dem Boden stampfen. 

Was wir als „neuere Theorie n“, oder „m o d e r n e 
Anschauungen über Hysterie' 1 aufgetischt bekom¬ 
men, geht streng genommen ohne Ausnahme auf 
Charcot zurück. Wenn wir nicht bereits wüssten, dass sein 
Lehrgebäude ein künstliches Phantasma ist, so würde uns das Fiasko 
seiner Nachfolger die Augen darüber öffnen, denn alle wählen sie eine 
Fehlstelle in der Ansicht des Meisters zum Ausgangspunkte. 

Die Hysterischen, die Charcot in der Salpetriere vorfindet und 
die nach seinem eigenen Ausspruche ein „lebendes pathologisches 



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Altes und Neues über HyBterie. 


525 


Kabinett“ bilden, bieten ihm die erste Gelegenheit zu seinen klassischen 
Studien über die „grande Attaque“ und die wunderbaren Erschei¬ 
nungen des Somnambulismus. 

Nun sind jene Professionals — denn anders kann man den alten 
Stamm nicht gut nennen — durchweg schwer degenerierte, 
psychopathische Persönlichkeiten, folglich kann der 
Einwand nicht ausbleiben: Streng genommen ist die Hysterie nichts 
anderes, als Degeneration, und damit ist bereits eine der neuen Theorien 
fertig. Legrain hatte früher schon gesagt: „Der grösste Teil aller 
Hysterischen, um nicht zu sagen alle, sind Degenerierte“. 

Taborand, ein Schüler Magnans, fügt diesen Worten hinzu: 
„Von hier bis zu der Behauptung, dass die Hysterie nur ein 
S y m p t o m (un des syndromes) der Degeneration sei, ist 
nur ein einziger Schritt.“ 

Der kontradiktorische Gegensatz zur Charcotschen An¬ 
sicht ist klar, denn wenn die Hysterie ein selbständiges Uebel sein soll, 
das einen Schwachsinnigen, so gut wie einen Gichtiker und Rheuma¬ 
tiker befällt, so kann sie unmöglich das beiläufige Symptom einer grösse¬ 
ren Krankheitsgruppe bilden. 

Nun kommt der nächste Forscher, der über Chareots Experi¬ 
mente nachdenkt und sagt: Diese Kranken haben s o m n a m b u 1 i - 
sehe Zustände, folglich ist die Hysterie nichts an¬ 
deres als ein dauernder Halbschlaf — Somnam¬ 
bulismus — oder ein Wachschlaf — V i g i I a m b u I i s - 
m u s. — Die Zellen der Gehirnrinde sind eingeschläfert, sie liegen in 
einer Art von Winterschlafe, und das erklärt alle die seltsamen Phäno¬ 
mene. Damit haben war die Theorie Paul Solliers vor uns. 

Und w r e ter: Pierre Janet, ein Schüler des grossen Meisters, 
studiert uen Geisteszustand der Hysterischen in der Salpetriere. Er 
beschäftigt sich besonders mit der Gesichtsfeldeinschrän¬ 
kung und entdeckt hierin das Prototyp der krankhaften Verände¬ 
rungen. So wie der Hysterische die Herrschaft über die äussersten 
Regionen seines Gesichtskreises verliert, so vermag er auch sein B e- 
wusstseinsfeld nicht zu beherrschen, er verliert den 
psychischen Einfluss auf bestimmte Gegenden 
seines Körpers, er kann sie nicht genügend beaufsichtigen, 
•wie der Gesunde das unwillkürlich tut: darin liegt die Erklärung der 
Anästhesien, der Gedächtnisschwäche und vieler anderer Dinge. 

Die Ansichten Paul Solliers und Pierre Janets ähneln 
einander, aber einen grossen Schritt seitab tun wir, wenn wir einem 
anderen Anhänger Chareots, Paul Julius Möbius, auf 
seinem Gedankenw r ege folgen. 

Bei den Kranken des französischen Spitals sehen wir, dass sich 
körperliche Veränderungen, als da sind Krämpfe, Ge¬ 
fühlsunterschiede, Lähmungen und ähnliches, besonders leicht durch 
Vorstellungen künstlich produzieren lassen: 
folglich ist alles das Krankhafte hysterisch, was 
psychogen, d. h. durch Einbildung entsteht! 

Dass die Domäne „psychogen“ ein ganz anderes Gebiet umspannt, 
als Chareots Lehre von der Hysterie, ist auf den ersten Blick er¬ 
sichtlich. Nach Möbius ist jeder Schmerz, für den die körperliche 
Basis fehlt, „hysterisch“ zu nennen, während das davon be¬ 
troffene Individuum noch lange nicht hysterisch im Sinne der klassi- 


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Sievert hal, 


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sehen Auffassung zu sein braucht. Also auch diese Theorie widerspricht 
der ursprünglichen grundsätzlich. 

Damit haben wir bereits vier moderne Ideen über das Wesen der 
Hysterie nach ihrer Genesis erklärt. Ihnen allen ist die ursprüngliche 
Wurzel gemeinsam, sie fussen auf der Beobachtung, dass die In¬ 
sassen des berühmten Siechenhauses im Grunde 
Psy c h o p a t h e n sind, und jeder der genannten Forscher erhebt 
ein einzelnes S v m p t o m , das sich bei ganzen Scharen Minder¬ 
wertiger findet, zum Aushängeschilde für ein neues 
U e b e 1, die sog. „Hysteri e“. 

Die nächste Serie wählt den zweiten Trugschluss im Dogma der 
Salpetriere zum Ausgangspunkte. 

Dass die Begriffe „Hysterie“ und „Psychopathie“ sich decken, 
kann Charcot natürlich nicht zugestehen, denn die grosse Neurose 
ist ja ein selbständiges Wesen, das einen Degenerierten so gut wie einen 
erblich völlig einwandsfreien Menschen überrumpeln kann, und nun 
kommt die zweite These: Die Stigmata beweisen das 
Dasein dieser eigenartigen psychischen Seuche. 

Eine Zeitlang wird das unbestritten geglaubt — manche Aerzte 
glauben sogar heute noch daran — aber im eigenen Vaterlande erheben 
sich endlich ketzerische Stimmen gegen diesen Pariser Glaubenssatz. 

B e r n h e i m (Nancy) hat in einer Reihe von Schriften, sowohl 
die Unteilbarkeit der Hysterie wie auch die Bedeutung der Stigmata 
angefochten. Die Hemianästhesie wird nach ihm in den meisten Fällen 
durch einen unbewussten Einfluss des Arztes her¬ 
vor g e r u f e n (Suggestion medieale inconsciente). ln der Salpetriere 
bekommen wir nur eine Reinkultur der Hysterie zu sehen. Lebhaft 
protestiert er gegen die mysteriöse Krankheitseinheit 
„Hysterie“, in die man alle funktionellen Nervenleiden hineinzwängen 
will. 

Weit mehr als diese leicht verständliche, durchaus klare und lo¬ 
gische Meinung hat bei uns in Deutschland die in letzter Zeit viel be¬ 
sprochene Auffassung B a b i n s k i s die Geister in Bewegung gebracht. 

Auch dieser Jünger Charcots ist anfangs ein unbedingter An¬ 
hänger des Verbum magistri, aber dann kommen ihm Zweifel an der 
Richtigkeit der überkommenen Lehren, er beginnt einen Feldzug gegen 
die „Hysterie traditionelle“, der mit ihrem „Demembrement“ endet. 
Die Stigmata, insbesondere die Anästhesie und die Gesichtsfeld¬ 
einschränkung, sind für B a b i n s k i nichts als Kunstprodukte, 
die der Arzt beliebig mit Nadel und Pinsel bei der Untersuchung er¬ 
schafft, und ebenso lassen sich diese ad libitum hervorgezauberten 
Symptome durch gutes Zureden beseitigen. Stigmata hat nie¬ 
mand, es sei denn, dass er einmal in Spezia¬ 
listenhänden gewesen wäre. Die seltsame Reaktions¬ 
fähigkeit gegen die ärztliche Untersuchung, also die Eigenart ,sich die 
Signa hysterica auf- und absprechen zu lassen: das ist die Hysterie, 
nur passt das Wort seinem Sinne nach nicht mehr, wir sollten statt 
dessen „Pi t h i a t i s m u s“ sagen, denn „peitho“ heisst zureden und 
„iathos“ bedeutet heilbar. Was durch Zuspruch — Sug¬ 
gestion — entsteht und durch Ueberredung — 
Persuasion — verschwindet: das ist der innerste 
Kern der Charcot’schen Hysterie. 

Ob B e r n h e i m oder B a b insk i der Vorzug gebührt, den 



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Altes und Neues Ober Hysterie. 


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Gedanken an die Nichtigkeit der Stigmata zuerst in die Welt gesandt 
zu haben, kann unerörtert bleiben, denn ganz dasselbe hat schon fast 
zehn Jahre vor den beiden Franzosen (1897) Böttiger (Hamburg) 
ausgesprochen. Dass seine Meinung damals in weitere Kreise gedrungen 
ist, lässt sich nicht ohne weiteres beweisen, doch ist sie in B i n s - 
wangers grossem Werke über die Hysterie (1904) ausdrücklich er¬ 
wähnt, und dieses Buch hat man gewiss auch in Paris gelesen. 

Dass echte Hemianästhesien, die genau in der Mittellinie abschnei- 
■den, überhaupt nicht existieren, hatten Thomsen und Oppen- 
h e i m schon lange vorher erwiesen. 

Eine ganz moderne, aber leider wiederum recht alte Erklärung 
der Mechanik hysterischer Symptome ist ihre Auffassung als geisti¬ 
ger und körperlicher Ausdruck eines krankhaf¬ 
ten Affektlebens. Dornblüth stellt diese Begriffsbe¬ 
stimmung einem dicken Buche über die Psychoneurosen voran, H e 11 - 
p a c h hat dasselbe poetischer als p s y c h o p h y s i s c h e D i s Pro¬ 
portionalität zwischen Affekt und Ausdruck be¬ 
zeichnet. 

Waren die Ansichten der vorhin erwähnten Gelehrten — M a g n a n, 
Paul Sollier, Pierre Janet, Böttiger, Bern heim, 
B a b i n s k i und auch Sigmund Freud kann man unbedenklich 
hinzurechnen —- aus schwachen Stellen der klassischen Lehre entstanden, 
so springen wir mit der Betonung der krankhaften Reizbarkeit über 
die letzten fünfzig Jahre hinweg und gelangen mit einem Satze auf die 
Vorstufe, die zu der Schwelle der Salpetriere führt. So weit war man 
gerade gekommen, als C h a r c o t seine Lehrtätigkeit beginnt, cs ist 
gewissermassen das Destillat aller geistigen Prozesse, seit Thomas 
Sydenham die Retorte angeheizt hatte. 

B r i q u e t, der aufgeklärteste Kopf unter Charcots Vorgängern, 
sagt (1859): „Die Hysterie ist eine Neurose des Gehirns, deren hervor¬ 
stechendste Merkmale im Ausdrucke der Affekte und 
Leidenschaften bestehen (Manifestation des sensations 
affektives et des passions).“ 

Und auch das ist nicht neu, das hatte schon Pressavin (1770) 
festgestellt, aber weiter können wir diesem Gewährsmanne allerdings 
nicht folgen, denn er steckt noch tief in dem Aberglauben des Pau¬ 
lus von Aegina, dass ein „Vapor venenatus“ die übertriebene 
Reizbarkeit bewirke. 

Die heute gültige Anschauung vom krank¬ 
haften Affektleben ist vor mehr als sechzig 
Jahren schon einmal so modern gewesen, dass 
sie sogar in einem medizinischen Lexikon Platz 
gefunden hat. 

• „Uns ist die Hysterie eine abnorme Reizbarkeit des 
gesamten Nervensystems, infolge deren die verschiedenen 
Provinzen dieses Systems gegen die unbedeutendsten dynamischen, 
organischen und psychischen Einflüsse, welche andere gesunde Menschen 
gar nicht affizieren, eine exzessive Reaktion aufbieten.“ 

Das hätte auch Willy H e 1 1 p a c h schreiben können, und 
doch stammt der Passus aus Schmidts „Enzyklopädie der gesamten 
Medizin“ vom Jahre 1848. 

Zum Schlüsse mag noch eine originelle, wenn auch darum keines¬ 
wegs „originale“ Meinung zur Besprechung kommen, die Gleich- 


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Steyerthal, Altes und Neues über Hysterie. 


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Stellung der Hysterie mit der Epilepsie. Aus der 
N o n n e’schen Abteilung des Eppendorfer Krankenhauses zu Hamburg 
hat Steffens eine Anzahl von Fällen veröffentlicht, die diese An¬ 
sicht deutlich zu belegen scheinen. 

Es ist hier nicht der Ort, auf die Kasuistik, oder auf das pro et 
contra der Theorie einzugehen, es mag nur erwähnt werden, dass schon 
im Jahre 1618 Charles Lepois (auch Le P o i s oder Carolus 
P i s o genannt) diese Ansicht in einem gelehrten Werke verfochten hat. 
Er ist dadurch zu grosser Berühmtheit gelangt, denn die Franzosen 
feiern ihn als den Vater des Gedankens an die männ¬ 
liche Hysterie. Da man glaubte, durch den Nachweis dieser 
Tatsache den Hippokratischen Irrtum stürzen zu können, so datiert 
man von dem Erwachen der Idee eine neue Epoche in der Geschichte 
der Hysterie. 

Wenn H e 1 1 p a c h sagt: „Carolus P i s o ist der Name, dem 
es gebührt, an den Anfang der neueren Hysterieforschung gestellt zu 
werden“, so darf man w r ohl annehmen, dass er das schwülstige Werk 
des gelehrten Arztes nicht gelesen hat, denn Charles Lepois tut 
weiter nichts, als dass er die Epilepsie und die Hysterie 
für ein und dieselbe Krankheit erklärt. Das hatten 
auch vor ihm schon manche geglaubt, aber bewiesen hat es bis heute 
noch niemand. — 

Damit sind zehn verschiedene Autoren über die Hysterie zu Worte 
gekommen. Jeder versteht etwas anderes unter diesem mystischen 
Begriffe, unüberbrückbare Gegensätze und unvereinliche Widersprüche 
trennen fast jede einzelne Ansicht von der nächsten, aber trotzdem ist 
ein Moment ihnen allen gemeinsam :Alle diese Forscher neh¬ 
men die Existenz eines seltsamen, unfassbaren 
Wes e n s „Hysterie“ als über alle Z w r e i f e 1 erhaben 
a n , niemand tritt voraussetzungslos an seine Aufgabe heran, niemand 
frägt: Gibt es denn wirklich eine selbständige, 
einige und unteilbare Krankheit, die jenen Na¬ 
men iverdient oder sind etwa die so genannten 
„hysterischen“ Symptome Krankheitszeichen, 
die sich allüberall in der ganzen Pathologie ver¬ 
streut finden und an sich gar nichts beweisen, 
es sei denn, dass der Körper, den sie stigmati¬ 
sieren, auf irgend eine Weise krank ist? 

Wenn heute jemand aufträte und sagte: Die Wassersucht ist kein 
Symptom bei Krankheiten des Herzens, der Leber und der Nieren: 
nein, sie ist ein selbständiges Uebel, ein Morbus unicus et indivisibilis, 
sie bleibt stets ein und dasselbe, das Grundleiden bahnt ihr nur den 
Weg, so würde er ausgelacht werden. Aber das Jahrhundert, das Ru¬ 
dolf Virchows Auftreten vorausgeht, hat noch felsenfest an diesen 
Mythus geglaubt, wir spotten darüber und doch stecken wir mit unserer 
Idee von der Selbstherrlichkeit der Hysterie noch tief in mittelalter¬ 
licher Schwärmerei. 

Eine „Entite morbide“ die Hysterie gibt es gar nicht und hat es 
nie gegeben, so wenig als es je einen Hydrops indivisibilis gegeben hat, 
das eine so gut wie das andere ist ein Symptom, 
das äusserlich bezeichnet, wie sehr der Mecha¬ 
nismus tief innen im Menschen gestört ist. Gehen 
wir den c’est ä dire „hysterischen“ Zeichen — mag man nun an sic 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


529 


glauben oder sie für künstliche Gebilde halten — geradenwegs nach, 
so sind es zwei grosse Krankheits-Gruppen, zu denen sie uns führen: 
Die eine besteht aus den Hereditariern, Psychopathen,. 
Degen eres superieurs, also den vom Geschick 
Enterbten, die wiederum nur ein bescheidenes Abteil des 
Schwachsinns ausmachen, die andere umfasst alles das, 
was seine Nervenkraft i m Kamp f e u m s Dasein 
erschöpft hat, und dafür ist das Modewort Neurasthenie 
eine zehnmal treffendere Bezeichnung als irgend ein älterer griechischer 
Ausdruck. 

DasWort „Hysterie“ lässt sich an j e d e r Stelle 
durch ein anderes sinngemässcres ohne alle 
Schwierigkeit ersetzen, und daher sollten wir 
nicht länger zögern, diesen heute völlig sinn¬ 
losen Terminus aus unserer Zunftsprache gänz¬ 
lich zu e n t f e r n e n. 

Dann wird mit der Zeit auch jenes Schattenwesen, nach dem die 
Forscher wie nach einem in der Ferne einherziehenden Nebelschwaden 
tasten, von selbst verschwinden und damit haben wir dann endlich 
einen Spuk gebannt, der uns heute und diesen Tag noch wie die Kinder 
schreckt. 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 

Der Gallenblasen-Solitärstein. 

Von Dr. Oskar Klauber, Spezialarzt für Chirurgie in Prag. 

Bisher nahm man mit Naun y n an, dass die Gallensteine der 
Infektion ihre Entstehung verdanken: die katarrhalische Ent¬ 
zündung der Gallenblasenwand führt zum Ausfallen fester Bestandteile. 
Untersuchungen der Struktur der Gallensteine durch A s c h o f f und 
Bacmeister haben aber erwiesen, dass gewisse Steine auch schon 
in einer sterilen Gallenblase durch rein mechanische abflusshemmende 
Momente sich bilden können. Solche Steine kommen meist in der 
Einzahl vor und bestehen aus kritallinischem Cholestearin. Sie ent¬ 
wickeln sich langsam zu ansehnlicher Grösse, ohne dem Träger irgend¬ 
welche Beschwerden zu bereiten. Tritt jetzt die Infektion hinzu, so 
kommt es rasch zum Verschluss der Ausführwege, zu schweren, selbst 
phlegmonösen Entzündungen in der Gallenblasenwand und zur Bildung 
eines Empyems. Gleichzeitig scheiden sich auf dem Cholestearinkern 
des Steines Niederschläge von Pigmentkalk ab, er bekommt das Aus¬ 
sehen gewöhnlicher Gallensteine, oder neben dem Solitärstein bilden 
sich multiple kleinere Steine von Cholestearin- und Bilirubinkalk. 

Die Entzündung der Gallenblasenwand führt zur Bildung jener 
grossen Tumoren in der rechten Bauchhälfte, die sich aus der vergrösser- 
ten Gallenblase und den umliegenden, durch pericholecystitische Ver¬ 
wachsungen angelötetpn Nachbarorganen zusammensetzen und der 
Diagnose oft grosse Schwierigkeiten entgegensetzen. Darm- und ins¬ 
besondere peritvphlitische Tumoren, eine Wanderniere oder Hvdro- 
nephrose sind davon schwer sicher abzugrenzen, bei dislozierten Orga 

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■530 Referate und Besprechungen. 

non kommon auch noch Genital- und Magenerkrankungen in diagnostische 
Erwägung. 

Die Krankheit zieht sich wochen- und monatelang hin, die Patienten 
kommen durch ihre ständigen Beschwerden und Darmstörungen sehr 
herunter, so dass der Verdacht einer malignen Erkrankung nahe liegt. 

Sicherheit in der Diagnose kann trotz aller modernen diagnostischen 
Hilfsmittel (Röntgenaufnahmen, Ureterenkatheterismus usw.) doch 
meist erst die Operation bringen. Von einem kleinen Einschnitt in der 
rechten Bauchhälfte ist meist sofort die Diagnose der Art der Erkran¬ 
kung zu stellen. Liegt der grosse wandverdickte und entzündete, zu¬ 
weilen in Verwachsungen eingebettete Gallenblasensack da, so ist für 
das Empyem die Zvstektomie das einzig richtige Verfahren. Aber auch 
der Hydrops der Gallenblase, der Endausgang minder virulenter In¬ 
fektionen, ist ein dankbares Objekt operativer Therapie. 

Konserviert man die exstirpierten Gallenblasen, indem man sie un- 
eröffriet in K a i s e r I i n g’sche Flüssigkeit bringt, so kann man an den 
fixierten Organen nach dem Aufschneiden schön die Genese der Er¬ 
krankung erkennen. Bald sitzt der grosse Solitärstein ventilartig ein¬ 
gekeilt im Gallenblasenhals, den Abfluss verhindernd, während gleich¬ 
zeitig die gesteigerte Sekretion den Innendruck noch weiter erhöht, 
ln anderen Fällen ist ein kleinerer Stein schon ein Stück in den Zysti- 
kus eingetreten, wird aber hier zwischen den Falten des Ganges fest¬ 
gehalten, der Druck und Fremdkörperreiz führen zum völligen Ver¬ 
sehwellen des Ganges. Die Gallenblasenwand selbst zeigt die verschie¬ 
denen Grade der Entzündung bis zur Ulzeration und zum Durchbruch, 
der sich oft gerade gegen den Darm ausbildet. 

Solche Präparate zeigen uns recht augenscheinlich die Gefahren 
des Leidens und die Notwendigkeit der Operation. Diese, meist nicht 
schwierig auszuführen, zeitigt heute dank der vcrvollkommten Technik 
der Gallenlaparotomie glänzende Resultate, so dass ganze Serien von 
Operationen ohne Todesfall durchzuführen sind. Die Kranken erhoien 
sich rasch, nehmen ganz bedeutend an Körpergewicht zu und werden 
wieder arbeitsfähig und lebensfroh. 

(Nach einer Demonstration im Verein Deutscher Aerztc zu Prag 

am 19. Januar 1912.) 


Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

v. Prowazek (Hamburg), Nötiz zur Ätiologie der Pgoriasis vulgaris. (Centr. 
f. Bakt., Bd. 62, H. 1/2.) 

v. P r. hat nach gründlicher Säuberung der Haut mit Benzin und 
Alkohol und nach Ablösung der obersten Hautschuppen, im vordringenden 
Serum, von dem Klatsch- und Ausstrichpräparate angefertigt wurden, neben 
den Körperchen von Lipschützs Spirochäten gefunden; an einzelnen For¬ 
men sah er Periplastanhänge und Einrollungen. 

Einige Autoren setzen die Psoriasis zu polyartikulären Gelenkerkran¬ 
kungen ohne Herzkomplikationen in Beziehung und v. Prowazek hat seit 
längerer Zeit schon vermutet, daß der Erreger des akuten Gelenkrheuma¬ 
tismus unter den Spirochäten zu suchen sei, die durch die Tonsillen ihren 
Weg in den Organismen finden. Schürmann. 



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Referate und Besprechungen. 


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Börr und Piek (Wien), Bas Verhalten heterologer Immiinsera im normalen 
*ind im allergischen Organismus. (Centralbl. f. Bakt., Bd. 62, H. 12.) 

Im anaphylaktischen Shock läßt sich ein erhöhtes Verschwinden von 
Antigen gegenüber der Norm bei hochempfindlichen Meerschweinchen und 
bei den relativ wenig gegen Anaphylaxie empfindlichen Kaninchen nicht 
feststellen. Somit wird im Abbau von Antigen zu einem Gift als Ursache 
des anaphylaktischen Phänomens unwahrscheinlich. 

Intraperitoneal injiziertes Antigen wird rascher und in größeren Mengen 
in die Zirkulation bei anaphylaktischen Meerschweinchen aufgenommen als 
bei normalen Tieren. Verfasser nehmen an, daß der anaphylaktische Shock 
bei intraperitonealer und subkutaner Antigeninjektion nicht auf der Reak¬ 
tion eines Giftes beruht, sondern vielmehr auf die Reaktion des in das 
Blut aufgenommenen Antigenüberschusses mit dort vorhandenem Antikörper 
zurückgeführt werden kann. 

Dio Eiweißnatur der Immunstoffe erklärt sich aus den Versuchen 
der Verfasser durch das Verhalten des Bakterienimmunagglatinie und der 
präzipitablen Substanz heterologer Immunsera im Blute normaler und 
allergischer Tiere. Natürlich kommen Differenzen vor, die wahrscheinlich 
sowohl auf einer Vielheit der präzipitablen Substanzen beruhen, als auch 
darin ihren Grund haben, daß die Agglutinine nicht mit der gesamten 
präzipitablen Substanz des betreffenden Serums identisch sind. 

Schürmann. 

Hanssen (Kiel), Untersuchungen am Hunil über den EinfltiB Infizierter 
Milch auf das Bakterienwaelistuni im Verdauungstraktus, speziell iin Mavcn. 

•Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 1/2.) 

Hunde wurden mit Milch gefüttert, die mit vielen Milchbakterien in 
Reinkultur infiziert war. Die Hunde wurden nach 2 Stunden getötet und 
im Magen Keimzahl und Magenflora untersucht. Die Darmschleimhaut wurde 
ebenfalls einer eingehenden Untersuchung unterzogen und auf etwaige 
pathogene Wirkungen geachtet. Im Magen war die Keimzahl der Bak¬ 
terien sehr vermindert. In einigen Versuchen, die mit Säurebildnern an¬ 
gestellt waren, fand sich keine Verminderung der Keimzahl, eher war 
sie etwas erhöht. Die Keimzahlerhöhung ging nicht von den eingeführten 
Keimen aus, vielmehr hatten sich andere im Munde oder Magen nchon 
vorhandene Keime vermehrt. Auch zeigte sich in diesen Versuchen, 
bei denen es sich um erhöhte Keimzahlen handelte, keine Beschleunigung 
der Peristaltik oder leicht erkennbare Störung der Verdauung. Verdauungs¬ 
störungen zeigten nur der Bazillus Flügge Nr. VII. und ein stark 
wachsender Coli-Stamm. Die Koagulumbildung im Magen war bei Fütte¬ 
rung infizierter Milch zum Teil weniger fest als normal. Die Verdauung 
der Milch und die getrennte Entleerung von Molke und Koagulum in den 
Darm schien aber meist ungestört zu sein. Schürmann. 

Risa und Mustafa (Stambul), Uer Erreger der Aleppobeule und seine Kultur. 
{ Centralbl. f. Bakter., Bd. 62, H. 1/2.) 

Der Erreger der Aleppobeule ist ein Protozoon, das dem der Kala-azar 
ähnelt. Verfasser hatten Gelegenheit, diesen Parasiten an 3 Patienten gleich¬ 
zeitig zu studieren und auch zu kultivieren. Die Kulturversuche gelangen 
in Kaninchenblutagar-Kondenswasser, das N i c o 11 e für Kala-azar verwandt 
hatte. 

Eine Behandlung der Beulen mit Salvarsaninjektionen (0,45 g Salvar- 
san intravenös) schlug fehl. Lokale Injektionen in die Beulen von Atoxvl, 
Salvarsan und Chinin blieben ebenfalls ohne Erfolg. Die einzige Behand¬ 
lung besteht darin, die Beulen nicht zu berühren und sie durch Sauber¬ 
haltung vor sekundärer Infektion zu schützen. Sie heilen dann glatt und 
ohne Narbenbildung. Schürmann. 

Plehn (München), Eine neue Karpfenkranklieit und ihre Erreser: Bran- 
ehiomyces sanguinis. (Centralbl. f. Bakt., Bd. 62. H. 12.) 

Eine bisher nur bei Karpfen und Schleien beobachtete Erkrankung, 
die auf eine Pilzwucherung zurückzuführen ist. Und zwar sind die Kiemen 
vollständig mit Pilzmycelien durchwachsen, welche auf die Blutgefäße be- 

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Referate und Besprechungen. 


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schränkt bleiben. Diese Erkrankung wurde im Laufe von kaum drei 
Wochen in Thüringen, Schlesien und im Lübeckischen festgestellt. Vor¬ 
zügliche Figuren sind der Arbeit beigegeben. Schürmann. 

Huntemüller (Berlin), Befunde bet Maul- und Klauenseuche. (Centralbl. 
f. Bakt., Bd. 61, H. 4/5.) 

In direktem Aphtheninhalt sowohl wie aus Schnittmaterial fand Ver¬ 
fasser eigentümliche Körper, die meist intrazellulär gelegen, von einem 
hellen Hof umgeben sind, der sich bei den frei in der Lymphe liegenden 
als helle, runde oder ovale Scheibe darstellt. Beigegebene Figur zeigt 
diese Gehilde. Schürmann. 

Odaira (Breslau), Beiträge zur Kenntnis der hämoglobinophilen Bazillen, 
mit besonderer Berücksichtigung des Bordetsehen Bazillus. (Centralbl. f. Bakt., 
Bd. 01, H. 4/5. 

Bei Keuchhuslenkranken kann man hämoglobinophile Bakterien als 
Krankheitserreger nachweisen. Bei Abwesenheit derselben sind häufig ver¬ 
schiedene andere Bakterien als Erreger angesprochen worden. Es handelt 
sich auch bei den Keuchhustenbefunden mit hämoglobinophilen Bakterien 
um mindestens zwei voneinander scharf unterscheidbare Erreger, der eine 
von 0. nachgewiesene Bazillus deckt sich in seinen morphologischen und 
immunisatorischen Eigenschaften mit dem Bordetsehen Bazillus, der andere 
verhält sich wie ein echter Influenzabazillus. Demnach würde die Keuch¬ 
hustenerkrankung keine ätiologisch-einheitliche Erkrankung sein, sondern ein 
Symptomenkomplex darstellen, der bei verschiedenen Infektionen! Vorkom¬ 
men kann. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Carton, 1*. (Brövannes', Neue Ideen über die Schwindsucht. (Gaz. m&i. de 
Paris 1911, Nr. 123, S. 387/88.) 

Nachdem man lange genug vom Tuberkelbazillus hypnotisiert gewesen 
ist, drängt sich neuerdings immer lauter die Frage auf: Woran liegt es 
denn, daß die Materia peccans trotz ihrer Ubiquität nur in verhältnismäßig 
wenigen zur Ansiedlung und Entwicklung kommt? Die Antwort muß so lauten, 
wie sie schon Kelsch 1905 gegeben hat: „La notion du terrain est 
fondamentale dans la pathogenie de la tuberculose/' oder noch schärfer 
nach Savoire: „La tuberculose n’est pas une maladie determinee par 
le bacille de Koch, mais un etat de decheance organique qui rend possible 
le developpement de ce dernier.“ 

Unter der Nachwirkung neutestamentlicher bezw. mittelalterlicher Vor¬ 
stellungen — etwa nach dem Axiom: Der Tod ist der Sünden Sold (Römer 
0,23) hat man lange Zeit den Alkohol und die Lues als die Sünden an¬ 

gesehen, die sich durch die Schwindsucht rächen. Daß auch andere Kon¬ 
stitutionsanomalien diesen Effekt haben können, wird erst allmählich deutlich. 
C a r t o n beleuchtet den Arthritisme als ätiologisches Moment und meint, 
bei solchen Formen sei die Mast- und Liegekur vom übel. Man dürfe nicht 
sagen: Dieser Kranke leidet an Tuberkulose; also behandle ich ihn nach 
dem und dem Schema. Man müsse vielmehr nach der Konstitutionsanomalie, 
nach der decheance organique suchen, welche gerade bei diesem Patienten 
die Ansiedlung des Tuberkelbazillus ermöglicht hat, und da den therapeuti¬ 
schen Hebel ansetzen. Buttersack-Berlin. 

Roux, J. (Cannes), Tuberkulose durch Enzym-Mangel (la tuberculose 
cas^euse et uleäreuse consid6r6e coinme d6tcrniin6e par une defaillance enzy- 
niatique, prnt^olytique, et lipolytiquc des glandcs digestives.) (Progr. m6d. 1911, 
Nr. 50, S. 607/611.) 

Der forschende Geist macht nirgends halt. Eine Zeitlang stand man 
still und bewunderte die P'ülle von Bildern, welche das Mikroskop zeigte: 
heute arbeiten wir bereits mit dem Ultramikroskop. Ähnlich erging es 
der Chemie: Moleküle, Atome, Elektrone, Jonten bezeichnen den zurückge¬ 
legten Weg; heute können wir nicht mehr ohne Fermente, Enzyme, Kata¬ 
lysatoren auskommen. Der Kundige erkennt darin ohne Mühe den Wandel 



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Referate und Besprechungen. 


533 


der Anschauungen, den langsamen Übergang vom materialistisch-atomisti- 
schen Denken zum energetischen, und nur der Unkundige verkennt, daß wir 
damit in der Richtung zum Meta-Physischen uns bewegen. Der vorliegende 
Aufsatz ist ein interessantes Dokument in dieser Beziehung. 1907 begann 
Roux seine Versuche in der Idee, die Tuberkulose durch Verseifung der 
Bazillen zu heilen. — 1911 hat er erkannt, daß die Proteinstoffe des Tuber¬ 
kelbazillus Verkäsung, seine Fettkörper Geschwüre erzeugen uqd daß es 
nur darauf ankomme, die entsprechenden Katalysatoren oder Enzyme im 
tierischen Organismus mobil zu machen, um der Krankheit Herr zu werden. 
Ein Rezept hat R. noch nicht gefunden. Im Gegenteil, er meint: en fait de 
tuberculose, il faut avancer timidement, prudemment, und diese Erkenntnis 
zeichnet ihn vor dem Gros der erfolg-lüsternen Experimentatoren aus. Aber 
wenn auch in der täglichen Praxis mit den von Roux entwickelten Ideen 
noch nicht viel anzufangen ist, so sind sie doch als Zeichen der Zeit wie 
als Ausgangspunkt weiterer Gedankenketten in gleicher Weise schätzens¬ 
wert. Buttersack-Berlin. 

Vincent, H. (Paris), Tvphiissclnitztmprungen. (Bullet, mod. 1011, Nr. 95. 
S. 1001.) 

Im nördlichen Abschnitt der Grenze zwischen Algier und Marokko 
standen im Herbst 1911 rund 3000 Soldaten. Der Aufenthalt enthielt alle 
Bedingungen für eine Typhusepidemie: schlechtes Wasser, schlechte Ver¬ 
pflegung, massenhafte Fliegen, anstrengenden Dienst. Von der Besatzung 
blieben 2632 Mann ungeimpft; es erkrankten an Typhus 171, an gastrischem 
Fieber 134, mithin zusammen 115,88 °/o o (gestorben sind davon 22). 

Mit dem Vaccin von W r i g h t wurden 129 geimpft; davon erkrankte 
l Mann (= 7,75 °/ou) an leichtem Typhus. 

Mit dem polyvalenten Vaccin von Vincent wurden 154 geimpft; 
irgend eine — auch nur leichte Erkrankung wurde bei diesen Mannschaften 
nicht beobachtet. Um sicher zu gehen, waren nur solche heute geimpft 
worden, die früher nicht schon einen Typhus oder gastrisches Fieber 
durchgemacht hatten. 

Das Resultat ist mithin höchst erfreulich, und zwar um so mehr als 
die Beschwerden der Impfungen (4 Injektionen des Wrightschen, 5 des 
Vincentschen Vaccins) unbedeutend waren und sich auf Lokalschmerz, Fie¬ 
ber und Kopfweh beschränkten, Symptome, welche sich mit Antipyrin leicht 
beseitigen ließen. Übrigens traten sie nur bei der ersten Injektion auf. 

In der Diskussion berichtete Chan te messe von 50 Impfungen beim 
2. Zuaven-Regiment. Von diesen erkrankte keiner, dagegen von 30 nicht¬ 
geimpften Kameraden 2 an Typhus, 3 an gastrischen Erscheinungen. 

Ruttersack-Berlin. 

Salomen, H. und Saxl, P., Eine Schwefelreaktion im Harne Krebskranker. 

(Deutsche nied. Wochensehr. 1912, Nr. 2.) 

Die Reaktion beruht bekanntlich auf dem Nachweis eines dem Neutral¬ 
schwefel angehörigen Harnbestandteils, dessen Schwefel durch gelinde Oxyda¬ 
tion mit H ä O ä abspaltbar ist und als Bariumsulfat nachgewiesen wird. 
Die Verfasser haben die Reaktion seit der ersten Mitteilung modifiziert 
und führen sie jetzt so aus: 100 ccm unzersetzten Tagesharns werden filtriert, 
das spezifische Gewicht bestimmt, event. vorher jede Eiweißspur ent¬ 
fernt. Der Harn wird in einem Becherglas (’/s 1) mit 10 ccm HCl (sp. G. 
1,12) auf dem Asbestnetz bis zum ersten Aufsteigen von Blasen erhitzt. 
Gleich darauf werden 200 ccm siedendes Wasser und dann 10 oder 15 ccm 
10 o'o Bariumchloridlösung (je nachdem das sp. Gew. des Harns unter oder 
über 1020 war) langsam mit der Pipette eingetropft. Das mit einem 
Uhrglas bedeckte Becherglas wird nun 6 Stunden auf einem kräftig sieden¬ 
den Wasserbad erhitzt, dann läßt man 24 Stunden bei Zimmertemperatur 
absitzen. Jetzt wird sorgfältig durch Barytpapier (311 von Max Dreverhoff, 
Dresden) filtriert (Trichter 6 cm Durchmesser; man fertige sich aus dem 
doppelt gelegten Filtrierpapier ein Filter, lege es sorgfältig dem Trichter 
an, befeuchte gut mit dest. Wasser, lasse 10 Minuten stehen); der Bodensatz 
wird nicht aufgerüttelt und überhaupt nicht auf das Filter gebracht, son- 


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Referate und Besprechungen. 


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(lern weggegossen; sodann filtriere man ohne Nachwaschen das ganze Filtrat 
durch dasselbe Filter nochmals in einen Erlenmeyerkolben (500 ccm), setze 
3 ccm Perhydrol Merck dazu und halte den Kolben mit aufgesetztem Trich- 
terchen bei kleiner Flamme auf dem Asbestnetz ‘/ 4 Stunde lang im Sieden, 
wobei nur wenig verdampfen soll. Nun gießt man den Inhalt in ein Spitz¬ 
glas und sieht nach 12—24 Stunden den Niederschlag an; ein die Kuppe 
des Spitzglases ausfüllender Niederschlag von mit braunem Farbstoff ver¬ 
unreinigtem Bariumsulfat bedeutet positive, spärlicher Niederschlag negative 
Reaktion. Man verwendet nur beste Sedimentierungsspitzgläser von 300 ccm. 
bei denen der positive Ausfall die Kuppe ausfüllt. Wägungen des Barium¬ 
sulfatniederschlags ergaben bei positivem Ausfall 0,01—0,018 g. bei nega¬ 
tivem 0,001 0,007 g. Die Reaktion soll an 2 Tagen, am besten unter 

Vermeidung von Medikamenten, angestellt werden. Die Verfasser unter¬ 
suchten 41 Krebskranke; die Reaktion war bei 30 positiv, bei 4 schwach 
positiv, bei 1 fraglich, bei 6 negativ. Von 182 Nicht-Krebskranken war 
die Reaktion positiv bei 6, schwach positiv bei 3, fraglich bei 1, negativ 
bei 172. M. Kaufmann-Mannheim. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Forssner, Uber die Einwirkung der Schwangerschaft auf die Zuckerkrank¬ 
heit. (Nord. Med. Arkiv. 1911, Afd. I. Nr. 35.) 

F. teilt zunächst einen sehr scnweren Fall von Diabetes mit, in dem 
während der Schwangerschaft die Azetonkörperbildung beträchtlich stieg, 
nach Unterbrechung derselben aber fiel. Die Zuckerausscheidung stieg da¬ 
gegen zunächst sogar noch an, aber nach und nach trat bei geeigneter 
diätetischer Behandlung Besserung ein. — Die literarische Kasuistik ge¬ 
statte leider keine bindenden Schlüsse, da viele Fälle nicht genau genug 
beobachtet und beschrieben seien. Sicher scheine nur das zu sein, daß bei 
schwerem Diabetes durch die Schwangerschaft eine vorübergehende 
Verschlechterung eintrete; ob dies aber auch bei den leichteren Fällen so 
sei, müsse erst noch festgestellt werden. Wahrscheinlich sei indes schon 
heute, daß auch in diesen Fällen eine Vermehrung der Azetonurie ein¬ 
trete. — Therapeutisch ist F. der Meinung, daß die Unterbrechung 
der Schwangerschaft nicht berechtigt sei, solange der Diabetes unzweifel¬ 
haft leicht bleibt; eine mäßige oder (in den leichtesten Fällen) sogar eine 
sehr erhebliche Abnahme der Toleranz, sowie eine mäßige Zunahme der 
Azidose dürfte man ruhig hinnehmen können, solange doch eine einigermaßen 
beträchtliche Toleranz erhalten bleibe. Bei den schweren Formen müsse 
vorläufig jeder einzelne Fall für sich beurteilt werden. Genaue klinische 
Beobachtung bei sachverständiger diätetischer Behandlung sei notwendig. 

Eine große Bedeutung dürfte dem zu erwartenden psychischen Eindruck 
der eventuellen Schwangerschaftsunterbrechung beizumessen sein. 

R. Klien-Leipzig. 

B61a N’Ädory. Her K6smarsky'sehe Dekapitationsekraseur. (Zentralbl. für 
Gyn. 1912. Nr. 6.) 

Es ist zuzugeben, daß für den Praktiker ein wirklich leicht und sicher 
zu handhabendes Dekapitationsinstrument noch nicht existiert. Versuche, 
ein solches zu schaffen, sind daher stets zu begrüßen. In dem Kesmarsky- 
schen Ekraseur, der noch wenig bekannt ist, scheint in der Tat für die 

Fälle, in denen der kindliche Hals für den Finger zugänglich ist, eini 

solches Instrument vorzuliegen, wenigstens hat es sich N. in 7 Fällen von 

verschleppten Querlagen gut bewährt. Allerdings bediente er sich, um das 
Herumführen der Drahtschlinge um den kindlichen Hals zu erleichtern, 
eines besonderen am Finger zu befestigenden Ringes. Der Hauptvorteil 
des Ekraseurs liegt darin, daß er, wenn er einmal liegt, wie kein anderes 
Instrument eine durchaus die gedehnten mütterlichen Weichteile schonende 
Abtrennung des kindlichen Kopfes ermöglicht. R. Klien-Leipzig. 



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Referate und Besprechungen. 


535- 


Stapfer (Paris), Der Utero-ovarial-Rhythinus. • (Bullet, tned. 1912, Nr. 9,. 
8. 99 100.) 

Die Wellenlänge einer katamenialen Periode beträgt nicht 28 Tage; 
wir müssen vielmehr innerhalb dieses Zeitraums zwei Perioden, 2 Phasen 
annehmen. Die erste Hyperämiewelle der Beckenorgane setzt am 15. Tage, 
die andere am 28. Tage ein. Die eine entspricht der Reifung und der 
Ruptur des Graafschen Follikels, die zweite jener des Corpus luteum. Eine 
Genitaluntersuchung liefert sonach ganz verschiedene Bilder, je nach dem 
Zeitpunkt, in welchem sie vorgenommen wird, und diese Bilder wechseln 
relativ schnell. Aber neben diesen Lokalvorgängen nimmt auch der ganze 
weibliche Organismus an der Wellenbewegung teil, so daß S t a p f e r ein altes 
Sprichwort dahin variiert: propter ovum et corpus luteum, valida aut aegrota, 
mulier id est quod est. Buttersack-Berlin. 

Solowij, A., Über ein Friihsymptom der Extrauteringravidität. (Zentralbl. 
f. Gyn. 1912 Nr. 5.) 

Zweimal bewahrte sich als diagnostisches Zeichen das frühzeitige Auf¬ 
treten einer teigartigen Resistenz im Douglas neben einem undeutlichen 
Adnextumor. Die Resistenz rührte her von einer kleinen Blutung. 

R. Klien-Leipzig. 

Schubert, Gottfried, Zwei weitere Fälle von Scheidenbildiinir bei angeborenem 
Vaginaldetekt (Zentralbl. f. Gyn. 1912, Nr. 7.) 

Die Schubertsche Operation, nunmehr 3 mal mit beetem Erfolg ausgeführt, 
wird lediglich von unten bezw. in Seitenlage ausgeführt und besteht darin, 
daß nach Resektion des Steißbeins der unterste Teil des Rektums isoliert, 
reseziert, oben vernäht und mit dem analen Ende in die vorher umschnittene 
Hymenalöffnung hineingezogen und dort eingenäht wird. Vom Rektum wird 
weiter ein genügendes Stück nach oben hin gelockert und durch den Anus 
mit stehen gebliebenem Sphinkter herabgezogen und eingenäht. Sch. betont 
mit Recht, daß diese Methode einfacher und weniger eingreifend sei, als 
die M o r i sehe, bei der eine Dünndarmschlinge zu der neuen Scheide ver¬ 
wendet wird. R. Klien-Leipzig. 

"'S Koch, Curt, Über postpartale Hämatome der vorderen Mnttermundslippe. 
(Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn. 1911, Bd. 69. H. 3.) 

K. beobachtete bei zwei jüngeren Erstgebärenden, die ziemlich rasch 
niedergekommen waren, unmittelbar post partum ein Hämatom der vorderen 
Muttermundslippe. Das eine Mal war der Tumor faustgroß, von beinahe 
knochenharter Konsistenz, das andere Mal kleiner, weil eingerissen. In 
diesem Fall mußte die Blutung durch Tamponade gestillt werden. In beiden 
Fällen war nach 10 Tagen völlige Resorption eingetreten. K. ist der An¬ 
sicht, daß beide Male die rasche Dehnung der Weichteile im Verein 
mit dem Druck des Kindskopfes gegen die Symphyse sub partu zu Gefä߬ 
zerreißungen in der Vorderlippe und dann post partum zur Hämatombildung 
geführt habe. Wahrscheinlich seien derartige Fälle nicht so sehr selten, 
aber sie würden aus nahe liegenden Gründen meist übersehen. 

R. Klien-Leipzig. 

Itoquel, Andre, Sur le Traltement des P£ritonites ai?ues au Cours de la 
Pu£rp6ralitA (L’Obst^tr., Jan. 1912.) 

B. teilt seine an 27 Fällen gemachten Erfahrungen mit. Es handelte 
sich teils um Fälle nach rechtzeitiger Geburt, teils um solche nach kriminellem 
Abort. Zwischen diesen beiden Gruppen brauche man therapeutisch keinen 
Unterschied zu machen, um so mehr, als bei beiden die Uterusexstirpation 
so gut wie nicht in Frage komme. Denn meist werde man mit ihr zu spät 
kommen, andererseits bedeute sie auch in der Regel in solchen Fällen einen 
zu großen Eingriff. Dagegen spricht sich B. mit Entschiedenheit für recht- 
bezw. frühzeitige Laparotomie mit nachfolgender Rohrdrainage des 
hinteren und event. auch des vorderen Douglas durch die mediane Bauch¬ 
wunde aus. Prinzipiell läßt er dabei Uterus und Adnexe, selbst wenn die¬ 
selben vereitert sind, in Ruhe, spült auch nicht primär. In den meisten 
Fällen funktionierte die Dränage einige Tage recht gut, in manchen Fällen 
setzte erst nach einigen Tagen eine desto massigere Sekretion ein. Diese 


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Referate und Besprechungen. 


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Beobachtungen stimmen nicht überein mit der allgemein verbreiteten An¬ 
sicht, daß sich um Bauchdrains herum sehr bald Verklebungen bilden, die 
eine wirkliche Drainage illusorisch machen. B. meint dagegen, daß, wenn 
sich rasch Verklebungen bilden, der Fall bereits in Heilung begriffen ist. 
Solange die Peritonitis noch fortschreite, bildeten sich keine Verklebungen, 
vielmehr reichliches Sekret; erst wenn auch hier Tendenz zur Heilung ein¬ 
trete, träten Adhäsionen auf. — Die Erfolge der Laparotomie waren bessere 
als die der abwartenden Behandlung: 14 Laparotomien mit 9 Heilungen, 
13 konservative Fälle mit nur 5 Heilungen. — In den Fällen, wo statt der 
vermuteten Peritonitis eine Allgemeininfektion vorlag, half die Laparotomie 
nichts; derartige diagnostische Irrtümer seien jedoch heute noch nicht zu 
vermeiden. R. Klien-Leipzig. 

Edling, Lars, Zur Itadiiiinbchandliing inaltener Uteriistuniorcn. (Nurdisk 
Medicinskt Arkiv. 1911, Ild. 44 ) 

An Stelle der für gewöhnlicn nicht zur Verfügung stehenden sog. massiven 
(Cheroii) Dosen von 20—30 cg scheinen auch geringere Dosen von 2 cg 
Radiumsalz gleiche Erfolge hervorzubringen, wenn sie genügend lange appli¬ 
ziert werden. E. hat 4 Fälle von inoperablem Zervixkarzinom, z. T. mit 
Übergang auf Scheide und Mastdarm so behandelt Zwei Fälle, 36 und 56 
Jahre alt, wurden anscheinend geheilt sie waren nach 6 resp. 7 Monaten 
symptomlos und tumorfrei. Zwei andere bereits äußerst weit vorgeschrittene 
Fälle wurden nur vorübergehend gebessert. Ein Fall von Korpuskarzinom 
mit Myom wurde wegen starker Blutungen und hochgradiger Anämie zu¬ 
nächst mit Radium vorbehandelt, die Blutungen sistierten und nach neun 
Wochen wurde die Totalexstirpation gemacht. 6 Monate danach symptom¬ 
frei. Es wurden D o m i n i c i sehe Tuben mit 2 cg Radiumsalz von der 
Aktivität 2 Millionen mehrmals in Pausen für eine Woche und länger 
in die Zervixhöhle eingelegt. Diese Tuben geben eine ultrapenetrante Strah¬ 
lung ab, zusammengesetzt aus a- und harten ß -Strahlen, und müssen in 
mit Gaze umwickelte Drains eingelegt werden, um die entzündungserregende 
sekundäre Strahlung zu absorbieren. R. Klien-Leipzig. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Näeke, I*. ( Hubertusburg), l>ie Trennung der »Urologie von der Psychiatrie 
und die Schaffung eigner neurologischer Kliniken. (Nour. Centralbl. 1912, H. 2.) 

Zur Neurologie ist zu rechnen, was allein oder im Vordergrund Sym¬ 
ptome der peripheren Nerven oder des Rückenmarks darbietet und ein 
Teil der organischen Gehirnkrankheiten und der sogenannten Gehirnneurosen. 
Wo bei den beiden letzteren das psychische überwiegt, beginnt das Bereich 
der Psychiatrie. Daß manche Psychiater so sehr nach der Vereinigung 
ihres Faches mit der Neurologie verlangen, hat innere (Entwicklung der 
Neurologie, Studium des Gehirns und Rückenmarks, nervöse Symptome im 
Verlauf des Irreseins, einfachere Symptomatik und Diagnostik der Nerven¬ 
leiden) und äußere Gründe (Psychiatr. und Nervenklinik, Anstaltspsychiater 
mit konsultativer Praxis nennt sich lieber Nervenarzt). Andrerseits bean¬ 
sprucht auch die innere Medizin aus verschiedenen Gründen die Neurologie 
für sich. Die außerordentliche Fülle der Probleme in jedem der genannten 
Gebiete läßt aus praktischen und wissenschaftlichen Gründen für den lernen¬ 
den angehenden Arzt ebenso wie für den praktisch oder wissenschaftlich 
tätigen und andrerseits im Interesse des Kranken eine Selbständigkeit jedes 
der erwähnten Gebiete, d. h. also eine Errichtung besonderer neurologischer 
Kliniken wünschenswert erscheinen. Bis dahin dürfte es besser sein, die 
neurologischen Fälle eher der inneren Klinik als der psychiatrischen zu über¬ 
lassen, was auch den Wünschen der Nervenkranken entspricht. Die Neuro¬ 
logie muß dann auch Examensfach werden, ebenso wie die Bezeichnung 
als Nervenarzt eine mindestens 3 jährige Tätigkeit an einer neurologischen 
Klinik zur Voraussetzung haben müßte. Zweig-Dalldorf. 



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Referate und Besprechungen. 


537 


Sehneidemühl, G. (Kiel), Pie Psychologie der lliindschrilt. (Xeur. Central - 
blatt 1912, H. 4 ) 

Aus der in ■erster Linie gegen die in den verschiedenen Jahren hinsichtlich 
des Wertes der Graphologie entgegengesetzt lautenden Ansichten N ä c k e s 
} olemisierenden Arbeit sei nur hervorgehoben, daß nach S. es sich bei der 
Handschriftenbeurteilung, von den „Systemen“ der Dilettanten natürlich ab¬ 
gesehen, um eine physiologisch und psychologisch wohlbegründete, für den 
Arzt und besonders den Nervenarzt bedeutungsvolle Wissenschaft handelt. 
Die Eigenart der Handschrift ist nämlich weder vom Bau der Hand, noch 
vom Schreiblehrer noch von der Beschaffenheit der Schreibmaterialien be¬ 
dingt, sondern in der Hauptsache von zentralen Gebieten, d. h. vom Gehirn 
bestimmt. Da sich die seelischen Vorgänge und Zustände eines Menschen 
nach außen durch seine Willensakte offenbaren, kann inan aus ihnen das 
Charakteristische eines Menschen ersehen. Die zum Schreiben erforder¬ 
lichen Bewegungen sind der feinsten Abstufung fähig, so daß beim Schrei¬ 
ben die vorhandenen Gefühle usw. ein besonders günstiges Feld für ihre 
Betätigung finden. N ä c k e bestreitet in einer Replik den Wert der Grapho¬ 
logie für die Charakterdeutung. Zweig-Dalldorf. 

Blusen, W. (Hülle), Klinisches timl Anatomisches über Woittaubheit. (Jahrb. 
f. Psycli., Bd. 33, H. 1.) 

Unter Worttaubheit versteht man die Unfähigkeit, die Sprache akus¬ 
tisch wahrzunehmen, ohne daß die Wahrnehmung von Tönen und Geräu¬ 
schen erheblich gestört ist. Entweder werden die akustischen Sprachklänge 
selbst gut wahrgenommen, aber der betr. Patient kann mit ihnen keinen Sinn 
verbinden, es fehlt also das Wortsinnverständnis, während das Wortklang¬ 
verständnis erhalten ist (W e r n i k e s transkortikale sensorische Aphasie) 
oder es ist das Umgekehrte der Fall, es handelt sich um eine mehr oder 
weniger hochgradige Störung des Wortklangverständnisses, schon die ein¬ 
zelnen Buchstabenklänge werden nicht scharf unterschieden (kortikale und 
subkortikale sensor. Aphasie). Aus dem Ausfall des Wortklangverständnisses 
folgt die Unfähigkeit des Nachsprechens und Diktatschreibens. Zwischen 
subkortikaler und kortikaler Form bestehen nur Intensitätsunterschiede, und 
die Differenzen bestehen vor allem in der verschiedenen Beimischung von 
Nebensymptomen. Unzweifelhaft ist die Beziehung der Worttaubheit zum 
Wernickeschen Zentrum (hinteres Drittel der linken ersten Schläfenwin-' 
düng), nur die genauere Umgrenzung ist noch strittig, jedenfalls bildet der 
linke Schläfenlappen das Ausbreitungsgebiet des n. cochlearis. Dabei darf 
in diesem Zentrum nur eine erste kurze dauernde Registrierung der ein¬ 
fachsten akustischen Reizelemente lokalisiert werden. Zum Zustandekom¬ 
men selbst der einfachsten akustischen Empfindungen, erst recht der Vor¬ 
stellungen, ist das Zusammenwirken der Hörsphäre mit anderen Rindenab¬ 
schnitten nötig. Ähnliches gilt für andere „Zentren“. Erwähnt sei aus der 
noch eine Reihe von Fragen (Prävalenz der Hemisphären, Hörbahn usw.) 
behandelnden Arbeit nur noch der Nachweis der Worttaubheit. Das Wort¬ 
sinnverständnis prüft man durch mündliche Befehle, das Fehlen des Wort¬ 
klangverständnisses erkennt man am leichtesten, indem man den Patienten 
ohne Rüchsicht auf Verständnis nachsprechen läßt (sinnlose Silben z. B.). 

Zweig-Dalldorf. 

Mendel, K. (Berlin), Über Reehtshirniekeit bei Rechtshändern. (Neur. 
Central bl. 1912, H. 3.) 

In der Literatur sind bereits einige Fälle niedergelegt, welche für 
obige Möglichkeit sprechen, doch sind dieselben entweder intra vitam oder 
anatomisch nicht genügend einwandsfrei untersucht. Der hier geschilderte 
Fall von M. liefert nun als erster — wenn die mikroskopische Untea*- 
suchung, was unwahrscheinlich ist, nicht widerspricht — einen untrüg¬ 
lichen Beweis, daß beim Rechtshänder auch einmal die rechte Hemisphäre 
die führende Stelle einnehmen und Sitz der Sprachfunktion sein kann. Die 
von Jugend an sicher rechtshändige 42 jährige, seit langem herzleidende 
Patientin erlitt plötzlich eine Lähmung der ganzen linken Körperhälfte mit 


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Referate und Besprechungen. 


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völligem Verlust der Sprache. Einige Monate später starb sie an ihrem 
Herzleiden, und es ergab sich ein Embolus an der Teilungsstelle der r. 
art. foss. Sylv. mit einem die Schläfenwindung z. T. und die 3. Stirn- 
windung und die ins. reilii völlig zerstörenden Erweichungsherd rechts, 
während die linke Hirnhälfte absolut intakt war. Diff. diagnostisch war 
zur Erklärung der linksseitigen Hemiplegie und motorischen Aphasie bei 
einem sicheren Rechtshänder noch in Betracht zu ziehen das nur einmal 
bisher beobachtete Fehlen oder die mangelhafte Entwicklung der Pvramiden- 
kreuzung oder ein doppelseitiger Herd. Ersteres wurde infolge der großen 
Seltenheit ausgeschlossen, letzteres weil erfahrungsgemäß solche doppel¬ 
seitige Herde in zeitlich getrennten Zwischenräumen auftreten. 

Zweig-Dalldorf. 

v. Rad (Nürnberg), Klinischer Beitrag zu den heredofamiilären Erkran¬ 
kungen des Nervensystems mit heterologem Vererbungstypus. (Neur Centralbl. 

1912, H. 4). 

Jendrassik und Kollar its haben die vielgestaltigen Formen der 
hereditär-familiären Erkrankungen des Nervensystems durch die Aufstel¬ 
lung des Krankheitsbegriffs der Heredodegeneration in einem großen System 
vereinigt. Es handelt sich also bei denselben nicht um individuelle Krank¬ 
heitsformen, sondern um Symptomengruppierungen auf gemeinsamem Boden. 
Vielfach wird auf den Alkoholismus der Eltern hingewiesen, der sich auch 
bei der vorliegenden Beobachtung vorfand. Bei der Kombination der Sym¬ 
ptomengruppierungen besteht meist eine homologe Vererbung. In den 
heterologe Vererbung aufweisenden Fällen von R. handelt es sich bei zwei 
Brüdern um eine kombinierte Systemerkrankung (spastische Spinalparalyse 
mit Sensibilitätsstörungen), bei einem Bruder um ein mit schwerer Ver¬ 
blödung einhergehendes choreatisches Leiden, über das Genaueres nicht zu 
ermitteln war, und bei einer Schwester kam es zur Entwicklung einer 
Dystrophie. Eine andere Schwester ist bisher gesund. Alle diese Leiden 
sind also nicht als besondere Krankheitstypen, sondern als Besonderheiten 
in der Lokalisation des Prozesses aufzufassen, dessen Grundlage eine ange¬ 
borene fehlerhafte Entwicklung der erkrankten Organe bildet. Wie meist, 
ist auch hier das männliche Geschlecht bevorzugt. 

Zweig-Dalldorf. 

Ebstein, W. (Göttingen', Die Weiberscheu als Krankheitszustand. (Neur. 
'Centralbl. 1912, H. 1 ) 

Bei dem Patienten entwickelte sich zum erstenmal im 39., zum zweiten¬ 
mal im 57. und zum drittenmal im 63. Lebensjahr ein von ihm selbst 
als Weiberscheu bezeichneter Zustand, welcher die ersten beiden Male durch 
eine hydrotherapeutische und Bromkur völlig sich zurückbildete, so daß 
der Betreffende sogar zwischen dem ersten und zweiten Auftreten der 
Erkrankung sich zum zweitenmal verheiratete, der aber bei seinem dritten 
Auftreten jahrelang unverändert bestehen blieb. Der sehr intelligente Kranke 
gibt an. daß er nicht die geringste Abneigung gegen das weibliche Ge¬ 
schlecht habe, sogar mit innigster Zuneigung an seinen weiblichen Ange¬ 
hörigen hänge, doch könne er weder Frauen in seiner Umgebung sehen 
noch ihre Stimmen z. B. hören. Von seinem Fenster dagegen konnte er 
dieselben auf der Straße beobachten. Während der beiden ersten Anfälle 
und auch im Beginn des letzten zeigte er auch sonst Symptome von nervöser 
Störung, er konnte z. B. weder lautes Sprechen noch das Tageslicht ver¬ 
tragen, war wechselweise entweder trübe gestimmt oder aufgeregt und 
geriet bei dem geringsten Lärm außer sich, die Fähigkeit zu geistiger Be¬ 
schäftigung, ja zum Lesen und Schreiben war beträchtlich beschränkt. Ira 
letzten Anfall und ebenso nach dem Aufhören der ersten beiden besserte 
sich der Zustand allmählich wieder zu völliger geistiger Arbeitsfähigkeit 
(der Patient war höherer, zuletzt pensionierter Jurist). Die körperlichen 
Organe wiesen Störungen nicht auf. Der Patient selbst faßt sein Leiden 
nicht als eine Störung des Willens, sondern des Empfindens auf und ver- 
.sprach sich demgemäß von einer ihm ärztlich angeratenen Erhöhung seiner 



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Referate und Besprechungen. 


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Willenskraft nichts. Auch der Tod der zweiten Frau, mit der er übrigens 
nur brieflich verkehrte, änderte in dem Zustand, den er selbst als sehr 
unangenehm empfand, nichts. Dieser Weiberhaß, die Misogynie, gehört wohl 
in die Gruppe der Zwangszustände und ist seit dem klassischen Altertum 
bekannt. Zweig-Dalldorf. 

Willimann, L’hlstoire de Joseph .Heuer. (These de Geneve 1911.) 

Verfasser bringt die ausführliche Krankengeschichte eines 83 jährigen 
Mannes, der seit 48 Jahren interniert ist, und untersucht, in welcher Weise 
sich der Einfluß des Anstaltsaufenthaltes auf seinen Charakter, seine Willens¬ 
äußerung und seine Tätigkeit geäußert hat. Weiterhin wird die geistige Pro¬ 
duktivität des Patienten an der Hand zahlreicher Äußerungen, Schrift¬ 
stücke und Zeichnungen behandelt, um festzustellen, ob seine geistigen 
Leistungen noch einigen Wert besitzen oder ob man in ihnen den Ausfluß 
einer Demenz zu erblicken hat. Schließlich hat Verfasser sich bemüht, die 
Ereignisse aus seinen Angabeli herauszudestillieren, die zur Aufstellung 
des Wahnsystems — bei dem Patienten lag eine Paranoia oder Dementia 
paranoides vor — geführt haben. Das Ergebnis der Untersuchung ist folgen¬ 
des: Patient ist sicher nicht senil dement. Das Gedächtnis für längst ver¬ 
gangenes und die Aufnahme neuer Eindrücke ist intakt. Der Anstalts¬ 
aufenthalt hat seine geistige Produktivität angefacht, wenngleich sich diese 
auch naturgemäß in engen Bahnen bewegt. Er betätigt sich hauptsächlich 
im Schreiben und Zeichnen. Von jeher war Patient ein „guter Teufel“ 
und steht seit seiner Erkrankung seinem Schicksal gleichgültig gegenüber. 
Daneben besteht eine leichte Euphorie. Patient macht jetzt nicht den Ein¬ 
druck eines Imbezillen, sondern eines dement Gewordenen. Die schrift¬ 
lichen Äußerungen, die er zu Papier bringt, sind blödsinnig und zeichnen 
sich trotz eines unverkennbar genialen Anstriches durch große Monotonie 
aus. Verfasser meint, daß Demenz noch nicht gleichbedeutend sei mit 
Improduktivität. Die Assoziationen des Patienten sind abgeschliffen und 
nur auf die Komplexe: Reichtum, gutes Leben und sexuelle Potenz einge¬ 
stellt, worin sich eine deutliche Urteilsschwäche dokumentiert. Daneben hat 
Patient ein reich entwickeltes Phantasieleben. Die Koordination der Ideen 
läßt viel zu wünschen übrig. K. Boas. 

Onodi, Die Eröffnung des Schädelhöhle und Freilegung des Gehirns von 
den Nebenhöhlen der Nase aus. (Zeitschr. für Laryngologie, Rhinolugie u. ihre 
Grenzgebiete 1911, Bd. IV, H. 1.) 

An der Hand von 134 Abbildungen im Text und auf 89 Tafeln be¬ 
spricht Verfasser die topographische Anatomie der Stirnhöhlen, Keilbein¬ 
höhlen und Siebbeinzellen in ihren Beziehungen zum Gehirn. Der um¬ 
fangreichen Abhandlung, die auch separat im Handel zu beziehen ist, liegen 
teils Leichenpräparate, teils Röntgenaufnahmen zu Grunde. Die Arbeit, die 
sich in erster Linie an die in Betracht kommenden Spezialfächer wendet, 
ist auch des Interesses der Neurologen sicher. K. Boas. 

Engelhorn, Klinische und experimentelle Beobachtungen Uber nervöse Re¬ 
flexe von verschiedenen Organen auf den Uterus. (Archiv für Gynäkologie XC 
1912, S. 1.) 

Zusammenfassung:' 

1. Der alte Satz „Plenus venter non parit libenter“ hat keine allgemeine 
Gültigkeit. Die im Tierexperiment (Kehrer) nachgewiesenen gastro-ente-ro- 
uterinen Reflexe sind beim kreißenden Weibe anscheinend ohne größere 
Bedeutung. 

2. In 15 o„ der Fälle tritt bei Kreißenden Erbrechen ein, die Ursache 
des Erbrechens intra partum scheint nicht in der Füllung resp. Überfüllung 
des Magens zu liegen. 

3. Eine Beeinflussung des Wehenbeginns durch die Verdauung scheint 
nicht stattzufinden. 

.4. Die Füllung der Blase hat keinen Einfluß auf die Kontraktionen 
des kreißenden und puerperalen Uterus. 


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Referate und Besprechungen. 


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5. Nach Entleerung der Blase war in seltenen Fällen (3), in denen 
der Uterus auch beim Stillversuch sich als sehr erregbar zeigte, eine Uterus¬ 
kontraktion zu beobachten. 

6. In sämtlichen Fällen trat nach Anlegen des Kindes an die Brust 

eine Uteruskontraktion ein. Reizung der Brustwarze durch Reiben und 
Kitzeln ruft bei Wöchnerinnen im Gegensatz zu Schwangeren keine Uterus¬ 
kontraktionen hervor. Die beim Stillen äuftretenden Kontraktionen sind dem¬ 
nach durch den Saugakt als solchen bedingt. K. Boas. 

Grund, Über die chemische Veränderung des Muskels unter dem Einfluß 
der Entartung. (Zentralbl. f. innere Medizin 1912, Nr. 8.) 

Beim Hunger werden alle Eiweißkörper der Muskulatur gleichmäßig 
abgebaut, bei der Entartung dagegen werden die für die Muskulatur spezifi¬ 
schen phosphorfreien Muskelproteine in erhöhtem Maße eingeschmolzen, wäh¬ 
rend die phosphorhaltigen relativ weniger ergriffen werden. Man wird 
einen morphologischen Ausdruck für diesen ehemischen Befund in der rela¬ 
tiven Kernvermehrung erblicken dürfen, die uns aus dem histologischen 
Bilde der Entartung bekannt ist. Denn gerade in den Muskelkernen werden 
wir den Hauptsitz der phosphorhaltigen Eiweißkörper suchen müssen. 

K. Boas. 

I.undhorg. H. (Upsala), Mehrere Fälle von Paralysis agitans in einem 
schwedischen Itauerngeschlecht. (Neur. Central bl. 1912, H. 4 ) 

Bei der Paralysis agitans spielt die Heredität, wie aus dem angeführ¬ 
ten Stammbaum (8 Fälle!) auch deutlich hervorgeht, sicher eine bestimmte 
Rolle. Das Leiden dürfte häufiger sein, als man annimmt, auch früher 
beginnen, nur werden die ersten Anfänge entweder falsch diagnostiziert 
oder sie sind kein Gegenstand ärztlicher Behandlung. Die Erkenntnis der 
Erblichkeitsverhältnisse wird häufig durch den vorzeitigen Tod der sonst 
event. in höherem Alter noch Erkrankten verdeckt. Die Untersuchung der 
Verwandten der an Paralysis agitans Leidenden wäre sehr erwünscht. Aus¬ 
führlicher wird auf die Nerven- und Geisteskrankheiten des von L. unter¬ 
suchten Bauerngeschlechts in einer Monographie eingegangen werden. 

Zweig-Dalldorf. 

Holmgren, Ein Fall von Hydrozephalus, in welchem durch 36 Lumbal¬ 
punktionen l 3 4 Liier Zerebrospinalflüssigkeit entleert wurde. (Festschrift fiir 
J. Berg. Nordmediciniskt Archiv 1911.) 

Bei einem 3 jährigen Kinde mit Hydrozephalus wurden im Laufe von 
ca. drei Monaten mittest 36 Lumbalpunktionen ungefähr l 3 / 4 Liter Zere¬ 
brospinalflüssigkeit entleert. Keinmal stieß es auf Schwierigkeit, eine be¬ 
trächtliche Menge Flüssigkeit zu erhalten. Die größte Menge, die auf 
einmal entleert wurde, war 130 ccm. Der Druck wurde durch die Punktion 
bisweilen auf — 50 cm Wasser herabgesetzt, ohne daß dies eine Schädi¬ 
gung zur Folge hatte. Auf so niedrigen Druck reagierte der Patient mit 
Gähnen, Defäkation und bisweilen Erbrechen. Diese Symptome gingen sofort 
vorüber. Die Zerebrospinalflüssigkeit und der hohe Druck bildeten sich 
sfceta im Laufe von 24 Stunden zurück. Die Punktionen scheinen eine 
vorteilhafte Einwirkung auf den Zustand gehabt zu haben, so lange die 
Behandlung andauerte, dagegen keinen merklichen Einfluß auf den weiteren 
Krankheitsverlauf. K. Boas. 

Bleuler, E.. Dementia präcox oder Gruppe der Schizophrcnieen. (Leipzig 
1911. Verlag Deuticke. 420 S. Preis 13 Mk. 

Strnnsky, E., Das manisch-depressive Irresein. (Verlag Deuticke. 1911. 
272 S. Preis 10 Mk. 

Beide Bücher sind Teile des im Erscheinen begriffenen, von A s c h af¬ 
fe n b u r g herausgegebenen Handbuchs der Psychiatrie. Beide schildern 
in erschöpfender Weise — das erstere allerdings mit vorzüglicher Berück¬ 
sichtigung der Literatur nur bis 1908 und späteren Einfügungen — den 
Stand unseres augenblicklichen Wissens. Den in einer Spaltung der Persön¬ 
lichkeit bestehenden Grundsymptomen entsprechend hat B. einen neuen 
Namen geprägt und schlägt infolge der Zusammenordnung nicht ganz ein- 



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Referate und Besprechungen 


541 


Zeitlicher Bilder vor, von einer Gruppe von Erkrankungen zu sprechen. 
Neben einer genauen Schilderung der Symptome und ihrer diagnostischen 
Kriterien wird auch die Prognose im allgemeinen und in ihrer eventuellen 
Beziehung zu Anfangs- und Verlaufssymptomen dargelegt. Schließlich ist 
ein nicht kleiner Teil des Buches der Psychopathologie und der hierauf 
beruhenden Erklärung des Leidens im Freudschen Sinne gewidmet. — 

Stransky faßt in richtiger Weise den Umfang des man. depr. Irre¬ 
seins enger als Kräpelin. Besonders lehrreich sind neben den diagnosti¬ 
schen und prognostischen Zusammenstellungen die Kapitel über die Zyklo¬ 
thymien (die leichtesten, oft verkannten Grade), die chronischen Verstim- 
mungszustände nicht alternierender Natur, die progressiven Formen sowie 
die Anführung zahlreicher diagnostisch schwieriger Fälle. 

Zweig-Dalldorf. 

Tetzner, R. (Leipzig), Zur Kasuistik der atrophischen Myotonie. (Neur. 
Central bl. 1912, H. 2.) 

Manche Fälle von Myotonia congenita (Thomsenscher Krankheit) weisen 
neben den typischen Symptomen (Bewegungshemmung, mechanische und 
elektrische myoton. Reaktion) eine Reihe von Muskeldystrophien auf mit 
bestimmter Gruppierung (Ste inert): Vorderarmhandgebiet (bes. nm. 
brachioradiales), die Halsmuskeln (mm. sternocleidomastoidei) und die Ge¬ 
sichtsmuskeln (Fac. myoton.). T. beschreibt einen solchen Fall, der noch 
besonders wichtig ist, weil die Erkrankung im 32. Lebensjahre 6 Wochen 
nach einem schweren Unfall (Bruch von 2 Rippen und beider Schlüssel¬ 
beine) in ihren ersten Anzeichen aufgetreten ist. Mindestens hat der Un¬ 
fall die Erscheinungen aus ihrer bisherigen Latenz herausgerissen, da der 
Betreffende bei der Artillerie 3 Jahre gedient und danach regelmäßig Geige 
und Klarinette gespielt hat, ohne eine Steifigkeit seiner Hände zu be¬ 
merken. Zweig-Dalldorf. 

Goldstein, Untersuchungen über die Muskeldruekempfindliehkeit bei Tabes 
dorsalis. (Inmig. Dissertation, Halle 1911.) 

1. Die Kurven der Algometermasse von Personen mit Tabes dorsalis 
zeigen stärkere Schwankungen als die von gesunden Personen. 

2. Nur in einem Teil der untersuchten Tabesfälle (5: 14) findet sich 
eine stärkere Herabsetzung der Muskeldruckempfindlichkeit, als man sie 
bei gesunden Personen beobachten kann. 

3. Die Herabsetzung der Muskeldruckempfindlichkeit findet sich häufig 

zusammen mit Ataxie (9:14) und Störungen der Hautsensibilität (12:14). 
Muskeldruckempfindlichkeit, Ataxie und Hautsensibilität können aber mich 
unabhängig voneinander gestört sein. K. Boas. 


Augen- und Ohrenleiden. 

Hesse, Robert (Graz), Hie Anzeigen zu den wichtigsten Augenärztlichen 
Operationen mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse des praktischen 
Arztes. (Arztl. Standoszeit. [Die Heilkunde], 1911, Nr. 23.) 

Vorbedingung für jede Staroperation sind: 1. Normale Funktion der 
Netzhaut. Der Lichtschein einer Kerze muß im Dunkelzimmer in einer 
Entfernung von 6 m noch sicher erkannt werden; die Projektion muß 
richtig, die Farbenempfindung prompt vorhanden sein. Findet sich in dieser 
Beziehung kein normales Verhalten, so kann unter gewissen Voraus¬ 
setzungen doch noch operiert werden. Die Prognose auf Wiederherstel¬ 
lung eines guten Sehvermögens ist jedoch minder gut, weil es sich dann 
um irgendwelche komplizierende Erkrankungen handelt. Die Möglichkeit, 
dem Pat. statt eines nur mehr quantitativen Sehens doch das Erkennen 
großer Gegenstände zu verschaffen, kann auch in solchen Fällen die Opera¬ 
tion angezeigt erscheinen lassen. 2. Normales Verhalten des Konjunkti- 
valsackes. Es dürfen keine entzündlichen Zustände bestehen, weil sonst 


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Referate und Besprechungen. 


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die Möglichkeit einer Infektion des Augeninneren nahe liegt, die nicht 
nur den Operationseffekt zu nichte machen können, sondern auch oft An¬ 
laß zur sympathischen Entzündung des zweiten Auges geben. Natürlich 
darf auch bei bestehender Tränensackeiterung nicht operiert werden. Man 
soll in jedem Pall durch bakteriologische Untersuchungen feststellen, ob 
pathogene Mikroorganismen im Bindehautsacke vorhanden sind. 3. Auch 
das Allgemeinbefinden des Patienten muß vor der Vornahme der Opera¬ 
tion beachtet werden. Dies gilt besonders für hustende Kranke, weil durch 
einen Hustenstoß (ebenso durch das Nießen, Anm. d. lief.) die verklebte 
Wunde gesprengt werden kann. Die Urinuntersuchung ist, weil bei schweren 
Diabetikern mitunter entzündliche Komplikationen und verzögerte Wund¬ 
heilung auftreten kann, vorzunehmen. 4. Was den Zeitpunkt des Ein¬ 
griffes betrifft, so ist im wesentlichen die durch die Trübung gesetzte 
Sehstörung maßgebend. Doch soll nicht operiert werden, so lange das 
zweite Auge noch gutes Sehvermögen zeigt. Die sog. Reife des Stars 
spielt heute nur eine untergeordnete Rolle. Bei angeborenem Star soll 
die Operation schon in den ersten Lebensmonaten ausgeführt werden. 

S. Leo. 

Highier, H. (Warschau), Neuritis optica retrobnlharis senilis. (Neur. Cen- 
tralbl 1912, H. 3.) 

Aus der großen Gruppe der retrobulbären Neuritiden läßt sich nach 
H. eine maligne im Alter zwischen 65—70 Jahren auftretende Form aus- 
sondern. Ohne erkennbare Ursache entwickelt sich unter Kopfschmerzen, die 
besonders in den Schläfen lokalisiert werden, und unter Schmerzhaftigkeit 
in der Orbita bei Druck auf die Augäpfel und bei Bulbusbewegungen allmäh¬ 
lich eine Sehschwäche, welche in 12 bis höchstens 24 Stunden zur völligen 
Blindheit führt. Die Pupillen sind stark erweitert und die Lichtreaktion 
schwindet an beiden Augen binnen des Tages völlig. Eine therapeutische 
Beeinflussung gelang bisher nie. - Zweig-Dalldorf. 

ßergman (Stockholm), Eine ansteckende Augenkrankheit, Keratonialacie. 
bei Dorschen an der Südküste Schwedens. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 3 4.) 

ln den Monaten September und Oktober 1910 trat an der Südküste 
Schwedens bei Dorschen eine sichtbar ansteckende Augenkrankheit auf. Die 
Kornea war getrübt; es folgte dann Keratonialacie, Parophthalmitis nebst 
deren weiteren Folgen: Herausdrängen der Linse und des Glaskörpers, Ab¬ 
lösung der Retina usw. Bakteriologisch wurde in 2 Fällen ein Vibrio, in 
einem Falle ein Bazillus reingezüchtet. 

Subkutane Impfung auf Aale mit dem Dorschvibrio erzeugte die rote 
Beulenkrankheit. Der Bazillus war für Aale nicht pathogen. Der Dorsch¬ 
vibrio ist pathogen für Plötzen und Krebse. Eh scheint also für Fische 
eine Gruppe pathogener Vibrionen in der Natur vorzukommen. . 

Schürmann. 


Medikamentöse Therapie. 

llaacker (Berlin), Die Verwendung des Adalins in der inneren Praxis. 

(Allg. med. Centralzeitung 1912, H. 3.) 

Verfasser hat das Mittel seit über 1 Jahre in zahlreichen Fällen ange¬ 
wandt und gefunden, daß es bei Erwachsenen in der Dosis von 3 mal 
täglich 1 Tablette 0,5 bei Herzkrämpfen und Angstzuständen nach Herz¬ 
neurosen und Neurasthenie, bei der Tachykardie des Basedow, bei Bronchial¬ 
asthma ein sicher wirkendes und unbedingt harmloses Mittel ist, das eine 
nachhaltige prompt eintretende Beruhigung schafft. Weniger sicher wirkte 
es bei motorischen Erregungszuständen und Melancholie. Die hypnogene 
Wirkung erreicht man l / g Stunde vor dem Schlafengehen durch 2 Tabletten 
= 1,0 Adalin: ein 5—7 ständiger, durchaus kräftigender und erfrischender 
Schlaf ohne die unangenehmen sonstigen Neben- bezw. Nachwirkungen der 
gebräuchlichen Hypnotica. Dies macht es besonders wirkungsvoll bei Über- 


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Bücherschau. 


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arbeitung und allgemeiner Nervenschwäche. Auch in der Kinderheilkunde 
ist es bei Krämpfen in der Dosis von 0,25 mit Vorteil zu verwenden. 

v. Schnizer-Höxter. 


Bücherschau. 


Alban Köhler (Wiesbaden). Das Rön(genverfallren in der Chirurgie (aus Bibliothek 
der physikalisch-medizinischen Techniken herausgegeben von Heinz Bauer, Bd. I). Berlin 
1911. Verlag Hermann Meußer. 

Mit diesem Heft hat uns der Verfasser ein sehr hübsches Büchlein beschert — 
und was noch mehr sagen will, ein sehr empfehlenswertes. In prägnanter Kürze und doch 
lebhaft interessierender Darstellungsweise wird alles zur Zeit Wissenswerte der Röntgen¬ 
kunst besprochen, so weit sie in Beziehung zur Diagnostik in der Chirurgie Verwendung 
finden kann. Zur sofortigen schnellen Orientierung auch für erfahrenere Röntgeuleute 
ist es vorzüglich geeignet. Ein Abschnitt Nr. II. gibt auch Aufklärung über den heutigen 
Stand der Therapie. Es dürfte nicht leicht wieder möglich sein, in solcher Kürze soviel 
zu geben. Ausgezeichnete beigegebene Röntgenbilder dienen ebenso dem Verfasser als 
dem Verlag zum Ruhme. Schütze- Darmstadt. 

Bad Kreuznach. Radiologische Mitteilungen. 61 Seiten. Kreuznach 1912. Arzte-Verein. 
Bechtold, Reg.-Assessor. Bericht der Beratungsstelle für Alkoholkranke. 15 Seiten. Darm¬ 
stadt 1912. Wittich’sclie Hofbuehdruckerei. 

Behrenroth, E. Ueber Zwerchfelllähmung. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. 

Einzelpreis 0.75 M. Leipzig 1912. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. 

Bernacehi, L. I probleml fondainentali della Mcdicina sociale. 26 Seiten. MUano 1912. 

Societa per le Arti Gratiche ,,La Gutenberg“. 

Christian, M. Desinfektion. Mit 18 Abbildungen. 126 Seiten. Preis 80JP/. Leipzig 1911. 
G J. Göseken’sche Verlagsbuchhandlung. 

Eschle, F. Funktionelle Diagnostik. Aus der Berliner Klinik. 30 Seiten. Preis 1.20 M. 

Berlin 1912 Verlag von Fischers med. Buchhandlung. H. Kornfeld. 

Finkeistein, H. Lehrbuch der Säuglingskrankheiten. 2. Hälfte. Abteilung III. 252 S. 

Preis 8, — M. Benin 1912. Verlag von Fischers med. Buchhandlung H. Kornfeld. 
Gehe. Gehe« Kodex. Nachtrag 1. 115 Seiten. Dresden 1912. Selbstverlag. 

Gewerbehygiene. Tätigkeitsbericht des Instituts für Gewerbehygiene. 10 Seiten. Frank¬ 
furt a/M. 1912. Verlag von Adelmann. 

Goldstein, K. Ueber Apraxie. Aus den Beiheften, der Medizinischen Klinik. Einzelpreis 
1,—- M. Wien und Berlin 1911. Verlag von Urban & Schwarzenberg. 

Hammer, W. Grundzüge der erzieherischen Behandlung sittlich gefährdeter und ent¬ 
gleister Mädchen in Anstalten und Familien. Sonderabdruck aus Dr. Ziogelroths 
„Archiv für physikalisch-diätetische Therapie“. 127 Seiten. Preis 2,30 M. Berlin- 
Neukölln 1912. Selbstverlag. 

Jadasohn, J. Ueber Pyodermien, die Infektionen der Haut mit den banalen Eitererregern. 

60 Seiten. Einzelpreis 1,80 M. Helle a/S. 1912. Verlag von Carl Marhold. 
Faulhaber, Dr. M., Priv -Doz. an der Universität Würzhurg. Die Röntgendiagnostik 
der Magenkrankheiten. Aus der Sammlung zwangloser Abhandlungen, aus dem 
Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechsel-Krankheiten. Verlag von Carl Mar¬ 
hold, Halle a. S. Seitenzahl 72. Preis 2,00 M. 

Grawitz. Prof. Dr. E. Bücherei der Gesundheitspflege. Gesundheitspflege im täg¬ 
lichen Leben. Zweite Auflage. Verlag von Emst Heinrich Moritz, Stuttgart. 
Seitenzahl 136. Preis gebunden 2 M, Brosch. 1,50 M. 

Gerber, Prof. Über Spirochäten der oberen Luft- und Verdauuneswege. Separat - 
Abdiuck aus Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und 
für klinische Medizin. Verlag von Georg Reimer in Berlin. 

Hoffmnnn, Prof. Dr. August. Direktor der Akad. Medizin. Klinik in Düsseldorf. 
Diät-Therapie bei Herzkrankheiten. Aus der Sammlung zwangloser Abhand¬ 
lungen aus dom Gebiete der Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Verlag 
von Carl Marhold, Halle a. S. Seitenzahl 52. Preis 1,40 M. 

Hirschfeld, Dr. Magnus, und Tilke, Max. Der erotische Verkleidungstrieb. (Die 
Transvestiten). Illustrierter Teil, 2. Auflage. Verlag von Alfred Pulvermacher 
u. Co. Berlin W. 30. 


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544 


Bücherscliau. 


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Koenigsfeld, Harry. Untersuchungen über die physikalisch-chemishen Grundlagen der 
Seliwanoffsehen Lävulosereaktion. Verlag von Julius Springer, Berlin 1912. 

Kanngiclier, I)r. med. e(. phil. Friedrich. I ntoxications-Psychosen. Ein Vademecum 
für die ärztliche Praxis. Verlag von Gustav Fischer, Jena 1912. Seitenzahl 35. 
Preis 0,75 M. 

Kreiizfuchs, Br. Siegiiinnd. Assistent am Röntgeninstitut der allgemeinen Poli¬ 
klinik in Wien. Die intrathorazische Struma in klinischer und radiologischer 
Beleuchtung. Au» den Würzburger Abhandlungen. V’erlag von Gurt Kabitzsch. 
Würzburg 1912. Preis brosch. 0,85 M. 

Lagrange, Ferdinand. Physiologie der Leibesübungen. Berechtigte Ausgabe. Über¬ 
tragen und eingeleitet von Ludwig Kuhlenbeck. V’erlag von Eugen Diederichs 
in Jena 1912. Seitenzahl 311. Preis brosch. 6,00 M, gebunden 7,20 M. 

Lennhoff, Prof. Dr. Rud. Bibliothek für soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstati¬ 
stik und für Grenzgebiete von Volkswirtschaft, Modizin und Technik. Arzt und 
Privat Versicherung. 5 Vorträge gehalten 3. bis 12. April 1911 im Seminar für 
soziale Medizin der Ortsgruppe Berlin des Verbandes der Ärzte Deutschlands 
(Wirtschl. Abt. des Deutschen Ärztevereinsbundes). Allgemeine medizinische 
Verlagsanstalt, Berlin SW. 48. 1912. Seitenzahl 102. Preis brosch. 2,00 M. 

La quer, Sanitätsrat Dr. Leop., Nervenarzt in Frankfurt a. M. Die Heilbarkeit nervöser 
Untallfolgen. Dauernde Rente oder einmalige Kapitalabfindung? Aus der 
Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiet der Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten. Verlag von Carl Marhold, Halle a. S. Seitenzahl 127. Preis 
3,50 M. 

Meyer-Steines, Br. med. et. jur. Th. Cornelius Celsus über Grundfragen der Medizin. 
Voigtländers Quellenbücher. Verlag von R. Voigtländer-Leipzig. Preis 0,70 M. 
Seitenzahl 82. 

Müller, Heinrich August, Magdeburg. Weitere Untersuchungen zur freien .Arztewähl 
im Lichte der Praxis. Bibliothek für soziale Medizin. Allgemeine medizinische 
V’erlagsanstalt, Berlin SW. 48. Seitenzahl 16. Preis brosch. 0,50 M. 

Mugdan. Sanitätsrat Br. Einführung in die Reichsversicherungsordnung. Bibliothek 
für soziale Medizin. Allgemeine medizinische Verlagsbuchhandlung. Seitenzahl 
95. Preis 2,00 M. 

Nenniayer, Prof. Br. Hans. Nase, Rachen und Kehlkopf. Bücherei der Gesundheits¬ 
pflege. Zweite Auflage. Verlag Ernst Heinrich Moritz, Stuttgart. Seitenzahl 
142. Preis brosch. 1,80 M.. gebunden 2.25 M. 

Petren, Prof. Br. Karl. Lund. Über die Grundlinien unserer gegenwärtigen Be¬ 
handlung der inneren Krankheiten im Lichte der geschichtlichen Entwicklung 
betrachtet. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. Verlag von Job. Ambr. 
Barth, Leipzig 1911. Einzelpreis 0,75 M. 

Posner, Br. C. Prof, an der Universität Berlin. Die diagnostische und prognostische 
Bedeutung der Harnsedimonte nach neueren Anschauungen. Verlag von Carl 
Maihold, Halle a. S. Seitenzahl 48. Preis 1,40 M, 

Riesenfeld, Kurt, Zahnarzt, ehern. Assistent an der zahnärztl. Univ.-Klinik in 
Breslau Die Aufklappung der Kieferschleimhaut und ihre Indikationen. Mit 
28 Abbildungen, davon 18 auf Tafeln. V’erlag der Dykschen Buchhandlung, 
Leipzig 1912. Seitenzahl 58. Preis 2,80 M. 

Rieker, Prof. Br. Gustav, Dahlmann, I)r. Albert. Beiträge zur Physiologie dee 
Weibes. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. Verlag von Joh. Ambr. Barth. 
Leipzig 1912. Einzelpreis 2,25 M. 

Rabotv, Br. 8. Prof. hon. der Universität Lausanne. Arzeneiverordnungen zum Ge¬ 
brauche für Kliuizisten und praktische Arzte. 43., gemäß der 5. Ausgabe des 
Deutschen Arzneibuches umgearbeitete Auflage. Verlag von Friedrich Bull, 
Straßburg 1912. Preis 2,60 M. Seitenzahl 136. 

Sellheim, Prof. Hugo, Tübingen. Uber Geburtsvorgang und Geburtsleitung beim 
engen Becken. Aus der Sammlung klinischer Vorträge. V’erlag von Joh. Ambr. 
Barth, Leipzig 1912. Preis 0,75 M. 

Solomon, Br. Albert, über die Behandlung von Angiomen und Nävi speziell mittels 
Kohiensäureschnee. Fischers medizinische Buchhandlung H. Kornfeld, Berlin 
W. 35. Pieis 0,60 M, 

von Schiern jun. Dr. Frhr., Assistenzarzt des Sanatoriums. Das „kleine Abdomen“ 
in seinen Beziehungen zum Allgemeinbefinden und Gssamtemährungszustand. 
Separat-Abdruck aus der „Klinisch-therapeutischen Wochenschrift“. Nr. 47, 
1911. Seitenzahl 15. Verlag von Dr. Walther' Rothschild in Berlin-Wilmersdorf. 
Aschaffenburgerstr. 4. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdruckor, Langensalza. 



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30- Jahrgang 


1912 


Tomcbritte der mediziti« 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. ®. Köster PtIp.-Doz. Dr. p. Criegern Prof. Dr. ß. Pogf 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 


Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 



Crsdieint wöcbentlid» sum preise von 8 (Darh für öas 

— 

Nr. 18. 

Bolbiabr. 

2. Mai. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 
alleinige Inseratenannabme öur* (Dox Oelsbort, 




Rnnoncen-Bureau, Cberswalöe bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 

Von Franz C. R. E s c h 1 e. 

Als Kinetosen (Erschütterungsaffektionen) sind zuerst von 
O. Rosenbac h l ) solche Störungen des organischen Betriebes zu einer 
Gruppe zusaminengefasst worden, die durch rein kinetische (xtveaj, 
commoveo, concutiu) Einwirkungen zustande kommen. Das Charak¬ 
teristische ist, dass hier nicht etwa, wie z. B. heim sanguinolenten 
Trauma, der Zusammenhang der Masse aufgehoben, sondern nur da.-> 
innere Gleichgewicht des gesamten Organismus oder seiner funktionellen 
Einheiten gestört wird und zwar in einer Weise, dass die vorhandenen 
reaktiven Kräfte zunächst aiisserstande sind, die normalen Beziehungen 
der Teile ohne weiteres wirderherzustellen. 

In seiner geradezu epochemachenden Monographie über die See¬ 
krankheit führt 0 Rose n h a c h aus, dass wir in diesem Symptomen 
komplexe geradezu den Typus derartiger auf rein physikalischem Wege 
zustandekommender interne lekularer resp. interenergetischer Störungen- 
zii erblicken haben und es gelang ihm in überzeugender Weise an der Hand 
dieses P&iadigmas zu demonstrieren, wie schon durch gewiss e 
ungewohnte B e w e g u n g s f o r m e n resp. deren II e m- 
m ung oder g a r Umkehr die kleinsten El e m enti 
des Körpers bei ihrem labilen Gleichgewichts- 
z u s t a n d e rn e chanis e h e Verschiebungen erfahre n 
k ö n n e n , und wie dadurch, ohne dass mikroskopisch oder gar 
makroskopisch nachweisbare Veränderungen in den Geweben der Organe 
resultieren, doch Anomalien ihrer (aussergewöhnlichen) Arbeit bedingt 
werden. Die See k r a n k h e i t repräsentiert nach Rosen- 
b a c h den geringsten Grad, de r v o r ü b erg e h'ende 
traumatische Shock einen höheren, die dauernde 
L ä h rn u n g o <1 e r der Tod i rn S h o c k d e n höchste n 
Grad der akuten Kinetose, während die traum¬ 
atische Neurose als „chronische Kinetose“ anzu- 


*) Vgl. O. Roaenbacb, Studien über die Seekrankheit. Berlin 1891. Aug. 
Hirschwald. — Derselbe, Die Seekrankheit als Typus der Kinetosen (Versuch einer Me¬ 
chanik des psychosomatischen Betriebes) Wien 1890. A. Holder. — Derselbe, Die 
Seekrankheit in Nothnagels spez. Pathol. u. Therapie XII, 1896. 

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Kneble, 


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548 

s o h e n ist, ob \v o h 1 au <:• h hier nur eine akute k i n e - 
tische Einwirkung ursächlich in Frage kom in t. 

Wenn eine beschleunigende Kraft auf den Organismus einwirkt, 
sii erzielt sie eben je nach der Summe der in ihr enthaltenen Energie 
und der Spannung der Oberfläche des betiofTcnen Körpers entweder 
nur an der Stelle der Einwirkung eine Verschiebung des Gleichgewichts 
oder sie bringt auf mechanischemWege eine solche der kleinsten Teilchen 
aller Organe inkl. des Gehirns oder endlich eine Bewegung des Körpers 
im Raume hervor, die natürlich auch schliesslich mit einer Verschiebung 
des Gleichgewichtszustandes aller Massenteilchen oder wenigstens einer 
Veränderung der Oberflächenspannung identisch ist. Alle diese Er¬ 
scheinungen werden eben um so beträchtlicher ansfallen müssen, je 
grösser die beschleunigende Kraft im Verhältnis zur Masse des bewegten 
Körpers ist, je brüsker der Uebergang eintritt, je leichter die Verschie¬ 
bungen innerer Organe erfolgen können, und je weniger gewöhnt und 
angepasst das betroffene Individuum an plötzliche Aenderungen der 
Gleichgewichtslage ist. 

ln Analogie zur Seekrankheit hat Rosenbach schon 18% die 
unangenehmen Erscheinungen gestellt, die bei manchen Personen in schnell 
fahrenden Eisenbahnzügen infolge des Pendelns der Waggons um ihre 
Achse hervorgerufen werden und die man nun heute unter dem Namen 
der ,,E isenbahnkrankhei t“ wieder als eine ganz neue Ent¬ 
deckung proklamiert.’) 

Verursachen schon die Schwankungen des Eisenbahnwagens in der Querriehtung 
unter Umständen Symptome, die der Seekrankheit ähneln, nur schwächer sind, so 
werden die Erscheinungen mitunter doch rocht heftig, sobald Schwankungen 
in der lotrechten Achse hinzukommen. Die Schaukelbewegungen des Waggons wer¬ 
den ferner, wie ja bekannt, um so stärker, je schneller der Zug fährt. Darum 
erreichen die unangenehmen Empfihdungen. die manchem das Fahren in Schnell¬ 
zügen so peinlich machen wie anderen das Reisen zur See, hier ihren höchsten Grad, 
namentlich wenn sich der Platz im letzten Wagen befindet, der aus 
leicht ersichtlichen Gründen alle erwähnten Exkursionen im höchsten Masse darbietet. 
Den Beweis dafür, dass die abnorme Einwirkung, die den Körper trifft, einzig und 
allein darin gefunden werden muss, dass die betreffende Person mit einer gewissen 
Beschleunigung in einer Richtung fortbewegt wird, in der sie sich fortzubewegen nicht 
gewöhnt ist, und dass das psychische Moment — was für die therapeutischen Mass¬ 
nahmen von grosser Wichtigkeit ist — nur einen untergeordneten, begünstigenden Ein¬ 
fluss auf das Zustandekommen der ..Kinetose" ausiibt, erblickt Rosenbach in dtr 
Tatsache, dass sich bei ganz besonders disponierten Personen die auf einer Kopfstation 
eintretende Änderung der Fahrtrichtung selbst bei geschlossenen Augen und im Finstern 
durch entsprechende Sensationen zu erkennen gibt. Auch darauf, dass sich ganz ähn¬ 
liche Erscheinungen w ie bei der Seekrankheit auch bei der Auffahrt im Lift und nicht 
minder beim Niedergehen des Aufzuges, besonders aber bei plötzlicher Hommunü d?r 
Geschwindigkeit geltend machen, wurde schon damals von Rosen bach aufmerksam 
gemacht. 

Durchaus ohne tatsächlichen Untergrund sind die von B a r d e t in Paris zwischen 
der See- bezw. Eisenbahnkrankheit auf der einen und der ..Gastroxynsis“ auf der an¬ 
deren Seite konstruierten Beziehungen. Rosenbach konnte schon 189(5 durch aus¬ 
gedehnte Versuche nachweisen, daß das Erbrochene in solchen Fällen oft sehr stark 
sauer und ätzend ist. aber gerade gewöhnlich keine freie Salzsäure enthält, wie B a'r d e t 
annimmt. Freie Salzsäure fand sich vielmehr nur in einer kleinen Minderzahl der Fälle, 
und zwar gewöhnlich nur dann, wenn bald nach dor Mahlzeit gebrochen wurde und das 
Erbrechen sich nicht mehrfach wiederholte. 

Die direkt durch die Wirkung des Stusses oder 
die Grösse der Beschleunigung herbeigeführte 
Störung des Gleichgewichtes, geht an sich nicht weiter 

') Vgl. die Artikel des Verfassers dieser Abhandlung: „Eisenbahnkrank- 
h e i t“ und ,.K inetnsen“ in Eulenburgs Enzyklopäd. Jahrbüchern. Bd. XV (Neue 
Folge, sechster Jahrgang), 1908. 


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Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetoee. 


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als die hierdurch erzeugte W elle. Nun werden aber durch Vermittlung 
des Nervensystems bei Organismen, die ein solches besitzen, noch 
Verändern nge n a ul viel weitere E n t f e r n u n g o n 
hin hervorgerufen, indem sich von dessen spezifischen Endapparaten 
aus sich kaum bemerkbare Schwingungen der Massenteilchen nach 
dem Gehirn fortpflanzen und dort in ähnlich deutlicher Weise Reak¬ 
tionen bewirken, wie etwa die entfernten Störungen im Gleichgewicht 
des Erdinnern am Mechanismus eines Seismographen. (O. Rosenbach.) 
Als noch weitere Folge dieser indirekt e n Beeinflussung des zen¬ 
tralen Organes durch die Irradiation resultieren dann aber drittens 
gewisse Veränderungen der psychischen Reaktion. 

Immerhin wird man sich nie dazu verleiten lassen 
dürfen, in der psychischen A 1 t e r a t i o n d a s W e- 
s e n t I i c h e des gan zenVorganges zu sehen, wie das 
irrtümlicher W eise nicht so seit e n g e Schicht. 
Jene tritt nur neben der lokalen Störung oder d e r 
an den entfernteren A p. p a r a t e n auf und ist 1 ed i g - 
lieh deren Folge, m a g nun das Zentrainer v e n - 
s y s t e m direkt o d er indirekt durch das kinetische 
Trauma in Mitleidenschaft gezogen worden sein. 

Für die psychische Genese der Seekrankheit hat man vielfach die nach den Er¬ 
fahrungen aller Autoren feststehende relative Immunität der Säuglinge 
geltend gemacht. Nach Rosenbach scheinen mehrer? Umstände, für die Erklärung 
der beträchtlichen Scefestigkeit des Säuglings von Wichtigkeit zu sein, die aber alle auch 
die Leichtigkeit illustrieren, mit dem es ihm im Vergleich zum Erwachsenen gelingen 
muß, den Tonus der Organe zu erhalten. Einmal hat der Säugling überhaupt weniger 
..ausserordentliche", d. h. dem Transport von Massen innerhalb des Küqrers und der 
Bewegung im Raume dienende Arbeit zu leisten und seine Kräfte bleiben namentlich 
um so mehr für die Erlialtung des Tonus disponibel, als das Gehirn um diese Zeit mit An¬ 
forderungen, die zu Willensakten führen, nicht freiastet ist. Ferner finden durch die 
günstigere Gestaltung des Verhältnisses der Masse zur Oberfläche relativ einheitliche 
Schwingungen des ganzen, durch seine Form wie durch seine Haltung sich mehr der 
Kugelgestalt annähernden Rumpfes statt. Am wichtigsten aber ist wohl, dass der Säug¬ 
ling die Einwirkungen der Erschütterung deshalb so wenig empfindet, weil sein 
Organismus noch nicht die Einrichtungen des vollkommenen Präzisionsapparates für 
das Gleichgewicht aller Teile hat, we der des Erwachsenen 

Wenn es wahr ist, dass Greise, wie verschiedentlich gemeint wuide, eine grössere 
Seefestigkeit besitzen, als durchschnittlich Menschen, die auf der Höhe des Lebens stehen, 
so würde die regressive Metamorphose, der der Organismus im Senium anheimfällt, 
an sich schon zur Erklärung ausreichen — vorausgesetzt, dass die Beobachtungen 
nicht an Greisen gemacht sind, die während ihres langen Lebens unter anderm auch Ge¬ 
legenheit hatten, sich kinetischen Einflüssen anzupassen. 

Die vereinzelt auf gestellte Behauptung, dass Taubstumme nicht seekrank 
werden, scheint — wie ich übrigens auf Grund eigener Beobachtungen bestätigen kann 
— mehr in der Theorie von dem Einflüsse der halbzirkel förmigen Kanäle auf das Gleich¬ 
gewicht als in genügender Erfahrung seine Stütze zu finden. Auf Geisteskranke, 
von denen das gleichfalls gesagt worden ist, erstrecken sich meine eigenen Beobachtungen 
nicht. Bei diesen die Seekrankheit zu konstatieren dürfte nicht leicht sein, wenn 
man nicht gerade das charakteristische Erbrechen zu konstatieren Gelegenhit hat. Abge¬ 
sehen davon, dass gerade auf Schiffen von einer ständigen sachgemäßen Überwachung 
und einer eingehenden Kontrolle dos Zustandes dieser Kranken schon mangels eines 
hinlänglich geschulten Personals nicht die Rede sein kann, ist die Erhebung eines un¬ 
zweideutigen Befimdes bei allen mit Depression oder erheblichem 
Schwachsinn einhergehenden Zuständen so gut wie unmöglich; bei 
allen exaltierten und versa t i 1 e n Irren pflegt ja aber eine Gewöhnung 
an die ungewöhnlichsten Gleichgewichtslagen in l>cträehtiche.m Masse schonWorher auf 
Grund ihrer eigenartigen Hyperkinese eingetreten zu sein. 

Schließlich lehrt die Beobachtung, daß bei den einzelnen Tierklassen, die von der 
Seekrankheit in gleicher Weise befallen werden, wie der Mensch, die Prädisposition 
keineswegs von der psychischen Entwicklungsstufe der Spezies abhängt. Erscheinungen 
die als Seekrankheit gedeutet werdon müssen, können in gleicher Weise an Pferden’ 

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Eechle, 


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Hunden, den veraehiodenen Raubtieren, am Schlachtvieh und ebenso au Singvögeln, 
wie am stupidesten Nutzgeflügel beobachtet werden. 

\Vellensysteme stärkerer Energie als wie sie bei den SchifTs- 
und Eisenbahnbewegungen in Frage kommen, vermögen, sobald mc 
das lebende Gewebe treffen, nun aber gleichfalls, ohne dass eine nach¬ 
weisbare Trennung seines Zusammenhanges eintritt, durch die blosse 
Aenderung des molekularen Gleichgewichtszustandes die Arbeits¬ 
leistung der atomaren Komplexe so zu beeinträchtigen, dass Hemmung 
oder Stillstand der Funktion, ja überhaupt Verlust jeder weiteren 
Arbeitsmöglichkeit eintritt und damit ein Zustand gegeben sein kann, 
den wir je nach dem Grade der krankhaften Symptome als Reizung. 
Gewebsveränderung, Lähmung oder Tod bezeichnen. 

Zu diesen Erkrankungen des Zentral-Nervensystems „sine materia“ 

— wie mau sich in einer unter der Herrschaft des anatomischen Gedan¬ 
kens in der Medizin stehenden Epoche auszudrücken pflegt, steht in erster 
Linie die Gehirnerschütter u n g (Co m in o t i o c e r e b r i). 
Sie entsteht bekanntlich durch einen starken Schlag an den Kopf, durch 
Sturz aus beträchtlicher Höhe und ähnliche Einwirkungen. Der Ge¬ 
troffene stürzt zusammen, ist zunächst bewusstlos, kommt aber später 
oder früher wieder zum Bewusstsein, dabei beginnt er zu erbrechen 
und klagt über Schwindel und Ohrensausen, Verwirrung der sinn¬ 
lichen Vorstellungen und Schlafsucht herrschen aber noch immer vor. 
Bei schwerer Gehirnerschütterung hält die Bewusstlosigkeit länger an. 
der Kranke liegt unbeweglich in tiefem Schlaf da und reagiert auf Fragen 
nicht; die Respiration ist oberflächlich, der Plus klein, aber gleichmässig, 
die Temperatur subnormal, das Gesicht blass, Hände und Füsse fühlen 
sich kalt an, die Augen zeigen sich unempfindlich gegen Lichteindrücke. 
Kommt der Kranke zum Bewusstsein, so halten einzelne Anomalien der 
Sinnesempfindung noch an, das eine oder andere Glied kann nicht recht 
nach Belieben bewegt werden, vor allem aber dauern neben einzelnen 
Störungen der Sinnesempfindung solche des Erinnerungsvermögens noch 
eine Zeitlang an. Ganz merkwürdig ist es dabei, dass die Amnesie von 
dem Momente des Unfalls mehr oder weniger weit in die Vergangenheit 
zurückreicht. 

Aus meiner eisten Assistentenzeit anfangs der achtziger Jahre, als die damals 
weniger strengen städtischen Bauordnungen noch keine sielt nur nach dem Innenraum 
öffnenden Fenster vorschrieben, entsinne ich mich noch, dass ständig in den Kranken¬ 
häusern der grossen Städte beim Putzen der Fenster abgestürzte Dienstboten in grösserer 
Anzahl an Gehirnerschütterung darniederlagen. Bei diesen war meistens jede Erinnerung 
nicht nur an den Vorgang selbst, sondern auch an eine ihm voraufgegangene längere 
oder kürzere Zeitperiode verloren gegangen. Namentlich vermochten sich die Verun¬ 
glückten an das Besteigen der Fensterbank, an die Absicht, die Fenster zu putzen oder 
den Auftrag hierzu, oft an die Ereignisse des ganzen Unfalltages überhaupt nicht mehr 
zu erinnern. 

Ein Sanitätsoffizier, der durch den Sturz seines Pferdes eine Gehirnerschütterung 
erlitten hatte, konnte sich auch im späteren Leben des ganzen Herganges und der Vor¬ 
gänge an dem Tage des Sturzes nicht mehr erinnern, während die anfängliche, sich auf 
die Ereignisse der letzten Jahre erstreckende Amnesie — er entsann sich z. B. nicht mehr 
der Gestalt und des Namens der mit ihm innerhalb dieser Zeit in engste Berührung ge¬ 
kommenen Persönlichkeiten, ja nicht einmal, dass er verheiratet und Familienvater war 

— im Laufe einzelner Monate bis auf ganz wenige, späterhin übrigens auch ausge¬ 
füllte Lücken eine Zurückbildung erfuhr. 

Die sich anfangs bei der Gehirnerschütterung häufig kundgebende 
Sprachstörung dürfte auch lediglich durch solche zunächst noch recht 
ausgedehnte Gedächtnislücken bedingt sein und sich damit als am¬ 
nestische“ oder „sensorielle“ Aphasie resp. Paraphasie (im Gegensatz 



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Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 


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zur „motorischen“ oder „ataktischen“ Aphasie einerseits, zu der Sprech¬ 
störung „psychomotorischer“ Provenienz, z. B. der Schreck-, Er- 
schöpfungs- und Intoxikatiänsaphasie andrerseits charakterisieren'). 

Während neben dieser passagertn Amnesie und dem sich in der 
Regel einige Male wiederholenden Erbrechen die Bewusstlosigkeit zu 
den hervorstechendsten Symptomen jeder- stärkeren Gehirnerschütte¬ 
rung gehört, bleibt auch nach einer noch so heftigen momentanen 
Erschütterung des Rücken rn a r k s trotz der Fortleitung 
der kinetischen Bewegung auf das Gehirn das Sensorium frei und 
die Befähigung zu willkürlichen Bewegungen erhalten, wenn diese 
auch in gewissem Grade beschränkt und kraftlos sind. Dabei besteht 
aber grosse Prostraticn: die Gesichtszüge eisihunrn verfallen, die Augen 
glanzlos und tiefliegend, der Blick ist starr und öde, die Haut ze’gt 
Marmorblässe und Hände wie Füsse sind kalt und zyanotisch. Auch 
bei dein Rückenmarksshock hält, sich die Temperatur 1—l l / 2 u / 0 C 
unter der Norm, der Puls ist kaum fühlbar und die Sensibilität derartig 
herabgesetzt, dass nur die stärksten Hautreize schmerzhaft empfunden 
werden. Lähmungszustände von spinalem Typus (gleichfalls ohne 
anatomisches Substrat) schliessen sich nach H. Oppenheim 1 ) 
selbst an eine schwere Rückenmarkserschütterung als direkte Folge 
relativ selten an. 

I n vielen Fällen aber treten bei der Gehirn- 
sowohl wie bei der Rückenmarksersch ü tl er u n g 
ganz allmählich und schleichend Störungen des 
gesamten Nervensystems zu Tage, die man früher aul 
eine chronische Meningomvelitis zurückführte und von deren spinalem 
Sitz man so tiberzeugt war, dass man sie, weil sie so gut wie ausschliess¬ 
lich nach Eisenbahnunfällen zur Beobachtung kamen unter die Be¬ 
zeichnung „Railway-Spine“ (eigentlich also: „Eisenbahn-Rückenmark“) 
subsumierte. Wenn es nun auch unbestreitbar ist, dass unter Um¬ 
ständen ein Eisenbahn-Unfall zu eirmr Myelitis führen kann, auch 
wenn er eine äussere Verletzung nicht mit sich bringt, so ist doch ein 
solcher Ausgang entschieden ungemein selten und auch ich muss 
mich auf Grund e'getier Beobachtungen in drei 
Jahrzehnten ärztlicher Praxis an einem nicht 
ganz kleinen Material von solchen ,,U nfall- 
kranken“ in den verschiedensten Stadien aut 
den Standpunkt Rosenbachs stellen, der die 
Erscheinungen der traumatischen Neurose ge¬ 
neraliter als Nachwirkungen des mechanischen 
S- h o c k s , als chronische Symptome der Kinetose 
betrachtet. 

Shock entwickelt sich bei entsprechendem Grade der Erschütte¬ 
rung des menschlichen Rumpfes ganz unabhängig von der Art der 
äusseren Einwirkung besonders häufig nach sogenannten „P Tell¬ 
schüssen“, nach Hieben und Stössen mit dem Ge¬ 
wehrkolben oder ähnlich wirkenden stumpfen 


') Vgl. Esc h le. Die krankhafte Willensschwäche und die Aufgaben der psychi¬ 
schen Therapie, Berlin, 1904, Fischers med. Buchhandlung (H. Kornfeld) p. 63 ff.; d e r - 
selbe, Grundzüge der Psychiatrie, Be-P a und Wien 1907, Urban & Schwarzenlierg. 
p. 20 ff. und p. 186—193. 

2 ) H. Oppenheim, Lehrbu. 1, fr X rvenkrankheiten. Berlin 1894. S. Karger, 

p. 260/261. 


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5E<> Eschle, Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetoee. 

W c r k z e u g c n und nach stärkeren Knochenkontu- 
s i o n e n. 

Viel umstritten war eine Zeitlang die Genese des Shock bei Ver¬ 
letz u n g e n d e r Fi a u c h h ö h 1 e , auch operativen. Während 
man denselben im Hinblick auf solche Beschädigungen oder Eingriffe, 
die mit Eröffnung des Bauchfellsackes einhergingen, anfangs allein 
durch die starke Abkühlung, die „Wärmedepression“ erklären wollte, 
ist man speziell durch die G o 1 z’schen Klopsversuche (in denen bei 
Fröschen durch wiederholtes Beklopfen der intakten Bauchdecken 
ein diastolischer Herzstillstand herbeigeführt wurde) auf das mecha¬ 
nische Moment bei der Genese auch dieser Art des Shocks aufmerksam 
geworden. 

Wie der Effekt übrigens auch nach hinreichend starker einmaliger Kontusion 
bezw. Konkussion auf treten kann, ist mir durch eine unvergessliche Erfahrung demon¬ 
striert worden. Es handelte sich um den plötzlichen Tod im Shock bei einem Schüler, 
dem einer seiner mit ihm badenden Kameraden, während er auf dem Rücken schwamm, 
in mutwilligem Scherz mit einem flachen Ruder einen klatschenden Schlag auf den 
Unterleih versetzte. 

Dass nach Eröffnung der Bauchhöhle schon Berührung und leichte 
Quetschung des Darmes, des Magens oder des Ovariums hei Fröschen 
genügt, um vorübergehenden Herzstillstand nachzuerzeugen, wurde 
von L. G u t s c h nachgewiesen. Wenn nicht geradezu unrichtig, ist 
es doch gewiss »'inseitig, einen derartigen Effekt schlechtweg mit der 
Wirkung einer „Sympathikusreizung“ zu identifizieren. Dass der 
Sympathikus gewissermassen die Rolle d»’s Vermittlers für die zum 
nervösen Zcntralorgan dringenden und für andere Arbeitsbedingungen 
schaffenden Impulse spielt, zeigen ja die Brown-Sequard- 
schen Versuch** über di«* merkwürdige Wirkung der Sympathikus- 
durchsohneidung auf das Gehirn. (Nach Durchtrennung des Sympathikus 
sah man sich allmählich eine Atrophie des Grosshirns auf derselben Seite 
entwickeln und b-*i beiderseitig operierten Tieren wurde im Vergleich z.i 
gleichaltrigen unverletzten nach 18 Monaten das Gehirn ganz auffallend 
im Volumen reduziert gefunden.) Aber eineganz ü Reiheande¬ 
rer Erfahrungen lehrt, d a s s d i e Reizung des S y m 
p a t h i k u s nicht die letzte Ursache für das Z u- 
s t a n d e k o m m e n des Shocks bei Unterleibsverlet 
Zungen sein kann. 

Während nach Erschiitter u n g e n und schweren K o n- 
t u s i o n e n des T I» o r a x der Shock ein seltenes Vorkommnis 
ist, wird er auffallend häufig nach Quetschungen des 
Hodensacks bezw. seines Inhalts beobachtet. ' Quet¬ 
schung der Testikel durch Hiss kann den tiefsten Shock, ja Tod in 
wenigen Stunden hervomifen und schon die Erschütterung »les Hoden¬ 
sackes durch aufsehlagende Gummi- oder Schneebälle vermag ohnmachts- 
ähnliche Anfälle zu erzeugen, während die totale Abtrennung der Testik**! 
mit einem scharfen Messer bei Tieren und Menschen von relativ geringen 
Allgemeinerscheinungen begleitet ist. Dafür, dass nicht lediglich psy¬ 
chische Momente (Schmerz, Schreck), so sehr sie von Belang sind, für 
»las Ergebnis in Betracht kommen, spricht auch die Erfahrung, dass 
seihst nach F r i c k e’schen Einwickelungen des Hodens 
nicht selten Shockerscheinungen auftreten und zwar nicht nur gleich 
nach dem Anlegen des Verbandes bei plötzlicher und sehr starker 
Kompression, sondern auch später, wenn infolge spastischer Kontrak- 



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Friedeberg, Über Krankheitsverlauf im Greisenalter. 


551 


lion des Kreinasters der Hoden ohne besonderes Schmerzgefühl in die 
oberen Zakeltouren hinaufgleitet. 

Einen — übrigens leicht verlaufenden — Fall von Shock erlebte ich auch bei einem 
Knaben, bei dem gelegentlich einer Kletterübung beim Turnen zum ersten Male und ohne 
Schmerzempfindur.g eine Hernie durch den Leistenkanal austrat. 

\v as die „elektrischen“ Unfälle anlangt, so ist ven A* 
K ulenburg 1 ) mit Recht darauf hingewiesen worden, wie nötig es 
ist, diese im eigentlichen Sinne von denjenigen Unfällen in elektrischen 
Betrieben abzugrenzen, deren Folgen sich als Aeusserungen wesentlich 
•auf emotionellem Wege zustande gekommener zentraler Vorgänge 
repräsentieren (z. B. die so häufig bei Telephonistinnen vorkommenden 
Emotions- und Schreckneurosen). Dass durch den elek¬ 
trischen Strom und z w a r n i c h t nur durch de n 
Kontakt mit einer „Starkstromlci t u n g“, sonder n 
auch schon durch einen Strom von relativ geringer 
Stärke und Spannung, wie ihn die für medi¬ 
zinische Zwecke ii b 1 i c h e n Apparate liefern, ho c h - 
g r a dig e Massenverschieh ungen und Verände¬ 
rungen der Gleichgewichtsverhältnisse in den 
atomaren Ko m p 1 e x e n zustan d e kommen können, 
bewies mir das massenhafte Eingehen narkoti¬ 
sierter Tiere im Shock gelegentlich vor meinen 
experimentellen Studien über die Wirkung elek¬ 
trischer Ströme auf lebende tierische Gewebe. 

Als Folge der elektnsehenUnfälle ist unter anderem das Auftreten von multipler 
S k 1 e r o s e und progressiver Paralyse angesehen worden. Eulenburg 
hat demgegenüber öfters Gelegenheit gehabt, eine andere Form fortschreitender Er¬ 
krankung des Zentralnervensystems nach Übertritt von Starkströmen üi den Körper 
zu beobachten, die in ihrem Gesamtbilde und in ihrem klinischen Verlaufe trotz mancher 
verwandtschaftlicher Ähnlichkeiten doch weder dem typischen Krankheitsbilde der Para¬ 
lyse, noch dem der multiplen Sklerose vollständig entspricht. Nach Eulenburgs 
eingehender Schilderung eines derartigen Falles handelt es sich hier offenbar um eine 
Gehimrindenerkrankung. die zu einer ausgedehnten Vernichtung der kortikalen Funk¬ 
tionen, der Empfindung, der Sinneswahmehmung, der willkürlichen Bewegung und 
der höheren S alentätigkeit führte. In anderen Fällen zeitigte eine ganz ähnliche Ver¬ 
letzung dagegen weit geringere und zum Teil vorübergehende Folgeerscheinungen, die 
sich meines Erachtens gut als chronische Symptome der Kinetose erklären lassen. 

(Schluss folgt.) 


Ueber Krankheitsverlauf im Greisenalter. 

Vortrag, gehalten in der Medizinischen Gesellschatt zu Magdeburg am 29. Febr. 1911. 

Von Dr. Friedeberg-Magdeburg. 

Es liegt mir fein, in folgenden Betrachtungen eint; Rekapitulaiion 
Her mehr oder weniger bekannten Greisenkrankheiteij zu bringen, viel¬ 
mehr ist es nur meine Absicht, eine Reihe physiologischer und 
pathologischer Vorgänge zu besprechen, die für den Praktiker bei der 
Behandlung von Erkrankungen im Senium von Interesse sein dürften. 
Zugleich möchte ich hierbei verschiedene eigene -Beobachtungen cin- 
flechten, die ich zum grossen Teil während einer zehnjährigen Tätigkeit 
p.m hiesigen Hospital S t. G e o r g i i *) gewonnen habe. 

Die untere Grenze des Greisenalters ist nicht leicht auf ein 

*) A. Eulen bürg, Uber Nerven- und Geisteskrankheiten nach elektrischen 
Unfällen. Berl. kl. Wochenschr. 1905, Nr. 2 u. 3. 

*) In demselben sind 160 bis 170 Patienten, meist weiblichen Geschlechts, unter¬ 
gebracht, die in der Mehrzahl im Alter von 65 bis 75 Jahren stehen; wenige sind etwas 
jünger; eine nicht geringe Zahl erreicht höhere Altersstufen. 


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Friedeberg, 


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bestimmtes Jalir festzusetzen, da individuelle Eigenschaften zu berück 
sichtigen sind: immerhin wird man kaum fehlgehen, wenn man den 
Beginn des Senium etwa zwischen das 65. und 70. Jahr verlegt. 

Bei Abfassung der A n a m n e s e begegnet man namentlich im 
hohen Alter nicht selten Schwierigkeiten und muss gewisse Eigenheiten 
beachten, wenn man Fehler vermeiden will. So ist zu berücksichtigen,, 
dass hochbetagte Leute sich mit Vorliebe der Dinge erinnern, die sich 
in ihrer Jugend ereigneten, währ* nd sie spätere Eindrücke häufig ver¬ 
gessen; eine Tatsache, die mit der grösseren Aufnahmsfähigkeit des 
jugendlichen Hirns zusammenhängt, so dass frühere Erinnerungs¬ 
bilder besser gewahrt werden, als solche des späteren Lebensalters. Es 
kommt daher häufig vor, dass Krankheit* n unbedeutender Art, die in 
jungen Jahren durchgemacht wurden, breit geschildert werden, während 
wichtiger, etwa Pru umoni* n. des letzten Dezenniums gar nicht gedacht 
wird. Weiterhin muss man beim Forsch* n nach der Erblichkeit 
von Krankheiten vorsichtig sein, da derartige Fragen, namentlich von 
Frauen geringeren Bildungsgrades öfter, als es berechtigt ist, positiv 
beantwortet werden; auch wird der Beginn des Klimakterium 
häufig mit Unrecht als Ursa*'he mancher Altersleiden beschuldigt. 

Aetiologiseh kommen für die Veränderung des klinischen Bildes 
vieler Krankheiten im Greisenalter verschiedene Bedingungen in Be¬ 
tracht. Mit Recht weist Schlesinger ‘) auf Funktionsnachlass der 
vasomotorischen und respiratorischen Zentra der medulla oblongata hin 
und betont, dass Alterationen in den Schutz- und Abwehrvorrichtungen 
iles Organismus wahrscheinlich eintreten; die wesentlichsten Verände¬ 
rungen sind zweifellos die am Herzen und an den Gefässen vorhandenen, 
die in erster Linie auf Arteriosklerose beruhen. Ueher Pathologie und 
Therapie dieser Erkrankung sind erst kürzldi interessante Ausfüh¬ 
rungen von Herrn Professor Aufrecht *) erfolgt, so dass es sich er¬ 
übrigt, hier näher auf diese Vorgänge einzugehen, nur wäre zu bemerken, 
dass nach umfangreichen Statistiken etwa ein Drittel aller Todesfälle 
im hohen Alter auf Herzveränderungen zu beziehen ist, wenigstens 
soweit Männer in Betracht kommen. 

Die gütige Natur hat es so eingerichtet, dass für so manche Leiden 
und Beschwerden des Greises gerade im hohen Alter eine gewisse Lin¬ 
derung, ein Ausgleich, eintritt. Ueher diese Verhältnisse hat N a s c h e P) 
kürzlich eine lesenswerte Arbeit veröffentlicht. Es sei hier nur folgendes 
erwähnt. Wenn man bejahrte- Emphysematiker lange Zeit, etwa ein 
Jahrzehnt, beobachtet, sieht man häufig, dass die dvspnoischen Be¬ 
schwerden im höheren Alter erheblich abnehmen. Man könnte anneh¬ 
men, dass diese Besserung eine Folge verminderter Körperbewegung ist, 
jedoch trifft dies nur verhältnismässig selten zu. Vielmehr verschwindet 
die Dyspnoe des Altersemphysem daher, weil das geschwächte Herz 
weniger Blut zu den Lungen schickt, so dass das harmonische A’erhält- 
nis zwischen diesen beiden Organen allmählich wiederhergestellt wird. 
Ein ähnlicher Wirgang findet sich bei den funktionellen Beziehungen 
zwischen Magen und Darm. Der Verlust der Zähne und möglicherweise 

*) Schlesinger, Über den Einfluß des höheren Alters auf das klinische Bild 
einiger Erkrankungen; Vortrag im Wiener med. Doktoren-Kollegium. Ref. in Münch, 
med. Wochenschr. 1911, No. 11. 

2 ) Aufrecht, Zur Pathologie und Therapie der Arteriosklerose. Wien und 
Leipzig 1910. A. Holder. 

*) Nascher, The senile climacteric. New York Med. Journal 1911. Dezemb. 2 



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Ueber Krankheitsverlauf im Greisenalter. 


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eine Aenderung im Geschmack nötigt den hochbetagten Greis, zähe 
Speiäen, namentlich ungenügend gekochtes Fleisch, zu verschmähen und 
mehr vegetarische Kost in Brei- und Stippenform zu geniessen. Auch 
sagen ihm fade Substanzen, die meist alkalisch reag'ercn, nicht zu, 
oder höchstens, wenn er sie durch scharfe Saucen oder Säuren würzt. 
Durch alle diese Diätveränderungen kommt er unbewusst der physio¬ 
logisch im hohen Alter bestehenden Subazidität des Magensaftes 
entgegen und vermindert die chronische Obstipation. In der Tat sieht 
man daher oft aus diesen Gründen im höheren Alter bessere Verdauung 
und geregelteren Stuhlsjang als beim Beginn des Senium, und es spielen 
Laxantia eine weit geringere Bolle als Jahre zuvor. 

Eine Tatsache von grosser Wichtigkeit, namentlich für die Beur¬ 
teilung von Krankheiten des Greises, sind die W ä r m e Verhält¬ 
nisse seines Körpers. Die grosse Mehrzahl der Greise ist anämisch 
und hat ein erheblicheres Wärmebedürfnis als jüngere Individuen. 
N a u n y n ') nimmt an, dass in dem Nachlass des anregenden Ein¬ 
flusses von Wärmeverlusten auf die Wärmebildung eine der wesent¬ 
lichsten Alterserscheinungen beruht. Während die Körpertemperatur 
des Greises nicht, oder nicht nennenswert niedriger zu sein scheint, ist 
die Wärmeverteilung häufig eine ziemlich ungleiche, was man bei gleich¬ 
zeitigen Messungen in Bektum und Axilla feststellen kann. Zwar kom¬ 
men auch bei jüngeren Menschen beträchtliche Differenzen der Tem¬ 
peratur dieser beiden Körperhöhlen vor, die, wie S c h ü 1 e 2 ) durch 
exakte Messungen nachwies, auch beim einzelnen Individuum verschie¬ 
dene Werte aufweisen kann. Er fand Differenzen von 0 bis 1,5 °; durch¬ 
schnittlich war im fieberfreien Zustand die Mastdarmtemperatur 0,6° 
höher als die Achselhöhlentemperatur. Die Differenz im Fieber scheint 
gewöhnlich etwas geringer zu sein. Andere Beobachter haben ähnliche 
Zahlen festgestellt. Schon C h a r c o t fand bei Greisen Tcmperatur- 
difTerenzen zwischen Rektum und .Axilla bis zu 3°; Schlesinger 2 ) 
bei ,,asthenischen” Affektionen solche von 1,5 bis 3°. Sehr häufig ist 
das Fieber bei Greisen nur durch Messung im Rektum nachweisbar. 
Man kann daher, wenn man bei Greisen lediglich Messungen in der 
Axilla macht, oft kein richtiges Bild einer fieberhaften Krankheit er¬ 
halten. Ich habe eine grössere Reihe von Messungen gleichzeitig in 
Rektum und .Axilla vorgenommen und gefunden, dass bei vielen Greisen, 
unabhängig von der Tageszeit, recht oft Differenzen von 1 0 bis 1,8 0 
sowohl im Fieber, wie im normalen Zustand bestehen, und dass diese 
Differenzen bei derselben Person durchaus nicht konstant zu sein brau¬ 
chen. Wenn man einen Durchschnitt zwischen diesen Differenzen 
lediglich bei Greisen feststellen wollte — hierzu gehören allerdings sehr 
viele Messungen, da bei kleinen Zahlen Irrtümer häufiger sind, — 
würde man zweifellos eine Differenz erhalten, die 0,6 0 nicht unerheblich 
überschreitet. Die Rektaltemperatur kann durch entzündliche Pro¬ 
zesse des Mastdarmes selbst oder seiner Umgebung beträchtlich beein¬ 
flusst werden; in solchen Fällen wähle man bei Greisen die Mundhöhle 
zu Fiebermessungen; die Oraltemperaturen pflegen etwa die Mitte zwi¬ 
schen Mastdarm- und Achselhöhlentemperaturen zu betragen. 

Das Fieber hat im Greisenalter keinen stürmischen Verlauf. 


l ) N a u n y n, Allgem. Patliol. u. Therapie des Greisenalters in Schwalbe’s Lehr¬ 
buch der Greisenkrankheiten. Stuttgart 1909. 

’) S c h ü 1 e , Uber die Differenz zwischen der Temperatur des Rektum und der 
Achselhöhle usw. Münch, med. Wochenschr. 1900, No. 18. 


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Hohe Temperaturen, die 39° überschreiten, sieht man verhältnismässig 
selten; solche über 39,5° sind exzeptionell. Hypothermie kann man 
häufiger feststellen, namentlich beim Ablauf von Erysipel. Ausge¬ 
sprochener Schüttelfrost kommt nur ganz vereinzelt vor, auch deut¬ 
liche Krisen mit starkem Schweissausbruch kann man nur sehr selten 
beobachten. Ueberhaupt schwitzen Greise meist nicht erheblich, eben¬ 
sowenig wirken schweisstreibende Mittel selten mit grossem Erfolg; 
daher sollte man mit deren Anwendung bei Greisen vorsichtig sein, 
zumal sie Herzschädigungen bewirken können. Schweissausbruch nach 
Körperanstrengung sowie lokale Hvperhydrosis pflegen gleichfalls nicht 
intensiv zu sein. 

Der Puls bei Greisen ist physiologisch verlangsamt, sonst na¬ 
türlich von dem jeweiligen Zustand des Zirkulationsapparates abhängig. 
Irregulärer Puls ist stets pathologisch und kann lange Zeit auch ohne 
nachweisbare Herzstörungen bestehen. In Wirklichkeit sind diese 
dennoch vorhanden, beziehen sich aber anfangs nur auf die nervösen 
Elemente des Herzens, während die übrigen noch gut funktionieren, 
und ihre Schädigung erst später sich kenntlich macht. 

Zu einem sehr störenden Zustand kann im hohen Alter oft der 
Mangel an Schlaf oder zeitweilige gänzliche Schlaflosigkeit 
führen. Durch Druckverminderung in den Hirnarterien und Verkal¬ 
kung ihrer Wände leidet die Ernährung des Hirns, dazu kommt, dass 
die Blutmischung im hohen Alter keine vollwertige genannt werden 
kann. Es scheinen daher, wie ich bereits früher ausführte, 1 ) die quanti¬ 
tativ und qualitativ durch das Blut ungenügend versorgten nervösen 
Elemente des Hirns sich in einem zeitweisen Erregungszustand zu be¬ 
finden, der, obwohl Ermüdungsgefühl vorhanden, den Schlaf verhindert, 
ein Vorgang, der in ähnlicher Weise bei körperlich oder geistig hoch¬ 
gradig erschöpften Personen leicht eintreten kann. Dukes 2 ) hat auf 
die erfolgreiche Wirkung von Medikamenten hingewiesen, deren wirk¬ 
samer Bestandteil salpetrige Säure ist, und deren Effekt auf einer durch 
Lähmung der Gefässnervenzentra bedingten Gefässerweiterung beruht. 
Eine Erregung gefässerweiternder Nerven als Ursache hierfür anzu¬ 
nehmen, liegt nach S c h m i e d e b e r g 3 ) kein Grund vor. Dasjenige 
Präparat, welches hier am vorteilhaftesten wirkt, ist nach meinen 
Beobachtungen Nitroglyzerin. Man gibt es am besten in der Dosis von 
0,0005 g in Tablettenform abends vor dem Schlafengeben. Ist die Wir¬ 
kung nicht genügend, verordnet man zwei Tabletten, eine zwei Stunden 
vor, die andere unmittelbar vor dem Schlafengehen. Nach etwa einer 
Woche ist es ratsam, das Mittel auszusetzen, um einer Intoxikation 
vorzubeugen, die sich zuerst durch Nausea und heftigen Kopfschmerz 
beim Erwachen kundgibt. Schädliche Nebenwirkungen habe ich bei 
dieser vorsichtigen Anwendung niemals konstatieren können. Nach 
Aussetzen des Mittels, das bei vielen Patienten wegen seiner erheblichen 
Nachwirkung nur jeden dritten Abend nötig ist, empfiehlt es sich, eine 
Woche hiermit zu pausieren. Währenddessen kann man nötigenfalls 
*/ 2 bis 1 g Aspirin geben, dessen hypnotische Wirkung bei .Arterioskle¬ 
rose hervorzuheben ist. 


2 ) Friedeberg, Zur Behandlung der auf Arteriosklerose beruhenden Schlaf¬ 
losigkeit. Klin. therap. Wochenschr. 1900, No. 42. 

2 ) Dukes, The restlessness of old age and its treatment. Brit. Med. Joum. 1899, 
Dezemb. 2. 

3 ) Schmiedeberg, Grundriss der Arzneimittellehre. Leipzig 1888. 



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Ueber Krankheitsverlauf im Greisenalter. 


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Die Menge des Urins ist im Senium vermindert. Namentlich 
infolge der Involution der Blase sind Greise, auch wenn kein sonstiges 
mechanisches Hindernis besteht, genötigt, häufig zu urinieren, was be¬ 
sonders nachts recht störend sein kann. Ich erspare mir hier, auf diese 
Vorgänge näher einzugehen, möchte aber einen kurzen Ueberblick auf 
die im Alter häufigeren Nierenkrankheiten werfen. 

Akute Nephritis kommt hier nur selten vor, da die Haupt¬ 
bedingungen hierzu, Infektionen durch Masern, Scharlach und Diph¬ 
therie, im Alter fehlen, und Intoxikationen wohl nur ganz vereinzelt 
hier den Anlass geben; bei Pneumonie, Influenza, Erysipel kann bis¬ 
weilen leichte Nierenreizung einsetzen, hochgradig wird dieselbe wohl 
kaum bei Greisen beobachtet. 

Chronische parenchymatöse N e p h r i t i s ist nicht 
ganz so selten, sie scheint öfter auf Alkoholismus zu beruhen. Ich habe 
dies bei zwei Männern, die Ende der sechziger Jahre standen und ihr 
otium cum dignitate et alcoholicis genossen, feststellen können. Der 
Verlauf der Krankheit ist zweifellos kürzer, als bei jüngeren Personen; 
beide hier erwähnten Fälle endeten drei bezw. fünf Monate nach Beginn 
der klinischen Symptome letal. 

Sekundäre oder Stauungsnephritis sieht man bei 
Greisen in manchen Fällen von Herzerkrankungen und Emphysem. 
Bisweilen kann man durch Hebung der Herzkraft vorübergehende 
Besserung erzielen, jedoch ist auf Dauererfolge hier nicht zu rechnen. 

Die häufigste Nierenerkrankung des Alters ist die genuine 
Schrumpfniere. Die Diagnose ist dann schwierig, wenn die be¬ 
kannten Harnsymptome dauernd fehlen, was bisweilen Vorkommen 
kann. Eine eigentliche Polyurie, bei der die Harnmenge mehr als 2000 
Kubikzentimenter beträgt, wird man bei Greisen kaum antreffen, und 
Albuminurie wird in manchen Fällen vermisst oder braucht erst im 
Endstadium einzutreten. So kann es Vorkommen, dass derartige latent 
verlaufende Fälle ohne nennenswerte klinische Erscheinungen zu bieten, 
plötzlich enden, indem der Patient tot zusammenbricht. Erst die Autopsie 
gibt dann Aufschluss über die Krankheit. Oder der Kranke fühlt sich 
verhältnismässig wohl, bis eine schwere Urämie auftritt, und nun erst 
Eiweiss im Harn nachweisbar ist. Solche Fälle erklären sich nach 
Strümpell 1 ) wahrscheinlich so, dass die erkrankten Glomeruli gar 
nicht mehr sezernieren, und der Harn von den gesunden Nierenpartien 
abgesondert wird. Wenn die Harnsymptome versagen, kann Dilatation 
des linken Ventrikels, vorausgesetzt, dass keine erhebliche Arterio¬ 
sklerose besteht, die Diagnose Schrumpfniere nahelegen. Von den übri¬ 
gen Symptomen möchte ich nur das Asthma erwähnen, das oft schon 
anfangs bestehen kann; in der Mehrzahl der Fälle ist Asthma bei Greisen 
urämischer, und nicht kardialer oder bronchialer Natur. Die Prognose 
der Schrumpfniere ist in der Regel ungünstig, jedoch kommen Fälle 
vor, bei denen die Krankheit ein Jahrzehnt und länger dauern kann. 
Ich selbst habe einen solchen in Beobachtung, bei dem die klinischen 
Erscheinungen schon mindestens neun Jahre bestehen. Die nunmehr 
74 Jahre alte Patientin hat seitdem dauernd geringe Albuminurie und 
spärliche Harnzylinder, massiges Asthma und zeitweises Nasenbluten. 
Das einzige Symptom, welches sie sehr stört, sind häufige Kopfschmer¬ 
zen, die bisweilen sehr heftig werden und jedem Medikament trotzen. 


1 ) Strümpell, Lehrb. d. spez. Pathol. u. Therap. Leipzig 1889. 


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nur bringen eiskalte Kopfkompressen einige Linderung. Wiederholt 
habe ich nach solchen Anfällen, welche die Kranke natürlich sehr an¬ 
greifen, den Harn untersucht, jedoch niemals eine Vermehrung des 
Eiweisses oder der Zylinder konstatieren können. 

Die Therapie der Schrumpfniere ist bei Greisen kaum anders, als 
diejenige bei jüngeren Personen, nur ist es ratsam, mit Verordnung der 
Bettruhe zurückzuhalten, bis wirklich dringende Gründe hierzu vor¬ 
liegen, schon deshalb, weil die Gefahr von Lungenhypostase und Deku¬ 
bitus bei alten Leuten naheliegt. Namentlich ist Asthma, auch stärkeren 
Grades, kein zwingender Grund zur Bettruhe, da sich derartige Kranke 
viel wohler in sitzender Stellung befinden, besonders wenn sie über 
einen gut gepolsterten Lehnstuhl mit steiler Rückwand verfügen. Vor 
Anwendung des Kalomol zur Beseitigung von Hydropsie ist dringend 
zu warnen, da selbst kleine Dosen bei Greisen sehr schnell erhebliche 
Stomatitis erzeugen können. 

Schrumpfniere trifft man häufig bei chronischer Gicht an, während 
bei akuten Formen Nierenstörungen nicht vorzukommen pflegen. 

Die Gicht ist eine Erkrankung des mittleren Lebensalters; nach 
Ebstein 1 ) und Minkowski *) sind erste Gichtanfälle nach dem 
61). Lebensjahr ziemlich selten. Ich selbst habe nur zweimal solche 
bei Männern, die 65 resp. 66 Jahre alt waren, gesehen. Chronische Gicht 
hat man im Greisenalter ausserordentlich oft zu behandeln, und es 
fällt oft schwer, aus der übergrossen Zahl der hierfür vorgeschlageneri 
Mittel die passenden auszuwählen. Hier sei nur einiger neuerer gedacht, 
in erster Linie der S a 1 z s ä u r e. Enthusiasten dieser Methode haben 
vorgeschlagen, dauernd grosse Mengen derselben, bis zu 90 Tropfen 
pro die, zu verabreichen ! S c h m i d t 3 ) rät, die Dosis vom Befund 
des Aziditätgrades der Magensäure abhängig zu machen. Bei gichti¬ 
schen Greisen ist an sich gegen den Gebrauch der Salzsäure, wenn 
Hypochlorhydrie besteht, nichts einzuwenden; jedoch scheint der ge¬ 
ringe Nutzen dieses Mittels, namentlich bei längerer Darreichung grösserer 
Dosen gewisse unangenehme Nebenwirkungen nicht aufzuwiegen. So 
klagen manche Patienten schon nach kurzer Zeit über einen widrigen 
sauren Geschmack und weisen die Salzsäure zurück; setzt man trotz¬ 
dem das weitere Einnehmen durch, dann kann Anorexie entstehen, die 
bei Greisen schwer zu beseitigen ist. Vdr einigen Jahren ist das Ci- 
t a r i n , ein Natriumsalz der Anhvdromethylenzitronensäure, in die 
Giehtbehandlung eingeführt. Ich habe s. Z. über Erfolge hiermit be¬ 
richtet, 4 ) die in erster Linie bei akuten, aber auch bei chronischen Fällen 
erzielt wurden, wo Exazerbation der Beschwerden hierdurch ziemlich 
schnell beseitigt wurde. Gitarin in grösseren Dosen, anfangs 6, später 
3 g pro die, vermag nicht nur schmerzstillend zu wirken, sondern hat auch 
einen guten Einfluss auf den Schlaf des Kranken, und wirkt bei man¬ 
chen Patienten diuretisch. Diese diuretische Wirkung des Citarin kann 
man passend mit der leicht diaphorischen kleiner Aspirindosen ver¬ 
binden. Erst seit kurzer Zeit ist das A t o p h a n vonW eintraud 5 ) 

') Ebstein, Die Natur und Behandlung der Gicht. Wiesbaden 1906. 

2 ) Minkowski, Die Gicht in Nothnagel’s spez. Path. u. Ther. VII, 2. Wien 1903. 

3 ) Schmidt, Zur Diagnose und Therapie der Gicht. Münch, med. Wochenschr. 

1911. 

4 ) Friedeberg, Zur Anwendung des Citarin bei Gicht. Zentralbl. f. inn. Med. 
1904, No. 47. 

*) Weintraud, Die Behandlung der Gicht mit Phenylchinolincarbonsäure ussr. 
Therapie d. Gegenw., März 1911. 



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Ueber Krankheitsverlauf im GreUenalter. 


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in der Gichttherapie erfolgreich verwendet worden. Auch in chronischen 
Fällen leistet es, wie ich wiederholt konstatierte, gute Dienste; die 
Tagesdosis beträgt hier 3 g pro die. Nach drei- bis viertägigem Ge¬ 
brauch ist das Mittel auszusetzen und dann längere Zeit mit acht- bis 
zehntägigen Intervallen wieder 2 bis 3 läge in obiger Dosis zu nehmen. 
Bei Auftreten von Uratsedimenten im Harn empfiehlt W eintraud 1 ) 
reichlich Wasser zu trinken und Natr. bicarbon. hinzuzunehmen. 
Schliesslich wäre noch des F i b r o l'y s i n zu gedenken. Ich habe es 
in zwei Fällen von chronischer Gicht intramuskulär injiziert, und 
im ersten Falle nach Gebrauch von 15 Ampullen, die je 2,3 ccm des 
Mittels enthalten, zuerst ein Weicherwerden der Tophi und leichtere 
Beweglichkeit der Finger- und Handgelenke bemerkt. Nach weiteren 
fünf Einspritzungen war der 65 jährige Kranke soweit gebessert, dass 
er aus der Kur entlassen werden konnte, um nunmehr mit Massage be¬ 
handelt zu werden, die vorher wegen hiermit verbundenen Schmerzen 
nicht angängig war. Ueber den zweiten Fall kann ich, da z. Z. die Be¬ 
handlung noch nicht abgeschlossen, nicht definitiv urteilen. Störende 
Reaktionen, d. h. anaphylaktische Erscheinungen, habe ich beim Ge¬ 
brauch des Fibrolvsin nicht bemerkt. Auch in Form von Pflaster habe 
ich das Mittel versucht, und zwar an den Finger- und Handgelenken, 
jedoch scheint der Erfolg hier weniger zu befriedigen. 

Nicht selten gesellt sich zu Gicht im Alter Diabetes, namentlich 
neigen hierzu fettleibige Gichtiker. Die Wechselwirkungen dieser beiden 
Krankheiten dokumentieren sich bisweilen dadurch, dass bei Nachlass 
des einen Leidens eine Steigerung des anderen stattfmdet. So habe 
ich zweimal bei einer älteren Dame unmittelbar nach Exazerbation 
gichtischer Beschwerden beträchtliche, aber bald vorübergehende Re¬ 
duktion des sonst ziemlich konstanten Zuckergehaltes gesehen: zu be¬ 
merken ist, dass hier keinerlei Diät Veränderungen vorgenommen waren. 

Der Alters diabetes basiert nach v. Roräny i J ) meistens 
auf arteriosklerotischen Veränderungen in Leber, Pankreas und Gehirn. 
Die Prognose ist jedenfalls günstiger als bei diabetischer Erkrankung 
jüngerer Personen und hängt in erster Linie von dem Zustand des Her¬ 
zens und der Gefässe ab. Im allgemeinen ist der Verlauf ein milder; 
die Polyurie pflegt nicht erheblich zu sein; der Zuckergehalt bewegt 
sich in mässigen Grenzen, ein solcher von 5°/„ ist immerhin schon selten. 
Bei Marasmus und Fieber kann man Sinken des Zuckergehaltes beob¬ 
achten. Gangrän ist beim Altersdiabetes eine sehr ernste Komplikation. 
Rigorose Entziehungen sind bei Greisen zu vermeiden, ein Anlass zu 
strenger Diabetesdiät kann lediglich drohendes Coma sein. Sonst ist 
längere Fleischdiät den meisten Greisen nicht bekömmlich, sie verlegt 
bald den Appetit und wirkt obstipierend, das gleiche gilt von reiner Hafer¬ 
mehldiät welche sehr bald von den Kranken zurückgewiesen wird. 
Am besten scheint sich ein Alternieren in den Speisen zu bewähren, etwa 
so, dass am ersten Tage vorzugsweise Fleisch, am zweiten Gemüse, am 
dritten Hafermehl mit Eiern, event. unter Zugabe massiger Mengen 
von Kognak oder herben Wein, gereicht wird, dann wiederholt sich 
der gleiche Turnus in der Diät. Soweit meine Erfahrungen bei zwei 
auf diese Weise ernährten Patienten reichen, scheint auch eine Reduk- 


*) Weintraud, Weitere klinische Erfahrungen mit Atophan. Ther. Monatah. 
1912, H. 1. 

! ) v. KorÄnyi, Krankheiten des Stoffwechsels in Schwalbe’« Lehrb. d. Greisen- 
krankheiten. Stuttgart 1909. 


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Friedeberg, 


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tion dos Zuckers hierbei einzutreten. Zur Vermeidung von Obstipation 
sind zeitweise oder dauernd kleine Mengen von Karlsbader oder Neuen- 
ahrer Salz zu nehmen. Von allen sogenannten Diabetesgebäeken er¬ 
scheint mir das Grahambrot das bekömmlichste. Spezielle Medika¬ 
mente. die für Diabetiker empfohlen sind, habe ich bisher keine Ver¬ 
anlassung gehabt zu benutzen. 

Zum Schluss möchte ich noch in Kürze den Verlauf von Influenza 
und Pneumonie im Senium besprechen. 

Influenza beobachtet man bei Greisen viel seltener, als bei 
jüngeren Personen, da alte Leute klimatische Schädlichkeiten eher 
vermeiden können und viel seltener Gelegenheit zur Infektion haben, 
wenn sie beruflich nicht tätig sind. Daher kamen verhältnismässig 
wenige Influenzafälle im hiesigen Hospital St. Georgii zur 
Beobachtung, obwohl wir in Magdeburg in den letzten Jahren 
wiederholt ausgedehnte Influenzaepidemien zu verzeichnen hatten. Bei 
Greisen ist der respiratorische Typus der Krankheit vorwiegend. Er- 
krankung des Nasenrachenraums, der Bronchien und Lungen sieht inan 
am häufigsten, auch Mittelohrkatarrhe sind nicht selten, während die 
übrigen Organe von der sonst so wechselvoll auftretenden Krankheit 
im Alter meist verschont bleiben. Diffuse Bronchitis ist häufiger als 
lokale anzutreffen. Die Influenzanneumonie schliesst sich in der Mehr¬ 
zahl der Fällt' an voraufgegangene Bronchitis an. Die Symptome sind 
meist weniger ausgesprochen als bei jüngeren Individuen; der Verlauf 
ist in der Mehrzahl der Fälle ein langdauernder, bis völlige Heilung 
eintritt. Todesfälle betreffen in der Regel vorher bereits geschwächte 
Individuen. Prognostisch ungünstig ist bei Greisen die Influenzapneu¬ 
monie, wenn sie von Beginn an doppelseitig auftritt oder asthenischen 
Charakter hat. Bei dieser Form liegt nach Fürbringer 1 ) eine 
Mischinfektion durch Pneumokokken und Influenzabazillen vor. 

Man sollte annehmen, dass Pneu m onie im Greisenalter aus 
den gleichen Gründen wie Influenza seltener als bei jüngeren Menschen 
auftritt, dies ist aber keineswegs der Fall. Im Gegenteil disponieren 
Greise erheblich mehr zu dieser Krankheit, als Personen im mittleren 
Lebensalter. Nach Finklers*) \nsieht ist die Empfänglichkeit 
für Pneumonie nach dem 70. Lebensjahr noch grösser als in den ersten 
Kinderjahren. Der Verlauf der Greisenpneumonie ist fast niemals 
stürmisch und zeigt recht oft einen atypischen Charakter. Es gilt hier 
zum grossen Teil dasjenige, was bereits über das Fieber im Senium 
gesagt wurde. Wir sehen selten hohe Temperaturen, Schüttelfröste, 
Krisen und starke Schweissausbrüche; der Verlauf ist in der Regel 
ein lytischer. Bisweilen kann ambulanter Verlauf verkommen. Das 
Sputum ist gewöhnlich gering; durchaus häufig wird es von den Greisen 
verschluckt. Bisweilen ist es leicht hämorrhagisch, jedoch sieht man 
wohl nur selten rostfarbiges. Der Husten ist nicht intensiv, ebenso¬ 
wenig das Seitenstechen. Wegen der oberflächlichen Atmung ist der 
Befund durch Auskultation oft wenig verwertbar, namentlich ist Knister¬ 
rasseln wohl nur selten deutlich hörbar. Die Perkussion gibt dagegen 
in der Mehrzahl der Fälle brauchbare Resultate. Infolge seniler Atro¬ 
phie der Lunge und Thoraxverknöcherung wird das Gefühl des W ider¬ 
standes geändert, so dass der Pektoralfremitus oft undeutlich ist. Daher 

*) Fürbringer, Über Influenza. Deutsche Klinik 1903. Bd. II. 

') Finkler. Die akuten Lungenentzündungen als Infektionskrankheiten. Wies¬ 
baden 1891. 


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Ueber Krankheitsverlauf im Greiaennlter. 


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ist es manchmal schwer zu entscheiden, ob Pneumonie oder Pleuraexsu¬ 
dat vorliegt. In solchen Fällen versäume man nicht rechtzeitig zur Klä¬ 
rung der Diagnose eine Probepunktion vorzunehmen. — Charakteristisch 
für dieGreisenpneumonie ist das Vorwiegen von Herzstörungen, auch wird 
hierdurch im wesentlichen die Prognose bedingt. Nach einer Sta¬ 
tistik von Frankel und R eiche 1 ) betrug die Mortalität bei kru- 
pöser Pneumonie im Alter von 61—70 Jahren 53,6% und im Alter von. 
71—80 Jahren 86,7%. Bei 12 Fällen von krupöser Pneumonie, die 
/lieht im Gefolge anderer Krankheiten auftrat, hatte ich 7 mit letalem 
Ausgang, also 58,3%, und zwar standen die Patienten im Alter zwischen 
<36 und 79 Jahren. Aehnliche Zahlen giebt Aufrecht 5 ), der bei 
91 Kranken über 60 Jahre 57% Mortalität hatte. 

Bei den von mir behandelten Fällen erfolgte zweimal der Exitus 
am 3. bezw. 5. Krankheitstage, wahrscheinlich infolge direkter Wir¬ 
kung von Pneumonietoxinen. Beide Kranke waren von Anfang an be¬ 
nommen; die Pneumonie war nur auf einen Unterlappen beschränkt. 
Bei den übrigen 5 letal verlaufenen Fällen trat der Tod am Ende der 
zweiten und in der dritten Woche infolge von Herzschwäche ein. Bei 
<?iner Patientin war die Lungenentzündung schon völlig abgelaufen und 
bereits erhebliche Erholung zu konstatieren, als sie plötzlich während 
•der Defäkation auf dem Stechbecken tot zusammenbrach. Von den 
5 Fällen, welche die Pneumonie glücklich überstanden, boten nur zwei 
besonderes Interesse. Der eine wegen seiner Aetiologie, da es sich hier 
um typische Kontusionspneumonie handelte. Betreffende 79 jährige 
Patientin hatte sieh mit der rechten Brustseite heftig an der Bettkante 
gestossen. Einen Tag später trat leichtes Frieren ein — vielleicht als 
Ersatz eines frühzeitigen Schüttelfrostes, den Stern 3 ) für Kontusions¬ 
pneumonie als charakteristisch ansieht — dann setzte Pneumonie des 
rechten Unterlappens ein, die einen durchaus leichten Verlauf nahm, 
so dass die Kranke nach zwei Wochen bereits geheilt war. Der andere 
Fall betraf gleichfalls eine 79 jährige, sehr stark beleibte Patient in. die schon 
lange vorher wegen arteriosklerotischer Beschwerden dauernd in Be¬ 
handlung war. Sie war die einzige der 12 Pneumoniekranken, bei welcher 
zu Beginn ein deutlicher Schüttelfrost auftrat. Schon in den ersten 
Tagen erfolgte wiederholt Kollaps, der Kamphereinspritzungen erfor¬ 
derte. Die Entzündung betraf erst den linken Unterlappen und dehnte 
sich später auf beide ganze Lungen aus. Der Puls war sehr wenig be¬ 
friedigend, auch bestand zeitweise starke Zyanose, kurz — die Prognose 
schien äusserst ungünstig. Allmählich erfolgte jedoch Lysis, und trat 
Rekonvaleszenz ein: nur behielt die Kranke seitdem Stenokardie zu¬ 
rück. Während der Krankheit verlor die Patientin einen grossen Teil 
ihres Fettpolsters, was ihr in den späteren Jahren sehr zu statten kam, 
da ihre Beweglichkeit eine leichtere wurde. 

So gute Erfolge zweifellos die von Aufrecht *') in die Pneu¬ 
moniebehandlung eingeführte Methode der subkutanen Injektionen von 
Chinin, hvdrochlor. aufweist, und nach P e t. z o 1 d 4 ) auch bei Patienten 
über 60 Jahre sich bewähren kann, so selten scheint sie im hohen Alter in 

9 Frankel und Reiche, Die Veränderungen der Nieren bei der akuten fibri¬ 
nösen Pneumonie. Zeitschr. f. klin. Medizin 1894. Bd. XXV. 

3 ) Aufrecht. Die Lungenentzündungen in Nothnagel’s spez. l’ath. u. Therap. 
Bd. XIV; Wien 1897. 

a ) Stern, Über traumatische Entstehung innerer Krankheiten, H. 1, 1896. 

4 j P e t z o 1 d , Die Behandlung der kroup. Pneumonie usw. Deutsch. Arch. f. 
klin. Med. XVIII. 


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Freymulb 


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frfiO 


Betracht zu kommen. Hier ist entschieden wegen der stets vorhandenen 
Gefahr, welche die Herz- und Gefässveränderungen bieten, die Digi¬ 
talistherapie am Platz. Wirksam sind hier nur grössere Dosen, wie 
H e t s c h ') und andere Autoren betonen, da sonst kein erheblicher 
tonischer Effekt zu erwarten ist. Ich selbst habe anfangs von einem 
1% Infus zweistündlich einen Esslöffel verordnet und bin zu 
etwas schwächerer Dosierung übergegangen, sobald der Puls voller und 
langsamer wurde. Ist die Gefahr eincF Herzschwäche beseitigt, kann 
kräftiger Wein die Digitalis als Tonikum ersetzen. Vor Anwendung 
von Apomorphin ist zu warnen. Morphin, Codein und ähnlich wirkende 
Mittel gebraucht man bei der Greisenpneumonie nur ganz vereinzelt, 
da der Hauptzweck derselben in Linderung von Husten und Seiten¬ 
stichen besteht, Symptome, die, wie bereits bemerkt, hier nicht er¬ 
heblich zu sein pflegen. 

Die Besprechung einer Reihe anderer Krankheiten, deren Verlauf 
im Greisenalter Interesse beanspruchen dürfte, behalte ich mir für 
spätere Zeit vor. 


Sind die Krankenkassen für den Schaden verantwortlich, der 
dem Kranken durch fehlerhafte Behandlung im Kranken¬ 
hause zugefügt wird? 

Von Oberlandesgerichtsrat A. Freymuth in Hamm. 

Nach dem Krankenversicherungsgesetz hat die Krankenkasse dem 
Kranken freie ärztliche Behandlung und Arznei sowie ein Krankengeld 
zu gewähren (§ 6). In § 7 ist nachgelassen, dass die Kasse statt dieser 
Leistungen „freie Kur und Verpflegung in einem Krankenhause* 1 ge¬ 
währen kann. Für die Bergarbeiter haben die Kassen der Knapp¬ 
schaftsvereine die gesetzliche Krankenversicherung zu leisten. Jeder 
Knappschaftsverein hat eine Satzung, die behördlich bestätigt werden 
muss. Der Knappschaftsverein zu B. hat in § 9 Absatz 2 die Bestim¬ 
mung, dass die Versicherten Anspruch auf „freie ärztliche Behandlung 
und Arznei“ haben; doch gestattet § 13, dass statt dessen „freie Kur 
und Verpflegung in einem Krankenhause“ gewährt werden kann. 

Der Bergmann S. war Mitglied des Knappschaftsvereins. Er er¬ 
krankte an der Wurmkrankheit und wurde dieserhalb in dem Kranken¬ 
haus in B. behandelt. Nachdem er dort mehrfach extractum filicis als 
Heilmittel erhalten hatte, verlor er das Augenlicht. Er nahm im Pro¬ 
zesswege den Verein auf Schadenersatz in Anspruch. Das Landgericht 
wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht als Berufungsgericht billigte 
ihm dagegen den Schadenersatz zu. Es stellte in tatsächlicher Bezie¬ 
hung fest, dass der Kläger im Krankenhause zu drei verschiedenen 
Malen je eine Dosis von extractum filicis erhalten hat, dass er aber zu 
der Zeit, als er die dritte Dosis einnahm, schon seit mehreren Tagen 
wurmfrei war. Es führte aus, dass deshalb die Erkrankung eine weitere 
Verabreichung des Heilmittels nicht erforderte, und legte dar, dass die 
Erblindung auf die übermässig grosse Gesamtmenge des eingenommenen 
Heilmittels zurückzuführen sei. Es hat sich nicht aufklären lassen, ob 
die dritte Dosis auf Anordnung des behandelnden Knappschafts-Arztes 
Dr. Noder oder eigenmächtig von der Krankenschwester verabreicht 
worden ist. Das Oberlandesgericht legt dar, dass bei der Gefährlichkeit 

*) Hetsch, Die Behandlung der Pneumonie mit großen Digitalisdosen. Inaug.- 
Diss. Berlin 1895. 


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Sind die Krankenkassen für den Schaden verantwortlich, der dem Kranken iikw. 56h 


des Heilmittels in jedem Falle ein Verschulden in der Darreichung der 
übergrossen Menge liege. Für dieses Verschulden müsse der Knapp¬ 
schaftsverein nach § 278 des Bürgerlichen Gesetzbuchs einstehen. § 278 
schreibt vor: „Der Schuldner hat ein Verschulden .... der Personen, 
deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem 
Umfange zu vertreten, wie eigenes Verschulden.“ Diese Vorschrift sei 
hier anwendbar. Denn der Verein habe sich zur Erfüllung der nach 
den §tj 9 und 13 der Satzung gegenüber dem Kläger ihm obliegenden 
Verbindlichkeit sowohl des Dr. N. wie der Krankenschwester als Hilfs¬ 
person bedient. 

Gegen dieses Urteil legte der Verein Revision beim Reichsgericht 
ein. Das Reichsgericht hat durch das Urteil vom 1. Oktober 1910 (V 
175/09) Bd. 74 S. 163 das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und 
die Klage abgewiesen. Es erklärt: Die Knappschaftsvereine sind nicht 
auf der Grundlage privatrechtlicher Versicherungsvereine aufgebaut, 
sondern sind öffentlich-rechtliche Zwangsgenossenschaften, und ihre 
Leistungen beruhen ebenso wie die der reichsgesetzlich geschaffenen 
Krankenkassen auf der vom Staate anerkannten öffentlich-rechtlichen 
Fürsorgepflicht. Zu dieser Rechtsauffassung tritt das Berufungsgericht 
in Gegensatz, indem es annimmt, dass der Anspruch, den der Kläger 
gegen den Verein hat, e ; n Anspruch aus einem privatrechtlichen Schuld¬ 
verhältnis sei. Zuzugeben ist, dass der Unterstützungsanspruch, der 
im ordentlichen Rechtswege verfolgbar ist, auch ein privatrechtliches 
Element in «ich trägt. Allein das Privatrecht ist in weitem Umfange 
durch das öffentliche Recht zurückgedrängt. Allerdings ist nicht ge¬ 
sagt, dass die privatrechtliche Vorschrift des § 278 des Bürger!. Gesetzb. 
für die Rechtsverhältnisse des öffentlichen Rechts nicht entsprechend 
angewandt werden könnte. Im vorliegenden Falle ist dies aber nicht 
angängig: Nach § 13 der Satzung konnte der Verein statt der in § 9> 
vorgesehenen freien ärztlichen Behandlung und Arznei freie Kur und 
Verpflegung in einem Krankenhause gewähren. Die Satzung stimmt 
im Wortlaut genau überein mit der Vorschrift in § 7 des Krankenver¬ 
sicherungsgesetzes, und diese Uebereinstimmung ist zweifellos bewusst 
und gewollt. An sich ist es nun richtig, dass die Gewährung von freier 
ärztlicher Behandlung und Arznei, ebenso wie die Gewährung von freier 
Kur und Verpflegung, Naturalleistungen darstellen und als solche zu 
erfüllen sind. Allein dies gilt nicht uneingeschränkt. Wählt sich der 
Erkrankte selbst den behandelnden Arzt, so kann für die Kasse nur der 
Ersatz der Auslagen in Frage kommen. Hat die Kasse ihrerseits sat- 
zungsgemäss das Recht zur Bestimmung des Arztes und macht sie von 
diesem Rechte Gebrauch, so geht die Fürsorgepflicht auf die Gewäh¬ 
rung eines zur Behandlung geeigneten und bereiten Arztes, aber sie 
erstreckt sich nicht auf die zum Zwecke der 
Heilung vom Arzte nach eigenem Ermessen ge¬ 
troffenen Anordnungen. Gewährt die Kasse innerhalb der 
ihr nach Gesetz oder Satzung zustehenden Befugnis an Stelle freier 
ärztlicher Behandlung und Arznei freie Kur und Verpflegung in einem 
Krankenhause, so genügt sie der Fürsorgepflicht, wenn auf ihre Kosten 
der Erkrankte im Krankenhause Aufnahme und auch ärztliche Behand¬ 
lung und Verpflegung findet. Die Durchführung der Be¬ 
handlung und Verpflegung selbst zählt zu den 
der Kasse gegenüber dem Erkrankten obliegen¬ 
den Naturalleistungen nicht. 

