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von ihm
gedruckt
vorliegenden Vorlesungen Neumanns, die von seinen Schülern
herausgegeben sind, besprochen. Sodann wird an der Hand der
Originalberichte und der Seminararbeiten ausführlich die Wirksam-
keit Neumanns als Leiter des physikalischen Seminars erörtert.
Braunschweig, im März 1907.
Friedrich Yieweg und Soliii.
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DIE WISSENSCHAFT
SAMMLUNG
NATURWISSENSCHAFTLICHER UND MATHEMATISCHER
MONOGRAPHIEN
NEUNZEHNTES HEFT
FRANZ NEÜMANN
UND SEIN
WIRKEN ALS FORSCHER UND LEHRER
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De. A. WANGE ein
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT HALLE A. S.
MIT EINER TEXTFIGUR UND EINEM BILDNIS NEUMANNS
IN HELIOGRAVÜRE
BRAÜNSCHWEIG
DBUOK UND VBBLAO VON FRIBDRIOH VIKWBO UND SOHN
1907
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FRANZ NEÜMANN
UND SEIN
WIRKEN ALS FORSCHER UND LEHRER
VON
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Dr. A. WANGERIN
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT HALLE A. S.
MIT EINER TBXTFIGUR UND EINEM BILDNIS NEUMANNS
IN HELIOGRAVÜRE
BRAÜNSCHWEIG
DBUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEO UND SOHN
1 907
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Alle Hechte,
namentlicli dasjenige der Übersetzung in fremde Sprachen , vorbehalten.
Published March 23, 1907.
Privilege of Copyright in the United States reserved under the Act
approved March 3, 1905 by Fried r. Vieweg & Sohn, Braunschweig,
Gennany.
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VORREDE.
xliloer Aufforderung des Herausgebers der Sammlung
„Wissenschaft^, deren Programm ja auch die Aufnahme von
Biographien vorgesehen hat, entsprechend, habe ich es unter-
nommen, die wissenschaftlichen Leistungen F. Neumanns
ausführlicher zu besprechen, als es bisher geschehen ist, und
zugleich sein hervorragendes Wirken als Lehrer zu schildern.
Für letztere Schilderung konnte ich neben eigener Erinnerung
aus meiner Studienzeit die in den Kuratorialakten der Königs-
berger Universität enthaltenen Seminarberichte Neumanns,
sowie die im physikalischen Laboratorium zu Königsberg
aufbewahrte Sammlung von Arbeiten aus Neumanns Seminar
benutzen. Erstere wurden mir von dem Herrn Oberpräsi-
denten der Provinz Ostpreußen, letztere von Herrn Professor
Volkmann gütigst zur Verfügung gestellt. Beiden Herren
spreche ich an dieser Stelle meinen wärmsten Dank aus.
Vielfach wurden außerdem die bei Neumanns Tode er-
schienenen Schriften von W. Voigt („Zur Erinnerung an
F. E. Neumann*^, Nachrichten der K. Ges. der Wissen-
schaften, Göttingen 1895) und von P. Volkmann (Franz
Neumann, Leipzig 1896) zu Rate gezogen. Diese beiden
Schriften sind im Text kurz als Voigt und Volkmann
zitiert. Auch dem von mir veröffentlichten Nekrolog (Jahres-
bericht der Deutschen Mathematiker -Vereinigung 4, 54 bis
68, 1895/97, und Leopoldina 32, 1896) konnte manches ent-
nommen werden, ebenso dem vor kurzem erschienenen Bd. 2
von F. Neumanns gesammelten Werken.
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— VI -
Der Besprechung von Neumanns Arbeiten ist eine an-
spruchslose Darstellung seines äußeren Lebensganges yoran-
geschickt; für diese Darstellung fand ich ein reiches Material
in dem schönen Buch: „Franz Neumann, Erinnerungs-
blätter von seiner Tochter Luise Neumann^, Tübingen und
Leipzig 1904. Dieses Werk, das im Text kurz als „Erinne-
rungsblätter^ zitiert ist, beruht nicht, wie vielfach an-
genommen wird, auf hinterlassenen Aufzeichnungen Neu-
manns. Neumann hat, wie ich einer brieflichen Mitteilung
von Fräulein Neu mann entnehme, zwar hin und wieder
den Versuch gemacht, ein Tagebuch zu führen. Alles zu-
sammengenommen aber beschränken sich diese Versuche auf
zehn kleine Oktavseiten. Aus diesen hat die Verfasserin
einiges entnommen und dies in ihrem Werk jedesmal aus-
drücklich bemerkt. Im übrigen beruht alles, was sie ihren
Vater erzählen läßt, auf dessen mündlichen Mitteilungen,
welche die Tochter aus der Erinnerung, und zwar größten-
teils nach dem Hinscheiden des Vaters, niedergeschrieben hat.
Endlich sind mir von Fräulein Neu mann einige Schrift-
stücke aus Neumanns Nachlaß für meine Schrift zur Ver-
fügung gestellt, sowie von Herrn Professor C. Neumann
acht Briefe Jacobis an F. Neumann. Auch für die Über-
lassung dieses Materials danke ich den Geschwistern Neu-
mann herzlich.
Das der Schrift beigegebene Bild Neumanns ist nach
einer aus dem Jahre 1865 stammenden Photographie an-
gefertigt
Halle a. S., im Oktober 1906.
A. Wangerill.
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INHALTSVERZEICHNIS.
Seite
Vorrede V
Inhaltsverzeichnis Yll
Erster Teil.
Franz Neumanns Leben.
1. Jugend- und Schuljahre. Feldzug von 1815 1
2. Ende der Schulzeit. Studienzeit 4
3. Erste wissenschaftliche Arheiten. Promotion 8
4. Die erste Zeit in Königsberg (1826—1829) 13
5. Die Jahre wissenschaftlichen Schaffens und Neumanns Lehr-
tätigkeit 17
a) 1830—1840 17
h) 1840—1850 22
c) 1850—1875 27
6. Das Jubiläum. Letzte Lebenszeit 31
7. Rückblick auf Neumanns Persönlichkeit 35
Zweiter Teil.
Neumanns wissenschaftliche Arbeiten.
I. Die kristallographisch-mineralogischen Arbeiten . . 39
1) Beiträge zur Kristallonomie (1823) 39
2) De lege zonarum, Dissertation (1826) 49
3) Über axotomen Bleibaryt (1825) 52
4) Über das Kristallsystem des Axinits (1825) 53
5) Das Kristallsystem des Albites und der ihm verwandten
Gattungen (1830) 54
6) Schi*eiben an Weiss, einige kürzere kristallographische
Notizen enthaltend (1832) 56
7) Das Gesetz der relativen Stellung d«r Individuen in den
Kristallzwillingen (1831) 57
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— vm ^
Seit«
n. Arbeiten zur Wärmelelire -41. ... 58
Allgemeines über diese Arbeiten 58
a) Arbeiten über spezifische Wärme 60
1) Untersuchungen über die spezifische Wärme der Minera-
üen (1831) 60
2) Bestimmung der spezifischen Wärme des Wassers in der
Nähe des Siedepunktes (I88I) 60
3) Oommentatio de emendanda formula per quam calores
corporum specifici computantur (1834) 60
4) Beobachtungen über die spezifische Wärme zusammen-
gesetzter Körper (1865) 60
5) Theoretische Untersuchung über die zur Bestimmung der
spezifischen Wärme dienende Methode der Mischung
(1906 aus dem Nachlaß Teröff entlicht) 60
b) Arbeiten über Wärmeleitung 65
1) Methoden zur Bestimmung der Wärmeleitungsfähigkeit
einer Kugel (1831 und Nachlaß 1906) 65
2) Expöriences sur la conductibilitö calorifique des solides.
Brief an Badau (1862) 66
3) Die auf Neumanns Veranlassung gegründete Station
zur Beobachtung der Erdtemperatur 68
ni. Arbeiten aus der Optik und Elastizitätstheorie . . 69
a) Bein optische Arbeiten 69
1) Theorie der doppelten Strahlenbrechung (1832) .... 69
2) Theorie der elliptischen Polarisation des Lichtes, welche
durch Reflexion von Metallfiächen erzeugt wird (1832) 77
3) Über die optischen Achsen und die Farben zweiachsiger .
Kristalle im polarisierten Licht (1834) 79
4) Theorie der Kristallreflexion (1835) 80
5) Prioritätsstreit mit Mac Cullagh (1838) 90
6) Photometrisches Verfahren, die Intensität der ordent-
lichen und außerordentlichen Strahlen, sowie die des
reflektierten Lichtes zu bestimmen usw. (1837) . . . . 91
7) Beobachtungen über den Einfluß der Kristallflächen auf
das reflektierte Licht (1837) 91
b) Andere der Kristallphysik angehörige Arbeiten ...... 93
1) Die thermischen, optischen u. kristallographischen Achsen
des Kristallsystems des Gipses (1833) 93
2) Über die optischen Eigenschaften der hemiprismatischen
Kristalle (1835) 94
3) Über das Elastizitätsmaß kristallinischer Substanzen der
homoedrischen Abteilung (1834) 95
c) Die Gesetze der Doppelbrechung des Lichtes in komprimier-
ten oder ungleichmäßig erwärmten unkristallinischen Kör-
pern (1841) ..... 97
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— IX —
Seite
IV. Arbeiten über induzierte elektrische Ströme .... 107
1) Die mathematisclien Gesetze der induzierten elektrischen
Ströme (1845) 107
2) Über ein allgemeines Prinzip der mathematischen Theorie
induzierter elektrischer Ströme (1847) 118
y. Mathematische Arbeiten 124
a) Geometrie 124
De tactionibus atque intersectionibus circulorum et in piano
et in sphaera sitorum, sphaerarum atque conorum ex
eodem vertice pergentium (1825) 124
b) Kugelfunktionen 127
1) Über eine neue Eigenschaft der Laplace sehen Y^ und
ihre Anwendung zur analytischen Darstellung der-
jenigen Phänomene, welche Funktionen der geogra-
phischen Länge und Breite sind (1838) 127
2) Entwicklung der in elliptischen Koordinaten ausgedrück-
ten reziproken Entfernung zweier Punkte in Beihen,
welche nach den Laplace sehen Y^ fortschreiten (1848) 129
3) Beiträge zur Theorie der Kugelfunktionen (1878) ... 130
VI. Wissenschaftliche Untersuchungen Neumanns, die
nicht von ihm selbst veröffentlicht sind (Mechanik,
Kapillaritätstheorie, Elastizität, Optik, Elektrizität und
Magnetismus, mechanische Wärmetheorie) 132
Dritter Teil.
Torlesungen, Seminar, Laboratorium.
L Die gedruckten Vorlesungen 137
1) Vorlesungen über die Theorie des Magnetismus, nament-
lich über die Theorie der magnetischen Induktion,
herausgegeben von 0. Neumann (1881) 138
2) Einleitung in die theoretische Physik, herausgegeben
von C. Pape (1883) • 140
3) Vorlesungen über elektrische Ströme, herausgegeben von
K. Von der Mühll (1884) 141
4) Vorlesungen über theoretische Optik, herausgegeben von
E. Dorn (1885) 142
5) Vorlesungen über die Theorie der Elastizität fester Körper
und des Liehtäthers, herausgegeben von O. E. Meyer
(1885) 143
6) Vorlesungen über die Theorie des Potentials und der
Kugelfunktionen, herausgegeben von C. Neumann
(1887) 145
7) Vorlesungen über die Theorie der Kapillarität, heraus-
gegeben von A. Wangerin (1894) 147
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— X —
Seite
II. Das Seminar 148
1) Vorgeschichte and Gründung des Seminars 148
2) Das Seminar in den ersten Jahren seines Bestehens
(1834-1839) 152
3) Die weitere Entwicklung des Seminars 155
a) Allgemeine Gesichtspunkte Neumanns bei Leitung
des Seminars 156
b) Über die in verschiedenen Semestern im Seminar
bearbeiteten Aufgaben 158
Einübung der Mitglieder in messenden Beob-
achtungen 159
Aufgaben aus der Mechanik und Hydromechanik 159
Elastizität und Kapillarität 161
Wärmelehre 163
Übungen zur Optik 166
Mechanische Theorie der Erscheinungen der zir-
kulären und elliptischen Polarisation . . . . 167
Theoretische Ableitung der Gesetze der Metall-
reflexion 169
Magnetismus und Elektrizität 171
c) Bescheide des Ministeriums auf die Seminarberichte 174
d) Selbständige Arbeiten älterer Seminarmitglieder.
Dissertationen, die von Neu mann angeregt sind . 175
e) Verzeichnis einer Beihe weiterer Schüler Neumanns 179
III. Neumanns Bestrebungen zur Errichtung eines phy-
sikalischen Laboratoriums 180
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Erster Teil.
Franz Nenmanns Leben.
1. Jugend- und Schuljahre. Feldzug von 1815.
Franz Neumann entstammte einer Familie, deren Mit-
glieder fast sämtlich Landwirte waren. Sein Vater, Ernst Neu-
mann, war in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts Wirt-
schaft sverwalter auf dem in der Nähe von Joachimsthal in der
Uckermark gelegenen Amte Grimnitz, sein Großvater, Christian
Neumann, Förster auf der Schmelze, einer nahe hei Grimnitz
gelegenen Oberförsterei. Hier, im großelterlichen Hause, wurde
Franz Neumann am 11. September 1798 geboren; im Hause
der Großeltern verlebte er seine ersten Jugendjahre. Bald starb
der Großvater, und nun fiel die Erziehung des Knaben ganz der
Großmutter zu, die sich dieser Aufgabe mit aufopfernder Liebe
unterzog. Es waren sehr beschränkte Verhältnisse, in denen
Franz Neumann heranwuchs. Seine Großmutter war nach
dem Tode ihres Mannes nach dem Landstädtchen Joachimsthal in
der Uckermark gezogen (die Stadt war in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts Sitz des später nach Berlin verlegten Joachims-
thalschen Gymnasiums gewesen) und bewohnte dort mit ihrer
verwitweten Tochter zusammen sowie deren zwei Söhnen eine
kleine Wohnung, die aus einem Zimmer und einer Küche be-
stand. „Einmal im Winter wurde geschlachtet; das Fleisch
mußte für das ganze Jahr ausreichen. In den schweren Zeiten
1806 bis 1812 blieb die Pension der Tante ganz aus, und es
konnte trotz fleißiger Arbeit nur ein sehr kümmerliches Leben
geführt werden" i).
*) Erinnerungsblätter, S. 10—11.
Wan gerin, Franz Neumann. i
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— 2 —
In Joachimsthal besuchte Neamann die Volksschule bis zu
seinem zehnten Lebensjahre. Seine weitere Ausbildung erhielt er
in Berlin auf dem Werderschen Gymnasium. Im August 1808
siedelte er von Joachimsthal nach Berlin über, und zwar legte er
den 10 Meilen weiten Weg zu Fuß zurück, in Begleitung von
Fischern, die in der Nacht neben ihren Fischwagen nach Berlin
wanderten ^).
Auch in Berlin lebte er in sehr knappen Verhältnissen. Sein
Vater, inzwischen Amtmann auf einem gräflichen Gute geworden,
wünschte dringend dem Sohne eine höhere Ausbildung zu geben,
konnte aber nur mit Mühe die nötigen Mittel dazu erübrigen.
So kam denn Franz Neumann in Pension zu einem Tischler, in
dessen kleiner Werkstatt er bei einer Docht- Hängelampe seine
Schularbeiten machen mußte. 1813 vertauschte er diese Pension
mit der des Herrn Baldemann, Küsters an der Domkirche, und
nun begannen für ihn freundlichere Zeiten, da er, wiewohl nur
ein geringes Kostgeld zahlend, doch ganz als Mitglied der Familie
behandelt wurde. Dieser Familie hat Neu mann denn auch eine
große Anhänglichkeit und Dankbarkeit bis in sein spätestes Alter
bewahrt '^),
Früh trat in der Schule seine Neigung und Begabung für
Mathematik zutage; er war der Lieblingsschüler seines mathema-
tischen Lehrers Dr. Nordmann. Die Mathematikstunde war,
wie einer seiner Mitschüler, Willibald Alexis, in seinen Er-
innerungen mitteilt, gewissermaßen ein Privatissimum , das der
Lehrer für Neu mann hielt, während die übrigen Schüler ihren
Gedanken und Spielereien überlassen wurden. Schon 1812 hegte
Neumann den Wunsch, sich ganz dem Studium der Mathematik
zu widmen, doch sprach sich sein Vater dagegen aus. Im übrigen
knüpften sich für Neumann an die Gymnasialzeit und die meisten
seiner Lehrer keine allzu freundlichen Erinnerungen. „Unser
Interesse am Lernen wurde wenig geweckt", sagte er selbst s).
Geweckt wurde aber in dieser Zeit durch die politischen
Verhältnisse, durch den schweren Druck, der auf Preußen lastete,
der glühende Patriotismus, der Neumann sein Leben lang be-
seelte. Einen besonders tiefen Eindruck hat auf den Knaben
*) Erinnerungsblätter, S. 17.
*) Ebend., S. 23.
«) Ebend., S. 18.
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— 3 —
der Einzug Schills in Berlin im Jahre 1808 gemacht; später
waren es Schleiermacher, von dem er 1813 eingesegnet war,
und Ludwig Jahn, an dessen Turnübungen er von 1814 an
teilnahm, die den größten Einfluß auf das jugendliche Gemüt und
das Denken Franz Neumanns ausübten. Als sich bei der Er-
hebung des Volkes im Jahre 1813 die oberen Klassen der Schulen
leerten, da fast alle Schüler in das Feld zogen, mußte Neumann
zu seinem großen Schmerz zurückbleiben; denn vor Vollendung
des 16. Lebensjahres wurde niemand als Freiwilliger eingestellt.
Erst bei Wiederausbruch des Krieges im Jahre 1815 durfte er sich
melden. Mit einer großen Anzahl seiner Mitschüler zusammen trat
er als freiwilliger Jäger in das Kolberger Regiment. Nach not-
dürftiger Ausbildung wurden die Freiwilligen dem schon im Felde
stehenden Regiment nachgesandt, das sie Anfang Juni erreichten,
und mit dem sie am 16. Juni an der Schlacht von Ligny teilnahmen.
Gleich in dieser ersten Schlacht wurde Franz Neumann schwer
verwundet; eine Kugel, welche die linke Backe getroffen, sämt-
liche Zähne der linken Seite und einige der rechten mitgenommen
hatte und an der Nase wieder herausgefahren war, hatte ihn zu
Boden gestreckt. Nachdem er, der als tot auf dem Schlachtfelde
zurückgelassen war, seine Besinnung wiedererlangt, gelang es
ihm nur dadurch, daß andere Soldaten sich seiner annahmen,
am Abend des nächsten Tages ein Lazarett zu erreichen. Hier
wurden seine Wunden für unheilbar erklärt, und nur mit Mühe
erlangte er, daß er überhaupt verbunden wurde. Mit anderen
Verwundeten wurde er, dessen ganzes Gesicht in Eiterung über-
gegangen war, sodann auf Kähnen und Wagen nach Düsseldorf
gebracht. Über diese Fahrt sagt Willibald Alexis in seinen
Erinnerungen^): „Auf einem jener offenen Wagen, welche mit
Schwerverwundeten überfüllt waren, ungeschützt vor Sonnen-
brand und Regengüssen, lag auch einer meiner näheren Be-
kannten. ... Er versicherte uns oft nachher, das Wort „incurable"
von den Lippen des Chirurgs dröhne ihm noch nachts und tags
in den Ohren. ... Wo man sich seiner annahm, mußte man ihm
durch Federposen die Flüssigkeit einflößen, um seinem sonst
gesunden Körper Nahrung zu geben."
Erst im Lazarett zu Düsseldorf wurde Neumann, 14 Tage
^) Vgl. Erinnerungsblätter, S. 52.
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— 4 —
nach seiner Verwundung, richtig verbunden, erst hier kam er in
geordnete Pflege. Insbesondere nahmen sich drei Damen, die die
Aufsicht im Lazarett führten, seiner liebevoll an, und so besserte
sich sein Zustand bald. Als er sich etwas wohler fühlte, litt es
ihn nicht langer in Düsseldorf. Obwohl noch nicht völlig wieder^
hergestellt, eilte er zu seinem Kegiment zurück, das an der Be-
lagerung der Maasfestung Givet teilnahm. Dort brach infolge
der Strapazen und der feuchten Witterung die noch nicht ganz
geheilte Wunde wieder auf, aber trotz dieses Siechtums blieb er
bis zum Ende des Feldzuges bei seinem Truppenteile. Ende
Dezember begann der Kückmarsch der freiwilligen Jäger ins
Vaterland. Am 8. Februar 1816 langte die Abteilung in Berlin
an, und die Freiwilligen wurden entlassen.
2. Ende der Schulzeit. Studienzeit.
Trübe lag nun die Zukunft vor Neumann. Sein Vater, der
während der Kriegszeit fast sein ganzes Vermögen verloren hatte,
konnte ihm nur die geringe Unterstützung von fünf Talern
monatlich gewähren. Trotz seiner Mittellosigkeit entschloß Neu-
mann sich, gleichzeitig mit mehreren seiner Kriegskameraden,
wieder in das Gymnasium, das er vor einem Jahre verlassen
hatte, einzutreten. Noch IY2 J^^hre besuchte er die Schule, bis
er im Herbst 1817 das Reifezeugnis erhielt. Er bezog nun die
Berliner Universität, um, einem Wunsche seines Vaters ent-
sprechend, Theologie zu studieren. Um diese Zeit hatte sein Vater
durch einen Brand alle seine Habe verloren und konnte seinen
Sohn nicht weiter unterstützen. Ein Freitisch, den ihm sein
früherer Gymnasialdirektor erwirkt hatte, und der Ertrag von
Privatstunden, die er erteilte, bildeten das ganze Einkommen
Neumanns. Er schlief, da er kein eigenes Zimmer mieten
konnte, in der Wohnung eines Bekannten auf bloßer Diele, mit
seinem Soldatenmantel zugedeckt. Noch kümmerlicher erging es
ihm, als er in Jena seine Studien fortsetzte. „Törichterweise",
sagen die Erinnerungsblätter ^) , „ließ ich mich im April 1818
durch meinen Freund Dulitz verleiten, nach Jena zu gehen.
Dort war meine Lage viel schlimmer, wenngleich ein Student mit
*) Erinnerungablätter, S. 90—93.
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— 5 —
Namen Penz mich wieder bei sich aufnahm. . . . Penz hatte ein
großes zweifenstriges Zimmer. Da richtete jeder von uns an
einem der Fenster seinen Arbeitsplatz ein. Wir arbeiteten fleißig.
Das war schön, aber schlimm war es, daß ich mit meiner Klei-
dung zu mangelhaft bestellt war, um Stunden geben zu können.
Eigentlich besaß ich nur Hose und Weste, mein alter Soldaten-
mantel mußte den fehlenden Rock ersetzen und alles decken.
Was aber das Allerschlimmste war — ich lernte nichts."
„In Berlin hatte ich Neander und Schleiermacher ge-
hört, auf Wunsch meines Vaters auch juristische Vorlesungen
besucht, aber weder dem Studium der Theologie, noch dem der
Jurisprudenz Geschmack abgewinnen können. Hier in Jena be-
legte ich außer naturphilosophischen Kollegien bei Oken ver-
schiedene naturwissenschaftliche Vorlesungen; aber auch diese
befriedigten mich wenig." Und in einem später an das preußische
Unterrichtsministerium gerichteten Unterstützungsgesuch sagt er
von seinen Jenenser Studien: „Auch ist' mein Fleiß mehr im
eigenen Studieren, als im Besuche der Vorlesungen zu finden, da
ich Mathematik studiere, die Vorlesungen darüber sich aber nur
auf die niederen Teile erstrecken." Aus dieser Zeit sei das
folgende Urteil eines Studiengenossen, des späteren Kunstschrift-
stellers und Malers Ernst Förster (1800—1885), über Neu-
mann mitgeteilt^):
„Besonders wert um ihrer naturwissenschaftlichen Studien
willen waren mir zwei Studenten. . . . Der andere war der Minera-
loge Neumann, dessen äußere Erscheinung den reichen Inhalt
seines Inneren nicht verriet, wie denn auch sein stets bereiter
offener Humor nicht entfernt ahnen ließ, mit wie bitterer Not er
zu kämpfen hatte. Als Andenken an den Befreiungskrieg , in
welchem er als Freiwilliger mitgekämpft, trug er die Spuren
einer französischen Kugel im Gesicht, die ihm die obere Kinnlade
zerschmettert hatte, und außerdem einen alten grauen Mantel,
den er im Sommer und Winter anstatt eines Rockes trug, den er
nicht hatte. Von seiner stets guten Laune gab es viel ergötz-
liche Proben, deren wohl manche an den alten Studentenstil er-
*) Siehe Försters Selbstbiographie „Aus der Jugendzeit". Stutt-
gart 1887, S. 140. Vgl. auch Volkmann, S. 6; Erinnerungsblätter,
S. 96.
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-^ 6 —
innerD mochten, aber ohne die Grenzen eines guten und kecken
Humors zu verletzen/
In Jena verweilte Neumann, der Mitglied der Burschen-
schaft geworden war, etwa ein Jahr. Dann kehrte er, als infolge
des Sand sehen Attentates an alle preußischen Studierenden der
Befehl erging, innerhalb 24 Stunden Jena zu verlassen, nach
Berlin zurück. Hier gab er das Studium der Theologie endgültig
auf und wandte sich ganz den Naturwissenschaften zu. Vor
allem zogen ihn die Vorlesungen des Mineralogen Ernst Chri-
stian Weiss an. Neumann sagt über diesen Lehrer*):
„Ich kann wohl sagen, er war der einzige, bei dem ich etwas
lernte — ihm verdanke ichs, wenn etwas aus mir geworden ist."
Hinsichtlich seiner mathematischen Studien war Neumann
ganz auf sich selbst angewiesen; ein Versuch, eine mathematische
Vorlesung in Berlin zu hören, mißlang, da der betreffende Pro-
fessor, um die Vorlesung nicht zustande kommen zu lassen, sie
so hielt, daß er etwa erscheinende Zuhörer völlig abschreckte.
Auch in dieser Zeit fristete er sein Leben unter den größten
Entbehrungen.
„Wieder habe ich 2) das ganze Jahr auf bloßer Diele ge-
schlafen in der Wohnung eines Freundes. Ich habe von Kaffee
und Brot gelebt — den Kaffee, d. h. Kaffee-Surrogat, kochte ich
auf kleinem Spirituslämpchen, dessen Heizkraft ich dadurch er-
höhte, daß ich Holzspäne und dünne Äste, aufs feinste zer-
kleinert, sorgfältig über der Flamme aufschichtete. Die Späne
und Äste suchte ich mir auf der Straße."
Daß sein Streben unter so ungünstigen äußeren Verhält-
nissen nicht erlahmte, ist bewunderungswürdig. Dem größten
Mangel wurde durch ein Stipendium von 100 Talern abgeholfen,
das ihm der Minister v. Altenstein verlieh. Seine sparsame
Lebensweise ermöglichte es ihm, von jener geringen Summe noch
Ersparnisse zu machen, die er zu einer geognostischen Studien-
reise nach dem Riesengebirge und Oberschlesien verwandte. Nach
gründlichster Vorbereitung trat er im August 1820 die Reise an,
die in erster Linie seiner weiteren wissenschaftlichen Ausbildung,
der Erweiterung seiner Anschauung dienen sollte. Daneben ver-
^) Erinnerungsblätter, S. 110.
^) Ebend., S. 112.
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folgte er den praktischen Zweck, Mineralien und Fossilien für
das Berliner Mineralienkabinett zu sammeln. Mit Eifer widmete
er sich während seiner drei Monate dauernden Reise dieser Auf-
gabe, die ihm zwar durch Unterstützung der preußischen Berg-
behörden, denen er durch das Ministerium empfohlen war, er-
leichtert wurde, die aber trotzdem noch mühevoll genug war. Auf
tagelangen Wanderungen mußte er seinen mit Steinen gefüllten
Tornister tragen, der oft so schwer war, daß die kräftigsten
Bauern Mühe hatten, ihn zu heben. Eine Bezahlung für die wert-
volle Sammlung, die noch jetzt im Berliner Museum für Natur-
kunde vorhanden ist, lehnte Neumann ab und ließ sich nur
durch vieles Zureden von Weiss bestimmen, einen Ersatz der
Reisekosten, 30 Taler, anzunehmen.
Im nächsten Jahre trug sich Neu mann mit dem Plan einer
weiteren Reise zur mineralogischen Erforschung der Karpathen.
Die Ausführung des Planes wurde zunächst dadurch hinaus-
geschoben, daß ihm eine Unterstützung, die das Ministerium ihm
fär die frühere Reise nach Schlesien zugesichert hatte, nicht
rechtzeitig gezahlt wurde. Dann aber trat ein Ereignis ein, das
Neumanns Leben für einige Zeit in ganz andere Bahnen lenkte.
Am 13. Mai 1821 starb sein Vater, an dem er stets mit innig-
ster Liebe gehangen hatte. Der Vater hatte lange Jahre in Hin-
gebung und Treue das Gut und das Vermögen einer Gräfin ver-
waltet, deren einzige Stütze er gewesen war. Seitens dieser
Dame erging an Franz Neumann die Aufforderung, sich der
Landwirtschaft zu widmen, um später an die Stelle seines Vaters
zu treten. Neumann glaubte sich dieser Aufforderung nicht
entziehen zu dürfen, weil er es für eine Pflicht der Pietät hielt,
das Andenken seines Vaters dadurch zu ehren, daß er fortsetzte,
was jener nicht vollenden konnte; auch die hohe Verehrung,
die Neu mann für die Gräfin hegte, war mitbestimmend für
seinen Entschluß. Schweren Herzens brach er seine Studien ab,
um sich der neuen Lebensaufgabe zu widmen. Indessen ge-
währten ihm die Verhältnisse, unter denen er auf dem Lande
lebte, keinerlei Befriedigung. Er fühlte sich dort gar nicht an
seinem Platze und erkannte bald, daß er, vorläufig wenigstens,
nur geringen Nutzen stiften könne. Nach langen inneren Kämpfen
gab er daher den Plan, Landwirt zu werden, auf und kehrte im
Herbst 1821 zur Wissenschaft zurück. Auch große äußere Vor-
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teile, die ihm für die Zukunft in Aussicht gestellt wurden, wenn
er bliebe, yermochten nicht, ihn in seinem EntschluJS wankend
zu machen. Doch brach er damit seine Beziehungen zur Gräfin
nicht völlig ab; wiederholt war er in den nächsten Jahren in
ihrem Interesse tätig und ihr bei der Verwaltung des Gutes
behilflich 1).
8. Erste wissenschaftliche Arbeiten. Promotion.
Im Herbst 1821 nahm Neumann seine Studien wieder auf,
wenn er ihnen aus den eben angeführten Gründen zunächst
auch noch nicht seine ganze Zeit widmen konnte. Bald wandte
er sich eigenen Untersuchungen zu und verfaßte im Jahre 1822 ^)
und 1823 sein erstes Werk: Die Beiträge zur Krystallo-
nomie. Dem im September 1823 erschienenen Buche, einem
Oktavbande von 152 Seiten Text nebst 16 Seiten Vorwort und
Einleitung, dem 54 Figuren'*) auf 12 Tafeln beigegeben sind,
wollte Neumann eine Reihe von zwanglosen Heften folgen
lassen, in denen einerseits die Resultate seiner eigenen kristallo-
graphischen Arbeiten niedergelegt, andererseits aber auch die
Beobachtungen anderer Forscher nach seiner neuen graphischen
Methode dargestellt werden sollten, „so daß diese Beiträge
zugleich ein Repertorium aller krystallographischen
Beobachtungen^ gebildet haben würden. Leider ist es zur
Ausfuhrung dieses Planes nicht gekommen; nicht einmal das
zweite, noch für dasselbe Jahr in Aussicht gestellte Heft ist ge-
druckt, vermutlich weil der buchhändlerische Erfolg der Beiträge
kein erheblicher und Neumann selbst nicht in der Lage war,
die Druckkosten zu bezahlen.
Auf den Inhalt der Beiträge im einzelnen soll im nächsten
Abschnitte eingegangen werden. Nur das sei hier kurz bemerkt,
daß die Schrift insbesondere wegen der in ihr entwickelten neuen
Projektion smethode der Kristalle als epochemachend bezeichnet
^) In den Erinnerungsblättern ist eine Beihe interessanter Briefe,
von Neumann an die Gräfin und von dieser an Neumann gerichtet,
abgedruckt.
*) Daß ein Teil des Werkes schon im Sommer 1822 vollendet
war, sagt Neumann ausdrücklich in der Vorrede.
®) Die Figuren tragen die Nummern 1 bis 48 ; verschiedene Figuren
haben aber dieselbe Nummei-, mit a, b usw. unterschieden.
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werden kann, was unter anderen Th. Liebisch in dem Werke:
„Die deutschen Universitäten", herausgegeben von W. Lexis,
Berlin 1893, Bd. II, S. 56 anerkennt. Von den Zeitgenossen war
es besonders Neumanns Lehrer Weiss, der die Bedeutung des
Werkes seines Schülers würdigte. Er dankte Neumann für das
„schöne Exemplar seiner schöneren Schrift^)", empfahl ihm, dem
Minister v. Altenstein ein Exemplar der Beiträge zu über-
senden und übertrug ihm zugleich vertretungsweise eine Assi-
stentenstelle beim mineralogischen Museum. Auch weiterhin war
Weiss bestrebt, Neumann zu fördern, um ihm die üniversitäts-
laufbahn zu ermöglichen. Auf Weiss' Veranlassung hielt Neu-
mann im Winter 1823 — 1824 vor einem auserwählten Publikum
Vorträge über Kristallographie und besonders über seine neue
Projektionsmethode der Kristalle.
„Zu meinem Staunen sah ich einen Zuhörerkreis von etwa
30 Personen vor mir und erkannte unter ihnen die ersten Ka-
pazitäten Berlins: Leopold v. Buch, Alexander v. Hum-
boldt, Oberbergrat v. Dechen, Exzellenz v. Jasky u. a. Ich
weiß gar nicht, wie ich dazu kam, daß die Herren regelmäßig
bei mir hörten. Ich las über Krystallographie und entwickelte
eine neue Methode — das alles verdanke ich der großen Güte
von Weiss. Er hatte mir das verschafft: Ihm verdanke ich
meine ganze Laufbahn !"
„Selbstverständlich hielt ich diese Vorlesungen unentgelt-
lich, Leopold V. Buch ließ es sich aber nicht nehmen, mir
ein Honorar zu schicken*^ ^).
Andere der damaligen Zuhörer bewiesen sich in anderer
Weise dankbar. Der Oberbergrat v. Dechen machte Neumann
auf Fouriers Werke aufmerksam und verschaffte ihm dieselben
leihweise. Mit Feuereifer vertiefte sich Neumann in das Stu-
dium der Arbeiten Fouriers, den er später oft als seinen vor-
nehmsten Lehrer bezeichnete. Fouriers Wärmetheorie schrieb
er, um sie zu besitzen, sich selbst ab^). Den in Rede stehenden
Vorlesungen verdankte es Neumann femer, daß eine vom General-
leutnant V. Jasky dem König Friedrich Wilhelm III. zur Ver-
Erinnerungsblätter, 8. 202—203.
*) Ebend.. S. 223—224.
*) Voigt, S. 7.
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— 10 —
fügung gestellte bedeutende Mineraliensammlung der Universität
Königsberg und damit Neumann zur Benutzung überwiesen
wurde ^).
Um seine Zukunft zu sichern, meldete sich Neumann im
Herbst 1824 bei der wissen scbaftlichen Prüfungskommission zum
Oberlehrerexamen. Von Poselger, der jener Kommission als
Mathematiker angehörte, wurden ihm am 23. Oktober 1824 fol-
gende Aufgaben gestellt: 1. eine geometrische Abhandlung über
Berührungen, 2. eine analytisch - geometrische über gerade Linie
und Ebene. Außerdem sollte er vor der mündlichen Prüfung
eine Probelektion über die ersten Gründe der Stereometrie nach
Anleitung des XI. Buches der Elemente des Euklid halten. Die
Prüfung selbst scheint Neumann nicht abgelegt zu haben,
wenigstens findet sich in den Akten des Provinzial- Schulkollegiums
und der Prüfungskommission nichts darüber, ebensowenig in
Neumanns hinterlassenen Papieren. Weshalb Neumann den
Plan, die Oberlehrerprüfung abzulegen, aufgab, läßt sich aus
einer Stelle in einer gleich zu besprechenden Eingabe an das
Ministerium entnehmen. ^ Neumann fühlte, daß es ihm nicht
möglich sei, die rein wissenschaftliche Beschäftigung ganz aufzu-
geben, und fürchtete, daß die Ansprüche der Schule und der
Wissenschaft ihn in einen inneren Zwiespalt verwickeln könnten,
der ihn unglücklich machen würde. Er wandte sich daher noch
vor Ablegung der Prüfung, am 2. Januar 1825, an das Mini-
sterium mit der Bitte, ihm nach Ablauf der interimistischen
Stellung, die er am mineralogischen Museum bekleidete, eine
andere wissenschaftliche Bestimmung zu erteilen. Er motivierte
diese Bitte damit, daß seine Gesundheit ihm nicht gestatte, sich
ähnlichen Entbehrungen wie früher zu unterziehen, und daß er
deshalb seine äußere Subsistenz sicher zu stellen wünsche. Am
liebsten würde er seine Fähigkeiten als Dozent an einer Uni-
versität betätigen, und neben der Mineralogie, mit deren
mathematisch - physikalischen Teilen er sich bisher vorwiegend
beschäftigt habe, die Abschnitte der Physik lehren, die
eine höhere mathematische Ausbildung schon erhalten
hätten, oder doch deren jetzt schon fähig seien. Doch
werde er, wenn das Ministerium es so bestimme, auch eine Lehrer-
^) Erinnerungsblätter, S. 244.
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— 11 —
stelle übernehmen. Nur bitte er, in diesem Falle ihm noch eine
Frist zur Ausarbeitung der Fortsetzung seiner Beiträge zur Kri-
stallonomie zu gewähren und ihn während dieser Zeit durch eine
Unterstützung vor Mangel zu schützen. Auf diese Eingabe, in
der zum ersten Male das Ziel, das er sich gesteckt, klar aus-
gesprochen ist, erhielt Neumann am 10. Januar 1825 folgende
Antwort ^) :
„Das Ministerium eröffnet Ihnen auf die Vorstellung vom
2 ten dieses Monats, da£ es für jetzt keine Gelegenheit hat, Ihnen
einen anderweitigen wissenschaftlichen Wirkungskreis anzu-
weisen. Wenn sich eine solche Gelegenheit darbietet und Sie
sich als Privatdozent bewährt haben, wird dasselbe Ihres Gesuches
eingedenk sein und solches so viel als möglich berücksichtigen.
Um Sie indessen in den Stand zu setzen, Ihre wissenschaftlichen
Bestrebungen zu verfolgen, und sich teils durch schriftstellerische
Arbeiten, teils durch Vorlesungen bei der hiesigen Universität
gegründete Ansprüche auf weitere Berücksichtigung zu erwerben,
will das Ministerium Sie gern, so weit seine beschränkten Fonds
das gestatten, von Zeit zu Zeit außerordentlich unterstützen und
hat Ihnen vorläufig eine Summe von
Einhundert und fünfzig Talern
bewilligt.
Ministerium der Geistlichen, Unterrichts-
und Medizinal -Angelegenheiten
Altenstein."
Am Ende des Sommersemesters 1825 bewarb sich Neu-
mann bei der Berliner philosophischen Fakultät um die Pro-
motion. Als Promotionsschrift reichte er eine geometrische
Abhandlung (über das Problem des Apollonius und dessen Er-
weiterungen) ein, auf deren Inhalt weiter unten eingegangen
werden soll. Diese Arbeit, die Weierstrass gesprächsweise in
den siebziger und achtziger Jahren wiederholt als eine aus-
gezeichnete, noch für die Jetztzeit wertvolle Leistung bezeichnete,
fand seitens der Fakultät nicht die Anerkennung, die sie ver-
diente. Das Urteil von Dirksen lautete: „Daß der Gegenstand
der Dissertation und die darin befolgte Methode, beide, mit Rück-
sicht auf ihre Bedeutsamkeit einer früheren Periode der Wissen -
*) Erinnerungsblätter, S. 227.
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— 12 —
Schaft angehören, der jetzigen Kichtnng der Mathematik und dem
Bedürfnis eines Physikers ... so fremd sind, daß ich nicht ein-
sehe, wie der Verfasser . . . einen so unzeitigen StofE hat wählen
und sich so ganz auf den Tummelplatz angehender Gymnasial-
lehrer hat zurückwerfen können. Zu Yietas Zeiten hätte die
eingereichte Arbeit allerdings ihren großen Wert gehabt **. , . .
Trotz dieser Beurteilung wurde die Dissertation nicht zurück-
gewiesen, ihr Verfasser vielmehr zur mündlichen Prüfung zu-
gelassen, die er am Ö. November 1825 bestand. Das Gesamt-
urteil faßte der Dekan in die Worte zusammen: »daß der
Kandidat seine Würdigkeit, das testimonium doctrinae zu er-
halten, besonders durch seine gründlichen physikalischen Kennt-
nisse aufs ehrenvollste bekundet habe^)^.
Nach bestandenem Examen erklärte sich Neumann frei-
willig bereit, statt der nicht ganz gebilligten mathematischen
eine andere Abhandlung einzuliefern. Es war dies die Arbeit:
„De lege zonarum principio evolutionis systematum crystaUi-
norum". Nach Druck derselben und gehaltener öffentlicher Dis-
') Die Nachrichten über Neumanns Promotionsprüfung und
über die Beurteilung seiner Promotionsschrift verdanke ich Herrn
Prof. H. A. Schwarz, der auf meine Bitte im Jahre 1895 die Güte
hatte, die Angaben des Textes aus den Akten der Berliner philo-
sophischen Fakultät auszuziehen.
In der Isis, in der die geometrische Arbeit später veröffentlicht
ist, ist als Jahreszahl MDCCCXY angegeben, eine Angabe, die mich
früher auf die Vermutung führte, die letzte Ziffer V sei eine ver-
stümmelte X, und die Arbeit sei schon 1820 abgefaßt. Daß diese
Vermutung eine irrige war, geht daraus hervor, daß aktenmäßig fest-
steht, daß die Abhandlung erst am Ende des Sommers 1825 der Ber-
liner Fakultät eingereicht ist. Wahrscheinlich ist die Jahreszahl in-
folge eines Schreibfehlers Neumanns falsch angegeben. Nach
einer Mitteilung des Herrn Prof. H. A. Schwarz enthält Neumanns
Eingabe an die Fakultät, in der er sich um die Zulassung zur Pro-
motionsprüfung bewirbt, denselben Schriftfehler.
Die vorstehenden Angaben, wie der ganze Passus über Neu-
manns Promotion sind im wesentlichen meinem im Jahresbericht
der Deutschen Mathematiker -Vereinigung IV (Berlin 1897) veröffent-
lichten Nekrologe entnommen. Damals kannte ich die Akten über
die Neu mann zur Oberlehrerprüfung gestellten Aufgaben noch nicht.
Seitdem ich darüber unterrichtet bin, halte ich es für wahrscheinlich,
daß die erste jener Aufgaben Neumann zur Abfassung seiner geo-
metrischen Dissertation angeregt hat.
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— 13 —
putation wurde er am 16. März 1826 zum Doktor promoviert.
Die Thesen, über die er disputierte, lauteten :
1. Densitas materiae nil nisi fictio est, quae tolerari nequit.
2. Theoria de propagatione caloris, in corporibus solidis,
a cel. Fourier proposita, nimium sibi assumit, quod calorem
radiantem spatio coelesti inesse contendit.
3. Hypotheses a naturae explicatione prohibendae.
4. Individua concreta crystalli gemini ad determinandum
aliquod planum non una agunt.
5. Principium geminationis crystallinae in hoc situm est,
quod utriusque crystalli directiones ejusdem mensurae crystallo-
nomicae inter se permutantur.
Seine Opponenten waren: Carol. Reuter, Stud. theol.;
Herm. Franke, Cand. phil.
4. Die erste Zeit in Königsberg (1826—1829).
Am 24. April 1826 überreichte Neumann dem Minister
seine Dissertation zugleich mit einer 1825 verfaßten und in Pogg.
Ann. veröffentlichten kristallographischen Arbeit über das Kri-
stallsystem des Axinits. Bei dieser Gelegenheit kam er auf die ihm
am 10. Januar 1825 gemachten Versprechungen zurück, erwähnte,
daß er bisher durch wiederholte Kränklichkeit verhindert ge-
wesen sei, Vorlesungen an der Berliner Universität zu halten,
daß er aber jetzt im Begriff stehe, sich an derselben zu habili-
tieren. Er bat zugleich unter Hinweis auf seine bedrängte Lage,
ihn durch weitere Unterstützung in den Stand zu setzen, seine
Bestrebungen weiter verfolgen zu können. Auf diese Eingabe
«rhielt er am 6. Mai 1826 den Bescheid, daß das Mnisterium
nach Erwägung aller Verhältnisse für rätlich halte, daß Neu-
mann sich in Königsberg habilitiere. Zugleich war ihm darin
eine jährliche Remuneration von 200 Talern, sowie 50 Taler zur
Bestreitung der Reisekosten zugesichert.
Nur ungern folgte Neumann dieser Aufforderung des
Ministers. Einmal wurde es ihm schwer, Berlin und damit seine
alten Freunde zu verlassen, sodann fürchtete er, daß ihm für
seine mineralogischen Vorlesungen, deren Abhaltung seine Haupt-
aufgabe sein soUte, dadurch Schwierigkeiten erwachsen könnten,
daß die Königsberger Mineralien-Sammlung nicht von vornherein
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ihm unterstellt, er yielmehr hinsichtlich ihrer Benutzung auf die
Gefälligkeit von Prof. Hagen angewiesen wurde. Er legte dem
Ministerium sein Bedenken dar, bat auch, ihn lieber an die Bres-
lauer Universität zu senden als nach Königsberg. Alle diese
Vorstellungen waren vergeblich, Neumann wurde aufgefordert,
sich zu erklären, ob er nach Königsberg gehen wolle oder nicht.
Da er durch eine Weigerung jede Aussicht auf Beförderung in
Preußen zu verlieren fürchtete, so willigte er schweren Herzens
in die Übersiedelung nach Königsberg, in der stillen Hoffnung
allerdings, daß der Aufenthalt dort nur ein kurzer sein, nicht
länger als ein Jahr dauern würde.
Doch wie anders gestaltete sich die Zukunft! Nicht ein
Jahr, sondern ein langes Leben hindurch währte der Aufenthalt
in Königsberg, und so ungern er dorthin gegangen, so lieb war
ihm in späterer Zeit die neue Heimat. Die Vorliebe des jungen
Dozenten für Berlin verwandelte sich im Laufe der Zeit geradezu
in eine gewisse Abneigung gegen Berlin und die Berliner. Auf
seinen Reisen in späterer Zeit vermied er es meist, Berlin zu
berühren; nur um den Einzug der siegreichen Krieger 1866 und
1871 zu sehen, besuchte er die Hauptstadt.
Im Herbst 1826 siedelte Neumann nach Königsberg über;
eine acht Tage und acht Nächte dauernde Postfahrt führte ihn
an den Ort seiner neuen Wirksamkeit. Unter günstigen Auspizien
begann Neumann seine Lehrtätigkeit an der Königsberger Uni-
versität. Wirkte doch an dieser seit 1810 der große Astronom
B es sei, der die dortige, nach heutigen Begriffen kleine und nur
mit sehr geringen äußeren Mitteln ausgestattete Sternwarte für
Jahrzehnte zum Mittelpunkt des gesamten astronomischen Lebens
gemacht hat. Zu ihm trat Neumann bald in ein freundschaft-
liches, später in ein verwandtschaftliches Verhältnis. Auch
andere Zweige der Naturwissenschaften, deren Studium früher in
Königsberg sehr daniedergelegen ^) , hatten einen Aufschwung
genommen, so namentlich die Zoologie, die seit Beginn der zwan-
ziger Jahre von Karl Ernst v. Baer (1792 — 1876) vertreten
^) Waren doch die gesamten naturwissenschaftlichen Fächer :
Botanik, Zoologie, Mineralogie, Chemie (inkl. Pharmazie) und Physik,
lange Zeit durch einen einzigen Professor, Karl Gottfried Hagen,
vertreten, der erst in den zwanziger Jahren einen Teil seiner Vor-
lesungen an andere Dozenten abgab.
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war, der zugleich Anatomie lehrte, sich aber immer mehr und
mehr der Zoologie zuwandte. Von besonderer Bedeutung für
das Studium der Mathematik und Physik wurde es, daß in dem-
selben Jahre, in dem Neumann Dozent in Königsberg wurde,
auf Veranlassung des Ministers noch zwei andere junge Berliner
sich dort habilitierten, Jacobi für Mathematik, Doye für Physik.
Zu beiden trat Neumann bald in nähere Beziehung; mit Jacobi
verband ihn später dauernde Freundschaft ^). Auch sein Ver-
hältnis zu Hagen gestaltete sich besser, als er erwartet hatte;
Neumanns Befürchtungen, Hagen könne ihm hinsichtlich der
Benutzung der Mineraliensammlung Schwierigkeiten machen, er-
wiesen sich als irrig.
Trotz alledem dauerte es mehrere Jahre, bis sich Neumann
in Königsberg wohl und heimisch fühlte ; denn bei seiner Zurück-
haltung Fremden gegenüber bedurfte es längerer Zeit, bis er den
späteren Königsberger Freunden näher trat und in ihnen Ersatz
für die Freunde fand, die er in Berlin verlassen hatte. Die
Sehnsucht nach letzteren ließ ihn seine Einsamkeit schwer
empfinden und versetzte ihn oft in eine gedrückte Stimmung. Mit
veranlaßt wurde diese Stimmung durch die Einschränkungen, zu
denen ihn sein geringes Einkommen zwang, sowie durch den
Umstand, daß für die Disziplin, die zu lehren er berufen war, in
Königsberg nur ein geringes Interesse bestand. Seine erste Vor-
lesung im Winter 1826 — 1827 (über Kristallographie) hielt er
vor nur drei Zuhörern, und im darauf folgenden Sommersemester
scheint er Vorlesungen ohne Erfolg angekündigt zu haben.
Nimmt man dazu, daß in jener Zeit auch seine Gesundheit ge-
litten hatte, so kann man sich nicht wundern, wenn er um diese
Zeit von sich sagt: „Mein Mut ist erloschen".
Seine Erfolge als Dozent wurden bald bessere, insbesondere
seitdem er neben Vorlesungen über Mineralogie solche über
Physik hielt. Schon im Winter 1827 — 1828 las er Physik der
Erde vor 25, daneben Mineralogie vor 4 Zuhörern; und in den
folgenden Jahren fanden auch die mineralogischen Vorlesungen
*) In Neumanns Nachlaß fand sich die interessante Bede vor,
mit welcher Jacobi 1832 seine Disputation pro loco ordinario ein-
leitete. Sie ist 1901 von W. v. Dyck in den Berichten der Münchener
Akademie, Bd. 31, wie in den mathematischen Annalen , Bd. 56, ver-
öffentlicht.
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— 16 —
mehr Zuspruch. Von seinen physikalischen Vorlesungen aus dem
Ende der zwanziger Jahre seien noch erwähnt die über die physi-
kalischen Eigenschaften der Mineralien (Winter 1828 — 1829)
und Experimentalphysik (Winter 1829 — 1830), eine Vor-
lesung, die er später nicht wiederholt hat.
Inzwischen war Neumann gleichzeitig mit Dove im März
1828 zum Extraordinarius befördert, ein Vierteljahr nach Jacobi;
letzterem war diese Beförderung schon im Dezember 1827 zu
Teil geworden, und zwar entgegen dem Wunsche der Fakultät,
deren meiste Mitglieder er sich durch seine Äußerungen zu
Feinden gemacht hatte ^).
Indessen war das Extraordinariat nur mit demselben Ein-
kommen verbunden, das Neumann schon als Dozent bezogen
hatte, so da£ er nach wie yor in den kärglichsten Verhältnissen
leben mußte. Erst das Jahr 1829 brachte eine Besserung; im
Mai 1829 wurde er nach dem Tode von Hagen zum ordentlichen
Professor der Physik und Mineralogie ernannt und erhielt eine
Besoldung von 500 Talern. Er verdankte diese Beförderung,
durch die er eine gesicherte Existenz gewann, vor allem den
Empfehlungen Bessels, der in einem vom 7. Oktober datierten
Briefe an den Unterrichtsminister v. Altenstein aufs wärmste
für Neumann eintrat und dringend bat, diesem ein für seine
Bedürfnisse hinreichendes Einkommen zu gewähren. Bessel
sagt in dem Briefe 2) von Neumann: „Sein Reichtum an Kennt-
nissen, die Umsicht, womit er seine wissenschaftlichen Unter-
suchungen führt, der Eifer und die Ausdauer, welche er darauf
verwendet, sind so groß, daß ich sicher vorauszusehen glaube,
daß er unter den mathematischen Physikern bald eine der ersten
Stellen einnehmen wird." Weiterhin spricht er von Neumanns
Bescheidenheit: „Mir selbst ist nur nach längerem Um gange
gelungen, völlig deutlich zu erkennen, was Neumann zu leisten
vermag; aber ich habe zugleich seinen Charakter erkannt, dessen
Festigkeit sich auch darin zeigt, daß er der Versuchung, Privat-
unterricht zu erteilen, widersteht und vorzieht, wissenschaft-
lichen Untersuchungen seine Zeit allein zu widmen."
*) Siehe L. Königsberger: Karl Gustav Jacob Jacobi, Leipzig
1904, S. 27 u. 56.
*) Der Brief ist vollständig abgedruckt bei Yolkmann, S. 7 — 8;
in den Erinnerungsblättern, S. 254—255.
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Übrigens verließ Dove um dieselbe Zeit Königsberg und
siedelte nach Berlin über.
Das Jahr 1829 brachte Neumann ein Wiedersehen mit
seinen Berliner Freunden. In den Osterferien war er (zum ersten
Male seit seiner Übersiedelung nach Königsberg) dorthin ge-
reist. Eine Krankheit, die ihn befallen, verzögerte seine Rück-
kehr, so daß er im Sommer dieses Jahres keine Vorlesung halten
konnte.
Noch in anderer Beziehung war das Jahr 1829 für ihn be-
deutungsvoll. Am 28. Dezember verlobte er sich mit Flore nt ine
Hagen, der jüngsten Tochter seines Amts Vorgängers; ihre ältere
Schwester war seit 1812 mit Beseel verheiratet. Neumann
war der Familie Hagen schon zu Lebzeiten des Vaters nahe ge-
treten, und bereits Ende 1828 scheint er den Wunsch gehegt zu
haben, seine spätere Braut als Gattin heimzuführen. Er hielt
indessen mit seinen Wünschen zurück, bis er eine sichere
Stellung erreicht hatte. Am 29. April 1830 fand die Hochzeit
statt. Der sehr glücklichen Ehe, die leider allzufrüh durch den
Tod der Frau getrennt wurde, sind fünf Kinder entsprossen,
von denen vier noch heute leben:
Carl Neumann, Professor der Mathematik in Leipzig,
geb. 1832.
Ernst Neumann, emeritierter Professor der pathologischen
Anatomie zu Königsberg, geb. 1834.
Julius Neumann, Professor der Nationalökonomie in
Tübingen, geb. 1835.
Luise Neumann, die treue Pflegerin des Vaters und Ver-
fasserin der Erinnerungsblätter, geb. 1837; sie wohnt in des
Vaters Heimat, zu Joachimsthal in der Uckermark.
Ein vierter Sohn, Gustav Neumann, geb. 1838, ist 1876
als Regierungsbaumeister in Posen gestorben.
5. Die Jahre des wissenschaftlichen Schaffens und
Neumanns Lehrtätigkeit.
a) 1830 bis 1840.
In den ersten Jahren seines Königsberger Aufenthaltes hat
Neumann nichts durch den Druck veröffentlicht. Daß er auch
in dieser Zeit nicht untätig war, bezeugt Bessel in dem oben
Wan gerin, Franz Neumann. 2
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angeführteu Brief an den Miniater von Altenstein. Erst als
nach seiner Verlobung die Schwermut, die ihn früher befangen,
seine Neigung, sich von der (Gesellschaft abzusondern, gewichen,
als sich seine Gesundheit gebessert hatte, ging er daran, die Er-
gebnisse seiner Forschungen bekannt zu machen.
1830 yeröfEentlichte er in den Abhandlungen der Berliner
Akademie eine größere Arbeit über das Kristallsystem des Albits.
Diese Arbeit ist ein Muster dafür, wie man durch eingehende Dis-
kussion und geschickte Kombination von Winkelmessungen zu
möglichst genauen Resultaten gelangt; in ihr ist wohl zum ersten
Male die Methode der kleinsten Quadrate auf kristallographische
Messungen angewandt. Im nächsten Jahre erschienen neben
einem kleineren Aufsatz kristallographischen Inhalts die wichtigen
Untersuchungen über die spezifische Wärme der Mineralien und
die spezifische Wärme des Wassers. In der ersten dieser Ar-
beiten zeigte er, welche Korrektionen man bei den nach der
Methode der Mischung angestellten Beobachtungen anbringen
muß, um zu exakten Ergebnissen zu gelangen. Die Korrektionen
selbst werden der Theorie der Wärmeleitung und Wärmestrahlung
entnommen. Seine Versuche gehören zu den ersten, in denen die
erreichbare Genauigkeit wirklich erreicht ist. In dieser Arbeit
wird ferner das Dulongsche Gesetz, nach dem das Produkt aus
dem Atomgewicht der einfachen Körper und ihrer spezifischen
Wärme eine konstante Größe ist, auf eine Reihe zusammen-
gesetzter Körper ausgedehnt. Hinsichtlich der spezifischen Wärme
des Wassers wies Neumann zuerst nach, daß dieselbe mit wachsen-
der Temperatur zunimmt, nicht, wie frühere Beobachter gefunden,
abnimmt.
Das Jahr 1832 brachte die wichtige und grundlegende Arbeit
über die doppelte Strahlenbrechung. In ihr wurden zum ersten
Male die Erscheinungen der doppelten Strahlenbrechung streng
aus den Gleichungen der Elastizitätstheorie abgeleitet. Diese
Ableitung führt zu einer von der Fr es nel sehen abweichenden
Anschauung über die Lage der Schwingungsrichtung zur Polari-
sationsebene. Eine zweite Arbeit aus diesem Jahre ist der Theorie
der Metallreflexion gewidmet; und zwar wird gezeigt, wie man
auf Grund der Fr esn eischen theoretischen Vorstellungen zu
zwei einfachen Gesetzen gelangt, die alle bisherigen Beobachtun-
gen umfassen.
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— 19 —
. Probleme der Optik UDd der EHastizitätstheorie beschäftigten
Neu mann neben solchen der Wärmelehre auch noch in den
nächsten zehn Jahren. 1833 untersuchte er die Beziehungen
zwischen den thermischen, optischen und kristallographischen
Achsen des Gipses; 1834 stellte er in einer Arbeit über das
Elastizitätsmaß kristallinischer Substanzen die Gesetze auf, nach
denen sich die Eristallwinkel bei allseitigem oder einseitigem
Druck ändern, und entwickelte eine Methode zur Bestimmung der
Elastizitätskonstanten von Elristallen, eine Frage, die vor ihm
noch nie behandelt war. Daneben nahm er die Untersuchungen
über die spezifische Wärme von neuem auf. Er bestimmte 1834
die spezifische Wärme einer Reihe zusammengesetzter Körper,
freilich ohne die Resultate gleich zu yeröffentlichen ; ihre Publi-
kation erfolgte erst im Jahr 1865 durch Pape. Er untersuchte
ferner auf strengere Weise als früher die bei der Methode der
Mischung anzubringenden Korrektionen, indem er von vornherein
die Wärmeleitung in dem eingetauchten Körper berücksichtigte.
Die zur Ableitung dieser Korrektionen erforderlichen Rechnungen
sind in einer lateinisch geschriebenen und wohl wenig bekannt
gewordenen Dissertation niedergelegt; sie ist bei Gelegenheit der
Disputation yeröff entlicht, die Neu mann zum förmlichen Eintritt
in die Fakultät oblag. Die Disputation selbst fand am 6. Mai
1834 statt. Opponenten waren Hermann Heinrich Haeden-
kamp (nicht Haidenkamp, wie auf der Dissertation steht) und
Karl Wilhelm Bessel, während J. E. Czwalina Neumann bei
der Verteidigung der Thesen unterstützte. Letztere lauteten:
1. Ne ad unum quidem phaenomenon luminis explicandum
theoria sufficit a summo Newtono proposita.
2. Agitatis materiae particulis calor efficitur, neque ei ma-
teria quaedam sive substantia, quam caloricum nominant, tri-
buenda est.
Ein weiterer Aufsatz aus dem Jahre 1834 betrifft die opti-
schen Achsen und die Farben zweiachsiger Kristalle im polarisierten
Lichte. Darin wird der bis dahin schwankende Begriff der opti-
schen Achsen eines zweiachsigen Kristalls festgelegt, und es
werden yerschiedene Formeln aus der Theorie der Doppelbrechung
durch Einführung der Winkel zwischen der Wellennormale und
den optischen Achsen vereinfacht. Die hier abgeleiteten Formeln
finden ihre Anwendung in der Arbeit, die Neumann vorzugs-
2*
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— 20 —
weise in den Jahren 1833 und 1834 beschäftigte, nämlich bei der
Ableitung der Gesetze der Kristallreflexion.