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562 Freymuth, Sind die Krankenkassen für den Scbnden verantwortlich usw. 


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Für eine abweichende Beurteilung bietet auch die Entscheidung 
des dritten Zivilsenats Band 64 Seite 231 keine Stütze. Dort hatte 
ein Kranker wegen eines Leidens, das eine Operation nötig machte, 
gegen Entgelt Aufnahme in einem städtischen Krankenhause gefunden. 
Die Stadt wurde für das bei der Operation vorgekommene Versehen 
aus § 278 für verantwortlich erklärt, weil angenommen wurde, dass 
die Vornahme der Operation mit einem Gegenstand der durch den 
Aufnahmevertrag übernommener vertraglichen Verpflichtungen ge¬ 
bildet habe. Von diesem Gesichtspunkte aus würde eine Verantwort¬ 
lichkeit des verklagten Vereins aus § 278 gegeben sein, wenn es sich 
bei der ärztlichen Behandlung und Verpflegung um die Erfüllung einer 
Verbindlichkeit gehandelt hätte, die dem Verein als Naturalleistung 
dem Kläger gegenüber oblag. Allein eine Verbindlichkeit in diesem 
Sinne, für deren Erfüllung sich der Beklagte des ärztlichen und des 
Pflegepersonals als seiner Hilfspersoren bedient hätte, bestand weder 
als Vertragspflicht noch als gesetzliche Fürsorgepflicht. In einem Ver¬ 
tragsverhältnisse stand der Beklagte zum behandelnden Arzte und dem 
Krankenhause, aber nicht zum Kläger. Nur die Fürsorgepflicht lag ihm 
dem Kläger gegenüber ob, aber sie rechtfertigt nicht die Anwendung 
des § 278 BGB. Die Kassen für Handlungen und Unterlassungen des 
im Krankenhause tätigen ärztlichen Pflegepersonals für verantwortlich 
zu erklären, würde dem Willen des Gesetzgebers nicht entsprechen. 
Die Kassen würden auch nach ihrer Organisation eine solche Verant¬ 
wortlichkeit unter Umständen kaum tragen können, und die Kassen¬ 
organe würden berechtigtes Bedenken tragen müssen, die Krankenhaus- 
behandlung in weiterem Umfange eintreten zu lassen. — 

Diese Entscheidung hat naturgemäss Bedeutung nicht nur für die 
Knappschaftskassen, sondern für alle Krankenkassen, die auf Grund 
der öffentlich-rechtlichen Zwangsvorschriften bestehen, also die Orts¬ 
krankenkassen, Innungskrankenkassen, Betriebskrankenkassen usw. 
Die Entscheidung wird auch unter der Herrschaft der neuen Reichs¬ 
versicherungsordnung vom 19. Juli 1911 voll verwertbar sein. Ob die 
Begründung des Reichsgerichts in allen Punkten einwandfrei ist, kann 
freilich zweifelhaft sein. Namentlich ist der mehrfach hervorgekehrte 
Gesichtspunkt der „Naturalleistungen“ nicht recht klar. Auch ist recht 
zweifelhaft, ob nicht doch ein Widerspruch zu älteren Entscheidungen 
des Reichsgerichts besteht, namentlich zu der Entscheidung Band 64 
S. 231 — wenn man wenigstens grundsätzlich zugibt, dass § 278 auch 
auf öffentlich-rechtliche Verhältnisse entsprechend anwendbar ist. Aber 
dies könnte nur den Anlass dazu bieten, die älteren, die öffentlich-recht¬ 
lichen Gemeinschaften (Städte, Kreise usw.) schwer belastende Ansicht 
aufzugeben, nicht aber dazu, von der oben wiedergegebenen, neuen 
Auffassung abzuweichen. Denn in der Tat könnten die Krankenkassen 
die sonst ihnen obliegende Verantwortung wohl kaum tragen. Auch 
erscheint es — bei allem Mitgefühl für den zu Schaden gekommenen 
Kranken — in hohem Masse unbillig, den Kassen eine Verantwortung 
für Handlungen aufzubürden, die allein von dem behandelnden und 
sachverständigen Arzt- und Pflegepersonal ausgehen und die die Kassen¬ 
vorstände in ihrer Tragweite zu beurteilen oder auf ihre Richtigkeit zu 
prüfen schlechterdings nicht in der Lage sind. 


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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 

Über Vererbung. I. Teil. 

Von Dr. G. Steinitz in Billitz (Allg. Wiener mediz. Zeitung. Nr. 10 —-25, 1011 ). 

Vererbung ist Uebertragung der eigenen Merkmale, rcsp. der Merk 
male eines Vorfahren auf die aus dem eigenen Selbst bezvv. Teilen des¬ 
selben hervorgehenden Nachkommen. Bei dem einzelligen Organismus 
teilt sieh die Zelle in zwei Tochterzellen und erscheint es selbstver¬ 
ständlich. dass die neuen Zellen die gleichen Eigenschaften darbieten, 
welche die Mutterzelle darbot. Auch bei dieser handelt es sich nicht 
um einfache Teilung, es findet Neubildung — Regeneration — statt, 
insofern jedes Teilstück das neu bildet, was ihm abging, das obere 
Teilstück das untere, das untere Teilstück das obere Ende, so dass das 
Teilprodukt gleich wird dem Ganzen, aus dem es hervorgegangen ist. 
Während bei den Einzelligen der Gesamtkörper an der Vermehrung 
teilnimmt, haben bei den Metazoen nur einzelne Zellen, die Keimzellen, 
die Fähigkeit, sich zu neuem Individuen zu entwickeln. Der Fort¬ 
pflanzungsmodus ist entweder ein ungeschlechtlicher oder ein geschlecht¬ 
licher. Schon in den Keimzellen ist die Eigenart des aus ihnen hrrvor- 
gehenden Lebewesens enthalten, aus bestimmten Keimzellen können 
nur bestimmte Lebewesen hervorgehen. Die Keimzellen sind ebenso 
Träger spezifischer Artunterschiede, wie die ausgebildeten Individuen 
am Ende ihrer Entwicklung, sie nennt H e r t w i g mit Recht Artzellen, 
es gibt soviel verschiedene Artzellen, als es Arten gibt: Nach dem Kau¬ 
salitätsgesetz müssen gleiche Artzellen am Beginn der Entwicklung zu 
gleichen Endprodukten am Ende derselben führen. 

Autor bespricht dann des Näheren die Zellteilung und das Gesetz 
der Zahlenkonstanz der Chromoformen, er schildert die Differenzen, die 
zwischen der gewöhnlichen Zellteilung und den Teilungsvorgängen der 
Geschlechtszellenteilung stattfinden; die erstere ist Aequationsteilung, 
jede Kernhälfte ist der anderen gleich, enthält die gleiche Anzahl Chromo¬ 
somen und bringt gleiche Qualitäten in jede aus der Teilung hervor¬ 
gehende Hälfte. Hier besitzt jeder Kern einer neuen Zelle die gleiche 
Anzahl Chromosomen als der Kern der Mutterzelle besass und führt 
ganz dieselben Qualitäten wie diese, die aus der Teilung der Ge¬ 
schlechtszellen hervorgeheiyien Ei- und Samenkerne enthalten nur 
die halbe Anzahl der den Zellen der Spezies zukommenden Chromo¬ 
somen. Dies erfolgt auf dem Wege der Tetradenbildung und doppelter 
Halbierung, d. h. Viertelung der Tetraden: die erste Halbierung ist eine 
Aequationsteilung, wie hei der gewöhnlichen Kernteilung, bei der zweiten, 
auf die erste unmittelbar folgenden, wird die halbe Anzahl der Chromo¬ 
somen ausgeschieden, die andere Hälfte wird zurückbehalten. Diese 
Teilung ist eine Reduktionsteilung, denn die zurückgeblie¬ 
benen Chromosomen stammen von anderen Chromosomen ab als die aus¬ 
geschiedenen. Die dem Samen- resp. dem Eikern fehlende Chromo¬ 
somenzahl wird durch deren Zusammentreten auf die Höhe der der 
Spezies gesetzmässig zukommenden Anzahl ergänzt, so dass der aus 
ihrer Vereinigung hervorgehende erste Furchungskern die normale 
Chromosomenziffer führt und zwar in gleicher Anzahl väterliche und 

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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


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mütterliche Chromosomen, und da die ferneren Zellen des neuen Indi¬ 
viduums aus fortgesetzter Teilung des ersten Furchungskerns her¬ 
vorgehen, so müssen auch die Geschlechtszellen des neuen Individuums 
in gleicher Zahl vom Vater, von der Mutter herrührende Chromosomen 
führen und damit Anlagen, die zur Hälfte väterliches, zur Hälfte mütter¬ 
liches Erbe sind. 

Man hat zwingenden Grund für die Annahme, dass in den Chromo¬ 
somen die Faktoren enthalten sind, die von .wesentlicher Bedeutung für 
die im werdenden Individuum zur Ausbildung gelangenden Eigenschaften 
sind, und auch dafür, dass die einzelnen Chromosomen verschieden 
qualifiziert sind, mithin die ausgeschiedenen von den zurückgebliebenen 
Chromosomen verschieden sind, letztere auf die Vererbung andere Ein¬ 
flüsse üben, als erstere. Dadurch lassen sich die Differenzen zwischen 
den Kindern gleicher Eltern gut begreifen. Mit der Ausscheidung von 
Chromosomen werden Faktoren entfernt, die zu bestimmten Entwick¬ 
lungen geführt hätten, wären sie im Ei geblieben; mit dem Zurück¬ 
bleiben anderer, mit der Zufuhr von anderen sind Potenzen geblieben 
resp. eingeführt worden, denen zufolge das neue Individuum gewisse 
Eigenschaften ausbilden muss oder kann. Bei der Reduktionsteilung 
können väterliche oder mütterliche Chromosomen aus den Geschlechts¬ 
zellen ausgeschieden resp, zurück behalt en werden und w r enn die Aus¬ 
scheidung nicht immer die gleichen Chromosomen befällt, sondern manch¬ 
mal den Träger dieser, ein andermal die Träger anderer Qualitäten, 
so sind je nach der Höhe der für die Spezies charakteristischen Chromo- 
somenanzahl mehr weniger viele verschiedene Kombinationen möglich, 
denen entsprechend die zur Entwicklung gelangenden Individuen viele 
Verschiedenheiten aufweisen werden. An Beispielen wird dies veran¬ 
schaulicht. Es folgt ein Exkurs über die Kräfte, welche aus einem 
winzig kleinen Teile eines Ganzen, resp. aus der Vereinigung dieser 
kleinsten Teile ein Ganzes hervorgehen lassen im Sinne moderner Epi¬ 
genesis. Diese Kräfte sind dynamischer Natur, fermentartige Enzyme. 
Es folgt dann die ausführliche Darlegung der Mendel’schen Regeln, 
der Spaltungs-, Prävalenz- und Unabhängigkeitsregel. Es wird dar¬ 
gelegt, wie öfters ein Merkmal erst durch das Zusammentreffen zweier 
Anlagefaktoren gebildet wird, welche bei den Eltern nur einzeln Vor¬ 
kommen, die deshalb das Merkmal nicht aufweisen, im Einheitskeim kom¬ 
men die beiden Faktoren zusammen und das Kind zeigt jetzt das Merk¬ 
mal, das jedem der Eltern fehlte. Daran knüpft sich der Unterschied 
zwischen gametischen und zvgotischen Anlagen. Die Anschauung, 
we'che in den Chromosomen die Anlagenträger sucht, widerspricht den 
Mendel’schen Regeln nicht. 

Die Merkmale eines Individuums innerhalb der Familie und der 
Spezies hängen ab von den im Keime enthaltenen Anlagen, letztere 
sind entweder durch einen Anlagefaktor bedingt, oder durch das Zu¬ 
sammentreten mehrerer Anlagefaktoren. Mithin kann Auftreten eines 
neuen Faktors zu neuen Anlagen führen, ebenso Abwesenheit eines 
bis dahin in der Aszendenz vorhanden gewesenen Faktors veranlassen, 
dass ein in dieser durchwegs vorhandenes Merkmal bei den Nachkommen 
fehlt. Letzteres erklärt und begründet das Wiederauftreten atavisti¬ 
scher Formen. Ein neuer Faktor hatte in der Deszendenz zu neuem 
dominierendem Merkmal geführt, das Wegbleiben dieses Faktors 
führt zum W iedererschrinen eines Ahnenmerkmals. 

Beispiele illustrieren diese Verhältnisse und erläutern das Ver- 



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fahren der Züchter, um eine Zucht zu erhalten, die Merkmale aufweist, 
auf welche sie Wert legen. Es wird dann erörtert, in welchem Masse 
Eigenschaften der Ahnen die Beschaffenheit der Deszendenten beein¬ 
flusst, es hängt alles davon ab, welche Anlagen ausgeschieden, welche 
zurückbehalten werden, es lässt sich eine Prognose für die Gesamtheit 
der Nachkommen, nicht für den einzelnen zu erwartenden Fall geben. 
Ursache der gleichen Anzahl von Knaben- und Mädchengeburten ist, 
weil Heterozygoten mit rezessiven Homozygoten gekreuzt werden. 
Gewisse Merkmale sind an den Geschlechtscharakter gebunden und 
fehlen, wenn auch die Anlagen vorhanden sind. Versuche mit Ueber- 
pflanzung eines Eiorstocks einer Rasse in ein Tier der gleichen Spezies 
jedoch anderer Rasse, ergeben, dass mit der Transplantation die Ver¬ 
erbungstendenzen des überpflanzten Eierstockes übernommen werden, 
jedoch bleibt auch die Wirtsmutter, der die Geschlechtsdrüse implan¬ 
tiert wurde, nicht ganz ohne Einfluss. 

Kongenital ist von hereditär zu trennen, sowohl für Infektions 
krankheiten gilt dieser Satz, als auch für Immunitäten, indem letztere 
Folge sein können von mitgeteilten Schutzstoflen als auch Ausdruck 
von Vererbung im onlogenetischen Sinne, wie dann, wenn Rassen und 
Arten gegenüber gewissen Infektionen dauernd immun bleiben. Blü¬ 
hende Geschlechter degenerieren, wenn zur Keimbildung neu zuge¬ 
führte Gameten beitragen, die in ihrer Vereinigung eine Organisation 
bilden, die zur Höhe reproduktiver Leistung unfähig macht, deshalb 
zu pathologischer Entwicklung den Grund legte, und als besondere 
Beschaffenheit weiter vererbt wird und das Verharren der Degeneration 
bei den Nachkommen bedingt, eventuell durch zutretende ungünstige 
Kombination eine weitere Steigerung erfährt. Erklärung des Auftretens 
von Mutationen. Es können Anlagefaktoren resp. Anlagen bei der 
Hvbridierung Zusammenkommen, die einen weiter nicht spaltenden 
Anlagenkomplex liefern, der als solcher fort vererbt und ein bisher nicht 
vorhanden gewesenes neues Merkmal konstituiert, einen neuen Typus 
schafft, eine Mutation setzt. 

Die vererbten Anlagen treten in verschiedenen Perioden der Ent¬ 
wicklung ein und vieles, was nicht kongenital ist, ist trotzdem vererbt. 
Auch die Art der Entwicklung ist vererbt, ein Erbe kann früher oder 
später angetreten werden und das gleiche Erbe kann dem Lebensalter 
entsprechend, in welchem es sich manifestiert, sich in verschiedener 
Weise kundgeben. 

Obschon Autor im Verlaufe der ganzen Darstellung auf die Ver¬ 
hältnisse beim Menschen Rücksicht genommen hat, auch den Wert der 
hereditären Verhältnisse für die Diagnose eingehend an Beispielen dar¬ 
gelegt hat, so sollen doch die für die menschliche Biologie in Betracht 
kommenden Vererbungstatsachen in dem 2. Teil der Arbeit ausführ¬ 
licher besprochen und deren Ergebnisse gewürdigt werden. 

Autoreferat. 


Schussverletzung des Auges. 

Von Dr. Beykovsky-Prag. (Wissenschaftl. Ges. d. Ärzte in Böhmen. 9. II. 12). 

Reg.-Arzt Beykovsky (Klinik Prof. E 1 s c h n i g) demon¬ 
striert einen Fall von Schussverletzung des Auges, die dem Patienten 
durch eine unmittelbar vor ihm stehende Person zugefügt wurde. 
Das 7 mm - kalibrige Weichbleiprojektil eines Revolvers drang 


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dem Verletzten am lateralen Hände «ler rechten Orbita ein. Der grösste 
Teil desselben wurde daselbst in dem zerschmetterten Knochen fest- 
gehalten, während 2 Teile des Projektils absplitterten. Der eine von 
diesen blieb an der lateralen Orhitalwand stecken, während der andere 
in die Tiefe der Orbita, nahe ihrer Spitze gelangte. Dieses ziemlich 
grosse schraubenartig torquierte Projektilpartikel hatte den Bulbus 
schwer kontundiert und durch Anpressung an den Sehnerven eine 
Abblassung der Papille verursacht. 

Prof. E 1 s c h n i g gelang es — nachdem durch das neue röntgen- 
diagnostisrhe Verfahren mittelst der aus bleihaltigem Glase angefertig¬ 
ten Prothesen nach Wessely die exakte Lokalisation der Fremdkörper 
bewerkstelligt wurde — alle 3 Fremdkörper zu extrahieren, worauf 
sich die auf blosse Lichtempfindung herabgesetzte Sehschärfe in kurzer 
Zeit sehr hob und bereits auf Fingerzählen auf 3'/ s m gestiegen ist und 
auch die schweren Entzündungserscheinungen nach einer 3 wöchent¬ 
lichen Behandlung schwanden. 

Der Vortragende betont die Wichtigkeit einer exakten Lokalisation 
von Fremdkörpern und retrobulbären Tumoren, da es sonst fast un¬ 
möglich sei, dieselben zu entfernen. 

Zum Schluss bespricht B. die Mechanik der Verletzung. Die Zer 
splitterung des Geschosses an der Orhitalwand und das Zurückhalten 
aller Teile in der Orbita machen den Fall zu einem ungewöhnlichen. 

Der Vortragende demonstriert die Wesselyprothesen und eine 
Reihe nach diesem Verfahren aufgenommener Röntgenbilder. 

Autoreferat. 


Untersuchungen über Grundlagen und Methodik der Visko- 

sltätsbestimmung. 

Von Professor Dr. Egm. Münzer (Prag) und Dr. Ferdinand Bloch (Franzensbad).*i 
Professor Münzer bespricht die Viskositätsbestimmunp 
durch Kapillarausfluss nach den beiden Prinzipien: Berücksichtigung 
a) der Ausflusszeit, b) des Ausflussvolumens. Nach dem ersten Prinzipe 
sind die Apparate von Beck- Hirse h und Determann. nach 
dem zweiten die von Hess und Münzer-Bl och konstruiert. 
Der Vortragende gibt eine genaue Beschreibung des M.-B.-Apparates. 
Bei vergleichenden Viskositätsbestimmungen mittels der Apparate von 
Determann, Hess und des von M ünzer-Bloc h konstru¬ 
ierten gab der Determan n’sche Apparat höhere Viskositätswerte 
als die beiden anderen, und um so höhere, je zäher die zu untersuchende 
Flüssigkeit war. Entgegen Determann, der in dem zu hohem 
Drucke bezw. Zuge, unter welchem der Apparat von Hess bezw. 
Münzer-Bloch arbeitet, eine Fehlerquelle sieht, kommen die 
Autoren nach ihren Untersuchungen zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Benutzung eines manometrisch genau bestimmten Druckes 
bezw. Zuges zur Viskositätsbestimmung bei dem Apparate von 
Münzer-Bloch ist unnötig, weil Drucke bezw. Züge gleich- 
mässig auf beide Flüssigkeiten zur Geltung kommen und sich 
innerhalb der Werte von 30—100 mm Hg keine Differenzen der 
erhaltenen Viskositätswerte ergaben. Zur Erzeugung eines 

*) Nach einem um 26. I. 1912 in der „Wissenschaftlichen Gesellschaft deutscher 
Aerzte in Böhmen“ gehaltenen Vortrage. 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxi?. 


567 


Druckes bezw. Zuges von dieser Höhe reicht der bisher ver¬ 
wendete Ballon vollkommen aus. 

2. Der Determan n’sche Apparat ist physikalisch einwand¬ 
frei. Bei Bestimmung der Viskosität gibt der ausserordentlich 
niedrige Druck, unter welchem der Abfluss erfolgt, sehr leicht 
Veranlassung zu fehlerhaften Resultaten, besonders bei einer 
so eigenartigen Flüssigkeit, wie sie das Blut darstellt. 


Experimentelle Untersuchung über den Pulsus paradoxus. 

(Vortrag gebalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft Deutscher Ärzte in Böhmen 

am 22. März 1912.) 

Von Privat-Dozent Dr. Edmund lloke (Prag-Franzensbad). 

Nach 19 an Kaninchen ausgeführten Versuchen über die Patho¬ 
genese des Pulsus paradoxus, d. h. bei Kleinerwerden des Pulses wäh¬ 
rend der Inspiration ergab sich folgendes: 

1. Der Pulsus paradoxus kommt oft physiologisch bei Kanin¬ 
chen vor. 

2. Er ist durch mechanische Ursachen bedingt und zwar einerseits 
in einer besseren, bezw. schlechteren Durchblutbarkeit der 
Lungen und zweitens durch Veränderungen des Blutzuflusses 
zu den Lungen. 

Er konnte hervorgerufen werden durch Dyspnoe, durch Phrenien- 
durchschneidung, durch Setzung von Exsudaten im Thorax, durch 
Verzerrung von Venenstämmen und des Herzens. 

(Die ausführliche Mitteilung erscheint in der Zeitschrift für experi¬ 
mentelle Pathologie und Therapie.) Autoreferat. 


Mitteilungen aus der Praxis. 

Eine Bandwur m kur mit Extract. Fil. mar. gehört noch immer 
zu den unangenehmsten Prozeduren. 

Wesentlich vereinfacht ist die Sache bei Verwendung des Fil- 
maron-Oels (C. F. Böhringer & Söhne, Mannheim - Waldhof), 
welches in dem geringen Quantum von 1 : 10 g Ol. Ricini die grossen 
F]sslöffel des Extraktes ersetzt. Preis eines Originalglases ä 10 g = 
ca. 1 M. 

Noch angenehmer nimmt sich das Bandwurmmittel P a n n a. 
Nach Mitteilung der Marggraf’schen Apotheke in Leipzig enthält das 
Mittel als wirksame Substanz das Rhizom des zu den Polypodiaceen 
gehörigen Nephrodiums (Aspidium) athamanticum (Südafrika) und 
wird in 3 Stärken (für Männer, Frauen und Kinder) abgegeben. Preis 
der Schachtel = ca. 2 M. Panna hat fast gar keinen Geschmack. 

Beide Mittel haben sich mir wiederholt bewährt, auch bei bereits 
anderweitig behandelten Patienten. 

Zur Mundpflege wie zur Linderung des quälenden Durstes Fie¬ 
bernder ist es zweckmässig, mit gewöhnlichem Brausepulver 
gurgeln zu lassen. Es wirkt das erfrischend auf den ganzen Körper. 
Nur muss man den Kranken bezw. ihren Angehörigen die Sache or¬ 
dentlich zeigen; sie begehen sonst erstaunliche Ungeschicklichkeiten. 

Die Darmbeine geben bei Perkussion normaliter einen klang¬ 
haltigen Schall. Die Resonanz in den anliegenden Darmschlingen 


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Referate lind Besprechungen. 


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mag di«* Ursache dafür sein. Schiebt sielt zwischen Darm und Darm¬ 
bein ein Exsudat ein. so resultiert eine Dämpfung. Zur Erkennung 
kleiner, tiefliegender Flüssigkeitsansammlungen im Beckenraum, z. B. 
bei Appendizitis, lässt sich das Symptom mit Vorteil verwenden. 

Dr. Buttersack-Berlin. 

Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Frei (Berlin), Über einige Anreiehernngs- und Färbemetboden der Tuberhel¬ 
bazillen im Sputum. (Contra!bl. f. Bakt., Bd. 61, H. 4/5.) 

Es ergibt sich, daü die verschiedensten Anreicherungsverfahren eine 
Vermehrung der Tuberkelbazillen gegenüber den einfachen .Sputumaus¬ 
strichen geben. 

Das beste Verfahren ist das Hammerische, dann folgen das Uhlen- 
hutsche, das Loefflersche und das Bernhardtsche Ver¬ 
fahren. Verfasser empfiehlt das Uhlenhut h sehe Verfahren, besonders 
da, wo man die Tuberkelbazillen zur Züchtung oder zum Tierversuch lebend 
erhalten will. Das Bernhardtsche Verfahren kann da mit Vorteil an¬ 
gewandt werden, wo keine elektrische Zentrifuge zur Verfügung steht. 

Was nun die einzelnen Färbeverfahren anbelangt, so ergibt sich, daß 
die M u c h sehe Färbung für die Darstellung der Tuberkelbazillen in dem 
nicht mit Antiformin behandelten Sputum nicht verwendbar ist. Die Her¬ 
ma nnsche Färbung ist der Zieh Ischen vorzuziehen. Schürmann. 

Bernard, L. (Paris), Anaphylaxie bei KochsaIzin]ektioneu. (Gaz. nted. de 
Paris 1911, Nr. 122, S. 382/83.) 

Ein junger Mensch hatte einen regelrechten Typhus durchgemacht, 
war bereits entfiebert, als plötzlich Symptome eines Rückfalls vermischt 
mit solchen einer Appendizitis auftraten. Bernard verordnete 2 subkutane 
Injektionen: Spartein sulf. 0,05 in den rechten Vorderarm, 100 g physiologi¬ 
sche Kochsalzlösung in die linke Brustseite. Zwei Stunden nach der 
letzteren trat eine akute heftige Verschlimmerung des Zustandes ein: Rötung 
und exzessive Schmerzhaftigkeit der Brust, verfallene Züge, Angstschweiß 
auf dem Gesicht, fadenförmiger Puls, kurz eine richtige Synkope. In den 
nächsten Stunden traten noch Behinderungen beim Sprechen und beim Atmen 
dazu; die Respiration erfolgte der Schmerzen wegen nur mit den obersten 
Rippen. Die Brusthaut erschien erysipelatös gerötet und ödematös durch¬ 
tränkt; Temperatur 40,5. Am anderen Morgen waren diese bedrohlichen 
Symptome zum größten Teil verschwunden, nach 4 Tagen war gar nichts 
mehr davon übrig und der Rückfall erledigt. 

Bernard faßt den Zufall als Arthussche Krankheit, Anaphylaxie 
auf, und in der Tat ergaben Nachforschungen, daß man dem Pat. 2 Jahre 
zuvor 15 Injektionen von isotonischem Meerwasser gemacht hatte, von 
30 ccm bis 200 ccm. Diese Injektionen waren in 2—3 tägigen Intervallen 
appliziert worden und hatten keinerlei Erscheinungen hervorgerufen; aber 
als inan nach einer Pause von 4 Wochen damit wieder beginnen wollte, 
mußte man wegen Temperatursteigerung, Schmerz, Schwellung, Rötung da¬ 
von Abstand nehmen. Offenbar war es das sonst so harmlose NaCl, gegen 
dessen weitere Inkorporation sich der Organismus sträubte. Die Geschichte 
verdient nach verschiedenen Seiten hin Beachtung, nicht zum geringsten 
wegen der Erinnerung, welche unterhalb der Schwelle des Bewußtseins 
an die Prozedur aufbewahrt geblieben war. Buttersack-Berlin. 

Tedeschi und Napolltani (Parma), Experimentelle Untersuchungen über die 
Ätiologie des Sommerriebers. (Centralbl. f. Bakt., Bd. 61, H. 6.) 

Es erscheint als sicher erwiesen, daß das italienische Sommerfieber 
hervorgerufen wird durch ein filtrierbares Virus; die Inkubationsperiode 


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Keferale und Besprechungen. 


569 


der Krankheit hat eine Dauer von 4—5 Tagen. Stiche von Mücken „Phlebo¬ 
tomus“ sind zur Hervorrufung der Krankheit erforderlich. Das Gift be¬ 
wahrt bei Phlebotomus durch längere Zeit (10 Tage) seine Wirksamkeit. 
Verfasser behaupten, daß das italienische Sommerfieber nichts anderes ist 
als das Pappatazifieber, und daß es dem Herzogowinischen ähnlich ist. 

Schürmann. 

Shmamine (Tokio), Eine einfache Schnellfärbuugsmethode von Spiroehaeten. 
(Centralbl. f. Bakt.. Bd. 61, H. 4 5.) 

1. Fixieren des Deckglasausstriches in der Flamme oder in Methyl¬ 
alkohol. 

2. 3—4 Tropfen von einer 1 proz. Kalilaugelösung darauftropfen. 

3. Ohne Abspülen begießen mit einigen Tropfen der gewöhnlichen 
wässerigen Fuchsinlösung (Fuchsin 15 g: 96 proz. Alkohol, davon 
1:20 Wasser) oder konzentrierter wässeriger Kristallviolettlösung. 

4. Stehenlassen ca. 3 Minuten. 

5. Abwaschen mit Wasser, Trocknen. Kanadabalsam. 

Statt Kalilauge kann man auch eine 4—5 proz. Natriumkarbonatlösung 
oder eine konzentrierte Ammoniaklösung verwenden. 

Ein Unterschied zwischen Spirochaeta pallida und der refringens läßt 
sich gut erkennen. Erstere erscheint blasser gefärbt und feiner gegenüber der 
refringens. Schürmann. 

Peters (Kiel), Zur Pathogenität der Tuherkclhazillcntypen bei Mäusen. 
(Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 1 2.) 

Nachprüfung der Trommsdorff sehen Arbeit. Tr. spritzte weißen 
Mäusen in die Schwanzvene genau abgemessene Mengen von Tuberkel¬ 
bazillenkulturen vom Typus humanus und bovinus und fand, daß Mäuse 
für Perlsuchtbazillen viel empfänglicher sind als für Bazillen des Typus 
humanus. Peters bestätigt die Angaben Trommsdorffs. 

Schürmann. 

Kodania (Tokio), über Kapselbildung der Milzhrandbazillen bei der Züchtung 
auf Schraegagar. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 3/4.) 

Milzbrandbazillen bilden auf erstarrtem Hühnereiweiß, das einen be¬ 
stimmten Alkalitätsgrad besitzt, Kapseln; ebenso auf stark alkalischem Agar. 

Schürmann. 

Fermi, Claudio (Sassari), Kann das fixe Hundefirus an Stelle des fixen 
Kaninchenvims zur Bereitung von Wutimpfstoff dienen? (Centralbl. f. Bakt., 
Bd. 61, H. 4/5.) 

Aus der interessanten kurzen Arbeit von Fermi ergibt sich, daß 
in bezug auf die Immunisationskraft des mit Hunde- oder Kaninchenvirus 
bereiteten Impfstoffes kein Unterschied besteht. Somit ist also das Hunde¬ 
virus an Stelle von Kaninchenvirus zulässig. 

Auch ist die Immunisationskraft und das lyssizide Vermögen des Blut¬ 
serums bei den mit einem dieser beiden Virus behandelten Tieren in beiden 
Fällen gleich. Schürmann. 

Cristina und Cipolla (Palermo), Über die Bildung spezifischer Antikörper 
bei mit Nukleoproteid syphilitischer Organe behandelten Kaninchen. (Centr. f. 
Bakter., Bd. 62, H. 1/2.) 

Verfasser haben bei Kaninchen einen spezifischen Ambozeptor erhal¬ 
ten, ohne die Tiere mit Syphilis zu infizieren. Sie benutzten ein aus Leber 
und Milz von syphilitischen Neugeborenen gewonnenes Nukleoproteid. Die 
Bereitungsweise des Nukleoproteids ist genau angegeben. Kaninchen wur¬ 
den mit diesem Nukleoproteid intravenös immunisiert und das Serum der 
immunisierten Tiere mittelst Komplementablenkung geprüft. In allen Fällen 
wurde die Anwesenheit eines spezifischen Ambozeptors beobachtet. 

Schürmann. 


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Referate und Besprechungen. 


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Bonder (Frankfurt). Können Spironeracn (Splrochaeten) arsenfest werden 1 
(Centr. f. Bukt., Bd. 62, H. 1,2.) 

G. gelang es bei Hühnerspironemen eine Festigkeit gegen Salvarsan 
zu erzielen. Allerdings genügt nicht dazu ein 10—20 malige Injektion; G. 
hat 190 Passagen machen müssen, um eine Festigkeit gegen das zehnfache 
tler Dosis kurativa zu erreichen. Praktisch haben diese Versuche keinen 
Wert; sie verdienen nur wissenschaftliches Interesse. 

Schürmann. 

Sksehivan und Stsrhastny (Odessa), über einen Fall von Pectübertrasune; 
durch Putorius foetidus. (Centralbl. f. Bakt.. Bd. 61, H. 7.) 

Erkrankung eines Portiers an Bubonenpest nach Abhäutung eines Iltis, 
bei welcher Prozedur er sich eine Schnittwunde zugezogen. Heilung durch 
subkutane Injektion von Pestserum. Die bakteriologische Untersuchung des 
Iltis ergab Pestbazillen. Die Infektion des Iltis ist so zu erklären, daß 
sie durch eine pestkranke Ratte hervorgerufen wurde, da zu jener Zeit 
genügend pestkranke Ratten in dem Distrikt konstatiert wurden. Der vor¬ 
liegende Fall bietet nicht geringes Interesse, da er der erste zur Ver¬ 
öffentlichung gelangte Fall von Erkrankung eines Raubtieres aus der Iltis¬ 
rasse ist. Auch zeigt er den Übertragungsmodus, wie er bei Menschen, 
die auf solche Tiere Jagd machen, beobachtet wird. Schürmann. 

Ozaki (Kyoto, Japan), Ein Beitrag zur Ätiologie des foetiden Eiters. (Cen¬ 
tralbl. f. Bakt., Bd. 61, H. 6.) 

Der Nachweis eines aerob wachsenden Bakteriums aus dem stinken¬ 
den Eiter gelang Verfasser in 3 Fällen. Dieses Bakterium ist ein Diplo¬ 
kokkus, der in fast allen Kulturen fauligen Geruch verbreitet und in den 
Gelatineplatten blütenförmige Rosetten bildet. Verfasser bezeichnet dieses 
Bakterium, das dem Bazillus involutus W a e 1 s c h sehr nahe verwandt er¬ 
scheint, als Diplococcus foetidus aerobius. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Glaeliner (Wien), Neuere Gesichtspunkte der internen Behandlung des 
-Magengeschwürs. (Med. Klinik 1911, Nr. 36.) 

Der von Gl. nach Rekapitulation und übersichtlicher Besprechung der 
bisherigen Methoden und Hilfsmittel in der Behandlung des Ulcus ventriculi 
hervorgehobene neuere Gesichtspunkt ist der folgende Gedanke. Verschiedene 
Beobachtungen, teils am Krankenbett gewonnen, teils durch experimen¬ 
telle Forschung gesichert, haben erkennen lassen, daß in den Magen 
regurgitierender Darmsaft einen sehr günstigen, teilweise auf Bindung der 
Säure beruhenden, Einfluß auf das Ulcus habe, und dieser Umstand brachte 
Gl. auf den Gedanken durch interne Zufuhr eines künstlichen Darmsaftes 
auf die Verhältnisse bei Ulcus ventr. und Hyperacidosis bessernd einzu¬ 
wirken. Die bisher angestellten Versuche lassen, obwohl sie noch in den 
Vorstadien sich befinden, mit Sicherheit erkennen, daß ein Darmsaft-Galle¬ 
gemenge die Säure und das Pepsin paralysieren und so die Verdauung 
im Magen aufheben bezw. einschränken. Gl. hofft den eingeschlagenen 
Weg auch für die Therapie beim Menschen gangbar machen zu können. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Granece, Zwei seltene Formen von Blutung. (Paris Medical 1912, Nr. 8. 
20. Jan.) 

1. Eine 65 jährige Frau, an Hämophilie leidend, ruft dringend wegen 
unstillbarer Nasenblutung. Vordere Tamponade stillt die Blutung. Nachts 
erneute Blutung aus dem Munde, aus der Nase stammend. Mehrere Ohn¬ 
mächten. Vordere und hintere Nasentamponade. Subkutane Injektion von 
125,0 g eines 5 proz. Gelatine-Serums. Nach einigen'Minuten Blutung aus 
dem Tränenpunkt rechts. Durch Kompression gestillt. — 


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Referate und Besprechungen. 


571 


2. 2G jährige Hochschwangere blutet seit 4 Stunden aus einer kleinen 
Schürfung an der linken Lippenkommissur. Das Blut spritzt aus einer halb¬ 
linsengroßen, etwa seit einem Monat bemerkten Erhabenheit unter der 
Schleimhaut, die Verfasser für ein kleines geplatztes Aneurysma hält. Die 
Patientin gibt später an, das Platzen zu Anfang der Blutung sicher bemerkt 
zu haben. Blutstillung durch 10 Minuten langes Abklemmen zwischen zwei 
Klemmpinzetten. Schweigegebot und Fasten bis zum nächsten Tage. — 

Rosenberger. 

Vogel, K. (Dortmund), Kollarzo! bei septischen Prozessen. (Med. Klinik 
1011, Nr.33.) 

V. hat das Kollargol im Laufe von 4 Jahren in weit über 200 Fällen 
angewandt und sich, wie er schreibt, von seiner segensreichen Wirkung 
überzeugt. Es werden eine ganze Anzahl von Fällen auszugsweise mitge¬ 
teilt. Von allen Anwendungsformen hat sich ihm aber nur die der intra¬ 
venösen Injektion als vertrauenswürdig und relativ zuverlässig erwiesen. 
Injiziert wurden meist 10 ccm einer 2«oigen Lösung. Bemerkenswert ist, 
daß V. das Kollargol in einzelnen Fällen auch prophylaktisch mit Erfolg 
anwandte, und zwar in Fällen, in denen sich nach Operationen Fieber ein- 
stellte, das auf drohende Infektion der Wunde zu deuten schien. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Alb« (Berl n). Über gastrogene Diarrhöen. (Med. Klinik 1011, Nr. 37.) 

Unter gastrogenen Diarrhöen sind diejenigen Diarrhöen zu verstehen, 
welche durch Sekretionsstörungen des Magens, insbesondere durch Hyp.- 
oder Anazidität des Magensaftes hervorgerufen werden, und die dadurch 
Zustandekommen, daß infolge des Ausfalles der digestiven Magenfunktionen 
unverdaute Fleisch- und Bindegewebsteile in den Darm gelangen und hier 
infolge bakterieller Fäulnis einen sekundären Katarrh erzeugen. Die exakte 
Diagnose kann nicht einfach dadurch gestellt werden, daß man bei einem 
Durchfall gleichzeitig auch eine Anazilität des Magensaftes feststellt, eben¬ 
sowenig durch zufälliges Auffinden unverdauter Bindegewebsreste im Kot, 
sondern erst dadurch, daß eine systematische Untersuchung eingeleitet wird, 
bei der das Ergebnis der Fäzesuntersuchung zu der Nahrungsaufnahme 
sowohl in qualitative als auch quantitative Beziehungen gesetzt werden 
kann, wenn diese den Nachweis der fehlenden Bindegewebsverdauung liefert. 

• — Bei echten Fällen von gastrogenen Diarrhöen finden sich keine Störungen 
der Fett- und Kohlehydratausnutzung. — Die Therapie ist vorwiegend eine 
diätetische und besteht in vorwiegender Ernährung mit leicht assimilierbarem 
Fett und vor allem in Darreichung von Speisen und Getränken aus auf¬ 
geschlossenem Mehle. (Milch, Sahne, Butter, Eier einerseits, Woizenmehlge- 
bäcke, leichte Mehlaufläufe, Puddings, Flammeris, Omelettes andererseits 
müssen die Grundlage und Hauptmasse der Nahrung darstellen. Fleisch ist 
am besten zunächst völlig auszuschalten, jedenfalls ist der Genuß von Roh¬ 
fleisch und Schinken völlig zu untersagen, ebenso alles halbgebratene Fleisch 
und Räucherwaren. Am ehesten ist noch mageres Kalbfleisch und Geflügel 
gekocht, oder ganz durchgebraten und fein gehackt zu gestatten, ebenso 
gekochte Fische, mit Ausnahme von Lachs, Aal, Karpfen und Hering und 
den Krustentieren. — Medikamentös kommt nur ein Mittel, die HCL. (ver¬ 
dünnte) in Betracht; diese muß aber in größeren Mengen gegeben wer¬ 
den (dreimal täglich 25—30 Tropfen in einem großen Glase Zuckerwasser, 
zur Hälfte vor, zur Hälfte nach der Fleischnahrung getrunken). - Brunnen- 
und Trinkkuren hält A. nicht für dringend indiziert; in Betracht kämen dio 
Brunnen von Homburg, Kissingen, Elster, Tarasp (also die Kochsalzquellen). 
Wenn sie verordnet werden, müssen sie anfangs in kleinen Mengen und 
heiß getrunken werden. — Der Träger eines in oben beschriebener Weise 
erkrankten Magens muß dauernde Rücksicht auf das erkrankte Organ 
nehmen. R. Stüve-Osnabrück. 


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572 


Referate und Besprechungen. 


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Psychiatrie und Neurologie. 

Lewinsky, Julius (Berlin), Zur Prophylaxe der Tabes dorsalis. (Med. Klin. 
1911, Nr. 35 ) 

ln der Anamnese von 135 Tabesfällen konnte bei 70 Fällen Lues mit 
Sicherheit festgestellt werden; unter diesen erwiesen sich nicht weniger 
als 04 als gar nicht oder unzureichend behandelt. Die 6 Fälle, die trotz 
ausreichender und intensiver Hg-Behandlung an Tabes erkrankten, erklärt 
L. zwanglos damit, daß es sich um solche Fälle handelt, die auf Hg 
schlecht oder gar nicht reagieren. (Hg-refraktäre Fälle.) Auf Grund seiner 
Beobachtungen betont L. von neuem die große Wichtigkeit intensiver Be¬ 
handlung auch der „leichten“ Fälle von Lues, die eben grade wegen der 
Unscheinbarkeit der Symptome die Kranken selbst zur leichtfertigen Be¬ 
handlung veranlassen. Die Notwendigkeit der Anwendung des Salvarsans 
in den Hg refraktären Fällen, die ausgiebigste Hg-Behandlung der malignen 
Luesfälle und der Hata-refraktären Fälle folgt aus der aus dem mitgeteil¬ 
ten Zahlenmaterial sich ergebenden Erkenntnis, daß die metasyphilitische 
Tabes eine Folge der Vernachlässigung der spezifischen Therapie ist. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Major, GustHT (Zirndorf b. Nürnberg), Die Neurasthenie der Jugendlichen. 
(Med. Klinik 1911, Nr. 37.) 

Die im allgemeinen bei Jugendlichen und Kindern seltene echte Neur¬ 
asthenie wird von M., der Direktor eines med.-pädagogischen Kinderheimes 
ist, an der Hand von zwei sehr typischen Fällen besprochen und die Sym¬ 
ptome der krankhaften Erschöpfung und Ermüdung des zentralen Nerven¬ 
systems. die sich sowohl auf die physischen wie auf die psychischen Leistun¬ 
gen erstreckt, im einzelnen dargelegt. R. Stüve-Osnabrück. 

Graham, Psychotherapy in mental disorders. (Journ. of mental science 
1911, Oktober.) 

Verfasser bespricht die verschiedenen psychotherapeutischen Verfahren 
in ihren mannigfachen -Anwendungen und Indikationen und zwar: 1. die 
Suggestion, Wachsuggestion und Hypnose; 2. therapeutische Konversation; 
3. Psychoanalyse; 4. Beschäftigung; 5. Reedukation. Zum Schluß erörtert 
Verfasser die Beziehungen der Psychotherapie zur geistigen Hygiene. 

K. Boas. 

Laignct-I.arastlne et Räufle, Epilepsie jacksonnieuse pnr ramoliissiment sous* 
cortlcal chez une syphilitique morte de rupture aortique. (Bullet, et memoires 
de la Sociötö anatomique de Paris 1911, Nr. 3.) 

Die Verfasser konnten bei einer 57 jährigen syphilitischen Frau mit 
Jackson scher Epilepsie, die an Aortenruptur zu Grunde gegangen war. 
folgenden Sektionsbefund erheben: 

1. Motorische Aphasie mit linearer, mehr oder weniger begrenzter 
Erweichung im linken Linsenkern, wahrscheinlich vor dem Anfall ent¬ 
standen, der zur Aufnahme ins Spital geführt hatte. 

2. Linksseitige schlaffe Hemiplegie durch subkortikale Erweichung der 
rechten aufsteigenden Frontalwindung. 

3. Jackson sehe Epilepsie, die auf die Vorderfläche beschränkt und 
mit demselben Erweichungsherd verbunden war, der die Rinde durch eine 
tiefe Vorderfläche in der Gegend des Zentrums für den Mundfazialis reizte 
und ohne deutlich wahrnehmbare Läsion der Meningen. 

4. Aortenruptur, wie sie in ähnlicher Weise von Babes und Letulle 

beschrieben worden ist. Alles zusammen Erscheinungen auf nervösem und 
vaskulärem Gebiete im Gefolge einer Syphilis. K. Boas. 

Sttefler, G. (Linz), Tuberkulöse Meningitis mit den Erscheinungen einer 
schweren aufsteigenden spinalen Querschnittsläsion nebst Bemerkungen über die 
Degeneration der hinteren Wurzeln. (Jahrb. f. Psych., Bd. 33, H. 1.) 

Neben den bei der tuberkulösen Meningitis bei weitem überwiegenden 



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Referate und Besprechungen 


578 


zerebralen. »Symptomen findet man im weiteren Verlauf wohl immer spinale 
Symptome entweder der Reizung (Nackenstarre, Spasmen, Hyperästhesien) 
oder des Ausfalls (Blasenstörungen). In dem vorliegenden Fall begann 
die basilare Meningitis aber mit spinalen Symptomen, dem Bilde einer totalen 
Querschnittsläsion im Lumbalmark (Verlust an Motilität und Sensibilität, 
incontin. urin.), und die Diagnose wurde erst durch das Aufsteigen des 
Prozesses und das Hinzukommen zerebraler Symptome richtiggestellt. Als 
anatomischer Befund ergab sich eine tuberkulöse Entzündung der weichen 
Rückenmarkshäute mit besonderem Einschluß der extramedullären Wurzeln 
in Exsudatmassen und degenerativer Veränderung derselben. 

Zweig-Dalldorf. 

Auerbach, S. (Frankfurt a/M.), Kazialidälmuimr in drei Generationen. 
(Nour. Centralbl. 1912, H. 4.) 

fm Anschluß an die durch die Überschrift charakterisierte Beobach¬ 
tung rät A. bei der Fazialislähmung Erhebungen hinsichtlich deren heredi¬ 
tären und familiären Auftreten anzustellen. Überhaupt scheint bei den Er¬ 
krankungen der peripheren. Nerven die konstitutionelle Anlage und die 
direkte gleichartige Vererbung eine größere Rolle zu spielen, als man bis¬ 
her anzunehmen pflegt. Zweig-Dalldorf. 

Gerlach, Uber die Ursachen der Pubertätsepilepsir. (Tnaug. Dissertation. 
Berlin 1911.) 

1. Als Ursache der Pubertätsepilepsie ist weitaus in erster Linie die 
hereditäre Belastung von Bedeutung. 

2. Es kann aber die Pubertät allein durch krankhafte Störung in 
den Sekretionsvorgängen der Geschlechtsdrüsen im Körper die Intoxikation 
zustande bringen, die sich im Auftreten epileptischer Krämpfe kundgibt, 
umsomehr bei schon bestehender Prädisposition. 

3. Speziell die Menstruation kommt mehr oder weniger einer Selbst¬ 

vergiftung des Körpers gleich, daher gibt sie besonders häufig Anlaß zum 
Ausbruch eines ersten epileptischen Anfalls. K. Boas. 

Dusser de Barenne, Die Strychninwlrkung aul das Zentralnervensystem. 
Die segmentäre Strychninvergiftung der dorsalen Kiickenmarksmechanismen; ein 
Beitrag zur Dermatomerie der hinteren Extremität des Hundes. (Folia neurobio- 
logica 1911, Bd. 5, Nr. 4.) 

1. Bei der dorsalen segmentären Anwendung von Strychnin auf der 
Dorsalfläche des Rückenmarks tritt das vom Verfasser beschriebene Syn¬ 
drom auf in scharf abgegrenzten Hauptgebieten, -die nach Form, Lage und 
Ausdehnung mit Dermatomen identisch sind. 

2. In dieser Strychninmethode, d. h. also der segmentären, streng auf 

die Dorsalfläche des Rückenmarks lokalisierten Strychninapplikation haben 
wir eine neue, von allen anderen bis jetzt bekannten prinzipiell abweichend« 
Methode zur Darstellung der Dermatomerie des Körpers. K. Boas. 

Ebstein, E. (Leipzig), James l’arkinson’s Essay on the shaking palsy. 
Eine bibliographische Skizze. (Neur. Centralbl. 1912, H. 4.) 

Parkinsons Originalarbeit scheint nur noch in 4 Exemplaren vorhan¬ 
den zu sein, deren Standort erwähnt wird. Willig e wird demnächst das 
Original mit Übersetzung erscheinen lassen. Mit einem deutschen Namen 
spricht man, den Symptomen entsprechend, besser von Schüttelkrankheit 
als von Schüttellähmung. Wenn auch Parkinson das später von Erb her¬ 
vorgehobene Symptom der Rigidität der Muskeln noch nicht bekannt war. 
so kannte er doch bereits das auch heut noch Wesentlichste des Leidens," 
und daher sollte man, wie Fr. Schultze vorgeschlagen hat, von Parkin¬ 
sonscher Krankheit sprechen. Zweig-Dalldorf. 


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574 


Referate und Besprechungen. 


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Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Huhu, II. (Magdeburg), Zur Therapie des habituellen Erbrechens der Säug¬ 
linge. (Med. Klinik 1912, Nr. 38.) 

Unter habituellem Erbrechen der Säuglinge ist nur das nach jeder oder 
fast nach jeder Mahlzeit wiederkehrende Auswerfen vom Mageninhalt zu 
verstehen, für das man nach Finkeistein weder innerhalb noch außerhalb 
des Magens einen Grund finden, und für das man auch eine quantitativ oder 
qualitativ unrichtig zusammengesetzte Nahrung nicht verantwortlich machen 
kann. Zur Behandlung in solchen Fällen, in denen natürlich alle durch Über¬ 
fütterung bedingte Ernährungsstörungen ausgeschlossen sein müssen, emp¬ 
fiehlt H. die Darreichung konsistenter Nahrung in Gestalt eines 5—6 ,, u 
Gries enthaltenden Milchbreies dem Zucker zugesetzt ist. (100 g Milch¬ 
gries pro kg Körpergewicht in 5—6 Portionen im Tag. Nährwert von 
1 Liter Milchgries = 1000 Kal. gerechnet.) Zur Abwechselung kann bei 
älteren Säuglingen Kartoffelbrei oder in Milch geweichter Zwieback ge¬ 
geben werden. Der Erfolg sei oft ein überraschender. 

R. Stüve-Osnabrück. 


Augen- und Ohrenleiden. 

Sebileau, P. Dos Indicatlons de la Trepanation Mastoldienne. (Semaine Me- 
dicale 1912, 10. Febr.) 

Die sofortige Eröffnung des akut entzündeten Warzenfortsatzes ist in 
3 Fällen angezcigt 

1. Bei Komplikationen, die auf Hirnabszeß deuten (Som¬ 
nolenz, Torpor, hartnäckiger starker Kopfschmerz, Pulsverlangsamung, 
rasche Abmagerung) ■ oder auf funktionelle oder anatomische 
Läsion der Hirnhäute (Temperatursteigerung, Unruhe, Aufregungs¬ 
zustände, Nackenstarre, Kernigsches Zeichen) oder auf Labyrinthstö¬ 
rung (einseitige Schnecken-Taubheit, Schwindel, Erbrechen und Nausea. 
Gleichgewichtsstörung, spontaner Nystagmus) oder auf Pyämie (häufigere 
Schüttelfröste mit starken Schweißausbrüchen, steile Zacken der Fieber¬ 
kurve) oder endlich, jedoch nicht unbedingt, da Spontanheilungen hierbei 
nicht selten sind, bei Fazialis-Lähmung. (Manche sogenannte Erkältungs- 
Lähmung des N. 7 ohne Trommelfellveränderungen begleitet mildere, nicht 
eitrige, die Paukenhöhle selbst weniger als den Kuppelraum und dai An¬ 
trum mastoi'deum beteiligende Otiten.) 

2. B e i F i s t e 1 n , welche im Gehörgang oder hinter dem Ohre münden. 

3. Wenn die Entzündung an der Oberfläche zu Tage tritt: bei Phleg¬ 
mone der oberen Halsgegend, bei schmerzhafter Vorwölbung der Apophysis 
mastoidea mit oder ohne Odem und Rötung der Weichteile, bei subkutanem 
Abszeß der hinteren Gehörgangswand. (Selbst solche Fälle können aus¬ 
nahmsweise spontan heilen.) 

Bei den andern Mastoiditen behandele man abwartend durch Bettruhe: 
man sorge für gute Sekretentleerung des mit breitem Parazentesenschnitt 
eröffneten Mittelohres und verordne feuchtwarme Umschläge auf den Warzen¬ 
fortsatz. Hiernach tritt oft Besserung ein. Der Eingriff wird dagegen 
nötig bei hartnäckiger Hemikranie, die bisweilen in neuralgiformen Krisen, 
oft mehr in Form eines dumpfen Spannungsgefühls in der Schläfen-, Hin¬ 
terhaupts- oder Scheitelbeingegend auftritt, verbunden mit Störungen des 
Schlafes (häufiges Erwachen durch Kopfschmerz; Schlaflosigkeit, schlechter 
Schlaf) — und bei Zunahme der Eiterabsonderung des Mittelohres. Doch ist 
diese aus dem Antrum stammende profuse Eiterung das unsicherste Zeichen, 
da die Entzündung des Warzenfortsatzes nicht stets eitert und eine Eiterung 
nicht stets das Antrum beteiligt. Bisweilen versiegt sogar der Ohrenfluß 
bei Steigerung der Mastoiditis-Symptome. Auch anhaltende Temperaturen 
von über 38° sind fast sichere Zeichen der Ostitis mastoi'dea: 



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Referate und Besprechungen. 


575- 


„Aber dies Zeichen wird häufig versäumt. Die Wahrheit zu gestehen, 
wird es vielleicht bei unserer Ordenspflege nicht gründlich genug unter¬ 
sucht; es ist recht schwer, die Kranken häufig messen zu lassen. Es er¬ 
müdet sie, stört sie und macht auch die Pflege außerordentlich umständ¬ 
lich.“ — (Auch ein Symptom!) 

Der Appetit wird schlecht, die Farbe blaß. — Druckschmerz ist ein 
wechselvolles und unzuverlässiges Zeichen, da die Knochenwand in ihrer 
Stärke bedeutend schwankt. Zudem ist die Spitze des Warzenfortsatzes 
fast bei jeder Otitis media empfindlich. Mehr bedeutet ein Druckschmerz 
über dem ganzen vorderen Rand des Fortsatzes von der Höhe des Antrum 
bis zur Spitze hinab; Druckschmerz über dem hinteren Teile des Fortsatzes 
bedeutet Eiterbildung in der Nähe des Sinus oder Eiter-Perforation in die 
Fossa digastrica. Das Hauptgewicht legt der Vortragende jedoch auf die 
Hemikranie und die Schlafstörung. — Rosenberger. 


Medikamentöse Therapie. 

Fraenkel, Albert (Badenweiler-Heidelberg), Chronische Herzinsuffizienz und 
intravenöse Strophanthintherapie. (Münchener Medizinische Wochenschrift 1912, 
Nr. 6 und 7.) 

Die intravenöse Strophanthintherapie in der Form häufig und serien¬ 
weise sich wiederholender Injektionen ist berufen, bei der Behandlung der 
chronischen Herzinsuffizienz eine Rolle zu spielen. Der Verfasser empfiehlt 
auf Grund seiner Beobachtungen, in allen Fällen lang bestehender Dekom¬ 
pensation, in denen die Behandlung mit Digitalispräparaten per os nicht 
zum Ziele führt, auch ohne immanente Gefahr den endovenösen Weg zu 
versuchen. Der Verfasser hat in einem Falle einer Patientin im Verlauf 
von 18 Monaten 85 Injektionen gemacht, bei denen sie insgesamt 64,5 mg 
Strophanthin erhielt. Bei der ersten Injektion hat sich der Arzt genau 
über die vorhergehende Medikation zu informieren, damit nicht das Stro¬ 
phanthin in an sich unbedenklicher Dosis zu hoch im Herzen verankertem 
Digitalis sich addiert. Auch müssen die vorschriftsmäßigen 24 ständigen 
Intervalle, zwischen den einzelnen Injektionen eingehalten werden. Unter 
Beobachtung dieser Vorsichtsmaßregeln sieht der Verfasser in der „Serien¬ 
behandlung“ mit intravenösen Strophanthininjektionen keinerlei Gefahr. Das 
benützte Präparat war in allen Fällen Strophanthin Boehringer. R. 

Fries, H. (Greifswald), Klinische und poliklinische Erfahrungen mit Pituitrin 
als wehenan regendem und wehenverstärkendem Mittel. (Münchn. med. Wochen¬ 
schrift 1911, p. 2348.) 

F. berichtet über die Erfolge des Pituitrins an der Greifswalder Klinik. 
Die Dosierung dieses aus der Hypophyse gewonnenen Präparates 
war 1 ccm zur Verstärkung der Wehentätigkeit, event. kann diese Menge 
jederzeit unbedenklich wiederholt werden. Im Gegensatz zu anderen Autoren 
ist es in Greifswald ausnahmslos gelungen, zur Einleitung der Geburt, 
selbst zur Unterbrechung der Gravidität in frühen Monaten durch Pituitrin 
Wehen hervorzurufen, die aber zur spontanen Beendigung der frühzeitigen 
Fruchtausstoßung nicht genügten. Die Wirkung des Präparates in der 
Nachgeburtsperiode ist unzuverlässig; seine diuretische Wirkung konnte mehr¬ 
fach festgestellt werden, sogar eine narkotische Wirkung wird dem Prä¬ 
parat nachgerühmt. Ref. hat die gleichen Erfahrungen gemacht, glaubt 
aber mit dem von Borrough Wellcome u. Co. hergestellten Hypophysen¬ 
extrakt frioch bessere Resultate erzielt zu haben. 

Frajikenstein-Cöln. 

Schäfer, P. (Berlin), Erfahrungen mit Pituglandol. (Münch, med. Wochen¬ 
schrift 1912, p. 75.) 

Hamm, A. (Straßburg), Hypophysenextrakt als Wehenmittel b£i rechtzeitiger 
und vorzeitiger Geburt. (Münchner med. Wochonschr. 1912, p. 77.) 

Die zahlreichen Mitteilungen über Hypophysenextrakt, welche seit dem 
Vortrage von II o f b a u e r auf dem Münchner Gynäkologenkongreß er- 


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Referate und Besprechungen. 


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schienen sind, beweisen, wie groß allgemein das Bedürfnis nach einem 
derartigen Mittel gewesen ist. Obige beiden Arbeiten stellen von neuem 
fest, daß das Mittel vorzügliche Dienste leistet zur Verstärkung vorhan¬ 
dener, aber zu schwacher Wehen. Zur Einleitung der Geburt oder des 
Abortes ist es nicht geeignet. Ja Ham m weist an der Hand von vier 
Fällen darauf hin, daß das Mittel in ähnlicher Weise, wie die Sekale- 
präparate, event. zur Strikturbildung am Os. internum führen kann. Am 
besten wirkt es in der Austreibungsperiode, hier sind die Versager sehr 
gering. Falls man es in der Eröffnungszeit gibt, wird man häufig gezwungen, 
die Injektion zu wiederholen. Allerdings braucht man sich davor nicht 
zu fürchten, da bisher keine üblen Folgen größerer Dosen beobachtet 
worden sind. Die vereinzelt beschriebenen Zufälle nach Pituitrininjektion 
will H a m m auf fehlerhafte intravenöse Injektion zurückführen. 

Nach allem scheint das Mittel jetzt schon soweit studiert, daß es 
ohne Gefahr in die Allgemeinpraxis eingeführt werden kann. Ref. hat 
selbst so gute Erfahrungen damit gemacht, daß er diese Empfehlung unter¬ 
schreiben kann. Bezüglich der Wirksamkeit der einzelnen Präparate ist 
er jedoch nicht der gleichen Meinung, wie beide Autoren. Er glaubt wesent¬ 
liche Unterschiede zu Gunsten des Präparates von Borroughs, Wellcome 
u. Co., London (Vaparolc) beobachtet zu haben. Frankenstein-Cöln. 

Vogt. Emil (Dresden), (•eburtshilflirhc Erfahrungen mit Pituitrin. (Münchn. 
med. Wonhenschr. 1911, p. 1734 ) 

V. berichtet über Versuche mit Pituitrin an 100 Fällen der Dresdner 
Frauenklinik. Er fand, daß es prompt und sicher in der Austreibungs¬ 
periode wirkt. Es dient zur Beschleunigung normaler Geburten, zur Be¬ 
kämpfung und Beseitigung der sekundären Wehenschwäche, auch bei engem 
Becken. Es ist auch wirksam in der Eröffnungsperiode, wenn auch nicht 
konstant, Erfahrungen über die Wirkung des Pituitrins in der Nachge¬ 
burtsperiode sind in Dresden nicht gemacht worden. Nach den Berichten 
anderer Autoren ist es in der dritten Periode unwirksam (Ref.). 

Frankenstein-Cöln. 

Adler (München), Versuche mit Mamininum Poehl betreffend die Funktion der 
Brustdrüse als innerlich sezernicreiides Organ. (Münchner med. Wochenschr. 1912, 
p. 3 ) 

Die Arbeit berichtet über vorläufige Versuche, aus denen hervor¬ 
zugehen scheint, daß eine Beziehung zwischen Brustdrüse und Nebenniere 
besteht. Weiterhin läßt sich durch Injektion des Präparates bei graviden 
Tieren die Schwangerschaft unterbrechen. Erst nach dem Absterben der 
Frucht findet die Ausstoßung derselben statt, falls es sich nicht um die 
letzte Zeit der Schwangerschaft handelt; in diesem Falle wird die Frucht 
vorzeitig aber lebend geboren. Die Untersuchungen haben zweifellos prak¬ 
tische Bedeutung, wenn sie der Nachprüfung standhalten. 

Frankenstein-Cöln. 

Waitlier, H. (Gießen), Ovaradentriferrin in der gynäkologischen Praxi-. 

(Münch, med. Wochenschr. 1911, p. 2562.) 

W. bestätigte die Empfehlungen, welche Prochownik dem von 

K n o 1 1 u. Co. fabrizierten Eierstockseisenpräparate mit auf den Weg ge¬ 
geben hatte. Es leistete vorzügliche Dienste bei den natürlichen post¬ 
klimakterischen Beschwerden in der Menopause, bei antezipierter Klimax 
nach Radikaloperationen, bei Amenorrhoe und Dysmenorrhoe im jugend¬ 
lichen Alter und bei Menstruationsstörungen nach postpuerperalen Entzün¬ 
dungen der Beckenorgane. Empfehlenswert ist es, 2—3 Tabletten pro die 
zu geben und ab und an eine 2—3 wöchige Pause einzuschalten, um die 
Gewöhnung zu vermeiden. Frankenstein-Cöln. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30- Jahrgang 


1912 


Tortscbrim der IHedizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 


Prof. Dr. 6. Köster Prip.-Doz. Dr. d. Erlegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadt, Grüner Weg 86. 



Crsibeint wöchentlich 3um Preise von 8 (Tlarh für das 



ßalbjabr. 

9. Mai. 

Nr. 19. 

• 

CarlMarhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 
alleinige Inseratenannobme öurch (Dok Oelsöorf, 



Annoncen-Bureau, Cberswalöe bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Therapie der Arteriosklerose. 

Von Dr. med. 0. Burwlnkel, Kurarzt in Bad Nauheim. 

Bei Arteriosklerose handelt es sich um chronische Arterien-Er- 
krankung, welche sowohl lokale als auch allgemeine Kreislaufstörungen 
hervorrufen kann. Pathologisch-anatomisch fasst man unter diesen 
Begriff alle Prozesse zusammen, welche zur Verdickung der Gefäss- 
wand führen, wobei degenerative Veränderungen (fettige Entartung 
mit ihren Folgen) Sklerosierung und Verkalkung, aber auch entzündlich¬ 
produktive Vorgänge Platz greifen. Die Gefässe können erweitert und 
verlängert („Schlängelung“) — hauptsächlich die Aorta -—, aber auch 
in ihrem Lumen verengt sein — hauptsächlich die kleineren Gefässe 
(\1 a r c h a n d , Verhandlungen des Kongresses für innere Medizin 1904). 
Es können viele, sogar der grösste Teil aller Arterien befallen werden, 
aber auch nur vereinzelte oder die Arterien eines Organes (diffuse und 
nodöse Form). 

Gesunde Arterien besitzen folgende Eigenschaften: 

a) einen hohen Grad von Elastizität: ihre Wand 
wird durch die vom Herzen bei jeder Systole ausgeworfene Blutwelle 
leicht und schnell gedehnt. Eine grosse Elastizitätsbreite ist besonders 
nötig bei der Aorta und den grossen Arterien, welche die Blutmenge 
zunächst aufnehmen müssen, in deren Wandung sich vornehmlich ela¬ 
stische Elemente finden. Während der Diastole des Herzens zieht die 
Gefässwand sich zusammen auf ihr ursprüngliches Lumen und gibt dabei 
das zu ihrer eigenen Dehnung aufgewandte Quantum von Kraft an 
die in ihr befindliche Blutsäule ab. 

b) Durch einen hohen Grad von Kontraktilität. Glatte 
Muskelfasern sind vorzugsweise in den mittleren und kleineren Arterien 
ausgebildet, deren Fasern unter dem Einfluss vasomotorischer Nerven 
.sich kontrahieren oder dilatieren. Nach Untersuchungen von B r e c c i a 
besitzen die Arterien wahrscheinlich noch einen vom Zentralnerven¬ 
system unabhängigen Tonus, der allein durch Berührung mit bestimmten 
Stoffen erhöht und vermindert werden kann (Zentralblatt für innere 
Medizin 1911, No. 52). 

c) Durch einen hohen Grad von Festigkeit, so dass auch 
bei gesteigertem Blutdruck durch die innere Wandbelastung weder Aus¬ 
buchtung noch Ruptur erfolgen. 

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Burwinkel, 


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Elastizität und Kontraktilität machen den sog. Tonus der Ge- 
fässe aus und ermöglichen eine aktive Tätigkeit, die von 
grösster Bedeutung ist für die Fortbewegung 
und Verteilung des Blutes im Körper. Schon der 
Entdecker der Gefässmuskulatur, Jakob H e n 1 e , erklärte, „vom Herzen 
ist hauptsächlich die Blutbewegung abhängig, von den Gefässen die 
Blutverteilung“. In gleicher Weise sagt Senac ,,les arteres sont de 
vrais coeurs sous une autre forme“, E d g r e n bezeichnet sie als „pe¬ 
ripheres Herz“, sie erleichtern dem zentralen Herzen die Arbeit und 
können bis zum gewissen Grad ergänzend eintreten. Die Folgen 
der Arteriosklerose können sehr mannigfach sein je nach 
Sitz und Intensität des Prozesses. Sind beispielsweise Aorta oder grössere 
(Splanchnikus-) Gefässgebiete befallen, so bedeutet dies vermehrte In¬ 
anspruchnahme des Herzens, dessen linker Ventrikel sich häufiger und 
energischer kontrahieren muss, wenn er sein Blut in das weniger nach¬ 
giebige Aortensystem entleeren soll (Hypertrophie). Fällt ferner der 
elastische Druck der Gefässwand geringer aus, so leidet die periphere 
Zirkulation während der Diastole des Herzens. Sodann findet ein ver¬ 
minderter Blutstrom statt zu den Organen, deren Arterien sklerosiert 
sind; das verursacht aber Atrophie der spezifischen Elemente und Wu¬ 
cherung des Bindegewebes. Fast alle Organe können auf diese Weise 
Ernährungsstörungen aufweisen. Ebenso kommt die für jede Tätigkeit 
erforderliche aktive Hyperämie nur unvollständig zustande und als 
Folge tritt leichte und schnelle Ermüdung auf. Häufig greifen sklero- 
sierende Prozesse von der Intima der Aorta auf das Endokard über und 
werden zur Ursache von Herzklappenfehlern. Eine erkrankte Gefäss¬ 
wand leistet aber auch dem Innendruck des Blutes nicht genügend 
Widerstand, sie kann leichter bersten oder aneurysmatisch aus¬ 
gebuchtet werden. 

Gewöhnlich stellen sich degenerative Veränderungen zuerst an der 
Intima ein, später an Media und Adventitia. Hyperplasie der Media 
speziell entwickelt sich bei Klappenfehlern an der Aorta jüngerer Leute; 
sie stellt zunächst eine Art Kompensation dar, führt aber schliesslich 
zur Bindegewebswucherung. Arteriosklerotische Gef ässerkrank ungen 
entwickeln sich meist langsam und schleichend; sie haben die fatale 
Eigentümlichkeit, an Stärke und Ausdehnung auf neue Gefässe zuzu¬ 
nehmen. Arteriosklerose ist vielleicht die häufigste und wichtigste Krank¬ 
heit. R i b b e r t - Bonn fand bei Leuten zwischen 30 bis 40 Jahren 
schon 30 % mit Verkalkung der Media der Aorta, zwischen 40 bis 60 
Jahren 90%, darüber hinaus noch häufiger. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1911, No. 48.) Beachtung verdient auch die Statistik von Sim- 
n i t z k y , die S a 11 y k o w - St. Gallen bestätigt: Von Individuen 
im Alter zwischen 2 und 25 Jahren zeigten 48 % beginnende Verän¬ 
derungen der Aorten-Intima (Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte 
1911). Bei 1500 poliklinischen Patienten stellte R o m h e r g vom 15. 
Lebensjahre ab ein merkliches Ansteigen fest, zwischen 30 bis 40 Jahren 
litt bereits ein Siebentel an Arteriosklerose, zwischen 40 und 50 Jahren 
bereits der dritte Teil. Jenseits des 40. Lebensjahres wird sie zur häu¬ 
figsten Todesursache, unter 10 000 Todesfällen der Leipziger Lebens¬ 
versicherung war sie mit 22—25 % beteiligt, die Tuberkulose aber nur 
mit 7 %. Von allen Klinikern dies- und jenseits des Ozeans wird das 
enorme Anwachsen betont (E 1 s n e r , Americ. Journ. of the Med. 
Scienc. 1911, 1). Uebrigens ist die Arteriosklerose nicht etwa nur eine 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


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Krankheit unserer Zeit. Marc Armand Ru f fer untersuchte bei 
altägyptischen Königen der 21. Dynastie Aorta und andere Körper¬ 
arterien: sie waren nur ausnahmsweise völlig gesund, die grosse Mehr¬ 
zahl zeigte atheromatöse Prozesse mit nachheriger Verkalkung in min¬ 
destens ebensolcher Häufigkeit und von genau gleichem morphologischen 
Verhalten, wie man dies heute beobachten kann (,,On arterial lesions 
found in Egyptian Mummies“ Yournal of Pathol. and Bacteriol. Vol. 
XV. 1911, pag. 453—462). Während französische Kliniker — Hu¬ 
ch a r d , Martin, Germain See — seit 1870 zahlreiche Pu¬ 
blikationen über Arteriosklerose gemacht haben, spielte sie bei uns in 
Deutschland bis vor einem Dezennium eine recht bescheidene Rolle. 
Während meiner Studienzeit — Ende der 80 er Jahre — bekam der 
angehende Mediziner von dieser Krankheit kaum etwas zu hören und in 
den damals gangbaren Lehr- und Handbüchern war sie nur kurz be¬ 
handelt. Das ist jetzt allerdings ganz anders geworden. Ein Blick in 
die medizinischen Fachschriften und in die Kongressberichte bestätigt 
H u c h a r d’s Erklärung „Vor 30 Jahren sprach man zu wenig von 
Arteriosklerose, heute zuviel. Man sieht sie überall, es ist, als wenn 
sie überall wäre. Eine neue Krankheit ist entstanden, die Arterio- 
sklerophobie“ (Medizinische Klinik 1909, 36). Sie beschäftigt aber 
nicht nur die ärztliche Welt, sondern auch das grosse Publikum; in 
vielen französischen Romanen findet der Leser alle Symptome dieser 
unheimlichen Krankheit genau beschrieben (z. B. Vanite von P. und V. 
M a r g u e r i t e). Dass man heutzutage mehr als in früheren Zeiten 
über Arteriosklerose klagt, ist eine Tatsache, deren Ursachen nachzu¬ 
gehen wohl der Mühe lohnt: entweder hat sie tatsächlich zugenommen 
oder aber es wird jetzt mehr als Arteriosklerose aufgefasst oder erkannt, 
was früher unerkannt blieb oder unter anderem Xanten ging. Die 
Betrachtung lehrt, dass wohl Beides zutrifTt. Die Beziehungen zur Ar¬ 
teriosklerose sind für viele Leiden aufgedeckt, bei denen man früher 
nicht daran dachte. Damit steht im Zusammenhang, dass die Men¬ 
schen jetzt soviel von Arteriosklerose hören und lesen, dass sie sich 
unbehaglich fühlen. Die Arteriosklerose hat der Tuberkulose in dieser 
Beziehung längst den Rang abgelaufen. Analog der Gicht ist die Ar¬ 
teriosklerose ein Leiden kulturell entwickelter Nationen, die vorzugs¬ 
weise bei geistig arbeitenden Männern wohlhabender Kreise angetroft'en 
wird. Es ist wohl kein Zufall, wenn Huchard und F r ä n t z e 1 
in ihrer Grossstadtpraxis sie zuerst kennen lernten und beschrieben. 
Auffällig ist, wie gerade grosse Geschäftsleute und Fabrikanten den 
„Strapazen“ ihres Berufes zum Opfer fallen, sie werden meist nicht alt, 
sie sterben an der „Fabrikantenkrankheit“, so sagt man am Rhein, 
das ist Arteriosklerose mit ihren Organerkrankungen (N a u n y n , 
„Lehrbuch der Greisenkrankheiten“). In seinen ärztlichen Erfahrungen 
aus der Schweiz und Deutschland berichtet Fr. v. Müller, dass in 
Marburg unter der ländlichen Klientel das Leiden selten, in Basel bei 
den alteingesessenen Familien besonders häufig ist. Bis zum 50. Lebens¬ 
jahr ist das männliche Geschlecht entschieden mehr disponiert, von da 
ab findet es sich ebenso oft und in gleicher Intensität auch bei Frauen. 

Ueber die Natur der Arteriosklerose herrschen zwei 
verschiedene Ansichten: die ältere, in Deutschland vertreten, nimmt 
primäre lokale Erkrankung der Arterienw'and an, die andere, von 
französischen Klinikern vertreten, fast sie als Teilerscheinung einer 
progressiven Allgemeinerkrankung auf. Jedenfalls „kann“ die Arterio- 

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sklerose eine rein lokale Erkrankung sein, für gewöhnlich ist sie der Aus¬ 
druck einer Allgemeinerkrankung. 

Bezüglich der A e t i o 1 o g i e der Arteriosklerose be- 
finden wir uns auf recht unsicherem Boden, wie das Ergebnis einer 
diesbezüglichen Rundfrage an alle Aerzte Oesterreichs beweist (H erz, 
Wiener klin. Wochenschrift 1911, 44). Alkohol, Gicht, Lues, Ueber- 
fütterung, Nikotin usw. rangieren friedlich nebeneinander, so dass man 
gegebenen Falles nicht in Verlegenheit kommen kann. Die Arterio¬ 
sklerose beruht sicherlich auf äusserst verschiedenen ätiologischen Mo¬ 
menten, wir müssen uns gerade hier vor einseitiger Betrachtung hüten. 
Es gilt der Satz von Krehl „Die Vereinigung mehrerer Noxen, 
insbesondere mechanische Momente und Intoxikation, lösen die Krank¬ 
heit aus“. Im ganzen kann maft sagen, dass zur Zeit die Blutdruck- 
steigerung . im Vordergrund steht, welche als letvte Ursache die 
Retention toxischer Stoffe annimmt („Retentionstoxikose“). 

Die Arteriosklerose erscheint als fast notwendiges At- 
t r i b u t des Greisenalters. „L’arteriosklerose est la rouille 
de la vie“ (B i c h a t). D e m a n g e hat sie nie vermisst bei 500 Sek¬ 
tionen alter Leute. „Das Atherom greift die alten Gefässe in derselben 
Weise an. wie das Moos die Rinde alter Bäume bedeckt.“ (Physiolo¬ 
gische Alterssklerose.) 

Von grosser Bedeutung ist das mechanische M o m ent: 
Eine Arterie muss ihre Elastizität und Funktionstüchtigkeit hei dau¬ 
ernder Ueherdehnung verlieren. Bei Plethora v e r a u n i ver¬ 
sa 1 i s , wie sie sich bei Luxuskonsumption auszubilden pflegt, werden 
die Gefässwände abnorm ausgedehnt und dabei wahrscheinlich die 
Vasa vasorum, welche die Gefässhaut mit ernähren, komprimiert. In 
jedem Gefässgebiet kann als Folge lokaler Strombehinderung Sklerose 
sich entwickeln: bei Schmieden, Steinbrechern und anderen stark 
handarbeitenden Menschen treten an den Armen, zumal rechterseits, 
die Arterien geschlängelt und deutlich hervor. Durch anhaltende Muskel¬ 
kontraktionen werden die schwachwandigen Venen komprimiert und di> 
Ueberführung des Blutes aus den Arterien erschwert. Die Gefässwand 
sucht durch vermehrte Anstrengung das Hindernis zu überwinden, es 
entwickelt sich Hypertrophie der Muskularis. Hier kommt also Ueber- 
anstrengung als Entstehungsursache in Betracht. W enn die Temporales 
so häufig schon bei jugendlichen Männern hervortreten, so beruht dies 
wohl darauf, dass ihr distales Ende durch die steife Kopfbedeckung 
kompimiert wird. Bei abnormem Verlauf zeigt sich die Radialis stets 
ganz auffällig verhärtet und gewunden. 

Schon Traube hat gelehrt, dass zwischen Retardation 
des Blutstroms und Entwicklung von Gefässveränderungen ein 
kausaler Zusammenhang besteht. Sklerotische Prozesse etablieren sich 
zuerst an den Abgangsstellen der Arterien, wo das Blut nicht gleieh- 
mässig vorbeifliesst. Die frühzeitige Arteriosklerose bei Leuten mit 
Insuffizienz der 'Aortenklappe dürfte auf die gleiche Ursache zurück¬ 
zuführen sein. Eine erhöhte Viskosität (Zähflüssigkeit) des 
Blutes bedingt Stromverlangsamung, sie ist besonders dem unge¬ 
störten Durchgang des Blutes durch die kleinsten Gefässe und Kapil¬ 
laren hinderlich. Die alten Aerzte haben stets vor zu „stoffreicher Nah¬ 
rung“ gewarnt, die das Blut zu dick macht. Diese Tatsache war lange 
vergessen, bis vor kurzem galt die Nahrung für um so besser, je mehr 
Eiweiss sie enthielt, speziell in Form von Fleisch. So nützlich und be- 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


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kömmlich auch Fleisch in geringen Mengen sein mag, so ist es doch das 
gefährlichste Nahrungsmittel, da es wie kein anderes im Uebermass 
genossen werden kann und dann die Viskosität des Blutes und damit 
die inneren Reibungswiderstände in einer für den Kreislauf keineswegs 
gleichgültigen Weise steigert (H ü r t h 1 e , Hirsch, Deter- 
m a n n). Zudem rufen die im Fleisch enthaltenen Extraktivstoffe und 
Kalisalze einen Spasmus der Gcfässmuskulatur hervor und damit Druck¬ 
steigerung im Aortensystem. Die Toxine, Ptomaine und andere Pro¬ 
dukte der Eiweissfäulnis reizen die kleinen Gefässe zu spastischen 
Kontraktionen und schaffen das „Embryonalstadium“ der Arterioskle¬ 
rose (Strasser). Man findet sie auch auffallend verbreitet bei Metzgern 
und man hat sie schon kurzweg „Fleischesserkrankheit“ benannt. 
Nach v. Noorden spielt übrigens die Arteriosklerose bei den Ja¬ 
panern dieselbe Rolle, wie bei uns, obschon sie fast ausschliesslich von 
Reis lehen (Mediz. Klin. 1908, 1). Immerhin ist in der einseitigen und 
vorwiegenden Ernährung mit Fleisch ein ursächliches Moment zu er¬ 
blicken, um so mehr als hierbei der Neigung zum Trinken meist rück¬ 
sichtslos gefröhnt wird. Untersuchungen an Trappisten widerlegen die 
Behauptung, dass strenger Vegetarismus der Entstehung von Arterio¬ 
sklerose besonderen Vorschub leiste. 

Eine Gefässwand kann nur dann von Atheromatose verschont, 
bleiben, wenn Blut in genügender Menge und Schnelligkeit vorhei- 
fliesst, wenn dies Blut .genügend assimilierbare Stoffe, speziell Sauer¬ 
stoff enthält und wenn es frei ist von toxischen Substanzen, welche die 
Gefässwand schädigen. Sie entnimmt das zu ihrer Ernährung nötige 
Material dem passierenden Blut, mit dem ihr Endothel einen ständigen 
Austausch unterhält. Ist das nicht möglich, so gehen die spezifischen 
Elemente, wie bei jedem Gewebe zu Grunde und machen dem Binde¬ 
gewebe und der Kalkablagerung Platz. Zunächst kommt hier Ver¬ 
minderung der Blut m enge in Betracht: man vermisst selten 
Veränderungen an der Aorten-Intima bei ganz jugendlichen Leuten, 
die infolge häufig rezidivierender Blutungen (Ulcus ventriculi oder 
Duodeni) ad exitum gekommen sind. 

An der Hand eines grossen Sektionsmaterials aus dem patholo¬ 
gischen Institut zu Leipzig habe ich gezeigt, dass bei allen Zuständen, 
die eine genügende Oxydation des Blutes hindern, infolge Sauerstoff¬ 
mangels frühzeitige und starke Verfettung und Sklerose der Arterien 
auftritt, bei Asthma, Emphysem, Kyphoskoliose, pleuritischen Schwar¬ 
ten („Herz- und Lungenleiden in ihren Wechselbeziehungen“, Wiener 
med. Wochenschrift 1902). Ein dvspnoisches Blut ist sehr viskos und 
fliesst schwer, wie es jeder Aderlass bei hochgradiger Zyanose lehrt. 
Bei fehlerhafter Blutmischung werden die Reize auf die Gefässe und 
damit ihre Arbeit modifiziert. 

Während von vielen Seiten der A 1 k o h o 1 als prima causa movens 
angesprochen wird, schreiben Duclos, Edgren, Lanceraux 
und andere ihm keine grosse Bedeutung zu auf Grund reichlicher Er¬ 
fahrung und eines reichen Sektionsmateriales. Massiger Genuss gei¬ 
stiger Getränke hat meines Erachtens wenig mit Arteriosklerose zu tun. 
Bei den doch recht nüchternen Juden ist das Leiden sehr verbreitet, 
R u f f e r (1. c.) fand es häufig bei der Sektion von 800 musel¬ 
männischen Pilgern, die nie Alkohol genossen hatten. In Skandinavien 
wird in jüngster Zeit die Arteriosklerose viel mehr beobachtet, obschon 
die Trunksucht ziemlich unterdrückt wurde. Andererseits begegnet 


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inan ihr relativ selten hei Leuten mit Leberzirrhose und in Gegenden, 
wo viel Schnaps getrunken wird, z. B. in Oldenburg. Kaufmann 
sah bei den schwersten Alkoholikern sehr schön zarte und nur wenig 
veränderte Arterien (Lehrb. der pathol. Anatomie 1909, pag. 68). 

Werden Bier und Wein überreichlich aufgenommen, so fördern sie 
die Entstehung einer Plethora und damit auch die Arteriosklerose, 
zumal wenn gleichzeitig Ueberernährung stattfindet. Ein Blick auf die 
Temporales der Teilnehmer üppiger Diners demonstriert am besten 
den Einfluss reichlicher Tafelfreuden. Arteriosklerose ist wie Gicht „la 
maladie des viveurs“. Ob Tee und Kaffee wirklich Gefässgifte 
sind, steht nicht fest. Sie werden massenhaft in China und in der Türkei 
konsumiert, ohne dass von einem gehäuften Auftreten der Arterioskle 
rose in diesen Ländern irgend etwas bekannt ist. Die Schädlichkeit 
des Rauchens für die Zirkulationsorgane ist durch Hesse, Ni¬ 
colai und S t a e h e 1 i n erwiesen: Beschleunigte, unregelmässige 
Herztätigkeit, Steigerung des systolischen Blutdrucks, Akzentuierung 
des II. Aortentones. Nikotinvergiftung ruft Gefässspasmus hervor: 
Blässe im Gesicht, kühle Extremitäten, Schwindel, retrosternale Schmer¬ 
zen, Palpitationen (Deutsch. Arch. für kl. Mediz. Bd. 89. Zeitschr. f. 
experim. Pathol. u. Ther. 1910, Bd. VIII). Die Bedeutung der Tabak- 
abuses ist zuerst von E r b hervorgehohen: er notierte bei starken Rau¬ 
chern — 7 bis 12 Zigarren resp. 15 Bis 40 Zigaretten — in 50 % Arterio¬ 
sklerose, bei 22 enormen Rauchern — 13 bis 20 meist importierte Zi¬ 
garren resp. 40 bis 100 Zigaretten —- in 68 %. Die, welche frei geblieben 
waren, standen meist in jüngeren Jahren und hatten dem Laster noch 
nicht lange gefröhnt (Münch, med. Wochenschrift 1911, 47). Eid- 
Cairo und R e n d u - Paris führen das häufige Vorkommen von Angina 
pectoris in Aegypten und Korsika auf das viele Rauchen von kurzen 
Pfeifen und von Zigaretten zurück. Die Dysbasia arteriosclerotica 
kommt nur bei starken Rauchern vor. Besonders schädlich sind Ziga¬ 
retten, deren Rauch meist eingesogen wird. Und so nimmt das Blut 
beim Passieren der Lungengefässe nicht sauerstoffreiche gute Luft 
auf. sondern Verbrennungsgase. Das ist besonders wichtig für den Ko¬ 
ronarkreislauf, der das erste frisch arterialisierte Blut aus dem linken 
Ventrikel, sozusagen den frischen Anstich bekommt. 

Gewerbliche Vergiftungen führen gern zu Gefäss- 
crkrankungen, in erster Linie Bleiintoxikation: hier werden die 
Blutkörperchen grösser, adhärenter und bilden ein Stromhindernis 
(H u c h a r d). Deletär wirkt auch Einführung von Quecksilber, Zink¬ 
salzen, Strychnin (Philosophow Virch. Arch. Bd. 199). Der Einfluss 
von Adrenalin-Einspritzungen ist vielfach experimentell festgestellt. 

Den Zusammenhang von Darmatonie und Atheroma- 
tose betonen Ledern und C r e m e r (Münch, med. Wocli. 1902. 
pag. 731); bei Darmatonie und Obstipation wird durch Resorption von 
Darmgiften das Blut qualitativ verschlechtert (Autointoxikation). Phy¬ 
siologisch längst bekannt ist der Einfluss, den der Füllungszustand der 
vom Splanchnikus innervierten Darmgefässe auf den Blutdruck im 
Aortensystem ausübt. Gasspannung und Kotstauung kommen auch al> 
mechanische Momente in Betracht. Leute mit sitzender Lebensweise 
neigen zur Abdominal-Plethora; die Pfortader ist klappenlos, ihr Kreis¬ 
lauf wird wesentlich unterhalten und gefördert durch regelmässige 
Körperbewegung und ausgiebige Atmung. 

Es ist schon lange bekannt, dass die Lues als ätiologisches Moment 


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Die Therapie der Arteriosklerose. 


583 


für viele Gefässleiden zu beschuldigen ist. Neuerdings hat man die 
Wassermannsche Reaktion zur Beurteilung dieser Frage herangezogen 
mit dem wichtigen Ergebnis, dass eine ungeahnt grosse Zahl von arte¬ 
riellen Erkrankungen direkt von Syphilis abhängt. Der lange Zwischen¬ 
raum zwischen dem Primäraffekt und dieser Komplikation — oft 20 
bis 45 Jahre — verschleierte nur zu oft die Wahrheit (F i s s i n g e r , 
Münch, med. Woch. 1912, 1). Schon S t r ü m p e 1 hat auf den Zu¬ 
sammenhang von Aortenfehlern und Tabes hingewiesen. Heller- Kiel 
fand bei 400 Sektionen 3,5 % mit Aortitis luetica. In München ist dieser 
Prozentsatz noch höher, wie ich mich im letzten Winter in dem dortigen 
pathologischen Institut überzeugen konnte. Das Uebergreifen der 
Mesaortitis luetica auf Aortenklappe und Koronararterien ist von E d g r e n 
und von mir nachdrücklich hervorgehoben und durch die Mitteilungen 
von Citron, Deneke, Donat, Grau, Schmincke be¬ 
stätigt (Fortschritte der Medizin 1911, 30, 34). Die Prozesse lokali¬ 
sieren sich meist in der aufsteigenden Aorta, man begegnet ihnen vor¬ 
zugsweise bei Männern in relativ jungen Jahren (3. bis 5. Dezennium). 
Bei der grösseren Nachgiebigkeit des erweiterten Gefässrohres ist von 
der schwieligen Aortitis bis zum Aneurysma nur ein Schritt. C o I 1 i n 
und Sachs fanden jedesmal positiven Wassermann bei Aneurysmen, 
ebenso Goldscheider (Americ. Journ. of the med. scienc. Sept. 
1911, Verhandlungen des Baineologen - Kongresses Berlin 1912). 
Bei den kürzlich von Weitz publizierten 6 Fällen von Aneurysma 
der Bauchaorta war jedesmal eine syphilitische Infektion vorausge¬ 
gangen. An den kleinen Arterien ergreift die Gummabildung gewöhnlich 
das ganze Gefäss, es kommt zur reaktiven Intima-Wucherung (Arte¬ 
riitis obliterans), wie man dies exquisit an Hirn- und Koronargefässen 
zu sehen Gelegenheit hat. Charakteristisch für die syphilitischen Ge- 
fässerkrankungen ist das rasche Auftreten schwerer Folgezustände. 
Die Mehrzahl meiner Patienten hatte gründliche antisyphilitische Kuren. 
durchgemacht. 

Französische Autoren sprechen von M a 1 a r i a - A o r t i t i s. 
Gar nicht selten melden sich die ersten unangenehmen Symptome der 
Arteriosklerose nach einer I n f 1 u e n z a , die jedenfalls als agent 
provocateur wirkt. 

Einen fruchtbaren Boden für die Entstehung von Arteriosklerose 
geben die Stoffwechselkrankheiten ab. Nach den reichen 
Erfahrungen speziell englischer Aerzte steht das Leiden in enger ätio¬ 
logischer Beziehung zur Gicht; sie reden schlankweg von „Gefäss- 
gicht“. Zwischen beiden bestehen so weitgehende Analogien bezüglich 
Lebensalter, Geschlecht, geographische Verbreitung, Verhältnis zum 
Saturnismus und zur Tuberkulose, dass man sie als koordinierten Aus¬ 
druck einer Diathese ansprechen möchte. ,,La goutte est aux arteres 
ce que le rheumatisme est au coeur.“ Sprösslinge gichtischer Vorfahren 
zeigen angeblich von Geburt an eine mehr oder weniger ausgesprochene 
Erhöhung des Blutdruckes. Die reguläre Gicht ist gegen früher ent¬ 
schieden seltener geworden, dafür hat die Arteriosklerose, die vielfach 
als „atypische Gicht“ aufzufassen ist, entschieden zugenommen. 
(Goldscheider, Berl. klin. Woch. 1912, 10). Entsprechend der 
Arthritis divitum et pauperum kann man auch bei Arteriosklerose 
2 Formen unterscheiden: die plethorisc.he findet sich bei vollsaftigen 
Bonvivants, die atonische bei blassen Leuten, die öfters einen rhachi- 


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Burwinkel, 


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tischen Thorax darbieten und durch ihren Beruf zu einer sitzenden 
Lebensweise oder schlechter Körperhaltung gezwungen sind. 

Auf die häufige Komplikation des Diabetes mit Arterioskle¬ 
rose haben zuerst F r e r i c h s , dann v. Noorden, Grube und 
andere verwiesen. Ob die Sklerose der Pankreasgefässe mit nachfolgender 
hyaliner Degeneration der Langerhansschen Inseln als Grundursache an¬ 
zusprechen ist, halten Brooks und F. Hirschfeld für möglich,, 
aber nicht für erwiesen. (Arteriosclerosis of the Pancreas, New York 
City hospital reports, Berl. kl. Wochensch. 1912, 5.) Jedenfalls erkran¬ 
ken Diabetiker ebenso wie Gichtiker frühzeitig und gehen allen Be¬ 
schwerden, wie Angina pectoris, Asthma cardiale usw. entgegen. Am¬ 
putiert man bei diabetischer Gangrän das Glied, so stehen die Arterien 
oft wie spitze Nadeln vor und spritzen kaum. 

Ein grosses Kontingent von Arteriosklerotikern stellt die Fett¬ 
leibigkeit. Bei reichlicher Fettansammlung unter den Brust- und 
Bauchdecken pflegt die Atmung oberflächlich zu sein, wobei die Oxy¬ 
dation des Blutes ungenügend und der venöse Rückfluss zum Herzen 
verzögert wird. Durch Fettumwucherung der Mesenterial- und Koro- 
nargefässe wird ein mechanisches Hindernis für den Kreislauf gesetzt. 

Schliesslich sind chronische Nierenentzündungen 
ausgezeichnet durch Hinzutreten arteriosklerotischer Prozesse. Oft ist 
hier die Sklerose der Nierenarterien die Grundkrankheit ^arterioskle¬ 
rotische Schrumpfniere“). Andererseits häufen sich bei primärer Er¬ 
krankung der Nieren schädliche Stoffwechselprodukte im Blute an und 
bedingen konsekutive Alterationen der Gefässwand. Leute mit M i - 
g r ä n e sind sehr zur Arteriosklerose disponiert. 

Nach B o m b e r g sind körperliche Anstrengungen verbunden mit 
nervösen Einflüssen ganz besonders schädlich. Inwieweit diese Auf¬ 
fassung richtig ist, soll nicht weiter diskutiert werden. Nur einige 
Erfahrungen der Praxis sollen herangezogen werden: Fettleibige, die 
temperamentvoll und körperlich tätig sind, bleiben eher von Gefäss- 
erkrankungen verschont, als die bequemen, phlegmatischen Fettleibigen. 
Wenn Huchard die Arteriosklerose „la maladie des medecinos'* und 
Klemperer sie eine „Abhetzungskrankheit“ nennt, so mag dies 
für die Grossstadt zutreffen. Landärzte stellen nach meiner Er¬ 
fahrung nicht viele Arteriosklerotiker. Und das sind wirklich gehetzte 
Menschen, die keine Ruh’ bei Tag und Nacht haben, keinen freien 
Sonntag oder gar wochenlange Ausspannung. 

In gleicher Weise sind auch Offiziere starken Körperanstren¬ 
gungen und psychischen Emotionen ausgesetzt. Trotzdem auch noch 
Lues gerade bei ihnen recht verbreitet ist, kann von einem gehäuften 
Vorkommen der Arteriosklerose nicht die Rede sein. Aufenthalt in 
frischer Luft und kräftige Muskeltätigkeit sorgen am besten für richtige 
Blutmischung und flotten Blutumlauf. Frauen, mit vielen Kindern 
ertragen ohne Schaden die erheblichen Anforderungen an das Gcfäss- 
system, die durch Gravidität, Geburtsakt, Kindererziehung bedingt 
sind. Bucklige Leute verfallen trotz ruhiger Lebensweise regelmässig 
und bald der Arteriosklerose. Nicht der überall und immer wieder an¬ 
geführte „Kampf ums Dasein“ trägt Schuld an der ungeheuren Ver¬ 
breitung des Leidens, sondern unsere unnatürliche und verfeinerte 
Lebensweise. Der Ausdruck „Kulturkrankheit“ ist daher viel besser, 
als die Bezeichnung „Abhetzungskrankheit“. 

Je mehr man sein Augenmerk darauf richtet, um so häufiger wird 


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Die Therapie der Arteriosklerose. 


585 


in der Anamnese das erbliche Moment hervortreten. Arterio¬ 
sklerose ist wie Gicht eine Familienkrankheit und bestimmend für die 
Lebensdauer ganzer Generationen. In denselben Familien erkranken 
die Männer oft in gleit hem Alter und ohne erkennbaren Grund an Skle¬ 
rose eines bestimmten Gefässgebietes. In der leider wenig gekannten, 
aber sehr lehrreichen Monographie „über Arteriosklerose“ (Verlag von 
Zahn und Seeger Nachfolger Stuttgart) nimmt Donner primäre 
Schwäche des Gefässsystems an; hier führen schon geringe, aber dau¬ 
ernde Reize zu Veränderungen. 

Die Diagnose der Arteriosklerose ist im Anfang nicht immer 
leicht, die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit sind hier oft 
verwischt. Nicht von lärmenden Symptomen begleitet, stellt sich das 
Leiden ein, sondern wie der Teufel kommt es herangeschlichen auf 
Socken und fällt unerwartet und plötzlich diestärkstenEichen. Den einen 
rafft anscheinend aus heiterem Himmel die tödliche Apoplexie, den 
anderen anscheinend aus voller Gesundheit der erste und einzige 
sthenokardisehe Anfall dahin. Beidemal wissen wir erst durch den Ein¬ 
tritt dieser tragischen Ereignisse, dass bereits tiefgreifende Veränderungen 
an Hirn- und Koronararterien bestanden, ohne dass objektiv oder sub¬ 
jektiv die Krankheit ausgesprochen war. Nur ausnahmsweise sind die 
Symptome scharf umgrenzt und das Krankheitsbild gut abgerundet. 
,,I1 n’va pas de maladie plus proteiforme, quel’arterite, proteiforme par 
son siege, proteiforme par ses accidents“ (F a b e r), sie kann jedes Ge- 
fässgebiet und jedes Organ ergreifen, sie spielt in alle Spezialfächer 
hinein: der Gynäkologe sicht schwere Menorrhagien bei Sklerose der 
Uterinarterien, der Chirurg Mal perforant und Spontangangrän bei 
Endarteritis obliterans, der Augenarzt Arcus senilis oder Abduzens¬ 
lähmung infolge von Sklerose des Carotis interna, der Neurologe Par- 
ästhesien und Nervendegeneration infolge von arteriosklerotischer Ischä¬ 
mie. Gallenstein-Ureterenkolik, Magenkrankheiten sind schon mit 
Sklerose der Mesenterialgefässe verwechselt, ja sogar Cholera nostras 
(S g a 1 i t z e r , Prager med. Wochensohr. 1910). Der Hauptwert wird 
gewöhnlich auf das am meisten hervortretende Symptom gelegt, auf 
grössere Härte und Starrheit der Gefässwand. Aber auch bei sorg¬ 
fältigster Prüfung aller der Palpation zugänglichen Arterien vermisst 
man keineswegs selten jede abnorme Resistenz trotz zweifelloser Skle¬ 
rose der Organarterien. Andererseits erfreuen sich Leute vorgerückten 
Alters oft ungetrübter Gesundheit, obschon im Sulcus bicipitalis 
die Arteria brachialis als hartes, derbes, in förmliche Mäander¬ 
schlingen gelegtes Rohr und die Radialis als die bekannte Gänsegurgel 
sich präsentieren. Man hat die Tonometer-Resultate zur funktionellen 
Diagnose herangezogen, aber Blutdrucksteigerung darf nicht ohne 
weiteres als Zeichen von Arteriosklerose gelten. Gewöhnlich kommen 
die zumeist gesund aussehenden Leute zum Arzt mit Klagen über Herz¬ 
klopfen, Völle auf der Brust und Blutwallungen. Man konstatiert 
kräftige Herzaktion, abnorme Resistenz des Spitzenstosses, verstärkten 
II. Aortenton. Der Puls pflegt beschleunigt — ca. 100 Schläge in der 
Minute — und eher gespannt zu sein. Die Bhitdrucksteigerung ist nicht 
bedeutend, immerhin finden sich schon Werte von 130 bis 160 mm Hg. 
Vielleicht ist hier die Bemerkung am Platze, dass ein geschultes Auge 
und eine geschulte Hand immer die Basis des Diagnostizierens bleiben 
müssen. Leider und sehr zum Schaden der Aerzte verdrängt hier das 
unsichere Instrument die zuverlässige Hand und was man fühlen, 


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sehen und hören kann, ist heute in den Hintergrund gedrängt durch 
Sphygmograph, Blutdruckmesser, Elektrokardiogramm usw. Man 
lernt heutzutage allerhand theoretische und praktische Spitzfindig¬ 
keiten, aber nicht mehr die Kunst des Pulsfühlens. Der Arzt soll aber 
den Puls behandeln, wie der Virtuose sein Instrument (Hufeland). 
Bei einiger Aufmerksamkeit und Uebung lässt sich unschwer heraus¬ 
finden, ob die Gefässwand abnorm resistent, ob sie schwach uneben 
oder gewunden, ob die violentia impetus sanguinis verstärkt ist und 
manches andere. 

Spontane Blutungen aus Nase und After bei älteren 
Leuten sind oft das eiste Anzeichen für beginnende Arteriosklerose, 
ebenso die veränderte Reaktionsfähigkeit der Gefässe 
auf Kälte-, Wärme- und chemische Reize. So kann nach Kälteeinwir¬ 
kung Zyanose Und Blässe stundenlang anhalten, ehe die Gefässe wieder 
sich erweitern. Folge dieser ungenügenden Aktion ist auch das fahle 
gelbe Aussehen der Arteriosklerotiker nach Debauchen. Das Krank¬ 
heitsbild wird natürlich in charakteristischer Weise beeinflusst durch 
Beteiligung einzelner Organe. Aus dem ganzen grossen Gebiete heben 
sich 3 besondere Gruppen heraus, die kardiale, renale und z e - 
r e b r a 1 e Form. Sitzt der Prozess an der Abgangsstelle der Koro- 
narien („Mündungssklerose“), so entsteht das Bild der Angina pectoris. 
Sitzt die Sklerose mehr im Verlauf der Kranzgefässe, so kommt es unter 
Bildung von Schwielen zur Herzmuskelschwäche und zum Asthma 
eardiale. 

Wesentlich modifiziert wird der klinische Verlauf bei vorwiegender 
Beteiligung der Nierengefässe: es kommt zum Schwund der sezernie- 
renden Zellen mit Hyperplasie und Sklerose des Stützgewebes. Die 
Erkrankung ist meist difTus, wenn auch an einzelnen Stellen mehr ent¬ 
wickelt. Blutdrucksteigerung ist gewöhnlich und erheblich (180—220 
mm Hg.), wird aber im Spätstadium bei Herzinsuffizienz vermisst. 
Hält das Herz aus, so droht die Gefahr der Apoplexie. Nachts wird 
häufiger Urin gelassen (Nycturie). Macht man sich die Mühe, das Tages¬ 
quantum im Messglas aufzufangen und dann das Nachtquantum, so 
zeigt sich oft „Phasenverschiebung“, indem der Tagesurin viel weniger 
reichlich ist. Nephrosklerose^ entwickelt sich gern bei arthritischer 
Diathese (Migräne). 

Bei Erkrankung der Hirnarterien begegnet man den Symptomen 
zerebraler Dyspragie: Leere und Schmerz im Kopf, Schwin¬ 
delgefühl, Bewusstseinsunterbrechung, schlechter Schlaf, aber auch 
Schlafsucht, Stimmungswechsel, Schlingbeschwerden, Uebelkeit, Ab¬ 
magerung. Nicht selten melden sich „gelinde Apoplexien“, wie Ein¬ 
schlafen von Armen und Beinen zu gleicher Zeit, Parästhesien. Das 
eine oder andere dieser Symptome pflegt im Vordergründe zu stehen. 
Auch psychische Störungen werden beobachtet, namentlich Depressions¬ 
und melancholische Zustände, selten und fast nur bei Potatoren Aus¬ 
artung in Demenz. Jenseits der 50 er Jahre sei man vorsichtig mit 
der Diagnose „Neurasthenie“. Werden Leute, welche früher Nerven 
nicht kannten, reizbar und unfähig zur Arbeit, dann handelt es sich 
gewöhnlich um „Neurasthenia arteriosklerotica“. 

Sind die Mesenterialgefässe sklerotisch verändert, so kommt es 
zur Angina abdominalis oder, wie O r t n e r sie benannt hat, 
zur Dvspragia arteriosklerotica intestinalis i n - 
termittens: paroxysmale Leibschmerzen, speziell um den Nabel, 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


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Meteorismus unabhängig von der Nahrungsaufnahme, Obstipation, 
öfters Darmblutungen. Es handelt sich oft um starke Raucher, die 
noch andere Zeichen für Arteriosklerose darbieten. 

Ungemein verschieden gestaltet sich die Prognose. Die Trag¬ 
weite der Arteriosklerose ist in erster Linie abhängig von ihrer Lokali¬ 
sation, welche Gefässgebiete und ob lebenswichtige Organe in ihren 
Bereich gezogen sind. Leute mit Koronarsklerose sind wirkliche Mär¬ 
tyrer und stets in bedenklicher Position. Ein tristes Kapitel bilden auch 
die arteriosklerotischen Nieren Veränderungen, während bei zerebraler 
Arteriosklerose Beschwerden oft längere Zeit ausbleiben können. Aneu¬ 
rysmen der Aorta involvieren nicht so sehr die Gefahr einer Ruptur, 
die causa proxima mortis sind hier vielmehr Infarcte oder Stauung in 
den Nieren, fortschreitende Konsumption, Kompression benachbarter 
Organe usw. Weniger bedeutungsvoll ist selbst hochgradige Sklerose 
der Arterien der Extremitäten; hier bleiben schlimme Folgen oft ganz 
aus. In zweiter Linie kommt die Ausdehnung des Prozesses in Betracht: 
ist er universell oder doch auf den grössten Teil des Gefässbaumes aus¬ 
gedehnt, so werden die Aussichten auf völligen Ausgleich weniger günstig 
sein, als wenn nur kleine Gefässgebiete ergriffen sind. Die physiolo¬ 
gische Funktion eines Organs erleidet um so grössere Schädigung, je 
mehr Aeste der blutzuführenden Arterie erkrankt sind. Ebenso hängt 
für die Prognose viel von dem Grade der Sklerose ab. Die Konsekutiv¬ 
erscheinungen werden andere sein, wenn die Intima nur leicht verfettet 
ist, als wenn die Gefässe in einen fibrösen Strang umgewandelt sind, 
wo im Innern nur noch ein feiner Kanal so wenig Blut durchpassieren 
lässt, dass die Blutversorgung nicht ausreicht, um die Vitalität des 
Gewebes zu unterhalten. Interessanterweise verhalten sich einzelne 
Organe einzelner Menschen in dem Eintreten funktioneller Störungen 
infolge von Arteriosklerose oft ganz verschieden. Man muss hier die 
Gesamtkonstitution in Anschlag bringen. Vieles hängt hierbei vom 
praktischen Blick, von Momenteindrücken ab und Fehlgriffe sind auch 
bei ganz richtiger physikalischer Diagnose möglich. Man muss, wie 
K r e h 1 sagt, stets auf Ueberraschungen gefasst sein. Die schreckliche 
Krankheit, für die der Laie sie ansieht, ist Arteriosklerose nun nicht; 
sie verträgt sich gar nicht so selten mit einem relativ langen und auch 
genussfrohen Leben. 

Die Therapie der Arteriosklerose hat zunächst ihre Prophy¬ 
laxe zu berücksichtigen. Wollten wir alle Schädlichkeiten meiden, die 
nach Angabe ernster Autoren die Krankheit hervorrufen, so würden 
wir uns überhaupt nicht mehr regen dürfen und wie C r a m e r ironisch 
hinzufügt, trotzdem ihr verfallen. Die Präventivbehandlung ergibt 
sich ohne weiteres aus der Kenntnis der Ursachen. Rückkehr zu einer 
einfachen, natürlichen, aber keineswegs ängstlichen Lebensweise ist 
das beste Präservativ. Die Lehren der Makro- und Eubiotik, wie Hufe¬ 
land und in jüngster Zeit P e 1 und Ewald sie lehren, müssen 
dem grossen Publikum geläufig sein. Vor allem soll auch die Psyche 
beeinflusst werden, man trifft heutzutage leider selten zufriedene Men¬ 
schen mit urwüchsiger Freude am Leben. Der Hausarzt im guten alten 
Sinne muss wieder zu Ehren kommen, nur er kann eine richtige Pro¬ 
phylaxe durchführen. Sind in einer Familie bereits Arteriosklerose 
oder Gicht, Diabetes, Fettsucht und verwandte Krankheiten vorge¬ 
kommen, so ist besondere Vorsicht am Platz. Nach dem Grundsätze 
„Principiis obsta“ hat die Therapie einzusetzen, wenn erst funktionelle 


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Burwinkel, Die Therapie der Arteriosklerose. 


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Störungen das Leiden andeuten; sind schon morphologische Verän¬ 
derungen bis zu einem gewissen Grade entwickelt, so besteht wenig 
Hoffnung auf völlige Genesung. 

Zunächst muss man nachsehen, ob ein ätiologisches Moment vor¬ 
liegt, dessen Ausschaltung therapeutische Bedeutung hat (Tabak, Al¬ 
kohol, Lieberernährung, mangelhafte Körperpflege usw.). Ist nicht die 
Behandlung vieler Leute, die sich als Arteriosklerotiker vorstellen, 
lediglich eine Behandlung von Magendarmstörungen ? 

Die Diät muss der Plethora und damit der Spannungserhöhung 
im arteriellen System entgegenarbeiten, sie sei mässig und arm an 
Fleisch. Unsere bisherige Auffassung von der Ernährung, speziell 
was die Eiweissstoffe betrifft, bedarf nach den Experimenten von 
C bittenden und llorace Fletscher einer gründlichen 
Revision. Plethorische Kranke bedürfen nur sehr geringer Eiweiss¬ 
mengen. Entsprechend dem hygienischen Wahlspruch ,,Corpora sicca 
durant“ müssen Fettleibige sich einer dauernden Reform ihrer Lebens¬ 
weise unterwerfen. Im Sommer ist ein mehr vegetarisches Regime zu 
bevorzugen. Die in den Früchten und Gemüsen enthaltenen Salze 
(Natron, Phosphor, Eisen usw.) sind nicht bloss Genussmittel, sondern 
dringend notwendig für richtige Zusammensetzung der Körpersäfte. 
Zn einer Reduktion der Kalkzufuhr, die Rumpf derzeit forderte, 
liegt ein Grund nicht vor. Mit Unrecht wird der Kalkgehalt des Wassers 
als Ursache der Entstehung von Arteriosklerose beschuldigt. Die im 
Trinkwasser enthaltenen Salze sind vielmehr ein wichtiges Element 
für die Gesundheit (B e r g). Wir Aerzte müssen nicht nur die äuss *re. 
sondern auch die innere Anwendung von Wasser empfehlen. Der Mensch 
verzichtet nicht ungestraft auf den Genuss dieses von der Natur ge¬ 
botenen unersetzlichen Getränkes. Rigorose T rockenkuren sind 
höchstens angezeigt bei plethorischen Patienten mit ungeschwächter 
Herzkraft und gesunden Organen; im allgemeinen ist vor ihnen zu war¬ 
nen: der Organismus verlangt ein bestimmtes Mass von Flüssigkeit, 
damit das Blut nicht zu sehr eingedickt und die Ausschwemmung de' 
Stoffwechselprodukte gefördert wird. Allgemein gültige Regeln für die 
Ernährung von Arteriosklerotikern lassen sich nicht aufstellen, obschon 
diese Frage von ausserordentlicher praktischer Bedeutung ist. Es gilt 
eben, Kranke und nicht Krankheiten zu behandeln, deren psychischer 
Zustand und Widerwille gegen bestimmte Speisen zu berücksichtigen 
ist. Man muss den Speisezettel aus den jeweiligen Verhältnissen heraus 
diktieren. Im grossen und ganzen kann man den etwas schematischen 
Vorschriften von II u c h a r d zustimmen: im Stadium der Präsklerose 
ein gemischtes, von Nukleinen freies, vorwiegend lakto-vegetabiles 
Regime; für das kardio-artcrielle Stadium der beginnenden Herzin¬ 
suffizienz strikte Milchdiät; für das kardio-ektatische Stadium schwerer 
Herzmuskelinsuffizienz Reduktion der Flüssigkeit (Strauss, „Diä¬ 
tetische Behandlung der Arteriosklerose“, Jahreskurse für ärztliche 
Fortbildung 1911, 8). Im ersten Stadium gibt eine konsequent und 
richtig durchgeführte Beschränkung der flüssigen und festen Speisen 
ganz vorzügliche Resultate, indem das Volumen des Blutes vermindert 
und dem Gefässsystem Gelegenheit gegeben wird, sich zusammenzu¬ 
ziehen. Es empfiehlt sich, die Flüssigkeitsaufnahme von der Nahrungs¬ 
aufnahme zu trennen, um das Gefässsystem nicht auf einmal zu be¬ 
lasten. Jugendlichen Arteriosklerotikern darf man schon forcierte 
Kuren zumuten: in der Woche 1—2 „Hungertage“, an denen sie mit 


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Eschle, Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 


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wenig Obst, Wurzeln, Blattgemüsen oder mit 3 /, Liter Milch fürlieb 
nehmen müssen. Sonst lässt man 2 oder 3 Tage vegetarisch und dann 
einen Tag gemischt essen. Eine systematische Milch-Gemüsediät ist 
zugleich das einfachste Mittel zur fast unmerklichen Flüssigkeits- und 
Alkoholentziehung. Langsames Essen und gründliches Durchkauen 
der Speisen ruft das Gefühl der Sättigung eher hervor und garantiert 
zudem bessere Ausnutzung. Mit Gewürzen sei man sparsam: statt der 
üblichen 15 g Kochsalz nehme man bloss 5 g und verwende mehr Küchen¬ 
gewürze, wie Porree, Wurzeln, Zitrone usw. Eine reizlose Kost ist vor 
allem geboten bei Nierensklerose: rohes Fleisch, seine Extraktiv¬ 
stoffe, also auch Brühen, Pökelfleisch, Rauch- und Wurstwaren, mari¬ 
nierte Fische, käufliche Saucen, die meisten Käsesorten, Büchsen¬ 
gemüse sind als salzhaltig möglichst vom Speisezettel zu streichen. 
Als notorisch nierenreizend gelten Rettich, Radieschen, Senf, Vanille. 
Die meisten natürlichen Nahrungsmittel sind salzarm, auch alle Gemüse 
ausser Sellerie, Weisskohl, Spinat, ebenso Wein-, Bier- und Frucht¬ 
suppen. Bei fleisch- und salzarmer Diät geht der Blutdruck nach einigen 
Wochen und nicht unwesentlich zurück. Um eine Blutdrucksteigerung 
zu verhüten, darf weder gierig und ad libitum noch zu heiss getrunken 
werden. Bezüglich der Diät im II. und III. Stadium verweise ich auf 
die frühere Abhandlung über Herzklappenfehler (Fortschritte der Med. 
1911, 34, 35). (Schluss folgt.) 


Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 

Von Franz C. R. E s c h 1 e. 

(Schluss.) 

Bei Tauchern, Brückenbau- und Hafenarbeitern, die gezwungen 
sind, unter Wasser in sogenannten Caissons bei einem Luftdruck 
von mehreren Atmosphären zu arbeiten, können sich, namentlich beim 
Verlassen des Apparates, also bei plötzlicher beträcht¬ 
licher Erniedrigung des Luftdruckes, zerebrale und 
noch häufiger spinale Störungen entwickeln, die gleichfalls als kinetische 
Erscheinungen infolge des rapiden Wechsels der die Körperoberfläche 
treffenden Impulse aufzufassen sind. Die Betroffenen klagen nach Ver¬ 
lassen des Caisson über Kopfdruck, Schwindel, Ohrenschmerz, Ohren¬ 
sausen, Uebelkeit und Schwäche in den Beinen, Symptome, die sich 
innerhalb weniger Minuten bis zur Paraplegie steigern können. Auch 
Blasenschwäche und Anästhesie werden beobachtet. Diese Symptome, 
zusammengehalten mit den spastischen und andern Erscheinungen 
weisen auf eine diffuse Alteration vorwiegend des Brustmarkes hin, ob¬ 
wohl auch die anderen Partien der Medulla in Mitleidenschaft gezogen 
sein können. In einem schweren Falle, den H. Oppenheim längere 
Zeit beobachtete, war die Lähmung mit einer überaus starken Rigi¬ 
dität der Schenkel- und Bauchmuskulatur verknüpft und bei jedem 
Hautreiz kam es zu klonischen Zuckungen in dieser, zu unwillkürlichem 
Harnabgang und zur Erectio penis. 

Gerade in einer Zeit, die die Bewertung mechanischer Einflüsse 
in der Medizin den psychischen gegenüber so auffallend bevorzugt, 
muss es merkwürdig erscheinen, dass man neuerdings so gut wie aus¬ 
schliesslich das psychogene- Moment bei der Genese 
der Unfallneurosen in den Vordergrund stellt und diese oft 
ohne weiteres der Hysterie oder der Hypochondrie einordnet. 


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So ist auch von E. M i t t o 1 h a e u s e r *) der Nachweis zu erbringen versucht 
worden, dass die Ursache der Unfallneurose überhaupt nicht in der Verletzung als solcher 
liege, die ja nur eine zufällige Begleiterscheinung darstelle, sondern vielmehr in der Stö¬ 
rung das Gesamtbewnsstseins. Diese sei aber offenbar nur als die Folge suggestiver Ein¬ 
flüsse. sowohl des Unfallversicherungsgesetzes als auch der wirtschaftlichen Sorgen 
(Kampf um die Rente) und nicht zuletzt der Stellungnahme des Arztes zum Verletzten und 
umgekehrt (Autosuggestion und Fremdsuggestion) anzusehen. Man hält es somit offenbar 
heute vielfach für vollständig bewiesen, daß die wirklichen Ursachen der an Unfälle 
sich anschliessenden Erkrankungen ausschließlich in psychischen, sozialen und mora¬ 
lischen Momenten beruhen. 

Demgegenüber kann ich mich trotz anfänglicher eigener Skepsis 
gegenüber dem Standpunkte Rosenbachs mit immer zunehmender 
Erfahrung gar nicht entschieden genug zu dessen Anschauung bekennen, 
die in der traumatischen Neurose direkt eine chronische Kinetose 
erblickt. Allerdings ist dabei für jeden einzelnen Fall zu ent¬ 
scheiden, ob das Zentralnervensystem lokal und formal (d. h. 
primär als Organmasse auf dem Wege der Gehirn- bezw. Rückenmarks¬ 
erschütterung) oder funktionell und interorganisch (d. h. 
als Indikator einer generellen Störung des Betriebes, als Objekt des 
veränderten Einflusses, den die zentripetalen Nervenimpulse auf die 
Gestaltung seines Tonus und seiner Erregbarkeit ausüben) in Mitleiden¬ 
schaft gezogen ist. Dass nebenher gewisse psychisch 
wirkende Momente, der Schreck, die Aufregung, 
kurz, der seelische Shock, im weiteren Ver¬ 
laufe ganz besonders auch die Sorge um die 

Zukunft, ferner Auto- und Fremdsuggestionen 
eine Rolle spielen können und auch tatsäch¬ 

lich vielfach spielen, soll dabei durchaus 
nicht in Abrede gestellt werden. Bald wird 

eben das Zentralnervensystem direkt von der 
kinetischen Noxe getroffen, bald leidet es 
mittelbar auf dem Wege der Fortpflanzung der 
abnormen Impulse durch die sensiblen Nerven, 
bald macht sich nebenher noch ein psychisches 
Moment von variabler Intensität geltend. So 
mannigfach sind die Wege, auf denen schliess¬ 
lich das in der Regel anzutreffende Bild der 
chronischen Kinetose resultiert, unter dessen 
kennzeichnenden Symptomen schliesslich die 
als Spinalirritation, Neurasthenie, Hysterie 
unter die funktionellen Neurosen fallenden Er¬ 
scheinungen kaum jemals fehlen. 

Meistens entspricht das Krankheitsbild einer Kombination hysteri- 
former und neurasthenischer Zeichen, mit denen vielfach noch Sym¬ 
ptome und Symptomengruppen verschmolzen sind, die aus dem Rahmen 
der Hysterie und Neurasthenie heraustreten, aber ebenfalls lediglich 
auf funktionelle Störungen zurückzuführen sind, z. B. Epilepsie, Reflex¬ 
epilepsie, lokalisierte Muskelkrämpfe, gewisse psychopathische Erschei¬ 
nungen. Und gerade diese Komplikationen ge¬ 
stalten die Prognose in jedem Falle recht 
zweifelhaft und lassen selbst traumatische 
Neurosen mit vorwiegend lokalen Symptomen allen 
Heilungsversuchen oft hartnäckig widerstehen. 

') E. Mittelhaeuser, Unfall und Nervenerkrankung. Halle a. S. 1905. 
C. M a r h o 1 d. 


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Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 


591 


Schmerzen in dem vom Unfall betroffenen Körperteile bilden ge¬ 
wöhnlich die ersten Klagen und stehen auch in der Folgezeit im Vorder¬ 
gründe der subjektiven Beschwerden; im Zusammenhänge mit ihnen 
findet man perverse Innervation (s. die Abhandlung hierüber!) und 
mannigfaltige Behinderung in den aktiven Bewegungen, ferner Erhöhung 
der mechanischen Muskel- und Nervenerregbarkeit, Steigerung der 
Sehnenphänomene, Muskelschmerzen und Muskelschwäche. Neben 
der auffälligen Erregbarkeit des Herzens pflegen auch vasomotorische 
Störungen im engern Sinne (durch Dermographie hervortretende Urti¬ 
caria factitia), ebenso sekretorische (lokalisierte Schweissbildung) und 
trophische (zirkumskripter und fortschreitender Haarausfall) beobachtet 
zu werden. Abgestorbensein der Finger und sogar Raynaud sehe 
Krankheit (symmetrische Gangrän, Asphyxie locale symmetrique) 
wurde nach Oppenheim verschiedentlich gesehen. Die motorische 
Schwäche ist oft von Zittern begleitet. Fibrilläre Zuckungen finden 
■sich bald in allgemeiner Verbreitung, bald auf die Muskulatur der 
paretischen Gliedmassen beschränkt. In vielen Fällen ist, wie schon 
angedeutet, die Lokomotion der Kranken behindert und es können 
namentlich Gehstörungen Vorkommen, die der Beurteilung die grössten 
Schwierigkeiten bereiten. Der Gang kann durch diesteife Haltungder Beine 
•dem spastischen sehr ähnlich sein. Der Ansicht, dass das „Kleben mit 
der Fussspitze am Boden“ hier charakteristischerweise fehlen soll, 
muss ich auf Grund eigener Erfahrungen widersprechen. Seltener kommt 
eine pseudotaktische Gehstörung vor (Schleudern der Beine, stampfendes 
Aufsetzen der Fersen), obwohl Symptome der Ataxie in der Rückenlage 
nicht nachweisbar sind. Von den mannigfaltigen Sprechstörungen 
seien Stottern, Silbenstolpern und funktionelle Stimmbandlähmung er¬ 
wähnt. Pupillendifferenz wird häufiger beobachtet, seltener Pupillen¬ 
starre, zuweilen Einengung des Gesichtsfeldes. Vereinzelt kommt es 
auch zu einer Atrophie des Sehnerven. Wohl mit der perversen Inner¬ 
vation hängt es zusammen, dass neben Obstipation auch über Erschwe¬ 
rung der Harnentleerung und Impotenz sehr häufig geklagt wird. 

Unte- den psychischen Erscheinungen ist neben 
Unrast, Schreckhaftigkeit und heftigen Angstattacken die Gedächtnis¬ 
schwäche ein den Kranken selbst meistens sehr beunruhigendes 
Symptom, das aber, wie Oppenheim betont, wohl mehr auf 
die stete Selbstbeobachtung, das Sichversenken in den Krank¬ 
heitszustand und die Abstumpfung des Interesses für die Aussenwelt 
als auf einen Defekt der Psychomechanik zurückzuführen ist. Ueber- 
haupt fassen die Kranken, die still und gedrückt erscheinen, langsamer 
auf, weil sie dauernd durch quälende Vorstellungen in Anspruch ge¬ 
nommen sind und wenig Anteil an ihrer Umgebung nehmen. In einzelnen 
Fällen bestehen ausgeprägte Zwangsvorstellungen, Platzangst und Grü¬ 
belsucht, meist aber treten hypochondrische Beschwerden in den Vor¬ 
dergrund. 

Wir haben in diesen psychischen Symptomen die Kennzeichen der 
sogenannten „Schreckneurose“ vor uns, die ganz unab¬ 
hängig von der Kinetose auftritt und die so sehr der 
Zustand über die natürliche Ergriffenheit nach aufregenden Erlebnissen 
hinausgeht, sich schnell wieder ausgleichen kann (E. Kraepelin 1 ). 
Wird hier schon die Leistungsfähigkeit der Kranken neben der hvpo- 


*) E. Kraepelin, Psychiatrie, 7. Auflage. Leipzig 1903. Joh. Ambros. Barth. 


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c h o n d rischen A b u 1 i e und den zahlreichen nervösen Beschwer¬ 
den auch durch die ganz besonders hervortretende Ermüdbarkeit 
— allerdings in der Regel nur vorübergehend — beeinträchtigt,, 
so pflegt bei stärkeren Graden der gemütlichen Erschütterung der 
Zustand noch durch das Hinzutreten eigentlich hysterischer 
Symptome, der perversen Innervation in allen ihren Varianten nach 
der motorischen, sensiblen, sekretorischen und vor allem auch nach der 
psychischen Seite hin kompliziert zu werden. 

D e 1 i r i e i und D ä m merzu stände aber, die bisweilen 
Vorkommen und ebenso die relativ selten zu beobachtende fort¬ 
schreitende Demenz sind in Gegensatz zu den geschilderten 
Symptomen der Schreckneurose auch nach K raepelins Auffassung 
wohl immer auf Rechnung der Kopfverletzungen 
an sich, also der Kinetose, zu setzen. Das gleiche 
gilt für die nicht so selten sich an Unfälle anschliessenden Attacken 
manisch-depressiven Irreseins (periodische Manie), so 
wie die katatonischen Krankheitsbilder. In allen 
diesen Zuständen haben wir übrigens, wie 0. Koelpin 1 ) nachwies, 
nicht eine direkte und unmittelbare Folge der Konkussion des Zentral¬ 
nervensystems zu sehen, sondern nur eine indirekte und mittelbare,, 
insofern als jene nur die auslösende Ursache repräsentiert, die auf eine 
schon vorhandene Anlage wirkt. Ebenso hat man sich wohl die 
Zusammenhänge der Kinetose mit Paralyse, multipler 
Sklerose, mit dem von Eulenburg beschriebenen Symptomen- 
komplex sowie der K o r s s a k o w sehen Psychopathie zu denken, in 
der Kalberlah die „typische Kommotionspsychose“ (der Alkoho¬ 
liker) sehen wollte. 

Bei fraglichen Fällen von traumatischer Neurose wird man in differcntial- 
d iagnostischer Hinsicht zunächst im Auge zu behalten haben, dass der 
Alkoholismus zum Teil ganz ähnliche Erscheinungen produzieren kann. Mit 
dem Nachweis eines bestehenden Alkoholismus steht es aber, wie H. Oppenheim 
meines Erachtens sehr richtig bemerkt, noch keineswegs über allem Zweifel, daß das 
bestehende Leiden wirklich eine Folge dieser Intoxikation ist. 

Diagnostische Fehlgriffe wird man am ehesten vermeiden, wenn man den psy¬ 
chischen Befund nie losgelöst von dem somatischen bewertet und umgekehrt und wenn 
man andrerseits nicht zu schnell mit der Voraussetzung von Simulation bei der Hand ist. 

Die Lähmungszustände unterscheiden sich im wesentlichen von den durch orga¬ 
nische Krankheiten bedingten; sie können den hysterischen vollkommen gleichen. Oft 
entsprechen sie dem Typus der Parapareso oder Paraplegie. Wenn sie, wie am häufig¬ 
sten, die eine Körperhälfte und diese sonst vollständig betreffen, bleibt fast ausnahms¬ 
los der Fazialis und der Hypoglossus verschont. Nicht selten beschränkt sich die Läh¬ 
mung auf eine einzelne Extremität. Überhaupt ist von grosserdiagno- 
stischer Bedeutung dabei die meines Wissens zuerst von 
H. Oppenheim festgestellte Tatsache, dass die nach einer 
Kopfverletzung entstehende „funktionelle“ Hemiplegie 
paradoxerweise stets der Seite des stattgehabten Traumas 
entspricht. Ebenso werden, ähnlich wie bei derHysterie, die 
gelähmten und anästhetischen Bezirke nicht nach den von 
einem Nerven versorgten Muskelgruppen bezw. Hautbe¬ 
zirken abgegrenzt, sondern nach einem dem Laien geläu¬ 
figeren Prinzip, nach Gliedmassen, Körperteilen usw. 

Das tatsächliche Vorhandensein von schmerzhaften Druckpunkten läßt sich manch¬ 
mal daran erkennen, dass ein Druck auf diese nicht allein Schmerzäußerungen, sondern 
auch eine merkliche Beschleunigung des Pulses hervor ruft (M a n n k o p f’sches Symptom). 
Nicht aber nur, dass die Abwesenheit dieses Zeichens keineswegs das Fehlen des geklagten 
Schmerzes beweist, das Symptom findet sich bei Neurasthenikern an sich sehr häufig. 


’) O. Koelpin, Die psychischen Störungen nach Kopftrauma. Volkmanns 
Samml. klin. Vortr. Nr. 418. 



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Der traumatische Sliock und andere Formen der Kinetose. 


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auch ohne dass sie ihre Beschwerden mit einem Trauma in Zusammenhang bringen 
wollen oder können. 

Im übrigen wird man dem Vorkot.men von Simulation 
gegenüber auf die dauernde Steigerung des Se linenp hä¬ 
lt omens,die mechanische Muskel - und Nervenerregbarkeit, 
das fibrilläre Zittern (auch das Zittern und die klonischen 
Zuckungen in einzelnen Muskeln, die der Gesunde nicht 
isoliert erzittern zu lassen vermag, z. B. Triceps, Supinator 
longus, Schulterblattmuskeln, Omohyoideus), weiter auf 
die vasomotorischen Phänomene und Sekretionsanomalien, 
auf die Symptome der Neurasthenia cordis und die Pupillen¬ 
differenz das größte Gewicht legen. Auch eine typische 
Einengung dos Gesichtsfeldes kann natürlich nicht simu¬ 
liert werden. 

Es wird nach diesen Auseinandersetzungen über das Wesen der 
Kinetosen ohne weiteres klar sein, dass gegen die lokalen, mehr oder 
minder ausgedehnte molekulare Kc mmotion jeder therapeutische Eingriff 
nutzlos sein muss. Als die „nervöse“ Theorie der Seekrankheit 
von der „abdominelh n“ abgelöst wurde, weil die auffallendsten Erschei¬ 
nungen in der Mehrzahl der Fälle auf eine Affektion des .Magendarm¬ 
kanals und der Unterleibsorgane hinzuweisen schienen, schuldigte man 
den direkten Anprall der Unterleibsorgane, des Magens, des Darmes, 
der Leber, des Zwerchfells gegen die gespannte Bauchwand und sogar 
eine Art von Reibung oder Zusammenprall der Organe untereinander 
(Frottements, Collisions nach Keraudren) als ätiologische Faktoren an. 
Man wurde sich der Tatsache gar nicht bewusst, dass die Gleichgewichts¬ 
verhältnisse in den grossen Leibeshöhlen wegen des Tonus der lebenden 
Gewebe und der ganz besonders vorteilhaften und mechanisch voll¬ 
kommenen Aufhängung der Organe in serösen Säcken ganz anders sind 
als bei leblosen Substanzen 1 ) neben der molekularen Erschütterung 
und konnte in einer auch für die heutige Generation noch recht lehr¬ 
reichen Verkennung von Ursachen und Wirkungen dazu kommen, in 
dem Matrosengürtel und seinen Ersatzmitteln (z. B. dem Collodium- 
gurt) ein Prophylaktikum zu sehen. Nur wenige haben ganz offen ein¬ 
gestanden, dass wir auch gegen die harmloseste Erscheinungsform der 
akuten Kinetose kein Mittel besitzen und dass wir höchstens auf kurzen 
Seefahrten den Leidenden eine geringe Linderung zu bringen vermögen. 
Und bis auf den heutigen Tag feiern immer neue Mittel ihre ephemeren 
Triumphe. 

Alle die zahlreichen, zunächst gegen die Seekrankheit empfohlenen 
in edikamen tosen Mittel, die durchweg der Klasse der Nar¬ 
kotika oder der sogen. Nervina entnommen zu sein pflegen, haben sich 
auf die Dauer in praxi nicht bewährt und verdanken ihre emphatische 
Anpreisung in der Regel jungen Schiffsärzten oder berufsmässig in der 
Arzneimittelbranche tätigen Personen, die nur wenige Seefahrten, 
überdies unter günstigen äusseren Umständen, mitgemacht haben und 
bei den Versuchen an der eigem n Person auch das post vom propter in 
ihren Schlussfolgerungen nicht immer gehörig trennt* n. Gewissermassen 
muss man es ja auch, wie Rosenbach mit feinem Sarkasmus be¬ 
merkt, „vom Standpunkte eines Befürworters der Seefahrt zu hygie¬ 
nischen Zwecken eigentlich mit besonderer Freude begrüssen, dass sich 
noch immer optimistische Gemüter finden, die ein Mittel — und zwar 
gerade ihr Mittel — als Panacee mit allem Enthusiasmus empfehlen; 

*) Vgl. auch O. Rosenbach, Die Grundlagen der Lehre vom Kreislauf. Wien 
1894, M. Pertes. S. A. aus Münch, nied. Wochenschr. 1894, Nr. 9 ff. und Derselbe, 
Zur Pathologie und Therapie der Verdauungsorgane. Berlin 1895, S. Karger. 

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Eachle, 


denn sie gehen den Zagenden und Aengstlichen neue Hoffnung und 
immer wieder den Mut, es noch einmal zu versuchen.“ Nur bei sehr 
kurzen Fahrten kann man von der Anwendung eines Narkotikums 
einigen Erfolg erwarten. Und da bewähren sich schliesslich noch immer 
am besten die alt hergebrachten Kompositionen, von denen hier nur 
. das Corysche Mittel gegen die Seekrankheit 
und das E 1 i x i r nauticorum Hager aufgeführt 
werden sollen. 

R|>. Chlorali hydrati 1,5 
Kali bromati 5,0. 

M. f. pulv. Dent. t. Dos. No. II. 

S. 4 x täglich y, Pulver zu nehmen 

Rp. Chloroformii 5,0 

Tincturae aromaticae 10,0 
— amarae 30,0 

D. S. öfters teelöffelweise mit Wein oder Likör zu nehmen. 

Und in gleicher Weise oder noch mehr gilt das über die fragliche 
unbedingte Nützlichkeit der narkotischen Mittel Gesagte für die in 
neuerer Zeit wieder in den Vordergrund des Interesses getretene 
Eisenbahnkrankheit. Hier wie dort ist auch, wenn man 
die vorstehenden Ausführungen gelten lässt, lediglich mit einer 
Stählung der Energie durch psychische Beeinflussung 
nicht allzu viel zu erwarten, da ja der psychische Vorgang nur einen 
Faktor unter den vielen anderen für das Zustandekommen der Kinetose 
liefert. Da man nun, welcher Auffassung über das Verhältnis von Seele 
und Körper man sich auch zuneigt, wohl annehmen kann, dass die 
Schwankungen des Fahrzeugs zunächst auf die materiellen Substrate 
— richtiger die Masse des Körpers — von der äusseren Oberfläche her 
einwirken und erst durch die Verschiebung der Massenteilchen auch die 
Gestaltung der atomaren Komplexe resp. der feinsten Substrate verän¬ 
dern. so ist sicher der Schluss gerechtfertigt, dass die Erscheinungen 
der See- und Eisenbahnkrankheit in erster Linie nicht von einer Affek¬ 
tion der Psyche, sondern von einer Veränderung der elementaren Bin¬ 
dungen, der zum Körpergewebe vereinigten kleinsten Apparate her¬ 
rühren. Und daher ist das einzige, was hier wirklich 
Erfolg verspricht, eine zweckmässige Prophy¬ 
laxe durch Anpassung und Gewöhnung an die 
ungewohnte Form der Bewegung. Diese liesse sich 
durch mehrere Wochen fortgesetzte Uebungen an Apparaten, die eine 
genügende Wucht der Schaukelbewegung liefern und in ihrer Plötzlich¬ 
keit abzustufende Hemmungen gestatten, sicher auch für die in dieser 
Hinsicht empfindlichsten Individuen erreichen. 

Gegen Einwirkungen, wie die, die den wahren S h o c k hervor- 
rufen, können natürlich prophylaktische Massregeln ebensowenig hel¬ 
fen, wie durch therapeutische, die einmal erfolgte Verschiebungen der 
kleinsten Massenteilchen unmöglich zielbewusst redressieren können. 
Wohl vermögen wir aber die durch abnorme Erregung hervorgerufenen 
Lähmungs-, Hemmungs- und Reizerscheinungen zu dämpfen und somitdie 
Verausgabung von Energie zu vermindern. Wie Rosenbach so treffend 
bemerkt, ist es jedoch selbst in dieser Hinsicht nicht einmal immer gesagt, 
dass wir mit unsern Massnahmen Gutes schaffen und ob dieser uns un¬ 
zweckmässig erscheinende Verlust nicht gerade eine wichtige Form der 
Entlastung des Körpers von abnorm gespannter Energie darstellt, und 
•deren Abströmen eine andernfalls vielleicht stattfindende dauernde Ver- 


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Der traumatische Shock und andere Formen der Kinetose. 


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Schiebung oder Dissoziation der Aggregate, also des Zustandekommen 
einer organischen Störung statt der rein funktionellen 
verhindert. Alle Beobachter sind z. B. darüber einig, dass bei der See¬ 
krankheit sowohl wie beim Shock infolge von Kopftraumen Leute, die 
erbrechen können, sich relativ besser befinden, als die, bei denen (infolge 
leeren Magens) nur Würgebewegungen eintreten, selbst wenn diese 
nicht einmal besonders krampfhaft und qualvoll sind. Es scheint über¬ 
dies, als ob nach jedem Brechakte, dem Produkte stärkster Erregung, 
eine maximale Refiexhemmung und damit eine Herabsetzung der ge¬ 
steigerten Erregbarkeit einträte. Wenigstens ist nur so bei der See¬ 
krankheit das zeitweilige Schwinden der starken Unlustgefühle, bei 
der Gehirnerschütterung der Eintritt eines tiefen und in leichteren 
Fällen direkt Genesung bringenden Schlafes nach ein oder mehrmals 
erfolgtem Erbrechen zu erklären. Eine Reihe der bei der Gehirn¬ 
erschütterung üblichen Prozeduren richtet sich übrigens, soweit 
sie sich in der Praxis bewährt haben (Eisbeutel auf den Kopf, Rücken¬ 
lage, Frottieren des Körpers, Exzitantien) ja auch nicht gegen die 
Concussio, sondern gegen die stets zu argwöhnende gleichzeitige 
Contusio cerebri. Das Gleiche gilt von dem konformen Verfahren, 
wie es bei der Rückenmarkserschütterung üblich ist. 

Eine gewisse Reserve in den therapeutischen Massnahmen ist auch 
den chronischen Formen der Kinetose gegenüber durch¬ 
aus angebracht. Meiner Erfahrung nach ist hier, wenn auch „Aggra¬ 
vation“ häufig vorkommt, vor allem betrügerische Simulation, deren 
Möglichkeit allein schon viele vermeintliche Therapeuten zu einem ge¬ 
wissen Masse von Polypragmosvne hinreisst, weit seltener als das im 
allgemeinen angenommen wird. Dass das Vorkommen der Simulation 
bei traumatischen „Neurosen“ früher, als man mit dom Wesen dieser 
Krankheitszustände weniger vertraut war und vor allem ohne psychi¬ 
atrische Vorbildung an die Untersuchung herantrat, beträchtlich 
überschätzt worden ist, wird auch von Oppenheim betont. „Manche 
Publikation aus jener Zeit“, sagt dieser Autor, „mit der Anführung der¬ 
artiger Fälle von angeblich entlarvter Simulation wird in dieser Bezie¬ 
hung denkwürdig bleiben, indem sie uns zeigt, dass die mangelhafte 
Kenntnis der funktionellen Neurosen und Psychosen selbst hervor¬ 
ragende Aerzte zu diagnostischen Irrtümern und Fehlschlüssen verleiten 
kann“. Deshalb ist es ganz im Gegensatz zu dem hie und da auch noch 
heute zutage tretenden Uebereifer und dem einseitigen Bestreben, 
Simulanten zu entlarven, vor allen Dingen angezeigt, dem geschä¬ 
digten Organismus Zeit zur Einleitung der er¬ 
forderlichen Regulationen zu lassen nud den Ver¬ 
letzten nicht vorzeitig zur Aufnahme seiner vol¬ 
len Tätigkeit zu drängen. Damit ist nun keineswegs gesagt, 
dass der Patient bis zur Herstellung völlig untätig bleiben muss. 
In den späteren Stadien der Krankheit kann und muss er sogar 
seine Muskulatur üben. Jedenfalls scheint mir eine Hand in Hand 
mit den Aufklärungen über das Wesen des krankhaften Zustandes 
gehende Wiedererziehung zu nutzbringender Ar¬ 
beit unter ärztlicher Anleitung und Kontrolle weitaus den Vorzug 
vor der maschinellen Heilgymnastik und den oft recht sehablonen- 
mässig ordinierten Uebungen an Apparaten zu verdienen. 

Darin wird man schliesslich Mittelhäuser ganz beistimmen 
müssen, dass den primär-psychischen Erscheinungen, 


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Autoreferale und Mitteilungen aus der Praxis. 


51 «; 


so sehr sie meiner Auffassung nach, wie schon mehrfach hervorgehoben, 
nur einen Faktor unter den vielen anderen für das Zustande¬ 
kommen des psychosomatischen Symptomenkomplexes der Kinetose 
liefern, dadurch Rechnung getragen werden sollte, dass man bei ver¬ 
sicherten Unfallverletzten jede Verschleppung des Feststellungsverfah¬ 
rens vermeidet. Wenn man diese Patienten von Instanz zu Instanz 
verweist, durch immer neue Untersuchungen ihre Aufmerksamkeit 
an die krankhaften Symptome gefesselt erhält, wird man die Energie, 
denen auch der von vornherein nicht Willensschwäche bei der Bekämp¬ 
fung eines äusserst tiefgreifenden und hartnäckigen Leidens bedarf, 
vollends einschläfern. 

„Dem Arzte“, sagt Rosenbach '), „zeigt wohl keine AfTektion 
auf dem Gebiete der funktionellen Erkrankungen deutlicher, 
wie schwierig eine vernunftgemässe Therapie selbst bei einer blossen 
Störung der ausser wesentlichen d. h. intermuskulä¬ 
ren und interenergetischen Arbeit — d. h. aber funktio¬ 
nelle Erkrankung -— zu erzielen ist, wo zudem noch der ätiologische 
Faktor völlig bekannt und kein schädliches, mit übermässigen 
Kräften ausgestattetes (weil der Reproduktion fähiges) Agens in den 
Körper eingedrungen ist. Wie soll man also von Medikamenten oder 
sonstigen empirischen Massnahmen, die auf einseitigen, beschränkten 
und darum falschen Vorstellungen von der Energetik erwachsen sind, 
bei „organischen“ Krankheiten Heil erwecken, wo bereits eine 
Verschiebung des mittleren Gleichgewichtes der Leistungen und Span¬ 
nungen für wesentliche d. h. intramolekulare resp. i n - 
traenerge tische Arbeit eingetreten ist ?“ 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Zur Kasuistik der Hämophilie 

Von Dr. Oscar Adler. Vortrag gehalten in der Wissenschaftlichen Gesellschaft 
deutscher Ärzte in Böhmen am 22. März 1012. 

Der Vortragende stellt einen Fall von Hämophilie vor, der 
am 12. März d. J. auf die I. med. Klinik (Hofrat P r i b r a m) auf¬ 
genommen wurde. Der Patient suchte die Klinik auf wegen einer Blu¬ 
tung aus den Harnwegen, die 8 Tage vor der Aufnahme begonnen hatte. 
5 Tage nach Beginn der Blutung verspürte der Kranke heftige Schmer¬ 
zen in der linken Lendengegend, die jedoch bald wieder nachliessen. 
In dem rötlichen trüben Harn waren massenhaft rote Blutkörperchen 
nachweisbar. Es wurde die Diagnose renale Hämaturie auf 
hämophiler G r u n d 1 a g e gestellt. Der sonstige somatische 
Befund war ohne Belang. 

Der Fall schien in klinischer Hinsicht von Interesse einerseits wegen 
des günstigen Erfolges der eingeschlagenen Therapie und andererseits 
im Hinblick auf seine Familienanamnese. 

Der Kranke blieb zunächst durch 2 Tage ohne medikamentöse 
Behandlung, er hielt bloss absolute Bettruhe ein. Doch der Harn ent- 

’) Die Seekrankheit als Typus der Kinetosen p. 215. 


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Autoreferate um) Mitteilungen aus der Praxis 


597 


hielt andauernd Blut. Nunmehr wurde eine Lösung von Chlorealcium 
(2 g ad 200; 2 stündlich 2 Esslöffel) und ferner reichlich Gelatine in 
Form einer wohlschmeckenden Geleespeise verordnet. Daraufhin er¬ 
folgte prompt Stillstand der Blutung, und der Patient, ist seitdem 
vollkommen symptomlos und beschwerdefrei. 

Was den Stam m bau m des Mannes anlangt, so finden sich in 
demselben eine Reihe von Bluter n. 



Die Grosseltern des Patienten — über die sonst nichts in Erfahrung 
zu bringen war — hatten 8 Kinder und zwar 4 Töchter und 4 Söhne. 
(Vgl. die Skizze d. Stammbaums.) Von den Söhnen waren 2 ausgespro¬ 
chene Bluter, die eine Tochter (\nna) soll bei der Entbindung an Ver¬ 
blutung gestorben sein. Eine zweite Tochter (Franziska), die einen 
gesunden Mann geheiratet hatte, gebar 0 Kinder, darunter 5 Söhne 
und eine Tochter; 3 Söhne waren hämophil — unter diesen befindet 
sich der vorgestellte Patient —, von einer Tochter (Paula), der Schwester 
des Patienten, wird angegeben, dass sie nach einer Zahnextraktion 
3,Tage lang blutete. Sonst ist von ihr bezüglich erhöhter Neigung zu 
Blutungen nichts bekannt. Sie heiratete einen gesunden Mann. Aus 
dieser Ehe entstammen 3 Kinder, 2 Söhne (Johann und Karl) und eine 
Tochter (Grete); die beiden Söhne sind ausgesprochen hämophil, die 
Tochter bisher gesund. Der vorgestellte Patient, dessen Frau gesund 
ist, hat einen Sohn, bei dem bis jetzt eine besondere Neigung zu Blu¬ 
tungen nicht beobachtet wurde. 

Es mögen noch einige anamnestische Daten über die genannten 
Bluter erwähnt werden: Der vorgestellte Pat. (Josef) erlitt im 14. Le¬ 
bensjahre eine Schnittverletzung am linken Daumen — die 3 cm lange, 
quergestellte Narbe an der Beugeseite ist noch heute sichtbar —, danach 
bestand 12 Wochen lang Blutung. Vor 8 Jahren blutete er nach einer 
Zahnextraktion 6 Wochen lang, er war dadurch so entkräftet, dass er 
sich noch durch weitere 8 Wochen krank fühlte. Sein Bruder (Anton) 
stürzte in der Rekonvaleszenz nach einem Abdominaltyphus einmal zu 
Boden und fiel hierbei auf die linke Stirnseite auf; es bildete sich daselbst 


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Referate und Besprechungen. 


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50Ö 


eine Blutbeule, welche sich mehr und mehr vergrösserte, schliesslich 
platzte und mehrere Wochen hindurch blutete, so dass er in Lebens¬ 
gefahr kam. Der jüngste Bruder (Emil), der eben beim Militär dient 
und der sich vor kurzem einen Zahn extrahieren liess, blutete hernach 
3 W bchen lang. Aehnlich erging es dem Neffen (Karl) des demonstrierten 
Patienten, der nach einer Zahnextraktion 14 Tage lang blutete; er musste 
schliesslich in ein Sanatorium gebracht werden, wo die Blutung erst 
nach Behandlung mit dem Paquelin zum Stillstände kam. 


Referate und Besprechungen. 

Innere Medizin. 

Albest and Wendenhatt, Reactions Indueed by antityphold vaccination. (The 
american journal of the medical Sciences 1912, Nr. 2.) 

1. Die Antityphusvaccination gewährt einen wesentlichen Schutz gegen 
Typhus. 2. Die Injektion von Typhusvaccine hat in allen Fällen eine lokale, 
in einigen eine allgemeine zur Folge. 3. Wo schon Typhus vorhan¬ 
den war, ist die Reaktion stärker, als bei Leuten, die noch keinen 
Typhus hatten. 4. Die Vaccination verursacht eine wesentliche Zunahme 
der spezifischen Agglutinine, Opsonine und Bakterioeysine, sowie eine aus¬ 
gesprochene polymorphonukleare, neutrophile und mononukleare Leuko¬ 
zytose. 5. Diese ausgesprochene absolute und relative Zunahme der großen 
mononuklearen Leukozyten im peripheren Blut ist eine Leukozytenverände¬ 
rung, die dem klinischen Typhus und der Antityphusvaccination eigen ist. 
Dies legt nahe, daß diese Leukozyten etwa mit der Bildung von Anti¬ 
körpern zu tun hat. v. Schnizer-Höxter. 

Hefeebower (Port Bayard), The prognostlc venae ol the urochromogen and 
diazo reactions im pulmonary Tuberkulosis. A' preliminary repost. (The american 
journal of the medical Sciences 1912, Nr. 2.) 

Die Diazoreaktion nimmt Verfasser vor wie folgt: zu 3 ccm filtrierten 
Urins wird gleichviel gegeben einer Flüssigkeit die enthält 50 Teile einer 
Lösung A zu 1 Teil einer Lösung B. Lösung A: Sulphanilsäure 1 Teil, 
5 % HCl-Lösung 500 Teile. Lösung B: Natriumnitrit 2,5 Teile, Aq. dest. 
500 Teile, nach starkem Schütteln 1,5 Ammoniak zu. Die Farbe des Am¬ 
moniakrings am Kontakt geht von Eosin bis zum tiefen Granat und ist 
intensiver als die Farbe der geschüttelten Mixtur oder des Schaums. 

Urochromogenreaktion: 3 Tropfen einer 1 o/ 0 Kalipermanganatlösung zu 
1 ccm Urin, verdünnt mit 2 ccm aq. dest. gibt, falls Urochromogori 
vorhanden ist, eine gelbe Farbe. Die Probe ist nur positiv, w T enn die 
Lösung klar bleibt. Kontrollröhrchen mit Urin zur Unterscheidung feinerer 
Farbennuancen. 

Verfasser hat nun folgendes festgestellt: 1. Die Häufigkeit und Kon¬ 
stanz des Auftretens der Diazo- und Urochromogenreaktionen im Urin von 
Lungentuberkulosen ist ein Zeichen, daß der Zustand ernst ist. Konstantes 
negatives Ergebnis zeigt eine Neigung des Falles zum Bessern; konstantes 
positives Ergebnis zum Schlechtem. 2. Die Urochromogenprobe tritt häufiger 
auf und ist konstanter als die Diazoreaktion, und ist deshalb ein besserer 
Index. Beide Proben sind infolgedessen ein äußerst wichtiges prognosti¬ 
sches Zeichen. v. Schnizer-Höxter. 

Dale (Bristol-St. Paul), Mediastinal Tumors. (The St. Paul Medical journal 
1912, Nr. 2.) 

Im Mediastinum kommen primäre und sekundäre, weiterhin maligne 
und benigne Tumoren vor, und zwar in erster Linie meist Karzinome und 
Sarkome, selten Teratome vor. Benigne primäre: Lymphome, Dermoid-Hvda- 
tiden-Zysten, Fibrome, Myome, einfache Zysten, Teratome, Lipome, Chon¬ 
drome, Osteochondrome. Benigne sekundäre: vergrößerte Lymphknoten bei 



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Referate und Besprechungen. 


599- 


Leukämie und Isodykinscher Krankheit und Reiz unter Entzündungserschei¬ 
nungen Gummata. Sarkom kommt in jedem Alter vor, Karzinom meist im 
späteren Leben, Dermoidzysten und Teratome meist bei Personen unter 
30 Jahren. Durchschnittlich wird die Mehrzahl aller Mediastinaltumoren 
zwischen 30—40 Jahren gefunden, und zwar bei Männern häufiger als 
bei Frauen. Symptome: gewöhnlich ganz allmählich, nur selten plötzlich 
einsetzend, allgemein: Gewichts- und Appetitverlust, Mattigkeit, nament¬ 
lich bei malignen Formen, manchmal mit leichtem Fieber. Spezial¬ 
symptome äußern sich in Druckerscheinungen, Obstruktion, Reizung oder 
Lähmung. Am wichtigsten und häufigsten: Dyspnoe, substernale Schmerzen 
mit Oppressionsgefühl, Husten, Heiserkeit oder komplette Aphonie, Zyanose, 
nicht immer Schluckbeschwerden. 

Inspektion: in vorgeschrittenen Fällen Schwellung in der Sternalregion, 
selbst mit Perforation des Sternum an den Rippenansätzen. Manchmal aus¬ 
gesprochene lokale Pulsation wie beim Aortenaneurysma, während der dabei 
beobachtete diastolische Shok fehlt. Fremitus gewöhnlich nicht oder ver¬ 
mindert. Dämpfung oder Abschwächung über dem Tumor, die aber keines¬ 
wegs der Größe des Tumors entspricht, wegen seiner Entfernung von der 
ßrustwand. Stimm- und Atemgeräusch über dem Tumor abgeschwächt oder 
negativ. Ausgesprochenes bestimmtes Geräusch über dem Tumor oder über 
der ganzen Brust, in einigen Fällen ein lautes systolisches Geräusch 
vorn über der Brust oder hinten über der Wirbelsäule. 

Die Diagnose ist oft schwer. v. Schnizer-Höxter. 

Hauser (Karlsruhe', Beitrag zur Antimeristem-Behandlung von Karzinomen. 
(Med. Klinik 1912, Nr. 36.) 

H. teilt die Beobachtungen mit, die mit der Antimeristembehandlung 
in 5 Fällen von verschiedenen Karzinomen gemacht wurden. Es handelt 
sich dabei nur um solche Fälle, in denen die „Kur“ vorschriftsmäßig durch¬ 
geführt werden, und die Anwendung des Mittels (Cancroidin-Schmidt) eine 
sehr lange Zeit konsequent erfolgen konnte. Das aus den gemachten Er¬ 
fahrungen gezogene Resume lautet dahin, daß das Antimeristem als ein 
wirksames Mittel zur Bekämpfung bösartiger Neubildungen nicht angesehen 
werden könne. R. Stüve-Osnabrück. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Zangemeister (Marburg). Zur Frage der Wundinfektion. (Münchner med. 
Wochenschr. 1912, p. 3.) 

Der auf dem Gebiete der Wundinfektion hochverdiente Autor präzi- 
seirt von neuem seinen Standpunkt in der Frage der Selbstinfektion. Er 
stellt in den Vordergrund seiner Betrachtungen die Frage, wodurch die 
Wundinfektionen zur Hauptsache entstehen und macht eine Reihe von Fak¬ 
toren dafür verantwortlich. 1. Infektiöse Keime, die gelegentlich schon 
am Orte der Operation vorhanden sind. 2. Frische Wunden, welche bei 
geringer Oberfläche eine gewisse Tiefe haben. 3. Solche Vorgänge, welche 
die Einpflanzung vorhandener Keime in die Tiefe der Wunde mit sich 
bringen. Diese Inokulation kommt gelegentlich durch Stauung infektiöser 
Sekrete zustande. 

Für die Prophylaxe der Wundinfektionen, speziell des Kindbettfiebers, 
ergibt sich, daß wir nicht nur das Einbringen von Infektionskeimen aus 
notorischen Infektionsherden und den Händen verhüten müssen, sondern 
daß auch Hautkeime und die endogenen Keime der Scheide oder des 
Darmkanals gefährliche Feinde sein können. Ferner müssen wir nächst 
Vermeidung frischer Wunden darauf bedacht sein, vorhandene Infektions¬ 
keime nicht zu inokulieren. Frankenstein-Cöln. 

Riibsamen, W. (Bern), Zur Technik der Intravenösen Infusion. (Münchner 
med. Wochenschr. 1911, p. 2614.) 

R. beschreibt einen von ihm konstruierten Apparat, welcher eine gleich¬ 
mäßige Temperatur der Infusionsflüssigkeit garantieren und die Gefahr der 
Luftembolie verringern soll. Die Beschreibung muß im Original nachge- 


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600 


Referate und Besprechungen. 


lesen werden. Rif. möchte aber nicht unerwähnt lassen, daß es ihm nicht 
unbedenklich erscheint, an und für sich technisch einfache Encheiresen 
durch komplizierte Apparate zu erschweren. Wer häufig intravenöse In¬ 
fusionen gemacht hat, ruft bedenklich nach der Lektüre dieses Aufsatzes 
aus „tant de bruit pour une omelette“. Frankenstein-Cöln. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

llertf, V. (Hasel), Operationskastration oder Jtöntgenkastration. (Münchner 
med. Wochenschr. 1912, p. 1.) 

In den letzten zwei Jahren ist soviel über die Röntgenbehandlung der 
Myome geschrieben worden, daß es dem Ref. ordentlich wohltut, wenn 
von autoritativer Seite endlich einmal versucht wird, die operative Myom¬ 
behandlung gegen die Röntgenbehandlung sine Studio et ira abzuwägen. 
Zum ersten Male spricht H. das aus, was schon lange von manchem 
Gynäkologen gefühlt worden ist, daß nämlich die Erfolge der Röntgenbe¬ 
handlung der Myome wohl hauptsächlich ihrer Kastrationswirkung zuzu¬ 
schreiben ist. Aus diesem Grunde ist die Überschrift vorzüglich gewählt. 

Bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen findet er, daß die Sicher¬ 
heit eines objektiven Heilerfolges bei der Operationskastration größer ist, 
als bei der Röntgenkastration. Demnach wird letztere stets geringere funk¬ 
tionelle Erfolge erzielen, als jene. Es ist zwar möglich, daß die Ausfalls¬ 
erscheinungen nach Röntgenkastration milder und von geringerer Dauer 
sind, als die nach Operationskastration. Ebenso ist ein unbezweifelbarer 
Vorzug des ersten Verfahrens der Wegfall eines operativen Eingriffes mit 
seiner allerdings sehr geringen Sterblichkeit. In bezug auf Kürze und 
Kostspieligkeit steht sie aber bei wenig sicheren Enderfolgen der Opera¬ 
tionskastration weit nach. Gegenwärtig ist die Röntgenkastration mit ihren 
unmittelbaren Behandlungsschädigungen und ihren möglichen späteren Dauer- 
rchädigungen erheblich stärker belastet; auch ist ihre Anwendungsbreite 
weniger ausgedehnt. Endlich lassen sich die Bedenken, die seinerzeit zum 
Fallenlassen der Operationskastration geführt haben, in gleichem, wenn 
nicht in erhöhtem Maße gegen die Röntgenkastration Vorbringen. 

Zum Schlüsse soll nochmals hervorgehoben werden, daß H. hier nicht 
etwa die operative Myombehandlung mit dem Röntgenverfahren ver¬ 
gleicht, denn dann würde letzteres noch viel schlechter abschneiden. Er 
geht lediglich von dem klaren Gedanken aus, das wir durch die Einfüh¬ 
rung der Röntgenstrahlen in die Myombehandlung zu dem alten Kastra¬ 
tionsverfahren zurückgekommen sind, in neuer Form. Im Prinzip bedeutet 
also diese neue Errungenschaft keinen Fortschritt. 

Frankenstein-Cöln. 

Neu, M. und Wolff (Heidelberg), Experimentelles und Anatomisches zur 
Frage des sogenannten Myomherzens. (Münchner med. Wochenschr. 1912, p. 72.) 

Die anatomischen Untersuchungen der beiden Autoren erweisen zur 
Evidenz, daß mit dem Ausdruck „Myomherzen“ endgültig aufgeräumt wer¬ 
den muß. Die makroskopische Untersuchung von 10 und die mikroskopische 
Untersuchung von 6 sogenannten Myomherzen ergab nämlich keinen Be¬ 
fund, der einigermaßen charakteristisch gewesen wäre. Sie fanden ledig¬ 
lich Herzen, die durch Blutungen verfettet oder als Tumorfolge braun 
atrophiert waren. Sie schließen, daß man schon heute an Stelle des Myom¬ 
herzens den Ausdruck „Anämie- bezw. Geschwulstkonsumptionsherz“ bei Myom 
setzen kann. 

Die biologischen Versuche des einen Autors über den Jodstoffwechsel 
bei Myom haben leider zu dieser Frage nichts Ausschlaggebendes gebracht. 
Interessant ist lediglich der Nachweis, daß das Myomgewebe sich nach 
exogener Einverleibung an der Jodbindung stark beteiligt und das 
Myomovar zirkulierendes Jod zu binden vermag. Für den endogenen 
Jodstoffwechsel hat diese Feststellung keine Bedeutung. 

Frankenstein-Cöln. 


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Referate lind Besprechungen 


601 


Neu, Maximilian und Kreis, Philipp (Heidelberg), Beitrag zur Methodik der 
Bestimmung der ßlutger.nnungsfähigkeit nebst Mitteilungen über die Gerinnungs¬ 
fähigkeit des Blutes während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. (Münch, 
med. chi. 1911,.2 oohWe.p4 41s 

Die Ausführungen über nie von den Autoren angewandte Methodik 
muß im Original nachgelesen werden. Wesentlich sind ihre Resultate. Sie 
fanden nämlich, daß eine wesentliche Abänderung der Gerinnbarkeit des 
Blutes in der Gestationsperiode des Weibes nicht besteht. Dadurch wird 
die bisher gültige Lehre, daß dem allgemeinen Verhalten der Gerinnungs¬ 
fähigkeit des Blutes eine Bedeutung bei der postpartalen Blutstillung nor- 
maliter nicht zukommt, bestätigt. Frankenstein-Cöln. 

Ahlström, Erik, Beitrag zur Kenntnis der Hämatome der Vulva, der Vagina 
und des subserösen Bindegewebes bei Schwangerschaft, Entbindung und Puerperium. 
(Nord. Med. Arkiv 1911, Afd. I. Nr. 3 J.) 

In dieser gründlichen Studie ist alles Wissenswerte aus der Literatur 
sorgfältig zusammengetragen und 14 neue Fälle werden mitgeteilt. Prak¬ 
tisch wichtiger als die subserösen, infrafaszialen Hämatome sind di? ä u ß e - 
ren suprafasziaien Hämatome, die teils in den großen Labien, teils 
seitlich der Vagina sitzen. Die ersteren werden wegen ihrer Symptomlosig- 
keit meist übersehen, es sei denn, daß sie wegen enormer Größe Schmerzen 
und Anämie verursachen. Die Therapie soll anfänglich, wo möglich, 
abwartend sein. Denn einmal kann bei kleineren Hämatomen völlige Resorp¬ 
tion erfolgen, andererseits kann eine sehr bald nach Entstehung des Häma¬ 
toms gemachte Inzision von einer starken Blutung gefolgt sein, die schwer 
oder gar nicht zu stillen ist. Beim Abwarten grenzt sich auch von selbst 
die Höhle besser ab und ist dann nicht so leicht infizier bar. Nur bei stetig 
zunehmender Größe und drohender Ruptur muß man sich zu baldiger 
Inzision entschließen, ebenso bei eintretender akuter Anämie. Wenn es 
sich in letzterem Fall um ein subperitoneales Hämatom handelt, muß man 
laparotomieren und die blutenden Stellen nach allgemein chirurgischen Grund¬ 
sätzen versorgen. Bei Inzision äußerer Hämatome ist die Entscheidung, 
ob nachfolgende Tamponade oder nicht, von Fall zu Fall zu treffen. Im 
allgemeinen rät aber A. auch bei den äußeren postpartalen Hämatomen 
zum Abwarten, event. unter leichtem aseptischen Druckverband, mit genauer 
Überwachung quoad Anämie und Infektion. Dagegen erfordern die seltneren 
während der Entbindung auftretenden Hämatome öfter Inzision und 
Zange. — Die Prognose der Hämatome hat sich im aseptischen Zeitalter 
wesentlich gebessert, von den 14 Fällen A.’s starb keiner. In der Literatur 
werden etwa 10 o/o Mortalität angegeben. R. Klien-Leipzig. 