Schon 1834 waren seine Untersuchungen darüber abgeschlos-
sen, doch zögerte er mit ihrer Veröffentlichung, weil er zuTor
seine Formeln auch experimentell prüfen wollte. Erst im Dezem-
ber 1835 legte er die Abhandlung der Berliner Akademie vor, so
daß ihre Resultate erst 1837, beim Erscheinen der Akademie-
abhandlungen für das Jahr 1835, allgemein bekannt wurden.
Aus diesem Umstände entstand 1838 ein Prioritätsstreit mit
Mac Cullagh, der nach ganz anderer Methode zu wesentlich
denselben Eesultaten gelangt war. Auf diesen Prioritätsstreit
soll weiterhin im Anschluß an die ausführliche Besprechung der
Abhandlung über Kristallreflexion näher eingegangen werden.
An die in Bede . stehende große Arbeit schlössen sich im
Jahre 1837 zwei weitere an, die der experimentellen Prüfung
verschiedener in jener aufgestellten Formeln gewidmet waren.
Zugleich wird darin ein neues photometrisches Verfahren zur Be-
stimmung der Intensität des von Kristallen reflektierten und ge-
brochenen Lichtes angegeben. Nebenbei wird gezeigt, wie sich
die Gauchysche Ableitung der Formeln für Totalreflexion in
der Neumann sehen Heflexionstheorie gestaltet, und es wird eine
Behauptung Cauchys über die Verstärkung des gebrochenen
Lichtes bei Beginn der totalen Reflexion als unrichtig nach-
gewiesen.
Noch sind aus dieser Zeit (1835) mehrere kürzere Notizen
über die Unsymmetrie der Farbenerscheinungen hemiprismati-
scher Kristalle, sowie Beobachtungen über die Änderung der
Lage der optischen Achsen des Gipses mit der Temperatur zu
erwähnen.
Auch mit magnetischen und elektrischen Untersuchungen
beschäftigte sich Neumann schon in den dreißiger Jahren, ins-
besondere interessierten ihn die Gauss sehen Arbeiten über Erd-
magnetismus. Das Studium dieser führte ihn auf eine neue
Eigenschaft der Laplac eschen Kugelfunktionen und damit auf
eine neue einfache Methode zur Berechnung der in den Kugel-
funktionen auftretenden Konstanten aus Beobachtungen.
War Neumann so während der dreißiger Jahre unermüdlich
als Forscher tätig, so widmete er sich daneben mit größtem
Eifer seinem akademischen Amte. Neben den Vorlesungen über
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Mineralogie und Kristallographie, die er in ziemlich regelmäßigem
Turnus wiederholte, zog er allmählich yerschiedene Teile der theo-
retischen Physik in den Bereich seiner Lehrtätigkeit, so zu Be-
ginn der dreißiger Jahre die Theorie des Lichtes und die analyti-
sche Wärmetheorie, gegen Ende dieses Zeitraumes die Kapillarität
und die Elastizität. Eine weitere Vorlesung über theoretische
Physik könnte besser als Einleitung in die theoretische Physik
bezeichnet werden. Außerdem las er wiederholt über ausgewählte
Kapitel der theoretischen Physik.
Von besonderer Bedeutung für Neumanns Wirksamkeit
war die Gründung des mathematisch-physikalischen Seminars, die
auf den von ihm und Jacobi gemeinsam gestellten Antrag 1834
ei folgte. Durch die Seminarübungen sollten die Studierenden
zur Vertiefung ihrer Studien angehalten, vor allem aber zu
selbständiger wissenschaftlicher Tätigkeit angeleitet werden. Diese
Aufgabe hat das Seminar, das erste derartige Institut in Deutsch-
land, jahrzehntelang in ausgezeichneter Weise erfüllt. In ihm
haben zahlreiche Mathematiker und Physiker ihre Ausbildung
gefunden; ihm ist neben den Vorlesungen Jacobis und Neu-
manns der Aufschwung zu danken, den in den dreißiger und
vierziger Jahren das Studium der Mathematik und Physik in
Königsberg genommen. — Die hohe Bedeutung des Seminars für
das Studium der Physik wird es als gerechtfertigt erscheinen
lassen, daß wir die Tätigkeit Neumanns als Leiter seiner Ab-
teilung des Seminars weiterhin in einem besonderen Abschnitt
ausführlich schildern.
Weiter mag hier noch aus seiner akademischen Tätigkeit
seine Mitwirkung bei der Ehrenpromotion Jakob Steiners
durch die Königsberger philosophische Fakultät (1833) erwähnt
werden. (Vgl. L. Königsberger, Jacobi, S. 145.)
Über Neumanns äußeres Leben in dieser Zeit ist wenig zu
sagen. Häuslich und einfach lebte er im Kreise seiner Familie,
und nur klein war sein Umgangskreis. In den Ferien suchte
er mit den Seinen Erholung und Stärkung seiner Gesundheit in
einem Landaufenthalt, meist im Seebade Rauschen an der sam-
ländischen Küste. Zweimal verließ er Königsberg auf längere
Zeit, einmal mit seiner jungen Frau im Herbst 1830 zum Besuch
von Berlin, Dresden und der Sächsischen Schweiz, das zweite Mal
allein zu einer größeren Studienreise im Jahre 1834. Auf dieser
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Beise, die von Ende Juni bis in den Noyember hinein dauerte,
besuchte er Berlin, Dresden, Freiberg, Teplitz, Prag, Wien und
Graz, das Salzkammergut und Berchtesgaden, München und
Innsbruck. Von hier wurdq eine Fußwanderung durch das Ziller-
tal und über das Pfitscher Joch unternommen, dann das Fassatal
besucht. Die weitere Reise führte ihn über den Brenner und
Innsbruck nach Stuttgart zum Besuch der Naturforscherversamm-
lung und von da in die Schweiz, wo er die Gotthardstraße bis
zum Lago Maggiore durchwanderte, über den Simplon, die Grimsel
und Grindelwald Bern erreichte, um über Basel und Heidelberg
nach Berlin zurückzukehren. Seine Reiseerlebnisse hat er in
einer längeren Reihe von interessanten Briefen geschildert, die an
seine Frau gerichtet waren, und die in den Erinnerungsblättern
(S. 300 bis 335) mitgeteilt sind. Auf dieser Reise, die ihm Er-
holung und Kräftigung seiner Gesundheit brachte, lernte er eine
Reihe von Fachgenossen, Mineralogen und Physiker, persönlich
kennen, auch erwarb er eine große Sammlung von Mineralien für
den Staat zu einem verhältnismäßig sehr geringen Preise, da er
größtenteils bei Bauern und Hirten einkaufte 0-
Ein schwerer Schlag traf ihn Ende 1838 durch den Tod
seiner Frau, die am 29. Dezember jenes Jahres einem Nerven-
fieber erlag. Der Verlust beugte ihn so nieder, daß er lange Zeit
zu wissenschaftlichem Schaffen unfähig war. Noch im Herbst
1839 schreibt er an Weiss, daß sein Arbeiten langsam und unzu-
sammenhängend von statten gehe ^). Erst sehr allmählich gewann
er seinen Lebensmut wieder und ging nun daran, früher begonnene
Arbeiten fertig zu stellen.
b) 1840 bis 1850.
Neumanns Veröffentlichungen in der Zeit von 1840 — 1850
sind nicht so zahlreich wie in dem Jahrzehnt vorher, aber um so
bedeutungsvoller ihrem Inhalt nach. Man wird Volk mann im
allgemeinen zustimmen können, wenn er Neumanns Leistungen
in den vierziger Jahren als den Höhepunkt seiner Forschung be-
zeichnet 3); nur meine ich, daß Volkmann die vorher erwähnte
^) Erinnerungsblätter, S. 334.
«) Ebend., S. 343.
*") Volkmann, S. 18.
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— 23 —
große Arbeit über Eristallreflexion zu niedrig einschätzt, wenn er
von den optischen Arbeiten der dreißiger Jahre sagt, daß sie
jenen Höhepunkt noch nicht kennzeichnen.
Die erste in dem zu besprechenden Jahrzehnt erschienene
Arbeit gehört noch der Optik an. Sie betrifft die Gesetze der
Doppelbrechung des Lichtes in komprimierten und ungleichförmig
erwärmten unkristallinischen Körpern und ist im Jahre 1841 der
Berliner Akademie vorgelegt. Ein Teil dieser Abhandlung ist
jedenfalls schon 1838 oder noch früher verfaßt, wie aus einem
Briefe Neumanns an Weiss vom Herbst 1839 hervorgeht. Dort
heißt es^): Ich habe mehrere frühere Arbeiten vorgenommen und
ausgearbeitet; darunter ist eine große Abhandlung „Theorie der
doppelten Strahlenbrechung, welche durch Druck erzeugt wird" . . .
Die im Titel genannten Erscheinungen waren bis dahin lediglich
experimentell untersucht. Neumann ist der erste, der es unter-
nahm, sich von dem Zustandekommen derselben Eechenschaft zu
geben und eine mathematische Theorie derselben aufzustellen.
Diese führte zu dem sehr bemerkenswerten Resultat, daß bei einer
Kompression des Mediums die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des
Lichtes vergrößert, bei einer Dilatation vermindert wird. Mit
seinen Rechnungen verband Neumann eine Reihe neuer Beob-
achtungen, auch knüpfte er an die theoretischen Ergebnisse eine
Fülle wichtiger Anwendungen, die nicht allein optische Er-
scheinungen betrafen. Daß er seiner Entwicklung die alte
Elastizitätstheorie zugrunde legte, nach der die elastischen Phä-
nomene unkristaliinischer Medien nur von einer Konstante ab-
hängen, kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen, da zu damaliger
Zeit eine andere Elastizitätstheorie nicht existierte.
Die eben besprochene Arbeit ist die letzte, welche Neu-
mann aus dem Gebiete der Optik veröffentlicht hat. Seine
weiteren Forschungen betreffen die Elektrodynamik, speziell die
Erscheinungen der Induktion.
Die Ergebnisse dieser Forschungen sind niedergelegt in zwei
der Berliner Akademie 1845 bis 1847 vorgelegten und in deren
Abhandlungen abgedruckten Arbeiten:
1. Die mathematischen Gesetze der induzierten elektrischen
Ströme.
*) Erinnerungsblätter, S. 343.
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— 24 —
2. Über ein allgemeines Prinzip der mathematischen Theorie
induzierter elektrischer Ströme.
In der ersten dieser Arbeiten wird ein allgemeines Gesetz
der linearen Induktion entwickelt, das die Intensität des induzier-
ten Stromes numerisch zu bestimmen erlaubt, und aus dem sich
alle bisher beobachteten Induktionserscheinungen als Folgerungen
ergeben. Die Resultate betreffen nicht nur die elektrodynamische,
sondern auch die elektromagnetische Induktion. In der zweiten
Arbeit wird die Beobachtung auf solche Fälle ausgedehnt, in
denen der Leiter seine Form ändert. Ferner werden alle Einzel-
ergebnisse zu einem neuen allgemeinen Gesetz (Prinzip) zu-
sammengefaßt. In einem Anhange wird zugleich das wichtige
Neumann sehe Potentialgesetz geschlossener Ströme abgeleitet.
Daß gerade diese Arbeiten von bleibendem Wert für die
Wissenschaft sind, wird allgemein anerkannt. Voigt sagt von
ihnen ^), daß ihre Resultate selbst die Entwicklung der letzten
Dezennien, die so manches früher anerkannte Gesetz zu Fall
gebracht habe, siegreich überdauern.
Endlich ist aus dem Jahre 1848 eine im Grelle sehen
Journal erschienene Arbeit wesentlich mathematischen Inhalts zu
erwähnen, die insbesondere eine wichtige neue Darstellung der
Kugelfunktionen zweiter Art enthält, sowie Anwendungen der
Kugelfunktionen auf das Potential eines Rotationsellipsoids und
den magnetischen Zustand eines solchen.
Die vierziger Jahre bildeten nicht nur für die literarischen
Leistungen Neumanns einen Höhepunkt, auch seine Lehr-
tätigkeit erreichte in dieser Zeit ihre Höhe, doch nicht eine Höhe,
die überschritten wurde. Vielmehr blieben seine Lehrerfolge
dauernd auf dieser Höhe bis zu dem Moment, wo er seine Lehr-
tätigkeit einstellte. Den Kreis der in den dreißiger Jahren ge-
haltenen Vorlesungen erweiterte er, indem er die Theorie des
Magnetismus, die der elektrischen Ströme, die Hydrodynamik und
später auch die Potentialtheorie darin einbezog und damit seine
Lehrtätigkeit auf alle Teile der theoretischen Physik ausdehnte.
Derartige Vorlesungen waren lange Zeit hindurch, bis in die
sechziger Jahre hinein, an keiner anderen deutschen Universität
zu finden. Kein Wunder daher, daß auch aus weiter Ferne
') S. 17, 18.
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— 25 —
junge Männer nach Königsberg kamen, um von ihm in die neue
Disziplin eingef&hrt zu werden. Während Königsberg im vorigen
Jahrhundert im allgemeinen eine reine Provinzial-Universität war,
an der man kaum einen Studierenden fand, dessen Heimat nicht
Ost- oder Westpreußen gewesen wäre, war das anders für die
Studierenden der Astronomie, Mathematik und Physik, In den
Vorlesungen über diese Disziplinen sah man neben den aus der
Provinz Preußen stammenden Zuhörern solche aus allen Teilen
Deutschlands, ja über dessen Grenzen hinaus, aus der Schweiz,
aus Eußland, Ungarn und Galizien. Zum Teil waren das ältere
Leute, die schon an anderen Universitäten ihre »Studien abgeschlos-
sen hatten, selbst Universitätslehrer befanden sich unter ihnen.
Zuerst hatte Bessel Astronomen von weit her nach Königsberg
gezogen, seit Mitte der dreißiger Jahre kamen Mathematiker und
Physiker dazu, um Jacobi und Neumann zu hören. Seit
Jacobis Scheiden von Königsberg im Jahre 1843 ^), und nach-
dem Bessel 1846 gestorben, war es Neumann allein, der auch
weiterhin, bis in die Mitte der siebziger Jahre, diese Anziehungs-
kraft ausübte. Wenn neben ihm auch Richelot mit Eifer und
Erfolg die Jacobische Tradition aufrecht erhielt, so wäre doch
diesem allein ein großer Teil seiner Zuhörer nicht zugeströmt,
wenn er nicht gerade neben Neumann gewirkt hätte.
Wenn so Neumann das Haupt einer besonderen Schule
wurde, aus der eine Reihe von hervorragenden Gelehrten hervor-
gegangen ist, so verdankte er dies nicht allein dem StofEe, den er
in seinen Vorlesungen behandelte, sondern vor allem der meister-
haften Art seines Vortrages. Über diesen sagt Lothar Meyer
in der Zueignung seiner „Grundzüge der theoretischen Chemie"
(Leipzig 1890) an Neumann: „Haben Sie doch Ihren lern-
begierigen Schülern in Ihren Vorträgen die Ergebnisse der mathe-
matischen wie experimentellen physikalischen Forschung und die
Wege, auf denen man zu ihnen gelangt, stets so klar und durch-
sichtig darzulegen verstanden, daß selbst dem mit geringem
mathematischen Rüstzeug ausgestatteten Hörer alles so leicht
verständlich, sich von selbst ergebend erschien, daß er sich kaum
*) Definitiv siedelte Jacobi erst im Herbst 1844 nach Berlin über;
doch hat er schon seit seiner Erkrankung im Anfang des Jahres 1843
in Könif2;sberg keine Vorlesungen mehr gehalten.
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— 26 —
der Schwierigkeiten bewußt wurde, welche überwunden werden
mußten, ehe diese klare Einsicht in den Zusammenhang der Dinge
und Erscheinungen gewonnen werden konnte. Haben Sie es so-
mit als eine hohe Aufgabe betrachtet, das Beste, was wir in
Ihrem Fache wissen können, so darzustellen, als wäre es das aller-
elementarste Wissen, so nehmen Sie wohl auch freundlich ein
kleines unscheinbares Buch entgegen, . . . ^.
Und C. Neumann schildert in einer Mitteilung an Yolk-
mann^) den Vortrag seines Vaters mit folgenden Worten:
„Was er selber in diesen Gebieten der Forschung in heißem
Bemühen und harter Anstrengung errungen hatte, das wußte er in
majestätischer Einfachheit, Anschaulichkeit und Klarheit in seinen
Vorlesungen seineu Freunden und Zuhörern mitzuteilen.
„ Die Zuhörer hingen an seinen Blicken und lauschten seinen
Worten. Sie sahen sich vor einem begeisterten, aus den tiefsten
Tiefen schöpfenden Lehrer. **
Daß ein solcher Vortrag seine Wirkung auf die jugendlichen
Gemüter der Zuhörer nicht verfehlte, daß die Begeisterung des
Lehrers sich auch ihnen mitteilte, darf nicht wundernehmen. Aber
nicht nur momentan die Schüler zu begeistern, verstand Neu-
mann, er wußte ihr Interesse für die Wissenschaft in immer
höherem Grade zu erregen und sie allmählich, insbesondere durch
die Seminarübungen, zu eigener Forschung heranzuziehen; mit
welchem Erfolge, dafür ist einer der hauptsächlichsten Zeugen
G. Eirchhoff, der seine wissenschaftliche Ausbildung lediglich
Neumann verdankte.
Neumanns hohe Bedeutung als Forscher und Lehrer wurde
bald von . seinen Kollegen gewürdigt. Eine besondere Ehrung
von ihrer Seite wurde ihm dadurch zu Teil, daß, als im Jahre 1843
an der Königsberger Universität, der Albertina, das Wahlprorek-
torat eingeführt wurde, die erste Wahl auf Neumann fiel. In
sein Amtsjahr fielen die Vorbereitungen zur Dreihundertjahrfeier
der Universität.
Auch auswärtige Universitäten richteten um diese Zeit ihre
Blicke auf Neumann und suchten eine so hervorragende Ejraft
für sich zu gewinnen. Im April 1841 erhielt er unter glänzen-
den äußeren Bedingungen einen Buf nach Dorpat, und dieser
Volkmann, S. 38.
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— 27 —
Ruf wurde nach der ersten Ablehnung im September desselben
Jahres wiederholt. In demselben Jahre erging an ihn die Auf-
forderung, als Akademiker nach Petersburg überzusiedeln. Beide
Stellen lehnte er ab;* seine Vaterlandsliebe und der Wunsch, „seine
Kinder nicht der Wohltat der Entwicklung und Erziehung im
Sinne und Geist des preußischen Staates zu berauben^ ^), hielten
ihn in Königsberg fest. Er benutzte auch nicht die Gelegenheit,
um sein damaliges Gehalt von 800 Talern zu verbessern, sondern
machte erst nach definitiver Ablehnung der russischen Anerbietun-
gen dem Ministerium von denselben Mitteilung.
Von Neumanns äußerem Leben aus den vierziger Jahren ist
noch zu erwähnen, daß er im Jahre 1843 eine zweite Ehe mit
Wilhelma Hagen, einer Cousine seiner ersten Frau, schloß und
dadurch neuen Sonnenschein in sein häusliches Leben brachte.
In den Jahren 1845 bis 1849 hat Neumann einen lebhaften
Briefwechsel mit Jacobi geführt, veranlaßt durch den Druck der
vorher erwähnten ersten Arbeit über Induktion. Jacobi über-
wachte in Berlin den Druck, half Neumann bei der Korrektur
und schlug ihm eine Reihe von kleinen Änderungen vor. Daneben
werden in denBriefen, die zum Teil in Königsbergers Jacobi-
Biographie (S. 355 ff.) mitgeteilt sind, die Vorschläge für die
Besetzung der Bes sei sehen Stelle besprochen, und weiter wird
mehrfach erörtert, wie man G. Kirchhoff, der damals seine
Studien in Königsberg beendet hatte, am besten fördern könne.
Das Jahr 1848 führte den sonst still für sich lebenden Ge-
lehrten an die Öffentlichkeit. Energisch trat er neben anderen
angesehenen Bürgern für die Sache der Ordnung ein, beteiligte
sich an der Verwaltung der Stadt, wurde Mitglied der Bürger-
wehr und trug insbesondere durch Einwirken auf die Arbeiter
und Reden in ihren Versammlungen viel zur Beruhigung der auf-
geregten Gemüter bei. Auch im folgenden Jahre nahm er- an
der politischen Bewegung und den Wahlkämpfen lebhaften Anteil.
o) 1850 bis 1876.
Mit Beginn des neuen Jahrzehnts nahm Neumann seine
durch die politische Tätigkeit unterbrochencD Studien wieder auf
') Erinnerungsblätter, S. 3ö3.
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— 28 —
und widmete sich von neuem mit Yoller Kraft seiner Lehrtätig-
keit Auf letztere verwandte er während des Semesters den
größten Teil seiner Zeit. „Nur wenige seiner Zuhörer^) ahnten,
wieviel Zeit ihr hochverehrter Lehrer ihnen opferte, wie groß die
Masse der Arbeit war, die derselbe Tag für Tag auf seine Vor-
lesungen verwandte, und wie er — infolge dieser fast gar zu
großen Hingabe an seinen Beruf — für die Fortsetzung seiner
eigenen ihm doch so sehr am Herzen liegenden Forschungen sich
mehr oder weniger auf die Zeit der Ferien beschränkt sah.^
Durch die geschilderte gründliche Vorbereitung jeder ein-
zelnen Vorlesung gelang es Neumann, seinem Vortrage die alte
Frische und Lebendigkeit bis in das hohe Greisenalter zu be-
wahren und den früheren Lehrerfolgen immer neue und neue
hinzuzufügen. Sehr groß war freilich die Zahl seiner Zuhörer
nie; mehr als zwölf Studierende fanden sich nur selten in einer
seiner Vorlesungen zusammen, meist waren es weniger; erst seit
1860 stieg diese Zahl, und seit Ende der sechziger Jahre wurde
das zweite Dutzend überschritten.
Übrigens erscheinen diese Zahlen nur klein, wenn man sie
mit den heutigen Verhältnissen vergleicht; für die damalige Zeit
waren sie nicht gering. Dabei fäUt noch ins Gewicht, daß
Neumann stets seine Zuhörer dauernd zu fesseln wußte, daß sich
ihre Zahl im Laufe des Semesters nie erheblich verringerte. Der
Haupterfolg von Neumanns Lehrtätigkeit aber bestand darin,
daß er es verstand, fast alle seine Schüler zu eigenen wissen-
schaftlichen Arbeiten anzuregen.
Noch einen Punkt möchte ich hier kurz erörtern. Wenn
Neumann in seinen Vorlesungen fast nur die Theorie behan-
delte, so empfand er das selbst als eine Beschränkung, die er
sich notgedrungen auferlegen mußte, weil ihm zuerst die Mittel
zum Experimentieren ganz fehlten, später nur in unzureichendem
Maße zu Gebote standen. Als Ideal schwebte ihm vor, ein Labo-
ratorium zur Verfügung zu haben, um seine Zuhörer nicht nur
in der theoretischen Behandlung physikalischer Probleme, sondern
auch im Experimentieren gründlich auszubilden. Daß er diesem
zweiten Teile seiner Aufgabe nicht in der von ihm gewüntchten
^) Aus den schon oben zitierten Mitteilunj^en C. Neumanns;
Volkmann, S. 38.
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— 29 —
Weise gerecht zu werden yermochte, lag lediglich in dem Mangel
an verfügbaren Mitteln. Alle seine Bemühungen, diesem Mangel
abzuhelfen, scheiterten an der Ungunst der Verhältnisse.
Von den Resultaten seiner Forschungen hat Neumann seit
dem Ende der vierziger Jahre nur wenig durch den Druck ver-
öffentlicht, 1862 den Aufsatz über seine neue Methode der Wärme-
leitungsfähigkeit und 1865, wie schon erwähnt, die bereits aus
dem Jahre 1834 herrührenden Bestimmungen der spezifischen
Wärme zusammengesetzter Körper. Der erstere Aufsatz enthält
eigentlich nur eine kurze Übersicht über einige wichtige Ergeb-
nisse seiner Arbeiten über Wärmeleitung, stellt aber diese Arbeiten
keineswegs erschöpfend dar, wie überhaupt die Gesamtheit seiner
Veröffentlichungen nur einen kleinen Bruchteil seines Lebenswerks
bildet 1).
Der Grund für diese Zurückhaltung wichtiger Forschungs-
resultate war ein doppelter. Einmal war es ihm nicht um Ruhm
und äußeren Erfolg zu tun: „Das größte Glück^, so sprach er
sich aus, „ist doch das Finden einer neuen Wahrheit; die daran
geknüpfte Anerkennung kann dem wenig oder nichts hinzu-
fügen" 2). Und in einem am 10. März 1862 an Radau ge-
richteten Briefe 8) sagt er: „Die Angström sehe Abhandlung
hatte mich schon etwas aufgeschreckt, als ich Ihren Brief erhielt,
weil sie mir eine Mahnung war, meine alten Arbeiten zusammen-
zustellen, was mir immer unangenehm ist.*^ Das Unangenehme
lag für ihn in der Unterbrechung der reinen Forschertätigkeit,
zumal er diese, wie wir gesehen haben, schon der Vorlesungen
wegen einschränken mußte. Die weitere Verfolgung seiner Ge-
danken lag ihm mehr am Herzen als die Ausarbeitung dessen,
was schon abgeschlossen war. Dazu kam noch ein zweites.
Viele seiner Entdeckungen teilte er in seinen Vorlesungen mit,
jedoch, ohne daß er angab, daß sie von ihm herrührten. „Er
sah", wie Voigt*) sich ausdrückt, „die Forschungsresultate als
genügend verwertet an, wenn sie zur Bereicherung seiner Vor-
lesungen und Seminare und damit zu allseitiger Förderung
und Anregung seiner Schüler dienten." Auch G. Neumann
') Voigt, S. 3.
*) Derselbe, S. 3.
^) F. Neumann, Gesammelte Werke 2, 139.
*) Voigt, S. 3.
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— 30 —
sagt^) mit etwas anderen' Worten dasselbe und fügt hinzu, daß
sein Vater in Prioritatsfragen Publikationen durch Vorlesungen
für Töllig äquivalent hielt mit Publikationen durch Druck. £in
anderer seiner Schüler ferner, H. Wild, beginnt einen in Zürich
gehaltenen Vortrag mit den Worten ^) : „Herr Professor Neu mann
pflegt in seinen Vorlesungen über mathematische Physik soviel
neue, sowohl rein theoretische, als auch messend beobachtende
Untersuchungen, die er selbst sonst nirgends publiziert hat, mit-
zuteilen, daß ich es für eine Pflicht seiner Schüler halte, die-
selben, wo es angeht, zu einer weiteren Öffentlichkeit zu bringen
und so auch anderen nutzbar zu machen.^ Helmholtz endlich,
der von 1849 bis 1855 als Professor der Physiologie in Königsberg
wirkte, spricht davon, daß Sätze, die er selbst finde und gebrauche,
entweder schon direkt in Neumanns Heften vorkommen, oder
doch in sehr ähnlicher Gestalt^). Ein erheblicher Teil der For-
Bchungsresultate Neumanns findet sich demnach in den Arbeiten
seiner Schüler, wie in seinen jetzt gedruckt vorliegenden Vor-
lesungen. Manches ist wohl noch in seinen nachgelassenen Manu-
skripten enthalten; so bringt z. B. Bd. II der gesammelten Werke
zwei noch nicht publizierte Manuskripte über die Methoden zur
Bestimmung der spezifischen Wärme und der Wärmeleitungs-
fäbigkeit. Vieles und dabei Wichtiges ist leider durch diese Art
der Publikation ganz verloren gegangen; und bei manchem an-
deren läßt sich nicht mit Sicherheit entscheiden, wie weit es auf
Neu mann zurückzuführen ist. Insbesondere dürften viele Beob-
achtungen Neumanns verloren gegangen sein. Spricht er doch
z. B. in dem schon erwähnten Briefe an Weiss vom Herbst 1839
von Arbeiten über Axinit und Hornblende, über Diopsid, über
spezifische Wärme usw., mit deren Ausarbeitung er sich momentan
beschäftige. Und wenn Neumann seine Abhandlung über das
Kristallsystem des Albites als den ersten Teil bezeichnet, so kann
man wohl annehmen, daß das Material auch für den zweiten Teil
vorhanden war. Endlich ist auch von den Arbeiten über Wärme-
leitung nur ein kleiner Teil veröffentlicht, und über seine Messungen
*) Erinnerungsblätter, S. 345.
*) Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gresellschaft in Zürich
2, 213, 1857.
*) Vgl. L. Königsberger, Hermann v. Helmholtz 1, 178.
Braunschweig 1902.
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— 31 —
der Qaerkontraktion eines gedehnten Drahtes wird in den Yor-
lesungen üher Elastizität nur eine kurze Mitteilung gemacht.
Von Nenmanns äußerem Lehen in der Zeit nach 1850 ist
wenig zu herichten. Er lehte still für sich, lediglich seinen Stu-
dien und seiner Familie. Nur selten trat er in die Öffentlichkeit
hinaus, so hei den Landtagswahlen 1863 und 1866, hei der ersten
Wahl zum Norddeutschen Reichstage und hei der Feier der Siege
1870—1871.
Von den Sommerferien henutzte er stets einen Teil zu seiner
Erholung. Diese hatte er früher am Ostseestrande in Rauschen
gesucht; seit 1861 hrachte er den Sommer meist im Schlesischen
Gehirge zu. Auch das Hochgehirge hat er noch zweimal hesucht,
einmal 1860, wo er die Alhertina hei der Tierhundertjährigen
Juhelfeier der Universität Basel yertrat und von Basel aus in das
Berner Oherland reiste, und 1873, wo er, fast fünf undsiehzigjährig,
nochmals durch das Zillertal his nach Sterzing hinüberwanderte.
Erwähnenswert ist aus dem Jahre 1862 ein Gutachten üher
die Einführung des metrischen Maß- und Gewichtssystems, zu
dem er von der Regierung aufgefordert war. Er betont darin,
daß er die Notwendigkeit des Grundsatzes, wonach die Längen-
einheit die Grundlage der Gewichtseinheit bilden müsse, nicht
anerkennen könne. Er weist ferner auf den hohen wissenschaft-
lichen Wert hin, den die preußische Maßbestimmung durch die
umfassenden Arbeiten von Bessel erhalten hat, und fügt hinzu,
daß er es bedauern würde, wenn diese Maßbestimmung dem Be-
dürfnisse des bürgerlichen Verkehrs zum Opfer fiele. Zugleich
wünscht er, daß der preußische Fuß, wenn er auch seine gesetz-
liche Geltung verlieren sollte, wenigstens für wissenschaftliche
Zwecke konserviert werde.
6. Das Jubiläum. Letzte Lebenszeit.
Schon während der Zeit des rüstigen Schaffens hatten Neu-
manns Verdienste auch durch äußere Ehren, die ihm zuteil ge-
worden, vielfache Anerkennung gefunden. Von selten der preußi-
schen Regierung wurde ihm im Laufe der Jahre eine Reihe hoher
Orden (darunter 1860 der Orden pour le m6rite) sowie 1858 der
Geheimratstitel verliehen. Die medizinische Fakultät zu Königs-
berg ernannte ihn 1844 bei Gelegenheit des Universitätsjubiläums
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zum Ehrendoktor; Korrespondent der Berliner Akademie wurde
er schon 1833, auswärtiges Mitglied derselben 1858. Auch aus-
wärtige Akademien und Gesellschaften der Wissenschaft schätzten
es sich zur Ehre, Neumann zu ihrem Mitglied zu wählen:
Göttingen, München, Wien, Petersburg, London, Paris, Rom,
Bologna.
Alle diese Akademien yereinigten sich mit verschiedenen
deutschen Umyersitäten sowie mit den Kollegen und früheren
Schülern Neumanns, um am 16. März 1876 sein fünfzigjähriges
Doktorjubiläum festlich zu begehen. Zahlreiche Glückwünsche
wurden ihm an diesem Tage dargebracht, darunter ein solcher
von dem Kronprinzen von Preußen, ferner eine Reihe von Adressen,
die Neumanns Verdienste feierten, sowie ein Album mit den
Photographien seiner Schüler. Ferner wurde ihm eine größere
von Kollegen und Schülern gesammelte Summe zur Gründung
eines Stipendiums für Studierende der Physik überreicht, eine
Gabe, die Neumann vor allen anderen erfreute. Auch der Bau
eines wissenschaftlichen Laboratoriums wurde ihm bei dieser Ge-
legenheit fest zugesagt. Von den überreichten Adressen^) möge
die folgende der Breslauer philosophischen Fakultät hier Platz
Breslau, den 16. März 1876.
Hochverehrter Herr Jubilar!
„Der heutige Tag, welcher Ihre Freunde und Schüler
in Königsberg um Sie versammelt, Ihnen mit dem Aus-
drucke höchster Verehrung herzliche Glückwünsche aus-
zusprechen, lenkt auch in räumlich entfernten, im Geiste
nahen Kreisen die Gedanken zu Ihnen, auf daß sie mit
Ihnen in der Erinnerung die vergangenen Zeiten durch-
eilen und sich an Ihrer segensreichen Wirksamkeit er-
freuen, für welche auch wir uns Ihnen zu verehrungs-
voller Dankbarkeit verbunden fühlen."
„Ein weites Gebiet der Naturwissenschaft erfuhr
durch Ihre Arbeiten wesentliche Förderung; die ver-
schiedensten Disziplinen bereicherte Ihr Scharfsinn und
Ihr unermüdlicher Eifer mit wichtigen Entdeckungen und
^) Die Adresse der Berliner Akademie ist in den Erinnerungs-
blättern (S. 393—394) abgedruckt.
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— 33 —
wertvollen Theorien. Schon vor jenem Tage, dessen
fünfzigste Wiederkehr heute gefeiert wird, fanden Sie
die Gesetze und Regeln, welche seitdem die Grundlage
der Erystallographie bilden. Die Mineralogie förderten
Sie durch spezielle Untersuchungen, welche noch jetzt
den Forschem als Muster gelten. Der Chemie lieferten
Sie durch Ihre Untersuchungen über die spezifische
Wärme eins Ihrer wichtigsten Gesetze. Die Physik ver-
dankt Ihnen die Kenntnis der mathematischen Gesetze
der elektrischen Induktion; hauptsächlich durch Ihre
Arbeiten erlangte man Klarheit über die Reflexion und
Brechung, über die Polarisation und über die doppelte
Strahlenbrechung des Lichtes. Doch es wäre vergeblich,
die vielen Beiträge, welche diese Ihre bevorzugte Wissen-
schaft, und auch diejenigen, welche die reine Mathematik
aus der Fülle Ihrer Gedanken erhielt, aufzuzählen. Die
wahre Größe Ihrer Verdienste liegt bei allen diesen Ar-
beiten darin, daß in Deutschland Sie der ersten und
besten einer waren, welche der Physik die mathematische
Analysis dienstbar machten und sie von dem Stand-
punkte der bloßen Empirie zu dem Range einer exakten
Wissenschaft erhoben."
„Die weite Ausdehnung des Gebietes Ihrer wissen-
schaftlichen Forschung macht es bei diesem Ihrem Jubel-
feste mehr als bei anderen Jubiläen den philosophischen
Fakultäten, welche die Gesamtheit der reinen Wissen-
schaften umfassen, zur Pflicht, Jhnen ihre Huldigung
darzubringen. Doch noch größeren Anlaß haben diese
nicht nur der Förderung, sondern besonders auch der
Lehre der Wissenschaften dienenden Körperschaften,
Ihnen heute glückwünschend zu nahen, wenn Sie Ihrer
großen Erfolge als Lehrer gedenken.^
„Keiner der lebenden Naturforscher und Mathema-
tiker hat eine so große Zahl von Schülern gebildet, wie
Sie durch die Klarheit Ihrer Vorlesungen zur Nach-
eiferung angeregt und begeistert, durch die freundliche
Milde Ihrer väterlichen Führung und Anleitung an sich
gefesselt und durch die stets bereite, bei jeder Schwierig-
keit in aufopferndster Weise gewährte Hilfe in ihrem
Wan gerin, Franz Nenmann. o
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— 34 —
Streben gefördert haben. Auch hier bei unserer Fakultät
dienen der Pflege der Wissenschaft durch Vorlesungen
und in Instituten sechs Ihrer ehemaligen Zuhörer, welche
mit Stolz sich ihres geliebten Lehrers rühmen und in nie
erlöschender Dankbarkeit sein Bild treu im Herzen
bewahren.'^
„So versichert denn die unterzeichnete Fakultät Sie,
hochverehrter Herr Geheimrat, ihrer unbegrenzten Ver-
ehrung nicht allein wegen der hervorragenden Verdienste,
welche Sie als Forscher und Förderer der Wissenschaft
sich erworben, sondern auch namentlich wegen Ihrer
bewunderungswürdigen Erfolge als Lehrer, zu denen nur
wahre Güte eines warmen Herzens fähig machen kann.
Wir wünschen, es möge ein glückliches Geschick, das
schon in Ihrer frühen Jugend der verderblichen feind-
lichen Kugel am heilSen Tage von Ligny wehrte Ihr
teures Leben zu zerstören, Ihnen dieselbe Gunst im Alter
erweisen, der Parze noch lange verwehren Ihren Lebens-
faden zu durchschneiden und Ihrem Alter eine Reihe
glücklicher Jahre im Kreise einer glücklichen Familie
hinzufügen.
Die Philosophische Fakultät der Universität Breslau:
Nehring, z. Z. Dekan. Elvenich. Löwig. Göppert.
Grube. Stenzler. Boemer. Junkmann. Hertz.
Galle. Eossbach. Schmölders. Schröter. C. Neu-<
mann. 0. E. Meyer. Poleck. Dilthey. Magnus.
F. Cohn. Brentano. Gröber."
Bis in sein 78. Lebensjahr hatte Neumann seine Lehr-
tätigkeit fortgesetzt und in den Wintersemestern regelmäßig
gelesen, zuletzt im Winter 1875 — 1876. Wenn er nach dem
Jubiläum das Ministerium bat, ihn von den regelmäßigen Vor-
lesungen und der Leitung des Seminars zu entbinden, so tat er
dies nicht allein, weil er fühlte, daß seine Kräfte abnahmen,
sondern vor allem, um mehrere angefangene wissenschaftliche
Arbeiten noch beenden zu können und Fragen, die ihn früher
beschäftigt hatten, zum Abschluß zu bringen ^). Diesem Wunsche
wurde entsprochen, und W. Voigt, Neumanns Schüler, trat an
^) Erinnerungsblätter, S. 395.
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des letzteren Stelle. Neumann wollte seine Tätigkeit als Lehrer
nicht ganz aufgeben, sondern nur beschränken; indessen hat er
nur noch einmal, im Winter 1877 — 1878, eine Vorlesung an-
gefangen, ohne sie beenden zu können. Mußte er aber not-
gedrungen auf akademisches Wirken verzichten, so noch nicht
auf wissenschaftliches Arbeiten. Treu gehütet und gepflegt von
seiner Tochter (seiuQ zweite Frau war nach langem Siechtum im
Winter 1877 gestorben), konnte Neumann in YoUkommener
geistiger Frische noch viele Jahre seiner Arbeit leben. In ihr
fand er bis zuletzt seine Befriedigung. Veröffentlicht hat er von
den Eesultaten dieser Arbeiten allerdings nichts. Nur 1878 sind,
von seinem Sohne C. Neumann herausgegeben, die wohl schon
früher verfaßten Beiträge zur Theorie der Eugelfunktionen er-
schienen. Neben den mathematischen und physikalischen Studien
beschäftigte er sich gern mit der Lektüre historischer Schriften;
und an allem, was das Vaterland betraf, nahm er den lebhafte-
sten Anteil. Auch körperlich blieb er verhältnismäßig rüstig.
Selbst die Folgen einer schweren Lungen- und Rippenfellentzün-
dung, die ihn im Herbst 1884 in Hain im Eiesengebirge befallen
und während des ganzen Winters an das Bett gefesselt hatte,
überwand er, wenn auch langsam, vollständig. Fast jeden
Sommer noch suchte er das ihm seit Jahren liebgewordene Eiesen-
gebirge auf, und auch in Königsberg machte er täglich ein- bis
zweistündige Spaziergänge.
So war ihm ein langer, ruhiger, heiterer und glücklicher
Lebensabend beschert. Auch an äußeren Ehrungen fehlte es
nicht; zum sechzig jährigen Doktor Jubiläum wie zum neunzigsten
Geburtstag wurden ihm hohe Orden verliehen, und 1894 wurde
er bei der 350 jährigen Jubelfeier der Universität Königsberg
zum Wirklichen Qeheimrat mit dem Titel Exzellenz ernannt.
Neumann erreichte ein Alter von fast 97 Jahren. Er starb
am 23. Mai 1895 nach kurzer Krankheit, tief betrauert nicht
nur von seinen Angehörigen, seinen Schülern und Kollegen,
sondern von der ganzen deutschen Wissenschaft.
7. Bückblick auf Neumanns Persönlichkeit.
Nachdem wir F. Neumanns äußeren Lebensgang verfolgt,
dabei auf seine bedeutendsten wissenschaftlichen Leistungen hin-
3*
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— 36 —
gewiesen, auch seine heryorragende Wirksamkeit als Lehrer zu
schildern yersacht haben, sei es gestattet, noch kurz seiner eigen-
artigen Persönlichkeit zu gedenken. Wir haben gesehen, welche
harte Jugend er verlebt, welchen bitteren Entbehrungen er als
Student und noch später ausgesetzt war, wie er sich durch das
alles nicht in seinem Streben, der Wissenschaft zu dienen, beirren
ließ, sondern durch unablässiges, beharrliches Arbeiten das Ziel,
das er sich gesteckt, erreichte. Und als er es erreicht, machte
ihn das nicht stolz und hochfahrend. Die Bescheidenheit, die
schon Bessel an ihm rühmte, zierte ihn sein Leben lang. Ledig-
lich ein Ausfluß seiner Bescheidenheit war es, daß, wenn er in
den Vorlesungen die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen
vortrug, mochten dieselben schon veröffentlicht sein oder nicht,
er nie angab, daß jene Ergebnisse sein Eigentum seien, während
er neben den Namen seiner großen Vorgänger, die er mit Be-
geisterung pries, gern mit einem gewissen Stolz die Namen
seiner Schüler nannte, so oft er von deren Arbeiten berichtete.
Auch die Einfachheit der Lebensführung, zu der er in der Jugend
durch den Mangel an Mitteln gezwungen war, behielt er, nach-
dem er aus tiefster Dürftigkeit zu einem bescheidenen Wohl-
stand gelangt war, bei. Das trat zu Hause sowohl, wie auf
Reisen zutage. „Ich habe es", schreibt er von der Eeise 1834
an seine Frau^), ^hier in München zum ersten Male so gemacht
wie die vornehmen Keisenden, in einem großen Hotel gewohnt,
an der table d'hote gespeist, das Merkwürdige der Stadt gesehen,
spazieren gegangen usw., und ich finde nicht, daß man dabei
mehr Vergnügen und Nutzen hat, als wenn man halb so viel ißt,
trinkt und sieht; aber ich freue mich darauf, wenn ich erst,
Innsbruck im Rücken, den Tornister auf dem Rücken, wandernd
wie ein armer Teufel im Lande herumziehen werde. Da erst
fühle ich mich frei und unabhängig, und es geht doch nichts
über das Vergnügen, auf diese Weise bei einem schönen Morgen
in den Tag hineinzumarschieren, und die Nacht, wenn man sich
müde gegangen, ist so erquickend."
Neben dieser schlichten Einfachheit war ihm eine große
Herzensgüte eigen. Für seine alten Berliner Freunde hatte er
stets eine offene Hand ; er unterstützte sie mit namhaften Summen,
^) Erinnerungsblätter, S. 328.
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— 37 —
als ihm im Anfang der dreißiger Jahre eine kleine Erbschaft zu-
gefallen war. Ja, einen alten Schulfreund und Kriegskameraden,
Dulitz, der, wohl nicht ohne eigene Schuld, in eine traurige Lage
geraten war, nahm er über neun Jahre lang als Gast in sein
Haus. Dieselbe Güte zeigte er noch in hohem Alter armen
Nachbarskindern gegenüber, die auf der Treppe seines Hauses
spielten; nicht nur, daß er sie häufig mit kleinen Geschenken er-
freute: um sie nicht in ihrem Spiel zu stören, wich er ihnen auf
der Treppe aus, was für den Hochbetagten nicht ohne Gefahr
war und ihm einmal einen schweren Sturz die Treppe hinunter
zuzog.
Auch seinen Schülern war er, wenn sie ihm näher traten,
ein warmer, väterlicher Freund, der sich ihrer in allen Angelegen-
heiten annahm und gern bereit war, alles , was in seinen Kräften
stand, zu tun, um sie auch in ihrem Fortkommen zu fördern.
Gewann er sich so die Herzen seiner Schüler, indem er ihnen
menschlich näher trat, so war er ihnen andererseits ein Muster
in der strengen Pflichterfüllung. Wie ernst er es mit seinem
Beruf als akademischer Lehrer nahm, wie er auf diesen fast seine
ganze Zeit verwandte, ist schon oben geschildert. Aber nicht nur
in bezug auf seinen amtlichen Beruf, auch in allen anderen Lebens-
verhältnissen trat diese Pflichttreue hervor; sie trieb noch den
95 jährigen , stundenlang ohne Eücksicht auf seine Gesundheit in
einem überfüllten Wahllokal auszuhalten, um seiner Pflicht als
Wähler zu genügen, wie er von Jugend an die Erfüllung der
Pflichten gegen das Vaterland allem vorangestellt hatte. Wie
der 16 jährige, als das Vaterland rief, die Schule verlassen hatte,
um in den Freiheitskrieg zu ziehen, so trat auch der Mann, wenn
es galt, seine Vaterlandsliebe durch die Tat zu beweisen, aus
seiner stillen Studierstube heraus, so in den Unruhen der Jahre
1848 — 1850, in den Wahlkämpfen der sechziger Jahre und 1866
und 1871, um die heimgekehrten siegreichen Truppen zu be-
grüßen. Vaterlandsliebe und Eücksicht auf die Pflichten, die er
seinen Bändern schuldete, waren es auch, die ihn in Königsberg
festhielten, als ihm zweimal glänzend dotierte Stellen in Rußland
angeboten wurden. Der ideale Sinn, der sich hier in der Gering-
schätzung äußerer Vorteile dokumentierte, beseelte ihn sein Leben
lang. Auch bei seinen Forschungen war es ihm nur um die
Förderung der Wissenschaft, für die er begeistert war, zu tun.
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— 38 —
nicht um irgend welchen Nntzen oder irgend welche Ehren, die
für ihn daraus hätten erwachsen können. Daher sorgte er auch
in sp&teren Jahren so wenig für das Bekanntwerden der Resul-
tate seiner Arbeiten. Diesen idealen Sinn suchte er auch bei
seinen Zuhörern zu erwecken und zu pflegen. Ais Prorektor
wies er wiederholt darauf hin, wie trostlos und unwürdig ein
bloßes Brotstudium seL Es sei die Aufgabe der Studierenden,
sich auf der Universität jene geistige Freiheit und Unabhängig-
keit des Denkens und Handelns zu erwerben und zu erarbeiten,
welche aus einem treuen und eifrigen Studium der Wissenschaft
hervorgeht, und gegründet ist in dem Bewußtsein, sich überall
nur durch vernünftige Gründe, durch sittliche und wissenschaft-
liche Motive bestimmen zu lassen ^). Und in demselben Sinne,
wie hier auf die Allgemeinheit der Studierenden, suchte er stets
auf seine speziellen Hörer zu wirken. Daß er das erreichte,
zeigte sich darin, daß es unter diesen Hörern wohl kaum einen
gab, der seine Studien lediglich mit Bücksicht auf das Examen
getrieben hätte. So nahmen denn seine Schüler aus seinem
Unterricht und dem Verkehr mit ihm mehr fort, als das, was sie
in ihren Heften nach Hause trugen. Daß sie sich dessen bewußt
waren, zeigen viele Briefe, die sie an ihren alten Lehrer oder
nach seinem Tode an dessen Kinder gerichtet haben. Einer der
Schüler schrieb im Jahre 1904 nach dem Erscheinen der Er-
innerungsblätter an Fräulein Luise Neumann:
^Mein Leben wäre doch viel ärmer gewesen, wenn ich nicht
das Glück gehabt hätte, eine Eeihe von Jahren ihm zu Füßen zu
sitzen und in ihm nicht nur das Ideal des Forschers und Lehrers,
sondern auch des Menschen zu verehren.^
Und ein anderer sagt:
„Von allen Menschen, mit denen mich das Leben in Be-
rührung gebracht hat, wüßte ich keinen, dem ich eine so große
Verehrung und Dankbarkeit entgegenbringe als ihm."
*) Erinnerungsblätter, S. 354.
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— 39 —
Zweiter Teil.
Nenmanns wissenschaftliche Arbeiten.
Es soll hier auf Inhalt und Bedeutung der yon Neumann
veröffentlichten Arbeiten, die im ersten Teil nur mit wenigen
Worten skizziert werden konnten, näher eingegangen werden.
Dabei sollen die yerschiedenen Abhandlungen und Aufsätze nioht
in chronologischer Beihenfolge, sondern nach dem Inhalt geordnet
besprochen werden.
I. Die kristallographiscli-inineralogisclien
Arbeiten.
1. Beiträge zur Krystallonomie. Yon F. E. Neumann.
1. Heft. Mit 12 Tafeln in Steindruck. Berlin und Posen. Bei
Ernst Siegfried Mittler, 1823.
Neumanns erste Veröffentlichung waren die „Beiträge zur
Krystallonomie". Die Bedeutung dieser Schrift liegt vor allem
darin, daß in ihr eine neue Methode der Eristalldarstellung ge-
lehrt wurde; eine Methode, die den Zusammenhang der Glieder
eines Kristallsystems und ihre gegenseitigen Verhältnisse mit
einem Blick erkennen läßt. Die Methode besteht darin, die ver-
schiedenen Kristall flächen durch Punkte einer Ebene darzustellen.
Zu dem Zwecke ziehe man die Flächennormalen, d. h. man fälle
Yom Mittelpunkt des Systems auf alle Ejristallflächen Lote und
verlängere diese bis zum Schnitt mit einer beliebigen Ebene (am
einfachsten wird dazu die gerade Endfläche genommen), dann
gibt die Gesamtheit der Schnittpunkte ein Bild von der Lage der
Yerschiedenen Kristallflächen und ihren Beziehungen zueinander.
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— 40 —
Statt auf eine Lbene, kann man in derselben Weise auch die
Kristallfläcben auf eine Kugel projizieren; man braucht nur die
Schnittpunkte der Flächennormalen mit einer um den Mittel-
punkt des Systems beschriebenen Eugel zu betrachten. Daß
diese von späteren Mineralogen, namentlich von Quenstedt
und W. Miller, vielfach angewandte und weiter ausgebaute
Methode von Neu mann herrührt, scheint bei manchen Minera-
logen der Neuzeit in Vergessenheit geraten zu sein ; die Entwick-
lung der Methode, ihre Anwendung auf spezielle Beispiele, sowie
die Ableitung einer Reihe wichtiger Folgerungen nimmt etwa
drei Viertel des, wie schon oben bemerkt, allein erschienenen
ersten Heftes ein (S. 1 — 118).
Auf seine neue Trojektionsmethode wurde Neumann durch
die von Weiss begründete, von ihm selbst in den Beiträgen und
späteren Arbeiten weiter ausgebildete Zonenlehre geführt. Eine
Zone nennt Weiss den Inbegriff von Flächen, die alle eine Rich-
tung gemeinschaftlich haben, die alle derselben Linie parallel
sind. Gerade die Untersuchung der Zonen läßt nach Neumann
den wahren Zusammenhang der Glieder eines Kristallsystems er-
kennen, und dieser Zusammenhang spricht sich aus in dem Zonen-
gesetz, das darin besteht, daß in der Entwicklung der ver-
schiedenen Glieder jedes spätere Glied bestimmt wird durch
Zonen der früheren Glieder. Eine Zone ist durch zwei Flächen
bestimmt, und weiter bestimmen zwei Zonen eine neue Fläche.
Daher bietet sich zuerst die Aufgabe dar, den Ausdruck für eine
Fläche zu finden, die durch zwei bekannte Zonen gegeben ist.
Von dieser Aufgabe geht Neu mann aus und zeigt, unter Be-
nutzung der Weiss sehen Bezeichnung der Kristallflächen i), wie
^) Weiss unterscheidet vier Hauptabteilungen von Kristallen:
1. das gleichachsige (reguläre) System;
2. die zwei- und einachsige Abteilung (viergliedrige Systeme);
3. die ein- und ein- und einachsige Abteilung (zwei- und zwei-
gliedrige Systeme), zu denen auch die zwei- und eingliedrigen,
sowie die ein- und eingliedrigen Systeme als hemiedrische
Gestaltungen gehören;
4. die drei- und einachsige Abteilung (sechsgliedrige Systeme),
deren hemiedrische Formen die dreigliedrigen Systeme bilden.
Die drei ersten Abteilungen werden auf drei senkrechte Achsen
bezogen und folgendermaßen bezeichnet. In der ein- und ein- und
einachsigen Abteilung wird die in der Erscheinung vorherrschende
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— 41 —
sich dieselbe durch bekannte Formeln der analytischen Geometrie
des Raumes leicht lösen läßt.
„Aber^, ffthrt er dann fort» „so einfach die Rechnung nun
auch ist, so wird sie doch sehr lang und ermüdend, wenn es gilt,
sowohl die Zonen alle zu kennen, die bis auf einen gewissen
Punkt der Beobachtung sich entwickelt haben, als auch von jeder
einzelnen Zone die Gesamtheit der Flächen, die sich in ihr aus-
gebildet haben, zu erfahren, und von jeder Fläche die Gesamtheit
der Zonen, denen sie angehört, zu kennen. Es wäre eine sehr
mühsame und lange Arbeit, den gedachten Forderungen im
sphäroedrischen Systeme mit den doch nur wenigen beobachteten
Flächen zu genügen. — Was aber die Hauptsache ist, so haben
wir, wie alles nur einzeln und stückweise gewonnen ist, durch-
aus kein Bild dadurch von dem ganzen Zusammenhange und
dessen Verkettungen und Verzweigungen erhalten, sondern müssen
das Ganze des Resultates mehr dem Gedächtnis als der geometri-
schen Anschauung anvertrauen.
„Die ganze Betrachtungsweise und die Methode der mathe-
matischen Behandlung vorliegenden Gegenstandes erleiden eine
ungemeine Vereinfachung, wenn man statt auf die Flächen des
Systems, mehr auf ihre Normalen, d. h. auf die Linien, die
aus dem Mittelpunkte des Systems senkrecht auf die
Bichtung c und von den zwei anderen Bichtungen die kürzere a, die
längere b genannt. In der zwei- und einachsigen Abteilung ist a = h,
in der gleichachsigen a = & = 0. Das Zeichen
— a : —b : —e
9n n p
einer Fläche besagt, daß die Fläche gelegt werden muß durch — a,
in
durch — b und durch — c.
n p
Die sechsgliedrigen Systeme werden auf vier Achsen bezogen,
von denen drei, untereinander gleiche, in einer Ebene liegen und unter
60® gegeneinander geneigt sind, während die vierte auf jener Ebene
senkrecht steht. Letztere Achse wird mit c, die drei anderen werden
mit a bezeichnet und die drei mittleren, zwischen ihnen liegenden
Bichtungen mit 8. Das Zeichen einer Fläche ist hier, indem die dritte
Achse a fortgelassen wird:
c
1 1
— a : — fl.
m n
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— 42 —
Flächen gezogen gedacht werden, die Aufmerksamkeit
richtet.
„Von der rein mathematischen Seite ist diese Weise der
Behandlung, daß far die Flächen ihre Normalen betrachtet
werden, daß das eine in die Stelle des anderen gesetzt wird,
gänzlich gerechtfertigt, und yon der Seite der physikalischen Be-
trachtang scheint nach unserem jetzigen Standpunkte alles dafür
zu sprechen, alle Verhältnisse, wie sie mit der Fläche auftreten,
aufzulösen in Verhältnisse ihrer Normalen, alle Eigentümlich-
keiten des Kristalls in den verschiedenen Eichtungen als lineare
Tätigkeiten derselben anzusehen. Denken wir z. B. an die Er-
scheinungen des Blätterdurchganges, der jeder Eristallfläche, mehr
oder weniger hervortretend, entspricht, an die Lichtreflexion
dieser Blätterdurchgänge u. a. m., so deutet dieses alles auf eine
Tätigkeit, die senkrecht auf die Kristallfläche wirkt, d. h. in der
Richtung ihrer Normale. .
„Hiemach spricht der Begriff der Zone sich aus als der
Inbegriff yon möglichen Flächen, deren Normalen in
einer Ebene liegen.
„Diese Ansicht der Zonen gibt uns ein Mittel, die Gesamt-
heit der Zonen und ihren Zusammenhang untereinander in einem
geometrischen Bilde darzustellen. Verlängern wir nämlich alle
Normalen, bis sie eine und dieselbe Ebene durchschneiden, so
müssen alle die Durchschnittspunkte in einer geraden Linie liegen,
die von solchen Normalen herrühren, die in einer Ebene liegen,
und umgekehrt gehören alle Durchschnittspunkte, die in einer
geraden Linie liegen, solchen Normalen zu, die in einer Ebene
liegen, und deren Flächen also in eine und dieselbe Zone ge-
hören. Es bedarf also zur Erforschung aller existierenden Zonen
nur der Aufzeichnung der Durchschnittspunkte der Normalen mit
einer Ebene auf diese, und wir werden uns bald überzeugen, daß
dieses sowohl eine sehr einfache Operation ist, als daß es auch
bei der Aufzeichnung keiner geometrischen Genauigkeit bedarf,
um mit bloßen Augen oder mit Hilfe eines Lineals alle existierenden
geraden Linien herauszufinden."
Es wird dann auseinandergesetzt, wie diese Durchschnitte
auf der geraden Endfläche des Systems zu entwerfen sind, da
sich für diese das Verfahren am einfachsten gestaltet. Man ziehe
auf der geraden Endfläche
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— 43 —
Qoa : oob : c
zwei senkrechte Linien parallel den Kristallrichtongen a und h.
Auf diese als Achsen bezogen, hat der Punkt, der die Fläche
— a : —0 : C
m n
repräsentiert, die Koordinaten , •— - • Ist die Projektions-
ebene nicht die gerade Endfläche selbst, sondern eine zu ihr im
Abstand 1 vom Mittelpunkt gelegte Parallelebene, so sind die
wie TIC
Koordinaten — , -7-; in beiden Fällen ist der Anfangspunkt der
Koordinaten der Ort der geraden Endfläche selbst. Das Ver-
fahren wird erläutert durch die Projektion der gewöhnlich am
Schwerspat zu beobachtenden Flächen, und es wird dabei gezeigt,
wie man den Zusammenhang der Glieder in dem Bilde mit einem
Blick übersehen kann. Ebenso einfach ist das Verfahren bei den
sechs- und dreigliedrigen Systemen, was am Quarz erläutert wird.
Zum Schluß wird das Schema des regulären Systems auf der
Würfelfläche entworfen.
Im zweiten Abschnitt (S. 19 — Öl) wird ein „Verfahren, die
NeigungSTerhältnisse in den Zonen im vorliegenden Schema zu
finden **, dargelegt. Unter der Voraussetzung, daß a^:h^:c^ ein
rationales Verhältnis haben, eine Voraussetzung, die Neumann
als mit der Erfahrung übereinstimmend ansieht, wird durch ein-
fache analytisch - geometrische Betrachtungen das Resultat ab-
geleitet: Die Tangenten der Neij^ungswinkel der verschiedenen
in derselben Zone gelegenen Flächen gegen die in dieser Zone
liegende Säulenfläche sind rationale Vervielfachungen eines und
desselben irrationalen Grund Verhältnisses. Dasselbe gilt dann,
wie leicht zu übersehen, für die Neigungswinkel zweier beliebiger
Flächen derselben Zone. Jenes irrationale Grundverhältnis ist
das Verhältnis der Zonenachse zum Produkt der drei Dimen-
sionen des Systems. Dabei wird die Zonenachse folgendermaßen
definiert: Durch die Zonenlinie des Schemas und den Mittelpunkt
{d. i. den Punkt, von dem aus die Lote auf die Kristallfläclien
gefällt sind) ist die Zonenebene bestimmt. Das auf letzterer im
Mittelpunkt errichtete Lot ist die Zonenachse, ihre Länge das
Stück zwischen Mittelpunkt und Projektionsebene. Über die Be-
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— 44 —
deatung des Eesaltates spricht sich Neumann selbst folgender-
maßen aus:
„Aas dem Gesetz der Zonen, dem Grundgesetz aller kristallo-
nomischen Entwicklung und Ausbildung, ergibt sich ein zweites
nicht weniger wichtiges und allgemein gültiges Gesetz für die
Kristallonomie : den Verhältnissen von Sinus zu Kosinus
für alle kristallonomische Neigungen in derselben Zone
liegt ein gemeinschaftliches irrationales Verhältnis
zugrunde, von welchem irrationalen Verhältnis jedem
besonderen Neigungsverhältnis eine rationale Verviel-
fachung entspricht.
„So sind für die Betrachtung dieser Verhältnisse diese zwei
Teile derselben wesentlich getrennt, ihr gemeinschaftliches irratio-
nales Grundverhältnis, und die rationalen Vervielfachungen
desselben, und gerade in dieser Trennung stellen sich diese Ver-
hältnisse auf unserem Schema dar.**
Übrigens wird nicht gleich das allgemeine Besultat, das für
alle Kristallsysteme galt, an die Spitze gestellt, sondern der Satz
wird zuerst an einigen Beispielen erörtert. Zur Erläuterung
dienen Topas und (für die sechs- und dreigliedrigen Abteilungen)
Rotgültigerz.
Der zweite Abschnitt schließt mit einer Erläuterung der von
Neumann auf Grund seines Systems eingeführten Zonenbezeich-
nung. Eine Zone wird bezeichnet durch Angabe der Stücke,
welche sie auf den Achsen der Projektionsebene abschneidet
[Mcc'.Nß], und zwar werden diese Stücke angegeben als Viel-
c c
fache oder Teile von a = — , /3 = — , falls die Projektionsebene
CL '0
den Abstand 1 vom Mittelpunkt hat. Geht die* Zonenlinie durch
den Anfangspunkt (ist sie also einer vertikalen Zone angehörig),
so wird ihre Lage bestimmt durch das Verhältnis der Lote, die
von einem ihrer Punkte auf die Achsen gefällt sind; zum Unter-
schied von anderen Zonen wird dem Verhältnis das Zeichen
vorgesetzt. Auch diese Bezeichnung wird am Topas erläutert,
die auftretenden Zonen in Zonengruppen geordnet. Ferner wird
gezeigt, wie man aus der Bezeichnung der Zone ihre wesentlichste
Eigenschaft ablesen kann, „nämlich ihr irrationales Grund-
verbältnis, diejenige Eigenschaft, deren weiteres Studium die
größte Fruchtbarkeit für die Kristallonomie verspricht**. Endlich
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— 45 —
wird das Yerb<nis von Neumanns Zonenbezeichnung zu der
von Weiss erörtert.
Der dritte Abschnitt (S. 51 — 78) behandelt die Neigungs-
verhältnisse in den Flächen und legt dar, wie man diese aus dem
Schema findet. Sehr einfach erledigt sich das für die gerade
Endfläche, wenn man bedenkt, daß die Linie, die in dem Schema
von dem Orte der geraden Endfläche nach einem anderen Flächen-
orte gezogen ist, senkrecht steht auf der Richtung, in der die
gerade Endfläche von jener anderen Fläche geschnitten wird.
Schneiden daher zwei Flächen /\, f^ die gerade Endfläche in den
Linien ?i, ?2j so ist der von Zj, l^ gebildete Winkel das Supple-
ment desjenigen Winkels, den im Schema die Verbindungslinien
der Flächenorte von /\ und f^ mit dem Flächenorte der geraden
Endfläche bilden; und die Tangente des letzteren Winkels folgt
sofort aus dem Schema.
Um die analoge Aufgabe für andere Kristallflächen zu lösen,
ohne erst die Projektion auf diesen anderen Flächen zu entwerfen,
benutzt Neumann die Projektion auf die Engel und leitet mittels
derselben folgendes Resultat her: Eine beliebige Eristallfläche f
werde von zwei anderen Kristallflächen /i, f^ in den Kanten k^
und fcg geschnitten, und '9' sei das Supplement des von Äj, h^
eingeschlossenen Winkels. Andererseits verbinde man in dem
auf der geraden Endfläche entworfenen Schema den Flächenort
von f mit dem Flächenorte von f^ und f<i und nenne den von
diesen Verbindungslinien eingeschlossenen Winkel ^\ so ist
tang%' = tangd-' - -, wo Z das vom Mittelpunkt des Kristalls auf
die Fläche f gefällte Lot bezeichnet. Das Verhältnis tangd- : tang d-'
ist also lediglich von der Lage von f abhängig, nicht aber von
der von /\ und /*2. Beachtet man ferner das Gesetz der ratio-
nalen Indizes und setzt voraus, daß a^, b^, c^ zueinander in ratio-
nalem Verhältnis stehen, so folgt, daß die Tangente eines be-
liebigen, in der Fläche f gelegenen Kantenwinkels stets durch
Multiplikation des irrationalen Verhältnisses ~y— mit einer ratio-
nalen Zahl erhalten wird. Das gemeinschaftliche irrationale Ver-
hältnis — =— , bzw. dessen reziproken Wert nennt Neumann das
Orundverhältnis der Fläche f.
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— 46 —
Dem allgemeinen Beweis des vorstehenden Eesultats geht
wiederum die Erläuterung desselben an einem speziellen Beispiel,
und zwar dem Yesuvian, voraus, während zur Erläuterung für
das drei- und sechsgliedrige System auch hier ßotgültigerz dient.
Neumann schUeßt (§37): „So ist die Einfachheit der Methode
für die Hauptfragen der kristallographischen Betrachtung, glaube
ich, vollkommen gewonnen. Besonders wichtig und für weitere
Untersuchungen fruchtbar ist die Unterscheidung der irrationalen
Grundverhältnisse von ihren rationalen Vervielfachungen; jene
sind das einem bestimmten Kristallsysteme Eigentümlichste, In-
dividuellste, diese sind abhängig von dem allgemeinen Entwick-
lungsgange der Glieder eines Systems. In Hinsicht der irratio-
nalen Grundverhältnisse, sowohl der Zonen als der Flächen,
können wir nun das Gesetz derselben allgemein aussprechen:
Das irrationale Grundverhältnis irgend zweier aufein-
ander senkrecht stehender Richtungen ist in derselben
Ebene, diese sei eine Zonenebene, oder eine Eristall-
fläche, immer dasselbe, und dieses Verhältnis ist immer
das irrationale Verhältnis des Produkts der drei auf-
einander senkrecht stehenden Dimensionen des Systems
zu der auf der Ebene senkrecht stehenden Richtung. Alle
Grundverhältnisse eines Kristallsystems sind Grund-
verhältnisse der Richtungen zu den drei aufeinander
senkrecht stehenden Dimensionen."
Hiernach hat man auch ein Urteil über die Möglichkeit oder
Unmöglichkeit von Winkelverhältnissen gewonnen. Im regulären
System z. B. sind nur solche Neigungen möglich, deren Tangenten
Vielfache (bzw. rationale Teile) von Quadratwurzeln aus der
Summe dreier Quadrate sind. Auch für den Quarz lassen sich
die möglichen Flächengrundverhältnisse leicht angeben.
Bisher war lediglich die Projektion der KristaUflächen auf
die gerade Endfläche betrachtet, denn die Projektion auf die
Kugel wurde im Abschnitt 3 nur nebenbei als Hilfsmittel benutzt^
und im allgemeinen wird man auch wegen der größeren Einfach-
heit des Verfahrens die gerade Endfläche als Projektionsebene
beibehalten. Indessen können besondere Verhältnisse Veranlassung
geben, eine andere Kristallfläche zur Projektionsebene zu wählen..
Es bleibt daher noch die Aufgabe zu behandeln, die Projektion
der Flächenorte auf jeder kristallonomischen Fläche zu entwerfen»
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— 47 —
Diese Aufgabe wird im vierten Abschnitt (S. 78 — 115) zunächst
analytisch gelöst. Zur Darstellung einer Fläche
— a : —0 : — c
m n p
kommen nur die Projektionen der Flächennormale (des vom
Mittelpunkt des Kristalls auf die Fläche gefällten Lotes) auf drei
neue senkrechte Achsen in Betracht, deren eine auf der neuen
Projektionsebene senkrecht steht. Nun sind die Projektionen der
Normale auf die Eristallachsen a, b, c proportional — , —, — ; aus
diesen die Projektionen derselben Normale auf drei andere, der
Lage nach bekannte rechtwinklige Achsen zu finden, ist eine ein-
fache Aufgabe der analytischen Geometrie (bzw. der Mechanik, wie
Neumann sagt, indem er — , --, — als Kräfte betrachtet, die die
a c
Flächenrichtung bestimmen). Allerdings erfahren die allgemeinen
geometrischen Formeln hier dadurch eine Modifikation, daß die
neuen Achsen nicht eine ganz beliebige Lage haben, sondern
kristallonomische Eichtungen sein müssen. Nachdem die resul-
tierenden Formeln auf das Augitsystem angewandt sind, ent-
wickelt Neumann eine rein graphische Lösung, die' er zunächst
am Borax erläutert. Allgemein braucht man für die neue Pro-
jektion nur wenige Flächenorte (bei zweckmäßiger Wahl drei oder
vier) direkt zu ermitteln; und dazu benutzt man die aus den
fr&heren Abschnitten bekannten Tangenten für die Neigung der
Normale, die dem zu fixierenden Flächenorte angehört, gegen die
Normale, auf deren Fläche der Ort fixiert werden soll. Sind so
die ersten Flächenorte auf der jedesmal vorliegenden Fläche be-
stimmt, so ist es nur noch nötig, das System von Zonenlinien, das
die Projektion auf die gerade Endfläche geliefert hat, auf die
neue Fläche zu übertragen. Aus der geometrischen Bestimmung
der Flächen orte ergibt sich leicht auch ihre numerische. Nicht
immer ist die neue Projektionsebene von vornherein gegeben.
Stellt man sich z. B. die Aufgabe : ^es sind zwei Flächen gegeben,
der Kristall soll so gestellt werden, daß diese Säulenflächen
werden, und es soll die Projektion der Flächenorte auf der geraden
Endfläche dieser Säule entworfen werden", so muß man zunächst
das Zeichen jener geraden Endfläche bestimmen. Das Yerfahren
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— 48 —
wird an einer Reihe von Beispielen erläutert und dann angewandt,
um die Projektionen der Flächenorte des regulären Systems auf
verschiedenen Flächen dieses Systems zu entwerfen (§ 46 — 48).
In einem Anhange (S. 115 — 118) macht Neumann einige
Bemerkungen über die Stellung und Umkehrung seiner Methode.
Er betrachtet den Begriff der Invertierung, auf den Hauy bei den
Gliedern des Kalkspatsystems aufmerksam gemacht hat, von einem
allgemeineren Gesichtspunkte. Er nennt zwei Systeme invertiert,
wenn sich bei dem einen a:h:c = ym : \n : yp, bei dem anderen
a:b:c = 1/ — ^l/— :|/~- verhalten. Bei zwei invertierten Ge-
f m f n f p
stalten sind dann die Zonenebenen der einen die Flächen der
anderen und umgekehrt. Dieser Begriff nun kann dazu dienen,
um mit kurzen Worten das Verhältnis von Neumanns Behand-
lung der kristallonomischen Verhältnisse zu der bis dahin herr-
schenden anzugeben: erstere ist die invertierte von der letzteren«
Man kann daher auch der im vorstehenden entwickelten Pro-
jektionsmethode eine andere an die Seite stellen, in der nicht die
Flächenorte, sondern die Zonenebenen durch Punkte schematisch
dargestellt werden.
Dies der Inhalt des umfangreichsten und wichtigsten Teils
der Beiträge, die außerdem noch eine zweite Abhandlung,
S. 119 — 152, enthalten: „Über den eigentümlichen Entwicklungs-
gang der zwei- und eingliedrigen Systeme in Beziehung auf ihren
Zonenzusammenhang". Anknüpfend an die Beobachtung von
Weiss am Feldspat, wird hier die Beziehung und die Zonen-
abhängigkeit aller Glieder eines zwei- und eingliedrigen Systems
von einer doppeltdreiseitigen Pyramide nachgewiesen, in der zwei
Flächen gleich geneigt gegen die dritte sind, aber verschieden
gegeneinander. Die Betrachtung des Zonenzusammenhangs führt
auf diese Pyramide als die einfachste Gestalt. Zugleich wird auch
eine naturgemäße Beziehung der Glieder auf ein schiefes Oktaeder
dargelegt. Außer am Feldspat werden die analogen Verhältnisse
auch am Pistazit erörtert.
Die Abhandlung enthält zugleich eine Polemik gegen Mohs,
der die Ansicht verfochten hatte, daß die zwei- und eingliedrigen
Systeme dadurch entständen, daß die Hälfte gleichartiger Flächen
zwei- und zweigliedriger Systeme fortfiele. Dem widerspricht
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nach Neamanns Ansicht die Natur auf das hestimmteste; die
Bwei- und eingliedrigen Systeme seien yielmehr der Ausdruck für
das Einsetzen einer Verschiedenheit zwischen zwei sich gegen-
über stehenden gleichen Seiten der letzteren Systeme (ygL auch
S. 51 — 52). Nebenbei wird gezeigt, daß nach der Methode yon
Mobs jede Fläche im allgemeinen mit vier verschiedenen Zeichen
bezeichnet werden kann.
Auch in dieser zweiten Abhandlung leistet die neue Pro-
jektion smethode wesentliche Dienste.
2. De lege zonarum principio evolutionis systema-
tum cry stallin or um. Dissertatio inauguralis. Beroliui 1826^).
In engem Zusammenhange mit den Beiträgen steht Neu-
manns Dissertation. In derselben wird folgendes ausgeführt.
Gegenüber der Ansicht mancher Mineralogen, wie z. B. Mobs,
die das Gesetz der rationalen Indizes als das eigentliche Grund-
gesetz der Kristallographie ansehen, aus dem der Zonenverband
der yerschiedenen Eristallflächen erst folge, verficht Neumann
die Ansicht, daß das Zonengesetz das grundlegende ist. Aus ihm
ergebe sich nicht nur das Gesetz der rationalen Indizes als
Folgerung, sondern das Zonengesetz, nach dem eine Eristallfläche
nur dann entstehen könne, wenn gewisse in ihr liegende Rich-
tungen schon vorher vorhanden sind, bilde die wahre Grundlage
für die Entwicklung eines Kristallsystems. Aus dem Prinzip
der Zonen folge ganz allgemein der Zusammenhang und die Auf-
einanderfolge der verschiedenen Glieder eines Kristallsystems;
doch nicht so, daß immer ein Glied aus dem vorhergehenden ent-
stände; vielmehr könnte es nach dem Zonengesetz sehr wohl
Glieder eines Systems geben, die keinen direkten Zusammenhang
besäßen, während doch beide aus den früheren Gliedern des
Systems mit Notwendigkeit folgen. Wesentlich sei die Unter-
scheidung der früheren (ursprünglichen) und der aus diesen sich
ergebenden späteren Flächen.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen, die den Inhalt der
Einleitung bilden, entwickelt Neumann systematisch, wie man
bei den verschiedenen Kristallsystemen aus den einfachsten Flächen
mittels des Zonengesetzes die komplizierteren ableiten kann. Er
^) Die der Dissertation beigefügten Thesen sind schon im ersten
Teile (S. 13) mitgeteilt.
Wan gerin, Franz Neumann. 4.
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— 50 —
benutzt dabei nicht die Projektion, sondern nur die in seinen
Beiträgen zur Eristallonomie aufgestellten Formeln 1. über die
Bestimmung des Zeichens der Zone, der zwei gegebene Flächen
angehören, 2. über die Bestimmung des Zeichens einer Fläche
aus zwei gegebenen Zonen.
Zuerst wird das reguläre System behandelt. Die Grund-
formen bilden das reguläre Oktaeder und der Würfel. Durch
zwei Zonen, die eine Oktaederkante und eine Würfelkante zur
Achse haben, sind die Flächen des Bhombendodekaeders (Ora-
natoeders) bestimmt. Letzteres hat mit dem Oktaeder und dem
Würfel die Eigenschaft gemein, daß keiner dieser Körper aus
sich allein neue Flächen erzeugen kann, sondern, daß das nur
durch Verbindung zweier der genannten Formen möglich ist. Je
nachdem das Granatoeder mit dem Oktaeder oder mit dem Würfel
verbunden wird, entstehen verschiedene Reihen von Formen. Eine
Granatoeder- und eine Würfelfläche bestimmen die Zone, die eine
Oktaederkante zur Achse hat; nimmt man diese Zone mit der
einer Granatoederkante zusammen, so ergibt sich das Leucitoeder
jaia.a.
Faßt man andererseits eine Granatoeder- und eine Oktaederfläche
zusammen, so ergibt sich dadurch die sogenannte Diagonalzone
des Oktaeders (Zeichen [2 a, a, a]), und zwei derartige Diagonal-
zonen bestimmen eine Fläche des gewöhnlichen Pyramidenwürfels
a: CO a:^a,
zwei andere das stumpfere Leucitoid. [^a:a:a]. Außerdem ent-
stehen aus diesen Zonen und denen der Granatoederkanten zwei
Hexakisoktaeder [a : I a : I a] und [a: |a:^a]. Neumann nennt
sie das gewöhnliche Pyramidengranatoeder und das zweite Hexakis-
oktaeder.
Von der überaus großen Zahl von Formen, die aus den eben
besprochenen hervorgehen, indem man sie miteinander oder mit
den vorhergehenden verbindet, untersucht Neu mann genauer
1. diejenigen Formen, die aus der Verbindung des Leucitoeders
mit den vorhergehenden Formen, das ist mit Oktaeder, Würfel,
Granatoeder, entstehen; 2. diejenigen, die aus der Verbindung des
gewöhnlichen Pyramidenwürfels mit Oktaeder, Würfel oder Gra-
natoeder entstehen. Die Resultate (31 Flächen ad 1, 36 ad 2)
sind in einer Tabelle zusammengestellt.
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— 51 —
Eine analoge Untersuchung wird nun für das viergliedrige
(quadratische) System (systemata quatemarla, nach Weiss zwei-
und einachsige Abteilung) durchgeführt, und zwar werden nur
die Formen entwickelt, bei deren Entstehung die gerade End-
fläche fehlt. An Stelle der drei Grundgebilde des regulären
Systems, des Oktaeders, des Würfels und des Qranatoeders, treten
hier: das Quadratoktaeder [a:a:c\, die erste Seiten-(Pri8men-)
fläche [a : 00 a : 00 c], die zweite Seiten-(Prismen-) fläche [aiaiooc] ^).
Aus diesen ergeben sich das erste spitzere Oktaeder [a : oo a : 2 c]
und das Dioktaeder [a:ja:c] [Neumann nennt es solidum
quaterno - marginatum vulgare]^). Erörtert wird dann, welche
neuen Formen aus den beiden letztgenannten durch Verbindung
jeder derselben mit den drei vorhergehenden entstehen. Die
'Eesultate sind wiederum zu einer Tabelle vereinigt.
Es folgt eine kurze Betrachtung des zwei- und zwei-
gliedrigen Systems (rhombisch in moderner Bezeichnung) sowie
dessen Primärformen, und zum Schluß wendet sich die Betrach-
tung dem zwei- und eingliedrigen System (modern monoklinisch)
zu. Es würde zu weit führen, hier auf die Einzelheiten dieser
Entwicklung einzugehen. Es sei nur Neumanns prinzipielle
Auffassung hier hervorgehoben und zwar mit folgenden, den
Beiträgen zur Kristallonomie entnommenen Worten: ^In jeder
der Richtungen in den zwei- und zweigliedrigen Systemen sind
durch ihre Beziehungen zu den zwei anderen ungleichen Rich-
tungen immer zwei gegenüberstehende Seiten gleich, und ver-
schieden von den zwei anderen sich gegenüberstehenden Seiten.
Tritt nun eine Verschiedenheit ein zwischen zwei sich gegen-
über stehenden gleichen Seiten, so daß dieselbe Verschiedenheit
auch in den zwei Enden derselben Seiten stattfindet (wodurch
die Gleichheit der zwei Enden der Richtung nicht aufgehoben
wird), so wird zugleich dasselbe Verhalten in den Seiten der
anderen Richtung, die jenen Seiten zugekehrt sind, gefordert,
und der räumliche Ausdruck dieses Verhaltens in den Seiten
^) Die Bezeichnung weicht von der anderer Autoren ab. So ist
z. B. in Böses Elementen der Kristallographie, Seite 72, die Fläche
[a : 00 a : 00 c] als Prisma zweiter Ordnung, [a : a : od e] als Prisma erster
Ordnung bezeichnet.
*) Auch dies Oktaeder ist bei Böse als das zweite spitzere be-
zeichnet.
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— 52 —
der zwei- und zweigliedrigen Richtungen sind die zwei- und
eingliedrigen Systeme."
Die Dissertation ist als Teil I bezeichnet; in der Tat fehlt
die BetrachtuDg der ein- und eingliedrigen (triklinischen), sowie
der secbsgliedrigen (drei- und einachsigen nach Weiss, modern
hexagonalen) Systeme. Vielleicht war auch noch die Absicht vor-
handen, die hemiedrischen Gestalten der regulären, yiergliedrigen,
hexagonalen und rhombischen Systeme zu behandeln.
Vieles von dem Inhalt der Dissertation berührt sich eng mit
der Eristallonomie, z. B. die Entwicklung der Glieder des regu-
lären Systems (Kristallonomie, S. 104 — 109), aber während dort
das Hauptgewicht auf die Darstellung, auf die Projektion gele^
ist, wird in der Dissertation von graphischen Darstellungen ganz
abgesehen, und es stützt sich die ganze Entwicklung auf die
Formel. — Ähnlich beim zwei- und eingliedrigen System, das
hier ebenfalls ohne die Projektion behandelt wird, über das ferner
lediglich allgemeine Betrachtungen beigebracht werden, während
die sehr ausführlichen Erörterungen der Eristallonomie, wie schon
erwähnt, direkt an das System des Feldspats und des Pistazits
anknüpfen.
3. Wegen Haidingers Aufsatz über axotomen Blei-
baryt. [Zeitschrift Isis von Oken 17, 424—428, 1825.]
In diesem Aufsatz polemisiert Neu mann gegen Haidingers
Auffassung, der in einer in der Isis, Bd. 15, 1824, Heft 11,
S. 1156, veröffentlichten Arbeit die Kristalle von schwefelkohlen-
saurem Blei als Drillinge beschrieben hat, entstanden durch ge-
setzmäßige Verwachsungen dreier Individuen, von denen jedes
einzelne eine geschobene vierseitige Säule mit schiefer Endfläche
zur Grundform hat. Demgegenüber verficht Neumann die An-
sicht, daß es sich um einfache, dem rhomboedrischen System an-
gehörige Kristalle handelt, nur diese Auffassung vertrage sich
mit dem in den Beiträgen zur Kristallonomie entwickelten kri-
stallonomi sehen Gesetz. Neumann weist eingehend auf die Un-
klarheiten und Widersprüche hin, die sich in Haidingers Dar-
stellung finden, so daß man oft nicht wisse, was er eigentlich
habe sagen wollen. Die Genauigkeit der Messungen Haidingers
solle nicht angezweifelt werden. Wenn diese für den Winkel
der geschobenen vierseitigen Säule 120^^20' statt 120<^ ergäben.
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80 sei diese Differenz störenden Einwirkungen bei der Gestaltung
des gemessenen Exemplars zuzuschreiben.
4. Über das Krystallsystem des Axinits. [Pogg. Ann.
4, 63—78, 1825.]
Einleitend wird bemerkt, daß die Darstellung des Axinit-
systems, die Hauy in seinem großen Werke gegeben hat, zu den
wenigen gehört, wo die Grundbestimmungen, wie er sie in der
„forme primitive" gibt, g&nzlich aufgegeben werden müssen, da
die Unterschiede zwischen den Winkeln, die aus der angegebenen
Primitivform' folgen, und den in der Natur stattfindenden zu
erheblich seien, um bloß als Folge einer nicht ganz scharfen
Messung betrachtet werden zu können.
Es werden dann die bisher, insbesondere von Hauy und
Mobs (letzterer hat, wie nebenbei bemerkt wird, bei der Über-
tragung der Hauy sehen Bezeichnung in seine eigene einen Eechen-
fehler gemacht) am Axinit beobachteten Flächen zusammengestellt
und ihr Zonenzusammenhang angegeben. Um die Neigungen
derselben zu bestimmen, ist die Kenntnis von fünf gemessenen
Winkeln nötig; und zwar müssen diese Winkel an demselben
Kristall gemessen werden, da sich zwischen den gleichen, an ver-
schiedenen Kristallen gemessenen Winkeln Differenzen bis zu
16 Minuten finden. Neumann hat nun an ein und demselben
Kristall der Berliner Sammlung sieben Winkel gemessen und
leitet aus den fünf ersten derselben die hauptsächlichsten übrigen
Winkel ab. Er bedient sich dabei zur Darstellung der Projektion
auf eine Kugel, d. h. der Durchschnitte der vom Mittelpunkt des
Kristalls auf die verschiedenen Flächen gefällten Lote mit einer
um denselben Mittelpunkt beschriebenen Kugel.
Schließlich zeigt Neu mann, wie man alle Flächen auch
dieses zu den ein- und eingliedrigen Systemen gehörenden Kri-
stalls mit Weiss auf drei rechtwinklige Richtungen beziehen kann,
indem man jede Fläche durch das Zeichen
— a : — : — c
m n p
darstellt, wo die M^ n, p einfache ganze Zahlen sind. Für
die Grundverhältnisse a :h : c der drei senkrechten lUohtang^n
findet er
a:l'C— V51:V49:Vr.
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— 54 —
Die auf Grund dieser Darstellung berechneten Winkel unter-
scheiden sich von den direkt gemessenen um höchstens neun
Minuten. — Bemerkt wird hierbei, daß durch die Unsymmetrie
aller Bildungen dieser Art Systeme die rechtwinkligen Sichtungen
aus der äußeren Erscheinung verschwinden, und daß es für ihre
Realität keine andere Bürgschaft gebe, als die Einfachheit jener
rationalen Verhältnisse aller Flächen.
Der messenden Kristallographie gehört auch die große in
den Abhandlungen der Berliner Akademie 1830, S. 189 — 230,
veröffentlichte Arbeit an:
5. Das Erystallsystem des Albites und der ihm ver-
wandten Gattungen. Erste Abteilung. Methode und Fehler
der Messungen, Kombination der Messungen, Tiroler Albite.
Das Hauptinteresse einer genaueren Untersuchung des Albites
besteht darin, daß Feldspat und Albit chemisch einander sehr
nahe stehen, während sie verschiedenen kristallographischen Ab-
teilungen angehören; Feldspat ist zwei- und eingliedrig, Albit
ein- und eingliedrig. Diese von Rose entdeckte mineralogische
Differenz läßt eine nahe und innige Verwandtschaft unter zwei
großen Kristallsystemen vermuten, und es ist zu erwarten, daß
ein eingehendes Studium des Albites und seine Yergleichung mit
dem Feldspat einen Aufschluß über den Zusammenhang kristalli-
nischer Bildungen überhaupt gibt. Von diesem Aufschluß aber
ist, so sagt Neumann, der Begriff einer höheren mineralogi-
schen Einheit abhängig, wodurch solche mineralogisch getrennte
Gattungen, wie Feldspat, Albit usw., erst auf eine exakte Weise
miteinander vereinigt werden können. Und noch ein zweites
Ziel haben die Neumannschen Messungen, nämlich die Ver-
änderlichkeit der Kristallwinkel, bedingt durch Störungen bei der
Kristallbildung verschiedener Kristallindividuen, exakt nachzu-
weisen. Zur Erreichung dieses Zieles waren neue Messungen von
größerem Umfange anzustellen, da die Arbeit von Rose nur fünf
gemessene Winkel enthält, so viel, als gerade hinreichen, um ein
ein- und eingliedriges System zu bestimmen, während in sonstigen
Arbeiten sich lediglich Notizen über einige Winkel vorfinden.
Doch die Anstellung einer größeren Zahl von Beobachtungen allein
genügt noch nicht, es kommt auch vor allem darauf an, durch
richtige Verwertung der einzelnen Beobachtungen zu möglichst
sicheren Resultaten zu gelangen. ' Zu dem Zwecke diskutiert
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Neu mann zunächst ausführlich die einzelnen Fehlerquellen der
mit dem Wollast onschen Reflexionsgoniometer angestellten
Messungen, gibt dann an, wie man verfahren muß, um die Be-
dingungen einer möglichst richtigen Messung zu erfüllen, und
berechnet schließlich den Fehler, der bei diesem Verfahren noch
zurückbleiben kann. Er beträgt, wenn man das Mittel von zehn
Beobachtungen nimmt, 2' und kann infolge von ganz besonderen
Un Vollkommenheiten, bzw. Krümmungen der Fläche höchstens
auf 4' steigen. Das Verfahren, das Neumann hier für das
Eeflexionsgoniometer auseinandersetzt, ist typisch für
die Art, wie er überhaupt Meßinstrumente irgend
welcher Art benutzt, indem er stets durch eine Kombination
von Messungen, die unter verschiedenen Umständen auszuführen
waren, den Grad der Zuverlässigkeit feststellte.
Weiter wird gezeigt, wie die einzelnen Messungen zur Er-
mittelung der Elemente des Kristallsystems zu kombinieren sind.
Dabei hat man zunächst zu beachten, daß, wenn vier Flächen des
Kristalls (von denen keine drei derselben Zone angehören) ihrer
relativen Lage nach 'gegeben sind, aus ihnen alle übrigen Flächen
durch den Zonenzusammenhang abzuleiten sind. Bei zweck-
mäßiger Wahl jener vier Flächen hängen ihre kristallographischen
Zeichen von fünf Größen ab, den Elementen des Systems. Mittels
dieser Elemente lassen sich alle übrigen Flächen des Systems und
daher auch die Winkel zwischen den Flächen auf bekannte Weise
berechnen. Wie ermittelt man nun umgekehrt aus den ge-
messenen Winkeln möglichst genaue Werte der Elemente? Dazu
berechnet Neumann zunächst angenäherte Werte der Elemente,
diese seien a, a', ß, ß', ß'\ und mit diesen angenäherten Werten
die einzelnen Winkel F. Ist der Unterschied zwischen dem so
erhaltenen angenäherten Werte Y eines Winkels und dem ge-
messenen Werte desselben Winkels =z JY, sind femer -^a,
Z^a', ... die Abweichungen der angenäherten Werte der Elemente
von den wahren Werten, so existieren zwischen diesen Größen
Gleichungen der Form
^Y= Ada-\- BJod + C^ß -f JD^ß' + Edß*\
wo ^, J?, ... durch die angenäherten Werte von F, a, a', ... ge-
geben sind. Solcher Gleichungen existieren so viele, als gemessene
Winkel vorhanden sind; und aus ihnen sind nach der Methode
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der kleinsten Quadrate die Unbekannten ^a, ^a', ... zu be-
stimmen. Za der obigen Formel, die nur für Winkel an dem-
selben Individuam gilt, kommt noch eine weitere für Zwillings-
winkel, d. h. solche Neigungen, die von Flächen gebildet werden,
welche beiden Individuen angehören.
Es folgt nun eine umfassende Reihe Yon Messungen, an-
gestellt an vier aus Tirol stammenden Albitkrist allen, femer die
Mitteilung von einzelnen Messungen an fünf weiteren Kristallen.
Die Diskussion der Messungen ergab neben der Tatsache, daß bei
einem der Kristalle Störungen im Wachstum Abnormitäten der
Winkel von ^/^ Grad heryorgebracht haben, die folgenden wich-
tigen Resultate:
1. Das Feldspatsystem und das Albitsystem stimmen überein
in der Recbtwinkligkeit der Neigungen der Diagonalflächen.
2. Beide Systeme haben ferner auch gleiche Neigungen der
Rhomboidflächen.
3. Das Albitsystem besitzt eine Symmetrie in der horizon-
talen Zone.
Aus diesen Resultaten folgt weiter, daß zwischen den fünf
Elementen oe, a', ... drei Relationen stattfinden, so daß schließlich
alle Winkel nur yon zwei Grundelementen abhängen.
Wie die genannten drei Bedingungsgleichungen mit den aus
den Beobachtungen hergeleiteten Gleichungen zu verbinden sind,
um die übrig bleibenden zwei Elemente auf die vorteilhafteste
Weise zu bestimmen, das zu erörtern, hat Neumann einem
zweiten Teile seiner Abhandlung vorbehalten, in dem auch
Messungen an Albit kristallen vom St. Gotthard und aus Sibirien
mitgeteilt werden sollten. — Doch ist dieser zweite Teil der Ab-
handlung nicht veröffentlicht.
6. In gewissem Zusammenhange mit der eben besprochenen
Abhandlung steht eine kürzere Notiz, die in einem Schreiben
Neumanns an Weiss enthalten ist. [Veröffentlicht Pogg. Ann.
24, 390—392, 1832.]
Hier wird ohne Beweis der Satz aufgestellt:
„Wenn irgend zwei Kristallsysteme gegeben sind, die unter-
einander in dem Verhältnis wie z. B. Feldspat- und Albitsystem
stehen, d. h. in welchen Identität der Zonen, aber Verschiedenheit
der Winkel stattfindet, so gibt es immer drei aufeinander recht-
winklige Dimensionen, auf welche die Flächen des einen Systems
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— 57 —
dieselbe Beziehung haben, als die Flächen des anderen Systems,
d. h. in Beziehung auf welches die Flächenausdrücke identisch
sind; nur das Verhältnis der Dimensionen untereinander ist in
den beiden Systemen verschieden.^
Neumann fügt hinzu: „Dieser Satz ist ganz allgemein und
beruht auf keinerlei Voraussetzung irgend einer Art. Es gibt
ferner nur ein solches rechtwinkliges Achsensystem."
Eine unmittelbare Anwendung findet dieser Satz auf die
Winkeländerungen, welche die Kristalle durch die Temperatur
erfahren. Denn diese Änderungen sind nur dadurch hervor-
gebracht, daß die Ausdehnung des Kristalls in drei zueinander
senkrechten Richtungen, den thermischen Achsen, eine verschie-
dene ist.
Am Schluß des Briefes . erwähnt Neumann, daß er die
Poisson sehen Gleichungen der Elastizität, die dieser nur für
isotrope Körper entwickelt hatte, auf Kristalle ausgedehnt habe
(vgl. die weiterhin zu besprechende Arbeit über doppelte Strahlen-
brechung, S. 69 ff.), und spricht kurz davon, daß man mittels jener
Gleichungen aus den Winkeländerungen, welche ein Kristall durch
einseitigen oder allseitig gleichen Druck erleidet, die Größe der
Elastizität der Kristalle in verschiedener Eichtung ableiten kann,
ein Thema, das er in einer späteren Arbeit (s. S. 95) weiter ver-
folgt hat.
7. Das Gesetz der relativen Stellung der Individuen
in den Krystallzwillingen, besonders in Beziehung auf eine
Abhandlung des Professors Breithaupt über die Feisite, im
Jahrbuch für 1830, Heft 11. [Schweiger-Seidel, Neues Jahr-
buch der Chemie und Physik 3, 444—456, 1831.]
Gegenüber der der Natur widersprechenden Beschreibung,
welche Professor Breithaupt von den Feldspat- und Albit-
zwillingen gibt, hebt Neumann hervor, daß das allgemeine und
einzige Gesetz über die Stellung der beiden in einem Zwilling
verwachsenen Individuen ist: „Die Individuen stehen symmetrisch
in Beziehung auf eine Kristallfläche." „Alle Flächen, die senkrecht
auf der Zwillingsfläche stehen, sind beiden Individuen gemein-
schaftlich — alle Flächen des einen Individuums sind immer
kristallonomisch mögliche Flächen des anderen." — Von der
Zwillingsfläche ist die Verwachsungsfläche zu unterscheiden; diese
gemeinschaftliche Grenze ist im allgemeinen keine Kristallfläche,
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— 58 —
auch keine kristallonomiscli mögliche, sondern yon der Zufällig-
keit der Fortwachsong abliangig.
Weiter zeigt Neumann, daß die Beschreibung der Feldspat-
zwillinge seitens des Herrn Breithaupt den Erfahrungen wider-
spricht, und fügt die Bemerkung hinzu, daß die Zwillinge des
Albits, die den Karlsbader FeldspatzwilHngen analog sind, meisten-
teils , yielleicht immer aus vier Individuen bestehen, von denen
zwei und zwei nach dem gewöhnlichen Albitgesetze miteinander
yerwachsen sind, während erst diese AlbitzwiUinge miteinander
nach dem Karlsbader Gesetz yerwachsen sind.
Der Arbeit ist noch eine Nachschrift von Weiss hinzu-
gefügt, die ebenfalls gegen Breithaupt polemisiert und den
Scharfsinn in Neumanns Bemerkung über die den Karlsbader
Zwillingen ähnlichen Doppelzwillinge hervorhebt.
Über eine weitere Arbeit, die teilweise kristallographischen
Inhalts ist (sie betrifft das Kristallsystem des Gipses), wird weiter-
hin im Zusammenhang mit anderen Arbeiten über Kristallphysik
berichtet werden. <Siehe S. 93 ff.)
n. Arbeiten zur Wärmelehre.
Neumanns Arbeiten über Wärme sind, soweit sie yon ihm
veröffentlicht sind, wesentlich experimenteller Natur und betreffen
die Bestimmung der spezifischen Wärme, sowie der äußeren und
inneren Leitungsfähigkeit. Steht in ihnen aber auch das Experi-
ment im Vordergründe} so wird doch zur Beurteilung und zweck-
mäßigen Einrichtung desselben die Theorie herangezogen. Über
die Rolle, welche die Theorie in seinen Beobachtungen spielt,
spricht sich Neumann in einem hinterlassenen Manuskript^)
folgendermaßen aus:
„Zwei große Vorteile kann man bei experimentellen Unter-
suchungen über die Wärme aus der Theorie ziehen. Einerseits
nämlich kann man, auf Grund der Theorie, die zweckmäßigste
Einrichtung der Versuche im voraus bestimmen, und andererseits
kann man von gewissen Fehlern (die von Einflüssen herrühren,
welche sich im Versuch der direkten Beobachtung entziehen)
*) Siehe F. Neumann, Gesammelte Werke 2, 114 (1906). — Das
Manuskript bildet eine Erläuterung zu der weiterhin zu besprechenden
Abhandlung Nr. 3.
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— 59 —
mittels der Theorie die möglichen Grenzen angeben. Selbst-
verständlich wird dabei vorausgesetzt^ daß man über die Werte
der in der Theorie enthaltenen Eonstanten bereits irgend welche
approximative Kenntnisse besitzt.
„In den Phänomenen der Wärme sind, neben anderen Ele-
menten, wesentlich tätig und von wesentlichem Einfluß : die innere
und äußere Wärmeleitungsfähigkeit und die spezifische Wärme.
Die passende Einrichtung des Experimentes besteht darin, daß
man demjenigen Elemente, welches näher studiert werden soll,
den vorherrschenden Effekt zuteil werden läßt. — Eine
völlige Unabhängigkeit von den übrigen Elementen ist nicht zu
erreichen; man wird aber bestrebt sein, diese störenden Einflüsse
möglichst gering zu machen, und dazu wird es nötig sein, den
in Kede stehenden Effekt auf theoretischem Wege durch einen
bestimmten Ausdruck darzustellen, der nähere Auskunft gibt über
die Abhängigkeit des Effektes von allen überhaupt in Betracht
kommenden Elementen."
Diese Worte sind charakteristisch für die ganze Art und
Weise von Neumanns Beobachtungen überhaupt. Einmal sind
die Beobachtungen nicht auf das Aufsuchen neuer Erscheinungen
gerichtet, sondern es handelt sich bei ihnen lediglich um exakte
Messungen. Sodann aber wird dadurch, daß die Theorie dem
Experimente dienstbar gemacht wird, die Beobachtungsmethode
selbst ein Gegenstand der Theorie. „Mit diesen Prinzipien", sagt
Voigt'), „trat er einigermaßen in Gegensatz zu den virtuosen
Experimentatoren, insbesondere Frankreichs, die sich genügen
ließen, die Bedingungen des Experimentes so zu gestalten, daß
der Einfluß der Fehlerquellen möglichst klein war, allenfalls durch
Wiederholung der Beobachtungen unter wechselnden Umständen
einen Schluß über die Größenordnung desselben zogen und durch
Bildung von Mittelwerten aus zahlreichen Messungen die Genauig-
keit steigerten."
Und noch eins tritt uns in diesen wie in allen Experimenten
Neumanns entgegen: die Einfachheit der Vorrichtungen und
Instrumente, mit denen er seine Beobachtungen anstellte. So
zweckmäßig die von ihm konstruierten Apparate sind, eine kost-
bare oder elegante Ausstattung hat keiner derselben.
*) Voigt, S. 12.
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— 60 —
a) Arbeiten über spesiflsohe Wärme.
Die BestimmuDg der spezi fischen Wärme betreffen fol-
gende Abhandlungen:
1. Untersuchung über die spezifische Wärme der
Min eralien. Ein Sendgehreiben an Herrn Prof. Weis s in Berlin ^).
Pogg. Ann. 23, 1—39, 1831.
2. Bestimmung der spezifischen Wärme des Wassers
in der Nähe des Siedepunktes gegen Wasser von nie-
driger Temperatur. Aus einem Schreiben an Weiss in
Berlin. Pogg. Ann. 23, 40—53, 1831.
3. Commentatio de emendanda formula per quam
calores corporum specifici ex experimentis methodo
mixtionis institutis computantur. Uniyersitätsschrift, ver-
öffentlicht beim feierlichen Antritt der ordentlichen Professur,
Königsberg 1834.
4. Beobachtungen über die spezifische Wärme ver-
schiedener, namentlich zusammengesetzter Körper.
Pogg. Ann. 126, 123—142, 1865.
Dazu kommt eine aus den hinterlassenen Manuskripten
kürzlich veröffentlichte Arbeit:
5. Theoretische Untersuchung über die zur Bestim-
mung der spezifischen Wärme dienende Methode. Ge-
sammelte Werke 2, 53—64, 1906.
Die Arbeiten sind in doppelter Weise bedeutungsvoll, einmal
in methodischer Hinsicht durch die Art und Weise, wie Neu-
mann die Schwierigkeiten überwindet, die sich bei Ausführung
der Bestimmungen der spezifischen Wärme darbieten; sodann
durch die Aufstellung eines einfachen allgemeinen Gesetzes über
den Zusammenhang zwischen spezifischer Wärme und chemischer
Zusammensetzung. Daneben sind auch die zahlreichen numeri-
schen Resultate wertvoll.
Zur Bestimmung der spezifischen Wärme hat sich Neu-
*) Ein großer Teil der von Neu mann bei seinen Untersuchungen
benutzten Mineralien war ihm von Weiss aus dem Berliner minera-
logischen Museum zur Disposition gestellt, deshalb sind die Resultate
zuerst Weiss mitgeteilt.
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— 61 —
mann sowohl der Methode der Mischung, als der der Abkühlung
bedient; die erstere von diesen wird als direkte Methode voran-
gestellt.
Die Methode der Mischung, angewendet auf einen festen
Körper, besteht bekanntlich darin, daß man diesen Körper, nach-
dem er bis auf eine gewisse Temperatur F erhitzt ist, in eine
Flüssigkeit von bekannter Temperatur W eintaucht und das hier-
durch in der Flüssigkeit hervorgebrachte Temperaturmaximum
Wm, beobachtet. Mittels des Grundsatzes, daß die vom Körper
abgegebene Wärmemenge genau ebenso groß sein muß, wie die
von der Flüssigkeit aufgenommene Wärmemenge, ergibt sich dann
die Gleichung *) :
MG{Y—w^^{F5^U){w^—W\ . . . (I)
in der M^ F und f die Gewichte des festen Körpers, der Flüssig-
keit und des diese enthaltenden Gefäßes, 0, S und s ihre spezi-
fischen Wärmen bezeichnen.
Bei der Anwendung dieser Formel wird 1. vorausgesetzt, daß
in dem Moment, in welchem die Flüssigkeit ^ die Temperatur Wm
erreicht hat, auch der feste Körper M diese Temperatur besitzt;
2. daß während der Mischung kein Wärmeverlust stattgefunden
hat. Keine dieser Voraussetzungen ist in dem Experiment genau
erfüllt. Es sind daher vor Anwendung von (I) an den beob-
achteten Zahlen Korrektionen anzubringen. Zur Ermittelung der-
selben ist die Änderung der Temperatur v des Körpers, dessen
Anfangstemperatur V war, sowie die Änderung der Tempera-
tur w der Flüssigkeit genauer zu untersuchen. Bei dieser Unter-
suchung geht Neumann in den Abhandlungen 1 und 5 (die
nachgelassene Arbeit 5 ist der Ableitung verschiedener in 1 be-
nutzter und dort größtenteils ohne Beweis mitgeteilter Formeln
gewidmet) von dem New ton sehen Gesetze aus, daß die Wärme-
menge, welche ein Körper seiner Umgebung während der Zeit dt
durch Berührung mitteilt, proportional ist mit dt, ferner propor-
tional mit seinem Temperaturüberschuß über die Umgebung und
endlich proportional mit der Oberfläche des Körpers. Daraus
folgen für v und w zwei Gleichungen der Form:
*) Die hier benutzte Bezeichnung ist die der Abhandlung 3; in
1 ist die Bezeichnung eine etwas abweichende.
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— 62 —
dv
_ = _«(„_«,),
— = -f Ol (» — ip) — 6»,
(U)
die unter der Bedingung zu integrieren sind, daß zu der Zeit
t = V = V, to = W Bei. Für das Maximum Wm ergibt sich
dann ein Wert, der sich von dem aus 1 folgenden durch Hinzu-
fQgung eines gewissen Faktors zu tOm unterscheidet. Die in
diesem Faktor auftretenden Größen lassen sich teils durch Beob-
achtung, teils durch Rechnung bestimmen.
Das beschriebene Verfahren ist, da es auf dem Newton sehen
Gesetze beruht und daher eine sehr große Leitungsfähigkeit
Yoraussetzt, bei nicht metallischen Substanzen nicht ohne
weiteres anwendbar. Bei diesen hat Neumann folgenden Weg
eingeschlagen. £r brachte die zu untersuchende Substanz in ein
geschlossenes Kästchen, derart, daß die leeren Zwischenräume im
Kästchen mit Wasser gefüllt waren, und bestimmte die spezi-
fischen Wärmemengen des Kästchens mit seinen yerschiedenen
Füllungen. Dabei war noch eine weitere Korrektion anzubringen,
da wegen der geringen Leitungsfähigkeit im Moment des Ein-
tritts des Maximums w^ von w die Temperatur im Innern des
Kästchens von Wm verschieden war. Die innere Temperatur des
Kästchens wurde an einem Thermometer beobachtet, das mittels
eines Rohres in das Kästchen gebracht war. Die so beobachteten
Temperaturen bedurften ihrerseits noch einer weiteren Korrek-
tion, 1. wegen der Abkühlungsgeschwindigkeit des angewandten
Thermometers im Kästchen, 2. wegen des Unterscbiedes der
Temperatur des Kästchens im Zentrum von seiner mittleren Tem-
peratur. Zur Ermittelung des letztgenannten Unterschiedes war
die Kenntnis der inneren Leitungsfähigkeit des Kästchens nötig.
Endlich machte auch die Bestimmung der Temperatur V der
Substanz im Moment des Eintauchens eine gewisse Schwierigkeit.
Die Substanz wurde in einem Blechkasten erwärmt, der von
Dämpfen siedenden Wassers durchströmt wurde, und damit war
ihre Temperatur in dem Kasten bekannt; aber der Wärmeyerlust,
den die Substanz erlitt, bis sie in das Wasser tauchte, war schwer
direkt zu bestimmen. Neumano yerfuhr daher so, daß er für
jede Füllung des Kästchens zwölf Versuche anstellte, aus welchen
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der eben erwähnte Wärmeverlust eliminiert und dann erst die
spessifische Wärmemenge der Füllung bestimmt wurde.
Neben der Methode der Mischung hat sich Neumann auch
der Methode der Abkühlung bedient, mit derjenigen Ver-
besserung, die von Dulong herrührt, wonach die Abkühlung im
luftyerdünnten Baume geschieht. Die Zulässigkeit dieser Methode
wurde durch Yergleich mit der Mischungsmethode geprüft. Die
etwaigen störenden Einflüsse wurden durch geschickte Kombina-
tion der Beobachtungen möglichst eliminiert.
Nach den beiden Metboden wurde zunächst die speziflsohe
Wärme von 36 Mineralien bestimmt. Aus den so gefundenen
Zahlen leitet Neumann ein einfaches allgemeiDes Gesetz über
den Zusammenhang zwischen spezifischer Wärme und chemischer
Zusammensetzung ab. Er findet, daß das wichtige Dulongsche
Gesetz, wonach die spezifischen Wärmen der chemisch einfachen
Körper sich umgekehrt wie ihre stöchiometrischen Werte ver-
halten, sich auf chemisch zusammengesetzte Substanzen ausdehnen
läßt. Das neue Gesetz lautet:
„Es verhalten sich bei chemisch ähnlich zusammengesetzten
Stoffen die spezifischen Wärmen umgekehrt wie die stöchio-
metrischen Quantitäten.
„Oder was dasselbe ist, die stöchiometrischen Quantitäten bei
chemisch ähnlich zusammengesetzten Stoffen besitzen gleiche
spezifische Wärmequantität. ^
Unter stöchiometrischen Quantitäten sind bei chemisch ähn-
lichen oxydierten Stoffen solche Quantitäten zu verstehen, in
welchen eine gleiche Quantität Sauerstoff vorhanden ist; bei den
geschwefelten Stoffen ist der Schwefel das Maß der stöchio-
metrischen Quantität usw. Neumann hat das Gesetz zuerst bei
den kohlensauren Salzen entdeckt, dann dasselbe bei den wasser-
freien schwefelsauren Salzen und anderen zusammengesetzten
Körpern bestätigt gefunden.
In einer Nachschrift zu Abhandlung 1 wird noch eine weitere
Tabelle mitgeteilt, die die spezifischen Wärmen von 49 Minera-
lien enthält. Die Zahlen der Tabelle sind mit einem Apparate,
ähnlich dem in Abhandlung 2 beschriebenen, ermittelt. (Näheres
gibt Neumann nicht an.) Auch diese Zahlen bestätigen das
Neumann sehe Gesetz, ebenso die in Abhandlung 4 veröffent-
lichten Beobachtungen, die 22 chemisch reine Präparate, sowie
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absolaten Alkohol und Terpentinöl betreffen. Diese Beobachtungen
sind bereits im Jahre 1834 angestellt , aber erst 1865 auf Neu-
in anns Veranlassung durch Pape veröffentlicht. Die zu ihrer
Berechnung benutzte Formel ist in der hinterlassenen Abhand-
lung 5 abgeleitet. Bei dieser Gelegenheit hat übrigens Neumann
die Eigenschaft des Selens entdeckt, sich noch unter der Siede-
hitze des Wassers in eine isomere Modifikation zu verwandeln.
Es mag hier noch bemerkt werden, daß Regnault durch
seine Beobachtungen (Annales de Chimie et de Phys. [3] 1) das
Neu mann sehe Gesetz bestätigt hat. Das Gesetz gilt natürlich,
ebenso wie das Dulongsche, nur angenähert, was sich schon
daraus ergibt, daß die spezifische Wärme sich mit der Tem-
peratur ändert.
Auf die Untersuchung der spezifischen Wärme des
Wassers (Abhandlung 2) ist Neumann durch seine Methode
der Bestimmung der spezifischen Wärme der Mineralien (Ab-
handlung 1) geführt. Um die Korrektionen zu prüfen, die bei
der Ermittelung der spezifischen Wärmemengen des dort be-
nutzten Kästchens anzubringen waren, wurde das Kästchen mit
reinem Wasser gefüllt, wodurch sich die spezifische Wärme des
erwärmten Wassers gegen kaltes Wasser ergeben mußte. Die
Prüfung jener Korrektionen erforderte somit eine andere direkte
Bestimmung der in Eede stehenden spezifischen Wärme. Dies
geschah ebenfalls nach der Mischungsmethode mittels eines be-
sonderen Apparates, dessen Hauptstück in einer Vorrichtung
bestand, um das heiße Wasser mit einer hinlänglich sicher be-
kannten Temperatur in das kalte Wasser zu bringen, es ist das
der sogenannte Neumann sehe Hahn. Mittels dieses Apparates,
dessen Beschreibung hier zu weit führen würde, wies Neumann
als erster mit Sicherheit nach, daß entgegen den Ergebnissen, zu
denen De Luc und später Flaugergues gelangt waren, die
spezifische Wärme des Wassers mit wachsender Temperatur zu-
nimmt. Als Endresultat ergab sich das Verhältnis der spezi-
fischen Wärme des Wassers bei 80® R zu der bei 22öR= 1,0127.
Auch dieses Neumann sehe Resultat ist durch die eingehenden
Versuche von Regnault bestätigt.
In der Arbeit 3 werden die in Formel (I) anzubringenden
Korrektionen auf wesentlich strengere Art ermittelt als in der
Abhandlang 1 , indem die Temperatur des eingetauchten Körpers
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nicht mittels des New ton sehen Gesetzes, sondern durch An-
wendung der Fouri er sehen Gleichung für die Wärmeleitung
bestimmt wird. Dabei wird angenommen, daß jener Körper in
sehr kleine Stücke zerschlagen ist, die ihrerseits als Kugeln von
gleichen Radien angesehen werden. An Stelle der ersten Glei-
chung (II) (S. 62) tritt demgemäß die Fouri ersehe Gleichung
für die Wärmeleitung einer Kugel, deren Temperaturzustand nur
eine Funktion des Radius ist, nebst der zugehörigen Grenz-
bedingung für die Kugeloberfläche. Zur Bestimmung der Tem-
peratur w der Flüssigkeit wird auch hier das Newton sehe Gesetz
herangezogen, d. h. w wird auch hier als eine bloße Funktion
der Zeit angesehen, was dann zulässig ist, wenn während des
Experimentes die Flüssigkeit fortwährend umgerührt wird. Die
zweite Gleichung (II) (S. 62) behält also ihre Form, nur daß für
das darin vorkommende v die Temperatur der Kugeloberfläche
zu nehmen ist. Aus den erwähnten Gleichungen folgt zunächst
die Form der an Gleichung (I) (S. 61) anzubringenden Korrek-
tion. Dieselbe besteht in einem gewissen, auf der rechten Seite
von 1 hinzuzufügenden Faktor. Zur Berechnung dieses Faktors
ist die Yollständige Integration der in Rede stehenden Gleichungen
nötig. Sie ergibt für v und w Reihen, deren Glieder nach den
Wurzeln einer transzendenten Gleichung fortschreiten. Mittels
dieser Reihen, die eingehend diskutiert werden, wird das Maxi-
mum Wfn von w bestimmt, sowie die Zeit ^ = T, in welcher dies
Maximum eintritt, ebenso die mittlere Temperatur der einzelnen
Kugeln zu dieser Zeit; und nunmehr lassen sich alle in dem
obigen Korrektionsfaktor auftretenden Hüfsgrößen berechnen. —
Schließlich ist* noch eine weitere Korrektion nötig, weil die Tem-
peratur w der Flüssigkeit nicht identisch mit der Temperatur u
des in die Flüssigkeit eingetauchten Thermometers ist. Die
Beziehung zwischen beiden Temperaturen wird auf Grund des
Newton sehen Gesetzes entwickelt, und damit werden für die an
den Thermometerangaben anzubringenden Verbesserungen be-
stimmte Formeln gewonnen.
b) Arbeiten über Wärmeleitung.
1. Gleichzeitig mit seinen Untersuchungen über spezifische
Wärme hat Neumann solche über Wärmeleitungsfähigkeit
Wangerin, Franz Nenmann. 5
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schon um das Jahr 1830 angestellt. Die Ermittelung gewisser
bei der Mischungsmethode nötigen Korrektionen erforderte die
Kenntnis der inneren Leitungsfähigkeit des in der oben be-
sprochenen Arbeit 1 benutzten Kästchens (S. 62). So werden denn
schon in jener Arbeit 1 drei verschiedene Verfahren zur Be-
stimmung der absoluten inneren Leitungsfähigkeit ent-
wickelt. Alle drei beruhen auf der Beobachtung der Temperatur
im Mittelpunkte einer Kugel, die von der Oberfläche her zuerst
erwärmt, nachher wieder abgekühlt wird. Ist bei Beginn der
Abkühlung die Temperatur der Oberfläche noch höher als die des
Mittelpunktes, so wird auch nach Beginn der Abkühlung letztere
zunächst noch steigen bis zu einer Maximaltemperatur, um erst
später zu sinken. Beobachtet man nun beim Abkühlungsprozeß
die Temperatur des im Mittelpunkt angebrachten Thermometers
zu zwei verschiedenen Zeiten, beobachtet weiter die Maximal-
temperatur des Thermometers und die Zeit ihres Eintritts, beob-
achtet endlich im späteren Verlaufe des Abkühlungsprozesses noch
zwei andere Temperaturen und die zugehörigen Zeiten, so kann
aus allen diesen Beobachtungen die innere Leitungsfähigkeit der
Kugel bestimmt werden. Darin besteht das eine Verfahren. Bei
den beiden anderen kommen andere Beobachtungen desselben
Abkühlungsprozesses in Frage. Die Formeln zur Berechnung
der Beobachtungen ergeben sich durch Integration der Fourier-
schen Gleichung für die konzentrische Temperaturverteilung in
einer Kugel. In der Abhandlung 1 werden jene Formeln ohne
Beweis mitgeteilt; die Ableitung der Formeln findet sich in einer
nachgelassenen Arbeit, die in Bd. II der Gesammelten Werke,
S. 65—78, 1906, veröffentlicht ist und den Titel führt: Wie
man durch geeignete Beobachtungen den absoluten
Wert der inneren Leitungsfähigkeit eines homogenen
Körpers zu bestimmen vermag.
Es mag noch bemerkt werden, daß, wenn auch die ange-
wandten Formeln der Fouri er sehen Theorie entlehnt sind, ihre
Anwendung, bei der lediglich die Temperatur des Kugelmittel-
punktes beobachtet wird, durchaus eigenartig ist.
2. Die vorstehenden, im Anfang der dreißiger Jahre ange-
stellten Untersuchungen über Wärmeleitung sind nach längerer
Unterbrechung von Neumann 1859 von neuem aufgenommen,
aber nach ganz anderer Methode durchgeführt. Die Haupt-
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resultate dieser späteren Beobachtungen sind unter dem Titel:
Experiences sur la conductibilite calorifique des solides
1862 in den Annales de Chimie et de Physique (3) 66, 183—187,
veröffentlicht.
Inhaltlich stimmt dieser Aufsatz wesentlich überein mit einem
in den Gesammelten Werken, Bd. II, S. 139—142, 1906, ab-
gedruckten, vom 10. März 1862 datierten Briefe Neumanhs an
seinen Schüler Radau. Die neue Methode Neumanns besteht
für gut leitende Körper in folgendem: Ein Metallstab yon drei
bis yier Linien Durchmesser wird an einem Ende durch eine
Lampe so lange erwärmt, daß ungefähr eine stationäre Tem-
peraturyerteilung in ihm eingetreten ist. Dann wird die Lampe
entfernt, und nun wird mittels passend angebrachter Thermo-
ketten die Temperatur der Enden des Stabes yon acht zu acht
Sekunden gemessen. Die Messung selbst geschieht durch einen
Spiegelapparat. Aus der Summe und der Differenz der jedesmal
beobachteten Temperaturen lassen sich die äußere und innere
Leitungsfähigkeit ableiten. Das Wesen der Methode besteht also
darin, 1. daß nicht der stationäre Temperaturzustand des
Stabes beobachtet wird, sondern der mit der Zeit variable Zu-
stand (infolgedessen ist die Methode von der Kenntnis des schwer
zu definierenden Anfangszustandes unabhängig), 2. daß mit dem
Stabe keine Deformation vorgenommen wird, die sich nicht streng
mit der Rechnung verfolgen ließe; 3. daß jedesmal gleichzeitig
der absolute Wert der inneren und äußeren Leitungsfähigkeit
bestimmt wird.
Statt der Stäbe hat Neumann auch Ringe angewandt.
Bei schlechten Leitern ist die Methode nicht verwendbar*
Hier wird aus der Substanz eine Kugel (oder ein Würfel) ge-
fertigt, diese gleichförmig erwärmt und dann in freier Luft ab-
gekühlt. Nach einiger Zeit werden die Temperaturen im Zen-
trum und an den Oberflächen in regelmäßigen Intervallen
beobachtet. Von den durch seine Methode erhaltenen Ergebnissen
teilt Neumann die Werte der Leitungsfähigkeiten von fünf
Metallen und sechs schlecht leitenden Substanzen mit.
Das einzige Hindernis, so fügt er hinzu, durch diese Me-
thode zu ganz scharfen Resultaten zu gelangen, besteht darin,,
daß beide Leitungsfähigkeiten mit der Temperatur variieren und
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— 68 —
daB Gesetz für diese Variation nur sehr unyollkommen be-
kannt ist^).
Im Anschluß an den eben besprochenen Aufsatz Neumanns
hat Radau in der Pariser Zeitschrift „Cosmos" 1862 einen Über-
blick über das Wesen und die Tragweite der Neumann sehen
Untersuchungen gegeben [abgedruckt in den Gesammelten Werken,
Bd. II, S. 146—158, 1906], insbesondere über ihr Verhältnis
einerseits zu den früher benutzten Methoden, die nur die rela-
tiye Wärmeleitungsfähigkeit zu ermitteln gestatteten, anderer-
seits zu den gleichzeitigen Untersuchungen Angström s. Hier
werden auch die Gründzüge der analytischen Entwicklung, auf
denen die Methode beruht, kurz angegeben, während sich darüber
in der Neumann sehen Mitteilung selbst nichts findet.