Fromme F. (Berlin), Die Bewertung und die Behandlung des fieberhaften 
Abortes. (Monatsschr. für Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 663.) 

Winter hat auf die Gefahren der aktiven Abortbehandlung hinge¬ 
wiesen in den Fällen, bei welchen es sich um alleinige Anwesenheit hämo¬ 
lytischer Streptokokken handelt. Auf Grund dieser Ausführungen suchte 
man zu immer präziserer Indikationsstellung zu gelangen, so daß man 
als moderner Arzt eigentlich bei jedem Abort nicht nur den Uterusinhalt, 
sondern auch das Blut täglich bakteriologisch kontrollieren müßte. Das führt 
natürlich zu weit, ist aber nach Fr.’s Ausführungen auch gar nicht nötig. 
Die kritische Betrachtung der diesbezüglichen Literatur führt den Verfasser 
zu der strikten Forderung, Plazentarreste, welche einer saprophytären Zer¬ 
setzung anheimgefallen sind, so rasch als möglich zu entfernen. Die Frage 
ist nur die, ob wir nicht bei Anwesenheit von virulenten Streptokokken 
den gleichen Standpunkt einnehmen sollen. Fr. bejaht diese Frage unbe¬ 
dingt. Er meint, daß der so häufige positive bakteriologische Blutbefund 
bei Verhaltung sich zersetzender Plazentarreste dazu drängt, den Bakterien¬ 
herd unbedingt zu beseitigen. Er glaubt bestimmt, daß in diesen Fällen 
das Abwarten den eventuellen Ausgang auch nicht aufhalten kann. 

Frankenstein-Cöln. 


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•602 


Referate und Besprechungen. 


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Forrsner, Hjalmar, Zur Behandlung der extrauterinen Schwangerschaft 

(Nord. Med. Arkiv 1911. Afd. I, Nr. 34.) 

Während alle Autoren darin übereinstimmen, daß die Extrauterin¬ 
schwangerschaften der späteren Monate — F. rechnet hierzu die jenseits 
des zweiten Monats — sowie die Fälle von fortbestehender Schwanger¬ 
schaft auch der ersten Monate sofort zu operieren sind, herrscht noch 
keine Übereinstimmung für alle übrigen Fälle. — F. teilt zunächst eine 
reiche Kasuistik kurz mit und geht dann auf die Fälle mit freiem 
Bluterguß in die Bauchhöhle ein. Er widerspricht dem neuerdings von 
einigen holländischen und amerikanischen Autoren vertretenen Standpunkt, 
die Erholung vom „Schock“ abzuwarten, er will in diesen Fällen so bald 
als möglich laparatomieren. Wenn auch die Verblutungsgefahr nicht so 
groß sei, wie meist angenommen werde, so bestehe sie doch in einem 
kleinen Prozentsatz tatsächlich und gerade diese Fälle könnten eben durch 
nichts anderes gerettet werden, als durch sofortige Operation. Sie sind 
nicht im voraus richtig zu erkennen. — F. betont dann den Unterschied 
zwischen echtem, auf der Peritonealreizung beruhenden Bauchschock, der 
an sich rasch vorübergehe, der aber bei fortbestehender Blutung zunehme; 
allerdings habe man es dann streng genommen nicht mehr mit Schock, 
sondern mit den Symptomen der akuten schweren Anämie zu tun. — 
In diesen Fällen müsse man eben baldigst operieren, denn man könne nie 
wissen, cb die Kranke ohne die sofortige Operation sich erholen würde 
oder ob sie der fortbestehenden oder von neuem einsetzenden Blutung er¬ 
liegen wird. Erfahrungsgemäß heilten die Mehrzahl dieser Fälle, wenn sie 
operiert worden sind. Auch machten sie meist eine bessere Rekonvaleszenz 
durch. Vereinzelte Mißerfolge werde und müsse es bei jedem Verfahren 
geben. - Für die H ä m a t o z e 1 e gibt F. zu, daß die inividualisierende 
Methode ebenso gute Resultate gäbe, wie die prinzipiell operierende. Da aber 
vermutlich die späteren Konzeptionschancen nach Operation bessere seien, 
als nach expektativer Behandlung, so zieht F. persönlich auch für die 
Hämatozele die Operation vor. R. Klien-Leipzig. 

Hintmtoisser, Hermann (Teeehen), Traumatische Utcrusruptur In der 
Schwangerschaft. (Monatsschr. f. Geb. u. Gyn., Bd. 34, p. 652.) 

Beschreibung eines sehr interessanten Falles, wo die Ruptur durch 
Tritte auf den Bauch entstanden war. Die Laparatomie wurde erst 5 Monate 
nach dem Eintritt der Ruptur vorgenommen. Im Anschlüsse daran um¬ 
fassende Literaturübersicht über diesbezügliche Fälle. Demnach ist die trau¬ 
matische Zerreißung der Gebärmutter während der Schwangerschaft relativ 
selten; sie kann herbeigeführt werden durch direkte (Schlag oder Stoß 
auf den Leib) oder indirekte Gewalteinwirkung (Sprung, Sturz auf die 
Beine oder das Gesäß). Für das Zustandekommen der Ruptur muß man 
wohl den plötzlich hochgradig gesteigerten Inhaltsdruck als ausschlaggeben¬ 
des Moment ansehen. Meistens handelt es sich um einen Längsriß der 
Vorderwand des Fundus uteri. Die Prognose ist nicht immer schlecht. 
Die Therapie stets operativ. Frankenstein-Cöln. 

Weinmaim, S. (Mainz), Zur Schmerzlinderung normaler Geburten. (Münchn. 
med. Wochenschr. 1911, p. 2666.) 

Verf. bespricht ausführlich die zur Zeit gebräuchlichen Schmerzlinde¬ 
rungsmethoden bei normalen Geburten. Zunächst die Chloroformnarkose ä la 
reine, welche in der Austreibungszeit vorzügliche Dienste leistet. Man be¬ 
ginnt damit beim Auftreten der Schüttelwehen, gibt während der Wehe 
10—15 Tropfen Chloroform auf die Maske und erzielt so einen Halbschlaf, 
d. h. einen Zustand leichter Benommenheit. Die Lumbalanästhesie in der 
Geburtshilfe wird von der Verf. abgelehnt, ebenso die Sakralmethode von 
C a t h e 1 i n und die Aspirindarreichung nach C h i d i c h i no. Ebenso wird 
die Morphium-Skopolamin-Narkose nach Gauß kritisch unter die Lupe ge¬ 
nommen, deren Nachteile gebührend hervorgehoben und mit Recht ihre 
Anwendung auf die klinische Geburtshilfe beschränkt. Gute Erfolge 
an 40 Fällen wird der Pantoponinjektion in der Eröffnungsperiode nachge¬ 
rühmt, die event. durch Skopolaminbeigabe erhöht werden kann. Als Rösume 



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Referate und Besprechungen. 


603 


•der Arbeit zeigt sich, daß zur Anästhesierung in der Eröffnungsperiode 
das Pantopon, in der Austreibungsperiode die Chloroformnarkose ä la reine 
zu empfehlen sind. Frankenstein-Cöln. 

Esch, P. (Marburg), Ist die Geburt als ein anaphylaktischer Vorgang aufzu¬ 
lassen f — Biologische Untersuchungen. (Mönch, med. Wochenschr. 1912, p. 69.) 

Die Auffassung der Geburt als eines anaphylaktischen Vorganges ist 
durch die Parabioseversuche von Sauerbruch und H e y d e wahrschein¬ 
lich gemacht, durch die Injektionsversuche von von der Heide wesent¬ 
lich gestützt worden. E. unterzieht nun die Versuche des letzteren Autors 
einer eingehenden Kritik und kommt zu dem Schlüsse, daß sie durchaus 
nicht beweisend sind. Er prüfte diese Verhältnisse in der Weise nach, 
daß er die Überempfindlichkeit der graviden Frau gegen fötales Serum 
durch intrakutane Injektion nachweisen wollte. Dies mißlang ihm, obwohl 
die Reaktion bei Pferdeserum unter entsprechenden Verhältnissen niemals 
im Stiche ließ. Er schließt deshalb, daß die kutane Überempfindlichkeit 
vorhanden sein müßte, wenn die Geburt ein anaphylaktischer Vorgang 
wäre. Jedenfalls kommt der intrakutanen Methode zum Nachweis einer 
Serumüberempfindlichkeit in einer Anzahl von Fällen eine praktische Be¬ 
deutung zu. Ebenso spricht die relativ geringe Harntoxizität gegen die 
Vorstellung, daß die Geburt als ein anaphylaktischer Vorgang aufzufassen ist. 

Frankenstein-Cöln. 

Hannes, Walther (Breslau), Zu Pathologie und Therapie des Nabelsehnur- 
bruehes. (Münchner med. Wochenschr. 1912, p. 2664.) 

A. beschreibt einen diesbezüglichen Fall, welcher durch Operation in 
12 Stunden post partum geheilt wurde, oder besser gesagt, gerettet wurde, 
da die Kinder mit Nabel s c h n u rbruch aus physiologischen Gründen in der 
ersten Lebenswoche ohne Operation zu Grunde gehen. Die Bemerkungen 
H.’s über die Ätiologie des Nabelschnurbruches enthalten nichts Neues. Lehr¬ 
reich ist der Nachweis, daß von 5 derartigen Fällen der Küstnerschen 
Klinik 4 durch Operation geheilt sind, darunter einer, bei dem die mit 
vorgefallene Leber reseziert werden mußte. Frankenstein-Cöln. 

Falke, W. und Fleming, G. B. (Wien), Über die Wirkung des Adrenalins 
und Pituitrins auf den überlebenden Kanincheniiterus und über die Verwertbar¬ 
keit der Uterusmethode für den Adrenalinnachweis im Serum. (Münchner med. 
Wochenschr. 1911, p. 2649.) 

Die äußerst interessanten Versuche der Autoren beweisen, daß diese 
Methode für den Adrenalinnachweis im Blute ungeeignet ist. Sie fanden 
nämlich, daß das Blutserum immer einen tonisierenden Einfluß auf den 
Kaninchenuterus hat, während Adrenalin im gleichen Falle hemmend wirken 
kann. Ferner zeigte sich, daß die Wirkung hochgradig verdünnten Serums 
so stark sein kann, daß sie den wahrscheinlichen Adrenalingehalt weit 
übertrifft. Endlich ließ sich nach subkutaner Adrenalininjektion zwar 
im arteriellen, aber nicht im venösen Blute Adrenalin nachweisen. 
Die Versuche mit Pituitrin gewinnen für den Geburtshelfer an Interesse 
dadurch, daß sie zeigen, daß das Pituitrin am nicht graviden Kaninchen¬ 
uterus ganz anders wirkt, als am schwangeren Organ, nämlich kontraktions¬ 
hemmend. Frankenstein-Cöln. 

Hell, L. (Basel), Über die Anwendung von Pituitrin bei Abort. (Münchner 
med. Wochenschr. 1911, p. 2657.) 

II. prüfte das Pituitrin an 27 Fällen des Frauenspitals Basel (Stadt) 
und fand, daß seine Wirkungen entsprechend der geringeren Reizbarkeit 
des Uterus in den ersten Schwangerschaftsmonaten viel schlechter seien, 
als bei der Anwendung am normalen Geburtstermine. H. erlebte 22 glatte 
Versager und nur in 5 Fällen scheint das Pituitrin den spontanen Verlauf 
des Aborts begünstigt oder verursacht zu haben. Frankenstein-Cöln. 


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004 


Referate und Besprechungen. 


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Psychiatrie und Neurologie. 

Baycrthal (Worms), Uber den gegenwärtigen Stand der Frage nach den Be¬ 
ziehungen zwischen Hirngrösse und Intelligenz. (D. Ztschr. f. Nervenheilkunde, 
43. Bd.) 

Nach einem Überblick über die Meinungsverschiedenheiten bezüglich 
der Abhängigkeit der Intelligenz von der Hirngröße, die im wesentlichen 
die gleichen sind, wie sie wiederholt im Laufe des vorigen Jahrhunderts 
im Anschluß an die Lehre G a 11 s geäußert worden sind, bespricht Vor¬ 
tragender die Beziehungen zwischen Kopfumfang und Intelligenz 
(Urteilsfähigkeit) im schulpflichtigen Alter, soweit sie für die in 
Rede stehende Frage von Bedeutung sind. Dieselben lassen sich, wie folgt, 
zusammenfassen: 

1. Bei jedem Kopfumfang — mit Ausnahme der größten und kleinsten 
Maße -- finden sich alle Grade intellektueller Begabung vertreten. 

2. Innerhalb dieser Breite nimmt der Prozentsatz der intellektuell sehr 
gut befähigten und über dem Durchschnitt stehenden Schüler mit wachsen¬ 
dem Kopfumfang zu, während der Prozentsatz der unterdurchschnittlich 
Befähigten ein umgekehrtes Verhalten zeigt, so daß die Zahl der Be¬ 
gabten bei den über dem mittleren Kopf um fang stehenden Maßen 
erheblich größer ist als bei den unter ihm stehenden. 

3. Bei den größten Kopfumfiingen findet sich gewöhnlich nicht die 
beste Begabung. 

4. Unterhalb eines Kopfumfanges von 48 bezp. 47 cm bei 7 jähr., 
49*/s bezw. 48 1 2 cm bei lOjälir. und 50'/ 2 bezw. 49*/ s cm bei 14 jähr. Schul¬ 
kindern läßt sich eine wesentlich über dem Durchschnitt stehende intellektuelle 
Leistungsfähigkeit mit Sicherheit ausschließen. 

5. Bei gleichem Alter und Geschlecht ist der kleinste Kopfum¬ 
fang der Bestbegabten größer als der der übrigen über dem Durchschnitt 
stehenden Schüler. Unterhalb einer bestimmten Grenze (49 bezw. 48 cm bei 
14 jähr. Schulkindern) ist ausschließlich unterdurchschnittliche Intelligenz 
vertreten. Die untere Grenze des Kopfumfanges rückt dem¬ 
nach hinauf in dem Maße als die Geisteskräfte wachsen. 

6. In allen Normalklassen von genügender Stärke ist der durchschnitt¬ 
liche Kopfumfang der bestbegabten oder intellektuell über dem Durch¬ 
schnitt stehenden Schüler stets größer als der der Schüler mit durchschnitt¬ 
licher Befähigung. 

Die vorstehenden Sätze, von deren ausnahmslosen Gültigkeit sich Vor¬ 
tragender seit 1905 durch alljährlich wiederholte Untersuchungen in den 
Wormser Volksschulen überzeugen konnte, stimmen mit dem in der Literatur 
niedergelegten Beobachtungsmaterial überein oder widersprechen ihm wenig¬ 
stens nicht, wenn man es kritisch verwertet. (Ausführliche Veröffent¬ 
lichung im Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie.) 

Carincola, Sulla natura dl fenomenl dl eccltainento del midollo spinale in 
seguito all’ asflssia cd allu azione della temperatura elevata. (Archivio di fisio- 
logia 1912, Bd. X, Fase. II, S. 114.) 

Die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit sind folgende: 

1. Das Phänomen der Erregung der Medulla spinalis ist bei Tauben, 
die während einer genügend langen Zeit einer erhöhten Temperatur aus¬ 
gesetzt werden. Die Zeit ist die nämliche, wie sie benötigt wird, um bei 
Tauben eine akute Asphyxie hervorzurufen. 

2. Die Erhöhung der Temperatur löst wahrscheinlich im Tierexperi¬ 

ment einen Zustand der Asphyxie aus. Daraus ergibt sich, daß man das 
Phänomen der Erregung, das man dabei beobachtet, als Asphyxie zu deuten 
hat. K. Boas. 

üufourinentel et Yillette, Tuincur d’origlne ni6ninig6 agant d^itermine 
presque uniquement des symptomes oculaires. (Bullet, et memoires de la 
Sociötö anatomiquo de Paris 1911, Nr. 3.) 

Das einzige Symptom des Tumors intra vitam war die Stauungspapille. 
Lumbalpunktion negativ. Sonst war weiter nichts zu konstatieren. Es wurde 


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Referate- und Besprechungen. 


605 


•eine druckentlastende Operation vorgenommen, die der Patient jedoch nicht 
überlebte. Bei der Sektion fand sich ein mandarinengroßer Tumor des 
linken Stirnlappens, der auch auf die Falx cerebri übergegriffen war. Die 
nähere mikroskopische Untersuchung ergab ein Endotheliom, das wahr¬ 
scheinlich von der Pia mater abstammte. Die Stauungspapille kommt in 
75 «n aller Hirntumoren vor, daneben auch bei Syphilis, Tuberkulose, 
M-eningitis und Nephritis. Außerdem erlaubt das Vorhandensein einer 
Stauungspapille keine genauere Lokalisationsdiagnose. K. Boas. 

Marcliand, L. et N'ouet, H., Tubercule de la protubdranee. (Bullet, 
■et mdmoires de la Soci6t£ anatomique de .Paris 1911, Nr. 3.) 

Der Patient bot klinisch die Erscheinungen einer rechtsseitigen Hemi¬ 
plegie und dysarthrische Störungen dar. Bei der Sektion des Gehirns fand 
sich ein umfangreiches Tuberkel mitten in der Protuberanz, der sich zunächst 
entwickelt hat, ohne Symptome zu machen. Der histologische Befund spricht 
für das langsame Wachstum des Tumors. Die Läsion der rechten vorderen 
Pyramide und die Atrophie der Zellkerne des N. hvpöglossus erklären die von 
dem Patienten dargebotene rechtsseitige Hemiplegie und die Dysarthrie-. 

K. Boas. 

Mayor, Cblor&hylmorphine et isoprophylniorphin e ToxicitE des d^rivfes de 
la morphine. (Bullet, de l’Academie de m6d. 1912, Nr. 6.) 

Man kann auf experimentellem Wege am Tiere den Grad der Toxizität 
eines Morphiumpräparates beim Menschen bestimmen. Man braucht dazu 
lediglich das Verhalten des Blutdruckes und der Atmung zu bestimmen. 
Verfasser hat sich dieses Verfahrens zur Prüfung zweier neuer Morphium¬ 
präparate (Chloräthyl — und Isopropylmorphin) bedient. Eis zeigte sich 
keine Schädigung des Atemrythmus. Im übrigen haben sich nach den bis¬ 
herigen klinischen Erfahrungen beide Präparate als Sedativa und Hypnotika 
recht gut bewährt. K. Boas. 

Sicard, Extension eontinu du gros orteil, slgrne de r^aetion physique. (La 
•Clinique 1911, 17. November.) 

Verfasser weist auf die permanente Extension der großen Zehe bei 
zahlreichen Hemiplegikern vom Anfangsstadium des apoplektischen Insults 
an und im Stadium der Kontraktur hin. K. Boas. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung 

Buhräh (Baltimore), Treatment ol nocturnae euuresis in Children. (The 
American journal of the medical Sciences 1912, Nr. 2.) 

Enuresis ist ein Symptom. 

Ursachen: 

a) physiologische: Aufnahme von zuviel Flüssigkeit; 

b) eliminative: Folge eines falschen Stoffwechsels, von Aufnahme von 
zu viel Salz oder Folge von Arzneien; 

c) Urin: Hyperazidität, Alkalinität, Bakteriurie; 

d) Genitourinaeorgane: Entzündungen (Urethritis, Zystitis, Pyelitis); Mi߬ 
bildungen, Calculi, Tumoren oder Polypen, Hypertrophie; 

e) Nervensystem: Hypertonie oder Reizbarkeit der Blase, Schwäche 
des Sphinkters, Reflexe (Balanitis (Phimose), Vulvovaginitis, Anal¬ 
fissur, Rektalpolypen, intestinale Parasiten [Oxyuren]); Mißbildung 
geringe Entwicklung der Chorda spinalis, allgemeine Reizbarkeit. 

f) Allgemeine Ursachen: Diabetes mellitus oder insipidus, Rhachitis. 
Insuffizienz der Thyreoidea (hier ist das Levi-Rothschildsche Augen¬ 
brauenzeichen zu erwähnen: Schwächerwerden der Augenbrauen im 
äußeren Drittel, oder gänzliches Fehlen derselben, was allerdings 
gelegentlich auch bei Leuten mit normaler Thyroidea vorkommt). 


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«0« 


Referate und Besprechungen. 


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Oft ist das Leiden ein Begleitsymptom von Epilepsie. Fernerhin neigen- 
nicht selten Kinder mit Adenoiden dazu, ebenso Kinder mit Unterentwick¬ 
lung, unternormalem Gewicht. Solche zeigen häufig ständig Untertempera¬ 
turen und die sogenannten kalten „abgestorbenen“ Finger selbst im Sommer. 

Entsprechend dieser Aufstellung besteht die Behandlung im folgenden. 
Restriktion von Flüssigkeiten, Diät. Schutz vor Kälte, ruhige Lebensweise, 
entsprechende Lage im Bett, Wecken des Kindes um die Blase zu leeferi: 
Suggestion, nicht zu urinieren, oder im Schlafe zu rufen, wenn das Bedürf¬ 
nis kommt, moralische Hygiene bei faulen Kindern. Dann Reflexreizungen: 
Einlegen eines Katheters oder einer Sonde, galvanischer oder faradischer 
Strom, Galvanokaustik, Injektionen von Silbernitrat- oder normalen Salz¬ 
lösungen, epklurale, retrorektale, perineale Injektionen. Arzneimittel: Atropin¬ 
sulfat, Strychninsulfat, Bromide, Ergotin, Hexamethylenamin, getrocknete 
Thyrioidea. Gerade von letzterer werden rapide Erfolge berichtet, nament¬ 
lich bei Kindern mit Mandelvergrößerung und Adenoiden und bei unent¬ 
wickelten Kindern, deren Gewicht und Entwicklung rapide Fortschritte machte. 
Aufhören der Enuresis schon nach wenigen Gaben. Gluouville hat zwei 
Metallplatten, die mit Flanell bedeckt waren, ins Bett gelegt. Ihre Ver¬ 
bindung mit einer Batterie läßt im Falle sie naß werden die Klingel er¬ 
tönen und gibt einen elektrischen Schlag. Verfasser hat auch sehr gute 
Erfolge mit Atropin beobachtet. v. Schnizer-Höxter. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Gaucher (Paris), Neue Todesfälle durch Salvarsan. (Bullet. möd. 1912, 
Nr. 11, S. 126.) 

Mit Eifer sammelt Prof. Gaucher alle Schädigungen, welche dem 
Salvarsan aufs Konto zu setzen sind. So fügt er den 4 Todesfällen, welche 
zuletzt von Milian, Queyrat, Rouget und Ba 1 zer mitgeteilt wor¬ 
den sind, noch 3 weitere an, welche 2 Männer von 24 bezw. 53( und eine 
Frau von 25 Jahren betrafen. Der Tod trat ziemlich! plötzlich am 3., 6. und 
12. Tag ein. Da es den betreffenden Patienten vorher ganz gut ergangen 
war, so drängt sich der Schluß: post hoc, ergo propter hoc auf. 

Die erste Silbe im Wort Salvarsan scheint somit zum mindesten noch 
fraglich zu sein. Buttersack-Berlin. 

Schwenk, Arthur, Zur Behandlung der Cystltls mit Diplosal. (Dermatologe 
Wochenschr. 1912, Nr. 3). 

Mit Diplosal hat der Verfasser eine Reihe von Fällen vdti Pyelitis. 
Zystitis, Urethritis erfolgreich behandelt. In Fällen von chronischer Zystitis 
mit Prostatahypertrophie, wo die anderen gebräuchlichen Antiseptica im 
Stich ließen, half Diplosal sehr häufig in frappanter Weise; der vorher 
sehr stark getrübte Urin klärte sich zusehends, das subjektive Befinden 
des Kranken besserte sich. Chronische, nicht gonorrhoische Urethritiden, 
Colipyelitis, Colicystitis, ja sogar tuberkulöse Zystitiden wurden von Diplo¬ 
sal äußerst günstig beeinflußt. Unangenehme Nebenerscheinungen traten 
niemals auf. 

Huntes (Norfolk), The Röntgen rays In hypertrophied prostate. (The american 
journal of the medical Sciences 1912, Nr. 2.) 

Nach des Verfassers reichen Erfahrungen besitzen wir in den Röntgen¬ 
strahlen ein wertvolles Hilfsmittel bei Prostatahypertrophie, weshalb da keine 
Gefahr dabei ist, sie bei jedem Falle versucht werden sollen. Wenn 
eine Besserung eintritt, erfolgt sie rapid. Ist dies in einer gemessenen 
Zeit nicht der Fall, so ist eine andere Behandlung angezeigt. 

v. Schnizer-Höxter. 



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Büchersrliau. 


1307. 


Bücherschau. 


Richter, Gustav und Dahlmann. Alb., Beiträge zur Physiologie des Weibes.. 
(Samml. klin. Vortr. Gyn. 1912, Nr. 236/238.) 

Verfasser wenden sich gegen die Theorie der inneren Sekretion, inso¬ 
fern man dieselbe dazu benutzen will, die Vorgänge der Menstruation, 
der künstlichen und der natürlichen Menopause u. a. zu erklären. Alle diese 
Erscheinungen führen die Verfasser zurück auf den wellenförmigen Ablauf 
der Lebensvorgänge beim Weibe, wie ihn die v. Ottschen Kurven nach¬ 
gewiesen haben. Das Nervensystem sei in den Vordergrund zu stellen, 
nicht irgend welche chemischen Sekrete. Mit der zunehmenden Hyperämie 
im prämenstruellen Stadium wachse die Wirkung der Vasodilatatoren, im 
Menstruationsstadium selbst erlösche die Tätigkeit der Vasokonstriktoren 
ganz, die Dilatatoren beherrschen allein die zunehmende Weite der Strom¬ 
bahn; aber auch ihre Erregbarkeit gehe im terminalen Gebiete verloren, 
die Bewegung des Blutes verlangsame sich bis zur Stase und es komme 
zur Diapedesisblulung. So im Uterus, so auch im platzenden Follikel. Men¬ 
struation und Follikelberstung seien ihrem- Wesen nach identisch, bei beiden 
rühre die Blutung her vom Verlust des Einflusses des Nervensystems auf 
die Blutbahn und von davon abhängigen Zerfallsveränderungen im Gewebe. 

— Sodann suchen die Verfasser nachzuweisen, daß auch die Ausfallser¬ 
scheinungen nach Kastration und Uterusexstirpation sowie die Erscheinungen 
nach Ovarialtransplantation durch Reize auf das Nervensystem bezw. dessen 
teilweise Unterbrechung oder Ausfall Zustandekommen, nicht aber durch 
Störungen der inneren Sekretion, die noch niemand exakt nachgewiesen habe. 
Auch die F r ä n k e 1 sehen Experimente bezw. der Corpora lutea und die 
Inkonstanz der Folgen nach der Kastration und der Uterusexstirpation ließen 
sich durch Vorgänge im Nervensystem erklären. Allerdings sei die Natur 
der das Nervensystem beeinflussenden Reize noch unbekannt. — Die Ver¬ 
fasser bestreiten endlich auch, daß die therapeutischen Erfahrungen mii 
Ovarialsubstanz die Hypothese der inneren Sekretion zu stützen vermöchten. 

— Es ist zu erwarten, daß die vorgetragenen Ansichten viel Widerspruch 

hervorrufen werden. R. Klien-Leipzig. 

Ponatschek undjN&dor. Die therapeutischen Leistungen des Jahres 1910. 22.. 

Jahrgang. Wiesbaden bei J. F. Bergmann. M. 9,80. 

Die bekannte alljährlich erscheinende Zusammenstellung in gewohnter Güte. 

v. Schnizer-Höxter. 

Preiswerk, G., Basel. Lehrbuch und Atlas der zahnärztlichen Technik. Band 33 
Lehmanns medizinischer Handatlanten. 2. verbesserte und vermehrte Auflage. 
Mit 400 farbigen bzw. schwarzen Abbildungen. München J. F. Lehmann 1911. 
M. 14,—. 438 Seiten. Gegen die 1. wesentlich veränderte und vermehrte Auf¬ 
lage mit verschiedenen neuen Kapiteln, meist entsprechend den Fortschritten 
auf diesem Gebiete. Ganz besonders zu erwähnen sind die erheblich vermehr¬ 
ten Illustrationen, namentlich die vom Maler Hajek stammenden vorzüglichen 
Bilder. Ein'vorzügliches Lehrbuch des durch seine gediegenen Leistungen be¬ 
kannten Ve lages. v. Schnizer-Höxter. 

Trümpp, Prol. J. Säuglingspflege. 2. Auflage mitJ39 Abbildungen und 1 Tafel. 
Verlag: Moritz-Stuttgart 1911. M. 1,80. 

Völlig umgearbeitet und verschieden von der 1. Auflage. Bei [niedrigem 
Preise, kurzer, klarer und doch umfassender Darstellung eines der besten 
Führer für Mütter und solche, die es werden wollen. Sehr praktisch zur 
raschen Orientierung ist namentlich das zweckmäßig angelegte Sachregister. 

v. Schnizer-Höxter. 

Fischer’s Kalender für Mediziner nebst Rezepttaschenbuch 1912. Herausgegebon von 
Dr. J. Bierbach, Heidelberg. Verlag von Fischer’sjmedizinischer Buchhandlung 
H. Kornfeld, Berlin. 

Fischer’s medizinischer Kalender, der im 24. Jahrgang jetzt vorliegt, hat sich 
Dank seiner Reichhaltigkeit und seiner praktischen Einteilung einen dauemdon Platz 
anf dem Schreibtisch des prakt. Arztes erobert. 


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608 


Bücherschau. 


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Auch in diesem Jahre hat er sich pünktlich eingestellt. Er weist wiederum 
einige praktische Neuerungen auf. 

So ist ein vollständiges ,, Ar zeneimittel Verzeichnis“ neu aufgenommen worden, 
außerdem finden sich äußerst wichtige, gynäkologische und geburtshilfliche Abhand¬ 
lungen, wie sie dem Praktiker speziell willkommen sind und 3. findet sich aus der 
bewährten Feder von Prof. Werber ein therapeutisches Kompendium in erweiterter 
und verbesserter Auflage. Neumann. 

Braus, H. Die Entstehung der Nervenbahnen. Aus der ..Sammlung wissenschaft¬ 
licher Vorträge“ mit 2 Tafeln. 37 Seiten. Preis M. 2.- Leipzig 1912. Ver¬ 
lag von F. O V. Vogel. 

Oruber, M. Hygiene des Geschlechtslebens für Männer dargestellt. Mit 17 kolo¬ 
rierten Figuren auf 2 Tafeln 4. vermehrte und verbesstrte Auflage (13.—18. 
Tausend.) 96 Seiten. Preis M. 1,20. Stuttgart 1911. Verlag von E. H. 
Moritz. 

Knauer, G. Winke für den ärztlichen Weg aus zwanzigjähriger Erfahrung. 

105 Seiten, Preis M. 2,—. Wiesbaden 1912. Verlag von J. F. Bergmann. 
Laehr, H. Die Anstalten für Psychisch-Kranke in Deutschland, Österreich, der 
Schweiz und den Baltischen Ländern. 7. Auflage. 272 Seiten, Preis M. 6,— 
Btrlin 1912. Verlag von Georg Reimer. 

Sieskind, 11. Der gegenwärtige Stand der Saivarsautherapie. Aus der ..Berliner 
Klinik“. 283. Heft. 48 Seiten. Einzelpreis M. —,50. Berlin 1912. Verlag 
von Fischers med Buchhandlung 

.Sudhoff, K. und Sticker, G. Zur historischen Biologie der Krankheitserreger. 

Materialien, Studien und Abhandlungen gemeinsam mit V. Fossel. Graz, T. v. 
Györy, Budapest, W His, Berlin, herausgegeben. 5. Heft. Mit 3 Tafeln in 
Lichtdruck und 3 Abbildungen im Text. Preis M. 2,50. Gießen 1912. Verlag 
von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker.) 

Türk, W. Vorlesungen über Klinische Hämatologie. Zweiter Teil, erste Hälfte. 
410 Seiten. Preis M. 12,—. Wien und Leipzig 1912 Verlag von Wilhelm 
Braumüller. 

Wundt, W. Grundzüge der physiologischen Psychologie. 6. umgearbeitete Auf¬ 
lage. 3 Band mit 71 Figuren im Text, wie Sach- und Namenregister. 810 
Seiten. Preis M 16.—. l^ipzig 1911 Verlag von Wilhelm Engelmann. 
Lehmann, Prof. Dr. K. B., W'ürzburg, und Neumann, Prof. Dr. R. 0., Gießen. 
Atlas und Grundriss der Bakteriologie und Lehrbuch der speziellen bakte¬ 
riologischen Diagnostik. Teil 2. 5. Auflage. Verlag von J. F. Lehmann, 

München 1912. Seitenzahl 777. Preis M. 20,—. 

Grünwald, Dr. L. Kurzgefaßtes Lehrbuch und Atlas der Krankheiten der Mund¬ 
höhle, des Rachens und der Nase. 3. vermehrte Auflage. Mit 57 farbigen 
Tafeln, enthaltend 104 makroskopische und 37 histologische Abbildungen. Ver¬ 
lag von J. F. Lehmann, München 1912. Seitenzahl 80. Preis M. 10—. 
Diikow, Dr. med. und Bojanus, N. Dr. ined. Über die Notwendigkeit einer Re¬ 
form der gegenwärtigen medizinischen Universitätsbildung. Separatabdruck 
aus der „Leipziger Populären Zeitschrift für Homöopathie.“ Verlag von Dr. 
Willmar Schwabe, Leipzig-1912. Seitenzahl 172. 

Schilling, Dr. F., Leipzig. Leberkrankheiten. Verlag der ärztlichen Rundschau 
Otto Gmelin, München 1911. Seitenzahl 42. Preis M. 1,20. 

Zur Richtigstellung. 

Dem Herrn Dr. Mosberg-Bielefeld, Spezialarzt für orthopädische Chirurgie und 
Verf. dos in Nr. 32 Jalirg. 1911 d. Bl. abgedrueikten Artikels: „F.in neues Präparat 
zur Behandlung der Skrofulöse und chirurgischen Tuberkulose“ teile ich hiermit zu 
besserer Information mit: 

1. Ich besitze roch den Sonderabdruck von dem ersten Kollmann’schen Elaborat 
in der Nr. 26 J a b r g. 1881 der Berl. Klin. Wochenschr., dessen Eingang lautet: 
,,E s war 1878, daß ich in Nr. 6 der Berl. klin. Wochenschr. die 
Mitteilung des Kollegen Kappesser las“ pp. worauf er dann berich¬ 
tet, wie so viel andere vor und nach ihm, daß er meine Beobachtungen nachgeprüft 
und richtig befunden habe. 2 Kein Geringerer, als Prof. Vinzenz Czerny Exzell, hat 
in seiner Abhandlung: „Die häusliche Behanalung der Tuberkulose“ in Bd. I. H. 2 
der Beitr. zur Klinik der Tuberk. sich der Mühe unterzogen und festgestellt, daß es 
keinem Zweifel unterliege, daß der Dr. Kappesser schon 1878 die Methode angewen¬ 
det hat und als deren Erfinder angesehen werden muß. 

Dr. Kapposser, Generalarzt a. D. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912 


Tortscbrittc der medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herauBgegeben von 


Prof. Dr. 0. Köster Prio.-Doz. Dr. o. eriegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Daimstadf, Grüner Weg 86. 



Crsdieint wöchentlich 3um preise von 8 (Darb für öas 
Balbjabr. 


Nr. 20. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S- 
Alleinige Inseratenannabme burtb 0)ax Oelsöorl, 
Annoncen-Bureau. Cberswalöe bei Berlin. 

16. Mai. 




Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Therapie der Arteriosklerose. 

Von Dr. med. 0. Burwinkel, Kurarzt in Bad Nauheim. 

(Schluss). 

Beim Aneurysma der Aorta ist die Diaeta parca nach 
Laache in Christiania von Nutzen, ferner T u f f n e l’s Kur. Sie 
ging von der Beobachtung aus, dass Aneurysmen im Gefolge erschöp¬ 
fender mit Abmagerung einhergehender Krankheiten wiederholt und 
spontan zur Heilung kamen. Die Vorschrift ist: zum Frühstück 60 g 
Milch, Kakao oder Hygiama, 60 g Brot und Butter, mittags 90 g Fleisch, 
90 g Kartoffeln oder Brot, 120 g Wasser resp. Bordeaux, abends 60 g 
Tee mit Milch oder Milch mit 60 g Brot und Butter, also im ganzen 
300 g fester und 240 g flüssiger Nahrung in 24 Stunden. Gegen den 
Durst eventuell Eispillen. Diese Kur erfordert mindestens 2 Monate 
bei absoluter Körperruhe. 

Ein generelles Verbot alkoholischer Getränke ist nicht gerecht¬ 
fertigt; bei der heutigen Mode der Abstinenz hat man übers Ziel hinaus¬ 
geschossen, man hat die nützliche und heilsame Wirkung des Alkohols 
«infach übersehen. Vielen Arteriosklerotikern ist ein Glas Bier oder 
Wein eine Wohltat. Unschädlich ist auch ein schwacher Teeabguss. 
Statt Bohnenkaffee lässt man koffeinfreien Kaffee trinken, der, recht 
wohlschmeckend, nur 0,15% Koffein enthält, also des ursprüng¬ 
lichen Gehalts (Harnack). Da bleibt jede Blutdrucksteigerung 
-aus (E 1 s n e r). Lässt sich das Rauchen nicht ganz verbieten, so ge¬ 
statte man nikotinarme Zigarren. 

Unbedingt notwendig ist Sorge für ausgiebigen und leich¬ 
ten Stuhl. Oft genügt der Genuss von Butter- und Sauermilch, 
oder ihrer exotischen Spielarten Joghurt, Kefir, sowie von Obst, gekocht 
oder roh. Für jugendliche plethorische Arteriosklerotiker sind kräftige 
Purgiermethoden — die Engländer wenden häufig Kalomel an —, 
Marienbader Tabletten, Podophyllin oder ähnliche Mittel gebrauch 
lieh. Mit den beliebten Trinkkuren zumal von CO, haltigen Wässern 
sei man bei hoher Gefässspannung vorsichtig. In vorgeschrittenen 
F'ällen verordne man nur milde Purgantien. Recht lästig wird die 
,,postcoenale Dyspnoe“ bei beginnender Herzinsuffizienz. Die zuneh¬ 
mende Stauungsleber gibt als raumbeengendes Moment um so mehr 

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610 


Burwinkel. 


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die Möglichkeit, dass schon geringe Luftansammlung im Magen die 
Dyspnoe beträchtlich steigert. Magnesiumsuperoxyd und Novozon be¬ 
seitigen oft dies lästige Gefühl der Blähsucht und Völle. Auch nach¬ 
stehende Mittel pflegen Erleichterung zu bringen: Rp. Ol. foeniculi 
gtt. 5. Elaeosach. anis. 5.0 Magn. ust. 15,0 Mfpulv. det. in scatul. S. 
2—3 mal täglich i Kaffeelöffel voll in Wasser verrührt zu nehmen 
nach dem Essen oder Rp. Natr. bicarb. pur. Natr. phosphor. ää 20.0 
Natr. sulfur. sicc. 10.0 Mfpulv. det. in scatul. S. 2—3 mal täglich 1 Teel. 
nach dem Essen. 

Welches ist das M a s s zulässiger Körperlei¬ 
stung bei Arteriosklerose? So lange noch keine Zeichen 
von Herzmuskelschwäche bestehen, ist stärkere, selbst sportliche Be¬ 
tätigung erlaubt, durch die das Blut von den inneren Organen in die 
Extremitäten geschafft und einer Stauung am sichersten vorgebeugt 
wird. Plethorische Arteriosklerotiker fühlen sich bald sehr erleichtert 
nach ordentlichen Muskelleistungen. Durch Auftreten von Schweiss 
wird das Gefässsystem entlastet. Bei gefährlicher Lokalisation und stär¬ 
kerer Entwicklung des Leidens sind alle stärkeren .Anstrengungen aus- 
zuschliessen. Ruhige Spaziergänge in frischer Luft und auf ebener Erde 
sind hier das Beste. Man schreibe öftere Pausen vor, verbiete das 
Sprechen beim Gehen, zumal gegen den Wind. Hastige Bewegungen, 
wie Bücken, plötzliches Drehen des Kopfes sind möglichst zu vermeiden. 
Durch leichte Zander-Gymnastik kann die periphere Zirkulation an¬ 
geregt und gehoben werden (H a s e b r o e c k). 

Auf den therapeutischen Wert richtiger At¬ 
mung hat F. A. H o f f m a n n hingewiesen. Die Physiologie lehrt, 
dass tiefe Inspirationen den Blutstrom in den Hohlvenen beschleunigen. 
Beim Herabrücken des Zwerchfelles werden Leber- und Splanehnikus- 
Gefässe komprimiert, sie entleeren sich besser in den r. Vorhof. Das 
Blut wird von hier in die I.ungengefässe angesogen und besser arteria- 
lisiert. Ein „eupnoeisches“ Blut passiert leichter die Gefässe und gibt 
eher Sauerstoff an die Gewebe ab. 

Die Hydro- und Balneotherapie verfügt über aus¬ 
gezeichnete Massnahmen, um Tonus und Reaktionsfähigkeit der Ge¬ 
fässe zu erhalten und zu verbessern, indem wir den Spasmus be¬ 
kämpfen und regulatorisch auf den Kreislauf einwirken. In den Früh¬ 
stadien kommen kühlere Waschungen, Fluss-, See- und CO.-Bäder 
von nicht zu langer Dauer in Anwendung, heisse Bäder über 37 0 C. 
sollen unterbleiben. Unter den üblichen Kautelen — kühler Herz- und 
Kopfumschlag — sind auch elektrische Glühlichtbäder erlaubt, nicht 
über 50° C., 10 bis höchstens 15 Minuten mit nachfolgender kühler 
Prozedur. Es werden etwa 3 Bäder pro Woche genommen (S t r a s s e r, 
„Der heutige Stand der Lehre von der Arteriosklerose“, 1909). Bei 
bestehender Unterleibsplethora bewähren sich kurze kühle Sitzbäder 
(10 0 C. 2 Minuten). Zu bemerken ist, dass kalte Prozeduren von älteren 
Leuten schlecht vertragen werden wegen geringer Wärmeproduktion. 

Viel gestritten ist über die Zulässigkeit und den Nutzen der C 0. 
Bäder bei der Behandlung von Arteriosklerose, gegen die sich vor 
allem der kürzlich verstorbene H u c h a r d ausgesprochen hat. Sie 
können in allen Stadien der Krankheit mit Nutzen angewandt werden, 
bei Leichtkranken unbedenklich, bei schwerer Erkrankten allerdings 
mit Vorsicht. Sie sind kontraindiziert bei Zuständen stärkeren Kräfte¬ 
verfalles, heftiger Dyspnoe oder Stenokardie, und bei schweren Oedemen, 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


öl! 


welche an und für sich schon den Gehrauch von Bädern verbieten. 
(Frankenhäuser, Deutsche med. Woch., 1912, 3.) Ob die na¬ 
türlichen CO. haltigen Soolthermen wirklich ein Spezifikum bei Ar¬ 
teriosklerose sind, bleibe dahingestellt, jedenfalls werden vorerst Hom¬ 
burg, Kissingen. Nauheim, Orb, Salzuflen ihren Ruf noch bewahren. 
Gerade Nauheim mit seinen mannigfachen, fein abstufbaren Bädern 
bietet viele Vorteile. Patienten mit parenchymatöser und intersti¬ 
tieller Nephritis, bei der frische Nachschübe erfolgen, schickt man 
besser nicht in Bäder. Bei vorangegangener Apoplexie oder Throm¬ 
bose lasse man etwa '/ 2 Jahr vergehen, bevor eine Badekur gemacht 
wird. Zum Ersatz , zumal im Winter , können k ü n s t 1 i c h e 
C 0_. -Bäder gebraucht -werden. (35—32 u C., 10—15 Minuten Dauer, 
im ganzen 20—30.) Ist, wie bei älteren Arteriosklerotikern, auf ein 
kräftiges Anpassungsvermögen des Organismus nicht mehr zu rechnen, 
so begnügt man sich mit Sa uerstoff-Ozet - Bädern (Brok¬ 
king, Med. Klinik 1909, 40). Subjektive Erleichterung, auch bei 
Asthma cardiale und Angina pectoris bringen elektrische Bäder: 
jede Woche 3 bis 4 mal ein Wechselstrombad, dreiphasig 35 M. Ampere, 
35—32 0 C., 10—15 Minuten Dauer. Bei Kongestionszuständen, bei 
Anfällen von Asthma und Angina pectoris macht man symptomatischen 
Gebrauch von heissen (Senf-) F u s s - und Handbädern, die 
durch Zugiessen warmen Wassers allmählich von 42 0 C. auf 46—48 0 
gebracht und auf 15 bis 20 Minuten ausgedehnt werden. Auch heisse 
Herzkompressen werden oft appliziert, bei Schlaflosigkeit Waden¬ 
wickeln. In schweren Fällen von Arteriosklerose muss man sich auf 
spirituöse Abwaschungen beschränken, und auf seltene, laue Halbbäder 
(34 0 C.) von kurzer Dauer (6 bis 8 Minuten). Eine wohltätige regula- 
torische Einwirkung auf den Blutdruck haben Luftbäder (25—20 
Grad Celsius), verbunden mit leichten Freiübungen. Jüngere neur- 
asthenische Arteriosklerotiker nehmen sie zweckmässig im Freien. 

Aufenthalt in frischer Luft, zumal auf dem Lande und in wald¬ 
reicher Gegend, ein sorgenloses Sichhingeben in leibliches Wohlbehagen 
ist anzuraten. Für ältere Arteriosklerotiker, bei bronchitischen und ne- 
phritischen Erscheinungen, ist ein trockenes, warmes Klima geeignet. 
Ein Ueberwintern an der Riviera ist hier von grossem Nutzen (G a 1 1 i , 
Münch, med. Woch. 1911, 38). Nervi, Ospedaletti, Bordighera, Men¬ 
tone, Beaulieu, Condamine, Nizza, Cannes und wie die Mittel meerkur- 
orte alle heissen, haben jetzt mit sämtlichem Komfort ausgestattete 
Hotels. Im Frühjahr und Herbst sind die oberitalienischen Seen, der 
Genfer See, Meran, die Adria (Ahbazia, Lussinpiccolo, Brioni) zu bevor¬ 
zugen. Für die heissen Sommermonate eignet sich ein bewaldetes 
Mittelgebirge (Harz, Thüringen, Vogesen, Schwarzwald). Stäubli-St. 
Moritz hat bei vielen Hypertonien ausgesprochenes Sinken des Blut¬ 
druckes im Höhenklima beobachtet (Deutsch, med. Woch. 1912, 4). 
Bei nicht ausgesprochener Arteriosklerose wird ein Aufenthalt im Hoch¬ 
gebirge (1500 m und selbst darüber) oft wohltuend empfunden, indem 
der Stoffwechsel erhöht und die Ausscheidung drucksteigernder Produkte 
gefördert wird. Treten Herzklopfen und Schlaflosigkeit auf, dann 
muss man niedere Lagen wählen, z. B. das milde Gersau, Axenstein, 
Brunnen am Vierwaldstättersee. Kontraindiziert ist der Höhenaufent¬ 
halt bei Koronar- und starker allgemeiner Sklerose, wenn apoplektische 
Insulte vorausgegangen sind, wenn starke vasomotorische Unruhe be¬ 
steht. Ist das Herz '"mit seinen Reservekräften zu Ende, sind 

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Barwinkel, 


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tilJ 

Zyanose und Dyspnoe vorhanden, dann darf der Kurort nicht hoch 
über dem Meeresspiegel liegen. Aufenthalt an der See ist nicht zu ver¬ 
bieten; das Seeklima setzt den Blutdruck herab und ist zu empfehlen. 
Seereisen werden von Arteriosklerotikern auffallend gut vertragen. 
Der Druck im Gefässsystem ist sehr von Luftströmungen und vom 
Barometerstand abhängig. Schwüle Gewittertage sind immer kritisch 
und Arteriosklerotiker müssen dann recht vorsichtig sein, speziell 
im Essen und Trinken. Auch müssen sie grelles Sonnenlicht und über¬ 
hitzte Räume meiden. 

Die Kleidung muss warm halten, speziell Füsse und Extremi¬ 
täten, sie muss der Muskel- und Hauttätigkeit freien Spielraum lassen, 
also keine engen Korsetts, strallen Hosenträger usw. dulden. Kranke 
mit Herzhypertrophie, mit Verlängerung der Aorta schlafen schlecht 
auf der linken Seite, sie müssen eine erhöhte Lage einnehmen. Bezüg¬ 
lich des Sexuallebens schreibe ich der normalen Betätigung 
eher einen prophylaktisch günstigen Einfluss zu. Jugendlichen Arterio¬ 
sklerotikern ist die „saignee blanche“ meist wohltuend. Bei vorgeschrit¬ 
tenem Leiden, speziell bei Angina pectoris und in höherem Alter ist 
weitgehende Reserve unbedingt zu fordern. 

Mit unzweifelhaftem Nutzen bedient man sich der Massage 
gegen die „petits signes de l'arteriosklerose“ (J o s u e). wie Kältegefühl. 
Einschlafen und Kribbeln der Extremitäten. Sie erhöht die Tempe¬ 
ratur des massierten Teiles und erleichtert die periphere Zirkulation 
indem sie den Spasmus der Arteriolen und Kapillaren bekämpft. Ab- 
dominalmassage lindert die Beschwerden der Dyspragia intestinalis, 
bei welcher nebenher feucht( !)warme Umschläge, Darmeingiessung. 
warmer Tee und als souveränes Mittel Morphium Anwendung ver¬ 
dienen. Vorzügliche Dienste leistet die allgemeine Körpermassage bei 
verlangsamter Herztätigkeit (Adams-Stokes.) 

Auf die hohe Bedeutung des Aderlasses für die 
Behandlung der Arteriosklerose habe ich wiederho t 
und eindringlich hingewiesen (Fortschritte der Medizin 1910, Therap.e 
der ärztlichen Praxis, Bd. 1). ln dem periodisch wiederholten Aderlass 
besitzen wir ein wirksames Prophylaktikum und alles, was in thera¬ 
peutischer Beziehung angestrebt werden kann, erreicht man am schnell¬ 
sten, sichersten und einfachsten durch Aderlässe; Beseitigung der Ple¬ 
thora, Herabsetzung pathologischer Blutdrucksteigerung und peri¬ 
pherer Kreislaufwiderstände, Befreiung des Blutes von toxischen 
Substanzen, speziell von C0 2 Ueberladung, Verminderung der Visko¬ 
sität, Erschlaffung der Gefässwand; zudem ist der Aderlass das 
beste Mittel zur Blutneubildung. Er genügt also der Indicatio cau- 
salis und der Indicatio morbi. Durch wiederholte Blutentziehung 
lassen sich oft alle Symptome beginnender Arteriosklerose dauernd 
beseitigen. Ihre Wirkung ist auch eklatant in vorgeschrittenen 
Fällen, mag Kardio- oder Nephrosklerose, mag Aneurysma oder 
arteriosklerotische Kachexie vorliegen. Blutige Schröpfköpfe 
und Blutegel sind brauchbar bei Kongestionszuständen und lo¬ 
kaler Schmerzhaftigkeit, den Aderlass können sie aber nicht ersetzen. 
Spontan auftretende Blutungen aus Nase und Darm pflegen Arterio¬ 
sklerotikern ganz gewöhnlich Erleichterung zu bringen. Man greife 
nur ein, wenn sie zu stark und häufig auftreten, wie ich dies gelegent¬ 
lich in bedenklicher Weise gesehen habe. 

Die von dem ungarischen Ingenieur Tesla entdeckten hoch' 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


Ü13 


frequenten und hochgespannten Ströme sind von 
d’A rsonval in die Therapie der Arteriosklerose eingeführt. Fran¬ 
zösische Beobachter brachten alsbald enthusiastische Artikel über ihre 
stolTwechselerhöhende und blutdrucksenkende Wirkung, sie priesen urbi 
et orbi diese spezifische Heilmethode. Diese wegen ihres Sensations¬ 
charakters verdächtigen Angaben haben einer strengen Kritik in keiner 
Weise Stand gehalten und von deutscher Seite nur in recht bescheidenem 
Masse Bestätigung erfahren (L a q u e u r , Ther. der Gegenwart 1911, 1, 
Med. Klinik 1911, 49). Darin stimmen allerdings alle Autoren überein, 
dass die Teslaströme von Einfluss sind bei pathologischer Blutdruck¬ 
steigerung. Ist sie mässig (140—180 mm Hg Riva Rocci) — beginnende 
Arteriosklerose, Aortenaneurysma — so wird die Hypertonie häufig 
gebessert und selbst bis zur Norm gebracht. Burch lobt d’Arson- 
valisation bei hohem Blutdruck, der schon 10 bis 15 Minuten hinterher 
herabging (Med. Record New York 1911, 18). Die Wirkung hält länger, 
manchmal sogar dauernd an. Enorme Drucksteigerung infolge Schrumpf- 
niere, vorgeschrittener Arteriosklerose, typischer Aorten-lnsuffizienz 
reagiert entweder gar nicht oder nur vorübergehend. Auch der Puls¬ 
rhythmus wird günstig beeinflusst (Bessert, Dissertation Zürich 
1910, Kraus, Berl. kl. Woch. 1909, 10); selbst Verkleinerung der 
Herzdämpfung ist konstatiert wie bei Applikation von oszillierenden 
Strömen nach Rumpf. Die Senkung des Blutdrucks bei allgemeiner 
d’Arsonvalisation erklärt sich zwanglos durch die dabei auftretende 
Erweiterung der Hautgefässe (Kahanp, Zeitschr. f. phvsik. u. diätet. 
Therapie 1911, September). Beherrscht abnormer Blutdruck das Krank- 
heitsbild, so ist die Anwendung dieser völlig unschädlichen Methode 
um so mehr begründet, als die ganze neurast herrische Komponente der 
Arteriosklerose günstig beeinflusst wird. Die Patienten fühlen sich wäh¬ 
rend ihres Aufenthaltes im Solenoid meist ganz beschwerdefrei. Schlaf 
und Allgemeinbefinden bessern sich, die Atmung wird leichter und 
tiefer, Kopfschmerzen und Exzitationszustände werden geringer. Und 
so sind die Hochfrequenzströme wegen ihrer angenehmen, beruhigenden 
Wirkung als brauchbares Unterstützungs- und Ergänzungsmittel an¬ 
zusehen, die eine oft monatelang anhaltende Besserung der subjektiven 
Beschwerden herbeiführon (E 1 s n e r). L a q u e u r verwendet bei be¬ 
ginnender Arteriosklerose lokale d’Arsonvalisation vermittels Herz¬ 
elektrode. Rautenberg sah auffallende Resultate — Senkung des 
pathologischen Blutdruckes bis zu 80 mm Hg — nach Diathermie 
(Deutsche med. Woch. 1910, pag. 1933). Die asthmatischen Beschwerden 
vieler Arteriosklerotiker werden durch Einatmen von Sauerstoff oft 
recht günstig beeinflusst. PI 

Mit Herz- Wien erblicke ich einen wesentlichen Teil der ärzt¬ 
lichen Tätigkeit in der Einwirkung auf den Gemütszu¬ 
stand. Mit dem Worte Arteriosklerose oder gar Arterienverkalkung 
sei man zurückhaltend; schon oft hat die unvorsichtig hingeworfene 
Diagnose Unheil angestiftet. Es wird heutzutage viel zu viel von Arterio¬ 
sklerose gesprochen. Man kann den Patienten die Sachlage kurz und 
präzise, aber ohne grosse wissenschaftliche Vorträge auseinandersetzen. 
Man vermeide extreme Vorschriften und unnütze Strenge, nament¬ 
lich auch in bezug auf den Genuss alkoholischer Getränke. Eine 
heitere, zuversichtliche Stimmung ist von grosser Wichtigkeit für den 
Zustand der Gefässe. Geistig regsame Leute dürfen nicht plötzlich 
auf den Altenteil gesetzt werden; ihnen ist gewisse berufliche Tätigkeit 


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614 


Burwinltel, 


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oft ebenso Lehensbedingung, wie Essen und Schlaf. Beim Rückzug aus 
dem Beruf sollen sie ein Steckenpferd haben, dadurch arbeiten sie nicht 
nur der Verknöcherung ihrer Ideen, sondern auch ihrer Arterien ent¬ 
gegen. Leuten, die nicht Maas zu halten verstehen, muss man den Ernst 
der Sache bündig darlegen. 

Nimmt, auch die physikalisch-diätetische Therapie den ersten Rang 
ein, so macht sie doch die medikamentöse Behandlung 
keineswegs unentbehrlich. Im präsklerotischen Stadium braucht man 
tür gewöhnlich keine Medizin, immerhin sind hier die Nervina, zumal 
bei arteriosklerotischer Neurasthenie von Nutzen: Baldrian, Castoreuin, 
die zu wenig bekannte Asa foetida, Brompräparate. Viel gerühmt 
werden auch Bornyval, Gvnoval, und das teure Validol. Bei hartnäckiger 
Schlaflosigkeit verschreibt man: Rp. Chloral. hvdr. 5,0, Natr. bromat. 
8,0, Infus, rad. Valer. 12,0 ad 150,0 Syr. Ccd. 15,0 DS. Abds. 1—-2 Ess¬ 
löffel. Von alters her geniesst grossen Ruf das Jod „la digitale 
des arteres“ (H u c h a r d). Man ist freilich in Verlegenheit, wenn man 
seine Wirkung erklären soll: Jod erzeugt sicher keine Vasodilatation 
oder gar Auflösung der Indurationen an der Gefässwand. Auch wird 
von Determann auf das Bestimmteste die Erklärung von R o m - 
b e r g und seinen Schülern abgelehnt, dass Jod die Viskosität des Blutes 
herabsetze (Verhandlungen des Balneologen-Kongresses Berlin 1912). 
Die rühmenden Berichte über die Jod-Behandlung werden keineswegs 
allerseits bestätigt. Ihr Nutzen ist bei der kritiklosen Anwendung 
häulig recht problematisch — es wird sogar viel Schaden damit, ange¬ 
richtet. Jod hat bei Arteriosklerose seine ganz bestimmten Indi¬ 
kationen, aber ebenso seine ganz bestimmten Kontraindikationen: 
hierhin gehören Basedow und thyreogene Zustände, Neigung zu Hä¬ 
moptoe, NierenafTenktionen, Nervosität und Dekompensation des Her¬ 
zens. ln Kropfgegenden ist grössere Vorsicht geboten, als beispiels¬ 
weise an der See. Angezeigt ist Jod bei anämischen Leuten mit hoher 
Spannung im Gefässsystem: Aneurysma, Sklerose der Koronarien und 
Aorta mit oder ohne Aorten-Insuffizienz. Zu bevorzugen ist Jodnatrium: 
da es geringere Anforderungen an die Ausscheidungsorgane, speziell an 
die Nieren stellt. Rp. Natr. jod. (bei Lues Kal. jod.) 5,0 Aq. Menth pip. 
10,0 Pilocarp. mur. 0,06. DS. 3 mal täglich 5—8—15 gtt. in Milch nach 
dem Essen. Schleicht man sich nach Erlen meyers Vorschrift 
langsam ein, verbietet man den Genuss sauerer Speisen, dann kommt 
es höchst selten zum Jodismus. Zweckmässig schickt man der Jod¬ 
medikation ein salinisches Abführmittel voraus. Jod soll nicht ununter¬ 
brochen gegeben werden, sondern 4 bis 6 Wochen lang, dann wird für 
einen Monat pausiert und der Turnus wiederholt, wenn der Erfolg gut 
gewesen ist. Die chemische Industrie bemüht sich schon lange um ein 
Präparat, bei dem man mit geringeren Dosen auskommt und die Summe 
der als Jodismus bezeichneten Nebenwirkungen vermeidet. So wird 
das gerueh- und geschmacklose „Sajodin“ auch von empfindlichen 
Patienten gern genommen (1,0 bis 3,0 pro die in Tabletten ä 0,5). Es 
enthält dreimal weniger Jod als Jodkali und damit hängt wohl die ge¬ 
steigerte Toleranz zusammen. Sehr gut ist die Verbindung von Jod mit 
Sesamöl: dies „Jodipin“ wird innerlich in 10% Lösung (3 mal täglich 
ein IeolöfTe!) oder subkutan in 25% Lösung gegeben. Jodglidine, 
Jodostarin, Jodtropon und neuerdings Jodival (2—3 mal täglich 1 Ta¬ 
blette ä 0,3) werden angepriesen. Als „idealste Jodverbindung" bei 
Arteriosklerose rühmt man ,, Jodocitin“. Diese Zusammensetzung 



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Die Therapie der Arteriosklerose. 


015 


von Jod mit Lecithin stellt ein glänzendes Tonikum dar und wirkt 
zugleich ,,kalklösend“. (Dermatolog. Wochensehr. 1912.) Hierbei 
wird auf die Untersuchungen von Koch hingewiesen, nach denen 
sich Kalk ablagert, wenn Lecithjn dem Körper entzogen wird (Zeitsehr. 
für physiol. Chemie, Bd. 36, 37). Zunächst werden 3 mal am Tag eine 
Tablette, später 6 bis 8 Tabletten verabreicht. Neuerdings wird Kom¬ 
bination von Jodnebeln mit Unterdruckatmung empfohlen (Allgem. 
med. Central-Zeitung 1911, 47). Oigaard- Kopenhagen verschreibt 
bei syphilitischen Gefässleiden (Aneurysma aortae, Aortitis luetica mit 
Aorten-Insuffizienz) ausschliesslich und mit überraschendem Erfolg 
nachstehende Mixtur: Rp. Hydrargyr. bijod. rubr. 0,02, Solut. Natr. 
jod. 10,0: 300,0 DS. 3 mal täglich i Essl. (Zeitschr. für klin. Mediz. 
Band 73). Goldscheider erklärte ebenfalls Jod allein für 
nicht ausreichend; von energischen antisyphilitischen Kuren sah 
er nicht nur subjektive, sondern auch objektiv nachweisbare Besse¬ 
rungen (Verhandlungen des Baineologen- Kongresses Berlin 1912). 
Weintraud - Wiesbaden lobt die Salvarsan-Behandlung bei syphi¬ 
litischen Gefässerkrankungen (Verhandlungen der Gesellschaft deutscher 
Naturforscher und Aerzte, Karlsruhe 1911, pag. 443). Martins er¬ 
lebte bei Aortitis verschiedene Todesfälle nach Salvarsan-Anwendung, 
während Angina pectoris ohne Herzmuskelerkrankung sehr günstig 
beeinflusst wurde (Münch, med. Woch. 1911, pag. 1067). 

Zur Linderung der Beschwerden infolge Hypertension (Kopfschmerz, 
Schwindel, nervöse Erregbarkeit) haben sich auch die Nitrite be¬ 
währt (z. B. Spir. aeth. nitr. 3 mal 10 gtt.). Französische Aerzte be¬ 
dienen sich gern des Extraktes der Mistel. Die von L e - 
p r i n c e hergestellten G u i p s i n e enthalten die wirksamen Be¬ 
standteile frisch gesammelter Misteln — französisch le gui; sie ver¬ 
dienen entschieden ausgedehntere Anwendung. — Sie werden in 
Form von Pillen (ä 0,05) und auch in Ampullen zur intramusku¬ 
lären Injektion in den Handel gebracht. Da sie nur vorübergehend 
den Blutdruck herabsetzen, so werden fraktionierte Dosen gegeben 
<pro die 6 bis 10 Pillen vor den Mahlzeiten). Nach spätestens einer 
Woche setzt man das Mittel aus, ebenso beim Eintritt von Diarrhoe 
und gastrischen Störungen. 

Vor 2 Jahren wurde das Vasotonin in die Praxis eingeführt, 
um den pathologisch erhöhten Blutdruck herabzusetzen. Es ist eine 
Kuppelung des bekannten Aphrodisiakum’s Johimbin mit dem schwa¬ 
chen Schlafmittel Urethan, wodurch die Wirkung auf die Genitalsphäre 
aufgehoben und nur die Wirkung auf den Kreislauf erhalten wird 
(Müller, Fellner). S t a e h e 1 i n hat das Mittel an 18 Patienten 
mit auf Arteriosklerose basierenden Beschwerden versucht, dreimal 
ohne Erfolg, 15 mal trat mehr oder weniger ausgesprochene Besserung 
ein, die meist 2 Tage, gelegentlich auch länger anhielt. Nach wieder¬ 
holten Injektionen war das Resultat öfters dauernd und zwar unab¬ 
hängig vom Blutdruck, der durchweg sinkt. Nephritis gibt nicht abso¬ 
lute Kontraindikation. Man beginnt mit V 2 Spritze (0,03), in besonders 
zweifelhaften Fällen mit noch weniger. Wird dies gut vertragen, so 
appliziert man die volle Dosis (0,06). Man lasse die Injektionen nicht 
zu rasch einander folgen, oft genügen 2 bis 3 pro Woche. Es können 
aber 10, 20 und 30 notwendig werden. Die ersten Stunden nach der 
Injektion machen sich gelegentlich unangenehme Sensationen bemerk¬ 
bar, wie bei Inhalation von Amylnitrit, jedoch in geringerem Masse: 


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616 


Burwinkel, 


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Gefühl von Hitze und Spannung im Kopf, leichtes Herzklopfen, Op- 
pression, wollüstige Träume. Es kann Gewöhnung erfolgen. Vor gleich¬ 
zeitigem Morphium- oder Heroingebrauch ist zu warnen, während je 
nach Umständen Kombination mit Digitalis und Strophantus zweck¬ 
mässig erscheint. (Therap. Monatshefte 1910, No. 6, 9, 10.) G r a b i 
behandelte 26 Arteriosklerotiker im jüdischen Krankenhaus zu Berlin, 
bei denen der Blutdruck meist erheblich gesteigert war. Er hält Vaso¬ 
tonin für des Versuches wert, wenngleich der Erfolg unsicher und in 
keinem Fall vorauszusagen war. Nur bei 6 Patienten gingen Blutdruck 
und subjektive Beschwerden zurück (Halbmonatsschrift für soz. Hvg. 
u. prakt. Med. 1911, 1). Auch Beincke bestätigt die blutdruckherab- 
setzende Wirkung, die mit Aussetzen des Mittels mehr oder weniger 
schnell abklingt. Chronische Nephritis eignet sich nicht für diese Be¬ 
handlung. (Mediz. Klinik 1911, 31). Während Stachel in erklärt, 
dass man mit diesem Mittel bei Angina pectoris am meisten erreiche, 
erlebte Fr. M ü 11 e r - München bei seiner Anwendung recht unan¬ 
genehme Zufälle. 

Die Behandlung der Arteriosklerose des Zentralnervensystems mit 
T i o d i n e n führte objektiv keine Aenderung herbei, nur das Aus¬ 
sehen wurde frischer. Wohl aber schwanden wiederholt Kopfschmerz, 
Schwindel und Gedächtnisschwäche überraschend schnell; Schlaf und 
Stimmung hoben sich, die Besserung hielt längere Zeit an, einmal ein 
Jahr lang. Jod hatte vorher gar nichts geleistet. Er werden wöchent¬ 
lich 3 Injektionen ä 0,2 subkutan vorgenommen, im ganzen 16, höch¬ 
stens 20. Diese Injektionen sind völlig schmerz- und gefahrlos (Pa t sc ke, 
Deutsche med. Wochenschr. 1911, 33). 

Truneözek ging von der Annahme aus, Arteriosklerose be¬ 
ruhe auf Verarmung des Organismus an Blutsalzen. Er wollte nun 
eine Remineralisation herbeiführen durch das Serum anorga- 
nicum, dessen günstige Wirkung von Weil und Goldschmidt 
gerühmt wird. Da die Injektionen aber umständlich und schmerz¬ 
haft waren, wurden Nährsalze innerlich gegeben. Mit viel 
Reklame werden Natterers Antisclerosintabletten — auch in 
Verbindung mit Jod — angepriesen, ferner Asklerol, Regenerol, v. 
P ö h 1 s Sal physiologicum, von deren Anwendung man tatsächlich 
hin und wieder Besserung subjektiver Beschwerden sieht. Soeben 
kündigt ein Prospekt Eusklerol an — 3 mal täglich 15 gtt. in Wasser 
— „das seit einigen Jahren klinisch wohl erprobt und als ein therapeu¬ 
tisch äusserst wirksames Mittel gegen die Arteriosklerose erkannt 
ist“ !!! 

Es stand von vornherein zu erwarten, „dass auch Radium als 
Heilmittel für Arteriosklerose bezeichnet würde. In der Tat berichtet 
G r i n , dass bei Nephrosklerose Besserung erzielt wurde, indem der 
Brechreiz verschwand, die Urinmenge reichlicher und der Stuhl regu¬ 
liert wurde. Es wurden vor- und nachmittags je 2500 Macheeinheiten 
in 300 ccm Wasser genommen (Münch, med. Woch. 1911, 52). 

L e m o i n e - Lille erklärt Arteriosklerose für die direkte Folge 
der Ueberschwemmung des Blutes mit Lipoiden resp. Cholesterin, 
welche ihrerseits ihren Ursprung in allzulebhafter Tätigkeit der Leber 
haben. Man muss nun die Löslichkeitsverhältnisse der Lipoide im Kör¬ 
per begünstigen. Dies wird angeblich erreicht mit Hilfe eines Aether- 
Extraktes, in welchem Phosphatide eine Rolle spielen (Fort¬ 
schritte der Medizin 1912, 6). 


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Die Therapie der Arteriosklerose. 


G17 


Unentbehrlich für die späteren Stadien der Arteriosklerose sind 
•die Theobromin-Präparate. Wie bei der Behandlung der 
Angina pectoris erwähnt wurde, werden die stenokardischen Beschwer¬ 
den durch Diuretin (3 mal pro die 0,6 in capsul. atnpl. oder gelodur.) 
meist prompt gebessert. Anfälle von Asthma urämicum mit Unruhe 
und Schlaflosigkeit reagieren ausgezeichnet auf Darreichung von 1,0 
Diuretin mit oder ohne Zusatz von 0,1 Coffein, natr. salicvl. Dringend 
zu warnen ist bei derartigen Zuständen vor dem Gebrauch von Morphium, 
welches zwar die Beschwerden beseitigt, aber die Entstehung von Oedemen 
beschleunigt. Auch beim Asthma cardiale ist Diuretin häufig erprobt, 
ebenso bei Stauungsödemen infolge von Herzmuskelinsuffizienz (3—5,0 
pro die). Aehnlich wie Diuretin, das man der Billigkeit wegen als Theo¬ 
brom. natr.salicyl. verschreibt, wirken Agurin, Theoein, Theolaktin, Theo¬ 
phyllin, Theophorin. Sehr brauchbar sind die in Originalschachteln 
käuflichen Euphyllin-Suppositorien (ä 0,36, 2 bis 3 Stück pro Tag). 
Man muss wissen, dass beim Gebrauch dieser Theobrominpräparate 
Extrasystolen, Kopfschmerz und Uebelkeit auftreten können und dass 
die Wiederkehr der Krankheitserscheinungen nicht verhütet wird. Be¬ 
steht Schlaflosigkeit mit nervöser Unruhe infolge kontinuierlicher 
Hypertension, so leistet nachstehende Lösung gute Dienste: Rp. Natr. 
jod. Chloral. hvdr. ää 5,0 Aq. Menth, pip. ad 100,0 DS. abends und 
ev. nachts 1 Esslöffel. Bei stärkerem Hydrops infolge von Mesaortitis 
ist als letzter Rettungsversuch das Kalomel (nie mit Jod zusammen!) 
zu probieren: Rp. Caloinelan 0,2 Extr. op. 0,005 Sach. lact. 0,3 Mfpulv. 
■du tal dos No. X. S. 3 x täglich in Pulver zu nehmen. 

Zu den leider noch immer verbreiteten Irrlehren gehört auch das 
Verbot der Digitalis bei Arteriosklerose, da sie den Blutdruck 
erhöht und die Gefahr einer Apoplexie näher rücken soll. Nun ist die 
Droge stets angezeigt, wenn der Herzmuskel erlahmt und Stauungen 
]in kleinen oder grossen Kreislauf bemerkt werden. Gerade durch 
chronische Digitalisdarreichung kann bei arteriellen Kardiopathien oft 
lange Zeit eine leidliche Kompensation erhalten werden. 

W i e t i n g in Konstantinopel hat es zuerst erfolgreich unter¬ 
nommen, durch Einleitung des arteriellen Blutes in 
die Venen bahn eine arteriosklerotische Gangrän zu beseitigen. 
Auch Hey mann sah gute Resultate von dieser Verbindung der 
Arterien mit den Venen (Deutsche med. Woeh. 1008, 28, 1911, 34). 

Durch Chloroform na rkosen werden Arteriosklerotiker 
anscheinend nicht sonderlich gefährdet, wohl aber durch manche akute 
Krankheiten. Vor allem rafft die Pneumonie, dann auch die Influenza 
leicht den Arteriosklerotiker dahin. 

Was die Therapie von Aorten -Aneurysmen an¬ 
geht, so bin ich nie so glücklich gewesen, wie viele Aerzte, die durch 
steigende und grosse Gaben von Jodkali (4,0) wesentliche Verkleinerung 
oder gar Heilung erzielen konnten. Noch weniger Vertrauen verdienen 
Plumbum acet. und die Secalepräparate. Vor einer Reihe von Jahren 
haben Lanceraux und P a u 1 e s c o der Academie de medecine 
berichtet über Heilung von Aneurysmen durch Einspritzung einer 
Gelatinelösung. Diese keineswegs ungefährliche Methode hat sich in 
Deutschland niemals eingebürgert; sie scheint übrigens auch in Frank¬ 
reich ziemlich verlassen zu sein. Man hat auch Elektrolyse und Elektro- 
punktur versucht, indem man isolierte Nadeln in den Sack einsticht 
•und den konstanten Strom hindurchgehen lässt. Bei frühzeitig gestellter 


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ül« 


Pndor, 


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Diagnose leistet eine energische antiluetische Kur Gutes (Goldschei- 
d e r). Nützlich sind ferner kleine Aderlässe, ruhige Lebensführung, 
eine knappe nierenschonende Diät in der oben angegebenen Weise. 
Wölbt sich das Aneurysma als prominenter Tumor nach aussen vor f 
so muss eine hohlgearbeitete und sorgfältig gepolsterte Pelotte als Schutz 
getragen und jede Gewalteinwirkung vermieden werden. Es ist eine 
alte Kegel, dass man bei bestehendem Aneurysma ebenso wenig den 
.Magen sondieren soll, wie bei Koronarsklerose. Durch Beklopfen des 
Prozessus spinosus des VIII. Halswirbels mit dem Perkussionshammer 
will A b r a m s sowohl die normale als auch die aneurysmatisch er¬ 
weiterte Aorta zur Kontraktion bringen (Brit. Med. Journ. 1911, 11, 70). 
Dieser „aortic reflex of contraction“ bewährte sich an 140 Kranken,, 
bei welchen die klassischen Symptome des Aneurysmas durch physi¬ 
kalische und skiaskopische Untersuchungsmethoden demonstriert wer¬ 
den konnten. Alle waren in kurzer Zeit geheilt (sic!). Man sieht, die 
Zeiten für Wunder sind nicht vorüber und der selige Horaz schreibt 
mit Unrecht: ,,nil admirari“. 


Wasser-Parks und Städtebau. 

Von Dr. Heinrich Pudor. 

Man erschrecke nicht vor dem etwas absonderlich klingenden Titel 
„Wasser-Parks“. Aber das, was wir meinen, lässt sich nicht gut anders 
ausdrücken, und zwar bezeichnenderweise, weil eben die Sache selbst, 
die hier in Betracht kommt, nicht geübt und erprobt ist. Auch „Wasser- 
Landschaft“ klingt nicht viel besser. Umständlicher könnte man sagen:. 
„Die Bedeutung der stehenden und fliessenden Wässer für die Gross¬ 
stadt“. Bisher hat man eben diese Bedeutung des Wassers beim Städte¬ 
bau zu gering eingeschätzt, obwohl nichts anderes so sehr danach an¬ 
getan ist, die grössten hygienischen Schäden der Grossstadt, nämlich 
die Staub- und Bazillenentwicklung, zu unterdrücken und die aus¬ 
trocknende Luft zu feuchten, ganz abgesehen einstweilen von den 
mehr auf ästhetischem Gebiet liegenden Wirkungen des Wassers und 
von den Einwirkungen desselben auf Gemüt und Seele. Diejenigen 
Städte natürlich, die an der See oder an einem grossen Strom oder an 
einem sonstigen natürlichen grossen Gewässer liegen, sind von vorn¬ 
herein besser daran und sie haben auch eine günstigere Entwicklung 
genommen. Als das grosse Rom seine Blütezeit hatte, war es Seestadt. 
Karthago, Korinth, Syrakus, Damaskus, Byzanz waren Seestädte. Bei 
Venedig machten sich freilich auch die Nachteile des Wassers bei un¬ 
genügender Hygiene bemerkbar, im übrigen ist Venedig das Muster¬ 
beispiel einer Wasserstadt. Die modernste Weltstadt Newyork ist 
Seestadt, Ozeanstadt und zum grössten Teil von Wasser umflossen. 
Und wie Newyork die Grossstadt des Atlantischen, ist San Franzisko 
Grossstadt des Stillen Ozeans. Und diese jüngste Grossstadt, die 1848 
erst 500 Einwohner hatte, an der goldenen Bay auf einer Halbinsel ge¬ 
legen, mit einem wunderbar gleichmässigen Klima hat in seinem Pre- 
sidio und Golden Gate-Park zugleich grüne Anlagen mit Bäumen, wie 
sie sonst kein städtischer Park der Welt aufzuweisen hat. Von den euro¬ 
päischen Welt- und Grossstädten liegt Paris an der breiten Seine, die 
zudem gerade hier einen grossen Bogen macht, zum mindesten im 
Westen, während sie im Zentrum der Stadt in gerader Linie fliesst — 
im übrigen ist Paris wasserarm; was es im Bois de Boulogne und im 



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Wasser-Parks und Städtebau 


«10 


Bois de Vincennes an Wasser hat, ist das Einzige und ist nicht der Rede 
wert. Mehr noch ist Brüssel wasserarm und hat nur Kanäle und Teiche. 
Wien mit der Donau ist weit besser daran, auch Petersburg mit der 
Newa. Auf Berlin kommen wir später ausführlich zu sprechen. London 
hat abseits der Themse immerhin einige grössere Teiche, aber der Osten, 
der das Wasser am meisten braucht, entbehrt es. Von deutschen Städten 
haben viel Wasser Königsberg. Mannheim, Koblenz, Breslau, Bremen 
(dessen Stadtgraben heute als Wasserpark in Aussicht genommen ist), 
Kiel, Magdeburg (hier ist im Stadtpark zwischen dem Strom Elbe und 
der Alten Elbe Gelegenheit zu einer grosszügigen städtischen Wasser¬ 
parkpolitik gegeben) und vor allem Hamburg, wo das Stadtparkprojekt 
von Oberingenieur Sperber und Baudirektor Professor Fritz Schu¬ 
macher schöne Wasserarchitektur vorsieht. München wird durchzogen 
von der Isar, deren einzelne Seitenarme als Stadtbäche auch den an¬ 
grenzenden Parkanlagen Wasser zuführen. Wasserarm sind dagegen 
Aachen, das keinen Fluss, keinen See, keinen Kanal hat, zur Zeit aber 
an der Peripherie einen kleinen See (aus einem Sumpf gewonnen) er¬ 
hält, Darmstadt, das nur den grossen Woog hat, Wiesbaden, das keinen 
Fluss, nur zwei Teiche hat, Köln, das in der ganzen Stadt westlich 
vom Rhein kein Wasser hat (erwähnenswert dagegen der Klettenberg- 
Park), Leipzig, das seine natürlichen Gewässer nach Schildaer Art zu¬ 
gedeckt hat, Frankfurt, das ausser dem Main und einem Weiher im Zoo¬ 
logischen Garten kein Wasser hat. In Amerika sind Philadelphia, St. 
Louis, Baltimore wasserarm, im Gegensatz zu Boston. Die Idealstadt 
aber ist Chikago, die zweitgrösste Stadt der amerikanischen Union, 
am Westufer des Michigansees mit einer Wasser front von 22 km Länge 
und zudem noch vom Chikagofluss und seinen Armen durchströmt. 
Und auch von den natürlichen Wässern abgesehen, hat Chikago 
in seinen vielen Parks, die es in den letzten Jahren angelegt hat, vor 
allem im Jackson-Park mit zahlreichen grossen Lagunen, nie das Wasser 
vergessen. Einzigartig ist der Park Nr. 10 in der 71. Street, wo der 
grosse Spielplatz rings vom See und weiter vom Park umschlossen ist 
— das Ganze ein Wasserpark, wie wir ihn uns wünschen und wie er in 
Berlin z. B. in Tegel möglich wäre. Auch die amerikanischen, sogenann¬ 
ten Planschwiesen darf man nicht vergessen, wenn man von der Schät¬ 
zung des Wassers in den amerikanischen Grossstädten spricht. 

Die Entwicklung schreitet vorwärts, auch über das hinaus, was 
wir heute erstreben, ln die Steinwüsten der Grossstädte müssen vor 
allem Flussläufe und künstliche Seen gelegt werden, ohne die die Parks 
illusorischen Wert haben. Heute steht die Entwicklung unter dem 
Schlagwort „Wald- und Wiesengürtel“. In zehn Jahren werden wir 
dieselbe Bewegung mit dem Schlagwort Wassergürtel haben. Aber wa¬ 
rum wollen wir nicht, wenn wir es einsehen, heute damit beginnen ? 
Gerade für die Grossstadt ist das Wasser in vieler Beziehung noch 
wichtiger, als der Wald. Bäume nehmen Staub an, und können sogar 
zu Staub- und Bazillenträgern werden. Sieht man doch heute selbst 
an stark frequentierten Landstrassen bei trockenem Wetter die Bäume 
und das angrenzende Pflanzengrün mit dicker Staubkruste überzogen. 
Um wieviel mehr sind inmitten der Grossstadt oft genug die Bäume 
und sogenannten grünen Plätze von durchaus illusorischem Werte. 
Vielleicht macht man sich einmal die Mühe, die Blätter der Strassen- 
bäume, deren Wachstum Ende Mai beendigt ist, in bezug auf Bakterien¬ 
gehalt zu untersuchen. Eine solche Untersuchung dürfte am ersten 


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«2u 


Pudor, 


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geeignet sein, uns über die einseitige Pllanzenpfiegsehaft der Gress¬ 
stadt hinauszuführen. 

Auch auf der vielbeachteten Städtehauausstellung Berlin, Mai 1910. 
war das Wasser das zu Unrecht vergessene Element. Und so auch beim 
Preisausschreiben Gross-Berlin, abgesehen etwa von dem Entwürfe 
Professor Schmitzs „Berlin an der Havel“. Und bei dem Ausbau des 
Nordkanals, der in einer grossen Kurve von Tegel bis Köpenick führen 
soll, haben die Architekten da wirklich daran gedacht, diesen Wasser¬ 
arm zugleich zu einem Träger der Schönheit und Gesundheit zu machen ? 
Weder Möhring noch Jansen haben die Flussufer so vorgesehen, dass 
nicht nur die Schiffe auf dem Wasser, sondern auch die Passanten 
und Anwohner am Wasser etwas vom Fluss haben. Ueber das bloss 
Monumentale der Pflastersteine, wie es die Entwürfe der Preisträger 
zur Umgestaltung des Königsplatzes und zum neuen Opernplatz zeigen, 
sollten wir hinaus sein. So wie sie vorgesehen sind, ohne einen Tropfen 
Wasser, werden diese monumentalen Plätze eine Qual für das Auge 
sowohl als für die Lunge sein, und das Gemüt wird vollends leer aus¬ 
gehen. Und wie ist es mit dem Tempelhofer Feld ? Dort war nun einmal 
eine Gelegenheit gegeben, an das Wasser zu denken, denn das Feld liegt 
so tief, dass bei regnerischer Jahreszeit das Wasser von selbst Seen 
bildet. Aber weder Möhring noch Jansen haben bei ihren Entwürfen 
für den Ausbau des Tempelhofer Feldes an das Wasser gedacht (nicht 
einmal an Ausbau und Sanierung des Franzosenpfuhles). Und doch 
hat der ganze Süden vom Wannsee bis Müggelsee, abgesehen vom Tel¬ 
towkanal, bei dem man das landschaftliche Moment wiederum ver¬ 
gessen hat, kein Wasser. Auch Norden und Nordosten haben so gut wie 
kein Wasser. Und im Zentrum merkt man leider von der Spree allzu¬ 
wenig und eine moderne landschaftliche Flussarchitektur hat hier nie¬ 
mand ins Auge gefasst, obwohl der Fluss stellenweise recht breit ist. 
Wäre es nicht möglich gewesen, im jetzigen Scheunen viertel einen 
Wasserlustplatz zu schaffen! 

Auch die Schillerparkentwürfe haben kein Wasser vorgesehen. 

Den Halensee hat man fertiggebracht, so umzubauen, dass er kaum 
zu entdecken, geschweige denn zu gemessen ist. Und was den echt 
märkischen Grunewaldsee betriITt, so hat man bei der Erweiterung 
der Grunewaldkolonie wiederum darauf verzichtet, reizvolle Uferland¬ 
schaften zu erhalten, geschweige zu schaffen. Auch der Wilmersdorfer- 
see scheint von Jahr zu Jahr kleiner zu werden und auch dessen natür¬ 
liche Möglichkeiten auszunützen, haben die Städtebaukünstler über¬ 
sehen. 

Den einzigen Lichtblick bildet der noch zu Charlottenburg gehörige 
Lietzensee, bei dem die Natur den Menschen sozusagen mit Zaunspfählen 
auf die Bedeutung des Wassers für Städtelandschaft hingewiesen hat. 
und der geradezu ein Dorado von Wasserlandschaft bildet. 

Auf dem Lande ist das Wasser mehr wirtschaftlich, als hygienisch 
von Bedeutung, und wesentlich aus wirtschaftlichen Gründen sind 
die Dörfer da gegründet worden, wo Teiche zur Hand w r aren *)• I n 
der Stadt aber bildet das Wasser das Element, das am besten die Ver¬ 
bindung mit der Natur aufrecht erhält und das zwischen dem künst¬ 
lichen Steinbau und der grünen Natur vermittelt. Ich kann es mir 


') Vergl. hierzu den Aufsatz des Verfassers „Dorfpflege“. „Kölnische Zeitung“, 
17. August 1910. 



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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


621 


sehr wohl denken, dass man in fünfzig oder hundert Jahren durch breite 
Monumentalstrassen Wasserläufe legt, so wie wir jetzt etwas Bedeu¬ 
tendes zu tun glauben, wenn wir vierfache Baumreihen und Rabatten 
anlegen. Wenn es nun auch ausgeschlossen ist. dass wir heute schon 
so weit gehen, sollten wir doch zum mindesten alle natürlichen Ge¬ 
wässer nach allen Möglichkeiten ausnützen, zu vergrössern, statt zu 
verkleinern suchen, die Ufer landschaftlich ausgestalten und wo an¬ 
gängig Verbindungskanäle schaffen, um nicht nur Wald- und Wiesen¬ 
gürtel, sondern auch W a s s e r g ü r t e 1 zu erzielen. Wie bemerkt, 
die jüngste Entwicklung der Städtebaukunst steht nach dem Vorgänge 
Wiens im Zeichen der Waldgürtel rings um die Stadt. Die kommende 
Entwicklung muss im Zeichen der Wassergürtel stehen. Wir müssen 
einsehen, dass die Wasserstrassen und Kanäle nicht nur wirtschaftliche, 
sondern hygienische und ästhetische Bedeutung haben können, wenn 
sie in ihren Ufern und Umgebungen entsprechend ausgebaut sind. Im 
Jahre 1901 bereits veröffentlichte Verfasser in der Zeitschrift ..Der Lotse“ 
einen Artikel ,,Spreeuferbauten in Berlin“, der seitdem oft neu gedruckt 
ist, und weiter einen ebenfalls in verschiedenen Zeitschriften erschiene¬ 
nen Artikel „Wasserwirtschaft und Stromästhetik“ — aber die Nutz¬ 
anwendung, abgesehen etwa von dem erwähnten Entwurf Schmitzs 
,,Berlin an der Havel“, hat man bisher noch nicht gemacht. So wäre, 
um nur ein Beispiel zu nennen, bei der Anlage von Gross-Berlin nicht 
zu vergessen, dass Berlin nicht nur an der Spree und an der Havel, 
sondern im Seengebiet der Havel liegt, und dass es darauf ankommen 
muss, die westlichen und östlichen Seengebiete nicht nur durch wirt¬ 
schaftliche, sondern auch durch landschaftliche Wasserarme zu ver¬ 
binden, die Ufer landschaftlich auszugestalten, und da, wo keine natür¬ 
lichen Seen zur Hand sind, künstliche anzulegen, überall, wo man Bäumt: 
pflanzt und Anlagen schafft, des Wassers nicht zu vergessen, dem Bei¬ 
spiele Münchens folgend, auf grossen Plätzen Wasserbecken mit sprin¬ 
genden Brunnen zu schaffen. Und wenn dann der Grossschiffahrtsweg 
Berlin—Stettin aasgebaut sein wird, und zwar nach eben diesen hier 
geltend gemachten Grundsätzen, wird Gross-Berlin als Wald- und 
Seenstadt seiner wahren Bestimmung entgegengehen. 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 


Berger: Zu den Reformen im medizinischen Publikations¬ 
wesen : Eine Sonderdruck-Zentrale. 

Deutsche medizinische Wochenschr. 1912, Nr. 11. 

Der Verfasser hat sich die Aufgabe gesetzt, den vielerlei und so 
häufig betonten Missständen auf dem Gebiete des medizinischen Publi¬ 
kationswesens auf dem Wege vom Kleinen zum Grossen zu Leibe zu 
gehen. Er hat zu diesem Zweck die ,,m edizinisch - literarische 
Z e n t r a 1 s t e 11 e“ in Berlin-Friedenau gegründet und will mit seinem 
vorliegenden Artikel zu der Einrichtung einer „Sonderdruck- 
Zentrale“ anregen, deren Geschäfte zunächst in Anlehnung an 
jene, aber in durchaus selbständiger Verwaltung geführt werden sollen. 


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<522 


Referate und Besprechungen. 


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Alle interessierten Kollegen sollen sich zu einer „M edizinischen 
Vereinigung für Sonderdruckaustausch E.V.“ — 
Jahresbeitrag 10 M.) zusaminenschliessen, welche Besitzerin der „Son¬ 
derdruck-Zentrale“ und des bei ihr entstehenden „Sonderdruck- 
A r <• h i v s“ ist. An Stelle des bisher üblichen „persönlichen Moments“ 
in dem Sonderdruckaustausch soll das in gewissem Sinne Geschäfts- 
mässige und Zentralisierende treten: Dem Gebenden ebenso wie dem 
Nehmenden zum Nutzen! Alle Einzelheiten setzt Verf. in Form eines 
fertigen Planes für die Organisation und die Leistungen auseinander, 
so weit dies für ein derartiges, aus dem Kleinen herauswachsendes und 
doch weiteste Ausblicke eröffnendes Institut im voraus angängig ist. 
Frei von jedem allzu sanguinischen Hoffen auf „vielleicht“ Mögliches, 
hält sich der Plan durchaus an das praktisch Erreichbare. Zustande 
kommen kann aber die Vereinigung nur bei einer Mindestzahl von 500 
bis 600 Mitgliedern; und es ist desha'b dringend wünschenswert, dass 
jeder einzelne Interessent seine Stimme für wichtig genug ansieht, 
um seinen Anschluss an die „Medizinische Vereinigung für Sonderdruck- 
aiLstausch“ baldigst an Herrn Oberstabsarzt a. D. B e r g e r , Berlin- 
F r i e d e n a u , mitzuteilen oder wenigstens von ihm die Zusendung 
des Artikels zu erbitten. Autoreferat. 


Referate und Besprechungen. 

Pf Allgemeine. Pathologie. 

Jtf v ; Küster,*Hermann (Breslau), Die Bedeutung der Blutgerinnung für, die Ent¬ 
stehung der Thrombose. (Münchner med. Wochenschr. 1911, p.^2442.) 

Der in den meisten Lehrbüchern behauptete Zusammenhang zwischen 
Thrombose und leichter Gerinnbarkeit des Blutes besteht nicht zu Recht. 
K. gelang es durch eine zwar mühsame aber sehr zweckentsprechende 
Methode, deren Einzelheiten im Originale nachzulesen sind, den Ferment¬ 
wert und die Fibrinogenmenge verschiedener Blutsera zu vergleichen. Nun 
war bei Thrombosen weder die Ferment- noch die Fibrinogenmenge des 
Blutes erhöht. Zieht man noch in Betracht, daß bei Erkrankungen, bei 
denen die Fibrinogenmenge wesentlich erhöht ist, z. B. bei Pneumonien, 
die Thrombosen keineswegs häufiger sind als bei anderen Krankheiten, 
so erscheint die Schlußfolgerung gerechtfertigt, daß zwischen Blutge¬ 
rinnung und der Thrombose Beziehungen zur Zeit nicht nachgewiesen werden 
können. Frankenstein-Cöln. 

Cleu, Hub. (Paris, Val-de-gräce), Richelieu’» Krankheit. (Revue de m6de- 
cine. XXXII. Jahrgang 1912. Nr. 3. S. 194—240.) 

Die Tatsache, daß ein erblich tuberkulös belasteter, schwächlich ge¬ 
bauter Mensch unter ungünstigen hygienischen Verhältnissen lebend, 
dauernd überarbeitet lind an allen möglichen tuberkulösen Lokalisationen 
leidend sich zum Gebieter von Europa aufschwingen kann und erst mit 
57 Jahren stirbt, ist geeignet, die Tuberkulose weniger gefährlich erscheinen 
zu lassen. Andererseits wird die Natur der Krankheit dem Historiker zu 
denken geben, und er wird sich fragen, ob nicht manche Züge im Staats¬ 
mann Richelieu von seiner pathologischen Physiologie bedingt gewesen sein 
mögen. Buttersack-Berlin. 

Dupuy, Raoul, Kombinierte Opotherapie bei Zurückgebliebenen. (Gazette 
m6d. de Paris 1912. Nr. 134. S. 59.) 

Es ist nur eine halbe Erkenntnis, wenn man körperliches und geistiges 
Zurückbleiben ausschließlich auf die Schilddrüse bezieht. Die übrigen sog. 


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Referate und Besprechungen. 


623 


Drüsen mit innerer Sekretion kommen vielmehr ebenso in Betracht. Als 
therapeutische Konsequenz ergibt sich daraus, daß man derartigen bedauerns¬ 
werten Zeitgenossen nicht bloß mit Schilddrüsen-Präparaten nachhelfen soll, 
sondern mit einem Gemisch aus Schilddrüse, Nebenniere, Hypophysis, Ovarien, 
Testikeln usw. — 

Man sieht sofort, daß wir bezüglich dieser Dinge noch im diagnosti¬ 
schen Chaos leben. Aber man kann sich ohne allzugroße Anstrengung der 
Phantasie denken, daß ein künftiger Oppolzer die Mittel kennen lehren 
wird, die jeweils insuffiziente innere Sekretion herauszufinden und dem 
Manko mit der entsprechenden Opotherapie zu Leibe zu gehen. Vorläufig 
ist es aber leider noch nicht möglich, am postembryonalen Produkt die 
Sünden der Väter mit dauerndem Erfolg zu korrigieren. 

Offenbar ist die Lehre von den inneren Sekretionen bestimmt, im 
Laufe der Zeit an die Stelle des anatomischen Mosaiks ein chemisches 
Gemisch zu setzen. Die Kostüme wechseln, aber die Fabel bleibt dieselbe; 
und das Rätsel der vis compositoria, des ägyuixTcuv, von welchem Platon 
sagt: ovx avrog tgyaor äMxgcöMg oyiajr a gycov, entzieht sich dauernd den 
profanen Blicken. Buttersack-Berlin. 


Innere Medizin. 

Beddard, A. P. (London), Das anämische Erbrechen. (Practitioner Bd. 88, 
Heft 3.) 

Das anämische Erbrechen, das nicht ganz selten ist, gleicht ober¬ 
flächlich ganz dem Magengeschwür, und Beddard teilt Fälle mit, in denen 
1—2 mal laparotomiert war, ohne daß die geringste Veränderung am 
Magen gefunden wurde. Schmerz im Epigastrium und Erbrechen auf jede 
Nahrung sind stets vorhanden, außerdem aber schwere Anämie, Dilatation 
des Herzens und Überempfindlichkeit der Haut und der Muskeln der 
linken Brust (vgl. über die Beziehungen dieser Gegend zum Magen den 
„Hautmagenreflex“, über den in Jahrg. 1911 d. Ztschr. berichtet wurde). 
Die Empfindlichkeit der Haut kann so groß sein, daß ihre Berührung 
Erbrechen auslöst. Dessen Zusammenhang mit dem Zustand des Herzens 
wird dadurch erwiesen, daß oft Anstrengung des Herzens, z. B. Treppen¬ 
steigen, das Erbrechen hervorbringt. 

Bemerkenswert ist, daß nach diesen gastrischen Krisen der Zustand 
ganz normnl zu sein scheint, kein Kollaps, keine Pulsbeschleunigung. Etwas 
Blut kann wie nach jedem heftigen Erbrechen zu Tage kommen. Von 
besonderem Wert bei der Differentialdiagnose gegenüber dem Magenge¬ 
schwür ist die verbreiterte Herzdämpfung, wobei zu bemerken ist, daß der 
Spitzenstoß innerhalb der Mammillarlinie und trotzdem der linke Herzrand 
7 cm außerhalb derselben sein kann. 

Die Behandlung ist natürlich der des Magengeschwürs ganz entgegen¬ 
gesetzt. Meist sind diese Anämischen halb verhungert, ehe sie in die 
passende Behandlung kommen, und müssen kräftig gefüttert werden, was 
nach 1—2 Tagen völliger Bettruhe keine Schwierigkeit zu machen pflegt. 
Die Bettruhe ist neben der Ernährung die Hauptsache und muß über 
Wochen ausgedehnt werden, jedenfalls solange, als die Herzdämpfung noch 
kleiner wird, und dann noch etwas länger. Stockt die Verkleinerung, so 
ist anzunehmen, daß ein weiteres Fortschreiten derselben nicht möglich ist, 
wo dann auch mit dem Aufstehn begonnen werden kann. Daneben behandelt 
B. die Anämie mit Fowlerscher Lösung und Eisen. — 

Zu bemerken ist noch, daß Beddard kein Jüngling auf der Suche nach 
Neuem ist, sondern innerer Arzt zweier großer Krankenhäuser. 

Fr. von den Velden. 

Die Tuberkulose ln der französischen Armee vor dem Senat. (Bulletin 
»nödical 1912. Nr. 16. S. 169—172.) 

Frankreich, das schöne Land, welches der Menschheit so viele glänzende 
Genies geschenkt hat, befindet sich in einer kritischen Lage. Nicht allein 
nimmt seine Bevölkerung an Zahl stetig ab, sondern auch an Widerstands- 


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624 


Referat« und Besprechungen. 


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kraft Einen Index dafür gibt die Tuberkulose in der Armee, welche in 
erschreckenden Progressionen wächst Die folgende Tabelle demonstriert 
das deutlich genug, ebenso das parallele Verhalten des Alkoholismus. 



Tuberkulose-Morbidität: 

— Mortalität 

Alkoholismus 

1888 

1914 

516 

_ 

1890 

2421 

500 

39 

1895 

3421 

538 

_ 

1900 

3039 

435 

67 

1901 

3542 

450 

57 

1902 

3580 

424 

80 

1903 

3627 

370 

92 

1904 

3151 

309 

137 

1905 

2980 

301 

132 

1906 

3240 

308 

222 

1907 

3717 

384 

177 

1908 

3907 

403 

155 

1909 

3552 

322 

147 

1910 

3556 

331 

— 


Stellt man die Statistiken der anderen Staaten daneben, so springt 
Frankreichs ungünstige Lage noch mehr in die Augen. Im Quinquenium 
1903—1907 erkrankten im Mittel in der französischen Armee &,12 n l no , 
Deutschland 1,91 (Bayern 1,89) o/ 0o , England 2,5 «o 0 , Österreich-Ungarn 
3,72 o/ 0o , Belgien 4,6 « o 0 , Spanien 7,32 o/ 0o , Italien 1,73 o/o 0 , Rumänien 
4,91 o o u , Rußland 3,64 "/o 0 . In der Tuberkulose-Sterblichkeit rangiert 
Frankreich allerdings erst an 3. Stelle, hinter Rußland und England; aber 
diese Armeen sind nicht ohne weiteres den übrigen europäischen ver¬ 
gleichbar. 

Zur Entlassung gekommen sind wegen tuberkulöser Affektionen 1909: 
6081 Mann, 1910: 5235; davon sei allerdings bei einem Viertel die Tuber¬ 
kulose noch nicht ausgesprochen gewesen, sondern nur drohend. Aber das 
hellt das Bild nicht merklich auf. 

Woher kommt nun (diese verhängnisvolle Zunahme der Tuberkulose 
in der Armee? Von der Form der Aushebung, sagt der Referent M. Po ul le: 
En Allemagne, on ne prend que les trös bons sujets; en France, on a une 
tendance ä n’exclure que les tres mouvais sujets; und da, wie der Kriegs¬ 
minister bemerkte, die Tuberkulose beim Militär und in der Zivilbevölkerung 
parallel geht, so ist leicht einzusehen, daß aus einer tuberkulosereichen 
Bevölkerung auch mehr tuberkulöse Soldaten in die Armee gelangen. 

Nun scheint die Abhilfe ja verhältnismäßig einfach zu sein: man sei 
bei der Aushebung vorsichtiger und stelle keine Tuberkulose-Aspiranten 
ein. Das Verfahren hat sich in Deutschland ganz gut bewährt. Aber 
davon ist keine Rede. Der Gedanke, den Etat der Armee zu verringern, 
scheint keinem französischen Parlamentarier zu kommen. Indessen, die Ab¬ 
hilfen, die sie sonst Vorschlägen, sind auch ganz gut. Zunächst soll die 
einst von Grancher ins Leben gerufene Oeuvre de la preservation de 1’ 
enfance contre la tuberculose ausgebaut werden; denn — und diese Be¬ 
gründung ist psychologisch bemerkenswert — es sei vernünftiger, weiße 
Soldaten zu züchten, als in Marokko schwarze mit großen Kosten zu 
annektieren (il est illogique au moment oü l’on fait des sacrifices ipecuniaires 
considerables pour avoir des soldats noirs, de ne pas faire le meme effort 
pour sauver le graine qui nous donnerait d’excellents soldats blancs, en 
generalisant, en nationalisant la protcetion de l’enfance). 

Eine zweite Maßregel wäre die Einschränkung der Brennereien und 
der Schankstellen von Alkohol. Der Parallelismus zwischen Alkohol und 
Tuberkulose präsentiert eich besonders beim 3. Armeekorps in der Nor¬ 
mandie mit erschreckender Deutlichkeit. 

Im übrigen plaidieren die Sachverständigen, wie Poulle, Gran- 
j u x usw. für ein Rekrutierungsverfahren, das unserem deutschen ziem¬ 
lich ähnlich wäre. Nur der Vorschlag, daß, wenn einer ex officio um ein 



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Referate und Besprechungen. 


625 


Jahr zurückgestellt wird, daß ihm dieses Jahr als wirklich geleistetes Dienst¬ 
jahr angerechnet werden soll (de compter comme annee faite l'annöe 
d’ajournement), mutet vom militärischen Standpunkt aus sonderbar an. 

Wir Deutsche wünschen unseren Nachbarn aufrichtig die besten Er¬ 
folge für ihre Bestrebungen. Denn auch für Volkskörper gilt der Satz: 
mens sana in corpore sano. Was aber die Bekämpfung des Alkoholismus 
betrifft, so hat soeben die Chambre des deputes eine Gesetzesvorlage, welche 
die Zahl der Brennereien und Schnapsschänken reduzieren will, mit 360 
gegen 156 Stimmen an die Kommission zurückverwiesen, d. h. begraben. 
Nicht die Rücksicht auf die Sache an sich hat diese Entscheidung gezeitigt, 
sondern die Rücksicht auf die Wahlzettel; denn der Inhaber einer Destille 
ist ein gar einflußreicher Faktor. Man sieht also: im Kampfe der Ver¬ 
nunft mit dem Alkohol siegt vorläufig die erstere noch nicht. 

Buttersack-Berlin. 

Brunon, R. (Rouen), Les rGvulsifs dans le trnitement de la tuberculose 
pulmonaire. (Bull. möd. 1912. Nr. 17. S. 191/92.) 

Bei dem spiraligen Verlauf aller irdischen Dinge darf man sich nicht 
wundern, im Kreislauf der Jahre alte, scheinbar längst überwundene An¬ 
sichten und Methoden wieder aufleben zu sehen. So empfiehlt der Kliniker 
von Rouen zur Bekämpfung der Tuberkulose Pinselungen mit Jodtinktur, 
Schröpfköpfe, Senfpapiere, Pointes de feu, Blasenpflaster und sogar das 
Ferrum candens; er Rabe ausgezeichnete Erfolge, ja Heilungen davon ge¬ 
sehen. Viel Anklang scheint Brunon mit seiner Therapie bei den Ärzten 
seines Departements nicht gefunden zu haben; denn das Departement de la 
Seine-Inferieure steht hinsichtlich der Tuberkulose-Mortalität nicht hinter 
den anderen zurück. 

Im übrigen liegt dem Vorgehen von Brunon ein gewiß richtiger 
physiologischer Instinkt zu Grunde, nämlich die Idee, daß alle Teile des 
Körpers untereinander in Zusammenhang stehen und daß somit mittelbare 
Beeinflussungen der einzelnen Organe möglich sind. Theoretisch erhebt sich 
da die Frage nach dem Medium, welches diesen Zusammenhang garantiert; 
und praktisch die andere, ob es nicht schonender^ Methoden zur Heilung 
gibt, als die von Brunon angewendeten. R o 11 i e r in Leysin heilt seine 
Knochentuberkulosen mit Sonnenlichtstrahlen, ohne daß dabei die Haut 
durch Narben entstellt wird. Wie wäre es, wenn man diesem Pfad nach¬ 
ginge? Buttersack-Berlin. 

Marco longo, Giuseppe (Venedig), Phleboklyse bei Cholera. (Gazetta degli 
ospedali e delle cliniche 1912. Nr. 18.) 

Es ist nicht ohne Interesse, bei den verschiedenen medizinischen Publi¬ 
kationen den philosophischen Grundvorstellungen nachzuspüren, aus denen 
sie hervorgegangen sind. Überraschend häufig findet man da einen mehr 
oder minder verkappten Cartesianismus oder die Konsequenzen des l’homme 
machine. Wenn die Chirurgen ein erkranktes Organ herausschneiden oder 
gar von einem Gesunden ein anderes transplantieren, so liegt da die krasse 
mechanistische Denkweise klar zu Tage. Neuerdings sind auch die Inter¬ 
nisten mehr und mehr infiziert, so daß der Versuch des Krankenhausdirek¬ 
tors von (Venedig kaum noch auffällt. Er sagte sich: Warum soll -ich 
bei der Infusion Cholerakranker auf die Resorptionsfähigkeit der Subkutis 
rechnen? Warum soll ich nicht meine physiologische Kochsalzlösung direkt 
und dauernd ins Gefäßsystem laufen lassen? Zu dem Zwecke legte er 
eine Verweil-Kanüle in eine Vene und ließ ad libitum Flüssigkeit einströ¬ 
men. Von 162 Cholerakranken sind 27 ohne Phleboklyse geheilt worden; 
vom Rest sind 32 trotz der Therapie gestorben, was der Verfasser für 
einen vorzüglichen Erfolg ansieht. 

Die Phleboklyse in Verbindung mit der Ernährung durch eine Magen¬ 
fistel bezw. mit Nährklistieren eröffnet Ausblicke in wahrhaft herrliche 
Zeiten, auf welche, \vie auf keine anderen, Huttens Satz passen wird: 
„0 saeculum! o litterae! Juvat vivere!“ Buttersack-Berlin. 

40 


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Referate und Besprechungen. 


ü2ü 


Bruxton-Hieks, I. A. Ein ungewöhnlicher bakteriologischer Befund (Micro* 
coccus aiyinogones) bei einem Fall von maligner Endokarditis. (Proc. R. Society 
of Medicine, Vol. V, Nr. 4.) 

Der seiten beobachtete Kokkus ist bis jetzt nur bei ulzerativer Endo¬ 
karditis und bei Autopsien, wo es sich um sekundäre Infektion zu handeln 
schien, nachgewiesen worden. Im vorliegenden Falle wurde er im Blut 
der an Endokarditis Erkrankten nachgewiesen. — 

Das Interessante an dem Fall ist, daß in einem krankhaft veränderten 
Blute alles mögliche gedeiht, was in gesundem nicht gedeihen würde, ohne 
daß man es gleich als Ursache der Krankheit ansehen dürfte. Als solche 
kommt der M. zymogenes sicherlich nicht in Betracht, denn Meerschwein¬ 
chen reagierten auf große intraperitoneale Einspritzungen gar nicht und 
Mäuse nur vorübergehend. Fr. von den Velden. 

Uis, \Y. (Berlin)* t)ber langdauernde Drainage der Hautödeme. (Ztschr. 
f. physik. u. diätet. Therapie 1912. Bd. XVI. H. 1. S. 1 — 3.). e> 

Bei einem 6 jährigen Knaben gelang ies, durch Gerhardt sehe Inzisionen 
ca. 5 Monate lang hochgradige Ödeme und Aszites (polyserositischer Her¬ 
kunft) zu bekämpfen, ohne daß eine Infektion erfolgte. 

Buttersack-Berlin. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Lawrance, M. C. S. (Earlestown), Kleine Chirurgie in der allgemeinen 
Praxis. (Practitioner Bd. 88, H. 3.) 

L. befolgt den sehr richtigen Grundsatz, daß ein steifer Finger schlim¬ 
mer ist als ein fehlender — nur die Endphalanx dafff steif sein, das 
stört kaum, vorausgesetzt, daß die Beweglichkeit im nächsten Glied ganz 
frei ist. Er näht deshalb abgetrennte Endphalangen an, auch wenn sie 
übel zugerichtet sind, amputiert aber rettungslos beschädigte Finger sofort 
unter Lokalanästhesie. Auf gründliche Reinigung der Wundumgebung ver¬ 
zichtet er notgedrungen, er badet die Hand in 1 o/ u Lysollösung (was in 
Anbetracht des Zustands einer Arbeiterhand auch mehr eine Gewissens¬ 
beruhigung ist als sonst was, Ref.) und pinselt sie dann mit l«o Jodalkohol. 
Asepsis ist dem allein Operierenden versagt, er braucht deshalb Antiseptika, 
Sublimat oder das in England sehr gebräuchliche Quecksilberzyanid (viel¬ 
leicht versucht er einmal, ob es nicht auch mit nicht imprägnierter Gaze 
geht; sie ist immer noch sauberer als eine Maschinistenhand. Einen alten 
Chirurgen, der mit der Asepsis, wo sie erreichbar und nötig war, sehr 
wohl umzugehen wußte, hörte Ref., nachdem er still der aseptischen Be¬ 
triebsamkeit zugeschaut hatte, sagen: So, jetzt sterilisieren sie auch den 
Eiter!). Die Watte trocknet er am Feuer, weil sie so besser absorbiert 
und dem Patienten angenehmer ist. Besonderen Wert legt er darauf, daß 
keine zu starken Antiseptika gebraucht werden, da sie die Lebensfähig¬ 
keit der Gewebe beeinträchtigen. Fr. von den Velden. 

Morton, Ch. J., Die Böntgenstrahlen-Prognose der Frakturen. (Proc. of the 
Royal Society of Medicine, Vol. V, Nr. 4.) 

Aus dem Aufsatz sei nur die durch Radiogramme erwiesene Tatsache 
berichtet, daß auch die Behandlung der Knochenbrüche mit Spangen und 
Schrauben (über die hier wiederholt berichtet wurde) nicht vor Dislokationen 
und Pseudarthrosen schützt. Wir sehen da eine verschraubte Ulna, die 
geheilt ist, während der Radius eine starke Diastase zeigt, eine Malleolen- 
fraktur mit so schöner typischer Abknickung, als ob sie überhaupt nicht 
behandelt wäre, eine Patella, deren Drahtnähte gerissen sind, eine zerbrochene 
Spange mit winkliger Knickung des Knochens, eine do. nach Bruch einer 
Schraube, eine starke Dislokation anscheinend infolge Schwund des Knochens 
in der Umgebung der eingebohrten Schrauben. Je feiner eben die Technik 
ist, desto weniger paßt sie in alle Hände. Wer die Knochen mit Spangen 
verschrauben will, sollte einen Kursus al3 Tischler durchgemacht haben. 

Fr. von den Velden. 


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Referate und Besprechungen. 


627 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Lorber, H. (New-York), Verfrühte Menopause. (The Port -Graduate Bd. 27, 
Heft 1.) 

Mitteilung von drei typischen Fällen. 1. Amenorrhoe bei normalen, 
höchstens etwas kleinen inneren und äußeren Genitalien, die Amenorrhoe 
besteht auch nach der Heirat fort. 2. Suppression der Menses durch 
psychische Einflüsse, Wiedererscheinen erst nach längerer Zeit; nach L. 
ein häufiger Fall. 3. Sehr unregelmäßige und schwache, alle paar Monate 
auftretende Menstruation, verbunden mit Stoffwechselstörungen. L. hat in 
solchen Fällen gute Erfolge durch Verabreichung von Ovarin und Faradisa- 
tion erreicht. (Ob nicht ein regelmäßiger ehelicher Verkehr wirksamer 
ist? Er ist leider nicht in die Pharmakopoe aufgenommen. Ref.) 
Störungen der Menstruation beruhen häufig auf im Kindesalter über¬ 
standene Krankheiten der Ovarien (daß besonders Vaginalblenorrhoe 
im Kindesalter die Ursache späterer Menstruationsstörungen sein können, 
ist von amerikanischen Ärzten mitgeteilt worden, Ref.). Bei allen solchen 
Fällen seltener oder fehlender Menstruation kann durchaus nicht voraus¬ 
gesagt werden, daß Schwangerschaft nicht eintreten könne. Winkels Schüler 
werden sich erinnern, daß er gern von dem Erstaunen einer vielfachen 
Mutter erzählte, als sie um das 40. Jahr zum ersten Male unwohl wurde. 

Fr. von den Velden. 

Dalch6, Paul (Paris). Am6norrr6e rdeente. Masculisme r^gressif. (Bull. 
m6d. 1912. Nr. 23. S. 293/94.) 

In der Societe medicale des höpitaux stellte D a 1 c h e eine Frau von 
28 Jahren vor, die sich ganz normal nach dem weiblichen Typus entwickelt 
hatte. Sie heiratete mit 22 Jahren, erlitt aber „par une brutalite“ im 23. Jahr 
eine Fehlgeburt. Seitdem verschwanden die Menses völlig und ihr ganzer 
Organismus entwickelte sich nach dem männlichen Typus hin: das Fett 
schmolz ein, die rundlichen Formen verloren sich, der Busen wurde kleiner, 
der ganze Körper bedeckte sich mit Haaren, insbesondere sproßte im Ge¬ 
sicht ein regelrechter Bart hervor. Die äußeren Genitalien blieben un¬ 
verändert, dagegen ließen die inneren eine deutliche Hypoplasie erkennun. 
Stimme unverändert; Thyreoidea eher klein als groß; leichter Exophthalmus. 

In der Diskussion w-urden eine Reihe ähnlicher Beobachtungen mit¬ 
geteilt (auf den analogen, normalen Prozeß im Alter der Frauen scheint 
niemand hingewiesen zu haben) und man sprach alle Drüsen mit innerer 
Sekretion als Ausgangspunkte dieser merkwürdigen Umstimmung duren. Am 
meisten Bedeutung schien den Nebennieren zugemessen zu werden. Allein 
schließlich einigte man sich, diese Vermännlichung als ein: syndrome 
pluriglandulaire aufzufassen; d. h. daß die gesamten inneren Sekretionen verän¬ 
dert seien. Viel gewonnen ist damit praktisch nicht; w T ohl aber theoretisch, in¬ 
dem man erkennt, daß die Forderung einer in einem bestimmten Organ 
lokalisierten Sedes morbi bei Allgemeinkrankheiten nicht erfüllbar ist, son¬ 
dern auf schiefe Bahnen lockt. Buttersack-ßerlin. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung 

Paget Lapage, C. (Manchester), Die angeborene hypertrophische Stenose des 
Magens bei Säuglingen. (Praetitioner Bd. 88, H. 3.) 

Die Symptome beginnen, obgleich der abnorme Zustand des Magens 
angeboren zu sein scheint (er ist schon bei Foeten gefunden worden) meist 
in der 3. Lebenswoche: heftiges Erbrechen, rascher Verfall, Verstopfung, 
starke Peristaltik. Das Erbrechen braucht nicht nach jeder Nahrungsauf¬ 
nahme einzutreten, oft nur 1—2 mal täglich. Der Pylorus ist ein solider 
Zylinder von 2—3 cm Länge, oft nicht einmal für eine Sonde durchgängig, 
mit hypertrophischer Muskulatur, deren Spasmen die Undurchgängigkeit her¬ 
beiführen. 

Die Behandlung ist chirurgisch — Gastroenterostomie — mit 50 
bis 70 o/o Mortalität und selbst bei gutem Ausfall zweifelhaften weiteren Ver- 

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lauf, oder intern. Die Operation ist nur anzuraten, wenn das Kind noch 
in gutem Kräftezustand ist. Die meisten Fälle werden besser intern be¬ 
handelt, und zwar mit sehr kleinen Mengen (ein Teelöffel bis Eßlöffel) 
stündlich und Auswaschungen des Magens. Man versucht peptonisierte Milch, 
Nestle, Molken, Eiweißwasser und Fleischsaft und bleibt bei dem. was 
am besten vertragen wird. Mit der Zeit pflegt sich der Krampf des Pylorus 
zu beruhigen, so daß größere Mengen vertragen werden. Der Magen hat 
oft Neigung, sich in zwei Kammern zu teilen (spastischer Sanduhrmagen), 
was das Erbrechen gleich nach der Magenspülung erklärt. Rektalinfusionen 
mit Salzwasser können nötig werden, der Wert rektaler Ernährung ist 
zweifelhaft. Krampfstillende Medizin ist nicht imstande, das Erbrechen zu 
verhindern. Fr. von den Velden. 

Döbeli (Bern), Zur Ätiologie und Pathologie des Keuchhustens. (Korre¬ 
spondenzblatt für Schweizer Ärzte 1912. Nr. 4.) 

Obgleich ein Erreger mit Sicherheit nicht festgestellt ist, so liegt doch 
eine in sehr hohem Grade übertragbare Krankheit vor, deren einmaliges 
Überstellen im allgemeinen immun macht. Keuchhusten kann bei Kindern 
Vorkommen, die nie mit anderen Kranken zusammengekommen sind, ebenso 
bei Kindern mit übererregbarem Nervensystem, und zwar mit dem Grade der 
Übererregbarkeit entsprechend intensiven Anfällen. Der Vorgang der Infek¬ 
tion ist so zu erklären, daß zunächst der die Pertussis begleitende event. 
durch die verschiedenen Bakterien hervorgerufene Katarrh der oberen Luft¬ 
wege übertragen wird, während die Auslösung der eigentlichen typischen 
Anfälle durch psychische Infektion stattfindet; es muß also ein Kind mindestens 
andere Anfälle gehört oder gesehen haben. Es ist möglich, daß sich durch 
Unterdrückung mit Hilfe des Willens im Zentralnervensystem Hemmungs¬ 
bahnen ausbilden können, die dem Kinde eine psychische Immunität verleihen. 

v. Schnizer-Höxter. 

Treber, Hans (München), Welchen Erfolg hat die Cred&che Prophylaxe In 
Bezug auf die durch die Blenorrhoea neonatorum hervorgerufene Erblindung 
aufzuweisen ? (Wiener klin. Rundschau 1911. Nr. 36 u. 36.) 

Wenn es auch bereits früher bekannt war, daß die Argentum nitricum- 
Lösung ein vorzügliches Mittel gegen die Augenentzündung der Neuge¬ 
borenen darstelle, so ist doch erst Crede auf den Gedanken gekommen, 
vorsichtshalber dem Neonatus ohne Ansehn der Person das Mittel einzu¬ 
träufeln. — In den Gebäranstalten hat das Verfahren seine Wirkung getan, 
aber um das Leiden ganz auszurotten und damit den Prozentsatz der Erblin¬ 
dungen immer mehr zu verringern, müßte das Credösche Verfahren 
auch in der Hauspraxis angewandt werden, man müßte also der 
Hebammo die Flasche mit den Höllensteintropfen in die Hände geben. Das 
hat seine Bedenken, vor allem wird die Lösung allmählich verdunsten und 
damit eine zu starke Konzentration bekommen. Verfasser schlägt deshalb 
vor, statt der üblichen 1 o/o Solution von Argentum nitricum eine gleich 
starke von Argentum aceticum zu benutzen. Von diesem Präparate 
geht bei 14 Grad nie mehr als 1,02 in die Lösung über, sie kann also 
niemals zu stark werden. — Aus dem reichen Zahlenmateriale, das der 
Verfasser aus den Blindenanstalten zusammen trägt, geht hervor, daß das 
Verfahren einen schönen Erfolg gehabt hat, dieser würde ein fast 
vollkommener sein, wenn die segensreiche Methode — 
etwa wie die Impfung — bei jedem Neugeborenen vorgenom¬ 
men würde. Steyerthal-Kleinen. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Williams, T. A. (Washington). Die Methode der Psychotherapie bei der 
Behandlung der Psyehasthenie, die dem Potatorium zu gründe liegt. (Sep.-Abdr. 
aus^Medical Record, Nov. 1911.) 

Potatoren gehören zunächst in die Anstaltsbehandlung, aber die lange 
und schwierige Nachbehandlung, ohne die kein dauerndes Resultat erreicht 
wird, fällt dem praktischen Arzt zu. Zuweilen beruht die Sucht nach Alkohol 


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Referate und Besprechungen. 


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auf Stoffwechselstörungen und läßt sich mit diesen beseitigen, gewöhn¬ 
lich aber findet sie sich bei Neurotikern und besonders solchen, die fühlen, 
daß sie den Pflichten ihres Berufs nicht gewachsen sind. Diät, Baden, das 
richtige Maß von Ruhe und Ermüdung tun viel, den Rest muß die Wieder¬ 
erziehung des Kranken leisten. Für die Ausführung dieser gibt W. allerlei 
Winke, die sich für ein Referat nicht eignen. Es sei nur angedeutet, daß 
er mit der Erziehung ganz von unten anfängt. Sein Verfahren gleicht teils 
dem Anschauungsunterricht der ersten Schulstunden, teils dem Drill der 
Rekruten zu genauer Ausführung körperlicher Bewegungen. Auf diese Weise 
bringt er dem Kranken allmählich bei, daß er im eigenen Hause seines 
Körpers und Geistes etwas zu sagen hat und das auch kaito, wenn er die 
nötige Energie auf bringt. Fr. von den Velden. 

Cohn, T. und Gatz, Emanuel (Berlin), Beiträge zur Elektrodlagnostlk der 
peripherischen Gesichtslähmung. (Gleichzeitig Bemerkungen zur „metaparalytischen 
psychogenen Akinesie“.) (Neur. Centralbl. 1912, H. 3.) 

Bei peripherischen Lähmungen findet sich oft eine Inkongruenz zwischen 
Funktion und elektrischem Befund. Eine jetzt 20jähr. Patientin hatte im 
Alter von 3 Jahren angeblich nach Masern eine rechtsseitige, noch nie 
in der Folgezeit behandelte Gesichtsnervenlähmung bekommen und wurde 
wegen der Frage der Nervenpfropfung zur Untersuchung gesandt. Im 
Gegensatz zu der vollkommenen Ruhigstellung und Schlaffheit der rechten 
Gesichtshälfte (auch Lagophtalmus und Tränenfluß) ergab die elektrodia- 
gnostische Untersuchung nur eine galvanische und faradische Unerregbar¬ 
keit des m. frontalis und orbicul. oculi, während das ganze übrige erkrankte 
Gebiet eine kaum in Betracht kommende Herabsetzung der galvanischen 
und faradischen Erregbarkeit zeigte. Trotz dieser elektrischen Unterschiede 
der Aste war die Funktion in denselben gleich gestört. Den Bewegungsaus¬ 
fall in den elektrisch intakten Partien muß man sich daher wohl als einen 
funktionellen erklären, indem durch den Verlust der Bewegungsempfin¬ 
dungen sekundär eine Verkümmerung der Bewegungsvorstellungen ein- 
tritt (s. obiger Name). Durch elektrische Behandlung wurde dement¬ 
sprechend trotz der langen Dauer eine Besserung in den elektrisch intak¬ 
ten Partien erzielt. Es handelt sich also um eine psychogene, nach abge¬ 
laufener in der Kindheit eingetretener Lähmung zurückbleibende Störung, 
der jedes hysterische Moment fehlt. Ein ähnlicher bereits früher publi¬ 
zierter, von C. beobachteter Fall wird nochmals erwähnt. In der Genese 
verwandt sind die sog. Gewöhnungslähmungen (Ehret, Arch. für Unfall¬ 
heilkunde 1898) vor allem der Peroneusmuskeln bei Traumatikern nach 
schmerzhaften, zunächst Gewöhnung an eine pathologische Fußstellung be¬ 
dingenden Zuständen. Unterschiede bestehen in der Entstehung im höheren 
Alter bei den letzteren, in dem schleichenden Einsetzen der sich langsam 
und in ständigem Fortschritt entwickelnden Lähmung, in der etwas un¬ 
günstigeren von einer möglichst frühen Therapie zu bessernden Prognose. 
Während es sich ferner hier um ein Sichgewöhnen an einen durch Schmerz 
hervorgerufenen Bewegungsausfall handelt, beruht in den geschilderten 
Fällen infantiler Störung die Testierende Lähmung auf einem Verlernen 

früher vorhanden gewesener Innervationsfähigkeit durch das kindliche Ge¬ 
hirn. — 

Ein anderer beobachteter Fall demonstriert, daß es Fälle von Fazialis¬ 
lähmung gibt, bei denen trotz jahrelangen Erhaltenbleibens galvanischer 
Erregbarkeit, trotz stellenweiser Wiederkehr der faradischen Reaktion und 
teilweisen Normalwerdens der Zuckungsform keine Spur von Wiederher¬ 

stellung der Funktion sich finden kann. Eine Erklärung für dieses seit 
4 Jahren beobachtete Mißverhältnis vermögen die Autoren nicht zu geben, 
vielleicht handelt es sich um eine immer wieder erneut wirkende Schädi¬ 
gung. Die Lähmung war im Anschluß an die operative Beseitigung eines 

Parotissarkoms eingetreten. Zweig-Dalldorf. 

Canestrlni, S. (Graz), Über Erfolge der Salvarsanbehandlung bei Tabes. 
(Neur. Centralbl. 1912, H. 1.) 

C. behandelte sowohl Fälle von Tabes als von Paralyse als von Gehirn- 


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Referate und Besprechungen. 


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syphilis mit intravenösen Saivarsaninjektionen (30 ccm event. v'ederholent- 
lieh). Besonders ausgiebig waren die Erfolge bei der letzteren, worauf 
C. genauer nicht eingeht. Bei der Paralyse sah er keine 'Besserungen, bei 
der Tabes dagegen hoben die Patienten die roborierende Wirkung, die 
Besserung der Leistungsfähigkeit und das Aufhören der lanzinierenden 
Schmerzen hervor, auch die Inkontinenz verschwand. Festgestellt konnte 
ferner werden eine Abnahme der Sensibilitätsstörungen und eine Wieder¬ 
kehr der Sehnenreflexe (dreimal, bei einem Fall nur vorübergehend). Im 
Blut bewirkte das Salvarsan eine erhebliche Verminderung der Erythro¬ 
zyten und eine starke Zunahme der Leukozyten, im Liquor eine Abnahme 
der Lymphozyten und eine Verminderung des Eiweißgehaltes oft bis zur 
Norm. Nach der Salvarsaninjektion traten übrigens, von Herpes labialis 
abgesehen, während der stärksten Fieberattacken die stärksten Schmerzen 
in den am meisten vom luetischen oder metaluetischen Prozesse ergriffenen 
Körperpartien auf. Eine Schädigung der Hirnnerven auch bei bereits be¬ 
stehender Sehnervenatrophie sah C. nicht. Eine Salvarsankur ist also bei 
den Frühstadien der Tabes angezeigt, wenn nicht seitens des Herzens eine 
Kontraindikation vorliegt. Dabei scheint die Wirkung des Salvarsans eine 
stärkere zu sein bei unmittelbar vorhergehender Quecksilberbehandlung oder 
Joddarreichung, in diesen Fällen scheinen auch die subjektiven Beschwer¬ 
den geringer zu sein. Zweig-Dalldorf. 

von Hösslin, R. (München-Neuwittelsbach), Tabes dorsalis Im späteren Alter 
auf der Basis hereditärer Lues. (Neur. Centralbl. 1912, H. 1.) 

Erkrankung im 53. Lebensjahre, bis dahin ganz gesund. Intaktes 
Hymen. Vater an Paralyse gestorben, Mutter vor der Geburt der Patientin 
3 Aborte. Im Alter von 10 Jahren Eiterung im Schädelknochen mit Ab¬ 
lösung eines Knochenstückes. Zweig-Dalldorf. 

Riebe!, Paul (Metz), Nervöse Nachkrankheiten des Mülheimer Eisenbahn¬ 
unglücks am 30. März 1910. (Inaug. Dissert. Berlin, 1. Dezember 1911. Ber¬ 
lin 1912.) 

Doktordissertationen wrnren früher zumeist literarische Kabinettstücke; 
heute haben sie viel von diesem Nimbus verloren. Bedeuteten sie früher den 
Abschluß der mit Eifer und Begeisterung betriebenen Studien, so sind 
sie heute nicht selten der erste und letzte Schritt an die wissenschaftliche 
Öffentlichkeit, der mehr pro forma, als ex intimo corde gemacht wdrd. 
Um so mehr verdient die vorliegende Dissertation des Assistenzarztes im 
Infanterie-Regiment 07 Riebel der Aufmerksamkeit empfohlen zu werden. 
Sie behandelt das große Eisenbahnunglück bei Mülheim am Rhein, bei 
welchem ein Expreßzug in einen mit 460 Soldaten besetzten Militärzug 
hineinfuhr. 22 Mann blieben tot, 55 waren schwer, 35 leicht verletzt. 
Der Rest blieb äußerlich unverletzt. Über dieses Unglück und die nervös- 
psychischen Folgen berichtet R. in anschaulicher Weise und beschreibt die 
verschiedenartigen Krankheitsbilder, welche im einzelnen eben die bekann¬ 
ten Züge der traumatischen Hysterie bezw. Neurasthenie trugen; das wäre 
an sich nichts Besonderes. Das Besondere der Arbeit besteht darin, daß 
eine körperlich und geistig ziemlich homogene Masse von Individuen von 
dem gleichen Unfall betroffen wrnrden ist. Man kann also daran die 
Reaktion einer Kolleklivseele, nicht bloß die einer Individualpsyche studieren. 
Von dieser 460 köpfigen Masse wiesen 26 die Erscheinungen von Com- 
motio cerebri auf. 9 davon mußten deswegen als dienstunbrauchbar ent¬ 
lassen werden, bei den anderen glichen sich die Symptome wdeder aus. 
Man sieht daraus, einen wie wenig nachhaltigen Einfluß auch ein großes 
Unglück auf die Masse der auf 460 Einheiten verteilten psychisch-nervösen 
Substanz bezw. Funktion ausübt, wenn auch so und so viele Individuen 
dabei erschüttert werden bezw. zu Grunde gehen. Das stimmt mit den Er¬ 
fahrungen des alltäglichen Lebens überein. Die mancherlei Theater-Riesenb- 
brände, das Erdbeben von Messina usw. sind trotz aller Gräßlichkeiten dem 
Gedächtnis der Allgemeinheit beinahe entschwmnden, wenngleich noch heute 
so und so viele Personen und Familien an den Folgen zu leiden haben. 
Das hat natürlich auch sein Gutes. Das italienische Sprichwort: „La natura. 



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Referate und Besprechungen 


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il tempo e la pazienza sono i piü grandi medici*' gilt für Massen ebenso wie 
für Individuen, ja die Beruhigung der Masse wirkt schließlich auch auf den 
Einzelnen beruhigend, heilend, zurück. 

Es ist vielleicht ungewöhnlich, neben und über der zum Individuum 
vereinigten Masse von Zellen noch eine aus Individuen zusammengesetzte 
Gesamtheit, collectivite, als ein einheitliches Gebilde in Rechnung zu stellen. 
Indessen die Physiologie kann unmöglich an der Einzelpersönlichkeit kleben- 
und Zurückbleiben, nachdem die Soziologie auf dieser Bahn schon so weit 
vorgeschritten ist; und wenn die Laboratorien für derlei Studien unzuläng¬ 
lich sind, so müssen wir eben anderes Beobachtungsmaterial beschaffen. 
Die Arbeit von Riebel ist ein wertvoller Beitrag hierzu. 

Buttersack-Berlin. 

Williams, T. A. (Washington), Behandlung nichthysterischer nervöser Stö¬ 
rungen durch Beseitigung der zu Arteriosklerose führenden Schädlichkeiten. 
(Sep.-Abdr. aus Monthly Cyclopädia and Medical Bull., Nov. 1911.) 

Williams definiert die Neurasthenie als in der Regel einen Vergiftungs¬ 
zustand, Hypo- oder Hyperthyroidismus, Nebenniereninsuffizienz, beginnende 
Niereninsuffizienz, Verdauungsstörungen, Tuberkulose, Syphilis, Eingeweide¬ 
parasiten, ungenügende oder falsch zusammengesetzte Nahrung, Aufnahme 
von Giften; oder endlich als auf geistigen Ursachen beruhend, die durch 
Störung des Stoffwechsels Vergiftungen obiger Art herbeiführen. 

Er führt belehrende Fälle von epileptischen Anfällen, Depressions- und 
Angstzuständen und geistiger Arbeitsunfähigkeit au, die er wegen des nach¬ 
gewiesenen hohen Blutdrucks hauptsächlich durch eine eingeschränkte, vor¬ 
wiegend laktovegetabilische Diät und Enthaltung von Alkohol und Kaffee 
in recht kurzer Zeit hergestellt hat. Nach der Herstellung wird vorsichtig 
wieder zu etwas freierer Ernährung übergegangen. Es ist leichter und wirk¬ 
samer, die Bildung von Toxinen zu verhindern als sie zu eliminieren, obgleich 
letzteres durch Bäder, Abführmittel, Diuretika, Gymnastik und Elektrizi¬ 
tät (?) möglich ist. Noch mangelhafter und unerwünschter ist die Unter¬ 
drückung der üblen Wirkungen, die von den Toxinen ausgehen, durch 
Gegenmittel wie Nitrite oder Jodide; ganz verwerflich aber ist die Maskierung 
der Alarmsignale durch Sedativa wie Brom oder Hypnotika und Narkotika 
wie Chloral, Morphium, Alkohol oder deren synthetische Ersatzmittel, die 
massenweise zusammengestellt werden und mit denen sich schwunghafte 
Geschäfte machen lassen. Falsch ist es auch, den Körper durch die Mittel 
der Coffein- und Strychningruppe aufzupeitschen. 

Leider scheitert die Durchführung dieser vernünftigen Grundsätze ge¬ 
wöhnlich am Publikum, das viel lieber durch Pülverchen und Pastillen 
dem Teufel den kleinen Finger gibt, als das Übel an der Wurzel anfaßt. 

Fr. von den Velden. 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Hoeßli (Basel), Weitere experimentelle Studien über die akustische Schädi¬ 
gung des Säugetierlabyrinths. (Ztschr. f. Ohrhlk. Bd. 64. H. 2.) 

Die Degenerationen in der Schnecke, welche den Berufs-Gehörleiden 
der Kesselschmiede, Eisenbahnbeamten, Artilleristen usw. zugrunde liegen, 
lassen sich — wie zuerst Wittmaack zeigte — auch im Tierexperiment 
durch Schalleinwirkung erzeugen. Um den mannigfaltigen Fragen, welche 
bei diesen Versuchen noch offen blieben, näher zu kommen, hat Hoess li 
sie wiederholt. Verschiedene Tiere setzte er lange dem Einflüsse von 
Pfeifentönen aus, oder er gab Revolverschüsse in ihrer Nähe ab oder 
setzte sie in Kanalisationsröhren, welche mit einem Hammerwerk bearbeitet 
wurden. Um die Resultate sicherer zu gestalten, wurden die Tiere durch 
Vital-Injektion des Fixationsmittels (Formol-Müller) getötet; um zwischen 
der Zuleitung der Geräusche auf dem Luft- und dem Knochenwege unter¬ 
scheiden zu können, wurde einer Anzahl der Versuchstiere am einen Ohr 
der Ambos entfernt. — Die Ergebnisse haben praktisches und theoretisches 
Interesse. Die angepfiffenen Tiere hatten die geringsten Veränderungen 


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Referate und Besprechungen. 


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und zwar nur am Cortischen Organ, d. h. am Endapparat des Nerven. 
Schwere Veränderungen fanden sich bei den Schuß- und Hammertieren, 
bei letzteren war dann auch der Nerv und das Ganglion degeneriert. Es 
zeigte sich, wie schon in früheren Arbeiten, daß bei reinen Tönen nur be¬ 
stimmte Bezirke der Schnecke erkrankten, und daß diese, je höher der Ton 
war, um so näher der Schneckenbasis gelegen waren, also eine Bestätigung 
der Helmholtzschen Theorie. Die des Ambos beraubten Ohren erkrankten 
im allgemeinen nicht, auch nicht bei den im gehämmerten Kessel gehaltenen 
Tieren. Hieraus geht hervor, daß der bei weitem größte Teil der Schwingun¬ 
gen dem Ohre auf dem Luftwege unter Vermittelung der Hörknöchelchen¬ 
kette zugeführt wird. Praktisch ist aus diesen Versuchen, welche den Ver¬ 
hältnissen beim Kesselnieten sehr ähneln, zu entnehmen, daß ein guter 
Verschluß des Gehörgangs der beste Schutz gegen Akustikus-Schädigungen 
ist, und daß isolierende Fußbekleidung keine wesentliche Bedeutung haben 
kann. Arth. Meyer-Berlin. 

Citelli (Catania), Über die Beziehungen zwischen dem Hypophysensystem 
und langwierigen Krankheiten des Nasenrachens und der Keilbeinhöhlen. (Ann. 
des mal. des oroilles 1912. H. 1.) 

C i t e 11 i hat auf histologischem Wege gefunden, daß Roste von Hypo¬ 
physengewebe am Rachendach auch im extrauterinen Leben persistieren. 
Auf Grund ihres ähnlichen Baues nimmt er eine Zusammenarbeit der zentralen 
und dieser „Rachenhypophyse“ an. Bei adenoiden Vegetationen fand er 
die Hypophyse vergrößert und im Zustande der Hypersekretion. Bei der¬ 
selben Krankheit, ebenso bei choanalen Polypen und Keilbeinerkrankungen 
fand sich ferner '• ein „psychisches Syndrom“, bestehend aus Gedächtnis¬ 
schwäche, Aprosexie, geistiger Schwerfälligkeit und Somnolenz. Dasselbe 
soll auf Verabreichung von Hypophysenextrakt zurückgegangen sein. Also, 
so schließt der Autor, beeinträchtigen Erkrankungen des Epipharynx und 
der Keilbeinhöhle die Sekretionstätigkeit der Hypophyse (die ersteren auf 
dem Umwege über die Pharynxhypophyse), und so entsteht das genannte 
„Syndrom“. — Dies Syndrom ist unter dem Namen „Aprosexia nasalis“ 
nicht ganz unbekannt und bisher auch ohne Hypophyse erklärt worden. 
Aber dieses kleine Organ ist jetzt sehr in Mode, wie die innere Sekretion 
überhaupt. Arth. Meyer-Berlin. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Matzenauer und Polland, Dermatitis symmetrica dysmenorrhoica. Aus der 
k. k. Universitätsklinik in Graz. (Arch. f. Dermat. u. Syphilis 1912. Heft 2.) 

Von Matzenauer und Polland wird als Dermatitis symmetrica dys¬ 
menorrhoica eine Dermatose beschrieben, die sich charakterisiert durch eigen¬ 
artige, spontane, meist an symmetrischen Stellen auftretende Entzündungs¬ 
erscheinungen in chronischen Nachschüben, die teils als Erythem und urti- 
karielles ödem, meist jedoch in Form einer nässenden Dermatitis, seltener 
unter dem Bilde der spontanen Hautnekrose in Erscheinung treten. Gleich¬ 
zeitig finden sich meist vasomotorische Störungerf der Kreislauforgane und 
des Herzens, nicht selten auch psychische Störungen. 

Diese Veränderungen fanden sich immer nur bei dysmenorrhoischen 
Frauen und beruhen auf einer Allgemeinerkrankung, höchstwahrscheinlich 
bedingt durch toxische Stoffwechselprodukte infolge Funktionsausfall des 
Follikelapparates der Keimdrüsen. 

Bei dem am längsten in Beobachtung stehenden Falle, der auch die 
meisten und schwersten Erscheinungen aufwies, wurden Ovaradentriferrin- 
tabletten verordnet; nach einigen Monaten stellten sich die Menses wieder 
ein, während die Krankheitsäußerungen aufhörten. Bei einem zweiten Falle, 
der sich noch in gleicher Weise in Behandlung findet, sind bisher die Menses 
nicht wieder eingetreten und die Hauptphänomene bestehen nach wie vor. 



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Referate und Besprechungen. 


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Oliphant, S. R. (New-York), Behandlung verschiedener Hautkrankheiten mit 
Kohleasäureschnee. (The Port-Graduate, Bd. 27, H. 1.) 

Die Behandlung mit Kohlensäureschnee, der durch Ausströmenlassen von 
CO 2 aus der Gasflasche gewonnen wird, ist nicht neu, aber der hier mitge¬ 
teilte Meinungsaustausch lehrreich. Oliphant pries das Verfahren für die 
Behandlung von Naevi aus Epitheliomen. Perilli erkannte das für die Naevi 
vinosi an, behauptete aber, daß Epitheliome gewöhnlich verschlimmert und 
behaarte Naevi dadurch leicht malign gemacht würden. Die Behandlung 
mit Schnee sei radikaler als die Exzision, die Resultate nur im ersten 
Augenblick gut, später trete nicht selten ein Zustand ein, der schlimmer 
sei als der vor der Behandlung; sie sei deshalb nur für Ausnahmefälle 
geeignet. Daß behaarte Naevi durch die Schneebehandlung leicht malign 
würden, erkannte auch Oliphant an. Fr. von den Velden. 


Augenheilkunde. 

Stanziale (Neapel), Weitere Untersuchungen über die Inokulierbarkeit 
leprösen Materials in die vordere Augenkammer von Kaninchen. (Centralbl. f. 
Bakteriologie. Bd. 61. H. 4/5.) 

Kaninchen wurde teils frisches lepröses Material in flüssiger Form 

in die vordere Augenkammer gebracht, teils wurden Stücke von frisch 
excidierten Lepraknoten in die Vorderkammer des Auges eingeimpft. Die 
Resultate waren ganz verschieden, je nachdem festes oder flüssiges Ma¬ 
terial benutzt wurde. Im letzteren Falle fiel die Inokulation stets negativ 
aus. Von den 19 Inokulationen mit festem Material fielen 8 (= 42 o/o) 
positiv aus. 

Auf die nach der Inokulation entstehende entzündlich reaktive, von 
einem Turgor des leprösen Gewebsstückes begleitete Phase folgt allmäh¬ 
lich eine regressive Phase und eine Verkleinerung des leprösen Gewebs- 
stücks, „welche, wenn der Versuch negativ ausfällt, bis zum gänzlichen 

Verschwinden des Stückes führt, oder diese Resorption hört nach einem 
gewissen Zeiträume, der zwischen 30 und 60 Tagen schwankt und den man 
als eine subkutane Inkubation deuten kann, auf und das lepröse Stück 
fängt an, allmählich an Volumen zuzunehmen.“ Das wachsende Gewebs- 
stück nimmt eine graue oder gelblich-rosige Farbe an. Es wächst bis 
zur hinteren Oberfläche der Hornhaut, die getrübt und gespannt und ek- 
tatisch erscheint. Auf weitere Details einzugehen, würde zu weit führen. 
Es sei noch erwähnt, daß die Wasser mannsche Reaktion nur in 

den Fällen positiv ausfiel, wo die Inokulation ein positives Resultat ge¬ 
geben hatte. 

Kaninchen, die mit Lepraknoten intraperitoneal geimpft wurden, 
zeigten stets negative Wasser mannsche Reaktion. Daraus schließt 

Verfasser, daß „bei den mit Erfolg in das Auge inokulierten Kaninchen 
die Wassermannsche Reaktion ohne Zweifel eine gewisse Bedeu¬ 
tung hat.“ . Schürmann. 

Lindemann, W. (Halle), Zur Kokainmydriasiv. (Münchner med. Wochen¬ 
schrift 1911, p. 2690.) 

L. prüft die von Neu aufgestellte Behauptung nach, daß in der 
Gestationsperiode des Weibes der Gehalt des Blutes an Adrenalin oder 
adrenalinähnlichen Substanzen gegenüber Nichtgraviden beträchtlich erhöht 
sei. Er benutzte dazu die Kokainmethode, welche darauf beruht, daß sehr 
kleine Dosen von Kokain, die sonst ohne erkennbaren Effekt einverleibt 
werden, mit Adrenalin zusammen die Wirkung desselben auffallend zü steigern 
imstande sind. Nehmen wir nun an, daß die Behauptung Neus richtig 
wäre, so müßte eine sonst unterschwellige Kokaindosis in die vordere 
Augenkammer diffundiert, in der Gravidität eine Mydriasis hervorrufen. 
Die entsprechenden Versuche L.’s schlugen alle fehl. Dieses Ergebnis be¬ 
weist lediglich, daß die Kokainmethode für derartige Untersuchungen nicht 
exakt genug ist. Jedenfalls darf man auf Grund dieser Erfahrungen noch 


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634 Referate und Besprechungen. 

nicht den Schluß ziehen, daß der Adrenalingehalt des Blutes in der Gravidi¬ 
tät nicht erhöht sei. Frankenstein-Cöhn. 


Medikamentöse Therapie. 

Schärft (Stettin), Zur perkutanen Salizyltherapie. (Therap. Monatshefte 
1912. Nr. 2.) 

Verfasser behandelt rheumatische und rheumatoide Affektionen auf Grund 
einer langjährigen Erfahrung mit folgender Salbe: Acid. salicyl. 10,0, Solve 
in 01. Terebinth. 10,0, Sulf. praecip. vel sublim, Terebinth. aa 40,0 einge- 
iieben oder aufgestrichen und mit Guttapercha oder Billrothbattist oder 
nur mit einer Binde bedeckt, oder mit Talkum bestreut, 3—5 Tage liegen 
lassen. Die Epidermis löst sich alsdann, oder ist stark gequollen. Meist 
genügt eine einmalige Applikation. Bei allzu intensiver Hautreizung oder 
ev. zweiter Anwendung vorher Beruhigung der Haut mit Zinkamvlumpaste 
und 5»u Ichthyolzusatz (namentlich ev. bei Damen und Kindern) oder billiger 
mit 01. Lini, Äq. dest. aa 30,0, Amyli 40,0. Im allgemeinen wird dies aber 
selten notwendig. Ev. kann auch die Haut, wenn sie sehr hart ist, vor 
der Applikation mit Vaselin eingerieben werden oder die Salbe mit Vaselin 
verdünnt werden. In der ersten Zeit brennt die Salbe etwas. Verfasser 
hat überraschend schnelle Erfolge damit aufzuweisen bei akutem Gelenk¬ 
rheumatismus, Ischias, Hexenschuß (in 24 Stunden), Arthritis deformans, 
echter Gicht, Myositis, Tendovaginitis cervicalis, Neuralgien. 

v. Schnizer-Höxter. 

Welntraud. Prof. (Wiesbaden), Weitere klinische Erfahrungen mit Atophan 
nebst Bemerkungen über Gicht und harnsuure IMathese. (Therapeut. Monats¬ 
hefte 1912. Nr. 3.) 

Den Praktiker interessiert hieraus hauptsächlich folgendes. Wirkungs¬ 
weise: primär Steigerung der Harnsäureausscheidung durch die Niere, erst 
sekundär durch Herabsetzung des Harnsäurespiegels im Blut und in den 
Geweben aus endogenem bezw. exogenem Purin gesteigerte Harnsäureaus¬ 
scheidung im Blut. Dadurch Verabreichungsmodus vorgezeichnet. Brillante 
Kcupierung eines Anfalles in wenigen Stunden durch einige Dosen 0,5, 
und darnach 3—4 Tage täglich ca. 1,0. Ist nach 3—4 Tagen mit 10,0 
Atophan keine Wirkung erreicht, dann nicht weiter geben, sondern dann 
8—10 Tage aussetzen, und dieselbe Dosierung wieder. Ebenso zur Ver¬ 
hütung von Anfällen. Nur bei großen, schmerzhaften Tophi ist dauernder 
Gebrauch gerechtfertigt. Das Mittel gibt aber auch bei Hemikranie, Ischias, 
immbago, bei akutem Gelenkrheumatismus, wo Salizyl versagt, überraschende 
Erfolge. Ebenso ist eine wesentliche Herabsetzung der Temperatur bei 
Typhus damit zu ermöglichen (4—6 mal täglich 0,5). Weniger gut sind 
die Erfolge bei der gonorrhoischen Monarthritis. Unangenehme Nebenwir¬ 
kungen: Außer Sodbrennen (alkalisches Wasser nach Einnehmen) und Urti¬ 
karia in sehr wenigen Fällen keine. Atophan — in erster Linie Gichtmittel 
— ist bei Steinbildung widersinnig, da es ja gerade die für die harnsaure 
Diathese charakteristischen Verhältnisse künstlich schafft. 

v. Schnizer-Höxter. 

Silberstein (Schöneberg), Die subkutane Digalcninjektion. (Therap. Monats¬ 
hefte 1912. Nr. 2.) 

Verfasser rät nach seinen Erfahrungen bei Lungenödem Digalen stets 
zu versuchen, da er mit mehrfachen Injektionen damit blitzartige und nach¬ 
haltige Wendung zum Bessern erzielte. v. Schnizer-Höxter. 

Nikolskaja, W. D„ Über Arsenferratose Boehringer. (Therapewtitscheskoje 
•Obozrenie 1912. Nr. 3.) 

Mit Arsenferratose wurden in der St. Petersburger privaten geburts¬ 
hilflich-gynäkologischen Heilanstalt 50 Patientinnen behandelt, die an Blut¬ 
armut, Nervosität, postoperativer Schwäche und ähnlichen Affektionen litten. 
Die Ergebnisse der Behandlung waren zufriedenstellend, schnell trat eine 
erhebliche Besserung des allgemeinen Befindens und fast stets eine nennens- 


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Referate und Besprechungen 


635 


werte Steigerung des Körpergewichtes ein. Abgesehen von zwei Fällen, 
in denen infolge vorher überstandener .Erkrankungen Magen- und Darm- 
Störungen auftraten, wurde die Arsenferratose stets — auch von Kindern 
ausgezeichnet vertragen. 

Krebs, Leo (Berlin), Über Bromural in der zahnärztlichen Praxis. (Zahn- 
ärztl. Rundschau 1912. Nr. 13.) 

Das Bromural leistete in der Zahnheilkunde als Beruhigungsmittel bei 
ängstlichen Patienten vor der Behandlung und als Schlafmittel nach der 
Behandlung gute Dienste. Auch bei längerem Gebrauch zeigt es keine 
schädlichen Nachwirkungen, wie sich dies bei einem jungen Manne beob¬ 
achten ließ, der an einer hartnäckigen, schmerzhaften Stomatitis litt, die 
ihn nur schwer und auf einige Stunden Schlaf finden ließ. Bromural wirkte, 
mehrere Abende hintereinander genommen, prompt, bis es bei fortschreiten¬ 
der Besserung der Stomatitis und Aufhören der Schmerzen weggelassen 
werden konnte. 

Vor dem Füllen der Zähne wurden in vielen Fällen bei äußerst sensiblen 
Patienten 1—2 Tabletten Bromural eingegeben. Die Patienten empfinden 
die Unannehmlichkeit und Schmerzhaftigkeit des Bohrens keineswegs wie 
sonst 

Ebenfalls bewährt sich Bromural in der zahnärztlichen Chirurgie. Bei 
allen Eingriffen, die in örtlicher Betäubung vorgenommen werden, empfiehlt 
sich bei ängstlichen Patienten die Verabreichung von Bromural, sei es, daß 
es sich um mehrere Extraktionen, um Ausmeißelung von Frakturen oder 
um Wurzelspitzenresektionen und andere Eingriffe handelt. 

Auch bei allgemeinen Betäubungen ist seine Anwendung zu empfehlen, 
da es das Exzitationsstadium bedeutend herabsetzt und meistens eine ruhige 
Narkose bewirkt Neumann. 

Williger (Berlin), Bromural ln der zahnärztlichen Praxis. (Deutsche Zahn¬ 
ärztliche Zeitung 1912. Nr. 12.) 

„Das Bromural wird von der Firma K n o 11 u. Co. in Ludwigshafen 
geliefert. Es ist eine Verbindung von Brom, Valeriansäure und Harnstoff. 
In den Handel kommt es in Tabletten, die aus 0,3 Bromural und 0,2 
Milchzucker bestehen. Sie riechen deutlich nach Baldrian. In etwas Wasser 
zerfallen sie schnell, lösen sich aber nicht auf. Man gibt sie den Patienten 
innerlich, indem man sie in wenig Wasser zerfallen und etwas Wasser 
nachtrinken läßt. Der Geschmack ist schwach bitter. Die Dosis beträgt für 
Kinder bis zu 12 Jahren 0,3 oder eine Tablette, für ältere Kinder und 
Erwachsene 0,6 oder zwei Tabletten. Die Dosis noch höher zu steigern 
ist zwecklos. 

Ungefähr 20 bis 30 Minuten nach dem Einnehmen tritt ein immer 
mehr sich verstärkendes Müdigkeitsgefühl auf. Kinder pflegen sogar, wenn 
man sie ruhig sich selber überläßt, direkt einzuschlafen. Mit dem Ein¬ 
setzen der Müdigkeit schwindet auch die ängstliche Spannung. Das Schmerz¬ 
gefühl bleibt erhalten, aber die Patienten sind dagegen gewissermaßen abge¬ 
stumpft. Sie lassen sich daher die zur Lokalanästhesie notwendigen Nadel¬ 
stiche gewöhnlich ganz ruhig gefallen oder sträuben pich nur schwach dagegen. 
Dementsprechend lassen sie sich auch den später folgenden Eingriff ruhig 
und willenlos gefallen. 

Es ist eine bekannte Tatsache, daß bei Kindern mit der Lokalanästhesie 
nicht viel zu erreichen ist. Mir hat gerade bei Kindern Bromural die 
allerbesten Dienste geleistet. Widerspenstige Kinder, die sich überhaupt 
nicht untersuchen lassen wollten, wurden durch eine Tablette soweit be¬ 
ruhigt, daß man die Diagnose stellen und auch Einspritzungen mit gutem 
Erfolg anwenden konnte. So habe ich beispielsweise im Dezember 1911 
bei einem 11jährigen Knaben Darreichung von (ausnahmsweise) 2 Tabletten 
unter lokaler Betäubung (terminaler Anästhesie) eine hühnereigroße Zyste 
des Unterkiefers, die sich bis in den aufsteigenden Ast erstreckte, operiert. 
Die Operation dauerte 20 Minuten, ohne daß der Knabe die geringste 
Schmerzäußerung getan hätte. Er lag mit geschlossenen Augen beständig 


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G3ö Referate und Besprechungen. 

im Halbschlaf. Fünf Tage später hatte ich dasselbe Erlebnis in einem 
Parallelfall, einer linksseitigen Unterkieferzyste bei einem 8 jährigen Mäd¬ 
chen. Ich hebe diese Fälle deswegen hervor, weil hierbei ziemlich erheb¬ 
liche und langdauernde Eingriffe, wenigstens für Kinder, vorgenommen wur¬ 
den, bei denen ich früher wahrscheinlich zur Narkose gegriffen hätte. 

In manchen Fällen habe ich nicht nur den Kindern, sondern auch 
den begleitenden Müttern Bromural gegeben, wenn sie nämlich durch un¬ 
verständiges Gebahren ihre ängstlichen Kinder unnötigerweise noch mehr 
aufregten. Dann wurden beide ruhig. Probatum est!“ Neumann. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Chalupecbl, H. (Prag), Die schädlichen Wirkungen der Röntgenstrahlen. 

(Wiener klin. Rundschau 1911. Nr. 44—50.) r 

Je mehr der Röntgenapparat diagnostisch und therapeutisch an Ver¬ 
breitung gewinnt, um so mehr muß der praktische Arzt mit den Gefahren 
der Methode vertraut werden. Die Röntgenstrahlen können auf ver¬ 
schieden Arten schädlich wirken, sie können den Kranken und anderer¬ 
seits auch den Arzt schädigen. Dem Arzte droht sogar eine doppelte 
Gefahr, denn das heimtückische Licht vermag nicht nur körperliche 
Veränderungen schwerster Art bei dem Experimentator 
hervorzubringen, sondern es legt ihm auch die schwerste Haftbar¬ 
keit für alles das auf. was er bei anderen an Unheil damit anrichtet 
— Der Verfasser gibt von allen diesen üblen Zufällen eine reiche Kasuistik, 
aus der hier nur das für die tägliche Praxis Wichtigste hervorgehoben, 
werden kann. Die ersten bösen Zufälle, welche die Radiologen erlebten, 
waren umfangreiche und hartnäckige Geschwüre an den bestrahlten Par¬ 
tien, sogar eine ausgedehnte Nekrose der Bauchhaut ist dabei vorgekom¬ 
men. Zuweilen tritt die Schädigung erst nach Wochen hervor, wie denn 
die Empfindlichkeit der Haut gegen das seltsame Licht überhaupt außer¬ 
ordentlich verschieden ist. Vielleicht saugen die Strahlen das Blut gleich¬ 
sam an, daher die weiten, stark gefüllten Blutgefäße der Haut. Aber auch 
dabei bleibt es nicht, sondern die dauernde Einwirkung der Strahlen kann 
sogar die Bildung eines Karzinoms vermitteln. — Auch andere Körperteile 
unterliegen der Gefahr der Röntgenschädigung. So ist die nachteilige Wir¬ 
kung auf die Testikel allgemein bekannt geworden. — Nicht minder wird 
der Sehapparat geschädigt, wie der Verfasser durch zahlreiche Tierver¬ 
suche nachgewiesen hat. Ähnliche Vorkommnisse hat man dann auch beiin 
Menschen erlebt, z. B. Bindehautkatarrhe. Hornhauttrübungen und ähnliches. 
Die Linse scheint von allen Teilen des Auges die größte Widerstandsfähig¬ 
keit zu besitzen. — Die traurigsten Ereignisse in der Geschichte der Rönt¬ 
genstrahlen haben die Radiologen und die Konstrukteure der Apparate be¬ 
troffen. Schwere Hautaffektionen, Karzinome, allgemeine Kachexie, Metas¬ 
tasen der Röntgentumoren und endlich Exitus letalis: Diese Leidensge¬ 
schichte kehrt nicht selten in den Annalen der Radiologie wieder. -— 
Für den Praktiker wichtig ist natürlich das Kapitel der Haftbarkeit des 
Arztes für Schädigungen des Patienten durch Röntgenstrahlen. Nachdem 
zuerst im Jahre 1898 ein Arzt in Paris zum Schadenersatz bei einer solchen 
Gelegenheit verurteilt war, haben sich die Prozesse gehäuft. Wer das Un¬ 
glück hat, einen Kranken bei der Behandlung mit den gefährlichen Strahlen 
dauernd zu schädigen, wird, so wie heute die Sachen liegen, einer Ver¬ 
urteilung kaum entgehen und mag er noch so sehr die bona fides betonen. 
Daß die Anwendung aller üblichen Schutzmaßregeln: Verpackung der Röhre 
in ein mit Blei gefüttertes Kästchen, Sicherung des Patienten durch gummi¬ 
überzogene Blei-Stanniolplatten, Schutzmäntel und Handschuhe aus undurch¬ 
lässigem Material und ähnlichem vom Richter als selbstverständlich voraus¬ 
gesetzt werden, ist dem Operateur noch ganz besonders in Erinnerung zu 
bringen. Steyerthal-Kleinen. 


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Referate und Besprechungen. 


637 


Frenkel, Foucaud, G16nard, .Mineralwässer als Kolloide. (Annales de la 
Soc. d’hydrologie mödicale de Paris 1912. 57. Jahrg., Nr. 3. März. 

Die Novembersitzung der obengenannten Gesellschaft war ausgelullt 
durch 8 Vorträge über die Kolloidbeschaffenheit der Mineralwässer. Die 
kolloidalen Flüssigkeiten stellen ein Mittelding dar zwischen vollkommenen 
Lösungen einerseits, und Aufschwemmungen andererseits. Geht man vom 
fi (= */ 1000 mm) aus, so stellen Flüssigkeiten mit Partikeln von 8 bis 
0,5 fi Suspensionen dar; ein rotes Blutkörperchen hat 8 fi, ein Milzbrand¬ 
bazillus 6 fi, Harzlösungen enthalten Teilchen von 0,5 fi. 

Zwischen 0,5 ft und 6 /u/i (1 /i,u = '/e'ooooo ram ) liegt das Gebiet 
des Kolloidalzustandes. Mit Hilfe des Ultramikroskops sind diese 
kleinsten Partikeln noch zu erkennen, während die unterhalb 6 fifi 
sich z. Z. noch unserem Auge entziehen. Hier kann man die Größe der 
Moleküle nur noch berechnen und kommt dann auf etwa 5 ft/i für das 
Stärkemolekül, 0.7 fifi für Zucker, 0,285 fifi für CO, 0,113 fifi für Wasser, 
0,07 fi/i für Wasserstoff. 

Diese nicht mehr sichtbaren Teilchen haben aber immer noch eine 
Reihe von Eigenschaften, mit deren Hilfe wir sie erkennen bezw. fassen 
können. So diffundieren sie nicht oder doch nur überaus langsam durch 
Membranen, sie sind elektrisch geladen, sie lassen sich ausfällen, wenn 
man sie mit Lösungen von entgegengesetzter elektrischer Ladung zusammen¬ 
bringt. Erzielt man zum Beispiel auf Zusatz einer Lösung von (elektrisch¬ 
negativem) Schwefelarsen einen Niederschlag, so waren in der untersuch¬ 
ten Kollo'fdlösung elektrisch - positive Einheiten. Mit einer elektrisch- 
positiven Eisenhydratlösung erhält man die elektrisch-negativen Einheiten. 
Auf diese Weise kann man z. B. bequem Albumine ausfällen oder — mit 
einer Suspension von elektrisch-negativem Talkum — alle Harnsäure aus 
dem Urin. 

Die kolloidalen Lösungen zeigen energische Brownsche Molekularbe¬ 
wegung als Ausdruck der wechselnden Kräfteverteilung in ihrem Innern, 
und des ferneren katalytische Fermenteigenschaften wegen ihrer enormen 
Oberflächenspannung. — 

Man erkennt unschwer, wie die Forschung an den Toren neuer Gebiete 
angekommen ist; aber die Tore haben sich noch nicht aufgetan. Kein 
Zweifel, daß auch sie mit der Zeit gesprengt werden. Aber bis die neuen 
Gebiete übersehbar oder gar in Besitz genommen sind, müssen sich noch 
manche Generationen abmühen. Sicherlich finden sich dann die gleichen 
Gesetze, denen wir allenthalben im Universum begegnen. Aber gewitzigt 
durch die Erfahrungen der Vergangenheit wollen wir dem Hin- und Her¬ 
schwanken der Resultate mit der gelassenen Ruhe des Philosophen folgen 
und uns weder durch einen glücklichen Fund begeistern, noch durch tem¬ 
poräre Mißerfolge entmutigen lassen. Buttersack-Berlin. 