3. Ferner weist Radau bei Besprechung von Angströms
Beobachtung über die Temperaturänderung des Erdbodens darauf
hin, daß ähnliche Untersuchungen von Neumann schon in den
Jahren 1836 — 1839 zu Königsberg angestellt und später von
Neumanns Schüler Schumann berechnet seien. Er bespricht
endlich die Ergebnisse einer Arbeit yon Saalschütz, die, yon
Neumann angeregt, untersucht, wie unregelmäßige, nicht perio-
dische Änderungen der Temperatur der Erdoberfläche sich in
tiefere Erdschichten fortpflanzen. [S. die Dissertation von Saal-
schütz:„De non periodica mutatione caloris terrae **, Königsberg
1861, sowie Astronomische Nachrichten 56, 1862.]
Dem Probleme der Wärmeleitung im Erdboden hat Neu-
mann auch weiterhin sein Interesse zugewandt. Auf seine Ver-
anlassung wurde 1872 im Botanischen Garten zu Königsberg
eine Station zur Messung von Erdtemperaturen gegründet, und
zwar an derselben Stelle, an der Neumann Ende der dreißiger
Jahre die vorher erwähnten Beobachtungen angestellt hatte. Die
^) Auf die A^bhängigkeit der inneren und äußeren Wärmeleitungs-
fähigkeit von der Temperatur nimmt unter anderen eine neuere,
von Volkmann, dem Nachfolger Neumanna, angeregte Arbeit von
G. Glage über die Neumann sehe Methode Rücksicht. [Dissertation,
Königsberg 1905; vgl. Ann. d. Phys. (4) 18, 904—940, 1905.]
Eine ebenso eingehende Untersuchung, wie Glage über die
Neumann sehe Methode für gut leitende Körper angestellt, ist, eben-
falls auf Anregung Volkmanns, hinsichtüch der "Wärmeleitungsf ähig-
keit schlecht leitender Körper von H. Hecht unternommen. [Disser-
tation, Königsberg 1903; Ann. d. Phys. (4) 14, 1008—1030, 1904.]
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Station war mit sieben Erdthermometem von 4 bis 28 Fuß Länge
sowie mehreren Luftthermometem versehen. An allen Thermo-
metern wurden täglich drei Ablesungen gemacht. Die Kosten
für die Anschaffung dieser Instrumente hatten die Physikalisch-
ökonomische Gesellschaft zu Königsberg, der Königsberger Verein
für wissenschaftliche Heilkunde, sowie der Direktor des Botani*
sehen Gartens, Prof. Caspary, getragen. Die Kalibrierung und
Aufstellung der Thermometer hatte Neumanns Schüler E. Dorn
(jetzt in Halle a. S.) besorgt. Er hat darüber in den Schriften
der Physikalisch - ökonomischen Gesellschaft, Bd. 13, S. 37 — 88,
159 — 160, Königsberg 1872, berichtet. Dorn hat auch die sechs
ersten Jahrgänge der an der Station angestellten Beobachtungen
herausgegeben (Schriften der Physikalisch - ökonomischen Gesell-
schaft, Bd. 15, 16, 17, 18, 20, 23).
Die späteren Beobachtungen bis 1889 inkl. sind von Misch-
peter, gleichfalls einem Schüler Neumanns, in den Schriften
der Physikalisch - ökonomischen Gesellschaft veröffentlicht, die
letzte der 18 jährigen Eeihe in Bd. 34, 1893. Weitere Veröffent-
lichungen sind nicht erfolgt.
III. Arbeiten aus der Optik und der
Elastizitätstheorie.
a) Bein optische Arbeiten.
1. Theorie der doppelten Strahlenbrechung, ab-
geleitet aus den Gleichungen der Mechanik. [Pogg. Ann. d.
Phys. u. Chem. 25, 418—454, 1832] i).
Diese Arbeit ist die erste *^), welche Neumann auf dem
Gebiete der theoretischen Physik veröffentlicht hat; sie war neben
^) Von neuem abgedruckt in Ostwalds Klassikern der exakten
Wissenschaften Nr. 76, herausgegeben von A. Wan gerin, 1896. Den
Anmerkungen zu dieser Ausgabe ist die folgende Darstellung teil-
weise entnommen.
*) Die im Jahre vorher, 1831, erschienene Abhandlung von Neu-
mann über die spezifische Wärme der Mineralien nimmt zwar auf
einige Formeln aus der Theorie der Wärmeleitung Bezug, ist aber
wesentlich experimentell; auch ist die Begründung der angewandten
Formeln von Neumann selbst nicht veröffentlicht. Mit Becht kann
daher die Arbeit über die doppelte Strahlenbrechung als die erste
theoretische Untersuchung bezeichnet werden.
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den gleichzeitigen Arbeiten Cauchys von der größten Bedeutung
für die Entwicklung der Optik. Die Lichttheorie war um das
Jahr 1820 durch Fresnel (1788 — 1827) in ganz neue Bahnen
gelenkt. Durch den Nachweis, daß das Wesen des Lichtes in
der Ausbreitung transversal schwingender Wellen zu suchen sei,
hatte er die Emissionstheorie definitiv beseitigt und die Un-
dulationstheorie auf eine feste, unanfechtbare Basis gestellt.
Weiter hatte Fresnel die Doppelbrechung in Kristallen studiert
und hier durch Induktion gewisse Gesetze gefunden, für die er
dann eine theoretische Ableitung zu geben suchte. Führte diese
Theorie auch zu Resultaten, die völlig mit der Erfahrung in
Übereinstimmung waren, so lagen derselben doch gewisse Hy-
pothesen zugrunde, die einer strengeren Kritik gegenüber nicht
als gerechtfertigt erscheinen konnten. Das gilt insbesondere von
der Annahme, daß die Komponente der elastischen Kraft senk-
recht zur Wellenebene unwirksam seL Es blieb daher die Auf-
gabe zu lösen, die Gesetze der Doppelbrechung streng deduktiv
aus mechanischen Prinzipien abzuleiten; und diese Aufgabe ist
von Neumann in der vorliegenden Arbeit gelöst. Gleichzeitig
mit Neumann hatte Cauchy dieselbe Aufgabe in Angriff ge-
nommen, und er hatte die JElesultate, zu denen er gelangt war,
ohne Ableitung in den Memoires der Pariser Akademie, Bd. X
(der Band ist 1831 erschienen), veröffentlicht. Diese Resultate
decken sich zum Teil mit denen Neumanns. Das führt Neu-
mann selbst in folgender, seiner Abhandlung vorausgeschickten
Bemerkung an:
^Die in dieser Abhandlung enthaltenen theoretischen Re-
sultate müssen auf Priorität resignieren, da ich im Tom. X der
M6moir. de TAcad. aus einer Inhaltsangabe einer Abhandlung,
welche Cauchy der Pariser Akademie vorgelegt hat, ersehen
habe, daß in dieser Abhandlung, außer anderen, dieselben Resul-
tate bereits enthalten sind. Ich würde meine Abhandlung ganz unter-
drückt haben, wenn ich nicht glaubte, daß die in ihr angewandte
einfache, ich möchte sagen elementare Behandlung eines sehr
schwierigen Problems auch dann noch von Interesse sein wird,
wenn die ohne Zweifel eine viel gelehrtere und allgemeinere >
Analyse desselben Problems enthaltende Abhandlung von Cauchy
selbst im Druck erschienen sein wird."
Muß man hiernach auch Cauchy hinsichtlich eines Teiles
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der Resultate die Priorität zugestehen, so ist doch hervorzuheben,
daß Neumanns Untersuchung einen durchaus selbständigen
Charakter trägt und unabhängig von der Cauchys entstanden
ist. Cauchy geht, wie sich aus dem Teil seiner Rechnungen er-
gibt, den er in Band Y seiner Exercices veröffentlicht hat, von
yiel komplizierteren Grundgleichungen aus und hat zudem sein
Hauptinteresse der mathematischen Seite der Frage zugewandt,
während Neumann wesentlich die physikalische Seite des Pro-
blems ins Auge faßt und daher seine Rechnungen so elementar
und einfach wie möglich zu gestalten sucht. Die große Eleganz
und Klarheit der Darstellung verleiht Neumanns Arbeit, ab-
gesehen von der Bedeutung, die sie für die Entwicklung der
Optik gehabt hat, einen hohen Wert.
Gehen wir nun auf den Inhalt der Arbeit ein, so wird in
§ 1 im Anschluß und gestützt auf die Untersuchungen von
Fresnel gezeigt, daß die allgemeinen Untersuchungen über die
Wellenbewegung in einem elastischen Medium sich zurückführen
lassen auf die Untersuchung der Wellenfläche von einem Er-
schütterungspunkte aus, und daß diese Wellenfläche die Enveloppe
derjenigen Ebenen ist, die man erhält, wenn man für alle durch
einen festen Punkt gelegten Wellenebenen die Lage nach Ver-
lauf der Zeiteinheit fixiert. Es sind daher nur die Gesetze für
die Fortpflanzung ebener Wellen zu ermitteln.
Die Gleichungen, aus denen die genannten Gesetze abzuleiten
sind, sind (§ 2) die Differentialgleichungen der Bewegung für ein
elastisches Medium von kristallinischer Beschaffenheit. Daß die
Lichtschwingungen als den elastischen Schwingungen fester Körper
analog angesehen werden, begründet Neumann damit, daß für
Bewegungen, bei denen die Verschiebungen kleiner sind als die
Sphäre des stabilen Gleichgewichtes (und um solche Bewegungen
handelt es sich bei den Lichtschwingungen), der Unterschied
zwischen festen, flüssigen und gasförmigen Körpern wegfällt.
„Für die Lichtundulationen ist demnach ein Unterschied der
Kohäsionszustände nicht vorhanden, wie das z. B. für die Schall-
schwingungen der Fall ist, sondern es gelten für jene Un-
dulationen nur die Gleichungen, welche sich auf die innere
vibrierende Bewegung eines festen Mediums beziehen, da die-
jenigen für vibrierende Bewegungen in flüssigen Medien, die
hydrodynamischen Gleichungen, wesentlich die Verrückung der
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yibrierenden Teilchen gi'ößer als die Sphäre des stabilen Gleich-
gewichtes Yoraussetzen.^
Es mag bemerkt werden, daß Fresnel, der Begründer
dieser Anschauung, auf dieselbe dadurch geführt wurde, daß er
das Wesen des Lichtes als in transversalen Schwingungen be-
stehend erkannte, und daß man von analogen Bewegungen nur
die fester elastibcher Körper kannte. Fresnels optische Unter-
suchungen gaben dann den Anstoß zum Ausbau der Elastizitäts-
theorie als einer besonderen Disziplin; ihre Grundgleichungen
wurden, soweit es sich um unkristallinische Medien handelt, zu-
erst im Jahre 1824 von Na vier entwickelt. An Kavier knüpft
Neumann an und dehnt dessen Resultate auf solche kristallinische
Medien aus, die in bezug auf drei rechtwinklige Ebenen symme-
trisch sind, indem er zu der Na vier sehen Hypothese für die
gegenseitige Wirkung zweier Teilchen aufeinander die weitere
hinzufügt, daß diese Wirkung eine Funktion der Winkel ist, die
die Richtung der Entfernung mit gewissen in der kristallinischen
Struktur gegebenen Linien bildet. Die Gleichungen, zu denen er
gelangt, sind die folgenden:
0X0 z
+ 2A,
(I)
dy C z
Darin sind u^ v^ w die den Koordinatenachsen parallelen
Yerrückungen eines Teilchens, t die Zeit, E die Dichtigkeit, A^
-4i, Aii^ B, Cf D Konstante, die von der Natur des Mediums ab-
hängen. Die Achsen x, y, z sind parallel den Durchschnitten der
drei rechtwinkligen Symmetrieebenen. Die Aufstellung dieser
elastischen Gleichungen für Kristalle, deren Ableitung Neu mann
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übrigens nicht mitteilt ^) , ist eins der wesentlichsten Ergebnisse
der vorliegenden Arbeit.
Die Konstanten A, . . ., D stellt Neumann noch durch In-
tegrale dar, die über eine Kugelfläche mit dem Radius 1 zu er-
strecken sind, und zeigt, daß für nicht kristallinische Medien
A = A, = A,^ = iB=\G=\D
sein muß, far kriirtallinische Substanzen des regulären Systems
Ä = Äi = An, B = G= D,
für die vier- und sechsgliedrigen Systeme endlich
A = A^, C= D.
Die Behandlung der an sich ziemlich komplizierten Gleichun-
gen (I) vereinfacht sich wesentlich für den Fall ebener Wellen,
auf den nach § 1 ja die allgemeine Wellenbewegung zurück-
geführt werden kann, da in diesem Falle die Differentialgleichungen
nur von zwei statt von vier unabhängigen Veränderlichen ab-
hängen. Die Durchführung der Rechnung (§ 3, 4) ergibt, daß, wenn
die ursprünglichen Erschütterungen in ihrer Gesamtheit eine
Ebene bilden, in dem Medium sechs Wellenebenen erregt werden,
von denen drei sich vorwärts und drei sich rückwärts bewegen,
und zwar schreiten je eine der ersteren und eine der letzeren
mit derselben Geschwindigkeit gleichförmig fort, während für die
drei nach vorwärts sich bewegenden Wellenebenen die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeiten verschieden sind. Ihre Quadrate
sind die Wurzeln einer Gleichung dritten Grades. Die Bewegun-
gen in den drei Wellen flnden (§ 5) in drei aufeinander senk-
rechten Richtungen statt, nämlich parallel den Achsen eines ge-
"wissen Ellipsoids, des „Fortpflanzungsellipsoids". Die Achsen
dieses Ellipsoids sind zugleich den reziproken Werten der drei
Fortpflanzungsgeschwindigkeiten proportional. Die Anwendung
der Resultate auf den Fall eines unkristallinischen Mediums er-
gibt eine longitudinale, zur Wellenebene senkrechte, und zwei zu-
einander senkrecht liegende transversale, in der Wellenebene er-
folgende Schwingungen. Die Richtung der beiden letzteren, die
gleiche Fortpflanzungsgeschwindigkeit haben, bleibt unbestimmt.
^) Eine Ableitung findet man in den Anmerkungen zu meiner
Ausgabe der doppelten Strahlenbrechung (Klassiker 76, 40 — 43; vgl.
F. Neumann, Gesammelte Werke 2, 191 — 193).
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und die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der longitudinalen Welle ist
die yd-faohe von der der transversalen, -ein Resultat, das mit einem
yon Poisson in seinem „Memoire sur la propagation du mouve-
ment dans les milieux elastiques'' abgeleiteten übereinstimmt.
Betrachtet man ferner in einem kristallinischen Medium
ebene Wellen, die den Symmetrieebenen parallel sind, so erhält
man Resultate, die völlig den Beobachtungen entsprechen, sobald
man unter Polarisationsebene die durch die Schwingungsrichtung
und die WeUennormale bestimmte Ebene versteht. Für Wellen-
ebenen, die einer der Koordinatenachsen parallel sind, zerfällt die
Gleichung dritten Grades, der die Quadrate der Fortpflanzungs-
geschwindigkeiten genügen, in einen linearen Faktor, der einer
der transversalen Wellen, und einen quadratischen, der der
anderen transversalen und der longitudinalen Welle entspricht.
Soll die in dem zweiten Faktor enthaltene transversale Welle
eine konstante Geschwindigkeit besitzen, wie es der Fall sein
muß, wenn Übereinstimmung mit den empirischen Gesetzen statt-
finden soll, so ist erforderlich, daß zwischen den sechs Kon-
stanten der Grundgleichungen (I) drei Relationen bestehen, nämlich
iB-A,)iG-Ä,) = ^Ä? (II)
und zwei analoge.
Mit diesen Relationen verbindet Neumann (§ 6) die weitere
Annahme 1), daß Ä, Ä^ An nur wenig voneinander verschieden
sind, ebenso J?, 0, Z); er rechtfertigt dies damit, daß bei allen
optisch untersuchten Kristallen die Exzentrizitäten der Ellip-
sen, deren Achsen zwei der Größen -7=, -7=, , sind, nur
kleine Größen sind. Aus dieser Annahme, verbunden mit der
vorhergehenden Relation (II), folgt:
B + D = 6Ä, J?+C=6A, C+i) = 6^„. (in)
Vermöge der Gleichungen (III) zerfällt (§ 7) die allgemeine
Gleichung dritten Grades für die Quadrate der Fortpflanzungs-
geschwindigkeiten in zwei Gleichungen, eine lineare und eine
^) Daß die Belationen in (II) für sich allein nicht genügen« um
bei beliebiger Lage der Wellenebene die Absonderung der longitudi-
nalen Welle zu bewirken, hat Beltrami in dem Aufsatz: „Sulla teoria
delle onde" (Eeale Istituto Lombardo, Kendiconti 1886) gezeigt.
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quadratische. Die letztere ist identisch mit derjenigen, durch
welche der größte und kleinste Radius desjenigen Zentralschnittes
der Fr es n eischen Elastizitätsfläche hestimmt wird, der der
Wellenehene parallel ist. Die Konstruktion der Wurzeln der in
Rede stehenden quadratischen Gleichung ist somit identisch mit
derjenigen, welche Fresnel gegeben hat, um die Geschwindig-
keiten der Fortpflanzung der beiden ebenen Lichtwellen in einer
beliebigen Lage in einem doppelbrechenden Medium zu finden.
Weiter ergibt sich (§ 8), daß die Schwingungen der beiden in
Rede stehenden Wellen sehr nahe parallel der Wellenebene sind,
und zwar so, daß die Richtung jeder Schwingung nahezu senk-
recht auf demjenigen Radiusvektor des Durchschnittes der Wellen-
ebene und der Elastizitätsfläche steht, durch welchen ihre Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit gegeben ist. Die dritte Welle, deren
Fortpflanzungsgeschwindigkeit durch die lineare Gleichung be-
stimmt ist, ist nahezu longitudinal.
Somit sind (§ 9) die Gesetze der doppelten Strahlenbrechung,
insofern sie sich auf die Richtung der gebrochenen Strahlen^)
beziehen, übereinstimmend mit denjenigen, die Fresnel aus seiner
Theorie abgeleitet und der Erfahrung entsprechend gefunden hat,
streng aus den Grundgleichungen der Elastizitätstheorie deduziert.
Man braucht ja nur die Lichtwellen als diejenigen der drei
Wellen, in welche sich die ursprüngliche Wellen ebene im all-
gemeinsten Falle immer teilt, zu definieren, deren Schwingungen
nahezu parallel der Wellenebene sind. Die entwickelte Theorie
erklärt aber nicht allein die Richtung der doppelt gebrochenen
Strahlen; sie zeigt auch ihr Verhalten in Hinsicht der Polarisation,
falls man die Polarisationsebene definiert als die durch
die Wellennormale und die Richtung der Schwingungen
gelegte Ebene, im Gegensatz zu Fresnels Annahme, nach der
die Polarisationsrichtung senkrecht auf der Richtung der Schwin-
gungen steht. Dieser Gegensatz ist ein fundamentaler. Welche
▼on beiden Annahmen den Vorzug verdient, ist jahrzehntelang
zwischen den Physikern streitig gewesen; ein Teil derselben hat
sich der Fresnel sehen, ein anderer Teil der Neumann sehen
Auffassung angeschlossen. Ein stichhaltiger experimenteller Nach-
weis für die Richtigkeit der einen oder der anderen Annahme hat
*) N. B. d. h. eigentlich der Normalen der gebrochenen Wellen,
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sicli bis heute nicht erbringen lassen. Neumanns Schluß, daß
die aus den Elastizitätsgleichungen folgenden Gesetze nur unter
Zugrundelegung seiner Definition mit der Erfahrung überein-
stimmen, daß man also entweder seine Definition annehmen, oder
seine Grundlage der Theorie verwerfen müsse, ist jedenfalls un-
anfechtbar. Auch andere Autoren, die von der Elastizitatstheorie
ausgegangen sind (Green, Mac Cullagh, Lame, Kirch-
hoff usw.), sind zu demselben Resultat gelangt. Welcher Zu-
sammenhang zwischen den beiden Vektoren besteht, die in der
einen und der anderen Theorie die Licht Schwingungen dar-
stellen, ist von Drude (Götting. Nachrichten 1892, S. 361—412)
erörtert. Auch er gelangt zu dem Resultat, daß ein Grund,
eine der Theorien vor der anderen zu bevorzugen, nicht vor-
handen ist.
Daß die Theorie neben den beiden transversalen eine lon-
gitudinale Welle ergibt, von der die Beobachtungen nichts zeigen,
hat zu Bedenken und mannigfachen späteren Modifikationen der
Theorie Veranlassung gegeben. Frei von solchen Bedenken ist
die elektromagnetische Lichttheorie, die allmählich die frühere
elastische Theorie in den Hintergrund zu drängen scheint. Bei
ihr fehlt nicht nur die longitudinale Welle ganz, sondern in ihr
traten gleichzeitig zwei zueinander senkrechte transversale
Schwingungen auf, die magnetische und die elektrische. Bei den
ersteren entspricht die Schwingungsrichtung der Neumann sehen,
bei den letzteren der Fr esn eischen Anschauung.
Wenn aber auch die elastische Theorie der Lichtschwin-
gUDgen einst ganz verlassen werden sollte, die große Bedeutung
dieser und der übrigen optischen Arbeiten Neumanns für die
Entwicklung der theoretischen Optik wird stets anerkannt
Werden müssen.
Zusatz. In seinen Vorlesungen und Seminarübungen hat
Neu mann verschiedene andere Darstellungen der Theorie der
Doppelbrechung gegeben. So enthalten die Vorlesungen über
Elastizität eine Theorie der Lichtwellen im inkompressiblen Äther;
die Annahme der Inkompressibilität, vermöge deren die lon-
gitudinale Welle von vornherein fortfällt, ist von C. Neumann
in seiner Habilitationsschrift (Explicare tentatur, quomodo fiat,
ut lucis planum polarisationis per vires electricas vel magneticas
declinetur, Halle 1858) in die Theorie eingeführt und später in
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den beiden ersten Bänden der mathematischen Annalen (Über die
Ätherbewegung in Kristallen) ausführlich entwickelt.
In derselben Vorlesung sind femer die L am Aschen Differen-
tialgleichungen der Lichtbewegung in Kristallen abgeleitet (siehe
Lam6, leQons sur la tbeorie de T^lasticite des corps solides, 1852,
Vorl. 17 — 24). Neumann geht dabei von der allgemeinsten
Gleichung der Elastizität für Kristalle aus, die 36 Konstanten
enthalten. Führt man die Bedingung der Existenz transversaler
Wellen ein, so reduzieren sich diese auf zwölf. Abstrahiert man
weiter von den longitudinalen Schwingungen, so fallen sechs
weitere Konstanten fort; die übrig bleibenden sechs endlich re-
duzieren sich durch eine schickliche Wahl des Koordinatensystems
auf drei. Auf die weiteren Eesultate einzugehen, würde hier zu
weit führen. •
In den Seminarübungen finden sich noch folgende Erweite-
rungen der Theorie. Die Relationen (III) (S. 74) zwischen den sechs
Konstanten reduzieren sich für Kristalle des regulären Systems,
bei denen A ^= A^ =r. A^^ B = C = D ist, auf die eine
B = SA , \ . . , . . (Illa)
Neumann untersucht, wie sich die Resultate, die bei Statt-
finden der Relation (III a) für reguläre Kristalle die gleichen
sind wie für isotrope Medien, modifizieren, wenn man von der
Relation (III a) absieht. Näheres über die Resultate dieser
Untersuchung, wie auch über eine von Neumann entwickelte
Theorie der zirkulären und elliptischen Polarisation wird weiter-
hin, gelegentlich der Besprechungen der Seminarübungen, mit-
geteilt werden.
2. Eine weitere Abhandlung rein optischen Inhalts bildet die
1832 in Pogg. Ann. 26, 89—122, publizierte „Theorie der
elliptischen Polarisation des Lichtes, welche durch Re-
flexion von Metallflächen erzeugt wird".
Es handelt sich hier nicht um eine eigentliche Theorie der
Metallreflexion, etwa von der Art wie die Theorie der doppelten
Strahlenbrechung, sondern um die Ableitung einfacher Gesetze
aus den Beobachtungen.
Neumann geht, um alle von Brewster, dem wir die ersten
umfassenden Untersuchungen über Metallreflexion verdanken,
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— 78 —
beobachteten Erscheinungen des von Metallflächen reflektierten
Lichtes zu erklären, von folgenden zwei Grundsätzen aus:
1) Die Intensität eines von der Metallfläche reflektierten
polarisierten Lichtstrahles ist bei demselben Einfallswinkel ver-
schieden, je nachdem seine Polarisationsebene in der Reflezions-
ebene lag oder senkrecht gegen diese stand. In dieser Hinsicht
verhalten sich die Metallflächen, wie die Oberflächen durchsichtiger
Körper bei der partiellen Reflexion — und nicht wie diejenigen
Flächen, an welchen totale Reflexion stattfindet.
Das Verhältnis der reflektierten Lichtintensitäten eines senk-
recht und eines parallel zur Reflexionsebene polarisierten Strahles
ist, wie bei der partiellen Reflexion, eine Funktion der Inzidenz,
und zwar wird diese Funktion ein Minimum für die Inzidenz unter
dem Polarisationswinkel, ohne aber = zu werden, und nimmt
von dieser Inzidenz auf beiden Seiten zu, so d&Q sowohl für die
Inzidenz 0^, wie auch für die Inzidenz 90® das Verhältnis gleich
Eins wird.
2) Zwei von einer MetaUfläche reflektierte Strahlen, wovon
der eine parallel, der andere senkrecht zur Reflexionsebene po-
larisiert ist, verhalten sich so, daß der eine, nämlich derjenige,
welcher parallel der Reflexionsebene polarisiert ist, dem anderen
um einen Bruchteil einer Undulationslänge voraus ist.
Das Gesetz, nach dem das unter I. genannte Intensitäts-
verhältnis und die Phasenverzögerung der beiden Komponenten
vom Einfallswinkel abhängt, leitet Neumann ab, indem er den-
selben Strahl wiederholt reflektieren läßt. Geradlinig polarisiertes
Licht geht nach einer Reflexion in elliptisch polarisiertes über,
d. h. in solches, bei dem die Ätherteilchen in elliptischen Bahnen
sich bewegen (Brewster verband mit der Bezeichnung „elliptisch
polarisiert^ einen ganz anderen Begriff). Durch mehrmalige Re-
flexion kann die elliptische Polarisation wiederum in eine gerad-
linige verwandelt werden. Indem Neu mann auf dieses die
Brewster sehen Beobachtungen anwandte, gelangte er zu fol-
genden zwei Gesetzen:
Es seien A, B die Amplituden des einfallenden Lichtes in
der Einfallsebene und senkrecht darauf, die entsprechenden Rom- .
ponenten des einmal reflektierten Lichtes seien sÄ JiadpB; die
letztere Komponente habe zugleich die Phasenverzögerung d gegen
die erstere, so ist für den Einfallswinkel i:
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— 79 —
tg l-zJtj = tgi.tgr^), sini = nsinr-, ... -4)
n bedeutet dabei den sogen annten Brechungskoeffizienten des
Metalls, d. h. die durch
n =z tgc5
definierte Eonstante, wo (5 den Polarisationswinkel vorstellt, so
daß für e = cä die Verzögerung 5 = -J A wird.
Ist ferner p:s = tgß, so ist
,„ß=ji^ — . . .i,
sin(j 27t\
wo ßi der Wert von ß für i = lo ist; es ist das eine für das
einzehie Metall charakteristische Konstante.
Weiter wird gezeigt, daß die Gesetze Ä) und B) die Er-
klärung aller bis dahin bei der Metallreflexion beobachteten Er-
scheinungen liefern, und schließlich wird eine allgemeine Formel
für die bei einer beliebigen Zahl yon Reflexionen an Metall-
flächen erzeugten Farben aufgestellt.
Bemerkt sei noch, daß Neumann in späterer Zeit eine wirk-
liche Theorie der Metallreflexion aufzustellen yersucht hat. Näheres
darüber findet man in den Berichten über das physikalische
Seminar.
3. „Über die optischen Achsen und die Farben zwei-
achsiger Krystalle im polarisierten Licht." [Pogg. Ann.
33, 257—281, 1834.]
Hier wird zunächst die Frage untersucht, was man unter
den optischen Achsen eines zweiachsigen Eristalles zu yerstehen
hat. Brewster, der als erster die Erscheinungen dieser Klasse
von Kristallen untersuchte, bezeichnete als Achsen die Richtungen,
^) In der ursprünf2;UcIien Arbeit steht cotang an Stelle von tang.
Dieser Fehler ist von Neumann selbst in Pogg. Ann. 40, 513 — 514,
1887, berichtigt. Es sei bemerkt, daß in dem eben erschienenen Bd. II
von Neumanns gesammelten Werken eine sehr übersichtliche Ent-
wicklung der Formeln A), B) auf Grund Neum annscher Vorlesungs-
hefte mitgeteilt ist. Hier wird auch die Neumann sehe Anschauung
über die Schwingungsrichtung des polarisierten Lichtes zugrunde ge-
legt, während Neumann selbst sich bei der ersten Ableitung der
Fresn eischen Anschauung angeschlossen hatte.
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— 80 —
in denen der Kristall yon denjenigen Strahlen durchlaufen ist,
die von dem Mittelpunkt der im polarisierten Lichte entstehenden
F'arbenringe nach dem Auge gehen. Es entstand die Frage:
Fallen diese Richtungen mit den Normalen der Kreisschnitte der
Masti Zitatsfläche zusammen, oder mit den Normalen der Kreis-
schnitte des Ellipsoids, dessen Radien die Geschwindigkeiten der
Lichtstrahlen yorstellen? Fresnel scheint zuerst die erstere An-
nahme gemacht, sich später aber der zweiten zugewandt zu haben.
Zur Erledigung der Frage untersucht Neu mann den Gang der
Strahlen durch ein yon zwei parallelen Ebenen begrenztes Kri-
stallblättchen und bestimmt (ohne irgend welche Annahme über
das Gesetz der Brechung im Kristall) den Phasenunterschied des-
jenigen ordentlichen und außerordentlichen Strahles, die, an der-
selben Stelle austretend; den gleich gerichteten gebrochenen Strahl
ergeben und somit interferieren. Für die scheinbaren optischen
Achsen ist jener Phasenunterschied = 0. Daraus folgt, daß diese
Achsen yon Strahlen erzeugt werden, deren Wellennormalen
parallel den Kreisschnitten der Elastizitätsfläche sind. Man
muß daher die Normalen dieser Schnitte die wahren optischen
Achsen nennen.
Außer der Feststellung des Begriffes der optischen Achsen
enthält der Aufsatz noch «eine Theorie der Farbenerscheinungen,
welche ein Blättchen eines zweiachsigen Kristalls bei schiefem
Durchgange des Lichtes zeigt. Es werden zu dem Zweck für die
Intensität der beiden oben erwähnten interferierenden Strahlen
angenäherte Ausdrücke aufgestellt, und mit deren Hilfe ein Aus-
druck für die Intensität des Lichtes, welches aus der Interferenz
entsteht, gefunden.
Zum Schluß endlich wird gezeigt, daß man für die Fort-
pflanzungsgeschwindigkeit der beiden zu einer Wellennormale
gehörigen Wellen eines zweiachsigen Kristalles sehr einfache Aus-
drücke gewinnt, wenn man statt der Richtungskosinus jener
Normale ihre Winkel mit den optischen Achsen einführt. Dieses
Resultat ist für die folgende große Arbeit über Kristallreflexion
sehr wichtig. Der obige Ausdruck für die Phasen differenz der
interferierenden Strahlen yereinfacht sich dadurch erheblich.
4. Theoretische Untersuchung der Gesetze, nach
welchen das Licht an der Grenze zweier yollkommen
durchsichtigen Medien reflektiert und gebrochen wird.
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— 81 —
In den Separatabzügen lautet der Titel zutreffender: Über
den Einfluß der Krystallflachen bei der Reflexion des
Lichtes und über die Intensität des gewöhnlichen und
ungewöhnlichen Strahls. Gelesen in der Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin am 7. Dez. 1835. Abhandlungen der Berliner
Akademie für das Jahr 1835, S. 1 — 160 (erschienen 1837).
Diese große Abhandlung bildet eine wesentliche Ergänzung
zu Neumanns Theorie der doppelten Strahlenbrechung; muß
doch eine vollständige Theorie nicht nur yon den Bewegungen
im Innern eines Mediums Rechenschaft geben, sondern auch von
dem Übergang yon einem Medium zum anderen. Sodann aber
war zu entscheiden, ob sich bei Zugrundelegung der Neumann-
schen Definition der Polarisationsebene für die reflektierten Licht-
mengen und die Drehung, welche die ursprüngliche Polarisations-
ebene durch Reflexion erleidet, die Fresn eischen, durch die
Erfahrung als richtig erwiesenen Formeln ergeben. Eine Ver-
neinung dieser Frage hätte die Grundlagen yon Neumanns
Theorie der doppelten Strahlenbrechung erschüttert. Es hätte
zur Entscheidung dieser Frage genügt, nur den Vorgang an der
Grenze zweier unkristallinischen Medien zu untersuchen, wäh-
rend Neumann dem Problem der Reflexion die größtmögliche
Ausdehnung gibt und durch die glückliche Überwindung äußerst
mühsamer Rechnungen zu einer Fülle yon neuen Resultaten ge-
langt. Dabei zieht er sowohl einachsige, als zweiachsige Kristalle
in den Kreis seiner Betrachtungen und behandelt alle diese Fälle
auf Grund derselben einfachen Prinzipien.
Obwohl rein theoretisch wie die Arbeit über die doppelte
Strahlenbrechung, hat diese Abhandlung doch einen wesentlich
anderen Charakter. Hatte Neumann in jener Arbeit auf die aller-
ersten Ursachen der Erscheinungen, nämlich auf die Kräfte, mit
denen die einzelnen Ätherteilchen gegenseitig aufeinander ein-
wirken, zurückgegriffen, und hatte er auf Grund dieser Kräfte und
mittels der allgemeinen Gleichungen der Mechanik die Erschei-
nungen erklärt, so geht er hier yon einem gewissen Kreise yon Vor-
stellungen aus, die durch besondere Einfachheit ausgezeichnet sind,
und deren Richtigkeit durch die Erfahrung höchst wahrscheinlich
gemacht ist. Vor allem läßt er die longitudinale Welle, auf die er
in der Theorie der doppelten Strahlenbrechung geführt war, ganz
beiseite und nimmt die Lichtschwingungen als rein transversal an,
Wan gerin, Franz Keumann. q
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und zwar auch in den durch Reflexion und Brechung entstehenden
Wellen. Freilich bringt diese Fortlassung der longitudinalen
Wellen den Übelstand mit sich, daß man den strengen Grenz-
bedingungen der Elastizit&tstheorie (Gleichheit der Yerrückungen
und Gleichheit der Komponenten des elastischen Drucks in der
Grenzfläche) nicht genügen kann; denn diese strengen Bedin-
gungen würden für vier zu bestimmende Größen sechs Bedingungs-
gleichungen ergeben, und zwar Bedingungsgleichungen, die mit-
einander unyerträglich sind. Neu mann beseitigt diese Schwierig-
keit, indem er die YÖUige Kontinuität der Vibrationen beider
Medien postuliert und dazu das Prinzip der lebendigen Kraft heran-
zieht. Er rechtfertigt die Benutzung dieses Prinzips mit der Er-
fahrung, daß es wirklich Körper gibt, bei denen die Intensität
des einfallenden Lichtes genau ebensogroß ist wie die Summe der
Intensitäten des reflektierten und gebrochenen Lichtes. Bemerkt
sei, daß Kirchhoff (Über die Reflexion und Brechung des Lichts
an der Grenze kristallinischer Medien, Abhandlungen der Berliner
Akademie der Wissenschaften 1876, S. 57 — 89) nicht direkt das
Prinzip der lebendigen Kraft benutzt, sondern einen auf die Grenz-
fläche wirkenden fremden, etwa Ton den wägbaren Teilen beider
Medien herrührenden Druck annimmt, der den elastischen Kräften
das Gleichgewicht hält, und dessen Arbeit verschwindet. Für
die Partikularlösungen der allgemeinen Gleichungen, die ebene
Wellen darstellen, folgt daraus die Gültigkeit des Satzes von der
Erhaltung der lebendigen Kraft.
Die Vorstellungen, die der Neumann sehen Reflexionstheorie
zugrunde liegen, sind folgende:
1) Die Verschiedenheit der Fortpflanzungsgeschwindigkeiten
in yerschiedenen Medien oder die Brechung des Lichtes rührt bei
vollkommen durchsichtigen Medien allein her von der Verschie-
denheit der Elastizität des Äthers; die Dichtigkeit desselben
ist in allen diesen Medien gleich.
2) Das einfallende Licht besteht aus Transyersalschwin-
gungen und erzeugt bei der Reflexion und Refraktion nur eben-
solche Schwingungen.
3) Die Richtung der Schwingungen liegt überall, in kri-
stallinischen und nichtkristallinischen Medien, in der Wellenebene.
4) Die Polarisationsebene einer Wellenebene ist die durch
ihre Normale und die Richtung ihrer Bewegung gelegte Ebene.
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— 83 —
5) Die EomponenteD der Bewegung, welche einem in der
Grenzfläche gelegenen Teilchen von der einfallenden und den
reflektierten Wellenebenen erteilt wird, sind gleich den Kompo-
nenten der 'Bewegung, welche ihnen Ton den gebrochenen Wellen-
ebenen erteilt wird.
6) Die lebendige Kraft in der einfallenden Wellenebene ist
gleich der Summe der lebendigen Kräfte in den reflektierten
Wellenebenen und in den gebrochenen Wellenebenen.
Wegen der Gleichheit der Dichtigkeiten ist die lebendige
Kraft in jeder der drei Wellen proportional dem Quadrat der
Amplitude, multipliziert mit dem Ton den Bewegungen derselben
Undalation eingenommenen Baume.
Von diesen Vorstellungen sind die in 1), 4) und 5) angegebenen
deswegen besonders beachtenswert, weil sie den Unterschied der
Neumannschen Auffassung gegenüber der Fr esn eischen deut-
lich zutage treten lassen. Ad 1) nämlich nimmt Fresnel an, daß
in allen Medien der Äther gleiche Elastizität, aber verschiedene
Dichtigkeit habe; die yerschiedene Dichtigkeit bedinge die Ver-
schiedenheit des Brechungsvermögens. Diese Hypothese verwirft
Neumann, da man in kristallinischen Medien wohl verschiedene
Elastizität nach verschiedenen Richtungen annehmen kann, aber
nicht verschiedene Dichtigkeit. Der Punkt 4) ist schon bei Be-
sprechung der Arbeit über die doppelte Strahlenbrechung erörtert.
In 5) weicht Neu mann insofern von Fresnel ab, als letz-
terer nur die Gleichheit der Schwingungskomponenten parallel der
brechenden Fläche annimmt.
Die obigen Grundsätze werden nun zunächst angewandt auf
die Reflexion an der Grenze zweier unkristallinischen Medien, und
zwar zuerst für Licht, das senkrecht zur Einfallsebene schwingt,
sodann für Schwingungen in der Einfallsebene. Im ersteren Falle
ergeben die Grenzbedingungen 5), 6) zwei Gleichungen für zwei
zu bestimmende Größen, eine lineare und eine quadratische, letztere
aber läßt sich durch die erstere dividieren und reduziert sich so-
mit ebenfalls auf eine lineare Gleichung. Diese drückt für un-
kristallinische Medien aus, daß der Druck auf die brechende
Fläche, welcher durch die Verschiebung der Teile im ersten Medium
entsteht, dieselbe Komponente senkrecht auf der Einfallsebene
hat, wie der Druck, welcher durch die Verschiebung im zweiten
Medium entsteht. Im zweiten Falle erhält man drei Gleichungen
6*
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zur Bestimmung zweier Größen, von denen aber die durch 6) ge-
liefet te eine Folge der beiden anderen ist. Die neue Theorie gibt
für die Intensitäten des reflektierten und gebrochenen Lichtes
genau die Fresn eischen Formeln» die ihrerseits durch' zahlreiche
Beobachtungen bestätigt sind.
Nachdem sich so die an die Spitze gestellten Grundsätze bei
unkristallinischen Medien bewährt haben, werden sie weiter auf
den Fall angewendet, wo die Zuriickwerfung und Brechung des
Lichtes an der Grenze eines unkristaUinischen und eines y oll-
kommen durchsichtigen einachsigen kristallinischen Mediums
geschieht. Hier erfordert die Lösung des Problems erheblich um-
fangreichere und kompliziertere analytische Entwicklungen. Die
Komplikation rührt einmal von der verschiedenen Orientierung
sowohl der brechenden Fläche, als der einfallenden Wellenebene
gegen die rechtwinkligen Elastizitätsachsen des kristallinischen
Mediums her. Da ferner die beiden gebrochenen Wellen gegebene
Schwingungsrichtungen haben, so kann man nicht, wie vorher,
die Fälle, wo das einfallende Licht parallel oder senkrecht zur
Einfallsebene polarisiert ist, getrennt behandeln. Auch macht
die Aufstellung des Ausdrucks für die lebendige Kraft der außer-
ordentlichen gebrochenen Welle besondere Betrachtungen erforder-
lich. Denn denkt man sich in dem unkristallinischen Medium
ein rechtwinkliges Parallelepipedon , dessen Grundflächen zwe*
Lagen der einfallenden Wellenebene sind, so hat sich die in diesem
enthaltene Bewegung nach der Brechung auf ein schiefwinkliges
Parallelepipedon ausgebreitet, das von zwei entsprechenden Lagen
der gebrochenen außerordentlichen Wellenebene begrenzt wird.
Die Grrundsätze 5) und 6) liefern hier vier Gleichungen, die als
Unbekannte enthalten: die beiden Komponenten der reflektierten
Amplitude parallel und senkrecht zur Einfallsebene und die Ampli-
tuden der beiden gebrochenen Wellen. Von diesen Gleichungen
sind drei linear und eine quadratisch; letztere läßt sich auch hier
mittels der drei ersten auf eine lineare zurückführen, doch er-
fordert diese Reduktion eine längere Rechnung. Aus den so er-
haltenen vier linearen Gleichungen, deren Auflösung keine
Schwierigkeit bietet, wird nun eine Reihe von Folgerungen ge-
zogen. Zunächst wird gezeigt, daß, wenn die beiden gebrochenen
Wellen zusammenfallen, die Resultate in die für unkristallinisohe
Medien gefundenen übergehen. Femer werden die Gesetze der
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— 85 —
Polarisation des von einer beliebigen Kristallfläche reflektierten
Lichtes untersucht. Auch hier existiert, wie bei der Reflexion
an unkristallinischen Medien, ein Polarisationswinkel; es ist der-
jenige Einfallswinkel, unter welchem natürliches Licht reflektiert
werden muß, damit es YoUständig polarisiert sei. Die Polari-
sationsebene des durch Reflexion yoUständig polarisierten Lichtes
fällt dann aber nicht mehr, wie bei unkristallinischen Medien,
mit der Reflexionsebene zusammen, sondern bildet mit ihr einen
Winkel, der die Ablenkung der Polarisationsebene genannt wird.
Ein einfacher Ausdruck für den Polarisationswinkel ergibt sich
nur, wenn die Reflexionsebene parallel mit dem Hauptschnitt der
reflektierenden Ebene ist, während jener Winkel im allgemeinen
von einer Gleichung vierten Grades abhängt; für die allein in
Betracht kommende Wurzel dieser Gleichung wird eine Näherungs-
formel entwickelt. Die Resultate werden auf Beobachtungen an-
gewandt, die Seebeck über den Polarisationswinkel am Kalkspat
angestellt hat, und es zeigt sich, daß die beobachteten und be-
rechneten Werte jenes Winkels für die verschiedensten Lagen der
Reflexionsebene bis auf wenige Minuten übereinstimmen. „Ich
glaube nicht", sagt Neu mann, „daß man eine größere Überein-
stimmung der Beobachtungen mit der Theorie erwarten darf; sie
bestätigt ebenso sehr die Richtigkeit der Theorie, als sie die
große Geschicklichkeit des Beobachters erweist." Nachdem noch
ein einfaches Theorem über die Beziehung zwischen dem Polari-
sationswinkel und der Ablenkung der Polarisationsebene abgeleitet
ist, wird speziell der Fall untersucht, in dem das den einachsigen
Kristall umgebende Medium nahezu denselben Brechungs-
koeffizienten hat wie der Kristall. Dieser Fall tritt ein, wenn
auf der reflektierenden Fläche sich eine Schicht einer Flüssigkeit
befindet, in welcher sich das Licht nahezu ebenso scbnell bewegt,
wie in dem Kristall. Dadurch werden einige Größen, welche von
der Doppelbrechung abhängen, außerordentlich vergrößert, z. B. die
Ablenkung der Polarisationsebene. Für diese Ablenkung ergeben
die Neumann sehen Formeln Werte, die mit Beobachtungen von
Brewster auf einer mit Cassiaöl bedeckten natürlichen Bruch-
fläche des Kalkspats gut übereinstimmen. Weiter sind noch fol-
gende Ergebnisse bemerkenswert. Wenn der Brechungskoeffizient
des umgebenden Mediums zwischen dem gewöhnlichen und un-
gewöhnlichen des Kristalls liegt, ist unter Umständen der Po-
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larisatioDswinkel unmöglich. Hat das umgebende Medium genau
den gewöhnlichen Brechungskoeffizienten des Kristalls, so ist das
reflektierte Licht stets yoUständig polarisiert. Ist der Brechungs-
koeffizient des umgebenden Mediums wenig yon denen des Kri-
stalls verschieden, so findet unter allen Reflexionswinkeln nahezu
eine yollständige Polarisation statt.
Doch nicht allein das Verhalten des reflektierten Lichtes er-
gibt sich aus den Grundformeln, sondern ebenso das der ge-
brochenen Strahlen. Es werden die Gesetze abgeleitet, nach
welchen ein polarisierter Strahl bei seinem Eintritt in einen
optisch einachsigen Kristall sich zwischen dem gewöhnlichen und
ungewöhnlichen Strahl teilt Es werden diejenigen Azimute der
Polarisation des eintretenden Strahls bestimmt, bei welchen der
gewöhnliche oder der ungewöhnliche Strahl yerschwindet, wie auch
die Intensität der beiden Strahlen für den Fall, daß das ein-
tretende Licht unpolarisiert war.
Bezogen sich die bisherigen Betrachtungen auf die Phäno-
mene, welche den Eintritt eines Lichtstrahls in ein einachsiges
kristallinisches Medium begleiten, so wird weiter auch der Aus-
tritt eines Strahls aus einem solchen Medium untersucht. Hier
entstehen aus jeder einfallenden Welle, sei dieselbe eine ordent-
liche oder außerordentliche, je zwei reflektierte Wellen. Die
Ausdrücke für die Amplituden derselben werden entwickelt und
auf den Fall der totalen Reflexion angewandt. Die Ausdrücke für
die Amplituden der reflektierten Strahlen sind dann nicht mehr
reell, lassen sich aber mittels desselben Räsonnements , das
Fresnel auf den analogen Fall bei unkristallinischen Medien an-
gewandt hat, interpretieren. Für den Fall der nicht totalen Re-
flexion werden auch die Intensitäten der beiden gebrochenen
Wellen (deren eine durch eine einfallende ordentliche, die andere
durch eine einfallende außerordentliche Welle entsteht) abgeleitet
und die Lage ihrer Polarisationsebene bestimmt. Die Resultate
gestatten die Beantwortung der Frage, wie das Licht eines po-
larisierten Strahls, nachdem es durch ein Prisma aus einem kri-
stallinischen einachsigen Medium gegangen ist, sich verteilt hat
zwischen dem gewöhnlichen und ungewöhnlichen Strahl. Speziell
wird das erörtert für Prismen, deren brechende Kante der
Kristallachse parallel ist oder auf ihr senkrecht steht. Auch der
Durchgang des Lichtes durch ein yon zwei parallelen Ebenen be-
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grenztes kristalliDisches Medium, das auf beiden Seiten yon dem-
selben unkristallinischen Medium umgeben ist, läßt sich auf Grund
der allgemeinen Formeln yollständig erledigen. Yon besonderem
Interesse ist die Anwendung der gefundenen Ausdrücke auf den
Fall, in dem das kristallinische Blatt chen so dünn ist, daß sich
der gewöhnliche und der ungewöhnliche Strahl nicht trennen.
Hier wird unter anderem die Relation aufgestellt, die zwischen
Einfallswinkel, Azimut der Einfallsebene und Azimut der ur-
sprünglichen Polarisation bestehen muß, damit das durchgegangene
Licht so Yollständig als möglich polarisiert ist.
Noch umfassendere Rechnungen als bei einachsigen Kristallen
erfordert die Untersuchung der Reflexion und Brechung bei zwei-
achsigen Kristallen, ^er der zweite Teil der Neumann sehen Ab-
handlung gewidmet ist. Doch reichen auch hier die an die Spitze
gestellten Grundsätze zur Erledigung der Aufgabe yollständig
aus. Der Entwicklung der eigentlichen Reflexionsformeln ist ein
einleitender Paragraph yorangeschickt, in dem die allgemeinen
Formeln aufgestellt werden, wodurch für Wellenebenen von ge-
gebener Normalenrichtung die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten,
die Richtungen ihrer Bewegungen und die Lage der zugehörigen
Strahlen ^) bestimmt werden. Letztere stehen , wie gezeigt wird,
stets auf den Richtungen ihrer Undulationen senkrecht. Die
Formeln für die Fortpflanzungsgeschwindigkeiten der beiden der-
selben Ebene parallelen Wellen erhalten einen sehr einfachen
Ausdruck durch Einführung der Winkel, welche die Normale
jener Ebene mit den optischen Achsen bildet. Auch auf die Er-
scheinungen der äußeren und inneren konischen Refraktion wird
dabei eingegangen.
Bei der Erledigung der eigentlichen Aufgabe macht die
Zurückführung der sich aus dem Prinzip der lebendigen Kraft
ergebenden quadratischen Gleichung auf eine solche ersten Grades
einige Schwierigkeiten. Damit jene Reduktion unter Benutzung
^) Dei^ zu einer Wellenebene gehörige Strahl ist die Linie, in
welcher sich der Durchschnittspunkt dieser Wellenebene mit anderen
Wellenebenen, die in ihrer Richtung nur unendlich wenig verschieden
von der ersten sind, bewegt. Oder anders ausgedrückt: Betrachtet
man die Wellenebenen als Tangentialebenen der Wellenfläche, so ist die
Wellennormale das Lot auf eine Tangentialebene, der Strahl der Badius-
Vektor nach dem Berührungspunkt dieser Tangentialebene.
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— 88 —
der übrigen Grenzbedingungen geliogt, ist das Bestehen einer ge-
wissen Gleichung nötig, von deren Richtigkeit Neu mann selbst
durch eine geometrische Konstruktion auf der Eugelfläche sich
auf einem etwas mühsamen Wege überzeugt hat. Einen ein-
facheren Beweis für das Bestehen jener Relation hat Jacobi ge-
funden; er wird in der Abhandlung mitgeteilt, und daran werden
noch andere analoge Relationen geknüpft, die im weiteren Verlauf
der Arbeit Verwendung finden. So werden, ganz analog wie bei
einachsigen Kristallen, für die Amplituden der gebrochenen Wellen
sowie für die beiden Komponenten der Amplituden des reflek-
tierten Lichtes vier lineare Gleichungen gewonnen, die sich leicht
auflösen lassen. Die Resultate werden zunächst auf spezielle
'Lagen der Einfallsebene gegen die optischen Achsen angewandt.
Eine andere Anwendung betrifft die konische Eefrakfion. In
diesem Falle werden die Ausdrücke für die Amplitude des reflek-
tierten und gebrochenen Lichtes unbestimmt. Man überwindet
aber diese Schwierigkeit, wenn man sich den einfallenden Strahl
'aus einem Kegel dadurch entstanden denkt, daß die Kanten des-
selben mit seiner Achse zusammengefallen sind. So ergibt sich
die Lichtintensität und die Lage der Polarisationsebene in den
verschiedenen Seiten des Lichtkegels, in welchen der einfallende
Strahl sich zerspaltet, und zwar zunächst für eine spezielle, so-
dann für eine beliebige Lage der brechenden Fläche. Ferner
wird das wichtige Resultat abgeleitet, daß die konische Refraktion
auf die Erscheinung der Reflexion keinen Einfluß hat. Auch die
Verteilung des Lichtes in dem Refraktionskegel, wenn das ein-
fallende Licht unpolarisiert war, wird erörtert, ebenso die Ver-
teilung des Lichtes in dem Falle, wo das einfallende Licht nicht
ein einfacher Strahl, sondern ein Strahlenzylinder ist.
Weitere Folgerungen aus den Grundgleichungen betreffen
die Polarisation des reflektierten Lichtes. Die Berechnung des
Polarisationswinkels, der genau wie bei einachsigen Kristallen
definiert wird, läßt sich vollständig nur durchführen, wenn die
Einfallsebene mit einer der drei rechtwinkligen Ebenen zusammen-
fällt, die durch die Elastizitätsachsen gelegt sind. Für die anderen
Lagen der Einfallsebenen wird ein angenäherter Ausdruck auf-
gestellt, aus dem folgende zwei Sätze abgeleitet werden:
a) In jeder reflektierenden Ebene gibt es zwei aufeinander
rechtwinklige Azimute der Einfallsebenen} in welchen der Winkel
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der YoUständigen Polarisation ein Maximum und ein Minimum ist.
In Beziehung auf diese Azimute ist das System von Polarisations-
winkeln der Ebene symmetrisch verteilt Die zwei Einfallsebenen
des größten und kleinsten Polarisationswinkels sind parallel dem
größten und kleinsten Radiusvektor des Schnittes, den die reflek-
tierende Ebene mit der Elastizitatsfl&che bildet, durch deren
Mittelpunkt gelegt.
b) Wenn die reflektierende Ebene senkrecht auf einer der
optischen Achsen steht, sind die Winkel der vollständigen Po-
larisation in allen Azimuten gleich.
Was die Ablenkung der Polarisationsebene bei Reflexion unter
dem Polarisationswinkel betrifft, so gibt es im allgemeinen vier
Azimute der Reflexionsebene, für welche die Ablenkung == ist;
zwei von ihnen sind immer reell. Auch auf den reflektierenden
Ebenen, die senkrecht auf den optischen Achsen stehen, findet
sich, obgleich in allen Azimuten der Polarisationswiokel der gleiche
ist, eine Ablenkung der Polarisationsebene, deren Größe von jenen
Azimuten abhängt.
Auch die Drehung, welche die Polarisationsebene bei Reflexion
unter einem beliebigen Winkel erleidet, wird untersucht. Dabei
ergibt sich, daß diejenigen Strahlen, die, ursprünglich parallel
der Einfallsebene oder senkrecht zu ihr polarisiert, nach der Re-
flexion ihre Polarisationsebene unverändert beibehalten, auf einem
Kegel dritter Ordnung liegen; dieser Kegel ist wichtig für die
Untersuchung der Fälle, in welchen, unter den beiden genannten
Annahmen über die Polarisation des einfallenden Lichtes, im ge-
brochenen Lichte einer der beiden Strahlen verschwindet. Die-
selbe Frage wird sodann aber auch allgemein erledigt, indem das-
jenige Azimut der ursprünglichen Polarisationsebene bestimmt wird,
bei welchem einer der beiden gebrochenen Strahlen verschwindet.
Die Ausdrücke für die Amplituden des reflektierten und des einen
gebrochenen Strahles gestalten sich dann besonders einfach.
In ähnlicher Weise, wie der Eintritt des Lichtes in ein zwei-
achsiges Medium, wird zum Schluß auch der Austritt des Lichtes
aus einem solchen in ein unkristallinisches Medium behandelt, und
die Resultate werden auf den Durchgang des Lichtes durch ein
von parallelen Ebenen eingeschlossenes Medium angewandt. Die
abgeleiteten Formeln, deren Wiedergabe hier zu weit führen würde,
sind wichtig für die Theorie der Farben, welche kristallinische
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Blättchen im polarisierten Lichte zeigen. Ans den in Bede
stehenden Formeln ergeben sich übrigens, wenn man alles, was
Yom Unterschiede der Elastizit&tsachsen abh&ngt, Temachlassigt,
dieselben Näher nngsformeln, die Neumann in einer anderen
Arbeit (s. S. 79) direkt abgeleitet hatte.
5. Prioritätsstreit mit Mac CuUagh. An die eben
besprochene Arbeit schloß sich ein Prioritätsstreit mit Mac
Cullagh. Letzterer Forscher hatte sich um dieselbe Zeit wie
Neumann mit dem Problem der Kristallreflexion beschäftigt
und war im wesentlichen yon denselben Grundvorstellungen aus-
gegangen wie Neumann. Er war jedoch zunächst (1835) zu
Ergebnissen (yeröff entlicht im Februar 1836 im PhiL Mag.) ge-
langt, die, wie Seebeck 1836 (Pogg. 38) zeigte, mit der Beob-
achtung nicht übereinstimmten. Auf Grund der Seebeckschen
Bemerkungen hat dann Mac Cullagh seine Theorie modifiziert;
seine neuen Resultate sind in dem PhiL Mag. X (1837) Ter-
öfEentlicht. Da diese Veröffentlichung etwas eher als Neumanns
große Arbeit erschienen war, nahm Mac Cullagh Neumann
gegenüber die Priorität für sich in Anspruch, und ihm stimmte
Hamilton beL In einem Briefe an letzteren (abgedruckt in den
Proceedings of the Royal Irish Academy, 1838, No. 30) erhob
Neumann dagegen Widerspruch und legte den Sachrerhalt dar.
Er habe, sagt er, Yon seinen Resultaten schon 1833 und 1834
verschiedenen Gelehrten, unter anderen A. Seebeck, Mitteilung
gemacht, auch einen Auszug seiner Abhandlung 1834 an Arago
zum Abdruck in den Annales de Chimie et de Physique geschickt,
der aber nicht in des Adressaten Hände gelangt sei Im übrigen
habe er das schon 1834 YoUendete Manuskript im Dezember 1835
der Berliner Akademie übergeben. Der letztere Umstand ist jeden-
falls entscheidend für die Priorität Neumanns. Neumann ist
der erste, der die richtigen Formeln für die Kristallreflexion ab-
geleitet hat. Daß Mac Cullagh unabhängig von Neumann
zu denselben Resultaten gelangt ist, ist nicht zu bezweifeln. Die
Priorität aber kommt Neumann zu, und die Bemerkungen, die
Mac Cullagh an Neumanns Brief geknüpft hat, können das
Ergebnis nicht umstoßen.
An die grüße Arbeit über Kristallreflexion schließen sich die
folgenden beiden 1837 in Pogg. Ann. veröffentlichten Aufsätze
an. Ihre Titel sind:
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6. Photometrisclies Verfahren, die Intensität der
ordentlichen und außerordentlichen Strahlen, sowie die
des reflektierten Lichtes zu hestimmen; Bemerkungen
zu Herrn Cauchys Vervielfältigung des Lichtes in der
totalen Reflexion; Reproduktion der Fresnelschen For-
meln uher totale Reflexion (Pogg. Ann. 40, 497—514).
7. Beobachtungen über den Einfluß der Erystall-
flächen auf das reflektierte Licht und über die Inten-
sität des ordentlichen und außerordentlichen Strahles.
(Pogg. Ann. 42, 1—30.)
In beiden Arbeiten wird das folgende eigenartige Verfahren
auseinandergesetzt, um dieselbe Aufgabe, die in der Arbeit über
Eristallreflexion theoretisch gelöst ist, rein experimentell zu lösen,
d. h. um die Verteilung des Lichtes, wenn es auf die Oberfläche
eines durchsichtigen kristallinischen Mediums fällt, zwischen dem
reflektierten Strahle, dem ordentlichen und dem außerordentlichen
Strahle zu finden. Die einfallende polarisierte Welle denke man
in zwei andere zerlegt, deren erste parallel der Einfallsebene
polarisiert ist, die zweite senkrecht dazu; ihre Amplituden seien
bzw. S und P. Die reflektierte Welle, auf gleiche Weise zerlegt,
habe die Amplituden Es und Bp. Endlich seien die AmpUtuden
der gebrochenen ordentlichen Welle D', die der außerordentlichen
D". Da die letzteren vier Größen lineare Funktionen der beiden
ersten sein müssen, setze man:
Bp=pP + s'8, Bs =p*P + sS,
Dann kann man zunächst die Verhältnisse n' : ö' und ;r" : ö" be-
stimmen, indem man dasjenige Polarisationsazimut des einfallenden
Strahles aufsucht, bei welchem der ordentliche, bzw. der außer-
ordentliche Strahl verschwindet. Femer ergeben sich die Ver-
hältnisse der Faktoren p, s\ p\ s, wenn man zu drei gegebenen
Werten des Polarisationsazimuts des einfallenden Lichtes das zu-
gehörige Polarisationsazimut des reflektierten Lichtes beobachtet.
Zur Ermittelung der noch fehlenden drei Faktoren j?, s\ ..., ö"
dient die Gleichung, welche die vollkommene Durchsichtigkeit des
kristallinischen Mediums ausdrückt:
P2^S^ = B; + B! + uim + a"2)"a,
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eine Gleichung, aus der, da sie für beliebige Werte yon P und 8
gilt, drei Relationen zwischen den Koeffizienten folgen. In der
ersten der beiden in Eede stehenden Arbeiten wird das Verfahren
an einer kleinen Keihe Yon Beobachtangen erläutert, während in
der zweiten Arbeit sieben größere Reihen von sehr sorgfältigen
Beobachtangen, sämtlich an der natürlichen Bruchfläche des Kalk-
spats angestellt, mitgeteilt werden. Diese sämtlichen Beobach-
tungen stimmen sehr gut mit den numerischen Resultaten über-
ein, die aus den theoretischen Formeln der Kristallreflexion folgen.
Die Abweichung zwischen Rechnung und Beobachtung beträgt
fast durchweg nur wenige Minuten. Das Instrument, mit
dem die Beobachtungen angestellt sind, zu beschreiben, würde
hier zu weit führen, ebensowenig wie wir auf die Beobachtungen
selbst und die Art, wie dieselben zur Elimination der möglichen
Fehler kombiniert werden, eingehen können. Bemerkt werden
aber muß, daß derartige Messungen vor Neumann nicht an-
gestellt sind, da sich frühere Beobachter (z. Ü. Seebeck) auf die
Beobachtungen der vollständigen Polarisation des natürlichen
Lichtes durch Reflexion beschränkten. Auch auf diese Seebeck-
schen Beobachtungen geht Neumann ein und zeigt ihre Über-
einstimmung mit seinen Formeln. Die Formeln für die Koeffizienten
«', a" findet Neumann ebenfalls experimentell bestätigt; er
schließt daraus, daß seine theoretischen Formeln nur in der
Voraussetzung als wirklich erwiesen angesehen werden können,
daß in allen Medien der Äther dieselbe Dichtigkeit hat.
Die erste der beiden jetzt in Rede stehenden Arbeiten ent-
hält noch folgendes. Zunächst wird gezeigt, daß zur Herleitung
der Fr esn eischen Formeln für die Intensität des an un-
kristallinischen Medien reflektierten und gebrochenen Lichtes
nur die Gleichung, welche die vollkommene Durchsichtigkeit aus-
drückt, verbunden mit den aus den Brewst er sehen Beobach-
tungen folgenden Formeln für JRp : JRa und Dp : D^ (R bezieht sich
auf das reflektierte, D auf das gebrochene Licht) nötig ist, daß
somit die Fr esn eischen Formeln vollständig und allein aus der
Beobachtung erwiesen sind.
Weiter wird darauf hingewiesen, daß der von Cauchy aus
seinen Formeln gezogene falsche Schluß, wonach in dem Augen-
blicke, wo die totale Reflexion eintritt, der gebrochene Strahl,
statt zu verschwinden, eine außerordentliche Vervielfältigung er-
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fahren soll, daher rührt, daß Cauchy als Verhältnis der Intensität
des gehrochenen und des einfallenden Lichtes das Verhältnis der
Quadrate ihrer Amplituden genommen habe, statt des Verhält-
nisses ihrer lebendigen Kräfte.
Endlich wird noch gezeigt, wie die Cauchy sehe direkte Ab-
leitung der Formeln für Totalreflexion durch Einführung von
Exponentialfunktionen neben den trigonometrischen (eine Ab-
leitung, welche die willkürliche Fresnelsche Interpretation der
imaginären Ausdrücke vermeidet) sich bei Zugrundelegung der
Neum an n sehen Grundprinzipien der Eeflexion gestaltet. Dabei
wird die Gleichung der lebendigen Kraft ersetzt durch die aus ihr
folgende lineare Gleichung, deren Bedeutung für unkristallinische
Medien oben angegeben ist (s. S. 83).
b) Andere der Kristallphysik angehörige Arbeiten.
1. Die thermischen, optischen und krystallographi-
schen Achsen des Krystallsystems des Gipses. [Pogg.
Ann. 27, 240—274, 1833.]
Die Arbeit beginnt mit allgemeinen Erörterungen, die zu dem
Resultate fuhren, daß es in allen kristallinischen Formen ein
rechtwinkliges kristallographisches Achsensystem gibt, das identisch
ist mit dem der thermischen und dem der Hauptdruckachsen; mit
diesem, System fällt unter gewissen Voraussetzungen über die
Struktur des Mediums das der optischen Hauptachsen und das
Achseu System der Kohäsionskräfte zusammen. Zur Prüfung dieses
Satzes untersucht Neumann die Lage der optischen und thermi-
schen Achsen des Gipses. Einleitend beschreibt er die bis dahin
am Gipssystem beobachteten Kristallflächen und teilt einige neue,
von ihm an Gipskristallen angestellte Winkelmessungen mit, auf
Grund deren er die Messungen von Phillips (El. Introd. to the
Kn. of Mineralogy. Third. Ed., London 1823) diskutiert. Sodann
zeigt er, daß die Bestimmung der thermischen Achsen in einem
zwei- und eingliedrigen System sich darauf reduziert, in der die
Gestalt symmetrisch teilenden Ebene zwei aufeinander senkrechte
Linien zu flnden, welche auch nach der Temperaturveränderung
rechtwinklig gegeneinander geneigt sind. Diese gesuchten Linien
ergeben sich, falls man die absolute Ausdehnung zweier beliebigen
Linien der Symmetrieebene und die Änderung ihres Neigungs-
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Winkels kennt, mittels einer quadratischen Gleichung, von der
sich zeigen läßt, daß sie stets zwei reelle Wurzeln hat. Nach
diesem Verfahren werden die thermischen Achsen des Gipses
bestimmt; die eine liegt sehr nahe der Normale der schiefen End-
fläche. Weiter werden noch die linearen Ausdehnungen in yer-
schiedenen Richtungen, insbesondere die in den thermischen
Achsen stattfindenden, bestimmt; endlich wird gezeigt, daß beim
Gips, innerhalb der Beobachtungsfehler, die thermischen und die
optischen Achsen zusammenfallen, und daß die Flächen des Gips-
systems zu diesen Achsen in einfacher Beziehung stehen.
Hinsichtlich der hier ausgesprochenen allgemeinen Sätze hat
sich Neumanns Anschauung in späterer Zeit geändert, wozu
wohl seine eigenen, in der folgenden Arbeit mitgeteilten Beob-
achtungen den Anstoß gegeben haben mögen. Er hat (s. Ge-
sammelte Werke 2, 296) in den fünfziger Jahren in seinen Vor-
lesungen über Mineralogie ausdrücklich darauf hingewiesen, daß
von einem genauen Zusammenfallen der optischen Hauptachsen
mit den thermischen schlechterdings nicht die Rede sein könne.
Ferner hat er zwar daran festgehalten, daß es in jedem Kristall
ein „unwandelbares Koordinatensystem*' geben muß, daß aber
das System der optischen Hauptachsen nur etwas Sekundäres sei.
2. Über die optischen Eigenschaften der hemi-
prismatischen oder zwei- und eingliedrigen Krystalle.
(Aus brieflichen Mitteilungen an Poggendorf.) (Pogg. Ann. 35,
81—95, 203—205, 380—383, 1835.)
Es wird zunächst das von Nörrenberg beobachtete Ver-
halten der optischen Achsen des Gipses besprochen, das sich
daraus erklärt, daß jede Farbe ihre eigenen Elastizitätsachsen hat,
die nicht allein der Größe, sondern auch der Lage nach yer-
schieden sind. Weiter teilt Neumann eine eigene Beobachtung
mit, wonach sich bei einer Temperaturerhöhung die beiden opti-
schen Achsen des Gipses mit verschiedener Geschwindigkeit
bewegen. Seine Messungen ergaben folgende Resultate. Bei
16,20 R igt die Neigung der optischen Achsen 57^^37', bei
7,50 R = 61® 24', und zwar hat sich die rote Achse um V 32', die
matte um 2^15' verrückt. Die größte und die kleinste Elasti-
zitätsachse haben ihre Richtung dabei um 22' geändert.
Bei einer Temperaturerhöhung von 15,3® R auf 52,2® R hat
sich die rote Achse um 9^13', die matte um 13® 39' verrückt.
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Beide Achsen vereinigten sich hei einer Temperatur zwischen 70
und 80® R, und his dahin hatte sich die rote Achse um 25® 8'
hewegt, die matte um 32^49'.
Es folgen weitere Beohachtungen Neumanns, sowie solche,
die auf seine Veranlassung von Hesse angestellt sind; heide zeigen,
daß die Richtung, nach der ein senkrecht auf ein Gipshlättchen
fallender Strahl polarisiert sein muß, damit er ungeteilt hindurch
geht, mit der Halhierungslinie des Winkels der optischen Achsen
zusammenfällt.
Ferner teilt Neumann mit, daß er die von Nörrenberg an
Gips und Borax entdeckte Unsymmetrie der Farbenerscheinungen
in den Kingsystemen auch am Adular beobachtet habe. Jene
Unsymmetrie sei die Regel beim hemiprismatischen (zwei- und
eingliederigen) System; die Fälle, wo die Unsymmetrie verschwinde»
wie nach Beobachtungen von Dove beim Diopsid, seien Grenz-
fälle. — Schließlich wird noch darauf hingewiesen, daß das Ver-
halten des tetarto-prismatischen (ein- und eingliederigen) Systems
ein wesentlich anderes sei.
3. Über das Elastizitätsmaß krystallinischer Sub-
stanzen der homoedrischen Abteilung. (Pogg. Ann. 31,
177—192, 1834.)
Der Umstand, daß experimentelle Untersuchungen über den
Wert der Elastizitätskonstanten kristallinischer Substanzen gänz-
lich fehlen, veranlaßt Neumann, die Gesetze der einfachsten
Elastizitätsphänomene zu geben, und zwar solche, die am meisten
geeignet scheinen, die Mittel zur Bestimmung der Elastizitäts-
konstanten auch bei kleinen Dimensionen der zu untersuchenden
Substanz zu liefern. Er beschränkt sich dabei auf kristallinische
Substanzen der homoedrischen Abteilung, das sind solche, deren
Gestalten durch drei rechtwinklige Ebenen symmetrisch geteilt
werden können. Die Verkürzungen, welche derartige Kristalle
durch überall gleichen, gegen die Oberfläche senkrechten Druck D
in den einzelnen Achsenrichtungen erleiden, hängen von neun
Elastizitätskonstanten ab, die sich aber auf sechs reduzieren. Man
erhält diese Konstauten, indem man ein rechtwinkliges Prisma,
dessen Kanten den Kristallachsen parallel sind, durch Druck auf
je zwei gegenüberliegende Seitenflächen komprimiert und jedesmal
die Verkürzung in Richtung der drei Achsen mißt. Die genannten
sechs Konstanten hängen übrigens durch einfache lineare
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Gleichungen mit den theoretischen Elastizit&tskonstanten zu-
sammen, die in der Abhandlung über doppelte Strahlenbrechung
auftreten und dort mit A, Ai, Änt B, C, D bezeichnet sind. Aus
diesem Zusammenhange ergibt sich nebenbei für unkristallinische
Medien das Poissonsche Theorem über die Querkontraktion bei
LängendehnuDg eines Drahtes; und zwar gilt dasselbe, unabhängig
von den Dimensionen, für jedes Prisma.
Weiter wird erörtert, wie man aus der Lage der Kristall-
achsen und deren Verkürzung (oder Verlängerung) durch Druck
die in einer beliebigen anderen Richtung eintretende Verkürzung
bestimmen kann; ebenso die Winkeländerungen, welche in der
Neigung zweier Ebenen durch Kompression hervorgebracht werden.
Wird ein beliebig orientiertes rechtwinkliges Prisma durch einen
Druck auf die Grundflächen komprimiert, so werden die Kanten
desselben verkürzt und zugleich aus ihren rechtwinkligen Nei-
gungen abgelenkt. Diese Verkürzung sowohl, als die Winkel-
änderung lassen sich durch die Elastizitätskonstanten ausdrücken.
Daraus folgt die Verkürzung in einer beliebigen Richtung, und
aus dem Ausdruck für letztere ergibt sich ein Ausdruck für das
Elastizitätsmaß in einer bestimmten Richtung durch einfache
Übertragung der Definition des Elastizitätsmaßes, die für un-
krisialliniscbe Medien gilt Um daa Elastizitätsmaß in jeder Rich-
tung zu kennen, muß dasselbe für sechs Terschiedene Richtungen
gegeben sein. Um ferner für sechs Richtungen das Elastizitäts-
maß experimentell zu ermitteln, bedient man sich am besten der
Methode der Biegung, indem man einen dünnen prismatischen
Stab an einem Ende horizontal befestigt und am anderen mit
Gewichten beschwert, oder auch, indem man beide Enden auf
eine horizontale Unterlage legt und die Mitte mit Gewichten be-
schwert. Diese Methode ist also auf sechs in verschiedenen
Richtungen geschnittene Stäbchen anzuwenden.
Ein zweites Mittel bieten Beobachtungen der Winkelände-
rnngen, welche in den Neigungen der Seiten eines geraden Prismas
hervorgebracht werden, wenn dieses in der Richtung der Achse
komprimiert wird. Doch findet man so nur die Differenz der
Elastizitätskonstanten, so daß eine Beobachtung nach der Biegungs-
methode immer notwendig bleibt.
Die hier von Neumann zugrunde gelegte Elastizitätstheorie
beruht auf Poissons molekulartheoretischer Betrachtung; in
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späteren Jahren (1857 — 1874) bat Neumann in seinen Vor-
lesungen eine allgemeinere Theorie entwickelt, die von molekular-
theoretischer Spekulation frei war. Diese macht die elastischen
Erscheinungen eines Kristalls von 36 Eonstanten abhängig, die sich
für ein dreifach symmetrisches System auf neun reduzieren. Auf-
klärung über die Zahl der einem Kristallsystem zukommenden,
Yoneinander unabhängigen Konstanten zu gewinnen, bezeichnet
Neu mann als einen Hauptzweck von Beobachtungen der hier
beschriebenen Art. Er hat, um diese wichtige Frage zu erledigen,
noch Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre ver-
schiedene seiner Schüler zu derartigen Beobachtungen angeregt
(Sohnoke, Baumgarten, W. Voigt).
o) Die Gesetse der Doppelbrechung des Llohts
in oomprimierten oder ungleiohmäßig erwärmten un-
krystallinisohen Körpern.
Eine am 8. November 1841 in der KönigL Akademie der
Wissenschaften zu Berlin gelesene Abhandlung. Abhandlungen
der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem
Jahre 1841. Zweiter Teil. Berlin 1843. S. 1 — 247 i), nebst
sechs Seiten Verbesserungen und einer Tafel.
Diese umfangreiche Arbeit ist für Neumanns Art der
Forschung besonders charakteristisch. In ihr tritt seine meister-
hafte Art und Weise hervor, die Theorie mit dem Experiment
zu verbinden, jene durch diese zu kontrollieren, andererseits für
diese aus jener neue Anregungen und Befruchtungen herzuleiten.
Als erster unternimmt er es hier, eine Theorie der im Titel ge-
nannten Erscheinungen, der sogenannten accidentellen Doppel-
brechung, zu entwickeln und daran eine Fülle von Anwendungen
zu knüpfen, die, wie Voigt S. 16 sagt, „ganz unabhängig von
dem Interesse, welches die betreftenden Erscheinungen bieten,
schon durch die neuen Fragestellungen merkwürdig sind, auf die
sie führen'^. Ganz nebenbei werden, in einer Anmerkung ver-
steckt, die Grundzüge einer neuen, von der Cauchy sehen ganz
verschiedenen Dispersionstheorie entwickelt.
*) Ein Auszug aus der Arbeit ist in Pogg. Ann. 54, 449 — 476,
1841, veröffentlicht.
Wangerin, Frans Kenmann. y
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Nach Neumanns Ansicht rührt die Dispersion ganz oder
teilweise von den Kräften her, welche zwischen den schwingen-
den Teilen des Lichtäthers und den ponderahlen Atomen des
durchsichtigen Stoffes wirksam sind. Diese neuen Kräfte modifi-
zieren nicht allein die Bewegung der Ätherteilchen, sondern
setzen auch die Teile des festen Körpers in Bewegung. Die
letztere Bewegung ist aher hei yollkommen durchsichtigen Körpern
als sehr klein zu betrachten gegen die Bewegung der Äther-
teilchen und kann daher in erster Annäherung vernachlässigt
werden. Bei dieser Vernachlässigung werden die Komponenten
der neuen Kräfte den Projektionen der Yerrückungen der Äther-
teilchen proportional, und diese neuen Kräfte sind in den Diffe-
rentialgleichungen der Lichtbewegung, die für den freien Äther
gelten, hinzuzufügen. In einem derartigen Medium ergibt sich,
falls es isotrop ist, für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit v einer
ebenen Welle von der Schwingungsdauer T angenähert der Wert
t;2 = fc(l +JfT2),
wo h und T Konstante sind.
Die hier von Neu mann dargelegte Grundanschauung über
die Ursache der Dispersion ist von vielen späteren Autoren zur
Erklärung der Farbenzerstreuung herangezogen, ohne daß diesen,
wie es scheint, bekannt geworden ist, daß Neumann als erster
diese Erklärung gegeben hat. Übrigens sei bemerkt, daß fast um
dieselbe Zeit eine der Neumann sehen sehr ähnliche Theorie von
O'Brien aufgestellt ist (1842).
Gehen wir nun auf den Inhalt der Abhandlung etwas näher
ein. N e u m a n n geht von dem durch B r e w s te r (Phil. Trans.
1816) entdeckten und durch spätere Beobachtungen bestätigten
Gesetze aus, daß in einem unkristallinischen Körper, in welchem
durch Kompression oder Dilatation doppelte Strahlenbrechung
hervorgebracht ist, die Größe dieser Doppelbrechung eine lineare
Funktion der Kontraktionen oder Dilatationen der Teilchen des
Körpers ist. Den Zusammenhang zwischen diesen Dilatatio-
nen und der Doppelbrechung entwickelt er zunächst (§ 1 bis
4) für gleichförmig dilatierte oder komprimierte Körper,
d. h. für solche, bei denen die Hauptdruckachsen in jedem
Punkte dieselbe Richtung haben und die Größe der Dilatationen
in ihnen für alle Punkte die gleiche ist, wie dies z. B. der
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Fall ist, wenn ein rechtwinkliges Parallelepipedon in einer oder
zwei oder drei Richtungen durch Druckkräfte, welche üher je
zwei seiner gegenüberstehenden Seitenflächen gleichmäßig verteilt
sind, komprimiert wird. In einem derartigen Körper ist die neue
Anordnung seiner Teilchen in jedem Punkte symmetrisch in
bezug auf drei rechtwinklige Ebenen, die für jeden Punkt die-
selbe Richtung haben. Zur Erklärung der Tatsache, daß ein
solcher Körper durch die Verrückung seiner Teilchen die Eigen-
schaft erlangt hat, das Licht doppelt zu brechen, kann man nun
drei Hypothesen aufstellen. Entweder liegt der Grund in einer
durch die veränderte relative Lage der Teile des festen Körpers
hervorgebrachten neuen Anordnung der in ihm enthaltenen Licht-
ätherteilchen, oder in der veränderten Einwirkung der Teile des
festen Körpers auf die Ätherteilchen, oder in einer gleichzeitigen
Wirkung beider Ursachen. Um zwischen diesen Hypothesen zu
entscheiden, wird die zweite rechnend verfolgt.
Die Wirkung der Körpermoleküle auf die Ätherteilchen wird
in derselben Weise in Rechnung gezogen wie in der oben dar-
gelegten Neu mann sehen Dispersionstheorie, nur sind wegen der
Ungleichheit der Hauptdruckachsen die Koeffizienten der in den
ElastizitätsgleichuDgen anzubringenden Zusatzglieder andere als
für isotrope Körper. Die Integration der so modifizierten Glei-
chungen ergibt eine Doppelbrechung von der Art, daß die Differenz
der Geschwindigkeiten zweier zusammengehörigen Strahlen dem
Quadrat der Undulationsdauer proportional sein müßte, also
kleiner für die Strahlen des violetten Endes des Farbenspektrums
als für die Strahlen des roten Endes. Daraus würde in den
Interferenzerscheinungen der gewöhnlichen und ungewöhnlichen
Strahlen eine Farbenfolge entstehen, welche die entgegengesetzte
von derjenigen ist, die man beobachtet. Die Hypothese also, daß
die Doppelbrechung des komprimierten Körpers allein von einer
Veränderung in der Einwirkung der festen Teile auf den Äther
herrühre, muß aufgegeben werden, da sie der Erfahrung wider-
spricht. Aus dem gleichen Grunde ist auch die Annahme, di»
Doppelbrechung rühre gleichzeitig von der veränderten An-
ordnung der Ätherteilchen und der veränderten Einwirkung der
Teile des festen Körpers auf dieselben her, zu verwerfen; wenig-
stens müßte der von der letzteren Einwirkung etwa herrührende
Teil der Doppelbrechung verschwindend klein sein gegen den von.
7*
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der yeränderten AnordnuBg der Ätherteilchen herrührenden Teil.
Als Torzüglichster Erklarnngsgrund der Doppelbrechung des kom-
primierten Körpers ist hiernach allein die nene Anordnung der
Ätherteilchen zu berflcksichtigen, und zwar muß diese Anordnung
dieselbe Symmetrie besitzen wie die der festen Teile des Körpers.
Hieraus wird geschlossen, daß die Doppelbrechung des gleich-
förmig dilatierten und komprimierten Körpers dieselben Gesetze
befolgen muß, welche Fresnel für die Doppelbrechung in kri-
stallinischen Medien entdeckt hat. Der einfachste Ausdruck für
diese Gesetze ist in ihrer geometrischen Konstruktion mittels der
optischen Elastizitätsfläche enthalten. Die Achsen dieser opti-
schen Elastizitätsfläche und der Elastizitätsfläche des Druckes
müssen in dem komprimierten Körper dieselbe Richtung haben,
und die ersteren müssen Funktionen der letzteren sein, und zwar
findet Neu mann für diese Funktionen folgenden Ausdruck. Sind
A, B, C die optischen ElastizitätsachsoD, a, ß, y die Dilatationen
in den entsprechenden drei Hauptdrnckachsen, so ist
B = ö^+pa + 9/S + py,
Darin sind jp und g zwei von der Natur des dilatierten
Mediums abhängige Konstante, 6r ist Ton der Fortpflanzungs-
geschwindigkeit des Lichtes in dem Medium im natürlichen
Zustande sehr wenig unterschieden. Aus den yorstehenden
Kelationen zwischen den Achsen beider Elastizitätsflächen ergibt
sich eine Reihe bemerkenswerter geometrischer Folgerungen, z. B.,
daß beide Flächen die Kreisschnitte gemeinsam haben, und dar-
aus folgt weiter, daß, wenn eine ebene Lichtwelle durch einen
gleichförmig dilatierten Körper geht, diese polarisiert ist entweder
parallel mit der größten oder der kleinsten Dilatation aller der
Richtungen, die mit ihr parallel sind. Je nachdem diese Welle
nach der einen oder der anderen dieser beiden Richtungen polari-
siert ist, pflanzt sie sich mit einer anderen Geschwindigkeit fort,
und der Unterschied dieser beiden GeschwindigkeitiBn ist pro-
portional mit dem Unterschiede der größten oder kleinsten der
mit ihrer Ebene parallelen Dilatationen des Körpers.
Nachdem so die Grundgesetze der Doppelbrechung der gleich-
förmig komprimierten Medien festgestellt sind, geht Neumann
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dazu über, die numerischen Werte der beiden Eonstanten p, q^
von denen die Poppelbrechung abhängt, für gewöhnliches Spiegelr
glas zu bestimmen. Dazu dient eine sinnreiche Kombin^ion
zweier ganz y^rschiedenen Beobachtungen. Die erste betrifft die
Lage der Farbenkurven, welche ein gekrümmter Glasstreifen im
polarisierten Lichte zeigt. Diese Beobachtung gibt den Wert von
- — --^, wenn g die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichtes im
Glase in seinem natürlichen Zustande bezeichnet, und zwar war
^:=^ = 0,126;
dabei ist für die mittleren Strahlen g = 0,654, die Fortpflanzungs-
geschwindigkeit des Lichtes in Luft als Einheit angenommen.
Eine zweite Beobachtung betrifft das teleskopische Diffrak-
tionsbüd, welches durch zwei gleiche Öffnungen in einem Schirme
vor dem Fernrohr hervorgebracht wird. Wird vor diese Öffnung
ein gekrümmter Glasstreifen gestellt, so verdoppelt sich das Bild;
es entstehen zwei Bilder, deren eines parallel mit dem Streifen,
das andere senkrecht darauf polarisiert ist. Beide erleiden gegen-
über dem ursprünglichen Bilde eine VerrückuDg nach derselben
Richtung. Das Verhältnis dieser beiden Verrückungen ist unab-
hängig von der Größe der Krümmung und hängt nur linear von
=-■ und — ab. Die Messung des Verhältnisses jener Verrückung
ffibt demnach eine zweite Belation zwischen — und — , die mit
* 9 9
dem Wert von zusammen
9
^ = —0,131, ^=—0,213
9 9
ergibt. Sehr merkwürdig ist das Resultat, welches man aus den
allgemeinen Werten für A, B, C erhält, wenn darin a = /3 = y
gesetzt wird. In diesem Falle erhält man eine Verminderung
der Lichtgeschwindigkeit bei Dilatation, trotzdem bei dieser die
Dichtigkeit geringer geworden ist. Doch ist die Richtigkeit dieses
Resultats neuerdings in Frage gestellt.
Im zweiten Abschnitt (§ 5 bis § 9) werden die aUgem einen
Formeln für die Farbenerscheinungen entwickelt, welche ein un-r
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— 102 —
gleichförmig dilatierter Körper im polarisierten Lichte zeigt,
d. h. ein solcher, in dem die Hauptdmckachsen sowohl in ihrer
Richtung, als in ihrer Grölte von Ort zu Ort sich ändern.
Während ein gleichförmig dilatierter Körper sich für das
Licht wie ein Kristallindividuum verhält, ist ein ungleichförmig
dilatierter Körper einem Aggregat von unendlich vielen sehr
kleinen Kristallindividuen zu vergleichen, deren optische Elasti-
zitätsachsen stetige Funktionen des Ortes sind, sowohl in Be-
isiehung auf ihre Richtung, als ihre Größe. Wenn ein polarisierter
Strahl auf ein solches Aggregat trifft, so teilt er sich nicht allein
bei seinem Eintritt in zwei rechtwinklig polarisierte Strahlen,
sondern auf jeder Stelle der Bahn teilt sich jeder Strahl, sowie er
in ein neues Kristallindividuum tritt, wieder in zwei Teile. Die
hiemach sehr schwierig erscheinende Untersuchung wird nun
sehr vereinfacht, wenn die Unterschiede der optischen Elastizitäts-
.achsen so klein sind, daß ihre Quadrate als verschwindend gegen
die ersten Potenzen behandelt werden können. Unter dieser Vor-
aussetzung zeigt Neumann, daß 1. die Bahnen der Lichtstrahlen
im Innern des Körpers bei der Berechnung der Interferenz als
geradlinig betrachtet werden können, 2. daß die nach dem Aus-
tritt miteinander interferierenden Strahlen so behandelt werden
können, als hätten sie das Medium in derselben Richtung, durch-
laufen. Mit Hilfe dieser Sätze wird der allgemeine Ausdruck für
die Differenz der Verzögerungen, mit welchen die miteinander
interferierenden Strahlen aus dem Körper heraustreten, berechnet.
Diese Differenz hängt ab von dem Gesetz der Drehungen, welchen
die Polarisationsebene des Strahles im Innern des Körpers unter-
worfen ist, und von dem Gesetz seiner Fortpflanzungsgeschwin-
digkeiten. Beide müssen als Funktionen des Ortes gegeben sein,
und diese Funktionen ihrerseits lassen sich aus dem System der
Verrückungen der Teilchen des Körpers ableiten; letzteres System
muß gegeben sein, oder durch unabhängige Untersuchung er-
mittelt werden. Zur Erläuterung der abgeleiteten Formeln werden
diese angewandt auf die Interferenzerscheinungen, welche ein
tordierter Glaszylinder im polarisierten Lichte zeigt, wenn die
Strahlen durch die gegenüberstehenden Grundflächen desselben
so gehen, daß sie mit der Achse des Zylinders nur kleine Winkel
bilden. Der Zylinder zeigt dann Farbenringe, deren Durchmesser
sich nahe wie die Quadratwurzeln der natürlichen Zahlen, und
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— 103 —
umgekehrt wie die Quadratwurzel aus dem Torsionswinkel ver-
halten.
Die in den beiden ersten Abschnitten abgeleiteten Resultate
bilden die Grundlage für den dritten Abschnitt (§10 bis 20),
den umfangreichsten und wichtigsten der Arbeit, in welchem die
Theorie der Farben aufgestellt wird, welche bei durchsichtigen
unkristallinischen Körpern im polarisierten Lichte aus der
ungleichen Temperaturverteilung entstehen. Den Grund für
die Doppelbrechung bilden hier die durch jene Temperatur-
yerteilung entstehenden, nach den verschiedenen Kichtungen un-
gleichen Dilatationen der Teilchen. Kennt man den Zusammenhang
zwischen der Temperatur und den durch sie hervorgebrachten
Dilatationen, so geben die Formeln der beiden ersten Abschnitte
die entstehende Doppelbrechung und die dadurch bedingten
Farben. Es ist daher vor allem der Zusammenhang zwischen
einer Temperaturveränderung und den dadurch bedingten mole-
kularen Verrückungen zu ermitteln. Neumann findet diesen,
indem er den Poisson sehen Gleichungen für das Gleichgewicht
elastischer Körper Zusatzglieder hinzufügt, die den DifEerential-
quotienten der Temperatur nach den Koordinaten, bzw. (in den
Grenzbedingungen) jener Temperatur selbst proportional sind.
Wie Neumann selbst angibt, sind diese Gleichungen schon vor-
her (1838) von Duhamel veröffentlicht; er fügt jedoch hinzu,
daß er selbst schon seit Jahren in ihrem Besitz gewesen sei, und
daß er auch die analogen Gleichungen für kristallinische Medien
aufgestellt habe. Die Integration der in Rede stehenden Glei-
chungen, verbunden mit den in den beiden ersten Abschnitten ab-
geleiteten Formeln, führt unmittelbar zum Ziele. Die Gleichungen
werden zuerst angewandt auf eine Kugel, in der die Temperatur
konzentrisch um ihren Mittelpunkt verteilt ist. Es ergibt sich,
daß die Kugel bei der Erwärmung Eioge zeigt, die gleichen
Charakter mit denen des Bergkristalles haben (positive Farben-
ringe), bei der Abkühlung aber solche, die denen des Kalkspats
analog sind. Ist die Erwärmung oder Abkühlung weit vor-
geschritten, so gibt es einen Ring der höchsten Farbe, welcher
seinen Ort nicht weiter verändert, wiewohl seine Farbe stets
fällt. Im Anschluß daran wird gezeigt, daß eine hohle Kugel,
gegen deren äußere oder innere Oberfläche ein verschiedener
Druck wirkt, positive oder negative Farbenringe zeigt, je nach-
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dei^ der iDnere oder äußere Druck größer ist. Weiter werden
die allgemeinen Gleichungen auf den Fall einer dünnen, Ton
parallelen Ebenen begrenzten Platte transformiert und die trans-
formierten Gleichungen auf folgende spezielle Fälle angewandt:
1. Eine dünne kreisförmige Scheibe, sowie ein Ereisring,
falls die Temperatur der Teile nur eine Funktion ihrer Entfernong
vom Mittelpunkt der Scheibe ist.
IL Ein dünner Ring von geringer Breite, in welchem die
Temperaturverteilung allein eine Funktion des Bogens des Ringes
ist, während innerhalb eines jeden Querschnittes die Temperatur
als konstant angenommen wird. Die Untersuchung der in diesem
Falle entstehenden Verzerrungen hat außer ihrem optischen In-
teresse noch ein praktisches, wegen ihrer Anwendung auf die
Bestimmung der Fehler, welche beim Winkelmessen aus der un-
gleichen Erwärmung des zum Messen dienenden Kreises ent-
stehen. — Auch der Fall, daß der Kreis Ton Speichen getragen
wird, 'findet hier seine Erledigung.
III. Zwei dünne, schmale Streifen von verschiedenen Stoffen
sind derartig fest miteinander verbunden, daß sie bei einer be-
stimmten Temperatur gerade sind, bei Änderung der Tempera-
tur aber sich krümmen. Es wird die Relation entwickelt, welche
zwischen dieser Krümmung, den beiden Elastizitätsmoduln und
den Ausdehnungskoeffizienten, sowie den Dimensionen der beiden
Streifen besteht. Außer auf die bleibenden Farben, welche ein
solches System im polarisierten Lichte zeigt, werden die Resultate
auf die Theorie der Metallthermometer angewandt.
IV. Eine dünne rechtwinklige Platte, in welcher die Tem-
peratur verteüung eine Funktion der Höhe der. Platte ist. Dies
ist sehr nahe der Fall in der schönen Reihe von Experimenten
von Brewster (Phil. Trans. 1816), in welchen er eine Glasplatte
von gewöhnlicher Temperatur mit einem ihrer Ränder auf eine
heiße Metallplatte stellt, oder umgekehrt eine heiße Glasplatte
auf eine kalte Metallplatte. Für den Fall, daß die Höhe der Platte
die Breite mehrmals übertrifft, oder umgekehrt die Breite mehr-
mals größer ist als die Höhe, gelingt es Neumann, Näherangs-
formeln aufzustellen, die die entstehenden Farbenerscheinungen
vollständig erklären. Nur dürfen die Formeln im ersten Falle
nicht auf Stellen angewandt werden, welche in der Nähe des
unteren oder oberen Randes liegen, im zweiten Falle nicht auf
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Stellen, welche sich in der Nähe der Seitenwände befinden. Wie
schon bemerkt, sind die von Neu mann abgeleiteten Resultate
nur angenäherte. Einer vollständigen Auflösung der Gleichun-
gen, von denen das Problem der inneren Spannung in einet
rechtwinkligen Platte bei ungleichförmiger Temperatur Verteilung
abhängt, stellten sich unüberwindliche analytische Schwierig-
keiten entgegen. Diese Schwierigkeiten bestehen in der Be-
stimmung der Koeffizienten der Glieder von Beihen, welche nach
den imaginär-en Wurzeln einer transzendenten Gleichung fort-
schreiten.
Über die Untersuchungen des dritten Abschnittes seiner
Abhandlung spricht sich Neumann in der Einleitung folgender-
maßen aus:
„Die Übereinstimmung der Theorie mit den Beobachtungen
überall, wo ich den Calcul bis zu dem einzelnen Fall habe durch-
führen können, läßt über die Richtigkeit ihrer Prinzipien keinen
Zweifel. Was in Hinsicht der Erklärung und Berechnung der
Farben, welche durch ungleiche Temperaturverteilung hervor-
gebracht werden, zu wünschen übrig bleibt, ist die Vervoll-
kommnung der analytischen Methoden und die VerifizleruDg der
Gleichungen, von welchen die Bewegung der Wärme abhängt,
namentlich in Beziehung auf schlechtleitende^ Körper. Dann erst
wird es auch von Interesse sein, in den Gleichungen für die
durch Temperaturdifferenzen hervorgebrachten Spannungen die
Wärmerepulsion nicht, wie es hier geschehen ist, proportional
mit der Temperatur zu nehmen, sondern die vollständigere Funk-
tion, wodurch diese Repulsion dargestellt wird, in die Gleir
chungen einzuführen, wodurch übrigens ihre Form keine Ver-
änderung erleidet."
Ähnliche P'arbenerscheinungen, wie sie durch die ungleiche
Temperatur Verteilung entstehen, erhält man auch durch Härtung
der festen durchsichtigen Körper, oder durch rasche Abkühlung.
Während aber die vorher besprochenen Erscheinungen vorüber-
gehende sind, entstehen hier bleibende Farben. Auch eine Theorie
dieser bleibenden Farben hat Neu mann entwickelt; doch teilt er
in unserer Abhandlung nur am Schluß der Einleitung die Prin-
zipien mit, auf denen seine Rechnungen beruhen.
Analog dem vorübergehenden molekularen Druck, der in
einem elastischen Körper durch eine vorübergehende Dilatation
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bervorgerafen wird, entsteht in einem darch bleibende Dilata-
tionen gespannten Körper ein bleibender molekularer Druck. Diese
bleibenden molekularen Druckkräfte, für die eine exakte Defini-
tion aufgestellt wird, sind in die Nayier sehen Gleichungen des
Gleichgewichtes elastischer Körper einzuführen. Dabei sind
dreierlei Arten Yon Dilatationen zu unterscheiden: die absolute,
die bleibende und die relative, letztere die Differenz der beiden
ersten. Die relativen Spannungen sind es, welche sowohl die
innere Spannung des Körpers hervorbringen, als die Farben,
welche derselbe, wenn er durchsichtig ist, im polarisierten Lichte
zeigt. Um diese Farben durch Rechnung zu bestimmen, brauchen
nur iu die allgemeinen Formeln, die in der Abhandlung ent-
wickelt sind, die Ausdrücke für die relativen Dilatationen sub-
stituiert zu werden. In jedem besonderen Falle muß das System
bleibender Dilatationen gegeben oder in einer besonderen Unter-
suchung bestimmt werden.
Neumann zieht aus seinen Betrachtungen die wichtige
Folgerung, daß das System von Spannungen und Dilatationen,
welches in einem Körper durch seine Häxtung hervorgebracht
wird, immer auch durch eine bestimmte Temperaturverteilung
hervorgebracht werden kann. Darin liegt der Grund der merk-
würdigen Übereinstimmung der Farben, welche ein gehärteter
Körper im polarisierten Lichte zeigt, mit denjenigen Farben,
welche in ihm durch Temper aturdiff er enzen hervorgebracht werden
können.
Am Schluß der Abhandlung endlich (S. 230 — 247) werden
die Prinzipien der Theorie der inneren Spannungen, welche aus
bleibenden Dilatationen eines festen Körpers entstehen, durch
einige Formeln erläutert. Im besonderen wird der Wert für die
bleibenden Dilatationen berechnet, welche bei Härtung (rascher
Abkühlung) einer Glaskugel entstehen. Ferner werden die Yer-
rdckungen und inneren Spannungen in einem langen geraden
Zylinder bestimmt, welche durch eine konzentrische Temperatur-
verteilung in ihm und durch die bleibenden Dilatationen, die aus
seiner Härtung entstanden sind, hervorgebracht werden.
Darauf, daß Neumann seinen Entwicklungen die alte
Nävi ersehe Elastizitätstheorie zugrunde gelegt hat, ist schon
früher hingewiesen (s. S. 23).
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— 107 —
IV. Arbeiten über induzierte elektrische Ströme.
1. Die mathematischen Gesetze der inducierten elek-
trischen Ströme. Abhandl. d. Eönigl. Akad. d. Wiss. za Berlin
1845, S. 1—87 1). Vorgelesen daselbst am 27. Oktober 1845.
Die Erscheinungen der elektrischen Induktion waren 1831
von Faraday entdeckt, ihre wichtigsten Gesetze experimentell
von diesem und anderen Forschem, unter denen besonders Lenz
und W. Weber zu nennen sind, aufgesucht. Es kam darauf* an,
aus der Fülle der Erscheinungen das allgemeine Gesetz herzu-
leiten und mathematisch zu formulieren, das alle diese Erschei-
nungen umfaßte, und aus dem sich die einzelnen durch rein
mathematische Deduktionen ergaben. Dies ist für lineare Leiter
in den beiden Neumann sehen Abhandlungen geschehen, und
zwar, ohne daß dabei eine besondere Voraussetzung in bezug auf
das Wesen der galvanischen Ströme gemacht ist. Neumann geht
also nicht, wie bald nach ihm Weber (1846), darauf aus, aus
dem Wesen der elektrischen Anziehung und Abstoßung selbst die
ersten Tatsachen der Induktion zu erklären. Er will nur die
Grundsätze entwickeln, nach denen die elektrodynamische und die
elektromagnetische Induktion vor sich gehen. Aber trotzdem
Neu mann nicht bis auf die ersten Ursachen zurückgeht, ist
sein allgemeines Prinzip der induzierten Ströme, wie Carl Neu-
mann in einem Briefe an Volkmann sich ausdrückt, „ein Gesetz
von ähnlicher Universalität, wie sie etwa das berühmte Prinzip
der lebendigen Kraft besitzt". „Die beiden Neu mann sehen Ge-
*) Die Abhandlung ist von neuem abgedruckt in Ostwalds
Klassikern der exakten Wissenschaften Nr. 10 , herausgegeben von
C. Neumann, Leipzig 1889. — Der eigentlichen Arbeit ist unter der
Überschrift „Vorbericht** eine ausführliche Inhaltsangabe voran-
geschickt. Diese ist auch in den Berichten der Berliner Akademie für
1845, S. 322—334, sowie in Pogg. Ann. 67, 31—44, 1846, abgedruckt.
In dem schon früher (S. 27) erwähnten Briefwechsel Neumanns
mit Jacobi hatte letzterer vorgeschlagen, jenen „Sommaire" bei
dem Druck der eigentlichen Arbeit fortzulassen, mit dem Hinzu-
fügen, auch Poggendorff sei derselben Ansicht. Später hat Jacobi
sich überzeugt, wie wertvoll jener Vorbericht ist, auch daß derselbe
erst im Zusammenhange mit der eigentlichen Abhandlung voll ge-
würdigt werden kann. Die Überschrift „Vorbericht** ist auf Jacobis
Vorschlag hinzugefügt.
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— 108 —
setze (das Prinzip der induzierten Ströme und das die pondero-
motorische Wirkung der elektrischen Kräfte beliierrschende Po-
tentialgesetz, beide in der zweiten Abhandlung entwickelt) gehören
zu den großartigsten und erhabensten Entdeckungen im ganzen
Gebiet der Elektrizität** i).
Schon oben ist bemerkt, daß sich Neumanns Untersuchungen
nur auf lineare Leiter beziehen (lineare Induktion). Dieser Fall
ist der einfachste, weil hier die in dem Element induzierte Elek-
trizität sich auf einem gegebenen "Wege fortpflanzt, während bei
der Induktion in körperlichen Leitern oder in dünnen Platten die
Wege, auf welchen die Fortpflanzung der erregten Elektrizität
geschieht, mit bestimmt werden müssen. „Die Prinzipien der
linearen Induktion gestatten aber eine Ausdehnung auf diese
komplizierteren Fälle, welche der (xegenstand einer zweiten Ab-
handlung sein soll, in der die Theorie des Rotationsmagnetismus
entwickelt werden wird" ^),
Leider hat Neumann die Untersuchungen, von denen er
hier spricht, nicht veröffentlicht; allerdings hat er diesen Gegen-
stand hin und wieder in seinen Vorlesungen behandelt, aber in
den gedruckten Vorlesungen über elektrische Ströme findet sich
nichts darüber.
Neben der Beschränkung auf lineare Leiter macht Neu-
mann von vornherein noch eine Einschränkung, daß nämlich „die
induzierende Ursache mit einer Geschwindigkeit eintrete, welche
als klein in Beziehung auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der
Elektrizität angesehen werden kann. Ohne diese Voraussetzung
kann man (wie in § 2 der Arbeit gezeigt wird) nicht die indu-
zierten elektrischen Ströme als in stationärem Zustande befindlich
ansehen und die Ohm sehen Gesetze darauf anwenden. Aus-
geschlossen von den folgenden Betrachtungen sind also z. B. die
durch elektrische Entladungen induzierten Ströme" »),
Neumann geht von folgenden fünf allgemeinen Sätzen als
Resultaten der Beobachtungen aus*):
*) Vgl. Volk mann, S. 33 u. 34.
*) Abhandl. 1, S. 1 u. 2.
«) Abhandl. 1, 8. 1.
*) Bei der Zusammenfassung der Erfahrungstatsachen zu den
fünf Sätzen folge ich der Darstellung Neumanns in seiner Vorlesung
über elektrische Ströme (ß. 267 — 2
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— 109 —
a) Induzierte Ströme entstehen jedesmal , wo die virtuelle
Wirkung des induzierenden Stromes auf den Leiter eine Änderung
erfährt.
b) Die induzierte elektromotorische Kraft ist unabhängig
von der Substanz des Leiters.
c) Unter sonst gleichen Umständen ist die elektromotorische
Kraft der Geschwindigkeit proportional, mit welcher die Elemente
bewegt werden.
d) Die Komponente nach der Richtung der Bewegung von
der elektrodynamischen Wirkung, welche der induzierende Strom
auf den induzierten ausübt, ist immer negativ.
e) Unter sonst gleichen Umständen ist die induzierte Strom-
stärke der induzierenden proportional.
Aus diesen Sätzen leitet er (§ 1) für die in einem Elemente
Ds eines bewegten Drahtes induzierte elektromotorische Kraft
E.Ds die Fundamentalformel ab: ~
JB.Ds = —svCDs 1)
Darin ist v die Geschwindigkeit, mit der Ds bewegt wird, G die
nach der Richtung, in welcher D s bewegt wird, zerlegte Wirkung
des Induzenten auf Ds^ dieses Element von der Einheit des
Stromes durchströmt gedacht, s ist unabhängig von der Be-
schaffenheit des induzierten Leiters und kann bei der linearen
Induktion (aber nur bei dieser) als eine Konstante angesehen
werden ^).
Neben der Gesamtwirkung G des Induzenten wird übrigens
weiterhin (§ 4) die Wirkung der einzelnen Elemente DO des
Induzenten auf Ds betrachtet. Ist c,D0 die nach der Richtung
der Bewegung von Ds zerlegte Wirkung, welche D(f auf die
Einheit des Stromes in Ds ausübt, so ist der Anteil, welchen das
Element D<5 an der in Ds induzierten elektromotorischen Kraft
nimmt:
— Bvc.DsDo 1»)
Dies ist der Ausdruck für die elementare Induktion, welche
zwischen dem Element des Induzenten und dem Element des be-
wegten Leiters stattfindet. Da in dem vorstehenden Ausdruck 1)
') Betreffs dieser Konstante vgl. weiterhin die Anmerkung S» 111.
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— 110 —
V und C Funktionen der Koordinaten des Ortes der Elemente sind,
die ihrerseits Funktionen der Zeit t sind, so ist auch die elektro-
motorische Kraft JE eine Funktion von t. Es ist zunächst zu
rechtfertigen (§ 2), daß man auch in diesem Falle den Ohm sehen
Satz, der einen stationären, also von t unabhängigen Zustand
voraussetzt, noch anwenden kann. Durch Untersuchung der
Differentialgleichung, welcher die durch die Induktion erregte
elektrische Spannung genügt, folgt, daß, wenn E sich nicht äußerst
rasch mit der Zeit verändert, auch für veränderliche E der
Ohm sehe Satz ebenso angewandt werden kann, als wäre JE von t
unabhängig. Die elektromotorische Spannung wird dabei, ab-
weichend von Kirchhoffs Ansicht, aufgefaßt als die augenblick-
liche Dichtigkeit der in dem Element vorhandenen elektrischen
Materie.
Mittels des Ohm sehen Satzes ergibt sich nun (§ 3) für die
Stärke des in einem linearen Leiter s induzierten Stromes der
Ausdruck
— Ba'^vCDs, 2)
wo fc' den reziproken Wert des Widerstandes des Weges bedeutet«
den der Strom zu durchlaufen hat, und g eine Integration be-
zeichnet, welche sich über alle bewegten Teile des Leiters erstreckt.
Der Ausdruck 2), mit dem Zeitelement dt multipliziert, gibt den
induzierten Differentialstrom, dessen Maß die Wirkung ist,
welche der induzierte Strom während des Zeitelementes, z. B. auf
.eine Magnetnadel, ausübt. Die Summe der Wirkungen, welche
er in einer endlichen Zeit ausübt, ist das Maß des induzierten
Integralstromes. Der Wert des letzteren hängt allein von der
Länge und Lage des Weges ab, welchen der Leiter durchlaufen
hat, und ist unabhängig von der Geschwindigkeit, mit der er
durchlaufen wurde«
„Die elektromotorische Kraft des Differentialstromes ist das
negative virtuelle Moment der Kraft, welche der Induzent auf
den Leiter ausübt, wenn dieser von dem konstanten Strom a
durchströmt gedacht wird.
„Die elektromotorische Kraft des Integralstromes, welcher auf
dem Wege von Wq bis Wi erregt wird, ist der Verlust an leben-
digox Kraft, welchen der Induzent in dem Leiter hervorbringen.
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— 111 —
würde, wenn dieser sich Yon Wq bis tOi frei bewegte und von dem
Strome s^) durchströmt gedacht wird."
Das Kesultat yereinfacht sich, wenn die Komponenten der
Wirkung des Induzenten auf ein Element des bewegten Leiters,
das von dem Strome £ durchströmt gedacht wird, partielle Diffe-
rentialquotienten derselben Funktion sind. Denkt man nämlich
die Flächen konstruiert, in denen jene Funktion konstant ist
(die Gleichgewichtsoberflächen), und bezeichnet den konstanten
Wert an jeder dieser Flächen als Druck, „so ist die elektro-
motorische Kraft des Integralstromes, welcher in dem Leiter, wenn
er sich parallel mit sich selbst von Wq bis Wi bewegt hat, induziert
ist, gleich der Differenz des Druckes an den beiden durch Wq und
Wi gehenden Gleichgewichtsoberflächen. — Der Integralstrom ist
also unter den angegebenen Bedingungen unabhängig von der
Länge und Lage des Weges, auf welchem er induziert wird, und
hängt allein von dem Orte der Endpunkte desselben ab. — Dieser
Satz wird in der Folge noch erweitert".
War bisher die Vorstellung festgehalten, daß der Induzent
ruht, der induzierte Leiter bewegt wird, so wird weiter (§ 4) der
umgekehrte Fall betrachtet. Er erledigt sich leicht dadurch, daß
die Induktion nur von der relativen Bewegung der Elemente
abhängig sein kann; und so erhält man für den in diesem Falle
induzierten Differentialstrom einen ganz ähnlichen Ausdruck wie 2).
Drückt man in 2) die Größe C mittels des Ampere sehen Gesetzes
^) In dem sclion mehrfach erwähnten Briefwechsel beanstandet
Jacobi den Ausdruck „Strom fi" und schlägt vor, für e ein Wort zu
finden; denn der Strom e scheine doch weniger eine Quantität als ein
Begriff zu sein.
Darauf antwortet Neumann in einem von Eönigsberger mit-
geteilten Briefe, dessen Original mir nicht vorgelegen hat [Königs-
berger, C. G-. J. Jacobi, 8. 361]: „Gewiß ist e ein Begriff! und wenn
meine Abhandlung einiges Verdienst hat, so ist es dies, den Begriff
dieser Größe als das eigentliche physikalische Problem aller Induktions-
erscheinungen hingestellt zu haben. Aber er ist in tiefe Mysterien
noch verhüllt, er bezieht sich auf den geheimnisvollen Zusammen-
hang, in welchem alle Körper, wie sie auch außer einander liegen,
untereinander stehen; wird ihre Spannung gestört, so entsteht, wenn
die sonstigen Bedingungen erfüllt sind, ein elektrischer Strom. Dieses
Mysterium fühlen zu lassen , gab ich . in § 2 die verschiedenen De-
finitionen der induzierten elektrischen Kraft durch lel)endige Kraft,
Druck usw. Ein Wort für e weiß ich nicht."
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aus und ebenso die analoge Größe für den Fall der Bewegung
des Induzenten, so ergibt die Yergleicbung der Resultate den
wichtigen Satz:
„Wenn zwei geschlossene Leiter gegeben sind, so wird die-
selbe elektromotorische Kraft induziert, welcher von beiden Leitern
auch sich bewegt, und in welchem von beiden auch der indu-
zierende Strom fließt, nur muß die Bewegung des einen Leiters
die der Bewegung des anderen Leiters entgegengesetzte sein. Die
in dem einen oder dem anderen Falle induzierten Ströme ver-
halten sich umgekehrt wie ihre Leitungswiderstände.*'
„Dieser Satz kann auch auf ungeschlossene Leiter ausgedehnt
werden, wenn nur die Anordnung getroffen ist, daß derselbe
Leiter, mag er ruhen oder bewegt werden, der Induktion dieselbe
Länge darbietet.^
Die im vorigen angestellten Betrachtungen gestatten (§ 5)
eine Anwendung auf die durch einen Magnetpol hervorgebrachte
Induktion, da man diesen nach der Ampere sehen Theorie als
das eine Ende eines Solenoids ansehen kann, dessen anderes Ende
im Unendlichen liegt. Die Bewegung des Leiters in Beziehung
auf das Solenoid läßt sich nun in eine progressive und eine
drehende zerlegen; für jede beider Bewegungen wird der indu-
zierte Differentialstrom berechnet, und es werden daraus folgende
Sätze abgeleitet:
I. „Wenn der Leiter, welcher unter dem Einfluß eines Sole-
noidpoles bewegt wird, eine geschlossene Kurve bildet, so ver-
schwindet der von seiner Drehung herrührende Anteil des indu-
zierten Stromes, und es wird dann derselbe Strom induziert, als
hätte der Leiter nur eine fortschreitende Bewegung, in welcher er
parallel mit sich selbst bleibt, und zwar diejenige, welche der
Pol haben würde, wenn er sich zugleich mit dem Leiter und mit
ihm fest verbunden bewegte."
II. „In einem geschlossenen Leiter, der sich um eine Achse
dreht, in welcher der Pol eines Solenoids liegt, wird durch diesen
Pol kein Strom induziert. Dasselbe gilt, wenn in der Drehungs-
achse mehrere Pole liegen.^ Daraus folgt:
III. „In einem geschlossenen Leiter, der sich um die Achse
eines begrenzten Solenoids dreht, wird durch das Solenoid kein
Strom induziert."
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— na-
iv. „In einem ungeschlossenen Leiter, der sich unter dem
Einfluß eines Solenoidpoles bewegt, rührt ein Teil des induzierten
Stromes von der drehenden Bewegung des Leiters her; dieser Teil
ist aber von der Gestalt des Leiters unabhängig, und allein durch
die Bewegung seiner Endpunkte bestimmt/
Analoge Resultate ergeben sich (§ 6), wenn der Leiter ruht,
das Solenoid aber sich bewegt. Die Induktion ist dann allein
von der Bewegung der Pole des Solenoids abhängig. Ist der
Leiter geschlossen, so kommt nur die progressive Bewegung des
Poles in Betracht, während durch seine Drehung kein Strom indu-
ziert wird. In einem nicht geschlossenen Leiter dagegen j induziert
der Pol, ohne seinen Ort zu verändern, allein durch seine Drehung
um sich selbst einen Strom. In dem letzten Satze liegt der Auf-
schluß über alle Induktionserscheinungen, welche durch die
Drehung eines Magneten um seine Achse hervorgebracht werden,
über diejenigen z. B., denen Weber den Namen unipolare In-
duktion gegeben hat.
Die Resultate werden nun (§ 7) angewandt zur Bestimmung
der Induktionsströme, welche durch Magnete erregt werden, in-
dem nach der Vorstellung der Am per eschen Theorie ein Magnet
als ein System von unendlich vielen, unendlich kleinen Sole-
noiden angesehen wird: „Dieses System von Solenoiden kann
durch ein System von Polen ersetzt werden, die allein auf der
Oberfläche des Magneten verteilt sind, das ist: die durch den
Magneten in dem bewegten Leiter erregte Induktion kann als
durch seine mit freiem Magnetismus belegte Oberfläche hervor-
gebracht angesehen werden. Diese magnetische Oberfläche ist
dieselbe, welche nach dem Gauss sehen Satz auf einen äußeren
Pol gleiche Wirkung wie der im Innern des Magneten verteilte
Magnetismus ausübt.^
„Man kann statt der Bewegung des Leiters die entgegen-
gesetzte der magnetischen Oberfläche substituieren und umgekehrt.
Wenn aber die magnetische Oberfläche bewegt gedacht wird oder
wirklich sich bewegt, so hängt der induzierte Strom nicht allein
von der Ortsveränderung ab, welche ihre Elemente erfahren,
sondern auch von ihren dabei stattfindenden Drehungen. Der
Teil des Induktionsstromes, welcher von der Drehung der Elemente
der magnetischen Oberfläche herrührt, ist von der Gestalt des
induzierten Leiters unabhängig; er hängt allein von der Lage der
Wangerill, Franz Neuxnann. g
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Endpunkte ab und verscliwindet, wenn der Leiter eine geschlossene
Kurve bildet."
Weiter werden (§ 8) die Ausdrücke für die Induktionsströme
ermittelt, die durch ein plötzliches Eintreten oder Verschwinden
des Magnetismus oder Oberhaupt durch eine Veränderung des
magnetischen Zustandes eines Magneten erregt werden, indem der
Akt der Magnetisierung und Entmagnetisierung als eine Bewegung
der beiden magnetischen Flüssigkeiten angesehen wird, infolge
deren die vereinigten sich trennen oder die getrennten sich ver-
einigen. Die so erhaltenen Resultate lassen sich aber (§ 9) noch
auf eine andere Weise aus einem neuen allgemeinen Prinzip
ableiten. Neumann gelangt zu diesem Prinzip, indem er von
der Betrachtung des Stromes ausgeht, der in einem geschlossenen
Leiter durch eine Ortsveränderung, sei es des Magneten oder des
Leiters, induziert wird.
„Es ist leicht nachzuweisen, daß dieser Strom allein von der
durch die Ortsveränderung hervorgebrachten Veränderung des
Wertes des Potentials ^) abhängt, durch welches die Wirkung eines
von der Einheit des Stromes durchströmten Leiters auf einen
Magneten dargestellt wird. Ich verallgemeinere dies Resultat und
setze als Prinzip: daß die Veränderung des Potentials,
durch welches die Wirkung eines von der Einheit des
Stromes durchströmten Leiters auf einen Magneten
dargestellt wird, die Ursache und das Maß des indu-
zierten Stromes ist und es hierbei gleichgilt, wodurch
diese Veränderung des Wertes des Potentials hervor-
gebracht wird, ob durch eine veränderte relative Lage
des Magneten und des Leiters oder durch einen an-
deren Umstand, wie z. B. durch eine Schwächung des
Magneten."
Dies Prinzip läßt sich nun (§ 10) auch auf diejenigen Ströme
ausdehnen, welche in einem ruhenden Leiter von einem ruhenden
^) In einem Briefe an Jacobi (s. KÖnigsberger, Jacobi, S. 362)
sagt Neumann ausdrücklicli, da£ er den Ausdruck Potential in etwas
allgemeinerem Sinne genommen habe, und in der Abhandlung selbst
sagt er S. 51 in einer Anmerkung: „loh drücke mich der Kürze halber
auf diese Weise aus, statt zu sagen, daß die rechtwinkligen Kom-
ponenten der Wirkung die partiellen Differentialquotienten des Po-
tentials sind."
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galvanischen Strom induziert werden, der in seiner Intensität eine
Änderung erleidet. Zunächst ergibt sich aus den Betrachtungen
des § 4 unter Benutzung des Satzes, daß die Wirkung zweier ge-
schlossenen Ströme aufeinander von einem Potential abhängt, für
die durch Bewegung erregte Induktion der Satz:
„Die in einem geschlossenen Leiter durch einen
geschlossenen galvanischen Strom induzierte elektro-
motorische Kraft, sei es daß der Leiter oder der Strom
eine Ortsveränderung erfährt, ist gleich der Differenz
der Werte, welche das Potential des Leiters, bezogen
auf den ganzen galvanischen Strom, am Anfang und
Ende der Bewegung besitzt.^
Der Ausdruck des induzierten Stromes ist
WO j die Stromstärke des induzierenden Stromes ist. Die Bedeu-
tung der übrigen Zeichen ist folgende: Man denke sich durch
die Kurve des Leiters eine beliebige durch sie begrenzte Ober-
fläche gelegt und eine zweite g) durch die Kurve des Induzenten
und durch diese begrenzt. Do und Do sind Elemente dieser
zwei Oberflächen und r' und r" ihre Entfernungen vor und nach
der Bewegung. Das nach n und v genommene zweite Differential
wird so verstanden, daß man zuerst den einen Endpunkt von r
in der Normale von Do um dn verrückt, und das hierdurch er-
haltene Differential zum zweiten Male differentiiert , indem man
den anderen Endpunkt von r in der Normale von Dg) um dv
fortrücken läßt. Die Integrationen g und 2 beziehen sich auf
die Oberflächen o und o.
Aus der Unabhängigkeit der induzierten elektromotorischen
Kraft von der Bewegung an sich wird gefolgert, daß jede Ursache,
welche eine Veränderung im Werte des in Beziehung auf einen
geschlossenen Leiter stattfindenden Potentials eines geschlossenen
Stromes hervorbringt, einen Strom induziert, dessen elektro-
motorische Kraft durch die Veränderung, welche das Potential
erlitten hat, ausgedrückt ist. Ein ruhender elektrischer Strom
induziert demnach , wenn seine Intensität von / bis f wächst, in
einem ruhenden geschlossenen Leiter einen Strom, dessen Aus-
druck ist:
8*
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Ferner ist der durch das plötzliche Auftreten eines galvani-
schen Stromes in einem ruhenden Leiter induzierte Strom der-
selbe, als hätte sich der Leiter aus großer Entfernung her dem
Strom bis an die Stelle, wo er sich befindet, genähert.