Haberling, W. (Köln), Sonnenbäder. (Veröffentlichungen aus dem Gebiet 
des Militärsanitätswesens. Heft 50. Berlin, Hirschwald. 1912. 39 Seiten.) 

Wer sich den seltenen ästhetischen Genuß verschaffen will, eine in 
vorzüglichem Deutsch und klar geschriebene medizinische Studie zu lesen, 
dem sei das vorliegende Heft empfohlen. H. geht davon aus, daß man 
so viel von Sonnenbädern rede, aber so wenig Positives darüber wisse. Er hat 
deshalb mit Fleiß alle einschlägigen Mitteilungen gesammelt und kritisch 
gesichtet. Natürlicn fanden sich dabei positive und negative Resultate als 
neueste Illustration des alten Ovid sehen Verses: Nil prodest quod non 
possit laedere idem, so daß der Arzt, der event. von den Sonnenstrahlen 
als Heilmittel GeDrauch machen will, des Denkens nicht überhoben ist, 
wie er diesen Faktor gerade bei diesem Kranken und unter diesen Ver¬ 
hältnissen (Höhenlage, Jahreszeit, Windverhältnisse, individuelle Wider¬ 
standsfähigkeit usw.) anwenden will. Ein bequemes Schema F, das womög¬ 
lich von irgend einer Autorität abgestempelt ist, existiert ja noch nicht. 

Das große Verdienst der Arbeit liegt in dem treuen Sammeln und 
Verarbeiten des Tatsachen - Materials. Physiologische Spekulationen sind 


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63S 


Referate um] Besprechungen. 


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nicht beabsichtigt. Allein die Frage drängt sich doch jedem Leser 
aut: Wie gelangen denn die Sonnenstrahlen in den Körper hinein? wo 
werden sie absorbiert? und was geschieht mit ihnen des weiteren? 

Mit dem scharfsinnigen 0. R o s e n b a c h halte ich die Haut für den 
Tiansformator der verschiedenen Energieformen, in denen wir leben. Unter¬ 
schätzte Gewebsformen mögen es dann sein, welche diese transformierten 
Energien weiter leiten. Der weiterleitende Apparat muß aber zu allen 
Einzelorganen führen; denn wir sehen Effekte der Sonnenstrahlen nicht 
bloß auf Lungen und Knochen und Wunden, sondern auch auf Diathesen, 
Neurasthenien und sonstige Allgemeinzustände. Diese Andeutungen mögen 
genügen, um zu zeigen, wie die vorzügliche Studie nicht bloß positiv 
belehrend wirkt, sondern auch über sich hinaus in die Ferne weist: avaritiam 
(= Wissensdurst) si lector plura etiamnum desideret, non incusaturus 
(G. B. B i 1 f i n g e r, de harmonia animi et corporis humani praestabilita 
MDCCXXXV, S. 268). Buttersack-Berlin. 

Küttner, Prof, und Laqueur, Dr., Über die Behandlung pleuritiseher Ex¬ 
sudate mit Rotlichtbestrahlung. (Therap. Monatshefte 1912. Nr. 1.) 

Die Methode hat sich als wertvolles ergänzendes Hilfsmittel bei der 
Behandlung der Pleuritis erwiesen. Technik: Bestrahlung der entblößton 
erkrankten Thoraxhälfte, etwa ‘/ 5 Stunde lang. Mit der Mininschen Glüh¬ 
lichtreflektorlampe oder des ganzen Thorax mit Bogenlichtscheinwerfer in 
etwa 2,5 m Entfernung, außerhalb des Brennpunktes, unter Entwicklung 
einer deutlich fühlbaren aber erträglichen Wärme, täglich 20—30 Minuten 
lang. v. Schnizer-Höxter. 

Taskinen, K. (Helsingfors), Einfluß der Massage auf die Resorption. (Ztschr. 
f. physikal. u. diätet. Therap. 1912. Bd. XVI. Heft 1. S. 34—40.) 

Spritzt man Natr. salicylicum oder Methylenblau intramuskulär ein, so 
wird diese Substanz erheblich schneller resorbiert, wenn man die betr. Gegend 
massiert, als ohne diese Prozedur. Ebenso befördert Massage des Magens 
die Resorption bei Inkorporierung per os. — 

Es ist mir nicht bekannt, daß jemand an dieser Wirkung der Massage 
gezweifelt hätte. Buttersack-Berlin. 


Allgemeines. 

Lachaud (Paris), Notwendigkeit eines Hygiene-Ministeriums. (Gas:, möd. 
de Paris 1912. Nr. 135. S. 61.) 

Unsere ehrwürdige Medizin befindet sich einmal wieder in einem inter¬ 
essanten Übergangsstadium. Lange genug war die Aufmerksamkeit auf 
makro- und mikroskopische Untersuchungen konzentriert; jetzt erfolgt eine 
Reaktion, und die Blicke schweifen vom Individuum auf sein Milieu und 
seine Beziehungen dazu. Philosophische, psychologische, soziale, historische 
Fragen werden aufgerollt und natürlich auch allgemein-hygienische. War 
früher der Arzt am Krankenbett der Minister naturae, so wird jetzt ein 
Minister der allgemeinen Hygiene verlangt, und zwar nicht von irgend 
einem beliebigen Journalisten, sondern vom President de la Commission 
d’hygiene de la chambre, also einem Manne, bei welchem man Sachkennt¬ 
nis voraussetzen darf. Bei uns in Frankreich — so ungefähr ist sein Ge¬ 
dankengang — treibt jeder Ressortminister Hygiene in seinem Ressort auf 
eigene Faust, aber mit geringem Erfolg. Eis will sich eben niemand in 
seiner Bequemlichkeit stören lassen. Zwar sorgt der Polizeipräfekt von 
Paris neuerdings für Sauberkeit auf den Straßen, aber wie lange wird das 
währen? Und dann ist Paris eben doch nicht Frankreich: die Straßen in 
den anderen Städten bleiben schmutzig. 

Dem Ministre de l’Instruction publique ist die Gesundheitspflege in 
den Schulen, dem Ministre de l’Agriculture jene der Tierwelt unterstellt. 
Aber tatsächlich geschieht nicht viel, nicht einmal das dem Ministre de 
Tlntörieur zugehörige Desinfektionswesen ist ordentlich organisiert, und die 
Apparate taugen nichts: les pompes ä desinfection fonctionnent fort mal 



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Referate und Besprechungen. 639 

dans les grandes villes et ne sont meme pa,s utilisees dans la plupart de 
nos Campagne«. 

Über den Ministre des Affaires etrangeres und seine Bemühungen zum 
internationalen Seuchenschutz macht sich Lachaud lustig. Die Kommission 
wird zu feierlichen Diners und Soupers geladen: mais les resultats hygieni- 
ques sont maigres. 

Tiefe Traurigkeit spricht aus den dem Militärsanitätswesen gewidme¬ 
ten Sätzen. Die nationale Verteidigung verbraucht alles Geld für Munition, 
Kanonen, Gewehre, Schiffe; für andere Zwecke bleibt da nicht viel übrig. 
Die Resultate sind auch dementsprechend trostlos, wie man in Marokko 
gesehen hat. Les resultats des differentes operations militaires sont desastreux. 
L’etat-major qui a organise sur place les differentes colonnes avant sillonne 
le Maroc, a, de parti pris et volontairement, oublie les organisations sani- 
taires pour ne se preoccuper que de l’approvisionnement des colonnes en 
munitions de guerre. 

Nicht viel besser sieht es im Bereich der Ministerien des Travaux 
publics, du Travail und du Commerce aus. Nur im Justizwesen ist die 
Hygiene der Sträflinge tadellos ausgebildet, so daß diese nicht schnell 
genug wieder ihre Freiheit opfern können, um zu den Fleischtöpfen der 
Gefängnisse zurückzukehren, pour se soumettre ä nouveau au regime special 
dont ils ont su apprecier la valeur. Die Apachen sind besser versorgt als 
die Soldaten. 

Lachaud verspricht sich wesentliche Besserung von einem Zentral-Ge- 
sundheits-Ministerium, welches Vollmachten und Mittel besäße, alle hygieni¬ 
schen Schäden abzustellen. 

Die Idee ist ohne Zweifel verführerisch; aber ich wage, an der Wirk¬ 
samkeit solch einer Behörde zu zweifeln. Die moderne Hygiene w'ird erst 
dann in Frankreich ihren Einzug halten, wenn die Franzosen sich abge¬ 
wöhnt haben, dauernd auf den Boden zu spucken. 

Buttersack-Berlin. 

Pessard, Gustave, La Statuomanie parisienne. (Paris 1912. H. Daragon.) 

Eine merkwürdige psychische Aberration ist anscheinend mit epidemi¬ 
schem Charakter unter den Stadtvätern von Paris ausgebrochen, nämlich 
die Sucht, möglichst viele Denkmäler zu setzen. Man sucht förmlich nach 
Personen, die eines Denkmals würdig sein könnten, und pflanzt dann die 
— mitunter fragwürdigen Kunstwerke an irgend einem noch unbesetzten 
Platz der Stadt auf, ohne daß irgend welche näheren Beziehungen zwischen 
dem also Geehrten und dem betreffenden Platz bestünden. Der Verfasser 
hat gewiß recht, wenn er diese Manie für gefährlich hält. Denn wenn 
man anderen Denkmäler setzt, hat man keine Zeit, selbst etwas Großes zu 
leisten. Buttersack-Berlin. 

Ein Honorar-Kuriosum. 

Die Zollbehörde von Bergues (bei Dünkirchen, Departement du Nord) 
schrieb kürzlich die Stelle eines Arztes aus, welche mit 85 Fr. im Jahr 
besoldet wird. Dafür hatte der Arzt folgende Dienstleistungen ohne jede 
weitere Entschädigung zu versehen: 1. Gratisbehandlung aller, auch der Ber¬ 
gues passierenden Zollbeamten. 2. Impfung und Wiederimpfung. 3. Alle Ent¬ 
bindungen. 4. Alle chirurgischen Eingriffe. 5. Das gesamte Attestwesen. 
6. Sachverständigentätigkeit vor Gericht. 7. Monatliche Postenrevision nebst 
Berichterstattung. 8. In Epidemiezeiten Krankenbesuche und hygienische 
Kontrollen nach Anordnung der Verwaltung. 9. Vierteljährliche Revisionen 
der Apothekerrechnungen. 

Merkwürdigerweise fand sich kein Bewerber für diesen verlockenden 
Posten. (Bulletin med. 1912, No. 18, S: 206.) Buttersack-Berlin. 

Handtücher aus Papierstoff. 

Die von der Deutschen Gesellschaft für Volksbäder in 
Berlin ausgesetzten Preise für zweckmäßige und preiswerte Papierhand¬ 
tücher sind kürzlich verteilt worden. Der erste Preis (300 Mk.) wurde der 
Autorol-Gesellschaft m. b. H., Berlin S., Luisen-Ufer 34, für einen Papier- 


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•610 


Bücherschau. 


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stol'f zuerkannt, der sich als hinreichend groß, geschmeidig, wasseraufnahme¬ 
fähig und widerstandsfähig beim Abtrocknen erwies; er wird zu mäßigen 
Preisen (etwa s /,o Pfennig bei größeren Mengen) verkauft. Den zweiten 
Preis (200 Mk.) erhielt die Papierfabrik Georg Löbbecke in Oberlahn¬ 
stein a. Rh., deren Muster etwas kleiner und weicher, aber nicht wesentlich 
teurer als die vorgenannten waren. Einem wirklichen Handtuch aus ge¬ 
sponnenen und gewebten Papierfäden, geliefert von Ferdinand Emil Jagen¬ 
berg in Düsseldorf, fiel der dritte Preis (100 Mk.) zu; ec entsprach in 
Bezug auf Brauchbarkeit allen Anforderungen, nur wird der höhere Preis 
(zwischen 4,0.5 und 6 Pf.) einer größeren Verbreitung nicht förderlich 
sein. Muster dieser .Papierhandtücher sollen auf der am 15. Mai d. Js. 
in Königsberg i. Pr. stattfindenden Hauptversammlung der Gesell¬ 
schaft ausgestellt werden. 


Bücherschau. 


Kaungielter, Friedrich (Neuchntel), Die akuten Vergiftungen, (Verlag 
Gustav Fischer, Jena 1911. 52 Seiten. Preis 1 M.) 

Kurze Übersicht über die allerwichtigsten Vergiftungen, ihre Erkennung 
und Behandlung. Nicht berücksichtigt sind die gewerblichen und Medizinal¬ 
vergiftungen, die Vergiftungen durch fruchtabtreibende Mittel und durch 
Alkohol. Auch gibt das Büchlein kaum mehr, als in den gangbaren Lehr¬ 
büchern und Kompendien der inneren Medizin über den Gegenstand zu 
finden ist. W. Guttmann. 

Schnirer, Taschenbuch der Therapie. 465 S. Preis 2 Mk. Würzburg 1912. 
Verlag von Curt Kabitzch. 

v. Zieinssen, Klinisches Rezepttaschen buch. 284 S. Preis 3.50 Mk. Leipzig 
1911. Verlag von Georg Thieme. 

Zwei gute alte Bekannte präsentieren sich dem praktischen Arzte in neuem 
Gewände: der „Ziemssen“ in 9., der „Schnirer“ in 8. Auflage. Beiden 
stellt das schnelle Notwendigwerden einer Neuauflage ein ehrenvolles Zeug¬ 
nis für ihre praktische Brauchbarkeit aus. Beide sind durchaus auf der 
Höhie der Zeit und gleich zuverlässig. An Handlichkeit und Inhalt ist 
der „Schnirer“ vielleicht dem „Ziemssen?, der dafür gediegener ausge¬ 
stattet ist, etwas überlegen. Damit will Ref. keinesfalls dem einen vor 
dem anderen den Vorzug geben: beide sind dem Arzte gleich gute Berater 
und sollten in den Westentasche oder auf dem Schreibtische keines Kollegen 
fehlen. Sie werden ihn kaum je im Stiche lassen. Ref. wünscht beiden 
eine ausgedehnte Verbreitung und ein ad multos annos. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Kühnelt, Erich, Hofarzt des Kurhauses „Altrata“ (Freiwaldau), Taschen¬ 
buch für Ärzte in Sanatorien und sonstigen physikalischen diätetischen Heil¬ 
anstalten. 1911. (Wien-Leipzig. Wilhelm Braumüller.) 

Ein praktisches Kompendium, bestimmt, den von der Universität kom¬ 
menden Mediziner in die Assistenten-Tätigkeit des Sanatoriums einzuführen. 
Die Zusammenstellung ist nicht schlecht. W. Sternberg-Berlin. 

Grünwald, I.., Kurzgelaßtes Lehrbuch und Atlas der Krankheiten der Mund¬ 
höhle, des Rachens und der Nase. (Dritte vermehrte Auflage. Teil II: Atlas. 
Mit 57 vielfarbigen Tafeln, enthaltend 104 makroskopische und 37 histologische 
Abbildungen. 1912. München, J. F. Lehmann’s Verlag.) 

In dem rühmlichst bekannten Lehmannschen Verlag ist der Atlas der 
Krankheiten der Mundhöhle und der Nase jetzt in der dritten Auflage er¬ 
schienen. Die neue Auflage zeichnet sich durch eine reiche Vermehrung 
der Bilder aus. Es sind naturgetreue, instruktive Abbildungen, so daß man 
immer wieder mit Vergnügen das Buch in die Hände nehmen w T ird. Auch 
die neue Auflage wird Freunde finden. Sie sollte bei dem geringen Preis 
von 10 Mk. in keiner ärztlichen Bibliothek fehlen. 

L. Sternberg-Berlin. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912 


Toriscbritte der medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

lierausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prio.-Doz. Dr. u. Crtegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 


Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


1 

Nr. 21. 

erscheint wöchentlich sum preise von 8 CDorh für öos 
Salbjahr. 

23. Mai. 

CarlMarhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S 
Alleinige Inseratenannabme öureb (l)a; Oelsöorf, 


Annoncen-Bureau, 6berswalbe bei Berlin. 



Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 41 ) 

Von Dr. IV. Geissler, Mitglied der Königlichen bakt. Anstalt zur Bekämpfung des 
Typhus, Trier, zuletzt Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik der Cölner Akademie 
für prakt. Medizin (Prof. Aschaffenburg). 

In der ätiologischen Erforschung der Geistes- und Nervenkrank¬ 
heiten stellt die pathologische Chemie das an Bedeutung wie an 
Schwierigkeiten reichste Kapitel dar. 

An Schwierigkeiten deshalb, weil wir mangels genauer Kenntnis 
vieler feiner biologisch-chemischen Vorgänge noch nicht imstande sind, 
durch Ersinnen geeigneter Methoden eine Reihe wichtiger Stoffumsetzun- 
gen einwandfrei zu analysieren. Ich erinnere an den Abbau der Fette, 
an die Lipoide u. a. m. 

An Bedeutung reich, weil die Arbeiten der letzten Jahre den alten 
Hypothesen Grundlagen gegeben haben, dass ein Zusammenhang 
zwischen Psychosen und Neurosen mit der Pathologie des Chemismus 
unzweifelhaft besteht. 

Nur über die Rolle der pathologischen Produkte, ob sie ursächlich, 
als Begleiterscheinung oder als Folge der Gehirn- und Nervenkrank¬ 
heiten aufzul'assen sind, bestehen im allgemeinen die Zweifel weiter. 

Einiges Licht jedoch haben bezüglich dieser Möglichkeiten die neueren 
Untersuchungen gebracht, und die Psychiatrie sollte die Errungenschaften 
der pathologischen Chemie, wenn sie auch nur Bausteine bedeuten, 
nicht ignorieren. Es wird die Zeit vielleicht nicht fern liegen, wo Krank- 
heitsäusserungen psychischer und nervöser Art von der höheren Warte 
chemisch-pathologischer Kritik betrachtet werden, zu der auch die 
Serologie und die fortschreitende pathologische Anatomie beitragen 
wird. Dass die jetzige Rubrizierung und Einteilung der Psychosen und 
Neurosen etwas Gezwungenes, Gewaltsames und Schab¬ 
lonenhaftes ist, lehrt allein die blosse Betrachtung der zahl¬ 
reichen KomplexbegrilTe, unter der man mangels besserer Erkenntnis 
sich ähnelnde Zustände und Krankheitsbilder subsummiert, ferner die 
unfertige Abgrenzung nach A e t i o 1 o g i e , die man z. T. gar nicht 
oder unvollkommen kennt und die ferner nichts Spezifisches an sich 
hat, weil dieselbe Ursache verschiedene Wirkung haben kann, sodann 
die Schematisierung nach Krankheitsausgängen, welch 

*) Das Literaturverzeichnis findet sich im Zusammenhang am Schluss der Arbeit. 

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(542 üeissler, 

letztere wieder umgekehrt die Folge der mannigfachsten Ursachen 
sein kann. 

Durch alle diese Gewalteinteilungen sind wir keinen Schritt vor¬ 
wärts gekommen. 

Wenden wir uns den Stoffwechselvorgängen zu! 

Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Stoffwechsel- 
störungen und Geisteskrankheiten gehen bis zu der Zeit zurück, als 
man die Aehnliehkeiten einiger echter psychotischer Zustände mit 
Krankheitsbildern bemerkte, die durch exogene Ursachen und zwar 
durch Gifte, hervorgerufen waren, akuter wie chronischer Vergiftungen. 

Ich erinnere an Störungen der Sensibilität, an Krampf- und Läh¬ 
mungszustände, Delirien und Sinnestäuschungen und andere Sym¬ 
ptome, die den als endogen geltenden Psychosen mit solchen körper¬ 
fremder Gifte gemeinsam sind. 

Ich nenne als solche: Alkaloide, Atropin, Morphium, Opium, 
Kokain und Haschisch, als gasförmige die Kohlenoxyd-, Schwefel-, 
Kohlen- und Wasserstoffgase, Chloroform pp. und vor allem den 
Alkohol mit seinen verschiedensten chemischen Kombinationen. 

Auch ähnliche Zustände nach Intoxikation mit chemischen Sub¬ 
stanzen der anorganisch" en Reihe Hessen an Störungen des Stoff- 
wechselgleichgewichts denken. (Blei, Arsen u. a.) 

Heute wissen wir, dass eine Schädigung in diesem Sinne nur in¬ 
direkt zustande kommt. 

Ein hypothetisches Gebiet blieb bis in das letzte Jahrzehnt des 
vergangenen Jahrhunderts die Art der Schädigung durch Infektion 
und bakterielle Intoxikation, für deren Wirkung auf die Psyche man 
unbekannte Stoffumsetzungen ansehuldigte. 

Dass man dann später in der Aera Robert Koch den inzwischen 
modern gewordenen Toxinen auch für die Psychiatrie eine ätiologische 
Rolle zudachte, zeigen die Toxintheorie der Dementia praecox von 
Jung und die Freunds, der einige Psychoneurosen auf einer Stö¬ 
rung des Sexual-Stoffwechsels basieren lässt. 

Einen weiteren Fingerzeig gaben natürlicherweise die bei Erkran¬ 
kung der dem Stoffwechsel dienstbaren Organe beobachteten psychi¬ 
schen Alterationen, die denen ohne äussere bekannte Gifte ebenfalls 
glichen: 

Ich nenne die Aehnlichkeit urämischer Zustände bei Erkrankungen 
der Nieren mit epileptischen Zuständen, vorübergehender Geist esstörungen 
bei Leber- und chronischen Nierenleiden mit echten psychotischen 
Affektionen; ferner stützte diese Auffassung und tut dies heute noch, 
dass gerade bei den beiden bekanntesten Stoffwechselkrankheiten, 
Gicht und Diabetes, relativ oft Zustände geistiger Schädigung, speziell 
Depressionen und Delirien wahrzunehmen sind, so dass die Annahme 
des schädlichen Agens in den pathologischen Umsetzungen als eine 
erhebliche Wahrscheinlichkeit nicht- von der Hand zu weisen ist. 

Auch die durch Gifte, welche im Körper selbst gebildet wurden, 
hervorgerufenen Psychosen lassen sich im Sinne der Stoffwechselpatho¬ 
logie deuten. Hierher gehört das autotoxische Stupordelirium, ein Teil 
der Ermüdungszustände (Ermüdungstoxine) mit transitorischen Stö¬ 
rungen, sowie ein solches der Erschöpfungspsychosen. Auch die Er¬ 
krankung an den Drüsen mit innerer Sekretion, von denen besonders 
die thyreogenen Psychosen Erwähnung verdienen, fördern diese Ansicht. 

Alle diese klinischen Beobachtungen werden durch die Physiologie 



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Über den Sloflwechsel des Geisteskranken 


»43 


leichter verständlich, die uns in dein Zuckerstich von Claude B e r n a r d 
und neuerdings in dem Wärmestich von A r o n s o n (Centrum im Cor¬ 
pus striatum) die direkte Beziehung zwischen Zentralnervensystem und 
dem Chemismus des Stoffwechsels zeigt und eine solche vermitteln¬ 
der Art durch die vasomotorischen und sekretorischen Nerven. (Migräne¬ 
zustände, arterielle Gefässkrämpfe bei Melancholie, vasokonstriktorische- 
und vasoparalvtische Dämmerzustände (Ziehen), Acidosis und Ana- 
eidosis, Salivation bei organischen und funktionellen Psychosen, Hyper- 
hidrosis bei Halluzinationen und Delir, trem., geringe Tränensekretion 
bei echten Depressionen, Temperatursteigerungen bei Hy. u. a.) 

Sodann sei an die Glykosurie nach Splanchnikus-Durchschneidung 
erinnert, an eine solche bei traumatischen Neurosen (Naun v n) und 
Angstzuständen (v. Noor de n), an die Phosphaturie bei Affekten und 
Neurasthenie. 

Eine umfangreiche Literatur mehrerer Dezennien zeigt die Pfade, 
auf denen sich die Forscher mit mehr oder weniger Glück bewegt haben. 

Es gebührt B. A11 e r s *) das Verdienst, diese in Zeitschriften 
der verschiedensten Disziplinen niedergelegten Veröffentlichungen auf 
ihren tatsächlichen Wert kritisch geprüft, ihre Resultate zusammen¬ 
fassend verwertet und gesichtet, sowie ausserdem wertvolle Beiträge 
geliefert zu haben. Seinem Namen seien die von Rhode, Kauf¬ 
mann, Tintemann, Soetbeer, Knauer, Hoppe u. a. 
angereiht. 

Wenn ich hier dem Beispiel A 11 e r s folgend, wiederum das ge¬ 
samte Material mit den inzwischen erschienenen neuen Arbeiten sichte, 
so geschieht dies von dem Gesichtspunkt aus, Wesentliches von Un¬ 
wesentlichem, tatsächlich Erwiesenes von Problematischem zu trennen, 
sowie eigene Erfahrungen und Ansichten mitzuteilen und neue Ge¬ 
sichtspunkte zu geben. 

Ich möchte zeigen, dass durch die Biochemie und pathologische 
Chemie, wenn auch kein erschlossenes Gebiet erschaffen worden ist, 
so doch immerhin positive Erfolge zu verzeichnen sind und gangbare 
Wege gefunden wurden, die zum Ziele — wenn auch noch in weiter 
Ferne — zu führen scheinen. 

Dem ersten der Stoffwechselpathologie gewidmeten Kapitel schicke 
ich zur Vermeidung von Missverständnissen voraus, dass ich hier unter 
Störungen des Stoffwechsels alle die pathologischen 
(chemischen und biochemischen) Stoffumsetzungen 
verstehe, welche d ie zugeführten Nährstoffe be¬ 
züglich ihrer Assimilation und Dissimilation im 
menschlichen Organismus erleiden. 

Bekanntlich besteht der Stoffwechsel darin, dass die Lebewesen 
einerseits die organischen Verbindungen, aus denen ihr Körper aufge¬ 
baut ist, fortwährend spalten und unter Zutritt von Sauerstolf oxy¬ 
dieren, wobei einfachere Verbindungen (Kohlensäure, Wasser, Am¬ 
moniak und einfachere Ammoniak-Derivate wie Harnstoff pp.) ent¬ 
stehen (Dissimilation), andererseits ihre Körpersubstanz wieder auf¬ 
bauen aus Substanzen der Aussenwelt (Assimilation). 

Die Einnahmen sind die Nahrung und der eingeatmete Sauerstoff, 
die Ausgaben sind enthalten im Harn, Kot, Schweiss, Ausatmungsluft, 
Hauttalg, Milch, Samen u. a. m. 

In der Regel werden in den Ausgaben nur die in Harn, Kot und 
Ausatmungsluft enthaltenen Stoffe bei der Untersuchung der Bilanz 

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Geissler, 


verwendet, weil die anderen wegen der Kleinheit ihres Anteils nicht 
berücksichtigt zu werden brauchen oder durch geeignete Versuchsbe¬ 
dingungen ausgeschaltet werden können. 

Das Ideal eines Stoffweehselversuches würde nun sein, jeden Be¬ 
standteil der Einnahmen und Ausgaben einzeln quantitativ zu bestim¬ 
men und das Resultat zur Feststellung der Stoffwechselbiianz zu ver 
werten. 

Dem stehen jedoch unüberwindliche methodische Schwierigkeiten 
im Wege. 

Man hat daher einzelne Komponenten des Stoffwechsels, z. B. den 
Eiweiss- oder Kohlenhydratstoffwechsel bez. ihrer Bilanz bestimmt und 
brauchbare Resultate erzielt. 

Je mehr Teile des Stoffwechsels jedoch eine derartige Untersuchung 
umfasst, um so näher wird sie dem Ideale rücken. 

Leider bieten derartige Untersuchungen bei Geisteskranken beson¬ 
dere Schwierigkeiten, mit denen der innere Kliniker nicht zu rechnen 
braucht. Sie sind gegeben in Hindernissen, die bei der Untersuchung 
geistig Erkrankter im allgemeinen sich entgegenstellen, ferner in der 
Behandlung der Geisteskranken und in der nicht unerheblichen Fehler¬ 
quelle der Beeinflussung des Stoffwechsels durch die Qualität ihres 
psychischen Verhaltens (Angst gl ykosuri e u. a.), ferner in technischen 
Schwierigkeiten bezüglich der Schulung des Personals, das man bei 
derartigen Untersuchungen nicht entbehren kann. 

Daher ist auch di“ Zahl einwandfreier Resultate gering, wie dies 
A 1 1 e r s l ) in seiner, eingangs erwähnten, Arbeit treffend hervorhebt. 

Auf die geübte Methodik näher einzugehen, verbietet Zweck und 
Raum dieser Abhandlung, ich verweise zum Studium auf die Arbeit 
Allers, auf das Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden von 
A b d e r h a 1 d e n 2 ) und das Handbuch der physiologischen Methodik 
von Tigerstedt 3 ), das vor kurzem erschienen ist, sowie auf 
K r e h 1 s pathologische Physiologie. 

Bei der teilweisen Ungeklärtheit des Stoffes empfiehlt sich ein* 
Abhandlung der Stoffwechselstörungen nach allgemeinen Gesichts¬ 
punkten n i c h t. Ich führe daher im folgenden an, w r as für die Haupt¬ 
typen der Psychosen Positives gefunden wurde und beginne mit der 
schwersten organischen Geistesstörung, der Paralyse. 

K a u f f m a n n 4 ) fand, dass für den Paralytiker die Unfähigkeit, 
Wasser zu retinieren, charakteristisch ist. 

Bei allen hierauf untersuchten Kranken war das Wasser¬ 
gleichgewicht gestört, die ausgesohiedenen Harnmengen ent¬ 
sprachen nicht den in den Organismus eingeführten Wasserquantitäten. 
Dadurch entsteht nach Kauffmanns Ansicht eine erhebliche 
Schwankung des Gewichts im Sinne einer schnellen Abnahme durch 
den raschen Wasserverlust, der sich selbst durch subkutane Kochsalz¬ 
injektionen nicht aufhalten lässt. 

Mit anderen Autoren glaubt Kauffmann, dass auch ein Teil 
der psychischen Störungen auf der Wasserentziehung basiert. Er 
zieht zum Vergleich die Psychosen der Verdurstenden und die Deli¬ 
rien Cholerakranker heran. Die Rolle der Wasserverarmung ist ja aus 
der täglichen Beobachtung zu studieren, da Menschen und Tiere bei 
Flüssigkeitsmangel schon in wenigen Tagen zu gründe gehen, 
dagegen wochenlang hungern können. 

Kauffmann glaubt, dass die Frage der gestörten Wasserbilanz 


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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


615 


bei Geisteskranken zu den wichtigsten in der Psychiatrie gehört, auch 
nach der praktischen Seite hin. 

Er empfiehlt auf Grund eigener Erfahrungen hei einigen akuten 
paralytischen Fällen, sowie anderen akuten Psychosen bei rapider 
Gewichtsabnahme interne Darreichung von Natr. lactic., das vermöge 
seiner spezifischen wasserbindenden Fähigkeit dem Organismus die 
pathologische Wasserausfuhr zu ersparen geeignet ist. 

Der nicht selten — auch von mir — beobachtete Sektionsbefund 
von trockener Muskulatur und allgemeiner Austrocknung der Organe 
Geisteskranker, scheint dieser Hypothese Berechtigung zu geben. 

Eine weitere Beobachtung verdient das aseptische Fieber 
der Paralytiker. Temperaturschwankungen sind besonders für das 
letzte Stadium der Paralyse charakteristisch. Eine Erklärung jener 
auffallenden Tatsache ist z. Z. noch nicht möglich. 

Die Versuchung, das Fieber, das den Namen „aseptisches“ wegen 
seiner nicht bakteriellen Aetiologie besitzt, auf eine Affektion korti¬ 
kaler (L a n d o i s) oder subkortikaler (A o n s o n) thermischer Zentren 
zu schieben, liegt angesichts der destruktiven Tendenz dieser organischen 
Psychose nahe. Doch sprechen andere Beobachtungen gegen diese 
alleinige Fieberquelle. Zu ihnen gehört die später erwähnte Beein¬ 
flussung der Körpertemperatur durch die Aussenwärme, artefiziell 
durch die Lumbalpunktion u. a. Ferner ist zu beobachten, dass Tempe¬ 
ratursteigerungen bei Paralytikern nicht selten einseitig aufzutreten 
pflegen. Es bestehen nach Reinhard s ) auf der Seite der Motilitäts¬ 
störungen höhere Temperaturen und zwar umso höher, je ausgeprägter 
die motorische Störung ist. Ausserdem ist bekannt, dass Paralytiker 
durch Arbeit am Ergographen Temperatursteigerungen aufweisen, sowie 
andererseits, dass die motorische Unruhe der Kranken fast regelmässig 
von Fieber begleitet ist. 

Fernerhin haben ruhige, verblödete Paralytiker, soweit bekannt, 
nie auffallende Temperaturanstiege geboten, eine Tatsache, die ihre 
Analogie schon beim Gesunden hat, der zu Zeiten stärkerer Bewegung 
auch vorübergehende Temperaturerhöhungen zeigt. 

Eine gewisse Abhängigkeit von der Aussentemperatur ist wohl un¬ 
verkennbar, da man gerade an schwülen Tagen bei Paralytikern grössere 
psychische Unruhe beobachtet hat, wie auch andererseits nachweislich 
das Gros der Psychosen in den heissen Sommermonaten die schwersten 
motorischen Erscheinungen bietet. 

Bornstein leitet, die Hyperthermie der Paralytiker aus einem 
Versagen der Wärmeregulation her. 

Es ist m. E. wohl denkbar, dass durch die verhinderte Wärme¬ 
abgabe bei einem labilen Gehirn Reizmomente entstehen, um so mehr, 
als man, wie erwähnt, subkortikale (Aronso n) als kortikale (Lan- 
d o i s) Zentren kennt, die die Körpertemperatur zu regeln vermögen. 

Kau ff mann führt dieses aseptische Fieber auf die Anhäufung 
und das Zirkulieren schwer verbrennlicher Stoffe im paralytischen Or¬ 
ganismus zurück. Er stützt seine Ansicht durch das Experiment, das 
mittels Darreichung von sclnver verbrennlichem, milchsauren Natrium 
bei dem Paralytiker Fieber auftreten liess. 

Ein derartiges toxisches Fieber verwundert nicht weiter, da wir 
auch beim gesunden Menschen nach eiweissreicher Kost die Körper¬ 
wärme ansteigen sehen; wieviel mehr mag der zu Stickstoffw'echsel- 
störungen neigende Paralytiker dazu Anlass geben! 


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Da noch andere Reize zerebrales Fieber auszulösen imstande sind, 
eine Beobachtung, die ich mit K a u f f m a n n bei der Lumbalpunktion 
(als Reiz auf die thermoregulatorischen Zentren wirkt die plötz¬ 
liche Dru'ckverminderung) mehrfach wahrnehmen konnte 
(Anstiege bis 39,2 “), so dürfte das Phänomen des aseptischen Fiebers 
immerhin noch eine der vielen umstrittenen Fragen bleiben, jedoch 
andererseits als beachtenswerte Tatsache gelten. 

Die auch von Kauffmann vertretene weitere Behauptung, 
dass das Vermögen des Paralytikers Synthesen durchzuführen 
gestört sei, lasse ich unerörtert, da sie nur über eine geringe, nicht be¬ 
weiskräftige Zahl von Fällen verfügt. 

Wenden wir uns dem Kohlenhydratstoffwechsel des 
Paralytikers zu! 

Bei dem erwiesen engen Zusammenhang zwischen Diabetes mellitus 
und Psychosen lag es nahe, unter den letzteren nach einer vorwiegenden 
Beteiligung der schweren organischen paralytischen Erkrankung zu 
forschen. 

Die Resultate sprechen fast durchweg gegen ein grösseres Zusam¬ 
mentreffen von Paralyse mit Diabetes. 

Auffallende Befunde hat jedoch Kauffmann erhoben, der 
sogar behauptete, dass gerade paralytische Frauen und zwar mit Angst¬ 
zuständen häufig eine leichte Glykosurie zeigen (Gärungsprobe positiv, 
öfters konnte die Phenylhvdrosinprobe den Zucker nachweisen.) Kauff¬ 
mann glaubt, da überhaupt die Angstpsychosen häufiger bei Frauen 
auftreten, dass auch die paralytischen Angstpsychosen sich hei ihnen 
öfters finden. „Auch paralytische Männer scheiden bei Angstzuständen 
vorübergehend Zucker aus, bei anderen wieder war im Urin nur Gly- 
kuronsäure nachzuweisen.“ — 

K a u f f in a n n knüpft hieran die Frage, ob die Angst den Dia¬ 
betes verursacht oder ob das Umgekehrte der Fall ist. Er vermag also 
auch für die Beteiligung der Paralyse an sich keine Aufklärung zu 
geben. Nach den Untersuchungen von v. Noorden, Schultze 
und Knauer darf man wohl annehmen, dass — wie auch A 11 e r s 
hervorhebt — die psychischen Störungen ein wichtiges ursächliches 
Moment darstellen. Nach meiner Ueberzeugung kommt der Paralyse 
an sich eine spezifische Ursache der bei ihr auffallend häufig (auch bei 
Männern) gefundenen Glykosurie nicht zu. Bei einer Reihe von Epi¬ 
leptikern (sog. genuine Epilepsie, keine Reflexneurosen oder solche 
auf anatomischer Basis) mit psychischen Erscheinungen fand sich 
ebenso wie bei Paralytikern — im Vergleich zu der grossen Anzahl 
der Untersuchten ein sehr geringer Prozentsatz (4 %) — Trauben¬ 
zucker im Urin. 

Diese vorübergehende Glykosurie war auch in zwei von mir beob¬ 
achteten Fällen akuter halluzinatorischer Paranoia mit Angstzuständen 
sowie hei einer dementia senilis besonders ausgeprägt, abgesehen von 
einer grösseren Anzahl Alkoholdeliranten, deren Aufzählung wegen der 
chemischen Aetiologie nicht hierher gehört. Auffallend war jedoch 
bei allen diesen Psychosen mit Glykosurie eine durchgehends starke 
affektive Erregbarkeit, die bei zwei Epileptikern zu intensiven moto¬ 
rischen Entladungen führte. 

Bei zwei männlichen Kranken mit akut halluzinatorischer Paranoia, 
sowie bei einigen Paralytikern und Epileptikern standen Angstzustände 
mit Verfolgungsideen im Vordergrund und es war eine durchgehende 


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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


647 


Koinzidenz dieser AngstafTekte mit dem Erscheinen des Traubenzuckers 
im Urin wahrzunehmen. 

Es erscheint daher, dass es weniger die Paralyse oder bestimmte 
Psychosen sind, die sich mit einer Glykosurie komplizieren, sondern 
dass vorwiegend Psychosen, die zu stärkerer motorischer Erregung 
oder vor allem zu Angstzuständen vorübergehender oder chronisch- 
rezidivierender Natur führen, zu Zuckerausscheidungen im Urin neigen. 

Für diese Ansicht spricht die bekannte Beobachtung, dass Dia¬ 
betiker eine steigende Zuckerausfuhr bei psychischen Erregungen 
ängstlicher Färbung zeigen, sowie die Noorden’sche Beobachtung der 
Angstglykosurie und das Stoffwechselanalogon der Phosphaturie bei 
Affekten und Neurosen, speziell der Neurasthenie mit hypochondrischen 
Zügen, sowie die Glykosurie bei traumatischen Neurosen. 

Ausser Raimann, Laudenheimer, v. Noorden, 
Kau ff mann, Schultze und Autor haben Tintemann 
sowie Travaglino Beobachtungen gemacht über Glykosurie bei 
Psychosen. Einen auffallend engen Zusammenhang zwischen Affekt¬ 
lage und Zuckerausscheidung hat Tintemann jedoch nicht kon¬ 
statieren können, da auch bei ruhigen Geisteskranken (Idiotie, degene- 
ratives Irresein und Hebephrenie) dies Phänomen von ihm beobachtet 
wurde. Für den Zusammenhang von Glykosurie und organischer Hirn¬ 
erkrankung nimmt Tinte mann ebenso, wie beim Alkoholismus 
die Grundursache der Psychose (Alkohol, Trauma, Lues, Arte¬ 
riosklerose usw.) auch als ätiologisches Moment der 
Zuckerausscheidung im Sinne einer Schädigung weiterer Or¬ 
gansysteme an. Merkwürdig ist, dass Tintemann bei Epileptikern 
nie Zucker im Harn nachweisen konnte, was ich mehrfach beobach¬ 
tete, allerdings unabhängig vom Anfall oder Affekten. 

Travaglino 8 ) beobachtete einen Fall von katatonischem 
Stupor mit Angst und Glykosurie und sieht die Ursache der letzteren 
bei Psychosen besonders in der Angst und anderen negativen Affekten. 
Er glaubt sogar dem Verlauf des Zuckergehaltes im Urin einen pro¬ 
gnostischen Wert zuerkennen zu müssen, eine Folgerung, die bei den 
wenigen von ihm beobachteten Fällen sicherlich übereilt sein dürfte. 

Als eine weitere Anomalie des Kohlehydratstoffwechsels ist das 
Ausscheiden von Oxvbuttersäure, von Azetessigsäure und 
Azeton im Harn von Paralytikern wie überhaupt von Geistes¬ 
kranken anzusprechen, obgleich auch hier von feststehenden Tat¬ 
sachen nicht gesprochen werden kann. 

Oxvbuttersäure wird bekanntlich oft bei Inanition gefunden, ge¬ 
legentlich auch bei Diabetes, ohne dass bei letzterem, selbst bei monate¬ 
langem Ausscheiden nicht, ein Koma oder nervöse Zustände zur Beob¬ 
achtung gekommen sein sollen. 

Ueber das Auftreten von Oxvbuttersäure, Azeton oder Azetessig¬ 
säure bei Geisteskranken, speziell Paralytikern, haben vor allen 
Hoppe 7 ) und Kauf! mann berichtet, ohne jedoch ätiologische 
Schlüsse über die Rolle der erwähnten chemischen Stoffwechselprodukte 
tun zu können. 

Azetonurie kommt als Folge von Kohlehydrat- und Glykogen- 
Mangel bei Diabetes, Hungerzuständen und Fieber vor, bei Para¬ 
lytikern ist sie jedoch öfters festgestellt worden trotz reichlicher Kohle¬ 
hydraternährung, was mit der erwähnten Theorie ihrer Entstehung im 
Widerspruch steht. 


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048 Geißler, 

Die Frag*' der Entstellung der 3 Körper sowie der Einlluss des 
Azetons auf nervöse Vorgänge oder die Wirkung der letzteren auf die 
Ausscheidung von Azeton ist noch zu wenig geklärt, um daraus schon 
Schlussfolgerungen anzustellen. 

Es sei hier eingefügt, dass K auf f mann die Beobachtungen 
von J a o k s c h und Hirschfeld nicht bestätigen konnte, dass 
auch zu Zeiten im Urin normaler Menschen Azeton, wenn auch nur in 
geringen Mengen auftreten soll. 

Dem Azeton wird auch von einigen Autoren eine krampferregende 
Wirkung beigemessen, so dass es sogar epileptische Anfälle auslösen 
könne. Auch hierüber liegen keine zuverlässigen Tatsachen vor; die 
krampferregende Wirkung scheint m. E. doch keine bedeutende Rolle 
zu spielen, denn sonst wäre die Azetonurie bei Epileptischen öfter ge¬ 
funden worden. Sicher ist, dass sie bei paralytischen Erregungszu¬ 
ständen häufig beobachtet wurde, wo das Azeton gelegentlich auch im 
Atem durch den Geruch .wahrzunehmen war. 

Die Azetessigsäure habe ich in einem Falle von akuter halluzina¬ 
torischer Verwirrtheit gefunden: zweimal war die Eisenchloridreaktion 
an mehreren durch einen Zeitraum getrennten Krankheitstagen, die 
durch starke Halluzinationen und Erregungszustände ausgefüllt waren, 
positiv. Es handelte sich um einen 38 jährigen Baumeister, der an 
halluzinatorischer Verwirrtheit, die nach 6 Wochen abgeklungen war, litt. 

Ein nicht seltener Befund hei Paralytikern, wie überhaupt bei 
Geisteskranken, ist der des I n d i k a n s im Harn. 

Indikan oder Indoxylsehwefelsäure entsteht bekanntlich durch 
eine Verbindung der Harnschwefelsäure (in den Sulfaten und als Aether- 
schwefelsäure vorhanden) mit den Benzolderivaten: Phenole, Skatol 
und Indol, vornehmlich durch Verbindung mit dem Indol, das sich hei 
der Eiweissfäulnis bildet und nach seiner Resorption zu Indoxyl oxy¬ 
diert wird. 

Nach den Untersuchungen von J a f f e *) findet sich das Indikan 
auch im normalen Harn, wenn auch in sehr geringen Mengen. Patho¬ 
logisch vermehrt ist es bei gesteigerter Darmfäulnis, namentlich bei 
Typhus, Peritonitis und Ileus. Beim Menschen haben Fr. Müller 
und andere nach Hungerzuständen das Indikan ganz aus dem Urin 
verschwinden sehen; bei Tieren, speziell bei Hunden und Kaninchen 
ist das Gegenteil beobachtet worden.*) Gelegentlicher Befunde von 
Indikanurie bei Lymphosarkom (Senator) und Vergiftungen u. a. 
tue ich vorübergehend Erwähnung. 

Man nahm bisher allgemein an, dass das Indikan auf eine gestei¬ 
gerte Darmfäulnis zurückzuführen ist. ln letzter Zeit haben sich aber 
die Stimmen gemehrt, die neben der enteralen auch eine histogene 
Genese der Indikanurie für wahrscheinlich, halten. Blumenthal 10 ) 
hat bei 17 Tieren durch den Zuckerstich Indoxylurie erzeugen können 
und glaubt in diesem höchst überraschenden Befunde einen Einfluss 
des Zentralnervensystems auf die Indikanbildung zu sehen. Seige 11 , **) 
vertritt ebenfalls auf Grund erhobener Befunde die neurogene oder 
zentrale (histogene) Theorie und ferner Kauffmann, 
während A 1 1 e r s der Möglichkeit geschweige dem Bewiesensein der 
neurogenen Theorie ablehnend gegenübersteht. Obwohl seine gegen die 
Blumenthal sehe Auffassung gerichteten Einwände völlig plau¬ 
sibel erscheinen, kann man die Möglichkeit einer Entstehung des In- 


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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. (149 

dikans unabhängig von der Dannfäulnis keineswegs von der Hand 
weisen. 

Es wäre doch merkwürdig, wenn die grosse Zahl an Indikanbefunden 
bei Geisteskranken, Manisch-depressiven, Hebephrenen, Epileptikern 
und Paralytikern sowie bei Neurasthenikern jedesmal auf Eiweiss¬ 
fäulnis des Dickdarmes zurückzuführen wäre. Eine solche Aetiologie 
dürfte allseitigem Skeptizismus begegnen und an die nur noch histo¬ 
risches Interesse bergende Ansicht von Bruce und T o w n s e n d 13 ) 
erinnern, von denen der erstere in dem Indikan selbst die toxische Ur¬ 
sache der Psychose zu sehen glaubte. Townsend u. a. waren der 
Ansicht, dass die Indikanurie nur der chemische Ausdruck einer ge¬ 
steigerten Darmfäulnis sei, die neben dem Indikan auch andere gehirn¬ 
giftige Substanzen produziere. 

K auffmann hat durch ausschliessliche Kohlehydratnahrung 
die Indikanurie einiger Geisteskranken nicht völlig zum Verschwinden 
bringen können. Andererseits hebt er sehr einleuchtend hervor, dass 
er auch bei Alkoholdeliranten mit dem Aufhören des Delirium das Ver¬ 
schwinden von Glykuronsäure und Indikan aus dem Urin beobachtet 
hat, zumal die Kranken täglich hohe Einläufe bekamen und leicht ver¬ 
dauliche Kost. 

Es scheinen doch wohl beide Beobachtungen zu Gunsten der Mög¬ 
lichkeit einer neurogenen Genese der Indikanurie zu sprechen. Auch die 
Theorie, dass die Bildung von Indikan vornehmlich der Verlangsamung 
der Darmperistaltik zuzuschreiben sei, da ja die verschiedensten Hem¬ 
mungszustände und solche mit negativen Affekten vielfach mit einer 
ausgeprägten Trägheit des Darmes einhergehen, hebe ich hervor. Spe¬ 
ziell hat man der Indikanurie von englischer Seite eine spezifische 
Rolle für die Entstehung der Melancholie beigelegt. Dass diese Auf¬ 
fassung nichts an Beweiskraft hat, dürfte aus dem Gesagten hervor¬ 
gehen. 

Gegen die angezogene Theorie der Entstehung des Indikans in¬ 
folge darniederliegender Peristaltik, sprechen Kauffmanns Be¬ 
funde, der das Indikan bei einer Reihe von Neurasthenikern ohne 
Obstipation nachweisen konnte. Dass besonders oft Paralytiker Indikan 
ausscheiden, lässt sich ebenso wenig erklären, wie sich für die zentrale 
oder neurogene Theorie der Indikanurie überhaupt eine alleinige Be¬ 
weiskraft zur Zeit feststellen lässt. Wir müssen einstweilen das Phä¬ 
nomen als gegeben hinnehmen und sein Vorkommen weiter studieren. 

Ueber den Befund des Antitrypsins (.1 ach) werde ich bei 
der Epilepsie zu sprechen kommen. 

Hier seien Bornsteins 11 ) Stoff Wechseluntersuchungen, die 
sich vornehmlich mit dem respiratorischen Stoffumsatz der Paralytiker 
befassen, kurz referiert. 

Für die Zeiten der Ruhe, in denen diese am Respirationsapparat 
gemachten Versuche, die bei dem Kapitel Hebephenie näher gewürdigt 
werden, nur angestellt werden konnten, verhielt sich der GrundstolT- 
umsatz der untersuchten Paralytiker normal. 

Auch die Untersuchung des Blutes haben für den Paralytiker ty¬ 
pische Befunde bei keinem Autor ergeben. 

Die schnelle Gerinnbarkeit des Blutes bei Paralytikern ist schon 
seit langem von V o i s i n betont worden, neuerdings von Kauf f- 
m a n n. Ich habe derartige Beobachtungen bei der grossen Zahl der 
von mir venaepunktierten Paralytiker nicht machen können, mir ist 


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Geissler, Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


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6ö0 

wenigstens eine anormal schnelle Gerinnung nicht aufgefallen. Da 
ich jedoch keine Fibrinbestimmungen gemacht habe und die Gerinnungs¬ 
zeit nicht zeitlich notierte, so kann ich keine positiven Schlüsse ziehen. 

Die Alkaleszenzprüfung hat bei fast allen Untersuchern verschie¬ 
dene Resultate ergeben, da die angewandten Methoden zum Teil Fehler 
aufweisen, zum Teil prinzipiell so differierten, dass sie eine Schluss¬ 
folge nicht gestatten. 

Der Hämoglobingehalt wurde von Kauf f m a n n auffallend hoch 
gefunden bis zu 130% des Normalen; etwas Pathognostisches an sich 
kann man diesem Befunde jedoch nicht beimessen, da er ja der 
Ausdruck der starken Wasserschw'ankung im paralytischen Orga¬ 
nismus, wie erwähnt, ist. Er ist als Eindickungsprozess bei Wasser¬ 
armut aufzufassen, zumal auch die Zahl der roten Blutzellen um %. 
und mehr in der Maasseinheit gleichzeitig erhöht gefunden wurde. Da¬ 
gegen kann man wohl den Blutbefund diagnostisch für den Wasser¬ 
gehalt verwerten, der beim ■ Paralytiker, wie oben näher ausgeführt, 
erheblich herabgesetzt ist. 

Wir haben auch in der Blutanalyse nichts für die Paralyse eindeutig 
Charakteristisches, nur Fälle regelloser Einzelphänomene mit Vermu- 
tungs-, höchstens Wahrscheinlichkeitsanspruch, jedoch nichts Posi¬ 
tives, nichts Spezifisches. 

Veränderungen der Blutzellen und der bakteriziden Wirkung 
des Blutserums übergehe ich und verweise bezüglich der ersteren auf 
eine im Druck befindliche Arbeit von mir, bezüglich der letzteren auf 
ein späteres Kapitel. 

Das unerforschteste Gebiet in der Stofiwechselpathologie der Pa¬ 
ralyse stellen jedoch die sog. Lipoide dar, deren Hauptvertreter das 
Lezithin (Cholin), Cholesterin und die organische Phosphorsäure 
gerade in letzter Zeit den Biologen wie Kliniker in gleicher Weise zum 
Studium anregten. 

Für die Psychiatrie glaubte man, ihrem Vorkommen im Blute 
und vor allem in der Spinalflüssigkeit besonderen Wert beilegen zu 
sollen, da sie ja die Hauptbestandteile der Gehirn- und Nervensubstanz 
darstellen und bei Erkrankung des Zentralnervensvstemes sich hypo¬ 
thetisch als Abbauprodukt im Blut uud in dem das Gehirn umspülenden 
Liquor mit gewisser Berechtigung vermuten Hessen. 

Donath l5 ) stellte auf Grund seiner Versuche die Behauptung 
auf, dass in der Zerebrospinalflüssigkeit von Kranken mit organischen 
Nervenkrankheiten, speziell bei Paralytikern Phosphorsäure enthalten 
sei, deren Vorkommen durch den Untergang von Nervensubstanz seine 
Erklärung fände. 

Diese bei dem Reichtum des Nervengewebes an Phosphor (nuklein¬ 
artige und lipoide \ erbindungen) sowie andererseits bei dem paraly¬ 
tischen Rindenschwund verständliche Hypothese konnte von anderen 
Autoren, namentlich A p e 11 und Schn m m 19 ) und Kau ff mann 
nicht bestätigt werden. gg 

Seit den Berichten von M o t h und H alliburton über Cholin 
(ein Spaltungsprodukt des Lezithins) im Liquor haben mehrere For¬ 
scher ihr Interesse diesem Körper zugewendet. Donath bestätigte 
die Cholinbefunde und glaubte mit Halliburton in dem Cholin 
einen krampferregenden Körper gefunden zu haben. 

Rosen heim, K a j u r a und C e s a r i widersprechen den 
ersten Befunden und konnten selbst mit empfindlichen Methoden — 


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HüfFel, Über die chronische Metro-Endometritis Ü5I 

Cesari mittels faradiseher Reizung des Gehirns — kein Cholin nach- 
weisr-n. 

Auch Kauffmann hat normale Spinalflüssigkeit, sowie solche 
von Epileptikern und Paralytikern, bei welch letzteren die destruk¬ 
tiven Prozesse am ehesten Cholin erwarten liessen, untersucht, eben¬ 
falls mit negativem Resultat. 

Handelsmann 17 ) hat das Cholin toxikologisch geprüft und 
festgestellt, dass die krampfauslösende Dosis das Vielfache der Halli¬ 
burton- und D o n a t 'sehen Werte darstellen würde. Die Rolle 
des Cholin war somit besiegelt. Dass das- Lezithin, allerdings nur in 
biologisch nachweisbaren Mengen, eine grosse Bedeutung hat, zeigt 
die Wassermann sehe Reaktion. (Fortsetzung folgt.) 


IT Überldie chronische Metro-Endometritis. 1 ) 

ffsb? ■ ra : ■ Von Dr. Adolf Hülfel, Darmstadt. 

Unter den gynäkologischen Leiden ist die sog. chronische Gebär¬ 
mutterentzündung eine der häufigsten und beliebtesten Diagnosen. 
Während die Perimetritis und die Parametritis anatomisch scharf ab¬ 
gegrenzte echte Entzündungen darstellen, trifft dies für die Metro- 
Endometritis nicht zu. Vielmehr haben wir es hier mit einem Sym- 
ptomenkomplex zutun, dessen Haupterscheinungen unregelmässige Blu¬ 
tungen und Ausfluss sind, während Schmerzen nicht so regelmässig 
geklagt werden. Das anatomische Bild dieser Entzündung ist ein sehr 
verschiedenes und entspricht meist nicht den von den Pathologen ge¬ 
forderten Bedingungen. Seither galt allgemein die auch jetzt noch in 
den meisten Lehrbüchern vorhandene Einteilung nach Rüge in eine 
Endometritis glandularis hvperplastica und hypertrophiea und in eine 
Endometritis interstitialis chronica s. atrophicans. Die charakteristi¬ 
schen Merkmale der glandulären Endometritis waren Verdickung der 
Schleimhaut mit Vermehrung der Drüsen, Erweiterung der Drüsen¬ 
lumina und Schlängelung der Drüsenschläuche. Die interstitielle Form 
der Endometritis zeigte Bindegewebszüge vermischt mit Rundzellen, 
oder auch feinkörniges Exsudat zwischen den auseinandergedrängten 
Stromazellen. Seit den interessanten Untersuchungen von H i t s c h - 
mann und Adler wissen wir, dass es sich bei dem oben skizzierten 
Bild der glandulären Endometritis in der Regel nicht um einen krank¬ 
haften Vorgang handelt, sondern dass wir es hier mit physiologischen 
Veränderungen der Uterusschleimhaut zu tun haben. Nach diesen an 
grossem Material vorgenommenen Untersuchungen macht die Schleim¬ 
haut der Gebärmutter im Laufe von 4 Wochen regelmässige Umwand¬ 
lungen durch, so dass das Bild sich ständig verändert Die Drüsen, 
welche nach erfolgter Menstruation schmal und gerade verlaufen, füllen 
sich mit Sekret, während gleichzeitig die Drüsenepithelien grösser wer¬ 
den. Hierdurch werden die Lumina ausgedehnt und der Verlauf der 
Drüsen w r ird geschlängelt. Zu gleicher Zeit vollzieht sich auch im Stroma 
eine Umw-andlung, indem die Stromazellen sich vergrössern und einen 
deziduaähnlichen Charakter annehmen. Kurz vor der zu erwartenden 


*) Nach einem Vortrag im ärztlichen Verein Darmstadt. 


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Hü Biel, 


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«52 

Periode ist solche Schleimhaut von echter Dezidua nicht zu unterschei¬ 
den. Tritt jetzt eine Schwangerschaft ein, so geht diese prämenstruelle 
Schleimhaut unmerklich in echte Dezidua über. Bezüglich der inter¬ 
stitiellen Endometritis fanden beide Autoren, dass es sich dabei häufig 
um senile Erscheinungen handelt. Eine echte chronische Entzündung 
verlange neben dem Nachweis von Bindegewebe noch den von Plasma¬ 
zellen. — Diese Entdeckungen erregten wohlberechtigtes Aufsehen und 
vielfachen Widerspruch. Büttner konnte an seinem Material die 
Resultate von Hitschmann und Adler bestätigen, er sieht 
jedoch eine über die ganze Schleimhaut verbreitete stark cystische 
Erweiterung der Drüsen als pathologisch an und behält für solche 
Fälle den Ausdruck Endometritis fungosa bei. Unter 271 Abrasionen 
konnte er die verschiedenen Entwicklungsstufen stets verfolgen. Zu¬ 
weilen fand er ein Missverhältnis zwischen der Zeit und dem betr. Sta¬ 
dium. Solche Befunde erklärt er durch Störung der Ovarialtätigkeit 
Deshalb unterscheidet Büttner eine idiogene und eine oophorogene 
Hypertrophie. Auch A 1 b r e c h t prüfte die Hitschmann sehen 
Untersuchungen nach und kommt zu dem Ergebnis, dass es auch eine 
stationäre Hyperplasie der Schleimhaut gibt, die als pathologisch an¬ 
zusehen ist. Diese zeigt Unregelmässigkeiten im Bau, papilläre Wuche¬ 
rungen, mehrzeiliges Epithel und Tiefenwucherung. 

Die anatomische Diagnose der interstitiellen chronischen Endo¬ 
metritis beruht nach A 1 b r e c h t neben dem Nachweis der Plasrna- 
zellen noch auf dem Vorhandensein von Lymphozythenvermehrung. 
Exsudation, Hyper- oder Atrophie der Stromazellen, Gefässvermehrung 
und entzündlicher Infiltration. Plasmazellen fand er nur in 75 % der 
Fälle. Bei solcher chronischen interstitiellen Entzündung fand er auch 
in 77 % Schleimhautwucherungen. 

Henkel prüfte die Hitschmann sehen Untersuchungen an 
300 zum Teil normalen Fällen nach. Er fand dabei, dass die als typisch 
bezeichneten Bilder sich nicht regelmässig finden, ja verhältnismässig 
selten Vorkommen. Auch fand er nicht selten die verschiedenen Ent¬ 
wicklungsstufen bei ein und derselben Schleimhaut nebeneinander. 
Solche Befunde erklärt er als Folgen gestörter Ovarialfunktion. Bei 
glandulärer Endometritis fand er auch häufig Veränderungen im Stroma, 
sowie Drüsen in der Muskulatur. Er hält daher an der Bezeichnung 
glanduläre Endometritis fest, besonders wenn sich cystische Erweite¬ 
rungen der Drüsen finden. Auch bez. der Kriterien der interstitiellen 
Endometritis ist er ähnlicher Meinung wie A 1 b r e c h t. — Es würde 
zu weit führen, hier auf sämtliche Nachprüfungen der Hitsch- 
m a n n sehen Arbeit einzugehen. Erwähnt seien nur noch diejenigen 
von Ellerbrock, Schickele, Schwab und H immel- 
hebe r. Die allgemeine Ansicht, der sich auch Bef. auf Grund seiner 
Untersuchungen ansehliesst, ist die, dass eine zyklische Umwandlung 
der Uterusschleimhaut im Sinne von Hitschmann-Adler be¬ 
steht, dass es aber neben dieser auch zu pathologischer Hyperplasie 
der Schleimhaut kommen kann, welche in manchen Fällen die Folge 
von Blutstauungen, in anderen die Folge von Entzündungen im Inter- 
stitium, häufig wohl auch eine Fernwirkung gestörter Ovarialtätigkeit 
sein mag. 

Die Hitschman n’schen Untersuchungen haben neben ihrem 
hohen wissenschaftlichen auch praktisches Interesse. Man wird bei 



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Über die chronische Metro-Endometritis. 


G5iS 

der Untersuchung kurettierter Schleimhaut mehr als früher den Men- 
struationstermin berücksichtigen und die Abrasionen möglichst sofort 
nach den Menses vornehmen. Man wird die Diagnose „Endometritis 
glandularis“ nicht mehr so häufig wie früher stellen und wenn sich diese 
Form der Schleimhaut im postmenstruellen Zeitraum findet, vor allem 
den Ovarien seine Aufmerksamkeit zuwenden Auf die therapeutischen 
Folgerungen kommen wir später zu sprechen. 

Noch unklarer als da* der Endometritis ist das anatomische Bild 
der chronischen Metritis. Hier ist dem subjektiven Urteil der weiteste 
Spielraum gelassen. Nach Theilhaber kann man eine chron. 
Metritis annehmen, wenn das Bindegewebe im Verhältnis zur Musku¬ 
latur überwiegt, er spricht dann von einer Fibrosis uteri. Pank o w 
kann diesen Befund nicht bestätigen. Zur Zeit des Klimakteriums 
findet in jedem Uterus eine Umwandlung von Muskulatur in Binde¬ 
gewebe statt und es lässt sich im einzelnen Falle nicht sagen, ob es 
sich um etwas Pathologisches handelt. Theilhaber spricht daher 
in seiner letzten Arbeit auch von einer Insuffizienzia uteri und will 
damit sagen, dass das Verhalten der Muskulatur mehr funktionell ver¬ 
ändert ist, so dass sie den an sie gestellten Anforderungen nicht genügen 
kann. Anatomisch lässt sich dieses Verhalten aber durch nichts nach- 
weisen. Auch die von B e i n e c k e s. Z. entdeckte Sklerose der Uterin- 
gefässe hat sich durch die Untersuchungen von T h e i 1 h a b e r und 
Pankow als eine physiologische Erscheinung herausgestellt, die 
sich an den meisten Uteris Mehrgebärender findet. Pankow bezeich¬ 
net diese Veränderung daher mit Recht als „physiologische Graviditäts¬ 
sklerose“. Um auszudrücken, dass bei der sog. chronischen Metrijis 
die Ursache für die Blutungen nicht im Uterus zu linden ist, schlägt 
A s c h o f f für derartige Zustände die Bezeichnung Metropathia liae- 
morrhagira vor. Bei den nahen Beziehungen zwischen Uterus und Ova- 
rium lag der Gedanke nahe, die Ursache der Störungen in letzteren 
zu suchen. Veit liess durch K a j i mehrere Ovarien blutender Frauen 
untersuchen. K a j i fand bei allen Ovarien Veränderungen mancherlei 
Art, Verdickung der Albuginea, Gefässsklerose, kleinkvstische Dege¬ 
neration der Follikel. Obwohl diese Veränderungen nichts Charakte¬ 
ristisches haben, glaubt Veit in ihnen doch die Ursache der Hä- 
morrhagien gefunden zu haben. Auch Henkel will in vielen der¬ 
artigen Fällen eine gesteigerte Follikeltätigkeit beobachtet haben, Ver¬ 
größerung und Verkleinerung des Organs, Infiltration und Oedem im 
Stroma. Er sieht eine Rechtfertigung seiner Anschauung in dem Um¬ 
stand, dass Resektion solcher Ovarien oft Heilung der Metrorrhagien 
brachte. Adachi untersuchte auf Veranlassung Fehlings 10 
Ovarien von blutenden Frauen. In 2 Fällen war die Albuginea zart 
und dünn, die kleinkvstische Degeneration war in keinem Falle vor¬ 
handen, Gefässsklerose wurde in 3 Fällen gesehen: dagegen wurde 
bei 5 Ovarien nicht blutender Frauen kleinkystische Degeneration nach¬ 
gewiesen. Er bestreitet daher die Bedeutung der Ovarialveränderungen 
im Sinne Veits. Auch Pankow untersuchte eine Anzahl von Ova¬ 
rien metropathiseher Frauen, mit demselben negativen Resultat. Er 
glaubt daher, dass die Störungen der Ovarialtätigkeit rein funktioneller 
Natur sind, eine Ansicht, der sich auch Verf. anschliesst. Denn alle 
seither an den Ovarien beschrieb i n Veränderungen haben gar nichts 
Charakteristisches und finden sich ebenso bei Frauen, deren Menstrua- 
tionstypus normal ist, während arulereis. its Veränderungen der Ova- 


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Hiiflel, 


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<ii4 

rien, besonders kleinkystische Degeneration so häufig Vorkommen, dass 
man sie als völlig belanglos hinstellen muss. 

Gustav Klein glaubt durch das Studium der sich im Ova- 
rium abspielenden biochemischen Prozesse mehr Licht in die Frage 
der Pathologie der Menstruation zu bringen. Die wirksamen Stoffe 
nennt er Oophorine und unterscheidet Follikuline, Ovuline und Luteine. 
Diese Stoffe spielen bezüglich Menstruationsverlauf eine wichtige 
Rolle. Tritt keine Gravidität ein, so werden diese Stoffe mit dem Men- 
strualblut ausgeschieden. Dieses erhält durch sie seine eigentümliche 
Farbe, den charakteristischen Geruch und die Eigenschaft, nicht zu 
gerinnen. Sind diese Stoffe in ungenügender Menge vorhanden, so kommt 
es zu Oligomenorrhoe, sind sie zu reichlich, zu Menorrhagien. Doch kön¬ 
nen solche auch bei Mangel an Oophorinen entstehen, da alsdann die 
Gerinnung des Blutes im Uterus Störungen verursacht (Dysmenorrhoe). 
Diese Betrachtungen sind wohl geeignet, die Forschungen der Metro- 
pathie einmal in andere Bahnen zu leiten, indem auf die noch so wenig 
geklärten biochemischen Vorgänge hingewiesen wird. Praktisch haben 
sie vorläufig noch keinen Wert. Viel wichtiger ist in jedem einzelnen 
Falle die Berücksichtigung des Allgemeinzustandes. Wie oft stellt sich 
■da eine bedeutende Anämie, eine chronische Obstipation oder schwere 
Neurasthenie heraus. Auch einzelne Organerkrankungen wie dekom- 
pensierte Herzfehler, chronische Nephritis, können die Ursachen von 
Hämorrhagien sein. Bei bestehendem Fluor ist eine mikroskopische 
Untersuchung des Sekrets mittels des Schulz e’schen Probetampons 
auch heute noch am meisten zu empfehlen. Rein eitriges Sekret auf 
der Mitte desselben stammt aus dem Uterus, schleimig-glasiges Sekret 
aus der Zervix. Stärkere Beimengung von Leukozyten sollte stets 
den Verdacht auf Gonorrhoe erwecken. Der sichere Beweis ist freilich 
erst durch positiven Nachweis von Gonokokken erbracht. 

Was nun die Therapie der chronischen Metro-Endometritis be¬ 
trifft, so ist es klar, dass sie von dieser Umgestaltung unserer Ansicht 
von dem Wesen der Krankheit beeinflusst werden musste. So lange 
man den Sitz der Erkrankung immer im Uterus suchte, galten auch 
alle therapeutischen Massnahmen diesem Organ. Es wurde gespült, 
geätzt und ausgeschabt, meist mit geringem Erfolg. Eine recht lehr¬ 
reiche Zusammenstellung über den Wert der Abrasio bringt. Busse 
aus der Jenenser Klinik, wo er über 500 genau kontrollierte Fälle be¬ 
richtet. Bei 200 Frauen handelte es sich um idiopathische Blutungen 
ohne anatomische Veränderungen. Hier war bei 40 Frauen der Erfolg 
der Abrasio befriedigend, indem wieder normale Menses einsetzten, 
dauernd geheilt blieben indessen nur 20 = 10 %. Dazu muss noch be¬ 
merkt werden, dass bei x / 3 der Fälle die Blutungen auf ein schlecht 
abgewartetes Wochenbett zurückzuführen waren. Auch eine zweite 
Abrasio änderte nichts daran. 

Bessere Resultate ergab die Abrasio bei klimakterischen Blutungen. 
Hier trat in der Hälfte der Fälle Besserung, in 20 % Dauerheilung, 
d. h. Amenorrhoe ein. Schlechter werden die Aussichten, sobald es 
sich um Uterus myomatosus oder Komplikation mit Retroflexio handelt. 
Busse schliesst aus seinen Beobachtungen, dass die Menorrhagien 
Symptome verschiedener Erkrankungen sind und dass die Abrasio le¬ 
diglich als symptomatisches Mittel anzusehen ist. Auch Veit ist 
der Ansicht, dass die Abrasio nur in zwei Fällen Aussicht auf Erfolg 
bietet 1. bei der sogen. Endometritis post abortum, 2. bei klimakteri- 



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Über die chronische Metro-Endometritis. 


«55 


sehen Blutungen, zuweilen auch bei subserösen Myomen. Diese Beob¬ 
achtungen der beiden Autoren stimmen auch mit den Erfahrungen des 
Verf. völlig überein. 

Es ist zweckmässig, die Therapie der Hämorrhagien und des Fluors 
getrennt zu behandeln. Bezüglich der Blutungen müssen wir unter¬ 
scheiden zwischen denen des Pubertätsalters, des geschlechtsreifen 
Alters und des Klimakteriums. Zur Zeit der Pubertät sowie überhaupt 
bei jungen Mädchen, bei denen eine Infektion oder Gravidität ausge¬ 
schlossen werden kann, sind unregelmässige Menses meist die Folge 
ovarieller Störungen oder von Stoffwechselanomalien. Erfahrungs¬ 
gemäss hat hier die Abrasio keinen Erfolg, während Behandlung des 
Grundleidens besonders der Chlorose, meist bald Besserung erzielt. 
Hier ist ein segensreiches Gebiet für Anwendung der physikalisch- 
diätetischen Heilmethoden, welche von Naturheilkundigen ja schon 
lange zum Nutzen der Patienten, aber nicht zum Heile des Aerzte- 
standes ausgeübt wurden. Ferner empfiehlt sich in solchen Fällen 
stets ein Versuch mit, den verschiedenen Stypticis, Secale, Hydrastis, 
Stvpticin usw. In einigen besonders hartnäckigen Fällen sah 
Busse guten Erfolg von Injektion von frischem Menschenserum, 
auch von anderer Seite wurde über Heilerfolge mit Hammelblut- und 
Pferdeblutserum berichtet. Solche Resultate zeigen deutlich, dass die 
Ursache der Blutungen oft nicht in den Geschlechtsorganen selbst liegen. 
Im geschlechtsreifen Alter ist die Abrasio indiziert, sobald es sich um 
postpuerperale Blutungen handelt. Hier liegt oft eine mangelhafte 
Rückbildung der Dezidua vor, deren Beseitigung dann meist Heilung 
bringt. Im übrigen ist auch hier von einer Allgemeinbehandlung am 
meisten zu erwarten, ganz besonders ist hier neben der Anämie die 
chronische Obstipation zu berücksichtigen, aber auch abnorme geschlecht¬ 
liche Reizungen können den Grund zu einem übermässigen Blutan¬ 
drang zu den Genitalien und damit zu verstärkten Blutungen bilden. 

Eine besondere Stellung nehmen die klimakterischen Blutungen 
ein. Obwohl auch hier wahrscheinlich die Ursachen häufig nicht im 
Uterus, sondern in den Ovarien liegen, bringt doch die Abrasio in vielen 
Fällen Heilung. Man kann sich dies wohl nur so erklären, dass durch 
den Reiz der Abrasio, besonders wenn noch einige energische Aetzungen 
nachgeschickt werden, die Schleimhaut verödet und die Gefässe schrump¬ 
fen. In den übrigen Fällen dauern die Blutungen weiter an, die Frauen 
werden immer mehr anämisch, bis sie schliesslich durch die eintretende 
Menopause erlöst sind. Wenn es wohl auch kaum vorkommt, dass sich 
eine Frau auf diese Weise verblutet, so werden viele doch dadurch so 
geschwächt, dass sie einer hinzukommenden anderen Erkrankung nicht 
viel Widerstand entgegensetzen können. In solchen Fällen entschloss 
man sich denn schliesslich, den Uterus zu exstirpieren oder aber ihn 
durch Vaporisation zu veröden. Da beide Verfahren ihre Gefahren 
haben, wurden sie meist erst dann versucht, wenn alle anderen Hilfs¬ 
mittel erschöpft waren. Es ist daher sehr zu begrüssen, dass unsere 
Therapie jetzt um ein neues Verfahren bereichert ist, das imstande ist, 
schon frühzeitig genug ohne Schädigung und Belästigung der Patientin 
die Menopause herbeizuführen. Das ist die Röntgenbestrahlung. Diese 
bringt die klimakterischen Ovarien zum Schrumpfen und damit hören 
dann auch die Blutungen auf. Nachteile des Verfahrens waren seither 
die lange Dauer der Behandlung und die Verbrennungsgefahr. Beides 
hat sich mit der fortgeschrittenen Technik geändert. Verbrennungen 


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Hü fiel, 


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0T>6 

der Haut lassen sich heute mit Sicherheit vermeiden durch Anwendung 
der verschiedenen Filter, welche weiche Strahlen zurückhalten, sowie 
durch eine exaktere Dosierung. Was die Dauer der Behandlung be¬ 
trifft, so ist auch diese wesentlich verkürzt worden. Besonders erwäh¬ 
nenswert sind die Versuche von Gauss, welcher durch Erhöhung 
der Röntgendosis eine Abkürzung des Verfahrens erstrebt. E y m e r 
hält sich genau an die Vorschriften von A Ibers Schön her g und 
verabreicht kleinere Dosen. Die Ansichten über den Wert von grösseren 
oder kleineren Dosen sind zur Zeit noch nicht geklärt. Jedenfalls er¬ 
zielt E y m e r mit kleinen Dosen fast in derselben Zeit die gleichen 
Erfolge wie Gauss, aber auf ungefährlichere Weise. A Ibers 
S c h ö n b e r g gibt eine Serie = 3 / 4 Erytemdosis an drei aufeinander¬ 
folgenden Tagen in je 6 Minuten und schaltet dann eine 14 tägige Pause 
ein. In der Regel braucht man bei Frauen über 45 Jahren nur 5—6 
Serien zur Herbeiführung der Amenorrhoe. Gauss und E y m e r 
sind der Ansicht, dass Misserfolge bei klimakterischen Blutungen und 
richtiger Technik heutzutage nicht mehr Vorkommen. Ebensowenig 
wurden dauernde Schädigungen gesehen. 

In gleichem Sinne lauten die Erfahrungen von M. Fraenkel 
(Berlin), Heynemann (Halle), Prochownik (Hamburg) und 
Reiferscheid (Bonn). Die Röntgenbehandlung eignet sich aber 
nicht nur für Blutungen im Klimakter.um, sondern ist auch bei jün¬ 
geren Frauen mit Erfolg angewandt worden. Allerdings erzielt man 
hier meist keine Amenorrhoe, sondern nur Oligomenorrhoe, was ja auch 
bei den meisten derartigen Fällen nur erwünscht ist. Zu bemerken ist 
nur noch, dass jeder Röntgenbehandlung eine probatorisehe Abrasio 
vorauszugehen hat, um eventuelle Malignität auszuschliessen. 

Was oben von der Therapie der Pubertätsblutungen gesagt wurde, 
gilt ganz besonders für die Behandlung des Fluors. Anämische, schwäch¬ 
liche Mädchen leiden ausserordentlich häufig an Fluor, der gar nichts 
mit einer Erkrankung des Uterus zu tun hat. Wir finden ferner diese 
Erscheinung oft bei neurasthenisch veranlagten Personen, bei denen 
auch abnorme sexuelle Reize (Onanie) eine grosse Rolle spielen. In 
diesen Fällen ist jede Lokalbehandlung direkt kontraindiziert, sie bringt 
den Patientinnen ihr „Unterleibsleiden“ nur noch mehr zum Bewusst¬ 
sein und ist daher nur geeignet, den Zustand zu verschlimmern. 

Anders verhält es sich mit Ausfluss, welcher auf infektiöser Basis 
beruht. Sowohl postgonorrhoischer als postpuerperaler Fluor bedürfen 
neben der Allgemeinbehandlung auch lokaler Massnahmen. Den gering¬ 
sten Einfluss haben die so beliebte Spül- und Tampontherapie. 

Zweckmässiger und aussichtsreicher ist die von Stumpf und 
Nassauer empfohlene Trockenbehandlung durch Einblasung mit 
Bolus alba. Der Bolus scheint dabei nicht nur aufsaugende, sondern 
auch bakterizide Eigenschaften zu entwickeln. Diese Methode hat 
weiter den Vorteil, dass sie von der Patientin selbst angewandt werden 
kann. L i e p m a n n empfiehlt einen Zusatz von Lenicet zum Bolus. 
A b r a h a m verwendet statt des Bolus Hefe. Diese besitzt zweifellos 
bakterizide Eigenschaften, welche aber nicht an die Lebenstätigkeit 
der Hefezelle gebunden ist. Deshalb stellte Abraham ein Pulver¬ 
gemisch von steriler Dauerhefe, Bolus und Zucker her, welches unter 
dem Namen Xerase im Handel zu haben ist. Kehrer lobt die aus 
steriler Dauerhefe horgestellten Tyminstäbchen zur Behandlung der 
Cervix gonorrhoe. Kraus benutzt pulverisierten Gips, da derselbe 



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Uber die chronische Metro-Endoroetritis. 


(557 


am stärksten hygroskopisch wirkt. Nach unserer Ansicht kommt es auf 
die Art des Pulvers nicht so sehr an als darauf, dass es möglichst fein 
verteilt in der Vagina liegt und den Fluor aufsaugt. Hierdurch wird 
die schrankenlose Vermehrung der Bakterien gehemmt und die fort¬ 
währende Reinfektion des Zervikalkanals vermieden. Weniger konnte 
sich Verf. mit der Klapp’schen Saugbehandlung befreunden. Nach 
den Berichten von R o 11 e r bemerkt man nach 10 maliger Anwendung 
der Stauung Besserung, Heilung des Fluors erst nach ca. 25 Sitzungen. 
Nach Adler dauert eine erfolgreiche Saugbehandlung bei täglicher 
Applikation 4—6 Wochen, Lev her g verlangt sogar 2 Sitzungen 
täglich. In dieser langen Dauer der ärztlichen Behandlung liegt u. E. 
ein grosser Nachteil der Methode, die ja in einigen Fällen Gutes leisten 
kann. Von instrumenteller Behandlung ist schliesslich noch die Aetz- 
therapie zu erwähnen. Auch hier ist wegen der Einfachheit des Ein¬ 
griffs die Gefahr des Zuvieltuns gross. Indiziert ist diese bei der chro¬ 
nischen postgonorrhoischen Endometritis. Von den Aetzmitteln ist 
das Formalin besonders wirksam, ausserdem noch die Jodtinktur und 
Argentum nitrieum. Mit Recht warnt K. H egar vor dem Chlorzink, 
da es eine ausserordentliche Tiefenwirkung besitzt und dadurch zu 
schweren Störungen, besonders am Orific. int. führen kann. Als Aetz- 
mittelträger sind die von Meng e angegebenen mit dünner Watte 
armierten Hartgummisonden sehr brauchbar und bedürfen keiner vor¬ 
hergehenden Dilatation. Aetzungen sollen nicht öfter als 3—4 mal in 
Abständen von mindestens 8 Tagen vorgenommen werden. Schliess¬ 
lich soll noch kurz erwähnt werden, dass M. Frankel auch bei Fluor 
von der Röntgenbestrahlung gute Wirkung sah, eine Beobachtung, 
die auch Eymer bei seinen Patientinnen machte. 

Literatur -Verzeichnis. 

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30. Rotter, Orosi Heitlap 9^9 ref. Zbl. f. Gyn. 1910. Nr. 5. 

42 


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Referate und Besprechungen. 


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31. Adler, Orrosok Lapja 1908 ref. Zbl. f. Gyn. 1910. Nr. 8. 

32. Leyberg, Medizyna 1909. ref. Zbl. f. Gyn. 1910. Nr. 42. 

33. K. H e g a r . Prakt. Ergebn. d. Gyn. B. I. 

34. Menge, Therapie der Gegenwart 1907. 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Pfeiffer, Theodor (Hörges), Zur Therapie der chronischen Lungentuberkulose 
(Ärztl. Standeszeitung [Die Heilkunde] 1912, Nr. 3.) 

Forlaninis Apparat zur Erzeeugung des künstlichen Pneumothorax ist recht 
einfach; er besteht aus zwei U-förmig verbundenen Glaszylindern (zu 500 cm 1 ), 
von denen der eine als Stickstoffbehälter, der andere als Manövriergefäß 
dient, das mit sterilem Wasser oder Sublimatlösung gefüllt ist. Durch den 
hydrostatischen Druck, dem der Luftdruck eines Gebläses hinzugefügt wer¬ 
den kann, steigt die Flüssigkeit in dem Gasbehälter und treibt den Stick¬ 
stoff bei geöffnetem Hahn durch die Schlauchverbindung in die Punktions¬ 
nadel. Zum Zwecke der Schätzung des im Apparate herrschenden Druckes 
und der leichteren Darstellung des Gasabflusses (Drucksenkung) ist ein 
Luftmanometer eingebaut. Nicht minder einfach ist die Operation; mit dünner 
Hohlnadel wird durch die Brustwand bis in den Pleuraspalt eingegangen. 
Die Kunst ist lediglich, diesen Pleuraspalt zu finden. Arbeitet man streng 
nach Forlaninis Vorschrift, so wird man in dem gewählten Interkostalraum 
bei geöffnetem Gashahn langsam mit der Nadel senkrecht die Brustwand 
durchstechen. Sowie man den Pleuraspalt erreicht, sinkt der Flüssigkeits¬ 
spiegel im Luftmanometer und im Manövriergefäß; nun wird man die Nadel 
an dieser Stelle festhalten und Stickstoff einfließen lassen. Der Vorgang 
beruht darauf, daß zwischen den beiden Pleurablättern negativer Druck 
herrscht und im Momente, in dem die Nadelspitze die Pleura costalis durch¬ 
stoßen bat, Stickstoff aus‘dem Apparat eingesaugt wird. Für eine Massenbe¬ 
handlung der Lungentuberkulose eignet sich der künstliche Pneumothorax 
nicht, die relative Seltenheit der Vorbedingungen (nur einseitige Anwend¬ 
barkeit, schwere unstillbare Hämoptoe) bei freier Pleura, die Zwischenfälle 
und Gefahren, der große Zeit- und Geldaufwand schließen ihn davon aus. 

S. Leo. 

Kabitzsch, Kurt, Verlag in Würzburg bringt zwei neue Blätter zur Ein¬ 
zeichnung von Lungenbcfunden in den Handel. 

Es handelt sich um Schemata zur graphischen Darstellung, die von 
der Vereinigung der Heilanstaltsärzte Deutschlands entworfen sind. Das 
eine betrifft Blankoschema (40 Blatt 2 Mk.), das andere gibt ausführliche 
Anleitung zur Verwendung von Zeichen (40 Blatt 2 Mk.). Wer Interesse 
an solchen Aufzeichnungen hat, möge sie sich zur Ansicht von.der Firma 
kommen lassen, um selbst ihre Zweckmäßigkeit zu prüfen. 

Schütze-Darmstadt. 

Boas, J. (Berlin), Beitrag zur Motilitätsbestimmung des Magens. (Deutsche 
med. Woch. 1912. Nr. 10.) 

Boas benützt zur Motilitätsbestimmung des Magens die Austreibungszeit 
für Flüssigkeiten, und zwar verwendet er 400 ccm Wasser, mit 20 Tropfen 
Chlorophyll versetzt, eine ganz geruch- und geschmacklose Flüssigkeit. In 
30 Minuten pflegt fast bei allen Menschen mit normaler Motilität der Magen 
nur ganz unerhebliche Reste davon zu enthalten. Im einzelnen verfährt 
Verfasser folgendermaßen: Als Vergleichsflüssigkeit stellt er sich eine 
Stammchlorophyllößung von 1:400 her, entsprechend der von dem Patien¬ 
ten getrunkenen, und verdünnt sie auf 0,5, 0,3, 0,2, 0,1, 0,05. Wird nun 
30 Minuten nach Aufnahme der Flüssigkeit exprimiert, und beträgt die zurück¬ 
gewonnene Menge x ccm, so spült er den Magen mit 400—x ccm l».o 
Sodalösung aus und vereinigt den ursprünglich erhaltenen Rest mit 



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Referate und Besprechungen. 


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dem Spülwasser. Die 400 ccm betragende Mischung vergleicht er 
nach Filtrierung mit den Testflüssigkeiten. Ist z. B. das erhaltene Farben¬ 
gemisch homochrom mit der Chlorophylllösung 0,2, so bedeutet dies, daß 
0,8 Chlorophyll in 30 Minuten den Pylorus passiert haben, also 80 »o. Die 
Methode hat den Vorteil, daß das Wasser die Magensaftsekretion kaum 
anregt, also auch keinen Pylorusreflex erzeugt, ' daß die Flüssigkeit sich 
leicht wiedergewinnen läßt, daß Sedimentierungen dabei nicht in Frage 
kommen. Untersuchungen an 130 Individuen haben Verfasser gezeigt, daß 
die Methode klinisch brauchbar ist. M. Kaufmann. 

Borgt)järg, A., Die Motilitätsstörungen des Magens. (Deutsche med. Woch. 
1912. Nr. 10.) 

Nach Borgbjärg ist eine sorgfältige Untersuchung der motorischen 
Funktion des Magens noch wichtiger als die der sekretorischen; sie ge¬ 
schieht am besten mittels der Bourget-Faberschen Probemahlzeit, bestehend 
aus 250 ccm Hafersuppe, 50 g gekochtem und gehacktem Fleisch, 50 g 
Weißbrot mit Butter, 8 gekochten Pflaumen und 1 Eßlöffel Preißelbeeren- 
kompott. Man spricht von einer 5, 6, 8 und 12 ständigen Retention, wenn 
man nach 5, 6 usw. Stunden noch wenigstens 10 ccm Speisereste im Magen 
findet. Die 12 ständige oder kontinuierliche Retention beruht in der Regel 
auf einer organischen Pylorusstenose, kann aber auch durch spastische Stenos > 
(bei Ulkus) und mitunter durch Gallensteine bedingt sein. Die 6 und 
5 ständige Retention findet man am häufigsten bei organischen Magen¬ 
leiden (Karzinom, Ulkus, Gastritis), aber auch zuweilen bei Dyspepsie mit 
oder ohne Hypersekretion, ohne daß sichere Zeichen eines organischen 
Magenleidens vorhanden sind, mitunter auch bei einem Darmleiden. Ferner 
findet man sie bei der kongenitalen wie bei der durch Inanition erworbenen 
Asthenie. 

Läßt sich keine kontinuierliche Retention nachweisen, so findet man 
in manchen Fällen nach 12 Stunden morgens nüchtern bei der Ausspülung 
einige kleine Speisereste (Preißelbeerenkerne, Pflaumenpartikel mitunter 
Fleischfasern), im ganzen höchstens 2—5 ccm (kleine, 12 ständige Reten¬ 
tion). Diese kleine Retention ist in der Regel das Zeichen eines organi¬ 
schen Magenleidens (Karzinom, Ulkus oder Gastritis, namentlich Gastritis 
mit Achylie). 

Findet man Obstipation vergesellschaftet mit 5—ßstündiger Retention, 
so ist eine schlackenreiche Obstipationsdiät kontraindiziert. Eine schonend * 
Diät erzielt häufig Heilung der Motilitätsstörung des Magens und des 
Darms. 

Bei schlecht genährten Patienten wird die Motilitätsstörung häufig 
durch eine Mastkur geheilt. 

M. Kaufmann. 

Hamburger, Fr. (Wien), Zur Kenntnis der lordotischen Albuminurie. 
(Wiener klin. Woch. 1912. Nr. 7.) 

Der mechanischen Theorie Jehles, der bekanntlich die Ursache der 
orthotischen bzw. lordotischen Albuminurie in einer Lordose der Len¬ 
denwirbelsäule sucht, steht immer noch eine andere gegenüber, die 
annimmt, daß es sich im Wesen um nervöse beziehungsweise vaso¬ 
motorische Momente handelt. Und in der Tat dürfen wir uns wohi 
vorstellen, daß ein „vasomotorisches“ Individuum auf eine durch Lordose 
provozierte Nierenstauung leichter mit Albuminurie reagiert als ein nor¬ 
males. In dieser Vorstellung wird man bestärkt durch den Nachweis, daß 
dasselbe Individuum unter gleichen Verhältnissen einmal eine sehr starke, 
das andere Mal eine geringe oder gar keine Eiweißausscheidung zeigt. 
Verfasser schildert einen Fall, in dem extreme Lordose einmal hoch¬ 
gradigste Albuminurie provozierte, 11 Tage später, als eine erstehende schwere 
Neurose gebessert war, nur Spuren Eiweiß zu Tage förderte. Darauf¬ 
hin vorgenommene exakte Untersuchungen führten zum gleichen Resultate. 

M. Kaufmann. 

JO* 


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CÖO 


Ehrniann, Kud. (Berlin), Pathologie der chronischen Obstipation und eine 
Methode der Therapie. (Ztschr. f. physikal. u. diätet. Therapie 1912. Band 
XVI. H. L S. 12—24.) 

Alle Arbeiten, welche aus der G o 1 d s c h e i d e r sehen Klinik hervor¬ 
gehen, lassen das physiologische Denken des Chefs erkennen. Sie begnügen 
sich nicht mit der Mitteilung irgendwelcher, an sich mehr oder weniger 
belangreicher Beobachtungen, sondern sie suchen dieselben in die Kette 
des physiologischen Geschehens einzureihen. So serviert auch die vor¬ 
liegende Abhandlung, nicht ein fertiges Rezept oder ein Reglement für 
gymnastische Übungen zur Bekämpfung der Obstipation. Sie betrachtet viel¬ 
mehr die Darmtätigkeit im ganzen unter physiologischen, vergleichend- 
physiologischen und pathologischen Verhältnissen und zeigt dem aufmerk¬ 
samen Leser, was für eine krasse Empirie auf gänzlich schiefen Voraus¬ 
setzungen auf ge baut in der Behandlung der chronischen Verstopfung üblich 
ist. Die Nutzanwendung ergibt sich für den, der lesen kann, von selbst. 
Die anderen freilich werden nach wie vor Rhabarber, Rizinus und Aloe 
verordnen; denn ihnen „ist unmöglicher nichts als alten Glauben verlassen 
und unsere furchtbar mächtige Bitte“ (Lope de Vega). 

Buttersack-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Baisch (München), Der extrnperttoneale Kaiserschnitt. (Klinisch-therapeut. 
Wochenschrift 1912. Nr. _8.) 

Gegenüber den Gefahren des klassischen Kaiserschnittes — peri¬ 
toneale Infektion, — postoperativer Ileus und späterer Uterusruptur an 
der Narbe — sieht Baisch die Vorzüge des streng extraperitonealen Kaiser¬ 
schnittes außer in der leichteren von Darmstörungen freien Rekonvales¬ 
zenz darin, daß er ßich für die zahlreichen nach längerem Kreißen in¬ 
fektionsverdächtigen Fälle noch eignet, die mit dem klassischen Kaiser¬ 
schnitt nicht mehr operiert werden können. Seine Technik ist bei typi¬ 
schem Vorgehen nicht erheblich schwieriger, wenn man am besten durch 
den Längsschnitt nach Auseinanderdrängen der Rekti und Beiseiteschieben 
der Blase sich einen bequemen Zugang zur Umschlagfalte des Peritoneums 
schafft, sie soweit wie möglich nach oben schiebt und für die streng 
mediane Längsinzision des Uterus eine genügend große Fläche freilegt. 
In 56 Fällen extraperitonealen Kaiserschnitts an der Münchener Klinik 
wurde er 2 mal wegen Eklampsie, 3 mal wegen Rigidität der Weichteile, 
51 mal wegen engen Beckens ausgeführt. 3 Mütter starben, 1 an Eklamp¬ 
sie, 1 schon vorher septisch an Sepsis, 1 an paralytischem Ileus, letztere 
nach zufälliger Eröffnung des Peritoneums. 27 mal heilte die Wunde fieber- 
los per primam, in den übrigen Fällen trat Eiterung der Weichteilwunde 
ein, die wohl nach Küstner von vornherein mit Gazestreifen drainiert wird. 
8 Kinder starben unter der Geburt oder gleich nachher, davon 1, das 
wegen zu kleiner Inzisionsöffnung im Uterus nicht schnell genug ent¬ 
wickelt werden konnte, die andern wären bei jeder andern Entbindungs¬ 
art ebenfalls verloren gewesen, so daß auch Baisch eine größere Ge¬ 
fährdung des Kindes bei dem extraperitonealen Kaiserschnitt nicht gelten 
läßt. Blecher. 

Polak (Brooklyn), Erfahrungen zweier Jahre mit Vakzinen bei Becken¬ 
infektionen. (Klinisch-therapeutische Wochenschrift 1912. Nr. 9.) 

Polak hat bei 226 Beckeninfektionen, — septischer Metritis, Throm¬ 
bophlebitis, infizierten Beckenhämatozelen, Appendizitis, Beckenzellgewebs¬ 
entzündung und Abszeß, Pyelitis, Streptokokken und Staphylokokkenbak¬ 
teriämien die Vakzinebehandlung mit gutem Erfolg verwendet. Die besten 
Erfolge sah er bei rechtzeitiger Anwendung und solange der Prozeß noch 
lokal war; von den 33 Bakteriämien starben 7, sonst nur noch 3 Fälle 
von Metritis an diffuser Peritonitis; bei einigen Bakteriämien gelang es 
auch nicht durch Vakzine eine künstliche Phagozytose hervorzurufen. Da 
die Züchtung der Infektionserreger aus dem Blut die Herstellung der 


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Referate und Besprechungen. 


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Vakzine oft sehr verzögert, ihm auch autogene Vakzinen von einer ein¬ 
zigen Art — durch Abschwächung der Kokken oder Gewöhnung des Orga¬ 
nismus — mehrfach unzuverlässige Resultate gaben, bestimmt Polak amt 
dem Operationseiter oder aus Cervix bzw. Uterus-Abstrichen den Infektions¬ 
erreger und verwendet dann polyvalente Vakzinen. • An Stelle der Be¬ 
stimmung des opsonischen Index empfiehlt er für den Praktiker die Fest¬ 
stellung des Prozentsatzes der Polynukleären vor und 8 Stunden nach der 
Vakzineinjektion. Je nach dem Ausfall der Zählung dann Steigerung der 
Dosis oder Abwarten des Eintritts der negativen Phase. Bleeher. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Nonne, M. (Hamburg-Eppendorf), Klinische und anatomische Untersuchung 
eines Falles von isolierter echter reflektorischer^Pupilienstarre ohne Syphilis bei 
Alkoholismus ebron. gravis. (Neur. Centralb 1912, H. 1.) 

Es ist nicht richtig, daß die reflektorische Pupillenstarre stets ein auf 
Tabes, Paralyse, Hirn- oder konstitutionelle Syphilis hindeutendes Symptom 
darstellt. Bei einem luetisch Infizierten kann man aus diesem Symptom 
nach Erb schließen, daß die Syphilis ihre Wirkung auf das Zentralnerven¬ 
system zu entfalten beginnt, bei nicht syphilitischen Individuen kommt aber 
in seltenen Fällen eine reflektorische Pupillenstarre als Folge des chronischen 
Aikoholismus vor. In einem derartigen Fall ergab auch die Sektion 
makroskopisch keinen Anhalt für Paralyse, und auch klinisch fehlten bei 
ihm sowohl wie bei einem anderen bald darauf zur Beobachtung gekom¬ 
menen alle Symptome einschließlich der 4 Reaktionen. Ein weiterer Fall 
lehrte, daß echte reflektorische Pupillenstarre bei schwerem, chronischem 
Alkoholismus unter dem Einfluß der Abstinenz vorübergehen kann. 

Zweig-Dalldorf. 

Ciimcnko, H. Tumor ol the brain. (New-York. med. Journ. 1912, 
February 10.) 

Verfasser berichtet über einen 43 jährigen Arbeiter mit einem Plirn- 
tumor (Gliom) in einer funktionell wichtigen Region, der lange Zeit hin¬ 
durch keinerlei Erscheinungen machte. Als er schließlich manifest wurde, 
mußte man nach dem plötzlichen Beginn zunächst an eine akute Erkran¬ 
kung denken. Das Gl. wurde erfolgreich exstirpiert. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Crabbe, A. E., Kieinhirntuinor ohne Symptome bis kurz vor dem Tode 
(Practitioner Bd. 88, H. 3.) 

Der Fall wurde 2 Jahre beobachtet, aber erst 5 Wochen vor dem 
Tode waren die Symptome derart, daß die Diagnose gestellt werden konnte. 
Kopfschmerz, Übelkeit und Schwindel traten zuerst auf, aber weder der 
Nerven- noch der Augenspezialist vermochten die Ursache zu entdecken, 
bis schließlich Diplopie, Neuritis optica und der charakterisische Gang die 
Diagnose ermöglichten. Tod in der Operation. Die Sektion ergab einen 
Kleinhirntuberkel 2‘ s x5 cm groß, Knochen papierdünn, Cerebellum und 
Medulla in den Spinalkanal verdrängt, Erweiterung der Ventrikel und Ab¬ 
flachung der Windungen. Auffallend ist, daß der Druck nicht auf die 
Pyramidenstränge wirkte (keine verstärkten Kniephänomene, kein Babinski). 
daß die Ventrikeldilatation keine Erscheinungen machte außer leichter 
Aphasie in den letzten drei Wochen, und daß die Augensymptome so spät 
erschienen. Fr. von den Velden. 

A. C. Buckiey, The Katatonie Symptom - complex: report of a ease occur- 
ring in a middle - nged male. (American Journ. of Insanity. LXVIII, 1911, 
Nr. 1.) 

Verfasser berichtet über einen Fall von Spätkatatonie bei einem 50jähr, 
Mann. Aus der Anamnese ist ein Trauma zu erwähnen, das eine größere 
Bedeutung spielt als eine bei ihm jetzt vorhandene Fraktur des Hand¬ 
wurzelknochens. Vor einem Jahre war Patient noch arbeitsfähig. Seitdem 
hat er Schmerzen und bietet unqualifizierbare transitorische psychische 


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tkSJ 

Veränderungen dar. Drei Wochen vor dem Auftreten des katatonischen 
Symptomenkomplexes hatte Patient mit obskuren Leibschmerzen zu tun. 
Die psychischen Symptome traten ganz plötzlich auf. Dann verfiel Patient 
in Schlaf. Es traten Halluzinationen und Erregungszustände auf und schlie߬ 
lich nach wenigen Stunden katatonischer Stupor. Dieser hielt länger als ein 
-lahr fast ununterbrochen an mit Ausnahme einer weniger psychomotorischer 
Erregungen. Die Katatonie war wegen der damit verbundenen Inanition die 
direkte Todesursache, da Patient aus Negativismus jede Nahrungsaufnahme 
verweigerte. K. Boas-Straßburg i. E. 

Thomas, E., Zur Einteilung der Myxoedemformen. (Deutsche med. Woch. 
1912. Nr. 10.) 

Nach Thomas gibt es nicht nur eine angeborene totale Aplasie, sondern 
auch eine Hypoplasie der Schilddrüse; in diesen Fällen findet sich nicht ein 
in allen Durchmessern gleichmäßig verkleinertes Organ an typischer Stelle, 
sondern das vorhandene Schilddrüsengewebe ist dystopisch, meist einge¬ 
schlossen in Tumoren des Zungengrundes. Die Fälle von totaler Aplasie 
der Schilddrüse überschreiten nie das Pubertätsalter. Bei Fällen von kon¬ 
genitalem Myxödem, welche älter geworden sind, handelt es sich mit größter 
Wahrscheinlichkeit um angeborene (dystopische) Hypoplasie. 

M. Kaufmann. 

Poth, Beitrag zur Kenntnis der Tumoren am Conus medullaris und an der 
Cauda equina. (Inaug. Dissertation, Leipzig 1911.) 

Verfasser berichtet ausführlich über einen an anderer Stelle (Deutsche 
medizinische Wochenschrift 1912) bereits von L. Jacobsohn mitgeteil¬ 
ten Fall, so daß Kef. bloß auf die genannte Arbeit zu verweisen braucht 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Hoffmaun (Heidelberg), Diplegla brachialls neuritica, (Münchener mediz. 
Wochenschrift 1912. Nr. 9.) 

Hoffmann berichtet über 3 Fälle von doppelseitiger plötzlich eintreten¬ 
der Armlähmung, die eine Reihe bemerkenswerter Züge gemeinsam haben: 
Einsetzen der Affektion bei völligem Wohlbefinden im Schlafe, völlige Aus¬ 
bildung der Lähmung beim Erwachen, das symmetrische Befallensein der 
beiden Arme und nur dieser, die vollständige Heilung in zwei Fällen, 
während in einem Fall eine symmetrische Radialislähmung dauernd zurück¬ 
blieb. Sensible Störungen waren in der für Neuritis charakteristischen 
Weise zweimal ausgebildet — einmal fehlten sie gänzlich. 

Er hebt hervor, daß bei der Klarheit des Bildes eine Verwechslung 
nicht gut möglich sei mit zervikaler intramedullärer meningealer Apoplexie, 
ferner mit Kompression der Medulla und der Rückenmarkswurzeln, sowie 
mit Schlaflähmung infolge abnormer Armhaltung. Auch Nervenwurzel- 
neuritis erschien durch die Art der Sensibilitätsstörungen sowie Mangel des 
Hornerschen Symptomenkomplexes ausgeschlossen. 

Dagegen kommt differentialdiagnostisch die Poliomyelitis acuta anterior 
in Frage, deren Symptome sehr ähnlich sind. Doch sprechen für Neuritis: 
das Fehlen schwerer Allgemeinerscheinungen, die Symmetrie der Ausfalls¬ 
erscheinungen, die nach akutem Beginn lange Fortdauer reißender Schmerzen 
und die Nervendruckempfindlichkeit, Parästhesien und objektive Sensibili¬ 
tätsstörungen, die völlige Erholung von gelähmten Nervengebieten oder das 
Zurückbleiben symmetrischer Lähmung. Prognostisch ist es wichtig, die 
richtige Diagnose zu stellen, denn neuritisch gelähmte Nervengebiete, die 
noch nach Wochen volle Entartungsreaktion zeigen, können sich erholen, 
während dies bei gleich schwerer poliomyelitischer Lähmung ausgeschlossen 
ist. Schütze-Darmstadt. 

Rurjanek, B., Über einen weiteren Fall von Drucklähmun? an der oberen 
Extremität nach kurzdauernder Anwendung der Esmarch’schen Blutleere. (Wien, 
klin. Woch. 1912. Nr. 9.) 

Der Patient hatte .einen Stich in den linken Arm von rückwärts, 
3 Querfinger über dem Ellenbogengelenk, erhalten, der den Radialis durch¬ 
trennt hatte. Wegen Verunreinigung der Wunde wurde erst ca. 3 Wochen 
später unter 42 Minuten dauernder Esmarchscher Blutleere der Radialis 


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Referate and Besprechungen. 


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freigelegt und genäht. Als 14 Tage nachher der Verband gewechselt 
wurde, zeigte sich, daß eine schwere Lähmung im Gebiet der drei großen 
Armnerven vorlag. Die gewöhnliche Behandlung brachte nur geringe Fort¬ 
schritte; da der Wassermann positiv war, wurde 0,4 Salvarsan intravenös ge¬ 
geben, und bei energischer Fortsetzung der sonstigen Behandlung ist jetzt 
im Gebiet des Ulnaris und Medianus eine wesentliche Besserung einge¬ 
treten, keine im Gebiet des Radialis: Die Ansicht Wolffs, daß man bei 
bestehender Lues am Arm keine Esmarchsche Blutleere anwenden soll, 
besteht danach zu Recht. M. Kaufmanu. 

Fraser, M. S., Der Zusammenhang von Chorea und Rheumatismus unter¬ 
sucht auf Grund von 300 Fällen. (Practitioner Bd. 88, H. 3.) 

Beinahe alle Fälle von Chorea, die zur Obduktion kommen, zeigen 
Endokarditis; doch kommen eben sehr wenige Fälle dazq. 

Selbst wenn man in allen Fällen von Chorea, wo ein systolisches Mitral¬ 
geräusch gehört wird, rheumatischen Ursprung annimmt, so bleiben noch 
10 o,o übrig, in denen von Rheumatismus nichts zu konstatieren ist. Doch 
hat Batten gefunden, daß von diesen nicht-rheumatischen Choreakranken 
20 «n innerhalb 6 Jahren an Rheumatismus erkranken. 

Die große Mehrzahl der Fälle von Chorea aber sind mit Rheumatis¬ 
mus eng verbunden, man kann deshalb mit Wahrscheinlichkeit die Chorea 
als eine ..zerebrale Manifestation des Rheumatismus“ bezeichnen. 

Fr. von den Velden. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Vörner (Leipzig), Über den Einfluß von Salvarsaninjektionen auf Lues mixta. 

(Monatsh. f. prakt. Dermat. 1911. Bd. 53. Nr. 11.) 

Wenn auch intravenöse Salvarsan-Injektionen im allgemeinen gut ver¬ 
tragen werden, so sind doch Fälle mitgeteilt worden, bei welchen leichtes 
Unwohlsein bis zu schweren toxischen Symptomen beobachtet worden sind. 
Nach den Injektionen waren Kongestionen nach dem Kopfe, Erscheinun¬ 
gen von seiten des Herzens und des übrigen Gefäßapparates bis zum 
Kollaps, Störungen des Nervensystems (Muskelkrämpfe, Parästhesien, Be¬ 
wußtseinstrübungen), endlich Fieber, Schweißausbrüche, Erbrechen, Durch¬ 
fälle aufgetreten. 

Die Ursache dieser Erscheinungen erblickte man im Wasserfehler, d. h. 
in der Beschaffenheit des zur Lösung des Salvarsan benutzten destillierten 
und sterilisierten Wassers; sicher spielt aber auch die Individualität ries 
Patienten eine wichtige Rolle. 

Verfasser beschreibt 4 sehr interessante Fälle von Infektionseinfluß 
bei Lues mixta (Anwesenheit der Spirochäte und eines anderen Keimes 
in dem gleichen Organteile). 

Der erste Fall betraf einen Studenten, bei welchem einige Stunden 
nach der Injektion von 0,4 ein schlechtgeheilter Kopfschmiß unter Tempera¬ 
tursteigerung bis 38,5 neu zu eitern anfing. 

Im zweiten Falle hatte ein junger Kaufmann im Laufe seiner dritten 
Quecksilberkur eine ziemlich starke Stomatitis bekommen. Nachdem die¬ 
selbe gebessert war, läßt er sich eine zweite Salvarsan-Injektion (0,4 
intravenös) geben. Bald darnach so starke Schwellung der Schleimhaut 
des Mundes, der Zunge und des Zahnfleisches mit Brennen und Stechen, 
daß der Kiefer nicht geschlossen werden kann und die Zunge zwischen den 
Zähnen hervorquillt. Nach 24 Stunden Besserung der Erscheinungen. 

In beiden Fällen also eine neue akute Entzündung einer chronisch¬ 
oberflächlichen Eiterung bei Erscheinungen sekundärer Lues, wahrschein¬ 
lich zurückzuführen auf die durch die Salvarsaninjektion hervorgerufene 
Hyperämisierung, welche eine neue Proliferation der schon in Elimina¬ 
tion befindlichen Eiterkeime veranlaßte. 

Im dritten Falle hatte ein Beamter von 10 Jahren Lues acquiriert und 
wegen spezifischer Entzündung der Hoden und ulzerierender Gummen der 


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•UH 

Unterschenkel verschiedene Kuren durchgemacht. Vor 2 Jahren akute 
Gonorrhoe mit rechtsseitiger Epididymitis. Anfangs 1911 wegen positiven 
Ausfall der Wassermannschen Reaktion 0,3 .Salvarsan intravenös. Außer 
unbedeutendem Ziehen im rechten Nebenhoden keine Beschwerden. Trotzdem 
Wassermann negativ, nach einigen Wochen zweite intravenöse Injektion 
von 0,42. 

Nach 24 Stunden Schwellung und Schmerzen des erkrankt gewesenen 
i echten Hodens und Nebenhodens, die sich ums doppelte vergrößerten. 
Das bei der Probepunktion gewonnene Sekret erwies sich gonokokken¬ 
haltig. 

Hier ist wohl durch die erste Injektion eine Hyperämisierung des 
Urgans und damit eine Virulenzerhöhung von Gonokokken erfolgt. Nach 
der zweiten Injektion hatten letztere Gelegenheit, sich im neu hyperämisierten 
Gewebe zu entwickeln und eine neue Epididymitis und Orchitis hervorzu¬ 
rufen. 

Der vierte Fall endlich betraf einen vor 10 Jahren infizierten Tabiker, 
der in den letzten Jahren an Magen- und Darmkrisen litt. Außer Symptomen 
der Tabes an Herz und Lunge, Leber und Milz nichts Verdächtiges. Auf 
sein ausdrückliches Verlangen intravenöse Injektion von 0,6 Salvarsan. Un¬ 
mittelbar nach der Injektion Schüttelfrost, Temperatursteigerung, Erbrechen. 
Kollapszustände. In der ersten und zweiten Woche Mattigkeit, Schlaflosig¬ 
keit, abendliche Temperatursteigerung, Klagen über Völle im Leib. Mit 
der vierten Woche auffallende Verschlechterung. Unter Symptomen von 
Miliartuberkulose Exitus. 

Die Sektion ergibt auf dem Peritoneum, im Gewebe der Leber, Milz 
und des Darmes zahlreiche zerstreute kleine graue Knötchen. Tuberkulöse 
Veränderung der mediastinalen Lymphdrüsen. Hier liegt die Vermutung 
nahe, daß die Injektion die aus einer Konkurrenz von Lues und Tuberkulose 
veränderten Mediastinaldrüsen hyperämisierte und damit den latenten Keimen 
der Tuberkulose die Möglichkeit zur Aussaat gab. 

Carl Grünbaum-Berlin. 

Jordan, Arthur, Bemerkungen zur Frage der kombinierten Quecksilber- 
Salvarsanbehandlung unter spezieller Berücksichtigung der Wassermann'sehen 
Reaktion. Aus dem Mjaßnitzkikrankenhaus zu Moskau. (Monatsh. f. prakt. 
Dermatol. 1911. Bd. 6L Nr. 4.) 

Verfasser hat unter 39 mit Salvarsan behandelten Fällen von Syphilis 
der sekundären und tertiären Periode 12 mal Rezidive zwischen 22. und 
75. Tag nach der Injektion beobachtet. Das Salvarsan war in allen Fällen 
intramuskulär, teils in alkalischer oder saurer Lösung, teils in neutraler 
oder alkalischer Emulsion gegeben worden und zwar in den Fällen, welche 
rezidivierten, zweimal in der Dosis von 1,0, fünfmal von 0,5, dreimal von 
0,4 und einmal 0,3. 

Die Wassermannsche Reaktion war zur Zeit des Auftretens der Rezidive 
sechsmal -j—(- -1—h , einmal -f -f-, einmal -p, einmal -f und dreimal —. 
Die negative Reaktion, welche übrigens nachher wieder positiv wurde, be¬ 
traf zwei Patienten, die früher sehr viel Quecksilber erhalten hatten und 
zwei Fälle frischer Lues, wo die Rezidive in dem kurzen Intervall zeit¬ 
weiliger negativer Reaktion nach der Einspritzung von Salvarsan auf¬ 
traten. 

Im Gegensatz zu den Erfahrungen von Neisser, Lange, Schreiber, 
welche in 44 bzw. 56, und gar 80 o/o ein Negativwerden der Reaktion nach 
Salvarsan beobachten konnten, fand Jordan bei seinen 39 Fällen in 26,3 o rt 
negative, in 73 o/ 0 positive Reaktion. 

Er kombinierte deshalb Salvarsan mit Quecksilber in verschiedener 
Weise und fand am besten, zunächst Quecksilber (2 o/ 0 Sublimatinjektioneni 
und zum Schluß Salvarsan zu injizieren. Bei 97 kombiniert .behandelten 
Fällen traten nur 5 mal Rezidive zwischen 30. und 60. Tag nach abge¬ 
schlossener Behandlung auf. Die Wassermannsche Reaktion blieb in 28 Fällen 


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Referate und Besprechungen. 


065 


oder 30,5 o'o stark positiv und ging in 64 Fällen oder 69,5 o/o herunter. 
Die Versuche des Verfassers mit der reinen Salvarsanbehandlung wie mit 
der kombinierten Quecksilber-Salvarsanbehandlung sprechen dafür, „daß unter 
der letzteren die Rezidive seltener zu sein scheinen, oder jedenfalls länger 
auf sich warten lassen und die Wassermannsche Reaktion häufiger nega¬ 
tiv wird.“ Carl Grünbaum-Berlin. 

Junkerrnann, Karl. Zur Behandlung der Sykosis staphylogenes s. vulgaris. 

(Monatsh. f. prakt. Dermat. 1911. Bd. 53. Nr. 9.) 

Zur Behandlung der trichophvtären Sykosis empfiehlt Verfasser ein 
Verfahren, welches nach seinen Erfahrungen schneller und sicherer zur 
Heilung führt, als alle bisher angewandten Methoden einschließlich der 
Röntgenbestrahlung. Nach dem Vorgänge von Fabry, welcher diese schwer 
zu behandelnde Hauterkrankung schon lange erfolgreich mit Jodtinktur be¬ 
handelte, hat Z. in gleicher Weise recht viele Fälle ohne einen Mißerfolg 
zur Heilung gebracht. 

Bei Patienten, welche ihre berufliche Tätigkeit nicht unterbrechen 
können, werden die Haare — unter Vermeidung jeder Epilation — mindestens 
alle 3 Tage rasiert, bei starken Borken und Krusten nur kurz geschnitten 
und die erkrankten Stellen mit einer schwachen Jodjodkalisalbe: 

Rp. Jodi puri 0,2, 

Kal. jodati 1,0, 

Aqu. destill. 4,0, 

Lanolin, anhydr. 10,0, 

Vas. amer. ad 50,0, 

Mfungt 

bedeckt, bis alle Borken und Krusten entfernt sind. Dann werden die ein¬ 
zelnen noch verbleibenden Pusteln noch mit reiner Jodtinktur bepinselt und 
das Gesicht daneben mit 50proz. Salizylpuder gepudert. 

Stehen die Pusteln sehr dicht nebeneinander, so wird die ganze kranke 
Partie zuerst mit verdünnter Jodtinktur (Tct. Jodi, Spiritus aa) hierauf 
mit stärkerer (Tct. Jodi 10,0, Spiritus 5,0) gepinselt, wonach die meisten 
Pusteln verschwinden; nur die größten und hartnäckigsten müssen schlie߬ 
lich mit reiner Jodtinktur behandelt werden. 

Bei trockener und spröder Haut zur Nacht Verband mit Salizylschwefel- 
salbe. 

Zur Reinigung des Gesichts heißes Boraxwasser. 

Bei Krankenhausbehandlung, wobei die Heilung noch schneller erfolgt, 
läßt J. Nachts eine starke Jodjodkalisalbe 

Rp. Jodi puri 0,5—1,0, 

Kal. jodati 2,5—5,0, 

Aqu. destill. 4,0, 

Lanolin anhydr. 10,0, 

Vasel. americ. ad 50,0, 

Mfungt 

auflegen, am Tage Umschläge mit kaltem Kamillentee machen. So brauchen 
nach wenigen Salbenverbänden nur noch vereinzelte hartnäckige Pusteln mit 
Jodtinktur gepinselt zu werden. Carl Grünbaum-Berlin. 


Lenartowicz, J. T. (Lemberg), Über eine ungewöhnliche Lokalisation der 
Gonokokkeninlektion. (Monatsh. f. prakt. Dermat. 1911. Bd. 53. Nr. 8.) 

Kasuistischer Beitrag. Krankengeschichte, klinischer und mikroskopi¬ 
scher Befund einer seltenen gonnorrhoischen Infektion. 

Bei einem 26 jährigen Manne war, ohne Beteiligung der Urethra, ein 


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Reitrate und Besprechungen. 


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an der linken Außenseite des Penis gelegener 3 cm hinter der Eichel¬ 
furche beginnender 4 mm dicker und 4 cm langer Kanal gonorrhoisch 
infiziert worden. 

Das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung des exzidierten Haut¬ 
stückes führte zur Vermutung, daß der infizierte Kanal als Einbuchtung 
(Divertikel) der Haut und nicht der Schleimhaut präexistiert hatte. 

Carl Grünbaum-Berlin. 

Merlan. Louis, Ein Fall von extragenitalem Ulcus molle des linken Ober¬ 
arms. (Monatsschr. f. prakt. Dermat. 1911. Bd. 53, Nr. 10.) 

Patient war auf einer Hochzeit von einem anderen Hochzeitsgaste täto¬ 
wiert worden. Vier Wochen nach der Tätowierung bemerkte er auf der 
linken Gesichtshälfte der tätowierten Figur einen Pickel der leicht juckte 
und im Laufe von drei Wochen zu einem Geschwür sich entwickelte. 

Auf dem linken Oberarme am lateralen Rande des M. deltoideus quer¬ 
fingerbreit vom Sulcus bicipitalis ein zehnpfennigstückgroßes, von entzünd¬ 
lichem Saume umgebenes Geschwür mit steil abfallenden Rändern, an ein¬ 
zelnen Stellen unterminiert, zackig, wie angenagt; der Geschwürsgrund mit 
gelblichem Eiter ausgefüllt. Etwa 3 cm nach oben innen eine linsengroße, 
gebliche Borke; nach deren Abheben ein gleichartiges Geschwür zu erkennen 
ist. Daneben zwei vergrößerte Lvmphdrüsen in der Achselhöhle und Bubo 
der Fossa infraklavikularis. 

Patient gab an, niemals krank gewesen zu sein. Die Untersuchung des 
ganzen Körpers fiel negativ aus. Die klinische Diagnose lautete: extragemtales 
Ulcus molle. Die mikroskopische Untersuchung ergab zwar keine Strepto- 
bazillen, dagegen gelang es, in Abstrichpräparaten des Eiters der beiden 
Ulzerationen die Unna sehen „Streptobazillen des weichen Schankers“ nach¬ 
zuweisen. 

Wahrscheinlich war die Infektion durch das bei Ausführung der Täto¬ 
wierung benutzte Instrument erfolgt. Carl Grünbaum-Berlin. 

Polland, R., Urticaria chronica papulosa bei Pseudoleukäinie. Aus der 

Grazer Dermatologischen Klinik. Vorstand: Prof. Matzenauer. (Monatsh. f. 
prakt. Dermat. 1911. Bd. 53. Nr. 5.) 

Beschreibung eines Falles von Urticaria chronica papulosa (Urticaria 
perstans Pick) bei einem 59 jährigen an Pseudoleukämie leidenden Manne. 
Auf dem ganzen Körper, mit Ausnahme des Gesichtes, zahlreiche bräunlich 
pigmentierte, gleichmäßig über die Haut verteilte, linsengroße Flecke. Da¬ 
zwischen linsengroße, flache, zerkratzte, mit Blutborke bedeckte Knötchen, 
die zum Teil schon mit Pigmentierung und zarter Narbe verheilt waren. 
Endlich noch offenbar frische, hellrote bis gelbliche, hellergroße, von einem 
anämischen Hofe umgebene Quaddeln mit einem Bläschen oder Börkchen 
in der Mitte. Die letzteren Effloreszenzen verursachten starkes Jucken. 

Verfasser ist der Ansicht, daß die zweifellos vorhandenen abnormen 
toxischen Stoffwechselprodukte auf dem Wege der Blutbahn in die Haut 
gelangen und dort Prozesse entzündlicher Natur auslösen, die in unserem 
Falle als Urticaria papulosa in die Erscheinung traten. 

Carl Grünbaum-Berlin. 


Medikamentöse Therapie. 

Bettmann und Laubenheimer (Heidelberg), Uber die Wirkung des Sal- 
varsans auf den Milzbrand. (Deutsche med. Woch. 1912. Nr. 8.) 

Bettmann hatte Gelegenheit, 2 Fälle von Pustula maligna mit Salvarsan 
zu behandeln, und zwar erhielten sie am Tage der Aufnahme 0,3 und 
4 Tage später nochmals 0,4 intravenös. Er hatte in beiden Fällen den 
bestimmten Eindruck eines auffällig schnellen Rückgangs der Erkrankung, 
der allerdings erst etwa 40 Stunden nach der ersten Injektion unverkenn- 


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Referate und Besprechungen. 


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bar war, nachdem bis dahin von einer Veränderung nichts bemerkt worden, 
und noch 19 Stunden nach der Injektion der Bazillennachweis gelungen 
war. Laubenheimer stellte' daraufhin Tierversuche über die Wirkung des 
Salvarsans auf den Milzbrand an, teilweise an Mäusen, hauptsächlich an 
Meerschweinchen. Von den Meerschweinchen, die bis 20 Minuten nach 
der Infektion mit 'Salvarsan behandelt wurden, starb nur eins an Milz¬ 
brand, und auch dieses erst 21 Tage nach der Infektion und 20 Tage 
später als das Kontrolltier. Aber auch noch 6 Stunden nach der In¬ 
fektion konnten bei einem Teil der Tiere durch die Salvarsaninjektion die 
in den Körper eingeführten Keime vollständig abgetötet werden. Noch 
spätere Injektion (16—22 Stunden nach der Infektion) konnte den töd¬ 
lichen Ausgang wohl noch verzögern, aber nicht mehr verhindern. Das 
Salvarsan scheint unmittelbar auf die Keime zu wirken (auch im Reagenzglas 
wirkt es stark entwicklungshemmend auf die Bazillen); eine Immunität gegen 
eine neue Infektion wird daher nicht erzeugt. Die Experimente bestätigen 
also die günstigen klinischen Resultate und ermuntern zu weiteren Versuchen. 

M. Kaufmann. 

Kretschmar (Berlin), Zur Kenntnis der Hormonalwirkung. (Münchener 
mediz. Wochenschr. 1912. Nr. 9.) 

Mitteilung eines Falles, in dem nach intravenöser Hormonalinjektion 
ein sehr schwerer Kollaps eintrat bei einer Dame, die eine fieberhafte Er¬ 
krankung kurz vorher durchgemacht hatte. 

Der Verfasser meint, daß andre Gründe für den Kollaps nicht vor¬ 
liegen (Luftembolie oder Kresolwirkung), sondern daß die Herabsetzung 
des Blutdruckes, die durch Hormonal entsteht, die Schuld an dem Zufall 
trage. Er wird in seiner Annahme bestärkt durch Tierversuche und die 
Mitteilungen von Dittler und Mohr (in No. 46 der Münch, mediz. Wochenschr. 
von 1911). 

Er weist darauf hin, daß man deshalb das Hormonal nicht etwa all¬ 
gemein ablehnen, sondern es nur mit großer Vorsicht nach fieberhaften 
Erkrankungen anwenden solle. Schütze-Darmstadt. 

Engelen (Düsseldorf), Zur Behandlung der Cholangitis inlt Chologen. 
(Deutsche med. Woch. 1911. Nr. 11.) 

Der Patient Engelens war Anfang 1910 wegen Koli-Cholezystitis mit 
Ektomie, Choledochotomie und Choledochusdrainage operiert. Anfang 1911 
stellten sich Schüttelfröste mit Fieber, Erbrechen, Ikterus und allgemeiner 
Verfall ein. Eine Chologenkur hatte bei dem schon aufgegebenen Kranken, 
bei dem alle Anzeichen für eine Cholangitis aszendens colibacterica spra¬ 
chen, einen prompten und durchgreifenden Erfolg. Zur Erklärung der Wir¬ 
kung des Chologens nimmt Verfasser an, daß Kalomel nicht nur als Darm- 
desinfizienz und als Laxans wirkt, auch nicht nur durch den Übergang 
kleiner Hg-Mengen in die Galle, sondern in erster Linie durch Beein¬ 
flussung der Leberfunktion auf dem Wege eines nervösen Regulations¬ 
mechanismus. M. Kaufmann. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Fujinami, K. (Tokio), Über eine einfache Methode zur röntgenologischen 
Ermittlung der Saftsekretion Im speiseleeren Magen (kontinuierliche Sekretion; 
Parasekretion). Aus dem Inst, für radiol. Diagnost. und Therapie im Allg. 
Krankenh. in Wien. (Deutsche med. Woch. 1912. Nr. 11.) 

Die Verabreichung von Mondamin-Wismutpudding, wie sie Schlesinger 
(Deutsche med. Woch., 1910, No. 14) für den Nachweis der alimentären Hyper¬ 
sekretion angegeben hat, eignet sich auch zur Feststellung der Sekretanwesen¬ 
heit im nüchternen Magen, ist aber weniger praktisch, da sie sich nicht in den 
Rahmen einer einzeitigen Röntgenuntersuchung einfügen läßt. Dagegen ist 
die Verabreichung schwimmender und sinkender sichtbarer Kapseln eine 


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058 Referate und Besprechungen. 

sehr einfache, hierin die Ausheberung bei nüchternem Magen bei weitem 
übertreffende Methode zum Nachweis der Parasekretion. Eine vorausgehende 
Motilitätsprüfung muß dabei dargetan haben, daß es sich um eine Retention 
eingenommener Speisen nicht handeln kann; praktisch läßt sich dies durch 
Haudeks Doppelmahlzeitverfahren bei einer einzigen Untersuchung nach- 
weisen. Bei Stagnation muß ein zweites Mal untersucht werden, wozu sich 
besonders die Einteilung: Motilitätsmahlzeit mittags, Magenhauptuntersuchung 
nach 6 Stunden, Parasekretionsprüfung, wenn kein Rest, bei der Hauptunter- 
suchung, wenn Rest, am nächsten Morgen, empfiehlt. Parasekretion läßt 
auf Vorhandensein von Salzsäure im Mageninhalt schließen. Fehlende I’ara- 
Sekretion bei vorhandener Stagnation läßt auf Mangel freier IIC1 schließen, 
und erweckt mit der Stagnation zusammen Karzinomverdacht, so daß neben 
dem schon früher für ein kleines Karzinom am Pylorus als wichtig er¬ 
kannten Symptomenkomplex: Rest nach 6 Stunden, Achylie, morphologisch 
normaler Magenbefund, mit der gleichen Bedeutung treten könnte: Rest 
nach G Stunden, keine Parasekretinn, normaler morphologischer Befund. 

M. Kaufmann. 

Köhler, A. (Wiesbaden), Röntgenograpliischer Nachweis von Kalkplatten im 
Aortenbogen Lebeuder. (Fortschr. a. d. Geb. der Röntgenstrahlen. Bd. Xv 111.) 

Einen Beweis für den stetigen Fortschritt, den die Röntgenstrahlen 
auf diagnostischem Gebiet uns machen lassen, liefert die vorliegende Arbeit. 
Auf sehr guten Bildern zeigt uns der Verfasser, daß es ihm gelang, bei 
mehreren Patienten Kalkablagerungen im Aortenbogen nachzuweisen. Die 
Krankengeschichten und theoretischen Erörterungen über die Möglichkeit 
des Nachweises solcher Kalkplatten machen die Arbeit sehr instruktiv. 

Schütze-Darmstadt. 

Goldmann (Berlin), Übersicht über wichtige neuere Arzneimittel. (Reichs- 
Medizinal-Anzeiger 1912, Nr. 4, S. 754.) 

Besprochen wurden folgende Präparate: Salvarsan, Adalin. 
Vasotonin, Eosin-Sajodin, Peristaltin, Tyramine, Carbenzym, Eubi- 
lein, Antituman, Riba, Sarton, Zykloform, Zinkopyrin, Mukosan, Hegonon, 
Novo jodin, Thilaven, Afridolseife, Neißer-Siebertsche Desin¬ 
fektionssalbe, Lysochlor, Zimtsäure-Allylester, Tebean, Tuberkulin 
(Rosenbach), sensibilierte Tuberkelbazilienemulsion (Fritz Meyer), 
Endotin. Unter den genannten Präparaten finden sich eine Reihe von „Ein¬ 
tagsfliegen“, die wohl recht bald von dem pharmazeutischen Markt ver¬ 
schwinden dürften und die sich Verfasser ruhig hätte schenken können. 
Wertvoller wäre es gewesen, wenn er bei den wichtigeren (vom Ref. durch 
Sperrdruck kenntlich gemachten Präparaten) die wichtigsten Literaturhin¬ 
weise gegeben hätte, die es dem Leser ermöglichen, den Quellen nachzugehen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Hoppe und Seegers (Uchtspringe), Das Verhalten des Adallns Im mensch¬ 
lichen Körper. (Therapie d. Gogenwart 1911, Nr. 10.) 

Bei erregten Kranken mit Halluzinationen und manisch Erregten versagte 
Adalin selbst in Dosen von 1—2 g. Bei Epileptikern war ein Einfluß 
auf schwere Krampfanfälle in bezug auf Zahl und Schwere der Anfälle nicht 
erkennbar, ebenso zeigte sich keine Wirkung bei epileptischen Erregungs¬ 
zuständen. K. Boas-Straßburg i. E. 

Simonstein, Versuche mit dem neuen Schlafmittel Aponal. (Allgem. med. 
Zentral.-Ztg. 1912, Nr. 11.) 

Aponal hat sich dem Verfasser besonders bei Schlaflosigkeit als Folge¬ 
zustand aller möglichen Zustände bewährt. Verfasser läßt das Mittel meist 
in Tablettenform ä 1 g. nehmen. Einnehmen mit warmem Tee beschleunigt 
die Wirkung. Meist schlafen die Patienten in einem Zeitraum von 
5 Minuten bis zu einer Stunde ein und erwachen nach ca. 6—8 ständigem 


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ßücherschau. 


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Schlafe „frisch“, „mit freiem Kopfe“. Irgendwelche Nebenwirkungen hat 
Verfasser niemals gesehen. K. Boas-Straßburg i. E. 

Myslivecek, Therapeutische Verwendbarkeit des Brom-Fersans bei Neurosen. 
(Böhm. Ärzte-Ztg. 1910.) 

Verfasser berichtet über günstige Erfahrungen des Brom-Fersans bei 
funktionellen Neurosen. Nur bei Patienten mit schwerer hereditärer Belastung 
erweist sich das Präparat als unwirksam. In allen anderen Fällen wurde 
eine Besserung nach 5 bis 6 Wochen beobachtet. Verfasser gibt täglich 
dreimal drei Pastillen. Blutuntersuchungen ergaben eine deutliche Vermeh¬ 
rung des Hämoglobins und der roten Blutkörperchen. Störende Neben¬ 
wirkungen, namentlich Bromismus, hat Verfasser nie gesehen. Hervorzu- 
hjeben ist noch die appetitanregende Wirkung des Präparates, die eine 
Darreichung vor der Mahlzeit als besonders geeignet erscheinen läßt. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Rosenmund und Hernnann (Berlin), Zur Kenntuls des Adalins. (Berichte 
der deutschen pharmazeut. Gesellschaft. 1912. Bd. XXII, Nr. 2.) 

Es gelang den Verfassern die Endprodukte des Adalins darzustellen. 
Ferner untersuchten sie die Einwirkung von siedendem Wasser, Pyridin und 
Alkalien auf Adalin. Die Ergebnisse müssen im Original nachgelesen werden. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Gicht, Arteriosklerose und Lecithin. 

Im Jahre 1901 berichtete Carrierc über verschiedene unerwartet günsti¬ 
gen Erfolge bei englischer Krankheit, auch in vorgeschrittenem Stadium, 
sobald der täglichen Nahrung Lecithin beigegeben wurde, seither hat die 
ärztliche Wissenschaft Lecithin auch bei der Behandlung von Gicht und 
Arteriosklerose mit herangezogen, und zwar mit so überraschend guter Wir¬ 
kung, daß heute Lecithin geradezu als ein Spezifikum gegen jene beiden 
so weit verbreiteten Krankheiten bezeichnet werden kann. Insbesondere 
hat Prof. Koch festgestellt, daß zwischen der Verkalkung der Blutgefäße 
und dem Lecithingehalt des Blutes sehr interessante Wechselbeziehungen 
bestehen. Koch hat nachgewiesen, daß sich stets dann Kalk unlöslich ab¬ 
lagert, wenn man dem Blut Lecithin entzieht, und es gelang ihm auch 
durch Zufuhr von Lecithin, diese Kalksalze wieder aufzulösen. Diese For¬ 
schungsergebnisse Kochs sind inzwischen in der Praxis wiederholt erprobt 
worden, und darum bürgert sich Lecithin auch bei Gicht und Arterienver¬ 
kalkung immer mehr als vorzügliches Heilmittel ein. Je reiner es darge¬ 
boten werden kann, um so größer und prompter ist natürlich seine Wirkung. 

Ganz vorzüglich haben sich auch von diesem Gesichtspunkte aus die 
Mühlrad-Lecithin-Tabletten des Hygiene-Laboratoriums in Berlin-Wilmers¬ 
dorf bewährt, offenbar aus dem Grunde, weil bei diesen Tabletten auf 
jeden Zusatz vor iigendwelchen anderen Präparaten, insbesondere von soge¬ 
nannten „Nährmitteln“, in sehr vernünftiger Weise verzichtet worden ist, 
so daß sich das Lecithin, und zwar in verhältnismäßig großer Menge, ganz 
rein darbietet in einer Form, in der es von den Darmmikroben nicht 
angegriffen wird, also unmittelbar und restlos Aufnahme in das Blut findet. 

Neumann. 


Bücherschau. 


Riessing, Georg, Zur Bakteriologie und antibakterlellen Therapie der Pyorrhoea 
alveolaris. Pfaffs Sammlung von Vorträgen aus dem Gebiete der Zahnheil¬ 
kunde, Heft 6. Leipzig 1911. Dyk’scbe Buchhandlung. Preis M. 1,80. 
Vorliegende Schrift bildet auf experimenteller Grundlage die Fortsetzung einer 
vom Verf bereits früher an gleicher Stelle über dasselbe Thema veröffentlichten Ar¬ 
beit. Während er sich dort vor allem mit statistischen und kritischen Abhandlungen 


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Büclierechau. 


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befaßt, bespricht er hier mehr die antibakterielle Therapie dieser Erkrankung, wobei 
sich aus den tabellarischen Zusammenstellungen ergibt, daß vornehmlich H, O 2 (2 J / 0 ), 
Chlorphenol (30 °/ 0 ). Chinosol (5°/ 0 ) und Protargol (l°/ 0 ) sehr wohl geeignet erschie¬ 
nen, die Pyorrhoe-Erreger zu vernichten.j Werner Wolff, Leipzig. 

Lichtwitz, Alfred (Guben), Über die Anwendung der Hyperämie als Heil¬ 
mittel in der Zahnheilkunde mit besonderer Berücksichtigung einer neuen Me¬ 
thode. (Leipzig 1911, Dyk’sche Buchhandlung. Pfaff’s Sammlung von Vor¬ 
trägen aus dem Gebiete der Zahnheilkunde, Heft 7. 40 S. Preis 1 M.) 

Dem Titel entsprechend, gibt Verfasser zuerst einen Überblick über 
die bisherige Anwendung der Hyperämie als Heilmittel in der Zahnheil- 
Kunde, beleuchtet kritisch die Bierschen Stauungs- und Schröpfkopf-Me- 
thoden und ihre Anwendungsweisen in der Odontologie und bricht dann 
eine Lanze für die Verwendung der Antiphiogistine, für deren An¬ 
wendung in der Mundhöhle Verfasser einen von ihm konstruierten, an¬ 
scheinend recht sinnreichen kleinen Apparat angibt, und über deren Heil¬ 
wirkung bei Ostitis idiopathica des Unterkiefers er an der Hand eines 
ausführlich dargestellten Falles berichtet. Werner Wolff-Leipzig. 

Isemer (Halle-Berlin), Stauungstherapie im Gebiet des Ohres und der oberen 
Luftwege. (Handb. der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luft¬ 
wege von L. Katz, H. Preysing, F. Blumenfeld. Band I. 1. Hälfte. S. 333 
bis 347. — Würzburg, C. Kabitzsch. 1911. 

Aus dem großen Handbuch sei besonders auf den Beitrag des bekannten 
Klinikers Isemer hingewiesen, weil die Stauungstherapie vielleicht dem 
einen oder anderen als eine brauchbare Behandlungsmethode erscheinen 
könnte. Dem ist aber nicht so. Bei Mittelohreiterungen lassen sich zwar 
mitunter höchst erfreuliche Resultate erzielen. Allein allzuhäufig entwickeln 
sich dabei schleichende Komplikationen, die dann aus scheinbarer Besse¬ 
rung heraus plötzlich mit größter Lebensgefahr hervorbrechen. 

Zuverlässiger ist die Saugbehandlung bei .Erkrankungen der Neben¬ 
höhlen der Nase, namentlich bei dem so schmerzhaften Stirnhöhlenkatarrh. 

Über das Technische ist der Aufsatz im Original einzusehen. Hier 
soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, daß es auch Therapien gibt 
die zu vermeiden sind. Buttersack-Berlin. 

Ehrlich, Paul (Frankfurt a. M.), Grundlagen und Erfolge der Chemotherapie. 
(Verlag von Ferd. Enke, Stuttgart 1911, 26 Seiten mit 13 Tafelabbildungen.) 

In diesem am 20. Februar 1912 im Deutschen Frauenverein vom Roten 
Kreuz in Stuttgart gehaltenen Vortrag gibt Ehrlich eine kurze übersicht¬ 
liche Darstellung der theoretischen Grundlagen, die ihn zur Entdeckung 
des Salvarsans geführt haben, und berichtet auch über die Erfolge dieses 
Mittels. Bemerkenswert ist, daß er selbst sich hier recht vorsichtig über 
die Möglichkeit seiner „Therapia magna sterilisans“ ausspricht. 

W. Guttmann. 

Schmitz, 0. A. H,, Brevier für Weltlcute. Essays über Gesellschaft, Mode, 
Frauen, Reisen, Lebenskunst, Kunstphilosophie. (München, bei Georg Müller.) 

In geschickter und überaus unterhaltender Form bringt der gewandte 
und geistvolle Verfasser höchst fesselnde Essays über alle Probleme des 
täglichen Lebens. Man könnte sie dreist „Physiologie und Psychologie des 
täglichen Lebens“ nennen. Denn tatsächlich geben sie das tägliche Brot 
der Physiologie und Psychologie. Die Lektüre ist bestens zu empfehlen. 

W. Sternberg-Berlin. 

Fred, W, Lebens-Formen. Anmerkungen über die Technik des gesell¬ 
schaftlichen Lebens. (München, bei Georg Müller.) 

Nicht bloß das Leben, sondern auch die Lebensformen interessieren 
den Fachmediziner. Darüber kann ein Nichtmediziner den Fachgenossen 
gar manches Interessante sagen. Und in der Tat ist es dem geistvollen 
Verfasser gelungen, in reizvoller Form manches bisher noch nicht recht 
Gewürdigte uns klar vor Augen zu führen. W. Sternberg-Berlin. 



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Bücherschall. 


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Balzac, llenr6 de, Physiologie des eleganten Lehens. Unveröffentlichte Auf¬ 
sätze. Eingeleitet und herausgegeben von VV. Fred. Mit Lichtdrucken und 
Strichätzungen nach den Originalen von Gavarni, Bertrant und Bertall, 
(München, bei Georg Müller.) 

Das interessante Lebenswerk des geistvollen Franzosen ist hier zusam- 
mengestellt. Der emsige Sammler W. Fred hat es sich nicht verdrießen 
lassen, allüberall, an entlegensten und gar nicht mehr zugänglichen Stellen 
Balzac hervorzuholen. Die Sammlung ist höchst eigenartig und schon darum 
überaus interessant. W. Sternberg-Berlin. 


Klassiker des Altertums. Herausgeber der ersten Reiho (20 Bände) Hein¬ 
rich Conrad. — Inhalt der in der ersten Reihe bereits erschienenen Bände: 
Plutarch. Vermischte Schriften. Deutsch von Kaltwasser. 2 Bände. — 
Herodot. 9 Bücher der Geschichte. Deutsch von Goldhagen. 2 Bände. — 
Horaz. Satiren und Episteln. Deutsch von Wieland. 2 Bände. — Lu- 
k i a n. Sämtliche Werke. Deutsch von Wieland. Neu bearbeitet von Hans 
Floerke. 5 Bände. 

Schon erheben sich einige Stimmen, die den „unhistorischen Sinn“ der 
modernen gar so „exakten“ Medizin beklagen und ihn verantwortlich machen 
für die nicht wenig zahlreichen Irrungen und Wirrungen in der neuzeit¬ 
lichen Forschung. Da ist es denn eine recht verdienstliche Tat, wenn der 
rühmlichst bekannte Verlag von Georg Müller die alten Klassiker in prächti¬ 
ger Ausstattung und moderner Übersetzung einem jeden wieder zugänglich 
macht. Das Unternehmen verdient beste Anerkennung und weiteste Ver¬ 
breitung. W. Sternberg-Berlin. 

v. Borosini, A., Die EQsucht und ihre Bekämpfung nach Horace Fletcher. 
(Dresden 1912. Verlag von Holze u. Pahl. 3. Aufl. 4.—6. Tausend. 263 S.) 

Daß die Methode unserer Nahrungszufuhr wissenschaftlich und praktisch 
noch sehr fragwürdig ist, haben wohl die meisten — wenn nicht er¬ 
kannt, so doch instinktiv gefühlt. Die Ergebnisse der Laboratoriumsphysio¬ 
logen bedürfen immer neuer Korrekturen und wollen trotzdem mit den Tat¬ 
sachen des wirklichen Lebens nicht recht übereinstimmen. Und was die 
Form des Essens bei unseren Mitmenschen betrifft, so kann einem oft 
der Organismus leid tun, wenn man sieht, was ihm alles zugemutet wird 
hinsichtlich des Quäle, Quantum, Quomodo usw. 

Die Zahl derer ist beträchtlich, welche wissen, daß wir durchweg 
zu viel essen. Aber die Zahl derer ist gering, welche die praktischen 
Konsequenzen daraus ziehen. „Die Gewohnheit nennt er seine Amme.“ 
Ein Vorkämpfer moderner, rationeller Eßweise ist H. Fletcher, und 
A. v. Borosini ist sein Prophet in Deutschland. „Fletchern“ heißt: nur 
essen wenn man hungerig ist; die Speisen ordentlich kauen, auskosten, 
bis sie von selbst in die Speiseröhre fließen; sich zum Essen Zeit nehmen, 
und nicht essen, so lange man verstimmt ist. Auch Flüssigkeiten oder 
breiige Speisen müssen dergestalt im Munde durchgearbeitet, durchge- 
speichelt, ausgekostet werden, etwa so wie Wein- und Teekoster verfahren. 
Erst wenn der Bissen im Munde ganz aufgeschlossen ist, entfaltet er seinen 
Wohlgeschmack. Der Kenner wird deshalb Saucen und derlei Zutaten ebenso 
beurteilen, wie der Gebildete die Parfüms: entweder als Vorspiegelung fal¬ 
scher Tatsachen, oder als Mittel, üble Gerüche oder faden Geschmack ohne 
Nährwert zu verdecken. 

Es leuchtet ein, daß auf diese Weise das Essen gründlich umge¬ 
staltet wird. Statt viel — wenig, statt häufig — selten, statt schlingen 
— kauen, statt gewürzter — blande Diät. Es leuchtet aber auch ohne 
weiteres ein, daß die also gespeiste Maschine unseres Organismus in we¬ 
sentlichen Dingen sich anders verhalten wird, und wenn wir statt der 
Neigung zum Erkranken — erhöhte Widerstands- und Leistungsfähigkeit 
eintauschen, so wäre das gewissermaßen die Probe aufs Exempel. In der 
Tat bringt das Buch eine Reihe von diesbezüglichen Beweisen aus der 
Praxis, gewissermaßen als Illustrationen zu der schon dem H e r o d i k o a 


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Bücherschaii. 


07-' 

von K n i il o s bekannten Tatsache, daß die Krankheiten aus den Über¬ 
schüssen entstehen (.- legiaoujiiara ) (Codex anonymus Londinensis, S. 7) 
oder zu Montesquieu.s Satz: „Le souper tue la moitie de Paris, le 
diner l’autre.“ 

Wir können natürlich nicht erwarten, daß unsere heutige Generation 
sich ohne weiteres zu einer anderen, wenn auch rationelleren Ernährungs¬ 
weise bekehrte. Aber die Jugend muß auf diesen Weg geleitet werden; 
denn wie will sie den sich steigernden Aufgaben, die ihrer harren, gerecht 
werden, wenn sie das ihr zur Verfügung gestellte Instrument des Organis¬ 
mus nicht aufs schonendste und zweckmäßigste behandelt? 

Das Buch von B o r o s i n i ist keine akademische Abhandlung, bei 
welcher der Leser früher oder später erlahmt. Es weht vielmehr darin der 
frische Zug praktischer Erfahrung, welcher überzeugender wirkt als die 
exaktesten Versuchsprotokolle. Buttersack-Berlin. 

Gehes Kodex. Nachtrag I. Januar 1912. 

Ein schätzenswertes Nachschlagbuch über Bezeichnung neuester Arznei¬ 
mittel, kosmetischer Präparate und technischer Produkte ist das oben ge¬ 
nannte Werk. Wer sich in Kürze über Zusammensetzung und Bedeutung 
sowie Anwendung der vielen auf dem Arzneimarkt auftauchenden neuen 
Mittel unterrichten will — kann dies hier schnell und sicher tun. Gerade 
für den Arzt, der nicht in den Zentralen der Wissenschaft seinen Wohn¬ 
sitz hat, ist es sehr empfehlenswert. Schütze. 

Schütz, Dr. Julius. Über prozentualen und absoluten Salzsäuregehalt des Magen¬ 
inhalts und seine Bedeutung für Funktionsprüfung des Magens. Seitenzahl 
von 119—132. Verlag von S. Karger, Berlin. Sonderabdruck. 

Mugdan, Dr. Franz. Freiburg 1. B. Periodizität und periodische Geistesstörungen. 

Verlag von Carl Marhold, Halle a. S. 1911. Seitenzahl 18. Preis M. 0,75. 

Zickel, I)r. Heinz. Die Heilung der Fettleibigkeit. 2. Auflage. Medizinischer 
Verlag Schweizer u. Co. Berlin NW. 87, Eyke von Repkowplatz 5. Seitenzahl 
1Ö3. Preis M 2,50. 

Werner, Dr. Richard, Über den Einfluß von Alter, Beruf, Familie und Wohnung 
auf die Häufigkeit des Krebses in Baden. Mit 9 Tafeln. Verlag der H 
Laupp’schen Buchhandlung, Tübingen 1912. Seitenzahl 22. Preis M 3,00. 

Ergebnisse der inneren Medizin und Kinderheilkunde. Herausgegeben von F. 
Kraus, O. Minkowski, Fr. Müller, H, Sahli, O. Heubner. 
Redigiert von Th. Braugsch, L. Langstein, Erich Meyer. 

Schütz, Julius. A. Schiiten heim, Sonderabdruck aus Band 7. Über Abführkuren 
mit Glaubersalzwässern und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Verlag von 
Julius Springer, Berlin 1911. Seitenzahl von 224 bis 240. 

Ewald, Dr. PauL Über Arthritis deformans. Berlin W. 35. Fischer’s ruediz. Buch- 
handlungJH.jjK/o r n f e 1 d. Seitenzahl 17. Preis M. 0,60. 

Schlesinger, Dr. Hermann. Abdruck aus dem Zentralblatt für die Grenzgebiete 
der Medizin und Chirurgie. Die chirurgische Behandlung der puerperalen 
Infektion. Von Dr. Emst Venus. Seitenzahl von 482 bis 857. Verlag von 
G. Fischer in Jena. 

Rolleston, By. J. D. M. D. Assistant Medical Offlcer, Grove Hospital, London. 
Diphtheria of the Oesophagus. Seitenzahl 5. The British Journal ot Chil- 
dren’s Diseases. Printed Published By Adlard u. Son, Sartholomew Close, 
London E. C. 

Bittdorf, Privatdozent Dr. A. Der Wasser- und Kochsalzstoffwechsel und seine 
Bedeutung für Pathologie und Therapie. Verlag von Carl Marhold, Halle. 
,~' T a. S. 1911 .JJJ Seitenzahl 56. Preis M. 1,50. 

Schlttenhelm, I’rof. 1 Dr. A., Erlangen und Schmid, Privatdozent Dr. J., Breslau. 
Die Gicht und ihre Therapie mit besonderer Berücksichtigung der Diätetik 

Verlag von C. Marhold, Halle a. S. 1911. Seitenzahl 66. Preis M. 1.80. 

Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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URBANA-CHAMPAIGN 



30. Jahrgang 


1912 


Tortscbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prlo.-Doz. Dr. o. Crlegern Prof. Dr. ß. Pogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg S6. 

erscheint wScbentllcb sum preise von S Of)orh für bas 
Balbfabr. 

Nr. 22. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a.S 30. Mai. 

Alleinige Inseratenannabme burcb (Rax Oeisbort, 

Annoncen-Bureau, Cberswalbe bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Über künstlichen Pneumothorax bei Lungentuberkulose 
mit Berücksichtigung der Heilstättentauglichkeit so 
behandelter Kranker. 1 ) 

Von Dr. Walter Wollt leitend. Arzt der Fürsorgestelle für Lungenkranke 

in Berlin-Wilruersdorf. 

Es hat lange Zeit gedauert, bis sich die Pneumothoraxbehandlung 
der Lungentuberkulose Bahn gebrochen hat und noch heute ist das 
Verfahren der allgemeinen Aerzteschaft nicht in dem Masse bekannt, 
wie es die relative Einfachheit und Nützlichkeit des Eingriffs verständ¬ 
lich machen würden. Es ist im höchsten Grade auffallend, dass wir Aerzte 
uns ein so geistreich erdachtes Verfahren, das, wie von M uralt*) richtig 
sagt, direkt der Natur abgelauscht worden ist, nicht schneller zu eigen 
machten und es entspricht das keineswegs den sonstigen Gepflogen¬ 
heiten in der Medizin. Doch vielleicht hat dieser Gang der Dinge sein 
Gutes! Vieles allzu enthusiastisch Begrüsste verschwand nach kurzer 
Zeit. Die Pneumothoraxbehandlung beginnt jedoch allem Anscheine 
nach sieb in letzter Zeit durchzusetzen und es ist zu hoffen, dass sich 
auch das Gebiet ihrer Verwendung in Zukunft noch als erweiterungs¬ 
fähig erweist. Chirurgische Eingriffe sind schon vor langer Zeit bei 
Lungentuberkulose versucht worden, jedoch sind diese, wie z. B. die 
Pneumotomie bei solitären Kavernen bald wieder aufgegeben worden. 
Nur die ausgiebigen Bippenresektionen, die schon von Q u i n k e , 
Bier, Länderer, C. Spengler u.a. vorgeschlagen wurden, 
sind in den letzten Jahren fast gleichzeitig mit dem uns interessierenden 
Pneumothoraxverfahren soweit ausgearbeitet worden, dass auch sie in 
geeigneten Fällen angewandt zu werden verdienen, besonders wenn die 
Anlegung des künstlichen Pneumothorax w r egen zu starker pleuritischer 
Adhäsionen technisch unausführbar ist. Uebrigens ist die Anlegung 
des Pneumothorax soviel einfacher, als die Thorakoplastik, dass sie 
ihr gegenüber kaum noch den Namen einer Operation verdient. 

F o r 1 a n i n i in Italien und Murphy in Amerika haben zuerst 

l ) Als heilstättentauglich bezeichne ich einen Patienten, bei dem durch eine etwa 
3 monatliche HeilstätteDkur Aussicht auf Heilung oder längerdauernde Erwerbsfähig¬ 
keit besteht. 

*) Münch, med. Wochenschr. 1909. Nr. 50, 51. 

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Wolff, 


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den geistreichen Gedanken, durch einen künstlich angelegten Pneumo¬ 
thorax die Schwindsucht zu heilen, in die Tat umgesetzt. In Deutsch¬ 
land gebührt Brauer nicht nur das Verdienst, den Wert des Ver¬ 
fahrens erkannt zu haben, sondern er hat es durch planvolle Ausarbei¬ 
tung soweit gefördert, dass es jetzt jeder anwenden kann, der sich aus 
der Literatur darüber belehrt und die Indikationen und Kontraindi¬ 
kationen kennen gelernt hat. In kurzen Worten handelt es sich um 
folgendes: 

In Fällen einseitiger Phthise, in denen die andere Lunge einen 
relativ günstigen Befund zeigt, und Komplikationen durch Erkrankung 
anderer Organe, vor allem des Kehlkopfes und des Darmes, nicht vor¬ 
liegen, wird durch Auskultation, Perkussion, Röntgenaufnahme und Be¬ 
obachtung am Röntgenschirm, erst der Befund genau festgelegt. Dann 
wird an beliebiger Stelle des Thorax die Pleura unter Lokalanästhesie 
durch einen Schnitt im Interkostalraum freigelegt und mit stumpfer 
Kanüle durchbohrt. Mat man eine geeignete Stelle getroffen, an der 
nicht ausgiebige pleuritische Verwachsungen bestehen, so lässt man 
langsam Stickstoff, etwa 300 bis 500 Kubikzentimeter, unter genauer 
Beobachtung der Atmung und des Pulses einlaufen. Ehe man mit der 
Stickstofffüllung beginnt, muss man sich durch den mit der Kanüle 
durch einen Schlauch verbundenen Manometer überzeugen, dass man 
sich tatsächlich zwischen den Brustfellblättern befindet. Das ist leicht 
und einwandfrei am Manometer zu sehen, denn wenn man sich im 
Pleuraraum befindet, so gibt das Manometer einen Ausschlag, da dieser 
Raum normaliter luftleer ist. Ferner sieht man genau die Atmungs¬ 
schwankungen, die um so grösser und deutlicher ausfallen, je weniger 
Verwachsungen vorhanden sind. Jede weitere Füllung ist dann leicht 
durch einfache Punktion, der zuerst angelegten StickstofTblase vorzu¬ 
nehmen. Stets ist das Manometer ein zuverlässiger und unentbehrlicher 
Wegweiser, der zeigt, ob wir uns mit der Nadel nicht etwa in der Lunge 
selbst, oder gar in einem Blutgefäss befinden. F o r 1 a n i n i umgeht 
den Braue r’schen Schnitt und punktiert auch bei der ersten Füllung 
nur mit der Nadel. Dabei ist eine Verletzung der Lunge nicht ausge¬ 
schlossen und es kann, wenn gerade eine Kaverne oder eine käsige 
Partie getroffen wird, ein Empyem entstehen. Ferner kann ein Gefäss 
eröffnet werden, und die Gefahr der Gasembolie ist nicht völlig aus¬ 
geschlossen, d. h. selbst wenn die Nadel sich nicht in dem Gefäss be¬ 
findet, kann bei Zuführung des Stickstoffes event. eine Embolie durch 
ein vorher lädiertes Gefäss erfolgen. Der Vorteil der Forlanini- 
srhcn Operation besteht in der Einfachheit der Punktion und der da¬ 
durch gegebenen Möglichkeit, bei erstmalig vergeblichem Versuch diesen 
an anderer Stelle in derselben Sitzung öfters wiederholen zu können. 
Das Braue r’sche Verfahren gilt jedoch vorläufig als das sicherere. 
Nachfüllungen können nicht schematisch vorgenommen werden, son¬ 
dern es muss dies von Fall zu Fall entschieden werden. Ist die Anle¬ 
gung des Pneumothorax gelungen, so werden immer seltenere Füllungen 
nötig. Die Erfahrung hat gezeigt, dass man den Pneumothorax lange 
Zeit, bis zu zwei Jahren, unterhalten muss, um eine Ausheilung der 
Lunge durch narbige Schrumpfung zu erreichen. Hört man dann mit 
den Stickstofffüllungen auf, so dehnt sich die Lunge allmählich aus, 
und das noch gesund gebliebene Gewebe wird wieder atmungsfähig, 
soweit es nicht bindegewebig geschrumpft zur Narbe geworden ist. 
W »‘gen der Einzelheiten des Verfahrens verweise ich auf die Arbeiten 


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Über künstlichen Pneumothorax bei Lungentuberkulose. 


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von v. F o r 1 a n i n i , Brauer, Saugmann, Jessen, L. 
Spengler und v. M u r a 11 usw. Auch finden sich in jeder der 
bekannten, grösseren Wochenschriften in den letzten Jahren ein oder 
mehrere Originalartikel, die zur Orientierung genügen, sofern man 
den Eingriff nicht selbst vornehmen will, lieber die Berechtigung, 
das Verfahren anzuwenden, braucht nicht mehr debattiert zu werden. 
Wer die Operation des Krebses fordert, muss auch die künstliche Pneu¬ 
mothoraxbehandlung der Phthise als zweckentsprechend anerkennen. 
Dass die Zahl der geeigneten Fälle eine nur kleine ist, ist kein Argument 
gegen diese Therapie. Auch wird das Indikationsgebiet, wie schon an¬ 
gedeutet, sich bei grösserer Erfahrung noch erweitern lassen. Der eigent¬ 
liche Zweck dieser Zeilen ist. zu erörtern, wie sich die Volksheilstätten 
zu diesem neuen Verfahren verhalten sollen und im besonderen die 
Stellungnahme der Landesversicherungsanstalten und anderer Be¬ 
hörden, die gewöhnlich die Kosten des Heilverfahrens zu tragen haben. 
In Volksheilstätten gehören, wie bekannt, nur die Patienten, bei denen 
in kürzerer Zeit, gewöhnlich durch eine Kurdauer von drei Monaten, 
Heilung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit auf längere Dauer 
zu erwarten steht. Diese Frage kann in keinem Falle bejaht werden, 
in dem die Anlegung eines künstlichen Pneumothorax in Frage kommt, 
denn dieser Eingriff darf nur ausgeführt werden, wenn es sich um eine 
schwere einseitige Erkrankung handelt, die durch unsere bisherigen 
Behandlungsmethoden Aussicht auf Heilung nicht bietet. Andererseits 
ist der Eingriff so zu beurteilen, wie jede Operation. Eine bestimmte 
Prognose zu stellen, ist unmöglich. Es ist nicht voraus zu sagen, ob ein 
Erfolg erzielt werden wird. Auch ist ein tödlicher Ausgang bei der An¬ 
legung des Pneumothorax, wenn auch ausserordentlich selten, so doch 
selbst bei einwandfreier Technik nicht ganz auszuschliessen. Demnach 
kann es, im Gegensatz zu den Privat-Sanatorien, nicht die Aufgabe der 
Volksheilstätten sein, das Verfahren einzuführen. Anders aber ver¬ 
hält es sich, wenn es gelungen ist, einen Pneumothorax bei einem Patien¬ 
ten anzulegen. Das möchte ich an einem Beispiele aus eigener Praxis 
erörtern: 

Es handelt sich um eine Patientin mit einer totalen rechtsseitigen 
Phthise, die körperlich in ziemlich gutem Zustand, ohne jeden Erfolg, 
im Juni 1911, nach 4*/* monatlicher Kur aus der Heilstätte Belzig mit 
infauster Prognose entlassen wurde. Auf der linken Seite bestand nur 
ein geringfügiger Spitzenkatarrh und vereinzeltes Rasseln links hinten 
und seitlich unten. 

Komplikationen waren nicht vorhanden. Im Oktober wurde die 
Patientin in eine hiesige Privatklinik aufgenommen und der Pneumo¬ 
thorax nach Brauer angelegt.. 1 ) Es gelang in kurzer Zeit, einen fast 
vollständigen Lungenkollaps zu erzielen. Die Lunge liegt nach dem 
Röntgenbilde gut zusammengesunken der Wirbelsäule an, bis auf 
einen feinen Strang, der von der Mitte der Lunge ausgehend, diese an 
einer pleuritischen Adhäsion in der Axillarlinie in Höhe der sechsten 
Rippe festhält. Der reichlich elastische Fasern und Tuberkelbazillen 
haltende Auswurf sank innerhalb 50 Tagen von 100 bis 120 Gramm 
bis auf 15 Gramm pro die herab. War der Erfolg, soweit die Lunge 
in Frage kam, ein guter, so hatte die Patientin doch sehr unter dem 
Eingriff gelitten. Es bestand häufiges Erbrechen, das mechanisch 

] ) Herr Dr. Friedrich Speyer, dem ich auch an dieser Stelle meinen Dann aus¬ 
spreche, übernahm die Operation. 

^3 * 


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Wolff, Über künstlichen Pneumothorax bei Lungentuberkulose. 


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durch Herunterdrängung des Zwerchfells und des Magens bedingt, be¬ 
sonders nach jeder neuen Einblasung auftrat. Die Nahrungsaufnahme 
war eine minimale, jedoch aus der Patientin, die sich im Stadium 3 
befand, war, sit venia verbo, eine Patientin im Stadium 1 geworden. 
Sie wurde in der Heilstätte Belzig aufgenommen und am 15. März, 
nach achtwöchentlicher Kur, mit gutem Erfolge entlassen. Ueber der 
linken Seite sind Rassel-Geräusche nicht mehr nachweisbar. Der Pneumo¬ 
thorax wird rechts weiter aufrecht erhalten. Das Sputum ist rein schlei¬ 
mig und nur noch alle 3 Tage etwa, wird ein Eiterballen entleert. Dieser 
Fall soll als Beispiel dafür gelten, dass Patienten durch die Pneumo¬ 
thoraxbehandlung wieder heilstättentauglirh werden. Naturgemäss kann 
in concreto über den Dauererfolg noch nichts gesagt werden und daher 
würde dieser Fall an sich noch nicht meine Forderung berechtigt er¬ 
scheinen lassen, solchen Patienten einen Anspruch auf Heilstättenbe¬ 
handlung zuzuerkennen. Wir wissen aber, dass Dauererfolge, ja dass 
zweifellose Heilungen erreicht worden sind, das lehren uns die Ver¬ 
öffentlichungen von massgebender Seite (Brauer, Spengler 
usw.). Deshalb ist es meiner Ansicht nach berechtigt, Kranke, bei denen 
mit Erfolg ein Pneumothorax angelegt worden ist, in Heilstätten unter¬ 
zubringen und demzufolge ist auch der Arzt berechtigt, die oben er¬ 
wähnte Frage nach den Chancen der Heilstättenkur in günstigem 
Sinne zu beantworten, (cf. L. Spengler, Münch, med. Wochensch. 
1911, Nr. 9.) Es kann also von ärztlicher Seite den Landesversicherungs¬ 
anstalten und anderen Behörden empfohlen werden, den Lungenkranken 
die Mittel zu einem Heilverfahren unter diesen Umständen zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Allerdings wird zu berücksichtigen sein, dass volle 
Arbeitsfähigkeit nur die Patienten wieder erreichen werden, die einen 
körperlich nicht anstrengenden Beruf haben. 