War hierbei vorausgesetzt, daß sowohl der Leiter, als der
Induzent geschlossen sind, so wird weiter (§11) die Wirkung-
eines geschlossenen Stromes auf einen ungeschlossenen be-
wegten Leiter s untersucht.
„Die Summe der während der Bewegung Ton s induzierten
elektromotorischen Kräfte ist gleich dem Potential des Stromes
in bezug auf die geschlossene Umgrenzung der Oberfläche, welche
der Leiter beschrieben hat, diese umgrenzenden Kurven, nämlich
die beiden des Leiters selbst in seiner Anfangs- und Endposition
und die während der Bewegung von seinen beiden Endpunkten
beschriebenen, durchströmt gedacht von dem Strome f.**
„Dies Theorem gibt, wenn der induzierte Leiter geschlossen
ist, den Satz des vorigen Paragraphen über die Induktion eines
^) Zu dieser Formel macht Jacobi in einem Briefe an Neu-
mann vom 28. Januar 1846 die Bemerkung: „Der geometrische Satz
hat mich sehr interessiert, der hier gleichsam galvanischen Betrach-
tungen entströmt, daß
Do Do)
K^^ dm
von der Besonderheit der Oberflächen o und w, welche durch die beiden
Kurven s und a gelegt werden, unabhängig ist und bloß durch diese
Kurven bestimmt wird. Wenn ich nicht irre, geben Sie für diese Be-
stimmung in § 11 die Formel
cos (ds, da)
-SS
ds d(Ti
aber ich kann keine direkte Transformation der einen Formel in die
andere sogleich finden."
Hierzu sei bemerkt, daß die Transformation sich durch zweimalige
Anwendung des Stok esschen Satzes ergibt; daß femer die Gleichheit
der beiden vorstehenden Ausdrücke nichts anderes ist als ein Spezial-
fall des Beltrami sehen Satzes, der seinerseits aus dem Satze von
Stok es folgt.
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geschlossenen Leiters durch einen geschlossenen Strom." Es folgt
ferner aus demselhen Theorem der Satz:
„Wenn ein ungeschlossener Leiter eine geschlossene Bahn
durchlaufen hat, d. h. wenn er am Ende der Bewegung in die Lage,
aus welcher er ausging, zurückgekehrt ist, so ist die auf dieser
Bahn durch einen geschlossenen Strom induzierte elektromotorische
Kraft die Differenz der Werte des Potentials des Stromes in Be-
ziehung auf die zwei Kurven, welche die Endpunkte des Leiters
durchlaufen haben, diese Kurven von dem Strome s durchströmt
gedacht."
„Wenn ein geschlossener Leiter in einer geschlossenen Bahn
unter dem Einfluß eines geschlossenen Stromes bewegt worden
ist, so ist die Summe der induzierten elektromotorischen Kräfte
immer gleich Null."
„Diese Sätze gelten auch, wenn die Induktion nicht durch
einen geschlossenen Strom, sondern durch einen Magneten hervor-
gebracht wird."
„Auf den Fall, auf welchen die vorstehenden Sätze sich be-
ziehen, den Fall nämlich der Bewegung eines Leiters unter dem
Einfloß eines induzierenden geschlossenen Stromes, lassen sich
derjenige, wo der geschlossene Strom statt des Leiters bewegt
wird, sowie die Fälle zurückführen, wo der induzierte Leiter ge-
schlossen, der induzierende Strom aber nicht geschlossen ist, es
mag der Leiter oder der Strom bewegt werden."
Weiter wird (§ 12) gezeigt, daß das Potential eines Solenoids,
bzw. eines Solenoidpoles und damit eines Magnetpoles in bezug auf
einen geschlossenen Strom eine sehr einfache geometrische Deu-
tung zuläßt durch Einführung des Begriffes der Kegelöffnung i).
Durch eine geschlossene Kurve s lege man einen Kegel, dessen
Spitze im Punkte F liegt, und beschreibe um P eine Kugel mit
dem Radius 1, so wird das Stück der Kugel, das durch den Kegel
herausgeschnitten wird, die Kegelöffnung von s in bezug auf den
Punkt P genannt. Das Potential eines Magnetpoles, dessen freie
*) An Stelle des Wortes Kegelöffnung hatte Neumann ursprüng-
lich die Bezeichnung „Kegelecke" gewählt. Zum Aufgehen dieser Be-
zeichnung wurde er von Jacobi veranlaßt. Wie aus den Briefen des
letzteren hervorgeht, ist das Wort „KegelöfEnung" von Dirichlet vor-
geschlagen. Neumann hat dann diesen ihm darch Jacohi üher-
mittel ten Vorschlag akzeptiert.
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— 118 —
magnetische Flüssigkeit gleich 1 ist, in bezug auf einen ge-
schlossenen Strom 8 Ton der Intensität 1 ist nun gleich der Kegel-
offnung von $ in bezug auf den Pol. Für das Potential eines
Magneten in bezug auf einen geschlossenen Strom folgt daraus
der Ausdruck
wo K die Kegelöffnung von s in bezug auf D (O ist, x.Da die in
dem Oberflächenelement Do befindliche freie magnetische Flüssig-
keit; die Summation ist über die Oberfläche des Magneten auszu-
dehnen. Da der in s durch die Bewegung des Magneten und
durch die Änderung des magnetischen Zustandes desselben in-
duzierte Strom von der Differenz solcher Potentiale abhängt, wie
sie oben betrachtet sind, so hat man nunmehr auch für diesen
induzierten Strom einen einfachen Ausdruck. — Einer längeren
Erörterung bedarf die Betrachtung des Vorzeichens der Kegel-
öffnung K, die ursprünglich aus einem Kurvenintegral abgeleitet
war, sowie die Entscheidung der Frage, wann für K das größere
oder kleinere Kugelflächenstück zu nehmen ist. Aus dieser Er-
örterung wird der folgende Satz abgeleitet:
„Wenn sich ein Magnetpol in einer geschlossenen Bahn be-
wegt hat, so ist die Summe der dadurch in einem geschlossenen
Leiter s induzierten elektromotorischen Kräfte gleich Null, es sei
denn, daß die Bahn des Poles die Ebene von s innerhalb s ge-
schnitten hat. So oft die Bahn diese Ebene innerhalb s von der
positiven Seite her geschnitten hat, so oft ist eine elektromotorische
Kraft vom Werte — 4ä£X, und bei jedem Durchschnitt von der
negativen Seite her eine elektromotorische Kraft -|- 4 jr £ x in-
duziert worden."
Schließlich werden die letzten Formeln auf einige einfache
Beispiele angewandt. Dieselben betreffen 1. den Strom, der durch
den Erdmagnetismus in einem geschlossenen Leiter induziert
wird, falls dieser um seine Achse rotiert, 2. die Induktion, die
herrührt von einem prismatischen oder hufeisenförmig gebogenen
Magneten, falls sein freier Magnetismus als gleichförmig über die
beiden Grundflächen verteilt angesehen werden kann, während
die Seitenflächen davon frei sind.
2. Über ein allgemeines Prinzip der mathematischen
Theorie inducierter elektrischer Ströme. Abhandlungen
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— 119 —
der EöDigl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1848, S. 1
bis 71 ^). Vorgelesen daselbst am 9. August 1847.
Auch die zweite Abhandlung betrifft nur die lineare In-
duktion; sie erweitert die in der ersten abgeleiteten Resultate nach
folgender Richtung hin. Waren in der ersten Abhandlung die
Fälle behandelt, in welchen die gegenseitige Lage der Elemente
der bewegten Stücke (mögen diese dem induzierten Leiter oder
dem induzierenden Strom angehören) unverändert bleibt, diese
also nur ihre Lage, nicht ihre Form ändern, werden hier be-
liebige Änderungen der Lage und Gestalt einzelner Teile des
Leiters und des Induzenten in Betracht gezogen. Diese Ände-
rungen sind keiner anderen Beschränkung unterworfen als der,
welche für das Zustandekommen von induzierten Strömen über-
haupt notwendig ist, nämlich daß die Elemente eines jeden der
beiden Systeme während ihrer Bewegung untereinander in leiten-
der Verbindung bleiben. Um die Sache anschaulicher zu machen,
sei z. B. ab cd die Bahn des induzierten Stromes zur Zeit f. Die
Induktion ist dadurch hervorgebracht, ^j 2
daß das Leiterstück hcd aus seiner
anfänglichen Lage hiCidi in die Lage
2>2^2^2 fortgeführt ist, und zwar so,
daß dieselben Elemente h und d mit
den Unterlagen b^ h^ und di d^ in lei-
tender Verbindung geblieben sind, wo-
bei die Form des bewegten Stückes
eine beliebige Veränderung erlitten
haben kann. Die Stellen h, d werden
von Neumann als Gleitstellen bezeichnet. Nacheinander werden
folgende Fälle behandelt:
1) Die Induktion erfolgt durch einen ruhenden Strom in
einem geschlossenen Leiter, dessen Elemente eine Orts Veränderung
erfahren. (§ 1.)
2) In einem ruhenden Leiter werden durch die Bewegung
von Stromelementen des Induzenten Ströme induziert. (§ 2.)
^) Die Abhandlung ist von neuem abgedruckt in Ostwalds
Klassikern der exakten Wissenschaften Nr. 36, herausgegeben von
C. Neumann. Leipzig 1892. — Ein kurzer Auszug aus der Abhand-
lung ist in den Berichten der Berliner Akademie 1847, S. 282 — 283,
abgedruckt.
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— 120 —
3) Die Induktion wird durch eine gleichzeitige Yerschiebung
der Leiter und der Stromelemente erregt. (§ 3.)
4) Neben der gleichzeitigen Bewegung der Strom- und Leiter-
elemente wird die Induktion durch eine Veränderung der Strom-
stärke des Induzenten hervorgebracht.
Dabei wird für die elektromotorische Kraft, die in einem
Element D 8 eines geschlossenen Leiterumgangs erregt wird, wenn
in dem Stromelement D die Stromstärke j während der Zeit d t
dj
den Zuwachs -^-^dt erhält, der Ausdruck zugrunde gelegt:
_iadi^^cos(2)s,D<y)^ . . . . 1»>)
Dieses Glied bildet also eine Ergänzung zu dem im Anfang der
ersten Abhandlung aufgestellten Elementargesetz der Induktion
(s. Gl. 1*) S. 109), das nur für konstante Stromstärken gilt. Das
vollständige Elementargesetz ist die Summe der Ausdrücke 1^)
und 1^), nachdem 1*) noch mit dt multipliziert ist.
Die Eesultate der Untersuchungen aller dieser einzelnen
Fälle lassen sich zu einem sebr einfachen und allgemeinen Theorem
zusammenfassen, dem Neu mann sehen Prinzip der mathemati-
schen Theorie der induzierten elektrischen Ströme, das natürlich
auch alle Eesultate der ersten Abhandlung enthält. Es lautet:
„Wird ein geschlossenes, unverzweigtes, leitendes
Bogensystem Äi durch eine beliebige Yerrückung seiner
Elemente, aber ohne Aufhebung der leitenden Verbin-
dung derselben, in ein anderes Ä^ von neuer Form und
Lage übergeführt, und geschieht diese Veränderung von
Äi in Ä2 unter dem Einfluß eines elektrischen Strom -
Systems Bi, welches gleichzeitig durch eine beliebige
Verrückung seiner Elemente eine Veränderung in Lage,
Form und Intensität von Bi in B2 erfährt, so ist die
Summe der elektromotorischen Kräfte, welche in dem
leitenden Bogensystem durch diese Veränderungen in-
duziert worden sind, gleich dem mit der Induktions-
konstante 8 multiplizierten Unterschied der Potential-
werte des Stromes J5j in bezug auf A^ und des Stromes
^1 in bezug auf Äi^ wenn A2 und Äi von der Stromeinheit
durchströmt gedacht werden."
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— 121 —
Mit Benutzung des Wertes für das Potential zweier ge-
schlossenen Ströme ergibt sich f&r die induzierte elektro-
motorische Kraft der Ausdruck:
Darin bezeichnet D6 ein Element des induzierenden Stromes B,
j die Stromstärke in D<^, J)s ein Element des induzierten Lei-
tungsumganges Ai (Da, Ds) den Neigungswinkel von Dö gegen
Ds; r ihre Entfernung. Die Klammer [ ]j stellt die Differenz
der Werte dar, welche die von ihr eingeschlossene Größe in den
Endpositionen der Strom- und Leiterelemente und in den Anfangs-
positionen besitzt. Endlich drückt g eine Summation über alle
Elemente Ds, S eiiie solche über alle Elemente D(S aus.
Für den induzierten Integralstrom folgt daraus, falls e' der
reziproke Leitungs widerstand des induzierten Leiters ist:
während der induzierte Differentialstrom das Element des Inte-
grals nach t ist. Ist e' konstant, so läßt sich die Integration nach
t ausführen; für einen unverzweigten Strom ferner tritt noch
dadurch eine Vereinfachung ein, daß j konstant ist.
In einem Schlußparagraphen untersucht Neu mann noch,
wie weit die von ihm entwickelten Resultate mit den aus Webers
Grundgesetz der elektrischen Wirkung abgeleiteten Induktions-
gesetzen übereinstimmen ^). Er findet dabei, daß zwischen beiden
Resultaten voUe Übereinstimmung besteht, 1. wenn die Induktion
allein durch eine Intensitätsänderung des Stromes 6 hervor-
gebracht wird, 2. wenn die Induktion allein durch Ortsveränderung
des Leiterelementes Ds erregt wird, während der Induzent ruht
und von einem konstanten Strome durchflössen wird, 3. wenn bei
Bewegung des Induzenten die Zahl der Stromelemente keine Än-
derung erleidet, d. h. wenn keine Gleitstellen vorhanden sind.
Sind aber solche vorhanden, so findet keine Übereinstimmung
statt. Der Ausdruck für die induzierte elektromotorische Kraft
^) Webers Grundgesetz ist im ersten, 1846 erschienenen Teil
seiner elektrodynamischen Maßbestimmungen enthalten, also zwischen
der ersten und zweiten Neu mann sehen Abhandlung veröffentlicht.
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— 122 —
zerfällt nämlich im Falle der Bewegung des Induzenten in zwei
Summanden, und der erste derselben ist bei Neumann und
Weber identisch , der zweite hat bei beiden dieselbe Form, aber
entgegengesetzte Vorzeichen. Dieser zweite Summand verschwindet,
wenn keine Gleitstellen vorhanden sind. Richtet man es um-
gekehrt so ein, daß der erste Summand in dem Ausdruck für die
elektromotorische Kraft verschwindet (es tritt das ein, wenn die
von den Stromelementen durchlaufenen Wege geschlossene Bahnen
sind), so ist nach beiden Theorien die Summe der elektromotori-
schen Kräfte, welche während des Umlaufes der Elemente des In-
duzenten erregt werden, dieselbe, die Richtung des induzierten
Stromes aber die entgegengesetzte. Um zu entscheiden, welches
der beiden Resultate mit der Erfahrung übereinstimmt, hat Keu-
mann ein Experiment angestellt, bei dem die Gleitstelle des In-
duzenten einen Kreis durchläuft, während der induzierte Leiter
einen konzentrischen Kreis bildet. Die Beobachtung bestätigt
die Richtigkeit der Neumann sehen Formel in jeder Beziehung;
nicht nur die Richtung des Stromes ist die durch diese Formel
geforderte, sondern auch die Stärke des induzierten Stromes wird
durch die Formel richtig ausgedrückt.
Dies Ergebnis, daß der aus dem Web ersehen Gesetz her-
geleitete Ausdruck für den induzierten Strom der Erfahrung
widerspricht, führt Neumann aber keineswegs dazu, das
Web er sehe Grundgesetz zu verwerfen, vielmehr glaubt er nur
die Art und Weise, wie es für den vorliegenden Fall in Anwendung
gebracht ist, in Zweifel ziehen zu müssen. Da der Widerspruch
nur auftritt, wenn der Induzent Gleitstellen besitzt, müssen die
Bewegungen der Elektrizität an einer solchen Gleitstelle nicht
richtig aufgefaßt sein. Bei näherer Überlegung zeigt sich, daß
eine Modifikation der Rechnung in zwei Punkten nötig ist. Erstens
treten bei Gleitstellen neue Elemente in die Strombahn ein oder
heraus, in denen sich in einer sehr kurzen Zeit die Stromstärke
von auf j oder umgekehrt verändert, und die durch diese
Intensitätsänderung einen induzierenden Einüuß ausüben, die in
Neumanns Formeln schon enthalten ist, aber bei Anwendung
des Web ersehen Gesetzes noch berücksichtigt werden muß.
Während des Zeitelementes dt^ m welchem ein Element der Gleit-
stelle in die ßahn des induzierenden Stromes eintritt, erlangt
zweitens seine Elektrizität den endlichen Zuwachs y an Gd-
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— 123 —
schwindig keit. Dieser Zuwachs muß angesehen werden, als wäre
er der Elektrizität des Elementes stetig erteilt, so daß derselbe
nach Verlauf von —dt den Wert — y hat. Die Elektrizität dieses
n n
Elementes kann also angesehen werden, als durchliefe sie während
dt den Weg \ydt', daher ist in der Web er sehen Formel
j = vr
an Stelle von y zu setzen \y.
Berücksichtigt man die beiden eben erörterten Punkte, so
wird eine vollständige Übereinstimmung zwischen den Induktions-
formeln, die sich aus dem Web er sehen Grundgesetz ergeben, und
dem Neumann sehen allgemeinen Induktionstheorem herbei-
geführt.
In einem Anhang wird der Ausdruck für das Potential
zweier geschlossenen Ströme aufeinander (ein Ausdruck, der
schon gelegentlich in der ersten Abhandlung § 11 auftritt) näher
erörtert.
„Bezeichnet man durch ö und s die geschlossenen Bahnen
zweier elektrischer Ströme, durch Dö^ Ds ihre Elemente und
durch (D<y, Ds) den Winkel, unter welchem diese Elemente
gegeneinander geneigt sind, so hat, wenn j und i die Intensitäten
der Ströme Ö und s sind, das Potential 77 des einen Stromes in
bezug auf den anderen diesen Ausdruck:
worin
und X, yy z und |, >?, 5 die Koordinaten von Bs und B6 sind."
Es ist dies das wichtige Neu mann sehe Potentialgesetz.
Seine Bedeutung ist folgende: Die Wirkung des Stromes (S auf
den Strom s kann ersetzt werden durch eine Kraft, die in einem
Punkt A angreift, und ein Kräftepaar.
Aus dem Potential erhält man nicht allein die Komponenten
jener Kraft als die negativen Ableitungen von TL nach den Koordi-
naten von Ay sondern auch die Komponenten des Kräftepaares.
O TT
Letztere sind für irgend eine durch A gehende Achse — - — ,
wenn d(p den unendlich kleinen Drehungswinkel um eben jene
Achse bezeichnet.
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— 124 —
Dieser Wert des Potentials kann direkt aus folgendem Gesetz
abgeleitet werden, das die Wirkung eines Elementes eines ge-
schlossenen Stromes auf ein Element eines anderen geschlossenen
Stromes bestimmt: „Die Anziehung, welche zwei Elemente yer-
schiedener geschlossener Ströme aufeinander ausüben, ist um-
gekehrt proportional dem Quadrat ihrer Entfernung und direkt
proportional dem Cosinus ihrer gegenseitigen Neigung."
Dies Gesetz, welches sich aus den Amp^r eschen Formeln er-
gibti vor Neu mann aber in dieser Form nicht ausgesprochen ist,
ist nicht so zu verstehen, als stelle es die tatsächlich stattfindende
Wirkung zweier Stromelemente aufeinander dar, vielmehr ist der
Sachverhalt der, daß dieses vereinfachte Gesetz für geschlossene
Ströme auf dasselbe Resultat führt wie das Ampere sehe Gesetz.
Dieser Übersicht über den wesentlichen Inhalt der beiden
wichtigen Neu mann sehen Abhandlungen über induzierte Ströme
ist noch folgendes hinzuzufügen. Nach einer Untersuchung von
C. Neumann (vgl. die C. Neumann sehe Ausgabe der zweiten
F. Neumann sehen Abhandlung in Nr. 36 der Ostw aidschen
Klassiker) führt das F. Neu mann sehe Elementargesetz der In-
duktion [das durch die Summe der Ausdrücke 1^) S. 109, und 1^)
S. 120, dargestellt wird] zu dem Neumann sehen Prinzip (s. oben
S. 120) nur, falls der Induzent von Gleitstellen frei ist. Hingegen
führt jenes Elementargesetz zu einer von diesem Prinzip wesent-
lich verschiedenen Formel, sobald Gleitstellen in dem Induzenten
vorhanden sind. Da man das Prinzip als experimentell bewiesen
betrachten kann, so würde hieraus folgen, daß jenes Elementar-
gesetz noch einer Korrektur bedarf. Mau vergleiche hierüber die
weiteren Untersuchungen von C. Neumann, in seinem Werk:
„Die elektrischen Kräfte", 2. Teil, Leipzig 1898.
V. Mathematische Arbeiten.
a) Geometrie.
De tactionibus atque intersectionibus circulorum
et in piano et in sphaera sitorum, sphaerarum atque
conorum ex eodem vertice pergentium. Commentatio geo-
metrica. Herolini MDCGCXXVi).
^) Betreffs der Jahreszahl, die im Original MDCCCXV lautet, vgl.
die Anmerkung S. 12.
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— 125 —
Daß sich Neumann in der ersten Hälfte der zwanziger
Jahre nicht nur mit Anwendungen der Geometrie auf die Kri-
stallographie heschäftigt, sondern danehen auch rein geometrische
Studien getriehen hat, zeigt die Arheit, die er ursprünglich als
Promotionsschrift eingereicht hatte. Dieselbe ist im Jahre 1826
in der keuschen Zeitschrift Isis (Bd. XVIII, Heft 4 und 5i
S. 349—367, 466—489) abgedruckt. In dieser Arbeit, die nur
wenig bekannt geworden ist, werden zunächst in höchst eigen-
artiger Weise die Begriffe der Ähnlichkeitspunkte zweier Kreise,
der Potenzlinie derselben, dann die Hauptsätze über Pol und
Polare eines Kreises entwickelt, ohne daß jedoch diese Namen
gebraucht werden. Den Ähnlichkeitspunkt nennt Neumann:
„Punctum analogicum utrique circulo commune in eodem (aut
opposito) utriusque latere situm."
Auf die Potenzlinie zweier Kreise gelangt er folgendermaßen:
Man suche einen Ähnlichkeitspunkt (gleichgültig welchen) beider
Kreise, bestimme die Polaren desselben in bezug auf jeden der
Kreise und nehme endlich die Mittellinie zwischen beiden Polaren.
Das ist die Potenzlinie. Als ihre Haupteigenschaft wird hervor-
gehoben, daß sie alle Kreise, welche die gegebenen berühren, unter
gleichen Winkeln schneidet, nämlich unter demselben Winkel,
unter dem die beiden Polaren die gegebenen Kreise schneiden.
Dieser Eigenschaft wegen wird die Potenzlinie zweier Kreise C',
C" „trajectoria recta circulorum circulos C\ C" tangentium" ge-
nannt, während die erwähnten beiden Polaren als „lineae ana-
logicae trajectoriae rectae" bezeichnet werden. Diesen bei Kreisen
auftretenden Begriffen werden jedesmal die analogen Begriffe für
Kugeln an die Seite gestellt. Auf diese Begriffe, bzw. die über
dieselben abgeleiteten Sätze gestützt, gibt Neumann eine Kon-
struktion der Aufgabe des ApoUonius, die im wesentlichen mit
der Konstruktion von Gaultier, bzw. der mit dieser nahe ver-
wandten von Gergonne (beide waren Neumann damals nicht
bekannt) übereinstimmt; sodann eine Konstruktion der Kugeln,
welche vier gegebene Kugeln berühren.
Es folgt die Aufgabe, die Kreise zu konstruieren, welche
drei der Größe und Lage nach gegebene Kreise C, C", C" unter
drei gegebenen Winkeln «i, «g» ^s schneiden. Die Konstruktion
beruht auf folgender Überlegung. Sucht man alle Kreise, welche
zwei gegebene Kreise unter gegebenen Winkeln gleichartig (eadem
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— 126 —
ratione) scbneiden, so besteht die Enyeloppe derselben aus zwei
Kreisen; diese beiden einhüllenden Kreise werden von allen jenen
schneidenden Kreisen berührt. Zur Lösung der gestellten Auf-
gabe hat man nur für je zwei der gegebenen drei Kreise die in
Rede stehenden Enveloppen zu suchen, die also zusammen aus
sechs Kreisen bestehen, und dann die Kreise zu konstruieren,
welche drei der letztgenannten sechs Kreise berühren (die drei
anderen werden yon selbst berührt). Für die hier benutzten
einhüllenden Ejreise wird eine elegante Konstruktion angegeben,
die darauf hinauskommt, zwei Kreise zu suchen, die einen ge-
gebenen Punkt zum Ähnlichkeitspunkt und eine gegebene Linie
zur Potenzlinie haben. — Mit der Erörterung der analogen Auf-
gabe für den Raum, der Aufgabe nämlich, die Kugeln zu be-
stimmen, welche yier gegebene Kugeln unter gegebenen (von-
einander verschiedenen) Winkeln schneiden, schließt der erste
Abschnitt der Arbeit.
Der zweite Abschnitt behandelt die Bestimmung der geraden
Kegel, welche drei gegebene gerade Kegel mit demselben Scheitel
berühren oder unter gegebenen Winkeln schneiden. Im dritten
Abschnitt werden die Aufgaben, welche im ersten in bezug auf
Kreise der Ebene besprochen waren, auf die Kugelfläche über-
tragen. Der vierte Abschnitt endlich bespricht spezielle Fälle der
allgemeinen Aufgaben, indem Punkte oder gerade Linien an Stelle
der ebenen Kreise, Punkte oder größte Kugelkreise an Stelle der
kleinen Kugelkreise treten.
Zur Würdigung der besprochenen Arbeit muß man erwägen,
daß dieselbe im Jahre 1825 vollendet ist, also vor dem Erscheinen
der ersten Arbeiten v(Ai Steiner^), daß ferner Neumann bei der
Abfassung seiner Arbeiten die der zeitgenössischen französischen
Geometer, insbesondere die von Poncelet und Gergonne, nicht
gekannt hat. Er sagt in der Einleitung, nachdem er die Autoren
des 18. Jahrhunderts angeführt hat, ausdrücklich, daß ihm weitere
Veröffentlichungen über sein Thema nicht bekannt geworden seien.
Wollte man aber auch von Neumanns Leistungen das abziehen,
was er nur wieder entdeckt hat, so bliebe doch des Neuen und
^) Steiners Abhandlung „Einige geometrische Betrachtungen'',
Grelle, Bd. I, behandelt in der Einleitung dieselben Begriffe, die Neu-
mann an die Spitze seiner Arbeit gestellt hat. Datiert ist Steiners
Abhandlung vom März 1826.
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— 127 —
Eigenartigen genug übrig, um das oben (S. 11) erwähnte Urteil von
Weierstrass gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Zu diesem
Neuen gehört insbesondere das Schneiden unter gegebenen Winkeln,
das vor Neumann von keinem der Bearbeiter der Aufgabe des
ApoUonius ins Auge gefaßt war. Ferner tritt bei Neumann
zum ersten Male der Parallelismus hervor, in dem die Geometrie
der geraden Kegel mit gemeinsamer Spitze zu der der Kreise in
einer Ebene steht 0« Endlich ist hervorzuheben, daß Neumann
in der Einleitung es als sein leitendes Prinzip ausspricht, daß man
derartige geometrische Aufgaben, wie er sie behandelt, auch
geometrisch lösen müsse, daß der Weg der analytischen Be-
handlung, der von allen Autoren des 18. Jahrhunderts ein-
geschlagen sei, ein Umweg und nicht sachgemäß sei. Neumann
gibt weiter an, daß es sein Hauptbestreben gewesen sei, die ver-
schiedenen Konstruktionen von einheitlichem Gesichtspunkte aus
abzuleiten. Er erwähnt endlich, daß er seine Arbeit nur als den
ersten Teil einer umfassenderen Abhandlung ansehe, in der
analoge Aufgaben zu behandeln wären, bei denen Kegelschnitte
an Stelle der Kreise, Flächen zweiter Ordnung an Stelle der
Kugeln treten. In dem Betonen der Wichtigkeit rein geometrischer
Betrachtungen, in der Behandlung einer größeren Gruppe von
Aufgaben nach einheitlicher Methode hat Neumann in Deutsch-
land keinen Vorgänger. Ich stehe nicht an, ihn auf Grund der
besprochenen Arbeit als einen Vorläufer von Steiner zu be-
zeichnen. Wäre Neumanns Arbeit bekannter geworden, so
würde sein Name sicher unter den Namen der M&nner genannt,
denen wir die Pflege geometrischer Studien in Deutschland ver-
danken.
b) Kugelfunktionen.
1. Gehören Neumanns wichtigste Leistungen dem Gebiete
der Physik, insbesondere der mathematischen Behandlung physika-
lischer Probleme an, so hat er doch auch einen Zweig der reinen
Mathematik wesentlich gefördert, nämlich die Theorie der Kugel-
funktionen. Seine erste darauf bezügliche Arbeit findet sich in
^) Betreffs der Würdigung der Neumann sehen Arbeit vgl. auch
E. Kötter: Die Entwickelung der synthetischen Geometrie, Jahres-
bericht der deutschen Mathematikervereinigung 5, 115 — 118. Leipzig
1898—1901.
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Schumachers „Astronomischen Nachrichten '^ 15 (1838) [wieder
abgedruckt in den Mathem. Annal. 14 (1879)]. Dieselbe führt
den Titel: „Über eine neue Eigenschaft der Laplaceschen
Jt**) und ihre Anwendung zur analytischen Darstellung
derjenigen Phänomene, welche Funktionen der geogra-
phischen Länge und Breite sind.^ Darin wird die Aufgabe
behandelt, in einer endlichen, nach den Laplaceschen T^*^^
fortschreitenden Reihe die Koeffizienten so zu bestimmen, daß die
Keihe für eine endliche Anzahl yon Werten der unabhängigen
Veränderlichen (geographische Länge und Breite) gegebene Werte
annimmt. Diese Aufgabe wird von Ken mann yiel einfacher ge-
löst, als es von Gauss in seiner Theorie des Erdmagnetismus für
einen speziellen Fall geschehen ist. Während Gauss, der die
Entwicklung bis zu den Kugelfunktionen vierter Ordnung inkL
führt, zur Bestimmung der erforderlichen 25 Konstanten 25 Glei-
chungen mit 25 Unbekannten auflöst, wird hier eine allgemeine
Methode entwickelt, jene Konstanten mit leichter Mühe bis zu
jeder Ordnung der Kugelfunktionen zu berechnen; dabei wird
allerdings vorausgesetzt, daß die Beobachtungsorte nach einem
gewissen Gesetze über die Erdoberfläche verteilt sind. Unter
dieser Voraussetzung existiert nämlich ein einfaches System von
Faktoren, mit denen man nur nötig hat, die Gleichungen zu multi-
plizieren und dann zu addieren, um ohne weiteres die gesuchten
Konstanten zu finden. Das angedeutete, Verfahren beruht auf
folgenden, von Neumann aufgestellten Sätzen über endliche
Summen von Kugelfunktionen. Man bestimme 2p -\- 1 Größen
f*ii f*2> •••» f*2p + i tind 2jp+ 1 andere Größen a^ ag, ..., «2^ + 1
so, daß sie den 2 p -\- 2 Gleichungen genügen:
lau = l, lai^ti], = 0, laicii^ = J-, •••
worin alle Summen von k= l bis k = 2p -\- 1 zu nehmen sind:
Dann ist
X au Pn (iik) Pm (ft?^) = ,
falls »w ^ n, während für m = n
2
1 aic Pn (ilk) Pn ((ik) = 2nTl
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— 129 —
ist. Durch diese Hilfssätze, die für p =z oo in die bekannten
Integralsätze der Eugelfunktionen übergehen, sowie durch zwei
analoge, die zugeordneten Eugelfunktionen betreffende Sätze ge-
lingt, in Verbindung mit bekannten trigonometrischen Summen-
formeln, die angestrebte einfache Bestimmung der gesuchten Eon-
stanten. — Will man nun die Eugelfunktionenreihe bis Y^^^ inkl.
haben , so daß es sich um die Bestimmung yon (p -|- 1)^ Eon-
stanten handelt, so bedarf es der Eenntnis der Werte der zu
entwickelnden Funktion für die Durch schnittspunkte Yon 2 p
äquidistanten Meridianen mit denjenigen Parallelkreisen, für welche
fti, fifl, ..., ftsp + i die Sinus der Breite darstellen. Von diesen
Größen (i sind 2 p ganz willkürlich. Die Zahl der erforderlichen
Beobachtungsdaten, 2p(2p -\- 1), reduziert sich auf 2p(p -\- 1),
falls fti, ..., f*p + i Wurzeln der Gleichung Pp^iQi) = sind.
2. Eine zweite Arbeit über Eugelfunktionen hat Neu mann
im 37. Bande des Grelle sehen Journals (1848) yeröffentlicht:
„Entwickelung der in elliptischen Eoordinaten aus-
gedrückten reziproken Entfernung zweier Punkte in
Keihen, welche nach den Laplaceschen T^*^^ fortschrei-
ten usw." Der durch diese Arbeit angebahnte Fortschritt be-
trifft drei Punkte. Der wesentlichste von diesen ist die Dar-
stellung der Eugelfunktion zweiter Art durch einen geschlossenen
logarithmischen Ausdruck, d. h. die Aufstellung der Formel^)
-1
wo Pn die Eugelfunktion erster Art, Bn—i eine ganze Funktion
vom Grade n — 1 ist. Eine ähnliche Darstellung folgt für die
sogenannte zugeordnete (oder nach Neumanns Bezeichnung
„adjungierte") Eugelfunktion zweiter Art. Nebenbei wird eine
Anzahl von Werten der genannten Funktionen für spezielle Werte
des Arguments bestimmt.
Der zweite Punkt betrifft die Potentialaufgaben für Rota-
tionsellipsoide (bei den im Titel erwähnten elliptischen Eoordi-
naten handelt es sich nicht um die allgemeinen elliptischen
Eoordinaten, sondern um solche für Rotationsflächen). Die er-
^) Neumanns Qnix) ist das Doppelte der von Heine mit $**(.r)
bezeichneten Funktion.
Wangerin, Franz Neomann. ^
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— 130 —
wähnte Aufgabe war von Lame für den Innenraum, von Heine
(Dissert. 1842, Grelle Journ. 26, 1843) für den Außenraum von
Rotationsellipsoiden gelöst Heine hatte zugleich erkannt, daß
die auftretenden Reihen Eugelfunktionen sind. Neumann ist der
erste, der die reziproke Entfernung zweier Punkte entwickelt,
d. h. die in den allgemeinen Entwicklungen auftretenden Konstanten
für diesen speziellen, aber fundamentalen Fallbestimmt hat.
Dazu kommt noch eins, und das bildet das dritte erhebliche
Resultat. Geht man Yon der transformierten Laplac eschen
Gleichung ^ F = aus, so erkennt man, solange es sich um ver-
längerte Rotationsellipsoide handelt, leicht, daß an Stelle der bei
der Eugel auftretenden positiven Potenzen des Abstandes vom
Mittelpunkt hier Kugelfunktionen erster Art zu nehmen sind.
Für abgekürzte Rotationsellipsoide ist das gleiche nicht ohne
weiteres klar. Vielmehr scheint es, als ob hier Summen von
Funktionen erster und zweiter Art auftreten können. Neumann
deckt (durch Betrachtung der Ableitungen von F nach der
Normale des Ellipsoids oder des konfokalen Hyperboloids) den
Grund auf, aus dem die Entwicklung für abgekürzte Ellipsoide
genau dieselbe Form hat wie für verlängerte.
Den Schluß der Arbeit bildet eine Anwendung der behandel-
ten Aufgabe auf die Bestimmung des magnetischen Zustandes eines
Rotationsellipsoids unter der Einwirkung beliebiger verteilender
Kräfte, falls letztere ein Potential besitzen. Diese Aufgabe war
vorher von Poisson nur für konstante Kräfte gelöst worden.
3. Eine dritte die Kugelfunktionen betreffende Arbeit Neu-
manns: „Beiträge zur Theorie der Kugelfunktionen", ist
1878 als selbständige Schrift erschienen; und zwar ist dieselbe
von Herrn C. Neumann nach den Manuskripten seines Vaters
veröffentlicht worden. Die Hauptbedeutung dieser Schrift scheint
mir in folgendem zu liegen. Bei den Anwendungen der Kugel-
funktionen auf die Potentialtheorie spielen nur diejenigen zu-
geordneten Kugelfunktionen, d. h. diejenigen Lösungen der Diffe-
rentialgleichung
dx ^ ^ \ ^ ^ 1—x^j^
eine Rolle, für welche der Nebenindex m kleiner als der Haupt-
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— 131 —
index n oder diesem gleich ist. Die Notwendigkeit dieser Be-
schränkung ergibt sich von selbst bei der Entwicklung der durch
Polarkoordinaten ausgedrückten reziproken Entfernung zweier
Punkte. Anders liegt die Sache, wenn man eine Reihenentwick-
lung für die Lösung der Laplace sehen Gleichung ^ F= sucht.
Hier sieht man den Grund jener Beschränkung nicht a priori
ein; wendet man aber trotzdem, wie es manche Autoren, z. B.
Lame, tun, ohne weitere Begründung nur Funktionen an, bei
denen m ^ n ist, so bleibt in der Ableitung eine wesentliche
Lücke ^). Diese Lücke nun wird durch Neumanns Beiträge aus-
gefüllt. Hier werden nämlich die Integrale der obigen Diffe-
rentialgleichung auch für m ^ n eingehend untersucht. Es
ergibt sich, daß, während für den Fall < m ^ n eine Parti-
kularlösung jener Gleichung existiert, die für die beiden singulären
Punkte ü? = + 1 und a? = — 1 verschwindet, ein Gleiches für
m > n nicht mehr stattfindet. Vielmehr wird hier diejenige
Partikularlösung, die für x = -^ 1 verschwindet, für x = — 1
unendlich, und umgekehrt. Es folgt dies, wenn man die Lösung
m
der Differentialgleichung in die Form bringt ; ( — r— ) - F, wo F
\x + 1/
eine nach Potenzen von x -^ 1 fortschreitende Reihe ist. Man
könnte wohl anführen, daß sich das erwähnte Verhalten der Inte-
grale obiger Gleichung aus den allgemeinen Eigenschaften der
hypergeometrischen Reihe entnehmen läßt. Indessen ist es
wichtig, daß für den speziellen Fall jener Reihe, den die Eugel-
funktionen darstellen, jene Eigenschaft auch durch spezielle, ein-
fache Methoden abgeleitet wird, und das leisten Neumanns
Beiträge. Dieselben enthalten eine Anzahl neuer Reihen und
Integraldarstellungen einmal der zugeordneten Kugelfunktionen
selbst, sodann ihrer Erweiterungen für m '^ n. Daran schließt
sich eine äußerst ausführliche Zusammenstellung von Rekursions-
formeln, die zwischen Eugelfunktionen mit aufeinander folgenden
Indices bestehen, und die teils bekannt, zum großen Teil aber neu
sind, und weiter eine Tabelle besonders wichtiger Spezialwerte
jener Funktionen. Endlich wird im zweiten Teile der Beiträge
die Aufgabe behandelt, das Produkt zweier Eugelfunktionen in
^) Auch bei Heine tritt dieser Punkt nicht deutlich und klar
genug hervor.
9*
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— 132 —
eine nach Eugelfanktionen fortschreitende Reihe zu entwickeln;
auch dabei ergeben sich bemerkenswerte Resultate. Mit der
Lösung der zuletzt genannten Aufgabe haben sich auch andere
Autoren beschäftigt, so 1875 Bauer, 1877 Ferrers, 1878 Adams.
Von allen diesen Bearbeitungen des Problems ist die Neumann-
sehe nicht nur die erste (denn wenn sie auch erst 1878 veröffent-
licht ist, so ist sie doch Tiel früher verfaßt), sondern auch die bei
weitem vollständigste.
VI. Wissenschaftliche TTntersuchungeiiNeumaiiiis,
die nicht von ihm selbst veröffentlicht sind.
Schon oben ist daraufhingewiesen, daß Neumann durchaus
nicht alle seine Untersuchungen durch den Druck veröffentlicht
hat, und daß seine gedruckt vorliegenden Arbeiten kein voll-
ständiges Bild von seiner wissenschaftlichen Bedeutung geben.
Daß unter dem nicht Gedruckten sehr Wertvolles und Wichtiges
war, geht aus Veröffentlichungen von Neumanns Schülern wie
aus den gedruckt vorliegenden Vorlesungen hervor. Weitere
Quellen, das Fehlende zu ergänzen, stehen nicht zu Gebote; was
man aus den vorhandenen Quellen entnehmen kann, betrifft meist
nur gewisse Einzelergebnisse, zu denen Neumann gelangt war,
und auch von diesen erhält man kein vollständiges Bild, weil
Neu mann, wie schon früher erwähnt ist, auch wenn er die Er-
gebnisse seiner Untersuchungen vortrug, nie dabei sagte, daß
dieselben von ihm herrührten.
Was sich als von Neumann herrührend ermitteln läßt, möge
hier kurz zusammengestellt werden.
Aus der Mechanik erwähnen wir die Konstruktion einer
Drahtwage und die Vervollkommnung der Bordaschen Wägungs-
methode (s. Vorlesungen über' theoretische Physik, § 34); femer
Neumanns Methode zur Bestimmung des Trägheitsmoments
eines Körpers, sowie des Drehungsmoments einer bifilaren Auf-
hängung. Diese Methode besteht darin, daß man zwei Gewichte,
für die man die Lage der Schwerpunkte kennt, nach und nach
in verschiedenen Entfernungen von der Schwingungsachse an-
bringt und die gesuchten Größen aus den beobachteten Schwin-
gungsdauern berechnet. (Vorlesungen über theoretische Physik,
§21; vgl. auch Helmholtz und Piotrowski: „Über Reibung
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— 133 —
tropfbarer Flüssigkeiten", Sitzungsberichte der Wien. Akad. XL'
S. 607 S., Helmholtz' wissenschaftliche Abhandl. I, S. 182 ff.)
Neu mann hat auch wohl zuerst eine strenge Begründung
der Poiseuill eschen Formel für den Ausfluß einer Flüssigkeit
durch eine kapillare Röhre gegeben (mitgeteilt von H. Jacobson
in dem Bericht über die Versammlung Deutscher Naturforscher
und Ärzte in Königsberg 1860).
In der Eapillaritätstheorie hat Neumann die von Gauss
nur angedeutete Erweiterung der Theorie auf den Fall mehrerer
Flüssigkeiten durchgeführt und dabei den nach ihm benannten
Satz gefunden, der die Abhängigkeit der Randwinkel dreier an-
einander stoßender Flüssigkeiten von den Eapillaritätskonstanten
der letzteren auf eine einfache Weise darstellt. Dieser Satz ist
zuerst von P. Du Bois-Reymond in seiner Dissertation, Berlin
1859, mitgeteilt und ausdrücklich als Neumannscher Satz be-
zeichnet. Ferner hat Neumann die allgemeinen Sätze der Ka-
pillarität auf eine große Zahl von speziellen Aufgaben angewandt,
von denen hervorzuheben ist die Bestimmung zylindrischer Flüssig-
keitstropf en , sowie die der Gleichgewichtsfigur einer Flüssigkeit,
die in einer anderen von gleichem oder verschiedenem spezifischen
Gewicht sich befindet. Auch neue Methoden zur Bestimmung der
Eapillaritätskonstanten sind in dieser Vorlesung mitgeteilt. Endlich
hat Neumann einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen
der Laplaceschen und der Gauss sehen Eapillaritätstheorie ent-
deckt (s. Vorlesungen über Eapillarität, Eap. 8).
Von den die Elastizitätstheorie betreffenden Arbeiten sind
erst durch die gedruckten Vorlesungen bekanntgeworden: 1. Neu-
manns neueste Untersuchungen über die Elastizität kristalli-
nischer Stoffe (Abschnitt 12), die die Resultate seiner älteren
Arbeiten (vgl. S. 95) erheblich erweitern; 2. die Untersuchung der
Schwingungen von zwei miteinander verbundenen Saiten; 3. seine
Theorie des Stoßes zylindrischer elastischer Stäbe (Abschnitt 22);
4. seine Entwicklung der Formeln für die Biegung und die
Schwingung dünner Stäbe. Auch Neumanns Dispersionstheorie,
deren Grundzüge er in der großen Abhandlung von 1841 dar-
gestellt hatte, ist in den in Rede stehenden Vorlesungen ausführ-
licher dargelegt. Neumanns Berechnungen der Biegung und
Torsion kristallinischer Stäbchen sind in den Veröffentlichungen
von W. Voigt mitgeteilt.
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— 134 —
Aus der Optik enthalten die Vorträge im Seminar Erweite-
rungen der Theorie der Doppelbrechung sowie eine Theorie der
Metallreflexion (vgl. weiterhin den Abschnitt über das physika-
lische Seminar).
Viele Resultate eigener Arbeiten hat Neumann in den Vor-
lesungen über elektrische Ströme mitgeteilt. Von* diesen Eesul-
taten ist zuerst durch H. Wild, einen Schüler Neumanns, die
Neumann sehe Methode zur Bestimmung der Polarisation und
des Übergangswiderstandes veröffentlicht worden (vgl« S. 30). Bei
allen früheren messenden Beobachtungen war es nicht möglich,
die erwähnten beiden zusammenhängenden Größen voneinander
zu trennen. Durch eine geschickte Kombination der Messungen
mittels des Differentialgalvanometers und der Wh eats ton eschen
Brücke gelang es Neumann, die Messungen in zwei Operationen
zu spalten, aus denen sich mittels der Kirchhof fachen Sätze zwei
unabhängige Gleichungen zur gesonderten Bestimmung der ge-
suchten Größen ergeben. Durch seine Messungen wurde die Frage
nach der Existenz eines besonderen Übergangswiderstandes definitiv
in bejahendem Sinne entschieden. Aus dieser Methode ergab sich
zugleich ein neues Verfahren, die elektromotorische Kraft einer
inkonstanten Kette dadurch zu bestimmen, daß man die Kette in
die Brücke des Wheatstone sehen Apparats einschaltete.
Wild bespricht in seiner Veröffentlichung noch die von
Neumann bei seinen Versuchen angewandten Instrumente, seine
besondere Einrichtung des Differentialgalvanometers und vor allem
seine verbesserte Konstruktion der Tangentenbussole, die darin
besteht, daß die Magnetnadel nicht in der vom Strome umkreisten
Fläche fest angebracht wird, sondern in der Achse der letzteren
verschiebbar ist. Zum Schluß erwähnt Wild endlich die Neu-
mann sehe Methode, gleichzeitig die Stromintensität und die erd-
magnetische Kraft nach absolutem Maße zu bestimmen, indem
man den Strom neben der Tangentenbussole noch durch eine
Weber sehe BifilarroUe leitet und gleichzeitig die Ablenkungen
beider abliest. Durch diese gleichzeitige Ablesung beseitigt man
die störenden Einflüsse, die bei der Gauss sehen Methode die
Variationen des Erdmagnetismus ausüben.
*) Vierteljahrsschrift der naturforschenden Gesellschaft in Zürich
2, 213—243, 1857.
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— 135 —
Aus den gedruckten Vorlesungen über elektrische Ströme,
in denen natürlich die von Wild besprochenen Methoden in Neu-
manns eigener Darstellung wiedergegeben sind, fugen wir als
Ergebnisse Neumann scher Forschungen noch hinzu: Die Ab-
leitung des Ohmsehen Gesetzes aus theoretischen Betrachtungen
(§ 17), Neumanns Methode zur Berichtigung des Differential-
galvanometers (§ 22), Beschreibung und Theorie des von Neu-
mann ersonnenen Rheometers zur Messung starker Ströme (§ 40),
die Herstellung eines Baumes von konstanter elektrodynami-
scher Kraft und Anwendung auf die Tangentenbussole (Kap. X,
§ 65 — 80), die Untersuchung ' der Strömung der Elektrizität im
Räume und in einer Ebene (Kap. VI und VII).
Aus den Seminarübungen ist noch die Behandlung des
Web er sehen Erdinduktors erwähnenswert, mit dem er in ein-
fachster Weise die magnetische Inklination bestimmt hat.
Die Vorlesungen über die Theorie des Magnetismus behandeln
in modifizierter Darstellung ebenfalls die Aufgabe, durch Kreis-
ströme ein konstantes magnetisches Feld herzustellen.
Ferner wird in einem SchluJßkapitel die Neumann sehe
charakteristische Funktion eingeführt, ein Analogon der Green -
sehen Funktion.
Endlich rührt auch die bekannte Methode der Thermometer-
kalibrierung von Neumann und Bessel her^).
Die vorstehende Aufzählung von Resultaten Neumann scher
Forschung macht durchaus keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Es ist nur das aufgezählt, was bestimmt Neumann zuzuschreiben
ist. Vieles, was von ihm herrührt, kann heute nicht mehr mit
Sicherheit als sein Eigentum bezeichnet werden, das gilt ins-
besondere von zahlreichen Beispielen und Anwendungen der all-
gemeinen Theorien, die er in seinen Vorlesungen und Seminar-
übungen durchführte 2).
Daß in solchen Einzelheiten Neumanns Priorität nicht
gewahrt wurde, weil er sich zum Druck seiner Untersuchungen
nicht entschließen konnte, ist zwar bedauerlich, aber nicht so sehr
wie der Verlust seiner Studien über mechanische Wärmetheorie.
^) Vgl. Volkmann, S. 24.
«) Vgl. Voigt, S. 4.
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— 136 —
Über diese sagt C. Neumann im Vorwort zu Band II der ge-
sammelten Werke:
„In der Tat ist nämlich jene Theorie, welche man heutzutage
die „mechanische Wärmetheorie" oder kürzer die „Thermodynamik"
zu nennen pflegt, ihrem eigentlichen Kern nach und in ihren
Hauptumrissen als eine Schöpfung Neumanns zu bezeichnen.
Hat doch Neumann selber zu der Zeit, als der Druck seiner
Königsberger Vorlesungen (im Verlage von Teubner in Leipzig)
begonnen wurde, also ungefähr schon im Jahre 1881, darauf auf-
merksam gemacht, daß jene Theorie — und zwar schon vor dem
Erscheinen der betreflfenden Clausius sehen Abhandlungen —
von ihm selber entwickelt worden sei in seinen Vorlesungen an
der Eönigsberger Universität. Auch hat Neumann, indem er
damals in solcher Weise sich äußerte, hinzugefügt, daß er auf
seine Priorität in dieser Beziehung einiges Gewicht lege, und daß
es ihm daher, zur äußerlichen Dokumentierung dieser Priorität,
lieb sein würde, wenn speziell der Herausgabe seiner Königsberger
Vorlesung über die mechanische Wärmetheorie ein Vor-
lesungsheft aus jener Zeit, in der er diese Theorie noch vor dem
Erscheinen der betreffenden Clausius sehen Abhandlungen ent-
wickelt habe, zugrunde gelegt werden könnte. Leider hat sich
ein solches Vorlesungsheft bis jetzt nicht gefunden."
Eine andere Mitteilung C. Neumanns über diese Priorität
Neumanns findet sich bei Volkmann, S. 35 — 37; ihr entnehmen
wir noch folgendes:
„Was Ihre Anfrage über das Prinzip der Energie betrifft, so
brauche ich wohl kaum zu erwähnen, daß das Wort „Energie"
erst nach 1850 in die Wissenschaft hineingetreten ist. Soviel
ich weiß, hat mein Vater auch bis in die letzte Zeit in seinen Vor-
lesungen Stets an seiner Ausdruckswelse „Arbeits vor rat" fest-
gehalten.
„Dieser Begriff des Arbeits Vorrates war in seinen Vorlesungen
über die mechanische Wärmetheorie der eigentliche Angelpunkt
seiner ganzen Untersuchung. Und da mein Vater eine solche
Vorlesung (nach seiner Angabe) schon vor 1850 gehalten hat, so
unterliegt es für mich keinem Zweifel, daß sein Name in der Ge-
schichte des Prinzips des Arbeitsvorrates oder der Energie eine
ganz hervorragende Stellung einnimmt. Dabei sei bemerkt, daß
mein Vater dieses Prinzip in seinen Vorlesungen über die mecha-
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— 137 —
niscbe Wärmetheorie nicht nur auf die Wärme allein, sondern
gleichzeitig auf Wärme und Elektrizität angewandt hat. Ob
solches allerdings schon in jener Vorlesung vor 1850 geschehen
ist, weiß ich nicht.
„Noch möchte ich hervorheben, daß mein Vater in persön-
lichen Unterredungen jenes Prinzip sehr hoch stellte, andererseits
aber auch vor seiner zu hastigen Anwendung warnte. Diese
Warnung bezog sich darauf , daß man jenes Prinzip nur dann
brauchen könne, wenn man sicher sei, alle Aktionen zu erfassen,
und daß man in Fehler verfallen müßte, wenn man eine dieser
Aktionen (aus Unkenntnis) außer Rechnung ließe. ^
Schließlich möge nochmals auf den schon früher (S. 30)
erwähnten Verlust hingewiesen werden, den die Wissenschaft
durch Nicht Veröffentlichung vieler Beobachtungen Neumanns
erfahren hat.
Dritter Teil.
Vorlesungen, Seminar, Laboratorium.
I. Die gedruckten Vorlesungen.
Schon im biographischen Teile dieser Schrift ist hervor-
gehoben, von wie wesentlicher Bedeutung zur Beurteilung von
Neumanns Lebenswerk seine Vorlesungen sind. Sie sind nicht
nur von historischem Interesse, insofern sie die ersten und lange
Zeit die einzigen Vorlesungen in Deutschland waren, die das
ganze Gebiet der theoretischen Physik behandelten, ihr Wert
beruht auch nicht allein auf den zahlreichen Mitteilungen, die
Neumann darin über seine eigenen Arbeiten macht, ihr Haupt-
wert liegt in dem meisterhaft angelegten Plane, der zweckmäßigen
Auswahl der behandelten Gegenstände, die sich besonders in der
Erläuterung der allgemeinen Theorie durch passende Beispiele
dokumentiert, und in der Klarheit und Eleganz der Darstellung.
Die Erkenntnis dieses Wertes ließ schon in den fünfziger und
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— 138 —
sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts unter seinen Schülern
den Plan entstehen, die Vorlesungen durch den Druck auch
weiteren Kreisen zugänglich zu machen, um dadurch die An-
regung, die sie seihst in so reichem Maße in Eönigsherg empfangen
hatten, auch anderen zu teil werden zu lassen. Leider ist dieser
Plan erst in den achtziger Jahren zur Ausführung gelangt, zu
einer Zeit, wo die damaligen Schüler schon langst selbst aka-
demische Lehrer waren. „Wenn sie", sagt 0. K Meyer im Vor-
wort zu den Vorlesungen über Elastizität, „jetzt noch ihren alten
Wunsch zur Ausführung bringen, so muß nicht bloß die Dank-
barkeit und die Liebe, welche sie gegen ihren Lehrer hegen und
bewahren, sie zu der Arbeit angetrieben haben, sondern mehr
noch die Überzeugung, daß diese Vorlesungen, durch welche
einstmals die mathematische Physik in Deutschland ins Leben
gerufen wurde, auch noch heutigentages eine vortreffliche Schule
für alle diejenigen bilden werden, welche in den Geist und Inhalt
der physikalischen Theorien eindringen wollen."
Diese vor 21 Jahren ausgesprochene Ansicht dürfte auch
heute noch aufrecht zu erhalten sein. Ist die W^issenschaft in-
zwischen auch in vielem weit über den Keumann sehen Stand-
punkt hinaus fortgeschritten, der pädagogische Wert der Vor-
lesungen muß auch noch für die Gegenwart anerkannt werden;
ja manche der Vorlesungen sind noch heutzutage unter die besten
Lehrbücher der betreffenden Disziplin zu rechnen.
Das Gesagte wird es gerechtfertigt erscheinen lassen, auf
den Inhalt der gedruckt vorliegenden Vorlesungen kurz einzu-
gehen. Wir stellen dabei jene Vorlesungen in der Reihenfolge
ihres Erscheinens zusammen.
1. Vorlesungen über die Theorie des Magnetismus^
namentlich über die Theorie der magnetischen Induk-
tion, herausgegeben von C. Neumann. Leipzig 1881, 116 S.
Der Herausgeber reproduziert hier die von F. Neumann im
Sommer Semester 1857 gehaltenen Vorlesungen auf Grund der
Vorlesungshefte von Lothar Meyer und 0. E. Meyer. Es
werden darin die wesentlichsten Probleme des Magnetismus in
klarer und eleganter mathematischer Ausführung erörtert. Den
Inhalt der Vorlesungen können wir nicht besser skizzieren als
durch den Abdruck der Übersicht, die das Vorwort des Heraus-
gebers enthält.
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~ 139 —
^ Diese Vorlesungen beginnen mit einfachen Expositionen
über das magnetische Potential, die magnetischen Momente, die
magnetische Achse usw., besprechen dabei gelegentlich die be-
rühmte Poisson-Gausssche Methode zur Bestimmung der hori-
zontalen Komponente des Erdmagnetismus und gehen sodann
über zur Theorie der magnetischen Induktion, wobei der
Reihe nach zuerst der Fall behandelt wird, daß die induzierenden
oder magnetisierenden Kräfte von der Zeit unabhängig sind, so-
dann der allgemeinere Fall, daß dieselben gegebene Funktionen
der Zeit sind.
,, Hierauf werden diese theoretischen Betrachtungen auf
mehrere spezielle FäUe in Anwendung gebracht, namentlich auf
den Fall, daß der induzierte (aus weichem Eisen bestehende)
Körper eine Kugel oder eine Hohlkugel oder ein Ellipsoid
(namentlich ein Rotationsellipsoid) ist; während gleichzeitig als
induzierende oder magnetisierende Ursache entweder der Erd-
magnetismus, oder ein gegebener Stahlmagnet, oder endlich
ein System elektrischer Ströme in Betracht kommt. Auch
schließen sich an diese Untersuchungen wichtige Bemerkungen
über experimentelle Methoden. So z. B. werden mehrere
Methoden entwickelt zur Messung der magnetischen Induktions-
konstante. Ferner wird eine Methode angegeben, um die In-
klination des Erdmagnetismus zu bestimmen durch die Beob-
achtung der horizontalen Ablenkung einer Kompaßnadel usw.
„Daneben wird beiläufig gezeigt, wie man einen Multiplikator
durch geeignete Anordnung seiner elektrischen Stromwindungen
in eine wirksame Tangentenbussole, d. i. in ein Instrument
verwandeln kann, bei welchem die trigonometrische Tangente des
Ablenkungswinkels von der vorhandenen Stromstärke wirklich
nur durch einen konstanten Faktor sich unterscheidet. Denkt
man sich nämlich ein System elektrischer Kreisströme, die alle
auf ein und derselben Kugelfläche liegen und mit irgend welchen
Parallelkreisen dieser Fläche zusammenfallen, und bezeichnet
man die von allen diesen Kreisströmen auf einen magnetischen
Massenpunkt ausgeübte Kraft mit Rj so läßt sich — wie diese
Vorlesungen zeigen — die Anordnung jener Parallelkreise auf
der Kugelfläche stets in solcher Weise einrichten, daß die Kraft R
von konstanter Richtung und Stärke wird für alle Punkte
innerhalb der gegebenen Kugelfläche.
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— 140 —
n Schließlich wird das allgemeine Prohlem der magnetischen
Induktion auf die Ermittelung einer gewissen „charakteri-
stischen Funktion*^ reduziert, welche nur noch von der Ober-
flächengestalt des induzierten Körpers abhängt, und welche dem-
gemäß für die Theorie der magnetischen Induktion von
derselben fundamentalen Bedeutung sein dürfte, wie die bekannte
Greensche Funktion für die Probleme der elektrischen
Induktion/
2. Einleitung in die theoretische Physik, heraus-
gegeben von C. Pape. Leipzig 1883, 291 S.
Die Einleitung in die theoretische Physik, bei deren Heraus-
gabe die von Pape gehörte Vorlesung vom Wintersemester
1858 — 1859 zugrunde gelegt ist, entwickelt die mechanischen
Grundlagen dieser Disziplin. Dabei handelt es sich nicht um
eine systematische Darstellung der analytischen Mechanik. Viel-
mehr knüpft Neumann in eigenartiger Weise an die Erschei-
nungen der Schwere an und erörtert an den SteUen, an denen
das Bedürfnis gerade hervortritt, die Grundbegriffe und wichtig-
sten Sätze der Mechanik. Sehr ausführlich wird das einfache
und das zusammengesetzte Pendel behandelt; neben der Ent-
wicklung der Theorie finden dabei die Methoden der Pendel-
beobachtung, insbesondere die Boss eischen Arbeiten, eingehende
Berücksichtigung. Im Anschluß an das Pendel wird die Theorie
der bifilaren Aufhängung^ die Berechnung der Schwingungs-
dauer einer Magnetnadel, die Theorie der Wage, femer die all-
gemeine Gravitation und die Bestimmung der Dichtigkeit der
Erde besprochen.