Von dieser durch den Beruf bedingten Einschränkung abgesehen, 
kann man zusammenfassend sagen: 

Die ärztliche Beurteilung des Zustandes eines tuberkulösen Lungen¬ 
kranken, bei dem durch Anlegung eines künstlichen Pneumothorax 
die Ausschaltung der schwerer erkrankten Lunge geglückt ist, hat in 
jeder Hinsicht nach dem Allgemeinzustand und dem Befund der an¬ 
deren Lunge zu erfolgen. Das heisst, die ausgeschaltete Lunge braucht 
bei der Prognosenstellung, und bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit 
— mit obiger Einschränkung — nicht berücksichtigt zu werden. Bei 
der Wahl der weiteren Therapie ist eine Rücksichtnahme nur in soweit 
erforderlich, als der Pneumothorax, wie oben gesagt, durch Jahre hin¬ 
durch aufrecht erhalten werden muss. Da die Technik der StickstolT- 
einblasung bei bestehendem Pneumothorax denkbar einfach ist, so 
erscheint es wünschenswert, dass sich die Volksheilstätten mit dem 
kleinen notwendigen Instrumentarium für die Nachfüllung versehen. 

Ich möchte, um nicht missverstanden zu werden, noch hinzufügen, 
dass ich nicht behaupten will und kann, dass durch die Pneumothorax¬ 
behandlung, selbst wenn der Eingriff technisch geglückt ist, eine Aus¬ 
heilung der erkrankten Lunge garantiert ist. Es sind tödliche Aus¬ 
gänge bereits beobachtet, z. B. Durchbruch einer Kaverne in den Pneumo¬ 
thorax und Entstehung eines tödlich verlaufenen Empyems (cf. L. 
Spengler 1. c.). Und noch von vielen Seiten drohen Gefahren, z. B. 
durch Blutungen oder miliare Aussaat von Tuberkelbazillen, Ereignisse, 
die in keinem Falle vorauszusehen sind oder ausgeschlossen werden 
können. 



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Fiertz, Über nicht operative Heilung der Appendizitis. 

Demgegenüber stehen aber die vielen ermutigenden Erfolge und j<> 
optimistischer wir an diese unglücklichen Kranken herantreten, desto 
besser ist es für sie, desto erhebender für uns, seihst wenn es nur ge¬ 
länge, einen unter Hundert dem sicheren Tode zu entreissen. 


Über nicht operative Heilung der Appendizitis. 

Von Dr. 0. Flertz-Zürich. 

Auf Grund eigener Beobachtungen in der Privatpraxis seil 22 Jahren 
habe ich kürzlich über das Thema berichtet '). Danach bin ich u der 
Ueberzeugung gekommen, dass der Grossteil aller Blinddarmentzün¬ 
dungen von Stuhlverstopfung herrührt. Die Mehrzahl der Patienten 
gibt auch vorangegangene Stuhlverstopfung zu. Bei anderen, welch ' 
Obstipation in Abrede stellen, findet sich gewöhnlich die gleiche enorme 
Anschoppung mit zersetzten Fäkalmassen. Es betrifft das Leute, na¬ 
mentlich Kinder, welche sich nicht die Zeit nehmen, den Darm voll¬ 
ständig genug zu entleeren. Wenn aber bei regelmässigem täglichen 
Stuhlgange jeweilen nur '/«—*/b von den fälligen Fäzes zurückbleibt, 
so bildet sich im Verlaufe von mehreren Tagen eine Kotsäule, die bis 
in die Gegend des Coecum hinaufreicht und deren obere Partien unter 
Umständen so lange im Darme verweilen, bis sich eine faulige Zersetzung 
derselben gebildet hat. Ob und welche Mikroorganismen der Darmfauna 
(Bacterium coli ?) diese Zersetzung bewirken, muss klinischen Unter¬ 
suchungen Vorbehalten bleiben. Jedenfalls bewirkt die Kotfäule Ent¬ 
zündung der benachbarten Darmschleimhaut und damit sind die Be¬ 
dingungen zu einer Fortleitung der Entzündung auf die Appendix ge¬ 
geben. Dass diese sich nicht jedesmal schwer entzündet, beweisen die 
leichten Attacken, die wohl mehr vom Coecum ausgehen. Bei schwere¬ 
ren Entzündungen aber, die bis in das Lumen des Darmfortsatzes hin¬ 
einreichen, bilden sich Abszesse und Exsudate, analog den Vorgängen 
bei der Parametritis. 

Währenddem nun heutzutage die kausale Therapie mehr und 
mehr an der Tagesordnung ist, begnügen sich zurzeit die Chirurgen mit 
der Entfernung des erkrankten Darmfortsatzes und allfälliger Eröffnung 
bereits bestehender Exsudate oder Abszesse. Dadurch wird aber die 
Ursache der Erkrankung, der faulige Darminhalt, nicht beseitigt, 
sondern wirkt als tödliches Gift weiter im Körper. Ich bin überzeugt, 
dass die vielen unmittelbar nach Blinddarmoperation verstorbenen Pa¬ 
tienten grösstenteils der Darmvergiftung erlegen sind. Daher ist mein 
Grundsatz folgender: Eine frische Appendizitis soll nicht chirurgisch 
behandelt werden. 

Zur Beseitigung des die Entzündung verursachenden fauligen 
Darminhaltes mache man täglich eine bis zwei Eingiessungen von einem 
Liter 1%,, Salizylwasser.*) Da oft die Kotmassen so hart. sind, dass 
sie durch Wasserklystiere nicht entfernt werden können, lasse ich den 
Irrigateur zuerst mit einem Trinkglase Salizylwasser und einem Trink¬ 
glase voll Oel füllen. Da sich das Oel über dem Wasser lagert, geht das 
Wasser (nachdem man wie üblich die Luft aus dem Schlauche ver- 

J ) Über nicht operative Heilune der Appendicitis und ihre Begründung. Pro¬ 
phylaxis. Corresp. Blatt f. Schweiz. Arzte 1910, Nr. 8. 

*) Ich verwende diese Salicylspiilungcn seit vielen Jahren mit bestem Erfolge 
auch bei Typhus abdominalis. 


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Fiert*, 


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drängt hat) voran und ebnet den Weg für das nachfolgende, viel schwerer 
einzubringende Oel. So lange man Oel im Irrigateur hat, halte man 
denselben so hoch als möglich (mit erhobenem Arme stehend). Sobald 
das Oel fast ganz aus dem Irrigateur abgelaufen ist, fülle man sofort 
wieder einen ganzen Liter Salizylwasser nach und halte den Irrigateur 
(oder Trichter) nur etwa einen halben Meter hoch über dem Klistier¬ 
ansatz, damit das Einlaufen allmählich und ohne Beschwerden statt- 
lindet. Den Patienten lasse man auf dem Rücken liegen, da jede unnötige 
Lageänderung Schmerzen und eventuell Vermehrung der Entzündung 
bewirken kann. Man bestehe darauf, dass die ca. I 1 /, Liter Flüssigkeit 
ununterbrochen und vollständig eingeführt werden. Da man sobald 
als möglich zum Ziele, d. h. zur vollständigen Entleerung des Darmes 
gelangen muss, beginne man stets mit den Oel- Salizylklistieren 
und fahre damit fort, bis keine zersetzten Kotmassen mehr abgehen. 
Nachher genügt eine tägliche Spülung mit einem Liter 1 %o Salizyl¬ 
wasser. Als Klistieransatz benutze ich ein ca. 20 cm langes, mittel¬ 
weiches, schwarzes, oben trichterförmiges Gummi-Klistierrohr, da 
diese sich weniger umknicken als die roten Weichgummirohre, und nicht 
so starr sind wie die roten Hartgummi- oder Seidenrohre. 

Patienten mit Appendizitis dürfen niemals im akuten Stadium das 
Bett verlassen. Nach erfolgter Pnngiessung schiebe man ein Steckbecken 
unter den Kranken, oder mache die Eingiessung von Anfang an mit 
untergeschobener Schüssel, wobei man zweckmässig ein weiches Kissen 
unter das Kreuz legt. So kann die Prozedur für den Patienten recht 
schonend und ohne jede Gefahr gemacht werden. Ich habe nie gesehen, 
dass nach einer Eingiessung eine Verschlimmerung aufgetreten wäre, 
aber regelmässig geschah letzteres, wenn Kranke ohne Erlaubnis, wenn 
auch nur vorübergehend, das Bett verlassen hatten. Diese Beobachtung 
führte mich zur Annahme, dass auch der Krankentransport im akuten 
Stadium verschlimmernd auf den Zustand einwirken muss und schon 
deshalb bietet unter günstigen äussern Verhältnissen die Behandlung 
zu Hause bessere Chancen als die Krankenhausbehandlung. Man muss 
aber sicher sein, dass die Eingiessungen regelmässig und richtig gemacht 
werden, und zwar anfangs stets durch Sachverständige (Wärterin oder 
Hebamme), im Notfälle durch den Arzt selbst. Wenn innerhalb 24 
Stunden kein Stuhlgang erfolgte, kann man sicher sein, dass die Technik 
der Darminfusion daran schuld war. Das Oel muss den Darm per vias 
naturales wieder verlassen, auch wenn es lange dauert, bis die Emul¬ 
gierung der Fäzes genügend fortgeschritten ist. Freilich, wenn man 
nur Wasserklistiere macht, riskiert man, dass dieselben ohne irgend 
welche Beeinflussung des Darmes wieder per urinam abgehen. Wo 
man also nicht sicher ist, dass ein Kranker zu Hause richtig verpflegt 
werden kann, schicke man ihn ins Krankenhaus, und zwar auf die me¬ 
dizinische Abteilung. Italienische Erdarbeiter an unzulänglichen Kost¬ 
orten habe ich immer der medizinischen Klinik zugeschickt und sie sind 
stets von da geheilt zurückgekehrt. 

Für die Schmerzen gebe man dreistündlich Opium pur. 0,03, bei 
Patienten, die schlecht einnehmen können, Morphium mur. 0,01 und 
verlängere die Intervalle, sobald der Nachlass der Schmerzen es erlaubt. 
Man wird schon bald mit drei bis vier Stück in 24 Stunden auskommen. 
Kindern habe ich bis jetzt nur Opium gegeben. Morphiuminjektionen 
mache ich wegen der Gefahr der Angewöhnung für solche Fälle über¬ 
haupt nicht. 



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079 • 


Über nicht operative Heilung der Appendizitis. 

Auf den Leib kommen feuchtwarme Umschläge und nicht die Eis¬ 
blase, das wohl ab und zu noch geschieht. Wir wollen ja eine Er¬ 
schlaffung der Därme und eine Erweichung ihres Inhaltes und nicht eine 
krampfhafte Zusammenziehung um die harten Kotballen herbeiführen! 
Dadurch wird auch der Eintritt der Spülflüssigkeit in die höheren Teile 
des Dickdarmes erleichtert. Handelt es sich um grössere Exsudate, 
so lege man ein handgrosses Säckchen mit eingenähtem gekochten Lein¬ 
samen auf, das immer in warmem Wasser oder auf einer Wärmeflasche 
erwärmt wird. Das lindert die Schmerzen und befördert die Verflüssi¬ 
gung und den Durchbruch der Exsudatmassen nach dem Darme, die 
Chirurgen befürchten immer einen Durchbruch ins offene Peritoneum. 
Dies scheint aber, wenigstens nach meinen Erfahrungen, nicht oft vorzu- 
zukommen. Durch die Entzündung bilden sich offenbar Verklebungen 1 ) 
mit den umgebenden Darmpartien, welche eine Perforation in einen eng 
begrenzten Bezirk ermöglichen, von wo aus die endgültige Entleerung in 
Darmoder Blase erfolgt. Der Durchbruch zeigt sich durch den plötzlichen 
Nachlass des Fiebers, der Schmerzen und das Auftreten von reichlichen 
w’eissen Fetzen im Stuhlgang an, die oft wie Reiskörner auf den Fäzes 
sitzen. Es ist klar, dass der Durchbruch nur in einen leeren, hierzu vor¬ 
bereiteten Darm erfolgen kann, weil dieser einen locus minoris resi- 
stentiae darstellt und eine Ausbuchtung dahin sich am leichtesten 
bilden kann. Dieser Durchbruch nach dem Darme erfolgt nach vier 
bis fünf Tagen so regelmässig, dass ich gar nicht mehr ängstlich bin, 
bis er erfolgt ist, da ich bis jetzt nie einen Übeln Ausgang erlebt habe. 

Vorher schon sieht man an der Abnahme des Übeln Geruches, dass 
die bei den täglichen Spülungen abgehenden Fäkalmassen neuern 
Datums sind. Die Menge der vorher erstaunlich grossen Entleerungen 
wird geringer und mit dem beginnenden Durchbruche des Exsudates 
tritt Euphorie ein. Nun gilt es, den schon übermütig werdenden Pa¬ 
tienten zurückzuhalten. Die bisherige flüssige Kost (Milch, Schleim¬ 
suppen) muss noch beibehalten und das Verlassen des Bettes strenge 
verboten bleiben, sonst bildet sich wieder ein neues Exsudat, das freilich 
durch die Perforationsöffnung sich wieder entleeren kann, aber doch 
eine unnötige Verlängerung der Krankheitsdauer bedeutet. Nach 14 
Tagen können aber die meisten Patienten waeder aufstehen, bleiben 
also nicht länger bettlägerig als die Operierten, von denen gewiss viele 
mit leichterer Erkrankung ektomiert wurden, als Fälle mit ebenge¬ 
schildertem Verlaufe. 

Nun werden die Chirurgen scheinbar mit Recht einwerfen, dass 
Blinddarmentzündungen, welche durch Traubenkerne oder Kotsteine 
entstehen und Perforationen des Wurmfortsatzes bilden, durch diese 
konservative Behandlung nicht geheilt werden können, sondern Gefahr 
laufen, durch Perforation des Fremdkörpers ins Peritoneum zu all¬ 
gemeiner eitriger Peritonitis mit tödlichem Ausgang zu führen. Es wird 
sich aber in diesen Fällen genau wie bei einfachen Exsudaten zuerst 
durch Verwachsungen eine Tasche bilden, in welche die Perforation 
vorerst erfolgt, ohne dass allgemeine Peritonitis zu entstehen braucht. 
Von hier aus kann immer noch der Durchbruch nach Blase und Darm 
gerade so gut erfolgen, wie nach dem freien Peritoneum, und durch die 
Oeffnung, durch welche ein Exsudat durchgeht, wird auch ein Trauben¬ 
kern oder ein Kotstein passieren können, der im Lumen der Appendix 

*) Vgl. Schönholzer: Über Nctztorsion. Correspondenz-Blatt 1909 pag. 770. 


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Fiertz, 


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Platz hatte.') Dass solche Vorgänge stattfinden und mehrfache Heilung 
ohne chirurgischen Eingriff erfolgt, beweisen uns gerade die Chirurgen 
und die „pathologischen Anatomen“, wenn sie uns exstirpierte Appen- 
dices zeigen, die mehrfache Narben aufweisen. Das zeigt, dass Natur¬ 
heilung erfolgen kann und in sehr vielen Fällen auch erfolgt. Gesetzt 
nun, ein solcher Fremdkörper fände doch nicht den Weg in den Darm, 
so kann, nach allfällig erfolglos versuchter konservativer Therapie und 
vollständiger Entleerung und Desinfektion des Darmes von aussen her, 
immer noch eine chirurgische Eröffnung des Abszesses naehfolgen, in 
einem Stadium, in dem wenigstens die Gefahr der Blutvergiftung vom 
Darme aus ausgeschlossen ist. Die Mortalität, die heute bei der kritik¬ 
losen Operation aller Appendizitiden ä cliaud eine erschreckend grosse 
ist, wird dadurch gewiss herabgesetzt. Dass die Chirurgen die Operation 
lieber machen, wenn noch keine Verwachsungen eingetreten sind, ist 
begreiflich. So lange aber die konservative Behandlung weniger ge¬ 
fährlich ist, wie wenigstens aus meinem Material hervorzugehen scheint, 
mögen auch die Chirurgen einsehen, dass es dem Hausarzte schwer 
fällt, bei dem heutigen Stande der Dinge, ihnen die Patienten zur Ope¬ 
ration ä chaud zu überweisen. Vielleicht lassen sich die Operateure 
auch herbei, neben der Operation Spülungen zu machen, die sie bis 
anhin theoretisch perhorresziert haben, weil sie es nie probierten, aus 
Angst, der Darm möchte platzen. Ich wiederhole aber, dass mir seit 
22 Jahren noch nie so etwas passiert ist, trotzdem ich in allen Fällen 
gespült habe. Wenn die Chirurgen gut nähen, so können sie auch ohne 
Sorge Darmeinläufe machen: Wo kein Darminhalt austritt, tritt auch 
keine Spülflüssigkeit aus. 

Auch ich bin der Ansicht, dass Patienten, deren Wurmfortsatz 
immer und immer wieder Beschwerden macht, operiert werden sollen, 
aber ä froid, in einer ruhigen Zwischenperiode. Da sind ja die Resultate 
ausgezeichnet. Patienten, die nach nur einmaligem Ueberstehen der 
Krankheit in ferne unwirtliche Gegenden ziehen, wo die rationelle Be¬ 
handlung eines allfälligen Rezidives ausgeschlossen ist, rate ich eben¬ 
falls zur Operation ä froid nach dem ersten Anfalle. Alle andern 
Patienten aber haben Aussicht, gesund zu bleiben, wenn sie ihrem 
Darme und seinen Funktionen gebührende Aufmerksamkeit schenken 
und namentlich wöchentlich ein bis zweimal eine Eingiessung machen, 
auch wenn sie nichts spüren. 

Die Statistik umfasst 24 männliche, 27 weibliche, zusammen 51 
Patienten von 5—66 Jahren aus den Jahren 1887—1909. 

Die Heilungsdauer des ersten Anfalles betrug: 


4— o 

Tage 

8 Mal 

= 15,6 % 

6—10 

11 

14 „ 

= 27,4% 

11—15 

11 

15 „ 

= 29,4 % 

16—20 

11 

2 „ 

= 4,0 % 

21—30 

11 

10 „ 

= 19,6 % 

31—44 

11 

2 

= 4,0 % 



51 Mal 

100,0% 


Ei- bis faustgrosse Exsudate mit nachfolgender Perforation 


') Anmerkung bei der Korrektur: Ich habe auch tatsächlich ein 
Jahr nach der ersten Publikation dieser Arbeit (1911) bei einem 5 jährigen Mädchen 
einen Durchbruch und Abgang eines ki reell kerngrossen Kotsteines beobachtet. Sofort 
nachher verschwanden alle Erscheinungen der Appendizitis (Fieber, Druckempfindlich- 


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Über nicht operative Heilung des Appendizitis. 


681 


in den Darm (die jedesmal deutlich durch gleichzeitigen Fieber¬ 
abfall, Palpation und Beobachtung der Exsudatmassen im Stuhlgange 
nachgewiesen wurde) fanden sich in meinen Fällen elfmal. Ausserdem 
w r ar bei einem Patienten (Nr. 3), den ich an Rezidiv behandelte, früher 
von anderer autoritativer Seite beim ersten Anfall Durchbruch eines 
perityphlitischen Exsudates in die Blase beobachtet worden. Somit 
haben den Durchbruch lebend überstanden alle Kranken, zusammen 
zwölf, macht von 51 = 23,5 % Perforationen. 

Die Heilungsdauer betrug bei meinen Perforationen: 

4 Mal 11—14 Tage Alter 9, 10, 45, 50 Jahre 

5 „ 21-30 „ „ 25-63 „ 

2 „ 31 u. 44 „ „ 45 u. 48 „ 

Bei sieben Patienten (13,7 %) wurden neun Rezidive beob¬ 
achtet. 


Es leben sicher noch 1909 
Unbekannt 

17 Jahre nach dem ersten 
Anfall operiert und nach 
der Operation gestorben 


43 Patienten = 84,3 % 
7 „ = 13,7% 


1 = 2,0 % 

51 Patienten 100,0 % 

Von den sieben Unbekannten lebten zwei sicher mehr als zehn 
Jahre, zwei sicher mehr als ein Jahr. 

20—22 Jahre lebten sicher 2 Patienten 
17. 1 


10 


11 

8 

7 

6 

5 

4 

3 

1—2 
V 2 


77 

77 

77 


77 

77 

77 


77 

77 

77 


77 

77 


5 

5 
4 
4 

3 

4 
7 

6 
7 


77 

77 


48 Patienten. 

Weshalb in den letzten Jahrzehnten so auffallend viele Blind¬ 
darmentzündungen beobachtet werden, erklärt sich F. folgendermassen: 

Im gleichen Zeiträume hat sich eine vollständige Veränderung in 
der Lebensweise einer grossen Mehrzahl von Menschen ergeben. Grosse 
Teile der Bevölkerung, die früher in Wald und Feld mit Ackerbau und 
Viehzucht beschäftigt w r aren, sind jetzt in Fabriken eng zusammen¬ 
gepfercht. Handwerker, die früher im Freien oder in offener Werkstätte 
einzeln arbeiteten, sind in Grossbetrieben vereinigt, zu Hunderten in 
verhältnismässig engem Raume. Kaufleute, Verkäufer und Verkäufe¬ 
rinnen sind zu Dutzenden in kleinen Lokalen, in beständigem Verkehr 
miteinander. Damen, die früher als tätige Hausfrauen fleissig im Haus 
und Hof von früh bis abends ihren Pflichten nachgegangen sind, sitzen 
jetzt stundenlang in Kaffeekränzchen, in Konzerten und Theatern. 
Allen diesen Leuten gebietet die durch Anstand und Sitte gebotene 
Rücksicht auf ihre Nebenmenschen, viele Stunden lang die natürliche 
Funktion ihrer Därme und die Entleerung der Darmgase zurückzuhalten, 
und durch viele Uebung bringen sie es denn auch zu einer gründlichen 
Stuhl Verstopfung mit all ihren Gefahren und Nachteilen für die Ge- 


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G82 Fierlz, Über nicht operative Heilung der Appendizitis. 

sundheit. Man mache einmal eine Statistik und schaue wie klein der 
Prozentsatz von Appendizitis bei Bauern, Fuhrleuten, Schiffleuten,. 
Baubeflissenen, Leuten, die im Freien arbeiten, ist, gegenüber der er¬ 
schreckend hohen Zahl von Patienten der feineren Gesellschaft, bei 
Kaufleuten, Gastwirten, Bureauangestellten, Fabrikarbeitern, Schneide¬ 
rinnen, Modistinnen, Weissnäherinnen usw. 

(Unter den 51 Fällen waren z. B. 18 Schüler und 13 Hausfrauen!) 

Zu welcher Virtuosität in der Angewöhnung zur Stuhlverstopfung 
es zurzeit die Menschheit schon gebracht hat, beweist die grosse Zahl 
und der ungeheure Verbrauch von Abführmitteln aller Art. Wie para¬ 
dox! Erst unterdrückt man mit aller Gewalt die natürliche Funktion 
des Darmes und, wenn man es dann soweit gebracht hat, greift man zu 
Medikamenten, welche die unterdrückte Tätigkeit wieder hersteilen 
sollen! Wie viel natürlicher wäre es, seine Lebensweise so einzurichten, 
dass man diese langdauernde Unterdrückung der natürlichen Darmbe¬ 
wegungen, die, weil physiologischer Natur, einmal für die Erhaltung 
der Gesundheit absolut notwendig sind, nicht zu lernen brauchte. Ich 
möchte also befürworten, dass man zur Verhütung der Stuhlverstopfung 
und damit der Anlage zu Blinddarmentzündung von Gesetzes wegen, 
die Arbeitszeit für abhängige Arbeiter so gestaltet, dass nach 3-4- 
stündiger Arbeit Ruhepausen von mindestens zwei Stunden gewährt 
werden, so dass auch entfernter Wohnende in Ruhe speisen und ihren 
normalen Bedürfnissen genügen können. Denjenigen aber, die unab¬ 
hängig sind, möchte ich raten, auch ihre private Tätigkeit in diesem 
Sinne einzurichten und namentlich Versammlungen, Musik- und Theater¬ 
vorstellungen, gesellige Veranstaltungen nicht auf unhygienische Länge 
ohne vernünftige Zwischenpausen auszudehnen. 

Zu berücksichtigen ist ferner, dass vor Dezennien die Aerzte noch 
kritiklos jede Art von Erkrankung zuerst mit Abführmitteln behan¬ 
delten. Ich möchte diese Zeiten nicht wieder rufen, aber zweifelsohne 
hat diese Tatsache oft mitgeholfen, unbewusst bestehende Obstipation 
und damit Anlagen zur Perityphlitis zu beseitigen. Auch die allgemein 
verbreitete Sitte, jedes Frühjahr und Herbst einmal eine Blutreinigung, 
d. h. ein Abführmittel zu nehmen, war gewiss nicht ohne Berechtigung. 
Wenn wir auch oft über Sitten unserer Vorfahren lächeln, so kommen 
wir doch eben so oft dazu, sie zu begreifen, ja, wenn auch aus andern, 
den modernen Anschauungen angepasstem Grunde, sie zum Teil wieder 
aufzunehmen. 

Es sind also gewiss nicht die so selten auftretenden Fremdkörper 
(Traubenkerne, Kirschensteine, Emailsplitter usw.), sondern die durch 
die veränderte Lebensweise angewöhnte allgemeine Stuhl Verstopfung 
als Ursache für die immer zunehmende Zahl der Blinddarmentzündungen 
anzusprechen. Ueber die häufiger beobachteten Kotsteine noch ein 
Wort. Von Gallen- und Blasensteinen nimmt man jetzt allgemein an. 
dass sie unter Bazilleneinwirkung bei verlangsamtem oder verhindertem 
Abflüsse des Sekretes zustande kommen, wobei auch Druck durch 
Schnüren, enge Bekleidung (nach Courvoisier) eine Rolle spielt. 
Da sich Kotsteine offenbar auch nur bei längerem Verweilen der Fäzes 
im Darme bilden können, so ist also wiederum die Bekämpfung der Ob¬ 
stipation ein Vorbeugemittel gegen die Entstehung von Kotsteinen 
und damit derjenigen Formen von Perityphlitis, welche auf diese zu¬ 
rückgeführt werden. 

Kehren wir also wieder zu grösserer Natürlichkeit zurück und be- 


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Geissler, Uber den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


683 


ginnen damit schon von Jugend auf. Man kann die Kinder sehr leicht 
daran gewöhnen, dass sie täglich zu einer bestimmten Stunde — ob sie 
Drang verspüren oder nicht — ihren Darm entleeren. Am leichtesten 
ist es zu erreichen, wenn man unmittelbar nach einer Mahlzeit die durch 
die Speisenaufnahme entstandenen peristaltischen Magen- und Darm¬ 
bewegungen benutzt, eine Defäkation zu erleichtern. Es ist das auch 
der Zeitpunkt, der jedermann sicher zur gleichen Stunde täglich zu Ge¬ 
bote steht. Und dieses Einhalten der genauen Zeit ist besonders wichtig. 
Schulpflichtigen empfehle man die Stunde nach dem Mittagessen, weil 
sie morgens vor Schulbeginn sich erfahrungsgemäss nicht die Zeit neh¬ 
men, der Natur ihren Tribut zu leisten. Hat man sie während ihrer 
Schulzeit zu Hause regelmässig gewöhnt, so behalten sie diese Regel¬ 
mässigkeit ihr Leben lang und bedürfen nur in Ausnahmefällen et- 
welcher Nachhilfe. Dass die Regelung der Diät (Obst, Vermeidung 
einseitiger Ernährung) dabei zu berücksichtigen ist, bedarf wohl kaum 
besonderer Erwähnung. Für Erwachsene gilt genau das Gleiche. Wenn 
man ihnen erklärt, dass nach dem Essen die sich bildenden Darmbe¬ 
wegungen sich leicht nach unten fortleiten lassen, wenn man dieselben 
zu benutzen versteht, so wirkt diese suggestive Reeinflussung oft über¬ 
raschend gut. Wenn das nicht gelingt, so genügt wohl der Hinweis 
auf die drohende Gefahr einer Perityphlitis, um, bei der heute herr¬ 
schenden Furcht vor dieser Krankheit, an Obstipation Leidende dahin 
zu bringen, dass sie ihre natürlichen Funktionen, durch vom Arzte zu 
bestimmende Massnahmen, in regelmässigen Gang bringen. 


Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 

Von Dr. YV. Geissler, Mitglied der Königlichen hakt. Anstalt zur Bekämpfung des 
Typhus, Trier, zuletzt Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik der Cölncr Akademie 
für prakt. Medizin (Prof. Asehaffenburg). 

(Fortsetzung.) 

Nach Baue r '") soll sich im Harn der Kranken, bei denen 
nervöses Gewebe zu Grunde geht, Trimethylamin in pathologischer Menge 
finden. Bestätigungen liegen über diese Befunde noch nicht vor. 

Alters steht diesen Angaben skeptisch gegenüber und hebt 
hervor, dass das Cholin, aus dem das Trimethylamin entstehen soll, 
nur einen minimalen Bruchteil des Lipoidmolcküles ausmacht, dass 
also die Baue r’schen Zahlen unverhältnismässig hoch erscheinen. 

Falls eine extensive Einschmelzung von Gehirnsubstanz diese 
Zahlen rechtfertigen könnte, so würde dann für die lange Dauer mancher 
paralytischen Erkrankung, soweit sie diesen Befund bietet, eine Er¬ 
klärung noch nicht gegeben sein. 

T a k e d a IS ) hebt übrigens hervor, dass sich Trimethylamin im 
Harne leicht bei ammoniakalischer Zersetzung bildet. 

Auch die Glyzerin-Phosphorsäure, das zum Cholin gehörige Spaltungs¬ 
produkt des Lezithins (Lezithinsind bekanntlich esterartige Verbindungen 
der Glyzerinphosphorsäure mit zwei Fettsäureradikalen und einer 
.Ammoniumbase, dem Cholin) war nach Kauffmanns Untersu¬ 
chungen in der Spinalflüssigkeit mehrerer Paralytiker nicht vermehrt. 

Die Spuren von Glyzerin-Phosphorsäure, die K a u f f m a n n 
fand, rechtfertigen nicht die Annahme messbarer Cholinmengen. Das 
Lezithin selbst ist von einer bemerkenswerten Anzahl von Forschern 
studiert worden. Seine Beziehungen zu den auf das Nervensystem 


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«84 


Ceissler, 


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einwirkenden Narkotizis haben Meyer, Reicher, Stöber und 
Ab der balde n beobachtet, seine Affinität zum Tetanustoxin A 1 - 
m a g i n und Petit; über die Fähigkeit, mit den Giften der Schlan¬ 
gen, Bienen und Skorpionen die Toxolezithiden zu bilden, d. h. Gifte 
von erhöhter Hämolyse, haben Key es, Morgenrot h und 
G a r p i berichtet, über die gegen rote Blutkörperchen gerichteten 
Hämolyse Le vy und Pighini, und von anderen wichtigen Beob¬ 
achtungen erwähne ich die Arbeiten von P e r i t z J0 ), der die Ansicht 
aussprach, dass der Lezithinstoffwechsel bei Paralyse und Tabes gestört 
sei. Nach P e r i t z verbindet sich das Lezithin mit zirkulierenden 
Syphilistoxinen und dissoziiert sich so von der Knochen- und Nerven- 
substanz der Luetiker, Tabiker und Paralytiker, häuft sich dann im 
Blut an und wird in erhöhter Menge durch die Fäzes ausgeschieden. 

Durch intramuskuläre Lezithininjektionen will P e r i t z eine er¬ 
hebliche Verminderung der Lezithinausscheidungen und klinische Besse¬ 
rung verschiedener Paralytiker herbeigeführt haben und stellt die 
These auf, dass gerade die Verarmung an Lezithin eine Schädigung 
des Zentralnervensystems herbeiführe. 

A11 e r s u. a. haben ebenfalls wochenlang Lezithininjektionen 
bei Paralytikern gemacht, ohne jedoch damit in irgendwelcher Weise 
den körperlichen oder psychischen Zustand der Paralyse zu beein¬ 
flussen. 

K a u f f m a n n hat die Befunde von P e r i t z insoweit bestätigen 
können, als er ebenfalls im Kote von Paralytikern vermehrten Lezithin- 
Gehalt (bezw. Glyzerin-Phosphorsäure) fand, gleichzeitig jedoch auch 
bei anderen Psychosen. Kauffmann kann sich der P e r i t z’schen 
Auffassung der Lezithinarmut nicht anschliessen und sagt plausibel, 
dass er sie aus dem Grunde nicht verstehen könne, weil die Synthese 
und Verdauung von Lezithin bei der guten Allgemeinverdauung der 
Paralytiker doch kaum gestört sein könne und betont dagegen die 
erhebliche tägliche Aufnahme von Lezithin in den Organismus. 

G I i k i n J1 ) stimmt in seinen Resultaten mit denen von P e r i t z 
überein, er fand deutliche Verarmung des Knochenmarkes an Lezithin, 
er schränkt jedoch die supponierte Spezifität dieser Erscheinung für 
die Paralyse ein, da er den Lezithinschwund auch beim Altern von Tier 
und Mensch beobachtet hat. 

G 1 i k i n 21 ) fand ferner bei Lezithinverminderung gleichzeitig eine 
Abnahme des Eisengehaltes im Knochenmark. 

Die P e r i t z’sche Theorie der Lezithinverarmung im Zentral¬ 
nervensystem und seiner Anhäufung im Blute hat durch die Unter¬ 
suchungen von B o d e n s t e i n SJ ) und in gewisser Weise neuerdings 
von P i g h i n i **) eine Bestätigung erfahren. 

Bodenstein fand den Gehalt des Blutes der Paralytiker an 
Lezithin z. T. erhöht, z. T. an der oberen Grenze der Norm. 

Pighini hat das Blut von Geisteskranken der verschiedensten 
Krankheitsformen auf seinen Gehalt an Cholesterin und Oxv- 
cholesterin geprüft. 

Cholesterin verhält sich in biologischer Beziehung dem Lezithin 
entgegengesetzt (es besitzt antihämolitische Eigenschaften (Morgen- 
roth, Carpi, Pighini), hat antikomplimentäres Vermögen 
(Landsteiner und Stankowic) und andere antagonistische 
Charakteristika), es bildet aber mit dem Lezithin den Hauptbestand¬ 
teil der Substanz des Zentralnervensystems. 



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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken 


685 


Aus seinem Vorkommen darf man vielleicht Analogieschlüsse auf 
den Abbau seines Antagonisten ziehen und sind P i g h i n i s Resultate 
interessant, der bei einigen Geisteskrankheiten die Menge des Chole¬ 
sterins und Oxvcholesterins im Blutserum beträchtlichen Schwan¬ 
kungen ausgesetzt fand, bei der Epilepsie nur in einem Bruchteil, in 
einem grösseren beim man. depressiven Irresein, in wenigen Fällen 
von dem. praecox, vor allema ber bei Alkoholismus namentlich im akuten 
Stadium und bei Paralyse. 

Trotzdem erreichten selbst bei Paralyse diese Cholesterinmengen 
im Blute nicht so hohe Werte, dass man von einer Cholesterämie 
sprechen könnte, wie sie F I i n t 21 ) bei Ikterus gravis und Fischer 2i ), 
Klemperer und Umber 2S ) u. a. bei der diabetischen Lipämie 
fanden. 

Das weitere Studium der Lipoide erscheint geeignet, Licht in die 
komplizierte Chemie des Zentralnervensystems zu bringen. Dass das 
Lezithin bei der Wassermann’schen Reaktion ebenso wie das Chole¬ 
sterin eine wichtige Rolle spielt, sei erwähnt, ebenso dass man das Le¬ 
zithin an die Stelle des syphilitischen Antigens gesetzt hat (Reaktion 
von Porges und Meier). Das antihämolitische Vermögen des 
Cholesterins (selbst in einer Menge von 0,8 cm* einer Lösung 1: 100 000) 
liegt der Haupt mann'sehen Reaktion (der Cholesterin-Sapo- 
nin-Hämolvse) zu Grunde. 27 ). 

Es bleibt noch übrig, an dieser Stelle eines Phänomens zu gedenken, 
dessen ausführliche Schilderung ich an anderer Stelle gemeinsam mit 
der Bewertung der serologischen Forschungen vorzunehmen gedenke, 
der Nonne -Apel t’sehen Globulin-Reaktion. 

Im Liquor von Paralytikern haben die genannten Autoren eine 
Vermehrung von Eiweisskörpern angetrofTen, die nach dem heutigen 
Stande der Forschung sich als Globuline charakterisieren und mittels 
Ammoniumsulfat ausfällbar sind. 

Wenn auch gelegentlich sich Stimmen gegen die Zuverlässigkeit 
dieser diagnostischen Methode ausgesprochen haben, ohne jedoch be¬ 
weiskräftiges Material zu bringen, entgegen der Ueberzahl einwand¬ 
freier Bestätigungen, so ändert das an seiner Zuverlässigkeit als Hilf s- 
diagnostikum nichts. 

Ich habe mit einer grossen Reihe anderer Autoren an mehreren 
Hundert Paralytikerliquores (die aus allen Stadien des Ablaufes 
des paralytischen Krankheitsbildes stammen) den Nachweis führen 
können, dass die Globulinreaktion in keinem Falle einer wirklichen 
progressiven Paralyse eine negative war. 

Nur in vereinzelten Fällen bestand die positive Reaktion nur aus 
einer schwachen Trübung (Opalescenz), bei ca. 95 % war sie als dicke 
fast milchige Trübung zu bemerken, deren Dichte mit der Schwere 
der Erkrankung nach meinen Beobachtungen vielfach gleichen Schritt 
zu halten scheint. 

Wenn auch in seltenen Fällen von Hirntumor, Meningitis und 
multipler Sklerose ein positiver Ausschlag dieser Reaktion wahrzu¬ 
nehmen war, so spricht ihr Fehlen bei einer zweifelhaften paraly¬ 
tischen Erkrankung, auch wenn Lymphozythose des Liquors besteht, 
mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenn keine Lymphozy¬ 
those vorhanden ist, mit Sicherheit gegen eine Paralyse. 

Negative Wassermann’sche Reaktion im Liquor und fehlende 
Globulin-Reaktion habe ich bei Paralyse nie beobachtet. 


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686 


Geissler, 


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Ueber die Herkunft des Globulin ist man nicht sicher orientiert, 
es muss auffallen, dass diese Eiweissfraktion überall da auftritt, wo 
Einschmelzungsprozesse bestehen, sowie andererseits wo eine Lues in 
der Anamnese vorhanden ist (Bei den rein entzündlichen Meningitiden 
erklären sich die Phänomene durch die Aetiologie der Entzündung.) 

Resümieren wir die vorstehenden Ausführungen, so zeigt sich, 
dass die Paralyse eine Reihe wichtiger StofTwechselstörungen erkennen 
lässt. Aus der grossen Reihe scheinbar regelloser Stoffwechsel Vorgänge 
heben sich einige heraus, denen für die Paralyse eine gewisse Spezifizität 
nicht abzusprechen ist, so die Unfähigkeit, Wasser zu reti- 
nieren sowie das aseptische Fieber: nicht pathognomische, 
aber charakteristische Erscheinungen der paralytischen Erkrankung. 

Die Glvkosurie, Azetonurie sowie das Auftreten von 
I n d i c a n im Harn stellen häufige, jedoch weniger charakteristische 
stoffliche Störungen der Paralyse dar. Da sie sich auch bei anderen 
geistigen Erkrankungen, vorzugsweise jedoch bei der Paralyse äussern. 
so sei ihre Abhandlung an dieser Stelle entschuldigt. 

Die übrigen erwähnten selteneren Phänomene gestatteten noch keine 
praktischen Ausblicke. 

Die Epilepsie. 

Die Aehnlichkeit epileptischer Anfälle mit solchen, deren chemische 
Aetiologie (Urämie, Diabetes, Blei u. a.) mehr oder weniger als geklärt 
gilt, veranlassten schon seit vielen Jahren die Forscher, auch dem 
Chemismus der Epilepsie nachzugehen. Da die Frage, welche Krank¬ 
heitszustände der Epilepsie im engeren Sinne zuzuzählen sind, jetzt 
noch keine eindeutig geklärte ist, so waren verwertbare Resultate 
auch nicht in der Zahl, die der Fülle der angestellten Untersuchungen 
entsprechen müssten, zu erwarten. 

Dazu kommt, dass die meisten Forscher sich gerade immer die 
Zeit des epileptischen Anfalles bezw. die kurz vor oder hinter ihm 
liegenden Stunden zur Materialgewinnung aussuchten und ihre Re¬ 
sultate für die Epilepsie Kai l£o%rjv verwerten zu müssen glaubten. 

Wir wissen, dass der Krampfanfall allein nicht 
■«las Kernsymptom der Epilepsie darstellt, sondern 
■dass diese sich in Aequivalenten, wie Dämmer¬ 
zuständen, affektiven Störungen usw. äussern kann. 

Der Krampfanfall ist allgemein nur ein Zeichen 
■einer Gehirnschädigung und der Ausdruck der ver¬ 
schiedenartigsten Reize. So können materielle Erkrankungen 
•des Gehirns (anatomisch gekennzeichnet als Sklerosen diffuser oder 
umschriebener Art, Gliosen, Porencephalie, Encephalitis, Zysten, Er¬ 
weichungen, Tumoren u. a. m.), ferner Traumen, die Lues und ver¬ 
schiedene toxische Schädlichkeiten (Alkohol, Blei) ebenso w-ie durch 
das Senium bedingte Veränderungen sowie die Reflexepilepsie und 
schliesslich Stoffwechselstörungen (Diabetes, Rhachitis. Urämie) genau 
den gleichen Krampfanfall hervorrufen, wie er der Epilepsie als Patho- 
gnostikum lange Zeit galt. Bei der sog. genuinen Epilepsie 
spielen jedoch alle die erwähnten ätiologischen 
Faktoren keine kram pfauslösende Rolle, wenn wir die 
Epilepsie streng als genuine im Sinne obiger Einschränkung, die der 
B i ns w a n ge r’schen Definition entspricht, fassen wollen. Bei der 
Epilepsie spielen aber noch ungekannte Vorgänge, von denen die Pa- 



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Ober den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


687 


tho-Chemie vielleicht noch vor der pathologischen Anatomie den her¬ 
vorragendsten Anteil hat, eine Rolle. Diesen nun nachzugehen, eignet 
sich jedoch nicht die periparoxysmale Zeit, d. h. die Zeit kurz vor oder 
nach einem Krampfanfall, sondern im Gegenteil die interparoxysmalen 
Abschnitte. Wir wissen, dass der Krampfanfall beim Epileptiker 
oft eine wohltuende Entladung (wie sie Schröder, van der 
Kolk und Jackson nennen) darstellt, eine Befreiung von einem 
undefinierbaren Unbehagen, das ja in der Aura den prägnantesten Aus¬ 
druck findet, dessen Wohltat so häufig die mit Brom behandelten Epi¬ 
leptiker vermissen und ersehnen, bei welchen das Brom zwar die 
Anfälle verringert, ja zum Verschwinden bringen kann, aber die be¬ 
drückenden Sensationen nicht nimmt. Andererseits hat man nach dem 
Aussetzen von Krampfanfällen eine Verschlimmerung der psychischen 
Symptome beobachtet. 

Die das Gehirn treffenden, z. T. ihrer Natur nach gänzlich unbe¬ 
kannten epileptischen Reize haben mithin diese beiden Formen der 
Entladung. Die durch Krampfanfälle sich charakterisierende ist durch 
psychisch freie Intervalle oft ausgezeichnet und somit auch im sozialen 
Sinne günstiger zu beurteilen. 

Wir werden mithin bei Epileptikern mit mehr psychischer AJteration 
nach den Ursachen, sofern sie stofflicher Art sind, nicht gelegent¬ 
licher, vorher nicht annähernd genau bestimmbarer Krampfzustände 
zu suchen haben, sondern durch systematisch fortlaufend 
innerhalb grösserer Zeiträume durchgeführte Bestimmungen der Haupt¬ 
komponenten des Stoffwechsels in die Aetiologie einzudringen suchen. 

Bei Epileptikern mit psychisch freien interparoxysmalen Zeiten 
hingegen wird die Zeit vor dem Anfall, der ja hier wahrscheinlich nur die 
Reaktion auf die Kumulierung der schädlichen Produkte darstellt, 
die meisten Chancen für unsere Zwecke bieten. 

Was an praktischen Ergebnissen bisher vorliegt, ist gering und 
nur wenig scheint der Kritik standhalten zu können. 

Allers*) hat in der schon erwähnten Arbeit sich der ver¬ 
dienstvollen Mühe unterzogen, das ältere Material kritisch zu sichten. 
Vor allem verdienen die neueren Arbeiten näheres Eingehen. 

Auf eine Kritik der Methoden glaube ich umsomehr verzichten zu 
können, da A 11 e r s in auch von anderer Seite anerkannter Objektivität 
und kritischer Vorsicht die älteren Resultate auf ihren tatsächlichen 
Wert geprüft hat. 

An Anfallstagen und zwar nach den Anfällen ist die Urinab- 
sonderung in schweren Fällen besonders gesteigert, wodurch infolge der 
Wasserentziehung eine Oligurie in den folgenden Tagen hervorgerufen 
wird, die in ihrem Minus gegen die Norm dem Plus der Polyurie ent¬ 
spricht. 

In manchen Fällen besteht eine Steigerung des spezifischen Ge¬ 
wichtes. Der postparoxysmal ausgeschiedene Urin zeigt nach überein¬ 
stimmenden Ansichten fast stets Albuinen, bis zur Menge von 1 °/ (M , 
daneben oft zahlreiche granulierte Zylinder, die meist gleichzeitig mit 
dem Eiw r eiss wieder verschwinden. 

Diese Zylinderurie habe ich in 8 Fällen bestätigen können. Es 
handelte sich um Fälle einer genuinen Epilepsie, die alle seit den ersten 
Lebensdezennien unter Beobachtung bezw. Anstaltsbehandlung standen. 
Der kurz nach dem Anfall entnommene Urin zeigte nur einmal eine 


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688 


Geissler, 


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schwache positive Ringprobe, bei 5 war sogar die Kochprobe ausge¬ 
sprochen positiv und Essbach */ 4 —V« %o- 

Im Urin eines Epileptikers mit einem Status von 2 —3 Fällen 
jeden 3. Tag gab die einige Stunden nach dem letzten Anfall gewonnene 
Harnmenge einen Eiweissniederschlag von über , / 4 # / 0o , der bis auf '/, °/ ua 
am dritten Tag herabging; einige Stunden nach der letzten Messung 
setzten wieder Anfälle ein mit meist gleich hoher Eiweissausscheidung, 
die als gelegentlichen Befund Hyalin-Zylinder in mässiger Menge zeigten. 
Der Patient scheidet demnach ständig Eiweiss aus. Wie lange diese 
Albuminurie bestand, liess sich nicht feststellen. Es bestehen Zweifel, 
ob im vorliegenden Falle eine Nephritis vorlag oder ob die Eiweiss¬ 
ausscheidung keine renale war, sondern wie es auch Rhode und 
A 11 e r s beobachteten, nur eine der vielen bisher unaufgeklärten Phä¬ 
nomene der Epilepsie. 

Man wird gut tun, bei einem Epileptiker mit der Diagnose einer 
Nephritis, auch wenn eine Zylinderurie besteht, vorsichtig zu sein und 
fortlaufend zu untersuchen, falls die klinischen Erscheinungen den 
Zweifel nicht sofort beantworten. 

R hode beobachtete ferner bei seinen Untersuchungen auch die 
Neigung des epileptischen Organismus Stickstoff zu retinieren 
und zwar scheint die Menge des retinierten Stickstoffs ungefähr pro¬ 
portional der Schwere der Erkrankung zu sein. 

Das Minimum erreicht die StickstofTausscheidung kurz vor den 
Anfällen und hat gegen das Ende des Anfalles zu ihren Höhepunkt. 
Sie hält noch etwa einen Tag nach Schluss der Anfälle an und sinkt 
dann ab. Hauptsächlich findet man diese Stick¬ 
stoffanomalie bei schweren Anfällen, vor allem 
beim Status epilepticus. 

Nach R h o d e s Untersuchungen handelt es sich um eine echte 
Zurückhaltung von stickstoffhaltigen Nahrungsmitteln. Eine Ver¬ 
mehrung des Reststickstoffes, d. h. des nach Ausfällen der 
Eiweissverbindungen und des in diesen enthaltenen Stickstoffes noch 
im Blute vorhandenen,' nicht an Eiweiss gebundenen Stickstoffes, 
scheint nach Rhode nach dem Anfall zu bestehen. 

Wie A1 1 e r s ebenfalls hervorhebt, besitzt diese Beobachtung 
ein gewisses praktisches Interesse bezüglich der Differentialdiagnose 
zwischen Epilepsie und Urämie, die man während der, beiden Krank¬ 
heiten gemeinsamen Anfallsserien, nicht immer differenzieren kann, 
zumal wenn eine Spätepilepsie vorliegt oder es sich um eine Kranken¬ 
aufnahme unbekannter Krampfursache handelt. Do Albumen und 
Zylinder bei und nach Krämpfen sowohl für eine Nephritis, bezw. ne¬ 
phrogene Intoxikation, wie für Epilepsie verwertet werden können, 
wie wir oben sahen, ebenso auch eine geringe Vermehrung des Rest- 
stickstoffes im Blute, so kann man beide Befunde einzeln oder kom¬ 
biniert nur während der anfalls freien Periode für eine durch eine 
Nierenaffektion bedingte Intoxikation, d. h. Urämie sprechen lassen. 

Bevor wir auf die Rolle der Harnsäure im Organismus der 
Epileptiker eingehen, möchte ich kurz des Befundes des Kreatinin, 
einer Vorstufe des Harnstoffs, bei Psychosen gedenken. 

In Uebereinstimmung mit Fol in hat Wallis 28 ) bei patho¬ 
logischen Prozessen speziell bei Psychosen die Kreatininmengen des 
Harns, die in geringen Mengen im Urin physiologisch sind, als subnormal 



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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


689 ' 


gefunden. Jedoch gehen beobachtete Schwankungen des Kreatinin 
nicht mit den Veränderungen des klinischen Bildes parallel. 

Eine Bestätigung haben diese Befunde von anderer Seite bisher 
nicht gefunden. 

Für die Anomalien der StickstolTverarbeitung hat R ose nt h a I 
in einer ebenso geistreichen wie exakten Arbeit eine Erklärung zu 
geben versucht. Er hat die Fähigkeit des Serums, den intermediären 
Eiweissabbau zu bewältigen, geprüft und gefunden, dass durch das 
Auftreten von antiproteolytischen Sufistanzen in gewissen Seris zu 
gewissen Zeiten Schwankungen und Störungen vorliegen. 

Er wies nach, dass: 

1. nach der Berechnung aller Befunde bei der Epilepsie ohne Rück¬ 
sicht auf die Beziehung jedes einzelnen zu den Anfällen, ungefähr hei 
der Hälfte der epileptischen Sera ein erhöhter Gehalt der antiprot en- 
lytischen Substanzen besteht; 

2. dass das präparoxysmale Stadium sich meistens durch eine 
deutliche Vermehrung dieser artitryptischen Kraft kennzeichnet und 
nach dem Anfall sich niedere Werte des Hemmungsvermögens finden;. 

3. dass während der interparoxysmalen Phase gewöhnlich nur eine 
geringe Erhöhung der antiproteolvtisrhen Kraft, in manchen Fällen 
sogar ein vollkommen normales Verhalten derselben bestellt; 

4. eine bedeutende Steigerung des antiproteolytischen Hemmungs¬ 
vermögens bei den Epileptikern vor der Periode, wenn auch die An¬ 
fälle während derselben nicht eintreten, beobachtet werden kann; 

5. die prämenstruelle Erhöhung der antiproteolytischen Kraft in 
geringerem Grade auch bei den normalen weiblichen Personen besteht: 

6. der Krampfanfall eine vorübergehende Vermehrung c!er anti¬ 
proteolytischen Substanzen, welche von der Intensität der gesteigerten 
Muskeltätigkeit abhängig, und demnach äusserst wechselnd ist und 
rasch verschwindet, hervorruft. 

Vergleichen wir die Beobachtungen von Rhode und Rosen¬ 
thals Untersuchungen, so sind wir versucht, beide Erscheinungen im 
Einklang zu bringen in dem Sinne, dass wir das erhöhte Hemmungsver¬ 
mögen des Serums des Epileptikers vor dem Anfall als den Ausdruck 
des herabgesetzten Vermögens den Eiweissabbau zu bewältigen, an¬ 
sprechen können. 

In gleicher Weise würde dann die leichte StickstofTretention mit 
der geringen Vermehrung der antiproteolytischen Kraft in der anfalls¬ 
freien Zeit und die vermehrte Ausscheidung des Stickstoffs mit der 
Verringerung der antiproteolytischcn nach dem Anfall in Parallele zu 
setzen sein. Damit wäre aber nach Rosenthal eine Störung der 
Selbstregulation der proteolytischen Organfermente resp. eine Störung 
der inneren Sekretion gegeben. 

Eine physiologische Analogie ist nach Schräders 30 ) Untersuchun¬ 
gen in der prämenstruellen Zeit beim Weibe vorhanden und ist auch 
bei der Paralyse von Rosenthal und andererseits von .1 a c h 31 ) 
beobachtet worden. 

Rosenthal präzisierte seine Resultate in die Hypothese: 

„Wir dürfen das erhöhte Hemmungsvermögen des Blutserums der 
fermentativen Proteolyse gegenüber als den Ausdruck einer Hypo¬ 
funktion der den intermediären EiweissstofTwechsel auf dem Wege 
der inneren Sekretion befördernden Momente ansehen.“ 

Diese Deduktionen haben, da sie sich auf eine grössere Reihe ein- 

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'690 Geissler, Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 

wand freier Untersuchungen stützen, viel Bestechendes an sich — zumal 
G 1 a u d e und Schmiergeld 32 ) anatomische Veränderungen (dif¬ 
fuse Sklerose) in verschiedenen Blutdrüsen fanden (Schild- und Neben¬ 
schilddrüse) — und scheinen uns einen neuen Weg in der Erklärung 
des StickstofTabbaues zu weisen. Sie sind jedoch noch nicht zu verall¬ 
gemeinern, bis auch von weiteren Forschern grössere Reihen von Be¬ 
stätigungen vorliegen. 

Ich möchte das an regellosen Tatsachen und Befunden so 
reiche Kapitel der Epilepsie nicht verlassen, ohne zur Frage der Toxi¬ 
zität des Epileptiker bl utes Stellung zu nehmen. 

Von französischen Forschern, namentlich Merie, sowie von 
K o rin s k i . Bin s w a n g e r, Meyer, Juschtschenko 
u. a. sind mehr oder weniger ausgedehnte Versuche angestellt worden, 
um die Toxizität des Epileptikerblutes zu beweisen und ihr Wesen zu 
ergründen. 

K r a i n s k i (1. c.) will durch Injektion von Epileptikerblut bei 
Kaninchen Krampfanfälle hervorgerufen haben, Binswanger ”) 
konnte eine Bestätigung nicht erbringen. 

J uschtschenko 3< ) untersuchte ausser bei Epilepsie noch 
bei anderen Psychosen den urotoxisehen Koeffizient und fand dafür 
Zahlen, deren Aufzählung ich mir wegen der absurden Ungeheuerlich¬ 
keit erspare. 

In letzter Zeit hat Meyer 35 ) das toxische Verhalten des Blutes 
Epileptischer studiert. 

Er injizierte defibriniertes Blut, epileptischen Kranken im Anfall 
und in anfallsfreien Zeiten entnommen, in einer Menge von 1Ü—15 ccm 
Meerschweinchen intraperitoneal mit den üblichen KontrolJversuchen. 

Von 11 mit Normalblut behandelten ging eins unter Krämpfen 
ein, die übrigen zeigten keine Erscheinungen. 

Von 10 Tieren, denen Anfallsblut injiziert wurde, bekamen neun 
Krämpfe. 

Blut aus anfallsfreien Zeiten zeitigte bald Krämpfe mit Exitus, 
teils keine Erscheinungen. 

Dieselben Tiere wurden zum zweiten Male mit der gleichen oder 
grösseren Dosis behandelt; davon zeigten 3 Tiere, mit anfallsfreiem 
Blut gespritzt, keine Erscheinungen, an 10 Tieren, die Anfallsblut bei 
der zweiten Injektion bekamen, zeigten 6 keine Reaktion, 4 schwächere. 

I c h habe selbst eint* grössere Reihe ähnlicher Versuche an Meer¬ 
schweinchen und Kaninchen vorgenomrnen, allerdings aus einem andern 
Grunde, nämlich zur Auslösung von Eiweiss-Antikörpern. 

Weder mit Anfallsblut noch mit anfallsfreiem ist es mir gelungen, 
ein verwendbares Resultat zu erzielen. Bald erfolgten Krämpfe auf 
Normal-Blutinjektion, bald auf Anfallsblut, bald keine auf solches, 
kurz, ich konnte, wie auch Binswanger, keinen Beweis darin er¬ 
blicken. dass dem Epileptikerblut eine toxische Eigenschaft innewohnt, 
die von krampferregender Wirkung ist. 

Ich muss mich jedoch wundern, dass bei der vorgeschrittenen Wissen¬ 
schaft der Immunitätsreaktionen derartigen Versuchen noch wissen¬ 
schaftlicher Charakter beigelegt wird. Es handelt sich m. E. bei den 
Meyer’schen Versuchen und Resultaten nur um Erscheinungen der 
Anaphylaxie, der Reaktion gegen körperfremdes Blut bezw. Eiweiss. 
Dass von 11 mit anfallsfreiem Blute behandelten Tieren 9 ohne Re¬ 
aktionblieben, ist kein seltener Befund, ein Tier verendete an Krämpfen. 



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Referate und Besprechungen. 


691 


Die grosse Anzahl der mit Anfallblut behandelten, welche Krämpfe 
l>ekam, ist allerdings verwunderlich, jedoch noch kein Beweis für eine 
an das Blut gekettete Krampfursache. Auch kommt viel auf die Deu¬ 
tung, was man als Zuckung bezw. Krämpfe ansehen will oder nicht, an 

Viele Tiere mit interperitonealer Injektion zeigen bekanntlich nach 
einigen Stunden Zuckungen einzelner Extremitäten, auch nicht selten 
dos ganzen Körpers, namentlich wenn das injizierte Serum nicht 
Körperwärme aufwies (reflekt. Krämpfe usw.). 

Am deutlichsten spricht aber für meine Vermutung, die Beobach¬ 
tung dass bei der wiederholten Injektion mit Anfallsblut kein Tier 
starke und nur 4 eine schwächere Reaktion aufwiesen. 

Dvspnoe, Paresen, Temperaturerniedrigungen, Herzschwäche und 
Kr ämpfe sind wohlbekannte Erscheinungen der Anaphylaxie, an denen 
namentlich kleine Tiere, wie Meerschweinchen, nach solchen grossen 
Dosen (10—15 ccm!), namentlich wenn Serum und Blutkörperchen 
Injiziert werden, wie Meyer es tat, zu Grunde gehen. 

(Phänomen von Theobald Smith in Kolle-Wassermanns-Hand 
buch, Ergänzungsband II.) 

. Das Blut ist immer noch ein „ganz besonderer Saft“. Es lässt sich 
bei Injektion dieses so komplizierten Gebildes von Serum plus Blut¬ 
zellen die causa efficiens bei der erfolgten Versuchsanwendung nicht 
herausfinden! 

Ich muss daher mit B i n s w a n g e r und Kauffmann die 
Anschauung über die Toxizität und krampfauslösende Wirkung des 
Epileptikerblutes ablehnen. (Schluss des ersten Teiles folgt.) 


Referate und Besprechungen. 


Innere Medizin. 

v. Oelfel, Felix (N. York), Selen als Karzinomhellmittel. (N. Yorkor 
med. Monatsschr.) Febr. 1912. 

Wie allgemein bekannt sein dürfte, war es bisher unmöglich, dem 
Karzinom anders als chirurgisch intern beizukommen (Ref. erinnert nur 
an das Antimeristem von Schmidt-Köln), bis A. v. Wassermann, Franz Keyser 
und Michael Wassermann in der Deutsch, med. Wochenschr. 1911, Nr. 51, 
S. 2389 die Resultate ihrer Versuche mit einem Eosin-Selenpräparat ver¬ 
öffentlichten, welches bei Mäusen in voller Entwicklung begriffene Tumoren 
zur Resorption und, wenn sie nicht schon zu groß sind, auf dem Wege 
der Blutbahn zur Heilung bringen kann. Schlüsse auf die Wirkung des 
Präparats beim Menschen dürften jedoch daraus noch nicht gezogen werden. 
Nachdem nunmehr einer der Mitarbeiter v. Oefeles, Dr. Eugen G. Keßler, 
bereits im Januarheft der Newyorker med. Monatsschrift seine Erfahrungen 
über Selen als Krebsheilmittel veröffentlichte, das er schon seit mehr als 
1 1 / 2 Jahren an einer Reihe von Fällen angewendet hat, ergreift jetzt auch 
v. Oefele selbst im Februarheft genannter Zeitschrift das Wort, um in 
gewisser Beziehung seine Priorität gegenüber Wassermann zu wahren und 
zu zeigen, daß von verschiedenen Seiten gleichzeitig Selen als Krebsmittel 
vorgeschlagen wird und sogar unabhängig von und selbst vor Wassermann 
ziemlich zahlreiche Beobachtungen am Menschen gewonnen sind, so daß 
sich in inoperablen Fällen die Verwendung von Selenpräparaten am Kranken¬ 
bett rechtfertigt, während in operablen Fällen Operation und SelentheFapie 
kombiniert werden könne. Dabei erörtert v. Oefele die ganze Stellung des 

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692 Referate und Besprechungen. 

Selens in der Pharmakologie und Pathologie sowie die Indikationen und 
Dosierung. Peltzer. 

Einhorn, Bericht über 30 Tetanusfälle, (Inaug. Dissert. Straßburg 1911.) 

Die betreffenden Fälle kamen während 14 Jahre in der Straßburger 
chirurgischen Klinik zur Beobachtung. In einem Jahre sind acht Fälle 
innerhalb von 6 Monaten beobachtet worden. Eine Reihe unwesentlicher 
Angaben blieben in dem vorliegenden Referat unberücksichtigt. Die Wunde 
kam mit Erde, Staub, Heu, Getreide und Holz in Berührung. In 7 Fällen 
lagen komplizierte Frakturen, in drei Fällen Maschinenverletzungen, in je 
2 Fällen Holzsplitterverletzungen resp. tiefe Schnittwunden, in 5 Fällen 
tiefe Quetschwunden und nur in 3 Fällen oberflächliche Verletzungen vor. 
Weitere statistische Angaben betreffen den Transport, die Wundbehand¬ 
lung, den Anteil der Geschlechter (Männer: Weiber = 30:3), das Alter, 
die Beteiligung der verschiedenen Körperstellen, die Inkubationszeit. Die¬ 
selbe betrug in 62 o/o über eine Woche, bei 38 o/o unter einer Woche, in einem 
Falle betrug sie sogar nur einen Tag. Die Inkubationsdauer hängt von 
der Lokalisation der Wunden ab. Bei Kopf- und Oberarmverletzungen war 
dieselbe kürzer als nach mehr peripheren Verletzungen an den Fingern, 
Beinen und Füßen. Die Mortalität beziffert sich auf 60 °o. Von den acht 
Fällen, in denen die Symptome vor dem 9. Tage auftraten, starben 7 
(88 o«), von denen, die nach der ersten Woche erkrankten, nur 4 (30 ri o). 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Erskine, W. J. A., Asylum dysentery. (Anstaltsdysenterie.) (Journ. of 
mental science 1911. Bd. LVII. July.) 

Verfasser berichtet über eine größere Dysenterieepidemie in dem City 
asylum in Nottingham. Im ganzen kamen 46 Fälle vor, darunter 7 Todes¬ 
fälle, was einer Mortalität von 15 o/ 0 entspricht. Die Influenza ist als eine 
Ursache der Dysenterie zu erblicken. Verfasser äußert sich ausführlich über 
die Behandlung (Isolierung aller Influenzakranken!), die medikamentöse 
Therapie (Magnesiumsulfat), die diätetische Therapie und die Desinfektion, 
die von den bei Dysenterie sonst üblichen Maßnahmen nicht sonderlich ab¬ 
weichen. K. Boas-Straßburg i. E. 

Perdrau, J. R., Clinical aspert and frentement of asylum dysentery. (über 
die klinischen Erscheinnungen und dio Behandlung der Anstaitsdysenterie. 
(Journ. of mental. Science 1911. Bd. LVII. January). 

Anknüpfend an eine Dysenterieepidemie in dem Devon County Asylum 
bespricht Verfasser das zeitliche Auftreten, die Ätiologie, den Krankheits- 
verlauf, die Komplikation, Therapie und Diät der Erkrankung. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Martin, L. (Paris), Zur Diphtherie-Prognose. (Bullet, medical 1912. Nr. 16. 
S. 182—184.) 

Wir wissen, daß die Diphtherie — analog den übrigen Infektions¬ 
krankheiten — ihre Periode hat, und wir wissen des ferneren aus der 
Geschichte, daß schon wiederholt Diphtherie-Pandemien ihren Ausgang von 
Frankreich genommen haben. Nun gibt es ja viele vertrauensvolle Ge¬ 
müter, die da wähnen, mit der Diphtherieserum-Spritze jeden Ansturm ab- 
schlagen zu können. Aber andere sind skeptischer und erinnern sich daran, 
daß Zeiten, Menschen und Völker in ihren Konstitutionen wechseln. Solche 
Ärzte werden mit Aufmerksamkeit Diphtherie-Nachrichten von jenseits der 
Vogesen verfolgen, wie der Schiffer schon das kleinste, unscheinbare Wölk¬ 
chen am Horizont beachtet. 

Da ist es nun charakteristisch, daß L. Martin es für zeitgemäß hält, 
dem Satze des berühmten und gefeierten Kinderarztes Marfan: „En 
somme, il n’est pas temeraire d’avancer qu’une angine diphtörique commune, 
traitee assez tot par le serum, doit se terminer toujours par la guerison“ 
einige weniger siegesfrohe Striche beizufügen. Er erörtert die Ursachen, 
welche die Prognose dabei trüben, und führt da die genugsam bekannten 



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Referate und Besprechungen. 


693 


Momente an: falsche Diagnose, zu spätes Einspritzen, Komplikation mit 
Streptokokken, Masern, Scharlach, aktiver Tuberkulose; daneben aber auch 
la nature de l’epidemie. Mit diesem letzten Faktor lenkt er ersichtlich 
aus dem bakteriologisch-serologischen Fahrwasser wieder in das physio¬ 
logisch-klinische ein und schließt an die Erfahrungen berühmter Arzte wie 
z. B. Trosseau an: II semble qu’ ä differentes öpoques, la diphterie, 
comme les autres maladies öpidemiques, sevisse avec un genie particulier 
(Clinique medicale I, S. 359). Also Resume: Injizieren wir im gegebenen 
Falle möglichst viele Einheiten, aber seien wir nicht überrascht, wenn 
der Erfolg ausbleibt. Buttersack-Berlin. 

Spieß, G., Die Anwendung von Antistreptokokkenserum (Höchst) per os und 
lokal in Pulverform. (Deutsche med. Woch. 1912. Nr. 5.) 

Während es theoretisch fast unerklärlich scheint, daß ein Serum den 
Magen passieren soll, ohne seine Schutzstoffe zu verlieren, so zeigen die 
praktischen Erfahrungen, die Verfasser mit dem Höchster Antistreptokokken¬ 
serum gemacht hat, daß dies in der Tat der Fall ist. Notwendig ist dabei 
daß man das Serum so früh als möglich und in ausreichender Menge gibt. 
Verfasser gibt es sofort bei Beginn einer Angina zu 25 ccm mit Zusatz 
von Himbeersaft und sieht oft schon nach 6—8 Stunden die Temperatur 
zur Norm absinken; der volle Erfolg fehlt dort, wo es sich um Mischinfek¬ 
tionen handelt, oder wo die Virulenz der Keime für die Dosis zu stark ist. 
Auch lokal sieht man das Fehlen eines Weiterschreitens bezw. rasches Ab¬ 
klingen des Prozesses. Besonderen Wert mißt Verfasser der Serumbehand¬ 
lung bei denjenigen Fällen von Angina zu, die einem Gelenkrheumatismus 
vorangingen; gute Erfolge sieht man auch bei Erysipel und Otitis media. 
Verfasser ließ nun das Serum auch in Pulverform hersteilen, rührt es mit 
Wasser zu einem dicken Brei an und pinselte ihn in die Lakunen der 
Tonsillen ein; womöglich verbindet er die innere Darreichung mit der Lokal¬ 
applikation. Einblasung in die Nase zur Behandlung des Schnupfens nützen 
da, wo Streptokokken ihn verursachen; die Wirkung macht sich in der Weise 
bemerkbar, daß die Nase, die vorher stark sezernierte, rasch trocken wird; 
die Pulverung ist mehrmals zu wiederholen. Prophylaktische Anwendung 
hat keinen Sinn. Das Serum sollte in jedem Falle, in dem wir die Wirkung 
oder Mitbeteiligung von Streptokokken vermuten, gegeben werden, je früher, 
desto besser, lieber zehnmal umsonst als einmal zu spät; denn es ist bei 
dieser Art der Darreichung völlig unschädlich. M. Kaufmann. 

Herschell, The non surglcal treatment of duodenal ulcer. (London 1910. 
H. J. Glaisher. Editor. 55—57 Wigmore Street. W.) 

Bis vor nicht gar zu langer Zeit war die Diagnose eines Duodenalge¬ 
schwüres bei uns ein Kunststück. So kam es, daß das Ulcus duodeni 
neben dem Ulcus ventriculi nur ein höchst bescheidenes Dasein führte 
und meist erst bei der Sektion als solches erkannt wurde. Namentlich 
durch die beiden Mayos, die serienweise Duodenalgeschwüre diagnostizier¬ 
ten und operierten, wurde die Fabel von der Seltenheit und Undiagnostizier- 
barkeit, die lange genug, selbst in den Köpfen namhafter Spezialisten ge¬ 
spukt hatte, zerstört. Die letzten Jahre brachten nun zahlreiche, nament¬ 
lich der Differentialdiagnose gegenüber dem Ulcus ventriculi gewidmete 
Arbeiten klinischen Inhalts. Wie das neueste Heft des Archivs für Verdauungs¬ 
krankheiten mitteilt, ist auf Anregung des Erlanger Klinikers P e n z o 1 d t 
und der dortigen pathologischen Anatomen Hauser und Merkel eine 
Sammelforschung über die Häufigkeit de6 Ulcus ventriculi im Gange. Die 
Therapie, soweit man von einer solchen überhaupt reden durfte, war natur¬ 
gemäß eine operative, so daß das Duodenalgeschwür wieder eine der „chirurgi¬ 
schen“ Krankheiten ist, die der inneren Medizin leider Gottes in steigender 
Zahl entrissen werden. Und doch zeigt die vorliegende Arbeit, daß die 
interne Therapie absolut nicht so machtlos ist, wie oft von den Chirurgen 
behauptet worden ist. Aus den Ausführungen des Verfassers geht im Gegen¬ 
teil hervot, daß sich relativ viel medikamentös und diätetisch anfangen 


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694 


Referate und Besprechungen. 


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läßt. Wie der interne Heilplan aufzustellen ist, darüber gibt uns der Aufsatz 
in sachgemäßer Weise Auskunft. K. Boas-Straßburg i. E. 

Meist, Alfred (Wien), Zur Pathogenese der Magendarmneurosen. (Wiener 
klin. Rundschau 1911, Nr. 22—24.) 

Uni die Genesis der Magen- und Darmneurosen zu erforschen, nimmt 
der Verfasser zwei Momente zur Hilfe: die Pawlowschen Versuche am 
Hunde und Sigmund Freuds Psychoanalyse. Seine Erwägungen 
führen ihn zu folgenden Schlüssen: Die nervösen Störungen des Magens 
und Darmes sind in den meisten Fällen entweder psychogenen oder reflek¬ 
torischen Ursprungs. Als Neurosen toxischen Ursprungs können die Idiosyn¬ 
krasien gegen gewisse Speisen bezeichnet werden. Bei einer großen Zahl 
nervöser Magendarmstörungen konnte festgestellt werden, daß die Er¬ 
scheinungen auf reflektorischem Wege hervorgerufen waren und zwar von 
anderen erkrankten Organen des Abdomens aus: Magenwand, Darm, Leber. 
Niere, Uterus, Harnröhre usw. Zu dieser Kategorie rechnet der Verfasser 
auch die Hyperemesis gravidarum. Gar nicht selten liegt die Ursache der 
funktionellen Magenstörung im Darmtrakte. Besonders Flatulenz und Obstipa¬ 
tion ziehen das Auftreten nervöser Magensymptome nach sich. — Zum 
Schluß gibt der Verfasser zwei nach der Freudschen Methode aufgeklärte 
Fälle zum besten und hofft damit zur Entwicklung einer kausalen Therapie 
der Magen-Darmneurosen ein Scherflein beigetragen zu haben. 

Steyerthal-Kleinen. 

Eppinger und v. Noorden jr. (Wien), Zur Therapie der Basedowschen Diarrhoen. 
(Internationale Beiträge zur Pathologie und Therapie der Ernährungsstörungen, 
Bd. 2, Heft 1.) 

Es ist anzunehmen, daß viele nervöse Diarrhoen einschließlich jener 
der Basedowschen Krankheit und Morbus Addisoni, auf autonome Rei¬ 
zung zurückzuführen sind und sich durch rektale Applikation von Adrenalin 
günstig beeinflussen lassen. K. Boas-Straßburg i. E. 

Bäumler, Ch. (Freiburg i/Br.), Über die Diagnose und Behandlung der 
Leberzirrhose. (Deutsche med. Woch. 1912. Nr. 6.) 

Die Leberzirrhose, als solche meist schon das Endstadium von vor 
allem durch länger anhaltende Giftwirkungen (insbesondere durch Alkohol), 
dann auch durch akute und chronische Infektionskrankheiten, endlich auch 
durch chronische Gallen- oder durch chronische Blutstauung vom Herzen 
her an den Leberzellen hervorgerufenen Schädigungen, stellt dem Arzt 
sehr wichtige und mannigfaltige prophylaktische Aufgaben. 

Das Krankheitsbild, das hauptsächlich durch Erscheinungen der Rück¬ 
stauung des Blutes nach den Pfortaderwurzeln gekennzeichnet ist, kann 
auch durch andere Erkrankungen, die sekundär die Leber oder den Pfort¬ 
aderstamm in Mitleidenschaft ziehen (auch Peritonitis verschiedener Form, 
insbesondere tuberkulöse, die auch ihrerseits nicht selten erst nachträglich 
zu bereits bestehender, anderweitig entstandener Leberzirrhose hinzutreten 
kann), hervorgerufen werden. Möglichst genaue Unterscheidung, sowie mög¬ 
lichst genaue Feststellung der Bedeutung, welche verschiedenen gleich¬ 
zeitig nachweisbaren Organerkrankungen im Krankheitsbilde zukommt, ist 
für die Behandlung solcher Kranken von allergrößter Wichtigkeit. 

In allen Stadien spielt die diätetische Behandlung und die Regelung 
der Darmtätigkeit eine besonders wichtige Rolle. 

Sind bereits Erscheinungen einer erheblichen Pfortaderstauung (haupt¬ 
sächlich Aszites) vorhanden, so ist neben der durch die Besonderheiten 
des Falles gebotenen kausalen Behandlung zu versuchen, durch Diuretika 
den Aszites zu beseitigen; ist dies nicht erreichbar, durch Punktion ihn zu 
entleeren und durch diese Entlastung die Zirkulation- und Ernähruugsver- 
fiältnisse zu bessern und Zeit für die spontane Ausbildung kollateraler 
Ausgleichsbahnen zu gewinnen. Bei ständiger Wiederkehr des Aszites nicht 
zu spät Talmasche Operation. Bei Gallenstauung, durch Gallensteine oder 
sonstwie entstandener Cholangitis und Versagen der zur Beseitigung des Ikterus 



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Referate und Besprechungen. 


695 

angewandten Behandlung operative Entfernung von Gallensteinen oder, wo 
solche nicht vorhanden, Ableiten der Galle in den Darm oder nach (außen 
durch entsprechende Operation. 

Besondere Erscheinungen, wie Blutungen, Durchfälle, Fieber, Schmerzen 
usw., ebenso alle Komplikationen, sind in entsprechender Weise zu be¬ 
handeln. (Zusammenfassung des Verfassers.) M. Kaufmann. 

* Cannon, W. B., Shol, A. T. und Wricht, W. S., Emotional glycosuria. 
(Emotionsglykosurie.) (American Journ. of Physiology 1911. Bd. XXIX. 

Die Versuche der Verfasser an Katzen ergab, daß die Tiere auf 
Freude oder Zorn mit einer Glykosurie reagieren. Andere Momente spielen 
dabei keine Rolle. Die Menge des Zuckers im Urin pro Kilo Körpergewicht 
während der 24 Stunden, in denen die Versuchstiere den Reizen ausge¬ 
setzt wurden, überstieg 0,26 mg. Sie betrug im Höchstfälle 0,62 mg. 
Die Emotionsglykosurie ist auf eine Hyperglykämie zurückzuführen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Mirowsky, M.. Über Wasserretention bei den Halerkuren der Diabetiker. 

(Deutsche meid. Woch. 1912. No. 10.) 

Die Untersuchungen des Verfassers ergaben, daß Natrium bicarbonicum 
an sich nicht zu Wasserretention führt; die Wasserretention bei den Diabeti¬ 
kern ist vielmehr streng an die Hafer- bzw. Weizenmehlzufuhr gebunden. 
Bei Nichtdiabetikern ist dagegen die einfache Haferkur ohne Einfluß auf 
den Wasserhaushalt des Körpers; auch eine Haferkur mit Zulage von täglich 
30 g Natr. bicarb. führt nicht zur Wasserretention; Zulage von Natr. bicarb. 
bei einer gemischten Diät kann allerdings mitunter zu einer geringen, vorüber¬ 
gehenden Wasserretention führen. Ein Knabe mit Diabetes insipidus verhielt 
sich wie ein Normalindividuum. Es besteht offenbar eine spezielle Gewebs- 
oder Gefäßdisposition des Diabetikers zu Wasserretention; wahrscheinlich 
bestehen aber auch engere Beziehungen zwischen Kohlehydraten und Wasser¬ 
retention. M. Kaufmann. 

Schilling (Leipzig), Dystopie der Niere, bewegliche Niere, Wanderniere. 
(Deutsche Ärzte-Zeitung 1912. Heft 3.) 

Nach dieser Arbeit ist es fehlerhaft schon von Wanderniere zu sprechen, 
sobald bei einer Patientin der untere Pol einer Niere bei tiefer Inspiration 
zu fühlen ist, pathologische Verhältnisse liegen erst dann vor, wenn die 
ganze oder fast die ganze Niere frei vorliegt und in der Lendengiegend 
oder im Becken, zumal im kleinen, oder im Mesogastrium palpiert werden 
kann. 

Die Renoptose hängt eng mit der Enteroptose zusammen — es ist 
nicht erwiesen, was das primäre ist, vielleicht die Gastroptose. Im allge¬ 
meinen ist für die Fixierung der Niere die Größe des Rippenwinkels ma߬ 
gebend, der eine breite oder schmale Nische dem der Len.denmuskulatur 
aufgelagerten Organ läßt. In zweiter Linie kommen dann erst Raum¬ 
beengung durch vergrößerte Nachbarorgane, Herabtreten des Zwerchfells 
durch Emphysem oder Pleuraexsudate und Erschlaffung der Bauchmuskulatur. 

Das Verhältnis des Vorkommens der Renoptose bei Männern und Frauen 
ist 1 :20. Dabei ist die rechte in 81 o/o, die linke in 12 o/o und beide 
in 7 o/o beteiligt. Außer dem Herabsinken tritt auch eine Verschiebung 
nach der Mitte der Wirbelsäule zu, ein, auch Achsendrehungen des Organs 
in mannigfacher Richtung kommt vor. 

Bei der angeborenen Dystopie sei nur das Vorkommen der Hufeisen¬ 
niere sowie dreier Nieren erwähnt. 

Das häufigere Vorkommen der rechten Niere als Wanderniere erklärt 
sich aus dem Darüberlagern der mit dem Zwerchfell sich verschiebenden 
Leber, ihren wenigen starken Fixationssträngen des Peritoneums und des 
Bindegewebes, und Abhängigkeit von Magenfüllungszuständen. 

Zur Erleichterung der Untersuchung dient manchmal Seitenlage,. Knie¬ 
ellenbogenlage usw. 


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690 Referate und Besprechungen. 

Differentialdiagnostisch kommen Tumoren, Leberschnürlappen, Gallen¬ 
blase usvv., seltener Wandermilz, Netzgeschwülste, Ovarialzysten, Appendi¬ 
zitis usw. in Frage. Ja es sind Verwechslungen mit Tubarschwangerschaft 
vorgekommen. 

Die Beschwerden, welche eine Wanderniere bereitet, sind sehr ver¬ 
schieden stark, man muß dabei immer bedenken, daß auch meist eine 
Enteroptose damit verbunden ist. Besteht eine Knickung des Ureters, so sind 
die Beschwerden natürlich erheblich stärker, zumal, wenn intermittierend 
Hydronephrose auftritt. 

Ob durch Druck der Niere auf den Zystikus und Choledochus Ikterus 
auftreten kann, ist nicht sicher — dagegen kann die ins kleine Becken 
dislozierte Niere ein relatives Geburtshindernis abgeben. 

Die Therapie besteht bei Enteroptose, Unterernährung usw. in geeigneter 
allmählich gesteigerter Kost, bei schlaffen Bauchdecken in Tragen einer 
elastischen Binde — wie der Verfasser empfiehlt — ohne Pelotte. In 
äußersten Fällen kommt Operation in Frage: Nephroraphie, doch sind dabei 
noch 26 o/o Todesfälle. Schütze-Darmstadt. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Haudek, Max (Wien), Moderne Behandlungsmethoden der Frakturen. (Wiener 
klin. Rundschau 1911, Nr. 19—22.) 

Wer eine größere Zahl Unfallverletzter zu kontrollieren hat, wird sich 
der Erwägung nicht verschließen können, daß die Behandlung anatomisch 
betrachtet günstige Resultate liefert, quoad funktionem aber um so schlech¬ 
tere. Mit Recht empfiehlt daher der Verfasser die funktionellen 
Störungen schon während der Behandlung der Fraktur 
selbst in Angriff zu nehmen. Bisher hat man die Immobilisie¬ 
rung des gebrochenen Knochens als das wichtigste Prinzip betrachtet, um 
die Störungen, die dabei auftreten, hat man sich weniger gekümmert. Muskel¬ 
atrophien, Kontrakturen, Verwachsungen der Sehnenscheiden und Gelenke, 
bleibende Gelenkschwellungen und ähnliches sind bei dieser Therapie die 
üblichen Nebenerscheinungen. — Demgegenüber empfiehlt Verfasser mög¬ 
lichst frühzeitige Anwendung von Massage und Bewegun¬ 
gen, dadurch werden die Zerfallsprodukte schneller resorbiert und gleich¬ 
zeitig wird die Kallusbildung angeregt. Ebenso beugt man Gelenkverstei¬ 
fungen und Muskelatrophien vor. Obwohl schon eine Reihe von Publika¬ 
tionen und statistischen Nachweisen über die Erfolge des Verfahrens vor¬ 
liegen, ist die allgemeine Anwendung noch eine außerordentlich beschränkte. 
Die feststellenden Verbände brauchen nicht ganz ausgeschaltet zu werden, 
vielmehr läßt sich die alte Methode mit der funktionellen, je nach Lage des 
Falles, kombinieren. Diejenigen Frakturen, welche wenig Neigung zur Dislo¬ 
kation haben, eignen sich am besten für das Verfahren. — Der Ver¬ 
fasser beschreibt alsdann die Behandlung eingehend bei den verschiedenen 
einzelnen Knochenbrüchen. Steyerthal-Kleinen. 

Doberer (Linz), Zur Technik und Kasuistik der Epilepsieoperationen. 

(Wiener klin, Woch. 1912. Nr. 10.) 

Verfasser versuchte ein dem Winkelmannschen Verfahren bei der Opera¬ 
tion der Hydrokele analoges Umstülpungsverfahren, um einem plötzlichen 
Anwachsen der Spannung infolge Vermehrung der Flüssigkeit im Subdural¬ 
raum dadurch vorzubeugen, daß letztere beständig durch die Venae diploicae 
aufgenommen und weggeschafft würde. Die Dura wird kreuzweise inzi- 
diert, so daß 4 dreieckige Durazipfel entstehen. Diese werden an ihrer 
Basis umgebogen und mit der Innenseite nach außen unter gleichzeitiger 
Ablösung der Dura vom Knochen unter denselben geschoben. Hierauf wird 
der Knochendeckel an seine Stelle zurückgebracht; ein Hammerschlag auf 
denselben genügt, um ihn exakt einzupassen und mit denkbar geringster 
Kallusbildung einheilen zu lassen. Die Wundränder des Knochenlappens 
liegen jetzt auf der nach außen umgestülpten und mit Plattenepithel über- 



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Referate and Besprechungen. 


69 T 


zogenen Innenfläche der Durazipfel auf, wodurch letztere in ihrer umge¬ 
stülpten Lage erhalten bleiben, und auch voraussichtlich keine Verwachsung 
■des Knochens mit der Dura an dieser Stelle eintritt. Gegenüber dem 
Knochenlappen liegt die viereckige, von der Dura befreite und unver¬ 
sehrt gebliebene Arachnoidea; keine Ligatur und keine Naht bleibt als 
Fremdkörper in der Schädelhöhle zurück. In 5 auf diese Weise operierten 
Fällen erwies sich die Methode, soweit man bei einer Trepanation davon 
sprechen kann, als gefahrlos. Beim Entfernen der Nähte am 6. Tage 
war nicht nur gute Wundheilung, sondern auch gutes Allgemeinbefinden 
zu verzeichnen. Was die Erfolge anlangt, so ist, soweit die Kürze der 
Zeit ein Urteil erlaubt, 1 Fall bis jetzt geheilt, 3 wesentlich, einer un¬ 
wesentlich gebessert. M. Kaufmann. 

v. Biehler, Waclav (Warschau), Metallfermente und ihre Verwendung in der 
Chirurgie. (Wiener klin. Rundschau 1911, Nr. 43 u. 44.) 

Ebenso wie es organische Fermente gibt, so gibt es auch anorganische 
mit den gleichen Reaktionen, die sog. kolloidalen Metalle. Als Kolloide 
bezeichnet man Körper, die schwer durch tierische Membranen diffundieren. 
Ein Metall befindet sich in kolloidalem Zustande, wenn es durch den elektri¬ 
schen Funken im Wasser oder einer anderen Flüssigkeit fein zerstäubt 
wurde. Das Kollargol Crede ist eine auf chemischen Wege hergestellte 
Lösung von kolloidalem Silber, doch glaubt der Verfasser beweisen zu 
können, daß nur die elektrisch produzierten Metalllösungen den organischen 
Fermenten au Wirkung gleichkommen. Er hat im ganzen dreizehn Fälle 
mit kolloidalem Silber behandelt und zwar wurde das Ferment, genau wie 
es beim Diphtherieserum geschieht, unter die Haut des Bauches oder der 
Seiten eingespritzt. In vier Fällen von Appendizitis war die Wirkung eine 
günstige, ebenso war es bei 5 Fällen von Mastitis, die z. B. mit kolloidalem 
Golde behandelt wurden. Bei Karzinom trat nur eine vorübergehende Besse¬ 
rung ein. — Der Verfasser gibt zu, daß er nicht immer ermunternde Erfolge 
zu verzeichnen.gehabt habe, doch glaubt er, daß die therapeutische Wirkung 
der Metallfermente eine sehr große sei und daß sie uns noch gute Dienste 
leisten werden. Steyerthal-Kleinen. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Thomas, E. (Genf). La Psychotherapie dans ia pratique m&licale; son 
champ d’action; ses limltes. (Revue möd. de la Suisse romande, XXXII. 
Jahrg. 1912. Nr. 3. S. 221—234.) 

Philosophische Systeme und Ideen brauchen erfahrungsgemäß lange 
Zeiten, bis sie, gewissermaßen von der Spitze aus, die Pyramide der 
Menschheit bis auf ihre Basis durchdringen. Die heutige Kultur-Menschheit 
ist vom Kartesianismus durchtränkt, infiziert könnte man sagen; und die 
Irrtümer dieses großen Mannes kommen um so mehr zum Vorschein, je 
größer und je differenzierter die Zahl seiner Anhänger ist. In seinem 
Kopfe — in der Spitze der Pyramide — war die Trennung des Körper¬ 
lichen und des Geistigen naturgemäß noch nicht so scharf, als heute 
zwischen den sog. Natur- und den Geisteswissenschaften. Aber Irrtümer 
streben nach Richtigstellung, wie Dissonanzen nach Auflösung, und diesem 
Streben begegnen wir schon bei den ersten Cartesius-Schülern G e u 1 i n x 
und Malebranche, wie in unserer Zeit, wenngleich natürlich jeweils 
in anderer Weise. 

Eine derartige Etappe stellt der Vortrag von Thomas dar. Sein 
Grundgedanke ist etwa dieser, daß isolierte, rein organische Erkrankungen 
nicht möglich sind, daß sie vielmehr immer, mehr oder weniger, auf das 
Nervensystem zurückwirken und demgemäß von hier aus auch beeinflu߬ 
bar sind. Die nervös-psychische Komponente in diesen Krankheitsbildern 
kommt in folgenden Zügen zum Vorschein: a) Mißverhältnis zwischen sub¬ 
jektiven Beschwerden und objektivem Befund, b) Wechsel der Leistungs¬ 
fähigkeit; deren Zunahme unter der Wirkung psychischer Stimulantien. 


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698 Referate und Besprechungen. 

c) Furcht und Verzagtheit d) Suggestibilität. e) Egozentrische Gemütsver¬ 
fassung. 

Ganz besonders stark ist diese psychische Komponente bei Verdauungs¬ 
störungen, besonders bei der Enteritis muco-membranacea. Auch die Appendi¬ 
zitiden nach Entfernung dieses Organs gehören hierher. Des ferneren spielt 
sie eine große Rolle bei Affektionen des kardio-vaskulären Systems, nament- 
lieh der sog. Arteriosklerose. Dem Satze, daß die Tuberkulose vollkommen 
heilbar sei, vorausgesetzt daß die Spontanheilung nicht durch Phthisiophobie 
gestört werde, wohnt vielleicht ein berechtigter Kern inne; in dieser dogmati¬ 
schen Form findet er aber kaum Anklang. Die größte Bedeutung kommt der 
Psyche im Bereich der Genitalerkrankungen zu; hier wird ihr Anteil an 
den klinischen Bildern wohl kaum in vollem Umfang gewürdigt 

Aber in welcher Weise soll sich der praktische Arzt im konkreten Falle 
verhalten? Hat man erst erkannt, daß es keine Organ-Erkrankung gibt 
die nicht auf das psychische System zurückwirkte, so wird man eine exklusiv¬ 
somatische Behandlung mit Arzneimitteln und physikalisch-diätetischer Therapie 
für einseitig halten. A mal psychique — thörapeutique psychique, meint 
Thomas mit Recht, indem er das Sprichwort vom groben Klotz: ä mechant, 
mechant et demi variiert. Indessen hier hören unsere Lehrbücher auf; 
an diesem Punkte liegt die Grenze zwischen der Medizin als Naturwissen¬ 
schaft und der Medizin als Kunst. Man kann sämtliche Detailkenntnisse 
und ausgezeichnete Zeugnisse erworben haben und ist deshalb noch lange 
kein Arzt im ursprünglichen Sinne dieses Wortes. „II n’appartient pas ä 
tous de devenir artistes; il appartient aux intelligences les plus subalternes 
d’aequerir de la Science. Mais seulement s’ils sont nes artistes, ils sont 
n6s medecins,“ rief einst der große Trousseau seinen Schülern zu. 
(Clinique medicale, Introduktion, pag. 48 und 51.) Die technischen Diszi¬ 
plinen mögen ihre Fertigkeiten und Forschungen immer weiter ausbauen; 
spezialistische Kenntnisse werden immer gesucht und geschätzt bleiben. Aber 
der wahre Arzt ist ein Künstler, und von ihm gilt die Charakteristik: l’artiste 
est d’autant plus artiste qu’il est plus individuel. Wie er die psychische 
Komponente einer organischen Erkrankung behandeln will, das bleibt gänz¬ 
lich seiner Individualität überlassen und seinem Scharfsinn bezw. Instinkt, 
mit welchem er die Individualität seines Patienten erfaßt. Nicht in seinem 
gelehrten Ballast, sondern in seinen psychischen Qualitäten liegt der Zauber des 
Arztes, %dgis tpcoTog iargov ; und deshalb paßt auch auf ihn der schöne Vers: 

Consules fiunt quotannis et novi proconsules; 

Solus aut rex aut poeta non quotannis nascitur. 

Buttersack-Berlin. 

Frink, H. W., Report ot the psychotherapeutlc clinic at the Corne'l dispen- 
sary. (New York med. Journal 1911. September 30. th ) 

An der der Leitung des Verfassers unterstellten Poliklinik werden haupt¬ 
sächlich folgende Verfahren geübt: 

1. Dubois’ Methode der Wiedererziehung. 

2. Psychoanalyse nach Freud. 

3. Die Methode der gewöhnlichen Suggestion in Hypnose, meist in 
der Modifikation von 0. Vogt. 

Verfasser stellt daraufhin die von November 1909 bis Juli 1911 in 
der Poliklinik behandelten Fälle zusammen. Die Ergebnisse waren in thera¬ 
peutischer Hinsicht folgende: 

1. Gute Resultate wurden bei Psychasthenie, Hysterie, Hypochondrie, 
neurotischem Kopfschmerz und Alkoholismus erzielt. 

2. Bei sexueller Neurasthenie, Angstneurose, typischem tic convulsiv, 
Stottern und unverbesserlichen Kindern war die Behandlung ohne 
Wirkung. 

3. Die gewöhnliche Art der Suggestion war in all den Fällen wir¬ 
kungslos, in denen nur der erste Grad der Hypnose (nach Forel) 
erzielt werden konnte. 


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Referate und Besprechungen. 


699 


4. In drei Fällen, in denen eine vollständige Psychanalyse vorgenommen 
wurde, wurde Heilung erzielt. K. Boas-Straßburg i. E. 

Jones, E., The Iherapeutic actlon of psychoanalysls. (Review of neurolog 
«nd psychiatry 1912. Nr. 2.) 

Verfasser steht im wesentlichen auf dem Boden Freuds und seiner 
Schule und bekennt sich als warmer Anhänger der Psychoanalyse. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Putnani, On Freud’s psycho-nnalytic method andlts erolution (Über die 
Freudsche Psychoanalyse und deren Entwicklung). (Boston med. and surg. 
Journ. 1912, January 26.) 

Verfasser, bekanntlich ein aus einem Saulus gewordener Paulus (cf. die 
Arbeit von Wanke, Fortschritte der Medizin, 1912, Nr. 7), gibt eine Dar¬ 
stellung des Entwicklungsganges der Freud sehen Psychoanalyse. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Isserlin (München), Bewegungen und Fortschritte in der Psychotherapie. 
(Ergebnisse der Neurologie u. Psychiatrie I, 1911, S. 1.) 

Der Aufsatz stellt einen vorzüglichen Überblick über den gegenwärtigen 
Stand der Psychotherapie dar, dieser gegenwärtig so viel diskutierten, befür¬ 
worteten und bekämpften Methode. Mit voller Unvoreingenommenheit und 
gestützt auf ein umfangreiches Studium der Literatur (das Literaturver¬ 
zeichnis umfaßt nicht weniger als 414 Nummern!) behandelt Verfasser die 
Suggestivtherapie (Hypnotismus und Wachsuggestion; Phänomenologie, 
Theorie, Technik, Indikationen und Kontraindikationen der Hypnose), 
die Erziehungstherapie und die analytische Psychotherapie, in der die 
kathartische Methode und die Psychoanalyse Freuds, dessen Methode, 
Mechanismen und Sexualitätsbegriff gesondert besprochen werden. Zum Schluß 
erörtert Verfasser die Wahl der Methoden. 

Mit der kritischen Stellungnahme des Verfassers, namentlich gegenüber 
der Freud sehen Lehre und deren psychologischen Grundlagen, zu der 
neben A. Kronfeld der Verfasser mit am meisten beigetragen hat (vgl. 
sein früheres kritisches Sammelreferat im Referatenteil der Zeitschr. f. d. 
ges. Neurologie und Psychiatrie 1911), kann man sich in den Hauptpunkten 
durchwegs einverstanden erklären. Sie entspricht ganz der Stellung¬ 
nahme, den die führenden Psychiater und Neurologen deutscher Zunge (mit 
Ausnahme von Bleuler- Zürich) mit seltener Einmütigkeit der Freud- 
schen Lehre gegenüber einnehmen. K. Boas-Straßburg i. E. 

Dubois, P. (Bern), Psychotherapie. (Fortschritte der deutschen Klinik 
1910. Bd. H. S. 1—70.) 

Unter den zahlreichen Arbeiten über Psychotherapie, die dem Ref. 
durch die Hände gehen, steht die vorliegende zusammenfassende Darstel¬ 
lung des berühmten Berner Psychotherapeuten sicher an erster Stelle. Ver¬ 
fasser teilt den gewaltigen Stoff in fünf Hauptkapitel: 

1. Was nennen wir „Seele“? 

2. Welche Vorgänge müssen als psychisch oder als psychogen be¬ 
zeichnet werden? 

3. Welche Krankheitszustände verdienen diese Prädikate? 

4. Sollen diese Krankheiten somatisch oder psychisch behandelt werden? 

5. Welche Ziele und Wege verfolgt die Psychotherapie? 

Bedarf es noch bei der selbst von den wissenschaftlichen Gegnern des 
Verfassers anerkannten Meisterschaft des Verfassers auf seinem Spezialge¬ 
biete einer besonderen Anerkennung, so sei ihm hiermit gern und aufrichtig 
gezollt; vielleicht wird der Aufsatz manch einen, der der Psycho¬ 
therapie, so wie sie Dubois sich denkt und lehrt, schwankend 
gegenübersteht, in das rechte Lager führen. Man muß es dem 
Verfasser, der über eine glänzende, hinreißende Sprache verfügt, in der Tat 
lassen, daß seine Ausführungen recht bestechend und überzeugend wirken. 
Somit stellt der ganze Aufsatz ein kleines, von hoher persönlicher Note 
getragenes stilistisches Meisterwerk dar, dessen Studium Ref. den Freun¬ 
den und Gegnern der Dubois sehen Richtung nicht warm genug emp- 


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Referate and Besprechungen. 


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fehlen kann. Leider ist der Aufsatz an einer seiner universellen Bedeutung 
nicht im mindesten entsprechenden, den meisten Interessenten unzugäng¬ 
lichen Stelle publiziert. Wir müßten dem Verlag dankbar sein, wenn 
er durch Veranstaltung einer Separatausgabe den Verbreitungskreis der 
D u b o i s sehen Anschauungen ausdehnen würde. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Weber R., Petlte Psychologie (d£di6e ä Freud.) (Arch. intemat. de neu- 
rologie 1012. Nr. 1.) 

Verfasser nimmt eine Reihe von Vorgängen und Erlebnissen aus dem 
alltäglichen Leben unter die Lupe der Psychologie. Die erste Serie liefert 
einen Beitrag zu dem Kapitel der Mißverständnisse, Irrtümer, Vergeßlichkei¬ 
ten usw. Diese beruhen keineswegs auf Zufälligkeiten, sondern auf gewissen 
Fehlern unseres zentralen Mechanismus. Sie sind zwar von unserem Willen un¬ 
abhängig, stellen aber doch vollständig genau bestimmte Determinanten dar. 
Die zweite Serie wiederlegt unsere häufige Annahme einer Inkohärenz bei 
den Kranken. Das ist zum mindesten falsch ausgedrückt. W i r sind nicht 
imstande dem Gedankengang zu folgen, der sicher in sehr vielen Fällen 
vorhanden ist. Verfasser will den Begriff „Zufall“, den es vielleicht gar 
nicht gibt, nach Möglichkeit ausgeschaltet wissen. Derselbe ist nichts 
weiter als eine leichte Entschuldigung. K. Boas-Straßburg i. E. 

von Heuss (Magdeburg), Zwangsvorstellungen in der Pubertät unter be¬ 
sonderer Berücksichtigung militärischer Verhältnisse. (Inaug. Dissertation. 
Berlin 1910.) 

Der Arbeit liegt ein sehr gründliches Studium der Literatur sowie 
85 überwiegend dem militärischen Milieu entstammenden Fälle von Zwangs¬ 
vorstellungen in der Pubertät zu Grunde. Ref. muß sich ein ausführ¬ 
liches Referat an dieser Stelle leider versagen, möchte aber nicht ver¬ 
fehlen, nachdrücklich auf das Studium des Originals hinzuweisen. 

Die Schlußfolgerungen formuliert Verfasser folgendermaßen: 

1. Echte Zwangsvorstellungen mit spezifisch militärischem Inhalt können 
nur ein oder das andere Mal zu offnem Konflikt mit der Disziplin führen, 
da die sofortige Entfernung aus dem militärischen Milieu die notwendige 
Folge des ersten Manifestwerdens ist. 

2. Zwangsvorstellungen wurden freiwillig nur geäußert in der Ab¬ 
sicht, dadurch dienstunbrauchbar oder straffrei zu werden. 

3. Zwangsvorstellungen kommen auch als ätiologische Faktoren neben 
der großen Gruppe der sexuellen und nostalgischen Motive (Stier) für 
unerlaubte Entfernung in Betracht. 

4. Hartnäckigkeit der Zwangsvorstellung, Einfluß auf die Ideenassozia¬ 
tion und Alter beim ersten Auftreten sind im allgemeinen ein Gradmesser 
für die Schwere einer psychopathischen Konstitution (S o u t z o). 

5. Echte Zwangsvorstellungen sind bei Dementia hebephrenica äußerst 
selten. Daraus erhellt ihre diagnostische Wichtigkeit bei einer für Hebe- 
phrenie verdächtigen Erkrankung. 

6. Da Zwangsvorstellungen ein Symptom einer schweren allgemeinen 

seelischen Gleichgewichtsstörung im Sinne obiger Krankheitsbilder sind, so 
ist die Dienstfähigkeit damit behafteter Militärpersonen zunächst zweifel¬ 
haft. In allen Fällen empfiehlt sich deshalb längere Lazarettbehandlung. 
Nicht selten wird man dann dahin kommen müssen, die Dienstunfähigkeit 
auszusprechen. Im einzelnen Falle in sinngemäßer Anwendung der Anlage 
J. E. 15 der Heerordnung. K. Boas-Straßburg i. E. 

v. Holst, Die Entwirklungsjahre vom neurologischen Standpunkt. '(St. 
Petersburger med. Zeitschr. 1912. Nr. 4.) 

Zusammenfassung: 

Der unvergleichliche Reiz normaler Kinder, wofern sie nicht durch 
verkehrte Erziehung verdorben sind, liegt in ihrer unbewußten, harmoni¬ 
schen Natürlichkeit, während man bei Erwachsenen einen gewissen Grad 
von gefestigtem Gleichmaß als selbstverständlich vorauszusetzen pflegt. Die 



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Referate und Besprechungen. 


701 


•dazwischen liegenden Jahrgänge, die das eine verloren, das andere noch 
nicht errungen haben, bilden Kombinationen von Kind und Erwachsenen 
in unbegrenzter Mannigfaltigkeit. Das gilt sowohl auf körperlichem wie 
geistigem Gebiet und zeigt sich in Form von Disharmonien aller Art, 
die in jedem Einzelfall einer gesonderten Beurteilung bedürfen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Hühner, M., Masturbation in the adult male. (Masturbation bei männ¬ 
lichen Erwachsenen.) (New York med. Journ. 1912. February 17.) 

Masturbation ist eine wirkliche Krankheit und keine bloße Einbildung. 
Masturbation und Pollution sind zwei ganz verschiedene Dinge, obgleich 
beide zu gleicher Zeit auftreten können. Masturbation beruht auf einem 
pathologischen Zustand der Prostata und nicht auf Einbildungen von seiten 
des Patienten. Durch Koitus wird die Masturbation nicht geheilt und stellt 
einen gefährlichen Versuch dar. Die Behandlung ist eine lokale und eine 
psychische. Das Leiden ist heilbar. Verfasser empfiehlt folgende Therapie: 
Massage der Prostata und tiefe Injektionen von 1—3 promilliger Arg. 
nitricum Lösung. Zunächst verwendet man dünnkalibrige, später dick- 
kalibrige Sonden. Ebenso verwendet man allmählich steigernde Lösungen 
von Arg. nitricum bis zu 1:500. Die psychische Behandlung besteht darin, 
daß man an das Ehrgefühl des Patienten appelliert. Die oben erwähnten 
Maßnahmen sollen alle fünf Tage vorgenommen werden. Die Dauer einer 
vollständigen Kur nimmt fünf Monate in Anspruch. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Leepcr, R. R., Note on the causatlon of insanity in Ireland. (Beitrag zur 
Verursachung der Geisteskrankheiten in Irland.) (Dublin med. Journ. 1912. 
March 6.) 

Verfasser beleuchtet die mannigfachen Ursachen für die Häufigkeit von 
Geisteskranken in Irland. K. Boas-Straßburg i. E. 

Oseki (Strassburg i. E.), Über makroskopisch latente Meningitis und Ence¬ 
phalitis bei akuten Infektionskrankheiten. (Beiträge zur patholog. Anatomie 
u. z. allg. Pathologie 1912. Bd. LII. S. 640.) 

Verfasser kommt auf Grund seiner Untersuchungen zu folgenden 
Schlußsätzen: 

1. Wenn bei akuten Infektionskrankheiten meningitische Symptome auf¬ 
getreten waren, so darf man bei der anatomischen Untersuchung sich mit 
dem makroskopischen Sektionsbefunde nicht begnügen, sondern muß immer 
auch mikroskopisch untersuchen, wobei dann regelmäßig doch entzündliche 
Veränderungen in der Meningen und dem Gehirn nachweisbar sind, die sogar 
spezifisch sein können. 

2. Auch wenn bei akuten Infektionskrankheiten meningitische Symptome 
nicht zu konstatieren gewesen waren, gelingt es doch häufig, anatomisch 
die genannten entzündlichen Veränderungen nachzuweisen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Bohne, Gefrierpunktsbestimmungen am menschlichen Gehirn. (Viertel- 
jahresschr. f. gerichtl. Medizin u. öffentl. Sanitätswesen 1912. 3. Folge. Band 
XLIII. II. Supplementheft. S. 18.) 

Verfasser fand, daß die Gefrierpunktkurve bei faulenden Gehirnen 
bei gleicher Temperatur annähernd den gleichen Verlauf zeigt und daß 
sie um so steiler verläuft, je höher die Temperatur ist. Was die praktische 
Verwertbarkeit der Gefrierpunktsbestimmung zu forensischen Zwecken (Zeit¬ 
bestimmung des Eintrittes des Todes) betrifft, so hat sich das Verfahren 
als sehr unzuverlässig erwiesen, besitzt daher praktisch keine Bedeutung. 
Auffallend ist, daß der Gefrierpunkt von Gehirnen totfauler Früchte er¬ 
staunlich hohe Werte liefert, was vielleicht auf die Rolle der Bakterien 
zurückzuführen ist. Die Technik der Gefrierpunktsbestimmung und die im 
-einzelnen damit erhaltenen Resultate sind im Original nachzulesen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


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Referate und Besprechungen. 


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Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Danziger, E. (N. York), Tonsillotomie oder TonsillektomieT (N. Yorker med. 
Monatsschr, Januar 1012.) 

In der Novembersitzung v. Js. der Newyorker Deutschen med. Gesell¬ 
schaft: fand im Anschluß an einen Vortrag Dr. D.’s über obiges Thema 
eine für Halsspezialisten interessante Diskussion statt. Dr. Felix Cohn meinte, 
daß die Entfernung der Tonsillen für Newyork nachgerade eine soziale 
Frage geworden sei, insofern heut alle öffentlichen Schulkinder daselbst 
auf vergrößerte Tonsillen usw. untersucht werden, daß man aber über¬ 
haupt nur tonsillotomieren dürfe, wenn man dadurch die supratonsilläre 
Grube breit freilegen könne. Andernfalls sollte man die Tonsille enukleieren. 
Ganz junge Kinder im 3.—4. Lebensjahre dürfe man jedoch nicht gleich 
von vornherein ihres Tonsillargewebes berauben, sondern müsse event. erst 
später die Stümpfe enukleieren. Die Funktion der Tonsillen gei noch nicht 
klar. Dr. W. Freudenthal bemerkte, daß nach seinen Forschungen den 
Tonsillen ein zu großer Wert für die Infektionsmöglichkeit Ibeigelegt werde, 
weil man andernfalls außer bei indicatio vitalis durch Atemnot überhaupt 
nie eine Tonsille entfernen dürfe. Bei der Infektion "käme das ganze lympha¬ 
tische Gewebe am Rachendach in Betracht. Dr. F. Torek äußerte, daß 
wenn die Tonsillen nach Ansicht des Vortragenden ein Schutz gegen Infek¬ 
tion sei, sie bei schwerer Erkrankung diese Eigenschaft verliere und daher, 
da sie nun ein Hindernis darstellt, entfernt werden müsse. Dr. Pius Renn 
trat auf Grund von 570 in 10 Jahren von ihm beobachteten Tonsillitiden 
dafür ein, daß die Tonsillenhypertrophie im Sinne D.’s tatsächlich eher 
eine Schutzvorrichtung als das Gegenteil darzustellen scheine und daher 
die einfach hypertrophische Mandel keinen Anlaß gebe, sie zu entfernen. 
Dr. v. Glogau sagte, daß nach mikroskopischen Untersuchungen in der 
Tat viele Bakterien in den Tonsillen zurückgehalten und vielleicht in ihrer 
Virulenz beeinträchtigt werden. Er hat bei einem Sänger die erkrankte 
Tonsille ektomiert — nach 1 / 2 Jahr hatte dieser die Stimme verloren, so 
daß es ihm scheint, als würde die Stimme u. a. auch durch gewisse 
Sekretionen der Tonsillen beeinflußt. Er warnt daher von Tonsillektomie 
außer bei unbedingter Notwendigkeit, es gebe auch eine cachexia adenopriva. 
Für gewöhnlich genüge es, 3 /i oder 4 /s der von dem Gaumenbögen losge¬ 
lösten Tonsille zu entfernen. Dr. Gleitsmann riet noch, bei Kindern zu 
tonsillotomieren, wenn die Tonsillen über die Gaumenbögen hervorspringen: 
lägen sie verdeckt, seien sie mit den Gaumenbögen verwachsen und er¬ 
krankt, so sei man besonders bei zu Tuberkulose neigenden Leuten zur 
Radikaloperation berechtigt. Dr. Danziger zog schließlich den Schluß, daß 
ohne bestimmte Indikationen niemand das Recht habe, die Tonsillen zu 
enukleieren. Peltzer. 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung. 

Stelter, Ein Beitrag zur Morphiumtoleranz im Kindesalter. (Medico 1909, 
Nr. 45.) 

Ein 3 monatliches Kind erhielt aus Versehen 0,015 g Morphiumdosis. 
Fünf Stunden später lag das Kind in tiefem Koma mit stertorösem 
Atem und kaum fühlbarem Puls, die Pupille stecknadelkopfgroß. Die 
kleine Kranke reagierte auf starke mechanische Hautreize absolut nicht. 
Beim Aufheben hängen Kopf und Extremitäten schlaff herab wie bei 
einer Leiche. Es wurde zunächst eine hohe Darmirrigation von lauer Seifen¬ 
lösung vorgenommen, außerdem 1 / ä ccm Kampferäther (1:10) und dann in 
kurzen Zwischenräumen Atropin, beides subkutan, injiziert (letzteres in einer 
Gesamtdosis von 0,00035). Um 8 Uhr die frühere Menge Kampferäther 
noch einmal. Während der Zeit von 5 Uhr nachmittags bis 1 Uhr morgens 
wurde die Pat. ständig im warmen Bade gehalten. Jeder Versuch, sie 
einen Augenblick herauszunehmen, führte zu bedrohlichen Erscheinungen: 
Kollaps, Aufhören der Atmung, Zyanose. Daneben wurden starke Hautreize, 



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Referate and Besprechungen. 


703 

kalte Übergießungen vorgenommen. Erst um 1 Uhr nachts wurde Pat. 
etwas munterer und um 4 Uhr morgens hatte sich der Zustand soweit gebessert, 
daß die Pat. etwas um sich schaute, mit Appetit die Flasche nahm und, 
ins Bett gebracht, in einen gesunden ruhigen Schlaf verfiel. Um 9 Uhr 
schien die Gefahr vorüber, die Atemzüge waren gleichmäßig, geräuschlos, 
wenn auch noch etwas frequent. Puls 110 regelmäßig und kräftig. Man 
muß annehmen, daß die ganze Morphiummenge im Verlaufe von 5 Stunden 
resorbiert wurde. K. Boas-Straßburg i. E. 

Pott (Halle, a. S.), Über Tentoriumzerreissungen bei der Geburt. (Inaug. 
Dissertation. Halle 1912 und Zeitschr. für Geburtshilfe u. Gynäkologie 1911. 
Bd. LXIX.H. 3.) 

Nach einem übersichtlichen Überblick über die bisherige Literatur geht 
Verfasser zur Mitteilung von 33 von Beneke beobachteten Fällen von 
Tentoriumzerreißungen bei der Geburt über, die dieser in den Jahren 1907 
bis 1911 beobachtet hat. Davon entfallen allein auf ein Vierteljahr 6 Fälle 
bei 12 Sektionen von Neugeborenen überhaupt. Verfasser beschreibt die 
einzelnen Befunde ausführlich und gelangt zu folgenden Ergebnissen: 

1. Die Prozentzahl der Blutungen mit Zerreißungen des Tentoriums 
scheint eine sehr erhebliche zu sein. Bei etwas älteren Kindern (bis 
zu einem halben Jahre) fand Verfasser Reste von Durchblutungen in etwa 
gleichem Prozentsätze. 

2. Es gibt drei Formen von Tentoriumzerreißungen. 

a) Die stärkste Zerreißung wird durch den Querriß der freien 
Kante dargestellt, welcher die letztere gewöhnlich annähernd in der Mitte 
trifft. Hierbei wurden in sehr vielen Fällen beiderseitig beide Schichten 
des Tentoriums zerissen. 

b) Die mittelstarke Zerreißung wird durch einen Flächenriß der 
oberen Tentoriumplatte dargestellt. Querrisse können übrigens auch mit 
Flächenrissen kombiniert sein. 

c) Am häufigsten kommt die harmlose Form der Zerreißung vor. Es 
handelt sich hierbei um Blutungen des Tentoriums und vor allem der Falx 
cerebri zwischen den Blättern. Hierbei können subdurale Blutungen voll¬ 
kommen fehlen oder sehr unbedeutend sein. 

3. Was die Beziehungen der Tentoriumzerreißungen zu der Schnelle 

der Geburt betrifft, so fand Verfasser in 60 o/ 0 der von ihm beobachteten 
Fälle schwere, in den übrigen 40 o/o normale, z. T. leichte und rasche 

Geburt. Daraus geht hervor, daß bei jedem Geburtsakt mit der 
Möglichkeit einer Tentoriumzerreißung zu rechnen ist. Diese Mög¬ 
lichkeit steigert sich wesentlich bei schweren Geburten. Die Länge 

der Geburtsdauer kann schwerlich das ausschlaggebende Moment darstellen. 
Dasselbe imuß vielmehr in den besonderen Zerrungen liegen, denen der 
der Kopf während des Durchtritts durch die enge Passage des Geburts- 
kanals ausgesetzt ist. 

4. Der Modus der Tentoriumzerreißung ist als eine Folge der Deh¬ 
nung der Falx cerebri in der Längsrichtung des Schädels aufzufassen. 

5. Als Folge der Zerreißung des Tentoriums kommt klinisch wohl 

nur die Blutung als wesentlich in Betracht. Der Blutaustritt vollzieht sich 
langsam und unter geringem Druck. Daher kommt es, daß die meisten 
symptomlos verlaufen und die Blutung nur gering ist. Stärkere Grade von 
Blutung treten nur bei gleichzeitiger Stauung auf. Mit der Möglichkeit 
muß jedoch gerechnet werden, daß schon im Augenblick der vollendeten 
Geburt sehr ausgedehnte Blutungen bestanden haben, die das verlängerte 
Mark derartig komprimiert haben, daß sofort Asphyxie bemerkbar war. 
Es würde zu weit gegangen sein, wenn man in allen Fällen von Asphyxie, 
in welchen Tentoriumzerreißungen gefunden wurden, der Tod oder auch 
nur die asphyktischen Erscheinungen auf letztere beziehen wollte. 

Die anatomische Ausheilung der Tentoriumzerreißungen erfolgt ohne 
jegliche Schwierigkeit und meist so glatt, daß bisweilen kaum noch die 
Narbe schon bei 2—3 wöchigen Kindern zu sehen ist. Bei älteren Individuen 


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Referate und Besprechungen. 


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hat B e n e k e niemals Reste von Tentoriumrissen vorgefunden. Dagegen 
sind die Reste der Blutung in Gestalt flacher brauner häinatoidin- oder 
hämosiderinhaltiger Flecke noch längere Zeit nach der Geburt'nachweisbar. 

6. Eine Tentoriumzerreißung kann auch nach der Geburt durch ein 
besonders heftiges An fassen des Kindeskopfes hervorgerufen werden, wobei 
derselbe seitlich komprimiert wird, oder durch ein seitlich einwirkendes 
Trauma anderer Art (z. B. Schlag mit einem flachen Hammer auf die Schläfe 
der Leiche eines neugeborenen Kindes; dabei fand sich eine Zerreißung 
des Tentoriums ohne Blutung). 

Den Zerreißungen des Tentoriums kommt unter Umständen eine foren¬ 
sische Bedeutung zu. Daher ist es notwendig, nach der Benekesehen Ge¬ 
hirnsektionsmethode vorzugehen, um das Tentorium unverletzt zum Vor- 
.schein zu bringen: d. h. man muß das Gehirn oberhalb der Brücke an den 
Großhirnschenkeln abtrennen. K. Boas-Straßburg i. E. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Oltramare, H. (Genf), Nachteile und Vorteile des Salvarsan. (Revue m<ki. 
de la Suisse romande. XXXII. Jahrgang 1912. Nr. 3. S. 205—220.) 

Es ist schade, daß so wenig Menschen Sinn für den feinen Humor der 
Geschichte haben. Sonst könnte ihnen die Diskrepanz nicht entgehen zwischen 
der immer weiter getriebenen Aufklärung und der immer zunehmenden Zahl 
der Geisteskranken, zwischen den Wohltätigkeitsbestrebungen aller Art und 
der sozialen Zerklüftung, zwischen den Friedensschalmeien und dem allge¬ 
meinen Wettrüsten, zwischen der Proklamierung des Rechtes der Persön¬ 
lichkeit und dem Verschwinden der Originale, zwischen der theoretischen 
Forderung therapeutischen Individualisierens und des gänzlichen Außeracht¬ 
lassens der Individualität in der Praxis usw. 

Ein humoristisches Beispiel der letztgenannten Kategorie liefert die 
Arbeit von Oltramare. Sie ist ein wahrer Eiertanz zwischen den Fragen: 
Ist Salvarsan ein Abortivmittel der Lues oder nicht? Ist es ein Gift oder 
ein Heilmittel? Kann man sich auf die Wassermannsche Reaktion verlassen 
oder nicht? Soll man Salvarsan einmal injizieren oder mehrmals? Der 
Verfasser selbst erscheint ziemlich skeptisch, wenigstens in seinen Schlu߬ 
sätzen, daß die endgültigen Regeln der Salvarsantherapie noch nicht ge¬ 
funden seien und daß die Wassermannsche Reaktion zu unsicher sei, um 
darauf das therapeutische Handeln aufzubauen. Die Unzuverlässigkeit des 
Wassermann wird verhältnismäßig am konsequentesten betont, dagegen kommt 
er von der (pavraata einer therapia sterilisans magna noch nicht völlig 
los. „Sie könnte vielleicht doch möglich sein.“ (S. 217.) 

Also heißt es mittlerweile: Abwarten! Nach langer, langer Zeit „apres 
quatre siecles d’emploi“ werden möglicherweise bestimmte Regeln gefunden 
sein, wenn „les spöcialistes honnetes, consciencieux et prudents“ den Sieg 
über „vertains practiciens peu scrupuleux ou desireux de rüclame“ davon 
getragen haben werden. 

Da wir Praktiker aber nicht gut 400 Jahre warten können, so empfiehlt 
es sich mittlerweile, nicht bloß das Salvarsan, sondern auch die Menschen 
zu studieren. Sollten diese Studien dann zu der Erkenntnis führen, daß das 
heutige Axiom von der Gleichheit aller Menschen ein fundamentaler Irrtum 
gewesen ist, dann verschwindet das Verlangen nach einer Formula magistralis 
arbitraria für 606 ganz von selbst. Ob dann noch auf dieses Mittel der 
Vers des Tyrtaeus zutrifft: „Nimmer im Dunkel erlischt sein Ruhm 
und gepriesener Name,“ möchte ich vorerst noch bezweifeln. 

Buttersack-Berlin. 


Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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30- Jahrgang 


1912 


Tortscbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. <3. Köster Prip.»Doz. Dr. p. Criegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


ErsAelnt w9<bentli<b sum Preise von 8 <T)arh für bas 
Balbjabr. 

Nr. 23. CarlMarhold Verlagsbuchhandlung,Hallea.S. 6. Juni. 

Alleinige Inseratenannabme öurtb (Hoi OelsDorl, 
Annoncen-Bureau, Eberswalöe bei Berlin. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Die Fixierung der Körperteile bei Röntgenaufnahmen. 

Von Generaloberarzt Dr. Gillct. 

Die Schärfe und damit die Güte eines Röntgenbildes hängt bei 
gut zentriertem Brennfleek der Röhre hauptsächlich von der sicheren 
und ruhigen Lagerung des aufzunehmenden Körperteiles ab. Bei vielen 
Aufnahmen kann zwar eine solche allein schon durch den Willen des 
zu Untersuchenden gewährleistet werden; hei der ühergrossen .Mehrzahl 
ist es aber unbedingt erforderlich, zur Vermeidung unbeabsichtigter, 
ja sogar der feinsten zitternden Bewegungen sich besonderer fixierender 
Vorrichtungen zu bedienen. Dies betrifft besonders Aufnahmen bei 
Kindern, Greisen, schwachen. Kranken; aber auch bei solchen Patien¬ 
ten, welche die volle Herrschaft über sich selbst besitzen, sind zahlreiche 
Aufnahmen ohne künstliche Feststellung des betreffenden Körperteils 
nicht möglich. 

Die mechanische Fixierung von Körperteilen in einer bestimmt 
vorgeschriebenen Lage bietet insofern oft Schwierigkeiten, als die man¬ 
gelnde Resistenz der Weichteile ein absolut sicheres Festhalten oft nicht 
gestattet und andererseits die unregelmässige, von mathematischen 
Gesetzen völlig abweichende äussere Gestalt der Körperteile die Ver¬ 
wendung einer universellen Fixiervorrichtung kaum möglich macht. 

Von vielen Röntgenologen wird eine Feststellung durch die Be¬ 
lastung des zu fixierenden Körperteils mit schmiegsamen schweren 
Körpern geübt: namentlich wird der Sand zu diesem Zweck vielfach 
verwendet, indem man lange schmale Säcke mit demselben anfüllt. 
Der durch da selben auf den Körperteil ausgeübte Druck wird kaum 
je als unangenehm empfunden, da infolge der Schmiegsamkeit des 
Materials der Druck sich sehr gleichmässig auf die gesamte zu belastende 
Fläche verteilt. 

Die erzielte Fixierung ist. jedoch eine sehr relative und kommt 
eigentlich nur einer gewissen Unterstützung gleich, bei welcher der zu 
Untersuchende selbst noch das Seinige zur Erzielung einer scharfen 
Aufnahme beitragen muss. Aehnlich verhält es sich bei der Anwendung 
von Winkeischienen, welche mit Schraubzwingen in der gewünschten 
Stellung auf dem Untersuchungstische befestigt, und gegen welche der 
aufzunehmende Körperteil mit oder ohne Zuhilfenahme von Binden 

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Gillet, 


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usw. angelehnt wird. Dasselbe gilt auch von der Fixierung vermittelst 
Binden, welche man über den Körperteil quer hinweg führt und zu beiden 
Seiten des Tisches, sei es durch Gewichte beschwert, sei es nach Aus¬ 
führung der erforderlichen Spannung an den gegenüberliegenden Tisch 
rändern befestigt. 

Wesentlich sicherer ist die Fixierung, welche man dadurch erreicht^ 
dass man durch ein starres System einen gegen die Unterlage senkrecht 
gerichteten Druck auf den Körperteil ausüben lässt; die Einstellung 
einer solchen Vorrichtung, sowie der auszuübende senkrechte Druck 
wird meist durch Schraubentrieb vermittelt. Ein Apparat, welcher 
wohl an häufigsten zur Fixierung nach .diesem Grundsatz verwandt 
wird, ist die Kompressionsblende von A 1 b e r s - Schönberg. Ursprüng¬ 
lich nicht für diesen Zweck bestimmt, sollte dieselbe eigentlich nur 
durch Abhaltung nicht zentrierter Strahlen von der Platte und 
durch Anwendung von Druck eine Verminderung der Dickendiinension 
des zu durchleuchtenden Körperteils und hiermit eine Verkürzung der 
Belichtungszeit und bei Verminderung der Strahlenstreuung auch ein 
schärferes Bild ermöglichen. Der nicht minder wichtigen Verwend¬ 
barkeit des Apparates als Fixierungsmittcl hat A I b e r s - Schön¬ 
berg selbst bereits Rechnung getragen, indem er auf dieselbe in 
ausgiebigster Weise bei fast sämtlichen Aufnahmen besonders aufmerk¬ 
sam gemacht hat. Ein Nachteil macht sich allerdings hierbei geltend, 
welcher gerade in dem oben angegebenen ursprünglichen Zwecke des 
Instrumentes begründet ist; dies betrifft die durch den Kompressions¬ 
zylinder bedingte wesentliche Einschränkung des Bildfeldes, durch 
welche Uebeisichtsaufnahmen unmöglich werden. Ferner eignet sich 
die kreisrunde ebene Kompressionsfläche des Blendenzylinders nicht, 
gleichmässig gut für jeden Körperteil; bei starker Wölbung des letzteren 
beschränkt sich der Druck oft nur auf einen Punkt und man ist gezwun¬ 
gen, zur Vermeidung von Schmerzen ein mehr oder minder dickes Polster¬ 
zwischen Körperteil und Blende zu legen, wodurch dann wieder die 
Sicherheit der Fixierung leidet. In manchen Fällen kann durch Schräg¬ 
stellen des Tubus ein breiteres und vollkommeneres Aufliegen des Zy¬ 
linders wohl erreicht werden; da aber bei der stets erwünschten Bei¬ 
behaltung eines senkrecht auftreffenden Strahlen-bündels durch diese 
Schrägstellung die Bildgrösse weiter noch verkleinert wird, so hat man 
hierdurch wenig Vorteil. Neuerdings hat Klingel fuss in Basel 
ein Universalstativ angegeben, welches mit einer Kompressionsblende 
versehen und somit auch zum Fixieren verwendet werden kann. Die 
vertikale Druckbewegung erfolgt liier vermittelst eines in Kugellagern 
laufenden vertikalen Schraubentriebes von sanft ansteigendem Gewinde; 
der zur Kompression bezw. zum Fixieren dienende Blendenzylinder 
kann nach erfolgter Einstellung noch durch eine an der dem Angriffs¬ 
punkt der Schraube diametral gegenüberliegenden Rande des Blenden¬ 
apparates befestigte und an dem entsprechenden Tischrand anzuschrau- 
bende zweite Fixiervorrichtung noch weiter gesichert werden. Von be¬ 
sondrer Wichtigkeit ist aber die Konstruktion des Blendenzylinders, 
bezw. -Trichters, vermöge deren dieser letztere auch in jede schräge 
Lage eingestellt werden kann, ohne dass hierdurch eine Verkleinerung 
der Bildgrösse entsteht. Zu diesem Zw r eck ist die den Blendenzylinder 
an ihrer unteren Fläche tragende kreisförmige flache Blende an ihrer 
unteren Seite in Form eines Kugelabschnittes ausgehöhlt, in welch' 
letzterem der nach oben trichterförmig erweiterte Blendenzylinder frei 



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Die Fixierung der Körperteile hei Röntnenaufnahnjen. 


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nach allen Seiten gleitend exzentrisch bewegt werden kann. Dei untere 
Rand des Blendenzylinders lässt sich demnach in die _ verschiedensten 
schrägen Neigungswinkel einstellen, ohne dass sein Mittelpunkt, welcher 
auf den senkrechten Röntgenstrahl eingestellt war, seine Lage ändert. 

Der vorerwähnte Nachteil der Beschränkung der Bildgrösse bei 
der Verwendung der Kompressionsblende als reinen Fixierungsapparates 
war die Veranlassung, dass man Apparate konstruiert hat, we'che nur 
die Fixierung zum Zwecke haben. Die meisten derselben lassen indessen 
nur eine beschränkte Anwendung zu. Unter anderen wurden verschie¬ 
denartige Stühle erdacht, welche natürlich nur zu Rumpfaufnahmen 
in sitzender Stellung verwendbar sind. Aul alle diese Apparate kann 
hier nicht näher eingegangen werden. 

ln dem Bestreben, eine möglichst universell zu gebrauchende Vor¬ 
richtung zu schaffen, hat Oberstabsarzt Sch m i d t zwei sich für alle 
Zwecke ergänzende Fixierapparate angegeben, welche die Firma Sie¬ 
mens & Halske baut. 

Der eine derselben, nur zur Rumpffixierung dienend, ist gleich¬ 
zeitig mit einem Universal-Röntgenstativ in feste Verbindung gebracht. 
Die eigentliche Fixiervorrichtung kann im Durchleuchtungs- bezw. 
Aufnahmestativ auf- und abbewegt- und in jeder Stellung fixiert werden. 
Die Feststellung des Rumpfes erfolgt durch drei Pelottenpaare, welche 
sich durch Schraubentrieb nach der vertikalen Mittellinie des Stativs hin 
oder von derselben abbewegen lassen: dieselben lassen sich so jedorseit- 
gegen Schultern, unteren seitlichen Brustkorbrand und Becken anlegen. 
Dazu kommt noch eine verstellbare Stütze für das Kinn zur Feststel¬ 
lung des Kopfes und zwischen den zwei unteren Pelottenpaaren ein durch 
Kurbeldrehung zu spannender Gurt, welcher den Unterleib kompri¬ 
mieren und fixieren soll. 

Der zweite, nur zur Fixierung der Glieder und des Kopfes die¬ 
nende Apparat kann auf jedem beliebigen Aufnahmetisch, ja sogar auf 
der Krankentrage Verwendung finden. Er besteht aus zwei Pelotten¬ 
paaren, welche das betreffende Glied in geeigneter Entfernung an zwei 
Stellen festhalten. Das eine Paar ist am Ende eines Grundbrettes quer 
zu diesem verschieblich angebracht, während das andere klemmzangen¬ 
artig gestaltet und mit einem in der Längsachse des Grundbrettes 
gleitenden Schlitten verbunden ist; somit können die beiden Pelolten- 
paare in jeden erforderlichen Abstand voneinander gebracht, und jedes 
Glied, ob kurz oder lang, an den zwei zur Fixierung geeignetsten Stellen 
befestigt werden. Die Dimensionen des Apparates sind so bemessen, 
dass er recht handlich bleibt und somit auch für den Transport bei 
Aufnahmen im Felde sehr geeignet ist. 

Der praktische Arzt, welcher sich mit Röntgenpraxis befasst, um 
wie dies meist geschieht, auf eine reiche Ausstattung seines Labora¬ 
toriums verzichten muss, wird sich gerade bezüglich der Fixierungs¬ 
vorrichtungen auf das einfachste beschränken und möglichst den Be¬ 
helfsweg beschreiten. Es sei zu diesem Zwecke eine äusserst einfache, 
leicht zu improvisierende Vorrichtung beschrieben, welche ich mit vie¬ 
lem Erfolg seit langem anwende und welche sozusagen universell ge¬ 
nannt werden kann, da sie geeignet ist für Aufnahmen sämtlicher Kör¬ 
perteile, in sitzender wie liegender Stellung des zu Untersuchenden. 
Die nötigen Gegenstände sind billig zu beschaffen und beschränken 
sich auf einige gewöhnliche hölzerne Schrauben zwingen mittlerer Grösse, 
wie sie jeder Tischler zum Leimen braucht; ferner bedarf man etwa 

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708 


Gillel, Die Fixierung der Körperteile bei Röntgenaufnahmen. 


3—4 kleiner Lattenstücke von etwa 30—50 cm Länge, 2,5—3 ent Breite 
und etwa 1,5 cm. Dicke. Quer über das eine Ende jeder dieser Latten 
wird eine 1 cm dicke, 4—5 cm im Geviert messende Holzplatte genagelt, 
so dass die Stirnseite der Latte in den Mittelpunkt der Holzplatte kommt. 
Nach Abrundung der Kanten kann die freie Fläche der Platte nach 
Art einer Pelotte etwas gepolstert werden; nötig ist dies aber meist nicht. 
Zur Aufstellung dieser Fixiervorrichtung wird nun zunächst eine der 
Schraubenzwingen so auf den Aufnahmetisch gelegt, dass die Oefi'nuug 
der Zwinge nach oben sieht und ihre Längsrichtung parallel zu einer 
der langen Tischkanten verläuft. Mit einer zweiten Schraubenzwinge 
schraubt man nun die erstere in dieser Lage am Tische fest. Eine gleiche 
Vorrichtung bringt man auch an dem gegenüberliegenden Tischrand 
an und klemmt an jeder der beiden freieren Schraubenzwingen je eine 
der Latten in der Weise fest ein, dass die letzteren annähernd wagerecht 
sind und die Holzplatten einander gegenüberstehen. Man hat auf diese 
Weise zwei zum Fixieren geeignete Pelotten erhalten, welche durch 
Verschieben in wagerechter Richtung einander beliebig genähert und 
durch Senken oder Heben in jeden erforderlichen Abstand von der 
Tischplatte gebracht werden können. Jeder beliebige Körperteil, welcher 
zwischen den Pelotten auf diese Weise eingeklemmt wird, ist nach der 
seitlichen Richtung durchaus sicher fixiert. Die Regulierung des Druckes 
ist leicht zu bewerkstelligen, so dass derselbe dem Patienten durchaus 
nicht lästig zu werden braucht. Ganz besondere Dienste leistet diese 
Art der Fixierung in den Fällen, bei denen z. B. eine Aufnahme des 
Ellenbogen- oder Kniegelenks in gebeugter Stellung in ventrodorsaler 
Richtung gemacht'werden soll. Durch keine andere, so einfache Vor¬ 
richtung ist es möglich, das teilweise frei in der Luft schwebende Glied 
zu fixieren. Am vorteilhaftesten erweist sich dieser Schraubenzwingen¬ 
apparat bei Kopfaufnahmen zur Feststellung der Lage eines Fremd¬ 
körpers, da man den Kopf bequem und absolut sicher in beliebiger 
Ebene feststellen kann, so dass z. B. Aufnahmen in senkrecht zuein¬ 
ander stehenden Ebenen leicht auszuführen sind. Die Aufstellung der 
Vorrichtung erfolgt genau in der oben angegebenen Weise durch Be¬ 
festigung je einer Schraubenzwinge an jeder Längsseite des Tisches 
dem Kopfe gegenüber. Da aber bei dieser Fixierung nur die seitlichen 
Bewegungen des Kopfes, nicht aber diejenigen in der Sagittalebene 
(Nickbewegungen) ausgeschaltet werden, so wird auch an dem Kopf¬ 
ende des Tisches eine gleiche Vorrichtung angebracht und eine 
dritte. Pelotte gegen die Scheitelgegend angelegt Wem diese letz¬ 
tere Vorrichtung mit Rücksicht darauf, dass sie Nickbewegungen 
des Kopfes nicht absolut zu verhindern vermag, noch nicht genügen 
sollte, der kann noch durch eine weitere Aufstellung von Schrauben¬ 
zwingen in ganz ähnlicher Weise auch das Kinn fixieren: nötig ist mir 
eine solche vierte Pelotte allerdings nie geworden. Von einer weiteren 
Beschreibung der Anwendungsweise dieses desgleichen auch an der 
Krankentrage zu befestigenden Fixierapparates möchte ich Abstand 
nehmen und es dem Praktiker überlassen, selbst für seinen jeweiligen 
Zweck noch weitere Verwendungsmöglichkeiten zu ersinnen, was nach 
der obigen Anleitung nicht schwer fallen dürfte. Jeder wird sich auf 
diese Weise am besten selbst von der vielseitigen Verwendbarkeit der 
Methode überzeugen können. 


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Gck 'gle 


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Bnttersack, Ein Wendepunkt in der Pathologie. 


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Ein Wendepunkt in der Pathologie. 

Von Oberstabsarzt Dr. Bnttersack. 

Es gibt mehr Leute als man ahnt, die da wähnen, unser wissen¬ 
schaftlicher Standpunkt sei endgültig der richtige, die Doktrinen von heute 
seien ewig wahr, und ihre augenblicklichen Vertreter überdauerten den 
Wechsel der Jahre. Gewiss hat solch eine Anschauung scheinbar vieles 
für sich. Denn im engen Rahmen eines Menschenlebens verschieben 
sich die Dinge unmerklich; wir selbst machen die Verschiebung mit, ohne 
uns dessen bewusst zu werden, und so resultiert schliesslich der Glaube 
an ein Verharren im Fluss der Geschichte. Solche Leute gleichen dem 
ersten Gesellen in Eichendorff's prachtvollem Lied: Sie sehen 
aus heimlichem Stübchen behaglich ins Feld hinaus. 

Daneben gibt es andere, die — mehr oder weniger klar — sich seihst 
und ihre ganze Epoche nur als eine kurze Episode in der historischen 
Entwicklung erkannt haben, die da wissen, dass wir vergänglich sind 
und vergänglich sein müssen, weil das historische Leben fortschreitend 
von Individuum zu Individuum, von einer Nation, von einem Völker¬ 
kreis zu anderen über uns hinwegrollt. Aber sie wissen auch, dass dieses 
Fortschreiten nicht von blindem Ungefähr geleitet wird, sondern von 
ewigen Gesetzen, und noch im Erlöschen grüssen sie diese Gesetze, 
in denen sie ein Stück ihrer selbst ahnen. 

Im ermüdenden Einerlei des Tages, ühertönt von den lärmenden 
Fanfaren einer fiebrigen Reklame macht sich jenes geschichtliche Fort¬ 
schreiten nur wenigen bemerklich. Wenn es aber doch einmal die Schwelle 
des Bewusstseins überschreitet, muss man den Eindruck um so fester 
halten. Während der Studienzeit hörten wir alle von den grossen und 
alten Gegensätzen des Humorismus und des Solidismus, und man 
sagte uns, in der Zellularpathologie seien die Gegensätze versöhnt. 
Indessen die Versöhnung war nur scheinbar. Unter dem Gewände der 
Zellenlehre wucherten die solidarpathologischen Vorstellungen weiter, 
und wer die Zeichen der Zeit zu deuten wusste, erkannte in den patho¬ 
logisch-anatomischen Instituten die Tempel, in-welchen man dem alten 
Gotte von neuem opferte. Aber nicht allzu lange liess sich die Humoral¬ 
pathologie ins Hintertreffen drängen. Mit der Serumtherapie machte 
sie den ersten erfolgreichen Vorstoss. Die glücklichen Erfolge, welche 
ihr eine günstige Konjunktur der Gezeiten in den Schoss warf, gewannen 
ihr im Sturm die Gemüter. Die „innere Sekretion“ folgte, und seitdem 
einigen kritischen Köpfen die Erkenntnis gekommen ist, dass die pa¬ 
thologische Anatomie doch nicht alle Rätsel der Pathologie zu lösen 
vermag, dass sie eigentlich viel mehr unbeantwortet lässt, beginnt ein 
langsames Abbröckeln, natürlich ganz langsam, wie eben grosse Massen 
sich nach Naturgesetzen bewegen müssen. Aber die Richtung ist doch 
ganz unverkennbar. 

Je mehr die Anatomie die einzelnen Organe in den Vordergrund 
gerückt und die Organkrankheiten betont hatte, um so ungeeigneter 
wurde sie zur Erklärung von Allgemeinzuständen, von Anomalien des 
Organismus im ganzen. Das synthetische Band war ja an zu vielen 
Stellen zerrissen. Aber als nach der bakteriologischen Episode die Stö¬ 
rungen der Konstitution wieder an Interesse gewannen, als die Idee einer 
Familien- und Rassenpathologie zu keimen begann, da erwies sich die 
trübe Schwellung und die fettige Degeneration in diesem oder jenem 
Bruchstück als ungenügend, und nun stehen wir an dem Zeitpunkt, 


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710 


Geisaler, 


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wo das dringende Bedürfnis über die Zelle hinausweist und ein Medium 
sucht, welches — den ganzen Körper durchflutend — Gesamterkran- 
kungen der Erklärung zugänglich macht. Die Humoralpathologie kommt 
diesem Bedürfnis entgegen, und so sehen wir nach zwei Jahrtausenden 
von neuem einen Hauch hippokratischen Geistes in der Medizin wehen. 
Wiederum hält das Wort Diathese seinen Einzug, wenngleich, wie 
L e r i im Progres medical ausführt, in etwas veränderter Bedeutung. 

Für den tiefer Denkenden freilich hat sich die Situation gegen da¬ 
mals doch noch mehr verschoben. Denn gleichviel, wie gross die Unter¬ 
schiede zwischen unserer und der hippokratischen Diathese sein mögen: 
sie treten zurück hinter den neuen Faktoren der unsichtbaren, schwin¬ 
genden Energien und hinter der Macht der Psyche. Vor diesen Faktoren 
scheinen die Solida und die Humores fast zusammengehörig zu sein. 
Indessen, in solche ferne Zeiten soll diese Betrachtung nicht locken. 
Sie hat ihren Zweck erfüllt, wenn der eine oder andere den abermaligen 
Uebergang vom solidarpathologischen zum humoralpathologischen 
Denken mit bewusster Aufmerksamkeit verfolgt. 


Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 

Von Dr. W. Geissler, Mitglied der Königlichen hakt. Anstalt zur Bekämpfung des 
Typhus, Trier, zuletzt Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik der Cölner Akademie 
für prakt. Medizin (Prof. Aschaffenburg). 

(Schluss des ersten Teiles.) 

Wenden wir uns dem Harnsäurestoffwechsel des Epilep¬ 
tikers zu. 

Schon vor über 20 Jahren stellte II a i g “) die Hypothese auf, 
dass der epileptische Anfall auf eine Ueberschwemmung des Körpers 
mit Harnsäure zurückzuführen sei und zwar meinte er eine \erringe- 
rung der Harnsäureausscheidung vor den Anfällen festgestellt zu haben, 
sowie eine Vermehrung nach Ablauf derselben. Er glaubte also, dass 
eine Retention der Harnsäure den epileptischen Anfall auslöse und das~ 
diese Harnsäure dann postparoxysmal wieder ausgeschieden würde. 
II er t er und Smith 37 ) konnten diese Befunde nicht bestätigen, 
F e r g u s o n beobachtete nur eine Steigerung der Harnsäure nach dem 
Anfall, aber keine Minderung vor dem Einsetzen. Kninski be¬ 
stätigt hingegen Haigs Feststellungen. Er vermutet hingegen die 
Ursache des epileptischen Anfalles in der Bildung von Karbaminsäure, 
nach seiner Ansicht der Vorstufe der Harnsäure. 

Auch Kauffmann hat ähnliche Beobachtungen gemacht, er 
fand die Karbaminsäure sehr häufig im Urin der Epileptiker, ausserdem 
aber auch einen Reichtum des Urins an Ammoniaksalzen. Nach seiner 
Ansicht begünstigten diese Ammoniaksalze die Bildung der Karbamin- 
.‘■•äure; die Vermehrung des Ammoniaks ist aber nach anderen Forschern 
(Rosonthul 31 ) zu gering, um die Azidosis für die Auslösung der 
Anfälle verantwortlich machen zu können. Mittels der von ihm geübten 
Methode (von Drechsel) des Karbaminsäure-Arnmoni um-Nach¬ 
weises fand er jedoch auch im Urin von Nichtepileptikern positive Re¬ 
sultate ; also hat der Befund nichts für die Epilepsie 
Spezifisches. Nach den neueren Untersuchungen von Couv- 
r e u r (Binswangers Klinik), von R li o d e , Tinte in a n n und 


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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


711 


Hoppe kommt ihr eine wesentliche Bedeutung nicht mehr zu. Die 
Arbeit von M e i n g e r “) glaube ich übergehen zu können, da die ge¬ 
fundenen Werte, wie schon A 1 1 e r s *) hervorhebt, eine Unmöglichkeit 
vorstellen. 

Das Vorkommen und die Bedeutung der Harnsäure jedoch für das 
Zustandekommen des epileptischen Anfalls bleibt bestehen. 

Es sei hier bemerkt, dass die exakten Untersuchungen Rh ödes 
gezeigt haben, dass tatsächlich der epileptische Organis¬ 
mus weniger Harnsäure, als der eingeführten Menge 
purinbildender Substanzen entspricht, ausscheidet, sowie 
Hass diese Substanzen langsamer als der Norm entspricht, gespaltet 
und oxydiert werden. 

Die Bildung von Harnsäure aus den mit der Nahrung eingeführten 
Purinkörpern bezeichnet man als exogenen, den durch Zersetzung 
purinkörperhaltiger Zellbestandteile (namentlich durch den Zerfall der 
an kernnuklein reichen Leukozyten u. a.) als endogenen Harnsäure- 
.stofTwechsel. 

Den endogenen Harnsäurest off Wechsel fand R h o d e in anfalls¬ 
freien Zeiten normal, die erwähnten Störungen beziehen sich lediglich 
auf den exogenen. 

Nach Darreichung von Nukleinsäure konnte Rhode schon nach 
2<J Stunden epileptische Anfälle erzeugen, eine Beobachtung, die Tin- 
temann nicht bestätigen konnte. Ein gewisser Grad der Harnsäure¬ 
retention, wie ihn Krainski angenommen, hat für das Zustande¬ 
kommen des epileptischen Anfalles sicher nichts zu bedeuten, nach 
H o p p e können die Anfälle die Folgen der verschiedensten Harn- 
«äurewerte sein. Die ätiologische Rolle, welche die Harnsäure hierbei 
spielt, ist jedoch keineswegs geklärt, als eine Hilfsursache müssen 
•wir sie aber nach dem heutigen Stande der Forschung wohl aner¬ 
kennen. 

Rhodos Befund eines normalen endogenen Harnsäurestoff¬ 
wechsels in anfallsfreien Zeiten stehen andere Beobachtungen unmittel¬ 
bar nach dem Anfall entgegen, nach denen durch das Auffinden der 
Phosphorsäure im postparoxysmalen Harn Merkmale gegeben erschei¬ 
nen, dass eine endogene Störung vorliegt, da die endogene 
Bildung der Harnsäure sich auf einen Zerfall der nukleinhaltigen Zellen 
stützte, ein solcher Zerfall bei der Epilepsie von Krumbmüller 
(1. c.) beobachtet wurde und man aus dem Zerfall weisser Blutkörper¬ 
chen bei Leukämie mit dem Befund der Harn- und Phosphorsäure im 
Harn Analogieschlüsse zu ziehen versucht ist (T inte m a ri n 1. c.). 

Anderseits wissen wir ja, dass beim Zerfall von nukleinhaltigen 
Zellkörpern, namentlich im Gehirn, sich Phosphorsäure bilden muss, 
da sie ja die Nukleine-Verbindungen von Eiweiss mit Nukleinsäure 
darstellt, d. h. aus Phosphorsäure und Xanthinbasen bezw. Nuklein¬ 
basen zusammengesetzt ist. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen 
wir auch die Arbeit von S. L o e w e 4n ) betrachten, die in übersichtlicher 
Weise dartut, dass die Ausscheidung der Gesamtphosphorsäure beim 
Epileptiker nicht eindeutig gestört ist, d. h. die Ausscheidung des an¬ 
organischen Phosphors. Diese Angaben stehen im Gegensatz zu 
denen R h o d e s , der in anfallsfreien Zeiten keine Störungen in der 
Gesamtphosphorausscheidung beobachten konnte, eine Zunahme des 
Gesamtphosphors dagegen nach dem Anfall mit Sistieren nach (i Stun- 


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712 


Geissler, 


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den und wiederholtem Anstieg an den folgenden Tagen innerhalb der 
Anfallperiode immer geringer werdend. 

L ö vv e fand dagegen übereinstimmend, dass die organische Phos¬ 
phorsäure im Tagesharn in den Folgetagen nach einem epileptischen 
Anfall eine bemerkenswerte Steigerung erfährt und ferner, dass das 
Prozentualverhältnis zwischen Gesamtphosphorsäure und organischer 
Phosphorsäure in einer solchen Periode beim Epileptiker ganz besonders 
erhöht ist. 

Wo nun die Quelle des mehr gebildeten Phosphors zu suchen ist, 
steht dahin. 

Durch Zugrundegehen von Gehirnsubstanz, wie dies Löwe an¬ 
nimmt, kann es meines Erachtens kaum geschehen, dann müsste man 
auch die anderen Zerfallskomponente — Lezithin und Cholesterin — 
entweder im Blut oder Urin oder Liquor vorfinden. 

Diesbezügliche, am Schluss der Arbeit angeführte Untersuchungen 
haben dafür aber einen Beweis nicht erbringen können. 

Ich kann mich der Vermutung nicht verschliessen, dass das Zu¬ 
grundegehen der Leukozyten, deren gehäuftes Vorkommen um und 
kurz nach dem Anfall, sowie anderseits deren Verschwinden einige 
Zeit nach dem Anfall, mehrfach auch von mir beobachtet wurde, die 
Bildung organischer Phosphorsäure veranlasst. 

Unter beiden Hypothesen dürfte die letztere daher als die wahr¬ 
scheinlichere gelten. 

Diese Säuerung des Harnes durch Harn- und Phosphorsäure, die 
nach den Anfällen oft das Doppelte der normalen Werte erreichte und 
an Anfallstagen, auch kurz vor dem Anfall, vermehrt war, ist ferner 
noch auf ein Anwachsen in der Ausscheidung von ätherlöslichen Säuren, 
speziell der Milchsäure zu beziehen. 

Nach Kauffmann besteht jedoch schon vor dem epileptischen 
Anfall eine Säureproduktion. 

Die Azidosis folgert, Kauffmann aus der von ihm nachge¬ 
wiesenen Ammoniumzunahme im Harn, sowohl prä-, wie postparoxys¬ 
mal, ferner aus der Zunahme der ätherlöslichen wie der flüchtigen fetten 
Säuren. Er fasst die Säuerung als eine Oxydationsstörung auf, da er 
den häufigen Befund von Azeton und Azetessigsäure registrieren konnte. 
Ich erwähne diese Kauffmann sehen Analysenzahlen, ohne Schluss¬ 
folgerungen zu ziehen, da ich die gleichen Bedenken wie A11 e r s 
gegen die alkalisch reagierenden Harne seiner Untersuchungen habe, 
dass sie nämlich durch bakterielle Zersetzung und den Zerfall des Harn¬ 
stoffes diese auffallend hohen Ammoniakwerte erhalten haben. 

Rhode fand ätherlösliche Säuren auch vor dem Anfall, ohne 
jedoch die wirksamen oder auch nur eine spezifisch analy¬ 
sieren zu können. 

Ausscheidung von Milchsäure ist nach A 1 1 e r s auf Rechts- 
milchsäure zu beziehen und hat nach diesem Autor ihren Grund in der 
gewaltig gesteigerten Muskeltätigkeit, welche der Krampfanfall darstellt. 

R h o d e schiebt jedoch die postparoxysmale Milchsäureausschei¬ 
dung nicht ganz auf die Muskelaktion und die Asphyxie. 

Auf die Einzelheiten der verschiedenen Theorien und ihr wider- 
streitendes Pro und Kontra gehe ich, als zu weit führend, nicht ein 
und beschränke mich darauf, nur einigermassen geklärte Tatsachen 
von uferlosen Theorien zu trennen. 

Leber diese Frage der Milchsäure äussert sich auch B e s t a "). 


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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


713 


Die Milchsäure ist von Zweifel 42 ) auch hei der Eklampsie ge¬ 
funden worden, nach dem genannten Autor soll ihr eine krampfer- 
regende Wirkung zukommen. Zweifel fand sie ferner : m Blut und 
Urin von Frauen mit Graviditätsnephritis ohne eklamptische Zustände, 
sowie bei Epileptikern postparoxysmal und zwar hei einem schweren 
Fall mit gehäuften Krampfanfällen in bemerkenswerter Menge. Die 
Fälle, in denen er im postparoxysmalen Harn die Milchsäure nicht fand, 
nehmen der Gesetzmässigkeit des Vorkommens von Milchsäure nach 
Anfällen nichts, da Zweifel nicht angegeben hat, wie der Urin ge¬ 
sammelt wurde, da ja ein nach dem Anfall entnommener Urin schon 
präparoxysmal sezerniert gewesen sein kann, mithin ein negatives Re¬ 
sultat nicht zu verwundern ist. — 

Ein ebenfalls viel diskutierter Befund ist der des I ndikans. 

Indikan im Urin beobachtete Kauffmann beim Epileptiker. 
In einem Falle gelang es ihm, die Indoxylurie durch Kohlehydrat- 
Jiahrung auf ein Geringes zu reduzieren. 

Die Untersuchungen von F I o r e n c e und Clement ") über 
Synthese n beim Epileptiker sind noch zu wenig zuverlässig. Auch 
A 11 e r s ') hebt dervor, dass die Autoren die Möglichkeit einer ver¬ 
langsamten Nierenausscheidung nicht berücksichtigt haben. 

Nach B i e d a 1 44 ) bestehen aber zur Zeit der Anfälle Störungen 
der Nierensekretion. 

Störungen des Kohlehydratstoffwechsels haben Soet- 
beer 45 ), T o m a s i n i "), Hoppe 4 ’) und Kauffmann beobachtet. 

Eine eigentliche Glvkosurie wie beim Diabetiker wurde nie be¬ 
merkt, wohl aber Azetonurie. 

Während diese beim Diabetiker fast nur bei Ausschaltung der 
Kohlehydrate aus der Nahrung sich bildet, entsteht sie beim Epi¬ 
leptiker auch bei reichlicher Kohlehydratzufuhr. 

Ob eine Störung in der Oxydation nach Analogie beim Diabetes 
vorliegt oder ob der epileptische Organismus zu Zeiten aus den ein¬ 
geführten Kohlehydraten Glykogen zu bilden nicht imstande ist, oder 
ob die Azetonurie rein nervösen Ursprungs ist, lässt sich nicht mit 
einiger Sicherheit sagen. Die Stützen für letztere Hypothese habe 
ich beiin Kapitel Paralyse betont. 

Soetbeer glaubt in den Azetonkörpern selbst die Ursache der 
Anfälle zu sehen, supponiert ihnen also eine krampfauslösende Wir¬ 
kung. Eine Bestätigung hat seine Theorie nicht gefunden, kann diese 
auch wohl nicht finden, da man die anderen neben dem Azeton im Körper 
zirkulierenden Stoffe nicht kennt, auch andererseits das Azeton im 
Epileptikerblut noch nicht hat isolieren und toxikologische Versuche 
damit anstellen können. An sich ist das Azeton als ungiftiger Körper 
zu betrachten. 

T o m a s i n i fand bei Epileptikern ^eton im Urin ganz unab¬ 
hängig von Krampfanfällen. 

Hoppe fand bei 8,5% aller Epileptiker im Status bei schweren 
Verwirrtszuständen Azeton im Urin. 

Es scheint vielmehr diese Azetonurie nur der stoffliche Aasdruck 
einer tiefgreifenden konstitutionellen Erkrankung zu sein, als die man 
die Epilepsie wohl ansprechen muss. 

Bezüglich des Cholins, dem man vor längerer Zeit ebenfalls 
•eine krampfauslösende Wirkung zuschrieb, verweise ich auf das bei 
der Paralyse ausgeführte. 


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714 


Geissler, 


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Cholesterin wurde in mehreren schweren Fällen von Epilepsie von 
P i g h i n i 48 ) im Serum in grösseren Mengen (bis 0,00 °/oo) nachgewiesen, 
jedoch gingen bei der Mehrzahl der Fälle die gefundenen Werte nicht 
über die Norm hinaus, Zahlen, wie sie bei der Paralyse festgestellt wer¬ 
den konnten, wurden nie erreicht. 

Während das Cholesterin c h e m i s c h weder bei der Paralyse 
noch auch bei der Epilepsie nachzuweisen war, scheinen die biologischen 
Untersuchungen Hauptmanns“) mittels der Saponinhämolyse 
doch ihre Existenz darzutun. 

Haupt mann fand bei eklamptischen und urämischen An¬ 
fällen eine stärkere und bedeutend länger anhaltende hemmende Wirkung 
des Liquors gegen die Saponinhämolyse — also einen positiven Re- 
fund —, bei allen Epileptikern dagegen völlige negative Reaktion. 
Hauptmanns Befunde konnten von Re v lick, Pötzl und 
Hess bei 11 Epileptikern bestätigt werden. Im allgemeinen wider¬ 
sprechen sich die Befunde der Nachuntersucher bezüglich der Epilepsie 
zu sehr, als dass man bestimmte Schlussfolgerungen zu ziehen berechtigt 
wäre. Vor allem kann man sich mit Hauptmanns Folgerung nicht 
solidarisch erk'ären, dass der negative Ausfall der Reaktion hei Epi¬ 
lepsie für eine funktionelle Erkrankung spreche. Gegen eine 
solche sind verschiedene Einwände zu erheben, unter denen der oben¬ 
erwähnte auf den Befund der Phosphorsäure nicht der schwächste 
sein dürfte. 

Den Chlor Stoffwechsel der Epileptiker hat Rhode 
untersucht. Er fand ihn sowohl an Anfalltagen wie in den freien Inter¬ 
vallen normal. Bei einem besonders schweren Falle fanden starke 
Schwankungen in der Chlorausscheidung statt. Etwas Gesetzmässiges 
aber konnte R h o d e nicht feststellen. 

Auch eine Entchlorung des Organismus ist von keinem Forscher 
gefunden worden, was mit der Theorie Runkels, Lauden- 
heimers. Ulrichs und v. W y k s im Widerspruch steht, dass 
bei einem Sinken des Chlorgehaltes um ca. % bei chron. Bromdarreichung 
die Erscheinungen des Bromismus auftreten würden. Ob die von den 
zitierten Autoren untersuchten Epileptiker sämtlich bromfrei waren, 
ist nicht zu ersehen. 

Die obige Theorie stützt sich auf das Phänomen der Substitu¬ 
ierung des Broms durch Chlor. 

V an den V e 1 d e n 50 ) und Ulrich 51 , 5a ) haben fast gleich¬ 
zeitig wohl in Verfolg dieser Erwägungen den Nachweis geführt, das> 
eine erhöhte Kochsalzzufuhr beim Epileptiker epileptische Krampf¬ 
anfälle auszulösen vermag. Diese Tatsache war aus der Praxis heraus 
schon bekannt, jedoch noch nicht experimentell erhärtet. Die Schluss¬ 
folgerungen hieraus können sogar praktischen Wert bekommen, denn 
dann müsste es gelingen, durch Darreichung von Kochsalz allein — oder 
von kochsalzreicher Nahrung — eine simulierte Epilepsie für foren¬ 
sische Zwecke zu erkennen. 

Die Kochsalztherapie ist auch zur Bekämpfung des Bromismus 
empfohlen vord< n als Nutzanwendung der Bromsubstitution durch 
Chlor. 

Nach den Untersuchungen von Redlich, Pötzl und Hess 
tritt das Brom im Liquor später auf, als im Urin, sie folgern daher, 
dass der Liquor seinen Chlorbestand so lange als möglich zu bewahren 
sucht. 


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Uber den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


715 


Es bleibt noch übrig, auf das Verhalten der Spinalflüssig- 
koit der Epileptiker, soweit sie stoffwechsel-pathologisches Intet esse 
bietet, einzugehen. Unter der Zahl neuer Arbeiten über den Liquor 
lassen sieh neue Gesichtspunkte und Resultate für vorliegende Zwecke 
nur vereinzelt herausfinden. 

Von Interesse ist vor allem die Arbeit von Redlich, Pötzl 
und Hess &3 ). die der Untersuchung gewidmet ist. ob und welche in 
den Organismus eingeführte oder in ihm unter normalen und patho¬ 
logischen Verhältnissen gebildeten chemischen Substanzen beim Epi¬ 
leptiker in den Liquor cerebrospinalis übergehen. 

Ich übergehe hier die zum Verständnis des folgenden wichtige 
Frage, ob der Liquor ein Sekretionsprodukt der Plexus choreoidei ist 
oder ein Transsudat des Blutes und verweise auf die obon zitierte Arbeit 
sowie auf meine Ausführung im Anfang meiner Abhandlung über „Ver¬ 
änderungen des Blutdruckes und Blutbildes bei Psychosen sowie Stu¬ 
dien über den Liquor spez. den blutig tingierten.“ 

Redlich,Pötzl und Hess haben geprüft, ob für den Lieber¬ 
tritt der erwähnten Substanzen im Verhalten zwischen Epileptikern 
und normalen und anderweitig erkrankten Individuen prinzipielle Diffe¬ 
renzen bestehen. 

Auf Grund ihrer Untersuchungen haben sie diese-Frage verneint, 
es erscheinen bei Epileptikern ebenso wie bei Nichtepileptikern von den 
in Frage kommenden Substanzen einzelne im Liquor. Von diesen 
interessiert uns besonders von den eingeführten chemischen Körpern 
das Rrom, als spezifisches Medikament der Epilepsie. 

Es hat sich gezeigt, dass das Brom aber nur, wenn es längere Zeit 
genommen wird, in den Liquor übergeht. Ich bemerke hierbei, dass 
dies nicht bei allen chemischen Substanzen bei chronischer Darreichung 
der Fall ist. 

Wie ich in meiner soeben erwähnten Arbeit ausgeführt habe, habe 
ich Methylenblau und Carminlösung, wie sie zur funktionellen N'ieren- 
diagnostik verwertet werden, selbst nach wochenlangem Gebrauch, 
intern und intragluteal, trotzdem die Farbstoffe schon nach ca. 30—45 
Minuten im Urin erschienen, nie im Liquor nachzuweisen vermocht. 

Ob beim Brom die Substituierung durch Chlor eine Rolle spielt, 
lasse ich dahingestellt. Auffallen muss es aber, dass das Jod, das sich 
nicht substituiert, auch bei längerer Medikation nicht im Liquor er¬ 
scheint. 

Von Int eresse ist ferner, dass das Azeton, dessen wir in diesem Ka¬ 
pitel und vor allem bei der Paralyse des näheren Erörterung getan 
haben, von einer Reihe Autoren im Liquor wiedergefunden wurde. 

G rünberge r 54 ) fand es in einem Falle von Coma diabeticum. 
Songues und A y n a u d 55 ) ebenfalls bei einem diabetischen Coma 
in der Menge von 0,50 g (einem Liter Liquor entsprechend), sie konnten 
es sogar experimentell durch subkutane und intravenöse Injektion 
beim Hund in dessen Liquor naehweisen. 

A p e 11 66 ) fand es bei einem Fall schwerer Azetonurie in der Spi¬ 
nalflüssigkeit, Redlich, Pötzl und Hess in 4 Fällen von Delir, 
trenn mit starker Azetonurie und Diazetonurie, davon war in zwei Fällen 
dem Delirium ein epileptischer Anfall voraufgegangen. Für die genuine 
Epilepsie ist es noch nicht bestätigt. 

Die Ursache des Auftretens von Azeton im Liquor wird wohl seiner 
Lipoid-Natur zu danken sein. Das in dieser Hinsicht dem Azeton ähn- 


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716 


Geiuler, 


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liehe Chloroform geht, ja auch nach S i c a r d s 5: ) Untersuchungen in 
den Liquor über, ebenso wie der Alkohol. 

Der Befund des Azetons ist insofern von besonderer Wichtigkeit, 
als er zur Vorsicht in der Beurteilung des Befundes lipoidlösender Sub¬ 
stanzen im Liquor mahnt. Wir können daher vorläufig nicht entschei¬ 
den, wenn wir solche Stoffe in der Spinalflüssigkeit vorfinden, in der 
Annahme, in ihnen schädliche, den epileptischen Anfall auslösende 
Substanzen zu sehen, ob sie aus dem Blute stammen oder sich primär 
im Liquor gebildet haben und ebensowenig, ob es sich nicht vielleicht um 
eine durch Anhäufung infolge des epileptischen Anfalles bedingte normale 
physiologische, bisher nicht bekannte Substanz des Liquor handelt 
oder um Abbausubstanzen, die der epileptischen Erkrankung ihre Spe¬ 
zifität verdanken. 

P i g h i n i 5S ) hat den Liquor der Epileptiker auf seinen Gehalt 
an Cholesterin untersucht. Er fand — aus dem Referat geht nicht her¬ 
vor, ob mit Hilfe chemischer oder biologischer Methoden — bei 6fi % 
der untersuchten Epileptiker Cholesterin, das nach seinen Vergleichs¬ 
untersuchungen mit normalem Liquor bei letzterem fehlt. Er ist der 
Ansicht, dass dieser Lipoidkörper sieh durch die destruktiven Prozesse 
der Gehirnsubstanz bildet, eine Hypothese, die mir höchstens für die 
Paralyse diskutabel erscheint. Die Befunde stehen im Gegensatz zu 
denen anderer Forscher. 

Chemisch wurde jedenfalls Cholesterin bisher auch im Liquor von 
Paralytikern noch nicht gefunden. 

Im Gegensatz zu Rhode fand Kauffmann, dass der 
Salzstoffwechsel bei der Epilepsie gestört sei. Er beobach¬ 
tete in mehreren Fällen verminderte Chlor- und Phosphorausscheidung. 
Diese Schwankungen treten sogar trotz'gleichbleibender Nahrung auf. 

Diese Anomalien des Salzstoffweehsels bringt Kauffmann 
aus anderen in Zusammenhang mit Störungen des Blutdrucks und 
der Nierentätigkeit, auch mit zentral bedingten renalen Funktions¬ 
störungen. 

Bornstein und Stroman 5 ‘) fanden während der Anfälle 
eine Vermehrung der ausgeschiedenen Kalk- und Magnesiumsalze, 
parallel gehend mit einer Verringerung an Phosphorsäure und nach 
dem Anfall eine stärkere Konzentration des Salzgehaltes. 

Ob die vermehrte Ausscheidung von Kalksalzen eine Verarmung 
der Knochensubstanz an ihrem spezifischen Bestandteil hervorruft, 
lässt sich bisher nicht entscheiden. Unwahrscheinlich ist diese Ver¬ 
mutung nicht für die Paralyse, bei der das Phänomen gleich¬ 
falls beobachtet wurde, denn die Brüchigkeit der Knochen der Para¬ 
lytiker ist bekannt. 

Fassen wir kurz zusammen, zu welchen Ergebnisse» 
die Beobachtungen und Untersuchungen an Epileptikern geführt 
haben, so sehen wir, dass für die Praxis nur wenig Greifbares er¬ 
reicht wurde, dass aber die Summe der Einzelstudien Interesse ge¬ 
nug bietet, auf diesem am wenigsten erschlossenen Gebiete der Psycho- 
Neurosen weiter zu arbeiten. 

Als sicher darf wohl die Tatsache gelten, dass der epileptische Or¬ 
ganismus namentlich bei schweren Fällen die Fähigkeit ver¬ 
loren hat, Gleichgewicht zwischen Stickstoffauf¬ 
nahme und -Ausscheidung zu halten. 

Diese Schwankungen äussern sich im Sinne einer StickstofTre- 



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Über den Stoffwechsel des Geisteskranken. 


717 


tention namentlich kurz vor den Anfällen. Im Intervall wurde neben 
der erwähnten Tatsache noch eine Störung des exogenen Harnsäure- 
stofTwechsels beobachtet, die mithin für die chronisch epileptische 
Konstitution pathognomisch zu sein scheint. Wenn auch Störungen 
der Stickstoffbilanz bei Paralytikern und in seltenen Fällen bei anderen 
Psychosen gefunden wurden, so besitzt das gehäufte Vorkommen bei 
der Epilepsie ausser dem wissenschaftlichen schon einen gewissen dia¬ 
gnostischen Wert. 

Die geringsten Werte erreicht die StickstofTretention kurz vor den 
Anfällen lind nimmt womöglich noch bis zu dem Ende des Anfalls 
ab, was namentlich für die Statuszustände zutreffend erscheint. 

Der ReststickstofT im Blute dürfte nach dem Anfall höhere Werte, 
als der Norm entsprechen, aufweisen, eine Beobachtung, die in der 
anfallsfreien Zeit differentialdiagnostischen Wort gegen die Urämie be¬ 
sitzen kann. 

Albuminurie und Zylindrurie kommen bei Epilepsie und Urämie vor. 

Nach dem Anfall ist eine vermehrte Stickstoffausfuhr zu beob¬ 
achten. 

Die Rolle der Karbaminsäure bezw. des karbaminsauren Ammo¬ 
niaks als krampfauslösende Ursache dürfte als erledigt gelten. 

Es wird nach dem Anfall Harnsäure und Phosphorsäure in über¬ 
normalen Werten ausgeschieden, ferner Milchsäure und Ammoniak. 

Die ätiologische Rolle der Harnsäure für das Zustandekommen 
der Anfälle bleibt ungeklärt, dürfte aber als eine Hilfsursache anzu¬ 
sehen sein. 

Im anfallsfreien Stadium ist eine Störung des endogenen Harn- 
säurestofTwechsels nicht beobachtet worden. 

Durch den Befund der Phosphorsäure ini paroxysmalen Harn sind 
Vermutungen berechtigt, dass im Anfall eine Störung des endogenen 
Harnsäurestoff Wechsels vorliegt. 

Das Prozentualverhältnis zwischen Gesamtphosphorsäure und or¬ 
ganischer Phosphorsäure ist an den Tagen nach dem Anfall besonders 
erhöht. 

Die Quelle der Phosphorsäure dürfte in dem Zerfall der Leuko¬ 
zyten zum grossen Teil zu suchen sein, da nach mehrfachen Beobach¬ 
tungen die Hyperleukozytose nach dem Anfall verschwunden war. 

Indikanurie wurde vereinzelt beobachtet. 

Als eine Störung des Kohlehydratstoffwechsels ist hei einem Teile 
der Epileptiker der Befund der Azetonurie zu nennen, nach einer grösse¬ 
ren Statistik bei 8,5 % im Status und in schweren Verwirrtheitszu¬ 
ständen. 

Das Azeton kann auch in die Spinalflüssigkeit übergehen. 

Eine Schwankung im Chlorhaushalt scheint, wenigstens für schwere 
Fälle,zu bestehen,doch liegen hier keine beweisendenUntersuchungenvor. 

Nach experimentellen Untersuchungen können Kochsalzdarrei- 
ehungen epileptische Unfälle auszulösen. 

Die vielseitigen Untersuchungen und E in zel be¬ 
obacht un gen lassen die Vermutung zu*, dass wir die 
Epilepsie als eine chronische (angeborene oder 
früh erworbene) tiefgreifende Konstitutionsano¬ 
malie aufzufassen haben. Warum sich d i e Epilepsie 
hei dem einen durch Dämmerzustand, bei dem an¬ 
deren durch Krampfanfälle, bei dem dritten durch 


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718 Autoreferale und Mitteilungen aus der Praxis. 

«ine Kombination beider äussert, wissen wir nicht. 
Vielleicht sind es nur quantitative Unterschiede 
in der Anhäufung der supponierten, noch nicht 
n ä h er erforschten, im Organismus auftreteudenS u fe¬ 
st a n z e n , die bei ihre r p e r i o d i s c h e n Bildung in rrt i n i- 
malen Mengen nur Reizbarkeit und Verstimmungen, 
in grösseren Dämmerzustände wechselnder Intensi¬ 
tät bilden b e z w. zur Auslösung eines epileptischen 
K r a rn p f a n f a 11 e s f ii h r e n. Dem Einwande, dass dann aber der 
Epileptiker, der bei völliger psychischer Intaktheit nach einem anfali- 
freien Stadium oft plötzlich vom Krampfanfall gepackt wird, in Vn- 
sehung der Quantitätshypothese schon längere Zeit vorher psychische 
Erscheinungen bieten müsste, lässt sich begegnen mit der weiteren 
Hypothese, dass für solche Fälle ein relativ intaktes Gehirn anzu¬ 
nehmen ist. Die Cumulierung der Noxen muss erst eine gewisse 
Reizschwelle überschreiten, um dann plötzlich den Krampfanfall aus¬ 
zulösen, nach Analogie der Eklampsie, Urämie, Diabetes, Rhachitis u. a. 

F ü r d i e A e q u i v a 1 e n t e müssten wir dann eine Di s- 
position des Gehirns von Haus aus oder erworben 
durch die verschiedensten Schädlichkeiten (Trau 
m a , Alkohol, Blei) a n n e h m en, für die schon Reize 
u n t e r h al b des Schwellenwertes zu r Auslös u n g v o n 
psychischen Störungen genüge n. 

Für die Kombination von Aequivalenten und Krampfanfällen, be¬ 
sonders prä- oder postoxysmalen Dämmerzuständen, lässt sich vielleicht 
ausser der Labilität des epileptischen Gehirns im allgemeinen das Ueber- 
sehreiten einer gewissen Grenze bei disponiertem Gehirn annehmen. 

Dass in diese Hypothese alle Fälle symptomatischer Epilepsie mit 
anatomischen Veränderungen, im Sinne der Ausführungen im Eingang 
der Arbeit, nicht einzubeziehen sind, sei nochmals betont. 

(Es folgt ein zweiter Teil.) 


Autoreferate 

und Mitteilungen aus der Praxis. 

Dergegenwärtige Standpunktin der Therapie des Altersstares. 1 ) 

Von Prof. Elschnig. 

Vor dem Eingehen in die Besprechung der operativen Behandlung 
des Altersstares wird die Beeinflussung desselben durch friedliche Mass¬ 
nahmen erörtert. Wenn man den Altersstar, wie dies E 1 s c h n i g tut. 
als eine reine Althrsveränderung der Linse betrachtet, müssen von vorn¬ 
herein alle lokalen Verfahren als aussichtslos angesehen werden, jedoch 
alle Massnahmen, welche allenfalls vorhandene Diathesen, Sto IT Wechsel- 
Störungen u. dergl. bekämpfen, als geeignet erscheinen, das Fortschreiten 
der Starbildung zu verzögern oder aufzuhalten. Jedenfalls sind der¬ 
artige Massnahmen, wenn sie auch erfolglos sind, mit Vorbedingung 
für den Erfolg der operativen Behandlung und erleichtern die Ueher- 
waehung des kranken Auges, die speziell w r egen der so häufigen Kompli¬ 
kation mit Glaukom unbedingt notwendig ist. 

Operative Therapie. Bezüglich des Zeitpunktes der Operation ist 

') Vortrag gehalten in dem Vorein deutscher Ärzte in Prag 19. IV. 12. 


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Autoreferate und Mitteilungen aus der Praxis. 


719 


heute die allgemeine Ansicht, dass jeder Star in jedem Stadium operiert 
werden kann, wenn die körperliche Beschaffenheit und die Beschaffenheit 
des Auges es zulassen. Auch einseitige Katarakten sollen operiert werden, 
frühzeitig schon dann, wenn es sich um myopische Augen handelt, sowie bei 
jugendlichen Individuen, hei denen vielleicht die neuen Z e i s s'schen 
Starbrillen, welche Binokularsehen eines staroperierten Auges mit einem 
■emmetropischen oder schwach ametropischen Partner gestatten, es er¬ 
möglichen dürften, dass beide Augen zum Sehen verwendet werden 
Vorgeschrittenes Senium ist keine Kontraindikation, bei Diabetes kann 
ohne weiteres operiert werden, wenn kein Azeton vorhanden ist, womög¬ 
lich nach Verminderung der Zuckerausscheidung; bei Fettleibigkeit 
sollen Diätkuren vorangehen, ebenso bei Nephritis; bei hohem Blut¬ 
druck würde eventuell am Tage der Operation ein D v e s scher Aderlass 
zu empfehlen sein, speziell zur Verhütung expulsiver Blutung. 

Die postoperative IriPs ist in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle durch Infektion mit im Bindehautsack präexistenten patho¬ 
genen Mikroorganismen bedingt. Es muss daher der Bindehautsack 
vor der Operation, auch wenn Tränenorgane und Bindehaut normal 
erscheinen, bakteriologisch untersucht werden (Bouillonkultur, event. 
aus derselben Agarstrich). Zur Wegschaffung pathogener Mikroorga¬ 
nismen, als welche in erster Linie Streptokokken (Pneumokokken) und 
Staphylokokken in Betracht kommen, empfiehlt sich mehrmals 
täglich Ausspülen mit Ilydrargyrum oxyeyanatum 1 : 5000 bis 1 : 2000 
am meisten. Mangels bakteriologischer Untersuchung kann man einen 
durch 14 Tage so behandelten Bindehautsack nahezu mit Sicherheit 
als keimfrei ansehen. Die neben der postoperativen Infektion vorkom¬ 
menden Iridozykliten sind teils durch das Operationstrauma, teils durch 
rückbleibende Linsenreste bedingt und dürften wohl durch die der 
Operation vorhergehenden allgemeinen Massnahmen wesentlich einzu- 
schränken sein. 

Bezüglich der operativen Technik ist ein möglichst nahe dem 
Hornhuutrande gelegener, mit Bindehautlappen gedeckter Bogenschnitt 
derzeit w lil als der beste anerkannt. Es soll angestrebt werden, die 
runde Pupille zu erhalten. Zur Vermeidung des Irisprolaps empfiehlt 
El sehnig die Iriswurzelinzision. Iridektomie soll gemacht werden 
bei allen Allgemeinanomalien (Diabetes, Fettleibigkeit usw.), bei sehr 
prominenten Bulbis mit straff anliegenden Lidern, bei unruhigen, knei¬ 
fenden Patienten. 

Während E 1 s c h n i g vor Einführung der Iriswurzelinzision unter 
233 ohne Iridektomie operierten Patienten 11 Irisprolapse — 4,7% 
hatte, zu einer Zeit, wo er nur 44% der Stare ohne, 56% mit Iridektomie 
operierte, hat er jetzt auf 245 Extraktionen ohne (gegenüber 73 mit 
Iridektomie, d. i. ein Verhältnis von 78 : 22 %) nur 3 Prolapse. In zweien 
der Fälle scheint die Iriswurzelinzision nicht durchgreifend gewesen zu 
sein, in dem dritten konnte die Iris wieder reponiert werden. Die Ex¬ 
traktion der Linse i n der Kapsel ist als Ausnahmsverfahren für Einzel¬ 
fälle zu versuchen. 


Demonstration eines Falles von Kontrakturen des Darmes 

bei Magenkarzinom. 

Von Franz Lucksch. 

Ein 62 jähriger Mann war durch 14 Tage auf der chirurgischen 
Klinik gelegen und hatte daselbst die Erscheinungen des Darmver- 


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720 


Autoreferate und Mitteilungeu aus der Praxis. 


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Schlusses gezeigt. Er wurde röntgenisiert und es zeigte sich, dass der 
von oben und unten eingeführte Wismutbrei eine Stelle des Darmes 
an der Grenze zwischen Colon deseendens und Sigmaschlinge nicht 
passieren konnte. Ausserdem war auch eine alte Narbe in der Pars 
pylorica konstatiert worden. Da die Erscheinungen immer schwerer 
wurden, musste man sich zu einer Operation entsehliessen und es wurde 
eine Coecostomie angelegt. Aus dieser OefTnung entleerte sich aber fast 
gar kein Kot. Nach 2 mal 24 Stunden starb der Kranke und die 
Diagnose lautete auf wahrscheinlich karzinomatftse Striktur der Sigma¬ 
schlinge. 

Bei der Sektion fand sich aber an der bezeichneten Stelle nichts 
von Karzinom, sondern 3 Stellen, an denen der Dickdarm deutlich 
verengt war; zuerst an der Flexura coli sin., dann an der Grenze zwischen 
Colon deseendens und Sigmaschlinge und schliesslich am Uebergang 
der Sigmaschlinge ins Rektum. An diesen Stellen war am Darme 
weder etwas von Entzündung noch sonst irgend eine Veränderung 
ausser der Kontraktur zu sehen. Die Sektion ergab schliesslich ein 
7 cm im Durchmesser haltendes, narbiges Magengeschwür, das im Zen¬ 
trum eine 1 cm weite PerforationsöfTnung zeigte, die in die Bursa omen- 
talis führte. Dort hatte sich eine an der Vorderfläche der Wirbelsäule 
gelegene Phlegmone entwickelt. Die Ränder des Magengeschwürs 
waren wulstartig verdickt, und in der rechten Lunge fanden sich bis 
erbsengrosse Knoten, die sich mikroskopisch als Metastasen des karzi- 
nomatös entarteten Magengeschwürs erwiesen. 

Der Fall wäre darnach so aufzufassen, dass sich infolge der Per¬ 
foration eines Magengeschwürs eine prävertebrale Phlegmone ent¬ 
wickelte, welche wahrscheinlich die Veranlassung abgab für die Ent¬ 
stehung spastischer Kontrakturen des Darmes. Die durch die Kon¬ 
trakturen hervorgerufenen Symptome waren so schwere, dass sich der 
Chirurg zu einer Operation entsehliessen musste. Es stellt darnach 
der Fall einen für die Diagnostik der Magendarmerkrankungen gewiss 
wichtigen ujid interessanten Befund dar. Autoreferat. 


Demonstration eines Stranges in der Aorta ascendens. 

Von Franz Lucksch. 

Der gemachte Befund war ein zufälliger, bei der Sektion eines 
7(5 jährigen Mannes erhobener. Der betreffende Patient war nicht ein¬ 
mal 24 Stunden im Krankenhause gelegen, deshalb waren nur die 
Zeichen einer Nephritis konstatiert, sonst aber kein besonderer Befund 
erhoben worden. 

In der Aorta ascendens fand sich ein mehr oder weniger runder 
querer Strang unterhalb der Ausmündung der Anonyma, welcher Strang 
die Aorta in eine rechte vordere und linke hintere Hälfte teilt. Der 
Strang ist von derselben Farbe wie die Aorta und auf einem Quer¬ 
schnitt histologisch so zusammengesetzt wie die Aortenwand. In der 
Aorta nur geringe Veränderungen von Atherosklerose. 

Die plausibelste Erklärung, die sich für die Entstehung dieses 
Gebildes geben lässt, ist die, dass es sich um einen Rest des Septum aor- 
ticum handelt. Eine Erklärung, die H e n 1 e schon vor langer Zeit 
für etwaiges Vorkommen derartiger Gebilde gab. Autoreferat. 



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Referate und Besprechungen. 


721 


Über die sogenannte Atemreaktion des Herzens. 

(Vortrag, gehalten im Verein deutscher Ärzte in Prag, den 19. April 1912.) 

Von Professor Dr. Edmund Uoke, Prag-Franzensbad. 

Vortragender bespricht die von A 1 b r e c h t zur Funktionsprüfung 
des Herzens empfohlenen Atemreaktionen. Die von A I b r e c h t ver¬ 
tretene Meinung, die Lungengefässe enthalten während der Inspiration 
mehr Blut, muss zurückgewiesen werden. 

Referate und Besprechungen. 

Allgemeine Pathologie. 

Czerny, Ad. (Straßburg). Zur Frage der reaktiven .Neubildungsvorgänge. 
(Monatschr. f. Kinderh. Bd. X, H. 9.) 

Eine Publikation Gajurins veranlaßt Czerny, seine Ansicht über Neu¬ 
bildungsvorgänge der Leber dahin zu präzisieren, daß er sagt: der Befund 
von isolierten, verzweigten Gallengängen im Bindegewebe läßt nicht den 
Schluß zu, daß es sich um Neubildung handelt. In bestimmten Stadien kann 
bei histologischer Untersuchung die Unterscheidung schwierig sein, ob ein 
Befund eine progressive oder regressive Erscheinung bedeutet. Bei der 
Leber genügt aber dazu nicht der Befund der verzweigten Gallengänge. 
Neubildungsvorgänge müssen in erster Linie von den Leberzellen sichergestellt 
werden. A. W. Bruck-Kattowitz. 

Delbot, P., Herrenschmidt und Beauvy, Chloroform und Nebennieren. (Aca- 

dömie do Mödecine 1912, 5. März.) 

Die 3 Forscher haben in den Kapseln der Nebennieren noch ver¬ 
hältnismäßig lange Zeit nach der Narkose beträchtliche Mengen von Chloro¬ 
form, Fettkügelchen, sowie eine Verminderung des Adrenalins gefunden. 
Sie übertrugen diesen Laboratoriumsfund in die Praxis der Klinik und 
injizierten Kranken, bei welchen sich nach der Operation Schwächezustände 
entwickelten, Adrenalin (0,0004) subkutan, mit dem Erfolg, daß sich 
ihr Befinden in 20 Minuten besserte. Auf Grund von Beobachtungen an 
mehr als 1000 Kranken rät Delbet, die Chloroformnarkose mit Adrena- 
l'ininjektionen zu verbinden; die Narkose verlaufe viel besser, und die 
fatalen Nachwirkungen kämen in Wegfall. Buttersack-Berlin. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Pinard (Paris), Abnahme der verengten Becken in Frankreich. (Bulletin 
möd. de Paris 1912. Nr. 22, ‘S. 281.) 

Aus einer Eröffnungsvorlesung des Prof. Pinard ist der Rückgang 
der verengten Becken in der Clinique Baudelocque bemerkenswert. Aus 
seiner Tabelle seien einige Zahlen herausgegriffen, weiche die kontinuier¬ 
liche Besserungstendenz anzeigen: 

Es kamen im Jahre Erstgebärende mit rachitischen Becken zur Entbindung 


1890 

636 

80 

= 12,5 V 

1895 

852 

47 

= 6,5 °/ 

1900 

974 

17 

= 1,7 V 

1905 

1303 

16 

= L2 V 

1910 

1509 

23 

= 1,6 V 


Buttersack-Berlin. 

v. Bieliler, Waclav (Warschau), Ein Beitrag zur Behandlung der Brust- 
drüsenentzündung mit Bier’scher Saueglocke. (Wiener klin. Rundschau 1911, 
Nr. 51.) 

Der Verfasser hat 89 Fälle von Mastitis mit der Saugmethode be¬ 
handelt und zwar setzte er die Glocke einmal täglich, ausnahmsweise auch 

46 


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722 Referate und Besprechungen. 

zweimal im Laufe von 45 Minuten an; dabei blieb das Instrument 5—10 
Minuten stehen und es erfolgte eine Pause von 3—5 Minuten. Die Brust¬ 
drüse wurde vor und nach der Manipulation mit Seife und warmem Wasser 
und darauf mit Benzin gewaschen. Zum Saugen diente eine gewöhnliche 
Spritze. Die sich bildenden Eiterabszesse wurden unter antiseptischen Kau- 
telen eröffnet, dabei wurde die Öffnung so klein als nur irgend möglich 
gemacht und der Eiter sofort aspiriert. Nach seinen Erfahrungen hält der 
Verfasser die Methode für durchaus empfehlenswert: sie stillt den Schmerz 
fast sofort, rettet die Brust Irüse, heilt in kurzer Zeit und macht die schmerz- 
nafte, lang dauernde chirurgische Behandlung mit Gazetamponade und 
Drainage überflüssig. Die oberflächlichen Entzündungen geben die besten 
Resultate, bei der Entzündung der Milchwege hilft die Glocke durch aseptische 
Entfernung der Milch, sind die tieferen Lyinphwege befallen, so dauert die 
Behandlung länger — 3 bis 4 Wochen — und oft muß man zur Öffnung 
der sich bildenden Abszesse schreiten. Steyerthal-Kleinen. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Muiret (Paris), Le vagabondage constltutionnel. (Annales m^dico-psycho- 
logiques, Juli 1911 bis Januar 1912.) 

Mairet teilt die Vagabundage ein: 1. in eine primitive, konstitu¬ 
tionelle Form; 2. in eine mit moralischen Defekten und Hang zur Unstet¬ 
heit verknüpfte; 3. in eine durch Wahni leen und krankhafte Triebhand- 
lungcn bedingte Farm. Aber hinter allen dreien steht natürlich ein Degene- 
rationszustand, auf dessen Boden diese pathologischen Bedürfnisse gedeihen 
können. 

Der Drang zur Vagabundage macht sich entweder periodisch bemerk- 
Iich wie bei Nr. 3; oder er besteht, wie bei Nr. 1, dauernd. Darnjach 
unterscheidet man den Gelegenheitsvagabunden vom Gewohnheitsvagabunden. 
Nicht immer ist der motorische Antrieb so stark, um die Betreffenden mehr 
oder weniger planlos in die Ferne zu treiben; mitunter verbirgt sich die Vaga- 
bundenneigung auch hinter anderen Formen der Imbezillität. M. stellt den 
chcmineaux, den eigentlichen Landstreichern, die gens sans aveu, die Tage¬ 
diebe, dunkeln Existenzen, gegenüber. Die ersteren sind unschädlich, sie 
werden früher oder später aufgegriffen und stiften weiter keinen Schaden. 
Die andere Sorte dagegen, die konstitutionellen Vagabunden, müssen natur¬ 
gemäß ihren Unterhalt durch Betteleien, Gaunereien aller Art, Diebstahl 
erwerben; dazu kommen dann noch — als Ausdruck ihrer allgemeinen 
Imbezillität — Bittiichkeitsattentate, Brandstiftung und dergleichen. 

Der erwachsene Vagabund ist unheilbar. Ihn wird man am besten an 
(inem sicheren Ort internieren. Dagegen meint M., daß durch gemeinsames 
Zusammenwirken von Eltern, Lehrern und (Schul) Ärzten ein werdender Vaga¬ 
bund noch zurechtgemodelt werden könne. Buttersack-Berlin. 

Pilcz, Alexander (Wien), Zur Tuberkulin bell andlung der progressiven Para¬ 
lyse. (St. Petersburger medizin. Zeitschr. 1912, Nr. ö, S. 63/64.) 

Mery, ein französischer Schriftsteller des XIII. Jahrhunderts, be¬ 
klagte sich, daß schon alle3 gesagt sei: Je n’ai de quoi; ear tout est 
dit. 400 Jahre später wiederholte La Bruvere diesen Satz: Tout est 

dit, et Ton vient trop tard depuis plus de sept mille aus qu’il v a des 

hommes, et qui pensent. 

Im Hinblick auf unsere Publikationsschätze sind wir Heutigen geneigt, 
über Mery und La Bruyöre zu lächeln, und erst recht über des 

Terenz’ Vorwitzigkeit: Nullum est jam dictum, quod non sit dictum prius. 
Allein mit Unrecht; es gibt auch heute noch Überraschungen. So der vor¬ 
liegende Aufsatz. Von der Beobachtung ausgehend, daß nicht zu weit vor¬ 

geschrittene Paralysen unter der Einwirkung fieberhafter Infektionskrank¬ 
heiten zurückgehen, riefen Wagner und Pilcz systematisch Temperatur¬ 
steigerungen durch Tuberkulininjektionen hervor, und kombinierten damit 



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Referate und Besprechungen. 


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7-4 

genauere neurologische Untersuchung sowie häufigere Veröffentlichung der 
Fälle herbeigeführt ist, wobei gleichzeitig auf die jetzt bessere Erkennung 
der Störungen durch die Vervollkommnung der Untersuchungsmethoden hin¬ 
gewiesen wird. 

4. Um die Frage der Neurorezidive nach jeder Richtung hin zu klären, 
ist es dringend notwendig, unvoreingenommen möglichst viel Vergleichs¬ 
material zu sammeln und eine große Vergleichsstatistik aufzustellen zwischen 
Salvarsan- und Quecksilberbehandlung in der Frühperiode der Lues. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Maillard, Des differentes espeees de douleurs psychopathiques (leur sitrnl- 
fication, leur röle). (Gazette m6d. de Paris 1911. Nr. 121.) 

Neben der physiologischen Schmerzempfindung gibt- es eine psvcho- 
pathologische Schmerzempfindung. Ihr kann eine organische Läsion zu 
Grunde liegen oder nicht. Sie ist von der physiologischen grundverschieden. 
Einmal steht sie in einem mehr oder weniger grellen Mißverhältnis zu der 
Ursache. Sie unterscheidet sich wesentlich nach Qualität und Intensität 
und findet ihren stärksten Ausdruck dann, wenn sie ohne jegliche körper¬ 
liche Veranlassung ausgelöst wird. Der psychische Zustand, der sie aus¬ 
löst, kann dabei sehr verschieden sein. Verfasser gibt folgende Einteilung, 
die wohl sämtlichen in Betracht kommenden Möglichkeiten gerecht wird: 

1. halluzinatorisches Schmerzempfinden, 

2. pithiatrische, 

3. paranoische, 

4. zenestopathische. K. Boas-Straßburg i. E. 

de Ciapardde, Proc£d6 pour contrölcr l’authentlcit£ de I'hypnose. (Archives 
des Sciences physique et naturelles 1911. Bd. XXXII, S. 159.) 

Man läßt den zu Hypnotisierenden drei Serien von je 10 Worten lesen 
und zwar: 

1. erste Serie in wachem Zustande, 

2. zweite Serie im hypnotischen Zustande; . 

3. die erste und zweite und außerdem eine dritte Serie durcheinander, 
wenn der Wachzustand wieder eingetreten ist. 

Besteht nun eine gewisse posthypnotische Amnesie, so kann die Person 
die erste Serie mit Leichtigkeit reproduzieren, dagegen sind die Worte der 
zweiten und dritten Serie für ihn neu. Man hypnotisiert dann die Person 
von frischem, legt ihm die 30 Worte wieder vor. Diesmal reproduziert er 
die Worte der zweiten Serie, die er bei der ersten Hypnose schon gehört hat, 
ohne Zögern und unterscheidet sie genau von den Worten der letzten Serie. 
Statt Wortserien kann man auch Bilderserien nehmen. Dies Verfahren macht 
jede Simulation eines hypnotischen Zustandes unmöglich. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Weiner, Beitrag zur Kenntnis und Kasuistik der Neurosen nach elektrischen 
Unfällen. Inaug. Dissertation. Münchon 1911.) 

1. Die Einwirkung des elektrischen Stromes kann zu spezifischen patho¬ 
logischen Erscheinungen führen. Dieselben sind aber vorübergehender Natur. 

2. Die Dauersymptome, welche das elektrische Trauma macht, sind 
auf den nervösen Shok zurückzuführen. 

3. Das elektrische Trauma unterscheidet sich in dieser Beziehung in 
nichts von jedem anderen mechanischen Trauma, und seine Wirkung ist 
durch die Plötzlichkeit des Angriffes zu erklären. 

1. Die klinischen Ausfallserscheinungen decken sich nicht mit den 
anatomischen Veränderungen, welche die Einwirkung des elektrischen 
Stromes zur Folge hat. 

5. Die Neurosen nach elektrischen Unfällen decken sich vollkommen 
mit dem bekannten Bild der traumatischen Neurose. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Lydston', Frank (Chicago),* Neurastenia sexualis und Prostata. (Med. Record 
1912. 3 Februar.) 

„En voyont ce qui se passe dans le monde, Thomme le plus misanthrope 



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Referate und Bettprechungen. 


725 


finirait par s’egayer, et Heraclite par mourir de rire.“ — Es war ein 
gescheidter Mann, jener Nicolas Chamfort, der vor mehr als 100 
Jahren diesen Aphorismus niedergeschrieben hat. Leider hat er keine Schule 
gemacht. Unsere Zeitgenossen sehen in ihrer überwiegenden Mehrzahl alles 
so bitterernst an und berauben sich auf diese Weise nicht allein des Ge¬ 
nusses, welchen der Humor an sich gewährt, sondern auch eines ange¬ 
nehmen Mittels, mit den Fatalitäten des Lebens und den unzähligen An¬ 
griffen auf den simple bon sens fertig zu werden. Aber Meister Lydston, 
Professor der Chirurgie des Uro-Genitalapparates in Chicago, bringt doch 
vielleicht den einen oder anderen zum Lächeln. Er stipuliert einen Kausal¬ 
nexus zwischen Prostata-Hyperämie und Hyperästhesie der Urethra profcta- 
tica einerseits, und der Neurasthenia sexualis andererseits. 

Da die Grenzen seines geistigen Horizontes offenbar mit denen seines 
Lehrfaches zusammenfallen und da er der Ansicht zu sein scheint, mit 
•dem Messer des Chirurgen seien alle irdischen Schäden heilbar, so beschloß 
er, die Vena dorsalis penis zu resezieren. Die zu diesem Gedankengang 
erforderlichen salt> mortales werden nicht eben viele mitzumachen imstande 
sein. Immerhin gaben sich einige Sexualneurastheniker dazu her und wären 
auch vielleicht ganz geheilt worden, wenn nicht die nunmehr unmöglich 
gewordene Erektion ihre Psyche von neuem bedrückt hätte. So mußten 
sic sich eben mit einem relativen Erfolg begnügen. — 

In G. C h. Lichtenbergs Schriften findet sich einmal die Frage 
aufgeworfen: „Glaubt ihr denn, daß sich Entdeckungen bloß mit Ver¬ 
größerungsgläsern machen lassen? ich glaube, mit Verkleinerungsgläsern 
oder wenigstens durch ein ähnliches Instrument in der intellektuellen Welt 

— z. B. Witz — sind wohl mehr Entdeckungen gemacht worden.“ Mit dem 
schweren Rüstzeug sachlicher Gelehrsamkeit kommen wir über viele Er¬ 
eignisse um uns herum nicht hinüber, während uns die Hilaritas animi, 
wie sie der Humor verleiht, spielend darüber hinwegträgt. Auch für die 
sog. Wissenschaft wäre solch ein Einschlag von Vorteil; denn 

„Wer weiß, ob Leben nicht vielleicht das Sterben ist 

Und Sterben Leben, und das Sterben nur ein Schlaf?“ (Euripides.) 

Buttersack-Berlin. 

Syphilis, Salvarsan und Zentralnervensystem. (Le Bull. möd. 1912, Nr. 21, 
S. 273.) 

In der März-Sitzung der Societö framjaise de dermatologie et de syphili- 
graphie wurde über mehrere Fälle von Syphilitikern berichtet, bei welchen 

— in ganz verschiedenen Stadien — unter Salvarsaninjektionen Funktions¬ 
störungen des Seh- und Hörorgans, sowie meningitische und periostitische 
Affektionen aufgetreten sind. Wenn auch die Salvarsan-Anhänger allerlei 
Entschuldigungsgründe vorbrachten, so ging der allgemeine Eindruck doch 
dahin, daß die genannten Komplikationen neuerdings häufiger auftreten. 
Pa u tri er hob hervor, daß über die Dosierung des 606 noch keine Klar¬ 
heit herrsche. Von den ursprünglichen hohen Dosen sei man wegen der 
Intoxikationen auf dreimalige Injektionen von 0,3 (bis höchstens 0,5) herunter¬ 
gegangen; und jetzt gebe es wieder Ärzte, wie Emery, welche in zwölf 
Injektineon binnen 3 Monaten 3—4 g Salvarsan einspritzten. Wenn man 
gar einen negativen Wassermann erzielen wolle, dann sei ein Ende der 
Injektionen im Einzelfalle überhaupt nicht abzusehen. — 

Der Kliniker bemerkt bei allen diesen Diskussionen, wie, genau ge¬ 
nommen, Chemiker sich auf seinem ureigensten Gebiete tummeln, und 
erinnert sich dabei ähnlicher Episoden in der — leider zu wenig bekannten 
Geschichte seiner Kunst, deren eine den großen Trousseau sagen ließ: 
„Vous savez, messieurs, ceque je pense de ces theories chimiques appliquees 
aux operations qui ont lieu dans le corp3 vivant. Ces theories, d’ailleurs, 
de l’avis meme des chimistes, tombent ici parfaitement ä faux.“ 

Buttersack-Berlin. 


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72« 


Referate und Besprechungen. 


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Luden v. Heninien, (München) über eine neue Sehnellfärbunglür Markscheiden 
und Achsenzylinder zu gleicher Zell (Weigert-Modifikation), verwendbar lür 
Celloidln und tielrierschnitle. (Zentralbl. für allg, Pathologie u. patholog. 
Anatomie. 1912. Bd. XXIII. Nr. 3.) 

Als Kernfärbung verwendet Verfasser eine lOproz. Verdünnung des 
käuflichen Ferri sesqu. Chljrat 

Die' Färbung selbst geht folgendermaßen vor sich: 

1. Die in 70 prozentigern Alkohol aufbewahrten Zelloidinsehnitte werden 
kurz in Lcitungswasser abgespült und kommen dann 

2. 2—5 Minuten in folgendes Gemisch: Chromsäure 16 "o, Chromkalt 
wässerig konzentriert zu gleichen Teilen. 

3. 2—5 Minuten in 10 f»o Eisenchlorid. 

4. 2—5 Minuten in gesättigte neutrale Kupferazetatlösung: (maximale 
Löslichkeit 1:14) heiß Lösen, Filtrieren, erkalten lassen. Beim Lösen wird 
nie Flüssigkeit schmutziggrün, erklärt sich aber vollkommen durch Filtra¬ 
tion. 

5. 2 5 Minuten in konzentrierte alkoholische (70 " o Alkohol) Häma- 
toxylinlösung. 

6. Abermals ein paar Minuten in konzentriertes neutrales Kupferazetat, 
bis blaue Wolken vom Schnitt abgehen. Diese Lösung wird allmählich 
dunkellasurfarben und muß darum erneuert werden. 

7. Etwas längeres Abspülen in Leitungswasser. 

Sind die Schnitte jetzt tief-blauschwarz, so kann sofort differenziert 
werden, sind sie hellgraublau, so wiederholt man einfach 5, 6, 7 bis der 
richtige Ton erreicht ist. 

8. Differenzierung. 

Beim Differenzieren lassen sich zwei Arten von Kontrastfarben er¬ 
zielen: 

a) Der genaue Ton der Weigert- Originalschnitte, Markscheiden 
preußisch-blau, Bindegewebe hellgrau oder Teerfarbe; Kerne des 
Bindegewebes, Kernkörperchen, Erythrozyten, Ependymzellen des Zen¬ 
tralkanals (die bei Weigert- Original oft farblos bleiben) tief¬ 
schwarz. Die Differenzierungslösung ist in diesem Falle Ferro- 
zyankali und Borax oder Lithium carb. zu gleichen Teilen, beide 
wässerig konzentriert, zur Hälfte mit Leitungswasser verdünnt. 

b) Markscheiden mehr tief -lilablau, Bindegewebe hell warm rotbraun. 
Kerne wie oben. Differenzierungsflüssigkeit: Ferrozyankali und Lith. 
carb. zu gleichen Teilen, beide wässerig konzentriert, ebenfalls mit 
Wasser zur Hälfte verdünnt. 

Nach der Differenzierung kommen die Schnitte 

9. 5 Minuten in Lith. carb. konzentriert und werden darnach in Lei¬ 
tungswasser abgespült. Je länger der Schnitt in Leitungswasser bleibt, desto 
leuchtender wird der Ton. 

10. Kurzes Entwässern in Alkohol abs. oder 96 o 6 Alkohol. 

11. Xylol (Karbol-Xylol ist zu vermeiden, da stärkere Säuren die Farbe 
verderben). 

12. Balsam. 

Die angegebene Methode hat sich namentlich für Zelloidinsehnitte, 
weniger gut dagegen für Paraffinschnitte bewährt. Sie eignet sich 
für gechromtes (Müllersche Flüssigkeit) und ungechromtes, ein 
in 10 Formalin gehärtetes Material und für Gefrierschnitte. Für 
Gefrierschnitte genügt eine (2 Minuten) Färbung. In allen Fällen sind die 
Markscheiden und Achsenzylinder deutlich erkennbar. Die Markscheiden des 
normalen Rückenmarks sowie die des gesunden Bereiches im pathologisch 
veränderten färben sich leuchtend blau, während dieselben, je mehr sie sich 
der erkrankten Zone nähern, zunehmend blässere, mehr rötlich-blaue Nuancen 
zeigen. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um ein langsames Fortschrei¬ 
ten des degenerativen Prozesses. K. Boas-Straßburg i. E. 


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Kelernle und Besprechungen. 


727 


Kinderheilkunde und Säuglingsernährung 

Masay (Brüssel), Beitrag zur Lehrp von der Temperatur der Frühgeborenen. 
(Jahrb. f. Kinderheilk. 1912, Bd. 75, H. 2.) 

Bei allen Neugebornen beobachtet man nach der Geburt ein erheb¬ 
liches Sinken der Temperatur. Bei dem normalen Kinde ist die Wärme¬ 
regulierung vom ersten Tage an tadellos. Anders steht es mit den Früh¬ 
geborenen. Die Temperatur fällt nach der Geburt sehr tief und hat meist 
gar keine Tendenz, sich zu heben. Wenn man nicht eingreift, nimmt das 
Kind die Außentemperatur an und stirbt. 

Masay beschäftigt sich nun mit der Frage, wie diese Unfähigkeit der 
Frühgeborenen, ihre Temperatur zu regulieren, zu erklären sei. Zunächst 
ist wie bei jedem kleinen Kinde die Wärmeausstrahlung infolge der Ober¬ 
flächenverhältnisse nach dem bekannten Gesetz relativ groß. Dieser Be¬ 
obachtung ist keine große Wichtigkeit beizumessen, denn viele normal. 1 
Neugeborene sind sehr klein und trotzdem fähig, ihre Temperatur zu regeln. 
Bedeutsam erscheint die Tatsache, daß das Frühgeborene eine schwache 
Entwicklung seiner Fettschicht aufweist. Drittens ist der Einfluß des Nerven¬ 
systems von Bedeutung. Die Zentren der Wärmeregulierung sind noch nicht 
entwickelt, daher eine gewisse Anarchie in der Wärmebildung. Diese Ursache 
ist sicher die wichtigste. Bei den homöothermen Tieren sind die Neuge¬ 
borenen um so empfindlicher der Kälte gegenüber, als ihr Nervensystem 
schwächer entwickelt ist. Die Frühgeborenen sind desto mehr der Erkältung 
ausgesetzt, je weiter sie vom Ende der Schwangerschaft entfernt gewesen 
sind, unabhängig von ihrem Gewicht und ihrer Fettschicht. Durch zwei 
Beobachtungen sucht Verfasser die Annahme zu stützen, daß die Hyper¬ 
thermie ebenso schlecht vertragen wird als die Hypothermie. 

Geringe Einspritzungen von physiolog. Kochsalzlösung (30 ccm) riefen 
bei Frühgeburten starke Wärmereaktionen hervor. Verfasser benutzte dies, 
um die Lebenskraft und die Wärme des Frühgeborenen günstig zu beeinflussen. 

Als sehr wesentlich für die Entwicklung der Muskeln der Frühgeborenen 
und zugleich um die Widerstandsfähigkeit gegen Kälte zu steigern, erscheint 
das Hervorrufen von Muskelbewegungen. A. W. Bruck-Kattowitz. 

Schlipps (Straßburg), Über Herztöne kranker und gesunder Säuglinge. 
(Aus dor Univers. Kinderklinik. (Monatsschr. f. Kinderh. Bd. X, Nr. 9.) 

Nach einer Literaturzusammenstellung über das Gebiet der Herz¬ 
muskulatur bei Säuglingen, zitiert Schlieps aus Czernys Handbuch diesen 
Autor folgendermaßen: „Bei der Auskultation des Herzens verraten sich 
die schweren Grade der Zirkulationsstörungen zuerst mit der Abnahme der 
Intensität der Herztöne und der Schärfe ihrer Begrenzung. Die Herztöne 
werden weniger hörbar und klingen dumpf. In schweren Graden nimmt 
einer der Herztöne an Intensität ab, so daß schließlich nur mehr ein 
Ton hörbar ist. Da der Puls nicht kontrollierbar ist, ist es schwer zu ent¬ 
scheiden, welcher Ton verschwunden ist. Nach Czerny ist es der erste, 
nach Heubner der zweite. 

Schlieps meint nach seinen Beobachtungen, daß bei älteren Kindern 
in schweren Fällen von Infektionskrankheiten der erste Ton unhörbar wird. 
Die Schlaffheit der Skelettmuskulatur läßt auf einen verminderten Tonus des 
Herzmuskels schließen. Das Leiser werden des einen Herztons während noch 
bestehender normaler Blutdruckverhältnisse weist darauf hin, daß es der 
erste Ton sein muß, der dumpf und leise wird. Der übrig gebliebene hörbare 
Ton ist über der Pulmonalis lauter als an der Herzspitze. 

Daß der erste Ton derjenige ist, welcher verschwindet, sucht Schlieps 
weiter durch die Röntgenoskopie in Verbindung mit gleichzeitiger Aus¬ 
kultation zu erhärten. Es empfiehlt sich dabei den Herzschatten stark abzu¬ 
blenden und die Aufmerksamkeit auf die Herzspitze zu lenken. 

Der Rezeptor des binauricularen Schlauchstetoskopes wird am besten 
lateral vom linken Rande des Herzspitzenschattens aufgesetzt, wodurch sich 
Systole und Diastole leichter kontrollieren lassen. Bei zu großer Unruhe 


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728 


Referate und Besprechungen. 


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des Säuglings, oder zu frequenter Atmung läßt diese Methode im Stich. 
Fälle von Bradykardie sind ihr günstig. 

Über das Verhalten der Herztöne beim gesunden Säugling findet Schlieps 
bei 10 Flaschenkindern 8 mal den zweiten Ton an der Basis lauter als den 
ersten. In 2 Fällen war ein Unterschied in der Tonstärke des ersten und 
zweiten Tones an der Basis nicht zu konstatieren. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Noeggerath (Berlin), Klinische Beobachtungen bei der Salvarsanbehandlnng 
syphilitischer Säuglinge. Aus der Univers. Kinderklinik. (Jahrb. f. Kinderhü 
Bd. 75, H. 2). 

Ehrlich selbst riet anfangs zu großer Vorsicht in der Behandlung 
syphilitischer Säuglinge mit Salvarsan. Stellt es doch geradezu eine Rein¬ 
kultur von Spirochäten dar, so daß zu befürchten sei, daß das explosions¬ 
artige Freiwerden ihrer Leibessubstanz den häufig sehr dekrepiden Kör¬ 
per allzuschwer schädigen könne. 

Noeggerath hat, wie er angibt, mit einem wenig erfreulichen Menschen¬ 
material gearbeitet. Er berichtet über 28 Säuglinge. Unter ihnen waren 
bei nachsichtiger Betrachtung nur 13 zur Zeit der Injektion in einem einiger¬ 
maßen zufriedenstellenden Zustand. Schwere intestinale Formen von Lues 
hatte Verfasser nicht darunter. 

Die Behandlung bestand bei den ersten Fällen in der intraglutealen 
Verabreichung. Später ging Noeggerath auf die von Weintraut empfohlene 
alkalische Lösung über und zwar zur intravenösen Injektion. Verfasser 
benutzte dazu vorwiegend die Schädelvene. Er meint übrigens ebenso wie 
Weide, daß diese Injektionen Übung erfordern und trotzdem sehr schwierig 
wierden können. Kleine, neben der Vene aus Versehen befindliche Salvarsan- 
depots hält er für ungefährlich. 

Als ein wesentlicher Fortschritt zur Behandlung der Säuglingslues muß 
die Einverleibung konzentrierter Lösungen betrachtet werden, wodurch die 
Technik wesentlich vereinfacht wird. 

Seit Anfang Dezember 1911 benutzte Noeggerath nach dem Vorgänge 
Fchdes auch beim Säugling konzentrierte Dosen. Bald wurde Fehdes Vor¬ 
schrift noch überholt, so daß jetzt bei fünf Säuglingen z. T. in mehrfacher 
Wiederholung Injektionen in recht hohen und konzentrierten Dosen von 0,1g 
Salvarsan in 2 ccm Lösung (= 1 ccm soeben sterilisierter heißer 8proz. 
Kochsalzlösung -j- ca. 1 ccm heißer inj. Natronlauge, tropfenweise bis 
zur klaren Lösung hinzugefügt und Kochsalzlösung ad 2 ccm) intravenös 
inkorporiert wurde. 

Über die Wirkung des Salvarsans auf den Säuglingsorganismus schreibt 
Noeggerath: Zuerst zeigen sich die Papulae von Spirochäten frei, das ist 
schon am nächsten Tage der Fall; die Effloreszenzen selbst beginnen abzu¬ 
blassen, dann fängt eine Schuppung an, die fast das Aussehen der Extremi¬ 
täten Scharlachkranker haben kann. Die Hauterscheinungen an Lippen 
(Rhagaden usw.), Naseneingang, After heilen schwerer. Bokay und Weide 
weisen auf die augenscheinliche Besserung des Kolorits hin, die Noeggerath 
insofern bestätigt sah, daß es ebenfalls nach 6—8 Tagen post Injektionen: 
ein Rosigwerden des Gesichtes feststellen konnte. Interessant ist die zweite 
kritische Zeit nach ungefähr 10 Tagen. In dieser Periode können schwere 
unbeeinflußbare Magendarmerscheinungen auftreten, ferner infektiöse Prozesse 
wie Furunkel, Panaritien. Die Versuche, prognostische Symptome in dieser 
Zeit festzustellen, mißlangen. 

Einigermaßen prognostisch verwertbar scheint die Leukozytose zu 6ein. 
Wenn sie gar nicht sinkt, so ist das ein ziemlich sicheres Zeichen einer ein¬ 
tretenden Komplikation. 

Gewöhnlich gingen die Säuglinge nach 1—7 Wochen aus dieser zweiten 
kritischen Periode endlich in die Rekonvaleszenz über. Aber 2 von sieben 
Fällen hat Noeggerath doch um diesen Zeitpunkt herum verloren. 

Die 3. Phase, die direkt an die erste Bich anreihen kann ohne die 
eben beschriebene zweite kritische zubringen, das Stadium des latenten 



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Referate und Besprechungen. 


729 


oder abheilendcn Syphilis, zeigt ein farbloses Bild. Die Einwirkung auf den 
Hydrocephalus ist, wenn sie überhaupt deutlich in Erscheinung tritt, eine 
Frage von vielen Wochen und der Erfolg oftmaliger Injektionen. Das¬ 
selbe gilt vom Schniefen. — Auf die oft Säuglingsluea begleitende 
Furunkulose hat Salvarsan keinen Einfluß. Von 28 Fallen beobachtete sie 
Noeggerath achtmal. Es befanden sich darunter intergluteal und intravenös 
injizierte Kinder. 

Wenn wir nach dem Resume dieser Arbeit fragen, so hält Verfasser 
das Salvarsan nach seinen Erfahrungen für sicherlich sehr wirksam. Die 
schnelle symptomatische Beeinflussung steht außer Diskussion. Die Frage 
der Heilung ist zu bejahen. Eine Kombination mit Quecksilber erscheint relativ 
die besten Aussichten zu bieten. 

Die Frage, was aus den Säuglingen, die mit Salvarsan in Verbindung 
mit Quecksilber behandelt sind, später wird, ferner ob die Dosierung nach 
Fehde in konzentrierter Form, wie sie bisher so erfolgreich und ungefähr¬ 
lich scheint, das wirklich ist, schließlich welche Formen der Säuglingslues 
Kontraindikationen gegen die Salvarsanbehandlung bilden, — das alles sind 
Dinge, die erst später aus langjähriger Erfahrung heraus entschieden werden 
können. A. W. Bruck-Kattowitz. 

Weide (Berlin). Erfahrungen mit Salvarsan bei Lues congenita. (Jahrbuch 
f. Kinderheilk. Bd. 75, H. 1.) 

Sehr ausführliche Studie aus dem Dresdner Säuglingsheim (Prof. Riet- 
schel), welche im Original nachgclesen zu werden verdient. Die Erfolge 
der Salvarsanbehandlung waren in Bezug auf Besserung des Allgemeinbe¬ 
findens und besonders der Hauterscheinungen befriedigend. Allerdings wurden 
in zwei Fällen Rezidive auf der Haut gesehen. Von Dauerheilungen ließ 
sich bei der Kürze der Beobachtungszeit noch nicht reden. Der in allen 
Fällen positiv gebliebene Wassermann läßt den Schluß auf eine vollständige 
Heilung nicht zu. Dauernde Schäden (Vergiftung, Erblindung, Nephritis, 
Nervenlähmung) wurden nie konstatiert. 

Einige Kinder wurden nebenher mit Protojoduret behandelt, entweder, 
weil ihr Allgemeinzustand eine Erprobung des neuen unbekannten Mittels 
nicht sogleich ratsam erscheinen ließ, oder weil lästige Nekrosen aufge¬ 
treten waren, die von einer schnellen Reinjektion abhielten. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Ssokoiow (St. Petersburg), Eine Methode der künstlichen Atmung bei 
Kindern. (Monatschr. f. Kinderheilk. Bd. X,'Nr. 9.) 

Das Wesen dieser Methode, die Verfasser gelegentlich einer Tracheo¬ 
tomie bei einem nach Luft ringenden Kinde, anwandte, besteht darin, daß 
bei starkem Rückwärtsbeugen des Kopfes im besonderen eine mechanische 
Dehnung des oberen Teiles des Brustkorbes erfolgt, da der Kopf durch sein 
Gewicht und durch die Halsmuskeln einen Zug am Sternum und an den 
Schulterblättern ausübt; es erfolgt eine Inspiration. Bei der Annäherung 
des Kinns an das Sternum erfolgt eine entgegengesetzte Luftbewegung, 
d. h. eine Exspiration, da der Brustkorb jetzt in seinem oberen Teile kom¬ 
primiert wird. Gleichzeitig wird im Moment der sternalen Flexion des Kopfes 
eine Anpressung der Oberschenkel an das Abdomen vorgenommen und die 
Exspiration verstärkt. Bei Rückwärtsbeugung des Kopfes und Extension 
der Beine erfolgt die Inspiration. Die Vorzüge dieser Methode sind nach 
Verfasser unter anderem folgende: 

1. sie ist für die Kinder ungefährlich; 2. sie vermeidet die Abkühlung 
des Kindes vollkommen; 3. sie ermüdet den Arzt nicht! 

A. W. Bruck-Kattowitz. 

Wittlch (Berlin), Versuch einer poliklinischen Tuberkulinbehandlung der 
kindlichen Skrofulöse und Tuberkulose. (Jahrb. für Kinderh. Bd. 75, H. 2.) 

W. begann mit y infl0 Milligramm Alt-Tuberkulin Kochii und stieg ganz 
ganz langsam, um möglichst Fieber und stürmische Reaktionen zu vermeiden. 
Es ließen sich zwar Stichreaktionen und Fieber nicht in allen Fällen über¬ 
gehen, aber die Eltern hatten sich dann meist von dem Erfolg der Kur 


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Referate und Besprechungen. 


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derartig überzeugt, daß sie einen roten, schmerzhaften Arm und eine Fieber¬ 
steigerung, die nicht länger als einige Stunden anhielt, lieber in den Kauf 
nahmen, als ein Entsagen der Kur. 

Verfasser bediente sich eines in der Kaiser Friedrich-Apotheke Berlin 
NW. 6, Karlstr. 20 c, hergestellten Alt-Tuberkulins. Dieses wird in 5 Serien 
zu je 10 farbigen Ampullen, verpackt in Pappkarton, in den Handel ge¬ 
bracht. 4 Serien bis zu 20 Milligramm Alt-Tuberkulin wurden angewandt. 

Der Erfolg der Behandlung bestand darin, daß die skrofulösen Stigmata 
schwinden, der Appetit gut wird, das Gewicht steigt, der Husten aufhört 
bei Durchfällen normaler Stuhlgang eintritt, die Schmerzen und Stiche in 
der Brust nachlassen, desgleichen die Nachtschweiße seltener werden, und 
daß sich das Allgemeinbefinden hebt! A. W. Bruck-Kattowitz. 

Roh mer, P. (Köln), Zur Epidemiologie und Frühdiagnose der Masern. 
(Jahrbuch f. Kinderheilk. Bd. 75, H. 1.) 

Im Anschluß an eine in der akademischen Kinderklinik in Cöln herr¬ 
schende Masernepidemie gesammelte Beobachtungen Rohmers, um die Frage 
über den Zeitpunkt des Beginnes und über die Dauer der Infektiosität der 
Masern, die noch sehr strittig sind, zu klären. Im weiteren stellt Rohmer 
den allerdings von den meisten Autoren abweichenden Satz auf, daß bei 
seinen Fällen die Übertragung durch gesunde Zwischenträger die Regel 
war. Übertragungen kamen gelegentlich schon im ersten katarrhalischen 
Stadium, u. a. 5 Tage vor dein Auftreten des Exanthems zustande. Im 
Abschuppungsstadium befindliche Kranke sind sicher nicht mehr infektiös. 

Die Zahl der Frühsymptome sucht Rohmer durch ein neues, bisher 
wenig beachtetes Symptom zu vermehren: die Veränderung der Temperatur¬ 
kurven. Es findet sich in mehr als der Hälfte der Fälle vor der Eruption 
eine Einsenkung der Kurve, etwa zwischen dem Höhepunkt der Intensität 
der Schleimhautsymptome und dem Ausbruch des Hautexanthems. 

Diese Veränderung der Temperaturkurven geht unserem beliebtesten 
frühdiagnostischen Symptom, den Koplikschen Flecken, meist mehrere Tage 
voran. A. W. Bruck-Kattowitz. 


Hautkrankheiten und Syphilis. 

Krankheiten der Harn- und Geschlechtsorgane. 

Menschikolf (Straßburg), Chlorretention bei exsudativen Prozessen der Haut. 
(Monatsschr. f. Kinderh. 1911, Bd. X, Nr. 9.) 

Ein Zusammenhang zwischen einigen Hauterkrankungen und dem Stoff¬ 
wechsel ist schon von den Vertretern der Humeralpathologie vermutet 
worden. Die allgemein bekannte Disposition zu Hauterkrankungeu bei Dia¬ 
betes und Gicht sind Erfahrungen, die mit Bestimmtheit auf Zusammenhang 
mit der Stoffwechselstörung hindeuten. 

Groß, der Untersuchungen des Chlorstoffwechsels bei verschiedenen 
Hautkrankheiten (Prurigo, Psoriasis vulgaris, Pemphigus, Ekzem) anstellte, 
konnte im Gegensatz zum Gesunden eine erheblich vermehrte Kochsalzaus- 
scheidung bei den genannten Krankheiten feststellen. 

Finkeistein hat, von der Vermutung ausgehend, daß bei Ekzemkindern 
der Mineralstoffwechsel leide, den Molkensalzen eine schädliche Wirkung 
auf das Ekzem zugeschrieben. Diese Theorie hat sich in der Praxis nicht 
bestätigt. L. F. Meyer konnte bei einem künstlich genährten Ekzemkind 
eine hohe NaCl-Retention nachweisen. 

Auf Grund der Untersuchungen des Mineralstoffwechsels hei 2 Ekzem¬ 
kindern kam Bruck zu dem Resultat, daß bei ungefähr gleichen Versuchs¬ 
bedingungen die Resorption wie auch die Retention der Salze bei Ekzem¬ 
erkrankungen von der Norm nicht abweichen. Freund fand durch seine 
Untersuchungen eine bedeutende Abweichung im Stoffwechsel ekzematöser 
Säuglinge. 

Die Übersicht der angeführten Autoren gestattet noch kein Urteil dar¬ 
über, ob ein Zusammenhang zwischen Ekzem und den Stoffwechselvorgängen 
vorhanden ist. 



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Referate und Besprechungen. 


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Verfasser hat deshalb Untersuchungen zum Zwecke des Studiums des 
Chlorstoffwechsels bei Kindern mit Ekzemen vorgenommen. 

Er stellte diese Versuche mit 6 Kindern an, von welchen 2 sich im 
Eäuglingsalter befanden. 

Die Untersuchungen wurden in 2 Perioden ausgeführt, wobei jede Unter¬ 
suchungsperiode 3 Tage dauerte. Die 2. Perioie unterschied sich von der 
ersten dadurch, daß den Kindern zu der bisherigen Kost ein bestimmtes 
Quantum Kochsalz hinzugefügt wurde (1,0—0,3 g pro die). 

Diese aus experimentellen Gründen erhöhte Kochsalzzufuhr blieb auf 
die Hauterkrankungen der Kinder vollkommen ohne Einfluß. Obwohl deut¬ 
liche Rentention von Chloriden stattfand, so wurde doch die bereits während 
des Versuches beginnende Abheilung des Ekzems in keinem Falle nach¬ 
teilig beeinflußt. (Diese Tatsache bestätigt die Untersuchungen des Referen¬ 
ten in seinen Fällen.) 

Trotzdem zeigt sich aus allen Tabellen, daß gerade mit fl ariden exsuda¬ 
tiven Erscheinungen befallene Kinder immer verhältnismäßig mehr Chloride 
retenierten als die nicht kranken Kontrollkinder. 

Es geht aus der Arbeit hervor, daß die exsudativen Kinder also eher 
als normale bei großer Chlorzufuhr mit einer reichlichen Chlorretention 
reagieren. Doch damit nicht genug, sie geben umgekehrt bei geringer 
Chlorzufuhr viel rascher als andere Kinder von ihren Chlorbeständen ab. 

A. W. Bruck-Kattowitz. 


Röntgenologie und physikalisch-diätetische Heilmethoden. 

Determann, H. (St. Blasion), Hydrotherapie, Aerotherapie und Höhenklima¬ 
behandlung im Kindesalter. (Zeitschr. für phv-sikal. u. diätet. Therapie 1912, 
XVI. Bd., H. 1 u. 2.) 

Es ist die Hand eines physiologisch fühlenden Arztes, welche dies * 
lesenswerte Abhandlung geschrieben hat. Von allgemeinen Punkten seien 
diese herausgegriffen: Die Reaktionsfähigkeit des kindlichen (und jugend¬ 
lichen) Organismus ist sehr groß, so daß allzu starke Reize bezw. Kontraste 
zu vermeiden sind. — Luftbäder sind, zur Abhärtung und zur Beeinflussung 
der Gesamtkonstitution, mehr zu empfehlen als Wasserprozeduren, die ihrer¬ 
seits aber natürlich auch ihre Indikationen bei Fieber, Respirationserkran¬ 
kungen und dergleichen haben. — Das Höhenklima wird, auch von Säug¬ 
lingen, ausgezeichnet ertragen und leistet bei den verschiedenartigsten Affek¬ 
tionen ausgezeichnete Dienste. D. beklagt mit Recht, daß es so wenig 
Erholungsstätten und Ferienkolonien im Gebirge gebe. Kinder mit exsuda¬ 
tiver Diathese, Asthma, Rachitis, anämischen und nervösen Zuständen könn¬ 
ten dort eher geheilt werden als am Meer. (Damit übereinstimmende Mit¬ 
teilungen seitens der Pariser Kinderärzte liegen bereits vor. Ref.) 

Buttersack-Berlin. 

Chalupecky, H. (Prag), Hie Wirkung des Radiums und der Radiiimemnnatioii 
auf den Sehapparat. (Wiener klin. Rundschau 1911, Nr. 52.) 

Im allgemeinen kann man behaupten, daß kein Organ des Körpers 
gegen eine länger dauernde Bestrahlung durch Radium unempfindlich sei, 
am Auge hat sich die Linse am widerstandsfähigsten erwiesen. — Der 
Verfasser hat zunächst die Versuche anderer Autoren, die Erfahrungen über 
Bestrahlung des Auges gemacht hatten, wiederholt und ist zu den gleichen 
Resultaten gekommen: Die vorderen Augenabschnitte werden durch Radium- 
strahlung ähnlich wie durch ultraviolettes oder durch Röntgenlicht gereizt. 
— Alsdann hat er die Wirkung des radioaktiven Wassers aut das Auge 
geprüft. Nachdem festgestellt war, daß solches Wasser selbst nach vier 
Tagen in einer Kulturbouillon noch keine Keime entstehen ließ, konnte es 
nicht auffallen, daß sich die Injektionen in das Auge nicht von 
solchen mit destilliertem Wasser unterschieden. Trennte 
man nun das Auge heraus, so erwies sich der zerriebene Glaskörper deutlich 
radioaktiv, während sich die übrigen Augenabschnitte so ziemlich indifferent 


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Referate und Besprechungen. 


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verhielten. - Der Schlußpassus des interessanten Aufsatzes lautet: „Die 
radioaktiven Wasser haben keine besondere direkte Wir¬ 
kung auf das Auge; inwiefern die Allgemeinbehandlung mit Bädern 
und Inhalationen durch Besserung der ursprünglichen Allgemeinerkrankungen 
(z. B. der Gicht) auf das Äuge einwirken wird, läßt sich heute noch 
nicht entscheiden.“ — Vielleicht ist e3 erlaubt, diesem ehrlichen Geständ¬ 
nisse hinzuzusetzen: Nach den bisherigen Erfahrungen über die emanierenden 
Wässer dürfte ihre Heilwirkung höchstwahrscheinlich derjenigen der allge¬ 
mein beliebten Aqua fontana parallel gehen. Steyerthal-Kleinen. 

Beier, J. (Mainz), Über die Wirkungen der Röntgen- [und Radium-] strahlen 
auf das Zentralnervensystem, Insbesondere das Gehirn. (Inaug.-Dissert. Zürich 
1910.) 

Verfasser stellt zunächst alles bisher über die Wirkung der Röntgen- 
tind Radiumstrahlen auf das Zentralnervensystem, insbesondere das Gehirn 
Bekannte zusammen und berichtet dann über eine Reihe von eigenen wichti¬ 
gen Versuchen, die unter Leitung von G. Herxheimer (Wiesbaden) vor¬ 
genommen wurde. Verfasser ging dabei so vor, daß er erwachsene Kaninchen 
trepanierte und durch die meist intakt gebliebene Dura hindurch Röntgen¬ 
strahlen von einer Intensität und einer Zeitdauer auf das Gehirn einwirken 
ließ, welche nach allgemeinen Erfahrungen bei sonstigen Organen (z. T. 
am Hoden) schwere Veränderungen setzen. Die Technik und die Ergeb¬ 
nisse der einzelnen Versuche müssen im Original nachgelesen werden. Im 
ganzen wurde an 7 Kaninchen experimentiert. Dieselben wurden nach der 
Sektion makroskopisch und mikroskopisch (van Giemsa-Präparate, Thionin- 
präparate nach Art der N i s s 1 färbung, Markscheidenpräparate nach 
Weigert, Neurofibrillen - Präparate nach Bielschowsky) untersucht. 
Drei der Versuchstiere waren am vordersten Ende der beiden Großhirn¬ 
hemisphären, bis unter dem Bulbus olfactorius, trepaniert und von Röntgen¬ 
strahlen beeinflußt, die übrigen vier an einer mehr nach rückwärts gelegenen 
Stelle der Großhirnhemisphären trepaniert. Die Lebensdauer nach der Be¬ 
strahlung betrug 7 bis 23 Tage. Die Veränderungen mikroskopischer Art 
waren in allen Fällen folgende: Es handelte sich im allgemeinen um geringe 
entzündliche Infiltration und Schwellung der Pia mater an der Trepanations¬ 
stelle, die zwar nicht mit Sicherheit auf die Röntgenbestrahlung zu beziehen 
ist, aber immerhin recht wahrscheinlich, zumal ähnliches auch von Rodet 
und B e r t i n berichtet ist. An dem nervösen Zentralorgan ließen sich mit 
Hilfe der genannten Färbemethoden keinerlei wesentliche Veränderungen 
nachweisen, auch nicht an den Gefäßen. Als einziges auffallendes Merk¬ 
mal war bei zahlreichen Ganglienzellen Neuronophagie zu konstatieren, das 
Verfasser zwar auch bei normalen Kaninchen fand, allerdings« nicht in 
so ausgesprochenem und intensivem Maße wie bei bestrahlten Tieren. Ferner 
besteht daneben eine erhöhte Regenerationsfähigkeit. All die genannten 
Vorgänge werden aber nicht nur an der durch Trepanation freigelegten 
und direkt bestrahlten Stelle beobachtet, sondern am ganzen Großhirn. Sonst 
waren keinerlei Veränderungen an den Ganglienzellen oder ihren Ausläufern, 
den Neurofibrillen oder Markscheiden zu konstatieren. Ebenso fehlten jedwede 
makroskopisch nachweisbaren Veränderungen re3p. klinischen Erscheinungen, 
wie etwa Lähmungen, Krämpfe und dergleichen. Das Zentralnervensystem 
scheint daher für Röntgenstrahlen fast gar nicht vulnerabel zu sein. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Strasser, Alois (Wien-Kaltenleutgeben), Pleuritis nach Röntgenbehandlung 
eines Mediastinaltumors. (Zeitschrift für physikal. und diätet. Therapie 1912, 
XVI. Bd„ S. 65—70.) 

Der 68 Jahre alte Patient hat in seiner Anamnese Gicht, Ekzeme, Glyko- 
surie, Fettleibigkeit, Fettherz, Arteriosklerose, viermaliges Erysipelas faciei, 
chron. Bronchialkatarrh, zweimal mit bronchopneumonischen Herden. Auf 
dieser Musterkarte von Konstitutionsanomalien entwickelten sich 1909 steno- 
kardische Anfälle, 1910 Stenosen-Erscheinungen an Luft- und Speiseröhre, 
welche durch einen Tumor bedingt waren. Derselbe lag im Röntgenbild 



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Referate und Besprechungen. 


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hinter dem Manubrium sterni und erstreckte sich von da aus nach rechts. 
Über seine Natur ließ sich kein Aufschluß gewinnen. Patient wurde viermal 
mit Köntgenstrahlen behandelt, eigentlich nur ut aliquid fieri videatur. 
Allein diese Therapie zeitigte zwei überraschende Erfolge: einmal ging 
der Tumor zurück und blieb (unter fortgesetzter Arsendarreichung) dauernd 
verschwunden; und zum zweiten trat eine Pleuritis exsudativa auf. Dem 
Verfasser erscheint diese letztere besonders wichtig, während der Patient 
wohl mehr Gewicht auf die Beseitigung seiner Beschwerden bezw. des 
Tumors legen dürfte. Aber beide Ereignisse sind im Hinblick auf die 
eigentümliche Konstitution schwer zu deuten, t) de neiga nrpakegij, {/ di: y.gioig 
yaktnrj. (H i p p o k r a t e s). At sit cautum, alioquin difficillimum, experi- 
mentorum Judicium! (S a n c t o r i n u s). Buttersack-Berlin. 

Hermann, (Pernau, Livland), Die Unterernährum; in der Therapie. (St Peters¬ 
burger Medizin. Zeitschr. 1912, Nr. 3. S. 37/38.) 

In den Lehrbüchern der Diätetik findet man die fernliegendsten Dinge, 
nur das Wort: „Fasten“ nicht. Das ist weiter nicht verwunderlich in einer 
Zeit, in welcher das Aufspeichern Mode ist. Schüler und Studenten sind 
in offizieller Weise gehalten, Kenntnisse aufzuspeichern; dann entwickelt 
sich der Wahn, Geld aufzuspeichern; die Museen bersten fast vor aufge- 
spticlierten Schätzen, und ebenso verhält es sich mit den Zentralblättern, 
Jahresberichten, Handbüchern und ähnlichen Erscheinungen der Literatur. 
Im Zuge einer solchen geistigen Konstitution erscheint die Vorstellung 
ganz selbstverständlich, daß man auch in den menschlichen Organismus 
möglichst viele Kalorien hineinstopfen müsse. Wie dieser sich dann damit 
abfindet, darum kümmert man sich nicht weiter; die Hauptsache ist eben — 
wie bei den Kenntnissen und den Reichtümern — daß man sie besitze. Die 
Art der Verwendung ist dem Sammler einerlei. 

Nun lassen sich diese Dinge aber auch von einer anderen Seite an¬ 
sehe n. Dann erscheinen die aufgespeicherten Einzelheiten als rudis indige- 
staque moles, welche schwer zu einem einheitlichen Gebilde zu verschmelzen 
sind und welche leichtbeschwingten Ideen wie ein Bleigewicht anhängen. 
Je größer die Masse, um so schwieriger läßt sie sich geistig durchdringen. 
Daß einer zu viel Kenntnisse für seinen Verstand aufgespeichert hat, daß 
einer vor lauter Paragraphen das Einfach-Natürliche nicht mehr erkennen 
kann: solche Specimina begegnen uns ja oft genug im Leben. 

Es scheint, als ob eine leise Reaktion gegen die Aufspeicherungs¬ 
tendenzen einsetze; gegen die Ernährungsmanie ist sie jedenfalls bereits 
in vollem Gange, leider in Deutschland noch am wenigsten. Nun empfiehlt 
auch in Rußland ein Arzt die Unterernährung in der Therapie, und diese 
erneute Anregung dürfte vielleicht manch einem zu denken geben. Aber 
nicht allein für kranke Leute empfiehlt sich das Fasten bezw. das Wenig- 
Essen, sondern noch viel mehr für Gesunde. Wer da weiß, welch außer¬ 
ordentliches Wohlbehagen mit reduzierter Nahrungszufuhr verbunden ist, 
wird bald ein Anhänger dieser modernsten Ernährung werden und die 
Wahrheit des alten Sprichwortes erkennen: „Leerer Bauch und frohes Herz 
machen behende Füße.“ Buttersack-Berlin. 

Neumann, Hermann, Die Sojabohne, ihre Bedeutung für den gesunden und 
kranken Menschen und Ihre Verwertungsform. (Zeitschr. f. physikal. u. diätet. 
Therapie 1912, XVI. Bd. S. 129—150.) 

Die rauhhaarige Sojabohne — Soja hispida, Phaseolus hispidus, Glycine 
Soja, Dolichos Soja — ist eine unseren Erbsen, Bohnen, Lupinen ver¬ 
wandte Leguminose. Sie wird vom fernsten Ostasien bis nach Indien als 
eine der nützlichsten Pflanzen geschätzt. Ernährungsversuche in der Praxis 
haben H. Neumann zu der Erkenntnis geführt, daß diese Bohne ein 
ausgezeichnetes, vollwertiges Nahrungsmittel darstellt nicht bloß für Ge¬ 
sunde (insbesondere Kinder), sondern auch für Diabetiker und Nephritiker. 
Bei vielen stillenden Frauen ist eine beträchtliche Steigerung der Milch¬ 
sekretion beobachtet worden. 


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Bücherschau. 


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Im Handel sind Soja-Puree6; das eine, Soyap, aus der Fabrik Zinnert 
(L. Lehmann) in Potsdam, das andere, Sarton, aut den Elberfelder Farb¬ 
werken F. P>ayer (letzteres auch als Pulver). Buttersaek-Berlin. 

Kakowski, A. (Kiew), Gewürze bei Nephritis. (Zcitschr. für physikal. und 
cüätet. Therapie 1912, XVI. Bd., H. 2 u. 3.) 

Verfasser hat mit Hilfe einer neuen Zählmethode der Harnzylinder 
naehgewiest n, daß auch die als harmlos geltenden und vielangewendeten 
Gewürze Petersilie und Hill einen leichten Reiz auf die Nieren ausüben, 
mithin bei allen Nephritikern — auch mit den leichtesten Formen — zu 
verbieten sind. Buttersack-Berlin. 


Vergiftungen. 

Harnack, Erich, über die Giftigkeit des Methylalkohols. (Deutsche med. 
Woch. 1912. Nr. 8.) 

Ilainack faßt seine Ausführungen über das sehr aktuelle Thema dahin 
zusammen, daß der Methylalkohol an sich nur ein schwach wirkendes Agens 
ist, das an Wirkungsstärke von den ihm homologen kohlenstoffreicheren 
Alkoholen seiner Reihe weit übertroffen wird. Das Gefährliche, das ihm 
speziell eigen ist, besteht in der langsamen Oxydation zu Ameisensäure, 
die er erleiden kann. Da der Alkohol von bestimmten nervösen Elementen 
besonders angezogen wird, so spielt sich in diesen jener Prozeß der lang¬ 
samen Oxydation ab, wodurch sie eine höchst nachteilige und gefährliche 
Beeinflussung erleiden. Für den Menschen scheint diese Gefahr besonders 
groß zu sein. M. Kaufmann. 

Hing (Basel). Beitrag zur Kenntnis der industriellen Vergiftungen mit 
Methylderivaten. (Schweizer. Rundschau f. Medizin 1910. Nr. 38.) 

Verfasser berichtet über 2 Fälle von Brommethylvergiftung. Der 
Körper besitzt schon in kleinen Dosen eine hohe Giftigkeit. Beim ersten 
Arbeiter stellte sich nach initialem Erbrechen mit profusem Schweißaus¬ 
bruch ein zwei Tage andauerndes Koma ein, welchem schwere psychische 
Erscheinungen, Denkhemmung, maniakalische Erregungszustände und Tob¬ 
suchtsanfälle folgten. Nach der Beruhigung bliebt ein hypochondrisch-hysteri¬ 
scher Zustand zurück. Irgendwelche erbliche Belastung war nicht vor¬ 
handen. Der andere Arbeiter, der Ersatzmann des ersteren, erkrankte nach 
18 tägiger Beschäftigung plötzlich unter Schwindel, Erbrechen, Muskel¬ 
schwäche und akuter sensibler Polyneuritis; die Heilung trat erst nach 
7 Monaten ein. Um weiteren Erkrankungen vorzubeugen, wurde der Des¬ 
tillierkessel im Freien aufgestellt. K. Boas-Straßburg i. E. 


Bücherschau. 


Ahlfeld, Inwieweit hat bisher die Einführung der Asepsis und Antisepsis die pnerperale 
Infektionsinortalität ganzer Länder beeinflußt? Sammlung klinischer Vorträge, 
Gynäkologie Nr. 240, 1912. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. Leipzig. Seite 
387—408. Einzelpreis 0,75 M. 

Autenrleth, Die Chemie des Harns. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Studierende. 
Ärzte, Apotheker und Chemiker zum Gebrauche in Laboratorien und beim 
Selbstunterricht. Mit 28 Abbildungen. 344 Seiten. Preis M. 10,—. Tübingen 1911. 
Verlag von J. C. B. Mohr. 

Benninghofen, Lehrbuch der Zahnheilkunde und ihrer Hilfswissenschaften. Dritte, 
bedeutend vermehrte und verbesserte Auflage. 538 Seiten. Preis M. 18,— Berlin. 
Berlinische Verlagsanstalt G. m. b. H. 


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ßücherschan. 


735 


Bering:, Ueber kongenitale Syphilis, Entstehung. Erscheinungen und Behandlung. Verlag 
von Carl M&rhold, Halle a. S. 1912. 3(5 Seiten. Einzelpreis 1,20 M. 

Birk, Untersuchungen über den Stoffwechsel des neugeborenen Kindes. Sammlung kli¬ 
nischer Vorträge. Gynäkologie Nr. 241—242. Verlag von Joh. Ambrosius Barth, 
Leipzig. Seite 409—467. Einzelpreis 1,50 M. 

Bossi, Die gynäkologische Prophylaxe bei Wahnsinn. Verlag von Oskar Coblentz, Berlin 
1902. 137 S. Preis 3 M. 

Bresler. Kurzgefaßfes Repetitorium der Psychiatrie. Verlag von Carl Marhold, Halle a. S. 
1912. 138 S. Preis 2,20 M. 

Burger-Villingen I. Geheimnis der .Menschenform. Verlag von Fritz Eckardt. Leipzig 
1912. 215 S. Preis 10 M. 

Burger-Villingen II, Geheimnis der Menschenform. Verlag von Friiz Eckardt. Leipzig 
1912. 

Ebner, Ueber den feineren Bau der Knochensubstanz. Mit vier lithographierten Tafeln. 
Verlag von Wilhelm Engelmann. Leipzig 1912, 90 S. Preis 4 M. 

Ehrlich, P. Abhandlungen über Salvarsan. mit einem Vorwort und Schlussbemer¬ 
kungen, 4 Tafeln und 29 Figuren im Text. Band II. 609 Seiten, M. Preis 10,—. 
München 1912. Verlag von J. F. Iehmann. 

Gebeie, Die chirurgischen Untersuchungsinethoden. I .ehrbuch für Studierende und Ärzte. 
Mit 154 Abbildungen, davon vier farbige und 18 schwarze auf 18 Tafeln. Verlag 
von S. F. Lehmann, München 1912. 192 S. Preis 8 M. 

Ligen, Aus der Geschichte der Respiration und der Ernährung. Sammlung klinischer 
Vorträge. Innere Medizin Nt. 211. Verlag von Joh. Ambrosius Barth, Leipzig. 
Seite 355—369. Einzelpreis 0,75 M. 

Gocht, Die Röntgen-Literatur, II. Teil. Sachregister. Verlag von Ferdinand Enke. Stutt¬ 
gart 1912. 508 S. Treis 15 M. 

Grashey, R. Atlas typischer Röntgenbilder vom normalen Menschen, ausgewählt 
und erklärt nach chirurgisch-praktischen Gesichtspunkten mit Berücksichtigung 
der Varietäten und Fehlerquellen, sowie der Aufnahmetechnik. Zweite, bedeu¬ 
tend erweiterte Auflage mit 207 Tafelbildern in Originalgröße und 201 Text¬ 
abbildungen (Konturzeichnungeu, Situationsskizzen u. a.) 207 Seiten. Preis 
M. 20,— München 1912. Verlag von J. F. lehmann. 

Hadlich. Spontane Hamröhrenblulung (Urethrorrhagie) im Kindesalter. Sammlung 
klinischer Vorträge. Innere Medizin Nr. 208. Verlag von Joh. Ambrosius Barth 
Leipzig 1912. Seite 291—310. Einzelpreis 0,75 M. 

Ihm. Die Myomnekrose während der Schwangerschaft. Sammlung klinischer Vorträge. 
Gynäkologie Nr. 243—244. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. Leipzig 1912 
Seite 469—516. Einzelpreis 1.50 M. 

Klieneberger, Die Diagnose -des Carcinoma ventrieuli. Sammlung klinischer Vorträge. 
Innere Medizin Nr. 209/210. Verlag von Joh. Ambrosius Barth. Leipzig 1912. 
Seite 311—354. Einzelpreis 1.50 M. 

Klingmiillcr, Ueber die Behandlung der Gonorrhöe des Mannes. Verlag von Carl Marhold, 
Halle a. S. 1912. 21 S. Preis 1 M. 

Kuffler. Serodiagnostik und Serotherapie inder Augenheilkunde. Verlag von Carl Marhold, 
Halle a. S. 1912. 56 S. Preis 1.60 M. 

Laaehe. Die Vertigo, ihre Pathologie und Therapie. Verlag von Urban & Schwarzenberg, 
Berlin und Wien 1912. Seite 76—108. Preis 1 M. 

IJppcIt. Klinischer Bericht (mit besonderer Berücksichtigung des Morb. Basedow), 
und einige statistische Bemerkungen aus Dr. Starke's Sanatorium „Schloß 
Harth“ in Bad Berka bei Weimar. 24 Seiten, Leipzig 1912. Verlag von Emil 
Freter. 

Löhlen, Glaukom. Verlag von Curt Kabitzsch. Würzbnrg 1912. Seite 165—192. Preis 
0.85 M. 

Möbius, Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes. Verlag von Carl Marhold, 
Halle a. S. 1912. 170 S. Preis 1,60 M. 

Mosse und Tugendreich. Krankheit und soziale Lage. 232 Seiten, Preis M. 6,— 
München 1912. Verlag von J. F. Lehmann. 

Mühlau, Hygiene des Nervensystems. 87 Seiten. Preis M 2,— Leipzig 1912. Ver¬ 
lag von F. C. W. Vogel. 

Orlowski. Eindruck und Erfahrungen über Syphilisverlauf und Behandlung. Aus 

den Würzburger Abhandlungen. Einzelpreis M. —,85. Würzburg 1912. Ver¬ 
lag von Curt Kabitzsch. 


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Bücherschau. 


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Ranke, Der Mensch. Dritte, gänzlich neubearbeitete Auflaae. Erster Band: Ent¬ 
wicklung. Bau und Leben des menschlichen Körpers, mit 323 Abbildungen im 
Text (S37 Einzeldarstellungen auf 33 Tafeln in Farbendruck. 692 Seiten. Preis 
M. 15,—. Leipzig und Wien 1911. Verlag vom Bibliographischen Institut. 
Ranke, Der .Menseln 2. Band: Die heutigen und die vorgeschichtlichen Menschen¬ 
rassen mit 372 Abbildungen im Text (877 Einzeldarstellungen (31 Tafeln in 
Farbendruck, Holzschnitt und Kupferätzung und 7 Karten. 062 Seiten, Preis 
M. 15, —. Leipzig und Wien 1912. Verlag des Bibliographischen Instituts. 
Schierelmnun. Historisches zur Kenntnis der Entstehung von Harnsteinen. 

Sonderabdruck aus der Beil. klin. Wochenschr. 1911. Nr. 12. 

Severinus, Was sagt die Geschichte zur Alkoholabstinenz 1 Kritische Beiträge zur 
Alkoholfrage Heft 2. 73 Seiten. Preis M 1,20- Berlin 1911. Verlag von 

Paul Parey. 

Verworn, Max, Bonn. Narkose. Mit 2 Abbildungen im Text. Verlag von Gustav 
Fischer, Jena 1912, Seitenzahl 37. Preis 1,00 M. 

Waldstein, Primararzt l)r. Edmund, W7en. Die transversale Episiotomie. Aus der 

Sammlung klinischer Vorträge. Verlag \on Joh. Ambr. Barth, Leipzig 1911. 
Einzelpreis 0,75 M. 

Denis G. Zesas. Über kryptogenetische Peritonitiden. Aus der Sammlung klinischer 
Vorträge. Verlag von Joh. Ambr. Barth, Leipzig. Preis 0,75 M. 

Zeitschritt für Krüppeltürsorge unter Mitwirkung zahlreicher Fachleute 
herausgegeben von Biesalski (Berlin). (Verlag vorm. Leopold Voss [jetzt 
J. A. Barth, Leipzig], Hamburg u. Leipzig.) 

Das neue Unternehmen, auf das wir hiermit unsere Leser empfehlend 
hinweisen, behandelt ein Grenzgebiet, das bisher in den verschiedenen Fach¬ 
organen der orthopädischen Chirurgie wohl hier und da mit Abhandlungen 
vertreten war, dem aber doch bisher die ihm zukommende Sonderstellung 
innerhalb der orthopädischen Chirurgie versagt geblieben war. Biesalski, 
dessen Verdienste um das Krüppelfürsorgewesen ja in weiten Kreisen be¬ 
kannt und auch durch Verleihung des Professortitels höheren Ortes ge¬ 
würdigt worden sind, hat es mit einer Reihe bewährter Fachleute unter¬ 
nommen, diese Lücke durch Schaffung eines Zentralorgans auszufüllen. Als 
Mitarbeiter zeichnen Vertreter der orthopädischen Chirurgie, Kinderheil¬ 
kunde, des Hilfsschulwesens usw. Bis jetzt liegen von dem ganzen Unter¬ 
nehmen vier Bände abgeschlossen vor, auf Grund derer sich ein Urteil 
wohl abgeben läßt. Aus der Fülle der Originalaufsätze erwähnen wir u. a. 
die Arbeiten von K e m p n e r über eine Zyste des Gehirns, die freilich 
in den Rahmen der Zeitschrift nicht ganz passt, ferner den Aufsatz von Bade 
über Stand und Aussichten der Nervenplastik. Außer einigen Original¬ 
artikeln enthält jede Nummer noch Sammelreferate aus den Grenzgebieten 
der Krüppelfürsorge, z. B. der Neurologie und Psychiatrie usw. aus der 
Feder bekannter Fachleute. Endlich orientiert eine tagesgeschichtliche Zu¬ 
sammenstellung über die jeweiligen Fortschritte, die sich auf dem genannten 
Gebiete vollzogen haben. 

Nach alle dem haben wir die einzelnen Hefte mit Interesse und Be¬ 
friedigung durchgesehen und können allen denen, welche die Entwicklung 
dieses jüngsten Sprosses des machtvoll sich verästelnden Baumes der sozialen 
Medizin und Hygiene mit Interesse verfolgen, die Anschaffung der Zeit¬ 
schrift nur warm ans Herz legen. Leider steht der etwas hoch bemessene 
Abonnementspreis einer weiteren Verbreitung entgegen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


Berichtigung. 

Auf Seite 623 sind die griechischen Lettern untereinandergekomnjen. 
Der Satz heißt richtig: 

oux. av tÖs tgyaajotog, allä Igyarcov ägyujv. 

Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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Original ffom 

UNIVERSITY OF ILLINOIS AT 
URBANA-CHAMPAIGN 



30. Jahrgang 


1912. 


Tortscbrittc der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 6. Köster Prip.-Doz. Dr. v. Criegern Prof. Dr. ß. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigfer in Darmstadt, Qrüner Weg 86. 

II Ers&eint wöchentli* sum preise von 8 (Tarh für bas | 

Balb)abr. 

Nr. 24. CarlMarhold Verlagsbuchhandlung, Hallea.S. 13. Juni. 

Alleinige Inseratenonnabme öurtb fflon Oelstorf, 

|| Annoncen-Bureau, Cberswolöe bei Berlin. j 

Originalarbeiten unö Sammelberichte. 

Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 

II. Teil. 

Von v. Nlessl-Mayendorl. 

Nach der maniakalischen Erregung ist das Delirium tremens viel¬ 
leicht jene Geisteskrankheit, bei welcher Dauerbäder das Vorzüglichste 
leisten. Bereits der Umstand, dass die Erkrankung in wenigen Tagen 
abläuft, ihre innere Verwandtschaft mit gewissen Phasen der Manie, 
indizieren die Anwendung derselben. Alle Vorschriften, die wir bei 
der Behandlung der Manie, bezüglich der Dauerbäder gegeben haben, 
sind auch beim Delirium zu beachten. Besondere Vorsicht erheischt 
hier die Herzgefahr. Eine Anzahl von Deliranten werden aus diesem 
Grunde von der Behandlung mit Dauerbädern auszuschliessen sein. 
Für diese muss die Bettbehandlung vikariierend eintreten. Es ist dies, 
wie jeder Praktiker weiss, leicht geraten, aber die Durchführung der 
Bettbehandlung bei Deliranten stösst auf die grössten Schwierigkeiten. 
Mechanische Gewalt (Festhalten durch den Wärter, Anbinden an das 
Bett, feuchter oder trockener Wickel) sind, worin ich Bönhoeffer 
durchaus zustimmen muss, zu verpönen. Fast regelmässig sah ich die 
innere Erregung, die motorische Unruhe sich steigern und den ungün¬ 
stigen Einfluss auf die geschwächte Herzkraft sehr deutlich hervor¬ 
treten. In solchen schwierigen Fällen habe ich auf das Paraldehyd 
zurückgegriffen, indem ich dasselbe auch während des Tages in refracta. 
dosi (morgens, mittags, abends 3 Gramm) gab. In den meisten Fällen 
trat Beruhigung ein. Wo das Paraldehyd versagte, gab ich Alkohol 
und zwar in der e'orm des reinen Alkohols als Medikament, so dass 
sich der Pat. der Identität des Heilmittels mit dem wesentlichen Be¬ 
standteil seines Gewohnheitsgiftes nicht bewusst wurde, demnach also 
ein Glaube an der Notwendigkeit des Alkoholgenusses gar nicht in 
ihm aufkommen konnte. Brompräparate, welche man nur iu grossen 
Dosen verordnen müsste, bleiben wenigstens nach meiner Erfahrung 
auf den Deliranten ohne Wirkung und sind, besonders die Kalisalze, 
wegen ihrer Nebenwirkung auf das Herz, nicht empfehlenswert. Es ist 
zweckmässig, bei jeder Tachykardie und Arhythmie, also auch hei sol¬ 
chen leichteren Grades, Digitalis oder Strophantus zu verordnen. Dort, 
•wo ich Deliranten an Herzschwäche verlor, fehlten in der Behand- 

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lung die Cardiaca. Mit dieser Erfahrung stimmen Gansers statistische 
Feststellungen überein, nach welchen die Mortalität von 6,4 Prozent 
auf 0,9 Proz. sank, sobald man die geschädigte Herztätigkeit beim 
Delirium tremens regelmässig in Rücksicht zog. 

Sind jedoch die Symptome von seiten des Herzens nicht so be¬ 
drohlicher Art, dass man sich gezwungen sieht, von Bädern ganz Ab¬ 
stand zu nehmen, dann bade man die Kranken nur einige Stunden 
während des Tages, lasse kühleres Wasser reichlicher zufliessen, gebe 
ev. eine kalte Kompresse auf Kopf und Herzgegend. Die Herztätigkeit 
des Badenden ist zu verschiedenen Tageszeiten ärztlich zu kontrol¬ 
lieren. Um den Badenden in der Wanne zu halten, empfiehlt es sich, 
denselben mit kleineren Gaben von Paraldehyd vorher zu beruhigen. 
Natürlich wird der Wärter anzuweisen sein, strenge darauf zu achten, 
ob der Kranke Zeichen des Einschlafens zu erkennen gibt, welche die 
sofortige Entfernung desselben aus der Wanne indizieren. 

Das Badezimmer muss Fenster aus dickem, hartem Glas besitzen, 
alle spitzen und scharfen Gegenstände müssen daraus verbannt sein. 
Wenn auch bei dem Deliranten keine Suizidgefahr besteht, so ist die 
psychische Rcaktionslosigkeit auf Schmerzreize die Ursache unbedacht¬ 
sam zugezogener Verletzungen, zu welchen die Zerstörungslust des 
Kranken aus den Splittern des Zertrümmerten das Material sich bei¬ 
stellt. Das Anrennen mit dem Kopf an die Wand hat der Wärter zu 
verhüten. Uebrigens sind motorisch sehr erregte Kranke, die beständig 
aus der Wanne steigen, vor allem medikamentös zu beruhigen. 

Wie Sie gesehen haben, unterscheidet sich die Therapie des De¬ 
lirium tremens in nichts von derjenigen anderer akuter Psychosen, 
mit Ausnahme der Schonung des Herzens. Gelingt es, den Herztod 
abzmvenden, dann werden unsere Bemühungen um den Kranken meist 
von dem Erfolge der Heilung gekrönt. Dies besonders dann, w r enn es 
sich um das erste Delirium handelt. Das ominöse Delirium febrile 
Magnans scheint eine Erkrankung sui generis zu sein. Die sogenannte 
protrahierte Form, welche in chronischer Entwicklung sich zu der 
polyneuritischen Psychose Korsakows ausbildet, nicht mit kri¬ 
tischem Schlafe abschliesst, sondern die bereits am Tage abgeklungenen 
Delirien am Abend wieder wach werden lässt, jedoch in der klaren Zeit 
die gesunkene Merkfähigkeit sowie die rückläufigen Amnesien offenbart, 
dürfte gleichfalls ein in seinem pathologischen Wesen von dem akuten 
Delirium tremens differenter Zustand sein. 

Der Delirant ist nicht unmittelbar nach dem Erlöschen der psv- 
chopathologischen Symptome zu entlassen; wenn irgend möglich, lasse 
man mehrere Wochen der Rekonvaleszenz hingehen. Kein Tag verstreiche 
ohne ernste, eindringliche Vorstellung über die Schwere der eben durch¬ 
gemachten Erkrankung, über die Leichtigkeit eines Rezidivs und die 
mit diesem verbundene drohende Gefahr einer Herzlähmung. Man er¬ 
kläre dem Kranken, dass ein fernerer Alkohol- -— besonders aber ein 
Schnapsgenuss — für ihn geradezu tödlich werden oder zu unheilbarem 
geistigen Siechtum führen könne. Das ist leider alles, was Sie prophy¬ 
laktisch tun können, um das Wiederauftreten eines Delirs zu verhindern. 
Die angeborene und durch Erziehung nicht gefestigte Widerstandskraft , 
die ungünstigen sozialen Bedingungen, w r elche dem Genesenen die 
Schnapsflasche in die Hand drücken, werden Sie nicht aus der Welt 
schaffen. 

M. H.! Eine zweite akute Geisteskrankheit, w r elche wohl fast aus- 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


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nahmslos aus dem Boden der chronischen Trunksucht hervorbricht, 
älteren Aerzten in einzelnen Erscheinungen bekannt, von W e r n i e k e 
jedoch zuerst in scharfen klinischen Umrissen dargestellt wurde, ist die 
akute Halluzinose der Trinker oder der halluzinatorische Wahnsinn der 
Alkoholiker. Da sich unsere Behandlung ja nicht gegen das Grundleiden, 
die durch fortgesetzte Alkoholzufuhr gesetzte Organ- und Stoffwechsel- 
veränderung, richten kann, sondern sich lediglich in der Bekämpfung 
einzelner Symptome erschöpft, so wird uns der Charakter dieser am 
meisten von Interesse und Bedeutung sein. 

Das klinische Bild der akuten Halluzinose ist in der Tat mit der Sze¬ 
nerie des vollständigen Delirium tremens nicht zu verwechseln. Während 
der Delirant in einer anderen Welt lebt, ist der Halluzinant über sich und 
seine Umgebung vollkommen orientiert. Keine optischen und taktilen 
Sinnest äuschungen ziehen ein Spiel drollig anzuschauender Geschäftigkeit 
auf, dagegen entfachen aus dem Innern kommende Zurufe peinlich be¬ 
ängstigenden Inhalts die schwersten Affekte. Die halluzinierten Schmä¬ 
hungen und Drohungen geben ein Substrat zu persekutorischer Wahn¬ 
bildung. In heller Verzweiflung sucht der Kranke seinen Verfolgern 
zu entrinnen. Um sich zu befreien, macht er seinem Leben ein Ende. 

Diese wenigen klinisch-dilTerentialdiagnostischen Gesichtspunkte 
werden Ihnen auch die verschiedene Stellungnahme des Therapeuten 
dieser Krankheit gegenüber begründen. Die Verbringung in eine ge¬ 
schlossene Anstalt ist hier wie dort geboten. Jedoch hier nicht wegen 
agressiv tobsüchtiger Zertrümmerungslust des Kranken, sondern wegen 
Selbstmordgefahr. Isolierung ist hier wie dort verpönt, hier, weil Ein¬ 
samkeit die Gehörshalluzinationen vermehren, den Angstaffekt steigern 
könnte, weil der Selbstmordverdächtige unausgesetzt zu überwachen 
ist, dort, weil die plötzlich erlahmende Herzkraft der sofortigen Ein¬ 
wirkung energischer- Anreize bedarf und die Desorientierung durch 
Abschluss von der Umgebung wächst. Der Schlaf ist hier wie dort 
gestört; die Beseitigung der Agrvpnie bei der Halluzinose ist oft viel 
schwerer als beim Delirium, da die beängstigenden Gehörshalluzinationen, 
welche bekanntlich den Schlafmitteln hartnäckig trotzen, den Kranken 
nicht zur Buhe kommen lassen. Der Halluzinant steht nicht über 
den Sinnestäuschungen, sondern er ist von deren Bealität felsenfest 
überzeugt. Sie werden ihm zum Objekt eines sich rasch entwickelnden 
Wahnsystems. Da wir kein Mittel besitzen, Wahn und Sinnestäuschun¬ 
gen selbst zu beseitigen, müssen wir trachten, die durch Medikamente 
beeinflussbare Intensität des sie begleitenden Affektes 
herabzusetzen. Man wird in erster Linie an das Opium denken. Und doch 
haben Sie anlässlich der Behandlung Melancholischer von der gefährlichen 
Wirkung des Opium auf das Herz gehört. Sie werden daher das Herz des 
Halluzinanten auf Tachykardie, Arhythmie, Grösse der Dämpfungs¬ 
figur sorgfältig untersuchen. Finden Sie nichts Abnormes, dann fangen 
Sie mit kleineren Opiumdosen, etwa 3 mal täglich 10 Tropfen Tinc- 
tura Opii simplex an. Im Gegensatz zu Kräpelin sah ich auch 
durch geringere Opiummengen, je nach der Individualität, Beruhigung 
eintreten. Richten Sie nichts mit dem Opium aus, so können Sie ruhig 
zur Morphium- oder Pantoponspritze greifen. In Anbetracht der Kürze 
der Erkrankung, der Vehemenz der Erscheinungen, sind heroisch wir¬ 
kende Sedativa angezeigt. Man kann auch Morphium oder Dionin, 
mit Aqua Amygdalarum amarum, oder Aqua Laurocerasi und Tinct. 
Belladonnae kombiniert innerlich geben. Von Brompräparaten sah ich 

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bei tlieser Krankheit, wie beim Delirium tremens keinen Erfolg. Die 
Gefährdung des Herzens ist nicht so gross als beim Delirium tremens, 
da die Klarheit des Bewusstseins die schädliche körperliche Unruhe 
auf Ermahnung des Arztes zu unterdrücken vermag. Wenn durch die 
Angst die Herzaktion ungünstig beeinflusst wird, helfe man mit Digi¬ 
talis, Kampher oder Strophantus nach. 

Bäderbehandlung ist gegen die akute Halluzinose der Trinker 
ebenso angezeigt wie gegen das Delirium. Im allgemeinen wird man 
von der Anwendung prolongierter, über einen Tag hinaus sich erstrecken¬ 
der Bäder absehen. Wegen der bestehenden Selbstmordgefahr ist eine 
strenge Ueberwachung durch einen Wärter notwendig. Die Tempe¬ 
ratur der Bäder soll nicht 27 Grad Reaumur übersteigen. Auf Kopf 
und Herzgegend kann, wenn der Kranke ängstlich ist, oder zu Kon¬ 
gestionen neigt, eine kalte Kompresse gelegt werden. Nicht selten wird 
der Kranke im Bade unruhiger, die Halluzinationen werden lebhafter, 
es schnürt ihm die Brust zusammen und er drängt aus dem Bade¬ 
zimmer. In diesem Falle muss das Bad sofort abgebrochen werden. 
Eine feuchte kalte oder warme Packung ist bei der akuten Halluzinose 
zu verbieten. 

Einen wichtigen therapeutischen Faktor bildet die Bettbehand¬ 
lung. Wenn auch der Halluzinant keine Einsicht in die Krankhaftig¬ 
keit seines Zustandes besitzt, so lässt sich ihm doch begreiflich machen, 
dass er an den Folgen der heftigen, ihm durch seine Feinde verursachten 
Aufregungen schwer leide, dass sein Nervensystem arg zerrüttet sei 
und der grössten Schonung bedürfe. Die Kost muss eine nahrhafte, 
aber der Bettbehandlung angemessene sein. Alkohol und Tabak sind 
natürlich zu verbieten. Auf eine tägliche ausgiebige Stuhlentleerung 
ist zu sehen. Es bedarf wohl keiner nochmaligen Betonung, dass die 
Kranken im Wachsaal zu halten sind. 

Angesichts der Heilbarkeit der akuten Halluzinose ist die Behand¬ 
lung derselben mit besonderer Sorgfalt durchzuführen. Die Verhütung 
des Selbstmordes, hier eine Hauptaufgabe des praktischen Arztes, wird 
durch rechtzeitige Einlieferung in eine geschlossene Anstalt erreicht. 
Den eventuellen Widerstand der Angehörigen überwinden Sie leicht mit 
der Versicherung, dass es sich, nach ärztlicher Voraussicht, um eine 
nur wenige Wochen dauernde, gewöhnlich heilende Geisteskrankheit 
handle, dass aber nur schwer auf andere Weise ein Selbstmord zu ver¬ 
hüten sei. Den Kranken gewinnen Sie, indem Sie ihm die Unnahbarkeit 
des Sanatoriums, welches er aufzusuchen habe, Sicherheit vor seinen 
Verfolgern auseinandersetzen und ihm volle Sicherheit versprechen. 
Da die akute Halluzinose der Gewohnheitstrinker häufig rezidiviert, 
hat der Kranke noch ein bis zwei Wochen als Rekonvaleszent in der 
Anstalt zu verbleiben. 

Die Prophylaxe gegen eine Wiederholung ist vollständige Abstinenz. 
Nicht, dass etwa schon ein Glas Bier ein Delirium oder eine Hallu¬ 
zinose zu erzeugen vermöchte, der widerstandsunkräftige Gewohnheits¬ 
trinker verfällt aber beim Genuss ganz geringer Mengen Alkohols wieder 
seiner Sucht. 

M. H.! Ich habe Ihnen bis jetzt von der Behandlung zweier akuter 
Geisteskrankheiten auf dem Boden des chronischen Alkoholismus ge¬ 
sprochen, deren Früchte wir ernten können, wenn wir dieselbe saeli- 
gemäss durchführen. Viel schwieriger und undankbarer, insbesondere 
ärztlicher Kunst trotzend, gestaltet sich die Behandlung der chronischen 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


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psychopathischen Zustände, welche den gewohnheitsmässigen Alkohol- 
abusus zur Ursache haben. 

Der chronische Alkoholismus an sich, mit seiner Charakterver¬ 
änderung, stellt ein therapeutisches Problem, dessen Bewältigung von 
jener Seite versucht wird, von welcher man den ursächlichen Faktor 
dieses abnormen Zustandes zu erkennen glaubt. Es unterliegt wohl 
heute kaum einer Meinungsverschiedenheit, dass die regelmässige Zu¬ 
fuhr von Alkohol, selbst grösster Mengen, allein nicht hinreicht, um 
einen psychisch-vollkräftigen, geistesgesunden Menschen in einen wi¬ 
derstandslosen Psychopathen zu verwandeln, oder gar den Ausbruch 
einer Geisteskrankheit herbeizuführen. Es darf vielleicht als ein Grad¬ 
messer geistiger und körperlicher Gesundheit gelten, inwieweit beim 
Gewohnheitstrinken die unangenehmen Neben- und Nachwirkungen 
den Lustgefühlen, dem Wohlbehagen die Wagschale halten, die¬ 
selben überwiegen oder gar nicht zu Worte kommen. Es ist 
keine Frage, ja allbekannt, dass die grössten individuellen 
Verschiedenheiten in der Reaktionsweise gegen den Alkohol Vor¬ 
kommen. Bei dem Gesunden stellt sich nach Einnahme eines 
bestimmten Quantums ein Gefühl von Sattsein, ein physischer Wider¬ 
wille gegen Mehr ein, und es bedarf hier sicher nicht der Einmengung 
hemmender Gedankengänge, um ein Weitertrinken hintan zu halten. 
Dieser Schutzvorrichtung'entbehrt der Veranlagte, 1 ) wie ich den, ver¬ 
möge seiner angeborenen Konstitution gegen gewisse Gifte Empfind¬ 
licheren und abnorm Reagierenden nennen möchte. Die physiologische, 
Halt gebietende Marke begrenzt nicht das einzunehmende Quantum, 
die begrenzende Abneigung bleibt aus und an deren Stelle tritt Stei¬ 
gerung der Lust und der Begierde nach Fortgenuss. Diese gesteigerte 
Lust setzt sich um so leichter in das tatsächliche, fortgesetzte Gemessen 
des Alkohols um, als sich unter dem Einfluss dieses Giftes ein manial- 
kalisch gesteigertes Wohlbehagen einstellt, dessen Nivellement der 
Gefühlsbetonung sonst antagonistischer Vorstellungsreihen die Summe 
der Entgegenwirkenden, welche als verbietender Wille bewusst wird, 
lahmlegt, ja ganz aus dem Bewusstsein streicht. Die Leichtigkeit, mit 
welcher die manische Exaltation eintritt, die Höhe, bis zu der sie sich 
erhebt, darf als Kriterium für das Mass des Widerstandes angesehen 
werden, welches der Organismus der Intoxikation entgegen zu stellen 
vermag, wieviel Alkohol das Individuum verträgt. Es gibt zweifellos 
Persönlichkeiten, deren physische Eigenart auf den Alkoholgenuss nicht 
mit einer manischen Phase antwortet oder nurmit einer so kurzen Er¬ 
heiterung, dass von einer glückbringenden Wirkung des Sorgenbrechers 
kaum gesprochen werden kann. Einem Rudiment der exzitierenden 
Wirkung folgt nämlich die narkotische auf dem Fusse, ohne sich zu 
der Glückseligkeit eines manischen Zustandes zu entwickeln. Das 
Gefühl der eintretenden Narkose, ,,der Bettschwere“ verhindert bei 
vielen Menschen einen weiteren Alkoholgenuss. 

Es gibt nun zweifellos Reaktionsformen, welche den frohen Genuss 
ganz vermissen lassen und an dessen Stelle Depressionen, unangenehme 
Sensationen setzen. Menschen, deren Organismus sich so verhält, werden 
zu Abstinenten. Es ist damit nicht gesagt, dass der Alkohol gerade 
diesen Konstitutionen besonders schädlich sei, die Enthaltsamkeit ist 


*) Der allgemeine Terminus „Veranlagung“ erscheint mir zutreffender, als der nur 
unter speziellen Voraussetzungen zuzulassende der Entartung oder Instabilität. 


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nur die Folge der sich beim Alkoholgenuss einstellenden abnormen, 
widerwärtigen Empfindungen. Solche Persönlichkeiten reagieren auch 
sonst im Leben anders als der gesunde Durchschnitt und erweisen sich 
als Träger einer anderen Artung. 

Sie sehen, meine Herren, wie zwei scheinbare Gegensätze, der über 
das zuträgliche Mass hinausgehende Trinker und der von seiner eigenen 
Natur gezwungene Abstinent, auf ein und dasselbe kongenitale Mo¬ 
ment, eine abnorme Anlage des Nervensystems zurückführbar sind. 

Es erhebt sich jetzt die fundamentale Frage, ob der gewohnheits- 
mässige Alkoholgenuss imstande sei, die Bedingungen zu schaffen, 
unter welchen das natürliche Innehalten fehlt oder ob das abnorm*- 
Fehlen dieser angeborenen Schutzvorrichtung erst den chronischen Al¬ 
koholismus zur Folge habe. Diejenigen, welche die zweite Fassung der 
Frage bejahen, rekurrieren auf dasvermittelride Glied der Angewöhnung. 
Meines Erachtens vergessen sie dabei, dass, je leichter sich ein 
Organismus an ein Gift gewöhnt, je mehr er unter dem Banne eines sol¬ 
chen steht, um so abnormer reagiert die Konstitution auch in anderer 
Beziehung. Es sind also wieder Veranlagte, die sich den Alkohol ange¬ 
wöhnen und zu Säufern werden. 

M. H.! Es handelt sich hier nicht um eine Frage von rein theo¬ 
retischem Interesse, sondern um Ihre Stellungnahme bei einer der 
wichtigsten therapeutischen Vorkehrungen • gegen den Alkohol, der 
Prophylaxe. Ist der Alkohol an sich fähig, psychisch und physisch 
gesunde Menschen krank zu machen, dann ist er durchweg vom ärzt¬ 
lichen Standpunkt zu verbieten. Der gewissenhafte Arzt dürfte nicht 
weniger zurückscheuen, einem an Schlaflosigkeit Leidenden Bier oder 
Wein zu empfehlen, als dem von Neuralgien Gequälten die Morphium¬ 
spritze in die Hand zu geben. Jeder erfahrene Arzt wird mir zugeben, 
dass diese Parallele nicht stimmt. Von den Neurasthenikern, welche 
am Abend Bier oder Wein trinken, um sich einzuschläfern, wird nur 
ein minimaler Bruchteil zu Alkoholisten, und für diese bleibt es unent¬ 
schieden, ob man es nicht mit ab ovo Veranlagten zu tun gehabt hat. 
Selbst ein so fanatischer Alkoholgegner wie Kräpelin empfahl Alkohol 
als das mildeste Hvpnotikum. 

Ich glaube daher, dass Sie beim Verschreiben des Alkohols 
oder beim Warnen vor demselben, stets zu beherzigen haben, was 
ich Ihnen gleich in den einleitenden Ausführungen als Grundmaxime 
jeder therapeutischen Massnahme hingestellt, das Individuali¬ 
sieren. Sie müssen sich die Persönlichkeit, mit der Sie es zu tun 
haben, vorerst genau ansehen. 

Unbeirrt von den Schlagworten einer über das Ziel hinausschiessen- 
den Leidenschaft der Abwehr, hinter welcher die vorgegebene Sorge 
um die Allgemeinheit Allerpersönlichstes mehr oder minder geschickt 
verbirgt, beurteilen Sie den einzelnen Fall objektiv, nur nach dem 
Ergebnis Ihrer ärztlichen Untersuchung. 

Eine vom anderen Standpunkte zu betrachtende, auch dem Laien 
greifbar in die Augen springende Gefahr, welche der Alkoholkonsum mit 
sich bringt, ist die sowohl durch den akuten als den chronischen Alko¬ 
holismus herbeigeführte Verwandlung der Persönlichkeit in ein anti¬ 
soziales Element. Schärfer durchdacht erweist sich diese Schädigung 
der Gesellschaft jedoch nicht mehr als Angelegenheit des Arztes. Es 
kann jemand im angeheiterten Zustande durch zu grosse Vertrauens¬ 
seligkeit, durch Verschwendungssucht, durch Agressivität seine soziale 


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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten, 


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Stellung untergraben, seine nächsten Angehörigen pekuniär ruinieren, 
ohne durch vereinzelte Exzesse seine Gesundheit ernstlich zu gefährden. 
Auch die Wiederholung einer solchen Trunkenheit braucht nicht Krank¬ 
heit zur Folge haben. 

Es handelt sich hier demnach um ein Agens, welches rein wirt¬ 
schaftliche Uebelstände erzeugt und den Arzt nur insoweit interessieren 
muss, als er für ganze Massen, für die Allgemeinheit Vorschriften gibt. 

Da wird natürlich die Vorsicht um so grösser sein müssen, als dem 
Arzt die Kenntnis der einzelnen Persönlichkeit fehlt und als er lieber 
den Vorwurf übermässiger Aengstlichkeit Gesunden gegenüber auf sich 
nimmt, als den Widerstandslosen seinem schlimmsten Feind ausliefert. 
Hier vereinigen sich der soziale und der ärztliche Standpunkt, welche 
,,den Wein- und Bierzwang“, „die Trinksitten“ beseitigt wissen wollen 
und jene als Feinde der Sozialität betrachten, welche von dem Alkoholver¬ 
kauf leben, deren Existenz sich auf das Unglück der Mitbürger gründet. 

M. H.! Sie alle wissen, dass sich der Rausch von einer akuten 
Geisteskrankheit in nichts unterscheidet. Er ist ja in der Tat eine 
Intoxikationspsychose, und wenn man von einem „pathologischen 
Rauschzustand“ spricht, so soll diese wenig treffende Signatur einen 
Symptomenkomplex betiteln, dessen Aetiologie nicht einzig auf 
akute Alkoholvergiftung zurückgeführt werden kann. Der zweite 
ätiologische, das klinische Bild färbende Faktor führt bei der heutigen 
Verlegenheit um BegrifTe und dem Bedürfnis nach Namen, vielfach 
die Bezeichnung „Degeneration“. Der Name will eine abnorme ,eine 
krankhafte Reaktion des Organismus auf .Alkohol bezeichnen. Diese 
Definition ergibt sich aus einer Anschauung, welche die psychische 
Verfassung im gewöhnlichen Rausche keineswegs als eine physiologische 
Emanation des Geistes ansieht, jedoch in dem Abweichenden des Symp- 
tomenbildes das Stigma der kongenital abnormen Grundlage erblickt. 
Rausch und pathologischer Rausch, beide sind Geisteskrankheiten, aber 
das Ungewöhnliche der Erscheinungsformen des letzteren führt zu der 
Annahme einer abweichend gearteten psychischen Konstitution. Während 
im Zustande des Rausches bei normaler Reaktion der ärztliche Berater 
wohl kaum je in Anspruch genommen wird, zwingt hierzu die Gemein¬ 
gefährlichkeit des pathologischen Rausches, zumal er als solcher dem 
Laien oft gar nicht imponiert und im Gegensatz zu den Erscheinungen 
des physiologischen Rausches als wirkliche Geisteskrankheit an¬ 
gesehen wird. Die klinische Szenerie des pathologischen Rausches ist 
je nach der individuellen Reaktionsweise verschieden, der Appell an 
den Arzt geschieht meist dann, wenn, wie dies häufig der Fall ist, das 
Leben des Befallenen oder der Umgebung bedroht erscheint, oder aber 
weil sich der psychopathologisehe Zustand in Nachwirkung des Alkohols 
abnorm lange erhält. Wenn man für den pathologischen Rausch das 
Bild des Dämmerzustandes als charakteristisch erklärt, dann müsste 
sich das Krankhafte in der Höhe der Desorientiertheit in der Schnelligkeit 
des Eintretens und der ungewöhnlichen Dauer derselben manifestieren. 
Die physiologische Reaktion des Rausches kennt aber auch unter ihren 
Aeusserungen schwere Bewusstseinsstörungen und die fliessenden Ueber- 
gänge würden kaum ein ärztlich-wissenschaftliches Urteil über ein 
Dies- oder Jenseits der physiologischen Grenze gestatten. Sicherer 
Anhalt für die Diagnose des pathologischen Rausches ist dann gegeben, 
w'enn epileptische Züge (kurzdauernde Absencen, ev. in der Form der 
Rennepilepsie) oder ausgesprochene Anfälle den Charakter des Dämmer- 


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Niessl - May endorf, 


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zustande« bestimmen. Nur gezwungen vermag man da von alkoho¬ 
lischen Dämmerzuständen zu sprechen, wie v. Krafft-Ebing 
wollte, das Wesen treffender wäre, die Auffassung dieser Bewusstseins¬ 
trübungen mit Krampferscheinungen als durch den .Alkohol ausgelöste 
Manifestationen einer epileptischen Anlage. Wenig einleuchtend ist 
mir Bonhoef fers Meinung von der erst durch den Alkohol gesetzten 
epileptischen Metamorphose des Charakters. Ich habe die in der vor¬ 
hergehenden Vorlesung nur hindeutend aufgewiesenen Züge der epi¬ 
leptischen Physiognomie niemals bei einem chronischen Alkoho- 
listen angetrofTen. Statt Verkennung der Umgehung, sinnloser moto¬ 
rischer Entladungen, Halluzinationen, können mehr oder minder klare 
Depressionszustände mit Selbstmordneigung unter den abnormen Re- 
aktionsformen auf Alkohol figurieren. 

Die Behandlung dieser krankhaften Zustände geschieht in Anbe¬ 
tracht der geschilderten Symptome am besten in der Anstalt. Also 
sofortige, ev. gewaltsame Einlieferung in dieselbe. Dort muss alles 
unternommen werden, was hei akuten halluzinatorischen Psychosen 
indiziert ist; Sedativa, Hydrotherapie, Hypnotica. Von den an¬ 
gewendeten Beruhigungsmitteln erwiesen sich mir Brompräparate am 
wirksamsten. Sollte uns diese Tatsache nicht ein Fingerzeig sein, den 
pathologischen Rauschzustand als eine durch den Alkohol ausgelöste 
epileptische Erscheinung gleich wie den epileptischen Anfall zu be¬ 
trachten ? Man wird sich aber hüten müssen, zu generalisieren, wenn man 
bedenkt, wie unbeeinflussbar durch Brompräparate der klassische epi¬ 
leptische Dämmerzustand in der Regel ist. 

Verordnet wurden gewöhnlich grössere Bromdosen (6 Gramm), 
welche die ängstlich motorische Erregung linderten. Opium schien zu 
versagen. Dauerbäder wirkten beruhigend. Die durch melancholische 
Verstimmung oder Halluzinationen gegebene Selbstmordgefahr ver¬ 
bietet die Isolierung und erfordert strenge Ueberwachung. 

Die chronische Trunksucht ist nicht nur die Quelle akuter Geistes¬ 
krankheiten, vielleicht epileptischer Anfälle, sondern hat auch eine 
pathologische Charakterveränderung zur Folge. Wie der chronische 
Morphiumgenuss erstickt auch der gewohnheitsmässige Trunk des .Al¬ 
kohols Willenskraft und sittliche Gefühle, steigert die Reizbarkeit zum 
Jähzorn und macht gewalttätig, aber den Rücksichtslosen auch über¬ 
trieben rührselig und weinerlich. Daneben leiden das Gedächtnis und 
der Schlaf. Der Alkoholist verliert allmählich seine Arbeitsfähigkeit 
gänzlich und wird zur Crux seiner Umgebung. 

Wenn Sie in einem solchen Falle konsultiert werden und Rat 
schaffen sollen, dann müssen Sie als gewissenhafte Aerzte eine längere, 
für Sie unter Umständen ganz einträgliche Behandlung im Hause ent¬ 
schieden ablehnen. Der Kranke — und als solchen haben Sie den chro¬ 
nischen Alkoholisten aufzufassen — muss einer Anstalt übergehen 
werden, wo mit ihm eine Entziehungskur vorzunehmen ist. So lange 
er sich zu Hause aufhält, ist alles aufzubieten, um den Alkoholgenuss 
fernzuhalten oder wenigstens zu beschränken. Für den Schlaf ist mit 
Hypnoticis zu sorgen. (Cave Chloralhvdrat!) Brom-Veronalklysmen 
(kleine Dosen beider Medikamente) nach Becker setzen die Impul¬ 
sivität oft herab. Die körperlichen Beschwerden sind nach den in der 
inneren Medizin gegebenen Regeln zu bekämpfen. 

Früher befürchtete man von dem plötzlichen Aussetzen des Al¬ 
kohols die schlimmsten Zufälle. Den Ausbruch des Delirium tremens. 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


745 


kollapsartige Zustände brachte man damit in Verbindung. Heute ist 
man in dieser Beziehung mutiger geworden. Bonhoeffer berichtet 
über sofortige Entziehung des Alkohols und des Morphiums, ohne dass 
sich besorgniserregende Komplikationen eingestellt hätten, welche ein 
solches Vorgehen nicht empfehlen würden. 

Allerdings lässt er die erzwungene Abstinenz in der Aetiologie des 
Delirium für gewisse Fälle gelten. 

Die Entziehungskur, über deren Einzelheiten ich mich hier nicht 
verbreite, da sie dem praktischen Arzt nicht zufällt, sondern nur in 
eigens dazu bestimmten Anstalten, Sanatorien, Trinkerasylen mit Er¬ 
folg durchgeführt werden kann, hat sich bei reichlicher Ernährung und 
zweckmässiger Diät mit der Erziehung zu regelmässiger Arbeit zu ver¬ 
binden. 

Die Erfolge, welche man in den Alkoholistenanstalten erzielt haben 
will, sollen glänzende zu nennen sein. Man will aus vollkommen ver¬ 
lorenen, antisozialen Elementen wieder nützliche Glieder der Gesellschaft 
gemacht haben. Mir fehlt die einschlägige Erfahrung. Das fluktu¬ 
ierende Material der Kliniken, welches ab und zu einen gemeingefähr¬ 
lichen Säufer zu Beobachtung und Behandlung enthält, gewährt kein 
abschliessendes Urteil wegen der verhältnismässigen Seltenheit solcher 
Fälle, und der Kürze des Anstaltsaufenthaltes. Jedenfalls ist eine zu 
Lehrzwecken berufene Klinik kein geeigneter Aufenthaltsort für Ent¬ 
ziehungskuren. Die Prognose, welche man einem chronischen Säufer 
bei seinem Eintritt in die Klinik stellen muss, ist leider eine sehr un¬ 
günstige. Es ist richtig, dass der Kranke physisch emporgebracht, 
von den lästigsten Symptomen des Alkoholismus befreit, anscheinend 
vollkommen genesen, zur Freude seiner Familie heimkehrt. Nur allzu¬ 
kurz jedoch währt dieser Zustand des wiedergewonnenen physischen 
Wohlbefindens des psychischen Gleichgewichtes. Was dem chronischen 
Säufer, trotz scheinbar wiedererlangter Gesundheit, vollständig mangelt, 
ist Widerstandskraft. Dieser Defekt an kräftigen ethischen Gefühlen 
lässt ihn bei nächster Gelegenheit straucheln und ein einziger Rückfall 
genügt oft, ihn auf schiefer Bahn nach abwärts zu treiben. 

Das eigene, persönliche Interesse des chronischen Säufers erheischt 
dessen Entmündigung, wozu uns der Gesetzesparagraph eine bequeme 
Handhabe bietet. Seine Versetzung in eine geeignete Anstalt kann 
daher ohne dessen Zustimmung geschehen. Es fragt sich nur, wie soll 
der Zwang beschaffen sein, welcher auf den Kranken hier ausgeübt 
werden soll, inwieweit darf man sich eine günstige Wirkung auf die 
Psyche desselben versprechen, wenn fremder Wille für den eigenen, 
krankhaft geschwächten eintreten soll ? Eine dauernde Entfernung 
aus der Gesellschaft, eine lebenslängliche Freiheitsberaubung müsste 
jenen das einzig erstrebbare Ziel bedeuten, welche an einem ethischen 
Emporkommen des Säufers verzweifeln. Leider wird man dieser pessi¬ 
mistischen Prognosestellung nach der Empirie der täglichen Praxis in 
den meisten Fällen beipflichten, insbesondere, wenn man erkannt hat, 
dass die Sucht einer konstitutionellen Verfassung odör Anlage gleich¬ 
zusetzen ist, welche auch nach einer Veränderung der ungünstigen 
äusseren Konstellation bestehen bleibt. 

Kaum angängig ist es aber andererseits, die ominöse Vorhersage 
wie ein Diktum für jeden Kranken zu einer absolut bindenden 
Richtschnur zu verwerten. Man wird daher am besten den Zwang der 
Anstalt für den Kranken in die sanfte Form mütterlichen Gängelns 


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N i essl - May endor f, 


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verwandeln, indem man dem Kranken eine gewisse Freiheit lassend, 
stets hilfsbereit die schützenden Arme um ihn ausstreckt. Von de» 
Versuchen, sich in der Freiheit zu bewegen, wird reichlich Gebrauch 
zu machen sein, aber immer so, dass die Folgen eines Fehltritts wieder 
bald gut gemacht werden können. Dieser bei der Anstaltsbehandlung 
Geisteskranker längst gekannte und geübte Modus des „Ausgangs“ 
und der „versuchsweisen Entlassung“ sei die übliche Art der Be- 
handluug in den Trinkerasylen, als deren erste Aufgabe die lieber- 
w a c h u n g des willensschwachen Säufers zu gelten hat. 

Die Trinkerheilstätte soll kein Arbeitshaus, keine Zwangsarbeits¬ 
anstalt sein, nicht nur den Namen eines Erholungsheims beanspruchen, 
sondern auch in der Einrichtung und der ganzen Hausordnung den 
Charakter eines solchen bewahren. Mit der Abstinenz stellt sich das 
Bedürfnis nach einer Tätigkeit bei den meisten Alkoholisten von selbst 
ein und es ist sicher unvorteilhaft, wenn eine Beschäftigung dem Kranken 
von der Autorität der Anstalt aufgedrungen wird. Der Kranke soll 
nicht mit Zwang an die Arbeit gewöhnt werden, denn er ist ja an sich 
nicht arbeitsscheu, nur sein gegenwärtiger physischer und psychischer 
Zustand macht ihn arbeitsunfähig. Auf die Veränderung dieses und auf 
die Beseitigung der Gefahr, wieder in denselben zu verfallen, muss ab¬ 
gezielt werden. Es soll damit gesagt sein, dass ein Erwecken ethischer 
Gefühle, wo sich solche nie entwickelt, und nicht durch die Trunksucht 
nur verdeckt und in den Hintergrund gedrängt wurden, auch durch 
den suggestiven Einfluss selbst erlesener Anstaltsärzte kaum zu erreichen 
sein dürfte, dass aber eine Erziehung und Festigung des Wil¬ 
lens in der Macht einer vernünftigen und zielsicheren Zucht liegt. Un¬ 
bewusst muss der Kranke geleitet werden, bis er selbst wieder in den 
Besitz seiner eigenen Leitung gelangt. 

Was in der ersten Vorlesung von dem Nachteil grosser 
Irrenkolonien, von der hohen Bedeutung der Qualität des ordinierenden 
Arztes ausgeführt wurde, gilt gleicherweise für die Trinkerasyle. Ein 
Arzt auf höchstens zwanzig Kranke! In ausgedehntem Masse sollte 
die Beaufsichtigung extern domizilierender Rekonvaleszenten in An¬ 
wendung kommen, welche in regelmässigen Besuchen durch den Arzt 
zu geschehen hätte. Nicht gleich bei dem ersten Rückfall werde der 
Widerstandslose wieder zwischen vier sicheren Wänden dingfest ge¬ 
macht. Durch den suggestiven Einfluss einer überzeugenden ärztlichen 
Persönlichkeit ■werde der durch einen neuerlichen Exzess drohende 
Ernst der Situation dem Kranken eindringlich zum Bewusstsein ge¬ 
bracht. Erweist sich die psychische Kräftigung desselben nicht hin¬ 
reichend, um den lebhaften Anreiz seiner Sucht niederzukämpfen, 
wird er seiner Umgebung lästig oder gefährlich, so muss die sofortige 
eventuell zwangsweise erfolgende Unterbringung in der geschlossenen 
Anstalt ohne die Retardation langwieriger Formalitäten erfolgen können. 

Man pflegt die chronischen Alkoholisten, wenn sie gemeingefährlich 
oder gemeinlästig werden, einer Irrenanstalt zuzuführen, wo es keine 
Trinkerasyle gibt. Sie gehören streng genommen nicht dahin, ebenso¬ 
wenig als Epileptiker. Zum mindesten sollte sich in der Irrenanstalt 
eine besondere, unter der Leitung eines spezialärztlich geschulten 
Arztes stehende Abteilung für chronische Trunksüchtige befinden. Der 
mit heftigstem Affektausbruch jedem äusseren Zwangmittel trotzende 
Säufer ist oft schwer in die geschlossene Anstalt zurückzubringen. Man 
vermeide die Polizeigewalt in Anspruch zu nehmen und bediene sich. 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


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nach einer gründlichen Untersuchung des Herzens, der unsichtbaren, 
jedoch weit wirksameren chemischen Zwangsjacke (Hyoscinum hydro- 
bromicum 0,0007 + Morph, sulf. 0,01). Leichter, und zumeist ohne 
jedes Zwangsmittel, wird die Internierung möglich, wenn, was allerdings 
jetzt noch nicht der Fall ist, der in der Anstalt behandelnde Arzt mit 
dem Kranken in Kontakt bleibt, sich das Zutrauen desselben erworben 
hat und eine gewisse Macht über ihn besitzt. 

Die chronische Trunksucht ist ein Balancement zwischen Ge¬ 
sundheit und Krankheit, wenn man diese Labilität an sich nicht 
schon als etwas Pathologisches betrachten will. Es gibt aber auch aus¬ 
gesprochene Geisteskrankheiten auf alkoholischer Basis. In den älteren 
Lehrbüchern figuriert eine Paranoia alcoholica, deren Wahninhalt aus 
grundlosem Eifersuchtsverdacht seine Nahrung ziehen soll. Heute, 
wo das Streben nach schärfer umrissenen Krankheitsbildern, die alte 
Nomenklatur an der Wirklichkeit prüfend misst und revidiert, steht 
man der Existenzberechtigung dieser Form der Verrücktheit skeptisch 
gegenüber. Ich kann einer diesbezüglichen Bemerkung d'un gewandte¬ 
sten Schilderer der Alkoholpsychosen, Bonhoeffer, nur bei¬ 
stimmen. 

Mit dem Eifersuchtswahne der .Alkoholiker hat es eine eigene Be¬ 
wandtnis. Es wäre mit dem allseitigen Erweis dieser Tatsache für ein 
spezifisches Gift ein spezifischer Wahninhalt gefunden, ein bei allen 
sonstigen Intoxikationen nie wieder anzutrefTendes Vorkommnis. Irr¬ 
sinn, falls er nicht an der Stirne das typisch Paradoxe so offenkundig 
trägt, dass die Augenblicksdiagnose handgreifliche Sicherheit bringt, 
darf nur dann an Stelle des Irrtums gesetzt werden, wenn durch eine 
gründliche, in Uebereinstimmung zahlreicher, durchaus objektiver 
Zeugen zu einem eindeutigen Resultat führende Untersuchung die 
völlige Haltlosigkeit aller Behauptungen des Exploranden festgestellt ist. 

Wo geschieht dies aber, wenn der Trunksüchtige seine Frau der 
Untreue bezichtigt ? Wo wäre ein solcher Beweis mit Sicherheit zu 
führen, da sich dem Irrenarzt die häuslichen Vorgänge meist nur in 
den- abweichenden Schilderungen des Kranken und der beschuldigten 
Gattin darstellen, ohne dass sich ihm ein Einblick in das Nähere der 
Umstände und das Beobachtungsmaterial Fernerstehender eröffnen 
kann, wie etwa dem Richter. Der Irrenarzt begnügt sich meist mit 
der Registrierung des Schablonhaft - Hergebrachten und belächelt die 
Beteuerung des Kranken, weil er seine gesunden Sinne nicht habe 
und seine Aussage darum nicht wahr sein könne. 

M. H.! Sie machen sich kaum eine Vorstellung, in welch’ ver¬ 
zweifelter Lage die Ehefrauen der arbeitsunfähigen und sehr gewalt¬ 
tätigen Säufer leben müssen. Da die Volksmeinung die Trunksucht 
nicht als Krankheit anerkennt, sondern als Laster verurteilt, erscheint 
der Gewohnheitstrinker seiner Frau ekelerregend und verächtlich, 
nicht bemitleidenswert. Das Herabgleiten der familiären Lebensbe¬ 
dingungen, die Verarmung, welche das Familienhaupt verschuldet, 
erfüllt sie mit steigender Abneigung, mit Hass. Die Frau sucht sich 
einerseits des lästigen und gefährlichen Mannes zu entledigen, anderer¬ 
seits eine pekuniäre Stütze, die sie und die Ihrigen vom Untergang 
retten soll, an dessen Rand sie der Trunk ihres Gatten gebracht hat. 
So ergibt die wirkliche Lage hinlänglich verständliche Motive, welche 
die Frau zur Untreue hintreiben. Dessen wird sich der Trinker oft be- 


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Niessl-Mayendorf, Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten 


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wusst, die Gedanken lassen Argwohn in ihm keimen, ohne dass es des 
Hinzutretens peinlicher Gefühle seiner sexuellen Impotenz, welche man 
für die Eifersuchtsdelirien naiverweise ätiologisch beschuldigt hat, 
bedarf. Wenn man für diesen spezifischen Inhalt der alkoholistischen 
Wahnbildung etwa durch das Gift verursachte Atrophie in den männ¬ 
lichen Geschlechtsorganen verantwortlich machen zu können glaubte, 
so übersah man die primitive psychologische Erfahrung, dass der Affekt 
der Eifersucht nur aus dein Gewoge stark sexuell betonter Gefühle 
hervorbricht, welche das Gelingen des sexuellen Aktes begünstigen, 
selbst wenn das zeugungsunfähige Sperma unfruchtbar bleibt. Gänzlich 
aus der Luft gegriffene, ohne um ein reales Substrat sich kristallisierende, 
Eil'eisuchtsideen habe ich nie bei einem chronischen Säufer angetroffen. 

Dieser Exkurs, der scheinbar mit der Therapie nichts zu 
tun hat, war zur Entwurzelung der Irrlehre von der alkoholistischen 
Verrücktheit, welche als vorsündflutliches Gespenst in manchen Lehr¬ 
büchern noch herumspukt, notwendig. Jedoch auch für die Direktive 
Ihrer ärztlichen Ratschläge und Entscheidungen ist es von grösster 
Wichtigkeit, zu wissen, ob Sie die inneren Erlebnisse und die aus den¬ 
selben gezogenen Schlussfolgerungen an Ihrem Kranken als Symptome 
einer Geisteskrankheit oder als abnorm affektive Reaktionen auf wirk¬ 
liche Wahrnehmungen und Ereignisse aufzufassen haben. Urteilen Sie 
daher immer erst nach möglichst gründlicher Kenntnis der Sachlage 
und geben Sie dieser entsprechende Weisungen. 

Wir wenden uns zu den sichergestellten chronischen Psychosen, 
welche die gewolmheitsmässige Trunksucht zur Ursache haben. Wir 
haben oben protrahierterer Formen des Delirium tremens mit sehr 
ausgesprochenen Merkfähigkeitsdefekten gedacht. Diese bilden den 
Uebergarig zu der sogenannten Korsakow sehen oder polyneuri- 
tischen Psychose. Bündig charakterisiert diese Krankheit W e r n i c k e 
mit lapidarer Eindringlichkeit durch vier Stichworte: Allopsychische 
Desorientierung, mangelnde Merkfähigkeit, retrograde Amnesie, Kon¬ 
fabulationen. Wie Sie sehen, sind es Lücken und Störungen in Ablauf 
der Vorstellungen, welche dieser Krankheit das klinische Stigma auf¬ 
drücken. Aber das Wesen der Krankheit ist mit diesen nicht erschöpfend 
ausgedrückt, auch nicht, wenn ich Ihnen mitteile, dass delirante Zustände 
die Gedächtnisausfälle komplizieren. Alle diese Erscheinungen haben 
nähmlich zum Hintergründe eine starke Abschwächung des Gefühlslebens, 
stumpfe Aufnahme äusserer Eindrücke, Indolenz, Willenlosigkeit. Man 
sucht sich diesen psychischen Mangel mit dem begrifflich vieldeutigen 
Namen „Demenz“ bewusst zu machen. Derselbe ist von pathogno- 
monischer Wichtigkeit für sie diese Krankheit, da sich ganz analoge 
Störungen der Orientierung, des Gedächtnisses, der Merkfähigkeit bei 
einer senilen Psychose, der Presbyophrenie, deren Kenntnis wir 
W e r n i c k e verdanken, nachweisen lassen, welche jedoch durch sehr 
lebhafte Aeusserungen, oft sogar durch leidenschaftliche Ausbrüche 
des Affektes aus gezeichnet ist. 

Es existieren nun Bilder der alkoholischen Demenz ohne den 
Korsakow sehen Symptomenkomplex, welche entfernte Aehnlieh- 
keit mit den schliesslichen Defektzustähden der einfach dementen, 
benigneren Form der progressiven Paralyse haben. Gemeinsam mit 
dieser haben sie aber nichts als eben die Demenz und auch dieser fehlt, 
im Gegensatz zur Paralyse, die Progressivität. 

M. H. I Die Behandlung des Blödsinns, welche, obgleich sie von 



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Pletnew, Einiges über Bradykardie. 


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keiner Heilungstendenz mehr geleitet werden kann, gehört zu den 
wichtigsten Kapiteln der Therapie der Geisteskrankheit, da eine grosse, 
vielleicht die grösste Anzahl der chronisch Geisteskranken unrettbar 
dem Blödsinn verfallen. 

Soll hier die Therapie Halt machen und sich mit dem traurigen 
„expektativ“ zufrieden geben ? Ebensowenig als ein unabwendbar le¬ 
taler Ausgang gewisse Krankheiten von dem Interesse, und der Pflicht, 
ärztlich einzugreifen, ausschliesst, ebensowenig darf der geistige Tod 
ein Aufgeben jeder ärztlichen Behandlung rechtfertigen. Wenn es auch 
nicht gelingt, geschwundene Zellverbände durch Heilmittel zu resti¬ 
tuieren, so wird wenigstens auf die Lebensfähigkeit der noch vorhan¬ 
denen Rindenkörper einzuwirken sein. Man wird das Zufliessen der 
Reize von der Peripherie begünstigen, indem man sich mit dem Kranken 
beschäftigt, dessen Aufmerksamkeit wachzuhalten trachtet, Gedanken¬ 
gänge entbindet, Wünsche erweckt. Nichts ist unsinniger, als mit 
angeblich methodischen Gedächtnisübungen den Patienten zu quälen, 
welche wohl stets ganz erfolglos bleiben. Eine Anstaltsbehandlung 
möge, wenn irgend tunlich, umgangen werden. Als stationäre, abge¬ 
laufene Fälle pflegen solche Kranke von dem ärztlichen Besucher nur 
nebenher berücksichtigt zu werden. Das Niveau der geistigen Fähig¬ 
keiten bei der Dementia alcoholica erhebt sich wesentlich über das 
des Paralytikers, so dass man eher von Schwach-, als von Blödsinn 
sprechen kann. Ich erinnere mich an einen alten Alkoholiker mit den 
Symptomen der Korsakow’schen Krankheit, welcher trotz seiner sehr 
reduzierten Psyche hei der Visite mich wiederholt um seine Entlassung 
aus der Anstalt bat, eine Initiative, die man bei einem Paralytiker 
wohl stets vermissen wird. Die häusliche Behandlung ist. was ich, 
wie ich glaube, kaum hervorzuheben brauche, nur dann zulässig, wenn 
durch die Verhältnisse für die Einhaltung der Abstinenz völlig Gewähr 
geleistet wird. Zu Hause ist der Kranke, welcher zu körperlicher Bewe¬ 
gung angehalten werden soll, an leichte Arbeit zu gewöhnen. Die An¬ 
sprüche an seine geistigen Fähigkeiten müssen möglichst geringe sein, 
vornehmlich ist die schwere Schädigung der Gedächtnisfunktion in 
Rechnung zu ziehen. Trotz dieser Defekte findet man unter den alten, 
abstinenten Alkoholisten oft sehr brauchbare Hilfskräfte. Die 
Irrenanstalt darf solche Elemente nicht festhalten, welche bei be¬ 
stehender Armut in Siechen- oder Armenhäuser unterzubringen sind. 
Nur während deliranter Stadien ist eine vorübergehende Aufnahme in 
eine solche geboten. (Fortsetzung folgt.) 


Einiges über Bradykardie. 1 ) 

Von D i m i t r i Pletnew, Professor u. Direktor der III. medizin. Klinik an der 
weiblichen Hochschule in Moskau. 

S e n a c 2 ), der bekannte französische Kliniker in der zweiten Hälfte 
des XVIII. Jahrhunderts, sagt im Vorworte zu seinem Buche, dass er 
dessen Ausgabe zögernd aufgenommen habe. Es schien ihm die Patho¬ 
logie des Herzens so gut wie erschöpfend von den Gelehrten erforscht. 
„J’avais eru d’abord, qu’on ne pouvait rien ajouter ä leurs recherchcs.“ 
Dennoch hat er seine Aufgabe aufgenommen, da die früheren Forscher 

l ) Auszug aus dem Vortrage, gehalten im zweiten russischen Kongresse für innere 
Medizin im Dezember 1910 in Petersburg. 

*) Traitä de la structure du coeur. Paris 1749. 


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750 


Pletnew, 


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hauptsächlich die gröberen Veränderungen bearbeiteten, die feineren 
ihnen aber entgingen. ,,Die Natur ist so reich und vielseitig in ihren 
Erscheinungen, dass letztere teilweise doch übergangen sein können.“ 

Es sind mehr als anderthalb Jahrhunderte seit dem Erscheinen 
des Sen a c sehen Buches verflossen und trotz der vielen glänzenden 
physiologischen und klinischen Arbeiten, die in dieser Zeit erschienen 
sind, kann jedermann, der wieder eine Arbeit auf diesem Gebiete publi¬ 
ziert, die Worte des französischen Forschers zu seiner Rechtfertigung 
wiederholen. Es kommen wieder und w-ieder Arbeiten, die das anato¬ 
mische und funktionelle Gebiet des Herzens detaillieren, die unsere 
Kenntnisse wenn nicht verbreiten, so doch vertiefen. 

Zu den Fragen, die in der letzten Zeit eine derartige Vertiefung 
erfahren haben, gehört die Bradykardie. 

Noch vor kurzer Zeit hat man unter Bradykardie alle diejenigen 
Fälle vom dauernd verlangsamten Puls verstanden, wo man unter 
<i0 Pulse in der Minute zählte, ganz ungeachtet, wie zu dieser Zeit die 
Herzrevolution entstand. Jetzt bedarf der Begriff der Bradykardie 
einer Zergliederung. 

Wie nach klinischen, so nach experimentellen Ergebnissen muss 
die Bradykardie auf zwei Gruppen geteilt werden: echte und falsche 
Bradykardie, Pseudobradykardie. Zu der ersten Gruppe gehören alle 
diejenigen Fälle, wo ein Puls auf je eine Kontraktion des Herzens, resp. 
aller seiner Abteilungen folgt, während zu der zweiten Gruppe die Fälle 
gehören, wo die Zahl der Herzkontraktionen, resp. der Kontraktionen 
verschiedener Abschnitte des Herzens mit der Pulszahl nicht zusam¬ 
menfällt. 

I. Echte Bradykardie, bradycardia v e r a. Das 
Herz kontrahiert sich in toto langsamer, als es der Norm entspricht. 
Die Zahl der Pulselevationen im Sphygmogramm entspricht der Zahl 
der Herzevolutionen. Die Bradykardie ist in solchen Fällen von einer 
Ursache bedingt, die ihren Einfluss auf den N. vagus (sein Zentrum, 
Stamm oder periphere Endigungen) oder das Herz, sensu stricto 
(Herzmuskel, event. Herzganglien) ausübt. Dieser Einfluss kann direkt 
oder auch indirekt auf dem Wege eines Reflexes erfolgen. Der direkte 
Einfluss kann auch verschieden sein. Es können anatomische Ver¬ 
änderungen im Zentrumsgebiete sein, es kann eine Hyperämie, oder 
plötzliche Anämie in dieser Gegend sich abspielen. In anderen Fällen 
wird der Stamm des Vagus gereizt. So beschreibt C h. E s m e i n ') 
einen Fall, wo er dauernde Bradykardie mit synkopalen Erscheinungen 
beobachtete, in dom der Symptomenkomplex durch den Druck einer 
vergrösserten tuberkulösen Lvmphdrüse auf den Vagusstamm be¬ 
dingt war. 

Die durch Vagusreizung bedingte Bradykardie ist nie so dauernd 
wie eine myopathische Bradykardie. Sie hat einen wechselnden Cha¬ 
rakter und wird bei gewisser Dauer durch Tachykardie ersetzt. Der 
Uebergang von Brady- in Tachykardie ist unter anderem ein wichtiges 
Symptom einer tuberkulösen Meningitis. 

Häufig trifft man eine toxische Bradykardie wie von exo- so endo¬ 
gener Herkunft. Zu der Gruppe der exogenen Bradykardie gehören 
diejenigen Fälle, die von Nikotin, Digitalis, Blei usw. hervorgerufen 
sind. 


') Bullet, de la Soe. m cd. d. hopitaux, 1910, No. 20. 



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Einiges über Bradykardie. 


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Die Ursache der Bradykardie ist in allen genannten Fällen nicht 
immer gleich. Besonders komplex ist die Ursache der Digitalisbrady¬ 
kardie. Man erinnere sich nur an die Wirkung der Digitalisgruppe auf 
den N. vagus, den Herzmuskel, die Gefässe. 

Zu den Bradykardien endogener Herkunft gehören, um ein Beispiel 
zu nennen, diejenigen Fälle, die man bei Ikterus, bei Urämie usw. trifft. 
Die Bradykardie, die man bei Retentionsikterus beobachtet, ist von 
der Wirkung der gallensauren Salze auf den Herzmuskel und N. vagus 
(Zentrum und periphere Endigungen) bedingt. Dass es sich in diesen 
Fällen nicht nur um die Wirkung auf den Herzmuskel allein, wie man 
es sich früher vorstellte, handelt, sondern dass dabei auch der N. vagus 
mit betroffen ist, ist von Weintrau d bewiesen, der in einer Reihe 
von Fällen des Retentionsikterus durch Atropininjektionen die Brady¬ 
kardie beseitigen konnte. 

Die Entstehung der Bradykardie bei Urämie ist noch nicht völlig 
klar. Es ist möglich, dass das urämische Gift zur gleichen Zeit seinen 
Einfluss auf das zentrale Nervensystem und auch auf den Herzmuskel 
ausübt. 

Ein sehr wichtiges und ominöses Zeichen ist die im Laufe des Schar¬ 
lachs auftretende Bradykardie. Wie bekannt, ist Tachykardie Regel 
im Laufe dieser Krankheit und die Bradykardie erscheint nur als eine 
postinfektiöse, resp. nach Abfall der Temperatur sich einstellende Er¬ 
scheinung. Kommt es aber noch bei hohem Fieber zur Puls- resp. Herz¬ 
verlangsamung. so muss eine ernste Nephritis, die sich schon mit einem 
urämischen Zeichen manifestiert, befürchtet werden. 

Als Regel erscheint meistens die Bradykardie bei Rekonvaleszenten 
von verschiedenen infektiösen Krankheiten. Neuss er 1 ) betrachtet 
sie als toxisch. 

Die Aetiologie ist in diesen Fällen schwer präzise zu bestimmen. 
Sie als toxisch zu bezeichnen, erklärt die Frage nicht. Sind sie toxisch, 
warum sehen wir nicht die Pulsverlangsamung im Laufe der infektiösen 
Krankheiten ausser gewissen Ausnahmen (Typhus abdominalis, Menin¬ 
gitis). Die beschleunigte Herztätigkeit während der hohen Temperatur 
ist in diesem Stadium nicht von der Temperaturhöhe abhängig, was 
von mehreren Autoren bewiesen ist. Wie dem so ist, fehlt uns eine 
exakte Verlängerung der postinfektiösen Bradykardie. Wir kennen sie 
vorläufig nur als Tatsache. 

II. Pseudobradykardie kann auf zwei Gruppen geteilt 
werden: Bradysphygmie und Bradysystolie. 

Die Bradysphygmie ist die häufigste in Praxis vorkom¬ 
mende Form der „Bradykardie“. Unter dem Ausdruck der Bradysphyg¬ 
mie versteht man eine Herztätigkeit, bei der die Zahl der Herzkon¬ 
traktionen normal, während die Zahl der Pulselevationen unter der 
Norm ist. Es besteht also ein Missverhältnis zwischen der Zahl der 
Herzrevolutionen und den Pidserscheinungen in den peripheren Ar¬ 
terien. Verschiedene Herzabschnitte (Veneneinmündungsstelle, Arterien, 
Ventrikel) kontrahieren sich aber wie in der Norm. Am häufigsten trifft 
man diese Form der Bradykardie bei Anhäufung von Extrasystolen; 
hauptsächlich ventrikulären Ursprungs, aber auch derjenigen, die im 

') Ausgewählte Kapitel der klinischen Symptomatologie u. Diagnostik, 1904. 


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Referate und Besprechungen. 753 

leitung im Bündel, oder auf Schädigung der Ventrikelmuskulatur be¬ 
ruhen. 1 ) 


Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie. 

Brusrhettini und Morelli, Untersuchungen über den Frnenkclsehen Pneumo¬ 
kokkus. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 5.) 

Lungenextrakt, zu gewöhnlicher Bouillon gegeben, hemmt die Entwick¬ 
lung der Pneumokokken; an sich wirkt der Extrakt bakteriolytisch. Sowohl 
Lungenextrakt, wie Serum weisen gegenüber dem Pneumokokkus weder 
eine präzipitierende, noch eine agglutinierende Wirkung auf. Die Extrakte 
sind reich an Opsoninen; sie wirken chemotaktisch auf Leukozyten. Der 
Lungenextrakt und das Serum der mit dem Extrakt behandelten Kaninchen 
ist reich an Sensibilisatoren, die durch die Komplementbindungsreaktion 
nachgewiesen werden können. Schürmann. 

Hauer (Berlin), Untersuchungen über die Wirkung des Mittels 606 auf die 
Hühnerspirillose. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 6.) 

Salvarsan vernichtet die Spirochäten im Tierkörper. Die Heilwirkung 
des Mittels tritt sehr bald ein und zeigt sich schon bei Anwendung geringer 
Mengen Salvärsans. Die Immunität, die das Salvarsan den mit ihm be¬ 
handelten Tieren verleiht, ist eine hohe und dauernde. Eine schädliche 
Nebenwirkung des Salvarsans auf den Organismus konnte niemals beob¬ 
achtet werden. Schürmann. 

Schern (Berlin), Über das Rattenvertilgungsmittel Virus sanitär etc. (Centr. 
f. Bakt., Bd. 62, H. 6.) 

Von der Gesellschaft für Seuchenbekämpfung ist ein Ratten- und Mäuse¬ 
vertilgungsmittel unter dem Namen „Virus sanitär A“ in den Handel 
gebracht. Dieses Präparat ist bakteriologisch untersucht worden und es hat 
sich ergeben, daß es einen Paratyphusstamm enthält, der mit Paratyphus 
B- und Gärtner Serum agglutiniert wird. Dieses Präparat soll unschädlich 
für Menschen, Haustiere und Hausvögel sein. Jedoch ist größere Vor¬ 
sicht bei Haustieren mit dem Präparate sehr anzuraten. 

Schürmann. 

Böhm (Kolozsvär), Über die verschiedenen Färbemethoden der Tuberkel¬ 
bazilien imd deren kritische Rezension. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 6.) 

Aufzählung sämtlicher Färbemethoden für Tuberkelbaziilen und Prü¬ 
fung derselben. 

Es ergibt sich, daß zur Differentialdiagnose nur die Ziehl-Färbung brauch¬ 
bar ist, da sie ein sicheres Resultat bietet und am einfachsten zu machen 
ist; eine andere gute Methode ist auch die Much-modifizierte Gramfärbung. 
Mit der Zielschen Färbung stehen auf einer Stufe die Ehrlich-Kochsche, 
Spenglers Pikrinsäuremethode und die Hermansche Methode; nur sind sie 
langwieriger. Schürmann. 

Reinholdt (vStuttgart), Infektionsversuche mit den „Fleischvergiftern“ (Ba¬ 
zillus enteritidis Gärtner und Bazillus paratyphosus B) beim Geflügel. (Centr. f. 
Bakt., Bd. 62, H. 5.) 

Es gelingt durch Infektion mit Bac. enteritidis Gärtner oder Bac. 
paratyphosus B. bei Hühnern, Tauben, Gänsen und Enten vorübergehende 

*) Grössere Lheratuiübersicht kt zu finden bei: 

1. Pletnew, D. Morgagni-Adams-Stockessche Syndrom in a. Ergehn, f. 
innere Med. u. Kinderheilkunde 190S. I. 

2. Nsgsgo, Zsohr. f. kl. Med. 1909. Bd. 67. 

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Heferate und Besprechungen. 


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und tödliche Erkrankungen hervorzurufen. Zur Infektion sind große Mengen 
von Bakterien notwendig. Verenden die Tiere an der Infektion, so ist 
es stets möglich, Bakterien nachzuweisen. Schürmann. 

Braun (Frankfurt), Über das Streptolysin. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. 5.) 

Verfasser kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. Auf der Blutplatte hämolysierende Streptokokken produzieren in einer 
geeigneten Nährbouillon ein filtrables Hämotoxin, das nach 8—10 ständigem 
Wachstum am reichlichsten vorhanden ist. Es ist sehr labil und wird 
durch eine ‘/ 2 ständige Erwärmung auf 60° zerstört. Selbst bei Tempera¬ 
tur von 37° geht es innerhalb von 6 Stunden zugrunde. Starken Säuren 
und Alkalimengen gegenüber erweist es sich aber als sehr widerstandsfähig. 

2. Das Hämolysin ist kein Leibesbestandteil der Streptokokken und 
ist als ein echtes Sekretionsprodukt aufzufassen. 

3. Die Hämotoxine der verschiedenen Streptokokken sind identisch. 

4. Filtrate 10 ständiger Kulturen einzelner Streptokokkenstämme sind 
für das Kaninchen giftig, nicht aber für Mäuse und Meerschweinchen. 
Dieses Gift ist mit dem Hämotoxin nicht identisch. 

5. Die Blutkörperchen der verschiedenen Tierarten zeigen dem Strepto¬ 
lysin gegenüber eine verschiedene Empfindlichkeit. Am empfindlichsten sind 
die Erythrozyten derjenigen Organismen, die auch der Streptokokkeninfek¬ 
tion am zugänglichsten sind. 

6. Normales Kanninchen-, Meerschweinchen-, Pferde»- und Menschen¬ 

serum enthalten Antilysine. Beim Kaninchen ließ sich eine Steigerung des 
Normalantilysingehaltes durch Injektionen von Streptolysin nicht herbei- 
l'ühren. Schürmann. 

Welchardt (Erlangen), Über die Beeinflussung von Spaltprodukten aus 
Tuberkelbazilleneiweiß. (Central, f. Bakt., Bd. 62, H. 6.) 

Gewisse Produkte aus Tuberkelbazilleneiweiß werden durch einen azeton- 
löslichen, aus Eiweiß gewonnenen Hemmungskörper „Retarsin“ entgiftet 
Dadurch sind gewisse Beeinflussungen im Verlaufe der Impftuberkulose 
an größeren Tieren erklärlich geworden. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Huebner, Eine Trichinoseepideinie. (Centr. f. Bakter., Bd. 62, H. 5.) 

Verfasser berichtet über eine Trichinoseepidemie, mit genauer Angabe 
der Symptome bei den Kranken und den genauen Obduktionsbefund. Er 
erwähnt, die schwankende Diazoreaktion (Stäubli), er fordert bei ver¬ 
dächtigen Fällen die Untersuchung des Blutes auf Trichinen, wie sie von 
Stäubli zuerst angegeben wurde. Diese interessante Methode sei hier 
kurz wiedergegeben: Blut wird mit 3proz. Essigsäure versetzt, zentrifugiert 
Im Zentrifugat sollen Trichinen und Leukozyten nachweisbar sein. „Das 
Blut von Arterien und Kapillaren ist geeigneter als das Venenblut.“ Ver¬ 
einfacht ist das Verfahren von Low und Fülleborn, das am Kranken¬ 
bett auszuführen ist. Blut wird in dicker Schicht auf Objektträger ausge¬ 
strichen. Lufttrocknen. Hineinstellen in dest. Wasser, in welchem der Blut¬ 
farbstoff ausgelaugt wird. Zwei Minuten Fixieren in absolutem Alkohol; 
Färben in Borax-Methylenblau, Abspülen und Untersuchen. Die Trichinen 
sind tiefblau gefärbt. 

Nach T h a y e r und Brown sind die eosinophilen Zellen bei Trichi¬ 
nose vermehrt Schürmann. 

Murillo, F. (Madrid), über 3000 mit der Högyesscben Methode prophy¬ 
laktisch behandelte Fälle von Lyssa. (Centralbl. f. Bakter., Bd. 62, H. 7.) 

Der Verfasser berichtet über 3000 Fälle, die im Verlauf von neun 
Jahren im Institut für Hygiene in Madrid behandelt wurden, über kleine 
Modifikationen, die sich als zweckmäßig erwiesen, und hebt hervor, daß 


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Referate und Besprechungen. 


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bei dieser großen Zahl von Fällen auch nicht ein einziger von Lähmung vor¬ 
gekommen ist, welcher Umstand sehr zugunsten der Högy es sehen Methode 
spricht. Die nachfolgenden Statistiken geben unter anderem interessante 
Aufschlüsse über das Verhältnis der Häufigkeit der Wutinfektion zu den 
verschiedenen Jahreszeiten. Schürmann-Wecker. 

Gabbf, Umberto (Rom), Über Tropenkrankheiten in Süditalien. (Centr. f. 
Bakt., Bd. 62, M H. 7.) 

Gabbi teilt mit, daß er schon des öfteren auf die zuweilen in Cala- 
brien und Sizilien vorkommenden Epidemien von Bubo climatico, Pappataci¬ 
fieber usw., die er als erster mit den entsprechenden Tropenkrankheiüen 
identifiziert hat, aufmerksam gemacht habe und wirft dann die Frage auf, 
woher diese Krankheiten wohl stammen mögen. Er glaubt, daß sie durch 
die alten römischen Armeen oder während der Kreuzzüge eingeführt worden 
sind. Nach seiner Ansicht sollen auch die Invasionen der Araber in Süd¬ 
italien dabei eine Rolle spielen. Auch sei die Ausbreitung dieser klinisch 
noch unbestimmten Krankheiten auf die Vervollkommnung des überseei¬ 
schen Verkehrs und auf die Ähnlichkeit im Klima zurückzuführen Und 
bezeichnet das Forschen nach den Erregern und die Ergründung einer 
rationellen Therapie als vornehme Aufgaben der modernen medizinischen 
Wissenschaft. Schürmann. 

Gombault (Paris), Zur Therapie der Malaria. (Gazette möd. de. Paris 1912, 
Nr. 137, S. 81/82.) 

Das Chinin gilt für das souveräne Mittel bei Malaria, und mit Recht. 
Allein unsere Vorstellungen über seine Wirkungsweise sind nicht vollständig. 
Es tötet die Plasmodien nicht — sonst gäbe es keine Malaria bei prophy¬ 
laktischem Chiningebrauch —, sondern es unterdrückt nur die Fieberan¬ 
fälle, oder — ins Biologische übersetzt — die Entwicklung der Plasmodien. 
Diese selbst bleiben aber in den Geweben, vornehmlich in der Milz, liegen 
und können von da nach beliebig langer Zeit wieder hervorbrechen. Die 
endgültige Heilung ist eine Funktion nicht des Chinins, sondern der Organ¬ 
tätigkeit, und diese läßt sich anregen, steigern, mobil machen durch Arsen 
und Milz-Leberpräparate. Ein besonders empfehlenswertes Arsenpräparat ist 
das Filudin, welches gleichzeitig Milz- und Leberextrakt enthält und Thiar- 
fe'in (= Methvlarsinat -(- Koffein -f- einer Schwefelgruppe). 

Von einer kombinierten Chinin- und Filudintherapie hat Gombault 
gelegentlich einer Studienreise in Persien volle Erfolge gesehen, so daß 
es auch bei uns angezeigt erscheint, nach demselben Gesichtspunkt, welcher 
einleuchtend genug ist, zu handeln. Buttersack-Berlin. 

Schultze und Stursberg, Tod infolge Überanstrengung bei bestehendem Herz¬ 
fehler als Unfallfolge. (Med. Klinik 1911, Nr. 1.) 

Ein 37 Jahre alter Bergmann S. war am 20. November 1906 auf dem 
Wege zu seiner Arbeitsstelle plötzlich gestorben. Der Verstorbene war 
mit einem Arbeitsgenossen auf dem Wege zu seiner Arbeitsstelle, als beide 
bemerkten, daß auf der vor ihnen liegenden Strecke gefördert werden 
sollte. Um durch die Förderwagen nicht gefährdet zu werden, liefen sie in 
der ansteigenden Strecke bei einer Temperatur von 25 1 /« 0 C, während die 
Luft einen Methangehalt bis 0,03 und einen Kohlensäuregehalt von 0,2 
hatte, in leichtem Trabe hinauf. Der Verstorbene blieb bald hinter seinem 
Begleiter zurück, ohne daß dieser es bemerkte und wurde kurz darauf 
sterbend gefunden. Am Tage vorher hatte der Verstorbene geäußert, er 
habe einen Herzfehler und müsse sich sehr in Acht nehmen. Auch war von 
einem Zeugen angegeben worden, daß er öfter bemerkt habe, daß der Ver¬ 
storbene bei der Arbeit häufig stöhnte und klagte, er könne schlecht Luft 
bekommen. Bei der Sektion fand sich eine Erkrankung der Aortenklappen; 
der Verdacht, daß der Verstorbene infolge einer Kohlengasvergiftung ge¬ 
storben sei, konnte durch die weitere Untersuchung des Blutes zerstreut 
werden. — Während der vom Schiedsgericht als Sachverständiger her- 

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Referate und Besprechungen. 


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angezogene Kreisarzt aus dem Obduktionsbefunde den Schluß zog, daß der 
Herzfehler als Todesursache anzusehen sei, und die Annahme eines Un¬ 
falles ablehnte, stellten sich die Obergutachter auf den Standpunkte daß 
in dem Herauflaufen einer ansteigenden Wegstrecke zumal bei hoher Tem¬ 
peratur und ungünstigen Luftverhältnissen eine übermäßige Anstrengung 
zu erblicken sei, die sehr wohl geeignet sei ein Versagen eines schon vor¬ 
her kranken Herzens herbeizuführen. Hiernach wurde es für nicht nur 
möglich, sondern sogar für recht wahrscheinlich erachtet, daß der Tod 
des S. durch jenen Vorgang herbeigeführt wurde. — Die ebenfalls vor¬ 
gelegte Frage, ob ohne jenen Vorgang dem Verstorbenen noch eine gewisse 
Lebensdauer beschieden gewesen wäre, wird dahin beantwortet, daß bei 
einem derartig geschädigten Herzen auch schon die Verrichtungen des 
täglichen Lebens (schnelles Gehen, Treppensteigen) den gleichen Erfolg 
hätten haben können. Bei vollkommener Ruhe und Schonung würde der 
Verstorbene wohl noch eine Zeitlang haben leben können, doch sei nicht an¬ 
nähernd genau anzugeben, wie lange die Lebensdauer in diesem Falle hätte 
sein können und ferner sei zu bemerken, daß gerade bei Fehlern der Aorten¬ 
klappen ein erstmaliges Versagen der Herzkraft, das heißt das Auftreten 
erheblicher Erscheinungen von Herzschwäche, wie sie bei dem Verstor¬ 
benen aber vorhanden gewesen seien, von besonders übler Bedeutung sei. 
Das R. V. A. hob das ablehnende Urteil des Schiedsgerichts auf Grund dieses 
Gutachtens auf und sprach den Hinterbliebenen die Rente zu. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Reuter (Altenburg) und Körner (Rostock), Fremdkörper in der Speiseröhre. 
(Zeitschr. f. Ohrenheilk., 64. Bd., S. 220'222.) 