An den die Erscheinungen der Schwere behandelnden Teil,
der mehr als ein Drittel des ganzen Bandes einnimmt, schließt
sich die Hydrostatik und Aerostatik; hier kommen hauptsächlich
die Gestalt rotierender Flüssigkeiten, die Bestimmung des spezi-
fischen Gewichtes, die barometrischen Höhen m essungen, die Gestalt
der Atmosphäre zur Sprache.
Daran schließt sich zunächst ein Kapitel über den Satz von
der lebendigen Kraft und die Fälle, in denen er nicht ohne wei-
teres gilt, während die beiden letzten Kapitel die Hydrodynamik
und Aerodynamik enthalten. Ohne auf die allgemeinen hydro-
dynamischen Gleichungen einzugehen, leitet Neumann aus dem
Satze der lebendigen Kraft die Erscheinungen beim Ausfluß der
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— 141 —
Flüssigkeiten und Gase, die Reaktion der Flüssigkeits- und Gas-
strahlen, die Bewegung in engen Röhren unter Einfluß der Rei-
hung ah. Dahei wird üherall auf Beohachtungen, namentlich die
Daniel ßernoullis, Rücksicht genommen.
Einige in dieser Vorlesung enthaltene Mitteilungen Neu-
manns üher eigene Untersuchungen sind schon ohen erwähnt.
3. Vorlesungen über elektrische Ströme, heraus-
gegeben von K. Von der Mühll. Leipzig 1884, 308 S.
Es wird die Theorie der elektrischen Ströme in der Form
dargestellt, in der sie Neumann in den Vorlesungen vom Winter
1864 — 1865 gegeben. Auch hier geben wir die Übersicht über
den Inhalt mit den Worten des Herausgebers.
„In diesen Vorlesungen wird die Theorie der elektrodyna-
mischen Erscheinungen mit Besprechung der Umstände ein-
geleitet, unter denen elektrische Ströme entstehen; der Begriff
der Spannung wird eingeführt, und die Ohm sehen Gesetze ent-
wickelt. Es folgt eine Übersicht über die wichtigsten Methoden
zur Messung der Stromstärke; dabei müssen die Haupteigen-
schaften eines Magnetes betrachtet und die magnetischen Fem-
wirkungen berechnet werden. Nachdem sodann auch der Wider-
stand erörtert worden, können die von Ohm angestellten theore-
tischen Betrachtungen dargelegt werden ^ aus denselben ergeben
sich die Gesetze der Stromteilung. Den Abschluß dieser ein-
leitenden Betrachtungen bildet das zweite Kapitel, in welchem
die hauptsächlichsten Methoden zur Bestimmung der Eonstanten
besprochen werden, namentlich der elektromotorischen Kraft und
des Widerstandes, dann auch der Polarisation und des Übergangs-
widerstandes.
„Das dritte Kapitel beschäftigt sich eingehend mit den
Ampere sehen Gesetzen. Zunächst wird die Wirkung abgeleitet,
welche zwei Stromelemente aufeinander ausüben, und dann die
Wirkung eines geschlossenen Stromes auf ein Stromelement be-
rechnet; ist aber die Wirkung auf einen gleichfalls geschlossenen
Strom zu bestimmen, so existiert ein Potential. Dies wird für
die Theorie des Rheometers gleich verwertet. Ferner können die
Wirkungen geschlossener Ströme mittels Determinanten einfach
dargestellt werden. Endlich führt die Betrachtung von unend-
lich kleinen geschlossenen Strömen und von Solen oiden zu der
Ampere sehen Theorie des Magnetismus.
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— 142 —
„In den beiden folgenden Abschnitten werden auf Grund
dieser Theorie zwei sehr wichtige Aufgaben behandelt. Einmal
wird gezeigt, wie jeder Magnet in betreff seiner Wirkungen nach
aoßen durch ein System von geschlossenen Strömen zu ersetzen
ist. Dann wird ein System von Kreisströmen so aufgestellt, daß
die elektrodynamische Wirkung im Innern einer Kugel konstant
ist, und die Lösung dieser Aufgabe liefert eine ganz aUgemeine
Theorie der Tangentenbussole.
„Das sechste uod siebente Kapitel geben die allgemeinen
Prinzipien für die stationäre Strömung der Elektrizität im Raum
und in der Ebene.
„Im letzten Abschnitte werden die induzierten Ströme be-
handelt. Nach einer kurzen Übersicht über die Mittel, in einem
linearen geschlossenen Leiter einen Strom zu induzieren, wird
aus einigen einfachen Sätzen, welche die Resultate der Beob-
achtung zusammenfassen, das allgemeine Prinzip der Induktion
abgeleitet; dieses Prinzip bestimmt den Integralstrom durch die
Änderung, welche das Potential des induzierenden Stromes auf
den Leiter erfährt. Den Schluß bildet die Betrachtung des von
Wilhelm Weber aufgestellten allgemeinen elektrischen Grund-
gesetzes; aus demselben folgt sehr einfach das Ampere sehe Gesetz
für die Wirkung zwischen zwei Stromelementen, aber auch das
Prinzip der Induktion, wenn die wirklich in Bewegung versetzten
elektrischen Massen der Rechnung zugrunde gelegt werden.^
4. Vorlesungen über theoretische Optik, heraus-
gegeben von E. Dorn. Leipzig 1885, 310 S.
Es sind hier die Neumann sehen Vorlesungen aus dem
Sommer 1866 und dem darauf folgenden Wintersemester be-
arbeitet und Ergänzungen aus den Seminarübungen vom Winter
1866—1867 und vom Sommer 1867 eingefügt.
Die Vorlesungen beginnen mit einer kurzen historischen
Einleitung, an die sich eine Besprechung der Hypothesen der Un-
dulationstheorie und der zu benutzenden Prinzipien der Mechanik
schließt (Kap. I). Es folgt (Kap. II) die analytische Behandlung
der Lichtstrahlen, insbesondere ihre Zusammensetzung und Zer-
legung, weiter (Kap. III) eine Ableitung der hauptsächlichsten
Interferenzerscheinungen (Farben dünner Blättchen, Newton sehe
Ringe, Newtons Farbentafel, Th. Youngs Interferenz versuch,
Fresnels Spiegel versuch).
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— 143 —
In sehr ausführlicher Darstellung werden in den Kapiteln lY
bis VII die Diffraktionserscheinungen erörtert, und zwar werden
zunächst die allgemeinen Formeln abgeleitet, und dann auf die
Fresnelschen und Fr aunhof ersehen Beugungserscheinungen,
auf die Erscheinungen an Beugungsgittern, sowie auf die Höfe
um Sonne und Mond angewandt. Im Anschluß daran wird ge-
zeigt, daß man die Gesetze der Eeflexion und Brechung aus dem
Hu ygens sehen Prinzip, verbunden mit dem Prinzip der Inter-
ferenz, ableiten kann. In Kap. VIII wird sodann eine Übersicht
über die Erscheinungen der Polarisation und die verschiedenen
Polarisationsapparate gegeben, nebst dem Nachweis der Trans-
versalität der Lichtschwingungen, und in Kap. IX werden die
Formeln für Reflexion und Brechung an isotropen Medien ent-
wickelt, nebst ihrer Anwendung auf die totale Reflexion.
Weiter folgt (Kap. X) die Doppelbrechung in einachsigen
Kristallen nebst dem Problem der Reflexion für dieselben. Dabei
wird die Gestalt der Wellenfläche als bekannt vorausgesetzt,
während bei der Untersuchung der Doppelbrechung in zwei-
achsigen Medien (Kap. XI) die Gestalt der Fresnelschen Wellen-
fläche aus den Gesetzen für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit
einer Wellenebene abgeleitet wird. Hinsichtlich der Herleitung
dieser Gesetze wird auf die Theorie der Elastizität verwiesen.
Nachdem auf dieser Grundlage die Gesetze der Doppelbrecliung,
einschließlich der konischen Refraktion, ausführlich entwickelt
sind, werden in Kap. XII die Farbenkurven, welche dünne Kri-
stallblättchen im polarisierten Lichte zeigen, abgeleitet; endlich
wird im Kap. XIII die Doppelbrechung im Quarz nebst den
Farbenerscheinungen in Quarzplatten besprochen.
Der Herausgeber, der sich aller einschneidenden Änderungen
des Neumann sehen Textes enthalten hat, hat am Schluß Er*
gänzungen hinzugefügt, um einige Punkte der Neu mann sehen
Darstellungen, die durch die neuere Literatur überholt waren (so
z. B. hinsichtlich der New ton sehen Farbentafel, ferner der
Grundlage der Diffraktionstheorie usw.) zu modifizieren.
5. Vorlesungen über die Theorie der Elastizität
fester Körper und des Lichtäthers, herausgegeben von
Oskar Emil Meyer. Leipzig 1885, 374 S.
Für die allgemeinen Gleichungen der Elastizitätstheorie
werden zunächst vier verschiedene AbleituDgen gegeben. Voran-
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— 144 —
gestellt wird die auf allgemeiner mechanischer Grundlage be-
ruhende Entwicklung, die über die Anordnung der Teilchen
nichts vorausetzt, und die an die Bedingungen des Gleichgewichtes
eines Elementarparallelepipedons unter Einwirkung der ela-
stischen Druckkräfte anknüpft. An die Aufstellung der all-
gemeinen Gleichungen, denen diese Druckkräfte genügen, schließt
sich eine Erörterung über die symmetrische Verteilung der in
Rede stehenden Kräfte, sowie die Ermittelung ihres Zusammen-
hanges mit den Verrückungen.
Neben dieser strengen Begründung der Theorie werden auch
die älteren, auf der Molekularhypothese beruhenden Entwick-
lungen von Na vi er und Poisson gegeben, die die elastischen
Erscheinungen isotroper Medien nur von einer statt Yon zwei
Konstanten abhängig machen. Endlich werden die allgemeinen
Gleichungen nach einer vierten, von C. Neumann herrührenden
Methode^) aus dem Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten
hergeleitet.
Weiter werden auch die Verschiebungen in Betracht gezogen,
die in einem elastischen Medium durch Temperatur Veränderungen
entstehen, und es wird gezeigt, welche Zusatzglieder dadurch
einerseits in den elastischen Gleichungen, andererseits in der
Fourier sehen Gleichung für die Wärmeleitung bedingt werden.
Nachdem noch die Eindeutigkeit der Lösungen der Grund-
gleichungen erörtert ist, werden diese Gleichungen zur Ermitte-
lung der Formenänderung unkristallinischer elastischer Körper
angewandt, und zwar beziehen sich diese Anwendungen auf Deh-
nung und Zusammen drück ung prismatischer Körper, Dilatation
von Hohlzylindern und Hohlkugeln, endlich auf Torsion von
Zylindern und Biegung von Stäben; die letztgenannten beiden
Anwendungen sind allerdings nicht von Neumann vorgetragen,
sondern vom Herausgeber hinzugefügt. Sehr wichtig ist der
folgende, die Elastizität kristallinischer StoSe betreffende Ab-
schnitt, der von den allgemeinsten, 36 voneinander unabhängige
Konstante enthaltenden Gleichungen ausgeht, dann zeigt, wie
sich diese Zahl je nach den Symmetrie Verhältnissen reduziert
(beim regulären System bleiben z. 6. drei Konstante unab-
hängig), endlich die Zusammendrückung eines Kristalles durch
^) Vgl. Grelles Journ. 57, 281, 1860.
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— 145 —
allseitigen Druck, und eines KristaUprismas durch einseitigen
Druck, sowie die dabei entstehenden Winkeländer ungen ausführ-
lich bespricht.
Die nächsten Abschnitte betreffen die Anwendungen der
elastischen Gleichungen auf Optik, und zwar wird die Fort-
pflanzung ebener Wellen zunächst in der Weise abgeleitet, wie es
in der Theorie der doppelten Strahlenbrechung (s. S. 69 ff.) ge-
schehen ist. Eine zweite, auf den Arbeiten G. Neumanns be-
ruhende Darstellung geht, um die longitudinalen Schwingungen
zu beseitigen, von der Annahme der Inkompressibilität des
Äthers aus. Drittens wird auch die Lame sehe Ableitung der
Erscheinungen der Doppelbrechung reproduziert, und im An-
schluß daran Cauchys und Neumanns eigene Dispersions-
theorie entwickelt.
Nach den Anwendungen auf Optik folgen solche auf Aku-
stik: Schwingungen gespannter Saiten und gespannter Mem-
branen. Von besonderem Interesse ist dabei die Behandlung zweier
miteinander verbundener Saiten; für die Reflexion und Brechung
an der Verbindungsstelle der beiden Saiten ergeben sich Formeln,
die mit den Fresn eischen Formeln für die Amplitude des reflek-
tierten und gebrochenen Lichtes übereinstimmen.
Weiter wird aus den elastischen Gleichungen die Theorie
des geraden Stoßes zylindrischer Stäbe hergeleitet, endlich die
Formeln für die Biegung und die Schwingungen dünner Stäbe.
Die Grundlage für die Ausarbeitung der Elastizitätstheorie
bildeten Neumanns Vorlesungen vom Winter 1857 — 1858.
Daneben sind auch die späteren Vorlesungen von. 1869 — 1870,
1870 und 1873—1874 benutzt; diesen letzteren, von W. Voigt
bearbeiteten Vorlesungen ist der wichtige Abschnitt über Ela-
stizität der Kristalle entnommen.
Bemerkt werden mag noch, daß Neumann in späteren
Jahren, z. B. im Sommer 1864, auch das Problem der elastischen
Platten nach Eirchhoffs Darstellung behandelte.
6. Vorlesungen über die Theorie des Potentials und
der Kugelfunktionen, herausgegeben von Carl Neumann.
Leipzig 1887, 364 S.
Die Vorlesungen beginnen mit der Ableitung der allgemeinen
Eigenschaften des Körperpotentials. Dabei wird auch die Trans-
formation des La place sehen Differentialausdruckes in Zylinder-
"Wangerin, Franz Neumann. |q
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— 146 —
und Polarkoordinaten erledigt. Die Entwicklung der in Polar-
kobrdinaten ausgedrückten reziproken Entfernung zweier Punkte
gibt Anlaß zur Einführung der einfachen, nur von einem Argu-
ment abhängenden Eugelfunktionen Pn sowie der Laplace sehen
Eugelfunktionen Yn mit zwei Argumenten. Es werden die
wichtigsten diese Funktionen betreffenden Formeln abgeleitet,
ebenso die Entwicklung einer Funktion nach Kugelfunktionen,
ohne daß jedoch auf die Frage der Konvergenz der allgemeinen
Kugelfunktionenreihe eingegangen wird; endlich wird das Poten-
tial eines homogenen Sphäroids berechnet. Weiter wird die
entwickelte Theorie auf bestimmte physikalische Fragen an-
gewandt, insbesondere auf die Gleichgewichtsfiguren rotierender
inkompressibler Flüssigkeiten, die Theorie der Ebbe und Flut
und die Gauss sehe Theorie des Erdmagnetismus. An letztere
schließt sich eine Darstellung von Neumanns Methode zur
Entwicklung einer Funktion nach Kugelfunktionen auf Grund
gegebener Beobachtungen (vgl. die S. 127 ff. besprochene Arbeit).
Es folgt die Poissonsche Theorie der elektrischen Yerteilung.
Die Grundvorstellungen dieser Theorie führen zu dem Begriff des
Flächenpotentials, dessen wesentlichste Eigenschaften abgeleitet
werden. Daran schließen sich allgemeine Erörterungen über die
elektrische Verteilung mit Anwendung auf einfache Beispiele;
dabei wird auch auf die Substitution neuer Massen an Stelle ur-
sprünglich gegebener Massen eingegangen. Ferner werden nach
dem Vorgange von Green sämtliche Aufgaben der elektrischen
Verteilung wie die des stationären Temperaturzustandes auf
die Ermittelung der sogenannten charakteristischen Funktion
zurückgeführt, und eine analoge Reduktion wird auch für die
Aufgaben der stationären elektrischen Strömung gegeben. In
eigenartiger, einfacher und anschaulicher Weise wird sodann das
Problem der Verteilung der Elektrizität auf zwei leitenden
Kugeln behandelt. Endlich werden die Aufgaben der elektrischen
Verteilung auf dem verlängerten und abgeplatteten Rotations-
ellipsoid erledigt, nachdem als Vorbereitung dazu die Eigen-
schaften der Kugelfunktionen zweiter Art entwickelt sind und
der Laplace sehe Differentialausdruck auf elliptische Koordi-
naten transformiert ist.
Zugrunde gelegt sind den Vorlesungen über Potentialtheorie
Hefte aus den Wintersemestern 1852 — 1853 und 1856 — 1857.
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— 147 —
7. Vorlesungen über die Theorie der Kapillarität,
herausgegeben von A. Wangerin. Leipzig 1894, 234 S.
In seinen Vorlesungen über Kapillaritätstheorie pflegte Neu-
mann sowohl auf die Laplacesche, als auf die Gausssche
Theorie einzugehen. Von beiden ist hier nur die letztere auf-
genommen, da der sogenannte zweite Hauptsatz erst durch sie
eine strenge Begründung erfahren hat.
Was den Inhalt der Vorlesungen betrifft, so beginnen sie
mit einer Erörterung des Prinzips der virtuellen Geschwindig-
keiten. Um aus demselben die Bedingungen für das Gleich-
gewicht einer Flüssigkeit abzuleiten, wird der Ausdruck für die
Kräftefunktion der Molekularkräfte aufgestellt und reduziert.
Das Verschwinden der ersten Variation dieses Ausdruckes ergibt
die beiden La place sehen Sätze, und zwar werden dieselben
zuerst unter der Voraussetzung, daß die Oberfläche der Flüssig-
keit eine Zylinderfläche oder eine Botationsfläche ist, sodann erst
allgemein bewiesen.
Schließt sich Neu mann bis hierher dem Gedankengange
von Gauss an, dessen Besultate er in eigenartiger Weise dar-
stellt, so geht er im folgenden über Gauss hinaus, indem er,
was sich bei Gauss nicht findet, die allgemeinen Sätze auf ver-
schiedene spezielle Fälle anwendet. Diese Anwendungen be-
treffen zunächst das Ansteigen, bzw. die Depression von Flüssig-
keiten an ebenen Platten und in zylindrischen Bohren. Sodann
wird untersucht, welche Änderungen der hydrostatische Dru<5k
durch die Kapillarwirkung erfährt. Es werden verschiedene
hierher gehörige Aufgaben gelöst, wobei auch die Adhäsion von
Flüssigkeiten an festen Körpern zur Besprechung gelangt. Eine
fernere Aufgabe besteht in der Ermittelung der Gestalt von
Flüssigkeitstropfen.
Weiter wird die Theorie auf den Fall mehrerer Flüssigkeiten
ausgedehnt. Diese von Gauss nur angedeutete Erweiterung der
Theorie ergibt einmal die Differentialgleichung für die Trennungs-
fläche zweier Flüssigkeiten; sodann führt dieselbe zu einem
neuen Satze, dem Neumann sehen Satze. Derselbe bezieht sich
auf die Winkel an der Bandkurve eines Flüssigkeitstropfens, der
auf einer anderen Flüssigkeit schwimmt. Es folgen spezielle
Probleme des Gleichgewichtes einer Flüssigkeitsmasse, die sich
innerhalb einer anderen Flüssigkeit von demselben oder von ver-
10*
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— 148 —
Bchiedenem spezifischen Gewichte befindet. Mehrere der hier wie
in den früheren Abschnitten abgeleiteten Resultate sind vorher
noch nicht veröffentlicht. Dasselbe gilt von verschiedenen Me-
thoden zur Bestimmung der Kapillaritätskonstanten, die im An-
schluß an die Einzelaufgaben besprochen werden.
Zum Schluß wird ein Zusammenhang zwischen der Gauss -
sehen und Laplac eschen Theorie entwickelt. Geht man, wie
Gauss, von dem Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten aus
und berücksichtigt, daß die Flüssigkeit inkompressibel ist, daß
infolgedessen nicht nur ihr Gesamtvolumen, sondern auch das
Volumen jedes einzelnen Elementes bei der Variation ungeändert
bleiben muß, so erhält man einerseits eine Bedingung für die
freie Oberfläche einer Flüssigkeit (bzw. für die Trennungsfläche
zweier Flüssigkeiten), aus der sich der erste Laplacesche Satz
auf sehr einfache Weise ergibt. Andererseits führt dieselbe Be-
trachtung auch auf das Grundprinzip von Gauss.
Der Ausarbeitung der Eapillaritätstheorie liegt Keumanns
Vorlesung aus dem Sommer 1864 zugrunde; daneben hat der
Herausgeber Vorlesungen über die Gauss sehe Theorie vom Som-
mer 1857 benutzt, sowie Vorlesungen über die Laplacesche
Theorie aus den Wintern 1861—1862, 1863—1864, 1872—1873.
Den drei letztgenannten Vorlesungen sind insbesondere mehrere
spezielle Aufgaben entnommen.
In einem Anhange wird im einzelnen angegeben, was jeder
der genannten Vorlesungen entnommen ist. — In der Darstellung
ist der Herausgeber in einem Punkte von Neumann abgewichen,
nämlich bei der Ableitung der Variation einer Fläche, um den
sich hierauf stützenden Beweis der Laplac eschen Sätze all-
gemeingültig zu machen und gleichzeitig zu vereinfachen.
n. Das Seminar.
1. Vorgeschichte und Gründung des Seminars.
Schon mehrere Jahre vor der Gründung des mathematisch-
physikalischen Seminars, auf dessen hohe Bedeutung für die Ent-
wicklung des mathematischen und physikalischen Studiums an
der Eönigsberger Universität schon oben (S. 21) hingewiesen, war
die Errichtung eines „Seminars für die gesamten Natur-
wissenschaften" geplant, und zwar ging die Anregung dazu von
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— 149 —
Baer^), Neumann, Meyer^) und Dove aus. In ihrer Eingabe
vom 15. September 1828 sprachen diese die Überzeugung aus 3),
„daß die Naturwissenschaften ein wenigstens ebenso wichtiges
Element für die allgemeine Volksbildung seien als die historisch-
grammatischen Studien '^T und fanden, ,,daß der Anspruch der
Naturwissenschaften auf allgemeine Geltung nur deshalb noch
nicht zur Anerkennung gebracht sei , weil nur wenige ^hul-
männer in diesem Fache gut unterrichtet worden seien". Diesem
Mangel solle das neue Institut abhelfen, es solle überhaupt zu
gründlicheren Naturstudien anleiten, insbesondere aber Lehrer
der Naturwissenschaften für Gymnasien und höhere Bürgerschulen
bilden, fähig, die Wissenschaft nicht nur fortzupflanzen, sondern
auch zu erweitern. Obwohl das Ministerium sich schon im
Februar 1829 mit dem Antrage einverstanden erklärte, konnte
es doch die für das Seminar erforderlichen Mittel (verlangt wurden
350 Taler jährlich, außerdem für die ersten drei Jahre noch je
150 Taler zur Anschaffung physikalischer Apparate) nicht ge-
währen. Die Eröffnung des Seminars unterblieb daher vorläufig.
Erst als 1833 durch die Aufhebung des Herbart sehen pädago-
gischen Seminars dessen Dotation verfügbar wurde, wurden die
nötigsten Mittel (350 Taler jährlich) flüssig gemacht. Aber auch
jetzt ^) konnte das Seminar noch nicht ins Leben treten, da Baer
1834 Königsberg verließ und die ganze Angelegenheit bis zur
Ernennung seines Nachfolgers vertagt wurde. Erst im Winter-
semester 1835 — 1836 wurde das Seminar mit zwölf Teilnehmern
eröffnet, jedoch ohne daß Neumann sich daran beteiligte^).
Übrigens bestand das in Rede stehende Seminar nur wenige Jahre
hindurch, gegen Ende der dreißiger Jahre ging es ganz ein; die
dadurch frei werdenden Mittel (350 Taler) wurden 1839 dem
mathematisch-physikalischen Seminar überwiesen.
Ernst V. Baer, 1792—1876.
*) Ernst Heinrich Friedrich Meyer, Botaniker, 1791 — 1858,
vor allem bekannt durch seine unvollendet gebliebene Geschichte der
Botanik.
^) H. Prutz, Die Königl. Albertus-Universität zu Königsberg i. Pr.
im 19. Jahrhundert. Zur Feier ihres 350 jährigen Bestehens, (üniver-
sitätsfestschrift.) S. 126. Königsberg 1904.
*) Ich folge hier den Angaben von Prutz.
*) Siehe weiterhin den ersten Seminarbericht (S. 153 oben).
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-- 150 —
Die Schwierigkeiten, welche sich der Eröfinung des Seminars
für die gesamten Naturwissenschaften entgegenstellten, einerseits,
die Notwendigkeit andererseits, besondere Einrichtungen für die
Förderung und Belebung der mathematischen und theoretisch-
physikalischen Studien zu treffen, yeranlaßten Jacob i und Neu-
mann, in Gemeinschaft mit dem damaligen Privatdozenten L. A.
Sohncke (1807—1853, seit 1835 Professor der Mathematik in
Halle a. S.) , bei dem Ministerium die Gründung eines besonderen
mathematisch-physikalischen Seminars zu beantragen. Dem An-
trage vom 27. Februar 1834 war ein Statutenentwurf beigefügt,
dem wir folgendes entnehmen. Das Seminar sollte in zwei Ab-
teilungen zerfallen ; die eine für reine und angewandte Mathematik
(Mechanik, physische Astronomie), die andere für mathematische
Physik. Als Mitglieder konnten alle Studierenden der Mathematik
und Physik aufgenommen werden, die gewisse Vorkenntnisse be-
saßen, und zwar wurden in der Mathematik Kenntnisse der Diffe-
rential- und der Elemente der Integralrechnung verlangt, in der
Physik Kenntnis „der hauptsächlichsten im Fischer sehen Lehrbuch
behandelten Gegenstände". Zur Feststellung, ob dieser Forderung
genügt sei, konnte von den Leitern des Seminars die Einreichung
einer schriftlichen Arbeit oder eine mündliche Prüfung verlangt
werden. Doch wurde diese Prüfung später als unzweckmäßig ab-
geschafft, um den minder Befähigten keine Gelegenheit zu ver-
schließen, sich Kenntnisse zu erwerben. Die ordentlichen Mit-
glieder waren verpflichtet, an den Übungen beider Abteilungen
teilzunehmen, sie durften auch nach dem Abgange von der Uni-
versität bis zur Anstellung Mitglieder bleiben. Neben den ordent-
lichen Mitgliedern konnten auch freie Zuhörer zugelassen werden.
Während die Arbeiten der mathematischen Abteilung unter
Jacobis Leitung auf die Lösung spezieller Probleme der höheren
Mathematik gerichtet waren und daneben Sohncke in lateinischer
Sprache über elementare Mathematik Übungen hielt i), sollten die
von Neumann geleiteten Arbeiten der physikalischen Abteilung
1 . in zusammenhängenden Vorträgen bestehen, welche abwechselnd
von den Mitgliedern über einen bestimmten Zweig der mathema-
tischen Physik zu halten waren; 2. in selbständigen Arbeiten der
^) Die von Sohncke geleitete Abteilung ging schon 1836 hei der
Berufung Sohnckes nach Halle ein.
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— 151 —
Mitglieder, welche entweder rein theoretisch sein sollten oder auf
Grund einer mathematischen Theorie eigene Beobachtungen und
Messungen erforderten. Für die beim Experimentieren erwach-
senen Kosten sollte Ersatz geleistet werden; auch wurde für die
Mitglieder, die größere Ausarbeitungen geliefert, eine Eemune-
ration in Aussicht gestellt. Über die Seminararbeiten sollte dem
Ministerium jährlich ein Bericht eingereicht werden.
Erwähnt sei hier gleich, daß Neumann in späteren Jahren
die Aufgaben seiner Abteilung insofern modifiziert hat, als er die
Vorträge fallen und dafür spezielle Probleme bearbeiten ließ, die
in systematischer Ordnung verschiedene in dasselbe Gebiet ein-
schlagende Fragen behandelten. Die Bearbeitungen mußten all-
wöchentlich eingereicht werden und wurden in der nächsten
Seminarstunde besprochen. Die Seminarberichte, die in den Kura-
torialakten der Königsberger Universität aufbewahrt werden, ent-
halten ein umfangreiches interessantes Material zur Geschichte
des mathematisch -physikalischen Seminars. Auf ihnen, wie auf
der im mathematisch - physikalischen Laboratorium der Königs-
berger Universität aufbewahrten Sammlung von Seminararbeiten
beruht (neben persönlichen Erinnerungen des Verfassers aus seiner
Studienzeit) die folgende Darstellung von Neumanns Wirksam-
keit als Seminarleiter.
Am 8. Juni 1834 genehmigte das Ministerium den Antrag
auf Errichtung des projektierten Seminars, sowie den eingereichten
Statutenentwurf, letzteren zunächst provisorisch auf ein Jahr. Es
sprach dabei seine Überzeugung aus, daß das Seminar „nicht nur
für die dortige Provinz, sondern auch für den öffentlichen Unter-
richt in den königlichen Staaten überhaupt sehr wünschenswert"
sei. Als Dotation für das Seminar wurden jährlich 150 Taler in
Aussicht gestellt, aber erst für spätere Zeit.
Und nun trat jenes Seminar ins Leben, das die vom Mini-
sterium, sowie von seinen Gründern gehegten Erwartungen im
höchsten Maße erfüllte. Hat es doch, wie Lindemann i) sagt,
„eine ungewöhnliche Bedeutung erlangt durch die große Zahl
hervorragender Gelehrter, die aus ihm hervorgegangen**, und zwar
Mathematiker sowohl als Physiker, und hat es andererseits zur
Ausbildung von tüchtigen mathematischen Lehrern wesentlich
^) Gedächtnisrede auf Philipp Ludwig v. Seidel, S. 48.
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— 152 —
beigetragen und dadurch zur Hebung des mathematischen und
physikalischen Gymnasialunterrichtes, zunächst in den Provinzen
Ost- und WestpreulSen. Das Eönigsberger Seminar war die erste
derartige Anstalt in Deutschland ; nach seinem Muster sind später
an vielen Universitäten Deutschlands ähnliche Anstalten ein-
gerichtet, z.B. das auf Veranlassung Seidels, der in Königsberg
studiert hatte, in München gegründete Seminar, das im Anfang
der sechziger Jahre errichtete mathematische Seminar der Ber-
liner Universität, dem allerdings die physikalische Abteilung fehlt,
und manche andere.
2. Das Seminar in den ersten Jahren seines Bestehens
(1834-1839).
In den letzten Tagen des Novembers 1834 wurde das Seminar
mit sechs Teilnehmern eröffnet, die bereits zwei bis sechs Jahre
die Universität besucht hatten; unter ihnen sind hervorzuheben
der Mathematiker Otto Hesse (1811 — 1874)1), Theodor
Schönemann, später Gymnasialprofessor in Brandenburg a. H.,
der eine Reihe physikalischer und mathematischer Arbeiten ver-
öffentlicht hat, Julius Czwalina, später Oberlehrer in Danzig,
Verfasser mehrerer Programm arbeiten mathematischen Inhalts.
Über die Arbeiten der physikalischen Abteilung, an denen
außer den sechs ordentlichen Mitgliedern noch J. H. C. E. Schu-
mann, später Oberlehrer am alt städtischen Gymnasium in Königs-
berg, teilnahm, enthält der erste Seminarbericht folgendes: „Der
Dirigent Professor Neumann erhielt nur eine selbständige
Arbeit von stud. Hesse über die Interferenz des Lichtes, welches
von dünnen Lamellen reflektiert und gebrochen wird, wo sämt-
liche Reflexionen und Refraktionen berücksichtigt waren. Die
Tätigkeit der übrigen Mitglieder beschränkte sich darauf, einzelne
vom Dirigenten proponierte Kapitel der Physik zu mündlichen
freien Vorträgen zu bearbeiten, wozu wöchentlich zwei Stunden
hintereinander festgesetzt waren. Da der Dirigent es für zweck-
mäßig gehalten hat, seine ganze Tätigkeit diesem Seminar zuzu-
*) Der Seminarbericht nennt ihn Anton Hesse, es unterliegt
aber keinem Zweifel, daß Otto Hesse gemeint ist; ein Anton Hesse
war nach Lindemanns Angaben damals gar nicht in Königsberg
immatrikuliert.
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— 153 —
wenden und deshalb eine Teilnahme am naturwissenBchaftlichen
Seminar aufgegeben, so wird er diese Übungen für die Folge
zweimal wöchentlich leiten.^
Die Vorträge, die von den einzelnen Mitgliedern gehalten
wurden, waren folgende:
1. Czwalina: Über die Bewegung des einfachen Pendels
a) im luftleeren Räume, b) im widerstehenden Mittel. Reduktion
des zusammengesetzten Pendels auf das einfache.
2. Kade: Darstellung 'der Versuche von Gavendish über
die Anziehung Yon Bleimassen. Die Herleitung der Dichtigkeit
der Erde aus diesen Versuchen.
3. Busolt: Entwicklung der Formel von Laplace für die
Höhenmessung durch das Barometer.
4. Schönemann: Über Hygrometrie im allgemeinen. Über
das Saussuresche Hygrometer. Gay Lussacs Bestimmung der
Bedeutung der Skala dieses Hygrometers.
5. Schumann: Über die Relation der Länge des Schließungs-
drahtes einer galvanischen Kette und ihrer Wirkungsabnahme.
6. Pahlau: Über die an einem fertigen Thermometer anzu-
bringende Kalibrierung und Berichtigung.
7. Hesse: Über die Interferenz des Lichtes im allgemeinen
und Anwendung auf den Gegenstand seiner selbständigen Arbeit.
„Die Themata dieser Vorträge waren von dem Dirigenten
proponiert, ausgenommen dasjenige des stud. Schumann, welches
er sich selbst gewählt hatte, und dessen Darstellung sich durch
Sicherheit und Klarheit auszeichnete. Die Vorti-äge waren von
den Mitgliedern zuvor zu ihrem eigenen Gebrauche schriftlich
ausgearbeitet, welche Ausarbeitungen aber bei dem mündlichen
Vortrage nicht benutzt wurden. Einige dieser Aufsätze sind bei-
gefügt. Die Vorträge der einzelnen Mitglieder füllten je nach dem
Umfange des Gegenstandes die Zeit unsei'er Zusammenkünfte aus.
Im allgemeinen hat der Dirigent den Mangel an physikalischen
Kenntnissen bedauern müssen. Es ist zu hoffen, daß der Fortgang
des Seminars zu einem ernstlicheren Studium der Physik veran-
lasse." Neumann schließt den Bericht mit folgendem Wunsche:
„Der Dirigent kann es aber nicht verhehlen, daß ein hohes Mini-
stei'ium wesentlich dazu beitragen würde, wenn Hochdasselbe zu
den in den Lehrerprüfungen zu machenden Anforderungen die
Bestimmung einer größeren schriftlichen Arbeit fügte."
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— 154 —
In den nächsten zwei Semestern (Ostern 1835 — 1836) wurden
die Seminarübungen nach demselben Plane unter Beteiligung von
sechs Mitgliedern (Hesse wird 1835 nicht genannt) fortgesetzt.
Dabei stach, wie Neumann in seinem Berichte hervorhob, die
Tätigkeit der Mitglieder sehr vorteilhaft gegen diejenige im ersten
Semester ab; namentlich sei der Eifer zweier Mitglieder, Schu-
mann und Kade, zu loben, die sich beide durch Neigung und
Talent füi* physikalische Studien auszeichneten, während die
physikalischen Kenntnisse der übrigen Mitglieder noch viel zu
wünschen übrig ließen. Von den zur Bearbeitung gestellten Auf-
gaben seien folgende erwähnt : Ort des Bildes bei Brechung durch
ein Prisma, Doppelprisma ohne Ablenkung, achromatisches Prisma,
Berechnung der kaustischen Linien eines Kreises, Konstruktion
eines Fernrohres oder eines Mikroskops aus zwei gegebenen
Linsen, verschiedene Aufgaben über Doppelbrechung im Kalkspat.
Daneben finden sich Aufgaben über die Bewegung der Wärme in
einer Reihe von Körpern , ferner über die Reduktion des physi-
schen Pendels auf ein einfaches Pendel u.a.m. Man sieht also,
daß es sich noch nicht, wie später vielfach, um die Behandlung
schwieriger Probleme handelt, sondern um Übungsaufgaben von
mehr elementarem Charakter.
Dem erfreulichen Aufschwung, welchen das Seminar im Jahi'e
1835 — 1836 genommen, folgte im Sommer 1836 ein bedauerlicher
Rückschlag. Die ausgezeichneteren Mitglieder verließen die Uni-
versität, um Lehrer zu werden, oder wurden durch die Vorberei-
tungen zum Oberlehrerexamen zu sehr in Anspruch genommen,
um noch füi* das Seminar arbeiten zu können. So kam es, daß
im Sommer 1836 jede der Abteilungen nur drei Mitglieder zählte
(nur ein Mitglied, Hesse, nahm an den Übungen beider Ab-
teilungen teil); außerdem arbeitete der schon vorher genannte
Schumann privatim bei Neumann. Bei den mündlichen Vor-
trägen wurde jetzt ein zusammenhängender Plan verfolgt (Thermo-
meter, Barometer, absolute Maßbestimmungen, Methoden der
spezifischen Gewichtsbestimmung und Methoden, die Aasdehnung
durch die Wärme -eu finden). Daneben wurden Aufgaben zur
schriftlichen Bearbeitung gestellt; sie bezogen sich auf kleine
Probleme, die sich in den mündlichen Vorträgen herausstellten.
In diesem Semester gewannen Jacobi und Neumann die
Überzeugung, daß, um nicht eine eingeschränkte Tätigkeit im
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Seminar zur Gewohnheit werden zu lassen, dasselbe einer Unter-
stützung wie die übrigen Universitätsseminare bedürfe, teils zu
Remunerationen, besonders aber, um die jungen Leute selbst
experimentierend und beobachtend auf eine erfolgreiche Weise
beschäftigen zu können. Sie beantragten die Bewilligung der
erforderlichen Mittel, und da solche nicht verfügbar waren,
suspendierten sie zunächst für den Winter 1836 — 1837 das
Seminar.
Über die folgenden beiden Jahre, Ostern 1837 — 1839, ent-
halten die Euratorialakten nur einen Bericht des Begierungs-
bevollmächtigten an den Minister vom 17. Juni 1838 , daß
mancherlei sich entgegenstellende Schwierigkeiten die Direktoren
veranlaßt hätten, die Übungen ganz oder teilweise einzustellen;
die Direktoren behielten sich unter diesen Umständen vor, statt
der Jahresberichte je nach Umständen einen Gesamtbericht für
einen längeren Zeitraum zu erstatten. Die hier erwähnte Einstel-
lung der Seminarübungen bezog sich jedenfalls nicht auf die
physikalische Abteilung. In der dem mathematisch-physikalischen
Laboratorium gehörigen Sammlung Neumann scher Seminar-
arbeiten findet sich auch aus den Jahren 1837 und 1838 eine
Reihe von Arbeiten, die zeigen, daß Neumann auch in diesen
Jahren die Seminarübungen in derselben Art wie in den vorher-
gehenden Jahren fortgesetzt hat. Auch einige Mittel wurden ihm
bewilligt, wie daraus hervorgeht, daß er in dieser Zeit zuerst
Apparate zum Gebrauch im Seminar angeschafft hat.
3. Die weitere Entwicklung des Seminars.
Im April 1839 wurden endlich dem Seminar die geforderten
Mittel im Betrage von 350 Talern jährlich dauernd bewilligt^).
Zugleich wurden die Direktoren am Anfang des Sommersemesters
1839 aufgefordert, das Seminar ungesäumt zu eröffnen, „um so
mehr, als jetzt Mathematiker selbst vom Auslande die Univer-
sität bezogen haben". Jacobi, der beurlaubt war, wurde durch
Richelot vertreten. — Seit dieser Zeit hielt Neu mann die
^) Nach Angabe von Prutz (S.27) soll das mathematisch-physi-
kalische Seminar erst infolge dieser Bewilligung ins Leben getreten
sein. Das ist ein Irrtum, wie sioh aus den Jahresberichten und den
vorliegenden Seminararbeiten ergibt.
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^ — 156 —
Übungen des Seminars regelmäßig bis zur Mitte der siebziger
Jahre, mit Ausnahme weniger Semester, in denen er beurlaubt
war. Die Zahl der Teilnehmer betrug 1839 sieben, hielt sich im
nächsten Jahrzehnt mit geringen Schwankungen auf gleicher
Höhe, stieg in der Mitte der fünfziger Jahre auf zehn, im Anfang
der sechziger Jahre auf zwölf, Ende der sechziger Jahre auf fünf-
zehn bis achtzehn und sank seit 1871 auf neun bis elf.
a) Allgemeine Gesichtspunkte Neumanns bei Leitung
des Seminars.
Über die allgemeinen Gesichtspunkte, die für Neumann
bei den Seminarübungen maßgebend waren, spricht er sich fol-
gendermaßen aus (Bericht über die Jahre 1847 — 1849):
„Bei der Leitung des Seminars ist die Ansicht von mir fest-
gehalten, daß der Zweck desselben ein dreifacher sei. Einmal
soll dasselbe den Studierenden die Lücken in ihren Kenntnissen
zum Bewußtsein bringen , besonders denjenigen , welche dem
Gymnasialunterricht näher stehen als den Universitätsstudien.
Bann soll das Seminar diejenigen, welche schon mehr fortge-
schritten sind, anleiten, physikalische Fragen selbständig einer
mathematischen Behandlung zu unterziehen. Hierbei werden die
jungen Männer genötigt, sich auf das, was sie gelernt haben, zu
besinnen, dasselbe anzuwenden und es sich so zum wirklichen
Eigentum zu machen. Zugleich aber erhalten sie auch die nach
meiner Ansicht zweckmäßigste Vorbereitung, um physikalische
Phänomene durch messende Beobachtungen zu bestimmen. Die
Anstellung solcher Beobachtungen ist der letzte Zweck und das
eigentliche Ziel, wohin die Mitglieder des Seminars zu führen ich
mir zur Aufgabe gemacht habe.''
In einem anderen Bericht, 1849 — 1850, sagt Neumann:
„Die Absicht, die ich bei dieser Leitung der Seminararbeiten
verfolgte, war eine doppelte. Einmal wollte ich dahin wirken,
daß die Mitglieder sich dasjenige, was die Vorträge ihnen dar-
geboten hatten , durch selbständige Anwendung desselben zu
einem wirklichen Besitz aneigneten, und dann wollte ich die-
selben anleiten, in den physikalischen Tatsachen diejenigen Ge-
sichtspunkte zu finden und zu verfolgen, welche eine mathema-
tische Behandlung zulassen.''
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Femer sei noch aus dem Bericht 1850 — 1851 folgendes an-
geführt :
„Da im Sommersemester 1850 die physikalische Abteilung
nur ältere Mitglieder hatte, die zum Teil in Begriff waren, die
Universität zu verlassen, wurden die Gegenstände der Beschäfti-
gungen von mir so gewählt, wie sie geeignet schienen, die Kluft
zwischen theoretischer Einsicht und praktischer Ausführung be-
merklich zu machen und darüber wegzuleiten. Ich beschäftigte
die Mitglieder vorzugsweise praktisch, ich ließ sie namentlich
messende Beobachtungen aus dem Gebiet des Magnetismus und
Galvanismus machen. Wenn die erhaltenen numerischen Resultate
auch wenig bedeutend waren und weniger, als ich sonst erreicht
habe, so ist der Weg zu ihnen doch für die Teilnehmer, wie ich
glaube, nicht ohne Nutzen gewesen. Sie wurden auf diesem Wege
einmal gezwungen, sich Gegenstände deutlich zu machen, welche
sie bis dahin als unerheblich beiseite hatten liegen lassen, dann
aber auch durch denselben veranlaßt, auf Materien zurückzugehen,
die sie aus den Vorlesungen hatten kennen gelernt, und diese
wegen des Gebrauchs, der von ihnen gemacht werden sollte, sich
zu einem mehr selbständigen Eigentum anzueignen.^
Je nach den Kenntnissen und der Vorbildung der Teilnehmer
am Seminar trat von den angeführten Gesichtspunkten mehr der
eine oder der andere in den Vordergrund. Daher sind auch die
in verschiedenen Semestern gestellten Aufgaben von sehr un-
gleicher Art, bald einfachere Übungsaufgaben, bald schwierigere
Probleme. Neumann selbst sagt in dem Bericht 1843 — 1845:
„Die Arbeiten haben einen verschiedenen Wert. Diejenigen
der älteren Mitglieder des Seminars zeigen den Standpunkt der
Bildung in der mathematischen Physik, welchen die Zöglinge des
Seminars erreichen, während die der jüngeren zeigen, mit welch
schwachen Kräften die Tätigkeit am Seminar zu beginnen hat."
Wiederholt, wenn die Vorbildung der Teilnehmer eine zu un-
gleiche war, wurden die Übungen in zwei Abteilungen gehalten,
deren eine in der Regel die neu eintretenden Mitglieder umfaßte,
die andere die weiter fortgeschrittenen. Vielfach standen die
schriftlichen Arbeiten in nächster Beziehung zu den Neumann-
schen Vorlesungen, derart, daß das, was in den Vorlesungen als
bekannt vorausgesetzt oder sonst übergangen worden war, von
den Mitgliedern reproduziert werden mußte, während die Geüb-
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— 158 —
teren die in den Vorlesungen gegebenen Prinzipien auf spezielle
Probleme anwenden mußten i). — „Bei der Auswahl der zur
Bearbeitung gestellten Probleme war die Rücksicht leitend, ent-
weder daß sie sich auf Gegenstände von praktischem Interesse
bezogen oder daß die gewählten Aufgaben das Interesse erwecken
sollten, die theoretisch geführte Untersuchung zur experimentellen
Anwendung zu bringen" 2).
Die früheren Klagen über mangelhafte Vorbildung sind, wie
aus dem vorstehend mitgeteilten Berichte für die Jahre 1843 — 1845
hervorgeht, auch in den vierziger Jahren nicht ganz verstummt.
Auch der Bericht über das Jahr 1846 — 1847 sagt in dieser Hin-
sicht: „Die Arbeiten der zweiten Abteilung zeigen, wie hier erst die
physikalischen Begriffe gewonnen werden mußten, und mit welcher
Mühe die gewonnenen zu einer solchen Fassung gebracht werden
konnten, daß sie sich zu einer mathematischen Behandlung ver-
wenden ließen." Allmählich aber werden derartige Klagen in den
Seminarberichten immer seltener und hören späterhin ganz auf.
Meist ist Neumann in der Lage, den Fleiß und das Streben der
Teilnehmer, wie auch ihre Erfolge zu loben, so z. B. sagt der
Bericht über das Jahr 1855 — 1856: „Aus den Arbeiten ist das
Interesse und der Fleiß der Mitglieder zu erkennen^, und der
Bericht für 1856 — 1857: „Die rege Teilnahme und der Fleiß der
Mitglieder sind um so höher zu veranschlagen, als ihre Zeit in
der anderen Abteilung des Seminars nicht weniger in Anspruch
genommen war." — 1858 — 1859 wird die andauernde und an-
gestrengte Tätigkeit der Mitglieder gelobt, und 1864 — 1865 wird
bemerkt: „Die Arbeiten zeigen, daß es gelungen ist, für diese
zum Teil schwierigen Untersuchungen (Kapillarität und Kristall-
optik) ein hinlängliches allgemeines Interesse zu erwecken."
b) Über die in verschiedenen Semestern im Seminar
bearbeiteten Aufgaben.
Um ein Bild davon zu geben, wie Neumann bei den
Übungen im einzelnen verfuhr, um das Ziel, das er sich gesteckt
hatte, zu erreichen, greifen wir aus der FüUe des in den Seminar-
^) Bericht über das Jahr 1845—1846.
*) Bericht üher das Jahr 1851—1852.
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berichten gebotenen Materials einige charakteristische Berichte
heraus, und ergänzen sie, indem wir aus der Sammlung von
Seminaraulgaben einige spezielle Probleme anführen.
Ein Teil der Übungen war mehr auf die Einübung der
Mitglieder in physikalischen und kristallographischen
Messungen gerichtet. So wurde im Sommer 1840 die Theorie
und der Gebrauch des Malus sehen Goniometers erörtert.
„Das Instrument wurde als Beispiel behandelt, wie ein In-
strument diskutiert werden muß, mit welchem man solche Resul-
tate erzielt, daß man dafür die Grenzen der Zuverlässigkeit
angeben kann. Es mußten die yerschiedenen Fehlerquellen auf-
gesucht werden, und der Einfluß, welchen sie demnach auf das
Endresultat ausüben, berechnet werden. Hierauf wurden Yon den
einzelnen Mitgliedern Reihen von Messungen an Bergkristall,
Beryll, schwefelsaurem Kali usw. angestellt, und diese mußten
nach der Methode der kleinsten Quadrate berechnet werden. Es
zeigte sich eine erfreuliche Rüstigkeit in der Ausführung solcher
Arbeiten."
Für Anfänger wurden vielfach Aufgaben aus der Mechanik
behandelt. Wir führen darüber den Bericht über die Jahre 1853
— 1854 an. „Bei den Mitgliedern der zweiten Sektion waren die
mechanischen Grundbegriffe, soweit sie vorhanden waren, noch
sehr schwankend, und es fehlte Jede Übung, ein physikalisches
Phänomen einer mathematischen Betrachtung zu unterwerfen. Ich
wendete deshalb folgendes Verfahren an. Ich ließ an einem ein-
fachen Instrument Beobachtungen anstellen und daraus durch
Berechnung Resultate ziehen. Dann mußten die verschiedenen
Voraussetzungen, welche in dem Instrument möglicherweise nicht
ganz erfüllt waren, einzeln berücksichtigt, ihr Einfluß auf das
Resultat berechnet werden. Auf diese Weise wurden die
Messungen von elektrischen Drahtwiderständen und ihren Ver-
änderungen durch die Temperatur behandelt. Im Winter, wo die
Mitglieder meine Vorlesungen über theoretische Physik hörten,
gab ich den Seminar Übungen eine solche Richtung, daß die Mit-
glieder sich die mechanischen Grundlehren der Physik klar
machen mußten und diese ihnen geläufig zur Anwendung wurden.
Ich ließ die Bewegungen der Atwo od sehen Fallmaschine mit
Rücksicht auf das Gewicht der Fäden, das Trägheitsmoment der
Rolle usw. untersuchen. Andere Aufgaben betrafen das Per-
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kussionspendel , die einfacheren Fälle der Bewegung in einem
widerstehenden Mittel, die Bewegung eines Pendels, auf welches
diskontinuierliche Kräfte wirken. Als Anwendung der Lehre von
den Drehungsmomenten ließ ich die Ablenkung einer Magnetnadel
durch einen Magneten berechnen. Diese Rechnung wurde auf
Beobachtungen angewendet, die ich von den Seminarmitgliedern
selbst anstellen ließ. Diese Beobachtungen und andere Schwin-
gungsbeobachtungen mußten nach der Methode der kleinsten
Quadrate berechnet werden."
„Ich glaube durch diese Beschäftigung" (mit einfacheren
mechanischen Aufgaben), sagt Neumann, „die Teilnehmenden
empfänglich gemacht und wohl vorbereitet zu haben für ein
weiteres Studium der Mechanik, worüber dieselben noch keine
Vorlesung gehört hatten."
Der Nutzen, der den SeminarmitgUedem aus der Behandlung
von solchen mechanischen Aufgaben erwuchs, hat Neumann
veranlaßt, ähnliche Übungen wiederholt zu veranstalten. Aus den
Berichten über diese Übungen seien hier noch folgende Aufgaben
erwähnt: Fortpflanzung kleiner Erschütterungen in einem System
diskreter Massenteilchen, die Theorie des Stoßes, Theorie der
Wage und der Brücken wage, Berechnung der Newton sehen Fall-
versuche in Luft und Wasser, Theorie des ballistischen Pendels,
Berechnung damit angestellter Versuche, Ermittelung der Kraft,
welche zum Zerreißen von Holzfasern angewandt werden muß,
Einfluß einer zylindrischen Schneide und Einfluß des Wider-
standes auf die Schwingungen des Pendels.
Wiederholt (z. B. Winter 1856—1857, Winter 1865—1866)
wurden im Seminar die allgemeinen Grundsätze der relativen Be-
wegung entwickelt und die Mitglieder veranlaßt, dieselben auf
die Benzenberg sehen Fallversuche anzuwenden und diese
numerisch zu berechnen. Auch auf die Foucault sehen Pendel-
versuche wurden diese Grundsätze angewandt. Eine letzte An-
wendung war (Winter 1865 — 1866) die auf die hydrostatische
Frage nach der Gleichgewichtsfigur der rotierenden Erde unter
dem Einfluß des Mondes. Hierbei kam auch die Frage zur
Sprache nach dem Einfluß des Mondes auf die Schwingungsdauer
des Pendels.
Im Jahre 1872 — 1873 wurden Fragen folgender Art be-
handelt: Hat die Erdatmosphäre nach hydrostatischen Gesetzen
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eine Grenze? Welche Dichtigkeit besitzen die Gase der Atmo-
sphäre im Weltraum? Bestimmung der Dichtigkeit derselben
Gase an der Oberfläche der Sonne und anderer Himmelskörper.
Diese Probleme wurden zuerst ohne Berücksichtigung der gegen-
seitigen Anziehung der Gasteile behandelt, dann die viel schwie-
rigere Frage mit Berücksichtigung dieser Anziehung. Das Interesse
der Mitglieder zeigte sich darin, daß dieselben zum Teil selbst
den Problemen eine größere Ausdehnung gaben. Schließlich wurde
in dieser Reihe von Untersuchungen noch das Problem der Gleich-
gewichtsfläche unserer Atmosphäre mit Berücksichtigung der An-
ziehung fremder Himmelskörper behandelt.
Auch auf die Hydrodynamik wurden die Übungen aus-
gedehnt. So wurden (Winter 1856 — 1857) die hydrodynamischen
Gleichungen mit Berücksichtigung der Reibung abgeleitet und auf
die Bewegungen angewandt, welche in einer Flüssigkeit durch
rotierende Zylinder oder Kugeln erzeugt werden; diese Unter-
suchungen wurden dann im Sommer 1857 fortgesetzt und zugleich
Experimente angestellt, um die Ergebnisse der theoretischen Rech-
nungen zur Bestimmung der Reibungskoeffizienten verschiedener
Flüssigkeiten anzuwenden. Zwei der Zuhörer, 0. E. Meyer und
C. J. H. Lampe (gestorben als emeritierter Gymnasialpröfessor in
Danzig), führten ihre Beobachtungen soweit durch, daß sie mit
ihren Resultaten die von der philosophischen Fakultät gestellte
Preisfrage beantworten konnten.
In einem späteren Semester (Sommer 1871) wurden die in
Rede stehenden allgemeinen Gleichungen auch auf die Bewegung
von Flüssigkeiten in engen Röhren angewandt. (Ableitung des
Poiseui 11 eschen Gesetzes.)
. In anderen Semestern wurden die Aufgaben aus der
Elastizität und Kapillarität gewählt. So sagt der Bericht
1860 — 1861:
„Die weiteren Übungen schlössen sich mehr an meine Vor-
lesung über die Theorie der Elastizität an, welche die Mitglieder
im vorangegangenen Semester gehört hatten. Es mußte die
lebendige Kraft eines Systems elastisch bewegter Massen bestimmt
werden. Es mußten die Gleichungen für die Bewegungen eines
elastischen Körpers mittels des Prinzips der virtuellen Geschwin-
digkeiten abgeleitet werden. Auf Grund dieser Methode wurden
Wangerin, Franz Neumann. jj
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die Bewegungen eines elastischen Stabes untersucht und die
Gleichungen für eine elastische Platte aufgestellt.
„Im zweiten Semester beschäftigten sich die Mitglieder mit
Untersuchungen aus der Lehre von den kapillaren Erscheinungen.
Ich hatte in meiner Vorlesung die La place sehe Theorie der
Kapillarität vorgetragen. Hier mußte das Prinzip der virtuellen
Geschwindigkeiten in Beziehung auf die kapillaren Phänomene
durchgeführt werden. Die Mitglieder wurden yeranlaßt, nament-
lich die allgemeinen Bedingungen zu finden, welche an der Grenze
zweier Flüssigkeiten zu erfüllen sind. Es wurde dann dieser
neue Weg in Beziehung auf yerschiedene einzelne Erscheinungen
durchgeführt, namentlich solche, deren Beobachtung, verglichen
mit dem theoretischen Ergebnis, zur Bestimmung der Eonstanten
dienen kann. Es wurden auch die Bewegungen untersucht,
welche durch kapillare Kräfte erzeugt werden, und die Kraft be-
stimmt, die nötig ist, um solche Bewegungen zu hindern. Es
wurde der Einfluß der Kapillarität auf spezifische Gewichts-
bestimmungen untersucht, einige Methoden behandelt zur Ermitte-
lung der Depression des Quecksilbers im Barometer usw. Bei
diesen und ähnlichen Anwendungen der Ga uss sehen Grundformeln
hatten sich die beiden Hauptsätze der Laplace sehen Theorie
immer beiläufig ergeben. Die Mitglieder des Seminars wurden
nun veranlaßt, diese Sätze allgemein aus der Gauss sehen Theorie
abzuleiten und dahin zu erweitern, daß sie auch das Gesetz für
die Winkel aufsuchten, unter welchen sich die drei Oberflächen
zweier Flüssigkeiten schneiden, von denen die eine auf der anderen
schwimmt*^ (Neumann scher Satz), „und das Gesetz für den Winkel,
unter welchem eine zwei Flüssigkeiten gemeinschaftliche Ober-
fläche die Oberfläche eines festen Körpers schneidet. Einer sehr
eingehenden Untersuchung wurde die Frage unterworfen nach
den Gleichgewichtsfiguren einer Flüssigkeitsmasse, die im Inneren
einer anderen Flüssigkeit schwebt und in eine rotierende Bewegung
versetzt ist." (Plateaus Versuche.)
Wie aus dem bisher Angeführten hervorgeht, wurden in jedem
Semester nur einzelne'Kapitel der Physik behandelt, doch wechselten
diese Kapitel in der Regel von Semester zu Semester, so daß die
Übungen der verschiedenen Semester fast das ganze Gebiet der
Physik umfaßten. Bisweilen kam es vor, daß mehrere Semester
hintereinander die Übungen demselben Teil der Physik entnommen
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wurden. So wurden 1863 — 1864 auschließlich Aufgaben aus
der Wärmelehre behandelt. Der Bericht über dieses Jahr lautet
folgendermaßen:
„Im Sommersemester wurden zunächst die allgemeinen Grund-
sätze erklärt, auf welchen die analytische Theorie der Bewegung
der Wärme in festen Körpern *) beruht, und dann durch die Mit-
glieder zur Anwendung gebracht. Es wurden von ihnen die Ge-
setze der Temperaturrerteilung in einer Kugel, wenn dieselbe nur
eine Funktion des Badius und der Zeit ist, entwickelt, und hieraus
mußten Regeln abgeleitet werden, nach welchen durch Beobach-
tungen des Temperatnrzustandes einer solchen Kugel in verschie-
denen Zeiten die Konstanten der Theorie bestimmt werden können.
Es wurden die durch Abkühlung der Kugel im Inneren derselben
entstehenden Spannungen bestimmt, es wurde die Veränderung
ermittelt, welche eine sich abkühlende rotierende Kugel in ihrer
Rotationsgeschwindigkeit durch die Abkühlung erleidet. Dies
wurde auf die Erdkugel angewandt. Die Formeln für die Be-
wegung der Wärme in einer Kugel mit konzentrischer Temperatur-
yerteilung mußten erweitert werden durch Berücksichtigung des
Umstandes, daß das äußere Leitungsvermögen der Wärme nicht
unabhängig von der Temperatur ist, also mit Berücksichtigung
der Dulong sehen Gesetze der Abkühlung. Namentlich mußte
der Einfluß ermittelt werden, welchen dieser Umstand auf die
Regeln zur Bestimmung der Konstanten durch die Beobachtung
ausübt.
„Die allgemeinen Gleichungen für die Bewegung der Wärme
mußten für den Fall einer Kugel transformiert werden. Es wurde
der stationäre Temperaturzustand einer Kugel bestimmt, wenn
die Temperatur ihrer Oberfläche eine gegebene Funktion der
Länge und Breite ist. Dies wurde auf die Erdkugel angewandt.
Es mußte Größe und Richtung der mittleren Wärmeflut numerisch
berechnet werden, welche im Innern der Erde von den Äquatorial-
gegenden zu den Polargegenden infolge der Sommererwärmung
strömt.
„Im Winter wurden diese Untersuchungen weiter geführt und
dabei besonders ihre praktische Verwertung berücksichtigt.
*) Vor der Ableitung der Gleichungen der Wärmeleitung in
Körpern ließ Neumann wiederholt als Einleitung dazu die Bewegung
der Wärme in einem System diskreter Massenteilchen behandeln.
11*
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„Es wurden zanächst die Untersuchungen über die Methode
der Mischung zur Bestimmung der spezifischen Wärme erweitert,
indem die eingetauchten Körper als Kugeln betrachtet wurden,
und die Bewegung der Wärme innerhalb dieser Kugeln während
der Mischung berücksichtigt werden mußte. Es wurde die Theorie
der elektrischen Multiplikatoren als thermometrischer Instrumente
behandelt, und es mußten Regeln abgeleitet werden, nach welchen
bei stetig abnehmenden Strömen die Stromstärken in bestimmten
Zeitmomenten zu bestimmen sind.