Ein kräftiger Mann aß eine Geflügelsuppe und empfand dabei plötzlich 
heftigen Schmerz im Schlunde, der weiteres Schlucken unmöglich machte. 
Ein Arzt versuchte den Fremdkörper mit der Sonde in den Magen hinabzu¬ 
stoßen, in einer Tiefe von 35 cm aber blieb der Körper fest stecken. Reuter 
führte dem Manne ein J4 mm - üsophagoskop nach Brünings ein, fand 
mehrere Rißwunden in der Speiseröhrenwand und schließlich in 34 cm 
Tiefe den Fremdkörper. Mit der Krallenzange gelang es, ihn herauszu- 
ziehn. Es war ein Knochenstück, 6 mm dick und 3 cm ins Geviert messend; 
es hatte 2 Zacken, eine 6 mm, die andere 1,5 cm lang; letztere war 
mit Blut bedeckt, sie hatte sich in die vordere Speiseröhrenwand einge¬ 
spießt. 

Körner berichtet über eine Frau, die beim Essen plötzlich das Gefühl 
hatte, als sei ihr ein harter Gegenstand hinter dem Brustbein stecken ge¬ 
blieben. Ein Arzt führte eine steife Sonde bis in den Magen ein, stieß 
dabei auf keinen Widerstand und schloß daraus, daß kein Fremdkörper 
in der Speiseröhre stecke. Das drückende Gefühl hinter dem Brustbein 
blieb aber bestehen, und deshalb suchte die Frau nach vier Tagen die 
Klinik auf. Die Ösophagoskopie ergab in der Mitte der Speiseröhre einen 
3 cm breiten und 0,5 cm dicken Gegenstand, der die Speiseröhre quer 
auseinander drängte. Er wurde mit der Krallenzange herausgezogen und 
erwies sich als ein 3 qcm großes, 0,5 cm dickes Stück Speckschwarte. 

Beide Fälle beweisen die Unzulänglichkeit und Gefährlichkeit der Speise¬ 
röhrensondierung und die große diagnostische und therapeutische Leistungs¬ 
fähigkeit der Ösophagoskopie. Richard Müller-Berlin. 

Kühn, A. (Rostock), Zur Diagnose und Therapie des Duodenalgeschwürs. 
(Med. Klinik 1911, Nr. 3.) 

Das Hauptsymptom unter den subjektiven Beschwerden des Kranken 
mit Ulc. duodeni ist der Schmerz; dieser tritt meist 2—3 Stunden nach 
der Nahrungsaufnahme ein, und die Sekretionsverhältnisse des Magens 
spielen bei dem Zustandekommen des Schmerzes eine wichtige Rolie insofern, 
als wahrscheinlich der durch hyperaziden Reiz hervorgerufene Pylorospas- 
mus das dem Pylorus benachbarte Duodenalulkus mechanisch reizt. Bei 
Hebung des Krampfes durch Neutralisierung des Säureüberschusses, durch 



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Referate und Besprechungen. 


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Belladonna usw. pflegen auch die von dem Plexus ausgehenden Schmerzen 
bald nachzulassen. — Die Schmerzen im Verlaufe des Duodenalgeschwürs 
können lange Zeit sistieren ohne daß damit der Prozeß selbst zu Still¬ 
stand gekommen wäre. — Erbrechen fehlt im Krankheitsbilde des Ulcus 
duod. meistens und Ikterus ist, wenn vorhanden, meist durch zufällige 
Nebenumstände des gegebenen Falles bedingt. — Ein sehr wichtiges Sym¬ 
ptom sind die Blutungen; für Ulcus duodenum charakteristisch ist der positive 
Blutbefund im Stuhl bei fleischfreier Kost bei sicherem Nachweis des Feh¬ 
lens von Blut im Mageninhalt. Doch ist nur der negative Befund im Magen¬ 
saft bei positivem Blutbefund im Stuhl diagnostisch für Ulc. duodeni ver¬ 
wertbar, da auch bei Ulc. duodeni z. B. bei Schluß der Magenausheberung 
Blut antiperistaltisch in den Magen gelangen kann. — Zum Nachweis okkulter 
Blutungen wird die von Dreyer modifizierte Webersche Methode empfohlen. 
Etwas Stuhlgang wird mit einigen Tropfen Eisessig und Äther in der Reib¬ 
schale verrieben, abgegossen mit Guajakharzpulver geschüttelt und auf 
ein Stück Filtrierpapier gegossen, das vorher mit altem Terpentinöl be¬ 
feuchtet ist. Bläuung zeigt das Vorhandensein von Blut im Stuhlgang an. 
— Die Entstehungsweise des Ulc. duodeni ist dunkel; doch soll nach Sper¬ 
ling die Einwirkung von Traumen eine bedeutsame Rolle dabei spielen. 
Im übrigen kommen ätiologisch in Betracht chronische Intoxikationen, z. B. 
mit Alkohol oder Blei, Nierenkrankheiten, Infektionskrankheiten, Leber- 
kiankheiten, Erfrierungen. — Die Perforationsgefahr bei Ulcus duodeni 
ist größer als beim Ulc. ventriculi. — Die Therapie ist in erster Linie 
eine interne und erst bei deren Versagen oder bei Stenosenerscheinungen 
kann als chirurgische Behandlung die Gastroenterostomie in Frage kommen. 
Die innere Behandlung deckt sich im ganzen mit der des Ulc. ventriculi; 
hinsichtlich der bezüglich der Behandlung des letzteren neuerdings her¬ 
vorgetretenen Meinungsverschiedenheiten, die sich in den von Leube und 
Lenhartz angegebenen verschiedenen Diäten widerspiegeln, steht Kühn auf 
dem Standpunkt, daß seine Diät bei Ulc. duodeni sich in den ersten 
3—4 Tagen mehr der Leubeschen Form nähert, um dann zur freieren 
Behandlung nach Lenhartz überzugehen. Rektalernährung wird nur bei ganz 
schweren Blutungen oder in den Fällen angewandt, in denen durch Brechreiz 
oder völlige Nahrungsverweigerung Inanitionsgefahr bestand. — Als „Schorf¬ 
bildner“ empfiehlt Kühn das von Klemperer in die Therapie eingeführte 
Eskalin, eine feinpulverisiertes Aluminium enthaltene Glyzerinpaste zu deren 
Gunsten er die Darreichung von Bim. subr. gänzlich aufgegeben hat, ob 
wohl auch sie ausnahmslos gut vertragen wurde. Dagegen spricht er 
sich über das neuerdings empfohlene „Neutraion“ sehr zurückhaltend aus. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Adler, Über subphrenischen Abszess nach Verletzungen des Pankreas. (Ärztl. 
Sachverstöndigen-Zeitg. 1911, Nr. 13.) 

Es entwickelte sich im Anschluß an einen heftigen Stoß gegen den 
linken Rippenbogen eine eitrige Exsudation im linken subphrenischen Raum, 
kompliziert mit serös hämorrhagischem Pleuraexsudat. Erst die wiederholten 
Punktionen ließen den subphrenischen Sitz des Abszesses erkennen. Im 
weiteren Verlauf verlor das Sekret der Abszeßhöhle den eitrigen Charaktar 
und erwies sich durch chemische und biologische Untersuchung unzweifel¬ 
haft als Pankreassaft. Bei protrahiertem, oft fieberhaftem Verlauf und 
meist profusem Pankreassaftfluß kam es wiederholt zur Sekretverhaltung 
und einmal zur Anstauung und zum Durchbruch in die Harnwege, schlie߬ 
lich unter dem Einfluß der diabetischen Diät zum Versiegen und spontanen 
Schluß der Pankreasfistel und zu völliger Heilung ohne funktionelle Ausfall¬ 
erscheinungen. 

Nach Ansicht des Verfassers führte der Stoß zu einer partiellen Rup¬ 
tur des Pankreas mit Austritt seines Sekretes und Blut. Durch die ver¬ 
dauende Wirkung des Pankreassaftes sind die weiteren verheerenden Wir¬ 
kungen erklärlich. Zwischen dem Unfälle und der Entwicklung des Lei¬ 
dens könne ein mehrmonatliches Intervall liegen. Dieses würde somit nicht 


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758 Referate und Besprechungen. 

die Verneinung des Kausalzusammenhanges von Unfall und Abszeß recht- 
fertigen. H. Pfeiffer-Graz. 

Zander, Paul (Berlin), Tuberkulöse Spondylitis und Unfall. (Med. Klinik 
1910, Nr. 28.) 

Ein 29 jähriger Arbeiter glitt am 6. Juli 1910, als er einen eisernen 
Träger auf der Fräsbank herumrücken wollte, auf einem kleinen am Boden 
liegenden Eisenstücke aus und verspürte hierbei einen Ruck im Kreuz. 
Da zunächst keine besonderen Schmerzen auftraten, setzte der Verletzte 
die Arbeit zunächst nicht aus bis zunehmende Rückenschmerzen ihn zwangen 
am 12. Oktober die Arbeit aufzugeben. — Aus dem am 5. Februar erstatte¬ 
ten Gutachten des zuerst behandelnden Arztes geht hervor, daß der Ver¬ 
letzte zwar zunächst über Magenbeschwerden geklagt habe, daß sich aber 
bei ihm pleuritische Schwarten auf der rechten Brustseite fanden, die von 
einer im Februar 1900 überstandenen rechtsseitigen akuten Brustfellent¬ 
zündung, die auch punktiert worden war, sich herschrieben. Ferner fand 
sich am Rücken ein umschriebener Vorsprung an den Proc. Spin, der Wirbel¬ 
säule in deren Brustteil. — Da nun auch eine chirurgische Poliklinik, 

der der Kranke zugeführt wurde, die Sache für die Folge einer abgelaufenen 
Spondylitis und jedenfalls als den Ausdruck einer schon mehrere Jahre 

zurückliegenden Erkrankung hielt, so lehnte der erstbegutachtende Arzt 

den Zusammenhang zwischen Unfall und Erkrankung der Wirbelsäule ab, in¬ 
dem er annahm, daß eine Lungentuberkulose vorliege, die sich aus der 
akuten Pleuritis entwickelt habe, und daß die abgelaufene Spondylitis mit 
dem Unfälle nichts zu tun habe. — Inzwischen machte aber die kariöse Wirbel¬ 
erkrankung Fortschritte, es kam zu vollständiger Paraplegie beider Beine, 
Inkontinenz von Urin und Stuhl, und am 13. April 1902 starb der Kranke. 
— Vom R. V. A. wurde noch ein Obergutachten eingefordert, welches auf 
Grund genauer mitgeteilter Einzelheiten zu dem Schlüsse kam, daß Lungen¬ 
tuberkulose bei dem Verletzten nicht Vorgelegen habe, daß andererseits 

eine Verletzung der Wirbelsäule, welche erst nach längerer Zeit sichtbar 
werde und oft erst nach Monaten Lähmungserscheinungen liervorrufe, durch 
einen anscheinend geringfügigen Unfall, wie ihn z. B. der Verletzte er¬ 
litten habe, entstehen könne, sei zweifellos und dafür, daß die Erkrankung 
des Verletzten durch den in Rede stehenden Unfall verursacht ist, sprechen 
die Umstände, daß der Verletzte vor dem Unfälle vollständig gesund ge¬ 
wesen sei, seine Militärdienstzeit regulär abgedient und stets schwere 
Arbeit verrichtet habe. Es seien auch genügend Fälle bekannt, bei denen 
durch Verletzung sonst anscheinend Gesunder tuberkulöse Wirbelerkran¬ 
kungen bei vorhandener Disposition entstanden sind. — Diesem Gutachten 
schloß sich das R .V. A. an und sprach den Hinterbliebenen die zuständigen 
Renten zu. R. Stüve-Osnabrück. 

Clerc (Bern), Die Schilddrüse im hohen Alter vom 50. Lebensjahr an, aus der 
norddeutschen Ebene und Küstengegend sowie aus Bern. (Inaug.-Dissert., 1912 
und Frankfurter Zeitschr. f. Pathologie 1912, Bd. X, H. 1.) 

Die Befunde des Verfassers an alten Schilddrüsen waren folgende: 

1. Der Durchmesser der Bläschen nimmt ab mit dem zunehmenden 
Alter. 

2. In den Epithelien treten sowohl im Kern wie im Protoplasma Dege¬ 
nerationserscheinungen auf (abnorm große helle Kerne, abnorm große dunkle 
Kerne, Aufquellen der Epithelien). 

3. Mit dem zunehmenden Alter treten immer häufigere fetthaltige Pig¬ 
mente auf. 

4. Das Kolloid hat im allgemeinen den Charakter des festen Kolloids. 

5. Lymphgefäße enthalten wenig Kolloid. Kolloidanhäufungen im Stroma 
sind selten. 

6. Die Arterien zeigen sehr oft die Veränderungen, die J o r e s be¬ 
schrieben hat. 

Die Unterschiede zwischen den Drüsen aus Norddeutschland (Kiel, 



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Königsberg, Berlin) und Bern sind folgende: 

a) In Bern Gewicht der Drüsen beinahe doppelt so groß wie in Nord¬ 
deutschland. . 

b) In Bern hochgradigere Degenerationserscheinungen der Kerne und 
Epithelien der Bläschen. 

c) In Bern hochgradigere Vermehrung des Bindegewebes, namentlich 
der interlobulären Septa. 

Das Auffallende ist also die stärkere Degeneration der Parenchyms 
in den Berner Drüsen mit relativ stärkerer Vermehrung des Bindegewebes. 
Dabei mag es merkwürdig erscheinen, daß trotzdem das Gewicht der Berner 
Drüsen erheblich größer ist als das der norddeutschen. Hierbei muß in 
Betracht gezogen werden, daß eben schon in jugendlichen Jahren ein 
stärkerer Gewichtsunterschied zwischen diesen Gruppen besteht, der auch 
bei der stärkeren Atrophie der Berner Drüsen nicht völlig verwischt. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


Psychiatrie und Neurologie. 

v. Hösslin, (München), Tabes dorsalis im späteren Alter auf der Basis here¬ 
ditärer Lues. (Neur. Centralbl. 1912, Nr. 1.) 

Der Vater der Patientin, die sicher virgo intacta war (imperforierter 
Hymen, Geschlechtsverkehr negiert), war an Paralyse zu Grunde gegangen, 
die Mutter hatte mehrere Aborte durchgemacht, ein Bruder, der von Jugend 
auf krampfkrank war, starb mit 7 Jahren. Bei der Patientin selbst löste sich, 
als sie 10 Jahre alt war, am Hinterkopf ein Dreimarkstück großes Knochen¬ 
stück unter Eiterung ab. Die ersten tabischen Symptome stellten sich in 
Form lanzinierender Schmerzen mit 53 Jahren, also auffallend spät, ein. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Lenzmann (Duisburg), Tabes dorsalis und Unfall. (Med. Klinik 1910, Nr. 34.) 

Ein Maschinist erlitt im Jahre 1900 im Januar einen Stoß gegen 
den rechten Oberschenkel, an den sich eine Lähmung des rechten Waden¬ 
nerven schloß, so daß der Verletzte den Fuß nicht nach oben heben und 
den äußeren Fußrand nicht aufrichten konnte. Sechs Jahre später starb 
er an Tabes. — Aus den mitgeteilten Gutachten geht hervor, daß die 
Tabes, an der der Verletzte gestorben ist, frühestens l 1 /» Jahre nach dem 
erwähnten Unfälle begonnen hat. L. erklärt, daß erstens der Unfall an 
und für sich, weil zu geringfügig und auch nicht das Rückenmark treffend, 
nicht geeignet war überhaupt ein veranlassendes Moment der Tabes abzu¬ 
geben, und zweitens sei auch die bis zum Ausbruch der Tabes nach dem Un¬ 
fälle verstrichene Zeit eine zu große, so daß auch aus diesem Grunde in 
dem Unfälle eine die Tabes auslösende Ursache nicht erblickt werden könne. 
Eine langdauernde und durch den Unfall bedingte Überanstrengung des 
rechten Beines und dadurch bewirkte Auslösung der Tabes kommt ebenfalls 
nicht in Frage, weil der Verletzte (der nebenbei an Lungentuberkulose 
litt) sich tatsächlich gar nicht angestrengt hat. — Auf das Gutachten hin 
wurden die Ansprüche auf Hinterbliebenenrente abgelehnt. 

R. Stüve-Osnabrück. 

Ossipoff, Zur Behandlung der Ischias mit Kochsalzinjektionen. (Kusski 
Wratsch 1911. Nr. 19.) 

Nach der Injektion tritt unter Temperatursteigerung Hitzegefühl und 
Frösteln ein. Hohe Temperaturen treten bereits nach Anwendung von 
20 ccm auf. Bei der Anwendung eines Zusatzes von Ca Cl 2 hatte Ver¬ 
fasser den Eindruck als wären die Temperaturen weniger ausgesprochen. 

Auf Grund zahlreicher Beobachtungen ist Verfasser in der Lage, die 
Kochsalzinjektion als eine wertvolle Methode zur Behandlung der Ischias 
zu bezeichnen, die auch in alten Fällen, die jeder anderweitigen Therapie 
trotzten, befriedigende Resultate lieferte. Verfasser wendet 50—60 ccm 
pro dosi an. Einige Stunden nach dem Eingriff ist zunächst eine Steige- 


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Referate und Besprechungen. 


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jedenfalls werden sie nicht durch Zerstörung der Kleinhirnrinde, sondern 
anderweitig hervorgerufen (nämlich durch die Narkose allein). Aus den 
Versuchen des Verfassers, die in der technischen Anordnung und in den Einzel¬ 
heiten im Original nachgelesen werden müssen, ergibt sich, daß die von 
Rothmann und Katzenstein bezeiehnete Rindenstelle im Lobulus 
anterior des Kleinhirnwurms nicht der Ort ist, der ein zerebellares Kehlkopf¬ 
zentrum enthält. Trotzdem hält es Verfasser für wahrscheinlich, daß ein 
derartiges Koordinationszentrum an irgend einer Stelle de6 Cerebellum 
existiert. K. Boas-Straßburg i. E. 

Siebert, Über den Einfluß des Fiebers auf den Verlauf von Geisteskrank* 
helten. (St. Petersburger med. Wochenschr. 1911, Nr. 40.) 

Schlußsätze. 

1. Fälle progressiver Paralyse, besonders solche im Initialstadium, haben 
bei der Behandlung mit künstlichem Fieber, im speziellen mit Tuberkulin¬ 
fieber, eine verhältnismäßig günstige Prognose, indem die Krankheit tiefe 
Remissionen macht oder stationär wird. 

2. Unter gewissen Umständen kann ein gelegentlich bei Psychose hin¬ 
zutretender Eiterprozeß den Verlauf derselben günstig beeinflussen. 

3. Die durch künstliches oder natürliches Fieber bedingten Heilerfolge 
bei Psychosen beruhen nach unseren heutigen Kenntnissen auf der den Fieber¬ 
prozeß begleitenden Leukozytose. 

4. Die Erfahrungen über den Einfluß auf einfache Seelenstörungen 

lehren, daß die Psychosen, die mit motorischer Unruhe einhergehen, beein¬ 
flußbar sind. K. Boas-Straßburg i. E. 

Hurnaud, Un cas de mänlngite tuberculeuse d forme aphasique. (Ein Fall 
von Meningitis tuberculosa mit aphasischen Erscheinungen.) (Revue m£d. de la 
Suisse romande 1912, Nr. 1.) 

Bei einem 22 jährigen Patienten mit Lungentuberkulose traten nach 
einigen unbedeutenden Prodromalerscheinungen plötzlich aphasische Sym¬ 
ptome auf, die mehrere Stunden in einem fort anhielten. Von da ab nahm 
die Läsion an Ausdehnung zu. Nach einigen Tagen trat eine fast vollständige 
rechtsseitige spastische Hemiplegie ein, die zu epileptischen Krämpfen An¬ 
laß gab. Nach ca. 14 Tagen waren alle Störungen behoben, so daß man 
fast von Heilung reden konnte. Dann traten wieder ähnliche Zustände wie 
die geschilderten ein, zu denen sich allgemeine Hirnerscheinungen und Läh¬ 
mungserscheinungen an der ursprünglich gesunden Seite hinzugesellten. 
Exitus im Koma. Als Ursache ist eine Meningitis en plaques mit ursprüng¬ 
lich sehr eng begrenzter Lokalisation anzunehmen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Ldvaditi et Danulcsco (Paris), Conservation du virus de la poliomytlite 
dans l’organismc des animaux räfractalres a la maladle. (Konservierung des Virus 
der Poliomyelitis im Organismus von Tieren, die gegen die Krankheit refraktär 
sind.) (Comptes rendus de la Soeiötö de Biologie 1912, Nr. 8.) 

Aus den Experimenten der Verfasser geht folgendes hervor: 

1. Das Virus der Poliomyelitis kann im Organismus der Maus nach 
4 und 15 Tagen nach der Einimpfung nicht mehr nachgewiesen werden. 

2. Das Virus der Poliomyelitis hält sich 24 Stunden im Organismus 
des Meerschweinchens. Seine pathogene Aktivität scheint nach einigen 
Tagen zu verschwinden. 

3. Das Virus der Poliomyelitis hält sich im Auge (genauer: in der 
Vorderkammer des Auges) des im allgemeinen refraktären Kaninchens 
3 bis 23 Tage. Die Fragmente der virulenten Ganglien geben zu keiner 
besonderen Reaktion in der vorderen Kammer bis auf eine leichte trau¬ 
matische Entzündung zu Beginn Veranlassung. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


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Referate und Besprechungen. 


763 


Hals-, Nasen- und Kehlkopfleiden. 

Scherf, W. (Rostock), Vier Wochen lang duuernde diffuse Schwellung der 
Kehlkopfschleimhaut nach Freindkörperrelz. (Zeitschrift f. Ohrenheilk., 64. Bd., 
Seite 44.) 

Ein Knabe von »/* Jahren zerbiß eine Glaskugel, die Mutter holte 
die papierdünnen Scherben, soweit erreichbar, mit dem Finger aus dem 
Munde heraus. Drei Tage nachher stellten sich Heiserkeit und Atemnot 
mit Zyanose ein. Es wurde die Cricotracheotomie gemacht und der Schnitt 
nach oben bis zum Schildknorpel verlängert. Die Schleimhaut im hypo- 
glottischen Raume war stark verdickt, aber nicht hyperämisch. Auch die 
untere Fläche der Stimmbänder war stark verdickt, derart, daß nur ein 
ganz feiner Spalt nach oben hin frei blieb. Glassplitter waren trotz sorg¬ 
fältigen Absuchens nicht zu entdecken, ebensowenig Verletzungen. Mehr¬ 
fach wurde versucht, die Kanüle zu entfernen, jedesmal aber war der 
Kehlkopf für die Atmung noch nicht frei. Es wurde daher zwei Wochen 
nach der ersten Operation die Wunde nach oben hin durch den Schild¬ 
knorpel erweitert und eine vollkommene Laryngofissur hergestellt. Dieselbe 
Schleimhautschwellung, die unterhalb der Stimmbänder bestand, fand sich 
auch oberhalb, aber auch dort keine Spur von Glasscherben. Die Schild¬ 
knorpelwunde wurde wieder zugenäht, 14 Tage darauf konnte die Kanüle 
fortbleiben, und nach weiteren 6 Tagen war die Tracheotomiewunde ge¬ 
schlossen. 

Es darf wohl als sicher gelten, daß ein Fremdkörper den Anlaß zu der 
Schleimhautschwellung gegeben hat, doch hat dieser von selbst wieder den 
Weg nach außen gefunden. Die lange Dauer der Schwellung — 4 Wochen 
trotz Laryngo- und Tracheotomie — ist bemerkenswert und ein Beweis der 
großen Empfindlichkeit der Kehlkopfschleimhaut bei kleinen Kindern, beson¬ 
ders der Schleimhaut im hypoglottischen Raum. 

Richard Müller-Berlin. 

Hlnsberg, V., über „Pseudorezidive“ nach Exstirpation von Larynxkar- 
cinomen. (Zeitschr. f. Ohrenheilk., 64. Bd., S. 209.) 

Bei acht Kranken mit Kehlkopfkrebs war die Spaltung des Kehlkopfs 
und Weichteilexstirpation mit Erhaltung des Knorpelgerüstes vorgenommen 
worden; die Fissurwunde wurde sofort oder einige Tage nach der Operation 
zugenäht. Die Heilung der recht ausgedehnten W r unde im Kehlkopfinnern 
ging in vier Fällen glatt von statten, in den vier anderen kam es zu 
einem „Pseudorezidiv“. Es bildete sich an einer umschriebenen Stelle ein 
Knötchen, das schnell wuchs und bei der Untersuchung mit dem Kehlkopfspie¬ 
gel durchaus den Eindruck eines Rückfalles machte. Der eine Kranke hustete 
den Pseudotumor zusammen mit einem Stück Aryknorpel aus, bei den drei 
anderen wurde er endolaryngeal herausgeschnitten: die Untersuchung der 
Geschwulst ergab in allen vier Fällen, daß sie einfach aus Granulations¬ 
gewebe bestand. 

Auch von anderen Operateuren sind ähnliche Beobachtungen gemacht 
worden; die Entstehung kleiner, umschriebener, geschwulstartiger Fleisch¬ 
wärzchen auf einer größeren W : undfläche ist ja auch nichts Auffallendes. 
Wesentlich aber ist es, daß der Operateur weiß, daß er auch am Kehl¬ 
kopfe mit solchen Bildungen zu rechnen hat, und daß er sich vor der 
unter Umständen verhängnisvollen Verwechselung mit einem Geschwulst¬ 
rückfall und vor übereilten Eingriffen hüten muß. 

Richard Müller-Berlin. 

Blegvad, Vibrationsmassage bei Nasen- und Rachenleiden. (Zeitschr. für 
Laryngol-, Bd. V, H. 1.) 

Seit Braun, Laker u. a. anfangs der 30er Jahre mit großem 
Enthusiasmus die Schleimhautmassage empfahlen, ist dies Verfahren nahezu 
in Vergessenheit geraten. W r ie das so oft geht, wird es nun wieder warm 
Katarrhen usw. nachgerühmt. Blegvad bedient sich eines kleinen, nach 
dem Prinzip des V r agnerschen Hammers bewegten Apparats, der bei Nyrop 
in Kopenhagen konstruiert ist und der sehr schnelle Stöße mit kleiner 


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Referate und Besprechungen. 


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704 

Exkursion ausführt. Dem Praktiker wird es willkommen sein, in hart¬ 
näckigen Fällen, die den üblichen Pinselungen und Inhalationen trotzten, 
noch ein Mittel in Reserve zu haben. Arth. Meyer-Berlin. 

Rhese (Königsberg), Über Keilbelnhöhlen-Mukozele. (Zeitschr. f. Ohrhik. 
Bd. 04, H. 2.) 

Verfasser hat 3 Fälle von starker Erweiterung der Keilbeinhöhle durch 
Mukozele beobachtet. Die vordere Wand war stark verdünnt, zweimal lag 
die Dura am Dache der Höhle in großer Ausdehnung pulsierend frei. Nach 
der Eröffnung heilte die Affektion glatt. Nur selten wird die Mukozele durch 
eine Schleimhautzyste bedingt sein, im allgemeinen ist der Verschluß des 
Höhlen-Ostium (durch Trauma, Entzündung usw.) ihre eigentliche Ursache. 
Jedoch muß noch ein Moment hinzukommen, das die Sekretion der ver¬ 
schlossenen Höhle über das Maß der möglichen Resorption hinaus steigert. 

A. Meyer-Berlin. 

Kurse in Stimmbildung uud Atemkunde in Langeoog. 

Es ist eine den Kunden geläufige Tatsache, daß nur wenige Menschen 
richtig atmen. Je eifriger die moderne Technik, insbesondere das Ver¬ 
kehrswesen, darauf bedacht ist, uns alle körperlichen Anstrengungen ab¬ 
zunehmen. um so mehr verfällt die Muskulatur einer gewissen Inaktivitäts¬ 
atrophie, die sich naturgemäß auch auf Myokard und Diaphragma erstreckt. 
Wirken fürs Herz die zahlreichen Aufregungen des Lebens bis zu einem 
gewissen Grade als Stimulantien, so kommen ähnliche Faktoren fürs Zwerch¬ 
fell nicht in Betracht. Die Atmungsbreite wird mithin immer kleiner, und 
es wäre interessant zu untersuchen, welche Rolle dieser Faktor bei den 
vielen und vielgestaltigen Unterleibsaffektionen spielt. Einem instinktiven 
physiologischen Bedürfnis kommen die Herren Prof. Dr. M. S e y d e 1 und 
A. B o h r i s c h entgegen, wenn sie von Juli bis September auf Langeoog 
Kurse über Stimmbildung und Atemkunst in der reinen Seeluft abhalten. 
Vielleicht ist einem Kollegen dieser Hinweis für den einen oder andern 
Patienten von Interesse. Näheres durch Dr. Bockhorn, Badearzt in 
Langeoog (Nordsee). Buttersack-Berlin. 

Borscliim, Über fermentative Prozesse bet Ozaena. (Centralbl. f. Bakter., 
Bd. 62, H. 7.) 

Von einigen Autoren wie Thost, Loewenberg und Abel wurden 
bekanntlich gewisse Bazillen als Erreger der Ozaena angesehen, die man 
aus dem Nasensekret isoliert hatte. Nun besteht aber das Nasensekret bei 
dieser Krankheit, deren eigentliches Wesen noch unklar ist, außer den 
vorgenannten Bazillen hauptsächlich aus Eiterkörperchen — also mono- und 
polynukleären Leukozyten — die nach den Untersuchungen von Müller, 
Jochmann u. a. die Träger proteolytischer Eigenschaften des Blutes dar¬ 
stellen. Der Verfasser, der auf der Ansicht Oppenheimers fußt, daß alle 
Phasen im Leben des Organismus unter der Wirkung fermentativer Prozesse 
verlaufen, versuchte nun festzustellen, ob die bei Ozaena auftretenden Atro¬ 
phien nicht etwa auf die Mitwirkung proteolytischer Prozesse zurückzu¬ 
führen seien. 

Das Material für die Untersuchungen lieferte das Sekret von Kranken, 
der atrophischen Erscheinungen in der Nase die Diagnose auf Ozaena 
bei denen auf Grund der Borkenbildung, des spezifischen Geruchs und 
gestellt worden war. Der bakteriologische Teil der Untersuchungen um¬ 
faßte die Anlage von Kulturen in Bouillon, auf Agar, Gelatine, Pferdeserum, 
Milch und Kartoffeln sowie das Studium der pathogenen Wirkung, welche 
den gefundenen Bazillen selbst oder den aus den Kulturen hergestellten 
löslichen Toxinen zukommt. Die isolierten Bakterien zeigten viele Eigen¬ 
schaften, die für den von Abel beschriebenen Bazillus mucosus ocaenae 
charakteristisch sind. Jedoch unterschieden sie sich bezüglich der Patho¬ 
genität für gewisse Tiere. Hieran schlossen sich Versuche über die Proteo¬ 
lyse. Als Verdauungsobjekte dienten eine 2 0 / 00 neutrale Kaseinlösung und 
eine 1 o/o wässrige Stärkelösung, zu der eine bestimmte Menge Extrakt aus 



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Referate und Besprechungen. 


765 


itfasensekret gebracht wurde. In einer Reihe von Versuchen ließ sich eine 
fermentative Wirkung des Sekrets auf Eiweiß, Stärke und H 2 C 2 konstatieren, 
d. h. die Anwesenheit von Protease, Amylase und Katalase nachweisen. Jetzt 
galt es festzustellen, wie weit die Fermente für das Ozaenasekret charak¬ 
teristisch sind, und ob dieselben von Bakterien oder Eiterkörperchen resp. 
Leukozyten herstammen. 

Das Sekret der normalen Nase zeigte keine Protease, während man 
bei Ozaena stets proteolytisches Ferment fand. Weiterhin wurde experi¬ 
mentell das Fehlen eines solchen Ferments sowohl in den Stoffwechselpro¬ 
dukten der Bakterien wie in den Vorgefundenen Bakterien selbst festgestellt. 
Es ist indes wahrscheinlich, daß die anderen Fermente (Amylase und Kata¬ 
lase) von den Bakterien abstammen, und daß auch der Foetor auf ihrer An¬ 
wesenheit beruht. 

Wenn auch bei der Ozaena der begünstigende Einfluß der Bakterien 
durch die Schädigung der Gewebe mittels ihrer Toxine nicht bestritten 
werden soll, so dürfen wir doch die Atrophie als eine Folge der durch 
Leukozyten bewirkten Proteolyse ansehen, der man eine bedeutsame Mit¬ 
wirkung bei der Entwicklung und dem Verlauf dieser eigenartigen Krank¬ 
heit zuerkennen muß. Schürmann-Wecker. 


Ohrenkrankheiten. 

YVanner (München), Funktionsprüfungen des Ohres bei angeborener Lues 
vor und nach der Behandlung mit Salvarsan. (Verhandlungen der deutschen 
otolog. Gesellsch. 1911, S. 225.) 

Bei Kindern mit ererbter Syphilis tritt nicht selten zwischen dem 
7. und 13. Lebensjahre Schwerhörigkeit ein, die meist rasch zunimmt und 
in kurzer Zeit ihren Ausgang in völlige Taubheit nehmen kann. Die 
Funktionsprüfung ergibt dabei stets das Bild einer Erkrankung des inneren 
Ohres. Energische Behandlung mit Quecksilber und Jodkali kann, wenn 
sie frühzeitig eingeleitet wird, den Prozeß aufhalten und wohl auch, wenig¬ 
stens teilweise, rückgängig machen. In späteren Stadien aber ist diese 
Behandlung ohne Erfolg. 

Wanner hat nun in der Hoffnung, daß Salvarsan diesen unglück¬ 
lichen Geschöpfen helfen könne, das neue Mittel in vier Fällen angewandt, 
und zwar jedesmal 0,2 g, zweimal intravenös, zweimal subkutan. Der Er¬ 
folg war leider negativ. Bei einer Patientin zeigten sich keine wesentlichen 
Veränderungen in der Schnecken- und Vestibular-Funktion; bei den übrigen 
drei Kranken war aber nach der Behandlung eine beträchtliche Ver¬ 
schlechterung des Gehörs nachzuweisen. Die Funktion des Vorhof¬ 
bogengangapparates, die bei diesen drei Kranken vor der Behandlung auf¬ 
gehoben war, blieb erloschen. 

In der Diskussion zu diesem Vortrage berichtete zunächst Siebenmanri 
(Basel) über seine Erfahrungen, die günstiger liegen; er hat 5 Kranke 
behandelt und in allen Fällen Besserung erzielt. Demgegenüber teilte Scheibe 
(Erlangen) mit, daß er noch keine Besserung nach Salvarsanbehandlung be¬ 
obachtet habe; er hat auch von Siebenmanns Patienten die eine untersucht, 
bei der Siebenmann die erhebliche Besserung festgestellt hatte: er hat 
.sich bei ihr nicht davon überzeugen können, daß es sich um hereditäre Lues 
handelte. Kander (Karlsruhe) behandelte einen zehnjährigen Knaben, bei 
dem die Wassermannsche Reaktion positiv war, und der Flüstersprache 
noch auf 2—5 m hörte, mit Salvarsan. Darnach trat zunächst keine Besse¬ 
rung ein, aber nach 2 Monaten fing das Hörvermögen an sich zu heben, 
bis schließlich Flüstersprache „völlig normal“ gehört wurde. Wander glaubt 
daraufhin das Salvarsan „aufs wärmste“ empfehlen zu können. Nager (Zürich) 
hat, wie er vorher in einem besonderen Vortrage *) mitteilte, zwei Patienten 
mit Salvarsan behandelt, aber „leider ganz ohne Erfolg“. Herzog (München) 
ließ zwei Mädchen mit Salvarsan behandeln, bei denen die hereditär-syphi- 

*) 1. o., S. 245. 


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Referate und Besprechungen. 


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litische Grundlage ihrer Schwerhörigkeit sicherges teilt war: „Die Therapie 
hat absolut keinen Einfluß gehabt,“ allerdings auch nichts geschadet. 
Schmuckert (Frankfurt) berichtet aus der Voßschen Klinik über 4 erblich¬ 
syphilitische Schwerhörige; die Salvarsan-Injektion hatte keine nennenswerte 
Änderung zur Folge. Zum Schluß erwähnte Wanner noch einen 22 Jahre 
alten Patienten, der an Lichen ruber litt und deshalb 0,5 g Salvarsan 
injiziert bekam. 14 Tage nach der Injektion stellte sich bei ihm eine 
Erkrankung des inneren Ohres ein: sein rechtes Ohr ertaubte, mit dem 
linken hörte er Flüstersprache nur noch auf 10 cm. Der Versuch, durch 
eine nochmalige Injektion Besserung zu erzielen, schlug fehl; das Hörver¬ 
mögen blieb unbeeinflußt. Nach vorstehenden Erfahrungen ist für hereditär- 
syphilitische Gehörsverminderung vom Salvarsan wenig zu hoffen. 

Richard Müller-Berlin. 

Blegvad (Kopenhagen), Die Anästhesie des Trommelfells. (Arch. Internat, 
de laryng. Bd. 33, H. 1.) 

Das geschichtete Pflasterepithel des Trommelfells leistet dem Ein¬ 
dringen anästhesierender Mittel einen großen Widerstand. Die bisher ange¬ 
gebenen Lösungen, welche diesen überwinden, sind toxisch oder haben zu 
starke Ätzwirkung. Bl. führt die Salizylsäure, deren keratinlösende Wir¬ 
kung bekannt ist, ein und empfiehlt folgende Lösung: 

Cocain, mur. 

Ac. Salicyl. aa 1,0 

Alcoh. absol. 2,0 

Sol. Adrenalin. 1 0 / on gtt. X. 

Ein ganz kleiner Tampon mit der Flüssigkeit wird 20 Minuten lang 
im Kontakt mit der Stelle des Trommelfells gelassen, an der die Inzision 
gemacht werden soll. Arth. Meyer-Berlin. 


Augenkrankheiten. 

Arens (Würzburg), Zur Kasuistik von Katarakt und Katarakt-Extraktion bei 
Basedowscher Erkrankung. (Wochensohr, für Therapie und Hygiene des Auges 
1911, Nr. 25.) 

Eine 47 jährige Frau hatte auf dem rechten Auge einen grauen Star, 
der zuerst während der Basedowschen Krankheit aufgetreten sein soll, 
auf dem linken Auge einen angeborenen Star. Patientin hatte einen schweren 
Basedow: beiderseitiger Extophtalmus, deutliche Anschwellung des rechts¬ 
seitigen Thymuslappens, Halsumfang 28 cm, fast Unterernährung, erhöhte 
Pulsfrequenz (120 und darüber). Patientin wurde iridektomiert, und die 
vollkommen harte Linse entbunden. Auch links schien die Linse die Akko¬ 
modationsfähigkeit eingebüßt zu haben und sklerotisch geworden zu sein. 
Nach der Operation trat Chemosis auf, die vielleicht auf die überaus hohe 
Pulsfrequenz (150—160 während der Operation!) zu beziehen war. Heilung 
mit Kolobom ohne jede Starreste. Die B a s e d o w beschwerden bestehen 
unverändert weiter. K. Boas-Straßburg i. E. 


Medikamentöse Therapie. 

Takeda, Untersuchung über das Bromural, in bezug auf seine Verteilung 
und Zersetzung im tierischen Organismus. (Arch. internationales de pharma- 
codynamie et de therapie^lQll, Bd. XXI, S. 203.) 

Aus den Untersuchungen des Verfassers ergibt sich u. a., daß nach 
Injektion von Bromural in den Magen von Kaninchen die größte Menge 
Bromural sich im Gehirn findet. Leber und Fett enthalten viel weniger. Um¬ 
gekehrt finden sich im Gehirn sehr wenig Bromide, in der Leber dagegen 
sehr viel. Aus den Untersuchungen des Verfassers geht weiter hervor, 
daß sich der Zerstörungsprozeß des Bromurals vornehmlich in der Leber 
abspielt. Das Bromural wirkt als solches und nicht lediglich durch Brom¬ 
abspaltung narkotisch. Zur Erzielung einer vollständigen Hypnose bedarf 
es einer Bromuralkonzentration von etwa 0,008 o/o im Gehirn, eine etwa 



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Büchersctiau. 


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dreimal so starke Konzentration wirkt letal. Die relative Harmlosigkeit 
des Bromurals erklärt sich wohl durch seine leichte Zerstörbarkeit in der 
Leber. K. Boas-Straßburg i. E. 

Schmid (Prag), Hans, Hermann, Über. Anwendung von Pituitrin und Panto- 
pon in der Geburtshille. (Gynäkolog. Rundschau 1912. Bd. V. Nr. 15.) 

Verfasser konnte die von anderer Seite überstimmend gemeldete günstige 
Wirkungsweise des Pituitrins bei mangelhafter Wehentätigkeit auf Grund 
des ausgedehnten Materials der Prager geburtshilflichen Klinik bestätigen. 
Ebenso günstig lauten die Berichte von Hofbauer, (Monatsschr. f. Ge¬ 
burtshilfe und Gynäkologie, XXXIV, 1912, p. 283), Krömer, Stern, 
Nagv, Hager, Neu (letzterer wandte ebenso wie B a b Pituitrin erfolg¬ 
reich bei Osteomalacie an) und anderen Autoren im Zentralbl. f. Gynäkologie, 
1911 und 1912. Referent verweist ferner auf die Dissertation von Cohn 
(Freiburg i. B. 1911), der die an der Krönigschen Klinik gewonnenen 
Erfahrungen mit Pituitrin zu Grunde liegen und die Arbeiten von B e n t h i n 
(Therapie der Gegenwart und Zeitschr. f. Geburtshilfe und Gynäkologie 
1912). K. Boas-Straßburg i. E. 


Bücherschau. 


Ehrlich, Paul (Frankfurt), Aus Theorie und Praxis der Chemotherapie. 
(Leipzig, Verlag von Dr. Werner Klinkliardt. Preis 1.20 Mk.) 

Im vorliegenden Vortrag skizziert Ehrlich das Wesen seiner Therapia 
magna sterilisans, das bekanntlich darin besteht, Stoffe zu finden, die einer¬ 
seits von den Parasiten verankert werden und dieselben töten oder in ihrer 
Vermehrungsfähigkeit hindern, und die andererseits in den therapeutischen 
Dosen keine erhebliche Schädigung des Organismus auslösen. Die Heilung 
kann außerordentlich erschwert werden durch das Vorhandensein von festen 
Parasitenstämmen, die in zwei Typen zerfallen: die serumfgsten, die gegen 
die spezifischen Antikörper gefeit sind und die chemofesten Stämme, die 
fest sind gegen die verschiedensten Arzneimittel. Während die Umbildung 
zu serumfesten Stämmen als eine Mutation — nicht etwa spontaner Her¬ 
kunft, sondern durch chemische Ursachen bewirkt — bezeichnet werden 
kann, glaubte Ehrlich früher annehmen zu müssen, daß es sich bei der 
Festigkeit gegen Arzneistoffe um eine progressive Gewöhnung langer Para¬ 
sitengenerationen handle. Jedoch haben die Erfahrungen der letzten Zeit 
gezeigt, daß es auf verschiedenen Wegen gelingt, durch organische Arseni¬ 
kalien rasch arsenfeste Stämme zu erzeugen. Die Ursache der Festigkeit 
ist in der dauernden Verankerung einer bestimmten Noxe an dem Zelleib 
zu suchen. Während man die serumfesten Stämme durch geeignete Ein¬ 
griffe leicht der erworbenen Eigenschaften berauben kann, scheint es sehr 
schwer zu sein, die Chemofestigkeit mit einem Schlage rückgängig zu 
machen. Ehrlich berichtet sodann über die Resultate G o n d e r s, die von 
großem wissenschaftlichen Interesse sind, und zu denen dieser bei seinen 
Untersuchungen über die Erhaltung der Festigkeit kam. Nach den Erfah¬ 
rungen E h r 1 i c h s bleibt die einmal gewonnene Festigkeit bei der fortlaufen¬ 
den Impfung im Tierversuch viele Jahre hindurch erhalten. Die Fort¬ 
pflanzung bei den Passagen findet durch eine unendlich häufige Teilung 
der Protoplasmamenge statt. Gonder hat nun gezeigt, daß das Trypano¬ 
soma Lewisi durch die geschlechtliche Vermehrung die Chemofestigkeit 
vollkommen verliert. Sodann kommt Ehrlich auf seine Theorie der „Rezidiv¬ 
stämme“ zu sprechen, aus der die Forderung resultiert, bei den Infektionen 
mit vielfachen Wuchsformen der Spirochäten, möglichst energisch vorzu¬ 
gehen und in einer Behandlungstour eine möglichst vollkommene Sterilisation 
des Organismus zu bewirken, und erläutert den Zweck der Kombinations- 


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Bücherschau. 


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therapie, die darin besteht, daß von dem einen Heilstoff der Kern und von 
dem anderen das Protoplasma des Parasiten isoliert angegriffen wird. 

Zum Schluß bespricht der Verfasser die Erkrankungen und unange¬ 
nehmen Nebenwirkungen, die nach der Behandlung mit Salvarsan beob¬ 
achtet worden sind; er zeigt, daß sie zum großen Teil auf die Art der An¬ 
wendung und unglückliche Zufälle zurückzuführen seien, und weist darauf 
hin, daß bei der Erprobung eines solchen Mittels Irrwege schwer zu ver¬ 
meiden sind. Schürmann-Wecker. 

Jugendwandern. Zwei Vorträge von Dr. Eugen Doernberger. (Ver¬ 
lag von Otto Gmelin, München.) 

Zuerst die Gesundheit, dann die Schule! Mit diesen Worten stellt sich 
der erfahrene Münchener Schularzt Dr. Doernberger, ein wahrer Freund 
der Jugend, in bewußten Gegensatz zu den Stimmen, die da sagen: Die 
geistige Erziehung des Deutschen muß der körperlichen vorangehen! Schon 
V i r c h o w wies vor vielen Jahren auf die große Zahl der Kinder hin, die 
nach dem Eintritt in die Schule schwächer und kränklicher werden. Solche 
Erscheinungen beeinträchtigen den Schulerfolg, die Widerstandsfähigkeit 
gegen Krankheiten und gegen die Anforderungen des späteren Berufs. Darum 
muß der Kampf gegen Schwächlichkeit und Kränklichkeit so früh als möglich 
einsetzen. Jedes dazu taugliche Mittel muß uns hochwillkommen sein. Die 
Errichtung von Ferienkolonien, Walderholungsstätten, Milch- und Speise¬ 
küchen zeigt, daß in den letzten Jahren bereits viel Erfreuliches auf diesem 
Gebiet geschaffen wurde. Auch das Wandern, welches ein einfaches, mannig¬ 
faltig anregendes und billiges Kräftigungsmittel darstellt, möchte der Autor 
zu einem gleichwertigen Zweig am Baum der Schülergesundheitspflege er¬ 
hoben wissen und hält den Schulmännern, die noch heute Organisationen 
wie die „Pfadfinder“ und „Wandervögel“ mit schelen Augen ansehen, das Ur¬ 
teil des bekannten Berliner Pädagogen Wienecke entgegen: „Das seelische 
Leben der Kinder, speziell der in der Ernährung zurückgebliebenen, erfährt 
durch die Wanderungen eine nicht zu unterschätzende Förderung. Mit der 
erhöhten Tätigkeit der physischen Lebensfunktionen stellt sich erhöhte geistige 
Regsamkeit ein.“ 

Im zweiten' Vortrag tritt Doernberger mit großer Entschieden¬ 
heit für die Wanderungen der Volksschulentlassenen Jugend ein. die den 
Zweck der körperlichen Ausbildung verfolgen. Der schlechte Gesundheits¬ 
zustand, in dem die meisten Schüler ins Leben hinaustreten, die geringe 
militärische Tüchtigkeit, das häufige Unvermögen, den kommenden Eltern¬ 
pflichten ausreichend genügen zu können, berechtigen vollkommen die For¬ 
derung einer Kräftigung der heranwachsenden Jugend. Bis jetzt hat man 
leider einem solchen Postulat zu wenig Beachtung geschenkt, obwohl be¬ 
reits (z. B. in München) für die Fortbildungsschüler ein pflichtgemäßes 
Turnen eingeführt wurde. Schon verschiedentlich ist der Nutzen von Mär¬ 
schen für körperliche Tüchtigkeit hervorgehoben und der positive Nach¬ 
weis des Erfolges mehrtägiger Wanderungen z. B. von dem Dresdener 
Dr. Deppe und dem Berliner Schularzt Roeder erbracht worden. So 
fanden sich z. B. bei 65 Prozent der Teilnehmer eine bedeutende Gewichts¬ 
zunahme und eine beträchtliche Vergrößerung des Brustumfangs. Natür-_ 
lieh sollen keine Wettgehen veranstaltet werden, und auch für Märsche 
solcher Art gelten die dem L ei t e n s t or f e r sehen Buch „Das militärische 
Training“ entnommenen Worte: „Man darf ermüden, aber nicht erschöpfen!“ 

Wenn auch die Wanderungen für die Fürsorge in dieser Altersstufe 
nur einen ganz kleinen Teil der Kampfmittel gegen Versumpfung und 
Verdummung durch Alkohol, gegen die Neurasthenie der Städter und gegen 
allgemeine Schwächlichkeit darstellen, so möchten wir doch nicht verfehlen, 
auf diese von echter Liebe zur Jugend durchdrungenen Abhandlungen nach¬ 
drücklich aufmerksam zu machen. Schürmann-Wecker. 


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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30. Jahrgang 


1912 


Tortscbritte der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herauggegeben von 

ProF. Dr. 6. Köster Prip.-Doz. Dr. v. Erlegern ProF. Dr. ß. Pogl 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 


Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Qrüner Weg 86. 



erscheint wScbentllcb sum preise von 8 (Darb für bas 


Nr. 25. 

Balbjabr. 

20. Juni. 

Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Halle a. S. 
nileinige Inseratenannabme öurtb (Dar Oelsborf, 
flnnoncen-Bureau, eberswalbe bei Berlin. 





Originalarbeiten und Sammelberichte. 


Der 29. Kongress für innere Medizin. 

Wiesbaden, 16—19. April 1912. 

Berichterstatter: Dr. Krone Bad Sooden-Werra. 

Erster Tag. 

S t i n t z i n g - Jena eröfTnete als Präsident des Kongresses den¬ 
selben mit einem Rückblick auf die drei Jahrzehnte des Bestehens. 
Den Abstand von damals zu heute bezeichnen die drei Worte: Bakte¬ 
riologie, Serologie und Radiologie. Vor 30 Jahren stand die Bakterio¬ 
logie an einem Wendepunkt. Durch Robert K o c h’s Tuberkulinvortrag, 
der den Glanzpunkt der ersten Tagung des Kongresses bildete, wurde 
der Grund gelegt für die heutigen bakteriologischen Forschungen, be¬ 
sonders für die Antitoxinbehandlung. Zur Förderung von Serologie 
und Radiologie haben besonders beigetragen die Chemie, die ausserdem 
auf den Gebieten: Stoffwechsel und Diätetik Grosses geleistet hat; 
weiterhin die Physik: durch Röntgendiagnostik und Therapie; und 
endlich die Chirurgie, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die 
Entwicklung der inneren Medizin ausgeübt hat. 

Ueber das Hauptthema des Kongresses „Das Röntgenver¬ 
fahren im Dienste der Erkennung und Behand¬ 
lung der Magen-Darm-Erkrankungen“ referierte zu¬ 
nächst Rieder- München. 

Die Form des mit Wismut gefüllten Magens entspricht durchaus 
einer normalen Magenform, wie sie sich auch nach Einverleibung an¬ 
derer Speisen bildet. Stiller hat dies geleugnet, doch sind seine 
Angaben von G r ö d e 1 u. a. widerlegt. Auch die metallische Schwere 
berechtigt nicht zu einem Gegensatz von Röntgenmagen und internem 
Magen. 

Am sichersten kann röntgenologisch die motorische Funktion des 
Magens geprüft werden, weniger sichere Schlüsse sind auf die Sekretion 
zu ziehen; hier gibt die Ausheberung des Magens exaktere diagnostische 
Werte. Lageveränderungen des Magens können röntgenologisch leicht 
diagnostiziert werden, ebenso Magenatonie und Erweiterungen, sowie 
Verwachsungen des Magens mit seinen Nachbarorganen. Mittelst der 
Röntgenuntersuchung lässt sich auch feststellen, ob eine zur Hebung 
des gesenkten Magens verordnete Bandage ihren Zweck erfüllt und die 
Lageveränderung wirklich beseitigt. 

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Das sehr häufig vorkommende flache Magengeschwür liefert hn 
Röntgenbild keine Schatten, es ist daher der Röntgenuntersuchung 
viel weniger zugänglich als das seltenere ulcus callosum penetrans. 

Der Erfolg chirurgischer Eingriffe bei verschiedenen Magenkrank¬ 
heiten, namentlich hei künstlicher Verbindung des Magens mit dem 
Dünndarm, lässt sich durch das Studium von Art und Dauer der Ma¬ 
genentleerungen röntgenologisch gut kontrollieren. 

Der Sanduhrmagen, durch Ulkus oder Karzinom bedingt, lässt 
sich im Röntgenbild relativ leicht erkennen — die anderen diagnosti¬ 
schen Hilfsmittel ergeben nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose. 

Der Sitz eines Magentumors ist durch Röntgendiagnose oft leichter 
zu stellen als durch andere Untersuchungsmethoden, jedenfalls sollte 
stets bei Verdacht auf Magentumor (meist Karzinom) die Röntgen¬ 
untersuchung den übrigen diagnostischen Hilfsmitteln angeschlossen 
werden. Ein negativer Röntgenbefund erlaubt das Bestehen einer Neu¬ 
bildung mit grosser Sicherheit auszuschliessen. 

Der Darm, sein Verlauf und seine Motilität geben ein gutes Feld 
für die Röntgendiagnose ab, daher sollte an jede röntgenologische Un¬ 
tersuchung des Magens sich eine solche des Darmes ansehliessen. Be¬ 
sonders gut sind die Stenosen des Dünndarms durch das Röntgenbild 
zu diagnostizieren, ebenso Lageanomalien und Dickdarmstenosen. 

Bei Wurmfortsatzerkrankungen liefert die Röntgendiagnose noch 
keine sicheren Resultate; besonders lassen sich die oft zur Blinddarm¬ 
entzündung führenden Kotsteine im erkrankten Wurmfortsatz auf dem 
Röntgenbild nicht nachweisen, da sie für die Strahlen zu durchlässig sind. 

Die praktischen Erfolge chirurgischer Eingriffe am Darm können 
ebenso wie diejenigen am Magen auf röntgenologischem Wege gut kon¬ 
trolliert werden. 

Systematische Röntgenuntersuchungen bei Diarrhöen liegen noch 
nicht vor; bei Obstipation ist bei der grossen Mannigfaltigkeit der Ur¬ 
sachen die Röntgendiagnose nicht leicht, da der ganze Darm kontrol¬ 
liert werden muss — doch kann dadurch, dass man eruiert, ob einfache 
Darmträgheit, oder Darmmuskelkrampf oder Störungen der reflekto¬ 
rischen Tätigkeit des Mastdarmes vorliegt, die Röntgendiagnose wichtige 
Anhaltspunkte für die Therapie abgeben. 

R.Magnus - Utrecht: „Die experimentellen Grund¬ 
lagen der Röntgenuntersuchung des Magen- 
darmkanal s.“ Da sich das Wismut von der eingeführten Nah¬ 
rung trennen kann, so müssen wir berücksichtigen, dass ein sicheres 
diagnostisches Bild nur solange zu erzielen ist, als die schattengebende 
Substanz auf dem Röntgenbilde mit der Nahrung zusammenbleibt. 

An der Hand der sehr verschiedenartigen Dickdarmbewegungen 
bei den einzelnen Tieren, mit denen Referent experimentiert hat (Katze, 
Hund, Ratte, Meerschweinchen, Kaninchen), zeigt er, welche Um¬ 
stände beim Experiment zu berücksichtigen sind; dass es weiter sehr 
darauf ankommt, welches Tier man bei der Untersuchung benutzt, 
sowie, dass man nicht von einem Tierexperiment auf das andere schliessen 
kann. Auf den Menschen können für den Magen und Dünndarm die 
Verhältnisse beim Tier übertragen werden, während dies für den Dick¬ 
darm nicht möglich ist. 

De Quervain- Basel:,,Chirurgische Erfahrungen 
mit der Radiologie des Magendarmkanale s.“ 

Der Chirurg hat am besten Gelegenheit, bei der Operation den 



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Wert der Röntgendiagnose abzuschätzen; für ihn ist nicht das Schirm¬ 
bild, sondern das Plattenbild das wesentliche. Aus dem normalen 
röntgenologischen Plattenbild des Magens schliesst der Chirurg mit 
Sicherheit darauf, dass er kein Karzinom findet. Nicht so beim Ulkus; 
hier ist das klinische Symptom das erste, das radiologische das zweite. 
Redner zeigt die typischen Formen im Röntgenbild, die den Chirurgen 
zur Diagnose Karzinom berechtigen. Eine Indikation zur Operation 
bei Karzinom des Magens ist allerdings nach dem Röntgenbilde schwer 
zu stellen; auch über die Art und Ausdehnung der Operation ist eine 
Vorhersage mit Sicherheit nicht zu treffen. 

Bei Dickdarmerkrankungen sind für den Chirurgen wichtig die 
Diagnose der Lage und der Ptose des Dickdarms; hierbei gibt das Rönt¬ 
genbild gute Resultate. So kann z. B. bei Funktionsstörungen des Dick¬ 
darmes — coecum mobile — das Röntgenogramm die Diagnose und 
damit den chirurgischen Eingriff erleichtern. 

Einen Hauptvorteil des Röntgenbildes sieht Referent darin, dass 
es gestattet, postoperative Befunde zu kontrollieren. 

Holzknecht - Wien: „Praktische Winke aus dem 
Gesamtgebiete der Magendarm-Radiologi e.“ 

Die Röntgendiagnose kann nur der sachverständige Spezialist 
stellen. Die Anamnese einer Krankheit muss die Richtung für die 
Röntgenuntersuchung abgeben. Die Wahl des Lichtes ist wesentlich; 
dasselbe muss für die einzelnen Organe, die durchleuchtet werden 
sollen, genau dosiert werden. 

G r o e d e 1 III - Frankfurt-Nauheim: „D ie Bewegungs¬ 
vorgänge am normalen und pathologischen Ma¬ 
gen im Lichte der Röntgenstrahle n.“ 

Es lassen sich drei funktionell vollkommen verschiedene Magen¬ 
teile unterscheiden. Der höchst gelegene Teil des Magens ist bewegungs¬ 
los. Der mittlere Teil, der Magenkörper, zeigt rhythmische und kleinere 
arythmische Wellenbewegungen, von denen die ersteren für den Speisen¬ 
transport, die letzteren nur Verdauungszwecken dienen. Der dritte Magen¬ 
teil lässt zweierlei Bewegungsformen erkennen. Die eine ist dem 
Schrumpfen eines Ballons vergleichbar und bewirkt die Ausstossung einer 
geringen Quantität des Mageninhaltes in den Darm. Die andere ähnelt 
mehr der Magenkörperbewegung und bezweckt eine kräftige Durchmi¬ 
schung des Mageninhaltes. Bei Krankheitsprozessen finden typische 
Veränderungen in diesen Bewegungsformen statt. Neubildungen z. B. 
lassen sich schon in ihren allerersten Anfängen feststellen, wenn sie 
nahe dem Magenausgang sitzen — sei es durch die in solchen Fällen 
enorm verstärkten oder durch rückläufige Wellenbewegungen. 

v. Bergmann - Altona: „Z u r Diagnostik des Magen¬ 
karzinoms mittelst der Röntgenkinematogra- 
p h i e.“ 

Die kinematographischen Bilder erlauben einstweilen noch keinen 
Rückschluss auf eine sichere Diagnose der Motilitätsstörungen beim 
Magen. 

D i e 11 e n - Strassburg: „Röntgenologische Fehldia¬ 
gnosen bei Magenerkrankunge n.“ 

Redner spricht an der Hand von Demonstrationen über Fehl¬ 
diagnosen bei Differentialdiagnosen zwischen intra- und extraventri¬ 
kulären Tumoren. Besonders bei nur einer Aufnahme sind die Fehler 
leicht möglich. 

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Hausmann- Rostock: ,,U eher die topographische 
Gleit- und Tiefenpalpation und die hei der 
au toptischen und röntgenologischen Kontrolle 
ihrer Ergebnisse massgebenden Prinzipie n.“ 

Meinertz - Rostock: ,,D ie Röntgenuntersuchung 
als Kontrolle d e r topographischen Gleit- und 
Tiefenpal patio n.“ 

Während der erste Redner über die Möglichkeit, bei entspannten 
Bauchdecken die einzelnen Konturen des Magens sowie der einzelnen 
Darmschlingen abzutasten, spricht, gibt Meinertz die Bestätigung der 
Hausaan n’schen Resultate durch Röntgenbilder an der Hand von 
Demonstrationen. 

Stark- Karlsruhe: „Zur Pathologie der Speise¬ 
röhrenerweiterungen mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Röntgendiagnosti k.“ 

Demonstrationsvortrag. 

B ö n n i g e r - Berlin-Pankow: ,,D ie Form des Magen s“: 
Der Magen der Frau ist länger gestreckt als der des Mannes. Demon- 
strationsvortrag. 

D a p p e r - Neuenahr und Schwarz - Wien: „U e b e r p e r i - 
staltische Phänomene am Magen und deren dia¬ 
gnostische Bedeutun g.“ Die Obstipation braucht nicht auf 
einer Hemmung des Transportes des Darminhaltes zu beruhen sie 
kann sehr rasch sein; nur die Verteilung des Darminhaltes ist eine 
anormale und bedingt die Verzögerung in der Absetzung desselben. 

Haudeck - Wien: ,,U eber die Methode und die 
praktische Bedeutung der radiologischei Mo- 
tilitäts prüfung.“ Demonstrationsvortrag. 

Schenk- Frankfurt a. M.: „Die Röntgensympt.ome 
der Gastroptose und Gastrektasie im Vergleich 
zu den übrigen klinischen Untersuchungsbe¬ 
funde n.“ 

Eine sehr instruktive Uebersichtsdemonstration, die den Unter¬ 
schied zwischen normaler und krankhafter Füllung des Magens bei 
den verschiedenen pathologischen Verhältnissen wie Erweiterung, 
Senkung, veränderte Magensaftabsonderung usw. zur Anschauung 
brachte. 

A. F r a e n k e 1 - Berlin: „Diagnostische und opera¬ 
tionsprognostische Bedeutung der Rön tgen-Ki¬ 
tt ographie beim Magenkarzino m.“ 

Redner gibt eine kinematographische Vorführung der Magenbe¬ 
wegung mit dem Bemerken: Wir haben von dem Verfahren in physio¬ 
logisch-pathologischer Beziehung viel zu erwarten, müssen aber in bezug 
auf diagnostische und therapeutische Bedeutung des Verfahrens be¬ 
scheiden sein. Es sind entschieden Diagnosen möglich; wir müssen sie 
heranziehen, wenn wir beim Schirmbild oder bei der Photographie in 
irgend einem Punkte unsicher sind. 

Singer- Wien: „Die objektiven Symptome des 
chronischen Colospasmus“ (nach gemeinsamen Untersu¬ 
chungen mit Dr. G. H o 1 z k n e c h t). Demonstrationsvortrag. 

W e i 1 a n d - Utrecht: „Zur Kenntnis der Entste¬ 
hung der Darmbewegung.“ 

Vortragender hat aus dem Darmkanal von Tieren eine Substanz 



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dargestellt, die, Tieren in die Blutbahn eingespritzt, Bewegungen des 
Magens und Dünndarms auslöste, ohne dass krankhafte Erscheinungen 
auftraten. 

A'brecht - Leipzig: ,. Röntgenbefunde bei Obsti¬ 
pation.“ Demonstration von Röntgenbildern des Darmes von vier 
an angeborener Verstopfung leidenden Schwestern, die alle eine Schlin- 
genbildung und Verlängerung des letzten Abschnittes des Dickdarms 
aufwiesen. 

Alvens und J. H u s 1 e r - Frankfurt a. M.: „Röntgen¬ 
untersuchungen des kindlichen Magens“: E)ie Grösse 
des Säuglingsmagens und seine Verlängerung nach rechts bei der Mahl¬ 
zeit ist abhängig von der Menge der zugeführten Nahrung und von der 
Menge der verschluckten Luft. Bei Milchnahrung wird mehr Luft vom 
Säugling verschluckt als bei Breifütterung. Eine normale Form des 
Säuglingsmagens gibt es nicht. 

Klee- Tübingen: „Der Einfluss der Vagusreizung 
auf die Magendarmbewegungen und die Weiter¬ 
beförderung des Magendarminhaltes“ (Röntgenver¬ 
suche an Rückenmarkskatze). 

Die normale Peristaltik wird durch Vagusreizung verstärkt. 

Zweiter Tag. 

R. L. Müller- Augsburg und W. Dahl- Augsburg: ,,U eher 
die Beteiligung des vegetativen Nervensystems 
an der Innervation der männlichen Geschlechts¬ 
organ e.“ 

Die Innervation geschieht, wie Redner an einer Reihe vorzüglicher 
Projektionsbilder demonstriert, aus dem oberen Lumbal- und dem 
unteren Sakralmark. Die aus dem lumbalen Mark kommenden Nerven¬ 
stränge gehen über die Samenblase. Ein besonderes Zentrum für die 
Geschlechtstätigkeit im Gehirn nimmt M. nicht an. Der Einfluss des 
Gehirns auf die Sexualempfindung und -Betätigung ist wieder ab¬ 
hängig von auslösenden allgemeinen Stimmungen, die in innigem Zu¬ 
sammenhänge mit der inneren Sekretion, besonders der Genitaldrüsen 
stehen. Im Gegensatz zu den Tieren ist beim Menschen der Geschlechts¬ 
trieb bewusst entwickelt und veredelt. 

Lange- Leipzig: „W eitere Mitteilungen zur 1 r - 
jektionsbehandlung der Neuralgie n.“ 

Redner berichtet über seine Erfahrungen, die er mit Kochsalz¬ 
injektionen in die erkrankten Nerven gemacht hat. Er sah bei Erkäl¬ 
tungsneuralgien, gichtischen, diabetischen und alkoholischen Neur¬ 
algien, sowie bei Neuralgien, wie sie nach Infektionskrankheiten auf- 
treten, gute Erfolge. Weniger günstig beeinflusst werden solche bei 
Neurasthenikern, Hysterikern und sogenannte traumatische Neuralgien 
bei Unfallpatienten. Eine lange Dauer der Krankheit ist keine Kontra¬ 
indikation gegen die Therapie. 

In der Diskussion bestätigt C urschmann - Mainz die An¬ 
gaben Lang e’s. Auch er hat vorzügliche Erfolge erzielt und betont 
daher vom sozialen Standpunkte aus die Wichtigkeit einer schnellen 
Therapie, wie sie die Lang e’sche Therapie darstellt. Finkeln¬ 
burg- Bonn spricht über die Dauer der Erfolge, die seiner Ansicht 
nach meist nur kurz ist. Lange leugnet nicht, dass auch Rezidive 
Vorkommen; jedoch hat er viele Dauererfolge gesehen. 


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T h o d e n van V e ! z e n - Joachimsthal: „U eher das 
Sprachzentru m.“ 

Redner erklärt das Zustandekommen der Sprache auf psychi¬ 
schem Wege. 

Wessely- Würzburg: „Ueber das Verhalten von 
Uraten in der vorderen Augenkammer unter der 
Einwirkung von Radiumemanation und ohne 
d i e s e 1 b e.“ 

W. hat den Einfluss der Emanation auf Mononatriumurat in der 
vorderen Augenkammer mit folgendem Resultat studiert: Trotz An¬ 
wendung hoher Emanationsmengen hat er sich nicht von einem ent¬ 
zündungswidrigen Einfluss überzeugen können. Auch die Resorption 
wurde nicht beeinflusst — ja die Versuche sprechen beinahe eher zu 
Ungunsten der Emanation. 

Falta, Kriser und Zehner- Wien: „Therapeu¬ 
tische Versuche mit Thorium X, mit besonderer 
Berücksichtigung der Leukämi e.“ 

Die Ergebnisse waren folgende: Intensive Wirkung auf die Leuko¬ 
zytose in der Weise, dass starker Rückgang der Leukozyten eintritt. 
Therapeutische Resultate: Rheumatische und neuralgische AfTektionen 
wurden z. T. günstig, z. T. gar nicht beeinflusst; dagegen wurde bei 
Leukämie stets Besserung erzielt. 

P 1 e s c h und Karzay - Berlin: „Ueber die Wirkung 
radioaktiver Stoff e.“ 

Eine Thoriumwirkung auf Fermente konnte nicht nachgewiesen 
werden, dagegen aber eine günstige Beeinflussung von Herz- und Ge- 
fässsvstem. Die Wirkung ist jedoch keine rein vasomotorische. Der 
Stoffwechsel wird durch erhöhten Sauerstoffverbrauch mächtig ange¬ 
regt, Besserung bei Leukämie und perniziöser Anämie erzielt. Redner 
plädiert für die intravenöse Applikation, da die subkutane nekrotische 
Zerstörungen macht. 

G u d z e n t- Berlin: „Chemische und biologische 
Versuche mit Thorium und seinen Zerfallspro¬ 
dukte n.“ 

Die Versuche haben folgende Resultate ergeben: Bei kleinen Dosen 
sind therapeutische Effekte zu erzielen: grosse Dosen dagegen bringen 
Schädigungen. 

Lazarus- Berlin: „Die experimentellen Grund 
lagen dei Radiumtherapi e.“ 

Seine Experimente haben ergeben, dass eine Blutanreicherung 
durch Emanation, sowie eine Lösung der harnsauren Salze durch Ra¬ 
dium nicht stattfmdet. Die Versuche, die zu einem, seinen Ergebnissen 
entgegenstehenden Resultat geführt haben, sind nicht beweisend, da 
eine Zersetzung der Harnsalze durch bakterielle Verunreinigungen dabei 
nicht ausgeschlossen ist. 

G 1 a e s g e n jr.-Münster a. St.: „Die Wirkung der na¬ 
türlichen Radiumbäder und ihre Anwendun g.“ 

Redner glaubt den natürlichen Radiumbädern den Vorzug vor 
den altbewährten Solbädern geben zu müssen. 

I n der Radium diskussion weist zunächst G e r k e - Ga¬ 
stein darauf hin, dass vielleicht die negative Luftelektrizität von Be¬ 
deutung sein könne, während Kernen- Kreuznach die Wirksamkeit 
der auf der Haut abgelagerten radioaktiven Substanzen bei Bädern 


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betont, wobei er über seine experimentellen Ergebnisse berichtet, nach 
denen eine weit stärkere Anreicherung des Blutes durch die Trinkkur 
als durch Inhalation stattfindet; er führt die Unterschiede in den Er¬ 
gebnissen auf Fehlerquellen in der Blutentnahme zurück, van den 
Velden- Düsseldorf gibt einen Beitrag zur Wirkung der Radium¬ 
emanation auf Fermente, indem er auf den blutgerinnenden Einfluss 
aufmerksam macht, eine Wirkung, die man aber mit jedem beliebigen 
Gas erzielen könne. Strassburger - Breslau will keiner Methode 
den Vorzug geben; er glaubt, dass mit jeder eine Anreicherung erzielt 
werden kann. Bei Gicht hat er die besten Erfolge nach äusserer Appli¬ 
kation gesehen. F. Kraus- Berlin will nur von biologischen, noch 
nicht von therapeutischen Wirkungen gesprochen wissen. Er tritt der 
Ansicht entgegen, dass es sich bei hohen Dosen nur um Zerstörungen 
nnd nicht auch um Reizwirkungen handelt und glaubt, dass der The¬ 
rapie noch gute Wege geöffnet werden können. Rumpel- Hamburg 
hat praktisch therapeutisch nur negative Erfolge gehabt. Im Schluss¬ 
wort weisen Gudzent auf die Nachprüfungen seiner Experimente 
durch Markwald und Kionka, Lazarus auf die letzte Veröffent¬ 
lichung aus dem Institut von Horst Meyer, das die Gudzent’sehen Er¬ 
gebnisse verwirft, hin. 

B ü r k e r - Tübingen: ,,M ethodisches zur Blutunter¬ 
such u n g.“ Redner demonstriert einen neuen Zählapparat für rote 
Blutkörperchen. 

van den Velden; „Klinisch-experimentelle 
Untersuchungen bei Hämophili e.“ 

Die krankhafte Disposition zu schweren Blutungen kommt dadurch 
zustande, dass das Blut seine Gerinnungsfähigkeit verliert. Vortra¬ 
gender hat nun die Mittel geprüft, welche zur Erhöhung der Gerinnungs¬ 
fähigkeit in Betracht kommen und hat festgestellt, dass dies durch 
intravenöse Injektion von Kochsalzlösungen, Adrenalin und milch¬ 
sauren Kalk möglich ist. 

Kaufmann - Wildungen -.„Neues Okular von star¬ 
ker Vergrösserung und grossem Gesichtsfeld 
für Mikroskope. Demonstrationsvortrag. 

Lilienstein - Bad Nauheim; „D ie praktische Re¬ 
gistrierung der Herztöne und Herzgeräusche 
mittelst des Kardiophon s.“ 

Die Besonderheit dieses Herzkontrollapparates besteht darin, dass 
ein Auditorium von 30—40 Hörern die Herztöne hören kann, während 
gleichzeitig der Registrierapparat die Herztätigkeit graphisch wiedergibt. 
Vermittelst dieser Kurve ist es möglich, die beiden Herztöne in ihrem 
zeitlichen Verhältnis zueinander und zu anderen Erscheinungen am 
Herzen bis auf den 10. oder 20. Teil einer Sekunde exakt zu bestimmen. 

Lev y- Dorn - Berlin: „Polygramme zur Magendia¬ 
gnostik“: Durch Polygramme, deren Darstellungsmöglichkeit Redner 
zeigt, ist eine häufige exaktere Diagnosestellung möglich. 

Christen - Bern :,,Der Begriff der Röntgendosi s.“ 

Redner präzisiert theoretisch den Begriff der Röntgendosis. 

K ü p f e r 1 e - Freiburg; „Die Radiographie von Be¬ 
wegungsvorgängen innerer Organe nach einem 
neuen Verfahre n.“ 

Dem onstrati onsvort rag. 

Mever-Betz und Gebhardt- München: „Röntgen- 


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Untersuchungen über den Einfluss von Abführ¬ 
mitteln auf die Darmbewegung.“ 

Wenn auch die Wirkung der Abführmittel im allgemeinen bekannt 
ist, so geben uns die Demonstrationsbilder der Vortragenden doch 
wertvolle Aufschlüsse über die spezielle Wirkungsweise derselben auf 
den Darminhalt. 

Hesse-Bonn: „Röntgenologischer Beitrag zur 
Physiologie und Pathologie des Magendarm- 
t r a k t u s.“ Demonstrationsvortrag. 

Lohfeldt - Hamburg: „Die Röntgendiagnose der 
Kökaltumoren und Magen-Doppelaufnahme n.“ 
Demonstrationsvortrag. 

Kaestle - München: „D ie menschliche Dünndarm- 
bewegung während der Verdauung auf Grund 
(gemeinsam mit Dr. Bruegel aus geführter) rönt- 
genkine matographischer Untersuch unge n.“ 

Demonstrationsvortrag über die Fortbewegung des Darminhaltes 
durch den Dünndarm. 

Kreuzfuchs - Wien: „lieber Magenentleerung bei 
Ulcus ventriculi und Ulcus Ducde u.“: Demonstrations¬ 
vortrag. 

Seidl- Wien „Die diagnostische Bedeutung 
der dorsalen Schmerzdruckpunkte beim run¬ 
den Magengeschwü r.“ 

Bei allen denjenigen Krankheitsfällen, in denen man Verdacht auf 
ein ulcus ventriculi hat, sichern die dorsalen Schmerzsymptome und 
-Punkte die Diagnose. Sie entsprechen stets einer organischen Läsion 
der Magenwand und machen selbst bei latentem Ulkus der hinteren 
Magenwand eine Frühdiagnose möglich. 

Ehrenreich - Kissingen: ,,U eher eine neue Methode 
zum Studium des Chemismus und der Motilität 
des Magen s.“ 

Redner demonstriert eine Magenverw r eilsonde, mit der er Beob¬ 
achtungen über den Rückfluss aus dem Duodenum gemacht hat. 

Port- Göttingen: „Beitrag zur experimentellen 
A n ä m i e.“ 

Vortragender hat durch Lezithininjektionen eine experimentelle 
Anämie bei Kaninchen erzielt. Er schliesst daraus, dass den Lipoiden 
eine grössere Bedeutung als bisher in der Pathogenese der Anämie zu¬ 
zuschreiben ist. 

L ü d k e - Würzburg und L. F e j e s - Budapest: ,,U ntersu- 
c h ungen überdieGeneseder perniziösen Anämie.“ 

Mit einem Extrakt hämolytischer Gifte vom Darmtraktus gelang 
es, eine der perniziösen Anämie analoge Anämie bei Tieren herzu¬ 
stellen. Durch ein Antiserum gelang es, einige dieser Fälle zu heilen. 

ln der Diskussion macht Mohr- Halle darauf aufmerksam, dass 
für die Bedeutung der Lipoide bei der Entstehung von Anämien die 
Verfettung der Organe, die man bei Obduktionen der an perniziöser 
Anämie Gestorbenen findet, spricht. Er hält diese Verfettung für etwas 
Primäres, nicht Sekundäres. 

Ephraim- Breslau: „Z u r Diagnostik der primären 
Lungengeschwülst. e.“ 


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Das Röntgenverfahren kann keine absolut, sichere Diagnose geben; 
die Bronchoskopie gibt bessere Resultate. 

Dreyfuss - Frankfurt a. M.: „W arsermannreaktion, 
Untersuchung der Spinalflüssigkeit und Sal- 
varsan in ihrer Bedeutung für die Beurteilung 
isolierter luetischer Pupillenphänomen e.“ 

Durch moderne Untersuchungs- und Behandlungsmethoden — 
Wassermann im Blut und im Liquor, Untersuchung der Spinalflüssig¬ 
keit, provokatorische Salvarsaninjektion und intensive Behandlung mit 
Salvarsan-Ilg kann man erst Aufschluss über die Differentialdiognose 
Tabes, Hirnlues und Paralyse bei Pupillenstörungen erhalten. Jede 
pathologische Veränderung des Liquor erheischt Behandlung. 

Dritter Tag. 

Alb. Frankel - Badenweiler: „Zur chirurgischen Be¬ 
handlung der chronischen Lungentuberkulos e.“ 
Die chirurgische Behandlung der Lungentuberkulose soll einen 
Ersatz des künstlichen Pneumothorax darstellen; ihre Indikations¬ 
stellung wird erleichtert durch die Röntgendiagnose — ihre Ausführung 
ist nur zulässig, wenn sie in Lokalanästhesie möglich ist. Der Zweck 
der operativen Behandlung soll der sein, dass sich das Knochengerüst 
der kollabierten Lunge anlegt, wodurch eine Mobilisierung der Lunge 
und eine Verkleinerung des Brustkorbes herbeigeführt werden soll. 
Dies wird dadurch erreicht, dass unter Lokalanästhesie in verschiede¬ 
nen Sitzungen kleine Rippenstücke reseziert werden, wodurch der na¬ 
türliche Schrumpfungsprozess künstlich unterstützt wird. 

In der Diskussion glaubt W i 1 m s - Heidelberg, der die 
Methode ausgearbeitet hat, einen Vorzug in dem Verfahren darin zu 
sehen, dass die Therapie genau dosierhar ist und es ermöglicht, die 
Lunge allmählich schrumpfen zu lassen. Er bespricht die Technik der 
Operation und zeigt an Röntgenbildern die günstige Wirkung, wobei 
er eine genaue Indikationsstellung gibt. H o f b a u e r - Wien macht 
auf die Kontraste in der Therapie der chronischen Lungentuberkulose 
(Mobilisierung und Ruhigstellung der Lunge) aufmerksam. Er sucht 
die Erklärung darin, dass bei allen Fällen von Lungentuberkulose, bei 
denen Allgemeinerscheinungen (wie Fieber, Mattigkeit) vorherrschen, 
das Ruheregime: bei denjenigen Fällen aber, bei denen nur lokale 
Symptome vorhanden sind, das Bewegungsregime das angezeigte ist. 

K i s s 1 i n g - Hamburg hat wenig günstige Erfolge von chirur¬ 
gischer Behandlung gesehen, während A. S c h m i d t - Halle glaubt, 
dass das Wilms’sche Verfahren einen grossen Fortschritt in der Therapie 
Bedeutet, besonders, da es viel schonender vorgeht, als die bisher 
geübten chirurgischen Eingriffe. 

Liebermeister - Düren: „A k t i v e und sogenannte 
inaktive Tuberkulose.“ 

Redner möchte der inaktiven Tuberkulose mehr Beachtung ge¬ 
schenkt wissen. Er hat auch bei inaktiver Tuberkulose fast stets Tuber¬ 
kelbazillen (säurefeste Bazillen) im Blut gefunden; auch bei solchen 
Fällen, bei denen nur Verdacht auf Tuberkulose ohne Symptome — 
trotz Röntgendiagnose — vorlag. Da der Tierversuch stets positiv 
ausfiel, so glaubt er mit Sicherheit annehmen zu können, dass die säure¬ 
festen Bazillen auch Tuberkelbazillen waren. L. schlägt vor, die Tuber- 


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kulose wie die Lues in eine primäre, sekundäre und tertiäre einzuteilen 
und in dieser Richtung zu untersuchen. 

Curschmann - Mainz: „D iag nostische und thera¬ 
peutische Erfahrungen mit dem Tuberkulin-Ro¬ 
se n b a e h.“ 

Die bisherigen Diagnosestellungen für die inaktive Tuberkulose ge¬ 
nügen nicht, zumal sich die Romberg’sche Herdreaktion nicht für die 
Praxis eignet. Redner glaubt, dass die Ueberemplindlichkeit gegen 
Alttuberkulin, die bei vielen besteht, beim Rosenbach’schen Tuberkulin 
nicht in dem Masse vorhanden ist; er hält es daher diagnostisch für 
geeigneter. Er berichtet über eigene gute Erfahrungen in bezug auf 
Diagnose wie auch in therapeutischer Beziehung und sieht als Haupt¬ 
vorzug den an, dass man beim Rosenbach’schen Tuberkulin viel schneller 
die recht hohen Dosen erreichen kann. 

VV o 1 f f - Reiboldsgrün: „Beiträge zu der Lehre von 
der Sehwinds uchtsdispositio n.“ 

Die Frage, wie es kommt, dass die kindliche Tuberkulose in dem 
einen Falle ohne die Folgen einer aktiven Tuberkulose bleibt, in dem 
andern Falle aber nicht, hat Bacmeisterzu beantworten versucht, 
indem er sagt, dass die Verbreitung auf hämatogenem Wege vor sich 
geht und dass sich die Tuberkulose nur dort entwickelt, wo sie in irgend 
einem Organ einen guten Boden findet. Hierfür geben die traumatischen 
Tuberkulosen das beste Beispiel. Nach den Erfahrungen des Redners 
gibt es eine lokalisierte ei bliche Disposition (Vererbung des locus minoris 
resistentiae), sowie auch eine Disposition für einen bestimmten Krank¬ 
heitsablauf. 

M e n z e r - Halle: „Psoriasis, ein Hautsymptom 
konstitutionell-bakterieller Erkrankunge n.“ 

M. zeigt an der Hand von Demonstrationen, wie sich unter Tuber¬ 
kulinbehandlung jede Psoriasis zunächst vermehrt. Da er auch im Blut 
dieser Kranken stets säurefeste Bazillen gefunden hat, so zieht er daraus 
den Schluss, dass die Psoriasis ein Symptom konstitutionell-bakterieller 
Erkrankungen — teils tuberkulöser, teils mischinfektiöser Natur ist. 
Die spezifische Behandlung verschlechtert die Erkrankung zunächst 
und führt erst später ein allmähliches Abklingen herbei. 

Bernheim - Paris:,,Klinische und therapeutische 
Untersuchungen über die Behandlung der Tuber¬ 
kulose mit dem radioaktiven Jodmentho 1.“ 

Redner wendet das Radium innerlich bei Tuberkulose an, indem 
er es in Form von radioaktivem Jodmenthol injiziert. Er verfügt über 
ein Material von 360 Krankheitsbehandlungen, wobei er stets gute 
Erfolge gesehen haben will. 

ln der Diskussion spricht zunächst M e n z e r - Halle über 
die Herstellung der Tuberkuline. Koch- Schömberg hat keine guten 
Erfolge mit Rosenbach’schem Tuberkulin gehabt. P. Lazarus- 
Berlin leugnet eine antibakterizide Wirkung des Radiums. Litzner- 
Bad Rehburg nimmt Stellung gegen Curschmann, da er als Anstalts¬ 
arzt niemals so gute Erfolge in so kurzer Zeit, wie sie Curschmann 
angibt, gesehen hat. Besondere aber warnt er vor einem Schema in der 
Tuberkulinbehandlung. Meine rtz - Rostock hat experimentell nach¬ 
gewiesen, dass sich der Verlauf einer Tuberkulose durch Veränderung 
des Blutstromes beeinflussen lässt und zwar in dem Sinne, dass eine 
Verlangsamung den Prozess begünstigt, eine Beschleunigung ihn am 


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Weiterschreiten hindert. Schnitz- Köln kritisiert die Liebermeister- 
schen Ausführungen vom Standpunkte des Bakteriologen aus; er ver¬ 
misst den strikten Nachweis, dass die säurefesten Stäbchen tatsächlich 
Tuberkeibazillen sind. Ebenso glaubt B ö n n i g e r - Pankow-Berlin 
an Versuchsfehler bei den Liebermeister’schen Versuchen. 

F. Klemperer und H. W o i t a - Berlin: „U eber Behand¬ 
lungsversuche mit Salvarsan bei Scharlach.“ 

Vortragender hat in seinem Krankenhause im letzten Jahre eine 
Reihe meist schwerer Scharlachfälle mit Salvarsan behandelt und zwar 
mit ziemlich grossen Dosen von 0,1 bei Kindern anfangend und steigend 
bis 0,6 bei Erwachsenen. Die Injektion erfolgte in stark verdünnten 
Lösungen in die Blutbahn. Die Erfolge dieser Therapie gehen am 
besten aus folgender Gegenüberstellung hervor. Während unter 49 
Kranken, die nicht mit Salvarsan behandelt worden waren, 14 bis 
24 % starben, zeigte die behandelte Serie von 39 Patienten nur eine 
Mortalität von 5 °/„. Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht be¬ 
obachtet, das Fieber zeigte zunächst für kurze Zeit einen Anstieg und 
fiel dann steil ab. Die Wassermann’sche Reaktion zeigte einen Umschlag 
in die negative Phase. 

In der Diskussion bestätigte zunächst Lenzmann - Duis¬ 
burg die Erfahrungen Klemperers; besonders günstig beeinflusst wurde 
bei seinem Krankenmaterial die Mandelaffektion, weshalb er auch die 
gefürchteten Komplikationen und Nachkrankheiten kaum beobachten 
konnte. Schreiber - Magdeburg machte die gleichen Erfahrungen 
vornehmlich mit Neo-Salvarsan. Auch T o u t o n - Wiesbaden, Haus¬ 
mann- Rostock und Schwenkenbecher - Frankfurt a. M. 
konnten die Erfahrungen bestätigen. E h r 1 i c h - Frankfurt a. M. 
gibt seiner Freude Ausdruck über die mitgeteilten ermutigenden Re¬ 
sultate, rät aber bei der fieberhaften Erkrankung zu doppelter Vorsicht 
und zu Injektionen nur unter Befolgung strengster Kautelen und unter 
Anwendung eines frisch destillierten Wassers bei Zubereitung der 
Lösungen. 

Schlecht- Kiel: „Ueber IokaleEosinophylie beim 
anaphylaktischen Versuche.“ Demonstrationsvortrag. 

v. H ö s s 1 i n - Halle: „U eber das Auftreten des ha k- 
terium coli im Magen.“ 

Für die DifTerentialdiagnose zwischen Ulcus und Carcinoma ventri- 
culi ist das Wachsen des bakterium coli wichtig; es hängt von der Azi¬ 
dität ab und findet sich bei Ulkus nicht, dagegen häufig bei Karzinom. 

Hering-Prag: „Ueber muskuläre Trikuspidal- 
insuffizien z.“ 

Redner konnte im Experiment nur bei sehr starker Zerstörung 
der Trikuspidalklappe eine Kammerpulswelle erhalten, so dass die alte 
Ansicht, dass die Kammerpulswelle ein sicheres Diagnostikum für Tri- 
kuspidalinsuffizienz abgibt, nicht mehr zu Recht bestehen kann. 

0. M ü I 1 e r - Tübingen: „Zentraler Puls und Schlag¬ 
volume n.“ 

Demonstrationsvortrag, der sich mit den Verhältnissen des Pulses 
zur Beurteilung des Herzens und der Blutgefässe befasst. Nach seinen 
Ausführungen lässt sich aus der Grösse des Pulses an der Halsschlag¬ 
ader ein Schluss auf das Herzschlagvolumen ziehen. 

Münzer-Prag: „Die Fortpflanzungsgeschwin¬ 
digkeit der Pulswelle in gesunden und krankhaft 


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780 Krone, Der 29. Kongress für innere Medizin. 

veränderten Ge fassen.“ Vortragender hat die Fortpflan¬ 
zungsgeschwindigkeit der Pulswelle bei gesunden und krankhaft ver¬ 
änderten Gefässen gemessen, indem er gleichzeitig Aufnahmen des 
Pulses an vom Herzen verschieden weit entfernten Stellen gemacht hat. 
Hei Gesunden beträgt die Fortpflanzungsgeschwindigkeit 9—12 m in 
der Sekunde, hei gewissen Gefässerkrankungen ist sie beschleunigt 
oder vermindert; man kann dadurch einen Rückschluss auf die Rigidität 
der Gefässe machen. 

Bornstein - Hamburg: ,,D ie Messung der Kreis¬ 
laufzeit in der Klinik.“ 

Redner hat eine andere Methode zur Messung der Kreislaufzeit 
ausgearbeitet. Er bestimmt sie aus der Zeit, die vergeht, wenn nach 
Zumischung von Kohlensäure zur Atmungsluft durch diese ein Reiz 
auf das Atmungszentrum ausgeübt wird. 

M. Sternberg - Wien :,,Die Diagnose des chroni¬ 
schen Herzaneurysni a.“ 

Gewöhnlich entstehen diese Aneurysmen am linken Ventrikel 
durch Thrombosierung der linken Koronararterie. Typisch für die 
Diagnose ist die bei akuten Anfällen auftretende akute fieberhafte 
Perikarditis. 

Nenadowicz - Franzensbad: „Ueber die Beeinflus¬ 
sung des Reizleitungssystems des Herzens durch 
das natürliche Kohlensäurebad mit indirekter 
A b kühlun g.“ 

Kohlensäurebäder vermehren das Herzschlagvolumen, ebenso ein¬ 
fache warme Bäder, während kalte Bäder es oft ungünstig beeinflussen. 

C. S. Engel- Berlin: „U e b e r die Einwirkung der 
Venenstauung mittelst Phlebostase auf d i e H e r z- 
u n d Pulzkurve bei Herzkranke n.“ 

Um die Herzarbeit in krankhaften Herzzuständen zu erleichtern, 
hat Lilienstein - Nauheim ein Verfahren und dazu einen Apparat 
angegeben, der durch Stauung der Blutmenge in den Extremitäten 
dem Herzen weniger Blut Zuströmen lässt und dadurch die Arbeit des 
Herzens entlastet. Engel berichtet nun über Herzuntersuchungen bei 
Kranken, die mit dieser Methode behandelt worden sind; er hat bei 
ihnen deutliche Veränderungen der Pulskurve gesehen. Irreguläre 
Pulse wurden nach der Stauung häufig normal. 

Weile- Bad Elster: „Neue Behandlungsmethoden 
von Herzkrankheiten und Anämie n.“ 

Redner empfiehlt ein neues Herzmittel bestehend aus einer Kompo¬ 
sition von Ergotin und Koffein, das besonders bei Herzneurose gute 
Erfolge zeitigen soll. Bei Anämie glaubt er, vor innerlicher Darrei¬ 
chung von Eisen die Resorptionsfähigkeit des Magens durch Eingeben 
von destilliertem Wasser erhöhen zu müssen. 

R ö d e r - Elberfeld: „Weitere Gesichtspunkte zur 
Pathologie und Therapie des lymphatischen 
Rache n ringe s.“ 

Vortragender hat Appetitlosigkeit durch Reinigung der Mandeln 
und Rachenmandeln (durch Saugen) gehoben und neuralgische Schmer¬ 
zen dadurch günstig beeinflusst. Er empfiehlt das Verfahren bei vielen 
Störungen des Allgemeinbefindens. (Fortsetzung folgt.) 



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Sternberg, Die Pathologie des Appetits. 


781 


Die Pathologie des Appetits. 

Appetit and Carcinom. 

Von Dr. Wilhelm Sternbcrg-Beilin. 

Die Signatur der modernen Aera in der medizinischen Forschung 
ist das Ueberhandnehmen der tierexperimentellen Laboratoriumswissen¬ 
schaften und der Chemie. Man beschäftigt sich eben mehr mit dem Krank¬ 
heits-Objekt, mit der Krankheit selber, und weniger mit dem kranken 
Menschen. Damit im Zusammenhang steht eine gewisse Unterschätzung 
der klinischen Beobachtung am Krankenbett des Menschen und eine 
Geringschätzung der ärztlichen Erfahrung des Praktikers. So erklärt 
sich die höchst bemerkenswerte Tatsache, dass noch nicht ein einziges 
Mal in den verschiedensten Spezialdisziplinen das Symptom wissen¬ 
schaftliche Behandlung erfährt, das gerade für die Praxis das unstreitig 
wichtigste ist und das darum uns praktische Aerzte am meisten inter¬ 
essiert. Und das ist der Appetit. 

Die Begründung der Physiologie des Appetits ist auf meine ver¬ 
schiedenen fortlaufenden Arbeiten *) beschränkt geblieben. 

Für die Erkenntnis der Pathologie des Appetits ist die Tatsache 
von hoher Bedeutung, dass es Zustände gibt, die schon längst unter 
der Bezeichnung der „zehrenden Krankheiten“ im allgemeinen Publi¬ 
kum bekannt sind. Dieser Begriff des „Zehrens“ ist aber in diesem Sinne 
der gesamten Medizin, der Diätetik ebenso wie der Physiologie, Patho¬ 
logie und Klinik, bisher fremd gehlieben. Und doch gibt es selbst schon 
unter physiologischen Bedingungen solche Zustände des Zehrens. 
Diese sind: 

1. Abusus in venere. 

2. Das Stillen der Säuglinge. 

3. Die Gravidität. 

Ja, diese sogen, „zehrenden“ Zustände lassen sich sogar therapeutisch 
verwerten. Denn die Entziehung von Nährmaterial an irgend einem 
einzelnen Teil des Körpers, diese artefizielle Atrophie, hat eine gestei¬ 
gerte Anziehung von Nährmaterial an diesen Teil zur Folge und damit 
eine lokale Hypertrophie. Das ist das, was man ,,Gewebe-Hunger“ 
genannt hat. Aber über dieser partiellen Anziehung und über der dem¬ 
zufolge angeregten lokalen und regionären Hypertrophie ist auch all- 

*) 1. „Ein einfacher therapeutischer Kunstgriff zur Bekämpfung der Appetit¬ 
losigkeit.“ Allg. med. Zentr.-Ztg. 1906, Nr. 37. 

2. „Geschmack und Appetit.“ Ztschr. f. physik. u. diät. Therapie, Bd. XI, 1907/08. 

3. „Arznei und Appetit.“ Therap. d. Gegenw. Dez. 1907. 

4. „Appetitlichkeit und Unappetitlichkeit.“ Münch, med. Wochenschr. 1908, 
Nr. 23. 

5. „Die Appetitlosigkeit.“ Zentralbl. f. Physiol. 1908. Bd. XXII, Nr. 8. 

6. „Der Appetit in der Theorie und in der Praxis.“ Ztrbl. f. Physiol. 1908, Bd. 
XXII, Nr. 11. 

7. „Die Schmackhaftigkeit und der Appetit.' 1 Ztschr. f. Sinnesphysiol. 1908, Bd. 43. 

8. „Der Appetit.“ Dtsch. med. Wochenschr. 1908, Nr. 52. 

9. „Geschmack und Appetit.“ Ztschr. f. Sinnesphysiol., Bd. 43, 1908. 

10. „Die Appetitlosigkeit ü> der Theorie und in der Praxis.“ Ztrbl. f. Physiol., Bd. 
XXII, Nr. 21. 

11. „Der Appetit und die Appetitlosigkeit.“ Ztschr. f. klin. Med. 1909. Bd. 67. 

12. „Der Appetit in der experimentellen Physiologie und in der klinischen Patho¬ 
logie.“ Ztrbl. f. Physiol. Bd. XXIII, Nr. 10. 

13. „Appetit und Appetitlichkeit in der Hygiene und in der Küche.“ Ztschr. f. 
physik. u. diät. Therap. 1909. Bd. XIII. 

14. „Physiologische Psychologie des Appetits.“ Ztschr. f. Sinnesphysiol., 1909, 
Bd. 44. 


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Stern berg, 


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gemein die Anziehung von Nährmaterial gesteigert. Das gibt sich durch 
das subjektive Bedürfnis des Allgemeingefühls kund, das den allge¬ 
meinen Körper zur gesteigerten Nahrungsaufnahme zwingt. Und dieses 
Allgemeingefühl ist der Appetit. 

So führt die Gravidität in normalen Verhältnissen zu gesteigertem 
Appetit. Umgekehrt kann man die Gravidität geradezu als Heilmittel 
in der Therapie mancher zehrenden Leiden ansehen und hat diese 
Methode auch in der Tat z. B. bei Tuberkulose mitunter dazu benutzt. 

ln gleicher Weise kann man zum selben Zweck Venaesektionen 
bei Chlorose und anderen Zuständen erfolgreich anwenden. Diese Me¬ 
thode sollte darum häufiger als bisher zu Mastkuren therapeutisch her¬ 
angezogen w'erden. 

In pathologischen Verhältnissen des Zehrens verändert die An¬ 
wesenheit von Helminthen den Appetit sogar qualitativ, dermassen, 
dass selbst der Laie schon aus dieser qualitativen Veränderung des 
Appetits die richtige Diagnose stellt oder doch wenigstens den Verdacht 
auf Anwesenheit von Helminthen schöpft. 

Aber auch in quantitativer Hinsicht kann schon eine Taenie den 
Appetit dermassen herabsetzen, dass man mitunter ein bösartiges Leiden 
vermutet. Selbst schon der physiologische Zehrzustand des Stillens 
kann so das Bild von Tuberkulose vortäuschen. Solange nämlich die 
Entziehung von Nährmaterial aus dem Körper den Appetit steigert 
und solange daher mit dem Zehren das gesteigerte Verzehren von Nah¬ 
rung parallel geht, solange tr'tt keine Unterbilanz ein. Erfolgt diese, 
so ist die Folgeerscheinung eine Kachexie. Und diese Kachexie ist pa- 
thognomonisch für alle ,,zehrenden“, d. i. bösartigen Leiden, zumal für 
Karzinom. 

Was die Pathologie des Appetits und zumal bei Karzinomatösen 
angeht, so ist es hinlänglich bekannt, dass der Karzinomatöse den 
Appetit verliert. Hierauf führe ich die Kachexie der Karzinomatösen 
zurück. Die Anorexie sehe ich sogar als das an, was den Karzinoma¬ 
tösen zugrunde richtet. Daher ist der Begriff der Bösartigkeit klinisch 
auf die Anorexie zurückzuführen. Diese Erkenntnis, so einfach sie auch 
klingt, ist bisher noch niemals gegeben. 

Bemerkenswert ist die ärztliche Erfahrung des Praktikers, dass 
sich die Appetitlosigkeit der Karzinomatösen bis zum unüberwind¬ 
lichen Ekel steigert. Der Kranke klagt ungefragt: „Mir wird so übel, 
schlecht und ekelig“. Und noch merkwürdiger ist die Tatsache, dass 
die Appetitlosigkeit und der Ekel sich ganz besonders auf gewisse Speisen 
beziehen. Um so bemerkenswerter ist die Tatsache, dass diese allge¬ 
mein ärztliche Beobachtung weder in der so ausserordentlich umfang¬ 
reichen Literatur der Diätetik einer Erwähnung bisher gewürdigt wor¬ 
den ist, noch in der so ungemein ausgedehnten Karzinom-Literatur. 
W o 1 f f *) berührt diese Beobachtung nicht einmal mit einem ein¬ 
zigen Worte in seinem zusammenfassendon Werke: „Die Lehre von der 
Krebskrankheit von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart.“ Das ist 
folgendes Symptom: Karzinomatöse zeigen höchst seltsamerweise vor 
nichts mehr Ekel, Widerwillen und Appetitlosigkeit, als gerade vor 
Fleisch und Fleischgerichten. Diesen Speisen gegenüber ist die Appetit¬ 
losigkeit bis zu einem unüberwindlichen Widerwillen gesteigert der- 

*) San.-R. Dr. Jacob VV o 1 f f, 1909, Teil I, 1911, Teil II. Verlag Jena, Gusta» 
Fischer. 



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Die Pathologie des Appetits. 


783 


massen, dass ich bei zweifelhaften Fällen von Karzinom in dem 
anhaltenden, bis zum Ekel gesteigerten Widerwillen gerade vor Fleisch 
ein differentiell-diagnostisches Symptom von nicht zu unterschätzen¬ 
der Bedeutung erblicke. Und in einigen Fällen hat mir dieses Symptom 
im Gegensatz zu einem unserer bedeutendsten Kliniker zur rich¬ 
tigen Diagnose verhelfen. Mitunter wurde der Abscheu vor Fleisch 
vom Karzinomkranken, der in seinen gesunden Tagen gerade besonderen 
Appetit auf Fleisch stets gehabt hatte, in der Weise geschildert, dass 
er den Ekel vor Fleischgenuss mit dem vor der Zumutung verglich, als 
böte man ihm menschliche Fäzes zum Verzehren, einer Zumutung, die 
schon jedem Gesunden den heftigsten Widerwillen erregt. Nicht mit 
Unrecht gibt die Medizin, die sonst auf Aesthetik nicht allzuviel Wert 
legt, diesem Zustand doch den Terminus technicus: „Miserere“. Selbst 
aus den einfachsten Kreisen von Arbeitern, denen doch Fleisch gerade als 
Delikatesse erscheint, kann man im Falle von Karzinom die Entgegnung 
auf das ärztliche Zureden zum Verzehren von Fleisch vernehmen: 
,,Wenn ich Fleisch bloss sehe, dann möchte ich am liebsten weglaufen.“ 

Ich ') habe wiederholt darauf hingewiesen, dass der Krebskranke 
vor nichts mehr Ekel empfindet, als vor Fleischgenuss, und empfehle 
diese Beobachtung als differentiell-diagnostisches Symptom. 

Aehnlich verhalten sich gravide und auch hysterische Frauen, 
ebenso mitunter Diabetiker. Spricht man ja geradezu vom „berüchtigten 
Ekel der Zuckerkranken vor dem Genuss von Fleisch“ wie von einem 
Terminus technicus. 

. Diese meine Angaben hat man bisher wohl als blosse Kuriosa an¬ 
gesehen, w r enn man sie überhaupt der Beachtung für wert gehalten hat. 
Neuerdings erfahre ich, dass auch I s r a e 1 ’) in seiner „Nierenchirurgie“ 
diese Tatsache nicht nur erwähnt, sondern ihren differentiell-diagno¬ 
stischen Wert hervorhebt: „Unter den Fernwirkungen der bösartigen 
Nierengeschwülste treten oft die gastrischen Erscheinungen in den Vor¬ 
dergrund, welche sich im Widerwillen gegen Nahrung, insbesondere 
Fleischspeisen, kundgeben, bisweilen mit Hungergefühl, manchmal mit 
Erbrechen verbunden sind.“ 

Diese sonderbare karzinomatöse Anorexie setzt der Erklärung nicht 
geringe Schwierigkeiten entgegen. Man ist wohl zu der Annahme gern 
geneigt, als bedinge jedes Karzinom an lebenswichtigen Organen leicht 
eine Herabsetzung der Salzsäure-Sekretion im Magensaft. Allein selbst 
zugegeben schon, diese Tatsache wäre an sich objektiv richtig, so ver¬ 
mag sie die Veränderung des Appetits doch nicht zu erklären, noch 
nicht einmal die einfache Anorexie. Denn Appetit ist nicht Saft, und 
Saftlosigkeit des Magens bedingt nicht Widerwillen gerade vor Fleisch. 

Vielmehr muss man sich zw r ei weitere Tatsachen gewärtig halten. 
Einmal tritt diese Appetitlosigkeit nur dann und erst dann ein, wenn 
die bösartigen Tumoren nicht mehr lokal regionär bleiben, sondern 
ihre Keime durch Besorption weiter gelangen. Alle Fremdkörper aber 


*) „Der Appetit in der experimentellen Physiologie und in der klinischen Pathologie.“ 
Ztrbl. f. Physiol. Bd. XXIII, Nr. 10, S. 19. — „Das Krankheitsgefühl.“ Pflügers Arch. 
1910, Bd. 134, S. 115. — „Nahrungsbedarf und Nahrungsbedürfnis.“ Zeitschr. f. phys. 
u. diät. Therap. Bd. XIV, Oktober 1910, S. 414. — „Diät und Küche“ 1911. 
Würzburg .S. 89 u. S. 59.i 

*) S. 453. Chirurgische Klinik der Nierenkrankheiten 1901, Berlin. A. Hirschwald. 


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v. Xiessl-Mayemlorf, 


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— und das ist die zweite Tatsache, auf die ich in meiner Arbeit l ) „Arznei 
und Appetit“ hingewiesen habe, — sind geeignet, den Appetit zu ver¬ 
legen. Daher liegt die Annahme nahe, dass die karzinomatösen Keime, 
resorbiert, den Appetit stören. Ist das richtig, dann hat man in dieser 
Richtung die experimentelle Karzinom-Therapie und das Problem des 
Wesens des Karzinoms zu erweitern. Man muss die Einwirkung der 
Injektion von Tumormaterial auf den Appetit beobachten. Wiederholt 
habe ich auf die hohe praktische Bedeutung des Appetit-Problems 
nicht bloss für die Therapie in der Praxis, sondern auch für die theo¬ 
retische Erkenntnis des Karzinoms hingewiesen. Das Problem des 
Karzinoms erscheint mir im Grunde genommen das nämliche zu sein 
wie das Problem des Appetits. 


Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 

II. Teil. 

Von v. NiessMIayendorf. 

(Fortsetzung.) 

VI. Vorlesung. 

Die progressive Paralyse. 

M. H.! Bot die auf der Hand liegende Aetiologie der in der vorher 
gehenden Vorlesung ins Auge gefassten Erkrankungen eine sichere 
Handhabe für die einzig wirksame Richtung der Prophylaxe, die Ab¬ 
stinenzbefolgung, so besitzt unsere Kenntnis von den ursächlichen 
Faktoren der fortschreitenden Hirnlähmung heute noch keineswegs 
eine so absolute Sicherheit, dass selbst die striktestg Einhaltung ärzt¬ 
licher Vorschriften den Eintritt der gefürchteten Erkrankung mit Be¬ 
stimmtheit abzuwenden vermöchte. Statistiken über die luetische 
Aetiologie entbehren für die richtige Einschätzung der ursächlichen 
Bedeutung des Syphilisvirus für die Entstehung der progressiven Para¬ 
lyse des Gleichgewichtes, welches durch Gegenüberstellung von Zahlen¬ 
reihen einen Ueberblick über luetische Infektionen ohne nachfolgende 
Paralyse erreichen würde. Auch die Ansicht mancher Autoren, 
welche mit der Vorgabe chemischer Entdeckungen auf dem 
Podium der Oeffentlichkeit sich produzieren, wird die ruhige Objekti¬ 
vität über die Schwierigkeit nicht hinwegtäuschen, selbst bei der Zu¬ 
verlässigkeit angeblicher Funde dem post hoc ergo propter hoc 
in der Aetiologie der progressiven Paralyse leichthin und unumschränkte 
Geltung einzuräumen. Erwiese es sich als Wahrheit, dass das Blutserum 
von Paralytikern, kleineren Tieren in die Gefässe gespritzt, eine ver¬ 
heerende Giftwirkung entfaltet und alsbald tötet, der Beweis von der 
ursächlichen Bedeutung dieses Giftes für die progressive Paralyse 
wäre damit keineswegs erbracht. Wahrscheinlicher stellt sich die An¬ 
nahme, dass die giftigen Substanzen der Auflösung und dem Zerfall 
der nervösen Bestandteile entstammen, demnach die Folge, nicht 
d>e Ursache der Erkrankung sind. 

Immerhin steht die syphilitische Infektion in der Vorgeschichte 
der progressiven Paralyse mit einer aus Einzelerfahrungen gesammelten 
HäufigkeitszifTer soweit allen anderen angenommenen Schädlichkeiten 
voran, dass ein kausaler Bezug für eine grosse Anzahl von Fällen zweifel- 

*) Therap. d. Gegen w., Dez. 1907. 


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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


785 


los vorzuliegen scheint. Der Therapeut wird sich diesen Zusammen¬ 
hang zu nutze machend nervösen Zuständen mit syphilitischer Ver¬ 
gangenheit gegenüber ganz anders zu verhalten haben, als wo er trif¬ 
tige Gründe hat, eine s o 1 c. h e auszuschliessen. Das Stadium premo- 
xitorium gleicht auf ein Haar den reinen Formen der echten Neurasthenie. 
Kopfdruck, Schlaflosigkeit, Abgeschlagenheit, Reizbarkeit, rasche Er¬ 
müdung, gesteigerte gemütliche Emotivität, Nosophobien, Schwitzen, 
Kopfkongestionen, Zittern, Befangenheit, Unverlässlichkeit des Ge¬ 
dächtnisses überraschen einen von drängender Berufsarbeit aufgerio- 
benen Mann in den besten Jahren, welcher kaum je Zeichen einer ner¬ 
vösen Veranlagung oder abnormen Reaktionsfähigkeit erkennen Hess, 
v. Krafft-Ebing, ein Monograph der fortschreitenden Hirnläh¬ 
mung legt auf das Bewusstsein der Krankhaftigkeit 
dieser Zustände difTerentialdiagnostisches Gewicht, da der angehende 
Paralytiker selbst nichts merke, um so mehr seine Umgebung. Der 
Neurastheniker erscheine aus eigenem Antriebe in der ärztlichen Sprech¬ 
stunde, der Paralytiker werde gebracht. Das letztere geschehe meist 
dann, wenn eine Veränderung in dem Gehaben des Kranken schon 
seit langem bestehe und dem ärztlichen Untersucher grelle Symp¬ 
tome, die Diagnose nicht mehr zweifelhaft erscheinen lassen. Un¬ 
geachtet der treffenden Richtigkeit dieser Auseinanderhaltung trifft 
man in den ersten Anfängen jener tödlichen Hirnerkrankung auch 
echte Neurastheniker. Kräpelin berichtet in einer älteren Auf¬ 
lage seines Lehrbuches von einem Kandidaten der Paralyse, welcher 
sich in voller Klarheit über die Schwere der ihm bevorstehenden Hirn¬ 
erkrankung entleibt hat. 

Auf vage und einzeln stehende spinale oder psychische Symptome 
darf der behandelnde Arzt niemals die Diagnose „Paralyse“ gründen, 
erst ein Syndrom charakteristischer Erscheinungen kann für die dia¬ 
gnostische Entscheidung massgebend werden. 

M. H.! Die Behandlung der Neurasthenie bei der initialen pro¬ 
gressiven Paralyse hat keine anderen Regeln zu befolgen, als diejenigen, 
welche sich als heilkräftig bei der bekannten, vielleicht auf einer er¬ 
erbten Disposition beruhenden Erschöpfungsneurose erfahrungsgemäss 
erweisen. So richtunggebend für die Verwertung einzelner Symptome 
und deren Behandlung das Geständnis einer syphilitischen Infektion 
dem Arzte auch sein wird, er darf nie vergessen, dass selbst auf dem 
Boden luetischer Durchseuchung harmlosere Formen funktioneller 
Nervenleiden sich entwickeln können. 

Als erstes ist Entfernung aus dem gewohnten W irkungskreise an¬ 
zuordnen und zwar nicht nur jede Gedankenarbeit, sondern auch an¬ 
strengende körperliche Bewegungen, Märsche und dergl. sind zu ver¬ 
bieten. Ländliche Abgeschiedenheit, welche keinen Anlass zur ohnehin 
erleichterten Auslösung der besonders schädlichen Affekte gibt, Höhen¬ 
klima mit niedrigen Sommertemperaturen, eine vor geräuschvollem 
Verkehr schützende Entferntheit sind dem Kranken, welcher geeigneter 
Gesellschaft bedarf, zu empfehlen. Neuro- oder Psychopathen sind 
keine geeigneten Begleiter für einen Neurastheniker, der zur Ruhe kom¬ 
men will. Das beständige Alleinsein wird aber von dem Kranken im 
Laufe der Wochen schlecht vertragen, es wirkt beängstigend. Eine 
sehr reichliche, nahrhafte Kost bei zweckmässiger Verteilung auf ge¬ 
wisse Tagesstunden, hat den gesamten Ernährungszustand zu heben. 

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786 


v. Niessl-Mavendorf, 


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Gegen die nervöse Erschöpfung bei der Neurasthenie kann die 
sorgfältige Ueberwachung, resp. Herbeiführung des Schlafes eine ge¬ 
radezu heilkräftige, restituierende Wirkung entfalten. Die Schlafdauer 
muss auf 9 bis 10 Stunden, ev. auf länger ausgedehnt werden, da die 
Schlaftiefe beim Neurastheniker eine geringe ist. Jeder Anwandlung 
eines Ruhebedürfnisses muss nachgegeben werden. Der Schlaf nach 
Tisch ist zu versuchen, wenn er sich nicht infolge gesunder Verdauung 
von selbst einstellt. Der Kranke muss überhaupt an viel Schlaf ge¬ 
wöhnt werden. 

In der Tageseinteilung hat das physikalisch-therapeutische Er¬ 
müdungsprinzip die Formen der Beschäftigung zu bestimmen. Mehr¬ 
stündige Spaziergänge, falls sich keine Uebermüdungserscheinungen 
hinterdrein einstellen, Turnübungen, Schwimmen, jede angemes¬ 
sene körperliche Bewegung, welche die Zirkulation fördert, ist ratsam 
und wird den Eintritt des Schlafes begünstigen. Indirekt ist der Ein¬ 
fluss dieser Betätigungen deshalb schlaffördernd, da sie den Appetit 
steigern und den Stuhlgang regeln. 

Liegekuren sind nur bei körperlich sehr reduzierten Patienten oder 
solchen, bei denen Verdacht auf eine tuberkulöse Nebenerkrankung 
vorliegt, notwendig und empfehlenswert. 

Die Hydrotherapie hat bei der Neurasthenie ein weites Feld, jedoch 
kein so weites, als man ihr mehr aus Geschäftsrücksichten, als aus 
ärztlicher Ueberzeugung zugestehen will. Das kalte Bad ist im allge¬ 
meinen zuzulassen. Doch darf das Wasser eine Temperatur von nicht 
weniger als 18 Grad haben. Seebäder sind Flussbädern vorzuziehen. 
Ein warmer See in den Alpen ist aufzusuchen. Die Bewegung im Wasser, 
das Schwimmen fördert die günstige Wirkung der Bäder. Das Baden 
im Meere sei nur sehr kräftigen Neurasthenikern erlaubt, wie über¬ 
haupt die Indikation des kalten Bades eine robustere Konstitution 
voraussetzt. Der weniger heftige Wellenschlag der Ostsee erregt nicht 
so sehr als der der Nordsee. Die Badezeit richte sich nach der jewei¬ 
ligen Verfassung des Kranken, nach der Temperatur des Wassers, der 
Luft, nach der Tageszeit usw. Nach jedem Bade wird am zweckmässig- 
sten die Hauptmahlzeit eingenommen, worauf der Kranke mehrere 
Stunden zu ruhen hat. Bei vielen Neurasthenikern wirken kalte Schwimm¬ 
bäder appetitanregend, ermüdend, schlafbringend. Wo sich statt der 
sedativen eine exzitative Wirkung zeigt, muss das Baden sofort aufge¬ 
geben werden. 

Bei den schweren Formen der Neurasthenie oder bei körperlich 
sehr heruntergekommenen Individuen empfehlen sich laue Vollbäder 
(Temperatur nicht über 27 °) am Abend. Wenn Kopfkongestionen 
vorhanden sind, ein kalter Umschlag oder eine Eisblase auf den Kopf! 
Es kann eine halbe Stunde oder noch länger gebadet werden. Die 
lauwarmen Bäder werden von den Kranken als sehr wohltuend emp¬ 
funden, da die inneren Spannungszustände und die Extremitätenkühle 
mit der Regelung des Blutkreislaufes verschwinden. Auch das warme 
Bad ist beruhigend, ermüdend, einschläfernd. Vor hydrotherapeu¬ 
tischen Prozeduren, wie sie in den Kaltwasserheilanstalten angepriesen 
und geübt werden, als da sind Kopfdusche, kalte Uebergiessung, kalte 
Packung ist entschieden zu warnen. Der Chock, welchem das Gefäss- 
system durch diese vehement kontrahierenden Einflüsse ausgesetzt 
wird, hat Gefässdilatationen als Reaktionszustände zur Folge, welche 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 787 

sich in plötzlich ausbrechender tobsüchtiger Erregung offenbaren 
können. 

Gelingt es nicht, durch geeignete Bewegung im Freien oder Wasser¬ 
behandlung, Schlaf zu erzielen, so ist zu den chemisch wirkenden Me¬ 
dikamenten überzugehen. 

Da die Ursache der neurasthenischen Schlaflosigkeit abnorme 
Reizbarkeit und ängstliche Beklemmung ist, genügen oft, diese Span¬ 
nungszustände lösende Sedativa. Allen voran stehen in der Wirkung 
die Brompräparate. Man verordne etwa Kalii bromati, Natrii bromati 
ää 5,0, Aquae destill. 150,0, Svrupi Rubi Idaei 20,0. S. morgens und 
abends ein Esslöffel nach der Mahlzeit in einem Glas Wasser. Ob die 
organischen Verbindungen des Brom oder jene mit dem Sesamöl durch 
promptere Beruhigung sich auszeichnen, wage ich nicht zu entscheiden, 
jedenfalls dürfte das Urteil über bessere Erfolge noch kein einstimmiges 
sein, so dass die Höhe des Kaufpreises des Letzteren in keinem Ver¬ 
hältnis zu dem vorauszusetzenden Effekt stünde. 

Kleine wiederholte Dosen von Brompräparaten pflegen eine kumu¬ 
lierende Wirkung zu entfalten und sind daher den Neurasthenikern 
sehr zu empfehlen. Unangenehme Nebenwirkungen sah ich niemals, 
wenn sich die Patienten genau an die ärztliche Vorschrift hielten und 
ihr Bromkali stets nach der Mahlzeit und mit reichlichem 
Wasser tranken. Sonst treten leicht Magenverstimmungen auf, 
die wieder Schlaflosigkeit im Gefolge haben können, so dass die Er¬ 
reichung des beabsichtigten Zweckes vereitelt wird. Selbst lange fort¬ 
gesetzte Brommedikationen in refracta dosi (täglich 2 Gramm) scheinen 
keinen nachteiligen Einfluss auf die Intelligenz zu haben. Bromexan¬ 
theme zeigen sich nur ganz selten. Es liegen dann offenbar Idiosyn¬ 
krasien vor. 

Wenn das Bromkali den gesunden Menschen schläfrig und abge¬ 
schlagen macht, so entfernt es die krankhafte Irritabilität des Neurasthe¬ 
nikers und erzeugt durch Beschwichtigung Stetigkeit zu geistiger Ar¬ 
beit, mit welcher sich Euphorie verbindet. Erklärung für diese Er¬ 
scheinung würde sich in der Behebung eines tonischen, vielleicht auch 
der Körpermuskulatur ähnlichen klonischen Gefässmuskelkrampfes 
darbieten, welche eine konstantere Durchflutung mit arteriellem Blut 
in dem erweiterten Strombett nach sich zöge. 

Alle übrigen gegen die Neurasthenie sonst in Frage kommenden 
chemischen Sedativa, wie Valeriana, Semen Colae, Zincum oxydatum, 
Codeinum sind höchstens als Adjuvantia neben den Brompräparaten 
heranzuziehen. 

In den meisten Fällen echter Neurasthenien kommt man mit dem 
Bromkali, welches kein eigentliches Schlafmittel ist, aus. Dort, wo 
etwa wegen stark in den Vordergrund tretenden nervösen Magenbe¬ 
schwerden die Brompräparate kontraindiziert sind, oder wo die Schlaf¬ 
losigkeit trotz der durch dieselben erzeugten Erschöpfung persistiert, 
mache man zuerst Versuche mit Bromural (0,03), Neuronal (1,5), und 
gebe ein Pulver vor dem Schlafengehen, oder mit dem prompteren, 
zuverlässigeren, wirksameren Paraldohyd. (Rp. Paraldehvdi 10,0, 
Aquae destill. 120,0, Syrupi Cort. Acr. 20,0, S. den dritten Teil in einem 
Glas Wasser zu nehmen, ehe man zu Bett geht). Der Paraldehydschlaf 
ist tief, erquickend, so dass selbst eine kürzere Dauer desselben den leisen, 
unruhigen, natürlichen Schlaf des Neurasthenikers an nachfolgender 
Erfrischung übertrifft. Die Folgeerscheinungen am nächsten Tage 

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v. Niessl-Mavendorf, 


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sind nicht erheblich, etwas Hitze im Kopf, Schwindel, Magen- und 
Darmreizung. Unangenehm bemerkbar machen sich beim Einnehmen 
der widerliche ölige Geschmack, der penetrante Geruch, welcher durch 
vierundzwanzig Stunden dem Atem anhaftet. 

Die Schlafstörung des angehenden Paralytikers unterscheidet sich 
von der nach Nervenerschöpfung auftretenden einerseits durch Schwere, 
indem wochenlang völlige Agypnie bestehen kann, andererseits dadurch, 
dass oft ganz unerwartet der Kranke am Tage, eben noch vollkommen 
wach und geistig rege, vom Schlafe übermannt wird. Man hat ehedem 
gegen die permanente Schlaflosigkeit des Paralytikers das heroisch 
wirkende Chi oral hyd rat (2,0 bis 3,0) verschrieben, ich glaube jedoch, 
dass wir auch mit dem Paraldehyd (6,0 pro dosi) einen Erfolg erzielen. 
Wenn wir also hinter der Neurasthenie eine initiale Paralyse vermuten, 
werden wir die Paraldehyddosis auf das Zwei- bis Dreifache pro die 
erhöhen. 

M. H.l Eine reizbare Nervenschwäche, welche Ueberarbeitung 
oder Ausschweifungen ihren Ursprung verdankt, wird nach dreimonat¬ 
licher Ruhe und sachgemässer Behandlung stets eine Wendung zum 
Besseren erkennen lassen. Bleibt diese aus, dann wird der Verdacht 
auf Entwicklung einer Paralyse für den behandelnden Arzt bei 
in suspectem Alter stehenden Individuen, deren Verhältnisse eine 
Hingabe an Lebensgenüsse gestatten, selbst bei uneingestandener sy¬ 
philitischer Infektion, an Wahrscheinlichkeit, gewinnen. Die anam¬ 
nestische Feststellung einer Akquisition von Lues ist überhaupt nicht 
ausschlaggebend für die Richtung Ihrer Diagnose, denn ein kleiner 
Prozentsatz unzweifelhafter Paralysen lässt durch genaue Analyse 
aller Umstände, auch durch die allerdings ganz unzuverlässi¬ 
gen chemischen Reaktionen syphilitische Antezedentien nach mensch¬ 
lichem Ermessen ausschliessen. Auch ist die Unheilbarkeit einer in 
statu nascendi von ärztlicher Energie in Angriff genommenen Paralyse 
weder erwiesen noch mit den Vorstellungen über die anfänglichen 
pathologischen Vorgänge, welche einer Rückbildung fähig sein dürften, 
vereinbar. 

Endlich gibt es, wie Sie gehört haben, auch postsyphilitische Neur¬ 
asthenien, die wieder abklingen. Sie müssen daher mit der Diagnose 
„Paralyse“ äusserst vorsichtig sein. Obgleich deren vollentwickeltes 
Bild auch für den nur einigermassen Geübten bei dem ersten Anblick 
zu erkennen ist, habe ich seltsamerweise kaum eine andere Geistes¬ 
krankheit so oft verkannt gesehen, als die fortschreitende Hirnlähmung 
in ihren Frühstadien. Es liegt dies hauptsächlich daran, dass man sich 
ärztlicherseits an eines oder an nur wenige Symptome klammert, und 
vergisst, dass nur Verlauf und Erscheinungen im Zusammenhänge, 
also ein charakteristisches Syndrom, ein so schwerwiegendes ärztliches 
Urteil fundieren können. Abgesehen von den bekannten spinalen 
Zeichen beiderseitiger, oft sehr hochgradiger Pupillenenge, von Pupillen¬ 
ungleichheit, Lichtstarre, Sprachstörung (Silbenstolpern, Verschieden 
und Verschmieren der Lautkomplexe, Tremulieren der Stimme), 
Anästhesien, Ataxien, Steigerung der Patellarreflexe, von denen wohl 
nur das letzte Symptom der harmlosen Nervenschwäche eigen sein kann, 
ist die Progressivität, die Verschlimmerung der Neur¬ 
asthenie statt der Besserung selbst bei Abwesenheit aller angeführten 
Symptome als ominös zu betrachten. Ferner lege ich Gewicht auf 
eine, fast regelmässig, schon zu Beginn der Paralyse bei darauf gerich- 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


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teter Untersuchung kaum übersehbare, eigenartige Charakterver¬ 
änderung. Es ist zwar richtig, dass auch durch eine präsenile Neur¬ 
asthenie eine dauernde Metamorphose des Temperamentes geschaffen 
wird, aus einem heiteren, ruhig vorwärtsstrebenden, zielsicheren Men¬ 
schen ein ewig Zweifelnder und Verzweifelnder, ein angstvoll der Zukunft 
Harrender, ein stets reizbar Verstimmter, ein immerdar Wollender und 
nicht Könnender, ein ohne triftigen Grund plötzlich und heftig im 
Affekt Aufflackernder, jedoch bald wieder Verlöschender, ein von 
mancherlei Zwangsvorstellungen Gebannter wird. Ganz anders sieht 
das Bild aus, welches d'e paralytische Neurasthenie entwirft. Aber 
auch ohne volle Entfaltung, nur mit einzelnen Zügen, die der Er¬ 
schöpfungsneurose ganz fremd sind, gibt sie sich zu erkennen. 

Die Vorgesetzte knappe Fassung, welche mir nur den Heilplan 
und das ärztliche Verhalten auseinanderzusetzen gestattet, verbietet 
mir, auf das vielfältige Detail der wirklichen Möglichkeiten einzugehen. 
Als auf eine schlagend exemplifizierende Stichprobe sei auf das auf¬ 
fallende mit der psychisch gesunden Persönlichkeit in krassem 
Widerspruch stehende Hervortreten ethischer Defekte hingewiesen. 
Während das Gewissen des Neurasthenikers zu einer peinlichen Zwangs¬ 
vorstellung krankhaft übertrieben wird, stellt sich die paralytische 
Rücksichtslosigkeit als ethische Anästhesie der neurasthenischen, sitt¬ 
lichen Ueberempfindlichkeit gegenüber. Die landläufige Nomenklatur 
der Schulpsychiatrie spricht von einem Versagen der höheren Gefühle, 
ohne sich über den pathologischen Hirnvorgang eine irgend greifbare 
Anschauung zu bilden. Welche physiologischen Korrelate der psy¬ 
chischen Veränderung auch entsprechen mögen, sicher sind dieselben 
mit jenen identisch, oder verwandt, welche im Zustande der inania- 
kalischen Erregung das „Nivellement der Vorstellungen“ (Wer- 
nicke) durch den Wegfall hemmender Gefühle bedingen. Natürlich 
tauchen die Vorstellungen nicht auf, welche an diese Gefühle gebunden 
sind. Wie ich an anderem Orte gezeigt habe, ist der grössere Teil der 
Grosshirnrinde von der peripheren Projektion der Sinnesbilder und 
deren zentraler Erweckung ausgeschlossen. Nur deren wechselnde Er¬ 
nährungszustände werden auf dem Wege der subkortikalen- Bogen¬ 
bündel den enge begrenzten Zentralstationen der Sinneseindrücke 
übermittelt. Vor vielen Jahren haben S e p i 1 1 i und Tamburini 
durch sorgfältige Wägung einzelner Hirnlappen an einem umfangreichen 
Material von Paralytikern die grösste Gewichtsabnahme am Stirn- 
und am Scheitellappen bei Vergleichung mit den entsprechenden Ge¬ 
wichtsverhältnissen dieser Lappen gesunder Gehirne zahlenmässig fest¬ 
gestellt. Schaffer wollte an nach der Weigertmethode behandelten 
Hemisphärenschnitten aus Paralytikergehirnen eine mindere Tinktions- 
fähigkeit der Markgebiete des Stirn-, sowie des Scheitel-, Schläfe-, 
Hinterhauptslappens mit Hämatoxylin wahrgenommen haben, während 
sich das Mark der Sinnessphären mit normaler Tiefe färbte. Da man 
sich nun längst darüber klar geworden, dass die Atrophie des M ark - 
kerns weit mehr die Verkleinerung der Lappen bedinge als die der 
Rindendecke, so gestatten die beiden Befunde genannter Autoren, 
in ihnen Uebereinstimmung zu erblicken. Die Atrophie der nervösen 
Elemente, welche in Rarelikation einzelner, nicht in dem Untergang 
ganzer Fasersysteme sich offenbart, hat Erweiterung des vaskulären 
Strombettes zur Folge. Die Dilatation der Arterien überhäuft die atro- 
phisierenden Nervenkörper mit Sauerstoff, deren apnoetischer Zustand 


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v. Niesf.]-Mayendorf, 


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dem maniakalischen Symptomenkomplex zu Grunde liegt. Die ge¬ 
steigerte Oxydation der abnorm apnoetischen Phase dieser Zellkomplexe 
wird den Rindenganglien der kortikalen Vorstellungssphären zuge¬ 
leitet, aus welchem Vorgang sich die Lustbetonung aller in die Bewusst¬ 
seinshelle tretender Gedankengänge und deren beschleunigter Ablauf 
erklärt. 

Venöse Stauungen durch passive Erweiterung der rückläufigen, 
muskelarmen Blutgefässe kommen ebenfalls vor, da die Vermehrung 
der Menge des arteriellen Blutes auch eine soicne des venösen zur 
Folge hat und eine entsprechend gesteigerte Teilkraft der Blut¬ 
bewegung fehlt.. Der hemmende Gedankengang, welcher als sittliche 
Beherrschung das Handeln leitet, lässt sich im physiologischen Bilde 
kaum anders als auf gewisse Wahrnehmungen hin plötzlich ein¬ 
tretende arterielle Kontraktionen in jenen Win'dungsgebieten denken, 
deren Funktionen als die Gefühlsbetonung der Vorstellungen bewusst 
werden. Dieser normale Mechanismus muss verschwinden, sobald nicht 
mehr die Qualität der eindringenden Sinneseindrücke die Gefässweile 
und damit den Ernährungszustand der Nervenkörper im Augenblick 
verändern kann, sondern eine pathologischorganische Umwandlung 
wohl aller Gewebsbestandteile bindernd in den Weg tritt. 

M. H.! Sie werden diese Abschweifung auf das pathologisch- 
physiologische Gebiet feinerer Hirnvorgänge wohl kaum ohne weiteres 
mit den therapeutischen Vorschlägen gegen die Symptome der fort¬ 
schreitenden Hirnlähmung, welchen dieses Kapitel gewidmet ist, in 
Beziehung bringen können. Wie aber jeder Behandlung Erkenntnis 
des Leidens voranzugehen hat, so sollte Sie dieser, wenn auch nur 
sehr flüchtige Einblick in die der sittlichen Verfehlung des Paralytikers 
zu Grunde liegenden, tiefgreifenden und wohl auch irreparabeln Gross¬ 
hirnveränderungen auf den Ernst der Situation hinweisen. Der Nach¬ 
weis von Delikten bei einem bis dahin sittlich intakten Neurastheniker, 
die nur auf einer inversio seiner psychischen Persönlichkeit möglich sind, 
wird Sie davon überzeugen, dass Sie keinen Nerven-, sondern einen 
leider auch meist unheilbaren Geisteskranken vor sich haben. 

Sie haben bereits von der Behandlung einer Geisteskrankheit ge¬ 
hört, bei welcher derselbe pathologische Mechanismus anscheinend 
analoge klinische Formen bedingte, von der maniakalischen Erregtheit. 
Obschon gleichen Wirkungen gleiche Ursachen zu supponieren sind, 
so liegt doch der wesentliche Unterschied in der nur f unktionel- 
I e n Hirnstörung der Manie und der organischen Umwandlung 
des Gewebes bei der Paralyse. Plötzliches Aufflackern und rasche Stei¬ 
gerung zu voller symptomatischer Entfaltung der ersteren, ein sehr 
allmähliches Anwachsen mit nur vereinzelten manischen Zügen in einer 
protrahierten, initialen Phase dürften für manche Erscheinungsweisen 
beider Krankheiten differentialdiagnostisch wichtig sein. 

Die Differentialdiagnose zwischen dem maniakalischen Zustand 
als symptomatisches Krankheitsbild und der paralytischen Manie wird 
leicht, wenn Pupillenstörungen oder Sprachbehinderung die Tobsucht 
komplizieren. Fazialisdifferenzen oder dem Beben der Gesichtsmusku¬ 
latur möchte ich kaum eine differentialdiagnostische Bedeutung bei¬ 
legen, da die Entartung und Veranlagung zur Geisteskrankheit in der¬ 
artigen Innervationsanomalien des Antlitzes sich oftmals ausspricht. 
Wichtige differentialdiagnostische Anhaltspunkte sind ferner die er- 
fahrungsgemässe Neigung der Manie zu Rezidiven und das der Manie 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


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wohl regelmässig mangelnde, monatelange neurasthenische Präludium. 
Wenn also ein Mann über die Dreissig, der früher stets geistig gesund 
gewesen ist, nach einem Stadium prämonitorium erkrankt, so wird 
man ohne alles weitere zuerst an Paralyse denken. Das klinische Bild 
der Manie ist eines der vielgestaltigsten der psychiatrischen Semiotik 
und harrt eines umfassenden Darstellers. 

Nach meiner Erfahrung sind aber, abgesehen von den Begleit¬ 
erscheinungen, die manischen Symptome bei beiden Krankheiten ganz 
kongruent. Auch der Inhalt der manischen Wahnideen hat für die 
Paralyse nichts Spezifisches. K r ä p e 1 i n spricht von dem „blühenden 
Grössen wahn des Paralytikers“. Mir ist nach deutschem Sprachgebrauch 
ein blühender Unsinn geläufig, das Attribut „blühend“ neben „Grössen¬ 
wahn“ sagt mir aber nichts und erscheint ais wenig geschmackvolles 
Epitheton. Die gedankenlose Anstaltsschablone kennt auch „schwach¬ 
sinnige“ Grössenideen, ohne sich darüber klar zu werden, worin sich 
der Schwachsinn einer Grössenidee dokumentiere. Das Widersinnig- 
Groteske einer Wahnidee ist nicht die Folge eines Schwachsinns, eben¬ 
sowenig als der Schwachsinn eine Erklärung für den Mangel der Kor¬ 
rektur abgeben würde. Auch der Hintergrund der Demenz, von welchem 
sich der paralytische Grössenwahn abheben soll, ist in den ersten Sta¬ 
dien der paralytischen Erkrankung noch nicht nachweisbar. Schwäche 
der Gefühle, kindisches Wesen, leichte Bestimmbarkeit, sind Zeichen 
eines vielleicht unbemerkt gebliebenen, jedoch bereits fortgeschrittenen 
Krankheitsprozesses des Grosshirns. 

M. H.! Ich fasse die sittliche Verfehlung eines bis dahin makel¬ 
losen Neurasthenikers als das erste Signal einer hervorbrechenden 
Manie auf, nicht etwa als ein Symptom von Verblödung. Sie haben 
als behandelnder Arzt also alle Präven'ivmassregeln zu treffen, wie 
wir sie für die Manie in der zweiten Vorlesung erörtert, jedoch auch mit 
Rücksicht darauf, dass Sie es mit einer unheilbaren, sich fortschreitend 
verschlimmernden, zum Tode führenden Geisteskrankheit zu tun 
haben. 

Das erste, was Ihnen obliegt, ist auf die möglichst baldige Ent¬ 
mündigung des Erkrankten zu dringen. Durch sinnlose Käufe, 
Eingehen von Verpflichtungen, deren Erfüllung ihnen nach ihrer Glücks¬ 
lage und ihrem Vermögensstand unmöglich ist, pflegen die meist den 
begüterten Klassen ungehörigen Kranken sich und ihre Familie schwer 
zu schädigen. Die Erkenntnis von dem Vorhandensein einer manifesten 
Geisteskrankheit führt als nächste Konsequenz zur Unzurech¬ 
nungsfähigkeitserklärung des Erkrankten, durch welche 
ärztliche Feststellung die Strafbarkeit der in diesen Zuständen nicht 
so seltenen Delikte wegfällt. Sie haben durch Ihren Ausspruch die bür¬ 
gerliche Ehre des nicht mehr Verantwortlichen zu schützen. 

Die Verbringung in eine Anstalt ist bei der expan¬ 
siven Form der Paralyse wohl kaum zu umgehen. Dieselbe wird in den 
meisten Fällen mit Aufbietung der Manualgewalt geschehen müssen. 
Der Kranke, welcher die Situation nicht erfasst, sträubt sich mit aller 
Macht gegen die Beschränkung, welche ihm aus seinem Aufenthalt im 
Krankenhaus, dessen Notwendigkeit er nicht einsieht, erwächst. Von 
dem Bewusstsein einer übermenschlichen Erhöhung eigener Kraft ge¬ 
trieben, überzeugt von seiner Befähigung zur Durchführung riesen¬ 
hafter Pläne, die zu denken ihm in gesunden Tagen schwindeln würde, 
zieht es ihn nach dem Markt des bewegtesten Lebens. Eben darin 


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v. Niessl-Mayendorf, Spezielle Therapie der Oeisleskrankheilen. 


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Jage aber die grosse Gefahr, da die laienhaft urteilende Umgebung, 
den Zustand als Unternehmungslust verkennt oder aber bei richtiger 
Beurteilung missbraucht. Listige Vorspiegelungen, welchen Paralytiker 
sehr zugänglich sind und sie sehr hiebt in die Falle der Anstalt bringen, 
sind strenge zu verpönen. Ich habe im Anschluss an einen solchen 
Trick eine furchtbare, mehrere Tage anhaltende Tobsucht ausbrechen ge¬ 
sehen. Ohne' viel Umschweife eröffne mandem Kranken, dass er dringend 
der Schonung in einer Anstalt bedürfe, dass seine .Nerven angegriffen 
seien und zu der eminenten Arbeit, die er zu leisten berufen sei, einer 
gründlichen Behandlung sich unterziehen müsse. Diese Taktik hat 
vor der ersten den Vorteil, dass man dem Kranken stets in dem ihm 
beigebrachten Glauben belassen kann, ohne sich ihm als Betrüger zu 
entlarven und sein Vertrauen für immer zu verscherzen. Oft gelingt 
es sogar, den Kranken in Güte zu bewegen, dem Arzt in eine geschlossene 
Anstalt zu folgen. Bleibt dieser harmlose Weg der Einlieferung erfolg¬ 
los, dann schreite man zur Anwendung von Gewaltmitteln, zu denen 
auch die Hyoscin-Morphiumspritzo (Hyoscini hydrobromici U,0007 4- 
Morph. sulf. 0,01) gehört. 

Die Behandlung in der Anstalt muss sich ganz nach der Beschaffen¬ 
heit des speziellen Falles richten. Die sofortige Isolierung des über seine 
Internierung aufgebrachten Paralytikers wirkt auf denselben um so 
beängstigender, als er sich in einer der Gefängniszelle ganz ähnlichen 
Raum eingesperrt sieht. Die Erregung wird hierdurch ausserordentlich 
gesteigert und es kommt zu förmlichen Wutausbrüchen, zu feindlichem 
Ankämpfen gegen die Anstalt. Es wird daher zweckmässig sein, die 
Freiheitsentziehung dem Paralytiker, insbesondere zu Beginn der Be¬ 
handlung, möglichst wenig fühlbar werden zu lassen. 

Anders verhält sich die Sache, wenn dem Kranken die Ueherzeu- 
gung beigebracht werden konnte, dass er der Ruhe bedürfe, dass ihm 
die Einsamkeit, in die er versetzt worden sei, Sammlung von den ihm 
allzu reich zuströmenden und sich kreuzenden Gedankengängen ver¬ 
schaffen solle. Man wird in diesem zweiten Falle, in welchem Fern¬ 
haltung von allen Reizen der Umgebung beruhigt, Bettbehand¬ 
lung anordnen und diese durch eine Brommedikation (dreimal täglich 
2 Gramm in wässeriger Lösung) unterstützen. 

Bei stärkerem Bewegungsdrang und einer kaum je ganz fehlenden, 
leichten Umnebelung des Bewusstseins, treten die Dauerbäder auch 
hier, wie gegen die Manie, in ihr Recht. Ausnahmslos wird man die 
durch das Wasser bewirkte gleichmässige Erwärmung des Körpers mit 
einer kühlen Behandlung des Kopfes mittelst Eiskappe, wie schon 
M e y n e r t gegen die Paralyse empfahl, kombinieren. Zehn Minuten 
lange kühlere Vollbäder von etwa 20 Grad, welche täglich einmal ge¬ 
nommen und immer um einen Grad kühler gemacht werden, halte ich 
ebensowenig wie die kühlen Packungen für angebracht. Für die Nacht 
verordne man stärkere und rasch wirkende Hypnotica, also in erster 
Linie Paraldehyd zu 4 bis 5 Gramm und, wenn man das Chloralhvdrat 
(2 Gramm) aus Gründen einer palpabeln Veränderung der Gefässwände 
zu scheuen hat, das Chloralamid zu 4 Gramm. Sulfonnl, Trional, Veronal, 
Isopral empfehlen sich im allgemeinen weniger, es kann jedoch auch mit 
ihnen ein Versuch gemacht werden, wenn die erstgenannten Mittel 
versagen sollten. Zur Abwechslung sind sie jedenfalls zu brauchen. 

(Schluss folgt.) 


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Referate und Besprechungen. 


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Referate und Besprechungen. 


Bakteriologie und Serologie. 

Schürmann, Walter und Sonntag, Erich, Untersuchungen über die auf ver¬ 
schiedene Weise hergestellten Tetanusheilsera mit Hilfe von Immunitätsreaktionen 
und Tierversuchen. II. Mitteilung. Zeitschrift für Immunitätsforschung 1911. 
Bd. 11. 

Zusammenfassung. 

1. Tetanussera, die durch subkutane Injektion von Tetanustoxin resp. 
Tetanussporen und -bazillen an Pferden gewonnen sind, lassen keine für 
Tetanus spezifische Agglutination erkennen. Auch gelingt es nicht, bei 
Kaninchen durch intravenöse Einverleibung von lebenden Tetanusbouillon¬ 
kulturen so hohe Agglutinationswerte zu erhalten, daß sie zur Identifizie¬ 
rung der Tetanusbezillen brauchbar wären. 

2. Tetanussera, durch subkutane Injektion von Tetanustoxin resp. 
-sporen erhalten, zeigen niemals Spuren von Präzipitinen, dagegen ließen 
sich im Serum eines Kaninchens, welches intravenös mit abgetöteten und 
lebenden Kulturen behandelt wurde, Präzipitine nachweisen. 

3. Die Tetanussera, gleichgültig, ob sie mit sporenfreien filtrierten 
Toxinen oder mit sporen- und bazillenhaltigen Tetanuskulturen durch lang- 
dauernde Behandlung der serumliefernden Pferde hergestellt sind, weisen, 
untereinander verglichen, keine nennenswerten Unterschiede in der Schutz¬ 
kraft auf. Diese geht dem Antitoxingehalt nicht parallel. 

(Schürmann.) Autoreferat. 

Namyslowski, Boleslaw (Krakau), Beitrag zur Kenntnis der menschlichen 
Hornhautbakteriosen. (Centralbl. f. Bakt., Bd. 62, H. 7.) 

Namyslowski berichtet über die Untersuchungsergebnisse bei einer 
Agarkultur, die aus dem Sekret der vereiterten Hornhaut eines Kindes an¬ 
gelegt wurde. Es wurde ein Strahlenpilz gewonnen, der wahrscheinlich der 
Sammelart Aktinomyces albus G a s p e r i n i angehörte und wegen seines Ver¬ 
haltens den Nährböden gegenüber als Aktinomyces acidus N e u k i r c h be¬ 
trachtet werden darf. Außer diesem Fall sind bereits fünf weitere Horn- 
hautaktinomykosen beobachtet worden. Jedoch sind nur bei zwei dieser 
Fälle die gefundenen Strahlenpilze vom Standpunkt der bakteriologischen 
Systematik genauer behandelt worden. Der Verfasser beschreibt deshalb 
die noch nicht eingehend untersuchten Arten und bringt ihren Unterschied 
von anderen Arten zum Ausdruck. Schürmann-Wecker. 

Sorensen, Ejnar (Kopenhagen), Eine Untersnchungsreihe über die Ver¬ 
änderung einer Urinbakterie in den menschlichen Harnwegen. (Centralbl. für 
Bakt., Bd. 62, H. 7.) 

Der Verfasser veröffentlicht in dieser Arbeit seine Beobachtungen über 
den späteren Verlauf eines früher von ihm mitgeteilten Falles von spontaner 
Genesung bei diabetischer Pneumaturie. Es handelte sich um einen älteren, 
an Glykosurie leidenden Mann, bei dem eine reichliche Luftansammlung 
in der Blase beobachtet worden war. Diese Luftansammlung war auf die 
Vergärung des zuckerhaltigen Harns durch das Bakterium pneumaturiae 
zurückzuführen, das auch in vitro eine lebhafte Gasentwicklung zeigte. 
Die Pneumaturie verschwand spontan'nach 2 Jahren, obgleich stets Zucker 
und Bakterien im Harn gefunden wurden. Als gelegentlich wieder ein¬ 
mal eine Untersuchung des Bakterieninhalts der Blase vorgenommen wurde, 
fand sich das oben angeführte Bakterium in Reinkultur. Das mikroskopische 
Bild, das kulturelle Verhalten stimmte mit dem de6 früher gefundenen Mikro¬ 
organismus genau überein, nur wollte das Bakterium kein Gas entwickeln. 
Entweder war das frühere Bakterium durch ein anderes ersetzt, resp. ver¬ 
drängt worden, oder es hatte im Organismus eine bedeutende Veränderung 
erlitten. Zur Lösung dieser Frage wurde das zuletzt gefundene, nicht Gas 
entwickelnde Bakterium auf verschiedenen Nährsubstraten gezogen und zeigte 


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Referate und Besprechungen. 


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nach elfmonatlicher Züchtung plötzlich wieder eine kräftige Gärfähigkeit! 
Nach einigen Monaten trat auch die Pneumaturie wieder bei dem Patien¬ 
ten auf. Höchstwahrscheinlich handelt es sich hier um Varianten ein und 
desselben Bakteriums. Der Verfasser nimmt an, daß ein Teil der plötz¬ 
lich entstehenden Epidemien (z. B. Typhus, Cholerine) sich aus einem ent¬ 
sprechenden Verhalten der Darmbakterien erklären ließe. 

Schürmann. 

Lehmnnn, Eduard (Jegenstorf, Schweiz). Die Amöben als Krankheitsursachen 
bei den Haustieren. (Centr. f. Bakt., Bd. 62, H. .7.) 

Angeregt durch die experimentelle l'bertragungsmöglichkeit der endemi¬ 
schen — durch Amöben hervorgerufenen — Form der Ruhr auf Tiere, 
hat der Verfasser bei Haustieren nach Amöben geforscht und bei dem 
Pferd, dem Rind und dem Schaf Amöbendysenterien nachweisen können. 
Es folgt die Beschreibung von drei typischen Fällen und eine Zusammen¬ 
fassung der bei diesen Enteritiden gemachten Beobachtungen, wonach die 
Wirkung der Parasiten auf die Darmwand zunächst in einer Gewebsneubil¬ 
dung und später in nekrotischem Zerfall des infektiösen Granuloms besteht. 
Die Hystolyse muß auf die Erzeugung eines nekrotisierenden Ferments 
zurückzuführen sein. Schürmann-Wecker. 

Mandelbaum (München), Über das Bakterium metatyphi. (Centr. f. Bakt., 
Bd. 62, H. 6.) 

Der Metatyphusbazillus bildet im Gegensatz zum Typhusbazillus bei 
Gegenwart von Glyzerin Alkali; er wächst auf der Rosolsäureglvzerinplatte 
rot, Typhus dagegen gelb; auf Blutglyzerinagar läßt er den roten Blutfarb¬ 
stoff unverändert, der Typhusbazillus bildet braune Höfe. M. glaubt, daß 
der Metatyphusbazillus durch Mutation aus dem Typhusbazillus hervorge¬ 
gangen ist; er ist der nächste Verwandte des Typhusbazillus; er scheint 
keine große Verbreitung zu haben. Schürmann. 


Innere Medizin. 

Goldmann, E. (Freiburg i. Br.), Zur Frage der rückläufigen Bewegung in 
röhrenförmigen Gangsystemen. (Münch, med. Wochenschr. 1912, No. 12.) 

Obwohl jetzt alle Beobachter darin übereinstimmen, daß ein stärkerer 
Rücktransport von Massen (Antiperistaltik) im Darmsystem nicht vorkomme, 
was auch durch die Röntgenuntersuchungen bestätigt wird, so scheint doch 
nach den Untersuchungen von Grützner, Bond und Hemmeter sowie Gold¬ 
manns eine rückläufige Bewegung kleinster suspendierter Teilchen vorzu¬ 
kommen. Und zw'ar handelt es sich um einen Randstrom, der durch das 
Epithel in Bewegung gesetzt wird. Das Wie ist noch nicht klar. 

Verfasser legt nun dar, daß durch oben bezeichneten Vorgang Infek¬ 
tionskeime z. B. vom Darm in die Gallenwege transportiert werden können 
und zwar hauptsächlich bei nicht genügendem Abfluß der Galle in den 
Darm, also bei Steinen, Katarrh, Geschwülsten usw. Es würde das er¬ 
klären, daß nicht immer nur hämatogene oder lymphatische Infektion vor¬ 
zuliegen braucht. 

Die Versuche ergaben, daß bei angelegter Gallenfistel makroskopisch 
sichtbare Teilchen (Kohle) aus dem Duodenum in die Gallenblase gelangten. 

Schütze-Darmstadt. 

Lindenmayr, Jos. (Preßburg), Zur Therapie des Schnupfens und seiner 
Komplikationen. (Berliner klin. Wochenschr. 1912, No. 17.) 

Selbstbeobachtung des Verfassers, der seit Jahren bei geringster Er¬ 
kältung von Schnupfen der Nase und des Rachens mit hartnäckigem Husten¬ 
reiz befallen wurde. Nur Morphin und Codein brachten Erleichterung, zur 
Bekämpfung des krampfartigen Hustenreizes mußte längere Zeit hindurch 
mehrmals täglich 0,04 Morphin angewandt werden, doch hatte der pro¬ 
trahierte Gebrauch unangenehme Nebenerscheinungen zur Folge. Nach drei¬ 
maligem Einnehmen von je einer D i o n i n tablette ä 0,03 g war der Husten¬ 
reiz verschwunden und stellte sich nicht mehr ein. Mit derselben Medikation 


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Referate und Besprechungen. 


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wurde später ein frischer Rachenschnupfen kupiert. Die günstige Wir¬ 
kung des Dionins beruht nach Meinung des Verfassers auf dem Einfluß 
auf die peripheren Nervenendigungen in den Schleimhäuten, sowie auf der 
vasokonstriktorischen, die Hyperämie herabsetzenden Eigenschaft des Dio¬ 
nins, wodurch Nies- und Hustenreiz und Sekretion vermindert werden, wäh¬ 
rend Morphin in unerwünschter Weise mehr auf die zentralen Nerven- 
elemente, die Ganglien einwirkt. Dionin ist als souveränes Schnupfen- und 
Hustenmittel anzusehen. Neumann. 

LUlensteln (Bad Nauheim), Der unblutige Aderlaß (Phlebostase). (Mediz. 
Klinik 1912, No. 8.) 

Bei Herzkompensationsstörungen wendet L. seit 2 Jahren Stauung in 
den Armen (und Beinen) mittels R e c k 1 i n g h a u s e n scher Binden an. 
Dieses ' Verfahren führt zu denselben Resultaten wie der Aderlaß, ohne 
indessen die Nachteile zu haben, die-aus dem Blutverlust bei letzterem 
resultieren. Im Gegensatz zu den neuerdings von Tornai, Dangschat, 
v. Tabora u. a. beschriebenen Methoden eignet sich die Phlebostase zur 
Anwendung in der Sprechstunde. 

Die Hohlbinden werden möglichst hoch oben an den Extremitäten ange¬ 
legt und der Druck bis zum Verschwinden des Pulses auf ca. 100 bis 
150 mm Hg gesteigert. Nach 2 bis 3 Minuten läßt man das Blut wieder 
einströmen und wiederholt diese Prozedur 3 bis 5 mal. Hierbei tritt keine 
Veränderung der Puls- und Atemfrequenz auf. An den nicht umschnür¬ 
ten Extremitäten bleibt der Blutdruck unverändert. (Offenbar greift das 
vasomotorische Nervensystem und die Medulla oblongata hier regulierend 
ein.) Nur der bei Herzinsuffizienz erhöhte Venendruck geht nach 
V. Tabora auf die Norm zurück. Die Zyanose wird geringer. Der zweite 
Pulmonalton wird schwächer, falls er verstärkt war. Subjektiv bessert sich 
nach peripherer Blutstauung (Phlebostase) sofort das Allgemeinbefinden: 
Kardiale Dyspnoe, Angstgefühle, psychische Depression, Kopfschmerzen, Herzr 
klopfen werden geringer. Der Schlaf stellt sich häufig sofort ein. 

Indiziert ist diese Behandlung, also bei allen Zirkulationsstörungen, 
Herzschwäche, bei Arteriosklerose, Kongestionen, Kopfdruck, Neigung zu 
Apoplexien, urämischen Zuständen und den so häufigen nervösen Erregungs¬ 
zuständen depressiver Art bei organischen Herzkranken. Ganz beson¬ 
ders auffallend ist die sofortige Wirkung bei kardialer Dys¬ 
pnoe. Von diagnostischem Wert ist die Erfahrungstatsache, daß Oppres- 
sionsgefühl, Kopfdruck, Globusgefühl und andere funktionelle Störungen hin¬ 
gegen durch die periphere Stauung nicht beeinflußt werden. 

In den meisten Fällen dauert die Wirkung 3—10 Stunden, in anderen 
mehrere Tage lang an. Bei einzelnen Fällen blieben Erscheinungen der 
genannten Art, die vorher kontinuierlich bestanden hatten, während der 
beobachteten Zeit (4—6 Wochen) dauernd fort. Eine Dauerwirkung war 
ferner bei täglich bezw. jeden 2. Tag wiederholter Phlebostase auch objektiv 
(auf den Spitzenstoß, Leberdämpfung, Zyanose usw.) zu konstatieren. 

Der Phlebostat darf nur unter strengster und ständiger ärztlicher Kon¬ 
trolle angewandt werden. 

Dies Verfahren hat den Vorzug der Ungefährlichkeit und ist selbst 
in (solchen Fällen anwendbar, wo man wegen Anasarka der Haut fürchten 
muß, die Vene zur Venasektio nicht zu finden, oder nachher schlechte 
Wundheilung zu erzielen. 

Vier Abbildungen erläutern die Anwendung sehr gut. 

Schütze-Darmstadt. 


Chirurgie und Orthopädie. 

Dodal, I. (Bruch), Zur Behandlung von Brandwunden. (Wiener medizin. 
Wochenschr. 1912, No. 9.) 

D. macht auf die anscheinend noch wenig verbreitete Perhydrol-Be- 
handlung von Brandwunden aufmerksam, von deren Vorzügen er sich in 


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Referat« und Besprechungen. 


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einem Falle schwerster Verbrennungen durch glühende Asche überzeugte. 
Laien hatten der Verunglückten die erste Hilfe geleistet, die Brand¬ 
blasen aufgerissen und rohen Eiinhalt über die mit Schmutz und Asche 
bedeckten Wunden geschmiert, so daß Infektion sicher anzunehmen war. 
Das Wasserbad war undurchführbar. Die Wunden wurden deshalb mit einer 
6 prozentigen Wasserstoffsuperoxydlösung aus Perhydrol abgespült und diese 
Desinfektion jedesmal beim Wechseln des Salbenverbandes erneuert. Beim 
dritten Verbandwechsel am sechsten Tage erschienen die oberflächlichen 
Wunden rein und gut granulierend, die nekrotischen Hautteile stießen sich 
ohne besondere reaktive Entzündung ab. Die Heilung erfolgte, ohne daß 
Hautimplantationen erforderlich wurden. Das gute Resultat wird der durch 
Perhydrol erzielten leichten, schmerzlosen und gründlichen Wundreinigung 
zugeschrieben. # Neumann. 

Meyer, W. (New-York), Zur Drainage nach intrathorakalen Operationen. 
(Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 1.) 

In nicht ganz aseptischen Fällen von intrathorakalen Operationen wird 
im deutschen Hospital in New-York die Drainage des Thorax so ausgeführt, 
daß im Komplementärraum, im 9. und 10. Interkostalraum in der Skapular- 
linie, ein ca. 6—8 cm langer Einschnitt gemacht, hier ein oder mehrere 
Drainagerohre (der Länge nach gespaltene Gummirohre) eingeführt, die 
ursprünglich thorakale Inzision vollständig geschlossen und der Patient dann 
nicht sofort ins Bett gebracht wird, sondern nach der Operation noch 
ca. 12—15 Stunden im Differentialdruckapparat bleibt. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Lotheissen (Wien), über Drainage, insbesondere mit dem Zigarettendrain. 
(Wiener klin. Rundschau 1912, No. 1.) 

Seit der Einführung der Antisepsis ist man von der Drainage reiner 
Wunden abgekommen, es gibt aber auch heute noch Fälle genug, wo sie 
ihr Recht beansprucht. — In Amerika ist schon seit mehreren Jahren 
das sog. Zigarettendrain mit bestem Erfolge verwendet. Man nimmt 
entweder ein Stückchen mehrfach zusammengefaltetes Silk oder wickelt 
etwas Gaze hinein, ja man kann sogar in die Gaze noch ein Drainröhrchen 
einpacken. Damit ist die Zigarette fertig: der Tabak ist die Gaze bezw. 
das mit Gaze umhüllte Drain und das Papier ist der undurchlässige Sei¬ 
denstoff (Silk). • — Statt dieser Seidenhülle verwendet man besser das Gau- 
d a f i 1, einen billigen sterilisierbaren Kautschukstoff, die Einlage bildet 
Novojodingaze, welche ungiftig und geruchlos ist. — Die Wirkung 
des Zigarettendrains ist vorzüglich, die außen aufgelegte Gaze wird bald 
durchtränkt, ja sehr oft kommt es schon nach ein oder zwei Tagen dazu, 
daß das Sekret durchschlägt. Um das Hineinsinken des Rohrs in die Wunde 
zu verhüten, wird eine Sicherheitsnadel durch den Kautschuk gesteckt 
die sich dann mit zwei Heftpflasterstreifen an die Haut befestigen läßt, 
damit die Drainage nicht herausrutscht. Um das Durchspießen der Zigaret¬ 
tenhülle zu vermeiden, läßt sich die Nadel durch einen schmalen Drai¬ 
nagering ersetzen, der über die Umhüllung gestreift und mit einigen 
Nähten an die Haut befestigt wird. Steyerthal-Kleinen. 

Wehl (Braunschweig), Zur Tamponade der Bauchhöhle. (Zentralbl. f. Chir. 
1912, Nr. 8.) 

Empfehlung der von Sprengel im Jahre 1897 für Knochenwunden an¬ 
gegebenen Tamponade mit (in essigsaurer Tonerde getränkter) Gaze, auf 
die ein Gemisch von Jodoform und Calomel ää p. aequ. gestreut wird. 
Dadurch erhält die Gaze die Eigenschaft, sich leicht und, ohne Schmerzen 
zu verursachen, entfernen zu lassen. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Biehl, C. (Wien), Ein neuer Weg für Eingriffe an der Hypophyse und am 
Sinus cavernosus. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 1.) 

Die Methode besteht in Pharyngotomia suprahyoidea. Vorziehen des 
weichen Gaumens, Ablösung der Weichteile des Rachendaches am hängen¬ 
den Kopf, Eröffnung der unteren Wand der Keilbeinhöhle knapp am Sept. 



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Referate und Besprechungen. 


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narium, Entfernung des Bodens und Durchschlagen der Decke nach der 
Hypophyse zu; bisher nur an der Leiche erprobt. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Bogojawlensky (Wladimir), Intrakranialer Weg zur Hypopliysls cerebrl durch 
die vordere Schädelgrube. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 7.) 

Der transnasale Weg nach Schloffer, der bei der Operation der Akrome¬ 
galie bisher meist benutzt wurde, ist technisch sehr schwierig und nicht 
aseptisch. Der intrakraniale Weg ist wenig benutzt worden; alle so gemach¬ 
ten Operationen sind mißlungen oder nicht beweiskräftig gewesen. Die 
Sella turcica von der mittleren Schädelgrube zu erreichen, ist gefährlich 
wegen der starken Anhebung des Gehirns und leichter Möglichkeit der Be¬ 
schädigung des Sinus cavernosus; dagegen bietet der Weg durch die vor¬ 
dere Schädelgrube diese Gefahren nicht; bisher wurden 2 Fälle auf diese 
Weise operiert, von denen der eine bald nach der Operation starb, der 
andere zwar genesen ist, aber nicht als Beweis für die Tauglichkeit dieses 
Weges dienen kann; Verfasser teilt einen dritten, zweizeitig operierten 
Fall mit gutem Erfolg mit. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Grekow (St. Petersburg), Motorische Insuffizienz des Magens auf der Basis 
von Perigastritiden gonorrhoischer Provenienz. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 4.) 

Neben den gewöhnlichen Ursachen der Perigastritiden kommen peri- 
tonitäscho Verwachsungen in Betracht, die durch eine diffuse Peritonitis 
oder Cholezystitis von entfernter liegenden Organen her entstanden sind, 
wobei die Infektionserreger eine relativ schwache Virulenz besessen- haben 
müssen; in dieser Beziehung ist besonders der Gonokokkus geeignet, zu 
solchen Prozessen zu führen, und speziell bei Frauen ist diese Ätiologie 
bei der Beurteilung von Perigastritiden unbestimmter Provenienz ins Auge 
zu fassen. Schilderung des Bildes der Magenerweiterung infolge von 
gonorrhoischer Peritonitis und Mitteilung zweier einschlägiger Fälle. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Lauper, 0. J. (Interlaken), Zur Operation des perforierten Magen- und 
Duodenalgeschwüres. (Zentralblatt für Chir. 1912, Nr. 9.) 

L. glaubt, daß in Fällen, in denen wegen hochgradiger kallöser oder 
brüchiger Veränderung der Perforationsöffnung die Verschlußnaht nicht mög¬ 
lich ist, Gastroenterostomie neben einfacher Tamponade des Geschwürs zur 
Heilung genügen kann, und teilt als Beleg hierfür einen so geheilten 
Fall mit sowie einige andere, in denen verschiedenartig vorgegangen war, 
um die je nach den anatomischen Einzelheiten, den lokalen und allgemeinen 
Bedingungen variierende Behandlung zu demonstrieren. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Krogius (Helsingfors), Wie können wir zur Einigung in der Appendizitis- 
frage gelangen! (Münch, med. Wochenschr. 1912, No. 12.) 

Der Verfasser sucht in diesem Aufsatz eine Formel zu finden, von 
der aus man mit Sicherheit die Frage entscheiden könne, welche Appendi¬ 
zitisfälle sollen operiert werden, welche nicht. Er stellt folgende Merkmale 
auf: Fälle, die akut einsetzen, sich dann aber vom zweiten Tage an zur 
Besserung neigen, solle man intern weiter zu behandeln versuchen. Fälle, 
die nach dem akuten Einsetzen in irgend einer Weise zur Verschlechte¬ 
rung führen (wiederholte Schüttelfröste, Schlechterwerden des Pulses, Ilöher- 
steigen des Fiebers, vermehrte Druckempfindlichkeit, stärkere und ausge¬ 
dehntere Bauchdeckenspannung), solle man unverzüglich dem Chirurgen über¬ 
geben. Er sieht dabei natürlich von den Fällen ab, wo die Krankheit 
mit den Symptomen einer Perforationsperitonitis einsetzt. 

Sein Motto lautet: die Appendizitis darf nicht schlimmer werden — 
dann gehört sie dem Chirurgen. 

Es wäre sehr schön — wenn diese einfache Formel ein Leitmotiv für 
das ärztliche Handeln brächte — immerhin gibt sie gewiß einen Anhalts¬ 
punkt für gewissenhafte Überlegung. Es ist ja so schön im Leben ein 
System zu haben — warum nicht auch in diesem Fall? Heißt es doch 
auch in der Medizin im übertragenen Sinne: Vom sichern Port läßt sich’s 
gemächlich raten. Schütze-Darmstadt. 


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Referate und Besprechungen. 


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Frankenstein, K. (Cöln-Kalk), Zur Schnitlführung bei Appendixoperatlonen. 

(Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 7.) 

Angesichts der häufigen Kombination von Appendix- und Adnexer¬ 
krankungen bei Frauen empfiehlt Verfasser bei Intervalloperationen prin¬ 
zipiell den Pfannenstielschen Faszienquerschnitt. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Bayer, C. (Prag), Anusplastik nacb Exstirpatio reeti. (Zentralbl. f. Chir. 
1912, Nr. 7.) 

Alle bisherigen Versuche der sekundären Analplastiken zur Beseiti¬ 
gung eines Anus sacral. post oper. carc recti sind meist sehr unbefriedigend. 
Das neue Verfahren besteht im wesentlichen in der Schaffung einer zirku¬ 
lären Hautumsiiumung um die neue Anusöffnung und hat in 3 Fällen gute 
Resultate ergeben. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Schmidt, J. E. (Würzburg), Über Ureterplastik. (Zentralblatt für Chir. 
1912, Nr. 1.) 

Mitteilung von. 3 Experimenten an Hunden über Autoplastik des unteren 
Ureterendes mit Hilfe eines* vesikalen Lappens, wie dies bereits Boari vor¬ 
geschlagen. Beim Menschen liegen die Verhältnisse nicht so günstig wie 
beim Hunde, weil die Blase nicht so frei beweglich und nur zu einem 
kleine fi Teil von Bauchfell überzogen ist. Immerhin könnte die Methode 
an der weiblichen Blase, die an sich größer ist, berücksichtigt werden, 
wenn die Tube, die als Ersatz hier in Frage kommt, nicht mehr zur 
Verfügung steht. M. Sclnvab - Berlin-Wilmersdorf. 

Eden, K. (Jena), Zur Behandlung der Luxatio peroneorum. (Münch, med. 
Wochenschr. 1912, No. 12.) 

In der Jenaer Klinik wurde in einem Fall von Luxation der Peroneal- 
sehnen dadurch ein gutes und anscheinend dauerhaftes Heilresultat er¬ 
zielt, daß nach einer Vertiefung der Malleolenrinne ein Stück aus der 
Sehne des Palmaris longus der Hand um die Peronealsehnen gelegt, eigen¬ 
artig verknotet und durch ein in den Malleolus gebohrtes Loch geführt 
wurde. Dort fand eine Verknotung beider Enden statt mit Vernähung, 
auch die Faszie der peronei wurde noch vernäht. Die Heilung erfolgte 
glatt, das Resultat war ein sehr gutes. 

Es wird hervorgehoben, daß die Faszie der peronei bei der Opera¬ 
tion sich als verändert erwies, was wohl durch frühere kleine Traumen zu 
erklären war. Eine vollkommen gesunde Faszie scheint kaum eine Luxa¬ 
tion zu gestatten, und diese Erkrankung ist an sich ja auch ein seltenes 
Vorkommnis. Schütze-Darmstadt. 

Bircher, E. (Arau), Abrißfraktur am Malleolus lateralis tlbiae posterior. 
(Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 6.) 

Im Röntgenbild läßt sich in manchen Fällen von „Distorsio pedis“ 
diese Fraktur, die analog der Abrißfraktur des Condyl. int. femoris ist, 
nachweisen. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Streissler, E. (Graz), Eine neue Methode der Resektion der Halsrippen von 
rückwärts. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 9.) 

Um die Schwierigkeiten der Operation der Halsrippe in der Fossa 
supraclavicul. zu vermeiden, operierte Verfasser zum erstenmal unter allen 
bisher bekannt gewordenen Fällen vom Nacken aus, allerdings nicht ohne 
einen zweiten Gegenschnitt vorne entbehren zu können; doch vollzieht sich 
auf diese Weise der schwierigste Teil des Eingriffes von rückwärts, so daß 
Nebenverletzungen (des Plexus, der Pleura) weniger zu befürchten sind. 
Der Weg vom Nacken her eignet sich nach Leichenversuchen auch zu 
Operationen an der ersten Rippe usw. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Gocht (Halle a. S.), Zur Verhütung der Drucklähmungen nach EsmarclPseher 
Blutleere. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 6.) 

G. benutzt als Unterlage für alle Abschnürungen am Bauch und Arm 
die sog. Faktiskissen, die man sich selbst hersteilen kann (Faktis 
ist ein fein zermahlenes Gummimaterial, das zur Polsterung der Bauchband- 
pelotten dient und in jedem Bandagengeschäft erhältlich ist). 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 



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Referate und Besprechungen. 


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Wolf, W T . (Leipzig), Zur Frage der Drucklähinungen nach Esmarch’scher 
Blutleere. (Zentralbl f. Chir. 1912, Nr. 2.) 

Veranlaßt durch eine Beobachtung von Lähmung durch Esmarchsche 
Konstriktion bei einem Luetiker warnt W. vor der Gummibinde bei Patien¬ 
ten mit Lues in der Anamnese. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Katzenstein, M. (Berlin), Bildung eines (Jelenkbandes durch freien Periost¬ 
lappen. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 6.) 

Bei einer chronischen Luxation im Kalkaneo-Navikulargelenk infolge 
Zerreißung des Ligam. tibiofibulare wurde ein Perjostlappen an einer Knochen¬ 
wundfläche des Malleolus, bezw. des Os naviculare angenäht; zur Verhütung 
von Knochenneubildung wurde der Lappen längsgefaltet und so zusammen¬ 
genäht, daß seine ossifizierenden Flächen bis auf die beiden, an die Knochen 
anzunähenden Enden aneinanderlagen; 7 Wochen Gipsverband in Varus- 
stellung des Fußes; danach normaler Halt und normale Stellung desselben. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Hübscher, C. (Basel), Zur Verhütung des Muskelschwundes nach Gelenk¬ 
verletzungen. (Zentralbl. f. Chir. 1912. Nr. 5.) 

Anstelle des Sommerschen Vorschlags, bei Verletzungen der unteren 
Extremität Elektroden mit einzugipsen, um bei geschlossenem Verbände die 
Muskulatur zu faradisieren, empfiehlt Verfasser das einfachere Verfahren, 
den Patienten im Verbände die Muskeln kontrahieren zu lassen, ohne daß 
Gelenkbewegungen dabei ausgeführt werden. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Vulpius (Heidelberg), Über die Behandlung des KlumpfuQes. (Klin.-therap. 
Wochenschrift 1911, No. 48.) 

Eine meist sehr schwierige Aufgabe für den Orthopäden stellt die Be¬ 
handlung des Klumpfußes dar. Vulpius behandelt auf Grund seiner per¬ 
sönlichen Erfahrung an mehr als zweitausend Fällen das Vorgehen, das 

dieser Deformität gegenüber angebracht erscheint. Er hebt hervor, daß 
er möglichst mit der adressierenden Behandlung 3—4 Monate nach der 
Geburt beginnt. Er erörtert dann in großen Zügen erst die sogenannte 

unblutige Methode mittels manueller Manipulationen, an die sich Binden¬ 
wicklungen, Schiene, Gipsverband usw. anschließen, meist unter not¬ 
wendiger Tenotomie der Achillessehne. Leider kommt oft dann noch die 

blutige Behandlung in Frage, die sich auch bei älteren Kindern fast stets 
nötig macht, bestehend in Durchtrennung geschrumpfter Weichteile Ex- 
kochleation des Talus usw. Es empfiehlt sich, die Arbeit im Original zu 
studieren. Schütze-Darmstadt. 

Cblumsky, V. (Krakau), Ein neuer Beitrag zur Ätiologie der Skoliose. (Zen¬ 
tralbl. f. Chir. 1912, Nr. 7.) 

Die Lagerung des Foetus im Mutterleib spielt eine wichtige Rolle 

bei der späteren Entwicklung der Skoliosen. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Heidenhain, L. (Worms), Laminektomie in Lokalanaesthesie. (Zentralbl. f. 
Chir. 1912, Nr. 9.) 

Auch bei Laminektomie, hat H. bis jetzt viermal die Braunsche Lei¬ 
tungsanästhesie, die bei dieser Operation keinem anderen gelungen ist, mit 
Erfolg verwendet; V 2 Stunde vor der Operation wurde stets 0,01 Mo gegeben. 

Mj Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Käppis, M. (Kiel), über Leitungsanaesthesie bei Nierenoperationen und 
Thoraxplastiken überhaupt bei Operationen am Rumpf. (Zentralbl. f. Chir. 
1912, Nr. 8.) 

Schilderung der Technik der Leitungsanästhesie an der Kieler chir. 
Klinik bei Nieren- und Thoraxoperationen. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Schumacher, E. D. (Zürich), Zur Technik der Lokalanaesthesie bei Thorax¬ 
plastiken. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 8.) 

Schilderung der Technik an der Züricher chir. Klinik, vor der Opera¬ 
tion wird noch 0,02 Mo oder 0,03—0,04 Pantopon gegeben. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 


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Referate und Besprechungen. 


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Colmers, (Gotha), Über Pantopon-Skopolamin-Lokalanaesthesie bei Baueh¬ 
operationen, insbesondere bei der Appendektomie. (Zentralbl. f. Chir. 1912, Nr. 8.) 

Diese Methode zur Vermeidung der allgemeinen Narkose wurde von 
C. bisher bei 26 Appendektomien, 2 Nierenoperationen, 2 transvesikalen 
Prostatektomien, meist mit befriedigendem Erfolg, stets ohne Schädigungen 
von seiten des Skopolamins, wie solche von Brunner berichtet wurden, 
duichgeführt. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Kapferer, Richard (Bremen), Über die prophylaktische Therapie der 
Eklampsie von Stroganoff. (Wiener klin. Rundschau 1912, No. 2—6.) 

Bei der Behandlung der Eklampsie ist in letzter Zeit die Chirurgie 
an der Tagesordnung gewesen. Sectio caesarea und Decapsulatio renura 
traten in ihre Rechte. Die Statistik dieser Ära spricht eine ernste Sprache, 
so betrug z. B. in Mecklenburg die Sterblichkeit in den Städten 28 o.», 
auf dem Lande 45 o.o, in Baden hat mau insgesamt 23,7 »<. Mortalität 
herausgerechnet, — Wie nun in der Medizin oft genug das alte der Feind 
des neuen ist, vertritt seit einiger Zeit der bekannte Petersburger Get- 
burtshelfer Stroganoff das Prinzip der ab wartenden Behand¬ 
lung unter Chloralhydrat - Morphium - Narkose. — Das Ver¬ 
fahren ist einfach und soll angeblich die Mortalität der Mütter bis auf 
2<»o herabdrücken. Es verlohnt sich mithin für den praktischen Arzt, der 
Methode Stroganoffs seine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Idee ver¬ 
dankt ihren Ursprung folgenden Erwägungen: Die schweren Veränderungen 
im Zentralnervensystem werden erst durch die Krampfanfälle hervorge- 
rufen, die Eklampsie ist aber nur eine kurzdauernde Krankheit, daher 
muß unser Bestreben auf die Verhütung der Konvulsionen gerichtet sein. 
Neben Vermeidung aller äußeren Reize, die schon bei geringster Intensi¬ 
tät die Krämpfe steigern, muß so viel Chloral gegeben werden, daß keine 
Anfälle mehr auftreten, ohne daß die Narkose eine lebensgefährliche Tiefe 
erreicht. Dazu genügen ca. 6,00 g pro die, nur ausnahmsweise steigt man 
auf 8,00 g und zwar planmäßig in bestimmten Abständen, nicht nach, 
sondern schon vor dem Anfalle. Das Morphium hat auf die Krämpfe keinen 
Einfluß. Es wird nur am Anfang der Behandlung zur Herabsetzung der 
Empfänglichkeit für Schmerzeindrücke und zur Erzielung, von Schlaf inji¬ 
ziert. Der Zweck des Verfahrens ist also die Kranken derart unter die 
Wirkung der Narkotika zu bringen, daß weder durch äußere noch durch 
innere Reize die Reizschwelle zur Auslösung von Konvulsionen überschrit¬ 
ten wird. — Die Behandlung der Eklampsie mit Narkotizis ist schon seit 
Jahrhunderten geübt, wären die Erfolge befriedigend gewesen, so hätte 
man wohl kaum jemals zum Messer gegriffen, um den Nasciturus an das 
Licht der Sonne zu befördern. Das mahnt zur Vorsicht, aber die Zahlen 
die Stroganoff aus einem weitschichtigen Materiale berechnet und die 
Energie, mit welcher er sein Verfahren in immer weitere Kreise der Arzte 
hineinträgt, machen es zur Pflicht des Praktikers, die Methode gewissen¬ 
haft zu prüfen. Steyerthal-Kleinen. 


Psychiatrie und Neurologie. 

Skörcxewski und Wasserberg, Besteht ein Zusammenhang zwischen d« 
Reizung des Nervus vagus und des Nervus sympathicus einerseits und der unter 
der Wirkung spezifischer Gifte veränderten Zusammensetzung des Blutes andrer¬ 
seits? (Zeitschr. f. experimentelle Pathologie u. Therapie 1912. Bd. 10. H. 2 
S. 331.) 

Die Reizung der freigelegten Nervenstämme des Vagus und Sym¬ 
pathikus hat ein negatives Resultat im Sinne einer Wirkung auf die Blut¬ 
zusammensetzung ergeben. K. Boas-Straßburg i. E. 

Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 



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URBANA-CHAMPAIGN J 



30- Jahrgang 


1912. 


Tortscbrittc der Medizin. 

Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner 

herausgegeben von 

Prof. Dr. 0. Köster Prip.-Doz. Dr. o. Criegern Prof. Dr. 5. Vogt 

in Leipzig. in Leipzig. in Wiesbaden. 

Schriftleitung: Dr. Rigler in Darmstadt, Grüner Weg 86. 


erscheint wöchentlich sum preise von 8 (Darb für öas 
Balbjabr. 

Nr. 26. Carl Marhold Verlagsbuchhandlung, Hallea.S 27. Juni. 

Alleinige Inscratcnannabme durd) (Dax Gelsdorf, 

Annoncen-Bureau, €berswalfte bei Berlin. 


Originalarbeiten unö Sammelberichte. 


Die Furcht, ihre Herkunft und Heilung, sowie ihre Bedeutung 
für Erkrankung und Genesung. 

Von Sanitätsrat Dr. 31. Brestren. Wiesbaden. 

In jedem Menschen den Menschen achten, 

Heisst: Duldsam sein und niemals sich fürchten! 

Die Furcht ist etwas Furchtbares, Fürchterliches, Schreckliches, 
Schauerliches, Grausiges, Grauenhaftes! — Es ist merkwürdig, wie in 
fliesen Ausdrücken infolge ihres Wortklanges an sich schon das Ge¬ 
präge der Furcht aufs deutlichste sich ausspricht. Sie gehen alle mit 
unzweifelhafter Sicherheit „auf die Nerven“. Da sind wir als Aerzte 
natürlich verpflichtet, in erster Linie den Menschen von der Furcht 
zu befreien. Denn belastete „Nerven“ sind unbedingte Hindernisse der 
Genesung. 

Wer fürchtet, hat kein reines Gewissen, sei es nun, dass dies Emp¬ 
finden der Seele berechtigt ist, sei es, dass durch kirchlichen oder an¬ 
deren Glaubenszwang die Seele vergiftet, in ihrer Empfindung krank 
gemacht ist. Wer etwas gedacht, getan oder sonst irgendwie zur Geltung 
gebracht hat, was in seinen Beweggründen nicht frei von Selbstsucht, 
nicht rein von unsauberen Absichten, nicht auf strenger Wahrhaftigkeit 
beruhend empfunden wird, der fürchtet natürlich die Folgen und die¬ 
jenigen, die es angeht, denen man zum eigenen Nutzen Abbruch zu tun 
sich bemüht hat. Und wenn man nun gar von der Kinderstube her 
das Fürchten vor Nichtigkeiten hat lernen müssen, dann ist es doppelt 
traurig für die Befallenen bestellt. Denn sie werden in ihrer Seele 
auch ohne eigene Schuld in der aufreibendsten Weise hin- und her- 
geworfen. 

Das Kind kommt ohne jede Furcht zur Welt. Wenn unter den 
von seinen Ahnen ererbten Eigenschaften dennoch auch ein schwacher 
Abglanz von Furcht angenommen werden darf, so ist dieser doch von 
vornherein immerhin eine schlummernde Eigenschaft, die durch Ver¬ 
meidung ihrer Stärkung, besonders im frühesten Kindesalter — wie 
auch andere Eigenschaften — zur vollkommenen Ausschaltung gebracht 
werden kann. Dieses Ziel kann sogar in jedem Alter mit Sicherheit er¬ 
reicht werden; es dauert nur um so länger, je mehr die Eigenschaft der 
Furcht in der Seele gepflegt, gestärkt, befestigt worden ist. Aber die 

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Bresgen, 


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Heilung der Seele von der Furcht ist eine unbezweifelbare Möglichkeit 
und durchaus nötig zu seelischer und körperlicher Gesundung. 

Der Urgrund der Furcht liegt überhaupt in fehlerhafter Erziehung. 
Wenn der Mensch mit seiner Erziehungskunst sich am Ende fühlt, 
wenn er es nicht versteht, in dem werdenden Verstände des Kindes, in 
der Entwicklung seiner Seele 1 ) sich zurecht zu finden, wenn es dann zu 
Misshelligkeiten kommt und das Kind immer mehr erregt und auch 
„unartig“ wird, sowie im Bewusstsein seines Rechtes sogar den Ge¬ 
horsam weigert, dann wird nur zu leicht die Zuflucht zu Einschüchte¬ 
rungen genommen: dem Kinde wird das Fürchten immer mehr aner¬ 
zogen ! Aber dieses geschieht auch noch dadurch, dass Erwachsene 
mit unfreiem Wesen auf das Kind allmählich einen solchen Eindruck 
machen, dass es infolge des angeborenen Nachahmungstriebes deren 
ängstliches Gebahren mehr und mehr annimmt. Einmal ängstlich ge¬ 
macht, geht dem Kinde keine Gelegenheit verloren, die erwachte Furcht 
zu stärken. Wie beim ängstlichen Erwachsenen Unkenntnis der na¬ 
türlichen Folgen allen Geschehens leicht Furcht auslöst, so auch beim 
Kinde. Der Furcht folgt dann die Feigheit, die Folgen eigener Hand¬ 
lungen so zu tragen, dass die ersteren in denkbar bester Weise bewältigt, 
die letzteren für die Zukunft möglichst ausgeschaltet werden, indem man 
sich deren unliebsame Folgen zur Lehre und zum Besten dienen lässt. 

Und die grösste Furcht unter den Menschen, die ihr ganzes Leben 
sogar förmlich verwüsten kann, welche ist es ? Die Furcht vor dem 
Tode! Wenn ihnen einmal ein Totenwagen begegnet, so werden sie 
blass, ihre Gedanken verwirren sich; und wenn sie gar auf dem Fried¬ 
hofe einem Toten die letzte Ehre erweisen müssen, so haben sie gleich 
Angst auch um ihr eigenes Leben! Ja, sogar allein vor dem Gedanken 
an den Tod fliehen sie mehr als vor dem grössten Laster! „Man könnte 
den Menschen zum halben Gott bilden, wenn man ihm durch Erziehung 
alle Furcht zu benehmen suchte. Nichts in der Welt kann den Men¬ 
schen sonst unglücklich machen, als bloss und allein die Furcht. Das 
Uebel, was uns trifft, ist selten oder nie so schlimm, als das. welches 
wir befürchteten“ (S c h i 11 e r). 

Weshalb nun ist die Furcht vor dem Tode unter den Menschen so 
weit verbreitet ? Ist es die Selbstsucht, die noch dieses und das er¬ 
leben, ausführen oder sich unterwerfen möchte ? Solches mag oft im 
Spiele sein: aber mehr als alles andere spielt doch wohl die Ungewissheit 
über das, was nach dem leiblichen Tode hereinbrechen könnte, die Haupt¬ 
rolle. Es gibt für uns Menschen so unendlich viel Dinge, die wir nicht 
zu enträtseln vermögen, aber auch so viel Geschehnisse, deren Ursachen 
uns augenblicklich noch unbegreiflich erscheinen, dass ein hoher Bil¬ 
dungsgrad unserer Seele dazu gehört, um gewiss zu sein, dass alles 
Geschehen uns nur insofern zu schrecken ver¬ 
mag, als wir es fürchten. Der Aberglaube ist der Feind 
des Glaubens, der Glaube aber ist das religiöse Bewusstsein, durch das 
unser Seelenfrieden vor Störungen aller ausser uns wirkenden Gewalten 
bewahrt wird, sofern die Seele selbst sich frei fühlt in der stets freu¬ 
digen Unterordnung unter die alles beherrschenden Naturgesetze. Und 
diese Naturgesetze, der Gott des menschlichen Herzens, der Vater-, 

*) Ich muß liier auf meinen Aufsatz verweisen: „Seele und Körper, ihre Ent¬ 
wicklung und ihre Wechselbeziehungen zu einander.“ Fortschritte der Modizin 1912. 
Xr. 14. 


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Die Furcbt, ihre HerkuDft und Heilung, usw. 


soa 

der Art-Wille gegenüber dem Selbst-, dem Einzel-Willen, sind für uns 
Menschen durchaus nichts Ungünstiges, sondern uns wesensverwandt; 
sie verpersönliehen sich im „gütigen Vater“, im das Weltall „liebenden“ - 
Gott, — sofern wir unseren Willen unterordnen dem Naturwillen, m i t 
ihm wirken in unserem täglichen Denken und Arbeiten, unseren Einzel¬ 
willen zugunsten des A r t w i 1 1 e n s übergehen lassen in den „gütigen 
Vaterwillen“. Weshalb sollen wir uns nicht demütig beugen vor dem 
uns unbegreiflichen, undurchschaubaren Gebäude des Weltalls, wes¬ 
halb uns nicht in Bewunderung demütigen vor der Unermessliehkeit 
alles Geschehens ? Vor wem demütigen wir uns denn da ? Doch nur 
vor den uns Ehrfurcht') einflössenden Gesetzen der gesamten Natur, mögen 
wir sie nun verpersönliehen und Gott oder Vater nennen, oder unper¬ 
sönlich in ihnen das Artwollen, den Vaterwillen, empfinden! Was gött¬ 
lich in uns ist, was dem A r t w o 1 1 e n entspricht, es trügt über allen 
beschränkten Sinn, über alle Selbstsucht schliesslich doch den Sieg 
davon. „Einen Mann kann nichts aufhalten auf seinem Wege, wenn 
er nur seine eigene Torheit zu überwinden weiss.“ 2 ) In der festen 
Zuversicht, dass im ganzen Weltall nichts Uebelwollendes uns entgegen¬ 
steht, sondern dass wir allein infolge unnatürlichen, ungesetzlichen 
\Völlens solches hervorrufen, kann keine Furcht uns beherrschen. Wer 
erst das Wechsel Verhältnis von Ursache und Wirkung begriffen, wer 
erst empfunden hat, dass alle Nöte der Seele und des Leibes, also alle 
Nöte des Lebens auf ganz natürlichen Gesetzen beruhen, wer also ohne 
Eigennutz die Arbeit seines Lebens vollbringt und die Freude seines 
Lebens in der Arbeit für die Gesamtheit empfindet, w e m demnac h 
das A r t w o 11 e n über seinem eigenen persönlichen 
Wollen steht, der hat in seinem frohen, freudigen Herzen alles 
Fürchten verloren, dem ist die mit Frohsinn und HolTnungsfreudigkeit 
durchgeführte Lebensarbeit das Vergnügen des Lebens geworden. 
Hier gibt sich das wahrhaftige Erleben höchsten Glückes kund: zu in 
Denken und Sprechen hat sich die Tat g e s e 1 111 

Die Tat also gibt erst dem Denken und Sprechen die fruchtbare 
Weihe, die Tat, gehören aus dem vollen Verantwortlichkeitsgefühl, 
veredelt durch das Erleben der Notwendigkeit, allezeit und allerorten 
mit furchtloser Entschlossenheit zu vertrauen auf die unerschöpfliche 
Kraft und rückhaltlose Wahrhaftigkeit unserer göttlichen Seele! Aber 
„nur fortlaufende, zweckentsprechende Uebung des Geistes und des 
Körpers bietet Gewähr nicht nur für Erhaltung, sondern auch für Ver¬ 
mehrung und Veredlung ihrer Kräfte“, 8 ) wie „körperliche Untätigkeit 
die Elastizität des Geistes ebenso wie jene der Gewebe schwächt“. 4 ) 

Furcht hemmt. Frohsinn fördert jede Tätigkeit, besonders auch 
die der Seele. Mit der Ausschaltung der Furcht tritt also eine um so 
erspriesslichere Tätigkeit ein, je allgemeiner, je sicherer jene erzielt ist. 
Wie der schlummernde Keim der Furcht geweckt, wie diese mehr und 
mehr entwickelt wurde, so muss durch Ausschaltung der zur Geltung 

*) „Ehrfurcht ist ein Zeichen stiller Kraft, nicht von Schwäche.“ Heinrich 
Lhotzky in „Leben“ VII. Bd. 4. Heft. S. 184. 

2 ) Will Vesper, Parzival. S. 404. Bücher der Rose 15. Ebenhausen. 
W. Langewiescho Brandt. 

J ) M. Bresgen, Die ärztliche Beeinflussung des Kranken. Leipzig 1911. G. 
Thieme. S. 45. 

*) F. Buttersack, Die Elastizität eine Grundfunktion des Lebens. Stutt¬ 
gart 1910. F. Enke. S. 164. 70. 

51* 


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804 


Bresgee, 


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gekommenen Ursachen die Furcht von der Seele wieder losgelöst werden; 
sie muss infolge von Entkräftung wie von selbst von der Seele wieder 
abfallen. Nicht mit der unerbittlichen Schärfe des Verstandes, nicht 
mit der rohen Gewalt des Willens ist die Furcht aus der Seele zu bannen; 
Selbstbeherrschung darf nicht zur Selbstqual werden! Wolil kann man 
mit solcher Selbstbeherrschung Augenblicks-Erfolge erringen; Dauer- 
Erfolge aber werden es nie! Immer wieder und wieder stellt sich die 
gleiche Not ein, weil sie nie bezwungen, sondern nur beiseite geschoben 
wurde. Bezwungen kann eine Not nur wurden, wenn ihre Ursachen 
beseitigt, ihre Beweggründe ausgeschaltet werden. Das sind Forderungen 
des Augenblicks, denen nur der Furchtlose, nicht aber der Kraftlose 
gerecht zu werden vermag. Furchtlose Entschlossenheit aber bannt 
selbst den tollsten Spuk, bewältigt in jeder Lebenslage die um Geltung 
ringende Not durch Beachtung und Verwertung der von ihr gegebenen 
Lehren und stählt dadurch die Seele zur Bekämpfung und Ausschal¬ 
tung aller folgenden Nöte, ohne doch durch rohe Selbstbeherrschung 
kalt und hart zu werden im Kampfe des Lebens. 

Und die Wirkung solcher Erfolge ? — Wer jemals reines, i n n e res 
Glück empfunden, erlebt hat, kennt auch die hohe, mit ihm verknüpfte 
Kraft des Geistes und des Körpers, ist sich bewusst geworden jene' 
„göttlichen“ Wirkens, das man vergebens zu „erkennen“, zu „beweisen“ 
sucht, das sich nur schenkt, indem man seiner natürlichen Kraft Vor¬ 
urteils- und voraussetzungslos sich hingibt; es lässt sich nur empfinden 
in seinem Einflüsse auf unser Denken, unser Handeln, auf die Erweckung 
unseres Art-Bewusstseins und auf das Versinkenlassen unserer Selbst¬ 
sucht. Es offenbart sich in uns, indem wir „in Anerkennung mensch¬ 
licher Unzulänglichkeit gegenüber den letzten entscheidenden Rätseln“ *) 
mit wahrer Demut, mit Demut ohne Eitelkeit, das Unerforschliche dem 
Unerforschliehen überlassen. 

Dies Vertrauen auf die unterschiedslos für alle vollkommen gleich 
wirkenden Naturgesetze, dies „Erleben Gottes“ in unserer Seele, nimmt 
uns alle und jede Furcht, gibt uns dafür aber ein unbegrenztes Ver¬ 
antwortlichkeits-Gefühl gegenüber unserem Denken, Tun und Geschehen- 
lassen, ein sicheres Empfinden für wahrhaftiges Verhalten. In 
dem Bewusstsein, für alle Folgen allein verantwortlich zu sein, erwächst 
uns gleichzeitig auch die Macht und die Kraft, unserem Sinnen und 
Trachten solche Richtung zu geben, dass wir etwaigen Nöten mehr und 
mehr gerüstet und erfolgreich gegenüber zu treten vermögen. 

So verlieren wir jede Furcht, alle Sorge. Unser äusseres Leben 
baut sich immer auf unserem inneren auf, setzt sich ein, um dieses zu 
gewinnen. „Wer an seinem äusseren Leben um seiner Vergnügungen 
und Vorteile willen klebt, kommt aus der Sorge nicht heraus; 
denn es sind Aeusserlichkeiten, die den Menschen dabei beschäf¬ 
tigen, die durch zahlreiche Zufälligkeiten in anderer Richtung, ab 
menschliche Voraussicht und Macht vermag, zur Wirkung und 
Geltung gebracht werden können. Auf solch’ schwankendem 
Boden kann keine wahre Lebensfreudigkeit gedeihen, weil sie von 
Sorge um die Erhaltung des Lebens ununterbrochen erfüllt ist. Wer 
dieses Leben retten möchte, muss sich notwendig in der Wahl der 
Mittel vergreifen, weil er von falschen Voraussetzungen ausgeht, weil 

l ) Karl Ludwig Schleich, Von der Seele. Berlin 1910. Fischer. Ver¬ 
lag. S. 131. 


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Die Furcht, ihre Herkunft und Heilung, usw. 


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er über dem Eifer, Liebgewordenes zu bewahren, versäumt, der Krank¬ 
heit der Seele wirksam entgegen zu treten. Ein Leben, das nur aus 
der Sorge um seine Erhaltung besteht, lohnt sieh nicht zu leben. Die 
blasse Furcht lässt die Lebenskraft immer mehr schwinden. Das 
Leben mit den Leidenschaften muss also weggeworfen werden, damit 
ein neues Leben gewonnen wird, das allen Mitmenschen nütze: erst 
das Wegwerfen der Eigenliebe, der Selbstsucht, der Rechthaberei, 
erst das Finden der wahren Liebt* zu allen Mitmenschen um des in 
jedem von ihnen enthaltenen Göttlichen, Guten willen, begründet die 
Fruchtbarkeit des Lebens eines jeden, bedingt das Wiederfinden des 
Lebens, heisst das Leben gewinnen, heisst gesund werden und sein“. 1 ) 

So darf also das Leben selbst nicht als ein Vergnügen angesehen 
werden; denn es ist Arbeit, ernste Arbeit, die aber doch mit Frohsinn 
und Hoffnungsfreudigkeit getan werden muss, soll sie zuversichtlich 
als das ersehnte „Vergnügen“ sich ausweisen. Die ganze Menschheit, 
der Staat als nationale Gemeinschaft, muss teilhaben an den Früchten 
der Arbeit der Einzelnen wie ganzer Geschlechter, gegenwärtiger wie 
vergangener Zeit. Das allein sind Dauer -Erfolge, 
die der Erziehung der Seele und des Körpers zu 
wahrer Gesundheit, zu furchtloser Wahrhaftig¬ 
keit. sich selbst und anderen gegenüber e r - 
f 1 i e s s e n. 

Allerorten regt sich wahrhaft religiöser, nicht beschränkt-kirchlicher, 
Sinn in unserem Volke. Suchen wir solches Empfinden überall zu ver¬ 
tiefen, so verbreiten wir es auch und schaffen immer günstiger werdende 
Bedingungen zur Beseitigung der „Furcht“, zur Ausbreitung zuver¬ 
sichtlicher Wahrhaftigkeit und zur Erziehung von Persönlichkeiten ohne 
Eigennutz. Solchem Wollen fehlt nie die göttliche, die alles umfassende 
Kraft, nie das Gelingen, nie das frohe Herz und die dankerfüllte Seele! 

Dem Arzte aber weitet sich dabei das innere Auge um so mehr, 
je nachhaltiger er mit den Forschungen über die „innere Sekretion“, 
die Bedeutung gewisser innerer Organe zueinander sowie zu einzelnen 
Körper-Verrichtungen überhaupt, ferner über die sog. Anaphylaxie, 
die Eiweiss-Ueberempfind lichkeit, sich bekannt zu machen trachtet.*) 
Wie wird doch durch die Furcht vor Krankheit, vor dem Tode der Körper 
in allen seinen Teilen erschüttert und geschwächt! Wie anders wirkt 
Frohsinn und Zuversicht auf die Erhaltung grösserer Widerstands¬ 
kraft gegenüber krankmachenden Einflüssen; sie halten die Seele frei 
von der kräfteverzehrenden Sorge und vermehren so die Aussicht, 
den krankgewordenen Körper wieder zur Gesundheit zurückführen zu 
können. So wird des Körpers natürliche Widerstandsfähigkeit 
bewahrt und gehoben, dem kranken Zustande aber Abbruch getan. 
Und die natürliche Widerstandsfähigkeit besteht in nichts anderem 
als in voller Betriebs-Tüchtigkeit aller seiner Organe. Diese leidet aber 
Not, wenn die Seele, von Furcht beherrscht, durch ungünstige Beein¬ 
flussung des Kreislaufes 3 ) zur Schwächung des Körpers den Grundstein 

*) Bresgen, Die ärztliche Beeinflussung. S. 66 f. 

*) Einen vorzüglichen Übersichts-Aufsatz von A. Schittonhelra Eiweiß- 
Abbau, Anaphylaxie und innere Sekretion“ findet man in der deutschen medizin. 
Wochenschrift 1912. Nr. 11. S. 489—494. 

*) Man vergleiche hierzu auch meine Ausführungen über den Sympathikus in 
meinem Aufsatz „Seele und Körper, ihre Entwicklung und ihre Wechselbeziehungen 
zu einander. Fortschritte der Medizin 1912. Nr. 14. 


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v. Niefsl-Mayendorf. 


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legt. Auf Schwächung des Körpers oder einzelner seiner Teile beruht 
aber die Möglichkeit, von krankmachenden Ursachen mehr oder weniger 
stark befallen zu werden. 

So kann es keinem /.weifel unterliegen, dass der Mensch krank, 
dass er kraftlos ist, weil ihn die Furcht beherrscht. Darum muss man 
als Arzt den ,,ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“ in erster 
Linie in der Befreiung von der Furcht erkennen! 


Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 

II. Teil. 

Von v. N'lessl-Mayendort. 

(Schluss.) 

M. H.! Ich ergreife aus Anlass der Behandlung des paralytischen 
Grössenwahns die Gelegenheit, Sie mit den Grundsätzen bekannt zu 
machen, welche Sie im Verkehr mit Kranken zu beobachten haben, 
welche an Wahnideen leiden. Der erste und vornehmste ist nun der. 
dass Sie den sich Ihnen eröffnenden Kranken durchaus ernst 
nehmen. Nicht ein Miene Ihres Antlitzes darf sich zum Lächeln 
verziehen, Sie müssen im Gegenteil durch Ihr ganzes Benehmen zeigen, 
dass Sie von der hohen Bedeutung, welche der Kranke den Ihnen mit¬ 
geteilten Tatsachen beilegt, überzeugt sind. Demgemäss haben Sie 
ihm geduldig und aufmerksam zuzuhören. Dies passive Verhalten ist 
weit wichtiger als das aktive. Lieber schweigen, als belehren wollen. 
Sie dürfen nie vergessen, dass die Welt des Kranken eine ganz 
andere ist, als die Ihrige, dass die Wahnideen in dem geistigen Zu¬ 
sammenhang nur Ihre r Psyche mit dem Erfahrungsinhalt unver¬ 
einbar sind, dass daher ein Ueberreden, d. h. ein Hinüberführen zu 
ihren Gedankengängen auf dem Wege des logischen Zwanges unmöglich 
ist. Die Wahnidee ist für den Kranken das notwendige Endglied einer 
geschlossenen Kette logischer Verbindungen. Die Erkenntnis von dem 
Alogischen der Wahnidee in seiner krankhaft veränderten 
Welt ist ihm ebenso undenkbar als uns das Verständnis derselben 
verschlossen ist. Das Missverständnis des Laien oder des unkundigen 
Irrenarztes, welcher durch Ueberredung die krankhaft veränderte Welt 
wieder einzurenken und den Wahn zu heilen glaubt, beruht darauf, 
dass er nur ein logisches Uebersehen, einen Denkfehler vor sich zu haben 
vermeint, dessen Korrektur leicht gelingen müsse, während tatsächlich 
eine abnorme Gefühlsbetonung die Richtung der Logik 
bestimmt, die an sich normal, mit veränderten Werten arbeitet. Die 
verschiedene Gefiihlsbetontheit der Gedankengänge führt schon unter 
Individuen mit einer geistigen Bildung noch innerhalb physiologischer 
Breite zu Meinungsverschiedenheiten und auseinandergehenden Ur¬ 
teilen trotz des Besitzes derselben Kenntnisse. Es versteht oft einer 
das Handeln des anderen nicht. Das „Deuten“ einer Wahrnehmung 
beruht auf einer Wahl von Vorstellungen, ist demnach nicht durch die 
Logik bestimmt, sondern von einem subjektiven Faktor abhängig, 
man müsste denn diesen selbst in die Logik mit einbeziehen, wodurch 
jedoch assoziative Vorgänge verschiedenen Ursprungs, das eine Mal 
durch das Moment der Gleichzeitigkeit, das andere Mal durch das¬ 
jenige der stärksten Gefühlsbetonung eingeleitet, zusammengeworfen 
würden. 


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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


807 


Ein Irrtum wird nun nicht bloss dadurch korrigiert, dass sich 
die nach dem Gesetze der Gleichzeitigkeit wirklich zusammengehörigen 
Vorstellungsgruppen assoziieren, sondern auch dadurch, dass die zu asso¬ 
ziierenden Vorstellungsgruppen ihren normalen Gefühlswert behalten. 
Ist dieser krankhaft verändert, so reicht das 
M o m ent der Gleichzeitigkeit zur Bindung nicht 
mehr hin. Es werden vielmehr Verbindungen nach der Qualität 
der Gefühlsbetontheit geschlagen, wodurch das art sich gesunde Urteil 
von dem normalen Wege der Assoziationen abirrt. Wenn ich von dem 
Glauben durchdrungen bin, eine ferne weilende, geliebte Person habe 
durch einen Unfall das Leben verloren und ich sehe nun dieselbe kör¬ 
perlich vor mir, so wird diese Wahrnehmung mit einem Gefühl der 
Erleichterung und inneren Befreiung für mich einhergehen. Die leib¬ 
liche Erscheinung des Totgeglaubten wird das Gefühl der Trauer ver¬ 
löschen, weil durch sie nicht nur die Erinnerung an den Lebendigen 
wachgerufen, sondern auch die Freude wiederkehrt, welche diese Er¬ 
innerung begleitet. Wenn hingegen dieser Glaube eine Wahnidee ist, 
dann wird zwar die gewohnte Identifikation von Wahrnehmung mit 
Erinnerung anstandslos vor sich gehen, es wird aber die Freude aus- 
bl?iben, weil das Gehirn durch krankhaft organische Veränderung un¬ 
fähig geworden ist, frohe Gefühle zu produzieren. Durch einen na¬ 
türlichen Schluss wird die Identifikation verhindert, da die mit Trauer 
assoziierte Wahrnehmung der mit der Freude assoziierten Erinnerung 
nicht entspricht. Obgleich nun die Wahrnehmung ganz korrekt ge¬ 
macht wird, wird die Person nicht erkannt, sondern nur für eine ähn¬ 
lich aussehende fremde Person gehalten. 

Dass tatsächlich die Unfähigkeit des erkrankten Vorderhirns, die 
Vorstellungen mit ihrem normalen Gefühlston zu versehen, die Ursache 
der Wahnbildungen sei, wird erstens durch deren Auftreten bei offen¬ 
barer Störung normaler Gefühlsbetonung in den Krankheitszuständen 
der maniakalischen Exaltation wie der melancholischen Depression, 
zweitens durch ihren Inhalt, welcher nach den zwei Richtungen, der 
Freude, der Erleichterung, der Kraft einerseits, der Trauer, der Angst, 
der Schwäche andererseits tendiert, drittens durch den konstanten 
Bezug der Wahnidee zu dem sie produzierenden Subjekt, zu der eige¬ 
nen Persönlichkeit bewiesen. Niemals trifft man eine Wahnidee an, 
welche für das Wohl und Wehe des Menschen, der sie hegt, ohne Be¬ 
lang wäre. 

M. H.! Diesem abschweifenden Einblick in die Mechanik der 
Wahnbildung, welche zu der schliesslichen Annahme einer körperlichen 
Grundlage, einer Erkrankung der Organe des Gefühlslebens führt, psy¬ 
chologisch aber unentwirrbar ist, wollte ich Sie von der gänzlichen 
Aussichtslosigkeit einer Ueberredung, ja auch nur einer ärztlichen Be¬ 
einflussung überzeugen und Sie auch vor dergleichen erfolglosen und 
nur schädlichen Versuchen warnen. Die Heilung der Krankheit muss 
angestrebt werden, denn mit dieser verflüchtigt sich dann die Wahnidee 
von selber. 

Wenn es auch nicht ratsam sein sollte, den Kranken durch wieder¬ 
holtes und eindringliches Befragen mit der von ihm geäusserten Wahn¬ 
idee zu beschäftigen, eine Besorgnis, die allerdings zumeist überflüssig 
ist, da dieselbe ohnehin stets das Zentrum seines Interesses bildet, so 
können Sie doch an den oben aufgestellten Grundsatz, dem sich aus¬ 
sprechenden Kranken ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken, ihn ruhig 


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SOS 


v. Niessl-Mayeudorf, 


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und geduldig anzuhören, auch wenn Ihre Zeit hierdurch stark in An¬ 
spruch genommen wird, in allen Fällen von Wahnsinn ausnahmslos 
festhalten. Das kurze Ahschnauzen, wofür Ziehen in seiner Melan¬ 
cholie eine Lanze bricht, dürfte nur bei sehr wenigen Kranken ange¬ 
bracht sein. 

Die Wahnideen, welche wir bei der Paralyse sehen, tragen nur 
sehr selten jenen systematisierenden Charakter, welcher den patho¬ 
logischen Produktionen der Verrücktheit ihr eigenes Bild verleiht. 
Sie gleichen vielmehr den aus dem krankhaft gesteigerten Stimmungs¬ 
gehalt der Manien oder Melancholien plötzlich hervortauchenden und 
nur wenig Kreise ziehenden Einfällen. Hinzu tritt die leichte Bestimm¬ 
barkeit, die Lenksamkeit des Paralytikers, welche bei fortschreitender 
Erkrankung zunimmt. Endlich ist die paradoxeste Suggestion für den 
blödsinnigen Paralytiker, durch dessen Bewusstseinszerfall das logisch 
in sich geschlossene Weltbild verloren gegangen ist, überzeugend. Daher 
ist der Paralytiker im allgemeinen, besonders aber in den späteren 
Krankheitsstadien hinsichtlich seiner Wahnideen leicht zu behandeln. 

Ich habe Ihnen bisher die Behandlung eines einzigen, b“i 
der Paralyse vorkommenden klinischen Syndroms skizziert, eine voll¬ 
ständige Aufreihung aller therapeutischen, für jeden vorkommenden 
Symptomenkomplex geltenden Vorkehrungen müsste eine Therapie 
aller Psychosen umfassen, da jedes psychotische Krankheitsbild von 
dem paralytischen Prozess hervorgebracht werden und die Therapie 
sich nicht gegen die Krankheit selbst, sondern nur gegen das Symptom 
richten kann. 

Von therapeutischer Wichtigkeit für den praktischen Arzt ist die 
Kenntnis zweier Verlaufsweisen der progressiven Paralyse, welche 
vielleicht auf zweierlei Ursachen zurückführbar sind, vielleicht aber 
auf dieselben Ursachen, welche mit verschiedener Intensität einwirken. 
Die eine kennzeichnet sich durch den fortschreitenden, nicht nur gei¬ 
stigen, sondern auch körperlichen Verfall, welcher die tiefsten Stufen 
des Marasmus erreichen kann. Die andere durch eine rückschreitende 
Veränderung der Psyche, welche in kindlicher Vereinfachung nur inehr 
eine summarische Orientierung einschliesst. Es ist eine in den scha¬ 
blonenhaften Lehrbüchern favorisierte Gewohnheitslüge, dass alle Pa¬ 
ralytiker innerhalb eines Quiquenniums sterben müssen. Das gilt 
wohl für die paralytischen Anstaltsinsassen, über deren Exitus Buch 
geführt wird, nicht aber für die in häuslicher Pflege Verstorbenen, über 
welche statistische Angaben dem lehrbuchverfassenden Psychiater 
nicht zur Verfügung gestellt werden. 

Was nun die erste Form anlangt, so ist es zweifellos, dass sie einer 
Anstaltsbehandlung entraten kann, wenn man von der Umgebung des 
Kranken halbwegs Verständnis und Opferwilligkeit für denselben vor¬ 
auszusetzen hinlänglich Grund hat. Man kann solche Kranke poli¬ 
klinisch behandeln und findet, dass die Sorgfalt, welche ihnen ihre näch¬ 
sten Angehörigen zuwenden, alles iibertriflt, was auch in der bestein¬ 
gerichteten Anstalt geboten werden kann. Der Kranke ist dann weder 
sich noch der Umgebung gefährlich, er kann nur durch seine vollkom¬ 
men unsinnigen Handlungen lästig werden. Der Arzt hat die Familien¬ 
mitglieder, welchen die Fürsorge des Kranken anheimgegeben ist. zu 
warnen, demselben Aufträge zu geben oder eine Beschäftigung zu über¬ 
tragen, welche unverständig betrieben, mit Vermögensverlusten oder 
sonstigen Kalamitäten für dieselben verbunden sein kann. Am besten 



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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


809 


äst es, schwachsinnige Paralytiker überhaupt nicht zu betätigen. Zu 
nötiger Bewegung, welche der Kranke zur Gesundheit braucht, veran¬ 
lasse man ihn dadurch, dass man ihn auf Spaziergänge mitnimmt. 
Allein lasse man den Kranken nicht aus dem Hause. Die Willenlosig¬ 
keit und Ungeschicklichkeit bedürfen besonderer Rücksichtnahme. 
Der Kranke muss zu den primitivsten täglichen Verrichtungen, zum 
Aufstehen, Anziehen, Essen, Stuhlabsetzen angetrieben werden. Er 
setzt diesen Aufmunterungen in der Regel wenig Widerstand entgegen 
und seine Folgsamkeit entwickelt sich oft zu automatenhaftem Ent¬ 
gegenkommen. Tage der Erregung unterbrechen nur selten das gleich- 
mässige läppische Zustandsbild. Dagegen versagt häufig der Schlaf 
und fordert zu ärztlichem Eingreifen heraus. Man verordne auch hier 
in erster Linie Paraldehyd zu 5 Gramm, Amylenhydrat in derselben 
Menge oder Trional 1,5, nachdem man sich überzeugt hat, dass die 
Schlaflosigkeit nicht auf gastrointestinalen Störungen, Obstipation und 
dergleichen beruhe. 

Leider ist es uns gänzlich versagt, den Defekt an Gefühlen und 
Vorstellungen durch eine wie immer geartete Therapie wieder zu bessern 
oder zum Schwinden zu bringen. Auch vor einer sogenannten Beschäf¬ 
tigungstherapie möchte ich bei der progressiven Paralyse warnen. Der 
zwar kindische und folgsame Kranke ist keiner Erziehung mehr fähig, 
weil ihm hierzu die notwendigste Eigenschaft, das Gedächtnis, mangelt. 
Stellt man an einen Schwachsinnigen hartnäckig Ansprüche, die er nicht 
erfüllen kann, so erzeugt man heftigen Widerstand, der sich in einem 
Ausbruch von AbwehrafTekten entladet. 

Der Defektzustand, welchen die progressive Paralyse erreicht, 
kann aber bis unter das Niveau eines tierischen Bewusstseins herab¬ 
sinken. Die körperliche Hinfälligkeit tritt dann sehr in den Vorder¬ 
grund. Die bettlägerig gewordenen Kranken magern bis zum Skelett 
ab, so dass der weit gediehene Muskelschwund zu der Annahme ver¬ 
leitet, das Hinzutreten fortschreitender Muskelatrophie anzunehmen. 
Die Stillung der vegetativen Bedürfnisse ist abhanden gekommen, 
so dass die hungernden Kranken in ihrem Unrat verkommen würden, 
wenn sich ihnen aus ihrer Umgebung keine hilfreiche Hand böte. Dass 
-ein so jammervoller Zustand, dessen Wartung so viel Liebe und Auf¬ 
opferung erheischt, in häuslicher Pflege erträglichere Formen annehmen 
wird, als in der Irrenanstalt, in welcher kein inneres persönliches Ver¬ 
hältnis den Wärter mit dem Kranken verknüpft, leuchtet ein. 

Weibliche Aufopferung leistet an solchen Unglücklichen wahrhaft 
heroische Samariterdienste. Die Ataxie und die allgemeine Schwäche 
verhindert sie am Stehen. Aber auch ein einfaches Bett genügt nicht, 
da die Kranken bei ihrer Ungeschicklichkeit leicht aus demselben 
fallen, dasselbe muss hohe, möglichst weiche Wände haben, wie sie 
seit langem für Epileptiker in Gebrauch sind. Die älteren Irrenanstalten 
versetzten die alten Paralytiker, welche durch viehisches Knurren 
und Brüllen ihre Mitkranken erschreckten und lästig wurden, in grosse 
feste Betten mit hohen eisernen Gitterwänden. Der widerliche Anblick, 
welcher den Vergleich mit der Bestie im Käfig dem Besucher mit furcht¬ 
barer Anschaulichkeit vor Augen führt, sollte, mit den Gefahren zu¬ 
sammengehalten, die sich aus möglichen Verletzungen an den scharfen 
Kanten und Spitzen des eisernen Geflechtes sowie aus der durch die 
Umständlichkeit des Entfernens der schweren Eisenwände für die kör¬ 
perliche Pflege des Kranken ergeben, die endgültige Abschaffung dieser 


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810 v. Niessl-Mayendorf, 

unschönen und unpraktischen Aufbewahrungsstellen für Blödsinnige 
allenthalben beschleunigen. 

Die Pflege hat bei diesen Kranken erstlich mit all’ jenen Schwie¬ 
rigkeiten zu rechnen, denen die Behandlung Kachektischer jeder Aetio- 
logie unterworfen ist; hinzukommt die besondere Erschwerung durch 
den Blödsinn und die Unempfindlichkeit der Kranken. Der schwer 
herabgekommene Kranke soll glänzend ernährt werden. Der alte Pa¬ 
ralytiker entbehrt nicht nur des Hungertriebes, er sträubt sich oft mit 
Aufbietung aller ihm noch zur Verfügung stehenden Kräfte gegen den 
Versuch, ihm Nahrung zuzuführen. Sondenfütterung ist 
gefährlich, weil Anästhesie der hinteren Rachenwand den Kehl¬ 
deckel offen lässt, so dass eindringende Speisenpartikelchen in die Luft¬ 
wege aspiriert werden können. Nährklysmen werden abgedrückt oder 
reichen nicht aus, um den fortschreitenden Verfall hintanzuhalten. 
Am besten ist es, dem sitzenden Kranken flüssige Substanzen von hohem 
Nährgehalt langsam und geduldig einzulöffeln. Aber auch dieser Modus 
der Ernährung sei mit Bedacht wahrgenommen, und man halte sofort 
inne, wenn der Kranke würgt. Eine unangenehme Erscheinung beim 
Füttern oder nach demselben ist das Erbrechen der Kranken, weil 
auch bei diesem Zufall die Gefahr des Eindringens von Speiseteilchen 
in die Bronchien stets vorhanden ist. 

Um die Verdauung halbwegs rege zu erhalten, muss auf täglichen 
ausgiebigen Stuhlgang gesehen werden. Die Kost darf daher nicht zu 
stopfend sein, wie dies etw r a bei reiner Milchdiät der Fall wäre. Man 
verordne gedünstete Früchte, Pflaumen und dergl. Auf nüchternem 
Magen gebe man des Morgens einen Tee- bis Esslöffel Extractum Rhamni 
Phursiani fliuidurn oder ein Glas Bitterwasser. Wenn bei dieser Diät 
kein regelmässiger genügender Stuhlgang erreicht wird, gebe man 
einen Einlauf. Auf keinen Fall lasse man eine Obstipation einen oder 
gar mehrere Tage anstehen. 

Nicht selten sieht man als Folge einer Stuhlverhaltung oder einer 
gefüllten Blase paralytische Anfälle auftreten, die bekanntlich den epi¬ 
leptischen ähnlich, durch die konsekutive Temperaturerhöhung ausge¬ 
zeichnet sind. Der paralytische Anfall, stets ein ominöses Symptom 
hei beginnender Paralyse, in den Endstadien olt die Todesursache, 
erheischt sofortiges ärztliches Eingreifen. Der Kopf des bewusstlosen, 
krampfenden Kranken ist hoch zu lagern, die Stirn und Scheitelgegend 
bedecke man mit einer Eisblase, per Rectum klistiere man 5 Gramm 
Amylenhydrat mit Eigelb und Glyzerin, oder 2 Gramm Chloralhydrat, 
ausserdem beachte man sorgfältig die Herztätigkeit und helfe mit 
Aether, Kampherinjektionen oder Kochsalzinfusionen nach, wenn auf 
Schwäche deutende Erscheinungen hervortreten. 

Ein weiterer Grund, welcher dem Arzt die ständige Ohsorge um die 
Regelung des Stuhlgangs zur Pflicht macht, ist die Unremlichkeit der 
blödsinnigen Kranken, welche nicht ansteht, mit den eigenen Geni¬ 
talien und Exkretionsorganen ein recht unappetitliches Spiel zu treiben, 
und in der klinischen Terminologie mit dem Ausdruck „Kotschmieren“ 
fixiert ist. Nicht nur, dass der üble Geruch, welcher von solchen Kran¬ 
ken ausgeht, ihre Gegenwart- für ihre Mitpatienten äusserst widerlich 
gestaltet, die stete Gefahr septischer Infektionen droht den so leicht 
Verletzbaren, denen nicht einmal der natürliche Schutz vor Selbst¬ 
beschädigungen, die Schmerzempfmdlichkeit, mehr übrig ist. Jeder 
Irrenarzt kennt aus eigener Erfahrung die Sucht Blödsinniger, sich 


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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


öll 


durch Reiben oder Kratzen oft stark blutende Hautabschürfungen zu¬ 
zufügen, welche jeder Behandlung hartnäckig trotzen, weil der Kranke 
ungeachtet aller schützender Vorkehrunsen, Verbinden der Hände usw. 
mit erstaunlichem Raffinement an seinem Zerstörungswerke unaus¬ 
gesetzt weiterarbeitet. Dann die Verheerungen durch den Druckbrand, 
welcher dank der ihm von irrenärztlicher Seite zugewendeten Auf¬ 
merksamkeit in Irrenanstalten mit geeignetem Personal seltener ge¬ 
worden ist. Ich werde auf dieses in der Therapie der Geisteskrankheiten 
sehr wichtige Kapitel noch mit einigen Bemerkungen zurückkommen. 

Endlich sind die blödsinnigen, meist gelähmten und ganz hilflosen 
Paralytiker gerade jene Kranken, welche am häufigsten zum Objekt 
grausamer Roheiten von dem Wartepersonal gewählt werden. Wenn 
man den Körper eines solchen Unglücklichen aufmerksam betrachtet, 
was allerdings bei dem Durchschnitt der irrenärztlichen Assistenten 
schon wegen des ekelerregenden Anblicks nur selten geschieht, so 
findet man ihn gar oft mit Beulen und blauen Flecken übersäet, 
mit gebrochenen Rippen, Kratzeffekten und sonstigen Druckspuren. 
Faustschläge, Fusstritte, Hinschleudern auf den Boden, ja sogar 
Erdrosseln, um sich des meist oft unbequemen Kranken zu ent¬ 
ledigen, sind Vorkommnisse bei dem Wartepersonal, welche zumeist 
um des Rufes der Anstalt willen, wo es angeht, vertuscht zu werden 
pflegen, zuweilen jedoch der OefTentlichkeit, deren Misstrauen gegen 
den Irrenarzt reichlich daraus Nahrung zieht, nicht vorenthalten wer¬ 
den können. 

Gelegenheiten zu Verwundungen aller Art sind demnach reichlich 
gegeben und die Hintanhaltung des Schmierens mit Kot, Blut oder an¬ 
deren Sekreten erfordert die unausgesetzte Aufmerksamkeit und pein¬ 
lichste Sorgfalt der Pfleger und Aerzte. Welchem psychischen Bedürf¬ 
nis der Drang, zu schmieren oder zu kratzen, entspringt, ist nicht klar, 
einzelne Beobachtungen scheinen darauf hinzuweisen, dass diese Hand¬ 
lungen von einer gewissen Erregung ausgelöst werden. Vielleicht spielen 
auch Hautsensationen eine Rolle. Den Eindruck, welchen man beim 
Anblick der Kranken gewinnt, ist der von automatenhaft sich wieder¬ 
holenden Zwangsbewegungen. Anschreien, Schlagen oder sonstige 
Züchtigungen, welche Dressur bezwecken, sind dringend zu widerraten. 
Der Verblödete ist, wie gesagt, nicht erziehbar. Das Einzige, was bei 
derartigen unvernünftigen Experimenten herauskommt, sind reaktive 
Wutanfälle oft schwerster Art. Auch das Anziehen von festen Hand¬ 
schuhen, geschlossenen Jacken, das Verbinden der Hände sind Mass¬ 
nahmen, die nicht zum Ziele führen, da die Kranken durch Bohren 
mit den Fingern, durch Zerbeissen mit den Zähnen die Hände allmäh¬ 
lich wieder frei bekommen. Ueberdie« sind die grossen, dicken, früher 
viel im Gebrauch gewesenen Lederhandschuhe eine gefährliche Waffe 
an den Armen des dementen Paralytikers. 

Der einzige Weg, auf welchem es gelingt, das abscheuliche Spiel 
mit den Sekreten zu verhindern, ist der, dass man den Kranken mit 
denselben durch Einhaltung grösster Sauberkeit nicht in Berührung 
kommen lässt. Also: öfteres Führen nach dem Nachtstuhl, Klysmen 
bei Obstipation, Adstringentia gegen Diarrhöen, Ausspülen und Wa¬ 
schungen des Mundes und der Vagina mit schwachen Tannin- oder 
Borsäurelösungen, endlich die Dauerbäder, welche aber bei der Para¬ 
lyse mit Vorsicht in Anwendung zu bringen sind, da sie den Blutdruck 
herabsetzen. Wo die Erregung stärker hervortritt, wird man die Wir- 


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812 v. Niessl-Mavendorf, 

kung der Bäder durch Sedativa unterstützen. Es empfiehlt sich etwa 
folgende Kombination: 

Rp. Kalii bromati 1,0 

Codeini hydrochl. 0,05 

Hvoscini hvdrobrom. 0,0005 
D. t. dos. XX. 

S. 2 mal täglich ein Pulver in einem Gles Wasser. 

M. H.! Der Dekubitus spielt in der inneren Medizin bei der Behand¬ 
lung der Rückenmarkskrankheit keine geringere Rolle als in der Psy¬ 
chiatrie, im Gegenteil, ist seine Entwicklung, wenn sie auf den Fort¬ 
fall tiophischer medullärer Einflüsse zurückzuführen ist, viel schwie¬ 
riger zu verhindern und die Grade seiner Ausbreitung sind weit bedeu¬ 
tender als bei dem einfach marantischen Druckbrand. Bei der pro¬ 
gressiven Paralyse ist es jedoch nicht allein die ungenügende Ernährung 
der durch Kompression im Liegen geschädigten Hautpartien 
(Hautbezirk über der Schultergräte, dem Ölecranon, dem Trochanter, 
dem Kreuzbein, der Ferse), sondern auch die gleichzeitige Mazeration 
durch feuchte Unterlage, welche hinwieder Folge beständiger Besude¬ 
lung mit Exkreten des Kranken ist- 

Die erste und erfolgreichste Massnahme gegen den Dekubitus ist 
die Prophylaxe. Da man seine Aetiologie bei der Paralyse hin¬ 
länglich kennt, ist er bei gutem Willen und Sorgsamkeit des Warteper¬ 
sonals in den meisten Fällen zu verhüten. Es ist ein berechtigter Stolz 
manches gewissenhaften Irrenwärters, auf seiner Abteilung keinen 
Druckbrand zu haben. Sobald sich eine Andeutung von Röte an den 
erwähnten, meist gefährdeten Hautpartien erkennen lässt, wasche man 
sofort mit Essig, Alkohol ode- Kampherspiritus und fette hierauf mit 
Zinkpaste ein. Damit man aber den rechten Zeitpunkt dieser Behand¬ 
lung nicht versäume, muss der unreine Paralytiker bei der Visite stets 
umgelegt und am ganzen Körper genau besichtigt 
werde n. 

Auch dem Wärter trage man auf, dasselbe wiederholt am Tage 
zu tun. Man belehre denselben, auf welche Gegenden er zu achten habe. 
Die Matratze sei nicht zu hart, besonders sehe man auf weiche Lagerung 
der Hautpartien, welche sich unmittelbar über dem Knochen spannen, 
und lege weiche Kissen oder wenn bereits eine Rötung vorliegt, ein 
ringförmiges Luft- oder Wasserkissen darunter. Selbstverständlich ist 
die Bettwäsche des unreinen Paralytikers möglichst oft zu wechseln. 
Der Kranke darf auch nicht eine Viertelstunde auf einem feuchten 
Laken liegen. Ist jedoch ein Versäumnis in dieser Hinsicht von seiten 
der Pfleger vorgekommen, dann lege man den Kranken am besten in 
ein warmes, nicht zu heisses Vollbad. Nach einer Viertelstunde bringe 
man ihn wieder zu Bett, reibe die gerötete Stelle mit Franzbranntwein 
ein, fette mit Borvasclin, bestreue mit Dermatol und lege einen leichten 
Watteverband an. Bei jeder neuen Durchnässung mit Kot oder Urin 
muss der Verband abgenommen und der Kranke wieder ins Bad gesetzt 
werden. 

Ich kann im allgemeinen Furunkulose der Haut nicht als eine Contraidikation 
gegon die Bäderbehandlung ansehen. Es kommen, vielleicht gar nicht so selten, bös¬ 
artige, sehr ansteckende Geschwüre dieser Art vor, welche auf Wärterhände übergehen 
und die Badewanne verseuchen. (Würth.) Aber ein jeder Furunkel ist sicher nicht 
so ansteckungsgefähnlich und es ist gar keine Frage, dass diese Hautaffektion durch 
das Bad günstig beeinflusst wird. Vielleicht würde es sich aus ökonomischen Rück¬ 
sichten empfehlen, wenn man eine ganze Wanne dem Kranken allein nicht zur Ver- 


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■Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 813 

fügung stellen kann, nur jenen Körperteil, an welchem der Furunkel sitzt, zu 
baden. 

Da? zweite Stadium des Druckbrandes, das der Nekrose und des 
geschwürigen des Zerfalles erfordert des öfteren Entfernung 
abgestorbenen Gewebes, sowie Desinfektion der entzündeten Area. 
Man kann auch nach Unnas Vorgang und Beckers Empfehlung 
die durchbrechende Stelle oder den desinfizierten Geschwürgrund mit 
Iehtyol-Zinkleim (Gelatine — Glyzerin — Zink — Leim) abschliessen 
und dazu Ichtvol in Pillenform zu 1,0—1,5 oder in Wasser gelöst ver¬ 
ordnen. Rp. Ichtyoli 10.0, Aquae destillatae 20,0. M. D. S. 2—3 mal 
täglich 15—30 Tropfen (U n n a). Während des Tages ist der Kranke 
im warmen Dauerbad zu halten. Er kann, um den ohnehin im Wasser 
verminderten Druck noch weiter zu verringern, in ein Leintuch gelegt 
werden, welches nach Art einer Hängematte in der Wanne ausgespannt 
ist. Die Nacht über muss der Kranke im Bett zubringen, zuvor ist das 
Geschwür in der oben geschilderten Art sorgsam zu verbinden. Statt 
des Verbandmulls Verbandmoos, weil es aulsaugungsfähigei ist, zu 
wählen, würde ich widerraten, weil man dann allzuleicht, geneigt >st t 
das öftere Artsahen des nackten Körpers und das häufige Wechseln 
der Bettwäsche zu unterlassen. Der Verband darf natürlich keine 
Falten werten, welche wieder drücken könnten, ebenso wie das Lein¬ 
tuch, auf welchem der Kranke liegt, frei von Falten sein muss. Darauf 
haben Sie den Wörter hinzuweisen. 

Eine weitere Erscheinung, welche in der symptomatischen Be¬ 
handlung der fortgeschrittenen Paralyse eine häufige und nicht un¬ 
wesentliche Rolle spielt, ist die Retentio urinae. Es hat manchmal den 
Anschein, wie wenn eine Anästhesie der Blasenschleimhaut vorläge, so 
dass der Harndrang vollständig fehlt. Oder aber ist die Blasenmusku¬ 
latur zu schwach, um auf die sensorischen Reize mit Kontraktionen zu 
antworten. Die gefüllte Blase stellt dann häufig einen recht erheblichen 
Tumor über der Symplyse dar: Es gelingt nicht selten, die Blase 
manuell durch Druck zu entleeren. Versagt dieser Handgriff, so 
setze man den Kranken in ein warmes Bad. Auch ein Einlauf kann 
Erfolg haben, da mit dem Kotabgang auch Urin abzufiiessen pflegt. 
Der Katheter diene als ultimum refugium, weil trotz aller Vorsichts- 
massregeln eine Zystitis die gewöhnliche Folge seiner Anwendung ist 
und der durch diese Prozedur verursachte Blasenkatarrh allen Behand¬ 
lungsmethoden zu trotzen pflegt. Eine nach der Katheterisation vor¬ 
genommene Blasenausspülung mit Borsäurelösung (10 : 500) und eine 
innerliche Darreichung von Urotropin (0,5 Gramm 4 mal täglich) sollen 
von Nutzen sein. 

Die Behandlung des bei der Paralyse nicht seltenen Othämatoms • 
muss eine chirurgische sein. Punktieren hilft in der Regel nur wenig, 
da sich der aus Knorpelhaut gebildete Sack immer wieder mit Blut 
oder seröser Flüssigkeit anfüllt. Die radikale Inzision ist hier einzig 
am Platze, wenn man nicht auf ein Eingreifen gegen das wenig Be¬ 
schwerden verursachende und nur unschöne Leiden ganz verzichten will. 

Mit besonderer Skepsis wird man der Annahme einer spontanen 
Entstehungsweise der Ohrblutgeschwulst gegenübertreten. Die Hilf¬ 
losigkeit von Kranken ist für den Wärter von niederer Bildung, dem 
eine Superiorität über die Person des Kranken eingeräumt wird, ein 
Stimulus, ihm diese Ueberlegenhcit fühlen zu lassen. Ich erinnere 
mich einer keineswegs rohen Wärterin, welche mir unter vier Augen 


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814 


v. Niet.nl ■ Mayeüdorf, 


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in durchaus glaubwürdiger Weise das Geständnis machte, dass das Ein¬ 
schlagen auf den Kranken oft ganz willenlos, automatenhaft erfolge 
und dass es sicher keine Wärterin je gegeben, welche niemals zugeschlagen 
habe. Die häufig ganz unbegründete Roheit des Wartepersonals ist ein 
Problem, das einer psychologischen Interpretation in monographischer 
Darstellung würdig wäre. Jedenfalls trifft bei den triebartigen Miss¬ 
handlungen der Wärter die Hauptschuld den Abteilungsarzt, welcher 
Tun und Treiben des ihm Untergebenen, ungenügend überwacht. 

So sind auch die Rippenbrüche alter Paralytiker, wie schon von 
G u (1 d e n eingestanden hat, die Folgen massloser Ueberschreitunge» 
des Wartepersonals. Mit dem spontanen Brechen des Knochens der 
Paralytiker dürfte es sich ähnlich wie mit der sich von selbst bildenden 
Ohrblutgeschwulst verhalten. Dass es ein Othäinatoma spontanem», 
d. h. ohne ein sicher nachweisbares Trauma gibt, überzeugte mich die 
Erfahrung atu eigenen Leibe, als ich mit 28 Jahren an einer derartige» 
Affektion, ohne eine äussere Ursache, zu leiden hatte. Es scheint 
bei der Entstehung der Ohrblutgeschwulst weit mehr auf den augen¬ 
blicklichen Zustand des Blutdrucks, abnorme Blutzirkulation, Zerreiss- 
lichkeit der Gefässe, als auf die äussere Beleidigung anzukommen. 

Die traurige Szene wird gewöhnlich von einer Schluckpneumonie 
oder einer Sepsis im Anschluss von Verletzungen geschlossen. Dass 
ein moribunder Kranker mit ebensoviel Liebe und Aufopferung ge¬ 
pflegt werden muss, wie einer, dessen Genesung wir erwarten können, 
bedarf keiner Erörterung. Im Gegenteil wird Arzt und Wärter seine» 
Stolz darein setzen, den Ausgang so weit als möglich hinauszuschieben. 

Ich habe Ihnen, meine Herren, bisher nur von der symptomatische» 
Behandlung der progressiven Paralyse gesprochen und über die markt¬ 
schreierischen Anpreisungen gegen den Krankheitsprozess selbst gerich¬ 
teter und angeblich mit Erfolg geübter Heilmethoden kein Wort ver¬ 
loren. 

Es ist nun meine Pflicht, trotz der Unerquicklichkeit des Gegen¬ 
standes, auf denselben einzugehen, um Sie vor Verwirrung zu bewahre» 
und gewissenlosen, gefährlichen Experimenten zu warnen. 

Sobald man den Zusammenhang zwischen Syphilis und Paralyse 
nach statistischen Feststellungen erkannt hat, versuchte man jene 
Mittel gegen letztere in Anwendung zu bringen, welche man gegen die 
erstere als wirksam erkannt hat. Also vor allem die Jod-Quecksilber¬ 
therapie. Ich halt« mit v. Krafft-Ebing und anderen diesen 
Heilversuch gegen Ziehens Empfehlung für schädlich und den pa¬ 
thologischen Prozess wegen der körperlichen Schwächung des Kranken 
nur fördernd. Irrelevant ist es, ob man eine Inunktionskur oder In 
jektionen vornimmt. Den Fürsprechern der Quecksilbertherapie, deren 
Argumente sich in dem Kreise des post hoc ergo propter hoc irrtümlich 
drehen, halte ich die hinlänglich erwiesenen Besserungen und Remis¬ 
sionen bei der Paralyse auch ohne Quecksilberbehandlung entgegen. 
Die gleichzeitige Verabreichung von Schilddrüsenpräparaten nach 
Spengler gegen die Aufzehrung der Schilddrüse durch Quecksilber, 
rechnet mit lauter hypothetischen Voraussetzungen. Die Durchführung 
der Idee, dass resorbierbare Substanzen, wie die Jodalkalien, einen 
mit starken Exsudationen in der Hirnrinde einhergehenden Prozes? 
günstig beeinflussen können, ist sicher nicht zu widerraten, also etwa 
INatrii jodati 2,0, Aquae destill. 150 kann man in jedem Stadium der 


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Speiielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


815 


Paralyse verordnen. Von unleugbaren, nur auf dieses Mittel zurück- 
führbaren Besserungen kenne ich keine. 

Nicht besser geht es mit der gegen umschriebene syphilitische 
Effloreszenzen erfolgreich angewandten Arsentherapie von H ata- 
Ehrlich, deren wirkliche Bedeutung sich heute noch hinter 
mancher Uebertreibung verbirgt. Da eine günstige Beeinflussung 
des paralytischen Prozesses durch dieselbe keineswegs erwiesen ist, ja 
überhaupt sehr fraglich erscheint, so wird man von der Einverleibung 
■des genannten Präparates in Hinblick auf die bereits erkannte Gefähr¬ 
dung der Hör- und Sehnerven von demselben Abstand nehmen. Das¬ 
selbe gilt für die Vorschläge einer Atoxylbehandlung. 

M. H.! Die Paralyse ist als eine durch bestimmte Symptome und 
«inen besonderen Verlauf ausgezeichnete Krankheit erst seit zirka 
hundert Jahren bekannt, daher auch die therapeutischen Bestrebungen 
noch jungen Datums sind. Die schon den älteren Irrenärzten geläufige 
Erfahrung, dass Geisteskrankheiten bei gleichzeitigem Auftreten vom 
Rotlauf des Antlitzes oder anderen entzündlichen Affektionen der Haut 
scheinbar verschwanden, brachte auf den Gedanken, eine Entzündung 
am Haupt des Paralytikers künstlich zu erzeugen. Gleichzeitig ver¬ 
meinte man, in dem Glauben einer heilkräftigen Wirkung durch An¬ 
bringung von Gegenreizen die Blutfülle und Exsudationen, deren Vor¬ 
handensein man im Inneren der Schädelkapsel als pathologisches Sub¬ 
strat des chronischen Entzündungsvorganges der Paralyse vermutete, 
nach anderen Gebieten abzuleiten. J a c o b i benutzte Unguentum 
Antenriethi. Auf dem rasierten Kopf wurde die Salbe eingerieben 
und brachte hier ausgedehnte entzündliche Schwellung der Galea apo- 
neurotica hervor. Auch nekrotische Stellen sah man nicht so selten. 
Durch ein Wunderysipel kam es zur Zerstörung des Periosts, und dann 
zur Nekrose der Lamina vitrea externa. Bald sah man die Nutzlosig¬ 
keit dieser für den Kranken keineswegs ungefährlichen und sehr ein¬ 
greifenden Prozedur ein und verliess diesen Weg der Behandlung. Um 
das Jahr 1870 war es L. Meyer, welcher aufs neue die Brechwein- 
steinsaibe in die Therapie der Paralyse einführte, und so kühn er auf 
den Häuptern der Paralytiker mit dieser gehaust haben mag, seine 
Versicherung von 15 Paralytikern 8 ge h e i 1 t zu haben, musste denn 
doch stutzig machen. Allein der Erfolg blieb den späteren Versuchern 
dieser Methode versagt, so dass man wohl heute die Brechweinstein¬ 
salbe in kaum einer Irrenanstalt finden wird. Die einstens empfohlenen 
Teipentinölinjektionen sind gleichfalls vergessen. 

Der anscheinend günstige Einfluss des Fiebers auf den Ablauf 
von Psychosen bestimmte therapeutische Experimentatoren, Substanzen 
zu injizieren, welche mit Fiebererscheinungen einhergehen. Wagner 
v. J a ii r e g g hat in jüngster Zeit seinen Paralytikern Alttuberkulin 
einspritzen lassen. Es fragt sich hier, inwieweit dem Arzt überhaupt 
ein Recht zusteht, ohne Zustimmung des Patienten oder seiner Ange¬ 
hörigen ihn zum Versuchskaninchen zu machen. Man hat eingewendet, 
dass die völlige Ungefährlichkeit des Eingriffs die Einholung eines sol¬ 
chen Einverständnisses überflüssig mache. Ich habe mich mit dieser 
Beschwichtigung nicht zufrieden geben können. Wenn eine Substanz 
einmal Fieber hervorgebraebt, bedeutet sie für den Organismus eine 
keineswegs gleichgültige Infektion. Auch der dem Arzte ungeziemende 
Vorwand, dass ein dem Tode geweihter Paralytiker die Folgen einer 
solchen Vergiftung seines Körpers ohnehin nicht mehr lange zu tragen 


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v. Niessl-Mayendorf, 


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habe, gleicht einem unehrlichen Ausweichen, indem ja gerade der Pa¬ 
ralytiker in den Anfangsstadien einem solchen therapeutischen 
Wagnis ausgesetzt wird, nicht aber wenn der Verfall bereits weit gediehen 
ist. Um über die eventuelle Gefährlichkeit der Tuberkulininjektionen — 
die Erlaubtheit derselben scheint mir bei mangelnder Einwilligung ab¬ 
solut ausgeschlossen — ins Klare zu kommen, wandte ich mich brief¬ 
lich an Altmeister Robert Koch. Dieser hatte die Liebenswürdigkeit, 
mir mitzuteilen, dass eine Tuberkulininjektion nur dann gefahrlos sei, 
wenn sie genau nach seiner Vorschrift vorgenommen werde. Haben 
sich nun Wagner und seine Assistenten genau an das Rezept Robert 
Kochs gehalten ? 

M. H.l Das Vorgehen v. Wagners ist ein Typikum für eine 
heute leider nicht mehr seltene, unseren ärztlichen Stand höchst 
kompromittierende Erscheinung. Unter den Therapeuten hat eine 
wahre Injektionswut Platz gegriffen, welche begünstigt von der gang¬ 
baren Anschauung eines hei jeder Krankheit im Organismus kreisenden 
Giftes, mit einem neugefundenen Antitoxin in der Spritze leicht bei 
der Hand war. Es ist sehr bequem, bei der progressiven Paralyse 
von Erfolgen zu sprechen, gehören ja die Besserungen auch ohne ärzt¬ 
liches Dazwischentreten eben zu dem Charakter der Krankheit. Be¬ 
sitzt nun ein solcher Arzt entsprechende Verbindungen, in einem viel¬ 
gelesenen Journal von der Bedeutung seiner Experimente reden 
zu machen, dann kann er damit viel Geld verdienen. Die Versuchung 
ist gross. 

Nichtsdestoweniger lege ich Ihnen, m. H., ans Herz, derselben 
mit all’ der in Ihnen wohnenden ethischen Kraft zu widerstehen. Sind 
Sie ihr unterlegen, haben Sie das Recht verwirkt, den Namen Irrenarzt 
in jenem idealen und einzig möglichen Sinne zu führen, wie ich 
ihn in meiner Eingangsvorlesung definiert habe. 

Diese wenigen kritischen Bemerkungen werden genügen, um Ihnen 
zum Bewusstsein zu bringen, was Sie von den modernen Spritzversuchen 
zu halten haben. Ich glaube nicht viel mehr als von den extravagan¬ 
ten Theorien der rediviven Humoralpathologie. Wo Krankheit, dort 
fliessendes Gift, wo fliessendes Gift, dort probiere ein Serum. Nach 
B r u c e ist das Bacterium coli commune der Krankheitserreger der 
progressiven Paralyse, in den Zeiten der Remissionen gewinnen die 
entgegenwürkenden Schutzgifte die Oberhand und seien daher reich¬ 
licher als die ersteren anwesend. Man entnehme demnach in diesen Stadien 
dem Körper des Paralytikers das Blut und injiziere das Serum solchen 
Individuen, bei welchen der Krankheitsprozess floride ist. Robert¬ 
son macht einen anderen Bazillus für die Paralyse verantwortlich, 
seinen Bacillus paralyticans und Clonston hat bereits das Anti¬ 
toxin gefunden, welches die gefährlichen StofTw r echselprodukte dieses 
fatalen Lebewesens zunichte machen sollte. 

Zuverlässigere Wirkung schienen jedoch jene Waffen gegen die 
Paralyse zu versprechen, w r elche gegen ihre innig Verbündete, die Sy¬ 
philis, sich bewährt hatten. Nukleininjektionen sollen Erscheinungen 
sekundärer Lues zum Rückgang bringen. Man spritzte also ein halbes 
Gramm Nuklein in einer 10 prozentigen Lösung von nukleinsaureni 
Natron alle drei bis fünf Tage unter die Haut. Angeblicher Erfolg: 
Remissionen. 

P e r i t z glaubte die Verarmung des Organismus an Lezithin be* 


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Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten. 


817 


der Paralyse dadurch wett machen zu können, dass er Lezithin sub¬ 
kutan injizierte und zwar bis zu 2 g. Angeblicher Erfolg: Remissionen. 

Auf dem chemischen Erweise, dass der Antitrypsingehalt des Blut¬ 
serums der Paralytiker ein hoher sei, versuchte man unter A 1 t in 
Uchtspringe Arsenophenvlglyzerininjektionen. Angeblicher Erfolg: Re¬ 
missionen. 

Endlich musste auch die Kochsalzinfusion herhalten. Meist in 
sterilisierter Lösung wurde das Kochsalz subkutan einverleibt. Man 
stieg bis auf 1000 Kubikzentimeter der erwähnten Flüssigkeit. Herz¬ 
affektionen oder Nierenleiden sind bekannte Kontraindikationen wegen 
der Mehrbelastung der Herzpumpe mit Arbeit. Auch in bereits sehr 
vorgeschrittenen Stadien soll ein konsekutives Nachlassen bedrohlicher 
Symptome offenbar sein. 

Sie wissen aber, was ich von den Remissionen gesagt habe: es ist 
sicher sehr schwierig und wenn man offen sein will, geradezu unmöglich, 
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen ihnen und dem angewand¬ 
ten Heilmittel zu beweise n. 

M. H.! Wenn man die Heilbestrebungen und Heilresultate bei der 
progressiven Hirnlähmung gegeneinander hält, so hat das sich erge¬ 
bende Verhältnis auch nichts Entmutigenderes als bei anderen schweren 
chronischen inneren Krankheiten, etwa bei der Phthise oder der Leu¬ 
kämie. Oft bietet dem Arzte seine Erfahrung ja nichts anderes als 
den traurigen Ausblick eines unabwendbaren Geschickes. Sollen wir 
darob an unseren Kräften verzweifeln und unser therapeutisches Inter¬ 
esse von dem Paralytiker abwenden ? Wir dürfen nach objektiver Ein¬ 
schätzung dei bisherigen Erfolge auf Ehrlich keine weitgehenden 
Hoffnungen setzen, sondern müssen ehrlicher sein und eingestehn, 
dass weder gegen die Tuberkulose noch gegen die Paralyse ein Heilserum 
voraussichtlich gefunden werden wird. Wenn wir also auch keinen Saft, 
keinen Trank besitzen, die ausgebrochene Paralyse heute zu heilen, so 
zeigt uns doch die durch immer neue Hinweise allmählich sich festigende 
Kenntnis von der ursächlichen Bedeutung der Syphilis den Weg, auf dem 
wir dieser furchtbaren Krankheit Herr werden, auf dem wir sie ausrotten 
können. Es ist dieser die Prophylaxe, die Hygiene. Hier gilt es, vor 
allem die Quelle der Uebels aus der Welt zu schaffen. Hinweg mit 
der Prostitution als einem staatlich-tolerierten Gewerbe! Anzeigepflicht 
des Arztes, sobald derselbe zur Kenntnis eines Syphilisfalles gelangt. 
Heiratsverbot bei bestehender oder überstandener Syphilis. Strenge 
Bestrafung für die Weiterverbreitung dieser Krankheit und vieles 
andere. Ich weiss sehr wohl, dass dergleichen Vorschläge leichter ge¬ 
macht, als realisiert werden können. Aber es wird dahin kommen 
müssen, trotz allem und allem. Wie man heute gegen die Alkoholseuche 
organisatorisch auftritt, wird man es einmal gegen die Syphilis tun. 
Möge sich in der Paralysefrage 0 s t w a 1 d s Wahrwort, dass der Mann 
des Tages nicht mehr der Erfinder und Entdecker, sondern der Or¬ 
ganisator sei. erfüllen, aber einem P s y c ’n i a t e r sei es Vorbehalten, 
die sozialen Ursachen und mit diesen die Krankheit selbst zum Ver¬ 
schwinden zu bringen ! 


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Krone, 


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Der 29. Kongress für innere Medizin. 

Wiesbaden, 16—19. April 1912. 

Berichterstatter: Dr. Krone Bad Sooden-Werra. (Schluss.) 

Vierter Tag. 

S c h 1 a y e r - Tübingen: „U eher die Ermüdbarkeit 
•der Nierenfunktio n.“ 

Bei einer gesunden Niere tritt erst nach übermässiger Inanspruch¬ 
nahme Ermüdung ein. Anders bei der kranken Niere; diese kann durch 
Diuretizis sowie durch Kochsalzbelastung schnell ermüden. Es tritt 
diese Ermüdung besonders leicht ein bpi chronischer parenchymatöser 
Nephritis mit Oedemen, sowie bei oligurischer Schrumpfniere. Es han¬ 
delt sich dabei um Schädigungen der Nierengefässe. In diesen Fällen 
müssen wir die Schonungstherapie anwenden. 

Hedinger - Baden-Baden: ,,U eber die Tages Schwan¬ 
kungen der Diurese bei gesunden und kranken 
Niere n.“ 

Redner hat den Tagesablauf der Diurese bei gesunden und kranken 
Nieren geprüft, wobei er zu dem Ergebnis gekommen ist, dass wir aus 
der Art und Weise des Ablaufes nephritische und nicht nephritisrhe 
Polyurien unterscheiden und hieraus die Diagnose auf die Nierenfunktion 
stellen können. 

Grafe- Heidelberg: „Zur Frage der Eiweissbild u n g 
bei Fütterung von Ammoniaksalze n.“ 

Vortragender hat die Frage zu entscheiden versucht, ob Eiweiss¬ 
körper nicht nur, wie man bisher nach Emil Fischer und A b d er- 
h a I d e n annahm, aus Amidosäuren, sondern auch aus noch tiefer 
stehenden Abbauprodukten, nämlich Ammoniaksalzen, gebildet werden 
können. Er fand, dass bei reichlicher Kohlehydratfütterung das Stick- 
stofTdefizit in der StofTwechselbilanz von Hunden nach Zulage von Arn- 
moniaksalzen geringer war als ohne Zufuhr solcher Salze, dass aber 
die Tiere trotzdem an Gewicht abnahmen. Er kommt zu dem Resultat: 
die Kohlehydrate scheinen die Bausteine für die Synthese des Eiweiss 
im Organismus abzugeben. 

Lichtwitz - Göttingen: „D as schillernde Häutchen 
auf dem Harn bei Phosphaturie.“ 

Das Häutchen ist ein Colloid und in Aether löslich. 

S i e b e c k - Heidelberg: „Versuche über die d i osmo¬ 
tischen Eigenschaften von Zelle n.“ 

Die Nierenzellen nehmen die Salze nicht auf dem Wege der Quel¬ 
lung, sondern auf dem der Osmose auf. 

Schade- Kiel: „P hysikoc he mische Beiträge zur 
Oedemfrage. 

Redner hat die kolloidchemische Säuretheorie des Oedems von 
Martin Fischer experimentell widerlegt, ist aber überzeugt, dass 
der kolloidchemischen Wasserverbindung der Gewebsbestandteile eine 
erhebliche, allerdings noch nicht geklärte Rolle zukommt. Er gibt 
sodann einen Beitrag zur frühzeitigen Erkennung der Präödeme, indem 
er einen Elastizitätsversuch demonstriert. 

Bernstein und Jalta-Wien: „U eber die Einwir¬ 
kung von Adrenalin, Pituitrin um i n f u n d i b u * 
I a re und Pit. glanduläre auf den respiratorischen 
•Gaswechsel.“ Demonstrationsvortrag. 


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Der 29. Kongress für innere Medizin. 


H19 


Kuhn- Berlin :,,Die grosse Verbreitung der Thy- 
reo-Toxikosen (Basedow I und II) hei den Gestel¬ 
lungspflichtigen und ihre Besserung durch den 
Militärdiens t.“ 

Unter seinem Rekrutenmaterial fand Vortragender in den letzten 
3 Jahren jährlich ca. 5% Basedowkjanker mit deutlichen Basedow- 
■symptomen. Keiner davon wurde entlassen, sämtliche besserten sich 
und alle haben den Dienst ohne Lazarett oder Revier überstanden. 
Die Besserungen sprechen ihm dafür, dass therapeutisch die Ruhe nicht 
den Wert hat, der ihr beigemessen wird, und dass das Primäre beim 
Basedow die Neurose ist. 

Bauer- Innsbruck„Klinische Untersuchungen 
über den endemischen Kropf in Tirol.“ 

Redner fand bei Leuten mit endemischem Kropf Stigmata neuro- 
pathiseher Konstitution sowie hyperplastische Erscheinungen am 
Körper. Er sehliesst daraus, dass diese Erscheinungen prädisponierend 
für die Erwerbung des endemischen Kropfes wirken. 

Als Diskussionsredner opponiert Stark- Karlsruhe den 
Kuhn’schen Angaben; er glaubt nicht an eine Heilung, bezw. Besse¬ 
rung durch den Militärdienst und plädiert für psychische und Ruhekur. 
Er bezweifelt die Richtigkeit der Kuhn’schen Diagnosen, hält die Sym¬ 
ptome vielmehr für neurasthcnischer Natur. Hausmann- Rostock 
dagegen hält die Kuhn’schen Beobachtungen für richtig. 

F i s c h 1 e r - Heidelberg und W o 1 f - New-York: „U e b e r den 
Mechanismus einigerDegenerations zustande der 
Leber.“ Demonstrationsvortrag. 

Magnus-Alsleben - VVürzburg: „U eher die Ec k’s che 
Fiste 1.“ Demonstrationsvortrag. 

Grober- Jena: „Pflanzliche Proteasen und ihre 
therapeutische Verwendung.“ 

Wir können in sehr vielen reifen Früchten und Wurzeln Fermente 
mit eiweisslichen Elementen vergesellschaftlicht — eiweissverdauende 
Elemente — nachweisen. Durch diese pflanzlichen Proteasen, welche 
die wirksame Fähigkeit des menschlichen Magendarmsaftes aller¬ 
dings nicht ganz erreichen, werden Zellulosen leicht gelöst. Das 
therapeutische Ergebnis daraus: fehlende Salzsäuresekretion wird an¬ 
geregt, bezw. gesteigert; die fehlende Fermentsekretion wird nicht 
angeregt. 

Prvm - Bonn: „Ist das Ewald-Boa s’s che Probe- 
frühstück im Magen geschichtet?“ 

Vortragender hat die Frage, die er schon früher bejaht hat, mit 
der doppelseitigen Magensonde nochmal nachgeprüft; er kommt wiederum 
zu demselben bejahenden Resultat. 

Schütz- W’ien: „Ueber die Rolle der Säure bei 
der Magenverdau un g.“ 

Die Ro'le der Säure wird theoretisch auf Grund experimenteller 
Untersuchungen erörtert. 

Hohlweg- Giessen: Ueber Salzsä ureab sc hei düng 
des Magens bei Erkrankungen und nach Exstir¬ 
pation der Gallenblase.“ 

Vortragender konnte eine starke Verminderung der Salzsäurepro¬ 
duktion nach operativer Entfernung der Gallenblase nachweisen. Das 

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Krone, Der 29. Kongress für innere Medizin. 


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gleiche Resultat erhielt er hei mechanischem Verschluss des Ductus 
cysticus. 

Kirchheim - Marburg: „\V eitere Untersuchungen 
über trvp tische Verdauun g.“ 

Wird eine Lösung von Rinderpankreastrypsin in die Gewebe in¬ 
jiziert, so entsteht eine Oedemnekrose (Hämorrhagie). Der Darm ist 
von innen gegen diese Wirkung immun, ebenso wie andere Organe mit 
Schleimhautüberzug — wie Blase und Oesophagus. Diesen Schutz 
bedingt der Schleim rein mechanisch, es spielen keine spezifischen Anti¬ 
trypsine mit. 

G i g o n - Basel: „U eher die Bedeutung der Gewürze 
in der Ernähr un g.“ 

Redner hat Respirationsversuche gemacht und kommt zu dem Er* 
gebnis, dass durch Gewürze der Stoffwechsel gesteigert w r ird. 

Röhl- Elberfeld: „Experimentelle Untersuchun¬ 
gen über den Aufbau von Lipoiden imTierkörpe r.“ 

Vortragender fand, dass nicht die Gesamtheit der in Alkohol und 
Aether löslichen Lipoide für die Erhaltung des Lebens und das Wachs¬ 
tum von Säugetieren nötig ist, sondern nur ein Hauptbestandteil: das 
Lezithin. 

Stepp- Giessen: „Experimente über die Einwir¬ 
kung langdauernden Kochens auf lebenswich¬ 
tige Nahrungslipoide.“ 

Lebenswichtige Nahrungslipoide werden durch langdauerndes Ko¬ 
chen ungenügend zur lebenswichtigen Nahrung. 

Frank- Breslau: „Ueber die Variationen des exo¬ 
genen Purinstoffwechsels durch Atopha n.“ 

Atophan wirkt beschleunigend auf die Ausscheidung der Harn¬ 
säure bei Purinfütterung. Es ist wahrscheinlich, dass durch diese ver¬ 
mehrte Ausscheidung die Zersetzung der Nukleinsäure in die Bahn der 
Harnsäurebildung gelenkt wird. 

Weidenbaum - Neuenahr: „Beiträge zur Lehre vom 
Diabetes mellitu s.“ 

Redner hat Versuche über die Löslichkeit der Stoffwechselprodukte 
des Diabetes durch Neuenahrer Sprudel und andere Mineralwässer 
angestellt, wobei er fand, dass die Löslichkeit bei den einzelnen Wässern 
verschieden, sowie auch abhängig von der Temperatur ist. Versuche, 
die er in gleicher Richtung mit Radium gemacht hat, ergaben ein ne¬ 
gatives Resultat. Dagegen erzielte er bei den letztgenannten Versuchen 
eine gute Wirkung auf die Harnsäure. 

Funck - Köln: „U eher Prophylaxe und Kausal¬ 
therapie des Diabetes mellituS.“ 

Vortragender plädiert für eine kausale Therapie bei Diabetes 
mellitus neben der allgemein geübten beschränkten Reiztherapie. 

P 1 ö n i e s - Hannover: „Funktionsstörungen der 

Lungen und Reizerscheinungen am Thorax im 
Bereiche der Lungen bei Magenkrankheite n.“ 

Die genannten Funktionsstörungen und Reizerscheinungen können 
derart im Vordergrund stehen, dass Fehldiagnosen möglich sind. 

H a n s e n - Kristiania: „Der Laktophenin-Ikterus. 1 

Eine Nebenerscheinung der Laktopheninwirkung ist der Ikterus, 
der gewöhnlich nach 8—lü Tagen auftritt, auch wenn nur 4—5 Tage 
Laktophenin gegeben wurde. 



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Referate und Besprechungen. 


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Prorok - Soden i. T.: „Zur Chemie des S p u t u nt s.“ 
* Redner hat Sputa auf Kalk, Phosphor und Magnesia untersucht 
mit dem Ergebnis, dass bei chronischer Bronchitis, sowie auch bei 
Lungentuberkulose der Kalk- und Magnesiagehalt gering ist. Der Phos¬ 
phorsäuregehalt ist bei chronischer Bronchitis niedrig, bei Tuberkulose 
hoch; mit der Schwere der Krankheit steigt der Gehalt. Der Phosphor¬ 
säuregehalt geht parallel dem Eitergehalt, Kalk und Magnesia parallel 
dem Schleimgehalt im Sputum. 

Lefmann - Heidelberg: „Behandlung des Kardio- 
s p a s m u s.“ 

Die Behandlung, die der Vortragende vorschlägt, besteht darin, 
dass man eine Ballonsonde in den Magen bringt und den aufgeblähten 
Ballon durch den Oesophagus heraufzieht. 

Strübe - Köln: „Die erweiterte therapeutische 
Verwendung der Magenspül un g.“ 

Redner empfiehlt die Verwendung der Magenspülung bei allen 
Krankheitserscheinungen, die auf Autointoxikation beruhen; so vor 
allem bei Diabetes, wo er ein Verschwinden der Glykosurie, sowie der 
Nebenerscheinungen wie Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit usw. beob¬ 
achtet hat. 

In der Diskussion bestätigt W e i d e n b a u m - Neuenahr 
die Erfahrungen S t r ü b e s und P 1 ö n i e s - Hannover erklärt die 
guten Erfolge, die er ebenfalls gesehen haben will, damit, dass die Gä- 
rungs- und Zersetzungsprodukte im Magen ätiologisch für den Diabetes 
neben einer Disposition verantwortlich zu machen seien. 

Haupt- Soden i. T.: „U eher Vesikuläratme n.“ 

Das Vesikuläratmen stammt aus Eigenschwingungsgeräuschen des 
Lungengewebes. 


Referate unö Besprechungen. 


Innere Medizin. 

Bruhn, Fahräus (Stockholm), hebt die Bedeutung rezidivierender Angina 
tonsillaris als des Ursprungsherdes vieler Herzfehler hervor, die auch ohne 
vermittelnden Rheumatismus direkt als Folgen der ersteren angesehen wer¬ 
den können. Bei jüngeren Individuen mit Herzfehlern, deren Ätiologie un¬ 
bekannt ist, kommt es nicht selten zu Kompensationsstörungen, die man 
wohl auf eine Exazerbation des endokarditischen Prozesses ansehen darf, 
ohne daß man dieselbe direkt nachweisen kann, während gerade zu dieser 
Zeit eine entzündliche Angina mit Pfropfenbildung, Schwellung der einen 
oder anderen Halsdrüse vorhanden ist Es ist ganz auffallend, wie viele 
mit einem Mitralfehler behafteten jüngeren Individuen gerade an rezidi¬ 
vierender Angina leiden und es ist immerhin möglich, daß letztere den 
Ausgangspunkt derselben bilden. Man soll daher den rezidivierenden Anginen 
die besondere Aufmerksamkeit zuwenden und durch Behandlung derselben 
Rezidiven bestehender Endokarditiden vorzubeugen trachten, vielleicht ist 
es auch möglich, die Zahl der Herzfehler überhaupt hierdurch zu ver¬ 
mindern. (Hygiea Stockholm.) Klemperer-Karlsbad. 

Parker, Ch. A., Schilddrüsentumor an der Zungenbasis. (Proc. R. Soc. of 
Medicine, Bd. V, No. 6.) 

Es scheint sich um eine angeborene Verlagerung der Schilddrüse zu 
handeln, denn am Hals ist von einer solchen kaum etwas zu fühlen, während 
der Tumor durch seine Größe das Sprechen erschwert. In der Diskussion 


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Referate und Besprechungen. 


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wurde vorgeschlagen, den Tumor nach Spaltung des Zungengrundes seinem 
richtigen Platz zu nähern, ihn halb oder auch ganz zu exstirpieren, oder 
ihn in C-oco zu lassen und zu versuchen, ob man ihn durch Jod (innerlich) 
verkleinern könne. Fr. von den Velden. 

Syllaba, L. (Prag). Die aknte Inlluenzabronchiolitis der Erwachsenen. (Ther. 

. Gegenw. 1912, H. 3.) 

Aus seinen eingehend wiedergegebenen Beobachtungen und Folge¬ 
rungen bei einem Falle von akuter Influenzabronchiolitis stellt Syllaba 
folgende charakteristischen Züge dieser Krankheit zusammen: akuter zykli¬ 
scher Verlauf, exspiratorische Dyspnoe und Oligopnoe (verlangsamte 
Atmung mit verlängertem Exspirium), typischer physikalischer Befund (heller 
Schall mit Verschiebung der unteren Grenze nach unten, abgeschwächtes 
In-, verlängertes Exspirium, Rasseln ohne jede Konsonanz, keine Verstär¬ 
kung von Bronchophonie und Fremitus) reichliche, eitrige Expektoration. 
Zyanose, schwerer fieberhafter Allgemeinzustand, Ähnlichkeit mit Asthma 
bronchiale. Esch. 

Minkowski, 0. (Breslau), Betrachtungen über das Lungenemphysem. (Ther 
d. Gegenw. 1912, H. 1 u. 2.) 

Die eingehenden Ausführungen Minkowskis, die zu kurzem Referat 
nicht geeignet sind, betonen u. a. auch die besondere Bedeutung, die der 
therapeutischen Beeinflussung des Zirkulationsapparates bei der 
Behandlung des Lungenemphysems zukommt (Herzmuskelinsuffizienz mit 
Stauungskatarrhen). Esch. 

Meidner, S. (Berlin), Die Behandlung bösartiger Geschwülste mit radio¬ 
aktiven Substanzen. (Thor. d. Gegenw. 1912, No. 2.) 

Dasselbe, was der Verfasser im Januarheft von der Röntgentherapie 
gesagt hatte, gilt auch von der Behandlung mit radioaktiven Substanzen: 
auch ihre Wirkung ist nur bei oberflächlichen Epitheliomen und Sarkomen 
der Haut günstig, für einige andere Tumorformen nicht gerade ungünstig, 
für alle übrigen aber — und das sind die meisten und bösartigsten — aus¬ 
gesprochen schlecht. Esch. 

Zinn, W. (Berlin), Über die nietastatischen Nieren- und paranephritischen 
Abszesse, ausgehend von Furunkeln. (Ther. d. Gegenw. 1912, H. 4.) 

Seitdem wir die Nieren als wichtiges Ausscheidungsorgan der Bak¬ 
terien bei Infektionskrankheiten würdigen gelernt haben, hat das Auftreten 
von metastatischen Nierenherden selbst längere Zeit nach Heilung der pri¬ 
mären Affektion nichts Auffallendes mehr. Der Zusammenhang zwischen 
beiden wird besonders durch den Nachweis der gleichen Erreger erbracht 
(Staphylokokken). Der solitäre metastatische Nierenabszeß ist ein wichtiges 
Grenzgebiet der inneren Medizin und Chirurgie. Es täuscht oft längere 
Zeit ein inneres Leiden vor, bis ein größerer schmerzhafter Tumor in der 
Nierengegend auf die richtige Diagnose führt. Der Druckschmerz 
ist das wichtigste Symptom der Krankheit, der Abszeß liegt öfter am oberen 
als am unteren Nierenpol, häufig ist Vergrößerung der erkrankten Niere 
erkennbar, der Urinbefund meist negativ, weil der Abszeß gewöhnlich in der 
Rinde sitzt. Rote Blutkörperchen im Harnsediment sind ein wichtiges, aber 
nicht konstantes Symptom, eiterhaltig wird der Harn nur bei Durchbruch 
des Abzesses ins Nierenbecken. Stets besteht Fieber von unregelmäßigen) 
Verlauf, oft von Schüttelfrösten unterbrochen, daneben Mattigkeit und Kopf¬ 
schmerz. Differentialdiagnostisch kommt im Anfang Typhus, Tuberkulose, 
schleichende Pleuritis, Endokarditis, kryptogene Sepsis usw. in Betracht. 
Rechtzeitige Erkennung ist für die operative Behandlung von Wichtigkeit. 
Das Gesagte wird an einigen entsprechenden Fällen demonstriert, 

Esch. 

Quintard, E. (New York), Hepatointestlnale Toxämie. (Post - Graduate, 
Bd. 27, No. 2,) p 

Quintard braucht diesen Namen für die Folgen eines falschen Stoff¬ 
wechsels im Darm und den zugehörigen Organen, der Leber und vielleicht 


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Referate und Besprechungen. 


823 


auch des Pankreas. Er faßt also damit eine Menge Zustände unter einem 
Gesichtspunkt zusammen, die sonst unter verschiedenen Namen gehn, wie 
Biliosität, Autointoxikation, Uricacidämie, gichtische Diathese, Neigung zur 
Steinbildung usw. Die Symptome sind zum großen Teil solche, die man 
gewöhnlich als nervöse oder neurasthenische bezeichnet, sind gewöhnlich 
in geringerem Grade dauernd vorhanden, nehmen aber von Zeit zu Zeit 
an Heftigkeit zu, ohne daß man gewöhnlich die Veranlassung angeben 
könnte. Gemütsdepression bis zum Lebensüberdruß spielt unter ihnen eine 
große Rolle, daneben große Reizbarkeit. Bei geringeren Graden der Krank¬ 
heit kann das Aussehen ziemlich gesund sein, bei höheren sind die Binde¬ 
häute leicht ikterisch, die Zunge belegt, der Ernährungszustand meist mangel¬ 
haft, ja in den schweren Fällen so schlecht, daß der Gedanke an eine 
maligne Erkrankung nahe liegt. 

Den akuten Verschlimmerungen geht nicht selten (gerade wie beim 
Gichtanfall) ein Stadium der „Hypereuphorie“ vorher. Charakteristisch ist 
ein Gefühl von Unbehagen im rechten Hypochondrium, Muskelschwäche, 
Übelkeit (doch selten Erbrechen), Frost und Schwindel; dazu kommt in 
schwereren Fällen Dyspnoe, Herzklopfen und Taubheit in den Gliedern, 
Bewußtseins- und Sprachstörungen und epilepsieähnliche Anfälle, so daß 
zuweilen nur spezialistische Untersuchung vor der Diagnostizierung schwerer 
organischer Schädigung schützen kann. Symptome von Magenerkrankung 
fehlen mit Ausnahme einer nur bei schwereren Fällen und akuten Ver¬ 
schlimmerungen bestehenden Anorexie. 

Die Behandlung zielt auf eine Reinigung des Körpers von un¬ 
erwünschten Stoffwechselprodukten. In schweren Fällen muß dabei Bett¬ 
ruhe bis zu drei Monaten und möglichste Isolation von den normalen Un¬ 
annehmlichkeiten des Lebens verschafft werden, am besten durch Behand¬ 
lung in einem Sanatorium. Quintard gibt eine sehr spezielle Anweisung, 
wie man den Darm und die Leber ausfegen solle, mit Mercurialpräparaten, 
Mittelsalzen, Rizinusöl usw., so genau wird es aber wohl nicht darauf 
ankommen, wie man das anstellt. Auch Magen- und Darmspülungen sind 
zuweilen von Nutzen. Natürlich ist die Diät von besonderer Wichtigkeit, 
darf jedoch nicht schematisch geregelt werden, sondern hängt ganz davon 
ab, nach welcher Richtung sich der Kranke vom Pfad der Tugend entfernt 
hat. Quintards Erfahrungen passen nicht ganz auf deutsche Verhältnisse, 
doch ist auch für uns manche seiner Vorschriften gültig, die Einschrän¬ 
kung des Fleisch- und Fettgenusses und die Bevorzugung einer gemäßigten 
Milch-Ei-Kohlehydratediät. Einen guten Anhalt für die fortschreitende 
Reinigung des Leibes gibt der Gehalt des Urins an Ätherschwefelsäuren. 
Großen Wert legt er nach dem Vorgang der Franzosen auf Milch und 
ihre Gärungsprodukte, Kefir usw. als Einschränker der Fleischflora des 
Darms, sowie darauf, daß baldmöglichst bei den meist körperlich faul 
gewordenen Toxämischen für Massage, später für aktive Körperbewegung 
gesorgt wird. 

Mit einem Worte: die „hepatointestinale Toxämie“ ist die Krankheit 
derer, die mehr Nahrung und Reizmittel zugeführt haben, als sie verarbeiten 
konnten, und wird durch Fortschaffung der angehäuften Stoffwechselpro¬ 
dukte und Einführung einer dem wirklichen Verbrauch besser ange¬ 
passten Diät kuriert. Fr. von den Velden. 

Umber (Charlottenburg), Atropinbehandlnng: der Phosphaturle. (Ther. d. 
Gegenw. 1912, No. 3.) 

Von der Tatsache ausgehend, daß bei der Phosphatdiathese eine zu 
reichliche HCl abscheidung im Magen eine hervorragende Rolle spielt und 
das Ausfallen der Phosphatsedimente im Harn fördert, hat Umber in 
einer Reihe von hartnäckigen, jahrelang bestehenden Phosphatdiathesen eine 
energische Atropinkur angewandt und damit gute Erfolge erzielt. Er be¬ 
ginnt mit V 2 mg pro Tag, um dann in wenigen Tagen auf 3 mg pro Tag; 
jedesmal 1 mg nach der Mahlzeit, anzusteigen. Nach 14 Tagen geht er 
mit der Dosis allmählich wieder herunter und wiederholt die Kur nötigen- 


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Referate und Besprechungen. 


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falls von Zeit zu Zeit in derselben Weise. Er erreichte dadurch Erhöhung der 
Harnazidität und vermutlich auch Verringerung der Kalkresorption im 
Magen und der Kalkausfuhr im Harn. 

Diätetisch sind Kartoffeln, Wurzeln und grüne Gemüse zu beschränken. 
Milch und Eier gänzlich auszuschalten, Hülsenfrüchte, Zerealien, Brot, 
Fleisch, Käse zu bevorzugen. Esch. 

Meldner, S. (Berlin), Die Atophantlierapie der Gicht. (Ther. d. Gegenw. 
1912, H. 11.) 

Aus der zusammenfassenden theoretischen und praktischen übersieht 
geht hervor, daß die prompte günstige Beeinflussung des akuten Gicht¬ 
anfalls durch das Atophan allgemein anerkannt wird. Auch prophylaktisch 
wirkt es gut; weniger berufen erscheint es, in der Behandlung der chroni¬ 
schen Gicht eine Rolle zu spielen, kontraindiziert ist es bei Neigung zur 
Steinbildung. Es empfiehlt sich, die Einführung mit reichlicher Beigabe 
von Flüssigkeit und Natr. bicarb. (*/* Kaffeelöffel aufs Gramm Atophan) 
zu verbinden. Esch. 

Birnbaum, R. (Göttingen), Zur Therapie der nervösen Pollakiurie. (Frauen 
arzt 1912, No. 2.) 

Bei der nervösen Pollakiurie wird durch den vermehrten Harndrang 
ein bis auf event. geringe Schleimbeimengung völlig normaler Urin aus¬ 
geschieden; die Harnmenge ist nicht gesteigert. Zuweilen tritt dabei starker 
Tenesmus auf. Dieser Harndrang kann durch psychische Reize heeinflufli 
werden. Lokalbehandlung ist nur bei Blasenveränderungen indiziert, ln 
ganz schlimmen Fällen empfiehlt Voigt vorübergehende Anlegung einer 
Blasenscheidenfistel, sonst aber roborierende Behandlung, Bäder, Psycho¬ 
therapie. Esch. 

SuDmann, M. (Berlin), Zur Dloptrik des Gastroskops. (Ther. der Gegenw. 
1912, No. 3.) 

Mittels seiner außerordentlich eingehenden, zu einem kurzen Referat 
nicht geeigneten Arbeit will Sussmann das Interesse und das Verständ¬ 
nis des Gastroskopikers für die Wirkung und die Leistungsfähigkeit des 
optischen Apparats zu vertiefen suchen, insonderheit das Zusammenwirken 
von Theorie und Praxis fördern. Zahlreiche Abbildungen ergänzen die 
theoretischen Ausführungen. Esch. 


Chirurgie und Orthopädie. 

| Kuttner (Breslau), Die Chirurgie des Krieges. (Med. Blätter 1912, No. 6.) 

Der vorliegende Aufsatz ist kein Originalartikel, wie es im Inhalts¬ 
verzeichnis fälschlich heißt, sondern ein, dazu nicht einmal gutes Referat, 
das mehr Nebensächlichkeiten als die Kernfragen selbst berücksichtigt. 
Daran ist natürlich der Autor, der bekannte Breslauer Chirurg, der als 
Leiter einer Roten Kreuz Ambulanz sich im Burenkrieg selbständig kriegs¬ 
chirurgisch betätigt hat und daher von den gegenwärtigen Inhabern der Lehr¬ 
stühle der Chirurgie neben Hildebrand unbedingt als der kompetenteste 
auf dem Gebiete der Kriegschirurgie bezeichnet werden muß (auch hierin 
zeigt sich der Einfluß seines großen Lehrers P. v. Bruns, des früheren 
Tübinger Chirurgen), vollständig unschuldig, vielleicht weiß er nicht ein¬ 
mal, daß ein Referat seines Vortrages als Originalartikel unter seiner 
Flagge segelt. Gegen dieses Verfahren, das die „Medizinischen Blätter“ schon 
des öfteren beliebt haben, muß Referent energisch Verwahrung einlegen. 
Abgesehen von. der Irreführung des ärztlichen Lesepublikums stehen 
der Verallgemeinerung eines derartigen Usus auch andere Bedenken ent¬ 
gegen: Ref. hat es jedenfalls bei der Lektüre als sehr störend empfunden, 
daß in dem erwähnten Aufsatz der Autor bald selbst spricht („ich zeige 
Ihnen Lichtbilder“ usw.), bald als Redner auftritt. Dazu kommt noch ein 
überaus lästiger Druckfehler in der ersten Zeile des letzten Absatzes, der 
bei einiger Aufmerksamkeit leicht auszumerzen gewesen wäre. Doch genug 



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Referate und Besprechungen. 


825 


I 


des grausamen Spieles. Ref. wünscht sich möglichst wenige derartige 
Aufsätze, bei dem es so viel zu kritisieren und wenig zu referieren gibt, 
und den Lesern der „Medizinischen Blätter“ andere Originalartikel. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

I.eedhatn-Green C., Die operative Behandlung des M. Basedowii. (Proc. R. 
oc. of Medicine, Bd. 5. No. 5, S. 75.) 

In einer obigen Gegenstand betreffenden Diskussion äußerte L. An¬ 
sichten, die als Gegengewicht gegen Kochers Radikalismus bemerkenswert 
sind. So günstig das unmittelbare Resultat der Operation ist, so wenig 
ist auf dauernde Heilung mit Bestimmtheit zu rechnen. L. stützt sich dabei 
besonders auf deutsche Statistiken. Garre hat in 20 <>.o seiner Fälle 
den Exophthalmus, in 10 "o die Tachykardie unverändert fortbestehn sehn. 
Eiseisberg hat nur 32 « o komplette Heilungen, Küttner 33"», und 14",» 
ohne alle dauernde Besserung. 

In England ist die Operation des exophthalmischen Kropfs bis jetzt 
nur letzte Zuflucht, L. ist dafür, daß man, wenn Ruhe und innere Be¬ 
handlung versagt haben, bald zur Operation greifen solle, obgleich die 
Mortalität ziemlich hoch ist, da nicht jeder Kochers Erfahrung und Ge¬ 
schicklichkeit besitzt. Fr. von den Velden. 

Röhrne. über untere Halswirbelluxationen im Anschluß an einen Fall von 
Rotationsluxation. (Inaug.-Dissertation Halle 1912.) 

Verfasser berichtet ausführlich über einen Fall von Rotationsluxation 
im linken Seitengelenk des fünften Zervikalwirbels mit linksseitigen Con- 
tusio thoracis, in dem keine Erscheinungen von seiten des Nerven auf traten. 
Die Reluxation wurde nach dem Verfahren von Hüter vorgenommen. 
Im weiteren Verlauf trat Heilung ein. Verfasser bespricht im Anschluß 
daran in ausführlicher Weise die Ätiologie, das Zustandekommen, den Sym- 
ptomenkomplex, die Prognose und Therapie der Halswirbelluxationen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Rühlmann, Über die Behandlung der Flexionsankylosen im Hüftgelenk. 
(Inang.-Dissert. Halle 1911.) Wl 

Im Anschluß an einen Fall von Flexionsankylose des Hüftgelenks, 
in dem v. Bramann die Osteotomia subtrochanterica ausführte, bespricht 
Verfasser die verschiedenen Operationsmethoden, die bei dem genannten 
Leiden angegeben worden sind. K. Boas-Straßburg i. E. 


Gynäkologie und Geburtshilfe. 

Esch, P, u. Schröder, F., Bakteriologische Untersuchungen über die Wirkung 
von Vaginalspülungen bei graviden Frauen. Aus der Univers. - Frauenklinik in 
Marburg (Zeitschr. 1. Gebh. u. Gyn 1912, 70. Bd , 1. Heft.) 

Die Fragestellung lautet: Werden endogene Keime durch Schei¬ 
denspülungen bei schwangeren Frauen beeinflußt? Es wurden 10 Schwan¬ 
gere mit physiologischer Kochsalzlösung gespült und nach 4, 8, 12 und 
24 Stunden wurde das Scheidensekret mittels Wattepinsels aus der unteren, 
mittleren und oberen Vagina entnommen und damit Strichagarplattenkul¬ 
turen angelegt. Es stellte sich heraus, daß in der Tat durch diese Spülun¬ 
gen eine nicht unwesentliche Verminderung der Zahl besonders der vor¬ 
handenen Kokken, aber auch der Stäbchen eintritt. Das galt auch von 
einer zweiten Spülung nach 48 Stunden. Bei Verwendung von Kochsalz¬ 
lösung muß man die Wirkung als rein mechanische auffassen. Wurden 
chemische Desinfizienzien verwendet* so ergaben sich noch besondere Wir¬ 
kungen, wie Beseitigung der Hämolyse; aber es sind in dieser Richtung 
zu wenig Versuche angestellt worden, um praktisch etwas aus ihnen folgern 
zu können. Nur das eine ist erwiesen, daß 1 prozentige Seife nkresol- 
1 ö s u n g gut desinfizierend wirkt. — Verfasser betonen, daß es sich in 
erster Linie darum handelt, bei einer inneren Untersuchung keine Keime 
in die Schleimhaut zu inokulieren, infolgedessen müßten logischer- 


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Referate und Besprechungen 


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weise die Spülungen vor und nicht nach der inneren Untersuchung ge¬ 
macht werden. Bei protrahierten Geburten dürfte es sich empfehlen, etwa 
alle 10 Stunden eine Scheidenausspülung vorzunehmen. 

R. Klien-Leipzig. 

Paskiewicz, S. (Ufa), Ein Fall von ausgetragener Extrauteringravidität. 
(Ztrbl. f. Gyn. 1912, No. 4.) 

Be : der Operation, zu der die Patientin erst nach dem Tode des 
Foetus bei hohem Fieber und schlechtem Allgemeinzustand ihre Ein¬ 
willigung gegeben hatte, fand man den Fruchtsack mit Bauchwand, Peri¬ 
toneum, Netz und Därmen so verwachsen, daß seine vollständige Entfer¬ 
nung nicht möglich war; es wurde daher nur ein Teil exstirpiert, die 
Ränder an die Bauchwand angenäht und die Höhle tamponiert. 2 Tage 
später Tod der Patientin. — Im Anschluß an diese Krankengeschichte 
Mitteilung einer Reihe von Fällen von Extrauterin-Gravidität der späteren 
Periode aus der russischen Literatur. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Bcnthin, Walther, Die Wirkung des Hypophysenextraktes zur DIHerentUI- 
diagnose zwischen Schwangerschaft und Geburt. Aus der städt. Frauenklinik 
iu Frankfurt a. M. (Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn. 1912, 70. Bd., 1. Heft.) 

Sub partu gegeben, vermehrte das Hypophysenextrakt bezw. Pitu- 
glandol in 40 Fällen fast stets die Wehentätigkeit, war aber nicht immer 
imstande, in der Nachgeburtsperiode atonische Blutungen zu verhindern. 
Echte Schwangerschafts wehen gelang es wohl gelegentlich für 
kurze Zeit auszulösen, aber sie erlahmten immer sehr schnell wieder, 
selbst bei wiederholter Injektion. Es ist also nicht möglich, eine Geburt 
mittels Hypophysenextraktes in einem beliebigen Zeitpunkt der Schwanger¬ 
schaft einzuleiten; die Fälle, in denen dies angeblich gelang, seien Zufalls¬ 
fälle gewesen, es hätte bei ihnen tatsächlich die Geburt bereits spontan begon¬ 
nen gehabt, ohne daß dies erkannt worden wäre, was ja auch mit Sicher¬ 
heit nicht immer möglich ist. R. Klien-Leipzig. 

Griffith, W. S. A., Supravaginale Hysterektomie während der Schwanger- 
schalt anstelle künstlichen Aborts wegen wiederholter Melancholie. (Proc. R. 
Soc. of Medicine, Bd. ö, No. 5.) 

Da die Kranke schon zweimal in der Schwangerschaft bezw. dem 
Wochenbett melancholisch geworden war, wurde bei der dritten Schwanger¬ 
schaft Abort und Sterilisation beschlossen und, um ihr den etwa 24 Stunden 
dauernden Abort und die darauf folgende Operation zu ersparen, die supra¬ 
vaginale Amputation mit Zurücklassung der Tuben und Ovarien ausgefühn. 
■Seitdem ist die Kranke geistig gesund geblieben, es ist allerdings noch 
nicht lange her. In der Diskussion wurde von Herbert Spencer behauptet, 
es sei falsch einer derartigen Kranken, zumal wenn sie Kinder wünsche, 
die Hoffnung auf weitere Nachkommenschaft abzuschneiden, da dies geradezu 
als Geisteskrankheit beförderndes Moment wirken könne; entschlösse man 
sich aber doch dazu, so sei die Tubenexzision einfacher und gefahrloser. 
Übrigens widerrieten erfahrene Gynäkologen bei allen Geistesstörungen im 
Beginn der Schwangerschaft jeden Eingriff, da sie auf künstlichen Abort 
dauernde Geisteskrankheit folgen sahen. Fr. von den Velden. 

Sachs, E., Bakteriologische Untersuchungen beim Fieber während der Ge¬ 
burt, Aus der Univ.-Frauenklinik in Königsberg. (Zeitschr. f. Gebh u. Gyn., 
1912, 70. Bd., 1. Heft.) 

War die Königsberger Klinik schon beim fieberhaften Abort für die 
abwartende Behandlung eingetreten, so tut sie jetzt dasselbe für fieberhafte 
Geburten. Zu diesem im Gegensatz zu den üblichen Gepflogenheiten stehen¬ 
den Verfahren gelangte man durch die Beobachtung des Wochenbettes 
derjenigen Frauen, welche sub partu gefiebert hatten. Das Material ist 
zwar noch relativ klein, aber desto besser bearbeitet. — Aus den bakterio¬ 
logischen Untersuchungen der Fälle ergab sich zunächst die überragende 



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Referate und Besprechungen. 


827 


Bedeutung der hämolytischen Streptokokken. Sie können sub partu zum 
Fieber führen, gleichgültig, ob sie in Reinkultur vorhanden sind oder nicht, 
das Fieber tritt oft schon in relativ kurzer Zeit ein, unabhängig davon, 
ob noch andere die Infektion unterstützende Momente dazu kommen oder 
nicht. Im Gegensatz zu den hämolytischen Streptokokken führen alle an¬ 
deren Keime erst nach viel längerer Geburtsdauer zum Fieber 
und fast nie fehlen andere unterstützende Momente, wie 
Placenta praevia, Tamponade, zersetztes Blut, außerhalb der Klinik be¬ 
gonnene aber nicht zu Ende geführte Operationen, lange Bahnfahrten bei 
gesprungener Blase u. a. Wenn auch in den typischen Fällen den ver¬ 
schiedenen Infektionserregern ein bestimmter Fiebertypus zu entsprechen 
scheint, so kann man klinisch keine bindenden Schlüsse auf die Art der 
gerade vorhandenen Infektionserreger ziehen. Höchstens das eine kann man 
sagen, daß bei Fieber unter 39 0 und Puls unter 100 eine Streptokokken¬ 
infektion unwahrscheinlich ist; derartige Fälle hat man ja von jeher günstig 
beurteilt. Leider läßt sich die bakteriologische Untersuchung eines kon¬ 
kreten Geburtsfieberfalles nicht einmal in Kliniken so durchführen, daß 
ein praktischer Nutzen aus ihr entspränge, schon der langen Zeit halber, 
bis die Kultur gewachsen ist. — Den Praktiker interessiert am meisten 
die Frage, wie verhielten sich die Wochenbetten nach fieberhaften Ge¬ 
burten? Da stellte sich zunächst heraus, daß die Dauer der Geburt nach 
dem Blasensprung, die für das Eintreten von Fieber sub partu bedeutungs¬ 
voll ist, für den Wochenbettsverlauf sehr viel weniger wichtig ist, und 
zwar gilt dies für alle Keimarten. Nur eine sehr lange Dauer des 
subpartalen Fiebers läßt klinisch die Voraussage eines fieberhaften Wochen¬ 
bettes zu. Sonst kann prognostisch nur auf Grund bakteriologischer Unter¬ 
suchungen geurteilt werden. Die Anwesenheit hämolytischer Streptokok¬ 
ken intra partum bedingte eine fast dreimal so große Wochenbettsmorbidität 
wie das Fehlen dieser Keime, und sie bedingte auch die schwersten 
Wochenbettserkrankungen. Sehr wichtig ist die Erkenntnis, daß sich bei 
durch andere Keime hervorgerufenen schweren Wochenbettserkran¬ 
kungen fast immer eine besondere Ursache für die Schwere 
der Infektion nachweisen ließ; d. h. diese Schwere hätte oft vermieden 
werden können. Derartige Ursachen waren Tamponaden, Verletzungen u. ä. 
Mit anderen Worten: es kommt vorwiegend auf die Art der Ge¬ 
burtsleitung an. Die Gefahr für das Wochenbett wächst mit der 
Häufigkeit der Verletzungen. „Diese Gefahr, in die wir unsere Wöch¬ 
nerinnen durch unsere Eingriffe bringen, ist weit größer, als die, in der 
sie bei bestehender Infektion schweben, selbst wenn wir nichts zur Ab¬ 
kürzung des Infektionszustandes tun.“ Die Dauer der Infektion und 
die Art der Entbindung sind von unserem Willen abhängig, gegen 
die Art der infizierenden Keime sind wir machtlos. Da nun, vielleicht 
außer bei hämolytischen Streptokokken, die Dauer des subpartalen Fie¬ 
bers eine untergeordnete Rolle spielt, so ist eine schonende Entbin¬ 
dung bei allen infizierten Fällen wichtiger als eine schnelle, 
auch und ganz besonders bei Anwesenheit von hämolytischen Streptokokken. 
Denn bei diesen ist die Prognose von vorn herein eine unsichere, sie kann 
durch jeden Eingriff verschlechtert werden; sie wird es durch jede ver¬ 
letzende Operation mit Sicherheit. Auch bei allen anderen Keimen ist 
die Gefahr des Abwartens geringer als die Gefahr der operativen Ent¬ 
bindung. Treten also nicht andere Indikationen ein, so wird man gut 
tun, bei Fieber intra partum die spontane Entbindung abzuwarten oder 
doch die operative erst dann vorzunehmen, wenn eine ganz leichte, keine 
Verletzungen setzende Operation möglich ist (Zange, Extraktion, 
Perforation — nicht aber Wendung, Kaiserschnitt u. a.). Von großem 
Vorteil dürfte sich die Darreichung von Hypophysispräparaten zur Ge¬ 
burtsbeschleunigung erweisen. Es sei zum Schluß nochmals betont, daß 
alle diese Deduktionen, da sie aus einem relativ kleinen Material herge¬ 
leitet sind, in erster Linie zur Nachprüfung auffordern sollen. 

R. Klien-Leipzig. 


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828 


Referate und Besprechungen. 


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Seilheim, H. (Tübingen), Das künstliche Modellieren des Kindsschädels 
durch Bewegungen des weiblichen Beckens. (Zentralbl. f. Gyn. 1912, No. 1.) 

Durch abwechselnde Hänge- und Rückenlage soll ein nicht allzugroBes 
Mißverhältnis zwischen Becken und Kopf dadurch ausgeglichen werden, 
daß bei der durch die Hängelage erzielten Erweiterung des Beckeneingangs 
der Kopf ins Becken eintritt, während bei der Beckenverengerung in der 
Rückenlage der durch Druck oder Zug festgehaltene Kopf im Becken 
zurechtgedrückt und so allmählich die Anpassungsfähigkeit des kindlichen 
Kopfes an das Becken in größtmöglichem Maße ausgenützt wird. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Meyer, Leopold et Hauch, E. (Kopenhagen), Les Rupturcs de la Dure-ARre 
cranienne chez les Nouveau-N6s, (Arch. mens. d’Obst et de Gvn6c. D* Ann6e, 
No. 3. — 17' An. de l’Obstötrique. März 1912.) 

Verfasser kommen zu ähnlichen Anschauungen wie Ben ecke u. A. 
Während die Risse der Falx cerebri und des oberen Blattes des Tentoriums 
wenig Bedeutung haben, weil dabei keine Gefäße mitzureißen pflegen, sind 
die Risse des unteren Tentoriumblattes verhängnisvoll, da hierbei oft 
größere Venen mit zerreißen, besonders solche am inneren Rande des 
Tentoriums. Die Risse selbst kommen besonders dann zustande, wenn der 
Kopf im frontookzipitalen Durchmesser komprimiert wird, wenn er also 
bei schwierigen Zangenextraktionen über Stirn und Hinterhaupt gefaßt wird, 
und bei Extraktionen des nachfolgenden Kopfes. Unter 66 Fällen von 
Zangenextraktionen hatte die Zange 20 mal schlecht gelegen. 12 mal war 
trotzdem die Extraktion leicht und erfolgte keine Ruptur. In 8 Fällen war 
aber außer der schlechten Lage der Zange die Extraktion auch noch 
schwer; in diesen Fällen kam es zu schweren Rupturen. 

R. Klien-Leipzig. 

van der Hoeven P. C. T., Die Bedeutung der Blasensprengung bei der Ge¬ 
burt. (Zeitschr. f. Gebh. u. Gyn. 1912, 70. Bd., 1. Heft.) 

v. d. H. ist nicht der erste, der seine Stimme gegen die noch immer 
in den Lehrbüchern festgehaltene Ansicht erhebt, daß der frühzeitige Blasen¬ 
sprung unter allen Umständen etwas Schädliches sei. Noch niemand hat 
aber seinen Widerspruch so gut gestützt sowohl theoretisch als auch durch 
praktische Untersuchungen, wie v. d. H. Im theoretischen Teil seiner Ar¬ 
beit weist er nach, daß die stehende Fruchtblase betreffs Erweiterung 
des äußeren Muttermundes fast immer in ungünstiger Richtung wirkt und 
daß die Dehnung des unteren Uterinsegmentes nur dann erfolgreich vor 
sich geht, wenn entw r eder die Fruchtblase frühzeitig springt oder — was 
gleichbedeutend sei — wenn ihre Ablösung von der Uteruswand im Deh¬ 
nungsbezirk ausgiebig ist. An einem größeren Beobachtungsmaterial konnte 
v. d. H. den Nachweis führen, daß durch das Springen der Eihäute die 
Geburt beschleunigt w : ird. Ferner weist v. d. H. die Nichtigkeit aller 
der bekannten sog. Nachteile nach, die frühzeitiger Blasensprung zur Folge 
haben soll, inkl. Vorfall der Nabelschnur. Was die gesteigerte Infektions¬ 
gefahr anlangt, so ergab sich, daß dies erst dann der Fall ist, wenn 
die Geburt nach dem Blasensprung noch länger als 15 Stunden dauert. 
Deshalb sei es allerdings erwünscht, innerhalb 5—10 Stunden nach dem 
Blasensprung die Geburt zu beenden. — Für die Praxis zieht v. d. H. 
aus seinen Beobachtungen den Schluß, in allen Fällen, in denen zu er¬ 
warten ist, daß nachher die Geburt spontan oder mit Hebosteotomie (oder 
mit Zange? Ref.) beendet werden kann, die Fruchtblase künst¬ 
lich zu sprengen, wenn der Muttermundsdurchmesser 
4—5 cm beträgt. Die Sprengung soll jn Seitenlage in der Wehen¬ 
pause vorgenommen werden, die Frau soll dann die Seitenlage beibehalten, 
um Nabelschnurvorfall zu verhüten. Die Praxis hat ergeben, daß dieses 
Verfahren durchaus richtig ist. Die frühzeitige Blasensprengung hat die 
durchschnittliche Geburtsdauer abgekürzt, die Häufigkeit der Kunsthilfe, 
besonders auch der Zange um Vs— 2 / 3 herabgesetzt. Nachblutungen in ver¬ 
stärktem Maße haben sich nicht eingestellt, kein einziges Kind ist infolge 



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Referate und Besprechungen. 829 

der manuellen Blasensprengung zu Grunde gegangen, keine einzige Mutter 
infolgedessen erkrankt. R. Klien-Leipzig. 

Vert6s, Oskar u. Zenker, Paul, Das Sarkom des Gebärmutterhalses. (Zeit, 
schrift f. Gebh. u. Gyn. 1912, 70. Bd., 1. Heft.) 

Es handelte sich um einen Fall von polypösem ovozelluliiren Sarkom 
der Zervix bei einer 35 jähr. IX.-para. In ausgeblutetem, inoperablem Zu¬ 
stand in die Klinik gebracht, starb sie bald nach der Einlieferung. Das 
wichtigste ist, daß die Frau D/g Jahr vorher anderwärts operiert worden 
war. Es waren wahrscheinlich damals polypöse Wucherungen entfernt, aber 
deren histologische Untersuchung verabsäumt worden. Sonst wäre wahr¬ 
scheinlich die Frau durch rechtzeitige radikale Operation zu retten gewesen. 
Die Zervixsarkomfälle sind sehr selten, es sollen bis jetzt erst 18 Fälle 
bekannt sein. R. Klien-Leipzig. 

Benthin, W. (Frankfurt a. M.), Über Wehenanregung durch Hypopbysen- 
extrakt. (Ther. d. Gegenw, 1912, H. 4.) 

Nach B e n t h i n s Erfahrungen ist das Hypophysenextrakt ein sou¬ 
veränes wehenerregendes Mittel und ein wichtiges ungefährliches Differen- 
tialdiagnostikum zwischen den Schwangerschafts- und Geburtswehen. Die 
Einleitung einer Geburt gelingt dadurch nur zufällig; am wirksamsten ist 
cs bei Wehenschwäche in der Austreibungsperiode, wo es einen großen 
Teil der Zangeneingriffe entbehrlich macht. Esch. 

Fischer, 0. (Würzburg), Pituitrinwirkung in 50 geburtshilllicken Fällen. 

(Zentralbl. f. Gyn. 1912, No. 1.) 

Empfehlung des Mittels als Wehenmittel bei primärer und sekundärer 
Wehenschwäche, als unterstützendes Mittel bei im Gange befindlichem Abort 
oder bei künstlicher Frühgeburt, zur Beschleunigung der Geburt aus Rück¬ 
sicht auf die Mutter (enges Becken, Fieber während der Geburt, Infek¬ 
tion nach intrauterinen Eingriffen, gewisse Fälle von Plac. praevia) oder 
das Kind, als Prophylaktikum gegen auf Grund der Anamnese zu er¬ 
wartende Nachgeburtsblutung, sowie gegen Ischurie im Wochenbett auf 
grund von 50 Fällen, in denen nie unangenehme Nebenwirkungen beob¬ 
achtet wurden. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Rosowski, A. (Kiew), über das Vorkommen der anaeroben Streptokokken 
in der Vagina gesunder Frauen und Kinder. (Zentralbl. f. Gyn. 1912, No. 1.) 

R. fand in 40 °/o bei einmaliger Untersuchung nur einer Öse Vaginal¬ 
sekret anaerobe Streptokokken, woraus mit ziemlicher Sicherheit zu schließen 
ist, daß bei der postabortiven und puerperalen Sepsis, bei der der anaerobe 
Streptokokkus eine wichtige Rolle als Erreger spielt, die Infektion meist, 
wenn nicht immer, auf autogenem Wege zustande kommt. Durch Keime 
der Vagina kann also eine schwere Infektion mit tödlichem Ausgang ver¬ 
ursacht werden, und durch Untersuchung intra partum, namentlich aber 
durch Operationen, können die schädlichen Scheidenkeime in den Uterus 
gelangen und von hier aus die Infektion bewirken. 

M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Reimann, Ernst, Beitrag zur Frage der Laparotomie bei Peritonealtuber¬ 
kulose. Aus der Univ.-Frauenklinik in Freiburg. (Zeitschr. f. Geb. u. Gyn., 
1012, 70. Bd., 1. Heft.) 

Bekanntlich hatte K r ö n i g sich auf dem Münchener Gynäkologenkongreß 
ablehnend gegen die Laparotomie wegen Peritonealtuberkulose ausgespro¬ 
chen. H. veröffentlicht jetzt das Material, das zu dieser Ablehnung führte. 
Es sind 50 Fälle mit einer Nachbeobachtung bis zu 10 Jahren. Sie wer¬ 
den in zwei Gruppen eingeteilt: Fälle mit geringen oder gar keinen Be¬ 
schwerden vor der Operation und nur geringer oder keiner Tuberkulose 
anderer Organe und Fälle mit größeren Beschwerden vor der Operation 
und lokalem Lungenbefund. Waren schon bei der ersten Gruppe die erziel¬ 
ten Resultate sehr mäßige, so waren sie bei der zweiten direkt schlechte. 


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Referate und Besprechungen. 


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Nur in wenigen (38 <>o) Fällen der ersten Gruppe bestand nach der Opera¬ 
tion Arbeitsfähigkeit; in diesen wäre aber vielleicht die Tuberkulose auch 
ohne Operation ausgeheilt, sagt K r ö n i g. In der zweiten Gruppe wurden 
nur 16 «o arbeitsfähig, 50 o/o starben an den Folgen der Operation oder an 
rasch fortschreitender allgemeiner Tuberkulose. — H. will nur bei größerem 
Exsudat operieren, dann aber vom Douglas aus oder, wenn dieser obliteriert 
ist, durch Punktion durch die Linea alba. R. Klien-Leipzig. 

Strauß, ß., Klinisches und Bakteriologisches zur Laminariadilatation des 
Uterus. Aus der städt. Frauenklinik in Frankfurt a. M. (Zeitschr. f. Gebh. 
u. Gyn. 1912, 70. Bd„ 1. Heft.) 

Die Frankfurter Klinik ist Anhängerin der Austastung des Uterus 
und gerade dazu ist ja die Laminariadilatation unentbehrlich, da sie sich 
ohne Narkose machen läßt und viel schonender dilatiert, als starre Dilata- 
torien. In den der Arbeit zu Grunde gelegten 400 Fällen genügte meist 
einmalige Laminariaapplikation; man könne aber ruhig einen zweiten, ja 
einen dritten Stift nach je 24 Stunden einführen, wenn die gewünschte 
Weite noch nicht erreicht war. Nur ein einziges Mal war die Entfernung 
des Stiftes schwierig. Um derartige Schwierigkeiten zu vermeiden, emp¬ 
fiehlt St., den Stift stets etwas dünner zu wählen als das stärkste vor¬ 
her eingeführte Dilatatorium. Um dem sich ansammelnden Sekret Abfluß 
zu gewähren, verwende man der Länge nach durchbohrte Stifte. — 
Am wichtigsten für die Beurteilung der Laminariaverwendung ist die in 
letzter Zeit viel ventilierte Frage der durch sie bedingten auf- 
steigenden Infektion. Die Tatsache dieser Infektion mußte St. inso¬ 
fern bestätigen, als in etwa 3 / 4 der Fälle das vorher sterile Dterus- 
kavum nach Entfernung des Stiftes die vorher nur in der Vagina nach¬ 
gewiesenen Keime enthielt. Außerdem ergab sich, daß sich auch eine 
akute exsudative Endometritis während des Liegens des Stiftes 
zu entwickeln pflegt (Vorsicht bei der Deutung von Schleimhautbildern 
nach Laminaria!), aber die klinische Bedeutung dieser unzweifel¬ 
haft stattfindenden Aszension der Scheidenkeime war durchgängig eine 
geringe. Fieberten doch nach der Ausschabung nur 7 <*/o der Laminaria- 
fälle gegen 42 «o der Metalldilatierten. Dieses günstige Resultat führt 
St. auf die ausgiebigere Dränagefähigkeit der Laminariafälle zurück. Der 
innere Muttermund ziehe sich nach Laminaria viel langsamer wieder zusammen 
als nach der brüsken Metalldilatation. Der neuerdings mehrfach beschrie¬ 
benen eitrigen Salpingitis nach Laminaria dürfte klinisch die gleiche harm¬ 
lose Bedeutung zukommen, wie der oben erwähnten Endometritis. 

R. Klien-Leipzig. 

v. Holst, M. (Dresden), Zur operativen Behandlung der Prolapse des Uterus. 
(Ztrbl. f. Gyn. 1912, No. 5.) 

In weiterer Verbesserung seines von ihm früher angegebenen Ver¬ 
fahrens geht Verfasser jetzt so vor, daß er nach supravaginaler Amputation 

des Uterus (in einer Höhe, daß der nachher an die Faszie anzunähende 
Stumpf die Bauchdecken nicht zerren kann) die Schleimhaut aus dem 
Stumpf exzidiert, mittels versenkter Katgutnaht den Uteruskanal nach unten 
schließt, die Adnexstümpfe bis an den wunden Uterusstumpf peritonisiert 
und letzteren in die fortlaufende Naht des Periton. parietale mit hinein¬ 
nimmt. Darüber Naht der Muskeln und der Faszie, welch letztere an 
den Stumpf angenäht wird; dann Schluß des klaffenden Stumpfes und 

der Faszienblätter über demselben, zum Schluß Hautnaht. — In manchen 

Fällen erübrigt sich jede Scheidenoperation, zuweilen muß eine solche noch 
angefügt werden. M. Schwab - Berlin-Wilmersdorf. 

Schild, Über doppelte Urethralmündung beim Weibe. (Inaug.-Dissertation 
Halle 1911.) 

Verfasser berichtet über einen einschlägigen Fall, dem ein ulzerativer 
Prozeß oder eine Mißbildung der Harnwege zu Grunde lag. Verfasser 
glaubt, daß dieser sich in einem falschen Wege, der beim Katheterismus, viel- 


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Referate und Besprechungen. 


831 


leicht sogar durch ein schon vorhandenes Ulcus irregeführt, gemacht wurde, 
angeschlossen hat. Die Heilung der Ulzeration wurde durch die gleich¬ 
zeitige Infektion von Drüsengängen, die rings um die Urethra liegen und 
die entweder bei einer Verletzung oder bei der Ulzeration eröffnet werden 
und deren Sekret in den neuen Weg geliefert wurde und den Kanal offen 
hielt. Damit stimmt auch vollkommen die Angabe in der Anamnese, daß 
Pat. im Wochenbett einen Blasenkatarrh gehabt hat; jedenfalls schloß sich 
an die Entbindung eine Infektion an. 

Verfasser stellt weiterhin die bisher in der Literatur veröffentlichten 
Fälle von doppelter Urethralmündung beim Weibe zusammen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


Psychiatrie und Neurologie. 

v. Bechterew (St. Petersburg), Über die Hauptäußerungen der neuro¬ 
psychischen Fähigkeit bei objektivem Studium derselben. (Zeitschr. f. Psychologie 
1912. Bd. LX. S. 280.) 

Verfasser berichtet über die Methodik der assoziativ-motorischen Reflexe, 
wie sie an seiner Klinik ausgearbeitet worden ist, die wichtigsten Ergeb¬ 
nisse dieser Untersuchungen und schließlich über Versuche nach der ob¬ 
jektiven Methode über persönliche und symbolische Bewegungen. Ein Teil 
der Untersuchungen ist bereits aus früheren Aufsätzen der Verfassers (Folia 
Neurobiologien; ferner die Funktionen der Gehirnzentra, Bd. III, Jena 1911 
und Zeitschr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie, V, 1911 u. a. 0.) be¬ 
kannt. Die vorliegenden Ausführungen sind wegen ihrer streng logischen 
Darstellung zu einer auszugsweisen Besprechung an dieser Stelle nicht ge¬ 
eignet, müssen vielmehr Gegenstand privater Studien sein. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Moesta, Über die Ätiologie und die Entwicklung eines systematisierten 
Wahnes. (Wahnbildung bei einem Trinker.) (Inaug.-Dissertation Jena 1912.) 

Verfasser nimmt zuerst zu den herrschenden Anschauungen über die 
Paranoia Stellung und gibt dazu als Beitrag die ausführliche Krankenge¬ 
schichte eines Alkoholikers, bei dem er den allmählichen Ausbau des Wahn¬ 
systems in Etappen verfolgen konnte. Die differentialdiagnostischen Er¬ 
wägungen führen ihn zur Annahme einer Paranoia und Ablehnung der 
Diagnose „Dementia praecox“. Eine deutliche geistige Schwäche war trotz 
des fast dreijährigen Bestehens bei dem 42 jährigen Patienten nicht nach¬ 
weisbar. Als hervorragendste Krankheitssymptome imponieren unbedingt die 
zu einem festen System gefügten Wahnideen und die zahlreichen Halluzina¬ 
tionen (Akoasmen, Visionen, Gefühlstäuschungen). Ermöglicht ist und herbei¬ 
geführt wurde der Beginn und der Verlauf der Erkrankung durch 

a) die von vornherein von der Norm abweichende Persönlichkeit des 
Kranken; 

b) den jahrelangen starken Alkoholmißbrauch, der die Anlage zur 
Wahnbildung weckte und ausbildete; 

c) die von Anfang an starke Mitbeteiligung der Affekte, welche die 
Produktion und die Systematisierung der Wahnideen begünstigte. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Schlue, Ein Beitrag zur Lehre von den epileptischen Verwirrtheitszuständen 
nebst ihrer forensischen Bedeutung. (Inaug. Dissert. Kiel 1912.) 

Verfasser berichtet über zwei Epileptiker, die im Dämmerzustände in 
Konflikt mit dem Gesetz gerieten (Fall I Sittlichkeitsverbrechen; Fall II 
Fahnenflucht). Beiden wurde der Schutz des § 51 St. G. B. zuteil. Fall I 
war schon wiederholt vorbestraft, Fall II hatte sich schon ähnliche Dinge 
(unmotivierte Entfernung) bei der Handelsmarine zu schulden kommen lassen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 


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832 


Referate und Besprechungen. 


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Ranque, R6actions du liquide <‘6pbalo-rac)iidien au cours de la pack 
gite pottique. Valeur dlagnostique et pronostique. (Reaktionen der Zereb 
Ilüssigkeit im Verlaute der Pachymeningitis bei Pottscher Krankheit, dtrea | 
gnostische und prognostische Bedeutung). (These de Paris 1911.) 

Der wichtigste Charakter ist nach Sicard das Vorhandenseia einer 
Albuminreaktion, die manchmal erheblich sein kann und in Kontrast steht 
zu der geringen Menge resp. Fehlen der Leukozytenreaktion („dissociation, 
albumino-Cytologique“). Diese Erscheinung ist auf eine Transsudation des 
Blutplasmas in den subarachnoidalen Spaltträumen zu beziehen. Unter Um¬ 
ständen kann sich die Untersuchung der Zerebrospinalflüssigkeit bei „fruster - 
oder beginnender Pottscher Krankheit als wichtiges diagnostisches Hilfs¬ 
mittel erweisen. Es ist auch prognostisch von Wichtigkeit, da man ety 
nur bei beginnenden Pott sehen Erscheinungen findet. 

K. Boas-Straßburg i. E. | 

Sludor, A phenol (carbolic acid.) injection treatment for spheno-palaUne 
ganglion neuralgia. (Eine Phenol (Karbolsäure-)lnjektion bei der Behandlung der 
Trigeminusneuralgie.) (Journ. of the American med. Association. 30. Dez. 1911f 

Verfasser wandte die mannigfachen Kombinationen von Alkohol 
Chloroform, Novokain, Kokain und Eukain bei Trigiminusneuralgie 
injectionem. an. Keine der genannten Methoden hat sich ihm gan*.., 
bewährt. Verfasser benutzt jetzt eine 5 prozentige Phenollösung in Alkoho 
Dieselbe wird in das Ganglion spheno-palatinum (etwa ein Tropfen) injizie 
Günstige Erfolge. K. Boas-Straßburg i. E. 

Simons, Ein Beitrag zur Aphasielehre (Encephaiomalacie). (Inaug. Disse 
tation. Kiel 1911.) 

Verfasser berichtet über einen Fall von Totalaphasie bei einem 65 jähr. j 
Manne. Das Leiden begann ganz allmählich. Patient klagte dann über ge¬ 
legentliches Unwohlsein und starke Kopfschmerzen. Drei Jahre vor Auf-; 
nähme in die Klinik bemerkte Patient, daß die Sprache immer schlechte*.* 
wurde. Zuletzt stammelte er nur noch. Gleichzeitig wurde er auch iq|| 
Kopf schwächer. Die Untersuchung ergab, daß das Sprachvermögen und; 
Sprachverständnis ganz fehlte. Dem entsprachen deutlich Läsionen des' 

B r o c a sehen Zentrums (starrwandige Gefäße im linken Linsenkern 
kleinen Erweichungsherden in der Umgebung) und eine schmälere 
schaffenheit des linken Lobus occipitalis und besonders der obersten Schläfen-' . 
Windung als rechts. Lähmungserscheinungen traten nicht gleichzeitig mit 
den Sprachstörungen auf, sondern erst zwei Jahre später. Und zwar bildete. 
sich schließlich eine rechtsseitige Hemiplegie heraus mit doppelseitig^ 
Fazialis- und linksseitiger Hypoglossusparese. Weiterhin bestanden gewisse 
nicht besonders hochgradige psychische Veränderungen. Die Ursache war 
in dem Falle in einer allgemeinen Arteriosklerose, speziell der Hirnarterien 
gegeben, die auf dem Frontalschnitte deutlich als starrwandige, klaffende 
Gebilde zu erkennen waren. Arteriosklerotische Veränderungen fanden sich 
im übrigen auch an der Mitralis und Aorta. K. Boas-Straßburg i. E. 

Legendre und Pi6ron, De la propri6t6 liypnotoxique des humenrs d4vclopp 
au cours d’une veille prolong6e. (Comptes-rendus de la Sociötö de Biolc 
1912. Nr. 6.) 

Die Untersuchungen der Verfasser hatten folgendes Ergebnis: 

Hunde, die Injektion von Serum oder Zerebrospinalflüssigkeit ßchli 
loser Hunde erhalten haben, bieten Erscheinungen schwacher Somnole 
ohne Zellveränderungen, oder starke Somnolenzerscheinungen mit frfl 
talen Veränderungen dar. Erhitzt man das Serum auf 55 °, so treten dan 
keinerlei Veränderungen ein. Bei 65 0 dagegen verliert sowohl das Se* 
wie die Zerebrospinalflüssigkeit ihre hypnotoxischen Erscheinungen. Ni 
Ultrafiltration oder Dialyse findet man die hypnotische Eigenschaft ni 
wieder. Läßt man ein Tier nach längerer Schlaflosigkeit wieder schlafen, 
wird es wieder normal und zeigt keine Veränderungen der Hirnzellen; ebensj 
ein Tier, das hypnotoxische Flüssigkeit erhalten hat. Die Untersucht* 
ergibt dann post mortem keine wesentlichen Zellveränderungen. 

K. Boas-Straßburg i. E. 

Druck vod Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza. 


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FORTSCHRITTE DER MEDIZIN Nr. 25 VOM 20. JUNI 1912. 


INHALT. 


Originalarbeiten und Sammelberichte. 

Krone, Der 29. Kongress für innere Medizin 769. 

Sternberg, Die Pathologie des Appetits 781. 

v. Niessl-Mayendorf, Spezielle Therapie der Geisteskrankheiten 784. 

Referate und Besprechungen. 

Bakteriologie und Serologie: Schürmann und Sonntag, Untersuchungen über 
‘die auf verschiedene Weise hergestellten Tetanusheilsera mit Hilfe von Immunitäts- 
reaktionen und Tierversuchen 793. Namyslowski, Beitrag zur Kenntnis der 
menschlichen Hornhautbakteriosen 793. Sorensen, Eine Untersuchungsreihe 
über die Veränderung einer Urinbakterie in den menschlichen Hamwegen 793. 
Lehmann', Die Amöben als Krankheitsursachen hei den Haustieren 794. 
Mandelbaum, Ueher das Bakterium melatyphi 794. 

Innere Medizin: Gold mann, Zur Frage der rückläufigen Bewegung in röhren¬ 
förmigen Gangsystemen 794. Lindenmayr, Zur Therapie des Schnupfens 
und seiner Komplikationen 794. Lilienstein, Der unblutige Aderlass 
(Phlebostase) 795. 

(Fortsetzung des Inhalts auf der übernächsten Seite.) 


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Prof. A. Moeller. Therapeuti.whe Monatshefte, Oktober 1909. 

Dr. Piorkowaki: Klin. Therapeut. Wochenachrift Nr. 13/1909. 

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FORTSCHRITTE DER MEDIZIN Nr. 25 VOM 20. JUNI 1912. 


Chirurgie und Orthopädie: Do dal, Zur Behandlung von Brandwunden 7115. Meyer, 
Zur Drainage nach intrathorakalen Operationen 790 Lotheissen, Ueber Drai¬ 
nage. insbesondere mit d#m Zigarettendrain 790. Wehl, Zur Tam[>onade der 
Bauchhöhle 796. B i e h 1, Ein neuer Weg für Eingriffe an der Hypophyse und 
am Sinus cavernosus 790. Bogojawlensky, Intrakranialer Weg zur Hypo¬ 
physis cerebri durch die vordere Schädelgrube 797. G r e k o w , M< torische In¬ 
suffizienz des Magens auf der Basis von Perigastritiden gonorrhoischer Provenienz 797. 
L a u p e r , Zur Operation des perforierten Magen- und Duodenalgeschwüres 797. 
K r o g i u s , Wie können wir zur Einigung in der Appendizitisfrage gelangen ? 797. 
F rankenstein, Zur Schnittführung bei Appendixoperationen 798. Bayer, 
(Fortsetzung des Inhalts auf der dritten Seite nach dem Text.) 



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FORTSCHRITTE DER MEDIZIN Nr. 25 VOM 20. JUNI 1912. 


Anngplastik nach Exstirpatio recti 798. Schmidt, Ueber Ureierplastik 798. 
Eden, Zur Behandlung der Luxatio peroneorum 798. Bircher, Abrissfraktur 
am Malleolus lateralis tibiae posterior 798. Streissler, Eine neue Methode 
der Resektion der Halsrippen von rückwärts 798. G o c h t, Zur Verhütung der 
Drucklähmungen nach Esmarch’scher Blutleere 798. Wolf, Zur Frage der Druck¬ 
lähmungen nach Esmarch’scher Blutleere 799. Katzenstein, Bildung eines 
Gelenkbandes durch freien Periostlappen 799. Hübscher, Zur Verhütung des 
Muskelschwundes nach Gelenkverletzungen 799. Valpius, Ueber die Behand¬ 
lung des Klumpfusses 799. Chlumsky, Ein neuer Beitrag zur Aeliologie der 
Skoliose 799. Heiden hain, Laminektomie in Lokalanaesthesie 799. Käppis, 
Ueber Leitungsanaesthesie bei Nierenoperationen und Thoraxplastiken überhaupt hei 

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Operationen am Rumpf 799. Schumacher, Zur Technik der Lokalanaestheaie 
bei Thoraxplastiken 799. Colraers, Ueber Pantopon-Skopolamin-Lokalanaeethesie 
bei Baucboperationen, insbesondere bei der Appendektomie 800. 

Gynäkologie und Geburtshilfe : Kapferer, Ueber die prophylaktische Therapie der 
Eklampsie von Stroganoff 800. 

Psychiatrie und Neurologie: Skörczewski und Wasserberg, Besteht ein Zu¬ 
sammenhang zwischen der Reizung des Nervus vagus und des Nervus sympathicus 
einerseits und der unter der Wirkung spezifischer Gifte veränderten Zusammen¬ 
setzung des Blutes andererseits 7 800. 



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Ueber den Kopfschmerz. 
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Ueber den physiologischen Schwachsinn des Weibes. Neunte, 


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und dem Bildnis des Verfassers. 

Ueber Robert Schumanns Krankheit. 

Ueber Scheffels Krankheit. 

Beiträge zur Lehre von den Geschlechtsunterschieden. Voll¬ 
ständige Ausgabe in 1 Bande mit Bildnis, einer Einführung 
von Dr. E. Jentsch und einer kurzen Biographie. 

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Heft 1. Geschlecht und Krankheit. Preis M. 1 

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„ 3/4. Ueber die Wirkungen der Kastration, 2. Auflage. 

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„ 5. Geschlecht und Kopfgrösse. Preis M. 1,—. 

„ 6. Goethe und die Geschlechter. Preis M. 1,—. 

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„ 9. Die Geschlechter der Tiere 1. Teil. Die Schön¬ 
heit. Preis M. 1,—. 

„ 10. Die Geschlechter der Tiere II. Teil. Die Triebe. 

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Die Hoffnungslosigkeit aller Psychologie. 2. Auflage 

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Jentsch, Dr. Ernst. Zum Andenken an Paul Julius Möbius. J 
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die Anerkennung und Be¬ 
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Linder. Es wird allgemein als das Beste 
bezeichnet, was auf diesem Gcblcle über¬ 
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liches, granuliertes Bade¬ 
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spltzen der Edelkoniferen zur Herstellung 
eines angenehm erfrischenden Konlferen- 
bades mit Fluoressenz an Stelle der ge- 
wOhnllchen Flchtennadelblder. 


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Herz- und Nerveimchwäche, Rekonvaleszenz (Pneumonie, Influenza etc.l 

Angenehmer Geschmack. Wird auch von Kindern ausserordentlich gern genommen. 

frei von Borsäure, Sallcylsäure oder Irgendwelchen sonstigen antibakteriellen Zu¬ 
sätzen, enthält ausser dem völlig reinen Haemoglobin noch sämtliche Salze des frischen Blutes, 
lzisbesondere auch die wichtigen Phosphorsalze (Natrium, Kalium und Lee ithin), so¬ 
wie die nicht minder bedeutenden Eiweissstoffe des Serums in konzentrierter, gereinigter und 

unzersetzter Form. Als blutbildendes, organelsenhalttges, dlätet. Kräftigungsmittel 
für Kinder u. Erwachsene bei Schwächezuständen irgendwelcher Art von höenstem Werte. 

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Um Unterschiebungen und Nachahmungen zu vermeiden, bitten wir. stets Haomatogsn 
~ Dr. Hommal in ordinieren. - _ . ■ ■ —T 

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° (Iröwsere Kinder: 1—2 Kinderlöffel (rein!) Erwachsene: 1—2 Ess- 

loffel täglich vor dem Essen, wegen seiner eigentümlich stark appe¬ 
titanregenden Wirkung. 

VersuchBquanta stellen wir den Herren Ärzten, welche sieh durch Eigenproben ein Urteil 
bilden wollen, gern gratis und franko zur Verfügung. 

Depot in den Apotheken. ) Verkauf in Originalflaschen (250 Gr.) Preis M. 3.—• 

Aktiengesellschaft Hommel’s Itaematosen, Zürich. 

Generalvertreter für Deutschland: Gerth van Wyk & Co., Hanau a.M. 







FORTSCHRITTE DER MEDIZIN Nr. 25 VOM 20. JUNI 1912. 


Gott»* 


Dieser Nr.iM 


D1G2CL HI'JN 


FYRE1TOL 

Die nachstehende Zusammenstellung soll dem Arzte ein Übersichtsbild über die 
Wirkungsweise des Pyrenol und seine Dosierung auf den verschiedenen An¬ 
wendungsgebieten an die Hand geben. 


Dieser Nr. liegt ein Prospekt der Firma Kalle & Co. Aktiengesellschaft, Biebrich, bei 
auf welchen wir ganz besonders hinweisen. 


I. Bei Erkrankungen der Resplra- ■> V. el . 0 ! < £ , • duretasohnltUiah BjmJ dbr- 

tionsorgane: mehrere kleinere oder s T^blette/a oaI). ^i N?chia*s E der 

mittlere Dosen (4—6 mal täglich schmerzen 2 mal täglich 1 . 5-1 g-, im 

0,5-0,75 g Pyrenol für Erwachsene, höhevon“^^«, 1 #.^* Ge ‘* mt ’ 

0,1 — 0,4 g für Kinder). b) bei ahutem Qelenhrheumotismua 

a) bei pertussis und fleurolgien, besonders Ischias, 

Rp. Sol Pyrenol 2,00 -5,00,100,00. 2 mal täglich 2-8 g Pyrenol; erst bei 

Liq. Ammon anis. 8,001 oder Sir. deutlicher Besserung entsprechend 

Suco. liquir. (1,00/Rub. Id. weniger. ^ . 

I 20,00 c) bel rbeumatiseben (CrhSItnngs-) 

S. Ein Kinderlöffel voll 8-6 mal täglich. SAmersen, je nach der Intensität 

Diese Dosis genügt um eine deut- 3 mSl Ug " Ch 0 ' 8 ~‘ g 

lieh sedative Wirkung zu erzielen. . , ' , . „ 

b) bei Pneumonie und ohutcr BronAitis, III. Bei akuten Infektionskrankheiten 

omal tjgiich o,6g Pyrenol, am beaten | (besonders Masern, Typhus, wobei der 

Tabletten a 0 , 5 g = 1 , 00 M.t, um gleich- expektorierende Faktor des I yrenol 

massig mild das Fieber etwas nied- besonders zur Geltung kommt) als 

•If^rücheztTvermefdisn'niid^dauernd Antifebrile in zahlr. kleinen Dosen: 

die Expektoration zu erleichtern, (S. auch 1 b) 0 mal täglich 0,1—0,3 g 

Kindern - speziell bei Masern ist f. Kinder, 0,3-0,75 gf. Erwachsene. 

Pyrenol von vortrefflicher Wirkung _._ 

rr , el i^ pr J?o hend weniger ,' c mal 8" Aujgezeichn. Erfolge beim Fieber der Phthisiker. 

, ! 1Cll n°.K ' K '• £? Z , ept Wle ?? en Ia - Dosierung: 2-8-4-nra il täglich 0j5 g Pyreool. 

c» bei flstbmo bronAiale, wenn Dyspnoe _ _ _ 

besteht 6 mal täglich 0,5 g Pyrenol „ . . . 

(ebenfalls am besten in Tabletten». IV. Bei mit Schmerzen verbundenen 
sonst 4 mal täglich o,5g: im Anfall Herzneurosen genügen gewöhnlich 

d, ÄM£S!1* 1 Ihren ^Symptomen 3 mal tägl. 0,5 g fWnol bei höherer 

nach einen Übergang von den Re- Intensität der Beschwerden kann die 

spirations- zu den rheumatischen Dosis unbedenklich gesteigert wer- 

biFdo t* nnt ^"twaliilhere'aber* auch den, da das Präparat gleichzeitig herz- 

häufige Dosen. 4 mal täglich tg Py- tonisierende Eigenschaften besitzt. 

renol(ambesten inZTabletten aö,6gl, n . ... 

uin eine deutlich schmerzlindernde rJTtlll)l greift niemals ÜWI, Dlfffl OflW Nieren U ! 

„»«,.», ... tj.uA M-w,. 

II. Bei akuten und chronischen rheu- würdet worden; sie erklärt siA aus der Aemisdten 
matischen und neuralgischen Er- Zusammensetjung 

krankungen: höhere und weniger (Pjrenol wird o»oh eigenem Fabrik»U#»b-(SchmeI*)- 
, , . i ° r v ö Vsrfahrön aus Siarabeuzucsäure, Thymol, Isatr. beut, 

zahlreiche Dosen. and Natr. salic. hsrgsstellt.) 

In solchen Fällen, in denen eine schmerzstillende (antirheumatische) Wirkung 
gleichzeitig mit einer expektorierenden angestrebt wird (Influenza, Pneu¬ 
monie etc.), ist bisher die Wirkung des Pyrenol unübertroffen. 

Rezeptformeln (siehe auch oben). 

Rp. 1 Originalglas, 20 Pyrenol-Tabletten ä 0,5 g = 1,00 M. 

(3-4 mal täglich 1-2 Tabletten) 

oder Rp. für Erwachsene: oder Rp. für Kinder: 

Pyronul-Ofigiual »-iu # 00 Byrenul-Originai 2-3-1,00 

Liq. nmraon. anis. 5,O0\ od. Sir. Bub. Liq. aminou. auis. 3,0Ö\ od. Sir. Bub. 

Succ. Liquir. 10.00/ Id. 20,00 Sucr. Liquir. 6,00/ Id. 20,00 

Äq. deut. ad. 200,00 Aq. de*t. ad 100,00 

Vor dem Gebrauch zu schütteln. Vor den Gebrauch zu schütteln. 

S. 2-3 stündlich 1 Esslöffel. S. 2-3 stündlich tyj-1 Kiuderlöffel je nach Alter. 

Die hier gegebenen Verordnungen werden gern genommen. 

Für Kassen iPyrenol ist von den Kassen zugeiaasen) ebenfalls: 

20 Tabletten ä 0,5 g Pyrenol (Originalglas) — 1,00 M. (3-4 mal täglich 1-2 Tabletten) 

Dosierung tnr Erwechsene: u,S-l,b pro doei; 2-3-« pro die \ 

_ „ „ Kinder: U.1-0,.S „ ", O.S-1,5-2 „ „ , »» *»»«!. V*h,kein. 

Ausführliche Literatur über Pyrenol und Proben stehen den Herren Ärzten zu Diensten. 

Goedeche & Co., Chemische Fabrik, Leipzig u. Berlin tl. 4. 



Druck von Julius Belu, HoltmclMlruoKer, 


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