„Hierauf wurde die Bewegung der Wärme behandelt in einem
System von Wärmeleitern, bestehend aus einem Ring oder Stab
mit eingelöteten Thermoketten. Es mußten die Vorschriften für
die Beobachtungen der Thermoströme dieser Ketten entwickelt
werden, damit sich aus denselben die Konstanten ableiten lassen.
Es wurden die periodischen Bewegungen der Wärme in einem
Stabe untersucht, dessen Enden abwechselnd in gleichen Zeit-
intervallen mit zwei ungleichen Wärmequellen in Berührung ge-
bracht werden. — Der letzte Gegenstand war die Bewegung der
Wärme in der Erde. Es kam darauf an, die Untersuchungen
so weit führen zu lassen, daß ersichtlich wurde, wie durch die
Beobachtungen über den Gang der Temperatur in den oberen
Schichten der Erdoberfläche die verschiedenen Ursachen dieses
l'emperaturganges, nämlich die Sonnenerwärmung, die Ausstrah-
lung und die ursprüngliche Erwärmung der Erde, sich trennen
und numerisch bestimmen lassen.
„Schließlich mußten die Seminarmitglieder noch die Glei-
chungen entwickeln für solche Fälle, wo durch die Bewegung
der Wärme selbst eine Wärmequelle erregt wird, wie dies beim
Gefrieren eines wässerigen Erdbodens der Fall ist.
„Neben diesen theoretischen Arbeiten fanden noch praktische
Übungen statt, sie bezogen sich auf die Bestimmung von spezi-
fischen Wärmen und auf Winkelmessungen an Kristallen und
deren Berechnung."
Aus persönlicher Erinnerung kann ich, da ich im Winter
1863 — 1864 in das Seminar eintrat, diesem Berichte noch
folgendes hinzufügen. Im Beginn des Wintersemesters wurde ein-
gehend die Kalibrierung der Thermometer erörtert. Die Seminar-
mitglieder wurden veranlaßt, sich eigene Thermometer zu ver-
fertigen, wozu ihnen gefüllte Thermometerröhren und ein Metallstab
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geliefert warden, den sie auf der Teilmaschine nach einer will-
kürlichen Skala teilen maßten ; sie hatten dann die Fixpunkte und
die genauen Werte der einzelnen Skalenteile zu ermitteln. Diese
praktischen Übungen, wie die vorerwähnten über Bestimmung von
spezifischen Wärmen usw., fanden nachmittags in Neumanns
Wohnung statt.
Den Berichten über andere Semester, in denen ebenfalls Auf-
gaben aus der Lehre von der Wärme behandelt wurden, ent-
nehmen wir noch folgendes:
Es wurden Beobachtungsmethoden in der Art besprochen,
daß die Nebentimstände, welche auf die durch diese Methoden
beabsichtigten Resultate von störendem Einfluß sind, hervor-
gehoben wurden, und die Mitglieder angeleitet, durch mathe-
matische Betrachtungen diese störenden Einflüsse zu verfolgen,
sie der Form nach quantitativ zu bestimmen und hieraus Mittel
abzuleiten, durch welche diese Einflüsse unschädlich gemacht
werden könnten. Hieran knüpften sich dann mehr theoretische
Untersuchungen , die jedoch in solcher Richtung geleitet wurden,
daß ihre Resultate mit der Erfahrung vergleichbar wurden.
(Winter 1849—1850.)
Die Untersuchungen über die Wärme bezogen sich auf das
spezielle Problem der Bewegung derselben in unserer Erde. Es
wurde zunächst die Bewegung des Teils der Erdwärme behandelt,
der von ihrer ursprünglichen Wärme noch vorhanden ist, und der
Einfluß bestimmt, welchen seine säkulare Veränderung auf die
Rotationsgeschwindigkeit der Erde hat. In der Behandlung des
Teils der Erd wärme, welche von der mittleren Temperatur der
Oberfläche der Erde herrührt, wurden die isothermen Erdschichten
näher diskutiert und die Orte auf der Erdoberfläche bestimmt,
welche durch innere Wärmeströmung in Verbindung stehen. End-
lich wurde der periodische Teil behandelt und die Funktion, durch
welche die Erwärmung der Erdoberfläche durch die Sonne dar-
gestellt wird, vollständig entwickelt. Die Endformeln wurden auf
Beobachtungen der Erdtemperatur in verschiedener Tiefe, die in
Königsberg angestellt worden sind, angewandt, und die thermi-
schen Konstanten der Erde für Königsberg bestimmt. (Winter
1858—1859.)
Noch sei erwähnt, daß wiederholt auch (z. B. Winter 1856
bis 1857) Aufgaben, die die Wärmeleitung in kristaUinischen
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Medien betrafen, gestellt, daß femer für die Bestimmung der
Wärmeleitungsfähigkeit verschiedene Methoden entwickelt und
erörtert wurden, so unter anderem (Winter 1863 — 1864, Sommer
1866) die Angatrömsche Methode« In anderen Semestern wurde
die Theorie des Pouillet sehen Pyrheliometers behandelt. End-
lich wurden mehrfach allgemeine Fragen, wie die Eindeutigkeit
der Lösungen der Wärmeleitungsaufgaben, in den Kreis der Be-
trachtungen gezogen.
In der Optik kehren einfache Aufgaben der geometrischen
Optik, wie sie in den ersten Jahren viel gestellt waren, später
nur selten wieder; dagegen wurden öfter Aufgaben gestellt, die
die Gauss sehen Hauptpunkte und Hauptebenen betrafen. Da-
neben wurden vorwiegend Probleme der theoretischen Optik be-
handelt, einerseits solche, zu deren Erörterung in der Vorlesung
über Optik keine Zeit gewesen war (so sind wiederholt die For-
meln für Reflexion und Brechung an Kristallflächen behandelt),
andererseits solche, die von den Zuhörern eine selbständige Weiter-
entwicklung der in der Vorlesung vorgetragenen Theorie ver-
langten. Aufgaben der letzteren Art wurden z. B. im Winter
1854 — 1855 vorgelegt. „Ich lieiS die Theorie der Farbenringe
in zweiachsigen Kristallen vollständig ausarbeiten und die-
jenigen Mitglieder, denen dies gelungen war, auf Grund der selbst-
entwickelten Formeln Messungen dieser Ringe an Kristallen an-
stellen und daraus die Elemente der doppelten Strahlenbrechung
ableiten."
Im Wintersemester 1864 — 1865, in dem ich selbst an den
Seminarübungen teilnahm, wurden zunächst Probleme ganz anderer
Art behandelt.
Neumann erörterte zuerst die Erscheinungen der Zirkular-
polarisation im allgemeinen, sowie die Erzeugung zirkulär polari-
sierten Lichtes durch das Fresnelsche Parallelepipedon. Da
schon bei geringer Inhomogenität des Glases, bei Spannungen,
wie sie durch ungleichförmige Abkühlung entstehen, Störungen
der Erscheinung hervorgebracht werden, so wandte Neumann
zur Erzeugung der totalen Reflexion ein Parallelepipedon an,
dessen Seitenflächen aus Tafelglas bestanden, während der Innen-
raum mit Wasser gefüllt war. Es wurde die Aufgabe gestellt,
welches die Winkel des Parallelepipedons sein müssen, damit ein
eintretender geradlinig polarisierter Strahl nach zweimaliger
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totaler Reflexion im Innern in einen zirkulär polarisierten ver-
wandelt wird. Sodann wurden die Farbenerscheinungen be-
rechnet, welche eintretendes zirkulär polarisiertes Licht in einer
Kalkspatplatte hervorbringt. Weiter wurden die optischen Er-
scheinungen im Bergkristall (nach Fresnel und Airy) beschrieben
und demonstriert. Daran schloß sich die Berechnung der Farben-
erscheinungen in dünnen Quarzplatten unter den verschiedensten
Umständen, wie verschiedene Orientierung der Platte, verschiedene
Polarisation (geradlinige und zirkuläre des einfallenden und aus-
tretenden Lichtes), Kombination einer links und einer rechts
drehenden Platte usw.
Es folgte eine mechanische Theorie der Erschei-
nungen der zirkulären und elliptischen Polarisation.
Schon Mac Cullagh hatte erkannt, welche Modifikation die
Differentialgleichungen der doppelten Strahlenbrechung erfahren
müssen, um aus ihnen die Erscheinungen, wie sie der Bergkristall
darbietet, abzuleiten, und Cauchy hatte diese Betrachtung auf
zweiachsige Medien ausgedehnt. Da aber die Bedeutung der
hinzuzufügenden Glieder vollkommen im unklaren blieb, so hatten
die genannten Untersuchungen den Charakter einer Interpolation.
Der erste Versuch, den Ursprung der betreffenden Glieder zu
erklären, ist von C. Neumann in seiner Habilitationsschrift^)
gemacht, indem er annahm, daß zu den gewöhnlichen Molekular-
kräften noch Kräfte hinzukommen, die wie elektrische Strom-
elemente auf Magnetpole wirken. Diese Erklärung, fügt F. Neu-
mann hinzu, ist zwar noch nicht genügend begründet, führt aber
zu Resultaten, die der Erfahrung entsprechen.
Die durch Hinzufügung der neuen Kräfte erweiterten Glei-
chungen der Elastizität lauten z. B. für Kristalle des regulären
Systems, wenn u, v, w die den Achsen des Systems parallelen
Verrückungen darstellen:
*) Halle 1858. Der Titel der Schrift lautet: Explicare tentatur,
quomodo fiat ut lucis planum polarisationis per vires electricas vel
magneticas declinetur. — Siehe auch die Schrift: Die magnetische
Drehung der Polarisationsebene. Halle 1863.
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und analog fär die beiden anderen Komponenten. Darin ist
_ d^u d^u d^u
^ du dv dto
Durch das mit a' multiplizierte Glied entstehen die drehenden
Eigenschaften; für a' = gehen die Differentialgleichungen in
die der Theorie der doppelten Strahlenbrechung zugrunde gelegten
Gleichungen über (vgl. S. 72). Neumann modifiziert die Glei-
chungen noch, indem er den Äther als inkompressibel annimmt,
also die räumliche Dilatation = setzt. Dann lautet die
obige Gleichung:
wo A eine unbekannte Funktion ist (s. Theorie der Elastizität).
Diese allgemeinen Gleichungen hatte Neu mann selbst ent-
wickelt, die Seminarmitglieder mußten die Integration durchführen,
und zwar wurde zunächst der Fall behandelt, daß a' = ist,
das Medium also keine drehende Eigenschaft besitzt, während
von der in der Theorie der doppelten Strahlenbrechung
eingeführten Annahme A — 3 a = abstrahiert wurde. Die
Integration der Gleichungen führt dann zu der merkwürdigen
Folgerung, daß auch im regulären System Doppelbrechung von
eigentümlicher Natur stattfinden muß, daß es z. B. sieben Rich-
tungen gibt, in denen keine Doppelbrechung auftritt, also sieben
optische Achsen. Weiter mußten die vorstehenden Gleichungen
integriert werden unter der Annahme A — 3 a = 0, a' ^ 0. Als
Resultat ergibt sich, daß in dem Kristall in jeder Richtung sich zwei
zirkulär polarisierte Strahlen von entgegengesetztem Drehungs-
sinn mit verschiedener Geschwindigkeit fortpflanzen. Die Resul-
tate wurden dann auf Kristalle mit ungleichen Achsen, doch unter
der Annahme der Existenz dreier rechtwinkliger Symmetrieebenen
ausgedehnt. Führt man auch hier die Bedingung der Inkompressi-
bilität des Äthers ein, so lassen sich die Grundgleichungen in
folgende Form bringen. Sind w, v, w die Verrückungen, ist femer
dv^ dw y dtv du du dv
dz dy^ dx dz' dy dx'
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Bo ist
dP dx\ dx ^ dy^ oz )
und analog für V, W.
Die Integration dieser Gleichungen unter der Annabme ebener
Wellen führt zu dem Resultat, daß sich in jeder Richtung zwei
Wellen mit verschiedener Geschwindigkeit fortpflanzen, beide
Schwingungen sind elliptisch polarisiert und von entgegengesetztem
Rotationssinn. In beiden ist die Lage der Ellipsenachsen für jede
Fortpflanzungsrichtung eine ganz bestimmte, unabhängig von der
einfallenden geradlinig polarisierten Welle, und ebenso verhält es
sich mit dem Verhältnis der Ellipsenachsen. Zirkulare Polari-
sation findet nur in denjenigen Richtungen statt, die den optischen
Achsen des nicht drehenden Kristalls entsprechen (d. h. in den
Linien, die bei a, = 0, ?>i = 0, Ci = in die optischen Achsen
übergehen); während aber bei nicht drehenden Kristallen die
Fortpflanzungsgeschwindigkeiten in diesen Richtungen gleich sind,
sind sie bei drehenden Kristallen ungleich. Zum Schluß macht
Neumann noch eine Bemerkung über die Änderungen, die ein-
treten würden, wenn man die Grundgleichungen in ähnlicher
Weise erweiterte, wie es in der Gau chy sehen Dispersionstheorie
geschieht (vgl. nächsten Absatz).
Die nächsten Aufgaben bezogen sich auf die Met all -
refle±ion. Es wurden die Erscheinungen der Metallreflexion
beschrieben, und die Seminaristen hatten die verschiedenen Me-
thoden zu untersuchen , welche zur Beobachtung der relativen
Intensität und Verzögerung der beiden Lichtkomponenten bisher
in Anwendung gebracht waren. Insbesondere war die Theorie der
Sol eil sehen Platten und des B abinet sehen Kompensators aus-
zuarbeiten. Hieran schloß sich eine theoretische Ableitung
der Gesetze der Metallreflexion. Die Grundlage bildeten
die Gleichungen, die Gau chy für seine Dispersionstheorie ent-
wickelt hat, nur daß dabei von vornherein die Bedingung der
Inkompressibilität eingeführt wurde. Diese Gleichungen ergeben
sich folgendermaßen. Bei der Ableitung der allgemeinen Elastizi-
tätsgleichungen nach der Poisson sehen Methode wird die relativ
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Yerrückung zweier Teilchen nach dem Taylor sehen Satze ent-
wickelt, und die Entwicklung hei der zweiten Potenz der Ent-
fernung der Teilchen ahgebroohen. Berücksichtigt man bei jener
Entwicklung noch die folgenden Glieder bis zur vierten Potenz
jener Entfernung, so erhält man die Cauchy sehen Gleichungen.
Setzt man in ihnen die räumliche Dilatation gleich Null, so nehmen
sie, unter u, t?, w die Komponenten der Verrückungen verstanden,
die einfache Form an:
und analog für die anderen Komponenten. Darin ist
d^u o^u d^u
(vgl. Vorlesungen über Elastizität, § 129, S. 482).
Die Grenzbedingungen für die Reflexion sind folgende: a) Die
drei Komponenten der Bewegung sind in der Grenzebene beider
Medien dieselben, möge man jene Ebenen als zu dem einen oder
zu dem anderen Medium gehörig* ansehen. — Es ist das dieselbe
Annahme, die Neumann auch in seiner Theorie der gewöhnlichen
und der Kristallreflexion macht; sie liefert drei Bedingungs-
gleichungen, b) Als vierte Gleichung ist hier nicht, wie bei der
partiellen Reflexion, die Gleichung der lebendigen Kraft zu nehmen.
Wir wissen durch direkte Beobachtung, daß in der Metallreflexion
wirklich ein Teil des Lichtes verloren geht. Nun läßt sich aber
bei der partiellen Reflexion die quadratische Gleichung, die der
Satz der lebendigen Kraft ergibt, auf eine lineare Gleichung redu-
zieren, und letztere hat einen bestimmten physikalischen Sinn,
den nämlich, daß die zur Reflexionsebene senkrechte Komponente
der elastischen Kraft denselben Wert hat, man mag die Grenz-
teilchen als dem einen oder dem anderen Medium angehörig an-
sehen. Diese Gleichung wird auch hier zugrunde gelegt.
Der weitere Gang der Rechnung ist nun wie bei der gewöhn-
lichen Reflexion, nur mit der Modifikation, daß im reflektierten
Lichte die komponierenden Strahlen eine gewisse Verzögerung er-
leiden, und daß bei der gebrochenen Welle, die ja erfahrungs-
gemäß in geringer Tiefe verschwindet, ein Exponentialfaktor
hinzugefügt wird.
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Auf die Resultate der skizzierten Entwicklung einzugehen,
würde hier zu weit führen. Nur das sei noch hemerkt, daß die
Rechnung bis zu einem gewissen Punkte streng durchgeführt,
später durch die Annahme, daß der Extinktionskoeffizient sehr
groß ist, vereinfacht wird. Die sich ergebenden Formeln sind
mit den aus direkten Beobachtungen abgeleiteten Interpolations-
formeln (s. Arbeit über Metallreflexion, S. 77) auf keine Weise in
Übereinstimmung zu bringen, während die numerischen Resultate
beider Formeln mit den Beobachtungen übereinstimmen. Den
Schluß der Übungen bildete die Ableitung der Gesetze der Kri-
stallreflexion für einachsige und zweiachsige Medien.
Aus anderen Semestern erwähnen wir noch die Behandlung
verschiedener spezieller Probleme der Kristallreflexion (z.B. 1870
bis 1871), die Entwicklung der Theorie verschiedener optischer
Apparate, z. B. des Nicoischen Prismas, wobei auch die Kon-
struktion eines solchen aus einem zweiachsigen Medium zur Sprache
kam (z. B. 1867 — 1868); endlich Aufgaben der accidentellen
Doppelbrechung, die der großen Abhandlung von 1841 entnommen
waren.
Magnetismus und Elektrizität. Der Erdmagnetismus
wurde im Seminar zum ersten Male im Jahre 183J9 — 1840 be-
handelt. Der Seminarbericht über dieses Jahr sagt:
„Die Übungen betrafen die Ausführung der von Gauss zur
absoluten Bestimmung der Intensität des Erdmagnetismus ge-
gebenen Methode. Es war hierbei nötig und wichtig, die Elemente
der Beobachtungskunst, als Zählen der Chronometerschläge, Be-
richtigung der Bussole usw., praktisch einzuüben. Die münd-
lichen Vorträge knüpften an Gauss' „intensitas vis magneticae^'
an, die dem Seminar zuerst in mathematischer, dann in physika-
lischer Hinsicht erläutert wurde. Die schriftlichen Arbeiten be-
trafen die Theorie des magnetischen Inklinatoriums und die des
Bifilarmagnetometers. "
Im Anschluß an diese Übungen wurde am 14. Juni 1839
die Intensität des Erdmagnetismus in Königsberg bestimmt.
Ferner wurden seit Anfang 1841 mehrere Jahre hindurch unter
Leitung eines älteren Mitgliedes (v. Behr, später Realschul-
professor in Königsberg) von den Seminarmitgliedern regelmäßige
magnetische Beobachtungen angestellt über die Variation der
Intensität und der Deklination. Ähnliche Übungen wurden öfter
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wiederholt und mit ihnen Aufgaben yerbonden, die Anwen-
dungen der elektrischen Ströme betrafen, so o. a. im Sommer-
semester 1865.
„Im Sommer begannen die Übungen mit der schärferen Ent-
wicklung der Gaus 8 sehen Methode zur Bestimmung der Inten-
sität des Erdmagnetismus I wobei namentlich näher auf die yer-
schiedenen Yerfahrungsarten zur Ermittelung des Trägheitsmoments
(z.B. durch die bifilare Aufhängung) eingegangen wurde.
„Die Methode selbst mußte von den Mitgliedern dahin modi-
fiziert werden, daß statt des Chronometers die bifilare Aufhängung
des ablenkenden Magneten angewandt wurde, und daß statt des
ablenkenden Magneten elektrische Ströme benutzt wurden.
„Da auf diesem Wege nur die horizontale Komponente des
Erdmagnetismus erhalten wird , wurde die Tätigkeit der Mit-
glieder des Seminars auf die Methode zur Bestimmung der mag-
netischen Inklination gerichtet. Es mußte von ihnen die Theorie
des gewöhnlichen Inklinatoriums entwickelt werden, wobei die
älteren Einrichtungen von Bernoulli, Euler usw. berücksichtigt
wurden. Hieran schloß sich die Behandlung der übrigen Methoden,
die zur Bestimmung der Inklination angewandt worden sind. Die
Behandlung .des Web er sehen Inklinatoriums gab eine gute Ver-
anlassung für die Anwendung der Theorie der induzierten DifEe-
rentialströme. Diese Anwendungen der Theorie der induzierten
Differentialströme wurden weiter verfolgt, namentlich derjenigen,
welche durch die Bewegungen des Multiplikatormagneten in diesem
en-egt werden. Es mußte ihr Einfluß auf die Amplitude der
Schwingungen ermittelt werden. Diese Untersuchung wurde auf
die Wirkung von Integralsti'ömen sehr kurzer Dauer auf die
Multiplikatornadel ausgedehnt und hieraus das Web er sehe Ver-
fahren zur Bestimmung elektrischer Widerstände abgeleitet.
„Die Web er sehe Methode zur Messung solcher Integral-
ströme von kurzer Dauer wurde speziell behandelt, die Multipli-
kations-, die Reflexionsmethode und noch andere Kombinationen
mußten in Betracht gezogen werden. Schließlich wurden die Re-
sultate dieser Untersuchungen benutzt, um daraus die Vorschriften
bilden zu lassen, nach welchen aus der Beobachtung der durch
den Erdmagnetismus induzierten Ströme die Inklination desselben
abgeleitet wird. Es wurden von einigen Mitgliedern solche Beob-
achtungen angestellt und berechnet. Auch zur Entwicklung der
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Methode der Messung kleiner Zeitteile wurden die oben bezeich-
neten Untersuchungen angewandt.
^Den Schluß des Seminars bildete die Entwicklung der Theorie
der Verteilung des Magnetismus in weichem Eisen. Die Mitglieder
wurden veranlaßt, diese Theorie auf eine weiche Eisenkugel an-
zuwenden; sie mußten die Wirkung einer solchen durch den
Erdmagnetismus magnetisierten Kugel auf eine Deklinationsnadel
berechnen und die Vorschriften finden, um aus den beobachteten
Ablenkungen die Inklination abzuleiten. Diese Anwendungen
wurden dahin erweitert, daß statt der Kugel ein anderer Rotations-
körper aus Eisen betrachtet wurde."
Außerdem wurde, was Neumann in seinem Bericht nicht
erwähnt, die Induktion einer weichen Eisenmasse behandelt, die
von einer Ebene begrenzt ist.
Aus anderen Semestern, in denen die Übungen sich ebenfalls
auf die Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus er-
streckten, fühi'en wir noch an (1853 — 1854):
„Es wurden die Methoden der elektrischen Strommessung
behandelt, die Theorie der anzuwendenden Vorrichtungen ent-
wickelt und darauf gegründete Beobachtungen angestellt.
„Ich ließ fem er die Methoden untersuchen, durch welche die
Konstanten in elektrischen Ketten bestimmt werden sollen, und
in größeren Reihen von Beobachtungen zur Anwendung bringen.
Hierbei wurden besondere Verfahrungsarten untersucht und aus-
geführt, durch welche die Widerstände der Flüssigkeiten, von
der Polarisation getrennt, bestimmt werden. Als Nebenunter-
suchung wurde die Berichtigung der Differentialmultiplikatoren
ausgeführt."
Im Jahre 1858 — 1859 wurden u.a. die Eigenschaften der
magnetischen Achsen erörtert und Methoden zu ihrer empirischen
Bestimmung abgeleitet. Im folgenden Jahre wurden Fragen be-
handelt, die sich auf die Bewegung der Elektrizität in Ebenen
oder in Räumen bezogen, wenn diese mit einem homogenen Leiter
erfüllt sind oder mit Medien von verschiedenen Leitungsfähigkeiten.
„Diese ihrer Natur nach sehr allgemeinen Untersuchungen mußten
in speziellen Fällen so weit durchgeführt werden, daß aus ihnen
Methoden abgeleitet werden konnten für die empirische Prüfung
ihrer Resultate." Als spezielle Aufgaben über denselben Gegen-
stand werden 1862—1863 angeführt: Strömung der Elektrizität
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in kreisförmigen Scheiben und Ringen, in elliptischen Scheiben,
in rechtwinkligen Platten nnd Sti*eifen. Auch wurde die Strömung
in Platten untersucht, die aus zwei oder mehr verschiedenen
Leitern zusammengesetzt waren.
Aus 1867 — 1868 sind erwähnenswert eingehende Unter-
suchungen über die Tangentenbussole.
„Es mußte die yorteilhafteste Stellung, die zweckmäßigste
Einrichtung einer einfachen elektrischen Rolle bestimmt werden,
und es mußte die Leistung eines Rollenpaares und seine ent-
sprechende Aufstellung ermittelt werden. Diese Untersuchung
mußte ausgedehnt werden auf zwei Rollenpaare usw. und endlich
auf ein System von Rollenpaaren yon beliebiger Anzahl. Dies
führte zu Räumen yon konstanter elektrodynamischer Wirkung.
Diese Räume mußten nun benutzt werden zur Magnetisierung
von Eisenkugeln. Die Wirkung dieser so magnetisierten Kugeln
auf eine außerhalb des Rollensystems stehende Deklinationsnadel
mußte berechnet werden, um aus deren Beobachtung die magne-
tischen Eonstanten und ihre Variation abzuleiten." *
o) Besoheide des Miniateriuma auf die Seminarberiohte.
Wie schon oben erwähnt, mußten die Arbeiten der Seminar-
mitglieder alljährlich zusammen mit den Berichten dem Ministerium
eingereicht werden ; manche Berichte umfaßten, namentlich in den
dreißiger und vierziger Jahren, je zwei Jahre. Bei der Rück-
sendung sprach sich das Ministerium fast stets durchaus an-
erkennend über die Leitung des Seminars aus. So z.B. wird in
dem Ministerialreskript vom 20. Februar 1841 über den Bericht
für das Jahr 1839 — 1840 gesagt: „Die Arbeiten liefern wieder
den erfreulichen Beweis von den guten Fortschritten der Semi-
naristen in ihrer Wissenschaft und von den Früchten der Be-
mühungen ihrer Lehrer. Gern gibt der Minister der Hoffnung
Raum, daß das gedachte Seminar sich auch ferner als eine der
trefflichsten Pflanzschulen für Mathematik und Physik bewähren
und aus demselben unter der umsichtigen Leitung der Professoren
Jacobi und Neu mann noch viele kenntnisreiche und tüchtige
Lehrer der oben gedachten Wissenschaften hervorgehen werden."
Nur einmal, bei Rücksendung der Arbeiten der Jahre 1841 — 1843,
klingt neben dem Lobe ein leiser Tadel durch. Der Minister
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schreibt, er habe sich Yon dem erfreulichen Zastande und den
glücklichen Erfolgen des Seminars gern überzeugt. Er billige,
daiS die Aufgaben so gestellt seien, daß sie zugleich für einen
größeren Kreis der Studierenden der Mathematik und Physik
paßten und ihnen Anregung gäben, etwaige Lücken in ihren
Kenntnissen auszufüllen. Dann fügte er den Wunsch hinzu, daß
auch auf die Darstellung mehr Gewicht gelegt werde.
Wie diese Bemerkung gemeint ist, geht aus der Erwiderung
Neumanns hervor, die dem Bericht über die Zeit Ostern 1843
bis 1845 beigelegt ist.
„Ew. Hochwohlgeboren haben mir unter dem 8. Oktober 1843
unter Zurücksendung der früheren Arbeiten des Seminars eröffnet,
daß S. Exz. der Herr Staatsminister auf Grund des Gutachtens
eines Sachverständigen in diesen Arbeiten die Bemühung um
Verdeutlichung nicht im gleichen Verhältnis mit der Schwierig-
keit des Gegenstandes stehend gefanden habe, daß das Schwierige
öfters fast nur angedeutet sei, während Nebendinge hätten kürzer
gegeben werden können. Ich erlaube mir in dieser Beziehung die
ergebenste Bemerkung, daß die Schwierigkeit eines Gegenstandes
subjektiv ist, und daß, wenn ein Mitglied des Seminars in seiner
Arbeit mehr um die Verdeutlichung von Nebenpunkten sich be-
müht, daraus zu schließen ist, daß für ihn der Hauptpunkt keine
Schwierigkeit hatte, dieser vielmehr ihm aus den Vorträgen her
geläufig war. öfters mögen die Aufgaben gerade dieser Neben-
punkte wegen gestellt sein."
Seit dieser Zeit finden sich in den Erlassen, die die Rück-
sendung der Arbeiten begleiteten, keinerlei Bemerkungen, die nur
entfernt einem Tadel ähnlich sehen, sondern nur Worte des Lobes
und der Anerkennung.
d) Selbständige Arbeiten älterer Mitglieder.
Dissertationen, die von 19'eumann angeregt sind.
ÜDser Bericht über den Seminarbetrieb würde nicht voll-
ständig sein, wenn wir ihm nicht noch einiges über die Be-
schäftigung der weiter fortgeschrittenen Mitglieder
hinzufügten.
Den älteren Mitgliedern des Seminars wurden die Mittel ge-
währt, sich in messenden Beobachtungen zu üben. Schriftliche
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Arbeiten wurden yon ihnen nur gelegenÜicb gefordert, wenn die
experimentellen Resultate und deren Besprechung besondere Ver-
anlassung dazu gaben. Über den Nutzen derartiger ÜbuDg-en
spricht sich Neumann (Bericht über 1852 — 1853) folgender-
maßen aus : „Es liegt in der Natur solcher Beschäftigungen , daß
das objektive, aufweisbare Resultat oft gering ist, während doch
der subjektive Gewinn wichtig werden kann."
War die Übung im Beobachten eine hinreichende, so wurden
weiter die schon ausgebildeten Mitglieder in der Ausfahrung
selbständiger Untersuchungen unterstützt. Neu mann sagt
darüber: „Im Seminar ist immer der Grundsatz befolgt worden,
daß das einzelne Mitglied sich yon den durch den Dirigenten vor-
gelegten Beschäftigungen dispensieren kann, wenn es sich mit
selbstgewählten Arbeiten beschäftigt. Es hat dann nur Bericht,
mündlich oder schriftlich, über den Fortgang seiner Arbeit oder
über die Schwierigkeiten, auf welche es gestoßen ist, abzustatten,
bis es die Resultate selbst vorlegen kann. Es werden Arbeiten
dieser Art besonders gern gesehen und ermuntert. '^
Es sei gestattet, von den so entstandenen größeren Arbeiten
einige teils theoretische, teils experimentelle anzuführen.
Aus dem Jahre 1837 ist eine größere Arbeit Schumanns
(s. oben S. 152 — 154) über Elastizität zu erwähnen, von der
Neumann sagt, sie zeichne sich durch eigentümliche Auffassung
und Selbständigkeit um so mehr aus, als der Verfasser von den
neueren Arbeiten Poissons u. a. über denselben Gegenstand
erst später Kenntnis erhielt. Auch finde man in ihr von der
Koexistenz kleiner Schwingungen in einem besonders schwierigen
Falle zuerst einen strengen Beweis.
Im Jahre 1840 — 1841 arbeitete Brix (später Ingenieur bei
der preußischen Telegraphenverwaltung) über die experimentelle
Bestimmung der latenten Wärme der Dämpfe. Er promovierte
auf diese Arbeit, die in Pogg. Ann. 55, 1842, abgedruckt ist, im
November 1841. Aus dem Jahre 1842 — 1843 ist eine Arbeit
von A. E. Schinz, „Über den Einfluß der Temperatur auf die
Steighöhen in kapillaren Röhren^ zu nennen, hervorgegangen aus
einer von Neumann gestellten Preisaufgabe; auf diese Arbeit
promovierte der Verfasser im Juni 1843.
G. Kirchhoff hatte bereits in den Jahren 1843 — 1845 so
tüchtige Seminararbeiten geliefert, daß Neumann in seinem Be-
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rieht an den Minister auf dieses ^sich früh durchbildende Talent"
besonders aufmerksam macht. Kirchhoffs erste, in den Jahren
1845 — 1848 in Pogg. Ann. veröffentlichte Arbeiten sind direkt
im Anschluß an die Seminarübungen verfallt ; Neu mann sagt
darüber in seinem Bericht 1845 — 1846: „Ein Mitglied, Herr stud.
Kirchhoff, beschäftigte sich mit ihm eigentümlichen Aufgaben
aus der Theorie des Elektromagnetismus; einige Resultate seiner
Arbeiten habe ich ihn zur öffentlichen Kenntnis in Pogg. Ann.
bringen lassen" (Bd. 64 und Bd. 67, s. Kirchhoff, Ges. Abb., S. 1
und 17).
Auch Kirchhoffs Dissertation über die Konstanten, von
welchen die Intensität der induzierten Ströme abhängt ^) (ab-
gedruckt in Pogg. Ann. Bd. 76, s. Kirchhoff, Ges. Abb., S. 118),
ist von Neumann angeregt, der 1846 eine das Thema betreffende
Preisaufgabe gestellt hatte. Die Hilfsmittel zu den erforderlichen
Experimenten wurden vom Seminar zur Verfügung gestellt.
Aus dem Jahre 1855 — 1856 wird Müttrich^) als mit einer
größeren zusammenhängenden Arbeit beschäftigt erwähnt, näm-
lich mit der kristallographischen und optischen Bestimmung des
weinsteinsauren Kalinatrons; er hat diese Untersuchungen auch
später fortgesetzt und darauf im Dezember 1863 promoviert.
Der Arbeiten von 0. E. Meyer und C. J. H. Lampe über
Eeibung der Flüssigkeiten (1857 — 1858) ist oben schon gedacht.
1858 — 1859 wird berichtet: „Herr Meyer setzte seine schon
früher begonnenen Beobachtungen über die innere Reibung von
Flüssigkeiten fort."
Meyer hat auf seine Arbeit im November 1860 promoviert,
aber auch noch in späteren Jahren in einer Reihe von weiteren
Arbeiten die Untersuchungen fortgesetzt.
Im Jahre 1859 — 1860 werden zwei größere Arbeiten von
den Mitgliedern Saalschütz und Schindler angeführt, die als
selbständige Fortsetzungen früherer Seminararbeiten zu betrachten
sind. Die Arbeit von Saalschütz betraf den Wärmezustand der
Erde. Er hat darauf im Juli 1861 promoviert.
Im Winter 1865 — 1866 wurden dem Verfasser dieser Schrift
die Mittel zur Messung New ton scher Ringe zur Disposition ge-
*) Es handelt sich um die Konstante £, s. S. 111 Anm.
*) NB. Der Name ist bei Volkmann durch einen Druckfehler
entstellt.
Wange rin, Franz Neumann. 22
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— 178 —
stellt. Auch diese Arbeit, nebst theoretischen Untersuchungen
über jene Ringe (cfr. Pogg. Ann. Bd. 131, 1867), bildeten die
Grundlage für die Promotion (März 1866).
Aus dem Jahre 1866 liegt eine größere Arbeit von L. Sohncke
vor: „Über die Eohäsion der Kristalle oder über die Verteilung
des Drucks um einen Punkt eines kristallinischen Mediums im
natürlichen Zustande und über die Spaltbarkeit der Kristalle".
Diese Arbeit ist eine Vorstudie zu Sohnckes späteren Arbeiten
über Kristallstruktur. Erwähnt sei, daß Sohncke, der erst nach
Abschluß seiner Studien nach Königsberg kam , an den Seminar-
übungen nur drei Semester hindurch (Herbst 1862 bis Ostern
1864) teilgenommen hat, aber, wie yiele andere frühere Seminar-
mitglieder, noch weiter mit dem Seminar in Verbindung ge-
blieben ist.
Endlich sind noch aus dem Jahre 1867 — 1868 die Unter-
suchungen von 0. Frölich: „Über den Einfluß der Absorption der
Sonnen wärme in der Atmosphäre auf die Temperatur der Erde"
zu erwähnen (Dissertation, Juni 1869), und weiter 1873 die von
W. Voigt: „Untersuchungen über die Elastizitäts Verhältnisse des
Steinsalzes" (Dissertation, März 1874).
Im vorstehenden ist eine Reihe von Dissertationen genannt,
die Neumann angeregt hat; wir fügen noch folgende Disserta-
tionen hinzu, die ebenfalls auf Neumann zurückzuführen sind:
J.A.Friedrich (September 1843^), F. J. G. Ellinger
(Dezember 1843), J. E.F.Th. Ebel (Dezember 1845), A.Clebsch
(März 1854), „De motu ellipsoidis in fluido incompressibili viri-
bus quibuslibet impulsi", F. Just (Dezember 1862), „De arcu-
bus supernumerariis , qui in iride observantur". Von der Mühll
(August 1866), der eingehend untersucht, welchen Einfluß auf
die Reflexion und Brechung eine Oberflächenschicht (Übergangs-
schicht zwischen den beiden Medien, an denen die Brechung er-
folgt) ausübt.
hlndlich sind auf Neu mann auch zwei Berliner Disserta-
') Volkmann meint, auf die Dissertationen von J. A. Friedrich
und F. J. Ellinger sei Neumann ohne Einfluß gewesen. Ich bin
der entgegengesetzten Ansicht, da die beiden Herren verschiedene
Semester an Neumanns Seminarübungen teilgenommen haben und
daher wohl anzunehmen ist, daß auch ihre Arbeiten aus dem Seminar
hervorgegangen sind.
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tionen zurückzuführen: die von Lipschitz, welche die Magneti-
sierung eines dreiachsigen Ellipsoids behandelt (1857), und die
von Paul DuBois Eeymond: „De aequilibriofluidorum" (1859),
in welch letzterer zuerst der Neuman n sehe Satz der Kapillarität
(s. S. 147) veröffentlicht ist, ^mit dem ausdrücklichen Hinweis
darauf, daß dieser Satz von Neumann herrührt.
e) Verzeiolmis einer Reihe weiterer Schüler Neu mann s.
Außer den bisher genannten hat noch eine gi-oße Reihe
anderer Schüler Neumanns durch seine Vorlesungen, vorzugs-
weise aber durch seine Seminarübungen die mannigfachsten An-
regungen erfahren, die bei vielen in ihren späteren Arbeiten klar
zutage treten. Wir nennen aus der vollständigen Liste der Neu-
mann sehen Schüler, die sich bei Volkmann findet i), noch fol-
gende Mathematiker, Physiker und Chemiker, indem wir die schon
im vorhergehenden erwähnten fortlassen.
0. Meyer, später Gymnasialprofessor in Königsberg, Ver-
fasser mehrerer Arbeiten im Crelleschen Journal, darunter eine
über das dreiachsige EUipsoid als Gleichgewichtsfigur einer ro-
tierenden Flüssigkeit; Albrecht, ehemaliger Direktor der Ge-
werbeschule in Königsberg; die Mathematiker J. G. Rosenhain,
F. H. Siebeck, Borchardt, Joachimsthal, Aronhold, Ph. L.
Seidel, E. Heine, Durege, ferner Amsler (Erfinder des Polar-
planimeters), W. A. Dumas, später Professor am grauen Kloster
in Berlin (Über die Bewegung des Raumpendels mit Rücksicht auf
die Rotation der Erde, Grelle 50; Bestimmung der Wärmeleitungs-
fähigkeit dünner Metalldrähte, Pogg. Ann. 129, 1866), E. Schröter
(gestorben als Professor der Mathematik in Breslau), C. Neu-
mann (Leipzig), Bardey (Herausgeber einer bekannten mathema-
tischen Aufgabensammlung), Radau, gegenwärtig Mitglied der
Pariser Akademie, G. Quincke (Heidelberg), F. W. Fuhrmann
(bekannt durch seine Arbeiten über die merkwürdigen Punkte des
Dreiecks), der Meteorologe Wild, der Chemiker Lothar Meyer,
Minnigerode (gestorben als Professor in Greifswald) , P eb a 1
(der in Königsberg hörte, als er schon Professor in Lemberg war,
*) Auch die Angaben, die Lindemann in der Gedächtnisrede auf
Seidel (s. S. 151) über das Königsberger mathematisch -physikalische
Seminar gemacht hat, sind hier benutzt, ebenso die Seminarberichte.
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gestorben als Professor der Chemie in Graz), Milinowski (Geo-
meter, gestorben als Oberlehrer im Elsaß), P. Gordan (Erlangen),
Zöppritz (gestorben als Professor der Geographie), Pape (ge-
storben in Berlin als emeritierter Professor der Eönigsberger Uni-
versität), Reiohel (Professor an der landwirtschaftlichen Hoch-
schule in Berlin), Rathke (Professor der Chemie in Marburg),
Eossak (gestorben 1892 als Professor an der technischen Hoch-
schule zu Berlin), Au wer s, jetzt Sekretär der Berliner Akademie,
0. E. F. Tischler (gestorben als Archäologe des Provinzial-
museums in Königsberg), J. C. Eiessling (bekannt durch seine
Untersuchungen über Dämmerungserscheinungen, vor kurzem ge-
storben als emeritierter Gymnasialprofessor), A. Momber (Vor-
stand des naturwissenschaftlichen Vereins in Danzig), Hossen-
felder (Gymnasialprofessor in Strasburg in "Westpreußen, bekannt
durch einige Arbeiten in den mathematischen Annalen), Hutt
(emer. Realschuldirektor in Bernburg), E. Schröder (gestorben als
Professor am Polytechnikum in Earlsruhe), A. Mayer (Professor
der Mathematik in Leipzig), H. "Weber (Professor der Mathe-
matik in Straßburg), H. "Weber (Professor der Physik in Braun-
schweig), Pietzker (Gymnasialprofessor in Nordhausen), Dorn
(Professor der Physik in Halle), Eostka (Gymnasialprofessor in
Insterburg), Mischpeter (Gynmasialprofessor in Eönigsberg),
Gundelfinger (Professor der Mathematik in Darmstadt), Thiesen
(Professor, Mitglied der physikalisch - technischen Reichsanstalt),
L. Hübner (Gymnasialprofessor in Schweidnitz) , Pernet (ge-
storben als Professor der Physik in Zürich), R. v. Eötvös (Buda-
pest), G. Baumgarten (Gymnasialprofessor in Dresden), Böttcher
(Rektor des Realgymnasiums in Leipzig), M. Krause (Professor
an der technischen Hochschule in Dresden), P.Volk mann (Königs-
berg), H. Dobriner (gestorben in Frankfurt), Rahts (Assistent
an der Sternwarte in Königsberg).
III. Neumanns Bestrebungen zur Errichtung eines
physikalischen Laboratoriums.
Schon früh hatte sich Neumann überzeugt, daß ein erfolg-
reiches Studium der Physik nicht möglich sei, wenn die Studieren-
den nicht auch im Experimentieren unterwiesen würden. Seit
dem Jahre 1829 hat er daher wiederholt auf den Mangel eines
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Laboratoriums hingewiesen und um Abhilfe gebeten. Als im
Jahre 1839 die Errichtung eines neuen Universitätsgebäudes ge-
plant wurde, hat er in einer Eingabe ausgeführt, daß die Räume
für die chemische, physikalische und mineralogische Sammlung
vom Universitätsgebäude. zu trennen und sowohl mit Arbeits-
räumen, als auch mit Dienstwohnungen für die Direktoren zu ver-
sehen seien 1).
Besonders merkbar machte sich der Mangel eines Labora-
toriums nach der Gründung des Seminars, und von Anfang an
war Neu mann bestrebt, mit den theoretischen Arbeiten auch
praktische Übungen zu verbinden. Schon im Jahre 1837 weist
er in dem Seminarbericht darauf hin, daß es vor allem darauf
ankomme, die jungen Leute selbst experimentierend und be-
obachtend zu beschäftigen. Auf die Notwendigkeit von phy-
sikalischen Laboratorien, mit denen heute selbst die kleinste Uni-
versität ausgestattet ist, hingewiesen zu haben zu einer Zeit, wo,
in Deutschland wenigstens, niemand sonst an derartige Einrich-
tungen für Physik dachte, ist ein entschiedenes Verdienst Neu-
manns. Leider war es ihm durch die Ungunst der Zeiten nicht
vergönnt, das, was er erstrebte, zu erreichen; aber nie hörte er
auf, auf die Notwendigkeit eines Laboratoriums hinzuweisen, durch
keine Mißerfolge ließ er sich von erneuten Petitionen abhalten;
ja, als fast Achtzigjähriger, nachdem er von der Verpflichtung,
Vorlesungen zu halten, entbunden war, trat er noch warm für die
Erbauung des Laboratoriums ein.
Wie schwer Neumann die durch das Fehlen eines Labora-
toriums hervorgerufene Einschränkung seiner Wirksamkeit emp-
fand, geht aus einer Eingabe hervor, die er 1841 anläßlich der
Ablehnung des Rufes nach Dorpat an den Universitätskurator
richtete.
„Meine akademische Wirksamkeit (wie zufrieden ein hohes
Ministerium sich auch neulich wieder darüber ausgesprochen hat)
ist nur der Schatten von dem, was sie sein könnte. Es hätte
wirklich sich hier in Königsberg eine Pflanzschule für mathe-
matische Physik bilden können. Mit Schmerz und Scham hat es
mich oft erfüllt, junge Leute, zum Teil aus der Ferne kommend,
welche sich meiner Leitung überlassen wollten, wegen Unzuläng-
*) Erinnerungsblätter, S. 347. Volkmann, S. 9.
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lichkeit der Mittel und Gelegenheit auf eine Weise beschäftigen
zu müssen, die ich nur durch den Druck der Verhältnisse recht-
fertigen kann. Die Einrichtung auf unserer Uniyersität ist ja
noch immer so, als könnte ich Physik in Vorlesungen lehren —
ich habe ja nicht einmal ein Laboratorium. Meine eigene wissen-
schaftliche Tätigkeit mnQ sich beschränken auf das, was ein
Physiker auf einer Dachstube allenfalls für die Wissenschaft etwa
noch tun kann'' ^).
Mußte Neumann so während seiner ganzen Tätigkeit als
akademischer Lehrer das wichtigste Hilfsmittel für einen erfolg-
reichen Unterricht entbehren, so suchte er wenigstens die geringen
Mittel des Seminars möglichst nutzbar zu machen. Schon vom
Jahre 1839 an, wo dem Seminar ein, wenn auch geringer fester
Fonds bewilligt war, begann er (vgl. oben S. 171) praktische
Übungen anstellen zu lassen. Freilich konnten diese zunächst
nur in geringem Umfange, und auch nur im Sommer statt-
finden, da die Räume der mineralogischen Sammlung (in der
alten Albertina am Domplatz) wegen ihrer Unheizbarkeit im
Winter nicht benutzt werden konnten 2). Noch öfter treten in
den Seminarberichten die Klagen über den Mangel der für die
Übungen zur Disposition stehenden Räumlichkeiten, die nicht
gestatten, den experimentellen Beschäftigungen die erwünschte
Ausdehnung zu geben, hervor, und 1843 wird von Neumann
wiederum die Erbauung eines Laboratoriums, bzw. die Mietung
von Räumen zu diesem Zwecke beantragt. Ja in einer Eingabe
von 1844 erbietet er sich, einen Teil der Mietskosten zu tragen,
und erwähnt dabei, daß er 15 lange Jahre vergeblich gehofft, die
Hindernisse schwinden zu sehen, welche der ganzen und vollen
Anwendung seiner Kräfte entgegenstehen.
Im Jahre 184Ö kommt er bei Gelegenheit des Antrages,
Richelot die Leitung der mathematischen Abteilung des Seminars
definitiv zu übertragen, auf das Laboratorium zurück, „sowie ich
auch nicht aufhören werde zu hoffen auf die Gewährung des so-
wohl zur vollen Entwicklung der Wirksamkeit des Seminars, als
des Gedeihens des physikalischen Studiums überhaupt notwendigen
physikalischen Laboratoriums". Keine der wiederholten Ein-
*) Erinnerungsblätter S. 352 bis 353.
*) Seminarbericht 1841.
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gaben, denen 1846 Andeutungen über die Erfordernisse eines
physikalischen Laboratoriums beigefügt waren ^), hatte Erfolg.
Um überhaupt das Experimentieren der Seminarmitglieder
zu ermöglichen, mulSten um diese Zeit den einzelnen Mitgliedern
die betreffenden Apparate in ihre Wohnungen mitgegeben werden,
was übrigens auch in späteren Jahren noch vielfach geschah.
Eine kleine Besserung der Verhältnisse trat ein, als Neu-
mann 1847 ein eigenes Haus erworben hatte. Von diesem ein-
stöckigen, auf dem Hintertragheim gelegenen Hause, dessen Garten
bis an den Schloßteich reichte, nahm Neu mann für sich und
seine Familie nur einen Teil in Anspruch, die besten und größten
Zimmer benutzte er zur Aufstellung der Instrumente, die er teils
aus eigenen Mitteln, teils für das Seminar allmählich anschaffte.
Hier wurden denn auch die praktischen Übungen der Seminaristen
angestellt, auf die oben an den verschiedensten Stellen hin-
gewiesen ist. Freilich war das bei der Beschränktheit der Räum-
lichkeiten und der Beschränktheit der Mittel noch immer nicht
in dem erwünschten Umfange möglich; es war gewissermaßen
nur ein Notbehelf. Neumann spricht „von der teilweisen Be-
seitigung der Ungunst der Umstände, welche die lange von ihm
gewünschte größere Ausdehnung dieser Art von Tätigkeit im
Seminar verhinderte" ; aber er ist dem Ministerium schon für die
Erfüllung nur eines geringen Teiles seiner Wünsche dankbar.
In späteren Jahren kommt er nicht mehr auf das Labora-
torium zurück, „da der Wirkungskreis, in dem er sich jetzt be-
finde, seine Kräfte so vollständig in Anspruch nehme, daß er
nicht glaube, ihn noch erweitern zu dürfen" 2).
Erst als er 1876 seine Lehrtätigkeit aufgegeben, betont er
in einer Eingabe an den Kurator von neuem die Notwendigkeit
des Laboratoriums. Die Eingabe hat folgenden Wortlaut 3):
„Die Notwendigkeit eines physikalischen Laboratoriums für
die hiesige Universität ergibt sich aus folgenden zwei Tatsachen:
1. kann der physikalische Unterricht ohne ein solches
Laboratorium nur unvollständig, nicht in der Ausdehnung erteil^
^) Erinnerungsblätter, 8. 445.
*) Erinnerungsblätter, S. 379.
Frl. Neumann teilt dieselbe nach einem Konzept mit; zwischen
diesem und der wirklichen Eingabe sind kleine Abweichungen, nament-
lich am Schloß vorhanden.
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werden, wie es das Bedürfnis der künftigen Lehrer der höheren
Lehranstalten der Provinz, dem heutigen Zustande der Physik ent-
sprechend, erfordert;
2. können die Lehrer der Physik ohne Laboratorium sich
nicht die Mittel yerschaffen, die nötig sind, um an der Entwick-
lung der Wissenschaft denjenigen Anteil zu nehmen, der yon
akademischen Lehrern mit Recht erwartet wird.
„Der akademische Lehrer, der sich noch seines Berufes be-
waßt ist, weiß, daß er nicht allein für den Unterricht seiner
Disziplin berufen ist, daß er an der weiteren Entwicklung und
Fortbildung derselben teilzunehmen hat, ja er weiß, daß seine
Wirksamkeit als Lehrer nur dann erfolgreich und fruchtbar werden
kann, wenn er als selbständiger Forscher der Wissenschaft sich
fühlt. Sind demselben die Mittel zu eigenen wissenschaftlichen
Arbeiten versagt, und sie sind es, wenn ihm kein Laboratorium
gewährt wird, so wird er die erste Gelegenheit ergreifen, die
hiesige Universität zu verlassen. Hervorragende Physiker wird
unsere Universität ohne Laboratorium heute nicht gewinnen
können. Man denke sich in die Lage eines wissenschaftlichen
Mannes, der große Reihen wichtiger Untersuchungen und Beob-
achtungen seiner Zeitgenossen auf sich beruhen lassen muß, weil
er nicht die Mittel und die Räumlichkeiten besitzt, dieselben zu
prüfen und sich ein selbständiges Urteil über den "Wert und die
Grenzen der Zuverlässigkeit ihrer Resultate zu verschaffen; man
denke sich denselben Mann, wie er bei jedem ihm entgegen-
tretenden wissenschaftlichen Problem, ehe er an die Untersuchung
geht, ängstlich sich erst fragen muß, ob seine Mittel eine solche
zulassen. Solche Beengung des akademischen Dozenten kann
nicht fördernd auf seinen Unterricht wirken, diese Hindernisse
seiner akademischen Tätigkeit können nur das Verlangen er-
zeugen, sich an einer anderen Universität einen Wirkungskreis
zu suchen.
„Was den Unterricht selbst in der Physik betrifft, bemerke
ich, daß derselbe einer doppelten Forderung zu genügen hat.
Er bat zunächst diejenigen physikalischen Kenntnisse und An-
schauungen zu gewähren, welche zur allgemeinen Bildung der-
jenigen gehören, die sich dem Studium irgend eines Zweiges der
Naturwissenschaften, wie Chemie, Mineralogie, Botanik usw., wid-
men oder Medizin studieren wollen. Dann hat 2. der physikalische
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Unterricht für diejenigen zu sorgen, welche Lehrer der Physik
werden wollen. Der ersten Forderung wird genügt durch die
Vorlesungen über Experimentalphysik. Diese Vorlesungen bilden
zugleich die Grundlage für jedes tiefer gehende Studium der
Physik, sie finden für diejenigen, die sich zu Physikern ausbilden
wollen, ihre Ergänzung in den Vorlesungen über theoretische
Physik, worin der mathematische Zusammenhang der Phänomene,
welche die Experimentalphysik mehr oder weniger lose neben-
einander stehen lassen mußte, entwickelt wird, soweit das bis jetzt
der Wissenschaft gelungen ist.
„Mit diesem experimentellen und theoretischen Unterricht
schließt unsere Universität die physikalische Ausbildung der Regel
nach ab, von einzelnen Ausnahmefällen braucht hier nicht ge-
sprochen zu werden, und deshalb bleibt die Ausbildung unvoll-
ständig. Ihr fehlt noch eine wesentliche Seite, die praktische
Ausbildung. Die Behandlung von physikalischen Apparaten, die
Kunst zu beobachten, die Methoden für Messungen, die Methoden,
numerisch festzustellende Elemente aus den Erscheinungen abzu-
leiten usw., können nur in praktischer Beschäftigung in einem
Laboratorium gelernt werden, und nur hier kann der Lehrer die
erforderlichen Anweisungen und Belehrungen erteilen. Diese
Un Vollständigkeit der physikalischen Ausbildung der Physik Stu-
dierenden ist von um so größerem Gewicht, da dieselben meistens
nicht in der Lage sind, eine Ergänzung ihrer Ausbildung auf
einer anderen Universität suchen zu können, wozu ich in zu-
lässigen Fällen immer angeraten habe."
Eine weitere Eingabe, die in dieser Angelegenheit am 7. Juni
1876 von Voigt gemacht ist, ist von Neumann unterschrieben.
Auch jetzt vergingen, obwohl allerseits der gute Wille vor-
handen war, noch Jahre, bis Neumanns sehnlichster Lebens-
wunsch in Erfüllung ging. Erst in den Jahren 1884 — 1886
wurde das Laboratorium erbaut (ohne Dienstwohnung), zu einer
Zeit also, wo Neumann, fast neunzigjährig, von der Einrichtung
keinen Gebrauch mehr machen konnte.
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Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
DIE WISSEISCHAFT.
Sammlung naturwissenschaftlicher
und mathematischer Monographien.
Von Jahr zu Jahr wird es schwieriger, die Fortschritte auf mathematisch-
naturwissenschaftlichem Gebiete zu verfolgen. Zwar teilen uns zahlreiche
referierende Zeitschriften die neuen Ergebnisse der Forschung mehr oder
weniger schnell mit, aber ohne dieselben einheitlich zusammenzufassen. Die
Cntwickelung der einzelnen Wissenschaften zu verfolgen wird aber nur dann
möglich sein, falls in nicht zu langen Zwischenräumen übersichtliche Dar-
stellungen über begrenzte Teile derselben erscheinen. Durch derartige Mono-
graphien wird auch dem Spezialforscher ein Einblick in Nebengebiete
ermöglicht. Überlegungen in dieser Richtung haben in Frankreich zmt Ver-
öffentlichung der „Scientia" geführt. In Deutschland soll demselben Zweck
die in unserem Verlage unter dem Titel „Die Wissenschaft*' erscheinende
Sammlung naturwissenschaftlicher und mathematischer Mono-
graphien dienen.
Nicht populär im gewöhnlichen Sinne des Wortes, sollen diese Mono-
graphien ihren Stoff der Mathematik, den anorganischen wie den organischen
Naturwissenschaften und deren Anwendungen entnehmen, auch Biographien
von großen Gelehrten und historische Darstellungen einzelner Zeiträume sind
ins Auge gefaßt.
Dem unter besonderer Mitwirkung von Prof. Dr. EilhardWiedemann
ins Leben getretenen Unternehmen ist aus den dafür interessierten Gelehrten-
kreisen bereits in der entgegenkommendsten Weise die erforderliche Unter-
stützung zugesagt worden.
Die Ausgabe erfolgt in zwanglos erscheinenden einzeln
käuflichen Heften
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Bis Jetzt erschienen:
I. Heft: Untersuchungen Aber die radioaktiven Substanzen von
Mme. S. Curie. Übersetzt und mit Literaturergänzungen versehen
von W. Kaufmann. Dritte Auflage. Mit 14 Abbildungen.
Preis M. 3.—, geb. in Lnwd. M. 3.80.
II. Heft: Die Katliodenstralilen von Prof. Dr. G. C. Schmidt. Mit
50 Abbildungen. Preis M. 3. — , geb. in Lnwd. M. 3.60.
III. Heft: Elelctrizität und Materie von Prof. Dr. J. J. Thomson.
Autorisierte Übersetzung von 0. Siebert. Mit 19 Abbildungen.
Preis M. 3. — , geb. in Lnwd. M. 3.60.
IV. Heft: Die physilcaüschen Eigenschaften der Seen von Dr. Otto
Freiherr von und zu Aufsess. Mit 36 Abbildungen. Preis>gle
M. 3. — , geb. in Lnwd. M. 3.60.
Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig.
V. Heft: Die Entwiclceluiig der elektrischen Messungen von
Dr. 0. Frölich. Mit 124 Abbild. Preis M. 6.—, geb. M. 6.80.
VI. Heft: Elektromagnetische Schwingungen und Wellen von
Prof. Dr. Josef Ritter V. Geitler. Mit 86 Abbild. Preis M. 4.50,
geb. in Lnwd. M. 5.20.
VII. Heft: Die neuere Entwickelung der Kristallographie von Prof.
Dr. H. Baumhauer. Mit 46 Abbild. Preis M.4.— , geb. M. 4.60.
VIII. Heft: Neuere Anschauungen auf dem Gebiete der anorgani-
schen Chemie von Prof. Dr. A. Werner. Preis M. 5.—, geb.
in Lnwd. M. 5.75.
IX. Heft: Die tierischen Gifte von Dr. Edwin S. Faust. Preis
M. 6.—, geb. in Lnwd. M. 6.80.
X. Hfft: Die psychischen Maßmethoden von Dr. G. F. Lipps.
Mit 6 Abbildungen. Preis M. 3.50, geb. in Lnwd. M. 4.10.
XI. Heft: Der Bau des Pixsternsystems von Prof. Dr. Hermann
Kobold. Mit 19 Abbild, u. 3 Tafeln. Preis M. 6.50, geb. M. 7.30
XII. Heft: Die Portschritte der kinetischen Gastheorie von Prof.
Dr. G. Jäger. Mit 8 Abbild. Preis M. 3.50, geb. in Lnwd. M. 4.10
XIII. Heft: Petrogenesis von Prof. Dr C. Doelter. Mit 1 Lichtdruck
tafel und 5 Abbildungen. Preis M. 7. — , geb. in Lnwd. M. 7,80.
XIV. Heft: Die Grundlagen d. Parbenphotographie v. Dr. B. Donath.
Mit 35 Abbildungen u. 1 farbigen Ausschlagtafel. Preis M. 5. — ,
geb. in Lnwd. M. 5,80.
XV. Heft: Höhlenkunde mit Berücksichtigung der Karstphänomene
von Dr. phil. Walther von KnebeL Mit 42 Abbildungen im Text
und auf 4 Tafeln. Preis M. 5,50, geb. in Lnwd. M. 6,30.
XVL Heft: Die Eiszeit von Prof. Dr. F. E. Goinitz. Mit 25 Abbil-
dungen, 3 farbigen Tafeln und einer Tabelle. Preis M. 7. — ,
geb. in Lnwd. M. 7,80.
xvn. Heft: Die Anwendung der Interferenzen in der Spektroskopie
und Metrologie von Dr. E. Gehrks. Mit 73 Abbildungen. Preis
M. 5,50, geb. in Lnwd. M. 6,20.
XVIII. Heft: Kinematik organischer Gelenke von Prof. Dr. Otto
Fischer. Mit 77 Abbild. Preis M. 8.—, geb. in Lnwd. M. 9.—.
XIX. Heft: Franz Neumann und sein Wirken als Forscher und
Lehrer von Prof. Dr. A. Wangerin. Mit einer Textfigur und
einem Bildnis Neumanns in Heliogravüre. (In vorliegender Aus-
gabe.) ..,.HK. Google
(Weitere Hefte in Vorbereitung.)
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